Gute Wissenschaft [1 ed.] 9783428539529, 9783428139521

Eine Essentiale guter Wissenschaft ist die Unabhängigkeit der Lehrenden und Forschenden. Auftragsforschung muss unter di

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Gute Wissenschaft [1 ed.]
 9783428539529, 9783428139521

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 70

INGO von MÜNCH

Gute Wissenschaft

Duncker & Humblot · Berlin

INGO von MÜNCH

Gute Wissenschaft

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 70

Gute Wissenschaft Von

Ingo von Münch

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-13952-1 (Print) ISBN 978-3-428-53952-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83952-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ∞



Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Gute Wissenschaft: Was ist das? Sollte man diese beiden Worte in Anführungszeichen setzen? Eine Legaldefinition, nach der ein Jurist zunächst sucht, wenn es um eine Begriffsbestimmung geht, gibt es für „gute Wissenschaft“ nicht. Jedenfalls – so eine zugegeben banale Feststellung – ist gute Wissenschaft das Gegenteil von schlechter Wissenschaft. Was schlechte Wissenschaft („wissenschaftliches Fehlverhalten“, „unredliche Wissenschaft“) bedeutet, weiß man spätestens seit den Plagiatsaffairen, die monatelang Gegenstand intensiver Berichterstattung und Kommentierung in den Medien waren. Die Anfragen und die Erregung über die Plagiatsfälle haben sich inzwischen gelegt; aber das Thema gute Wissenschaft steht zu Recht weiterhin auf der Tagesordnung von Erörterungen vor allem an wissenschaftlichen Hochschulen, wissenschaftlichen Forschungsinstituten und Wissenschaftsorganisationen. Es ist verständlich, dass die Diskussion über gute Wissenschaft und über deren Gegenteil sich zunächst und vor allem auf die Plagiatsfälle konzentrierte, dies vor allem deshalb, weil die Plagiatoren prominente Politiker waren, denen ein Sturz von vielen gewünscht wurde. Aber gute Wissenschaft sollte in der Praxis nicht auf die Verhinderung von Plagiaten beschränkt bleiben, sondern muss ihr Augenmerk auch auf andere Problemfelder richten. Die Schwierigkeit, die Grenzen zwischen redlichem und unredlichem wissenschaftlichen Handeln exakt zu bestimmen, ist unter anderem darin begründet, dass die Wissenschaftsdisziplinen und die verschiedenen Forschungsmethoden nicht einem einheitlichen Muster folgen, sondern eine erhebliche Vielgestaltigkeit aufweisen, vor allem im Vergleich zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Dennoch gibt es Standards, die für alle Formen wissen-

6 Vorwort

schaftlicher Betätigung gelten oder zumindest gelten sollten. Disziplinübergreifend stellen sich deshalb die in dieser Studie behandelten Themen der Unabhängigkeit, der Berufungsverfahren, des Spagatprofessors, der Qualität von Studium und Lehre, der Kritik an der Habilitation, der Qualität von Veröffentlichungen (hier insbesondere eben das Thema Plagiate) und schließlich der Wissenschaft als Lebensform mit der Frage nach der Bedeutung von Kollegialität. Die vorliegende Studie wurde angeregt von der Tatsache, dass die durch ihre Mitglieder einflussreiche „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer“ (zu deren Mitgliedern auch Staatsrechtslehrer aus Österreich und der Schweiz zählen) beschlossen hat, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit dem Problemkreis „gute Wissenschaft in der Praxis“ befassen soll. Zudem hat der Wissenschaftsrat eine Arbeitsgruppe „Perspektiven der Rechtswissenschaft“ eingerichtet. Schon früher haben sich z. B. die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Denkschriften und im Wege der Aufstellung von Verhaltensregeln mit der Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und der Vermeidung von wissenschaftlichem Fehlverhalten ausführlich befasst. Der inzwischen in vielen Institutionen eingesetzte Ombudsman nimmt sich jeweils konkreter Beschwerdefälle an. Die vorliegende Studie versteht sich nicht als eine „chronique scandaleuse“, aber auch nicht als eine Rechtfertigungsschrift hinsichtlich vorhandener Missstände. Soweit in dieser Studie Kritik an wissenschaftlicher Praxis geäußert wird, weiß der Verfasser, dass solche Kritik von den Betroffenen nicht gern gehört (in diesem Fall: gelesen) wird. Kritik bringt aber Sinn, wenn sie nicht um ihrer selbst willen und nicht aus ideologischen Gründen vorgetragen wird, sondern um konstruktiv zu wirken. Eine begründete Kritik setzt allerdings voraus, dass der Kritiker mit den Verhältnissen im Wissenschaftsbetrieb wenigstens einigermaßen vertraut ist – ein vollständiger, alle Ecken ausleuchtender Überblick ist vermutlich unmöglich. Der Verfasser der vorliegenden

Vorwort7

Schrift leidet – wie er hofft – nicht an Selbstüberschätzung oder an einem Hang zur Besserwisserei. Eine gewisse Legitimation zur Beurteilung von guter oder schlechter Wissenschaft sieht er in seinen persönlichen Erfahrungen als Student, als Assistent (heutiger Ausdruck: wissenschaftlicher Mitarbeiter), als Privatdozent und als Professor an mehreren Hochschulen, schließlich auch – gewissermaßen von der anderen Seite des Tisches – als zeitweiliger Wissenschaftssenator der Freien und Hansestadt Hamburg, sowie als Autor von Veröffentlichungen zu diversen Wissenschaftsthemen. Für unermüdliche Texterfassung danke ich Friederike Ramcke, für sorgfältige Recherchen danke ich sehr Adrian Sichma. Die Verantwortung für den Text trägt der Autor. Hamburg, im Sommer 2012

Ingo von Münch

Inhalt A. Eine I. II. III. IV.

Arbeitsgruppe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer  . . 15 Vorarbeiten zu guter Wissenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . 17 Der Begriff Wissenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Vielgestaltigkeit von Wissenschaftsdisziplinen und Forschungsmethoden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 V. Die Notwendigkeit guter wissenschaftlicher Praxis und deren Inhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 VI. Wissenschaft außerhalb von Organisationen: entpflichtete Hochschullehrer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 VII. Freiheit der Wissenschaft – nicht Freiheit von Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit  . . . . . . . . . . . . 29 I. Der Fall Welti  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Auftragsforschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Die Erstellung von Gutachten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 IV. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter  . . . . . . . . . . . . . . . 35 V. Familiäre Beziehungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 C. Nicht I. II. III.

jeder ist berufen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Die Auswahl der zu Berufenden  . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Schleiertänze nach Erhalt eines Rufes  . . . . . . . . . . . . 44 Bedingungen für die Annahme des Rufes  . . . . . . . . . 44

D. Der Spagatprofessor  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Der Ausdruck  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Rechtliche und hochschulpolitische Beurteilung  . . . . 47 III. Rückkehr nach Emigration  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 IV. Gründe für den Spagat und seine Problematik  . . . . . 50 E. Studium und Lehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I. Die Studierenden als Teilnehmer am Wissenschaftsprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

10 Inhalt II.

Die Vorlesung als Ort der Vermittlung und Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse  . . . . . . . . . . . . . 54 III. Qualität der Lehre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?  . . . . . . . . . . . 59 I. Geschichtliche Entwicklung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Kritik an der Habilitation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Anfänge der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Zu hohes Alter der Habilitierten? . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Zu wenig habilitierte Frauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Neuere Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5. Organisatorische Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 6. Der Vorwurf der Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 75 7. Der Nutzen der Habilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 8. Pläne zur faktischen Abschaffung der Habilitation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 III. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts  . . 81 G. Veröffentlichungen: eigene und fremde  . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Unveröffentlichte Gedanken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Die Sache mit den Verlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 III. Der Umfang von Veröffentlichungslisten  . . . . . . . . . 85 IV. Der Umfang von Dissertationen und Habilitationsschriften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 V. Publish or perish  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 VI. Schreibsperren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 VII. Anonyme Veröffentlichungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 VIII. Die Aufdeckung von Missständen  . . . . . . . . . . . . . . . 96 IX. Veröffentlichungen im Kollektiv  . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 X. Plagiate und der Umgang mit ihnen  . . . . . . . . . . . . . 107 1. Die Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Die (Un-)Rechtsfigur Plagiat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Das sog. Eigenplagiat (Selbstplagiat) . . . . . . . . . . . . 114 4. Schädigungen und Mitverantwortung der Hochschule? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5. Politiker im Visier der Plagiatsjäger  . . . . . . . . . . . . 121 6. „Vgl.“: ein Plagiat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7. Konsequenzen aus den Plagiatsfällen . . . . . . . . . . . . 126 8. Ghostwriter in der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128



Inhalt11

H. Wissenschaft als Lebensform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Die Bedeutung der Kollegialität  . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Kollegialität und Gleichheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 III. Das Problem des alternden Wissenschaftlers: (Nicht-)Loslassenkönnen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Die Pflege der Kollegialität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 V. Die Verantwortung als Mitverfasser von Gemeinschafswerken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 VI. Ein Zuviel an Kollegialität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Zusammenfassung in Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Personenregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Abkürzungen AcP

Archiv für die civilistische Praxis

Anm. Anmerkung AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

BBG Bundesbeamtengesetz Beih. Beiheft BetrVerfG Betriebsverfassungsgesetz BGBl. Bundesgesetzblatt BT-Drs.

Drucksachen des Deutschen Bundestages

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DFG

Deutsche Forschungsgemeinschaft

DJT

Deutscher Juristentag

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DUZ

Deutsche Universitäts-Zeitung

DV

Die Verwaltung

ETH

Eidgenössische Technische Hochschule

FAS

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fg. f.

Festgabe für

Fn. Fußnote Fs. f.

Festschrift für

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

HA

Hamburger Abendblatt

Abkürzungen13 h. M.

herrschende Meinung

HmbHG

Hamburgisches Hochschulgesetz

HRG Hochschulrahmengesetz Hrsg. Herausgeber JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JZ Juristenzeitung KJ

Kritische Justiz

KritVj

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

MPG

Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften

n. F.

neue Folge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NordÖR

Norddeutsche Zeitschrift für Öffentliches Recht

NWVBl

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

Rdn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung SZ

Süddeutsche Zeitung

TA

Der Tages-Anzeiger

Urt. Urteil Verf. Verfasser VG Verwaltungsgericht WamS

Welt am Sonntag

WissR Wissenschaftsrecht ZERP

Zentrum für Europäische Rechtspolitik

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZVersR

Zeitschrift für die gesamte Versicherungswirtschaft

A. Eine Arbeitsgruppe I. Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Im Oktober 2011 beschloss die Mitgliederversammlung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer auf ihrer Jahrestagung in Münster, eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Zur Vorgeschichte und zum Ziel des einstimmig gebilligten Vorschlages heißt es im Protokoll der Mitgliederversammlung: „Da es im vergangenen Jahr Aufsehen erregende Plagiatsfälle und eine allgemeine Diskussion über wissenschaftliche Standards gegeben hat, ist das Thema zwecks einer Aussprache vom Vorstand auf die Tagesordnung gesetzt worden. Der Vorsitzende regt an, sich nicht so sehr mit der Vergangenheit oder einzelnen Fällen zu befassen, sondern das künftige Verhalten in den Mittelpunkt zu stellen. Plagiate beträfen nur einen Aspekt der Problemstellung. Insbesondere stelle sich auch die Frage, ob es essentielle wissenschaftliche Maßstäbe gebe, an denen sich die Betroffenen orientieren könnten, und ob sich solche Maßstäbe auch und gerade für das öffentliche Recht benennen ließen. Der Vorstand schlägt deshalb die Einsetzung einer Arbeitsgruppe vor. Diese soll Vorschläge erarbeiten, die rechtzeitig vor der nächsten Mitgliederversammlung allen Kolleginnen und Kollegen zugänglich zu machen sind, so dass auf der nächsten Jahrestagung in Kiel darüber diskutiert und entschieden werden kann.“1 Der Beschluss, bei dem es um nicht mehr und nicht weniger als um „gute Wissenschaft“ geht, erheischt Beachtung 1  Protokoll der Mitgliederversammlung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer e. V. in Münster am 5. Oktober 2011, TOP 9. – Bei Drucklegung der vorliegenden Studie lagen Vorschläge der Arbeitsgruppe noch nicht vor.

16

A. Eine Arbeitsgruppe

wegen seines Urhebers: Die im Jahre 1922 in Berlin gegründete Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, die auch Hochschullehrer aus Österreich und aus der Schweiz zu ihren Mitgliedern zählt, ist zwar keine in der breiten Öffentlichkeit sehr bekannte oder gar offen politisch Einfluss nehmende Organisation;2 aber nicht wenige ihrer derzeit über 700 Mitglieder sind prominente Persönlichkeiten, deren Stimme in der Publizistik Gewicht hat: Hans Herbert von Arnim, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Jochen A. Frowein, Dieter Grimm, Paul Kirchhof, Bernhard Schlink und Michael Stolleis könnten hier – stellvertretend für viele andere – genannt werden. Mehrere Mitglieder dieser Vereinigung waren oder sind Richter oder Richterinnen des Bundesverfassungsgerichts, einige dienten als Landes- oder Bundesminister; Roman Herzog war nacheinander Minister, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und schließlich Bundespräsident. Die Nähe des von den Staatsrechtslehrern vertretenen Rechtsgebietes zur Politik mag einer der Gründe für diese beruflichen Karrieren gewesen sein. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass nicht irgendeine wissenschaftliche Vereinigung sich mit der Frage beschäftigt, ob es „essentielle wissenschaftliche Maßstäbe“ gibt, und „ob sich solche Maßstäbe auch und gerade für das öffentliche Recht benennen ließen“. Auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppe, die vor der nächsten Mitgliederversammlung im Oktober 2012 vorliegen sollen, darf daher nicht nur die Gemeinde der Staatsrechtslehrer, sondern auch die gesamte communitas scientifica insgesamt gespannt sein. 2  Informationen zur Vereinigung z. B. bei Häberle, Peter, Pädagogische Briefe an einen jungen Verfassungsjuristen, Tübingen 2010, S. 99 ff. (auch mit der Feststellung: „Eine grundsätzliche Arbeit zum Selbstverständnis der Deutschen Staatsrechtslehrervereinigung lohnte“ [S.  118 / 119]); Stolleis, Michael, Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Bemerkungen zu ihrer Geschichte, KritV 80 (1997), S. 339 ff.; Voßkuhle, Andreas, Die politischen Dimensionen der Staatsrechtslehre, in: Schulze-Fielitz, Helmuth (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, Beih. 7 zur Zeitschrift DV, Berlin 2007, S. 135 ff. (142 / 143, m. weit. Hinw.).



II. Vorarbeiten zu guter Wissenschaft17

II. Vorarbeiten zu guter Wissenschaft Ohne jene Ergebnisse schon kennen zu können, sollte aber wohl vor übertriebenen Erwartungen gewarnt werden; denn: Es ist nicht Aufgabe jener Arbeitsgruppe (und kann dies auch nicht sein), gewissermaßen das Rad neu zu erfinden, dies schon deshalb nicht, weil wenigstens einige Vorarbeiten zu diesem Thema bereits vorhanden sind. Zu erinnern ist an die schon im Jahre 1987 erschienene Schrift von Andreas Heldrich, „Freiheit der Wissenschaft – Freiheit zum Irrtum? Haftung für Fehlleistungen in der Forschung“3, an das bereits im Jahr 1999 von der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften veranstaltete Ringberg-Symposium „Ethos der Forschung“ (u. a. mit dem Beitrag von Renate Mayntz, Wissenschaftliches Fehlverhalten: Formen, Faktoren und Unterschiede zwischen Wissenschafts­gebieten)4, sowie an die juristische Analyse von Eberhard Schmidt-Aßmann „Fehlverhalten in der Forschung. Reaktionen des Rechts“.5 Eine besonders gründliche und umfangreiche Untersuchung hat neuestens Helmuth Schulze-Fielitz unter dem Titel „Reaktionsmöglichkeiten des Rechts auf wissenschaftliches Fehlverhalten“ vorgelegt6, dies mit zahlreichen Belegen aus dem Schrifttum7 und aus den Jahresberichten des Ombudsmans der Deutschen Forschungsgemeinschaft.8 Der Deutsche Hochschulverband hat im Jahre 2011 eine Resolution „Zum Umgang mit dem Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ gefasst.9 3  Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, H. 179. 4  In: Ethos der Forschung. Ringberg-Symposium 1999. MaxPlanck-Forum 2. Hrsg. von der Max-Planck-Gesellschaft. München 1999, S. 5 ff. 5  In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Berichte und Abhandlungen. Bd. 6, 1999, S. 79 f. 6  Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten des Rechts auf wissenschaftliches Fehlverhalten, WissR Beih. 21, 2012, S. 1 ff. 7  Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 1 Anm. 1. 8  Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 3 Anm. 12 und passim. 9  Abrufbar unter www.hochschulverband.de / cms1 / 876.html.

18

A. Eine Arbeitsgruppe

Verhaltensregeln sind von mehreren wissenschaftlichen Gesellschaften erarbeitet worden, so z. B. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft10 und von der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.11 Demgemäß sind an den deutschen Hochschulen inzwischen Kommissionen zu diesem Gegenstand eingesetzt worden, mit in der Formulierung unterschiedlichen, in der Sache gleichen Bezeichnungen, etwa „Untersuchungskommission“ oder – wie an der Universität Bayreuth – Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“.12 Speziell für gute wissenschaftliche Praxis bei wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten haben der Allgemeine Fakultätentag, die Fakultätentage und der Deutsche Hochschulverband für alle Wissenschaftsdisziplinen geltende Grundsätze formuliert, die „als Handreichungen für Prüfer und Prüflinge, Wissenschaftler und Studierende“ konzipiert sind.13 III. Der Begriff Wissenschaft Den Satzungen der Forschungsorganisationen Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (MPG) entsprechend betreffen deren Empfehlungen und Regelungen die wissenschaftliche Forschung, die zwar ein besonders wichti10  Deutsche Forschungsgemeinschaft. Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“. Denkschrift, Weinheim 1998. 11  Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, beschlossen vom Senat der Max-Planck-Gesellschaft am 24.11.2000, geändert am 20.3.2009: „Die hier aufgeführten Grundregeln guter wissenschaftlicher Praxis greifen die einschlägigen Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom Januar 1998 auf und passen sie den Forschungsbedingungen der Max-Planck-Gesellschaft an“ (S. 1). 12  Dazu allg.: Hüttemann, Kirsten, Selbstkontrolle in der Wissenschaft, Forschung & Lehre 2011, S. 280 f.; Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 2. 13  Veröffentlicht am 9.7.2012, [email protected].



III. Der Begriff Wissenschaft19

ges, ja essentielles Element der Wissenschaft bildet, aber nicht das einzige; denn auch die wissenschaftliche Lehre und wissenschaftliche Prüfungen „sind“ Wissenschaft. Andererseits ist nicht alles, was mit Wissenschaft zu tun hat und / oder der Wissenschaft dient, Wissenschaft – der weite, heute ausgreifende Bereich des Wissenschaftsmanagements ist dafür ein Beispiel. Der Jurist denkt in Definitionen und weiß, dass „Wissenschaft“, ebenso wie „Kunst“, schwer definierbar ist, aber als ein in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wie auch in den Verfassungen der Länder der Bundesrepublik enthaltener Rechtsbegriff nicht undefinierbar bleiben kann.14 Unjuristisch und unwissenschaftlich, aber immerhin für den gesunden Menschenverstand nachvollziehbar wäre daher die Feststellung: Es gib keine „gute (oder schlechte) Wissenschaft“, sondern nur gute oder schlechte Wissenschaftler. In der Tat ist Wissenschaft keine göttliche Schöpfung oder ein maschinelles Produkt sondern ein Produkt von Menschenhand15, auch wenn Laboratorien, Apparaturen, Messungen, Archive und – schlicht – Bücher unverzichtbare Hilfsmittel darstellen. Das Stichwort „Buch“ hilft uns in diesem Zusammenhang weiter: So wie man von guten oder schlechten Büchern sprechen kann16, so darf man auch über gute oder schlechte Wissenschaft befinden, immer eingedenk der Tatsache, dass jede Wissenschaft – wie jedes Buch – eben von Menschen „gemacht“ wird. 14  An Definitionen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung mangelt es nicht, so z. B.: „Alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“ (BVerfGE 35, 79 ff. [113]; BVerfGE 47. 32 ff. [327] hess. Hochschulgesetz; BVerwGE 90, 1 [12]; BVerfGE 102, 34 ff. [308]). 15  Siehe auch – zur Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers – die Erläuterung in der DFG-Denkschrift, S. 8: „Die Verantwortung für ein eigenes Verhalten trägt jeder Wissenschaftler allein.“ 16  Bekannt und häufig zitiert ist der Ausspruch von Marcel Reich-Ranicki: „Von 100 Büchern, die erscheinen, sind 98 schlecht. Das 99. ist schwach. Und beim hundertsten sind wir unsicher.“

20

A. Eine Arbeitsgruppe

IV. Vielgestaltigkeit von Wissenschaftsdisziplinen und Forschungsmethoden Ein Sich-Bemühen, über gute oder schlechte Wissenschaft zu befinden, sollte sich nicht überheben. Angesichts der Vielgestaltigkeit der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und angesichts der verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsmethoden – zu denken ist etwa an die Verschiedenheit von Geisteswissenschaften einerseits und Naturwissenschaften andererseits oder von empirischer Forschung und nichtempirischer Forschung – kann Ziel eines solchen Bemühens weder die Erstellung eines enzyklopädischen Handbuchs wissenschaftlicher Ethik noch die eines kompletten Regelwerkes sein17, zumal auch – wie die Max-Planck-Gesellschaft zutreffend festgestellt hat – „Unredlichkeit in der Wissenschaft durch Regelwerke nicht vollständig verhindert werden kann.“18 Vielmehr kann es nur darum gehen, bereits vorhandene Postulate aufzulisten, die entweder unstrittig sind oder aber weiterer Diskussion bedürfen, aber auch – soweit erforderlich – neue Forderungen aufzustellen. Den wissenschaftlichen Fachgesellschaften, wie eben auch der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, kommt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle zu; so erläutert die DFG-Denkschrift eine diesbezügliche Empfehlung mit der einleitenden Feststellung: „Wissenschaftliche Fachgesellschaften haben wichtige Funktionen in der gemeinsamen Willensbildung ihrer Mitglieder, nicht zuletzt in Fragen fachbezogener Standards und Normen professioneller Art sowie im Hinblick auf forschungsethische Richtlinien.“19 Allerdings gilt es zu beachten, dass dem Grundprinzip der Wissenschaft Mehrheitsentscheidungen fremd sind, mag 17  Auch die DFG-Denkschrift bemerkt zu ihren Empfehlungen, diese seien „ – auch wenn sie nicht für alle Wissenschaftsgebiete in gleicher Weise angewendet werden können – absichtlich nicht als detailliertes Regelsystem ausgestaltet“ (S. 6). 18  Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, S. 1. 19  DFG-Denkschrift, S. 18.



V. Die Notwendigkeit guter wissenschaftlicher Praxis21

auch z. B. in der Rechtswissenschaft der Hinweis auf die sog. „herrschende Meinung“ („h. M.“) durchaus als Bekräftigung einer Argumentation dienen.20 Wissenschaftliche Innovationen stellen sich gerade gegen eine vorhandene, vorgegebene Auffassung. Die Entdeckung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein mit ihrer „Revolution in der Geschichte des physikalischen Wissens“21 mag hier als ein besonders bekanntes Beispiel genannt werden.22 V. Die Notwendigkeit guter wissenschaftlicher Praxis und deren Inhalt Nicht jede so genannte wissenschaftliche „Entdeckung“ ist aber auch tatsächlich eine Entdeckung. Nicht jeder wissenschaftliche Autor ist wirklich der Autor. Nicht jeder als Beleg für Forschungsergebnisse aufgeführte Datensatz entspricht den realen Daten. Dies alles führt zum Thema „gute Wissenschaft“ bzw., um einen anderen – in Empfehlungen der Wissenschaftsorganisation auch gebräuchlichen – Aus20  Kritisch dazu Schnur, Roman, Der Begriff der herrschenden Meinung in der Rechtsdogmatik, in: Fg. f. Ernst Forsthoff, München 1967, S. 41 ff. – Frühe Kritik auch schon bei Wesel, Uwe, h. M., in: Kursbuch Nr. 56 (1979), S. 88 ff.; s. ferner Pilniok, Arne, „h.  M.“ ist kein Argument – Überlegungen zum rechtswissenschaftlichen Argumentieren für Studierende in den Anfangssemestern, in: JuS 2009, S. 394 ff.; ausführlich Zimmermann, Rita, Die Relevanz einer herrschenden Meinung für Anwendung, Fortbildung und wissenschaftliche Erforschung des Rechts, Berlin 1983; Drosek, Thomas, Die herrschende Meinung – Autorität als Rechtsquelle, Berlin 1989. 21  Renn, Jürgen, Wie Einstein die Relativitätstheorie entdeckte. Reden und Aufsätze der Universität Ulm, Heft 12 (2005), S. 16. 22  Aus der Rechtswissenschaft s. Dölle, Hans, Juristische Entdeckungen, in: Verhandlungen des 42. DJT 1957, Bd. 2 Teil B, Tübingen 1958, S. 12 ff. – Die Notwendigkeit, dass wissenschaftliche Forschung „offen für Überraschungen sein muss“ („Ergebnisoffenheit von Forschung“) betont zutreffend Dembeck, Till, Prüfling Professor. Wer Neues will, darf Irrtümer nicht scheuen, in: FAZ Nr. 75 v. 28.3.2012, S. N 5.

22

A. Eine Arbeitsgruppe

druck zu benutzen, zum Thema „gute wissenschaftliche Praxis“. Über die Notwendigkeit guter wissenschaftlicher Praxis kann kein Zweifel bestehen; denn „sie ist Voraussetzung für eine leistungsfähige, im internationalen Wettbewerb anerkannte wissenschaftliche Arbeit.“23 Was ist aber nun gute wissenschaftliche Praxis, was macht sie aus? In der bereits mehrmals erwähnten Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft wird das Gute durch das Schlechte definiert, genauer: als der Gegensatz zum Schlechten, das in diesem Zusammenhang als „wissenschaftliche Unredlichkeit“24 bezeichnet wird: „Der Gegensatz zu guter wissenschaftlicher Praxis, den es zu verhindern gilt, ist wissenschaftliche Unredlichkeit (scientific dishonesty), die bewusste Verletzung elementarer wissenschaftlicher Grundregeln. Der breitere Begriff „wissenschaftliches Fehlverhalten“ (scientific misconduct) wird dort verwendet, wo nach dem Zusammenhang (z. B. bei Verfahrensregeln) die Normverletzung als Tatbestand das ist, was es zu klären gilt.“25 Konkreter lautet die Definition im „Katalog von Verhaltensweisen, die als wissenschaftliches Fehlverhalten anzusehen sind“, der als Anlage der von der Max-Planck-Gesellschaft beschlossenen „Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten“ angefügt ist: „I. Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt vor, wenn in einem wissenschaftserheblichen Zusammenhang bewusst oder grob fahrlässig Falschangaben gemacht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt oder sonst wie deren Forschungstätigkeit beeinträchtigt wird.“26 23  DFG-Denkschrift, S. 6; siehe auch die Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Max-Planck-Gesellschaft, die mit dem Satz eingeleitet werden: „Wissenschaftliche Redlichkeit und die Beachtung der Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis sind unverzichtbare Voraussetzungen allen wissenschaftlichen Arbeitens, das Erkenntnisgewinn anstrebt und von der Öffentlichkeit respektiert werden soll“ (S. 1). 24  DFG-Denkschrift, S. 5. 25  DFG-Denkschrift, S. 6. 26  Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten, beschlossen vom Senat der Max-Planck-Gesellschaft am



VI. Wissenschaft außerhalb von Organisationen23

In der DFG-Denkschrift werden als Beispiele für wissenschaftliches Fehlverhalten genannt: „Erfindung und Fälschung von Daten, Plagiat, Vertrauensbruch als Gutachter oder Vorgesetzter“.27 Das oben erwähnte Stichwort Verfahrensregeln weist im Übrigen darauf hin, dass gute Wissenschaft nicht nur die Wissenschaft als Denkvorgang betrifft, sondern auch den Bereich der Verwaltung der Wissenschaft, also das, was heute – in Anlehnung an Organisationsabläufe in der Wirtschaft – als Wissenschaftsmanagement bezeichnet wird. VI. Wissenschaft außerhalb von Organisationen: entpflichtete Hochschullehrer Zu erinnern ist jedoch daran, dass nicht jede Wissenschaft in kleinen oder großen Organisationen stattfindet; denn es gibt ihn tatsächlich noch: den – um eine etwas altmodisch klingende Formulierung zu gebrauchen – Privatgelehrten. Der heute forschende Privatgelehrte28 lebt allerdings nicht von der Wissenschaft, d. h. sie ist nicht sein Brotberuf, sondern er ist Wissenschaftler quasi „im Nebenamt“: Er veröffentlicht entweder wissenschaftliche Abhandlungen neben seiner (nichtwissenschaftlichen) beruflichen Tätigkeit oder er widmet sich nach dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit, also im Ruhestand29, wissenschaftlichen Forschungen. Für emeritierte oder pensionierte Hochschullehrer ist eine Fortsetzung ihrer wissenschaftlichen Betätigung in Form von Vorlesungen, Seminaren oder Vorträgen, vor allem aber in 14.11.1997, geändert am 24. November 2000, S. 4. – Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 7. 27  DFG-Denkschrift, S. 13. 28  Der hier verwendete Ausdruck „Privatgelehrter“ umfasst selbstverständlich auch weibliche Privatgelehrte; der Ausdruck „Gelehrtin“ wäre ungewöhnlich. 29  Zur Situation des entpflichteten Hochschullehrers allg. s. von Münch, Ingo, Der Emeritus, in: Liber Amicorum Hans-Uwe Erichsen, Köln / Berlin / München 2004, S.  121 ff.

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A. Eine Arbeitsgruppe

Form von Veröffentlichungen, nichts Außergewöhnliches, sondern Normalität.30 In Schreiben, die ein in den Ruhestand versetzter Hochschullehrer aus diesem Anlass üblicherweise erhält, lautet eine nicht seltene Redewendung: „Der Ruhestand, der in Ihrem Fall gewiss ein Unruhestand sein wird …“ (man weiß als Empfänger nicht genau, ob solche Schreiben Glückwunschschreiben oder Kondolenzbriefe oder eine Mischung aus beiden sind). Über den 90jährigen Germanisten Walter Hinck wird berichtet, „der Begriff ‚Ruhestand‘ scheint ihm gänzlich unbekannt zu sein. Seit seiner Pensionierung 1987 legt er mindestens alle zwei Jahre ein Buch vor, dazu unzählige Aufsätze und Rezensionen.“31 Was die Fortsetzung einer Lehrtätigkeit betrifft, so wird über den emeritierten, bei seinen Studenten beliebten Julius von Gierke geschrieben: „Für Julius von Gierke werden Anerkennung und Zuneigung, die ihm seine Studenten entgegenbringen, immer wieder neuer Ansporn zur Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit. Er steht selbst im 85. Lebensjahr noch vor gefüllten Hörsälen. Die Studenten, wissend um seine Schwerhörigkeit, spenden Applaus durch Klappern des Gestühls. Julius von Gierke liest bis zu seinem letzten Lebensjahr; ein zweites Mal lässt er sich erst durch den Tod entpflichten. Als er am 2. August 1960 die Augen für immer schließt, verliert die Georgia-Augusta ein bedeutendes Mitglied und einen großartigen Lehrer.“32 Rudolf von Laun hat 30  So sehen dies auch Außenstehende: „Ich entnehme Deiner Nachricht (es handelte sich um die Versendung eines Sonderdruckes, d. Verf.), dass Du noch immer das Privileg der Professorenschaft nutzt, auch in späteren Jahren schriftstellerisch tätig sein zu können – solange der Geist willig und das Fleisch nicht allzu schwach geworden ist“ (aus einem Brief eines früheren Assistentenkollegen an den Verf.). 31  Apel, Friedmar, Fern bleibe uns Dogmatismus. Als Germanistikprofessor im Ruhestand und Literaturkritiker in Aktion schreibt Walter Hinck stets für seine Leser. Nun debütiert er auch als Erzähler und zeigt sich als Freund des Neuanfangs, in: FAZ Nr. 58 v. 8.3.2012, S. 30. 32  Müller-Laube, Hans-Martin, Julius von Gierke (1875–1960). Fortbildung des Handelsrechts im Geist der germanistischen Tra-



VI. Wissenschaft außerhalb von Organisationen25

noch im hohen Alter von 88 Jahren an der Universität Hamburg gelesen, zuletzt über „Gemeinsame Grundlagen der Ethik und des Rechts.“33 Eine wohl neuere Entwicklung ist, dass an staatlichen Hochschulen entpflichtete Hochschullehrer anschließend an Privathochschulen, z. B. der Bucerius Law School oder an der Hertie School of Governance, tätig sind oder an eine andere staatliche Hochschule als „Seniorprofessor“ berufen werden. Auch eine über die gesetzliche Altersgrenze hinausgehende Innehabung der Position des Direktors eines Institutes oder einer Forschungsstelle an einer staatlichen Hochschule ist nicht selten – dies sogar in einigen Fällen über mehr als ein Jahrzehnt hinweg. Der Grund hierfür mag objektiv in dem durch den Eintritt in den Ruhestand verbundenen Wegfall der organisatorischen Infrastruktur (wissenschaftliche Mitarbeiter, Sekretärin, Räumlichkeiten etc.) liegen, subjektiv aber auch im Nicht-Loslassen-Können. „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles, ach wir Armen“: Einen Sonderfall bilden die Professoren der Rechtswissenschaft, die nach ihrer Entpflichtung in Anwaltskanzleien eintreten, sei es als reguläre Partner, sei es als sog. Of-Counsels;34 sie werden vermutlich wegen ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse, vielleicht aber auch wegen ihres Titels und / oder ihrer Prominenz von großen Anwaltsfirmen angeworben. Finanziell gesehen ist dies für die betreffenden ehemaligen Hochschullehrer von erheblichem Vorteil. Ein Nachteil kann allerdings darin liegen, dass mit der – notwendig parteiischen – anwaltlichen Tätigkeit das wissendition, in: Fritz Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987, S. 471 ff. (485). 33  von Münch, Ingo, Nachrufe: Rudolf von Laun, in: AöR 100 (1975), S. 471 ff. (471). 34  Dazu Voßkuhle, Andreas, S. 148 / 149, auch mit der zutreffenden Beobachtung: „Jedenfalls wird bei einem anwaltlichen Schriftsatz – für jedermann offensichtlich – keine Wissenschaftlichkeit suggeriert, sondern allenfalls besonderer Sachverstand in Anspruch genommen.“ (S. 149).

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A. Eine Arbeitsgruppe

schaftliche Ansehen des Professors leidet, dies auch dann, wenn der Emeritus Mitglied des Beirates einer von ihm beworbenen, später insolventen Fondsgesellschaft war, durch deren Zusammenbruch viele Anleger geschädigt wurden. Ein warnendes Beispiel hierfür ist der Fall des früheren Bundesministers der Verteidigung und emeritierten Verfassungsrechtlers Rupert Scholz, den der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 17. November 2011 aus dem Gesichtspunkt der „Prospekthaftung im engeren Sinne“ zu möglichem Schadenersatz an die geschädigten Anleger verurteilt hat35 – dies mit ziemlich harten Worten an die Adresse des beklagten Professors.36 Dem Ansehen der Staatsrechtswissenschaft ist mit diesem Fall nicht gedient. Der Fall Rupert Scholz betrifft allerdings einen nicht typischen Fall; denn die ganz überwiegende Mehrzahl der emeritierten Professoren der Rechtswissenschaft ist weder für Fondsgesellschaften noch in Anwaltsbüros tätig. Und nicht wenige der emeritierten oder pensionierten Hochschullehrer oder anderer im Ruhestand befindlichen Wissenschaftler sind überhaupt nicht mehr wissenschaftlich tätig. Die Forderung nach „guter Wissenschaft“ betrifft deshalb zwar nicht nur, aber doch vor allem die im aktiven Dienst stehenden Wissenschaftler.

35  Wiedergabe der Begründung des Urteils in dem Bericht Prominente haften für Werbeaussagen. Der Bundesgerichtshof weitet den Kreis der Verantwortlichen für Finanzprodukte aus. Er fällte ein Urteil gegen den Ex-Politiker Rupert Scholz, in: FAZ Nr. 2 v. 9.12.2011, S. 23. Das Urteil ist veröffentlicht in ZVersR 2012, S.  242 ff. 36  Bericht, S. 23: „Der Bundesgerichtshof hat in dem konkreten Fall noch kein abschließendes Urteil gesprochen, sondern eine neue Beweisaufnahme am Oberlandesgericht Karlsruhe angeordnet. Dennoch geht er mit dem früheren Bundesminister und Hochschullehrer, der heute sein Geld als Berater der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz verdient, hart ins Gericht. So werden seine Fachkenntnisse in dem Urteil ausdrücklich mit dem Klammerzusatz ‚vermeintlich‘ versehen.“



VII. Freiheit der Wissenschaft – nicht Freiheit von Kritik 27

VII. Freiheit der Wissenschaft – nicht Freiheit von Kritik Wer gute Wissenschaft einfordert und damit unredliche Wissenschaft verdammt, sollte dies allerdings nicht von einer hohen Warte der Selbstgefälligkeit oder der Überheblichkeit tun. Richtig ist zwar die in der Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft getroffene Feststellung: „Freiheit der Wissenschaft gehört untrennbar zusammen mit Verantwortung; das gilt für jeden Wissenschaftler ebenso wie für die Institutionen, in denen Wissenschaft verfasst ist“.37 Zum Wesen von Wissenschaft gehören aber auch Versuch, Tasten, Irrtum, vielleicht auch gelegentliches Provozieren. Freiheit der Wissenschaft bedeutet aber nicht, dass Schwachstellen im Wissenschaftsbetrieb nicht aufgedeckt und benannt werden dürfen, zumal das Kollegialprinzip auch dazu führt, dass es Korruption aus Gründen der Kollegialität gibt. „Nestbeschmutzungen“, wie etwa das Buch des Professors für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Dortmund Uwe Kamenz und seines KoAutors Martin Wehrle, „Professor Untat. Was faul ist hinter den Hochschul­kulissen“38, sind selten, jedenfalls sofern nicht – was wissenschaftsfremd ist – anonyme Autoren am Werk sind,39 oder sofern es sich nicht um Darstellungen in Form eines Romans handelt, wie Dietrich Schwanitz „Der Campus“40 oder sogar eines Kriminalromans wie der von Thea Dorn „Berliner Aufklärung“.41

37  DFG-Denkschrift, S. 7. – Zur Wissenschaftsfreiheit allg. neuestens von Coelln, Christian, Begehrt und gefährdet – die Wissenschaftsfreiheit des Hochschullehrers, in: Fs. f. Klaus Stern, Berlin 2012, S.  1281 ff. 38  Kamenz, Uwe / Wehrle, Martin, Professor Untat. Was faul ist hinter den Hochschulkulissen Berlin 2007. 39  Dazu unten Abschn. G 7. 40  Schwanitz, Dietrich, Der Campus, Frankfurt a. M. 1995. 41  Dorn, Theo, Berliner Aufklärung, Hamburg 1994.

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A. Eine Arbeitsgruppe

Jedenfalls: Sinnbringend ist im vorliegenden Zusammenhang weniger eine neue chronique scandaleuse als – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine Zusammenstellung derjenigen Verhaltensweisen oder Gegebenheiten, die unter dem Gesichtspunkt „guter Wissenschaft“ entweder nicht akzeptabel oder zumindest problematisch sind.42

42  Ausführlich dazu Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 8 ff.: „Empirische Bestandsaufnahme: Typologie wissenschaftlichen Fehlverhaltens“.

B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit I. Der Fall Welti Im Jahre 1890 erschütterte ein gesellschaftlicher Skandal von bisher unbekanntem Ausmaß das bis dahin eher betuliche Leben in der Schweiz. Lydia Welti-Escher, einzige Tochter des bedeutenden Industriellen Alfred Escher1 und damit die damals reichste Erbin im Lande, verheiratet mit Friedrich Emil Welti, dem Sohn des damals einflussreichen Bundes­ rates Emil Welti, wurde auf dessen Betreiben und mit Hilfe eines schweizerischen Diplomaten in Rom gegen ihren Willen2 in einer Anstalt für psychisch Kranke untergebracht. Vorausgegangen war dieser Einweisung eine faktische Trennung von Lydia Welti-Escher von ihrem Ehemann und ein amouröses Abenteuer mit dem Maler Karl Stauffer. Weil Vater und Sohn Welti meinten, eine solche Schande für ihre Familie könne der Öffentlichkeit nur damit erklärt werden, dass Lydia Welti-Escher im Zeitpunkt ihrer Verführung wegen psychischer Krankheit widerstandsunfähig gewesen sei, wurde ihre Einweisung in die Anstalt für psychisch Kranke betrieben; ebenso wurde der Maler Stauffer unter fadenscheinigen Gründen in eine solche Anstalt verbracht. Mehr als sechzig Jahre später erschien eine wissenschaftliche ­Abhandlung aus der Feder von Peter Welti über das Weltbild des Bundesrates Emil Welti, in der auch die Ereignisse 1  Alfred Escher (1819–1882), „der während Jahrzehnten die zürcherische und eidgenössische Politik in einem Masse beherrschte, wie dies heute unvorstellbar ist“, und „der wie kein anderer … die Entwicklung vom jungen Bundesstaat zur modernen Schweiz angestossen (hat)“; Angaben nach Jung, Joseph (Hrsg.), Lydia WeltiEscher (1858–1891), Biographie. Quellen, Materialien und Beiträge, Zürich 2009. 2  Dazu und zum Folgenden Jung, Joseph, S.  167 ff.

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B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit

im Zusammenhang mit der Ehe von dessen Sohn Friedrich Emil mit Lydia Welti-Escher behandelt werden.3 Über diese Darstellung berichtet Joseph Jung: „Dabei wird Karl Stauffer in ‚die Rolle des Verführers‘ gesteckt. Diese Schuldzuweisung ist nicht zuletzt vor einem finanziellen Hintergrund zu sehen: Friedrich Emil Welti richtete Peter Welti ein Legat von 150.000 Franken aus. Damit verbunden war die mündliche Auflage, in einer wissenschaftlichen Publikation die Stauffer-Affaire im Sinne der Familie Welti darzustellen.“4 Ein solches Ansinnen, gegen Bezahlung ein bestimmtes wissenschaftliches Ergebnis zu liefern, widerspricht mit Sicherheit guter wissenschaftlicher Praxis; denn: Die Freiheit der Wissenschaft richtet sich nicht nur als ein in den Verfassungen freiheitlicher Staaten gewährleistetes Grundrecht gegen den Staat, sondern bedeutet auch, dass der Wissenschaftler selbst in innerer Unabhängigkeit tätig wird. II. Auftragsforschung Über diesem Ideal, das jedenfalls auch im Bereich der wissenschaftlichen Hochschulen und unabhängiger Forschungseinrichtungen nicht nur Ideal sondern auch Realität ist, kann allerdings nicht übersehen werden, dass ein erheblicher Teil der wissenschaftlichen Forschung in Form von Auftragsforschung stattfindet. Wissenschaftliche Forschung ist eben kein Privileg unabhängiger Einrichtungen sondern wird auch – und zwar in beträchtlichem Umfang – in Industrieunternehmen, in Forschungsinstituten und in den Gewerkschaften oder Arbeitgeberorganisationen nahestehenden oder parteinahen Stiftungen praktiziert. Eine solche Verortung der wissenschaftlichen Forschung bedeutet naturgemäß auch die Vorgabe einer bestimmten Zielrichtung. Das alleine führt aber noch nicht zu unredlich wissenschaftlicher Praxis; denn wissenschaftliche Forschung kann auch in einem 3  Erschienen in: Argovia 63 (1951), S. 5 ff. (Hinweis darauf bei Jung, Joseph, S. 254 Anm. 4). 4  Jung, Joseph, S. 254, Anm. 4.



III. Die Erstellung von Gutachten31

„Tendenzbetrieb“5 betrieben werden. Entscheidend ist, ob die anerkannten wissenschaftlichen Standards eingehalten werden, und ob die in einer diesbezüglichen wissenschaft­ lichen Veröffentlichung vertretene Meinung auch tatsächlich die des Autors ist, in diesem Sinne also wahrhaftig ist: Subjektive Überzeugungen können durchaus parteiisch sein; sie müssen aber nach bestem Wissen und Gewissen geäußert sein, um als wissenschaftliche Meinung bestehen zu können. III. Die Erstellung von Gutachten Bezahlte Auftragsarbeiten sind auch von Hochschullehrern oder anderen Sachverständigen erstellte Gutachten. Viele Gerichtsverfahren könnten ohne die Hinzuziehung von Gutachtern nicht zu einem Abschluss gebracht werden, etwa wenn Fragen nach der Todesursache eines Opfers oder der Zurechnungsfähigkeit des Täters zu beurteilen sind. Eine andere Kategorie bilden allerdings Parteigutachten, die von Hochschullehrern für Wirtschaftsunternehmen, Organisationen, Anstalten, Privatpersonen oder für wen auch immer erstellt werden.6 Diese Gutachtenpraxis, die insbesondere von Rechtswissenschaftlern ausgeübt wird, ist nicht per se kritikwürdig.7 Positiv ist zu sehen, dass der Auftraggeber 5  Der Ausdruck ist hier in einem weiten Sinne zu verstehen, nicht also in dem engeren rechtstechnischen Sinn des § 118 Abs. 1 BetrVerfG. 6  Siehe dazu von Münch, Ingo, Gutachten. Der süße Duft, NJW 1998, 1761 f.; Voßkuhle, Andreas, Die politischen Dimensionen, S. 147, mit der einleitenden Bemerkung: „Eine gemeinhin als besonders heikel empfundene Liaison mit der Politik, die zudem noch verknüpft ist mit wirtschaftlichen Interessen, gehen Staatsrechtslehrer bei der Erstattung von Rechtsgutachten ein.“ – Kritik an der Gutachtenpraxis schon in früheren Jahrhunderten bei Reick, Emil, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1900, S. 143: „Es war ein hartes, aber nicht ganz unberechtigtes Wort: ‚Gelehrte und H.… kann man für Geld haben.‘ “ 7  So schon von Münch, Ingo, S. 1768. – Zur verbreiteten Praxis s. die Notiz Theodor Baums 65 Jahre, in: FAZ Nr. 100 v. 38.4.2012, S. 16: „Nebenher betätigt sich Baums wie fast alle Inhaber juristi-

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B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit

fremden wissenschaftlichen Sachverstand nutzt; der Auftragnehmer – also der Autor des Gutachtens – erhält unter Umständen Einblicke in eine Praxis und Informationen aus der Praxis, die ihm ohne den Gutachtenauftrag nicht zugänglich geworden wären. Insofern dient die Erstellung von Gutachten auch der Verzahnung von Theorie und Praxis8 im Sinne eines auch für die Wissenschaft nützlichen Erkenntnisgewinns. Problematisch ist die Erstellung von Gutachten jedoch, wenn sie im Übermaß erfolgt (einzelne Hochschullehrer als „Gutachtenfabriken“) oder wenn entsprechend der bekannten alten Volksweisheit „Wes’ Brot ich eß’, des Lied ich sing“ der Gutachter „nach dem Munde schreibt“, d. h. im Sinne seines Auftraggebers argumentiert, obwohl eigentlich eine andere als die in dem Gutachten vertretene Auffassung als richtig erkannt werden müsste, kurz: wenn es sich um sog. Gefälligkeitsgutachten handelt. Diesem – in vielen Fällen vermutlich begründeten – Verdacht kann der Auftragnehmer dadurch entgegenwirken, dass er etwaige wirtschaftliche Verflechtungen mit dem Auftraggeber wie überhaupt Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung seines Gutachtens offenlegt. Helmuth Schulze-Fielitz nimmt unter der Überschrift „Verschweigen von Interessenkonflikten“ wie folgt Stellung: „Die zunehmende Vernetzung der Wissenschaftler sei es mit der Politikberatung, sei es mit der Wirtschaft kann zu Kooperationen führen, die zu Interessenkonflikten zwischen wissenschaftlicher Wahrheitssuche und politisch / wirtschaftlicher Interessenverfolgung führen. Der Sinn für eine Offenlegung solcher Interessenkonflikte ist bislang scher Lehrstühle als Gutachter für Unternehmen mit Rechtsproblemen.“ 8  Dies gilt gerade auch für die Schnittlinien zwischen Wissenschaft und Politik, etwa im Feld der Politikberatung; s. dazu von Münch, Ingo, Rechtspolitik und Rechtskultur. Kommentare zum Zustand der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2011, S. 205 f. – Ausführlich: Däubler-Gmelin, Herta, Anmerkung zur Kooperation von Politik und Wissenschaft, in: Fs. f. Andreas Heldrich, München 2005, S.  1249 ff.



III. Die Erstellung von Gutachten33

wenig ausgeprägt, obwohl das Verschweigen von Interessenkonflikten bei Gutachten als wissenschaftliches Fehlverhalten qualifiziert werden kann.“9 Zu guter wissenschaftlicher Praxis gehört jedenfalls, dass im Fall der Veröffentlichung eines Gutachtens ein Hinweis darauf angebracht wird, dass es sich bei dieser Veröffentlichung um ein Gutachten handelt, zugleich mit einer Information darüber, in wessen Auftrag das betreffende Gutachten erstellt worden ist.10 Umgekehrt ist es wissenschaftlich unredlich, einen wissenschaftlichen Beitrag als „Gutachten“ zu diskreditieren, wenn es sich in Wahrheit dabei gerade nicht um ein Gutachten gehandelt hat.11 Was die Wissenschaftsorganisation betrifft, so ist auf die Unabhängigkeit der Gutachter bei der Bewilligung von Förderanträgen zu achten12, damit auch hier Interessenkonflikte 9  Schulze-Fielitz,

Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 23. eines korrekten Hinweises: Hufen, Friedhelm, Die Einschränkung des gewerblichen Geld-Gewinnspiels. Verfassungsrechtliche Maßstäbe und Grenzen, Baden-Baden 2012, S. 5 (Vorwort): „Die vorliegende Untersuchung geht auf ein Rechtsgutachten zurück, das der Verfasser im November 2011 für die Verlagsund Messegesellschaft mbH des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie (VDAI) erstattet hat.“ Gegenbeispiel: In der Veröffentlichung des von Paul Kirchhof im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschland Radio erstellten Rechtsgutachtens „Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (Baden-Baden, 2010) fehlt bedauerlicherweise und erstaunlicherweise ein Hinweis auf die Auftraggeber. Diese Unterlassung kann allenfalls damit rechtfertigt werden, dass über dieses Gutachten bereits vorher in der Tages- und Wochenpresse ausführlich berichtet worden war. Dass ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts, wie in diesem Fall Paul Kirchhof, sich bei der Annahme von Gutachtenaufträgen zurückhalten sollten, ist ein anderes zusätzliches Thema. 11  In KJ 1996, 364  ff. (366) hatte Peter Derleder (Universität Bremen) behauptet, Verf. habe ein „Rechtsgutachten zur Zulässigkeit von Kriegsspielzeug erstellt.“ Diese Behauptung war falsch; s. die Richtigstellung in KJ 1997, S. 104, und die Anmerkung von Derleder dazu, S. 104. 12  Dazu DFG-Denkschrift, S.  22  f.; Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 35 f. (Präventive Organisationsgestaltung), S. 36 ff. (Transparenz als Gestaltungsprinzip). 10  Beispiel

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B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit

durch positive oder negative Befangenheiten tunlichst vermieden werden. In Zeiten der Drittmittel-Konjunktur13 gewinnt dieses Postulat steigende Bedeutung.14 Nur in Parenthese sei angefügt, dass der Gedanke, die Bedeutung eines Wissenschaftlers sei an der Höhe der von ihm eingeworbenen Drittmittel zu messen, ein Irrweg ist, der nicht scharf genug kritisiert werden kann. Problematisch ist schließlich unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Unabhängigkeit die Existenz von Instituten, die nach außen als Universitätsinstitute erscheinen, aber von bestimmten gesellschaftlichen Organisationen oder anderen Interessenträgern ausschließlich oder teilfinanziert werden.15

13  Ein Beispiel hierfür ist das „House of Finance“ der JohannWolfgang-Goethe Universität Frankfurt a. M.: „Der Kontakt zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ist eng. Mit fast fünfzig Prozent kann das Haus eine sehr hohe Drittmittelquote vorweisen“ (Thiel, Thomas, Institute for Theorieschwund. Keine sichere Bank: Am Frankfurter „House of Finance“ schwelt in den Rechtswissenschaften ein Richtungsstreit, in: FAZ Nr. 51 v. 29.12.2012, S. N 5); s. auch – zu Zuwendungen an die Universität Zürich – Müller, Markus, Umstrittenes Universitätssponsoring. Die Unabhängigkeit ist ein ganz zentraler Aspekt der Forschungsqualität. Etwas mehr Sorge um sie – namentlich im Zusammenhang mit Sponsoring und Drittmittel-Akquisition – wäre daher wünschenswert, in: NZZ Nr. 100 v. 30.4.2012, S. 17; s. auch den Bericht Wettbewerb in Forschung steigt. Hochschulen sind zunehmend von Drittmitteln abhängig, in: FAZ Nr. 121 v. 25.5.2012, S. 5. 14  Hochschulrechtliche Regelungen sind bemüht, Abhängigkeiten vom Drittmittelgeber zu verhindern; s. z. B. § 9 Abs. 1 S. 2 HmbHG: „Die Hochschulen und ihre Mitglieder dürfen Mittel Dritter für Lehre, Forschung und Kunst nicht unter Bedingungen annehmen, die deren Freiheit oder die Freiheit des Studiums beeinträchtigen.“ 15  In ihrer Bezeichnung firmieren solche Einrichtungen oft als Institute „an“ einer Hochschule, s. z. B. das Hans-Bredow-Institut an der Universität Hamburg, finanziert von u. a. von NDR-Media GmbH, WDR Media Group GmbH, Deutsche Welle, ARD Werbung, ZDF.



IV. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter35

IV. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Ein spezielles Kapitel von Abhängigkeit und Unabhängigkeit betrifft die wissenschaftlichen Mitarbeiter16 an wissenschaftlichen Hochschulen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen.17 Der Liedanfang: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ / der wollte keine Knechte …“ mag wahr sein oder nicht. Wahr ist jedenfalls, dass die wissenschaft­ lichen Mitarbeiter keine Knechte sein sollen.18 Rechtshistorisch und wissenschaftspolitisch ist von Interesse, dass deshalb an der Universität Bremen nach deren Gründungskonzept wissenschaftliche Assistenten nicht vorgesehen waren, eine Situation, die, wie der Bremer Hochschullehrer Roland Dubischar berichtet, erst später korrigiert wurde: „Erst in den 80er Jahren dämmerte es den nunmehr Bremer Verantwortlichen, dass man bei der Universitätsgründung eine für gründliche und kontinuierliche Forschung wichtige Gruppe als vermeintlich von den Professoren zu sehr abhängig und ‚ausgebeutet‘ vor der Tür gelassen hatte, nämlich Assisten16  Für die hier und im Folgenden verwendete Bezeichnung „Mitarbeiter“ (wie auch „Hochschullehrer“, „Professor“ etc.) gilt der Hinweis in den Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Max-Planck-Gesellschaft, S. 1 Anm. 1: „Bezeichnungen wie Wissenschaftler, Autor, Ansprechpartner u. ä. sind in diesem Text als Funktionsbezeichnungen zu verstehen, die stets beide Geschlechter umfassen.“ Die für die heutigen wissenschaftlichen Mitarbeiter gebräuchliche Funktionsbezeichnung lautete früher: Assistent. 17  Zu den Tätigkeitsfeldern der wissenschaftlichen Mitarbeiter s. die ausführliche Darstellung bei Schulze-Fielitz, Helmuth, 25 Jahre Assistententagung. Über Geschichte und Funktion der Tagungen der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“ 1961–1985, JöR n. F. 34 (1985), S. 35 ff. (S. 36 ff.); auch abgedr. in: Marcel Dalibor u. a. (Hrsg.), Perspektiven des Öffent­lichen Rechts. Festgabe 50 Jahre Assistententagung Öffentliches Recht, Baden-Baden 2011, S. 597 ff. (S. 601 ff.). 18  Ausführliche Darstellung zur Situation dieser Personengruppe: Enders, Jürgen, Die wissenschaftlichen Mitarbeiter. Ausbildung, Beschäftigung und Karriere der Nachwuchswissenschaftler und Mittelbauangehörigen an den Universitäten, Frankfurt a. M. / New York 1996.

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B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit

ten und sonstige wissenschaftliche Mitwirkende – bis hin zu den gerade für juristische ‚Schreibübungen‘ unentbehrlichen sog. Korrekturassistenten.“19 Ein Modell, das die wissenschaftlichen Mitarbeiter schlicht abschafft, ist kein sinnvoller Beitrag zu guter wissenschaftlicher Praxis. Zuzugeben ist, dass es gewiss Fälle von übermäßiger Ausnutzung von Assistenten immer gegeben hat und vielleicht auch noch heute gibt.20 Allein deshalb keine Stellen für wissenschaftliche Assistenten mehr vorzuhalten, bedeutet allerdings, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Eine gute wissenschaftliche Praxis kann ganz im Gegenteil nur bedeuten, ausreichend viele Assistentenstellen zu schaffen, bei der Beschäftigung der Assistenten missbräuchliche Ausnutzung zu verhindern und den Assistenten möglichst viel Gelegenheit zu wissenschaftlicher Qualifizierung zu bieten. Zuzustimmen ist deshalb der DFG-Denkschrift, wenn diese empfiehlt: „Der Ausbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses muss besondere Aufmerksamkeit gelten.“21 Nach dem Hochschulrahmengesetz des Bundes und den entsprechenden Hochschulgesetzen der Länder sind den 19  Dubischar, Roland, Kurzgefasste Chronik der Juristenausbildung an der Reformuniversität Bremen: Vom profilierten Modell 1971 zum leicht modifizierten Bundesdurchschnitt 2008, Bremen 2008, S. 24 f.; auch zit. bei Köck, Wolfgang, Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht: Die Assistententagung 1991 in Bremen – Erinnerungen an Rechtswissenschaft und Juristenausbildung an der Universität Bremen –, in: Marcel Dalibor u. a., Per­ spektiven, S. 377 ff. (381). 20  Engagierte – in ihrer Allgemeinheit überspitzte – Betrachtungsweise bei Reifner, Udo, Juristenausbildungsdiskussion am Ende, ZRP 1999, S. 43 ff. (44): „Der Rechtsprofessor … erhält als Diener neben der persönlichen Sekretärin noch Assistenten, die über Promotion und Karriereweg von ihm wie Leibeigene abhängen.“ 21  DFG-Denkschrift, Empfehlung 4 (Satz 1; Satz 2 lautet: „Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen Grundsätze für seine Betreuung entwickeln und die Leitungen der einzelnen wissenschaftlichen Arbeitseinheiten darauf verpflichten.“).



IV. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter37

wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern „wissenschaftliche Obliegenheiten“22 zugeordnet. Im Rahmen dieser Tätigkeit sind die Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen, deren Aufgabenbereich die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugeordnet sind, diesen gegenüber „weisungsbefugt“.23 Neben der Erfüllung der dienstlichen Obliegenheiten gemäß den Weisungen soll den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber auch „im Rahmen ihrer Dienstaufgaben ausreichend Gelegenheit zu eigener wissenschaftlicher Arbeit gegeben werden.“24 Damit ist die Antinomie klar: Der wissenschaftliche Mitarbeiter ist einerseits – nämlich im Rahmen der ihm zugewiesenen Dienstobliegenheiten – abhängig, andererseits in Bezug auf die eigene wissenschaftliche Arbeit unabhängig (dies folgt schon aus dem Begriff der „eigenen“ Arbeit). Auch die letztere Konstellation, also die unabhängig zu erbringende eigene wissenschaftliche Arbeit des wissenschaftlichen Mitarbeiters, muss erfahrungsgemäß nicht immer problemlos verlaufen. Zwischen erlaubter, ja wünschenswerter Betreuung und Anleitung und unerwünschter inhaltlicher Einflussnahme verlaufen die Grenzen im Einzelfall diffus.25 Meine persönlichen Erfahrungen aus meiner eigenen Assistentenzeit sind insoweit absolut positiv.26 Die von mir verfassten wissenschaftlichen Abhandlungen oder Berichte bekam mein „Chef“ vor der Veröffentlichung nur dann zu 22  So § 53 Abs. 1 Satz 1; ebenso – als Beispiel einer landesgesetzlichen Regelung – § 27 Abs. 1 HmbHG. 23  So – wiederum als Beispiel – § 27 Abs. 4 HmbHG. 24  So z. B. § 53 Abs. 2 HmbHG, wenn „befristet beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Aufgaben übertragen werden, die auch der Vorbereitung einer Promotion oder der Erbringung zusätzlicher wissenschaftlicher Leistungen förderlich sind.“ 25  Einen Sonderfall bilden Dissertationen und Habilitationsschriften; diese Qualifikationsarbeiten bedürfen der Begutachtung (Dissertationen – anders als Habilitationsschriften – sogar der Benotung). 26  Die Erfahrungen des Verf. als Assistent sind wiedergegeben in: von Münch, Ingo, Sein und Haben: Erinnerungen an eine Assistentenzeit, in: Marcel Dalibor u. a., Perspektiven, S. 21 ff.

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B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit

Gesicht, wenn sie in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift erscheinen sollten. Dies war also keine spezielle Kontrolle des Assistenten durch seinen Hochschullehrer, sondern der allgemeine redaktionelle Gang, der für jedes Manuskript jedes Autors galt. Von Seiten des Chefs gab es in diesem Fall auch nie einen inhaltlichen Korrekturwunsch an mich. War eine Publikation in einer anderen, also nicht von meinem Professor herausgegebenen Zeitschrift von mir beabsichtigt, so brauchte ich das Manuskript ihm nicht vorzulegen: er hat dies nie erbeten oder gar gefordert, und ich habe dies nie, ohne deshalb aufmüpfig sein zu wollen, getan. Insoweit war die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Assistenten absolut gewahrt. V. Familiäre Beziehungen Nicht in das Thema Abhängigkeit direkt, wohl aber in das Kapitel Befangenheit gehören zwischenmenschliche Beziehungen. Die stärkste zwischenmenschliche Beziehung ergibt sich aus Verwandtschaft. Ein Verwandtschaftsverhältnis führt kraft Natur der Sache zu Befangenheit. Diese Befangenheit kann zunächst zu der – vergleichsweise unwichtigen – Frage führen, wie ein Kind seinen Vater auf einer wissenschaftlichen Tagung coram publico anreden soll. In dieser Situation geriet die Tochter des langjährigen Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes Hartmut Schiedermair, Stephanie Schiedermair, als sie als Akademische Rätin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Medienrecht der Universität Mainz ein Kolloquium zu Ehren ihres Vaters eröffnete und moderierte. Stephanie Schiedermair umschrieb das Problem mit eigenen Worten und humorvoll so: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserem medienrechtlichen Kolloquium anlässlich des 75. Geburtstages von Hartmut Schiedermair hier an der Mainzer Universität … Bei der Vorbereitung auf die heutige Moderation stieß ich ziemlich schnell auf ein Problem, das mir meine Rolle als Moderatorin bereitet. Wie soll ich den zu Feiernden be-



V. Familiäre Beziehungen39

zeichnen? Soll ich etwa künstlich distanziert von Herrn Schiedermair sprechen? Oder, für ein wissenschaftliches Kolloquium vielleicht unangemessen familiär von meinem Vater? Die Lösung dieses Dilemmas schien mir nach kurzem Nachdenken auf der Hand zu liegen: Du sprichst einfach ganz neutral vom Jubilar. Zum Glück erinnerte ich mich jedoch daran, dass sich mein Vater auf einer unserer sonntäglichen Familienwanderungen nachdrücklich über die Bezeichnung „Jubilar“ mokiert hatte und sie für sich nur für den Fall als angemessen betrachtet hatte, dass er mit dem Kopf wackle. Da Du, lieber Papa, bis heute nicht mit dem Kopf wackelst, fiel die Bezeichnung „Jubilar“ damit also weg, und ich erlaube mir ganz familiär und übrigens den Tatsachen entsprechend von meinem Vater zu reden.“27 Unzweifelhaft war dies eine sympathisch formulierte Lösung des Problems. Nur: Besser wäre es wohl, wenn der Organisator einer wissenschaftlichen Veranstaltung ein solches Problem gar nicht erst schaffen würde. Wieder ein anderes Problem ergibt sich, wenn ein Verwandter eines Wissenschaftlers über diesen seinen Verwandten ein Buch schreibt oder herausgibt, etwa ein Sohn über seinen Vater.28 Die Befangenheit ist in einem solchen Fall unabweisbar; sie kann – je nach dem Grad der persönlichen 27  Schiedermair, Stephanie, in: Dieter Dörr (Hrsg.), Die Macht der Medien. Medienrechtliches Kolloquium zum 75. Geburtstag von Hartmut Schiedermair, Frankfurt a. M. 2011, S. 9 (Eröffnung). Stephanie Schiedermair hat sich mit einer Arbeit „Der Schutz des Privaten als internationales Grundrecht“ (Tübingen 2012) bei Dieter Dörr habilitiert, der seinerseits sich bei ihrem Vater Hartmut Schiedermair habilitiert hat. Das sagt nichts, aber auch gar nichts gegen die Qualifikation der jungen – hochqualifizierten – Wissenschaftlerin, ist aber unter dem Gesichtspunkt der Befangenheit des Habilitationsvaters wohl kein optimaler Vorgang gewesen. – Inte­ ressant ist übrigens, dass auffallend häufig Kinder von Hochschullehrern denselben Beruf ergreifen wie den des Vaters, nicht selten sogar in derselben Fachrichtung. Ursachenforschung dazu fehlt bislang. 28  Beispiel: Lauterpacht, Elihu, The Life of Hersch Lauterpacht, Cambridge 2010.

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B. Unabhängigkeit, Abhängigkeit, Befangenheit

Gefühle – zu einer zu positiven oder kritischen Darstellung führen. Will man ein Argument für eine solche Darstellung in der Wissenschaft suchen, so könnte es nur darin gefunden werden, dass der Darsteller auf Grund eben jener persön­ lichen Nähe seinen Verwandten besser gekannt hat als ein Außenstehender, und dass dem Verwandten mehr Material aus dem persönlichen Nachlass für die Darstellung zur Verfügung stand. Kein Argument für das Überspringen der Befangenheit auf Grund von Verwandtschaft kann unter dem Aspekt guter Wissenschaft allerdings die Tatsache sein, dass in anderen Lebensbereichen, etwa dem der Belletristik oder dem der Memoirenliteratur, eine Vater- oder MutterSchilderung aus der Sicht eines Sohnes oder einer Tochter erfahrungsgemäß kaum Probleme aufwirft.

C. Nicht jeder ist berufen I. Die Auswahl der zu Berufenden Nicht alle wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beabsichtigen, später einmal „in die Wissenschaft“ zu gehen, aber doch viele von ihnen. Nach abgeschlossener Promotion und nach abgeschlossener Habilitation1 ist der Weg frei auf eine angestrebte Professur. Vor der Berufung auf den Gipfel der Professur liegt allerdings das Tal der Privatdozentur. Dass längst nicht alle Berufungsfähigen einen Ruf auf eine Professur erwarten können sondern im Status des Privatdozenten verharren müssen, ist bekannt. Zu diesem Status erzählt Christian Graf von Krockow die folgende „Göttinger Geschichte aus dem 19. Jahrhundert: Ein Mann sitzt am Wegrand und weint bitterlich. Ein anderer, ein alter Mann mit weißem Bart, kommt vorbei und fragt: ‚Warum weinst du? Kann ich dir helfen?‘ – ‚Nein, nein, mir kann keiner helfen.‘ – ‚Doch, ich kann helfen. Ich bin der liebe Gott.‘ – ‚Aber ich bin Privatdozent in Göttingen.‘ Da setzte sich Gott neben ihn und weinte auch.“2 Vorausset1  Das Erfordernis der Habilitation ist allerdings nicht zwingendes gesetzliches Erfordernis; dazu unten Abschn. F I. 2  Graf von Krockow, Christian, Universität und Öffentlichkeit, in: DUZ 1981, S. 75 ff. (77); dieselbe Geschichte wurde Anfang der fünfziger Jahre in Bezug auf die Person des Handelsvertreters erzählt. – Zur finanziellen Situation der rd. 5000 Privatdozenten heute s. Laube, Stefan, Das akademische Prekariat hat einen Namen: PD, in: FAZ Nr. 45 v. 22.2.2012, S. N 5 (der Autor Laube ist Privatdozent am Institut für Kulturwissenschaft der Berliner Humboldt-Universität), und Anderl, Sibylle, Junger Forscher, was macht die Kunst? Was das Urteil zur W-Besoldung ungeregelt lässt: Der Weg bis in den erlauchten Oberbau bleibt gepflastert von Idealisten und Gescheiterten, in: FAZ Nr. 45 v. 22.2.2012, S. N 5.

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C. Nicht jeder ist berufen

zung dafür, dass das Ziel einer Professur glücklich erreicht wird, ist die Berufung an eine wissenschaftliche Hochschule oder an ein wissenschaftliches Forschungsinstitut. Anders als in früheren Zeiten schreiben die Hochschulgesetze schon seit etlichen Jahren dafür eine Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung der Professuren vor.3 Damit soll ein fairer Wettbewerb um die freie Stelle eröffnet werden. Ein solcher fairer Wettbewerb findet jedoch nicht statt, wenn die Stellenausschreibung schon vom Text der Ausschreibung her erkennbar oder nicht erkennbar auf eine ganz bestimmte Person zielt, in Wahrheit also eine Ausschreibung ad personam vorliegt. Eine solche, leider nicht selten vorkommende Handhabung macht die Ausschreibung zur Farce und ist mit guter wissenschaftlicher Praxis unvereinbar. Für die Auswahl der zu Berufenden, konkret: für die Aufstellung einer Berufungsliste sollte als Auswahlkriterium das Prinzip gelten: der / die Beste ist gerade gut genug.4 Keiner guten Berufungspraxis entspricht es, wenn eine bestimmte wissenschaftliche Schule unter sich bleiben will oder wenn Berufungen dem Gekungel von Seilschaften entspringen. Geradezu unerträglich ist es, wenn eine Landesregierung ihre hochschulrechtliche Stellung dazu missbraucht, parteipolitische Interessen bei der Besetzung einer Professur durchzusetzen. Über einen solchen Fall ist unter der Überschrift „Parteihochschule. Protest gegen Flensburger Berufung“ wie folgt berichtet worden: „Mitglieder der Berufungskommission für eine in Flensburg neu zu besetzende Geschichtsprofessur haben dem Rektorat der Hochschule ihr Mißtrauen aus3  Siehe

§ 45 S. 1 HRG; § 14 Abs. 1 S. 2 HmbHG. Berufungspraxis in der Blüte der deutschen Universitäten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, in der nicht mehr die Herkunft des zu Berufenden, sondern seine wissenschaftliche Leistung entscheidend war, siehe Baumgarten, Marita, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaften, Göttingen 2001. – Siehe auch: Hesse, Christian / Schwinges, Rainer C. (Hrsg.), Professorinnen und Professoren gewinnen. Zur Geschichte des Berufungswesens an den Universitäten Mitteleuropas, Basel 2012. 4  Zur



I. Die Auswahl der zu Berufenden43

gesprochen. In einem offenen Brief schreiben der Soziologe Hauke Brunkhorst, der Pädagoge Alfred Langewand sowie die Historiker Bea Lundt und Gerhard Paul von politisch motivierten Pressionen des Kieler Bildungsministeriums, denen sich das Rektorat und der Senat der Hochschule allen akademischen Gepflogenheiten zum Trotz gebeugt hätten. Beide Instanzen, so der harte Vorwurf der Kommissionsmitglieder, hätten sich über das Votum der Berufungskommis­ sion hinweggesetzt und damit dem Ansehen der Flensburger Universität, einer ehemaligen Pädagogischen Hochschule, Schaden zugefügt. Das Ministerium hatte versucht, die Dauerstelle mit einem früheren Pressesprecher der SPD zu besetzen, und das laufende Berufungsverfahren abgebrochen, als es mit seiner Absicht nicht durchdrang (siehe F.AZ. vom 30. November). Nach Ansicht der Kommissionsmitglieder bedeutet dieser Eingriff, daß in Flensburg nicht die wissenschaftliche Leistung zählt, ‚sondern Gesinnung, Parteibuch, Beziehungen und volkspädagogische Bekenntnisse‘.“5 Im Fall Flensburg ging es also um einen Konflikt zwischen Hochschule und Ministerium, weil letzteres partei­ politisch agierte. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen Hochschulen oder Fakultäten sich selbst politisch gleichschalten. So kommt es dann dazu, dass Hochschulen oder Fakultäten als „links“ oder als „rechts“ gelten.6 Will man für eine solche wissenschaftsfremde Positionierung Argumente suchen, so könnten sie allenfalls in der alten Volksweisheit gefunden werden, die besagt „Gleich und gleich gesellt sich gern“, oder in einem Harmoniebedürfnis der Kollegen mit dem Ziel, „der / die neue muss zu uns passen“. Allein entscheidend sollte aber die wissenschaftliche Qualifikation des Bewerbers sein, eine Qualifikation, die weder durch die politische Einstellung des Bewerbers vermittelt noch durch diese ausgeschlossen wird. 5  Bericht

in: FAZ Nr. 280 v. 2.12.1998, S. 45. Ausrichtungen waren oder sind wohl mehr in Norddeutschland zu vermuten (Bremen, Hannover, Oldenburg), konservative Ausrichtungen wohl mehr in Süddeutschland (München). 6  Linke

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C. Nicht jeder ist berufen

II. Schleiertänze nach Erhalt eines Rufes Ist eine Berufungsliste aufgestellt und von den zuständigen Stellen abgesegnet worden und ist schließlich der Ruf an den gewünschten Bewerber herausgegangen, so ist damit jedoch noch längst nicht immer gesagt, dass der Auserwählte den an ihn ergangenen Ruf auf die Professur auch tatsächlich annimmt, es sei denn, dass es sich bei dem Bewerber um einen Privatdozenten oder Juniorprofessor handelt, der nicht gleichzeitig einen anderen Ruf erhalten hat oder einen solchen erwartet. In anderen Fällen – also Ruf an einen Professor auf eine gleichwertige Professur – steht es im Belieben des Bewerbers, ob er / sie dem Ruf folgt oder nicht. Gegen diese freie Entscheidungsbefugnis ist prinzipiell unter dem Gesichtspunkt „guter Wissenschaftspraxis“ nichts einzuwenden, was auch die Möglichkeit der Ablehnung des Rufes einschließt. Problematisch sind dagegen endlose Schleiertänze des Berufenen, durch welche die Wiederbesetzung der betreffenden Professur für eine lange Zeit blockiert wird, vor allem dann, wenn am Ende einer solchen Hängepartie nach langen Verhandlungen ein „Nein“ steht. Die Erwartung, dass mit der Einführung der Pflicht zur Ausschreibung von vakanten Professuren und dem damit verbundenen Erfordernis einer Bewerbung Absagen auf erteilte Rufe zur Ausnahme werden würden, hat sich erfahrungsgemäß nicht erfüllt. III. Bedingungen für die Annahme des Rufes Kein Verstoß gegen „gute Wissenschaft“, wohl aber eine Erschwerung einer erfolgreichen Berufung liegt vor, wenn der Bewerber besondere Bedingungen für die Annahme des Rufes stellt, Bedingungen, die schwer zu erfüllen sind. So bringt die Berufstätigkeit eines Ehepartners des Bewerbers es mit sich, dass eine mit der bisherigen Stelle des Ehepartners gleichwertige Stelle für diesen gefordert oder jedenfalls erwartet wird, was dann schwierig wird, wenn es sich um



III. Bedingungen für die Annahme des Rufes45

ein Dienstverhältnis in einem anderen Land der Bundesrepublik handelt und ein einfacher Stellentausch nicht möglich ist. Unmut konnte es z. B. erregen, wenn nach der Wiedervereinigung ein Bewerber auf eine Professur an einer Universität an einer ostdeutschen Universität die Rufannahme mit der Forderung verband, dass seine Ehefrau dort eine Stelle als Lehrerin erhält – dies zu einer Zeit, in der im Osten Deutschlands in großem Umfang die Dienstverhältnisse von Lehrern abgewickelt (sprich: beendet) wurden. Kein guter Start ist es auch, wenn ein auf eine Professur Berufener nach der Rufannahme seinen neuen Wirkungsbereich zunächst mit der Inanspruchnahme eines Forschungssemesters beglückt. Kollegen und Studenten müssen daraus den Eindruck gewinnen, dass „der / die Neue“ nicht besonders erpicht ist, den neuen Wirkungsbereich kennenzulernen. Andererseits ist es aber auch keine besonders gute Praxis, die Tätigkeit an der bisherigen Hochschule mit einem Forschungssemester zu beenden. Hinsichtlich einer formellen, festlichen Abschiedsvorlesung ist die Praxis offenbar heute nicht einheitlich, wohl auch unterschiedlich je nachdem, ob es sich um einen Abschied infolge Annahme eines Rufes an eine andere Hochschule oder um einen Fall der Emeritierung handelt; im letzteren Fall ist beachtenswert, dass der Emeritus sich häufig noch nicht vom Vorlesungsbetrieb verabschiedet, sondern – wenn auch meist mit reduziertem Deputat – weiterhin Vorlesungen oder Seminare hält.

D. Der Spagatprofessor I. Der Ausdruck Kommt es dagegen zur Annahme eines Rufes, so ist damit eigentlich ein Wohnortwechsel des Berufenen verbunden.1 Das Wort „eigentlich“ macht die Misere deutlich. Im Jahre 1981 erschien in einer der großen Tageszeitungen ein Artikel, der sich mit der Erscheinung des „Spagatprofessors“ beschäftigte, d. h. eines Hochschullehrers, dessen „Wohnbein“ sich weit weg vom „Dienstbein“ befindet.2 Gemeint war mit dem Wort „Spagatprofessor“ nicht jemand, der in der Nähe seines Dienstortes, also z. B. in der Umgebung einer Universitätsstadt, wohnt; gemeint sind vielmehr diejenigen Hochschullehrer, die – oft mehr als hundert Kilometer – weit entfernt von ihrer Hochschule wohnen, häufig sogar in einem anderen Bundesland.3 Die Gesellschaft für Deutsche Sprache sah 1981 im „Spagatprofessor“ das originellste Wort des Jahres.4 1  Ein im vorliegenden Zusammenhang zu vernachlässigender seltener Ausnahmefall läge vor, wenn ein Ruf auf eine Professur an eine Hochschule in derselben Stadt ergeht, in welcher der Bewerber bereits eine Professur an einer anderen Hochschule innehat, wie z. B. in Berlin (Freie Universität; Humboldt-Universität; Technische Universität) oder in München (Ludwig-Maximilians-Universität; Technische Universität). 2  von Münch, Ingo, Die Spagatprofessoren. Über einen neuen Typus im universitären Bereich, in: FAZ Nr. 112 v. 15.5.1981, S. 25; unveränderter Nachdruck in: Universität Gesamthochschule Siegen 1981, Nr. 1–2, S. 15 ff. (hier mit einer Einführung von Karl Riha [S. 15]). 3  Seltener, aber auch vorkommend, ist ein Wohnsitz eines an einer deutschen Hochschule tätigen deutschen Hochschullehrers im Ausland, z. B. in der Schweiz. 4  Siehe Bericht „Die Null zieht Kreise“, in: HA Nr.  25 v. 30. / 31.1.1982, S.  1.



II. Rechtliche und hochschulpolitische Beurteilung47

Die an den Gebrauch dieses Wortes geknüpfte Hoffnung, dass sich die Zahl der Spagatprofessoren erheblich vermindern würde, hat sich jedoch nicht erfüllt. Ein Blick in das Mitgliederverzeichnis der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, aber auch in das Vorlesungsverzeichnis irgendeiner beliebigen deutschen Universität zeigt, dass hierzulande nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Spagatprofessor eine seltsame oder seltene Erscheinung in der hiesigen Hochschullandschaft darstellt.5 Wie ist dieses Faktum rechtlich und hochschulpolitisch zu beurteilen und was sind die Gründe für diese Erscheinung? II. Rechtliche und hochschulpolitische Beurteilung Was die rechtliche Beurteilung betrifft, so ist zunächst daran zu erinnern, dass die Hochschullehrer aufgrund der diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen und der in den Berufungsvereinbarungen enthaltenen Regelungen verpflichtet sind, die ihnen obliegenden Aufgaben zu erfüllen, so wie dies auch für alle anderen Angehörigen des Öffentlichen Dienstes der Fall ist. Die in früheren Beamtengesetzen noch enthaltene strenge Residenzpflicht, d.  h. das Gebot, am Dienstort zu wohnen,6 ist schon seit längerem entweder gänzlich aufgehoben oder jedenfalls erheblich abgeschwächt; die heute üblichen gesetzlichen Regelungen schreiben ledig5  Häufig wird in Personalverzeichnissen von Hochschullehrern deren privater Wohnsicht überhaupt nicht mehr angegeben. Ein solches Schweigen mag im Einzelfall berechtigt sein, z.  B. bei Juraprofessoren, die im Nebenamt Richter sind und wegen spektakulärer Verfahren befürchten müssen, in ihrer Privatsphäre deshalb behelligt zu werden. Generell ist dagegen ein solches Schweigen nicht geboten. 6  So die Formulierung in § 72 Abs. 1 BBG und identisch oder fast gleichlautend die entsprechenden Bestimmungen in den Beamtengesetzen der Länder. Nur ausnahmsweise, nämlich „wenn die dienstlichen Verhältnisse es erfordern“, kann der Bezug einer Wohnung innerhalb bestimmter Entfernung von der Dienststelle oder einer Dienstwohnung angeordnet werden (§ 72 Abs. 2 BBG).

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D. Der Spagatprofessor

lich – aber immerhin – vor, dass die Beamtinnen und Beamten ihre Wohnung so zu nehmen haben, „dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird.“7 Auf Spagatprofessoren bezogen bedeutet dies: Eine Spagatprofessur ist nicht unerlaubt – aber ist sie auch erwünscht? Anders gefragt: Wenn die Einheit von Dienstort und Wohnort nicht rechtlich erforderlich ist – ist diese Einheit aber vielleicht hochschulpolitisch wünschenswert? Wieder anders, zusätzlich gefragt: Wie kommt es zu diesem heutigen Auseinanderklaffen vom Ort der Arbeitsstätte vom Wohnort, einem Auseinanderklaffen, das im Leben früherer Hochschullehrer – etwa eines Georg Jellinek, eines Max Weber, eines Gustav Radbruch, eines Rudolf Smend oder eines Heinrich Triepel – nicht üblich war. Wer z. B. in Berlin lehrte, lebte in Berlin; wer in Göttingen lehrte, lebte in Göttingen; wer in Heidelberg lehrte, lebte in Heidelberg; wer in Tübingen lehrte, lebte in Tübingen usw. Durchbrochen wurde diese Tradition nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – vermutlich wegen der damals gerade in den Großstädten und Universitätsstädten herrschenden Wohnungsnot. III. Rückkehr nach Emigration In einer besonderen Situation befanden sich die infolge der NS-Herrschaft verfolgten und in das Ausland emigrierten Hochschullehrer. Soweit sich eine universitäre Wirkungsstätte im Ausland gefunden hatte, nahmen etliche von ihnen nach 1945 wieder Kontakt mit deutschen Hochschulen auf, was nicht selten zur Tätigkeit im Ausland und zusätzlich zu einer Vorlesungstätigkeit in Deutschland führte. 7  Kritisch dazu schon Dicke, Detlev Chr., Rdnr. 13 zu Art. 11 GG, in: Ingo von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1974: „Die wichtigsten Residenzpflichten gelten für Beamte, Rechtsanwälte, Notare und den Gemeinschuldner im Konkurs und sind teils anachronistisch, teils unsinnig, jedenfalls aber verfassungswidrig.“



III. Rückkehr nach Emigration49

Über den bedeutenden Rechtsvergleicher Ernst Rabel, der nach seiner Emigration an der Universität Ann Arbor, Michigan, eine Stelle gefunden hatte, wird dazu berichtet: „Rabel selbst war wohl schon zu alt, um bei aller Dankbarkeit für sein Asyl in den Vereinigten Staaten dort noch heimisch zu werden. Als sich nach dem Krieg die Dinge normalisierten, wurde er endlich Professor Emeritus der Freien Universität Berlin und pendelte zwischen Ann Arbor und Europa hin und her, ohne in Deutschland wieder festen Fuß zu fassen.“8 Auch ein Pendler zwischen den Kontinenten war der im Dezember 1935 in die USA emigrierte Zivilund Kartellrechtler Heinrich Kronstein, der zusätzlich zu seiner seit 1942 innegehabten Professur an der Georgetown University in Washington, D.C., 1949 eine Professur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt a.  M. erhielt,9 wo er sich mit großem Erfolg als Brückenbauer zwischen den USA und der Bundesrepublik betätigte. Wenn ein vom NS-Regime seinerzeit verfolgter und deshalb ins Ausland emigrierter Hochschullehrer nach 1945 wieder zeitweilig zu Vorlesungen nach Deutschland zurückkam, war er 8  Gamillscheg, Franz, Ernst Rabel (1874–1955). Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung, in: Fritz Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, S. 456 ff. (469  /  470); dort auch (S. 470) ein Rabel betreffendes Zitat von Max Rheinstein: „Much wandering between the continents in search of a place in which he might again become truly settled.“ Ernst Rabel war einer von vielen jüdischen Gelehrten, die herausragende wissenschaftliche Leistungen erbracht haben und in der NS-Zeit zur Emigration gezwungen wurden; s. dazu Lutter, Marcus / Stiegel, Ernst / Hoeflich, Michael (Hrsg.), Der Einfluß deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993; Beatson, Jack / Zimmermann, Reinhard: Jurists Uprooted: German-speaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain, Oxford 2004. 9  Autobiographische Darstellung: Kronstein, Heinrich, Briefe an einen jungen Deutschen, 2. Aufl., München 1968, S. 256: „Als ich (von einem Besuch in Deutschland; d. Verf.) nach Washington zurückkehrte, hatte ich den Ruf an die Universität Frankfurt, um dort der Nachfolger Hallsteins zu werden, verbunden mit der Maßgabe, daß ich diese Stellung gleichzeitig mit einer Professur in Georgetown ausüben solle.“

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D. Der Spagatprofessor

zwar ein Wanderer zwischen sehr verschiedenen Welten, aber kein Spagatprofessor in dem im vorliegenden Zusammenhang beschriebenen Sinne. IV. Gründe für den Spagat und seine Problematik Der Spagatprofessor im heutigen Sinne will einfach an einem bestimmten Ort wohnen (bleiben), auch wenn er an einem anderen Ort seine dienstlichen Aufgaben zu erfüllen hat. Begünstigt wird diese Doppelexistenz durch die heute ungleich günstigeren, weil schnelleren Verkehrsverbindungen als früher, wohl auch durch eine verstärkt positive Einstellung zu Mobilität und Flexibilität. Auffallend ist, dass viele Spagatprofessoren an ihrem Wohnsitz in einer Großstadt festhalten, auch wenn sie in einer anderen kleineren Universitätsstadt beruflich tätig sind. München ist in dieser Beziehung unübersehbar ein besonderer Klebstoff, seit der Wiedervereinigung aber auch Berlin. Ein wesentlicher Grund für die Existenz einer Spagatprofessur ist dann gegeben, wenn der Ehepartner am Wohnort des Spagatprofessors berufstätig ist, z. B. als Lehrerin oder Rechtsanwältin oder Richterin, und diese berufliche Tätigkeit nicht wegen eines Wohnsitzwechsels aufgeben oder auch nur erschweren will. Auch schulpflichtige Kinder können einen Grund für eine Spagatprofessur bilden. Sind beide Ehepartner Hochschullehrer, so kann es sogar vorkommen, dass beide nicht an ihren Dienstorten wohnen, sondern dass beide Ehepartner Spagatprofessoren sind: Er ist Professor in der Stadt A, sie ist Professorin in der Stadt B, beide wohnen in der Stadt C. Nun könnte man fragen: Warum nicht? Für seine Forschungsarbeiten benötigt der Hochschullehrer jedenfalls in den Geisteswissenschaften – anders als in den Natur- und Ingenieurwissenschaften und anders als in der Medizin – nur einen Schreibtisch und Bücher, die entweder in seiner Privatbibliothek vorhanden sind oder – wenn nicht – aus einer



IV. Gründe für den Spagat und seine Problematik 51

öffentlichen Bibliothek entliehen werden können. Forschung kann also in Heimarbeit stattfinden. Für die Vorlesungen muss dagegen ein Hörsaal in der (entfernten) Hochschule aufgesucht werden. Das ist für den Spagatprofessor aber kein Problem, selbst wenn die Anreise gelegentlich lästig oder beschwerlich sein mag. Auch die Teilnahme an Prüfungen und an Gremiensitzungen lässt sich einrichten.10 Für den Kontakt mit Kollegen, Mitarbeitern und Studenten wird das Internet für ausreichend befunden. Das alles mag als ausreichend für eine ordnungsgemäße Erfüllung der dienstlichen Verpflichtungen des Hochschullehrers und deshalb als tolerabel angesehen werden. Aber ideal ist dieser Zustand nicht. Wenn eine Hochschule mehr sein soll und will als ein Bahnhof, dann ist die Präsenz des Hochschullehrers am Ort seiner Hochschule nicht nur sporadisch, sondern dauerhaft – eben als Innehabung des Wohn­sitzes – zumindest wünschenswert, dies nicht nur im Inte­resse der Kollegen, der Mitarbeiter und der Studierenden, sondern auch im Interesse der Verbundenheit der Hochschule mit ihrer Stadt. Erwähnenswert ist noch, dass in einigen Ländern – so in den Niederlanden – die Ortsansässigkeit des Hochschullehrers am Hochschulort für selbstverständlich gilt. Zum Abschluss des Kapitels über den Spagatprofessor in Deutschland sei noch einmal ein Rückblick in viel härtere frühere Zeiten zitiert, wobei als Beispiel hierfür der Wechsel des bereits erwähnten Juristen Ernst Rabel von der Universität Kiel an die Universität Göttingen im Jahre 1911 erwähnt sei. Die Versetzungsverfügung (!) des preußischen Ministers der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten traf Rabel unvorbereitet: „Rabel mußte seine Kieler Wohnung noch vor Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist verlassen, ohne dass es ihm gelungen war, einen geeigneten 10  Ich erinnere mich allerdings, dass eine Prüfung einmal zügig beendet werden musste, damit einer der Prüfer noch seinen Zug in seinen Heimatort erreichen konnte.

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D. Der Spagatprofessor

Nachmieter zu finden. Er wandte sich daher an den Senat der Georgia Augusta mit dem Antrag, die ihm durch das Leerstehen der Kieler Wohnung erwachsenen Kosten in Höhe von M 475, sowie weitere M 4,50 an Auslagen für Inserate, zu erstatten. Bis auf die Inseratskosten ist dem durch die Universitätsverwaltung auch entsprochen wor­ den.“11

11  Gamillscheg,

Franz, S. 459.

E. Studium und Lehre I. Die Studierenden als Teilnehmer am Wissenschaftsprozess In den bisher veröffentlichten Vorschlägen und Denkschriften zum Thema „gute Wissenschaft“ kommen die Studierenden auffallend wenig vor. Dabei ist unbestreitbar, dass auch die Studierenden Teil des „Biotops“ Wissenschaft sind: Die Studierenden nähren sich von den Früchten der Bäume wissenschaftlicher Erkenntnisse, weniger bildhaft ausgedrückt: Die Studierenden sind Rezipienten von Wissenschaft sowohl in Gestalt von Lehre, nämlich in Vorlesungen, Übungen, Seminaren und Praktika, als auch in Gestalt von Forschung, mittelbar dadurch, dass die Lehre selbst auf Forschung aufbaut, unmittelbar dadurch, dass die Studierenden anhand von Lehrbüchern und anderer wissenschaftlicher Literatur sich wissenschaftliche Kenntnisse aneignen, kurz: lernen. Über diese Rolle des Studierenden als Nehmendem wäre es jedoch zu kurz gesprungen, die Rolle des Studierenden als Gebendem zu übersehen. Zunächst sind die Studierenden nicht nur Rezipienten sondern auch Akteure, nämlich insofern, als sie die Hochschullehrer veranlassen (man könnte vielleicht sogar schärfer formulieren: zwingen), auf wissenschaftlicher Forschung gegründete Lehrveranstaltungen zu erbringen, d. h. ihre dienstlichen Obliegenheiten als akademische Lehrer zu erfüllen. Damit ist allerdings über die wissenschaftliche Qualität der jeweiligen Vorlesungen noch keine Aussage getroffen. Es gibt – wie jeder mit dem Hochschulwesen auch nur einigermaßen Vertraute weiß – gute und schlechte Vorlesungen. Was folgt aus dieser Beobachtung aber für die Interaktion zwischen Studierenden und

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E. Studium und Lehre

Lehrenden? Ein Satz wie „gute Lehrer machen gute Schüler“ ist nachvollziehbar, wenn auch nicht immer gültig. Sehr viel weniger überzeugend wäre vermutlich die Umkehr in „gute Schüler machen gute Lehrer“. Immerhin dürfte die Feststellung nicht falsch sein, dass gute Studierende ihre akademischen Lehrer auch zu fordern vermögen.1 Ich selbst erinnere mich noch nach vielen Jahren an eine Situation in einem von mir abgehaltenen Examenskurs im Öffentlichen Recht, in dem ein Kursteilnehmer, also ein Student, mich bei der Lösung eines Falles auf einen Gesichtspunkt hinwies, der mir bei meinen Überlegungen dazu entgangen war. Eine solche Situation ist zwar für den Hochschullehrer etwas ungemütlich, aber letztlich hilfreich. Jedenfalls sind die Studierenden – in welcher konkreten Weise auch immer – Teilnehmer am Wissenschaftsprozess; sie sollten deshalb aus Erörterungen des Themas „gute Wissenschaft in der Praxis“ nicht gänzlich ausgeblendet werden. II. Die Vorlesung als Ort der Vermittlung und Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse Zentraler Ort der Vermittlung und Weitergabe von wissenschaftlichen Erkenntnissen an den Hochschulen ist nach wie vor die Vorlesung2: „Der mündliche Vortrag des Wissenschaftlers gehört zum Kern des Universitätsbetriebes. Die Vorlesung für ein studentisches Auditorium, das drei – „tres faciunt collegium“ – bis viele hundert Zuhörer umfassen kann, ist die nach wie vor gängige Hauptform wissenschaft1  Legendär sind z. B. die von Rudolf Smend und Konrad Hesse abgehaltenen Seminare „mit in Wissenschaft und Praxis greifbaren Nachwirkungen bis in die Gegenwart“ (Häberle, Peter, Pädagogische Briefe, S. 7). 2  Die im Zuge mancher Reformvorhaben zeitweilig propagierte Abschaffung oder Zurückdrängung von Vorlesungen zugunsten anderer Veranstaltungen sei hier nur erwähnt, ohne weiter vertieft zu werden.



II. Die Vorlesung55

licher Lehre, so sehr Arbeitsgemeinschaften, Übungen und Repetitorien, Seminare und Kolloquien, Praktika und Examinatorien als ergänzende Veranstaltungen im Interesse von pädagogisch sinnvollen, aktiven Beteiligungsmöglichkeiten hinzugetreten sind.“3 Voraussetzung für den „dominierenden Charakter“4 der Vorlesung ist allerdings, dass die Vorlesung überhaupt stattfindet. Angesprochen ist damit der nicht seltene Ausfall von Lehrveranstaltungen. Gewiss kann es dafür im Einzelfall triftige Gründe geben, etwa im Krankheitsfall. Aber jeder Hochschullehrer sollte sich darüber im Klaren sein, dass er / sie eben als Hochschullehrer an die Hochschule berufen ist und nicht als Vortragsreisender oder Entertainer. Mit anderen Worten: Im Bündel der akademischen Verpflichtungen des Hochschullehrers muss den Vorlesungen hohe Priorität zukommen. Sollte eine Vorlesungsstunde dennoch einmal aus übergeordneten Gründen ausfallen müssen, so entspricht es gutem akademischem Stil, darauf – wenn irgend möglich – rechtzeitig aufmerksam zu machen, damit die Teilnehmer der Vorlesung entsprechend disponieren können. An angelsächsischen Universitäten ist es üblich, dass der Grund für den Vorlesungsausfall in dem diesbezüglichen Aushang angegeben und eine Entschuldigung angefügt wird, z. B. in dieser Form: „Introduction to European Union Law has been cancelled for tonight only due to illness. Apologises for any inconvenience caused.“ Im Fall der Verhinderung eines Hochschullehrers kann das Ausfallen seiner / ihrer Vorlesungsstunde dadurch verhindert werden, dass ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des verhinderten Hochschullehrers einspringt und die betreffende Vorlesungsstunde übernimmt. An der früheren sog. Or3  So Schmitt Glaeser, Walter / Schulze-Fielitz, Helmuth, Der öffentlich-rechtliche Habilitationsvortrag, in: DV 1992, S.  273  ff. (278). 4  Schmitt Glaeser, Walter / Schulze-Fielitz, Helmuth, DV 1992, S. 278.

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E. Studium und Lehre

dinarienuniversität war eine solche Praxis unüblich5: Der Professor war keine vertretbare Lehrperson. In neuerer Zeit ist dagegen die vertretungsweise Übernahme einer Vorlesungsstunde durch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter oder eine wissenschaftliche Mitarbeiterin jedenfalls in einigen Wissenschaftsfächern nicht mehr absolut unüblich. Diese neuere Praxis hat Licht- und Schattenseiten: Positiv zu sehen ist die damit dem wissenschaftlichen Nachwuchs eröffnete Möglichkeit, schon frühzeitig – also vor einer eventuellen Habilitation – Lehrerfahrungen zu sammeln, auch um sich darüber klar zu werden, ob die Gestaltung einer Vorlesungsstunde dem Vortragenden Freude bereitet. Negativ ist demgegenüber die Tatsache zu sehen, dass der „Einspringer“ oft wenig Zeit zur Vorbereitung der betreffenden Vorlesungsstunde hat, dass ferner der konsistente Zusammenhang mit dem vorangegangenen Vorlesungsstoff nicht leicht zu finden ist, vor allem aber schließlich die Gefahr des Missbrauchs, d.  h. einer zu ausgedehnten Ermöglichung des Fernbleibens des Hochschullehrers von seiner Vorlesung. Ein probates Gegenmittel gegen einen zu häufigen Ausfall von Vorlesungen ist bisher nicht gefunden; Sanktionen stehen, soweit es sich nicht um evidente Verletzungen der dienstlichen Obliegenheit handeln sollte, nicht zur Verfügung. Derjenige Hochschullehrer, der seinen Beruf als Lehrender als Berufung ansieht und der deshalb seine Vorlesungsverpflichtungen gern, ja vielleicht sogar mit Leidenschaft erfüllt, wird ohnehin eine Vorlesungsstunde nur aus dringendem Grund ausfallen lassen und sie jedenfalls, wenn möglich, nachholen. In jedem Fall wäre es im Sinne einer guten Vorlesungspraxis – und damit auch im Sinne einer 5  So jedenfalls meine Erfahrung aus den fünfziger Jahren an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt a. M.; s. von Münch, Ingo, Sein und Haben: Erinnerungen an eine Assistentenzeit, in: Marcel Dalibor u. a., Perspektiven, S. 21 ff. (31); dort auch (Anm. 17) ein Hinweis auf die diesbezüglichen früheren und heutigen Erfahrungen von Franz ­Gamillscheg an der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen.



III. Qualität der Lehre57

„guten Wissenschaft“ – zweckmäßig, wenn dem Dekan der Fakultät jeweils am Ende des Semesters eine Mitteilung darüber gemacht werden müsste, wie viele Vorlesungsstunden ersatzlos und aus welchen Gründen ausgefallen sind bzw. nicht vom Hochschullehrer selber abgehalten wurden.6 Der Ausfall einer Vorlesungsstunde ist jedenfalls für diejenigen Studierenden besonders ärgerlich, die gerade wegen dieser Vorlesung eine längere Anfahrt zur Hochschule hinter sich bringen mussten. Wie im Übrigen ein Vorlesungsausfall zu bewerten ist, hängt von der Qualität der betreffenden Vorlesung ab: Der Ausfall ist dann kein großer Schaden, wenn die inhaltliche und / oder didaktische Qualität der Vorlesung zu wünschen übrig lässt; der Ausfall ist bedauerlich, wenn es sich um eine interessante Vorlesung eines bei den Studierenden beliebten Hochschullehrers handelt. III. Qualität der Lehre Angesprochen ist damit das leidige Thema der Qualität der Lehre.7 Die diesbezüglichen Klagen der Studenten über mangelnde Qualität sind seit Jahrzehnten (oder vielleicht sogar seit Jahrhunderten?) bekannt. Allerdings verbietet sich insoweit eine Schwarz-Weiß-Malerei. Wie in anderen Lebensbereichen und wie an anderen Stationen des Wirkens von Menschen existieren auch hinsichtlich der Qualität von Lehrveranstaltungen an Hochschulen unterschiedliche Beurteilungen, die – wollte man sie in eine Notenskala pressen – von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ reichen. Die Vorlesungen nicht weniger Hochschullehrer werden von deren Teilnehmern als glänzend geschildert. Über die Vorlesungen des Münchner Strafrechtslehrers Claus Roxin wird erzählt, man 6  Zur Erleichterung des Verfahrens könnte auf Fehlanzeigen verzichtet werden. 7  Dazu schon früher von Münch, Ingo, Das Studium als Abbruchunternehmen. Wie verbessert man die Hochschullehre?, in: FAZ Nr. 81 v. 6.4.1993, S. 33; ders., Langweiler vertreiben Studenten aus den Hörsälen, in: WamS Nr. 48 v. 1.12.1996, S. 40.

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E. Studium und Lehre

hätte in dem großen Hörsaal eine Stecknadel fallen hören, weil seine Hörer so konzentriert seinem Vortrag zuhörten. Der Freiburger Staatsrechtler Horst Ehmke sei dessen Studenten, will man einem Geburtstagsglückwunsch von Heribert Prantl Glauben schenken, „wie ein juristisches Weltwunder“ vorgekommen8, wobei allerdings nicht erläutert wird, was unter einem „juristischen Weltwunder“ zu verstehen ist. Andererseits kann nicht verschwiegen werden, dass unter den Hochschullehrern auch nicht wenige Langweiler zu finden sind, wobei manche von ihnen durchaus gute Forscher sind – Spitzenqualität in Lehre und Forschung sind nicht immer in einer Person vereint. Vereinfacht, aber im Ergebnis gewiss zutreffend, lässt sich die Feststellung treffen: Es gibt an jeder Hochschule und in jedem Fach gute und weniger gute Lehrende. Diese simple Tatsache darf jedoch nicht zu Resignation führen. Vielmehr sollten die Hochschulen den Bemühungen um eine Verbesserung der Lehre einen größeren Stellenwert einräumen als dies bisher der Fall ist. In diesem Zusammenhang halte ich relativ wenig von didaktischen Fortbildungsmaßnahmen, die erfahrungsgemäß ohnehin nur von einem Bruchteil der großen Zahl der Hochschullehrer angenommen werden (und im Zweifel gerade nicht von denjenigen, die es eigentlich nötig hätten).9 Sinnvoller ist es, die pädagogische Fähigkeit vor der Berufung auf eine Professur auf den Prüfstand zu stellen, sie also zum Bestandteil des Berufungsverfahrens zu machen; ein Gespräch im kleinen Kreise von Kollegen entspricht in diesem Zusammenhang nicht der Situation einer Vorlesung im Hörsaal. Noch sinnvoller wäre es allerdings, wenn die Fähigkeit zur guten Gestaltung einer Lehrveranstaltung schon vor Erteilung der Lehrbefugnis (venia legendi) festgestellt werden würde. 8  Prantl, Heribert, Begabung zum Glücklichsein. Der Professor, Politiker und Krimiautor Horst Ehmke wird 85, in: SZ Nr. 29 v. 4. / 5.2.2012, S.  5. 9  Salopp könnte man dazu mit einer bekannten Volksweisheit formulieren: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“.

F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig? I. Geschichtliche Entwicklung Soweit ersichtlich gibt es keine exakte statistische Angabe darüber, wie viele der Lehrstuhlinhaber an den deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen sich vor ihrer Berufung habilitiert haben.1 Der Anteil der Habilitierten an den Hochschullehrern wird auch je nach Fachrichtung unterschiedlich hoch sein. Jedoch dürfte eine Schätzung, derzufolge rd. 90 Prozent aller derzeitigen Lehrstuhlinhaber in Deutschland eine Habilitation vorweisen können, nicht aus der Luft gegriffen sein. Die Habilitation ist eine Errungenschaft der Neuzeit, konkret ein Kind der das Mittelalter ablösenden neueren Hochschulgeschichte.2 Während im Mittelalter das Magister- und Doktorexamen als Befähigungsnachweis für die akademische Lehre dienten, ergaben sich im Laufe des 18. Jahrhunderts Bestrebungen, wenigstens eine Habilita­ tionsdisputation vom künftigen akademischen Lehrer zu 1  In der akademischen Umgangssprache sind sowohl die Formulierung „hat sich habilitiert“ als auch die Formulierung „ist habilitiert worden“ geläufig. In neuerer Zeit scheint jedoch die erstgenannte Formulierung bevorzugt zu werden; s. dazu Kaltenbach, Martin, Vergeudete Zeit im Habilitationsverfahren, in: FAZ Nr. 188 v. 15.8.2001, S. 47 (Leserbrief): „In den zurückliegenden Jahren hat es eine Reihe von Verbesserungen des deutschen Habilitationswesens gegeben. Sie drücken sich erfreulicherweise sogar in einer veränderten Redeweise aus. Während früher der Ordinarius seine Schüler zu habilitieren pflegte, habilitiert sich heute der Habilitand oder die Habilitandin selbst.“ 2  Zur diesbezüglichen Entwicklung s. Sellert, Wolfgang, Zur Problematik der Habilitation in ihrer historischen Entwicklung, ZRP 1972, S. 68 ff.

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

fordern.3 So vertrat der Göttinger Orientalist Johann David Michaelis schon 1770 die Auffassung, „daß man diejenigen Doktoren und Magister, die an der Universität lehren wollten, strenger als diejenigen prüfen müsse, die in die Praxis gingen“.4 Die Forderung, eine Habilitationsdisputation einzuführen, bei der dem Kandidaten kein Beistand durch einen Präses geleistet wird, umschrieb Michaelis so: „Die Proben, die zur Erlangung eines akademischen Grades für hinlänglich gehalten werden, sind es nicht, wenn von einem Privatdozenten die Rede ist, von dem man billig mehr erfordert, als von einem der nur einen gelehrten Titel in sein Vaterland mitnehmen will … Billig fordern dahero die meisten Universitäten von demjenigen Graduierten, der sich zum Dozenten qualifizieren will, noch eine Disputation pro, bey der er keinen Präses hat, sondern entweder selbst Präses ist, oder sine praeside respondirt.“5 Gefordert wurde auch schon damals, so von dem Göttinger Theologen von Mosheim, eine „wohl ausgearbeitete Schrift“, also das spätere Kernstück der Habilitation: die Habilitationsschrift. Der alle künftigen Überlegungen prägende Schritt erfolgte im Zusammenhang mit der Gründung der Berliner Universität aufgrund von Überlegungen, an denen neben Anderen Schleiermacher, von Savigny und Fichte beteiligt waren. Die Berliner Universitäts-Statuten vom 31. Oktober 1910 enthielten zum Thema Habilitation die Regelung: „Privat­ dozenten müssen sich in der Fakultät, in welcher sie lesen wollen, habilitieren und hierbei zugleich mit der Meldung zur Habilitation die Fächer anzeigen, über welche sie Vorlesungen zu halten gesonnen sind. In Bezug auf diese erhalten sie die Erlaubnis zu lehren. Zur Habilitation können sich nur solche melden, welche den Doktorgrad haben. Die Habilitation geschieht durch eine öffentliche Vorlesung in freiem Vortrag über ein Thema, welches von der Fakultät aufgegeben, oder mit Bestimmung derselben von dem Aspiran3  Sellert,

Wolfgang, S. 70. Wolfgang, S. 70. 5  Zitiert nach Sellert, Wolfgang, S. 70. 4  Sellert,



I. Geschichtliche Entwicklung61

ten gewählt wird, nachdem die Fakultät vorher sich von der Fähigkeit des Aspiranten vergewissert hat.“6 In der folgenden, also neueren Zeit wurde die Habilitation zu dem wichtigsten Pfeiler der universitären Nachwuchsgewinnung für die Professuren an den deutschen Hochschulen.7 Diese Praxis schloss nicht und niemals aus, dass – aber wohl nur in Ausnahmefällen – auch Nichthabilitierte auf Lehrstühle berufen wurden. Bernhard vom Brocke erwähnt in seinem Beitrag „Universitäts- und Wissenschaftsfinanzierung im 19. / 20. Jahrhundert“ einen solchen Fall, in dessen Mittelpunkt der preußische Minister Althoff stand; wegen des ungewöhnlichen Sachverhalts seien hier die entsprechenden Ausführungen ausführlich und im vollen Wortlaut wiedergegeben. Nach einem Hinweis darauf, wie schwierig es damals war, den Neubau eines Instituts oder die Errichtung einer neuen Professur durchzusetzen, ist zu lesen: „So konnten Althoff und Külz 1887 einen 65-jährigen Marburger Extraordinarius und wohlhabenden Junggesellen, den Anatomen Guido Wagner, mit der Ernennung zum ordentlichen (unbesoldeten) Honorarprofessor zum Verzicht auf das Ruhegehalt bewegen. Althoff schuf mit dem Geld unter Umgehung von Finanzminister und Landtag 1890 die erste Professur für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten in Marburg. Die dankbare Fakultät verlieh ihm, der vor seinem Eintritt in das Kultusministerium 1882 ohne Dissertation nur nach ehrenhalber Promotion und ohne Habilitation in Straßburg ordentlicher Professor der Rechte geworden war, noch im selben Jahr den ersten Ehrendoktor.“8 Bernhard vom Brocke erwähnt darauf folgend eine weitere Lehrstuhl6  Es handelt sich um Abschnitt 8 § 4, zitiert bei Sellert, Wolfgang, S. 70. 7  Umfassende Darstellung bei Huber, Peter M., Die Habilitation: Eine Bestandsaufnahme, WissR 2003, S. 2 ff. 8  vom Brocke, Bernhard, Universitäts- und Wissenschafts­ finanzierung im 19. / 20. Jahrhundert. Zugleich ein Kommentar zu Teil II, in: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.), Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart, Basel 2005, S. 343 ff. (424).

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

besetzung (in diesem Fall gegen den Widerstand einer Fakultät) ohne vorangegangene Habilitation: „Am Beispiel Emil Behrings lässt sich die Förderung der Universität besonders eindrucksvoll aufzeigen. Der preußische Stabsarzt war von Althoff ohne Habilitation 1895 der Medizinischen Fakultät nach dreimaliger Ablehnung als Professor der Hygiene aufgezwungen worden. Er galt als genial, unbequem und als schlechter Lehrer. Heute sind die Marburger stolz auf ihren größten Mediziner. Schon 1895 war dem damals noch preußischen Sanitätsoffizier (!) vom Präsidenten der französischen Republik das Offizierskreuz der Ehrenlegion verliehen worden, 1901 erhielt er auf Althoffs Betreiben den preußischen Adel und im selben Jahr für seine Entdeckung des Diphterie-Heilserums den ersten Nobelpreis für Medizin. Althoff hatte Behring mit der Versetzung nach Marburg aus unerträglichen Unterordnungsverhältnissen der Berliner Koryphäen Robert Koch und Ernst von Bergmann be­freit.“9 Über die wissenschaftliche Kariere von Gustav Schmoller wird berichtet: „Immerhin hatte er schon als Zweiundzwanzigjähriger eine bemerkenswerte und preisgekrönte Dissertation zur Geschichte der ökonomischen Theorie in der Zeit der Reformation vorgelegt, zudem war er durch seine wirtschaftsstatistischen Arbeiten inzwischen auch als praktisch versierter Staatswissenschaftler bekannt geworden, so dass er im Jahr 1864 – übrigens ohne sich habilitiert zu haben – auf den angesehensten Lehrstuhl für Kameral- und Staatswissenschaften an der Universität Halle berufen wurde.10 Man könnte die genannten und vielleicht auch andere Beispiele zum Anlass nehmen, einen Merksatz zu formulieren, 9  vom

Brocke, Bernhard, S.  424 / 425. Hans-Christof, Nachwort zu Gustav Schmoller, Über die „Gedanken und Erinnerungen“ von Otto Fürst von Bismarck, Berlin 2010, S. 32. Gustav Schmoller, geboren 1838, promovierte mit seiner Arbeit „Die nationalökonomischen Ansichten in Deutschland während der Reformation“ (veröffentlicht Tübingen 1860); er wurde später an die Universität Straßburg berufen und folgte wiederum später einem Ruf an die Friedrich-WilhelmsUniversität zu Berlin. 10  Kraus,



II. Kritik an der Habilitation63

der da lautet: „Ein Genie muss sich nicht habilitieren.“ Nur: Wer ist schon in jüngeren Jahren und gar nach Ansicht seiner Kollegen und Kolleginnen ein Genie? Immerhin bleibt bemerkenswert, dass Berufungen von Nichthabilitierten nicht nur zur Zeit eines Althoff und Behring vorkamen, sondern auch sehr viel später. Dass allerdings ein Lehrstuhlinhaber ohne Habilitation auch in neuerer Zeit nichts Alltägliches ist, zeigt die Tatsache, dass für eine solche Berufung sogar der Ausdruck „Sensation“ gebraucht worden ist – so geschehen im Fall des Steuerrechtlers Klaus Tipke: „Klaus Tipke war der jüngste Finanzrichter in der jungen Bundesrepublik und er wurde, nicht nur eine Sensation damals, direkt vom Vorsitzenden-Richter-Stuhl am Hamburger Finanzgericht als Steuerrechtler an die Universität Köln berufen – eine Sensation deshalb, weil Tipke nicht habilitiert war.“11 II. Kritik an der Habilitation 1. Anfänge der Kritik Es konnte nicht ausbleiben, dass das inzwischen vor mehr als einhundert Jahren eingeführte System der Habilitation mehr als einmal in das Fadenkreuz der Kritik geraten würde12, dies nicht erst 1968 und nicht nur in Deutschland. 11  Prantl, Heribert, Gerechtigkeit als Lebensinhalt. Klaus Tipke – erfolgreicher Kläger, in: SZ Nr. 58 v. 10.3.2004, S. 2 (es ging um Tipkes erfolgreiche Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht gegen die Spekulationssteuer). 12  Eine Aufzählung und zutreffende Widerlegung der Kritikpunkte bringt der damalige Vorsitzende des Philosophischen Fakultätentages, Grimm, Reinhold, in: Die Habilitation – notwendige Voraussetzung für den Hochschullehrerberuf? Pro, in: Forschung & Lehre 1998, S. 466; die Contra-Position vertritt dort Winnacker, Ernst-Ludwig [S. 467]). – Siehe aber auch das Streitgespräch zwischen Lothar Gall und Max Kaase auf dem 44. Hochschulverbandstag des Deutschen Hochschulverbandes in Rostock zur Frage: Brauchen wir die Habilitation? Bericht von Hartmer, Michael, Wie organisiert man Kreativität? Ein Streitgespräch über Sinn und Unsinn der Habilitation, in: Forschung & Lehre 1994, S. 183 f.

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

Schon 1962 erschien eine Abhandlung von Bruno Dechamps unter der Überschrift „Von den Schwierigkeiten der Habi­ litation“,13 Schwierigkeiten, die Dechamps unter anderem darin sah, dass die Habilitationsväter (so sein Ausdruck) „großen Versuchungen ausgesetzt“ seien, „die Abhängigkeit (gemeint war: der Habilitanden, d. Verf.) auszunutzen“.14 Der in England lebende griechische Rechtsvergleicher Sir Basil Markesinis, der auf eine intensive Erfahrung mit englischen Universitäten zurückblicken kann („Meine 20 Jahre in Cambridge und Oxford – fünf davon als Inhaber von zwei Lehrstühlen in Oxford“15), charakterisiert die deutsche Habilitation so: „Schließlich muss, glaube ich, das Fehlen einer lang andauernden Partnerschaft zwischen dem älteren und erfahreneren Gelehrten und dem jungen Nachwuchswissenschaftler in England erwähnt werden, eine Beziehung, die in Deutschland erst durch die Promotion und die furchteinflößende Habilitation gefördert wird.“16 2. Zu hohes Alter der Habilitierten? Was könnte die Habilitation zu einer „furchteinflößenden“ Erscheinung und damit zu einer nicht „guten Wissenschaft in der Praxis“ machen? Beklagt wird das (zu) hohe Alter, in dem die Habilitation erfolgt, konkret: das Alter, in dem das Habilitationsverfahren in der Regel abgeschlossen worden ist.17 „Der Nachwuchs an deutschen Hochschulen ist ergraut, bevor er die Chance erhält, Professor zu werden. 13  Dechamps, Bruno, Von den Schwierigkeiten der Habilitation, in: FAZ Nr. 185 v. 11.8.1962 (Ereignisse und Gestalten). 14  Dechamps, Bruno. 15  Markesinis, Basil, Rechtsvergleichung in Theorie und Praxis. Ein Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Methodenlehre, München 2004, S. 18. 16  Markesinis, Basil, S. 19. 17  Auf die Tatsache, daß „die Diskussion um das Alter der Habilitanden bisher zumeist zu undifferenziert geführt worden ist“, weist hin Hübner, Horst, Viel zu spät? Einige Anmerkungen zum Habilitationsalter, in: Forschung & Lehre 1998, S. 396 f.



II. Kritik an der Habilitation65

Das mittlere Habilitationsalter liegt bei 40, ja sogar bei 41 Jahren, und wer habilitiert ist, muß auf einen Ruf warten. Wer Glück hat, erfährt die Gnade der späten Berufung nach ein, zwei weiteren Jahren; wer Pech hat, wartet vergebens.“18 Wie muss eine Bestandsaufnahme des Habilitationsalters – diese immer unter dem Vorbehalt einer Generalisierung – aussehen? Zunächst lässt sich feststellen, dass die Altvorderen erheblich früher habilitiert wurden, als dies heute der Fall ist. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Ein akademischer Lebenslauf wie der des am 16. August 1772 geborenen, späteren Professors der Rechte Anton Bauer, wäre heute wohl kaum denkbar: Bauer wurde am 7. September 1793 – also mit 21 Jahren (!) – zum Dr.iur. promoviert und am selben Tage (!) für die Fächer Privatrecht und Wechselrecht habilitiert.19 Bei diesem Beispiel fällt nicht nur das jugendliche Alter des Habilierten auf, sondern auch der fehlende zeitliche Abstand zwischen Promotion und Habilitation. Dies hat sich in der späteren Zwischenzeit z. T. dramatisch geändert. Zwar promovierte und habilitierte sich Niklas Luhmann im selben Jahr (1966) – aber dies war ein Ausnahmefall, wie Luhmann selbst ja eine Ausnahmeerscheinung darstellte. Ausnahmeerscheinungen im Sinne von wissenschaftlichen Koryphäen sind aber auch die in jungen Jahren habilitierten Jürgen Mittelstrass (habilitiert mit 32 Jahren) und Wolfgang Frühwald (habilitiert mit 34 Jahren); bei beiden lagen zwischen Promotion und Habilitation immerhin etliche Jahre: bei Mittelstrass sieben Jahre (Promotion 1961, Habilitation 1968), bei Frühwald sogar acht Jahre (Promo­ 18  Reumann, Kurt, Stein des Anstoßes: die Habilitation. Wie die Universitäten ihren Nachwuchs schneller qualifizieren sollen, in: FAZ Nr. 290 v. 14.12.1998, S. 14. Reifner, Udo, Juristenausbildungsdiskussion, S. 44, kritisiert die gängige Habilitation „im zarten Alter von 45 Jahren“. 19  Bloy, René, Anton Bauer (1772–1843) und seine Mitwirkung an der Entstehung des Criminalgesetzbuches für das Königreich Hannover von 1840, in: Fritz Loos (Hrsg.), Rechtswissenschaft in Göttingen, S. 190 ff. (190). Anton Bauer wandte sich später dem Straf- und Strafprozessrecht zu; s. dazu Bloy, René, S. 193 ff.

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

tion 1961, Habilitation 1969). Dagegen wurde der Mediävist Erich Genzmer am 3. August 1921 in Berlin promoviert und schon am 14. März 1922, also binnen Jahresfrist, dort habilitiert.20 Für Juristen lässt sich „über den Daumen gepeilt“ sagen, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit unter 30 Jahren habilitiert wurde, danach mit über 30 – hierfür wieder einige Beispiele: Rudolf von Laun (1882 geboren, 1908 habilitiert); Walter Jellinek (1885 geboren, 1912 habilitiert); Hans Carl Nipperdey (1895 geboren, 1920 habilitiert); Walter Hallstein (1901 geboren, 1929 habilitiert); Ernst E. Hirsch (1902 geboren, 1929 habilitiert); Eugen Ulmer (1903 geboren, 1929 habilitiert); Max Kaser (1906 geboren, 1931 habilitiert); Franz Wieacker (1908 geboren, 1933 habilitiert); Wilhem Ebel (1908 geboren, 1935 habilitiert). Karl Larenz wurde 1928 im Alter von 25 Jahren habilitiert, dies gegen zunächst bestehende Bedenken der Göttinger Juristischen Fakultät, weil er – übrigens ebenso wie Bismarck – nicht die Zweite Juristische Staatsprüfung abgelegt hatte.21 Einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts, Hans Kelsen, war 1881 geboren und 1911 habilitiert; und einer der bekanntesten Volkswirtschaftler des 20. Jahrhunderts, der 1883 geborene Joseph A. Schumpeter, habilitierte sich im Jahre 1909. Noch im selben Jahr wurde Schumpeter an die Universität Czernowitz berufen, um dort – in seinen eigenen Worten – „der mit 26 Jahren jüngste Professor Österreichs und Deutschlands zu werden.“22 20  Coing, Helmut, Erich Genzmer, (1893–1970), in: Bernhard Diestelkamp / Michael Stolleis (Hrsg.), Juristen an der Universität Frankfurt a. M., Baden-Baden 1989, S. 200 ff. (202). 21  Gerhards, Wolfgang, Festansprache; in: Bodo Pieroth (Hrsg.), Juristenausbildung zwischen Staat und Hochschule. Dokumenta­ tion der 100-Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Münster und des Justizprüfungsamtes Hamm, Heidelberg 2003, S.  17 ff. (24). 22  Joseph A. Schumpeter zit. bei Schäfer, Annette, Die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Joseph A. Schumpeter, Die Biografie, Frankfurt a. M. / New York, 2008, S. 78, dort auch (S. 111) ein bemerkenswertes Zeugnis seines Selbstbewusstseins: „Die meisten Kollegen und Studenten hörten irgendwann einmal den Ausspruch



II. Kritik an der Habilitation67

Um die Mitte des 20. Jahrhunderts verschiebt sich – von Ausnahmen abgesehen23 – das Habilitationsalter auf 30 und höher. Der Satz „Trau keinem über 30“ galt für Habilitierte nun nicht mehr. Glücklicherweise wurde die scherzhafte Meinung des Mathematikers Hermann Weyl nicht befolgt, die von seinem Stiefsohn, dem Schweizer Bankier Hans. J. Bär, wie folgt wiedergegeben wird: „Hermann Weyl selber war noch ein typisches Produkt des deutschen Geniekults. Er meinte allen Ernstes, man solle alle Wissenschaftler über dreißig erschlagen, danach komme nichts mehr.“24 „Danach“ kommt aber häufig doch noch einiges oder sogar vieles, wie die Karriere des 1929 geborenen und 1957 – also mit 28 Jahren habilitierten – (späteren Lord) Ralf Dahrendorf beweist.25 Beispiele für in den dreißiger Lebensjahren habilitierte erfolgreiche Wissenschaftler sind der Ökonom Ulrich Blum (1953 geboren, 1986 habilitiert); der Zivil- und Wirtschaftsrechtler und spätere Ministerpräsident des Lanvon ihm, dass er drei Ziele im Leben hätte: der beste Liebhaber Wiens, der beste Reiter Europas und der größte Ökonom der Welt zu sein.“ 23  Beispiele hierfür sind der Politikwissenschaftler Michael Th. Greven, der Islam- und Religionswissenschaftler Tilman Nagel und der Jurist Gregor Thüsing: alle drei haben sich im Alter von 29 Jahren habilitiert. 24  Bär, Hans J., Seid umschlungen, Millionen. Ein Leben zwischen Pearl Harbor und Ground Zero, 2. Aufl. Zürich 2004, S. 107. Zu Hermann Weyl schreibt Bär einleitend: „Hermann Weyl, 1913 – unverschämte 28 Jahre jung – an die ETH berufen und damit jüngster Ordinarius aller Zeiten, hatte etwa so lange in Zürich gelebt wie in Princeton (1933–1950), wo er sich auf dem Umweg über Göttingen etablierte“. – Auch Schumpeter „war fest davon überzeugt, dass das Alter zwischen 20 und 30 die wichtigste und produktivste Zeit eines Wissenschaftlers war“ (Schäfer, Annette, S. 57). 25  Dahrendorf, Ralf, Über Grenzen: Lebenserinnerungen, München 2002, S. 180: „Zur Zeit der Habilitation, 1957, war ich sozusagen wohlbestallter Assistent an der Universität des Saarlandes … Das war auch die Zeit, in der einer nach dem anderen von uns, manche früher, manche später, an die Habilitation ging. Und so geschah, was nach Lage der (deutschen) Dinge geschehen musste, wir wurden Beamte, zuerst auf Zeit, dann auf Lebenszeit.“

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

des Sachsen Kurt H. Biedenkopf (1930 geboren, 1963 habilitiert); der Völkerrechtler Dieter Blumenwitz (1939 geboren, 1970 habilitiert); der Zivil- und Insolvenzrechtler Reinhard Bork (1956 geboren, 1988 habilitiert); der Mediziner Heiner Greten (1939 geboren, 1971 habilitiert), der Öffentlichrechtler und spätere Richter des Bundesverfassungsgerichts Paul Kirchhof (1943 geboren, 1974 habilitiert); der Zivilrechtler und spätere Präsident der Bucerius Law School Hein Kötz (1935 geboren, 1970 habilitiert); der Philosoph und spätere Staatssekretär Hermann Lübbe (1926 geboren, 1956 habilitiert); der Politikwissenschaftler Herfried Münkler (geboren 1951, habilitiert 1987), der Historiker Paul Nolte (1963 geboren, 1999 habilitiert); der Historiker Julius Schoeps (1942 geboren, 1973 habilitiert); der Rechtshistoriker und zeitweilige Vorsitzende des Wissenschaftsrates Dieter Simon (1935 geboren, 1967 habilitiert) und – ebenfalls ein Rechtshistoriker – Uwe Wesel (geboren 1933, habilitiert 1968). Um bei der Prominenz zu bleiben: Andreas Voßkuhle, derzeitiger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, wurde im Dezember 1963 geboren und im Juni 1998 – also mit 34 Jahren – habilitiert, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier (1943 geboren, 1973 habilitiert) sogar schon mit 30, wenig später der Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitzende der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute“ Thomas Straubhaar (1975 geboren, 1987 habilitiert). Schaut man nicht nur auf die „Promis“, sondern auf das „Fußvolk“ der Habilitierten, so ergibt sich jedenfalls bezüglich der Mitglieder der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer folgendes Bild, das sich in vier Beobachtungen konturieren lässt: 1. Es werden nicht zu wenige, sondern – wie manche Kollegen meinen – zu viele Nachwuchswissenschaftler habilitiert26; zu beachten ist dabei, dass die Zahl der abge26  Auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Jena am 6. Oktober 2004 wurden nicht weniger als 42 neu habilitierte Mitglieder vorgestellt.



II. Kritik an der Habilitation69

schlossenen Habilitationen allgemein (also nicht nur im Staatsrecht) seit 1992 kontinuierlich zugenommen hat. Der im Jahre 2001 erreichte Höchststand von 2143 abgeschlossenen Habilitationen lag um 63 Prozent über dem Vergleichswert von 1992; die meisten Habilitationen erfolgten in der Humanmedizin vor Mathematik, Naturwissenschaften sowie den Sprach- und Kulturwissenschaften.27 2. Die weitaus überwiegende Zahl der Habilitationen im Fach Staatsrecht fand vor dem 40. Lebensjahr der Habilitierten statt, fast die Hälfte von diesen Habilitationen sogar vor Vollendung des 35. Lebensjahres;28 3. Ein späterer Zeitpunkt der Habilitation liegt zumeist in den Fällen vor, in denen der Habilitierte vorher bereits mehrere Jahre außerhalb der Hochschule beruflich tätig war29, z. B. als Referent in einem außeruniversitären Forschungsinstitut oder als Rechtsanwalt oder als Richter oder in der Öffentlichen Verwaltung oder in der Wirtschaft30 („berufsbegleitende Habilitation“); 4. Auffallend oft haben die Habilitierten heute – im Gegensatz zu den früheren Generationen – nicht nur im Ausland studiert, sondern auch im Ausland Examina abgelegt oder Praktika absolviert; auch der Abschluss eines Zweitstudiums31 ist nicht selten. Die dafür 27  Siehe Wilhelm, Rainer, Neuer Höchststand. Habilitationen 1992–2001 im Lichte der amtlichen Statistik, in: FAZ Nr. 224 v. 26.9.2002, S. 34. 28  Das diesbezügliche Zahlenmaterial wurde aus einer Sichtung der Lebensläufe der neu aufgenommenen Mitglieder der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer entnommen. 29  In einigen Fällen habilitierten sich Wissenschaftler, die bereits eine Professur – nämlich an einer Fachhochschule – innehatten. 30  Bemerkenswert ist das Beispiel der Ordinaria an der Universität Zürich (Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht) Christine Breining-Kaufmann, die vor der Abnahme ihrer Habilitationsschrift im Alter von 39 Jahren bereits rd. fünf Jahre als Direktorin an der Schweizerischen Nationalbank (Leiterin des Personaldienstes) tätig gewesen war. 31  Die Lebensläufe von im Fach Staatsrecht Habilitierten nennen als Zweitstudien z. B. Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaft oder Volkswirtschaft.

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

aufgewendete Zeit muss bei der Betrachtung des Alters im Zeitpunkt der Habilitation berücksichtigt werden. 3. Zu wenig habilitierte Frauen? Der Anteil der in den letzten Jahren im Fach Staatsrecht habilitierten Frauen entspricht nicht dem Anteil der Studentinnen, die Jura studieren. Was das Lebensalter der im Staatsrecht habilitierten Frauen betrifft, so liegt dieses bei den Nachwuchswissenschaftlerinnen mit Kindern leicht über dem durchschnittlichen Alter der männlichen Habilitierten.32 Soweit es sich um Wissenschaftlerinnen ohne Kinder handelt, ist kein signifikanter Unterschied zu den männlichen Kollegen hinsichtlich des Alters im Zeitpunkt der Habilitation erkennbar. Von den Anfang 2012 für Öffentliches Recht habilitierten Frauen war eine 33 Jahre jung, die anderen 35 Jahre. Positiv zu bewerten ist die Entwicklung dahin, dass die Zahl der weiblichen Habilitierten in diesem Fach seit einigen Jahren stetig wächst, wobei daran zu erinnern ist, dass erst im November 1932 die erste Juristin in Deutschland habilitiert wurde: Magdalene Schoch, als Schülerin des später von den NS-Machthabern verfolgten Albrecht Mendelssohn Bartholdy, für die Fächer Internationales Privat- und Prozessrecht, Rechtsvergleichung und Zivilprozessrecht, aufgrund einstimmigen Votums der Hamburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät.33 32  In den Lebensläufen der im Staatsrecht habilitierten weib­ lichen Wissenschaftlerinnen mit Kindern findet sich auffallend selten ein Hinweis auf eine Unterbrechung durch Inanspruchnahme von Elternfreizeit (vermutlich wegen der relativ freien Gestaltung der Arbeitszeit). Bei den männlichen Habilitierten ist die Inanspruchnahme von Elternfreizeit noch eine absolute Ausnahme, kommt aber immerhin in Einzelfällen schon vor. 33  Nicolaysen, Rainer, Über das couragierte Leben von Magdalene Schoch, in: Eckart Krause / Rainer Nicolaysen (Hrsg.), Zum Gedenken an Magdalene Schoch (1897–1987), Hamburger Universitätsreden n. F. 16 (2006), S. 43 ff. (50). Magdalene Schoch emigrierte 1937 aus politischen Gründen in die USA.



II. Kritik an der Habilitation71

Bei der Betrachtung des Anteils der habilitierten Frauen im Vergleich zum Anteil der habilitierten Männer sollte jedoch der Blick nicht auf das Fach Staatsrecht beschränkt bleiben. In der vom Deutschen Akademikerinnenbund herausgegebenen Zeitschrift „Konsens“ war dazu zu lesen: „Die Habilitation erfordert heute rund 6 Jahre Vollzeitarbeit und ist deshalb gerade für Frauen mit familiärer Doppelbelastung eine erhebliche Hürde. Der Frauenanteil geht an keiner Stufe der wissenschaftlichen Karriereleiter so stark zurück, wie an der Stufe der Habilitation: Frauenanteil an den Qualifikationsstufen 1999: Diplom, Juristisches Staatsexamen, Magister 43,50 %, Promotion 33,40 %, Habilitation 17,70 %, Professuren 9,80 %.“34 Erfreulicherweise ist jedoch inzwischen eine insoweit positive Entwicklung im Sinne einer steigenden Tendenz eingetreten. Schon im Jahre 2005 konnte unter der Überschrift „Anteil der habilitierten Wissenschaftlerinnen auf Rekordniveau“ dazu berichtet werden: „Immer mehr Frauen in Deutschland streben eine Karriere an der Universität an. Von den 2004 habilitierten Wissenschaftlern waren 23 Prozent Frauen. Das ist neuer Höchststand und doppelt so viel wie 1993.“35 Die bekannte Kulturwissenschaftlerin und Professorin für Anglistik und Ameri34  Beitrag in der Sparte Wir mischen uns ein. Hochschulrecht, in: Konsens 18. Jg. (2002), H. 4 S. 32 ff. (33). – Erwähnenswert ist, dass der oft als „konservativ“ bezeichnete Deutsche Hochschulverband in der von seiner Delegiertenversammlung am 25.3.1995 in Mannheim verabschiedeten Resolution zur Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses gefordert hat: „Die Habilitation von Frauen ist in besonderer Weise zu fördern, um die durch Fami­ liengründung und Kindererziehung bedingten Verzögerungen ­auszugleichen.“ (Abdruck in: Forschung & Lehre 1995, S. 265). 35  Notiz Anteil der habilitierten Wissenschaftlerinnen auf Rekordniveau, in: DIE WELT v. 11.6.2005, S. 2, auch mit den Informationen, dass 2004 an deutschen Hochschulen 2283 Wissenschaftler habilitierten, die meisten in der Humanmedizin (40 %), gefolgt von Mathematik, Naturwissenschaften sowie Sprach- und Kulturwissenschaften. – Tipps von Professorinnen an Nachwuchskolleginnen in: „Niemals den Mut verlieren“. Die Professorinnen der Friedrich-Schiller-Universität im Portrait. Nachrichten, in: UniJournal Jena 05 / 12, S. 8.

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kanistik Aleida Assmann kommentierte in einem Interview die Information, dass es an ihrer Universität (Konstanz) etwa 54 Prozent weibliche Studierende gebe, aber nur 32 Prozent der wissenschaftlichen Stellen mit Frauen besetzt seien, so: „Die Gleichstellung ist ein langwieriger Prozess. In meinem Fach gibt es zum Beispiel ausgezeichnete Magister-Abschlüsse und Promotionen von Frauen, aber den Sprung in die Habilitation wagen viele nicht … Ich persönlich halte aber nichts von einer Frauenquote.“36 Kaum vorstellbar ist jedenfalls eine Frauenquote für das Fach katholische Theologie: Als erste Frau der Welt habilitierte sich in diesem Fach 1969 Uta Ranke-Heinemann; sie wurde 1970 auf eine Professur berufen. Die erste Frau, die sich in Deutschland in evangelischer Theologie habilitiert hatte, war Hanna Jursch, die 1956 auf den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena berufen wurde. 4. Neuere Tendenzen Eine Bewertung der Institution Habilitation kann zunächst davon ausgehen, dass in unregelmäßigen Abständen immer wieder die Abschaffung der Habilitation gefordert wird. Sehr anschaulich schilderte Kurt Reumann 1998 diese Zyklen so: „So könne es nicht weitergehen, hört man seit dreißig Jahren, und alle fünf Jahre kulminiert die Empörung im Schrei nach Abschaffung der Habilitation. Jetzt ist es wieder so weit: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft verlangt, den ‚alten Zopf abschneiden‘, die Hochschulrektorenkonferenz schlägt vor, daß an die Stelle der Habilitation andere Leistungen treten sollten, und die neue Bundesforschungsministerin Bulmahn führt sich mit dem Verdikt ein: ‚Meiner Meinung nach gibt es gute Gründe, künftig ganz auf die Habilitation zu verzichten‘.“37 36  Interview: Professorin mit fünf Kindern, in: SZ Nr. 295 v. 22. / 23.12.2007, S. V2 / 1. Das Interview mit Aleida Assmann führte Isa Hoffinger. 37  Zit. bei Reumann, Kurt, S. 14.



II. Kritik an der Habilitation73

Eine Bundesforschungsministerin Bulmahn gibt es nicht mehr – die Habilitation gibt es immer noch. In der Tat wäre es eine absolut falsche Entscheidung, die Habilitation abzuschaffen; denn alle Argumente, die gegen die Habilitation vorgebracht werden, sind letztlich nicht überzeugend. Das gegen die Habilitation immer wieder angeführte Hauptargument des zu hohen Alters der zum ersten Mal auf eine Professur Berufenen übersieht mehrerlei. Wenn z. B. der damalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Klaus Landfried beklagt, dass heute ein Professor bei der Berufung auf seine erste Stelle mit durchschnittlich 40 Jahren im internationalen Vergleich zu alt sei38, so muss darauf hingewiesen werden, dass der Zeitpunkt der Berufung nicht identisch ist mit dem Zeitpunkt der Habilitation: Ein frisch Habilitierter kann – je nach seiner fachlichen Qualifikation und je nach der Lage auf dem Stellenmarkt – sehr schnell einen Ruf erhalten; es gibt aber auch viele Fälle, in denen aus ebenso verschiedenen Gründen die Berufung auf eine Professur erst etliche Jahre nach der Habilitation erfolgt. Nicht unberücksichtigt bleiben darf auch die Tatsache, dass viele Habilitanden heute – anders als in früheren Zeiten – bis zum Abschluss ihrer Habilitation sich nicht nur auf die Arbeit an der Habilitationsschrift konzentrieren und beschränken, sondern zwischenzeitlich entweder für eine gewisse Zeit ins Ausland gehen oder einer beruflichen Tätigkeit und damit der Gewinnung von Erfahrung aus dem Berufsleben außerhalb der Hochschule nachgehen. Schließlich ist auch zu erwarten, dass mit der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre39, mit der Aussetzung der Wehrpflicht und mit (hoffentlich) erfolgreichen Bemühungen um eine Verkürzung der Dauer des Studiums die Ausbildungszeit insgesamt verkürzt wird. 38  Zit. im Bericht Die Habilitation soll an Bedeutung verlieren. Hochschulrektorenkonferenz findet deutsche Professoren zu alt, in: DIE WELT v. 7.7.1999, S. 15. 39  Verf. macht keinen Hehl daraus, dass er die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur für eine – auch im internationalen Vergleich – richtige Entscheidung hält.

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5. Organisatorische Mängel Organisatorische Mängel im Verfahren selbst, z. B. schon in Promotionsverfahren die nicht selten skandalös lange Zeitdauer zwischen Abgabe der Dissertation und der Erstellung des Erstgutachtens, oder die in manchen Habilitationsverfahren überlange Zeitdauer zwischen Einreichung der Habilitationsschrift und dem Termin des Habilitationsvortrages, müssen abgestellt werden40; jedenfalls sollten aber solche Mängel nicht der Habilitation als solcher angelastet werden, sondern der unzureichenden Organisation des Verfahrens.41 Zu „guter Wissenschaft“ in der Praxis gehört eben auch eine gute Wissenschaftsorganisation. Einen kaum glaublichen Fall des Gegenteils von guter Wissenschafts­ organisation schildert der Tatbestand einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster aus dem Jahre 2004: „Der Vollstreckungsgläubiger reichte 1981 seine Habilitationsschrift bei der Vollsteckungsschuldnerin, der Universität, zur Durchführung des Habilitationsverfahrens ein, welche die Vollstreckungsschuldnerin eröffnete. Nach Einholung verschiedener Gutachten geriet das Habilitationsverfahren ins Stocken. Auf entsprechende verschiedene gerichtliche Verpflichtungen wurde das Habilitationsverfahren fortgesetzt. Zuletzt wurde die Vollstreckungsschuldnerin im Dezember 2002 durch rechtskräftiges Urteil verpflichtet, den Vollstreckungsgläubiger binnen vier Monaten zum Habili­ tationsvortrag mit anschließendem Kolloquium vor den Habilitationsausschuss zu laden. Nachdem die Ladung im April 2004 erfolgte, der Habilitationsausschuss aber infolge nur einiger erschienener Mitglieder nicht beschlussfähig war, 40  So schon Dechamps, Bruno: „Schließlich ist es eine alte Klage, daß die Habilitationsverfahren, zumal die Prüfung der Arbeit, unnötig lange ausgedehnt werden. Diese Erschwerung sollte sich ohne große Mühe durch institutionelle Änderungen beseitigen lassen.“ 41  Aus der Erfahrung eines Mediziners: „So geht mehr als ein Jahr verloren, nicht wegen der Habilitation als solcher, sondern nur wegen fehlender Organisation“ (Kaltenbach, Martin).



II. Kritik an der Habilitation75

beantragte der Vollstreckungsschuldner für den unbekannten nächsten Termin Androhung eines Zwangsgelds“.42 Das Verfahren dauerte also in diesem Fall – gewiss einem Ausnahmefall – mehr als zwanzig (!) Jahre. 6. Der Vorwurf der Abhängigkeit Mehr aus einer ideologischen Ecke kommt der Vorwurf, der in der Habilitation „eine Art „zünftlerisches Steuerungsinstrument“ der Professoren aus vergangenen Zeiten sieht, als „damit der Zugang zu den einst lukrativen Hörergeldern kartellmässig beschränkt wurde“,43 sowie der Vorwurf der Abhängigkeit des Habilitanden. Die Hörergelder sind aber seit Jahrzehnten abgeschafft, und das, was als „zünftlerische Steuerung“ gesehen wird, ist Teil der vom Grundgesetz gewährleisteten Autonomie der Hochschulen: die korporative Eigenbestimmung über die Zusammensetzung des Lehrkörpers. Was die beklagte Abhängigkeit44 betrifft, so zeigt die große Zahl der jährlichen Habilitationen45, dass diese Ab42  VG Münster, Beschluss v. 3.5.2004, in: WissR 2005, S. 271 / 272. – Dass Habilitationsverfahren aber auch zügig abgewickelt werden zeigt das Verfahren im Fall des Verf.: Meine Habilitationsschrift habe ich am 20.11.1962 eingereicht, am 27.2.1963 war das Verfahren abgeschlossen. 43  Albrecht Ritschl auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung, zit. bei Demm, Eberhard, Dr. Hoffnungslos. Was Hochschullehrer Schönes im Ausland erwartet, in: DIE WELT v. 22.10.2001, S. 29. 44  In der Belletristik liest sich der Dialog zwischen der Lebensgefährtin eines Habilitanden und diesem, geschildert in der Situa­ tion vor einer Vorlesung des Habilitationsrates, so: „Mein Gott, der große Wisent kann doch seine Vorlesung wohl auch mal ohne dich abhalten.“ „Aber ohne ihn kann ich meine Habilitation vergessen.“ „Habilitationssklave, das paßt zu Dir. Dabei sind wir dabei, die Habil abzuschaffen und demnächst auch die Promotion. Alles tausendjähriger Muff.“ „Hör jetzt auf mit dem Unsinn, laß uns gehen.“ (Sophie Dannenberg, Das bleiche Herz der Revolu­ tion. Roman, Berlin 2004, S. 44 / 45). 45  Zur Anzahl der Habilitanden und zur Nachwuchssituation im Blick der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer berich-

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hängigkeit in der Praxis weit weniger als drückend empfunden wird als von den Kritikern angenommen. Volker Rieble beschreibt sogar eher das Gegenteil von Abhängigkeit, wenn er feststellt: „Den Mut, mittelmäßigen Nachwuchswissenschaftlern durch Versagung der Habilitation das Ende der Karriere zu bedeuten und Forschungsjahre mit einem Federstrich zu entwerten, diesen Mut bringt heute kaum eine Fakultät auf.“46 Für strenge Maßstäbe hatte sich übrigens schon vor mehr als fünfzig Jahren Bruno Dechamps ausgesprochen, dies mit der zutreffenden Feststellung: „Denn es gibt auf dem Wege zum Ordinariat nur zwei Sperren, die Habilitation und die Berufung.“47 7. Der Nutzen der Habilitation Tragender Pfeiler des Habilitationsverfahrens ist die Einreichung und Annahme der Habilitationsschrift. Allein schon wegen der Habilitationsschrift ist die Institution der Habilitation höchst sinnvoll. Die Anfertigung der Habilitationsschrift ist die oft einmalige Chance und Verpflichtung, tete deren damaliger Vorsitzender Helmuth Schulze-Fielitz auf der Mitgliederversammlung in Graz am 7.10.2009: „Derzeit gebe es etwa 45 Privatdozenten, die sich auf freie Stellen bewerben würden und nicht dauerhaft an der Universität beschäftigt seien, und mindestens 85 Habilitanden. Diesen mehr als 130 Bewerbern stünde bis zum Jahr 2013 höchstens 50 aus Altersgründen frei werdende Stellen gegenüber“ (Bericht des Vorstandes. Protokoll der Mitgliederversammlung Pkt. 4). 46  Rieble, Volker, Der PD muss früher aussortiert werden. Hat das akademische Prekariat wirklich einen Namen? Stefan Laubes Rettungsversuch für die Privatdozenten führt in eine nicht mehr zeitgemäße Versorgungsmentalität, in: FAZ Nr. 51 v. 29.2.2012, S. N 5, auch mit der Bemerkung, es seien „die Ansprüche an die Habilitation im Zeitalter der Massenuniversität gesunken: Wirklich originelle Köpfe bringt diese so selten wie früher hervor.“ Kaube, Jürgen, Thema verfehlt. Pädagogen wehren sich gegen die Ökonomisierung von Bildung, in: FAZ Nr. 237 v. 12.10.2005, S. 41 kritisiert „das verantwortungslose Habilitieren von Jedermann.“ 47  Dechamps, Bruno.



II. Kritik an der Habilitation77

sich mit einem wesentlichen Fragenkomplex gründlich zu beschäftigen. Die Habilitationsschrift, nach der Dissertation das zweite Buch, das der Habilitand vorzulegen hat, ist die große Monographie, von deren Inhalt nicht nur der Habilitierte selber auch später immer wieder zehren kann. Zutreffend hat Horst Brunner dazu ausgeführt: „Nie wieder hat ein vergleichsweise junger Mensch so viel Zeit und Muße, sich zur Forscherpersönlichkeit zu entwickeln, seine Ideen umzusetzen, Lehrerfahrungen zu erwerben, wie während der Habilitationsphase; die Habilitationsschriften sind häufig die entscheidenden Monographien, über die geisteswissenschaftliche Fächer verfügen.“48 Wenn demgegenüber in Bezug auf Habilitationsschriften im Fach Rechtswissenschaft moniert worden ist, es würden Habilitanden „fünf oder mehr Jahre auf Staatskosten mit einer Habilitationsarbeit betraut, deren praktische Themenrelevanz niemand in­te­res­ sier­te“49, so ist diese Kritik in dieser Allgemeinheit schlicht unzutreffend. Nicht wenige Habilitationsschriften sind längst Klassiker, und auf nicht wenige Habilitationsschriften trifft das zu, was zu der 1965 veröffentlichten, nach kurzer Zeit vergriffenen und in 2. Auflage 1991 neu erschienenen Habilitationsschrift von Hans Heinrich Rupp „Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre. Verwaltungsnorm und Verwaltungsrechtsverhältnis“ bemerkt worden ist, nämlich dass sie „Lehre und Rechtspraxis nachhaltig beeinflußt hat“. Die 48  Brunner, Horst, Nicht die Habilitation, sondern die Promotion ist zu langwierig, in: FAZ Nr. 183 v. 10.8.1998, S. 6. – Ärgerlich ist oft nur der hohe Preis einer Habilitationsschrift, wofür aber weder die habilitierende Fakultät noch der / die Habilitierte verantwortlich ist, sondern die Kalkulation des Verlages. Zu einer ungewöhnlich preisgünstigen Habilitationsschrift s. Ladeur, Karl-Heinz, Prof. Dr. Jürgen Schwabes Abschiedsvorlesung an der Universität Hamburg: „Gegenstand seiner in Gießen vorgelegten Habilita­ tionsschrift waren ebenfalls „Probleme der Grundrechtsdogmatik“ (1977), die im Selbstverlag vertrieben worden ist … Durch den niedrigen Preis (15 DM, und damit unter 10 % des heute Gängigen) ist dies wahrscheinlich die meistgekaufte Habilitationsschrift geworden“ (NordÖR 2004, S. 193). 49  Reifner, Udo, S. 44.

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Habilitationsschrift von Peter Häberle „Öffentliches Interesse als juristisches Problem“ erschien – 35 Jahre nachdem die erste Auflage vergriffen war – 2006 in einer neuen Auflage.50 Ein in einem sog. „Krisenbericht“ zum Fach Germanistik genanntes Beispiel dafür, mit welchem „Gaga“ man angeblich heute in diesem Fach habilitiert werden könne, hat Thomas Anz überzeugend widerlegt.51 Bedenklicher als jener unberechtigte Tadel muss dagegen Kritik von Nachwuchswissenschaftlern am Nutzen der Habilitation überhaupt stimmen. Eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft angeregte Umfrage unter ehemaligen Stipendiaten der DFG ergab, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Habilitation „nur noch als Ritual betrachtet, da die eigentliche wissenschaftliche Qualifizierung auf anderen Wegen geschehe“; allerdings zeigt sich hinsichtlich der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen ein unterschiedliches Bild: „Während in den Geistes- und Sozialwissenschaften nur 28 Prozent der Kritik an der Habilitation zustimmen, liegt der Anteil in Biologie / Medizin sowie in den Naturwissenschaften dagegen wesentlich höher.“52 Der Sicht der Habilitation als bloßes „Ritual“ wird man kaum folgen 50  Häberle, Peter, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1. Aufl. Bad Homburg v. d. H. 1969; 2., um einen Nachtrag ergänzte Auflage Berlin 2006. 51  Anz, Thomas, Buhmann der Nation? Eine kleine Verteidigung der Germanistik, in: FAZ Nr. 228 v. 30.9.2004, S. 35: Das in dem „Krisenbericht“ mit einem falschen Titel zitierte Werk (richtig: „Körperströme und Schriftverkehr“) wurde von Albrecht Koschorke verfasst, der 2003 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft den Leibniz-Preis erhielt. 52  Müller, Vera, Wissenschaft und Karriere. Ergebnisse einer Umfrage unter ehemaligen DFG-Stipendiaten, in: Forschung & Lehre 2005, S. 424, mit dem Hinweis: „Die aktuelle Studie von Jürgen Enders und Alexis-Michel Mugabushaka ‚Wissenschaft und Karriere. Erfahrungen und Werdegänge ehemaliger Stipendiaten der DFG‘ wurde im Auftrag der DFG vom Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung der Universität Kassel erstellt. Sie ist in der Reihe „Werkstattberichte“, Band 64, erschienen.“



II. Kritik an der Habilitation79

können53; dagegen sind Unterschiede zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen hinsichtlich des Nutzens der Habilitation in der Tat wohl nicht ausgeschlossen. Jedenfalls für die Geisteswissenschaften ist die Habilitation eine in hohem Maße sinnvolle Leistung; die Habilitation gehört wie der Literaturwissenschaftler Horst Brunner zutreffend formuliert, „zu den vernünftigsten Einrichtungen, die unsere Universitäten entwickelt haben“.54 Zur Gründlichkeit der Verfahren hat immerhin ein so kritischer Geist wie der Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis festgestellt: „Man wird kaum einen Berufungs- oder Habilitationsmodus ersinnen können, der eine größere Gewähr für reifliche Beratung bietet als der deutsche“.55 Dieser generelle Befund schließt allerdings Enttäuschungen oder Fehlentscheidungen in Einzelfällen nicht aus.56 53  Bemerkenswert ist auch das Umfrageergebnis insoweit, als 64 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass es in Deutschland an einer ausreichenden materiellen Unterstützung für den wissenschaftlichen Nachwuchs fehle (wiedergegeben bei Vera Müller), bemerkenswert deshalb, weil es sich bei den Befragten um DFGStipendiaten, also um materiell privilegierte Nachwuchswissenschaftler, handelt. 54  Brunner, Horst, S.  6. Zu mehr Vorteilen als Nachteilen s. auch von Münch, Ingo, Wie wird man Professor? Der Weg dorthin – die Habilitation – ist oft kritisiert worden, in: DIE ZEIT Nr. 50 v. 10.12.1982, S. 33 f. (34). 55  Hennis, Wilhelm, Die deutsche Unruhe. Studien zur Hochschulpolitik, Hamburg 1969, S. 74. 56  Ein Beispiel eines solchen Falles schildert autobiographisch Kronstein, Heinrich, Briefe, S. 124 / 125 bezüglich seiner in Heidelberg abgelehnten Habilitationsschrift. – Zur gescheiterten Habilitation von Walter Benjamin und zur gescheiterten Berufung von Peter Szondi nach Frankfurt am Main (in beiden Fällen wegen Widerstandes von Theodor Adorno) siehe Jäger, Lorenz, Peter Szondi und Frankfurt, in: FAZ Nr. 154 v. 6.7.2005, S. N 3, unter Hinweis auf Klaus von See. Zu der „legendären Habilitationsakte“ Friedrich Kittlers s.  Kaube, Jürgen, Spucken hilft nicht, Herr Kollege! Friedrich Kittlers Buch „Aufschreibesysteme“ gilt heute als Klassiker der Medientheorie. 1982 aber wurde seine Wissenschaftlichkeit bezweifelt. Jetzt liegen die Habilitationsakten im „Fall Kittler“ offen, in: FAZ Nr. 96 v. 24.4.2012, S. 25.

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

8. Pläne zur faktischen Abschaffung der Habilitation An die gewachsene und sinnvolle Einrichtung der Habilitation wurde die Axt angelegt, als Edelgard Bulmahn versuchte, ihre eigenwilligen Vorstellungen als Bundesbildungsministerin durchzusetzen. Schon in der Bundestagsdebatte über den Bundesbericht Forschung 2000 in der Sitzung vom 25. Januar 2001 forderte sie im Zusammenhang mit dem Ziel, Deutschland wieder zu einem attraktiven Forschungsstandort zu machen: „Lassen Sie uns dazu den alten Zopf der Habilitation abschneiden“.57 Bulmahn beließ es nicht bei dieser haarigen Ankündigung: Mit dem von ihr initiierten Fünften Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften (5. HRGÄndG) vom 16. Februar 200258 wurde die neu eingeführte Juniorprofessur als maßgebliche Qualifizierungsmöglichkeit für eine Professur bestimmt und damit an Stelle der Habili­ta­tion zur Regelvoraussetzung für die Berufung in ein Professorenamt gemacht. Bulmahn wollte also, wie dazu zutreffend bemerkt wurde, ein „faktisches Verbot der Ha­­bilitation“59 durchsetzen, oder – milder geurteilt – die H ­ abilitation total entwerten. Sachliche Einwände – z. B. des Allgemeinen F ­ akultätentages, der schon früh entschieden gegen das indirekte Verbot der Habilitation protestiert hatte60 – ließ die Ministerin nicht gelten: „Ihre Beratungsresistenz ist geradezu legendär.“61 57  Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 146. Sitzung v. 25.1.2001, S. 14250 (D). Das Protokoll vermerkt dazu: „Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN“. – Vorausgegangen war der problematische Bericht einer Sachverständigenkommission zur „Reform des Hochschuldienstrechts“ unter dem Vorsitz des damaligen Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin Hans Mayer; zu diesem Bericht s. Erche, Bettina, Wunderknaben gesucht. Hochschulexperten evaluieren die „Juniorprofessur“, in: FAZ Nr. 167 v. 21.7.2000, S. 43. 58  BGBl. 2002 I, S. 693. 59  So Schmoll, Heike, Eigene Lebenserfahrungen zur Richtschnur für andere machen. Bundesbildungsministerin Bulmahn, in: FAZ Nr. 174 v. 29.7.2004, S. 3.



III. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts81

III. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Dem Bundesverfassungsgericht ist es zu verdanken, dass der Axtschlag gegen die Habilitation – konkret: deren faktische Abschaffung – gestoppt worden ist. Vorreiter der Klage gegen die 5. Novelle zum Hochschulrahmengesetz war das Land Thüringen, das schon früh ein Normenkontrollverfahren gegen das Hochschulrahmengesetz in seiner geänderten Fassung ankündigte62; die Begründung wurde wie folgt wiedergegeben: „Die faktische Abschaffung der wissenschaftlichen Assistenten, an deren Stelle die Juniorprofessuren treten sollen, und die faktische Abschaffung der Habilitation gingen an die Wurzeln des Systems und änderten nicht nur das bereits bestehende Hochschulwesen. Vielmehr sei die faktische Abschaffung der Habilitation ein Eingriff in die Selbstverwaltungsbefugnis der Hochschulen“. Nachdem der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel Bundespräsident Johannes Rau vergeblich gebeten hatte, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, klagte die Landesregierung gemeinsam mit den Landesregierungen von Sachsen und Bayern gegen das Gesetz – mit Erfolg; denn mit Urteil vom 27. Juli 2004 hat das Bundesverfassungsgericht das Fünfte Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes wegen Überschreitung der Rahmengesetzgebungsbefugnis des Bundes für nichtig erklärt.63 6061

60  Stellungnahme des Präsidenten Prof. Dr. Reinhold Grimm. Allgemeiner Fakultätentag spricht sich gegen Abschaffung der Habilitation aus, in: Pressemitteilung der Friedrich-Schiller-Universität Jena v. 8.5.2001. – Siehe auch die schon früheren Stellungnahmen in der Dokumentation „Die Fakultätentage zur Habilitation“, in: Forschung & Lehre 2000, S. 62 f., S. 408 f. 61  Schmoll, Heike, S. 3. Kritik auch vom Historiker Manfred Hildermeier: „Faktisch wird, wenn die Juniorprofessur zum Normalweg der Qualifikation zum Hochschullehrer wird, eine ganze Generation bereits Habilitierter vor die Tür gesetzt“ („Eine ganze Generation wird vor die Tür gesetzt“. Vor dem 44. Historikertag: Manfred Hildermeier über den Zustand deutscher Geschichtsforschung [Interview], in: DIE WELT v. 9.9.2002, S. 27). 62  Nachrichten: Thüringen klagt gegen Juniorprofessur, in: Forschung & Lehre 2002, S. 3.

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F. Die Habilitation – sinnvoll oder überflüssig?

In den Entscheidungsgründen führt das Bundesverfassungsgericht u. a. aus: „Die mit der Veränderung der Personalstruktur verfolgten Ziele des Bundesgesetzgebers liegen in der Senkung des Erstberufungsalters der Professoren sowie in der Verringerung persönlicher und fachlicher Abhängigkeit (vgl. BT – Dr 14 / 6853, S. 1, 14). Der Bund hat im Gesetzgebungsverfahren nicht hinreichend dargelegt, dass hierfür die Einführung der Juniorprofessur unter gleichzeitiger faktischer Abschaffung der Habilitation nach verständiger Betrachtung unentbehrlich und der einzig mögliche Weg ist.“64 63

Nun gibt es also glücklicherweise wieder die Habilitation in ihrer herkömmlichen bewährten Bedeutung, aber auch Juniorprofessoren und Juniorprofessorinnen. Beides sind keine unvereinbaren Gegensätze; denn es gibt Anzeichen dafür, dass nicht wenige „Junioren“ zugleich – wozu ihnen vielfach geraten wird – eine Habilitation anstreben.65 Ob sich in ferner Zukunft die Einrichtung der Habilitation und die Etablierung von Juniorprofessuren zusammenrütteln oder aber auseinanderdriften werden, lässt sich derzeit noch nicht absehen.

63  BVerfG, Urteil v. 27.7.24, 2 BF 2  /  02, in: BVerfGE 111, S. 226 ff. = NJW 2004, S. 2803 ff. – Rechtliche Bedenken schon früher bei Epping, Volker, Konstruktionsprobleme des „Juniorprofessors“, in: WissR 2000, S. 281 ff.; ders., Erhebliche Zweifel. Der „Juniorprofessor“ auf dem rechtlichen Prüfstand, in: Forschung & Lehre 2001, S. 75 f. – Zur Frage, ob die Habilitation dem wissenschaftlichen Nachwuchs schadet und ob die Juniorprofessur besser für Ausbildung und Auswahl ist, s. Munske, Horst-Haider, Habilitation oder Juniorprofessur? Neue Wege für das gemeinsame Ziel finden, in: Forschung & Lehre 2000, S. 413 f. 64  BVerfGE 111, S. 264 = NJW 2004, S. 2808. 65  In Bezug auf bereits berufene Juniorprofessoren schrieb Schmoll, Heike, Eigene Lebenserfahrungen, schon 2004: „Sie tun allemal gut daran, lieber heute als morgen mit ihrer Habilitation zu beginnen“; s. auch dies., Warnung vor „McDonaldisierung“. Entscheidung über die Juniorprofessur, in: FAZ Nr. 172 v. 27.7.2004, S. 4: „ … daß viele Jungwissenschaftler die Habilitation vorziehen.“

G. Veröffentlichungen: eigene und fremde I. Unveröffentlichte Gedanken Für wissenschaftliche Veröffentlichungen gilt wie für alle Publikationen die Binsenwahrheit: Alles Veröffentlichte ist vorher geschrieben (dies per Hand, Schreibmaschine oder Computer), aber nicht alles Geschriebene wird veröffentlicht. Auch gibt es Fälle, die denen zwar eine Veröffent­ lichung erfolgt, aber – unverändert oder ergänzt – erst nach vielen Jahren. So blieb die von dem späteren deutschen Botschafter in Washington und Tokio Wilhelm G. Grewe im Jahre 1941 in Königsberg vorgelegte Habilitationsschrift „Epochen der Völkerrechtsgeschichte“ infolge der Kriegsereignisse unveröffentlicht, bevor sie als Grundlage des Werkes gleichen Titels 1984 erschien.1 Eine längere Zeit verging auch zwischen der Einreichung der Dissertation des Kunsthistorikers und Philosophen Edgar Wind an der Universität Hamburg und deren Veröffentlichung: Die im Jahre 1922 unter dem Titel „Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand. Ein Beitrag zur Methodologie“ vorgelegte Schrift, von Erwin Panofsky und Ernst Cassirer übereinstimmend „mit Auszeichnung“ benotet, wurde erst im Jahre 2011 – vierzig Jahre nach dem Tod des Autors – als Buch veröffentlicht.2 1  Grewe, Wilhelm G., Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984 (2. Aufl. Baden-Baden 1988). 2  Wind, Edgar, Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand. Ein Beitrag zur Methodologie der Kunstgeschichte, Hamburg 2011. Verf. verdankt diese Information dem Rezensionsbeitrag von Lüdeking, Karlheinz, Entscheidungen im Raum der möglichen Bilder. Grammatik statt Geschmack: Edgar Winds Doktorarbeit von 1922 liegt endlich als Buch vor, in: FAZ Nr. 63 v. 14.3.2012, S. 28.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

Ein solcher Fall ist aber eher ein Ausnahmefall; denn: In einem Buchmanuskript steckt so viel Arbeit, dass der Autor schon deshalb auf eine Veröffentlichung drängen wird. Anders stellt sich die Situation in Bezug auf weniger umfangreiche Manuskripte dar, etwa bezüglich von Vortragstexten oder Ähnlichem. Vermutlich gibt es kaum einen Wissenschaftler, der neben einigen oder zahlreichen publizierten Arbeiten nicht auch etliche unveröffentlichte Manuskripte in seiner Schublade liegen hat. Die Gründe für die Nicht-Veröffentlichung können verschieden sein. Vielleicht hatten wichtigere oder termingebundene andere Vorhaben Vorrang vor der Druckfertigmachung des Manuskriptes; vielleicht war ein Vortrag zunächst nur eine Gedankenskizze, die für den Zweck einer Veröffentlichung noch weiterer zusätzlicher Arbeit bedurft hätte, z. B. der Anfertigung von Fußnoten; vielleicht war inzwischen eine Parallelveröffentlichung eines anderen Wissenschaftlers erschienen, die unserem Autor den Wind aus den Segeln nahm; vielleicht hat der Autor aber auch nur einfach die Lust verloren, sich mit dem Text noch einmal zu beschäftigen. Es kann sein, dass sich unter solchen unveröffentlichten Beiträgen zur Wissenschaft einige ungehobene Schätze befinden; es kann aber auch sein, dass in der Flut von wissenschaftlichen Publikationen der nicht veröffentlichte Beitrag nicht vermisst wird. II. Die Sache mit den Verlagen Zur Freiheit der Wissenschaft gehört es, dass grundsätzlich für den einzelnen Wissenschaftler kein Zwang besteht, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Von dieser Regel gibt es jedoch nicht wenige Ausnahmen. So schreiben Promotionsordnungen hinsichtlich der Dissertation die Ablieferung einer bestimmten Anzahl von sog. Pflichtexemplaren vor. Soweit es um die Vergabe von finanziellen Mitteln von Wissenschaftsförderungsorganisationen, Stiftungen o. ä. geht, kann in Richtlinien, Vereinbarungen oder anderen rechtlichen Instrumen-



III. Der Umfang von Veröffentlichungslisten85

ten eine Veröffentlichungspflicht statuiert sein, also insbesondere bei der Vergabe von Drittmitteln. Eine rechtlich bindende, in der Praxis allerdings nicht immer eingehaltene Verpflichtung zur Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Werkes ergibt sich dann, wenn der Wissenschaftler mit einem Verlag einen Verlagsvertrag abgeschlossen hat. Die Erfahrung lehrt allerdings: Die Unterschrift unter einen Verlagsvertrag ist schnell geschrieben, das Manuskript nicht. Immerhin bedeutet die Existenz eines Verlagsvertrages, dass der Autor einen willigen Verlag gefunden hat, zu für ihn (den Autor) akzeptablen Bedingungen. Ist der Autor ein „Promi“, wie z. B. Jürgen Habermas oder Hans Küng oder Peter Sloterdijk, gibt es vermutlich kein Verlagsproblem, ebenso wenn das dem Verlag angebotene Werk ein Standardwerk zu werden verspricht. In der Rechtswissenschaft sind Lehrbücher und Kommentare für Verlage interessante Objekte. Anders – nämlich düsterer – sieht die Verlagslandschaft für jüngere, noch unbekannte Autoren aus, oder wenn es sich bei dem einem Verlag angebotenen Werk nicht offensichtlich um einen „Absatzrenner“ handelt. In diesen Fällen verlangen Verlage nicht selten einen nicht unerheblichen Druckkostenzuschuss und  /  oder die Abnahme einer bestimmten Anzahl von Exemplaren des gedruckten Werkes durch den Autor; bei einer solchen sog. „Abnahmegarantie“ wird also der Autor verpflichtet, sein eigenes Buch zu kaufen und dies nicht etwa zum Herstellungspreis sondern zum Ladenpreis. Angesichts dieser Umstände ist es nicht verwunderlich, dass manchem Wissenschaftler selbst bei Berücksichtigung der schwierigen wirtschaftlichen Situation vieler – vor allem der kleineren – Verlage die Lust aufs Bücherschreiben vergeht. III. Der Umfang von Veröffentlichungslisten Gute Wissenschaft ist keine Frage der Quantität, sondern der Qualität. Diese Feststellung sollte eine Selbstverständlichkeit sei. Allerdings wird gelegentlich der Verdacht geäu-

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

ßert, dass bei Berufungen auf Professuren der Umfang der Veröffentlichungsliste entscheidend sei. Von der Vorsitzenden des Deutschen Juristinnenbundes und Professorin für Strafrecht Ursula Nelles stammt die Behauptung: „Der Wissenschaftsbetrieb funktioniert nach dem Prinzip ‚Meiner ist länger‘ – meine Diss, meine Habil, meine Ver­ öffent­ lichungsliste.“3 Wenn diese Behauptung zutreffen würde, wäre dies allerdings kein gutes Zeugnis für gute Wissenschaftspraxis. Jedoch besteht Anlass zu der Annahme, dass es sich dabei nur um eine polemisch zugespitzte Vermutung handelt. Eine besonders viele Positionen umfassende Veröffentlichungsliste eines jüngeren Wissenschaftlers kann vielleicht sogar in den Beratungen einer Berufungskommission zu negativen Reaktionen führen, etwa nach dem Motto „er kann die Tine nicht halten“, vielleicht sogar auch zu Neidgefühlen des einen oder anderen Kollegen. Ein sachgemäßes Urteil über eine Veröffentlichungsliste wird aber auch zu berücksichtigen haben, wie hoch der Anteil der eigenständigen Veröffentlichungen an der Gesamtzahl der Titel ist. Eine Veröffentlichungsliste, die zeigt, dass ein Wissenschaftler sich in seinen Arbeiten immer wieder oder jedenfalls überwiegend nur mit einem speziellen engen Thema beschäftigt, sich also immer wieder im Kreise dreht, zeigt ein Ausmaß an Verengung, das über eine vertretbare – oder vor allem in den Naturwissenschaften und in der Medizin sogar erforderliche – Spezialisierung hinausgeht. Multum, non multa ist für eine Veröffentlichungsliste ein besserer Inhalt. Jedoch sollten in diesem Zusammenhang auch nicht zu strenge Maßstäbe angelegt werden. Wenn ein Wissenschaftler seine Neigung zur Auseinandersetzung mit einer bestimmten Fragestellung entdeckt hat, kann und sollte es ihm nicht verwehrt werden, sich mit Antworten auf diese Frage3  Zit. bei Schneuer, Bettina, Justitia schießt scharf. Ursula Nelles ist Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, lehrt Strafrecht an der Universität Münster und ist entschlossen, am 5. Juni die Frauen busweise nach Brüssel zu karren, in: EMMA Mai  /  Juni 2000, S. 16.



III. Der Umfang von Veröffentlichungslisten87

stellung mehrmals zu beschäftigen. Wer durch mehrere Veröffentlichungen als besonders kompetenter Sachkenner bekannt geworden ist, wird erfahrungsgemäß auch von dritter Seite, z. B. von Zeitungs- oder Zeitschriftenredaktionen, aufgefordert, gerade zu diesem, seinem Spezialgebiet (erneut) etwas zu publizieren. Schließlich haben jedenfalls ältere Wissenschaftler, die nicht mehr auf einen neuen Ruf hoffen oder sich schon im Ruhestand befinden, es nicht nötig, ihr Schriftenverzeichnis zu „polstern“ (anderer Ausdruck: „wattieren“). Solche Wissenschaftler drehen an ihrem Rad dann nicht mehr aus Anerkennungsbedürfnis oder Sich-Behaupten in einem Wettbewerb, sondern aus Spaß an der Freud oder aus Bequemlichkeit, die man positiv ausgedrückt auch als arbeitsökonomisch bezeichnen kann. Keiner „guten Wissenschaft in der Praxis“ entsprechen dagegen, von Ausnahmefällen abgesehen, sog. Doppelveröffentlichungen, d. h. wenn derselbe Text in mehreren Publikationsorganen veröffentlicht wird.4 Unbedenkliche Ausnahmen sind z. B. ein unveränderter Nachdruck nach längerem Zeitablauf oder – wie nicht selten praktiziert – ein Nachdruck in einem Sammelband. Nicht nur unbedenklich sondern sogar höchst wünschenswert ist die Veröffent­ lichung eines im Original in deutscher Sprache erschienen Buches oder Aufsatzes in einer Übersetzung in eine oder sogar mehrere fremde Sprachen. Nicht zu diesen Ausnahmefällen, sondern zu den Normalfällen gibt die Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft die folgende Empfehlung: „Wissenschaftliche Zeitschriften sollen in ihren Autorenrichtlinien erkennen lassen, daß sie sich im Hinblick auf die Originalität eingereichter Beiträge und die Kriterien 4  Vorsichtige Beurteilung bei Schulze-Fielitz, Helmuth, in: Marcel Dalibor u. a., Perspektiven, S. 634 Fn. 132: „Die Vorträge (gemeint sind: die Vorträge auf den Assistententagungen Öffent­ liches Recht, d. Verf.) fänden gewisse auch Abnehmer bei den Fachzeitschriften. Deren Redakteure fragen mitunter auch von sich aus, aufgrund des Tagungsprogramms, nach den Vortragsmanuskripten. Dieser Weg ist jetzt für den verschlossen, der Doppelveröffentlichungen für sittenwidrig hält.“

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

für die Autorschaft an der besten international üblichen Praxis orientieren.“5 In den Erläuterungen zu dieser Empfehlung heißt es: „Veröffentlichungen sollen, wenn sie als Bericht über neue wissenschaftliche Ergebnisse intendiert sind, –– die Ergebnisse vollständig und nachvollziehbar beschreiben, –– eigene und fremde Vorarbeiten vollständig und korrekt nachweisen (Zitate), –– bereits früher veröffentlichte Ergebnisse nur in klar ausgewiesener Form und nur insoweit wiederholen, wie es für das Verständnis des Zusammenhangs notwendig ist.“6 Die letztgenannte Erläuterung bezieht sich offensichtlich mehr auf Publikationen in den Naturwissenschaften und in der Medizin als auf Publikationen in den Geisteswissenschaften, wie überhaupt und immer wieder es sich zeigt, dass zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen nicht wenige gravierende Unterschiede vorhanden sind, die für das Thema „gute Wissenschaft in der Praxis“ nicht unbeachtet bleiben dürfen. IV. Der Umfang von Dissertationen und Habilitationsschriften Im Vorangegangenen war von der Länge einer Veröffent­ lichungsliste die Rede. Ursula Nelles hat in ihrer Philippika aber auch gerügt, dass im Wissenschaftsbetrieb die Länge von Dissertationen und Habilitationsschriften eine Rolle spiele. Für diese Behauptung gibt es keine verlässlichen Belege. Zutreffend ist allerdings die Beobachtung, dass der Umfang von Dissertationen und Habilitationsschriften im Verhältnis zu 5  Denkschrift

der DFG, S. 19: Empfehlung 12. Erläuterungen weisen in diesem Zusammenhang auf die Praxis hin: „Viele gute und angesehene Zeitschriften verlangen in ihren Autorenrichtlinien eine schriftliche Versicherung, daß der Inhalt eines Manuskripts nicht schon ganz oder teilweise anderweitig publiziert oder zur Publikation eingereicht wurde“, S. 19. 6  Die



V. Publish or perish89

früheren Zeiten regelmäßig erheblich angewachsen ist.7 Über die Dissertation und Habilitation von Heinrich Triepel wird in einer Rezension seiner Biographie berichtet: „Sein beruf­ licher Werdegang begann schon mit einem Paukenschlag. Denn seine 1891 von dem berühmten Strafrechtler Karl Binding betreute Dissertation – eine staatsrechtliche Untersuchung über das Interregnum, eine Schrift von nicht mehr als 117 Druckseiten – war von so herausragender Qualität, daß sie von der Leipziger Juristenfakultät, die damals den größten Ruf in Deutschland genoß, 1893 als Habilitationsleistung anerkannt wurde …“.8 Die Anerkennung einer Dissertation zugleich als Habilitationsleistung wird heute selten vorkommen, ist aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen.9 Und: Habilitationsschriften sind jedenfalls in den Geisteswissenschaften heute voluminöser als zu Triepels Zeiten; aber noch im Jahre 1976 habilitierte sich der Jurist Detlef Christoph Göldner in Tübingen mit einer Habilitationsschrift über „Integration und Pluralismus im demokratischen Rechtsstaat“ im Umfang von 115 Druckseiten.10 V. Publish or perish Nicht die Frage, ob der Umfang einer wissenschaftlichen Schrift relevant ist, sondern die Frage, ob der Wissenschaftler viel oder jedenfalls überhaupt publizieren soll, scheint mit den Redewendungen „publish or perish“ und „scribere 7  Zum Umfang von Dissertationen s. von Münch, Ingo, Promotion, 3. Aufl. Tübingen 2006, S. 90 ff., dort auch (S. 91) Hinweis auf eine Konstanzer Dissertation im Umfang von 2654 Seiten. 8  Sendler, Horst, Besprechung von Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel – Leben und Werk, Berlin 1999, in: DÖV 2001, S. 611 f. (611). 9  Die 605 Seiten umfassende Biographie aus der Feder von Gassner, eine ursprünglich als Dissertation konzipierte Arbeit, wurde ebenfalls – wie im Fall Triepel – als Habilitationsleistung anerkannt (Horst Sendler, S. 611). 10  Göldner, Detlef Christoph, Integration und Pluralismus im demokratischen Rechtsstaat, Tübingen 1976.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

necesse est“ beantwortet zu sein. Nicht jedem Wissenschaftler wird ein Nachruf zuteil, wie der auf Hans Carl Nipperdey, dessen publizistische Potenz mit dem Satz beschrieben wurde: „Die Spannweite seines wissenschaftlichen Wirkens wird eindrucksvoll durch die fast 1200 Nummern umfassende Bibliographie belegt.“11 In denjenigen Wissenschaftsdisziplinen, in denen Forschungsergebnisse auf Datenerhebungen oder auf Versuchsreihen basieren, kann die Wertschätzung einer hohen Zahl von Veröffentlichungen zu Fälschungen verleiten. Als bekannt wurde, dass der prominente Sozialpsychologe und Verhaltensforscher Diederik Stapel von der niederländischen Universität Tilburg seine Studien gefälscht, Daten geschönt und Umfrageergebnisse erfunden hatte, wurde dieses Verhalten auch mit dem Publikationsdruck erklärt: „Mit ein Grund für Stapels Betrug dürfte der stetig wachsende Druck auf Forscher sein, immer mehr zu publizieren. ‚Publish or perish‘ lautet die fatale Maxime, ‚veröffentliche oder gehe zugrunde‘. Die bloße Zahl von Publikationen ist heute die Währung für Rang und Namen des Forschers. Sie entscheidet heute über Karrieren.“12 Der Publikationsdruck ist dabei nicht auf Kontinentaleuropa beschränkt, wie ein Blick über die geographischen Grenzen zeigt: „In England und vor allem China ist der Druck besonders groß. Karriere macht dort nur, wer eine große Anzahl Artikel in angesehenen Zeitschriften vorweisen kann.“13 Eine neuere Entwicklung in der Beurteilung der Quantität von wissenschaftlichen Publikationen hat inzwischen die 11  Wiese, Günter, Nachruf. Hans Carl Nipperdey †, in: JZ 1969, S. 84. 12  Meili, Matthias, Wenn Forscher betrügen. Wissenschaft: Ein berühmter Sozialpsychologe erkundete menschliche Abgründe – und scheiterte an der eigenen Gier nach Ruhm, in: TA v. 7.11.2011, S. 9. 13  Theiler, Lucia, Der Ruhm, die Ehre und das Plagiat. Wissenschaftliche Erkenntnisse brauchen keinen klar ausgewiesenen Autor, das Wissenschaftssystem aber schon, in: NZZ Nr. 278 v. 28.11.2011, S. 47.



VI. Schreibsperren91

Deutsche Forschungsgemeinschaft eingeleitet. Über dieses Umdenken wird wie folgt berichtet:14 „Unter dem Motto ‚Qualität statt Quantität‘ will die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Publikationsflut bei Förderanträgen und Abschlussberichten eindämmen. Sie leitet damit ein völliges Umdenken in der Wissenschaftsförderung ein. Die numerischen Kriterien zur Leistungsbeurteilung eines Forschers hätten die ‚Vielschreiber‘ begünstigt, sagte DFG-Präsident Matthias Kleiner in Berlin“; und weiter: „Statt auf eine innerhalb des Faches bahnbrechende Habilitation zu setzen, hat sich vor allem in den Naturwissenschaften eingebürgert, viele Aufsätze in Zeitschriften mit entsprechendem Impact-Faktor zu veröffentlichen“.15 Die DFG wolle „der Entwicklung Einhalt gebieten, dass numerische Faktoren bei der Mittelvergabe, aber auch in Habilitations- und Berufungsangelegenheiten zum Maß aller Dinge geworden sind. All das habe die Wissenschaftler unter Druck gesetzt, möglichst viel zu publizieren.“16 Ein Publikationszwang tut jedenfalls weder den Publizierenden noch deren Publikationen gut. VI. Schreibsperren Die Erfahrung an den Hochschulen zeigt im Übrigen, dass es glänzende akademische Lehrer gibt, die wenig geschrieben haben, und umgekehrt hervorragende Forscher, die in der Lehre nicht so gut ankommen. Weiße Flecken auf 14  Schmoll, Heike, Qualität statt Quantität. DFG begrenzt Publikationsangaben in: FAZ Nr. 46 v. 24.2.210, S. 6. 15  „Der Impact-Faktor einer Fachzeitschrift bemisst sich danach, wie oft andere Zeitschriften einen Artikel aus ihr in Relation zur Gesamtzahl der in der entsprechenden Fachzeitschrift veröffentlichten Artikel zitieren“ (Schmoll, Heike, auch mit Hinweis darauf, dass die kleinen Fächer im Verhältnis zu den großen Fächern durch den Impact-Faktor immer benachteiligt wurden, sowie mit Erwähnung des sog. Hirsch-Index der ebenfalls auf Zitierhäufigkeit abstellt). 16  Schmoll, Heike, auch mit der Information darüber, dass in den USA ähnliche Überlegungen angestellt werden.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

der Veröffentlichungsliste können im Übrigen viele verschiedene Gründe haben: Es kann eine Schreibsperre aufgrund eines „burn out-Syndroms“ vorliegen; es kann aber auch sein, dass ein Wissenschaftler an einem großen Werk intensiv arbeitet und sich während dieser Arbeit nicht durch kleinere Abhandlungen ablenken lassen will. Es kommt aber auch vor, dass ein größeres Werk nicht abgeschlossen wird, dafür aber viele aus der Feder desselben Autors stammende Abhandlungen entstehen. Der durch zahlreiche Veröffent­ lichungen insbesondere auf den Gebieten des Sozial- und Ausländerrechts ausgewiesene Bremer Jurist Klaus Sieveking schreibt in einem Rückblick auf sein akademisches Leben: „Die Fortsetzung der Habilitationsschrift wurde durch persönliche und familiäre Entwicklungen unterbrochen, im Ergebnis sogar abgebrochen. Es blieb keine Zeit mehr für die erforderliche Forschung neben der notwendigen Lehre, zumal ich ständig neue Vorlesungen vorzubereiten hatte.“17 Der Motor kann stocken. Die Handlung des Kriminalromans von Martin Beyer, „Die Welt in deinen Augen“, wird mit den Sätzen vorgestellt: „Der Kunsthistoriker Elias Rauch kommt mit seiner Habilitationsschrift nicht voran. Die Probleme, die er dadurch bekommt, könnten sich mit einem Schlag lösen, wenn es ihm gelänge, die Existenz eines niederländischen Kunstwerks nachzuweisen“.18 Keine Romanhandlung sondern wissenschaftliche Wirklichkeit sind auf mehrere Bände angelegte Werke, die unvollendet geblieben sind, bei denen also geplante Fortsetzungsbände fehlen.19 17  Sieveking, Klaus, Ende einer Dienstfahrt: Erinnerungen an eine Bremer akademische Professionalisierung, in: ZERP-Arbeitspapier 2 / 2011, S. 7. Bemerkenswert und anerkennenswert ist, dass Sieveking später erneut eine Habilitation anging und diese 1993 mit der Habilitationsschrift „Statusrechte von Ausländern“ abschloss, S. 10). 18  Beyer, Martin, Die Welt in deinen Augen (unveröff.), 2012. 19  Beispiele hierfür sind die folgenden Habilitationsschriften: Friauf, Karl Heinrich, Der Haushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung. Bd. 1: Verfassungsgeschichtliche Untersuchung über den Haushaltsplan im deutschen Frühkonstitu-



VII. Anonyme Veröffentlichungen93

Eine solche Situation ist nicht optimal, aber gewiss kein Verstoß gegen gute Wissenschaft. VII. Anonyme Veröffentlichungen „Wissenschaftliche Veröffentlichungen sind das primäre Medium der Rechenschaft von Wissenschaftlern über ihre Arbeit. Mit der Veröffentlichung gibt ein Autor (oder eine Gruppe von Autoren) ein wissenschaftliches Ergebnis bekannt, identifiziert sich damit und übernimmt die Gewähr für den Inhalt der Veröffentlichung“.20 Gegen diese Erläuterung in der Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft wird man schwerlich Einwände erheben können. Jedoch schweigt die Erläuterung an dieser Stelle zu der Frage, ob anonyme Veröffentlichungen mit guter wissenschaftlicher Praxis vereinbart sind oder nicht. Der Gebrauch eines Pseudonyms, einer Kunstform des Anonyms, ist in Belletristik und Publizistik nicht selten. Kurt Tucholsky schrieb unter dem Pseudonymen Peter Panther und Theobald Tiger, Rudolf Augstein verfasste Kommentare unter den Pseudonymen Jens Daniel und Moritz Pfeil, und Walter Jens zeichnete seine Fernsehkritiken in der ZEIT mit Momos. Wer sich hinter diesen Pseudonymen verbarg, wußte jeder, der es wissen wollte; insofern war das Sich-Verbergen in diesen Fällen eine durchsichtige Masche. In der Wissenschaft jedenfalls der Neuzeit ist der Gebrauch von Pseudonymen selten. Bekannt war das Pseudonym Gnaeus Flavius, unter dem Ernst Kantorowicz geistreiche Kommentare schrieb. Schließlich ist noch die Anekdote erwähnenswert, tionalismus. Mit einer kritischen Übersicht über die Entwicklung der budgetrechtlichen Dogmatik in Deutschland, Bad Homburg v. d. H. 1968; Quaritsch, Helmut, Staat und Souveränität. Bd. 1: Die Grundlagen, Frankfurt a. M. 1970; Kewenig, Wilhelm, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Bd. 1: Der Begriff der Diskriminierung, Frankfurt a. M. 1972. 20  DFG-Denkschrift, S. 19.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

derzufolge ein wissenschaftlicher Mitarbeiter geäußert haben soll: „Ich publiziere häufig auch unter dem Pseudonym … [es folgte der Name des jeweiligen Lehrstuhlinhabers]“.21 In der Aussage dieser Anekdote (eine andere Form – als Frage formuliert – lautet: „Ist es erlaubt, dass ein Assistent unter dem Namen seines Professors schreibt?“22) mögen sich Scherz und Ernst mischen.23 Der Spaß hört dort auf, wo anonyme Angriffe auf Personen oder Institutionen sich als wissenschaftliche Veröffentlichungen ausgeben, ohne den oder die Verfasser erkennen zu lassen. Können anonyme Veröffentlichungen noch als „gute wissenschaftliche Praxis“ angesehen werden? Die Frage stellte sich im Sommer 2011 anhand von zwei Fällen. Im Juli 2011 veröffentlichte die Wochenzeitschrift DIE ZEIT ein „im Auftrag der ZEIT“ erstelltes „Gutachten“ zur Doktorarbeit des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann (CDU), der unter Plagiatsverdacht stand. Das „Gutachten“ wurde als „Analyse der Dissertation von Dr. Bernd Althusmann“, in der ZEIT unter der Überschrift „Trübe Quellen“ veröffentlicht mit der Erklärung, die von 21  Kilian, Michael, ATTEMPTO: Die 22. Assistententagung 1982 in Tübingen, in: Marcel Dalibor, Perspektiven, S. 273 ff. (282). 22  Rudolf, Walter, zit. bei von Münch, Ingo, Teamwork in der Rechtswissenschaft, in: Fs. f. Walter Rudolf, München 2001, S. 1 ff. (1). 23  Die Formulierung „Scherz und Ernst“ mag manchen Leser an die von Rudolf von Jhering unter dem Titel „Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum“ veröffentlichten Beiträge (13. Aufl. Leipzig 1924; unveränderter reprografischer Nachdruck Darmstadt 1975) erinnern. In der „Vorrede“ zu dieser Schrift erwähnt Jhering, dass die erste Abteilung der Beiträge unter dem Titel „Vertrauliche Briefe über die heutige Jurisprudenz. Von einem Unbekannten“ (Berlin 1860–1866) in der Preußischen, später Deutschen Gerichtszeitung anonym erschienen sind. Es ist anzunehmen, dass zumindest die Fachwelt hinter der Anonymität den Autor erkannte. Das „Geheimnis meiner Autorschaft“ schreibt Ihering in der Vorrede (S. V) „ward später gebrochen“; Ihering veröffentlichte die zweite Abteilung unter dem Titel „Plaudereien eines Romanisten“ unter seinem Namen.



VII. Anonyme Veröffentlichungen95

„zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern an deutschen Universitäten“ angefertigte Analyse „basiert auf den wichtigsten Anleitungsbüchern zum korrekten wissenschaftlichen Arbeiten“. Die Namen der Autoren wurden nicht genannt; das Verschweigen wurde in einem redaktionellen Zusatz dahin erklärt: „Die Gutachter wollen anonym bleiben, weil sie mögliche berufliche Nachteile ausschließen wollen.“24 Die Gutachter sind in ihrer Analyse der Dissertation von Bernd Althusmann zu einem Ergebnis gekommen, das von der mit diesem Fall befassten „Kommission zur Überprüfung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ der Universität Potsdam nicht geteilt wird.25 Jedoch kommt es darauf im vorliegenden Fall nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob es guter Wissenschaft in der Praxis entspricht, wenn unter der Tarnkappe der Anonymität in einer weit verbreiteten Zeitschrift der Vorwurf eines Plagiates erhoben wird. Volker Rieble, der selber die Dissertation von Althusmann als Plagiat bezeichnet, gibt die Antwort: „Anonymes Schreiben ist zwar zulässig, aber feige. Wer angreift, soll sein Gesicht zeigen.“26 Mit „feige“ ist der Tatbestand in der Tat zutreffend umschrieben. Man kann es auch härter formulieren: Die Gutachter, die „mögliche berufliche Nachteile“ wegen ihrer Veröffentlichung ausschließen wollen und deshalb anonym bleiben, sind Waschlappen. Wissenschaftliche Kontroversen müssen mit offenem Visier ausgetragen werden, so wie dies auch in oft harter Kritik der 68er an den Hochschulen der Fall gewesen ist.27 Wissenschaft in Freiheit 24  DIE

ZEIT Nr. 28 v. 7.7.2011, S. 37 f. unten S. 123. 26  Rieble, Volker, Plagiatsformenlehre am Fall Althusmann. Dissertationen müssen eine eigene wissenschaftliche Leistung bieten und über jeden Plagiatsvorwurf erhaben sein. Doktorväter können nicht jeden Literaturnachweis prüfen, in: FAZ Nr. 179 v. 4.8.2011, S. 8. 27  Viel zitiertes Beispiel: „Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren.“ Die Studenten, die das Spruchband mit diesem Text vor dem Einzug der Professoren in das Auditorium Maximum der Hamburger Universität trugen, waren nicht vermummt und waren 25  Siehe

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

bedeutet, sich zu seinen Meinungen zu bekennen. Anonyme Veröffentlichungen sind schließlich auch deshalb verwerflich, weil sie Spekulationen und Verdächte auslösen, wer sich hinter dem Anonym verbirgt.28 Kein Ruhmesblatt war die Veröffentlichung jenes anonymen Gutachtens übrigens auch für DIE ZEIT. Ich erinnere mich, dass mir deren frühere Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff einmal sagte, dass anonyme Zuschriften an DIE ZEIT im Papierkorb landeten. Es wäre bedauerlich, wenn diese Handhabung aufgegeben würde. Und es wäre auch der Überzeugungskraft der Wissenschaft nicht dienlich, wenn Wissenschaftler künftig sich zwar öffentlich, aber nur als anonyme Informanten zu Wissenschaftsthemen äußern würden, wie in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschehen, in dessen redaktioneller Vorbemerkung zu dem Bericht zu lesen ist: „Er ist uns vertraulich gegeben worden, denn zwar ist niemand zufrieden, wie es läuft, aber aus Sorge um Nachteile in der Zukunft machen alle mit und tragen nichts offen nach außen.“29 VIII. Die Aufdeckung von Missständen Die hier vorgetragene Kritik an anonymen Publikationen von Wissenschaftlern sollte jedoch nicht als Kritik an der Aufdeckung von Missständen im Wissenschaftsbetrieb allgemein oder in einzelnen wissenschaftlichen Einrichtungen missverstanden werden. Sofern es solche Missstände gibt, ist es im Sinne guter Wissenschaft in der Praxis geradezu notwendig, auf die Missstände aufmerksam zu machen, weil sie anderenfalls nicht abgestellt, sondern perpetuiert werden; namentlich bekannt. Einer von ihnen wurde später Staatsrat im Senat der Hansestadt Bremen. 28  Rieble, Volker, Plagiatsformenlehre, sah sich hinsichtlich jenes anonymen Gutachtens zu der Klarstellung veranlasst: „Entgegen mancher Mutmaßung stecke ich nicht dahinter.“ 29  Bericht aus dem Innenleben der Exzellenz (ohne Angabe des Verfassers), in: FAZ Nr. 21 v. 25.1.2012, S. N 5.



VIII. Die Aufdeckung von Missständen97

denn wer wollte bestreiten, dass es in dem riesigen Wissenschaftsbetrieb, d. h. in den vielen Hochschulen und in den Wissenschaftsförderungsorganisationen, nicht auch nicht wenige Missstände gibt? Auf diese nicht wegzuleugnende Tatsache ist inzwischen – wenn auch spät – reagiert worden, so z. B. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von Hochschulen mit der Berufung eines Ombudsman30 und mit der Einsetzung von universitären Untersuchungskommissionen betreffend die Aufklärung von Plagiatsvorwürfen. Angesprochen ist damit auch das Problem der Whistleblower, einer Erscheinung, die in den USA schon seit Jahrzehnten bekannt und z. T. sogar gesetzlich geregelt ist, in Deutschland dagegen erst später Beachtung gefunden hat. Als Whistleblower31 versteht man „Personen, die über illegales Handeln, Gefahren und sonstige Missstände innerhalb ihres Unternehmens, ihrer Dienststelle oder ihrer sonstigen Organisation die zuständigen Behörden oder die Öffentlichkeit informieren und so zu deren Bekämpfung beitragen.“32 Die 30  Wegweisend war dazu die DFG-Denkschrift mit ihrer Empfehlung 16: „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft soll eine unabhängige Instanz – etwa in Gestalt eines Ombudsmans oder auch eines Gremiums von wenigen Personen – berufen und mit den nötigen Arbeitsmitteln ausstatten, die allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Beratung und Unterstützung in Fragen guter wissenschaftlicher Praxis und ihrer Verletzung durch wissenschaftliche Unredlichkeit zur Verfügung steht und jährlich darüber berichtet.“ (S. 24). Zur Einrichtung und zur Arbeit des Ombudsman der DFG, der 2010 in „Ombudsman für die Wissenschaft“ umbenannt wurde sowie zu den entsprechenden Einrichtungen an den Hochschulen s. eingehend Schulze-Fielitz, Helmuth, Reak­ tionsmöglichkeiten, S.  2 ff. 31  Das Wort ist zusammengesetzt aus „Whistle“ (Trillerpfeife) und „to blow“ (blasen). Eine Aktion gegen Gewalt gegen Frauen in den USA lief unter der Aufforderung „Blow the whistle on violence against women.“ 32  Király, Andrei, Der rechtliche Schutz von Whistleblowern. Lehren aus US-amerikanischen Regelungen, ZRP 2011, S. 146 ff.; zum deutschen Recht s. Kerwer, Christof, Zwischen Zivilcourage und Denunziantentum – Whistleblowing im Arbeitsrecht, in: Fg. f. Franz-Ludwig Knemeyer, Würzburg 2012, S. 581  ff., auch mit

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

herkömmlichen und üblichen Betätigungsfelder für Whistle­ blower sind die Öffentliche Verwaltung und Wirtschafts­ unternehmen. Im Bereich der Öffentlichen Verwaltung ist das Problem der sog. „Flucht in die Öffentlichkeit“ unter dem Aspekt der Ausnahme von der beamtenrechtlichen Pflicht zur Amtsverschwiegenheit schon seit längerem bekannt.33 Was das Wirtschaftsleben betrifft so wird hier öfters als früher die Mauer des Schweigens durchbrochen.34 In der Schweiz musste der Präsident der Schweizerischen Nationalbank Philipp Hildebrand seinen Posten aufgrund eines Whistleblowing aufgeben, wobei die Handlungsweise des Informanten nicht eindeutig beurteilt wurde: „Die im Fall Hildebrand aufgeworfene Frage, ob der IT-Mitarbeiter, der die Kundendaten des Nationalbankpräsidenten an einen Anwalt weitergeben hat, ein Whistleblower oder ein Rechtsbrecher ist, ist angesichts der allgemeinen Faktenlage – es tauchen fast täglich neue und zum Teil widersprüchliche Informationen auf – nicht abschließend zu beurteilen.“35 Nicht in die Kategorie des Whistleblower fällt dagegen jemand, der nach seinem Ausscheiden aus einem Unternehmen unter Nennung seines Namens an die Öffentlichkeit tritt, um Missstände, die in diesem Unternehmen herrschen, bekannt zu machen; ein Beispiel dafür ist der frühere Bankangestellte Greg Smith, der, nachdem er seine Stellung bei der Investmentbank Goldman Sachs gekündigt hatte, in eiHinw. auf die Rspr. des BVerfG, des BAG und des EGMR. – Rechtsvergleichend auch Groneberg, Ruth, Whistleblowing. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des US-amerikanischen, englischen und deutschen Rechts unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfs eines neuen § 612a BGB, Berlin 2012. 33  Siehe dazu Király, Andrei, Der Beamte als Whistleblower, DÖV 2010, S. 894 ff. 34  Rechtliche und ökonomische Perspektiven dazu bei Sänger, Marc, Whistleblowing in der börsennotierten Aktiengesellschaft, Frankfurt a. M. 2011. 35  Schwöbel, Anne, Umstrittenes Whistleblowing. Es fehlt in der Schweiz ein rechtlicher Schutz für Hinweisgeber, in: NZZ Nr. 22 v. 27.1.2012, S. 20. Die Autorin ist Geschäftsführerin von Transparency International in der Schweiz.



VIII. Die Aufdeckung von Missständen99

nem in der New York Times abgedruckten Abschiedsbrief über erstaunliche Praktiken der Bank informierte.36 Was Whistleblower in der Wissenschaft betrifft, so liegt hierzu inzwischen mit dem Werk von Corinna Nadine Schulz, „Whistleblowing in der Wissenschaft“, eine mate­ rialreiche informative Schrift vor.37 Auch Helmuth SchulzeFielitz hat sich in seiner bereits mehrmals erwähnten gründlichen Abhandlung zu „Reaktionsmöglichkeiten des Rechts auf wissenschaftliches Fehlverhalten“ mit Whistleblowern in der Wissenschaft befasst.38 Unter der Überschrift „Unentbehrlichkeit von Whistleblowern“ führt Helmuth SchulzeFielitz u. a. aus: „Zu einer solchen wissenschaftsorientierten Ernsthaftigkeit (gemeint ist die „Ernsthaftigkeit des Verfahrens“ bei der Prüfung wissenschaftlichen Fehlverhaltens, d. Verf.) gehört andererseits auch, dass denen, die in Ausübung ihrer Wissenschaftsfreiheit einen Ombudsman anrufen (sog. Whistleblower), entgegen einer häufig beobachtbaren Praxis keine wissenschaftlichen oder beruflichen Nachteile entstehen, obwohl oder gerade weil die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz von Informanten höchst unzureichend sind.“39 Zur Nützlichkeit des Whistleblowing stellt SchulzeFielitz fest: „Ohne ‚Whistleblower‘, die durch das von der DFG eingeführte System der wissenschaftlichen Selbstkon­ trolle ausdrücklich zu Verdachtshinweisen aufgefordert werden, und ohne ihren Schutz funktionieren die (jedenfalls zunächst, d. h. nur bis zum Abschluss eines förmlichen Untersuchungsverfahrens) absolut vertraulichen und daher für Verdächtigte grundsätzlich unschädlichen Verfahren zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis aber nun einmal 36  Siedenbiedel, Christian, Das Goldman-Sachs-Debakel. Muppets nennen Investmentbanker ihre Kunden: Trottel, denen man alles andrehen kann. Das weiß die Welt, weil ein Banker jetzt auspackt, in: FAS Nr. 11 v. 18.3.2012, S. 38. 37  Schulz, Corinna Nadine, Whistleblowing in der Wissenschaft, Baden-Baden 2008. 38  Schulze-Fielitz, Helmuth, S.  32 f. 39  Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 32.

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nicht, so sehr auch die potentielle Gefahr einer Instrumentalisierung der Verfahren für ‚Rachefeldzüge‘ im Auge zu behalten ist.“40 Auch im Zusammenhang mit dem Whistle­ blowing im Fall des schweizerischen Nationalbankpräsidenten Hildebrand wurde die Berechtigung von Whistleblowing durchaus anerkannt, so wenn dazu bemerkt wurde: „Denn Whistleblowing kann trotz aller Kontroversen nicht als bloße Modeerscheinung abgeschrieben werden Sinnvoll eingesetzt, hilft dieses Instrument, dass Missstände auch tatsächlich aufgedeckt werden. Ohne die Information von Whistle­ blowern blieben viele Delikte ungeklärt.“41 Diese Feststellung ist gewiss keine Übertreibung. Wer an der Aufdeckung von Missständen in welchen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens auch immer – und damit auch im Bereich der Hochschulen – interessiert ist42, wird dem Whistleblowing nicht kritisch gegenüberstehen. Bei der Beurteilung des Whistleblowing allgemein, also nicht nur im Bereich der Wissenschaftsorganisation, stellen sich zwei juristische Fragen, die hier nicht in extenso behandelt werden können, sondern nur erwähnt werden, nämlich 1. wie ein größtmöglicher Schutz eines berechtigten Whistleblowing rechtlich gewährleistet werden kann43, und 2. welche Anforderungen an die Berechtigung des Whistleblowing zu stellen sind. Hinsichtlich der erstgenannten Frage gibt es Erwägungen, hierzu eine gesetzliche Regelung zu schaffen, Erwägungen, nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland44, sondern z. B. auch in der Schweiz, wie die Forde40  Schulze-Fielitz, Helmuth, S. 33, auch unter Erwähnung des seit 1999 im Zwei-Jahres-Rhythmus verliehenen WhistleblowerPreises der „Vereinigung Deutscher Wissenschaftler“ (Fn. 278). 41  Schwöbel, Anne, S. 20. 42  Verf. verhehlt nicht seine Sympathie für diese Form der Aufdeckung von Missständen. 43  Zutreffend Király, Andrei, Der rechtliche Schutz, S.  146: „Die Rechtsordnung muss darum klären, welche Informanten sie bereit ist zu schützen, und wie sie den Schutz verwirklichen will.“ 44  Eine bezügliche gesetzliche Regelung wird von der SPD und von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN gefordert (s. Entwurf eines „Ge-



VIII. Die Aufdeckung von Missständen101

rung zeigt: „Unter dem Aspekt des Whistleblowing ist es insofern wichtig, dass die Rolle des IT-Mitarbeiters im Fall Hildebrand restlos aufgeklärt wird. Aber noch viel dring­ licher ist es, dass der Schutz von Hinweisgebern endlich in der schweizerischen Gesetzgebung ihren Niederschlag findet.“45 Hinsichtlich der 2. Frage wird in Bezug auf das deutsche Recht auf die bisher dazu ergangene Rechtsprechung verwiesen, die so zusammengefasst wird: „Arbeitnehmer dürfen Straftaten aus dem beruflichen Umfeld anzeigen, soweit sie keine wissentlich oder leichtfertig falschen Vorwürfe erheben, nachdem sie sich intern um zumutbare Abhilfe bemüht haben, und wenn sie damit keine ausschließlich schädigenden Absichten verfolgen.“46 Was das Zutragen an Medien betrifft, so besteht wohl Einigkeit darüber, „der Weg zu den Medien sollte nur als ultima ratio offenstehen, etwa um erhebliche Missstände gegen den Willen der Politik aufzudecken“47, oder knapper formuliert: „Die Medien dürfen nur als letztes Druckmittel eingesetzt werden.“48 setzes zum Schutz von Hinweisgebern  /  Whistleblowern“, BTDrs. 17 / 8567 [SPD] und „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern [Whistleblower-Schutzgesetz])“, BTDrs. 17  /  9782 [Bündnis 90  /  DIE GRÜNEN]); s. dazu Freisfeld, Caroline, Ausplaudern erwünscht. Wie weit dürfen Arbeitnehmer gehen, wenn sie Missstände in Unternehmen wittern? Die SPD will das gesetzlich festlegen, in: FAZ Nr. 122 v. 26. / 27.5.2012, S. C 2. 45  Schwöbel, Anne, S. 20. – In Deutschland ist z. B. auf die im Jahre 2009 in das Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz) aufgenommene Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht bei Anzeige des Verdachts einer Korruptionsstraftat (§ 37) Abs. 1 Nr. 3), hinzuweisen. 46  Király, Andrei, Der rechtliche Schutz, S. 146. 47  Király, Andrei, Der rechtliche Schutz, S. 148. 48  Schwöbel, Anne; auch mit der Forderung, dass der Whistleblower „die Missstände einer zuständigen Instanz melden (muss). Zuerst ist es wichtig, die betriebsinternen Möglichkeiten zur Meldung von unrechtmäßigen Tätigkeiten auszuschöpfen. Denn der Arbeitgeber muss die Möglichkeit erhalten, die Angelegenheit zuerst intern zu bereinigen. Dies sind in erster Linie der eigene Vor-

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Für die rechtliche Zulässigkeit von Whistleblowing gilt also in etwa das, was im Völkerrecht als die „exhaustion of local remedies-rule“ bekannt ist, d. h. das Erfordernis, die innerstaatlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen, bevor ein internationales Gericht – wie der Internationale Gerichtshof – angerufen werden kann. Auf eine insoweit abweichende und für das Whistleblowing nicht zu ignorierende Problematik muss allerdings hingewiesen werden: Fordert man vor der Information der Presse durch einen Whistleblower, dass dieser zunächst betriebsintern auf die von ihm kritisierten Missstände hinweist, so wird man ihn – wenn die interne Kritik folgenlos geblieben ist und er deshalb Medien informiert hat – leicht als den Whistleblower in diesem Fall verdächtigen können. Die Folge der Enttarnung des Whistleblowers kann für diesen von nicht unerheblichem Nachteil sein – und sei es nur der Vorwurf der Unkollegialität oder der „Nestbeschmutzung“.49 IX. Veröffentlichungen im Kollektiv Ausgangspunkt der Erörterung des Whistleblowing war in der vorliegenden Darstellung die Problematik anonymer Veröffentlichungen in der Wissenschaft. Keine Anonymität liegt vor, wenn eine Veröffentlichung mit dem Namen des Autors gekennzeichnet ist. Dies gilt im Prinzip auch, wenn für eine Veröffentlichung mehrere Autoren verantwortlich zeichnen. Insofern scheinen sich bei einem solchen Autorenkollektiv zunächst keine Probleme zu ergeben. Ganz so einfach liegen die Dinge in Wahrheit jedoch nicht. Die Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat zwar eine von mehreren Autoren gemeinsam verfasste Arbeit nicht allein deshalb kritisiert; aber sie hat doch dafür gesetzte und / oder eine interne Meldestelle“. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf in Unternehmen eingerichtete sog. Compliance-Stellen. 49  Aus den USA ist in solchen Fällen das sog. Bashing (verbales Einprügeln) bekannt.



IX. Veröffentlichungen im Kollektiv103

gewisse Regeln aufgestellt: „Als Autoren einer wissenschaftlichen Originalveröffentlichung sollen alle diejenigen, aber auch nur diejenigen firmieren, die zur Konzeption der Studien oder Experimente, zur Erarbeitung, Analyse und Interpretation der Daten und zur Formulierung des Manuskripts selbst wesentlich beigetragen und seiner Veröffentlichung zugestimmt haben, d.  h. sie verantwortlich mittragen.“50 Auch wendet die Denkschrift sich gegen die Praxis einer sog. „Ehrenautorschaft“: „Eine ‚Ehrenautorschaft‘ ist sowohl nach den Richtlinien der besten Zeitschriften als auch nach den Verhaltenskodizes der bekanntesten amerikanischen Forschungsuniversitäten keinesfalls akzeptabel“.51 Mit dieser Ablehnung steht die Denkschrift nicht allein. Auch die Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Max-Planck-Gesellschaft bestimmen: „Eine sogenannte ‚Ehrenautorschaft‘ ist unzulässig. Unterstützung durch Dritte ist in einer Danksagung anzuerkennen.“52 Das Phänomen der sog. Ehrenautorschaft ist wiederum ein Beispiel für die in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unterschiedliche Handhabung der Autorennennung.53 Die Angabe der Autoren einer Abhandlung in einer medizinischen Fachzeitschrift mochte den Klinikchef gleichsam 50  DFG-Denkschrift,

Erläuterungen zur Empfehlung 12, S. 19. Erläuterungen zur Empfehlung 12, S. 20. Siehe auch Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 16 / 17: „Wenn die Autorschaft des Einzelnen sich nach seinem materiellen Anteil an der Forschung bemessen soll, der sich in der angemessenen Kennzeichnung niederschlagen muss, dann sind „Ehrenautorschaften“, also die namentliche Nennung eines Autors ohne eine materielle Beteiligung an der Publikation, wissenschaftliches Fehlverhalten …“. 52  Max-Planck-Gesellschaft, Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, 6. Wissenschaftliche Veröffentlichungen, S. 6. – Ein Hinweis auf Danksagungen enthält auch die DFGDenkschrift: „Als angemessene Form der Erwähnung werden beispielsweise Fußnoten oder Danksagungen empfohlen.“ 53  Die disziplinspezifischen Unterschiede bei der Herausbildung guter wissenschaftlicher Praxis allg. erwähnt zutreffend Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 27. 51  DFG-Denkschrift,

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wie einen Kometen nennen, der einen Schweif von Ober­ assistenten und Assistenten als „Mitverfasser“ (in Wahrheit wohl als Alleinverfasser) hinter sich herzog. In den Geisteswissenschaften war und ist eine solche Praxis der Aufführung eines „Ehrenautors“ eher unüblich. Eine verhältnismäßig neuere Entwicklung jedenfalls in der Rechtswissenschaft ist die, dass nicht mehr – wie früher absolut gängig – nur der Professor als Autor einer Veröffentlichung zeichnet, sondern dass auch sein wissenschaftlicher Mitarbeiter als Ko-Autor genannt wird.54 Häufiger als früher ist aber auch – so unter jüngeren Wissenschaftlern im Fach Rechtswissenschaft – eine Ko-Autorschaft von Gleichrangigen, nämlich von wissenschaftlichen Mitarbeitern, zu registrieren. Gegen ein solches Teamwork55 ist eigentlich nichts einzuwenden56; denn es gehört zur Wissenschaft, dass jeder einzelne Wissenschaftler selber frei darüber entscheiden kann57, ob er / sie eine wissenschaftliche Arbeit allein verfassen will oder in Gemeinschaft mit einem oder mehreren anderen Autoren. Gleichwohl können sich bei einem solchen Teamwork Probleme stellen, dann jedenfalls wenn keine Zuordnung der Textstellen im Hinblick auf die einzelnen Verfasser er54  Zutreffend Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 28: „Maßstäbe wandeln sich; ohne großen Nachweis läßt sich zum Beispiel in der Rechtswissenschaft eine deutliche Zunahme von Ko-Autorenschaften bei Publikationen beobachten, wo früher Sternchen-Fußnoten mit Dankeswortgen oder gar keine namentliche Erwähnung üblich und weithin akzeptiert war (ohne dass damit gewagt sei, dass frühere Praktiken stets unredlich waren).“ 55  Speziell zum Teamwork in der Rechtswissenschaft: von Münch, Ingo, Teamwork; Nachdruck in gekürzter Fassung in: Forschung & Lehre 2001, S. 526 ff. 56  Gleiches gilt in dem Fall, in welchem eine von dem einen Autor ursprünglich allein verfasste Veröffentlichung von einem neuen Autor in einer Neuauflage überarbeitet und damit mit verfasst ist. 57  Eine Ausnahme hiervon besteht dann, wenn z. B. Vereinbarungen in Bezug auf Drittmittelprojekte eine Gemeinschaftsarbeit vorschreiben.



IX. Veröffentlichungen im Kollektiv105

kennbar ist. Liegt dagegen eine solche Erkennbarkeit vor, so fällt diese Publikation nicht unter den Begriff des Teamworks im engeren Sinne. Kein Teamwork und unter dem Gesichtspunkt der Zuordnung unbedenklich ist also z. B. eine in mehrere Abschnitte oder Kapitel gegliederte Veröffentlichung, bei der jeweils für die einzelnen Teile der Veröffentlichung ein Einzelner als Verfasser genannt ist.58 Kein Teamwork im engeren Sinne ist also z. B. ein Gesetzeskommentar, bei dem ein Wissenschaftler als Herausgeber fungiert und in dem für die Kommentierungen der verschiedenen Gesetzesbestimmungen jeweils die kommentierenden Autoren einzeln als solche genannt werden. Wurde dagegen eine solche Einzelkennzeichnung nicht vorgenommen, so streift die Herkunft der Veröffentlichung die Anonymität: Es sind zwar Verfassernamen genannt, aber es ist nicht feststellbar, von wem was in dieser Veröffentlichung stammt. Denkbare Möglichkeiten sind: A hat die eine Hälfte geschrieben, B die andere Hälfte; oder: A hatte die Idee oder hat sogar ein Konzept entwickelt, von B stammt der ausformulierte Text; oder: von A stammt der reine Text, von B stammen die Fußnoten; oder: von A stammen Text und Fußnoten, B hat Korrektur gelesen. Alle diese Varianten (von denen die erstgenannte noch die beste ist), sind zwar formal keine anonymen Veröffentlichungen, wohl aber inhaltlich teilanonyme. Das Gebot der „Firmenwahrheit“ mag in diesem Fall noch erfüllt ein, das Gebot der „Firmenklarheit“ mit Sicherheit nicht. Steckt sich hier jemand fremde Federn an den Hut, und wenn ja: wer? Und wie kann bei einer gemeinschaftlichen Veröffentlichung von mehreren Autoren das im Urhebergesetz (§ 41 Abs. 1 S. 1) vorgesehe58  Ein Beispiel hierfür ist die Abhandlung von Friedrichsen, ­ isela, und Gerhardt, Rudolf, Werbung für die Gerechtigkeit – G oder für was?, in: DRiZ 2012, S. 75 ff.: Der Abschnitt „Die Litigation-PR …“ enthält in einer Fußnote die Information „Von Gisela Friedrichsen“; zum Abschnitt „ … und der Einfluss der Medien auf die Strafjustiz“ gibt es die Information: „Von Prof. Dr. Rudolf Gerhardt“.

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ne Rückrufrecht wegen gewandelter wissenschaftlicher Ausübung ausgeübt werden, wenn nur einer der Ko-Autoren davon Gebrauch machen will? Die Frage zeigt, dass bei einer von mehreren Autoren gezeichneten Veröffentlichung die Verantwortung jedes einzelnen Autors dieses Kollektivs und damit die Zurechenbarkeit nicht einfach festzustellen ist.59 Schulze-Fielitz berichtet dazu aus Dänemark, dass nach dortigen Maßstäben „die Herausgeber von Zeitschriften von allen Mitautoren eine Erklärung verlangen, in der die Bedeutung des Beitrages jedes einzelnen Autors erläutert wird, damit so die jeweilige Mitautorschaft als berechtigt angesehen werden kann.“60 Eine solche Regelung wirkt aber nicht nur übertrieben bürokratisch, sondern hat auch nur einen beschränkten Informationsgehalt; denn informiert werden mit der geforderten Erklärung nur die Herausgeber der Zeitschrift, nicht aber die Leser. Was sind die Motive für eine gemeinsame Autorschaft? Ohne alle denkbaren Gegebenheiten auflisten zu können wird man eine gewisse Verbindung zwischen den Autoren vermuten können. Die engste Verbindung ist natürlich die eines Autoren-Ehepaares als Ko-Autoren eines Buches61 oder die z. B. eines Sohnes und Vaters als Ko-Autoren einer Abhandlung.62 Die Verbindung kann sich aber auch aus einer gemeinsamen Tätigkeit in einem wissenschaftlichen ­ 59  Scherz und Satire ist „Wenn zwei Rezensenten gemeinschaftlich ein Buch besprechen, provoziert das die – natürlich scherzhaft gemeinte – Vermutung: Der eine hat das Buch gelesen, der andere hat es besprochen“ (von Münch, Ingo, Teamwork [Nachdruck], S. 528). 60  Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 37, unter Hinweis auf den Jahresbericht 1996 des Danish Committee on Scientific Dishonesty. 61  Bsp.: Jens, Ingeborg / Jens, Walter, Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim, 10. Aufl., Reinbek 2007; Mitscherlich, Alexander / Mitscherlich, Margarete, Die Unfähigkeit zu trauern, Frankfurt a. M. 1967. 62  Bsp.: Hassemer, Michael / Hassemer, Winfried, Urheberrecht. Lob für die Urheber dieses Streits, in: FAZ Nr. 123 v. 29.5.2012, S. 31.



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Institut oder an einem Lehrstuhl ergeben. Kollegialität oder sogar persönliche Freundschaft mögen in dieser Situation eine Triebfeder für eine gemeinsame Veröffentlichung sein. Allerdings dürfte eine Mehrzahl von Autoren einer einzigen Veröffentlichung nicht die Überzeugungskraft des Inhaltes der Veröffentlichung steigern. Geisteswissenschaft­ liche Arbeit im Kollektiv dürfte vielmehr eher fragwürdig – im Sinne: einer Frage würdig – sein.63 Schließlich: Falls in einer von mehreren Autoren gezeichneten Veröffent­ lichung Plagiate enthalten sind: Wer kann oder muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden? Soll in einem solchen Fall eine Beweiserhebung darüber stattfinden, wer den betreffenden Teil der Veröffentlichung verfasst hat und damit der Plagiator ist, oder zählen in diesem Fall auch die KoAutoren als Ko-Plagiatoren, oder kommt es darauf an, ob es einen Hauptautor gibt64, an den wegen dieser Stellung der Plagiatsvorwurf zu richten ist? X. Plagiate und der Umgang mit ihnen 1. Die Fälle Im Jahre 2011 wurden mehrere Fälle von Plagiatsverdacht bekannt. Plagiate und Fälschungen, also wissenschaftliche Unredlichkeiten, sind zwar keine Novitäten in der Geschichte der Wissenschaft65; aber noch nie in der Geschich63  Kein Vorbild war die in der DDR verbreitete Praxis von Veröffentlichungen im Kollektiv. 64  So Christoph Hoffmann, Professor für Wissenschaftsforschung an der Universität Luzern, zit. bei Theiler, Lucia: „Nicht wer was geschrieben habe, sondern wer als Hauptautor auftrete, also zuerst genannt werde und damit im wissenschaftlichen Anerkennungssystem die meisten Lorbeeren bekomme, stehe zur Diskussion“. Dazu ist allerdings anzumerken, dass die Figur eines „Hauptautors“ nicht in allen gemeinschaftlich verfassten Publika­ tionen existiert. 65  „In Zeiten, in denen die Reputation der Wissenschaft durch Fälschungen bedroht ist / und wann war das nicht der Fall?“ fragt

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te der Bundesrepublik führten Plagiate zu einer so intensiven, sich über Monate hin erstreckenden öffentlichen Diskussion66 und noch nie hatte ein Plagiat so weitreichende politische Folgen wie jene Fälle aus 2011. Die Lawine begann mit einer Rezension der Dissertation des damaligen Bundesministers der Verteidigung, Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg, in der Zeitschrift „Kritische Justiz“, in welcher der Rezensent, der in Berlin lebende Bremer Hochschullehrer Andreas Fischer-Lescano, auf zahlreiche Plagiate in der Guttenbergschen Doktorarbeit aufmerksam machte.67 Die Tagespresse und die Wochenpresse nahmen sich des Themas intensiv an.68 Von nun an gab es Rottleuthner, Hubert, Hans Kelsen, Carl Schmitt und der Na­ tionalsozialismus, in: Philip Kunig  /  Makato Nagata, Deutschland und Japan im rechtswissenschaftlichen Dialog, Köln 2006, S. 9 ff. (20). 66  In anderen Ländern, insbesondere in Entwicklungsländern, mag man sich gesagt haben: „Eure Sorgen möchten wir haben“. 67  Fischer-Lescano, Andreas, Rezension von Karl-Theodor zu Guttenberg, Verfassung und Verfassungsvertrag – Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU, Berlin 2009, KJ 44 (2011), S. 112 ff. – Weitergehende Erörterungen auch bei dems., Guttenberg oder der „Sieg der Wissenschaft“?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik H. 2 (2012), S. 53 ff.; Heinig, Michael / Möllers, Christoph, Kultur der Kumpanei. In wohl keinem anderen Fach werden Doktoranden so systematisch zum Regelbruch verleitet wie in der Rechtswissenschaft. Fehlverhalten wird vorgelebt, in: FAZ Nr. 70 v. 24.3.2011, S. 8 (kritisch dazu Huber, Peter M. / Radtke, Henning: Leistungsfähig und vorbildlich. Die deutsche Rechtswissenschaft hat sich bewährt und ist international führend. Es gibt keinen Anlass für eine Generalabrechnung, in: FAZ Nr. 82 v. 7.4.201, S. 8; Canaris, Claus-Wilhelm / Schmidt, Reiner, Hohe Kultur. Schlechte Juristen erkennt man an ihrer mangelnden Fähigkeit zur überzeugenden Lösung von Fällen, in: FAZ Nr. 82 v. 7.4.2011, S. 8). Heinig, Michael / Möllers, Christoph, Kultur der Wissenschaftlichkeit, in: FAZ Nr. 94 v. 21.4.2011, S. 7; Lepsius, Oliver / Meyer-Kalkes, Reinhard (Hrsg.), Inszenierung als Beruf. Der Fall Guttenberg, Berlin 2011. 68  In dem nachfolgend zitierten Bericht der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Universität Bayreuth wird namentlich auf Hinweise in der SZ v. 16.2.2011, in der FAZ



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kein Halten mehr. Eine erste Verteidigungslinie des Ministers, dessen Namensschild auf der bei Truppenbesuchen getragenen Uniformjacke „Dr. zu Guttenberg“ lautete, war von ihm nicht zu halten. Auch von einem geordneten Rückzug konnte bald nicht mehr gesprochen werden. Nachdem die Promotionskommission der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth am 23. Februar 2011 ihm den Doktorgrad aberkannt hatte, blieb dem Bundesminister der Verteidigung Freiherr zu Guttenberg danach nur noch, um in der Sprache des Militärs zu formulieren, die bedingungslose Kapitulation: er trat am 1. März 2011 von seinem Amt als Minister zurück und gab am selben Tag auch sein Bundestagsmandat auf. Den Schlusspunkt setzte schließlich der von der „Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Universität Bayreuth „erstellte Bericht an die Hochschulleitung der Bayreuth aus Anlass der Untersuchung des Verdachts wissenschaftlichen Fehlverhaltens von Herrn Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg“ vom 5. Mai 2011, der zu dem Ergebnis kam: „Nach eingehender Würdigung der gegen seine Dissertationsschrift erhobenen Vorwürfe stellt die Kommission fest, dass Herr Frhr. zu Guttenberg die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht hat.“69 Nach Lage der Dinge konnten die Promotionskommission und die Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Universität Bayreuth zu keinem anderen Ergebnis als dem gelangen, dass im Fall Guttenberg ein wissenschaftliches Fehlverhalten wegen Falschangaben in seiner Dissertation vorlag.70 Die Liste der wörtlichen oder fast wortgleichen Übernahmen fremder Texte ohne Kennzeichnung als solche v. 17.2.2011 und in FAZ.NET v. 9.3.2011 hingewiesen (Bericht S. 10). Über den Fall wurde danach in allen Medien ausführlich berichtet. 69  Bericht, S. 13. 70  Als „Falschangabe“ sieht der Bericht „jede Angabe, die nicht korrekt, also unrichtig ist, weil sie z. B. gegen die fachspezifischen Zitierregeln verstößt, die eigene von fremden wissenschaftlichen Leistungen unterscheidbar machen“ (S. 13).

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ist beeindruckend lang71 und lässt den Vorwurf des Plagiats als absolut begründet escheinen. Nicht ganz so leicht belegbar könnte allenfalls die Annahme des vorsätzlichen Handelns sein72; jedoch kann Vorsatz in diesem Fall auch nicht ausgeschlossen werden, und grobe Fahrlässigkeit war zumindest und zweifelsfrei gegeben. Der Bericht nimmt schließlich auch zu der in der Öffentlichkeit geäußerten Vermutung Stellung, dass bei der Abfassung der Dissertation die Dienste eines „Ghostwriters“ in Anspruch genommen sein könnten: Zu diesem Verdacht „hat die Kommission keine Feststellungen treffen können. Für Aufklärung kann insoweit nur Herr Frhr. zu Guttenberg selbst sorgen. Angesichts dieser Sachlage musste die Kommission bei der Erstellung des Berichts entsprechend den Versicherungen von Herrn Frhr. zu Guttenberg davon ausgehen, dass die Dissertation von ihm selbst verfasst wurde. Im Übrigen würde die Tätigkeit eines ‚Ghostwriters‘ an der festgestellten bewussten Täuschung nichts ändern, weil ‚Ghostwriting‘ die intensivste Form der Täuschung über die Autorschaft ist.“73 Die Plagiatsaffaire Guttenberg betraf einen besonders prominenten Politiker. Karl-Theodor Frhr. zu Guttenberg war nicht nur der Liebling der Boulevardpresse, sondern schien 71  Die Aufstellung ist dem Protokoll der Sitzungen der Promotionskommission der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth am 22. / 23.2.2011 als Anlage beigefügt. Die Sy­ nopse umfasst nicht weniger als 25 Schreibmaschinenseiten. 72  Dazu Bericht der Kommission: „Die Kommission geht in Anlehnung an die allgemein anerkannte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Promotionsangelegenheiten davon aus, dass sich der Täuschungsvorsatz aus der Quantität und Qualität der objektiven Verstöße gegen die Standards guter wissenschaftlicher Praxis, also aus objektiven Indizien, herleiten lässt“ (S. 20), also Schluss vom Objektiven aufs Subjektive. 73  Bericht, S. 26. – Wenn ein Fall von „Ghostwriting“ vorgelegen hätte, würde sich die interessante Rechtsfrage stellen, ob der Auftraggeber vom „Ghostwriter“ als Auftragnehmer wegen Schlecht­ erfüllung ein etwaiges Honorar zurückverlangen könnte.



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen111

auch noch nicht am Ende seines politischen Höhenfluges zu sein: er hatte als Bundeswirtschaftsminister eine gute Figur gemacht, er hatte als Bundesverteidigungsminister die Wehrreform durchgesetzt und die längst überfällige Aussetzung der Wehrpflicht. Nun stürzte er wie Ikarus vom Himmel, allerdings nicht weil seine Flügel aus Wachs an der Sonne geschmolzen waren, sondern wegen fehlender Fußnoten. Guttenberg war allerdings nicht der Einzige, dessen Doktorarbeit ins Zwielicht geriet. Andere aus der Politik bekannte Doktores, die sich einem Plagiatsvorwurf ausgesetzt sahen, waren neben Guttenberg (CSU) – hier in alphabetischer, nicht in chronologischer Reihenfolge genannt – Bernd Althusmann (CDU), Georgios Chatzimarkakis (FDP), Florian Graf (CDU), Silvana Koch-Mehrin (FDP), Margarita Mathiopoulos (früher SPD, jetzt FDP)74 und Annette Schavan (CDU)75. Bei der Aufzählung dieser Namen fällt auf, dass offensichtlich nur Politiker, die der CDU, der CSU oder der FDP angehören, ins Visier der Nachprüfer gelangten, aber keine Politiker von SPD, Bündnis 90 / DIE GRÜNEN oder der Partei DIE LINKE. Eine wohlwollende Erklärung dieser Einäugigkeit der „Blogwarte“76 könnte 74  Im April 2012 entschied die Universität Bonn, den Doktortitel von Margarita Mathiopoulos wegen Täuschung abzuerkennen, mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Promotion mit einer Arbeit über „Amerika. Das Experiment eines Fortschritts.“ Die Anwälte von Frau Mathiopoulos haben die Klage gegen den Entzug des Doktortitels angekündigt, s. Notiz Mathiopoulos verliert Doktortitel, in: FAZ Nr. 2 v. 19.4.2012, S. 6 (mit Hinweis auf die Nachforschung der Internet-Plattform „VroniPlag“). 75  Dazu: Preuß, Roland / Schulz, Tanja, Das Problem mit den Quellen, in: SZ Nr. 102 v. 5.5.2012, S. 5; Preuß, Roland, Neuer Verdacht gegen Schavan, in: SZ Nr. 124 v. 31.5.2012, S. 5 – Gegen den Vorwurf des Plagiats in diesem Fall: Brenner, Dietrich / Tenorth, Heinz-Elmar, Zitierfehler, aber kein Plagiat. Ein computergestützter Textvergleich reicht nicht, um die Eigenständigkeit einer Dissertation zu beurteilen, auch nicht bei Ministerin Schavan, in: FAZ Nr. 120 v. 24.5.2012, S. 8. 76  Ausdruck von Seegers, Armgard, Die Besserwisser sind so schlimm wie die Betrüger, in: HA Nr. 111 v. 13.5.2012, S. 2.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

argumentieren, dass sich unter den Politkern der SPD, der GRÜNEN und der Partei DIE LINKE weniger Promovierte befinden als unter den Politikern von CDU, CSU und FDP. Jedoch geht dieser Erklärungsversuch fehl. Von den 614 Abgeordneten der Bundestages in der 16. Wahlperiode waren 33 Abgeordnete der SPD promoviert, 32 der CDU, 14 der Partei DIE LINKE, je 12 der CSU und der FDP und 4 der GRÜNEN. In Relation zur Anzahl der Fraktionsmitglieder hatte DIE LINKE die meisten, Bündnis 90  /  DIE GRÜNEN die wenigsten promovierten Abgeordneten. Jedoch kommt es auf solche Zahlenspiele letztlich nicht an. Entscheidend ist, ob im konkreten Fall der Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens – in diesen Fällen: eines Plagiates – zutrifft oder nicht. 2. Die (Un-)Rechtsfigur Plagiat Die Rechtsfigur des Plagiats, besser: dessen Unrechtsfigur, setzt die Anerkennung geistigen Eigentums voraus. Die Idee des geistigen Eigentums ist schon im 19. Jahrhundert präsent gewesen, so in einer Publikation des berühmten Rechtsvergleichers Josef Kohler.77 Seitdem ist das Urheberrecht aus jeder modernen Rechtsordnung nicht mehr wegzudenken und dementsprechend Gegenstand zahlloser rechtlicher Regelungen, Gerichtsentscheidungen und wissenschaftlicher Publikationen. Speziell zum Thema des Plagiats in der Wissenschaft sind vor allem die diesbezüglichen Monographien von Volker Rieble78 und von Julian Waiblinger79 zu nennen. 77  Kohler, Josef, Die Idee des geistigen Eigentums, AcP 32 (1894), S. 141. – Aus dem neueren Schrifttum s. Ossenbühl, Fritz, Geistiges Eigentum – ein „Grundrecht aus der Hand des Gesetzgebers“, in: Fs. f. Roman Herzog, München 2009, S. 325 ff. 78  Rieble, Volker, Das Wissenschaftsplagiat – Vom Versagen eines Systems, Frankfurt a. M. 2010. – Zu Fälschung und Plagiat als komplementär aufeinander bezogene Praktiken s. Reulecke, AnneKathrin, Täuschend, ähnlich. Fälschung und Plagiat als Figuren des Wissens in Künsten und Wissenschaften. Eine philologisch-kulturwissenschaftliche Studie, Würzburg 2012.



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Der Begriff „Plagiat“ wird, worauf Julian Waiblinger zutreffend hinweist, „für die verschiedensten Sachverhalte gebraucht, die sich nicht auf die Gebiete von Wissenschaft und Kunst beschränken: Die Verwendung fremder Texte ohne Angabe der Quelle, die Übernahme wissenschaftlicher Theorien und Begründungen, der Nachdruck von Büchern, aber auch Kunstfälschungen sowie Fälle der Produkt- und Markenpiraterie werden als Plagiate bezeichnet.“80 Die Verwerflichkeit und Unredlichkeit des Plagiats kommt in der Charakterisierung als „Geistiger Diebstahl“ anschaulich zum Ausdruck.81 Genauer betrachtet ist der Ausdruck „geistiger Diebstahl“ allerdings nicht besonders treffend; denn „Diebstahl“ bedeutet, dass entwendet wird. Beim Plagiat einer wissenschaftlichen Abhandlung wird aber im eigentlichen Sinne des Wortes nichts entwendet. Das Original, also die Veröffentlichung, aus der plagiiert worden ist, bleibt dem Originalautor erhalten. Kommt es zur Aufdeckung des Plagiats, so kann sogar das inzwischen vielleicht längst vergessene Original durch das Plagiat wieder Aufmerksamkeit finden. So hätte sich vermutlich an den Artikel von Barbara Zehnpfennig in der FAZ von 1997 im Jahre 201182 kaum jemand noch erinnert, wenn nicht daraus ganze Passagen in der Guttenbergschen Dissertation ohne Kenntlichmachung als Zitat wieder erschienen wären.83 Ein 79

79  Waiblinger, Julian, „Plagiat“ in der Wissenschaft. Zum Schutz wissenschaftlicher Schriftwerke im Urheber- und Wissenschaftsrecht, Baden-Baden 2012. 80  Waiblinger, Julian, S. 19; dort auch (S. 20  ff.) Ausführungen zur Etymologie des Plagiats. 81  Dazu Waiblinger, Julian, S. 20: „Als gängigste Umschreibung hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch die schon eingangs genannte Formel von ‚Diebstahl geistigen Eigentums‘ eingebürgert.“ 82  Zehnpfennig, Barbara, Das Experiment einer großräumigen Republik. Kann Europa sich den amerikanischen Weg zur Union zum Vorbild nehmen?, in: FAZ Nr. 276 v. 27.11.1997, S. 11. 83  Wiedergabe in der Anlage zum Protokoll der Promotionskommission der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth, S. 2.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

Plagiat bedeutet also, wenn man ihm überhaupt etwas Positives abgewinnen wollte, dass eine (fremde) Idee auf ­ fruchtbaren Boden gefallen ist und für weiterverbreitungswürdig gehalten wird. Dennoch ist das Plagiat, das besser nicht also „geistiger Diebstahl“, sondern „als die unbefugte Verwertung von fremden Texten unter Anmaßung der Autorschaft“84 bezeichnet werden sollte, zu missbilligen. Mit dem Plagiat wird dem Originalautor gewissermaßen das Erstgeburtsrecht an seiner Ausarbeitung genommen. Der Plagiator verhält sich parasitär, indem er fremde Arbeitskraft ausbeutet. Liegt ein Plagiat vor, so ist aber nicht nur der Originalautor geschädigt. Getäuscht ist vielmehr auch der Leser, der die plagiierten Stellen dem Plagiator zuordnet, also fälschlich einer anderen Person als dem Originalautor. 3. Das sog. Eigenplagiat (Selbstplagiat) Weil also ein Plagiat nur vorliegt, wenn ein fremder Text unbefugt ausgebeutet wird, ist der zuweilen gebrauchte Begriff „Eigenplagiat“ (auch „Selbstplagiat“ genannt)85 unsinnig: Verwendet ein Autor einen eigenen Text, so liegt gerade keine unbefugte Ausbeutung eines fremden Textes vor, sondern allenfalls eine – rechtlich unproblematische – Selbstausbeutung. Auch die auf das Plagiat gemünzte Figur des „geistigen Diebstahls“ passt beim sog. „Eigenplagiat“ („Selbstplagiat“) nicht; denn man kann sich nicht selbst bestehlen, sondern nur eine andere Person. In Wahrheit handelt es sich also nicht um ein Selbstplagiat, sondern um ein Selbstzitat, das grundsätzlich guter wissenschaftlicher Praxis nicht widerspricht, allerdings tunlichst offengelegt werden sollte. Im Einzelfall kann allerdings ein zu häufiger Ge84  So die Formulierung von Schulze-Fielitz, Helmuth, Reak­ tionsmöglichkeiten, S. 18. 85  Hinweise dazu bei Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 19 Fn. 158.



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen115

brauch von Selbstzitaten oder ein Hinweis auf entlegene Stellen mehr peinlich sein als geboten erscheinen.86 Zur Klarstellung sei aber noch einmal daran erinnert, dass wissenschaftliche Veröffentlichungen wissenschaftlicher Autoren häufig auf deren Vorarbeiten zu dem in der Veröffent­ lichung behandelten Themen aufbauen, was nicht unbedingt durch spezielle Zitate kenntlich gemacht werden muss. Wenn der Kölner Staatsrechtslehrer Michael Sachs in einer Anmerkung zu einer eigenen Abhandlung auf frühere eigene Publikationen zu den in jener Abhandlung erörterten Themen den Hinweis gibt: „Inhaltliche Wiederholungen aus diesen und anderen eigenen Publikationen sind im Rahmen der erbetenen erneuten Darstellung einer teilweise schon mehrfach behandelten Thematik unvermeidlich und nicht durchweg durch Einzelzitate markiert“,87 so ist dieser Hinweis mehr als korrekt, eigentlich sogar überflüssig. Von einem Plagiat könnte jedenfalls in jenem Text auch dann keine Rede sein wenn der zitierte Hinweis auf frühere eigene Arbeiten fehlen würde. 4. Schädigungen und Mitverantwortung der Hochschule? Beim Plagiat wird, wie dargestellt, der fremde Originalautor geschädigt und der Leser getäuscht. Geschädigt könnte aber auch das Ansehen der Hochschule sein, die in irgendeiner Form mit der Arbeit, in der Plagiate enthalten sind, in Verbindung gebracht wird. Dass der wissenschaftliche Ruf einer Hochschule ein schützenswertes Rechtsgut ist, hat das Verwaltungsgericht Köln in einem Fall bestätigt, in dem es allerdings nicht um ein Plagiat ging, sondern um die Entziehung eines Doktortitels nach Verurteilung wegen Bestechung 86  Dazu dieses Selbstzitat: von Münch, Ingo, Zitate aus Staub und Nebelhorn, in: JZ 1970, S. 262. 87  Sachs, Michael, Quotenregelungen für Frauen im staatlichen und im gesellschaftlichen Bereich, insbesondere für die Wirtschaft, in: ZG 2012, S. 52 ff. (S. 53 Fn. 10).

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

eines Professors.88 Das Gericht hat den Entzug des Dr. phil. eines gewerbsmäßigen Promotionsvermittlers durch die Philosophische Fakultät der Universität Bonn u. a. damit begründet, dass die Beklagte ihrem durch die Entziehung des Doktortitels des Klägers zu schützenden wissenschaft­ lichen Ruf und ihrem akademischen Interesse den Vorrang vor dem beruflichen Ansehen des Klägers habe einräumen dürfen: „Betroffen sind sowohl die Chancen für die Universität, qualifizierte Professoren und sonstiges wissenschaftliches Personal zu gewinnen, denn ein zweifelhaftes Ansehen der Universität wird die Attraktivität eines Rufes aus Sorge um die eigene wissenschaftliche Reputation mindern. Auch das Ansehen bei den Studenten ist betroffen, denn für diese steht die Wertschätzung ihres an der Universität erworbenen Abschlusses zur Debatte.“89 In der causa Guttenberg hat die Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ der Universität Bayreuth auch die Frage geprüft, ob die Gutachter des Promotionsverfahrens im Sinne der „Regeln über den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an der Universität Bayreuth“ eine „Mitverantwortung für das wissenschaftliche Fehlverhalten von Herrn Frhr. zu Guttenberg“ treffe. Bevor die diesbezügliche Stellungnahme der Kommission in ihrem Bericht im Nachfolgenden referiert wird, soll vorher noch – gewissermaßen in Parenthese – ein Fall aus dem Ausland erwähnt werden, in dem es ebenfalls um Plagiate in einer Doktorarbeit und um die Frage der Mitverantwortung der Betreuer ging. Gemeint ist der Fall des ehemaligen ungarischen Staatspräsidenten Pál Schmitt, über den wie folgt berichtet wurde: „Eine Kommission der Semmelweis-Universität Budapest hat festgestellt, dass große Teile der Doktorarbeit des ungarischen Staatspräsidenten Pál Schmitt wortgleich aus den Arbeiten anderer Wissenschaftler übernommen worden sind. Die Kommission kommt dennoch zu dem Schluss, 88  VG 89  VG

Köln Urt. v. 27.10.2011, NWVBl. 2012, S. 77 ff. Köln, S. 79.



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen117

dass die 1992 angenommene Arbeit mit dem Titel „Analyse des Programms der Olympischen Spiele der Neuzeit“ den damaligen rechtlichen Bestimmungen der Budapester Sport­ universität entsprochen habe. Nach Ansicht der Kommission hätte Schmitt von seinen Betreuern rechtzeitig auf die Mängel hingewiesen werden müssen, was unterblieben sei.“90 Zu einem anderen Ergebnis gelangte jedoch die Doktoratskommission der Universität, die sich mit 16 zu 2 Stimmen dafür aussprach, den Doktortitel abzuerkennen.91 Auch der Senat der Universität entschied, mit 33 zu 4 Stimmen, dass es sich bei der Doktorarbeit von Schmitt um ein Plagiat handele.92 Nachdem auch die stärkste Partei im ungarischen Parlament, die Fidesz, von ihm abzurücken begann, wurde der Druck auf den Staatspräsidenten immer stärker. In einem Fernsehinterview am 1. April 2012 sah er zwar noch keinen Anlass für seinen Rücktritt; in dem Interview äußerte er, für ihn bestehe „kein Zusammenhang zwischen beanstandeter Dissertation und meinem Amt als Staatspräsident“, in das er nicht wegen seiner Doktorarbeit gewählt worden sei, sondern „wahrscheinlich wegen anderer Qualitäten“.93 Aber schon einen Tag später musste Pál Schmitt dann doch seinen Rücktritt vom Amt des Staatspräsidenten bekanntgeben.94 90  Bericht „Schmitts Arbeit abgeschrieben“, in: FAZ Nr. 75 v. 28.3.2012, S. 6. 91  Bericht Schmitt soll Doktortitel verlieren. Kritik an Ungarns Präsidenten nun auch von Fidesz, in: FAZ Nr. 77 v. 30.3.2012, S. 4. 92  Olt, Reinhard, Pál Schmitts letztes Gefecht. Nach Aufdeckung der Plagiatsaffaire war der ungarische Staatspräsident nicht mehr zu halten. Die Geschichte eines langen Aufstiegs – und schnellen Falls, in: FAZ Nr. 80 v. 3.4.2012, S. 5. 93  Bericht Der ungarische Staatspräsident will nicht zurücktreten. „Kein Zusammenhang zwischen Dissertation und Amt“, in: FAZ Nr. 79 v. 2.4.2012, S. 5, dort auch mit der Äußerung, er habe die Arbeit seinerzeit „in gutem Glauben und nach bestem Wissen und Gewissen verfasst, und 20 Jahre lang hat mich niemand darauf aufmerksam gemacht, bei der Nutzung der Quellen einen Fehler gemacht zu haben.“ Auch heute habe er ein „reines Gewissen“. 94  Bericht Ungarischer Präsident tritt nach Plagiatsvorwürfen zurück. „Pflicht, meinen Dienst zu beenden“ / Orbán bis zuletzt an

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

Auch Guttenberg musste zurücktreten. Aber die Bayreuther Kommission kam hinsichtlich der Frage einer Mitverantwortung der Betreuer im Fall Guttenberg zu einem anderen Ergebnis als die zunächst mit dem Fall Pál Schmitt befasste Budapester Kommission. Der Bericht verweist zunächst auf die bereits erwähnten Regeln und stellt dazu fest, es kann sich „eine Mitverantwortung für Fehlverhalten insbesondere aus aktiver Beteiligung am Fehlverhalten anderer, aus dem Mitwissen um Fälschungen durch andere oder durch die grobe Vernachlässigung der Aufsichtspflicht ergeben.“95 Im konkreten Fall, also hinsichtlich der Begutachtung der Guttenbergschen Dissertation, kommt die Kommission jedoch zu dem Ergebnis: „Den Gutachtern sind aus der Sicht der Kommission solche oder vergleich­ bare Vorwürfe nicht zu machen.“96 Zur Begründung führt die Kommission u. a. aus, der Erstgutachter (Prof. Peter Häberle)97 habe sich vom „Grundsatz des „pädagogischen Op­timismus“ leiten lassen“98, insoweit „einer guten akademischen Tradition folgend, von einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Promotionsbetreuer und den Doktoranden“.99 der Seite Schmitts / Neuwahl, in: FAZ Nr. 80 v. 3.4.2012, S. 1; Ritterband, Charles E., Demission wegen Plagiats. Ungarns Präsident gibt auf, in: NZZ Nr. 79 v. 3.4.2012, S. 3. – Neuerdings steht auch der rumänische Ministerpräsident Victor Ponta unter dem Verdacht, weite Teile seiner an der Universität Bukarest eingereichten rechtswissenschaftlichen Dissertation abgeschrieben zu haben, Notiz Plagiatsvorwurf gegen Victor Ponta, in: FAZ Nr.  140 v. 19.6.2012, S. 1; Notiz Victor Ponta des Plagiats überführt, in: FAZ Nr. 150 v. 30.6.2012, S. 6. 95  Bericht, S. 26 (zu Regel 2.2.). 96  Bericht, S. 26. 97  Eine gewisse Pikanterie (oder sollte man sagen: Tragik) liegt in der Tatsache, dass Peter Häberle einige Jahre vor dem Plagiatsfall Guttenberg eine Abhandlung zum Thema „Verantwortung und Wahrheitsliebe im verfassungsjuristischen Zitierwesen“ verfasst hat (zit. bei Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 62 Fn. 476). 98  Bericht, S. 27. 99  Bericht, S.  27 / 28.



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen119

Zu einer etwaigen Aufsichtspflicht heißt es in dem Bericht: „Von beiden Gutachtern100 konnte im Übrigen nicht erwartet werden, dass sie den Doktoranden ‚beaufsichtigen‘; denn bei geisteswissenschaftlichen Promotionsprojekten stehe die ‚primäre Eigenverantwortung‘ des Doktoranden deutlicher im Vordergrund“ als bei naturwissenschaftlich-experimentell angelegten Dissertationen.101 Das an eine Dissertation gerichtete Erfordernis der „Selbständigkeit der Leistung verlangt ein gesteigertes Maß an Selbstverantwortung, dem ein Doktorand, namentlich wenn er bereits fortgeschrittenen Alters ist, gerecht werden muss“.102 Der „Freispruch“, zu dem die Kommission hinsichtlich der Frage einer eventuellen Mitverantwortung der Gutachter am wissenschaftlichem Fehlverhalten des Dr. Frhr. zu Guttenberg gelangt ist103, könnte Kritiker vielleicht zu dem altbekannten Kommentar veranlassen: „Eine Krähe hackt der anderen nicht das Auge aus“. Jedoch wäre eine solche Kritik in diesem Fall ungerecht. Volker Rieble, einer der besten Kenner von Plagiatsvorwürfen, hat in einem anderen Fall, nämlich im Fall Bernd Althusmann, eine Mitverantwortung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam an dem von ihm (Rieble) bejahten Plagiat verneint, und zwar aus drei Gründen: „Erstens trägt der Doktorand allein die Verantwortung für die wissenschaft­liche Redlichkeit seiner selbständigen Arbeit … Aufgabe des Betreuers ist es, ihm in wissenschaftlich-methodischen Fragen zu helfen. Er weist auf logische Brüche, offene Fragen, innere Widersprüche, systematische Unabgeschlossenheit und dergleichen hin. Er ist der Coach für das 100  Zweitgutachter war Prof. Rudolf Streinz (München, früher in Bayreuth). 101  Bericht, S. 29. 102  Bericht, S. 30. 103  Zur Benotung der Guttenbergschen Dissertation mit der Höchstnote „summa cum laude“, die die beiden Gutachter ohne damalige Kenntnis der Plagiate vorgenommen hatten, s. den Bericht, S.  32 f.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

wissenschaftliche Konzept der Arbeit. Er ist Mentor und kein Zitatpolizist … Zweitens hätte eine solche Kontrollfunkton dysfunktionale Folgen: Wenn der Betreuer jedes Zitat nachschauen soll, nimmt die Korrektur Wochen in Anspruch … das würde schon zu Lasten anderer Betreuungsaufgaben gehen … Drittens schüfe dies einen Fehl­ anreiz: Der schlampige Doktorand übergibt die Arbeit dem Professor, der diese dann im Kontrollwege fertigstellen soll. Der Betreuer würde zur Fußnotenhilfskraft …“.104 Der Argumentation von Rieble ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nur zur Bekräftigung seiner Beweisführung, insbesondere zu dem plastischen Bild, dass der Betreuer einer Dissertation kein „Zitatpolizist“ ist, sei nur Folgendes noch angefügt: Wer meint, Plagiate seien ohne weiteres zu erkennen, irrt: Nicht jeder Betreuer einer Dissertation ist ein Linguist, der einen etwaigen Stilbruch sieht. In Dissertationen wird heute, jedenfalls in den geisteswissenschaftlichen Fächern, oft viel mehr Material als früher verarbeitet, was naturgemäß die Versuchung zum Plagiieren und damit die Gefahr des Pla­ giierens erhöht. Mit steigender Zahl der Studierenden steigt verständlicherweise die Zahl der potentiellen Doktoranden. Wer die Öffnung der Hochschulen, also mehr Studierende will105, muss auch die Entwicklung hin zu mehr Dokto­ randen zumindest in Kauf nehmen. Beliebte und gefragte Hochschullehrer haben schon heute viel mehr Doktoranden als früher: Die Zeiten, in denen der berühmte Sachenrechtler Martin Wolff, in der Weimarer Republik zunächst an der Universität Bonn, später an der Berliner Universität lehrend, wie von einem seiner damaligen Doktoranden berichtet wird „gewöhnlich nicht mehr als zwei bis drei Doktoranden zur gleichen Zeit hatte“,106 sind lange vorbei. Ein Hochschullehrer vom Range eines Martin Wolff hat heute mehr als ein Dutzend Doktoranden gleichzeitig. Jürgen Mittelstraß, einer 104  Rieble,

Volker, Plagiatsformenlehre, S. 8. häufig – meist kritisch – gebrauchte Ausdruck „Massenuniversität“ wird hier bewusst nicht verwendet. 106  Kronstein, Heinrich, Briefe, S. 87. 105  Der



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen121

der besten Kenner der Wissenschaftslandschaft, erwähnt in seinem Beitrag „Der Königsweg zur Promotion“, dass „heute nicht selten … auf einen Betreuer bzw. eine Betreuerin 20 oder mehr Doktoranden fallen“.107 Ungewöhnlich selbst für heutige Verhältnisse war allerdings die Potenz des Kölner Arbeitsrechtlers und zeitweiligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Hans Carl Nipperdey, der – wie aus den Akten der Fakultät ermittelt wurde – bei seinem Tode (1968) 194 unabgeschlossene Promotionsverfahren hinterließ.108 5. Politiker im Visier der Plagiatsjäger Eine möglicherweise neuere Entwicklung ist die, dass wohl öfter als früher Politiker auf einen Doktortitel Wert legen und deshalb zusätzlich zu ihrer politischen Tätigkeit noch an einer Dissertation schreiben. Im Zusammenhang mit der Vermutung, dass es auch an der Universität Bonn Plagiatsfälle geben könnte, hat der in Bonn lehrende Öffentlichrechtler und Vorsitzender des Organs Ombudsman der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Wolfgang Löwer, geäußert: „Als Bonn noch Bundeshauptstadt war, haben hier viele Leute studiert, die gleichzeitig Jungpolitiker waren. Die hatten einen großen Druck auszuhalten: Einerseits wollten sie Karriere machen, andererseits mussten sie auch mit dem Studium vorankommen … Die Promotion fiel in eine Lebensphase, in der sie anderweitig sehr weitgehend in Anspruch genommen wurden“; deshalb, so wird Löwer zitiert, sei „die Versu­ chung groß gewesen, bei der Doktorarbeit zu pfuschen.“109 107  Mittelstraß, Jürgen, Der Königsweg zur Promotion, in: Margret Wintermantel (Hrsg.), Promovieren heute. Zur Entwicklung der deutschen Doktorandenausbildung im europäischen Hochschulraum, Hamburg 2010, S. 45 ff. (37). 108  Information von Adomeit, Klaus, Hans Carl Nipperdey als Anreger für eine Neubegründung des juristischen Denkens, in: JZ 2006, S. 745 ff. (751). 109  Zit. bei Ernst, Christof, Plagiats-Fälle. Schummel-Uni Bonn?, in: http: /  / www.express.de / bonn / plagiats-faelle-schummel-uni-bonn.

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

Promovieren wollen jedoch nicht nur Jungpolitiker110 sondern auch schon im Amt und Würden Stehende. Ein Beispiel für eine solche späte Promotion ist die des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann, der mit einer im Juli 2007 eingereichten Dissertation zum Thema „Prozessorganisation und Prozesskooperation in der öffentlichen Verwaltung – Folgen für die Personalentwicklung“ und nach Disputation im Februar 2008 an der Universität Potsdam zum Dr.rer.pol. promoviert wurde. Im Jahre 2011 geriet nach Guttenberg und anderen Politikern auch Althusmann in das Visier der Plagiatsjäger. Auf die Frage: „Warum stehen Politiker derzeit im Fokus der Plagiatsdebatte?“ hat Wolfgang Löwer die Antwort gegeben: „Das liegt am Jagdverhalten der Jäger. Die haben sich eine Kohorte ausgesucht, in der eine hohe Trefferquote erzielt worden ist, wo Schriften entdeckt wurden, in denen Zitatflicken nur gut vernäht wurden. ­Vielleicht ergäben sich verwandte Ergebnisse, wenn man andere Kohorten untersuchen würde.“111 Bernd Althusmann war als Jagdobjekt besonders interessant, weil er im Zeitpunkt der Erhebung des Plagiatsvorwurfes als Kultusminister Niedersachsens zugleich (turnusmäßig) amtierender Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK) war. Die Besonderheit dieses Falles lag darin, dass Althusmann – anders als Guttenberg – nicht Quellen in seiner Dissertation verschwiegen und als eigene ausgegeben hat, sondern die Quellen mit „vgl.“, aber ohne folgende Anführungszeichen genannt hat. 110  Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Antwort von Löwer in einem Interview auf die Frage „Hatte die Uni Bonn eine zu große Nähe zur Politik?“: „Die Universität Bonn hat, solange Bonn Regierungssitz war, alles getan, um die Nähe zur Politik, die korrumpieren könnte, zu vermeiden. Was eine Universität aber nicht vermeiden kann, ist, dass sie Studenten hat, die erfolgreiche Jungpolitiker sind …“ (Löwer, Wolfgang: „Bequeme Wege bieten wir nicht an“. Vor der Entscheidung der Uni Bonn im Fall Chatzimarkakis: Der Bonner Professor äußert sich im GA-Interview zu Promotionen und Plagiaten, in: General-Anzeiger online. www.general-anzeiger-bonn.de 25.10.2011, S. 2). 111  Löwer, Wolfgang, S. 2.



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen123

Die mit dem Fall Althusmann befasste „Kommission zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Universität Potsdam“ hat das Verfahren wegen der Vorwürfe gegen ihn im Hinblick auf seine Dissertation eingestellt.112 Die Kommission ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Dissertation zwar „zahlreiche formale Mängel“ enthalte, „die nicht guter wissenschaftlicher Praxis entsprechen“; ein wissenschaftliches Fehlverhalten im Sinne der diesbezüglichen Satzung der Universität Potsdam liege aber nicht vor.113 6. „Vgl.“: ein Plagiat? Die Besonderheit des Falles Althusmann lag darin, dass in seiner Dissertation weder ein Wortplagiat noch ein Inhaltsplagiat noch eine Paraphrase verwendet worden sind114; Althusmann hat vielmehr die Quellen seiner Arbeit durch Angabe der entsprechenden Fundstellen benannt, allerdings mit dem Zusatz „Vgl.“. Der Potsdamer Kommissionsbericht stellt dazu fest: „Ein allgemeines Strukturmerkmal der Dissertation (gemeint ist: der Dissertation von Althusmann, d. Verf.) stellt es dar, dass in Fußnoten der Zusatz „Vgl.“ als Hinweis auf einen fremden Text verwandt wird und eine zumindest enge wörtliche Anlehnung an diesen fremden Text erfolgt.“115 Die Frage, „ob damit die Heranziehung des fremden Textes hinreichend kenntlich gemacht ist“116, bejaht die Kommission – m. E. zutreffend. Ein Plagiat, in welcher Form 112  Dazu Schmoll, Heike, Kultusminister Althusmann darf seinen Doktortitel behalten. Potsdamer Kommission sieht kein Pla­ giat / Zitatenanteil von mehr als der Hälfte in einer nur ausreichenden Arbeit, in: FAZ Nr. 281 v. 2.12.2011, S. 4. 113  Bericht, S. 1 (Vorblatt) und S. 27 / 28 (Zusammenfassung). 114  Für die diesbezügliche Bestimmung des Begriffs des Plagiats zitiert der Potsdamer Kommissionsbericht (S. 13) den Bayreuther Kommissionsbericht (S. 14). 115  Bericht, S. 16. 116  Bericht, S. 16.

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auch immer, ist dadurch gekennzeichnet, dass der Originalautor verschwiegen wird; der Plagiator erweckt also willentlich den Eindruck, der plagiierte Text stamme von ihm selber und von ihm allein. „So liegt es hier aber nicht, weil der Autor mit dem ‚Vgl.‘-Hinweis zumindest die jeweilige Fundstelle nennt. Der Betroffene hat damit die Quellen seiner Arbeit für eine Überprüfung zugänglich gemacht“.117 „Ein Wille zur Täuschung ist nicht erkennbar“;118 denn: „Der Betroffene hat mit der Nennung von Fundstellen bewusst die Quellen seiner Arbeit für eine Überprüfung zugänglich gemacht.“119 Indem hinter der Abkürzung „Vgl.“ der jeweilige Originalautor mit Namen zitiert wird, scheidet ein Verschweigen und damit die Anmaßung einer Autorschaft bei dieser Handhabung aus. Es liegt also hier gerade nicht „das Copy-Paste-Verfahren der zitatlosen Volltextübernahme“ vor; wenn (Volker Rieble), von dem diese Formulierung stammt, meint „das ‚vergleiche‘-Zitat zeigt Distanz an, obschon der fremde Gedanke inhaltlich vollständig übernommen worden ist“120, so kann dieser Deutung des Wortes „vergleiche“ nicht gefolgt werden. Eine Distanzierung von einem fremden Text läge vielmehr nur dann vor wenn das Kürzel „a. A.“ (für „anderer Ansicht …“) oder das Kürzel „abw. Auff.“ (für „abweichende Auffassung …“) verwendet würde oder – schwächer distanzierend – „vgl. aber“. In dem Kürzel „Vgl.“ liegt gerade keine Distanzierung sondern der Hinweis auf Parallelität. Klar ist auch, dass der mit „Vgl.“ zitierte Autor seinen Text zeitlich vor dem ihn so zitierenden Autor verfasst hat, weil anders der Hinweis überhaupt nicht hätte angebracht werden können; unter diesem zeitlichen Aspekt liegt in der Zitierweise „vgl.“ unbestreitbar ein „vgl. schon …“. Entscheidend für die Beurteilung des Zitierens mit „vgl.“ ist aber die Tatsache, dass diese Zitierweise nicht unüblich ist, sondern – worauf Ludger Anselm Versteyl in seinem anwalt117  Bericht,

S. 16. S. 18. 119  Bericht (Anm. 272), S. 19. 120  Rieble, Volker, Plagiatsformenlehre, S. 8. 118  Bericht,



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen125

lichen Plädoyer vor der Potsdamer Kommission zutreffend hingewiesen hat – jedenfalls in der juristischen Kommentarund Lehrbuchliteratur, aber auch in Gerichtsentscheidungen – absolut gängige Praxis ist. Auch in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als des höchsten deutschen Gerichts finden sich, woran Versteyl erinnert, Beispiele für diese Zitierweise.121 Als Vorwurf gegen Althusmann bleibt dann eigentlich nur übrig, „im Rahmen indirekter Zitate zu viele Satzbestandteile aus den Ursprungstexten unverändert übernommen zu haben … M. a. W. wird dem Betroffenen vorgeworfen, dass sein Text über eine unzureichende Anzahl an Anführungszeichen verfügt.“122 Wenn dieser Vorwurf Schule gemacht hätte, müssten Betreuer und Betreuerinnen von Doktorarbeiten künftig bei deren Durchsicht zwar nicht Erbsen, aber Anführungszeichen („Gänsefüßchen“) zählen. Dabei wird das nicht in Rechnung gestellt, was jeder weiß oder zumindest wissen muss, nämlich, dass nicht alles Zitierte auch tatsächlich gelesen worden ist.123 Theorie und Praxis des Zitierens sollten sich jedenfalls nicht zu einer Diktatur der Fußnote entwickeln.124 Schon wird Joachim Gauck dafür 121  Das Plädoyer von Ludger Anselm Versteyl (Rechtsanwalt, Honorarprofessor an der Universität Lüneburg und Autor zahl­ reicher Gesetzeskommentierungen) ist abrufbar unter versteyl@ versteyl.de. 122  Stellungnahme des Kommissionsmitglieds der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, Bericht, S. 22 / 23. – Anders ausgedrückt, aber in der Sache gleich: Die Dissertation von Althusmann war handwerklich schlecht angefertigt. Aber eine Dissertation ist, um in der Sprache des Handwerks zu bleiben, ein Gesellenstück, keine Meisterarbeit (wie eine Habilitationsschrift). 123  Siehe dazu den Bericht Hastige Fußnoten. Eine Studie zeigt: Studenten zitieren viel, lesen aber wenig, in: SZ Nr. 258 v. 9.11.2011, S. 16. 124  Wegweisend: Grafton, Anthony, Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote, München 1998; s. auch Linke, Karl-Peter, Akademische Pflicht am Ende des Textes. Die Geschichte der Fußnote reicht bis in die Antike, in: DIE WELT v. 21.9.1998, S. 7;

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G. Veröffentlichungen: eigene und fremde

gerügt, dass er in einer Rede den von ihm gebrauchten Ausruf „Was für ein schöner Sonntag“ nicht als Zitat, nämlich des gleichlautenden Titels eines Romans von Jorge Semprun kenntlich gemacht hat. 7. Konsequenzen aus den Plagiatsfällen Welche Konsequenzen werden sich aus den Plagiatsfällen der jüngsten Vergangenheit hinsichtlich des Promotionswesens künftig ergeben? Bei aller Unsicherheit, die Prognosen innewohnt, liegt jedenfalls einmal die Vermutung nahe, dass künftig externe Interessenten125 seltener als Doktoranden angenommen werden als bisher; denn die Plagiatsfälle betrafen Doktoranden, die schon einer politischen Berufstätigkeit nachgingen. Ein solcher faktischer Ausschluss von Externen wäre aber nicht nur unkritisch zu sehen. Zum anderen könnte es sein, dass der Rat der Bayreuther Kommission „zu einem behutsamen Einsatz von sog. Plagiatssoftware“ künftig öfters als bisher befolgt werden wird, was allerdings voraussetzt, dass alle Dissertationen elektronisch eingereicht werden müssen.126 Auch hier gilt es aber, Vorteile und Nachteile eines solchen Verfahrens gegeneinander abzuwägen. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass künftig der Gesetzgeber – also die Parlamente in den Bundesländern – mehr und strengere Regelungen hinsichtlich der Einhaltung guter wissenschaftlicher Praxis schaffen werden.127 Jacob, Joachim / Mayer, Mathias (Hrsg.), Im Namen des Anderen. Die Ethik des Zitierens, Paderborn 2010; Rieß, Peter, Vorstudien zu einer Theorie der Fußnote, Berlin / New York 1983. – Zu Fußnoten in Dissertationen: von Münch, Ingo, Promotion, S.  92 f. 125  Externe Bewerber werden zuweilen auch als „freie Bewerber“ bezeichnet; jedoch ist dieser Ausdruck nicht glücklich, weil diese Bewerber in Bezug auf den Doktorandenstatus nicht mehr „frei“ sind als andere Bewerber. 126  Bericht, S. 38 (Empfehlungen). 127  Siehe dazu z. B. den Antrag der FDP-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft betr. Autonomie und Deregulierung im hamburgischen Hochschulwesen (Bürgerschaft der Freien und Hanse-



X. Plagiate und der Umgang mit ihnen127

Die Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis kann allerdings gerade auch von jungen Wissenschaftlern nur erwartet und eingefordert werden, wenn den Studierenden die korrekte Technik wissenschaftlichen Arbeitens während des Studiums und den Promovierenden vor oder während der Anfertigung der Dissertation vermittelt wird. In früheren Zeiten gab es dazu keine Lehrveranstaltungen und kaum Anleitungsbücher; man lernte die Technik wissenschaftlichen Arbeitens irgendwie nebenbei. Heute gibt es bereits vereinzelt universitäre Veranstaltungen zum Erlernen der Technik wissenschaftlichen Arbeitens und einen wachsenden Markt für diesbezügliche Anleitungsbücher, insbesondere auch zum richtigen Zitieren.128 Jedenfalls bleibt die Selbstverantwortung der Wissenschaft zur Vermeidung von Plagiatsfällen intensiv gefordert.129

stadt Hamburg 20. Wahlperiode, Drucksache 20 / 3551 v. 14.3.2012): „(1) j) Zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis soll § 59 HmbHG um einen Absatz 3 ergänzt werden, der regelt, dass wer vorsätzlich gegen eine die Täuschung über Prüfungsleistungen betreffende Regelung einer Hochschulprüfungsordnung oder gegen eine entsprechende Regelung einer staatlichen oder kirchlichen Prüfungsordnung verstößt, ordnungswidrig handelt. Diese Ordnungswidrigkeit soll mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden. Für das Verwaltungsverfahren sollen die Rechtsabteilungen der staatlichen Hochschulen beziehungsweise die staatlichen Prüfungsämter zuständig sein.“ 128  Bsp.: Bergmann, Marcus / Schröder, Christian / Sturm, Mi­chael, Richtiges Zitieren. Ein Leitfaden für Jurastudium und Rechts­praxis, München 2010 (auch zu Zitaten aus Internetquellen). 129  Dazu Frühwald, Wolfgang u.  a., Zur Plagiatsdebatte. Über die Selbstverantwortung der Wissenschaft, in: SZ Nr. 135 v. 14.6. 2012, S. 18, aber auch mit dem Hinweis darauf, „dass in der letzten Zeit durch nach Belieben gesetzte Standards wissenschaft­ lichen Arbeitens sowie durch nachträgliche Anwendung erst später entwickelter Kriterien ein Klima des Verdachts und der Bedrohung entsteht …“.

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8. Ghostwriter in der Politik Die großen Plagiatsfälle, die 2011 und 2012 eine breite Öffentlichkeit beschäftigten, betrafen wissenschaftliche Arbeiten (nämlich Doktorarbeiten) von Politikern. Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik, auch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wissenschaft und Politik, sind schon öfters behandelt worden.130 Ein Unterschied ist unübersehbar, obgleich er bisher kaum thematisiert worden ist: Während die nicht kenntlich gemachte Nutzung fremder Gedanken in einer wissenschaftlichen Arbeit eines Politikers als Plagiat als unverzeihliche Sünde angesehen wird, die zu Rücktrittsforderungen führt, wird ein von einem Ghostwriter geschriebenes Buch eines Politikers ohne Murren hingenommen.131 Anders als beim Wissenschaftsplagiat nutzt in diesem Fall der Autor zwar nicht unbefugt die Arbeit des Ghostwriters (dessen Arbeit ja auf Vereinbarung und Bezahlung beruht), aber der Leser wird – genau wie beim Wissenschaftsplagiat – über die tatsächliche Autorschaft getäuscht. Die einzige Entschuldigung – und wiederum ein Unterschied zum Wissenschaftsplagiat – könnte darin liegen, dass der Leser ohnehin davon ausgeht, dass der Politiker „sein“ Buch nicht selbst oder jedenfalls nicht allein geschrieben hat. Falls dem so ist, wäre dies kein Vertrauensbeweis für Politik und Politiker.

130  Dazu: Däubler-Gmelin, Herta, Kooperation von Wissenschaft und Politik; von Münch, Ingo, Wissenschaftler und Politiker. Gemeinsamkeiten und Unterschiede, in: DER STAAT 2006, S.  83 ff.; ders., Wissenschaft und Politik, in: Ingo von Münch, Rechtspolitik und Rechtskultur, S. 204 ff.; Schmoll, Heike, Wissenschaft und Politik, in: FAZ Nr. 55 v. 7.3.2011, S. 1. 131  Zum Thema Ghostwriter von Politikbüchern s. Rosenfelder, Lydia, 7000 Becks. Das Politikerbuch: Der Ghostwriter schreibt es, die Partei kauft es, nach dem Wahlkampf verstaubt es, in: FAS Nr. 8 v. 26.2.2012, S. 5.

H. Wissenschaft als Lebensform I. Die Bedeutung der Kollegialität Das Leben eines Wissenschaftlers besteht glücklicherweise (mancher mag sagen: unglücklicherweise) nicht nur aus der Beschäftigung mit Publikationen. Wissenschaft als Lebensform (Titel eines Buches von Jürgen Mittelstraß1) umfasst vielfältige und – je nach Wissenschaftsdisziplin – sehr unterschiedliche Tätigkeitsfelder. Gemeinsames Merkmal der Wissenschaft als Lebensform ist, jedenfalls für die Mehrheit der Wissenschaftler, die nicht als Privatgelehrte tätig sind sondern an wissenschaftlichen Hochschulen oder an wissenschaft­ lichen Forschungsinstituten, die Arbeit in einem Kollegium. Wissenschaft ist vom Grundsatz her hierarchieabweisend, ein Grundsatz, der Ausnahmen wie die Leitungsbefugnis von Institutsdirektoren oder Weisungsrechte von Lehrstuhlinhabern gegenüber wissenschaftlichen Mitarbeitern oder Betreuungspflichten gegenüber Promovenden nicht ausschließt. Wenn aber Wissenschaft – jedenfalls im Idealfall – hierarchieabweisend ist, kommt der Kollegialität unter Wissenschaftlern eine besondere Bedeutung zu. Mit anderen Worten: Dort, wo kein Direktionsrecht eines Vorgesetzten existiert, muss kollegiales Verhalten dieses Vakuum ausfüllen. Nun ist allerdings bekannt, dass das Wort „Kollege“ oder „Kollegin“ in der Praxis nicht immer hält, was dieses Wort verspricht. Gebräuchlich ist die Redewendung: „Den Kollegen hat Gott im Zorn erschaffen.“ Weniger bekannt ist die Meinung, die der Göttinger Mathematiker David Hilbert über seine Wissenschaftskollegen hatte; sie wird von Hans J. 1  Mittelstraß, Jürgen, Wissenschaft als Lebensform, Frankfurt a. M. 1982.

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Bär, der sich an Hilbert persönlich erinnerte, wie folgt wiedergegeben: „Der aus Königsberg gebürtige Ostpreusse sprach das „g“ gewohnheitsmässig als „j“ und pflegte über seine Zunft zu sagen: „Ein Wissenschaftler ist nichts anderes als Neid, Missjunst und Niedertracht.“2 Positiv wird dagegen die Kollegenschaft als Möglichkeit der Kontrolle gesehen: „In der Hochschulwelt geht ein geflügeltes Wort um: Professoren sind mächtig, aber es gibt ja noch die Kollegen. Die soziale Kontrolle durch Ebenbürtige, so die Hoffnung, verhindere ein Überschießen der Macht. Kollegen sind es auch, die eine Arbeit im sogenannten Peer-Review-Prozess begutachten und kritisch hinterfragen müssen.“3 Als Beispiel einer institutionalisierten Kontrolle durch Kollegen können auch die seit einigen Jahren praktizierten sog. Evaluierungen genannt werden, die im Einzelfall durchaus positive Wirkungen entfalten mögen, deren exzessiver Gebrauch aber auch kritisch betrachtet werden sollte. II. Kollegialität und Gleichheit Kollegialität in der Wissenschaft beruht auf Gleichheit des beruflichen Status oder auf Gleichheit der Achtung der wissenschaftlichen Arbeit. In der Realität der Wissenschaftslandschaft sind aber einige gleicher als andere. Eine Modifizierung im Prinzip der Gleichheit im Kollegium der Hochschullehrer ergab sich noch bis in das zweite Drittel des 20. Jahrhunderts durch das Prinzip der Anciennität: Die älteren (meist auch: dienstälteren) Kollegen hatten mehr zu sagen als die jüngeren. In der Praxis führte dies z. B. dazu, dass – wegen des damals existierenden Kolleggeldes – die älteren Kollegen gern die großen Vorlesungen mit vielen Hörern übernahmen (härter, aber nicht unzutreffend formuliert: für sich reservierten), während für die jüngeren Kolle2  Bär,

Hans J., S. 26. Matthias, S. 9. – Gebräuchlich ist in Deutschland der – nicht auf Peer-Reviewers beschränkte – etwas süffisant gebrauchte Ausdruck „Ober-Professoren“ oder „Groß-Ordinarien“. 3  Meili,



III. Das Problem des alternden Wissenschaftlers131

gen, insbesondere also für die Privatdozenten, die kleinen Vorlesungen mit weniger Hörern übrigblieben. So wie es in der Tierwelt die „big five“ gibt (Elefant, Nashorn, Büffel, Nilpferd, Giraffe), so finden sich auch in wissenschaftlichen Einrichtungen Asse, Könige, Damen und Buben. Das echter Kollegialität widersprechende Prinzip der Anciennität hat weniger Gewicht in Hochschulneugründungen. Der Verf. erinnert sich daran, dass unter den ziemlich gleichzeitig berufenen und altersmäßig überwiegend jüngeren Kollegen an der damals neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum der das Anciennitätsprinzip persiflierende Satz kursierte: „Das Senilitätsprinzip gilt bei uns nicht.“ III. Das Problem des alternden Wissenschaftlers: (Nicht-)Loslassenkönnen Der alternde Wissenschaftler ist nicht nur eine menschlich zu behandelnde biologische Erscheinung4, sondern er hat auch seinen Platz in guter und nicht guter Wissenschaft. Der gute Platz ist der eines erfahrenen Kollegen oder einer erfahrenen Kollegin, aus deren Erfahrungsschatz der jüngere Kollege und die junge Kollegin so manches mit Gewinn mitnehmen können, dies vor allem auch dann, wenn „aus dem Nähkästchen“ geplaudert wird. Eine ungute Rolle spielt der alternde Kollege, wenn er nach seiner Emeritierung nicht loslassen kann. Gemeint ist damit nicht die Beteiligung an Lehre und Forschung – Bereiche also, in denen der emeritierte Kollege durchaus noch segensreich wirken kann. Kritisch zu beurteilen ist dagegen, wenn der Alte einige 4  Als der bedeutende Staatsrechtslehrer Herbert Krüger in hohem Alter an einer Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer teilnahm, trug er am Revers seines Anzuges eine Plakette (heute würde man sagen: einen Button) mit der Aufschrift „Ehret das Alter“. Als Herbert Krügers Lebenswerk, sein Buch „Allgemeine Staatslehre“ (2. Aufl., Stuttgart 1966), von einem damals sehr jungen Kollegen in einer von diesem verfassten Rezen­ sion zerfetzt wurde, traf dies – wie ich aus einem persönlichen Gespräch mit Herbert Krüger weiß – den „oldie“ hart.

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H. Wissenschaft als Lebensform

Plätze blockiert, die für jüngere Kollegen sinnvollerweise freigemacht werden sollten, z. B. der Vorsitz in einem Fakultätsausschuss oder die Position eines Institutsdirektors. Gleiches gilt für die Stellung als Mitherausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift oder wissenschaftlichen Schriften­ reihe. Da ein solches Herausgeber-Gremium nicht unmäßig aufgebläht werden sollte, blockiert der nicht abtretende alte Kollege das Nachrücken eines jüngeren Wissenschaft­ lers. Hinzu kommt, dass ein emeritierter Kollege die Funktion eines Herausgebers schon deshalb nicht mehr optimal erfüllen kann, weil ihm der notwendige Kontakt zu den Nachwuchswissenschaftlern nicht mehr in demselben Maße zur Verfügung steht wie früher. Wissenschaftliche Schriftenreihen leben vor allem von Veröffentlichungen von Doktoranden und Doktorandinnen, Veröffentlichungen also, die der Emeritus nur noch selten oder sogar überhaupt nicht mehr „an Land ziehen“ kann. Die seufzende Bitte des Jungbauern an den Vater als Eigentümer des Hofes ist bekannt: „Vater übergib“. Im Wissenschaftsbetrieb ist die Artikulierung einer solchen Bitte unüblich. Umso wichtiger ist es, dass der Alte von sich aus rechtzeitig loslässt – am besten, weil als Grund und als Datum einsichtig, mit dem Eintritt der Emeritierung. „Alles hat seine Zeit, und wenn diese aufhört, dann muss man eben auch aufhören“.5 IV. Die Pflege der Kollegialität Kollegialität ist eine Pflanze, die nicht immer von allein wächst, sondern die gepflegt werden will. Dem Wissenschaftler, der Universitäten in angelsächsischen Ländern kennengelernt hat, drängt sich der Eindruck auf, dass dort 5  von Beust, Ole, Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz, Gütersloh 2012, S. 131. Ole von Beust trat in freier Entscheidung am 25.8.2010 im Alter von 55 Jahren von seinem Amt als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg zurück, nachdem das von ihm favorisierte Modell einer Schulreform in einem Volksentscheid abgelehnt worden war.



IV. Die Pflege der Kollegialität133

das kollegiale gesellschaftliche Leben sehr viel intensiver ist als in Deutschland. Man lebt dort – anders als bei uns – als Mitglied oder auch nur als Gast („Visiting Professor“) einer Fakultät mehr mit den Kollegen als neben den Kollegen. Der Charakter der Campus-Universität, die Fülle der „so­ cial events“, die Anrede mit dem Vornamen, ja schon das Vorhandensein eines common room, in welchem sich die Fakultätsmitglieder und Gäste zu einer bestimmten Teezeit treffen, schafft eine Atmosphäre, die in Deutschland jedenfalls nicht die übliche ist.6 An einer der großen Universitäten in Norddeutschland ist es nicht ungewöhnlich, dass man viele der Kollegen der eigenen Fakultät ein Jahr lang oder länger überhaupt nicht sieht, es sei denn in Gremiensitzungen oder in Prüfungen, dies vor allem dann, wenn es sich um eine Hochschule in einer Großstadt handelt. An den Hochschulen in kleineren Städten in Süddeutschland mag die Situation anders sein, schon wegen der Cafés in der Stadt: Den berühmten Staatsrechtler Günter Dürig konnte man, so wird berichtet, fast täglich in einem Tübinger Café treffen (wo er an Manuskripten schrieb), und über den Germanisten Roland Reuß wurde geschrieben, man könne ihn u. a. in den Cafés der Stadt Heidelberg vermuten, „weil er davon überzeugt ist, dass zur Wissenschaft als Lebensform auch das Beisammensein und der Gedankenaustausch jenseits der Universitätsräume gehören.“7 6  Siehe dazu z. B. Landfried, Christine, Was wir von Berkeley lernen können. Berkeley ist keine private, sondern eine staatliche Universität. Und doch sind Forschung und Lehre an ihr von unseren Universitäten himmelweit entfernt, in: FAZ Nr. 92 v. 21.4.2010, S. N 5. 7  Spiegel, Hubertus, Die Freiheit der Wissenschaft ist die Freiheit des Einzelnen. Roland Reuß, Germanist an der Universität Heidelberg, ist die Nemesis der deutschen Wissenschaftsorganisa­ tionen. Doch hinter seinen Attacken steht das Ideal einer kritischen Editionspraxis, die Maßstäbe setzt. Wer mit Reuß spricht, versteht, was Philologie bedeuten kann, in: FAZ Nr. 264 v. 12.11.2011, S. Z 3. – Zu Günter Dürig s. Büchting, Hans-Ulrich: Günter Dürig, in: Juristen im Portrait, Fs. zum 225. Jubiläum des Verlags C. H. Beck, München 1988, S. 280 ff. (285).

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H. Wissenschaft als Lebensform

Zu guter wissenschaftlicher Praxis könnte auch ein fachübergreifender Austausch von Erfahrungen und eine Information über Forschungsvorhaben gehören. In manchen geisteswissenschaftlichen Fakultäten steht es – anders als vermutlich in den Naturwissenschaften und in der Medizin – mit einem solchen Austausch nicht zum Besten. In der Regel erfahren die Hochschullehrer von den Arbeiten ihrer Kollegen erst dann etwas, wenn sie einen Sonderdruck einer Veröffentlichung zugeschickt bekommen. Als an der damals neugegründeten Ruhr-Universität Bochum der Zivilrechtler und Rechtshistoriker Hermann Dilcher vorschlug, einmal im Monat eine Art Akademieabend zu etablieren, auf der die Kollegen über ihre Veröffentlichungsvorhaben berichten könnten, wurde dieser Gedanke zwar beifällig aufgenommen, ließ sich aber mangels ernsthaften Interesses im Kollegenkreis dann doch nicht in die Tat umsetzen. Als Entschuldigung oder zumindest als Erklärung könnte für diese Schweigsamkeit die Volksweisheit dienen: „Über ungelegte Eier spricht man nicht.“8 Vielleicht menschelte es aber auch nur; oder es waren verdeckt Rivalitäten im Spiel, die es nicht zuließen, dass Karten offen auf den Tisch gelegt wurden. Oder es war schließlich einfach die Unlust, Zeit für die Teilnahme an solchen Veranstaltungen zu opfern, Zeit, die ohnehin schon durch reichliche Gremiensitzungen beansprucht wird und damit für die eigenen Forschungen verlorengeht.9  V. Die Verantwortung als Mitverfasser von Gemeinschafswerken Zeitliche (Über-)Beanspruchung wird oft auch der Grund dafür sein, dass ein Kollege seinen Beitrag für ein Gemein8  Weniger salopp formuliert: Nicht jedes begonnene wissenschaftliche Vorhaben wird zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. 9  Zum Gremienunwesen s. Schwanitz, Dietrich, Über das Gremienunwesen an deutschen Universitäten. Eine Typologie der Beteiligten, in: Forschung & Lehre 1996, S. 2 ff.



V. Mitverfasser von Gemeinschaftswerken135

schaftswerk nicht rechtzeitig abliefert. Eine solche Säumnis ist nicht nur für den oder die Herausgeber und für den Verlag ärgerlich, sondern auch für die Ko-Autoren, die pünktlich – womöglich unter Zurückstellung anderer Projekte – ihre Beiträge abgeliefert haben10; denn je länger die Säumnis des Nachzüglers dauert, umso mehr veralten die bereits beim Herausgeber eingegangenen Manuskripte. Es kann sogar vorkommen, dass bereits Druckfahnen vorliegen, in die dann verhältnismäßig mühselig aktualisierende Nachträge eingearbeitet werden müssen. Dass ein solcher Ablieferungsverzug nicht nur bei Ordinarien vorkommt, sondern auch schon bei wissenschaftlichen Mitarbeitern, zeigt der Bericht über die Genesis eines Tagungsbandes der Assistententagungen Öffentliches Recht: „War auch die Kooperation problemlos, so galt dies nicht für das Bemühen, der Manuskripte in einem druckfertigen Zustand habhaft zu werden – eine Erfahrung, die jeder Herausgeber eines Sammelwerkes wohl immer wieder von Neuem macht. Man sammelt Manuskripte ja nicht ein, man treibt sie ein: durch erste leise Mahnungen, durch das eine oder andere freundlich bestimmte Telefonat, durch im Laufe der Zeit immer weniger dezent ausfallende Hinweise darauf, dass die meisten anderen (und am Schluss dann: alle anderen) bereits ihren Text abgegeben haben. Der Phantasie und der Vielfalt möglicher Strategien (Näheres von der Sekretärin erfahren? Mit dem Partner  /  der Partnerin Kontakt aufnehmen? Mit dem Abbruch diplomatischer Beziehungen drohen?) sind hier keine Grenzen gesetzt.“11 10  Dem Verf. ist ein Fall bekannt, in welchem sich die Auslieferung eines Kommentars zum Grundgesetz um länger als ein Jahr verzögerte, weil ein Autor seinen Beitrag nur mit langer Verzögerung ablieferte; mehr als 25 andere Autoren dieses Gemeinschaftswerkes waren dadurch beeinträchtigt. 11  Dreier, Horst / Hofmann(-Hoeppel), Jochen, Technische Entwicklung und parlamentarische Souveränität – Die 25. Assistententagung in Würzburg vom 5. bis 8. März 1985, in: Marcel Dalibor u. a., Perspektiven, S. 309 ff. (315 / 316). – Über einen geradezu abenteuerlichen Fall, in welchem der für eine Tagung vorgesehene

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Nun wird man fairerweise zugunsten eines Säumigen einräumen müssen, dass der Verzug bei der Ablieferung des zugesagten Beitrages im Zweifel nicht auf Böswilligkeit beruht. Vermutlich war der Säumige bei seiner Unterschrift unter den Verlagsvertrag mit der entsprechenden Terminangabe oder auch bei einer nur mündlichen Zusage an den Herausgeber des Gemeinschaftswerkes besten Willens, den vereinbarten Termin einzuhalten. Dann kam jedoch dies oder das dazwischen. Vielleicht hatte der Säumige aber auch nur zu viele Verpflichtungen übernommen und sich damit einfach selbst übernommen. Setzt der Herausgeber nach Mahnung den Säumigen an die Luft und vergibt der Herausgeber den betreffenden Beitrag an einen neuen Autor, so ist dies nicht unkollegial.12 Unkollegial und keine gute wissenschaftliche Praxis ist es dagegen, wenn der Säumige auf Mahnungen des Herausgebers nicht reagiert und auf eine weitere Mahnung des Verlages unter Hinweis auf seine mannigfaltigen anderen Verpflichtungen keinen konkreten Abgabetermin nennt. Wird ein Wissenschaftler, der nicht vereinzelt, sondern notorisch Abgabetermine für Beiträge in Gemeinschaftswerken überzieht und der Mahnungen des Herausgebers nicht beantwortet, zum Ombudsman oder zum Vorsitzenden einer Arbeitsgruppe gewählt, die sich mit wissenschaftlichen Standards befassen soll, dann wurde hier der Bock zum Gärtner gemacht. VI. Ein Zuviel an Kollegialität War im Vorausgegangenen von einem Mangel an Kolle­ gialität die Rede, so kann es aber andererseits auch ein ZuReferent nach Ablieferung seiner Thesen nicht zu seinem Referat erschien, sondern „schlicht untergetaucht war“, berichtet MaxEmanuel Geis, Verfassungsreform und Grundgesetz. Die 32. Assistententagung „Öffentliches Recht“ 1992 in Regensburg, in: Marcel Dalibor u. a., Perspektiven, S. 387 ff. (391). 12  Verf. muss gestehen, dass auch ihm einmal wegen Säumnis bei der Ablieferung seines Beitrages für ein Gemeinschaftswerk (Handbuch des Staatsrechts) gekündigt wurde – zu Recht.



VI. Ein Zuviel an Kollegialität137

viel an Kollegialität geben. Erscheinungsform einer solchen – gute Wissenschaft korrumpierenden – Kollegialität ist z. B. das Abnicken einer zu guten oder zu schlechten Noten­ gebung seitens eines Erstvotanten durch den Zweit­votanten einer wissenschaftlichen Prüfungsarbeit.13 Ein Übermaß an Kollegialität ist auch im Rezensionswesen zu registrieren. Von Jürgen Kaube stammt das Verdikt: „Das Rezensionswesen in den meisten Disziplinen ist ein Witz.“14 Buchbesprechungen werden im heutigen Wissenschaftsbetrieb meist mit Samthandschuhen geschrieben, selten mit Boxhandschuhen. Im 19. Jahrhundert war die Praxis des Rezensionswesens offensichtlich sehr viel rauer als heute. Könnte man sich in der Gegenwart eine Philippika wie die von Rudolf von Jhering aus dem Jahre 1866 vorstellen, die lautet: „ … wenigstens kann ich mich bei der Lektüre so mancher Schriften neuerer Autoren nicht des Verdachts erwehren, daß dieselben nicht von ihnen selber herrühren, sondern, daß ein verwünschtes altes Waschweib in unserer Literatur sein Unwesen treibt. Neulich habe ich wieder etwas von ihr unter Händen gehabt: eine ganze Bütte voll Waschwasser, ca. 300 Seiten lang, nichts dran als ein kleiner, dürftiger und noch dazu unrichtiger Gedanke.“15 Verrissen 13  Noch schlimmer, und mit Sicherheit unredliches Fehlverhalten ist „jedenfalls die Herabsetzung bei der Notengebung als „Revanche“ für ein früheres Korrekturverhalten gegenüber dem eigenen Doktoranden“ (Schulze-Fielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, S. 24, dort auch mit der zutreffenden Beobachtung: „Alles das bleibt nur deshalb weithin nicht-öffentlich und aus (falsch verstandener?) Kollegialität sanktionslos, weil es um Verhaltensweisen zu Lasten Dritter geht.“ 14  Kaube, Jürgen, Über das wissenschaftliche Sachbuch. Denken zwischen Mülltrennung und Notaufnahme, in: FAZ Nr. 60 v. 10.3.2012, S. L 15. 15  von Jhering, Rudolf, Sechster Brief, in: Deutsche Gerichtszeitung, n. F. Bd. 1, 1866, S. 309 ff.; hier zitiert nach: ders., S.  97 ff. (98.). – Weil die Rezensionen früher schärfer ausfielen als heute, wurden auch die Rezensenten hart beurteilt. Von Goethe stammt der bekannte Satz: „Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent!“ (Wandsbeker Bote v. 9.3.1774).

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werden heute – wenn überhaupt – Veröffentlichungen, die von Nachwuchswissenschaftlern verfasst worden sind oder von Autoren, die einem anderen politischen Lager angehören als dem des Rezensenten. Auch das Diktat der „political correctness“, wahrlich kein Beispiel für gute Wissenschaft in der Praxis, ist jedenfalls in den Geisteswissenschaften nicht selten vorhanden. Abwegig ist schließlich eine Tendenz, die dahin zielt, gegen kritische Rezensionen gerichtlich, also per Klage, vorzugehen.16

16  Schlechtes Vorbild einer solchen gerichtlichen Auseinandersetzung ist der Fall Joseph Weiler (s. dazu Kemmerer, Alexandra, Ein Musterprozess über das Prozessrecht. Der Jurist Joseph Weiler ist wegen einer Rezension in Paris verklagt worden, in: FAZ Nr. 125 v. 2.6.2010, S. N 5; dies., Das müssen Sie schon aushalten, wenn Sie geistig tätig sind. Das Urteil im Fall des wegen einer Buchbesprechung verklagten Juristen Joseph Weiler ist entschieden – zugunsten der Meinungsfreiheit, in: FAZ Nr. 57 v. 9.3.2011, S. N 5). Bedenkenswert ist dagegen die Anregung von SchulzeFielitz, Helmuth, Reaktionsmöglichkeiten, es müsse bei Rezensionen, „die den Inhalt des Werkes vermeintlich falsch oder zu negativ wiedergeben, den Redaktionen je nach Schweregrad überlassen bleiben, ggf. Platz für „Gegendarstellungen“ einzuräumen.“ (S. 26).

I. Zusammenfassung in Thesen I. Die von der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Jahre 2011 zur Frage essentieller wissenschaftlicher Maßstäbe eingesetzte Arbeitsgruppe kann auf nicht wenige Vorarbeiten zu guter Wissenschaft zurückgreifen. Diesbezügliche Verhaltensregeln sind z. B. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und vom Deutschen Hochschulverband erarbeitet worden. Die Vielgestaltigkeit der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und der verschiedenen Forschungsmethoden schließt die Notwendigkeit allgemeiner Maßstäbe guter wissenschaftlicher Praxis nicht aus. II. Gute Wissenschaft bedarf der Unabhängigkeit der Lehrenden und Forschenden. Auftragsforschung und die Erstellung von Gutachten, die für einen Auftraggeber erstellt und von diesem bezahlt werden, müssen unter dem Aspekt der Unabhängigkeit nicht von vornherein und in jedem Fall problematisch sein; sie können dies aber dann sein, wenn sie entweder im Übermaß oder als parteiliche Gutachten produziert werden. Wissenschaftliche Redlichkeit gebietet jedenfalls Transparenz: Handelt es sich bei einer Veröffent­ lichung um ein Auftragsgutachten, so sollte diese Tatsache nicht verschwiegen und der Auftraggeber genannt werden. Wissenschaftliche Mitarbeiter sollten hinsichtlich ihrer eigenen Publikationen frei sein; dies schließt die Entgegennahme von Ratschlägen nicht aus. III.  Die öffentliche Ausschreibung von Stellen im Wissenschaftsbetrieb dient dem Zweck, einen fairen Wettbewerb zwischen den Bewerbern auf die betreffende Stelle zu eröffnen. Ein solcher fairer Wettbewerb findet jedoch nicht statt, wenn die Stellenausschreibung schon vom Text her erkennbar oder nicht erkennbar auf eine ganz bestimmte Person

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I. Zusammenfassung in Thesen

zielt, in Wahrheit also eine Ausschreibung ad personam vorliegt. Eine solche – in der Praxis leider nicht selten vorkommende – Handhabung macht die Ausschreibung zur Farce. Keiner guten Berufungspraxis entspricht es, wenn eine bestimmte wissenschaftliche Schule unter sich bleiben will oder wenn Berufungen dem Gekungel von Seilschaften entspringen. Unerträglich ist es, wenn eine Landesregierung ihre hochschulrechtliche Stellung dazu missbraucht, parteipolitische Interessen bei der Besetzung einer Professur durchzusetzen. IV.  Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich in der Wissenschaftslandschaft der Bundesrepublik Deutschland der Typ des „Spagatprofessors“ etabliert, d. h. eines Hochschullehrers, dessen „Wohnbein“ sich weit weg von seinem „Dienstbein“ befindet. Der „Spagatprofessor“ wohnt also nicht am Ort seiner Hochschule oder in dessen näherer Umgebung, sondern nicht selten in weiter Entfernung von seinem Dienstort. Seit dem Wegfall der sog. beamtenrecht­ lichen Residenzplicht ist eine solche Wohnsitznahme nicht unerlaubt. Jedoch ist dieser – häufig durch die Berufsausübung des Ehepartners des Spagatprofessors bedingte – Zustand nicht ideal. Wenn eine Hochschule mehr sein soll als ein Bahnhof, dann ist die dauerhafte Präsenz des Hochschullehrers am Ort seiner Hochschule sowohl im Interesse der Kollegen, der Mitarbeiter und der Studierenden als auch im Interesse der Verbundenheit der Hochschule mit ihrer Stadt zumindest wünschenswert. V.  In den bisher veröffentlichten Vorschlägen und Denkschriften zum Thema „gute Wissenschaft“ kommen die Studierenden auffallend wenig vor. Dabei ist unbestreitbar, dass auch die Studierenden ein Teil des „Biotops“ Wissenschaft sind: sie sind nicht nur Rezipienten, sondern in dieser Rolle der Rezipienten auch Gebende. Zentraler Ort der Vermittlung und Weitergabe von wissenschaftlichen Erkenntnissen an den Hochschulen ist nach wie vor die Vorlesung. Häufiger Ausfall von Vorlesungen – in der Praxis nicht selten – ist kein Ausweis guter Wissenschaft. Der



I. Zusammenfassung in Thesen141

Verbesserung der Lehre sollte ein größerer Stellenwert eingeräumt werden als dies bisher der Fall ist. Vor der Berufung auf eine Professur muss die pädagogische Fähigkeit des Bewerbers in Augenschein genommen werden, besser noch: schon vor Erteilung der Lehrbefugnis. VI. Die Habilitation, seit Beginn des 20. Jahrhunderts einer der wichtigsten Pfeiler der universitären Nachwuchsgewinnung, hat immer wieder Kritik auf sich gezogen. Die Kritik rügte insbesondere das zu hohe Alter im Zeitpunkt der Habilitation, den zu geringen Anteil von Frauen, organisatorische Mängel (zu lange Verfahrensdauer) und eine persönliche Abhängigkeit der Habilitanden. Trotz Enttäuschungen oder gar Fehlentscheidungen in Einzelfällen sollte an der Einrichtung der Habilitation auch weiterhin festgehalten werden, da die Vorteile des Habilitationsverfahrens dessen Nachteile bei weitem überwiegen. Zu begrüßen ist deshalb die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2004, mit der die von der damaligen Bundesbildungsministerin initiierte Entwertung der Habilitation für verfassungswidrig erklärt worden ist. VII.  Zur Freiheit der Wissenschaft gehört es, dass für den einzelnen Wissenschaftler grundsätzlich kein Zwang besteht, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zu publizieren, es sei denn, dass bestimmte rechtliche Regelungen – wie z. B. Promotionsordnungen – eine Veröffentlichung vorschreiben. Doppelveröffentlichungen gelten als keine gute Wissenschaft. Eine neue Tendenz bei der Bewilligung von Förderanträgen setzt auf das Motto „Qualität statt Quantität“. Anonyme Veröffentlichungen sind wissenschaftsfremd. Geisteswissenschaftliche Arbeit im Kollektiv stellt die Frage nach der Zurechenbarkeit. Plagiate sind mit guter Wissenschaft unvereinbar. Der Plagiator beutet die Arbeitskraft des Originalautors aus („geistiger Diebstahl“). Zudem wird der Leser getäuscht, der die plagiierten Stellen dem Plagiator zuordnet, also fälschlich einer anderen Person als dem Originalautor. VIII. Wissenschaft ist vom Grundsatz her hierarchieabweisend. Weil dem – jedenfalls im Idealfall – so ist, kommt

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I. Zusammenfassung in Thesen

der Kollegialität im Wissenschaftsbetrieb eine besondere Bedeutung zu: Dort, wo kein Direktionsrecht eines Vorgesetzten existiert, muss kollegiales Verhalten dieses Vakuum ausfüllen. Eine institutionalisierte Kontrolle durch Kollegen sind die seit einigen Jahren praktizierten sog. Evaluierungen, die im Einzelfall durchaus positive Wirkungen entfalten mögen, deren exzessiver Gebrauch aber auch kritisch betrachtet werden sollte. Das Problem des alternden Wissenschaftlers ist, dass er häufig von Ämtern oder Funktionen nicht loslassen kann. Zu guter wissenschaftlicher Praxis kann ein fachübergreifender Austausch von Erfahrungen und Forschungsvorhaben beitragen. Mitverfasser von Gemeinschaftswerken trifft eine besondere Verantwortung.

Literatur Adomeit, Klaus: Hans Carl Nippendey als Anreger für eine Neubegründung des juristischen Denkens, in: JZ 2006, S. 745 ff. Anderl, Sibylle, Junger Forscher, was macht die Kunst? Was das Urteil zur W-Besoldung ungeregelt lässt: Der Weg in den Oberbau bleibt gepflastert von Idealisten und Gescheiterten, in: FAZ Nr. 45 v. 22.2.2012, S. N 5. Anz, Thomas: Buhmann der Nation? Eine kleine Verteidigung der Germanistik, in: FAZ Nr. 228 v. 30.9.2004, S. 35. Apel, Friedmar: Fern bleibe uns Dogmatismus. Als Germanistikprofessor im Ruhestand und Literaturkritiker in Aktion schreibt Walter Hinck stets für seine Leser. Nun debütiert er auch als Erzähler und zeigt sich als Freund des Neuanfangs, in: FAZ Nr. 58 v. 8.3.2012, S. 30. Bär, Hans J.: Seid umschlungen, Millionen. Ein Leben zwischen Pearl Harbor und Ground Zero, 2. Aufl. Zürich 2004. Baumgarten, Marita: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaften, Göttingen 2001. Beatson, Jack / Zimmermann, Reinhard: Jurists uprooted: Germanspeaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain, Oxford 2004. Benner, Dietrich / Tenorth, Heinz-Elmar: Zitierfehler, aber kein Plagiat. Ein computergestützter Textvergleich reicht nicht, um die Eigenständigkeit einer Dissertation zu beurteilen, auch nicht bei Ministerin Schavan, in: FAZ Nr. 120 v. 24.5.2012, S. 8. Bergmann, Marcus / Schröder, Christian / Sturm, Michael: Richtiges Zitieren. Ein Leitfaden für Jurastudium und Praxis, München 2010. von Beust, Ole: Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz, Gütersloh 2012. Bloy, René: Anton Bauer (1772–1843) und seine Mitwirkung an der Entstehung des Criminalgesetzbuches für das Königreich Han-

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152 Literatur Preuß, Roland: Neuer Verdacht gegen Schavan, in: SZ Nr. 124 v. 31.5.2012, S. 5. Preuß, Roland / Schulz, Tanja: Das Problem mit den Quellen, in: SZ Nr. 102 v. 5.5.2012, S. 5. Quaritsch, Helmut: Staat und Souveränität. Bd. 1: Die Grundlagen, Frankfurt a. M. 1970. Reicke, Emil: Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, Leipzig 1900. Reifner Udo, Juristenausbildungsdiskussion am Ende, in: ZRP 1999, S.  43 ff. Reulecke, Anne-Kathrin: Täuschend, ähnlich. Fälschung und Plagiat als Figuren des Wissens in Künsten und Wissenschaften. Eine philologisch-kulturwissenschaftliche Studie, Würzburg 2012. Reumann, Kurt: Stein des Anstoßes. Wie die Universitäten ihren Nachwuchs schneller qualifizieren sollen, in: FAZ Nr. 290 v. 14.12.1998, S. 14. Rieble, Volker: Das Wissenschaftsplagiat – Vom Versagen eines Systems, Frankfurt a. M. 2010. – Plagiatsformenlehre am Fall Althusmann. Dissertationen müssen eine eigene wissenschaftliche Leistung bieten und über jeden Plagiatsvorwurf erhalten sein. Doktorväter können nicht jeden Literaturnachweis prüfen, in: FAZ Nr. 179 v. 4.8.2011, S. 8. – Der PD muss früher aussortiert werden. Hat das akademische Prekariat wirklich einen Namen? Stefan Laubes Rettungsversuch für die Privatdozenten führt in eine nicht mehr zeitgemäße Versorgungsmentalität, in: FAZ Nr. 51 v. 29.2.2012, S. N 5. Rieß, Peter: Vorstudien zu einer Theorie der Fußnote, Berlin / New York 1983. Ritterband, Charles E.: Demission wegen Plagiats. Ungarns Präsident gibt auf, in: NZZ Nr. 79 v. 3.4.2012, S. 3. Rosenfelder, Lydia: 7000 Becks. Das Politikerbuch: Der Ghost­ writer schreibt es, die Partei kauft es, nach dem Wahlkampf verstaubt es, in: FAS Nr. 8 v. 26.2.2012, S. 5. Rottleuthner, Hubert: Hans Kelsen, Carl Schmitt und der Na­ tionalsozialismus, in: Philip Kunig  /  Makoto Nagata (Hrsg.), Deutschland und Japan im rechtswissenschaftlichen Dialog, Köln 2006, S. 9 ff.

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Personenregister Adorno, Theodor W. 79 Althoff, Friedrich Theodor  61, 63 Althusmann, Bernd  94, 95, 111, 119, 122, 123, 125 von Arnim, Hans Herbert  16 Assmann, Aleida  72 Augstein, Rudolf  93 Bär, Hans J. 67, 130 Bauer, Anton  65 Behring, Emil  62, 63 Benjamin, Walter  79 von Bergmann, Ernst  62 Biedenkopf, Kurt H. 68 Binding, Karl  89 von Bismarck, Otto  66 Blum, Ulrich  67 Blumenwitz, Dieter  68 Böckenförde, Ernst-Wolfgang  16 Bork, Reinhard  68 Breining-Kaufmann, Christine  69 vom Brocke, Bernhard  61 Brunkhorst, Hauke  43 Bulmahn, Edelgard  72, 73, 80 Cassirer, Ernst  83 Chatzimarkakis, Georgios    111 Dahrendorf, Ralf  67 Dechamps, Bruno  64, 74

Derleder, Peter  33 Dilcher, Hermann  134 Dönhoff, Marion Gräfin  96 Dorn, Thea  27 Dörr, Dieter  39 Dubischar, Roland  35 Dürig, Günter  133 Ebel, Wilhelm  66 Ehmke, Horst  58 Escher, Alfred  29 Fichte, Johann Gottlieb  60 Fischer-Lescano, Andreas  108 Frowein, Jochen A.  16 Frühwald, Wolfgang  65 Gassner, Ulrich M.  89 Gauck, Joachim  125 Genzmer, Erich  66 von Gierke, Julius  24 Göldner, Detlef Christoph  89 Graf, Florian  111 Greten, Heiner  68 Greven, Michael Th.  67 Grewe, Wilhelm G.  83 Grimm, Dieter  16 Grimm, Reinhold  81 zu Guttenberg, Karl Theodor Freiherr  108 ff., 113, 116, 118, 119, 122

Personenregister157 Häberle, Peter  78, 118 Hallstein, Walter  66 Heldrich, Andreas  17 Hennis, Wilhelm  79 Herzog, Roman  16 Hesse, Konrad  54 Hilbert, David  129, 130 Hildebrand, Philipp  98, 100 Hildermaier, Manfred  81 Hinck, Walter  24 Hirsch, Ernst E.  66 Jellinek, Georg  48 Jellinek, Walter  66 Jens, Walter  93 von Jhering, Rudolf  137 Jung, Joseph  30 Jursch, Hanna  72 Kamenz, Uwe  27 Kantorowicz, Ernst  93 Kaser, Max  66 Kaube, Jürgen  137 Kelsen, Hans  66 Kirchhof, Paul  16, 68 Kittler, Friedrich  79 Kleiner, Matthias  91 Koch, Robert  62 Koch-Mehrin, Silvana  111 Kohler, Josef  112 Kötz, Hein  68 Krockow, Christian Graf von  41 Kronstein, Heinrich  49 Krüger, Herbert  131 Landfried, Klaus  73 Langewand, Alfred  43

Larenz, Karl  66 von Laun, Rudolf  24, 66 Löwer, Wolfgang  121, 122 Lübbe, Hermann  68 Luhmann, Niklas  65 Lundt, Bea  43 Markesinis, Basil  64 Mathiopoulos, Margarita  111 Mayntz, Renate  17 Mendelssohn Bartholdy, Albrecht  70 Michaelis, Johann David  60 Mittelstraß, Jürgen  65, 121, 129 von Mosheim, Johann  60 Münkler, Herfried  68 Nagel, Tilman  67 Nelles, Ursula  86, 88 Nipperdey, Hans Carl  66, 90, 121 Nolte, Paul  68 Panofsky, Erwin  83 Papier, Hans-Jürgen  68 Paul, Gerhard  43 Ponta, Victor  118 Prantl, Heribert  58 Rabel, Ernst  49, 51 Radbruch, Gustav  48 Ranke-Heinemann, Uta  72 Rau, Johannes  81 Reich-Ranicki, Marcel  19 Reumann, Kurt  72 Reuß, Roland  133

158 Personenregister Rieble, Volker  76, 95, 112, 119, 124 Riha, Karl  46 Ritschl, Albrecht  75 Roxin, Claus  57 Rudolf, Walter  94 Rupp, Hans Heinrich  77 Sachs, Michael  115 von Savigny, Friedrich Carl  60 Schavan, Annette  111 Schiedermair, Hartmut  38, 39 Schiedermair, Stephanie  38 Schleiermacher, Friedrich  60 Schlink, Bernhard  16 Schmidt-Aßmann, Eberhard  17 Schmitt, Pál  116 ff. Schmoller, Gustav  62 Schoch, Magdalene  70 Schoeps, Julius  68 Scholz, Rupert  26 Schulz, Corinna Nadine  99 Schulze-Fielitz, Helmuth  17, 32, 99 Schumpeter, Joseph A.  66 Schwabe, Jürgen  77 Schwanitz, Dietrich  27 von See, Klaus  79 Sieveking, Klaus  92 Simon, Dieter  68 Smend, Rudolf  48, 54 Smith, Greg  98 Stapel, Diederik  90

Stauffer, Karl  29 Stolleis, Michael  16 Straubhaar, Thomas  68 Streinz, Rudolf  119 Szondi, Peter  79 Thüsing, Gregor  67 Tipke, Klaus  63 Triepel, Heinrich  48, 89 Tucholsky, Kurt  93 Ulmer, Eugen  66 Versteyl, Ludger Anselm  124, 125 Vogel, Bernhard  81 Voßkuhle, Andreas  68 Wagner, Guido  61 Waiblinger, Julian  112, 113 Weber, Max  48 Wehrle, Martin  27 Weiler, Joseph  138 Welti, Emil  29 Welti, Friedrich Emil  29, 30 Welti, Peter  29, 30 Welti-Escher, Lydia  29, 30 Wesel, Uwe  21, 68 Weyl, Hermann  67 Wieacker, Franz  66 Wind, Edgar  83 Wolff, Martin  120 Zehnpfennig, Barbara  113

Sachregister Aberkennung des Doktor­ grades  109, 111, 115 Abhängigkeit  29 ff. Abschiedsvorlesung  45 Allgemeiner Fakultätentag  18 Amtsverschwiegenheit  98 Anciennität  131 Auftragsforschung  30, 31 Ausbildungszeit  73 Ausschreibung von Stellen  42 Bayreuther Kommission  108 ff., 116, 118, 119 Beamtenstatusgesetz  101 Befangenheit  29 ff. Berkeley  133 Berufung –– Annahme des Rufes  44, 45 –– Auswahl  41 ff. –– Erhalt eines Rufes  44 –– Geschichte  42 –– Kommission  42, 86 –– Regelvoraussetzung  80 –– Vereinbarung  47 –– Verfahren  58, 79 Berufungsliste  42, 44 Blogwarte  111 Bucerius Law School  25 burn out-Syndrom  92 Campus-Universität  133 Compliance-Stellen  102 Copy-Paste-Verfahren  124

Deutsche Forschungsgemeinschaft  15, 16, 18, 23, 27, 36, 78, 87, 91, 93, 97, 102, 121 Deutscher Akademikerinnenbund  71 Deutscher Hochschulverband  17, 18, 63, 71 Deutscher Juristinnenbund  86 Dissertation  45, 74, 77, 83, 84, 88, 89, 109, 117 ff., 123 Doktoranden  99, 108, 118, 119, Doppelveröffentlichungen  87, 88 Drittmittel  34, 104 Ehrenautorschaft  103 Emeritus  23, 26, 45, 131, 132 Emigration  48, 49 Entpflichtete Hochschullehrer  23 ff. Evaluierungen  130 Fakultätentage  18, 81 Fälschungen  107, 109, 112 Familiäre Beziehungen  38 ff. Fehlverhalten  17, 22, 23, 33, 118, 123 Flucht in die Öffentlichkeit  98 Förderanträge  33 Forschung  50, 51, 53, 58

160 Sachregister Forschungssemester  45 Frauenquote  72, 115 Fundstelle  123 Fußnoten  111, 123, 125 Gefälligkeitsgutachten  32 Geistiger Diebstahl  113, 114 Geistiges Eigentum  112 Gemeinschaftswerke  134 ff. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft  72 Ghostwriter  110, 128 Gremienunwesen  134 Gutachten  31 ff., 94 Habilitation –– Abhängigkeit  75, 76 –– Abschaffung  75, 80 –– Alter der Habilitierten  64 ff., 73 –– Bundesverfassungsgerichts­ urteil  81, 82 –– Disputation  59, 60 –– Frauen  70 ff. –– Geschichtliche Entwicklung  59 ff. –– Kritik  63 ff. –– Nutzen  76 ff. –– Organisation  74, 75 –– Schrift  60, 74, 76 ff., 83, 88, 89, 92 –– Tendenzen  72 ff. –– Verfahren  74, 75 –– Vortrag  55, 74 Hans-Bredow-Institut  34 herrschende Meinung  21 Hertie School of Governance  25

Hochschulrahmengesetz  36, 80, 81 Hochschulrektorenkonferenz  73 Hörergeld  75, 130 House of Finance  34 Internet  51 Impact-Faktor  91 Juniorprofessor  44, 80 ff. Juristenausbildung  36 Kolleggeld  75, 130 Kollegialität  27, 129 ff. Kultusministerkonferenz  122 Lehrbefugnis  58 Lehre  19, 57 ff. Lehrerfahrung  56 Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften  13, 17, 18, 20, 103 Missstände  96 ff. Nachwuchswissenschaftler  64, 68, 76, 79 Nestbeschmutzung  27, 102 Nobelpreis  62 Notengebung  137 Of-Counsels  25 Ombudsman  17, 97, 99, 121 Pädagogischer Optimismus  118 Peer-Reviewers  130

Sachregister161 Personalverzeichnisse  47 Plagiate –– Begriff  113 –– Eigenplagiat  114, 115 –– Fälle  15, 107 ff. –– Konsequenzen  126 –– Politiker  111 –– Selbstplagiat  114, 115 –– Selbstzitat  115 –– Unrechtsfigur  112 –– Verdacht  94 –– „vgl.“  123 ff. Plagiatssoftware  126 political correctness  138 Politikberatung  32 Politiker  112, 121, 122, 128 Potsdamer Kommission  95, 123 ff. Privatdozenten  41, 44, 60, 131 Privatgelehrte  23 Privathochschulen  25 Promotion  41, 61, 64, 65, 72, 74, 75, 77, 84, 118 ff. Prospekthaftung  26 Prüfungen  19, 51 Pseudonym  93, 94 Publikationsdruck  90, 91 Rechtswissenschaft  108 Residenzpflicht  47 Rezensionswesen  108, 137, 138 Ringberg-Symposium  17 Schreibsperren  91, 92 Spagatprofessor

–– Ausdruck  46 –– Beurteilung  50, 51 –– Gründe  50 –– Rückkehr nach Emigration  48 ff. Sponsoring  34 Studierende  53, 54 Teamwork  104 Unredlichkeit  107 Unveröffentlichte Gedanken  83, 84 Urhebergesetz  105 Urheberrecht  106, 112 Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer  6, 15, 16, 20, 47, 69, 75, 131 Verfahrensordnung  22, 23 Verhaltensregeln  18 Verlage  84, 85, 136 Veröffentlichungen –– Anonyme  93 ff., 105 –– Kollektive  105 ff. –– Listen  85 ff. –– Umfang  86, 88, 89 Vorlesungen  51, 53 ff. Whistleblower  97 ff. Wissenschaft –– Disziplinen  103 –– Freiheit  30, 95 –– Lebensform  129 ff. –– Management  19, 22 –– Maßstäbe  15, 16 –– Organisation  33, 74

162 Sachregister –– Selbstkontrolle  18, 99, 108, 109, 116, 127 –– Standards  127 –– Unabhängigkeit  29 ff. Wissenschaftliche Mitarbeiter  35 ff., 55, 56, 94

Wissenschaftliche Zeitschriften  87, 88, 132 Wissenschaftsrat  6 Zitatpolizist  120 Zitierfehler  111