Das »gute« Unternehmen: Zur Geschichte der Unternehmenskommunikation 9783839434956

Are personal testimonies about responsible corporate practice merely a form of effective advertising? This history of th

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German Pages 528 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung und Forschungsstand
1. Paternalismus, Psychotechnik und Propaganda: Sozialberichterstattung vor 1970
1.1 Bollwerke für den Betriebsfrieden: Werkszeitungen und Wohlfahrtsberichte
1.2 Modernisierung versus Ideologisierung im Kielwasser der Psychotechnik
1.3 Werben für den »Leistungskampf«
1.4 Mehr »Informationsfreudigkeit« nach amerikanischem Vorbild
2. Reform und Krise:Die politische und wirtschaftliche Situation in den 1970er Jahren
3. Quantifizierte Lebensqualität: Konzepte der Sozialberichterstattung in den 1970er Jahren
3.1 Unter dem Druck der Öffentlichkeit: Social Accounting in den USA
3.2 Wissenschaftliche Ansätze in Deutschland
4. Im Spannungsfeld politischer Interessen
4.1 Humanisierungsbilanz für ein positives Unternehmerbild: Die PR-Offensive der BDA
4.2 Ein juristisches Glasperlenspiel: Die Unternehmensrechtskommission
4.3 Vom Frühwarnsystem zum Mitbestimmungsinstrument: Die Entwicklung des DGB-Sozialindikatorenansatzes
5. Pioniere der deutschen Sozialbilanzierung: Der Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis
5.1 Die Gründung des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis
5.2 Schritt zur Standardisierung: Die Empfehlung des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis
5.3 Der Arbeitskreis im Dialog mit DGB und BDA
5.4 Die Projektgruppe Mitarbeiterbefragung
6. Quantitative Entwicklung: Gesellschaftsbezogene Berichterstattung in Geschäftsberichten
7. Eine Idee geht um die Welt: Sozialbilanzierung als globales Phänomen
7.1 Die Schattenseiten der Weltwirtschaft: Sozialindikatoren und Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen
7.2 Staatlich verordnet: Le Bilan social in Frankreich
7.3 Variationen und Konvergenz
8. Ökobilanzen und Corporate-Social-Responsibility-Reporting
8.1 Die umweltbewegten 1980er Jahre und ihre Folgen: Von der Sozial- zur Ökobilanz
8.2 Corporate-Social-Responsibility-Reporting: Die Reintegration der Sozialberichterstattung
9. Fazit
Anhang
I. Übersicht veröffentlichter Sozialbilanzen
II. Übersicht Arbeitskreise und Ausschüsse
III. United Nations Global Compact
Verzeichnisse
Quellen und Literatur
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Das »gute« Unternehmen: Zur Geschichte der Unternehmenskommunikation
 9783839434956

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Stephanie Hagemann-Wilholt Das »gute« Unternehmen

Histoire | Band 90

Stephanie Hagemann-Wilholt (Dr. phil.), geb. 1980, ist wissenschaftliche Referentin beim Rat für Informationsinfrastrukturen in Göttingen. Sie promovierte an der Universität Bielefeld und war dort Stipendiatin des DFG-Graduiertenkollegs »Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft« am Institut für Wissenschaftsund Technikforschung.

Stephanie Hagemann-Wilholt

Das »gute« Unternehmen Zur Geschichte der Unternehmenskommunikation

Dissertation, Universität Bielefeld (2015)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3495-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3495-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

D ANKSAGUNG

Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Januar 2015 an der Universität Bielefeld eingereicht habe. Ohne die großzügige und geduldige Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen wäre es nicht zustande gekommen. Zuallererst möchte ich meinen Betreuern Professor Dr. Werner Abelshauser und Professor Dr. Christopher Kopper danken: Sie haben die Arbeit in vielfacher Weise unterstützt und weckten schon während meines Studiums meine Begeisterung für die Wirtschaftsgeschichte. Dieser Dank gilt auch den weiteren Prüfern, Professor Dr. Thomas Welskopp und Dr. David Gilgen, der Studiengruppe Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld und den Mitgliedern des Arbeitskreises für Unternehmens-, Technik und Organisationsgeschichte. Meinen besonderen Dank möchte ich an die Zeitzeugen Professor Dr. Meinolf Dierkes, Professor Dr. Michael Kittner, Hans-Detlev Küller, Dr. Franz Netta und Manfred Reimann richten, die sich bereit erklärten, ihre Erinnerungen im Interview zu teilen und ein lebendiges Bild von den historischen Ereignissen zeichneten. Die zahlreichen Vertreter aus Archiven, Unternehmen und Bibliotheken unterstützten das Projekt mit ihrer Expertise und Infrastruktur. Auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Graduiertenkolleg 724 »Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft«, die Anbindung an das Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) und die Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS) schufen die finanziellen Voraussetzungen zum Schreiben der Dissertation und boten die Möglichkeit zur konstruktiven interdisziplinären Auseinandersetzung. Besonders möchte ich jenen Menschen danken, die diese Zeit auch persönlich bereichert, die Einsamkeit des Promovierens durchbrochen, die Frage nach dem Ende vermieden und zum Gelingen des Projekts beigetragen haben: Dr. Cornelia Altenburg, Dr. Beat Bächi, Dr. Anke Büter, Dr. Ute Engelen, Dr. Linda Groß, Najko Jahn, Sebastian Knake, Dr. Anna Leuschner, Professor Dr. Andreas Leutzsch, Dr. Alexandra Wiebke und Claudia Wilholt. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Familie, ohne die ich nicht sein würde und die akzeptierte, dass das Schreiben eines Buches nicht ohne Spuren an einem vorübergeht; vor allem aber meinem Mann Torsten, ohne den ich nicht sein kann, der mich in der Durchführung dieses Projekts immer bestärkt hat und die Wendung »in guten wie in schlechten Zeiten« verinnerlichte.

Inhalt Einleitung und Forschungsstand | 9 ! 1. Paternalismus, Psychotechnik und Propaganda: ! Sozialberichterstattung vor 1970 | 37 !

1.1 Bollwerke für den Betriebsfrieden: Werkszeitungen und Wohlfahrtsberichte | 37 1.2 Modernisierung versus Ideologisierung im Kielwasser der Psychotechnik | 43 1.3 Werben für den »Leistungskampf« | 47 1.4 Mehr »Informationsfreudigkeit« nach amerikanischem Vorbild | 57 2. Reform und Krise: ! Die politische und wirtschaftliche Situation in den 1970er Jahren | 67 !

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3. Quantifizierte Lebensqualität: ! Konzepte der Sozialberichterstattung in den 1970er Jahren | 79 !

3.1 Unter dem Druck der Öffentlichkeit: Social Accounting in den USA | 79 3.2 Wissenschaftliche Ansätze in Deutschland | 102 4. Im Spannungsfeld politischer Interessen | 127 !

4.1 Humanisierungsbilanz für ein positives Unternehmerbild: Die PR-Offensive der BDA | 127 4.2 Ein juristisches Glasperlenspiel: Die Unternehmensrechtskommission | 141 4.3 Vom Frühwarnsystem zum Mitbestimmungsinstrument: Die Entwicklung des DGB-Sozialindikatorenansatzes | 150 5. Pioniere der deutschen Sozialbilanzierung: ! Der Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis | 171 !

5.1 Die Gründung des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis | 174 5.2 Schritt zur Standardisierung: Die Empfehlung des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis | 264 5.3 Der Arbeitskreis im Dialog mit DGB und BDA | 303 5.4 Die Projektgruppe Mitarbeiterbefragung | 312

6. Quantitative Entwicklung: ! Gesellschaftsbezogene Berichterstattung in Geschäftsberichten | 321 !

!

7. Eine Idee geht um die Welt: ! Sozialbilanzierung als globales Phänomen | 335 !

7.1 Die Schattenseiten der Weltwirtschaft: Sozialindikatoren und Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen | 335 7.2 Staatlich verordnet: Le Bilan social in Frankreich | 348 7.3 Variationen und Konvergenz | 360 8. Ökobilanzen und Corporate-Social-Responsibility-Reporting | 379 !

8.1 Die umweltbewegten 1980er Jahre und ihre Folgen: Von der Sozial- zur Ökobilanz | 379 8.2 Corporate-Social-Responsibility-Reporting: Die Reintegration der Sozialberichterstattung | 402 9. Fazit | 441

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Anhang | 449 !

I. Übersicht veröffentlichter Sozialbilanzen | 449 II. Übersicht Arbeitskreise und Ausschüsse | 451 III. United Nations Global Compact | 452 Verzeichnisse | 453 Quellen und Literatur | 459

Einleitung und Forschungsstand

I often say when you can measure what you are speaking about, and express it in numbers, you know something about it; but when you cannot measure it, when you cannot express it in numbers, your knowledge is of a meagre and unsatisfactory kind: it may be the beginning of knowledge, but you have scarcely, in your thoughts, advanced to the state of science, whatever the matter may be.1 SIR WILLIAM THOMSON (LORD KELVIN), 1883

Indem er den Stellenwert von Messbarkeit und Quantifizierbarkeit für die Verlässlichkeit und Aussagekraft wissenschaftlicher Forschung betonte, offenbarte der Physiker Thomson ein Verständnis von Wissenschaft, das sich in den Naturwissenschaften schon im 17. Jahrhundert mit Galilei, Kepler und Newton zu entwickeln begonnen und sich im späten 19. Jahrhundert längst zum vorherrschenden Paradigma etabliert hatte. Doch beschränkte sich der auf Messung, Zählung und Wiederholbarkeit beruhende, methodengeleitete Erkenntnisprozess nicht allein auf die Naturwissenschaften. Auch im Bereich des Sozialen dienten Quantifizierungsbestrebungen der Kategorisierung von Ereignissen und Strukturen und nicht zuletzt der Konstitution der Sozialwissenschaften überhaupt.2 Mit der Entwicklung der Statistik als »Wissenschaft vom Staat«3 wurden soziale Probleme erst als solche entdeckt und das abstrakte Konzept von Gesellschaft damit zugleich geschaffen.4 Im Verlauf

1

Thomson 1889, S. 73-4.

2

Vgl. Cohen 2005; Porter 1986 u. 1995.

3

Foucault 2006a, S. 152; vgl. ebd., S. 395-398; Porter 2003, S. 239.

4

So stellte der Statistiker Adolphe Quetelet beispielsweise fest, dass Menschen Verbrechen mit einer beobachtbaren Regelmäßigkeit begingen und dies weder durch das Individuum allein noch durch die Natur, sondern durch das Eingebundensein in soziale Struktu-

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des 19. Jahrhunderts setzte die Statistik ihren Siegeszug ungebremst fort: sie hielt überall dort Einzug, wo Daten, Informationen und letztlich Wissen von öffentlichem Interesse waren, zunächst vor allem zur Legitimation von kostenintensiven Infrastrukturprojekten, aber auch für Versicherungsstatistiken und die Weiterentwicklung des Rechnungswesens.5 Dort, wo der Staat Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Kontrolle und Regulierung sah und bürokratische Strukturen schwach ausgeprägt waren,6 rückten quantifizierende Methoden stärker in den Fokus der Handelnden. Durch Standardisierung wurden die Informationen exakter und Wissen dem Anspruch nach objektiviert. Wissen war nicht mehr im Subjekt gebundenes Expertenwissen, sondern konnte durch die gemeinsame Sprache der Zahlen leicht und vermeintlich eindeutig vermittelt werden. Die Analyse von Kosten und Nutzen wurde zur Grundlage für Entscheidungen und Planbarkeit und insbesondere Außenseiter erhielten die Chance, neue Betätigungsfelder zu erobern und sich dort zu etablieren.7 Lutz Raphael verortet drei Phasen der »Verwissenschaftlichung des Sozialen«8, die von dem oben skizzierten vorausgegangenen Quantifizierungsschub in den Naturwissenschaften profitierte, zwischen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dem Beginn der 1970er Jahre. Die erste Phase bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges war geprägt von sozialen Problemen, die Folge der Industrialisierung waren und in bis dahin unbekanntem Ausmaß auftraten. Zugleich entwickelten sich mit der Ausbreitung nationalstaatlicher Macht handlungsfähige Akteure, die diesen Problemen entgegentreten konnten. In Deutschland bildeten sich im späten 19. Jahrren zu erklären sei. Quetelet entdeckte Gesetzmäßigkeiten in der Verteilung sozialer Phänomene und prägte den Begriff des homme moyen. Vgl. Gertenbach 2008, S. 129; Koselleck 2003, S. 320; Lengwiler 2010, S. 34; Porter 1996, S. 47-48; ders. 2003; Raphael 1996, S. 172; ders. 2012, S. 50-52; Ziemann 2012, S. 197-206. 5

Vgl. Küpper/Mattessich 2005, S. 346 u. 361.

6

Vgl. Raphael 1996, S. 167.

7

Porter erläutert in diesem Zusammenhang den Fall französischer Ingenieure, die im 19. Jahrhundert durch Berechnung der durchschnittlichen Streckenauslastung die Entscheidung für die Regierung erleichterten, das Eisenbahnnetz in ländlichen Gegenden weiter auszubauen. Der ebenso von Porter skizzierte Fall britischer Versicherungsmathematiker aus dem 19. Jahrhundert zeigt, dass statistikbasierte Kalkulationen zunächst vor allem von jungen, unerfahrenen Versicherern verwendet wurden, um das Mortalitätsrisiko von potentiell Versicherten zu ermitteln. Sie stießen damit auf große Gegenwehr bei ihren erfahrenen Kollegen, die sich als Experten durch den Erwerb von Erfahrungswissen verstanden und ihre Position gefährdet sahen. Vgl. Porter 1995. Zur Entwicklung der Versicherungsstatistik vgl. auch Lengwiler 2010; zur Entwicklung der Statistik in Deutschland vgl. Tooze 2001.

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Raphael 1996.

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hundert die Wurzeln des modernen Wohlfahrtsstaates aus, der seine Bürger gegen soziale Risiken abzusichern begann.9 Der Mensch wurde nicht als Individuum, sondern als Teil der Masse betrachtet; eine Betrachtungsweise, die nicht zuletzt der Verstädterung und Verarmung als Folge der Industrialisierung geschuldet war.10 Statistische Erhebungen gewannen ebenso an Bedeutung wie die Tätigkeitsbereiche wissenschaftlicher Experten, die sich oftmals selbst in diese Position gebracht hatten, indem sie soziale Problemfelder identifizierten, für die sie zugleich Lösungen anboten.11 Diese Entwicklung erstreckte sich auch auf die Bereiche der industriellen Produktion: so sollten Ermüdungsstudien beispielsweise helfen, die Zahl von Arbeitsunfällen zu verringern. Arbeitsunfälle und später berufsbedingte Krankheiten wurden erstmals als soziales Phänomen definiert, anerkannt und versicherbar.12 In der zweiten Phase vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges kam es – und diese Periodisierung resultiert aus den Folgen des Ersten und Bedingungen des Zweiten Weltkrieges – zur weiteren Ausdifferenzierung und Institutionalisierung der wissenschaftlichen Disziplinen und der Betätigungsfelder für Human- und Sozialexperten: Vor allem die Psychologie entfaltete sich nicht zuletzt dank ihres methodischen Vorsprungs gegenüber der Soziologie auf dem Praxisfeld der Arbeits- und Militärpsychologie sowie im Bereich der pädagogischen Diagnostik. Volkswirtschaftslehre, Psychologie und Pädagogik wurden zu Fächern im Ausbildungsgang von Fürsorgerinnen und Fürsorgern, soziale Hygiene und schließlich ›Rassenhygiene‹ wurden Teil der medizinischen Ausbildung. Die Professionalisierung der ›Wohlfahrtsdamen‹ zu ›Fürsorgerinnen‹ erfolgte in dieser Phase.13

Legitimation erhofften und erschufen sich die Sozialexperten gleichsam durch ihre anwendungs-, effizienz- und kontrollorientierte Ausrichtung wie durch ihre technische Herangehensweise und beförderten damit zugleich die Herausbildung der eigenen Professionen.14 Der Typus des Sozialingenieurs verbreitete sich in Politik, 9

Vgl. Raphael 2012, S. 42.

10 Vgl. Nolte 2000, S. 304. 11 Vgl. Raphael 1996, S. 168-173; ders. 1998, S. 235. 12 Vgl. Gertenbach 2008, S. 126-146; Moses 2012; Rabinbach 1998. 13 Raphael 1996, S. 174. 14 Der Professionsbegriff folgt hier der professionssoziologischen Definition, nach der sich Professionen durch das Setzen eigener Standards und der Selbstkontrolle an diesen Standards von anderen Berufsgruppen abgrenzen. Vgl. Mieg 2003, S. 27. Die Experten im Sinne Raphaels erlangen ihren Status erstens durch akademische Ausbildung und zweitens durch institutionelle Einbindung und Anerkennung ihres Expertenstatus. Vgl. Leendertz (2012); zum Expertenbegriff bei Raphael 1996, S. 344-347; ders. 1998, S. 232233; Das akademische Bezugsfeld der Sozialexperten lässt sich nicht auf eine Disziplin

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Verwaltung und Wirtschaft und mit ihm allerlei Variationen von Sozialtechniken bis hin zu ihrer genozidalen Perversion im Nationalsozialismus.15 Der denkende Mensch wurde durch den Intelligenzquotienten in einer Zahl erfasst. Mit der Schaffung rationalisierten Wohnraumes konnte der Staat seiner Fürsorgepflicht nachkommen und gleichzeitig die Bedingungen für den wohnenden Menschen optimieren. ›Gesundes Wohnen‹ und Psychohygiene konnten in Grundrisse und Quadratmeterzahlen gefasst werden.16 Auch auf der betrieblichen Ebene rückten soziale Techniken in den Fokus, um die Rekrutierung von Personal effizienter und objektiver zu gestalten. So beschreibt Katja Patzel-Mattern die Etablierung der industriellen Psychotechnik, die zu einer Verwissenschaftlichung des Personalwesens beigetragen habe und auch von gewerkschaftlicher Seite positiv aufgenommen worden sei, weil sie zur »Steigerung der Arbeitsfreude«17 habe beitragen können.18 Frederick W. Taylors Ansatz des Scientific Management sollte einzelne Arbeitsschritte industrieller Produktion transparent und messbar machen mit dem Ziel, ein ausdifferenziertes Lohnsystem zu etablieren, das gerecht erscheine. Es sollte vor allem aber möglichst exakte Kostenkalkulationen gewährleisten, gewerkschaftliche Einflüsse mindern, Müßiggang der Arbeiter verhindern und damit sozialen Frieden im Betrieb herstellen.19 Voraussetzung hierfür war nicht zuletzt die Entwicklung technischer Möglichkeiten zur Vervielfältigung schriftlicher Dokumente, die zur Formalisierung der Kommunikation in Unternehmen beitrugen und eine umfassende Dokumentation von Vorgängen überhaupt erst erlaubten.20 Die Gründungen der ersten Unternehmensberatungen in den USA wie Booz, Allen & Hamilton (1914), eingrenzen. Es wandelte sich vielmehr – je nach Anwendungskontext – seit dem späten 19. Jahrhundert immer wieder und reflektiert auch die Uneindeutigkeit des Begriffes der Sozialwissenschaften selbst, der sowohl die Soziologie, Ökonomie, Psychologie, Politikwissenschaften, Rechtswissenschaften als auch die Geschichtswissenschaft, Anthropologie, Statistik, Philosophie, Ethnologie und (Sozio-) Biologie sowie deren interdisziplinäre Ausformungen umfassen konnte. Vgl. zu den definitorischen Problemen des Begriffes der Sozialwissenschaften und dessen Entwicklung: Sala 2012; s. a. Nolte 2000, S. 127-159; zum Begriff der Sozialwissenschaften im Verhältnis zur Ökonomie vgl. Hesse 2010, S. 270-281. 15 Vgl. Etzemüller 2009, S. 20-21; W. Plumpe 2009, S. 106; Raphael 1996, S. 173-177; 180-181; Szöllosi-Janze 2004. 16 Vgl. Ash 2003, S. 267-269; Kuchenbuch 2010, S. 75-100. 17 Patzel-Mattern 2012, S. 78. 18 Vgl. Kleinschmidt 1992; Patzel-Mattern 2010; dies. 2012. 19 Vgl. Taylor 1977 [1911]; Homburg 1978; P. Miller/O’Leary 1994; P. Miller/Rose 1995, S. 431-433; Radkau 2008, S. 286-300; Schuster 1987, S. 287-327; Wellhöner 1996, S. 54-59. 20 Vgl. Yates 1993.

E INLEITUNG UND F ORSCHUNGSSTAND

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McKinsey und A.T. Kearney (1926) zeugen von den Professionalisierungsbestrebungen des externen Beratungswesens, das in die Unternehmen Einzug hielt.21 Die standardisierte Massenproduktion mit ihren Wurzeln in Fords Fließbandproduktion folgte dem Konzept Taylors, das zum Inbegriff des Social Engineering in der Betriebsführung wurde. Die Produktion nach fordistischem Vorbild breitete sich seit den 1920er Jahren in den westlichen Industrienationen, aber auch in Russland sukzessive aus, zunächst allerdings beschränkt auf die Automobil- und Elektronikbranche.22 Nach der Definition Etzemüllers waren die Bestrebungen zur Verwissenschaftlichung – wie beispielsweise Scientific Management, industrielle Psychotechnik oder Sozial-Kybernetik – Merkmal des Social Engineering, das sich »als Verhaltenslehre des kühlen Kopfes«23 auf diverse Anwendungsfelder erstreckte und dienten der (Wieder-)Herstellung einer verlorengeglaubten sozialen Ordnung. Mit diesem Ordnungsdenken ging oftmals ein moralischer Anspruch einher, der auf betrieblicher Ebene und bis in das Privatleben der Beschäftigten hinein den arbiträren Charakter philanthropischer Zuwendungen durch den Unternehmenspatriarchen abzulösen suchte, auch wenn dieser schon längst der Vergangenheit angehörte.24 Die dritte Phase umschreibt Raphael als »goldene[s] Zeitalter der empirischen Sozialforschung«25, das in den USA in den 1940er Jahren und in der Bundesrepublik im darauf folgenden Jahrzehnt begann.26 Diese goldenen Jahre der wirtschaftlichen Prosperität und des Massenkonsums standen unter der Ägide von Planungseuphorie. Die Zukunft war berechen- und damit steuerbar geworden. Nationaler Wohlstand ließ sich nach der »Erfindung des Bruttosozialprodukts«27 in einer singulären Ziffer erfassen.28 Dieser Optimismus wurde erst in den 1970er Jahren gedämpft, als die negativen Auswirkungen von Modernisierung und Industrialisierung 21 Vgl. Bohn/Kühl 2004, S. 70. 22 Vgl. Abelshauser 2003, S. 108-141; ders. 2011, S. 48-49; Etzemüller 2009, S. 21; Fridenson 1978; Hachtmann 2011, S. 183-192; Stadler 2004, S. 68-82; Tanner, Jakob, »Managementkonzepte im gesellschaftlichen Wandel«, in: io New Management 76 (2007), Nr. 6, S. 8-14; von Saldern 2012, S. 155-162; Wellhöner 1996, S. 49-67. 23 Etzemüller 2009. 24 Vgl. Bröckling 2008; Etzemüller 2009, S. 18 u. 28-31; Kuchenbuch 2010, S. 83-84; Luks 2010, S. 52-113; Welskopp 1994b. 25 Raphael 1996, S. 177; s. a. Ash 2010, S. 221. 26 Vgl. auch Nolte 2000, S. 235-272; Stehr 2009, S. 489-490. 27 Speich Chassé 2013. 28 So vollzog im Bereich der Berechnung von Sozialversicherungsrisiken beispielsweise zwischen den 1920er und 1960er Jahren eine Transformation von der statistisch hin zur probabilistisch gestützten Prognose, die den Aspekt künftiger Risiken für Sozialversicherungen verlässlicher berücksichtigte. Vgl. Lengwiler 2010.

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für Gesellschaft und Umwelt allmählich ins Bewusstsein rückten.29 Der »szientifische Jargon« jedoch verhieß zunächst »den Geschmack des Neuen und Modernen«30. Die Betriebssoziologie und -psychologie – zuvorderst prominent die von Elton Mayo initiierte und durch die Ansätze Maslows, Barnards und Likerts gleichermaßen beeinflußte Human-Relations-Bewegung31 – erlebten ihren institutionellen Aufstieg, der zur Weiterentwicklung des Personal- und Kommunikationswesens in Unternehmen beitrug und den akademisch geschulten »Humanexperten«32 ein erweitertes Tätigkeitsfeld erschloss.33 Auch auf die Politik nahmen wissenschaftliche Akteure vermehrt Einfluss und leisteten seit den 1950er Jahren in Westdeutschland und seit den 1960er Jahren in Ostdeutschland34 Beiträge zur Legitimierung politischer Entscheidungen: durch ressortgebundene Beiräte, Sachverständigenräte, externe Institute und repräsentative Umfragen,35 Experten- und Enquete-Kommissionen36 und deren Gutachten beispielsweise zu Risikotechnologien wie der Nutzung von Atomkraft, zur Konjunkturentwicklung, Raumordnung, Bildung und Hochschulpolitik, Gefahrstoffen in Lebensmitteln oder am Arbeitsplatz.37 Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre dynamisierte sich diese Entwicklung zunehmend und die politische Öffentlichkeit war von der Differenzierung der Meinungen und einer Vielzahl von Expertisen geprägt, obwohl sich in Verbänden und Verwaltung verlässliche »Entscheidungskartelle«38 im Hintergrund etablierten.39 Dieser expertisengetriebene Verwissenschaftlichungs29 Vgl. Hölscher 1999, S. 219-223; Nolte 2006, S. 29-38 u. 52-58; Seefried 2010, S. 90. 30 Nolte 2006, S. 35. 31 Vgl. Hilger 2004, S. 240-242; Kleinschmidt 2002a, S. 173-203; ders. 2004; Luks 2010, S. 147-155; P. Miller/Rose 1995, S. 434-438; Platz 2010, S. 274; Stadler 2004, S. 82-92; Walter-Busch 2012, S. 274-277. 32 Rosenberger 2004 u. 2008. 33 Vgl. Hilger 2004, S. 242; Platz 2002; Rosenberger 2008. 34 Vgl. Raphael 1998, S. 239-251: Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung (1963) versprach Beschäftigungsmöglichkeiten für Sozialexperten, deren Gestaltungsspielräume allerdings spätestens seit 1967/68 mit dem Beschluss des Ökonomischen Systems des Sozialismus beschnitten wurden und deren Expertenstatus seit den 1970er Jahren nur noch als legitimierende Fassade und Ablenkung vom ökonomischen Niedergang fungierten. Vgl. auch von Saldern 2012, S. 183-184; Tanner 2008, S. 404-413. 35 Vgl. Igo 2012; Kruke/Ziemann 2012; Seefried 2010. 36 Zur Differenzierung dieser Begriffe siehe Weingart/Lentsch 2008. 37 Vgl. z. B. Altenburg 2010; Bächi 2012; Bartz 2007; Leendertz 2009 u. 2012, S. 347-352; Nützenadel 2005; ders. 2012, S. 124-128; Stoff 2009; Westermann 2007. 38 Raphael 1998, S. 253. 39 Jasanoff stellt hier eine Besonderheit der Politikberatung in der Bundesrepublik fest. Es sei durchaus erwünscht, dass Parteiinteressen auch sichtbar gemacht würden im Gegen-

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schub kam auch den Vertretern der empirischen Sozialforschung zugute, die mit ihren Methoden die Erfolge politischer Programme sichtbar machen und aufzeigen konnten, inwieweit der ›Wohlstand für alle‹ bereits erreicht worden war. Die Gesellschaft wurde zum Gegenstand dauerhafter Beobachtung; Gesellschaftszustände und Wissensbestände wurden hinterfragt und dekonstruiert.40 So ambivalent wie die Meinungen darüber gestaltete sich auch die wirtschaftspolitische Situation selbst. Einerseits trugen die in den sechziger Jahren eingeleiteten Entwicklungen wie die Bildungsreform Früchte und der Sozialstaat expandierte in alle Bereiche des Lebens, während sich die strukturellen wirtschaftlichen Probleme – insbesondere der Schwerindustrie – mit der ersten Ölpreiskrise 1973 als Auftakt der »Kleinen Weltwirtschaftskrise«41 offenbarten. Die Krisen der siebziger Jahre42 stellten jedoch zugleich eine Chance für die »Transformation der Industriegesellschaft des traditionellen Typs zur Wissensgesellschaft auf industrieller Grundlage«43 dar. Die Beschäftigungsmöglichkeiten für sozialwissenschaftlich geprägte Experten waren nie zuvor größer gewesen.44 Die hier skizzierten Beispiele von Verwissenschaftlichungsphänomenen beschreiben den wachsenden Einfluss von Experten und Beratern, deren Aufgabe in der Produktion und Vermittlung wissenschaftlichen Wissens für Anwendungskontexte lag.45 Dieser Prozess ist – wie Szöllösi-Janze am Beispiel der Rolle wissenschaftlicher Experten im Nationalsozialismus eindrücklich herausstellt46 – nicht zwangsläufig als linear und positiv konnotiert zu sehen, wie es das teleologische Konzept der Wissensgesellschaft suggeriert. Trotzdem zeigen die Beispiele eine zunehmende Durchdringung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Funktionsbereiche mit wissenschaftlichem Wissen und werfen die Schatten eben jener Idee einer wissensbasierten Gesellschaft – der Wissensgesellschaft – voraus. DoeringManteuffel und Raphael beschreiben mit dem Begriff der (immer noch) industriebasierten Wissensgesellschaft eine Übergangsphase auf dem Weg in die Wissensgesellschaft. Konstitutiv für die Art der Produktion wissenschaftlichen Wissens in der Wissensgesellschaft (Mode 2) ist erstens die Anwendungsorientierung des Wissens satz zur Politikberatung in den USA, wo idealiter »standpoint-free knowledge« von wissenschaftlichen Beratern erarbeitet werden solle. Jasanoff 2011, S. 315. Vgl. auch Leendertz 2012, S. 359-369. 40 Vgl. Hockerts 2011, S. 192; Nolte 2000, S. 281; W. Plumpe 2009; Raphael 1996, S. 178179. 41 Abelshauser 2011, S. 392-396. 42 Vgl. Abelshauser 2009; W. Plumpe 2012, 92-101. 43 Doering-Manteuffel/Raphael 2008, S. 105; siehe dazu auch Willke 1998, S. 163. 44 Vgl. Raphael 2012, S. 53. 45 Vgl. Luks 2010. 46 Vgl. Szöllösi-Janze 2004.

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und zweitens die Produktion in interdisziplinären Kontexten. Drittens unterliegt die Kontrolle des wissenschaftlichen Wissens nicht mehr der Wissenschaft selbst. Sie liegt beim Auftraggeber, der auch die Gesellschaft als Ganzes sein kann, wenn zum Beispiel sozialpolitische Fragen im Fokus der Wissensproduktion und -diffusion stehen.47 Wissenschaftler treten als Experten auf, deren soziale Funktion in der Herstellung von Vertrauen zur Legitimation bestimmter Entscheidungen liegt. Die Grundlage dieser sozialen Funktion ist in der epistemischen Funktion wissenschaftlichen Wissens begründet, die darin besteht, Verlässlichkeit zu gewährleisten. Doch nicht allein die Experten und Berater der Professionen bestimmen durch ihre Tätigkeiten die Konturen der Wissensgesellschaft. Das Konzept der Wissensgesellschaft, das jenes der von Bell entworfenen postindustriellen Gesellschaft48 erweitern will, zeigt den Bedeutungszuwachs objektiven Wissens auf, das subjektgebundenes, individuelles Erfahrungswissen (tacit knowledge) ergänzt oder verdrängt. Objektives Wissen ist organisationales, intersubjektives und explizites Wissen, das Voraussetzung ist für standardisierte Prozesse, Regelsysteme, Routinen, Normen, Kodifikationen49 oder – um es in einem zentralen Begriff zu erfassen: handlungsstrukturierende Institutionen.50 Wissen wird damit zum Produktionsfaktor neben Boden, Arbeit und (Finanz-)Kapital, ist aber nicht unabhängig vom Subjekt zu denken. Die ›Wissensarbeiter‹ moderner und postmoderner Organisationen sind Träger des organisationalen Wissens wie ihres durch Bildung erworbenen Wissens und haben damit ei47 Die traditionelle Funktion von Wissenschaft wird dagegen mit dem Begriff Mode 1 gefasst: hier wird idealiter disziplinär in der Grundlagenforschung gearbeitet, die Kontrolle und Bewertung der Nützlichkeit wissenschaftlicher Ergebnisse erfolgt durch die peers. Vgl. Gibbons et al. 1995; Weingart 1997. 48 Vgl. Bell 1973. 49 Vgl. Nonaka et al. 2001, S. 494-498; Willke 1998, S. 166. 50 Douglass C. North definiert Institutionen als »any form of constraint that human beings devise to shape human interaction. They can be [...] formal constraints – such as rules that human beings devise – and informal constraints – such as conventions and codes of behavior. [...] As defined here, they therefore are the framework within which human interaction takes place. They are perfectly analogous to the rules of the game in a competitive team sport. That is, they consist of formal written rules as well as typically unwritten codes of conduct that underlie and supplement formal rules, such as not deliberately injuring a key player in the opposing team. And as this analogy would imply, the rules and informal codes are sometimes violated and punishment is enacted. Therefore, an essential part of the functioning of institutions is the costliness of ascertaining violations and the severity of punishment.« North 1990, S. 4. North grenzt hier den Institutionenbegriff vom Organisationsbegriff ab. Organisationen versteht North als zweckgebundene Körperschaften, innerhalb derer Institutionen als »governance structures« (ebd., S. 5) fungieren. Vgl. dazu auch Mayntz/Scharpf 1995; S. Scott/J. Meyer 1994, S. 68-71.

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nen Wert für die Organisation.51 Hinter diesem Gedanken verbirgt sich die Idee des ›Humankapitals‹, ein Konzept, das seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung gewonnen hat und eng mit der Idee der Wissensgesellschaft verknüpft ist. Allerdings bewertet die Humankapitaltheorie Chancen des Bildungszugangs und -erwerbs als Kapitalgrundlage ohne soziale Differenzen, die erst Bourdieu in seinem Konzept von kulturellem und sozialem Kapital und seiner ungleichen Verteilung in der Gesellschaft herausstellt.52 Ansätze zur Humankapitaltheorie gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, etwa im Konzept der ›Menschenökonomie‹ Rudolf Goldscheids, der sich als überzeugter Sozialdemokrat gegen die Vergeudung menschlicher Arbeitskraft durch bloße physische Ausbeutung aussprach; allerdings lagen seinen Ausführungen auch sozialdarwinistische Züge der optimalen Nutzbarmachung des Menschen durch Auswahl und Erziehung zugrunde, die im Nationalsozialismus ihr menschenverachtendes Potential offenbarten.53 Erst seit den späten fünfziger Jahren wandelte sich das Verständnis von der ›Ressource Mensch‹ in der ökonomischen Forschung. Nicht mehr allein die physische Arbeitskraft, sondern auch der Produktionsfaktor Wissen bestimmte den Wert des Arbeitenden. Damit veränderte sich der Blick auf den Menschen als ökonomische Ressource grundlegend: er war nicht mehr allein ein passiv zur Verfügung stehendes Gut, sondern konnte selbst über den Einsatz seines Kapitals – Wissen – bestimmen und wurde als Kompetenzträger zum »Unternehmer seiner selbst«54. Eine der Ursachen dafür sieht die historische Humankapitalforschung im ›Sputnik-Schock‹, der die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West 1957 auf eine neue Ebene hob und nicht nur die militärische Leistungsfähigkeit, sondern auch jene der Forschungs- und Bildungseinrichtungen des Westens herausforderte.55 Die Humankapitaltheorie der Chicago School – insbesondere ihrer Vertreter Gary S. Becker, Jacob Mincer und Theodore W. Schultz – setzte nicht auf staatliche Steuerung, sondern auf Rationalität, Liberalität und Eigenverantwortlich51 Vgl. Gibbons et al. 1995; Hayek 1945, S. 521-522; Polanyi 1964; Stehr 2001; SzöllösiJanze 2004; Weingart 1997 u. 2008; Willke 1998. 52 Vgl. Bourdieu 1983; Stehr 2007, S. 236-253. 53 Vgl. Bröckling 2003, S. 6-16; Lupa 1993, S. 85; von Saldern 2012, S. 166-167. 54 Foucault 2006b, S. 314; Zur Transformation des Arbeiters vom Objekt zum Subjekt in der Humankapitaltheorie, vgl. ders., S. 311: »Man stellt sich also auf den Standpunkt des Arbeiters und geht zum ersten Mal davon aus, daß der Arbeiter in der ökonomischen Analyse kein Objekt ist, das Objekt eines Angebots und einer Nachfrage in Form von Arbeitskraft, sondern ein aktives Wirtschaftssubjekt.« 55 Auch im direkten Vergleich mit dem Nachbarn wurde in der Bundesrepublik die Forschungs- und Bildungspolitik der DDR in den fünfziger Jahren als wettbewerbsfähiger gegenüber der eigenen wahrgenommen. Vgl. Kaiser 2010; Nützenadel 2012, S. 132; Steiner 2012, S. 160.

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keit. Dem Staat kommt in diesem Verständnis lediglich die Aufgabe zu, Spielregeln zu setzen und Voraussetzungen für die Ausbildung von ›Humankapital‹ – beispielsweise durch die Bereitstellung von Bildungschancen – zu schaffen.56 Ein effizientes Bildungssystem mit liberalen Grundzügen sollte die Grundlage technologischen Fortschritts und wirtschaftlichen Erfolgs für Volkswirtschaften gewährleisten und damit zur Verteidigung westlich-demokratischer Ideologie von Freiheit und gleichzeitiger (Eigen-) Verantwortung gegenüber sozialistischem Staatsinterventionismus taugen. Zugleich war die Humankapitaltheorie aber auch Reaktion auf innenpolitische Entwicklungen in den USA: auf eine keynesianistische Investitionspolitik und die Ausweitung wirtschaftlicher und sozialer Förderprogramme für Arme und soziale Minderheiten.57 An diese Entwicklung schloss die soziologische Forschung in den sechziger Jahren an. Sie hatte über die Humankapitaltheorie hinaus Einfluss auf die organisationale Bilanzierungsforschung und auf die Entwicklung volkswirtschaftlich ausgerichteter Bilanzierungsinstrumente. Die Accounting-Forschung selbst wurde seit Mitte der 1970er Jahre zum Gegenstand metawissenschaftlicher soziologischer und philosophischer Analysen, die in den 1980er Jahren deutlich zunahmen und das Rechnungswesen aus professionssoziologischer, institutionalistischer, normativer oder soziopolitischer Perspektive in den Blick nahmen.58 Die Sozialindikatorenbewegung,59 die in den USA ihren Anfang nahm und in den siebziger Jahren Eingang in die westdeutsche Soziologie fand, versuchte Instrumente zur Effizienzmessung staatlicher Sozialprogramme anzubieten. In der Bundesrepublik beförderte vor allem der Ausbau des Sozialstaates, dem die wirtschaftlich krisenhafte Entwicklung in den siebziger Jahren zuwider lief, die Etablierung der Sozialindikatorenforschung: Der Ausbau sozialer Leistungen bei gleichzeitiger Einbuße wirtschaftlicher

56 Vgl. Becker 1964; Schultz 1963 u. 1971; Zur Übersicht seiner eigenen und der Arbeiten Beckers und von Schultz vgl. Mincer 1993. 57 Vgl. A’Hearn et al. 2006, S. 2; Bröckling 2003, S. 16-22; Bernet/Gugerli 2011; Foucault 2006b, S. 300-330; Gertenbach 2008, S. 60-61 u. 112-117. 58 Vgl. Küpper/Mattessich 2005, S. 366-380; Mattessich 1992, S. 184-187; P. Miller 2001, S. 383; ders. 2008. 59 Im Bereich der Sozialindikatoren wird zwischen zwei Typen unterschieden. Objektive Indikatoren haben eine statistische Datenbasis: sie werden beispielsweise durch die Erhebung von Einkommensgruppen, die Zahl von Hochschulabsolventen, die Summe von Krankheitstagen etc. ermittelt. Subjektive Indikatoren beruhen auf Befragungen und dienen in erster Linie der Ermittlung von Zufriedenheitszuständen. Die zentralen Funktionen sozialer Indikatoren liegen in der Information, Problemidentifikation, Prognostik und Bewertung. Vgl. Biervert 1975, S. 98.

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Leistungsfähigkeit setzte eine sorgsamere Allokation öffentlicher Mittel voraus.60 Gleiches galt für Sozialprogramme und soziale Leistungen privater Unternehmen, die sich seit den späten sechziger Jahren in einem Spagat zwischen zunehmender Kritik am Prinzip der Gewinnmaximierung und Forderungen nach gesellschaftlicher Verantwortung auf der einen und einem Rückgang des Wirtschaftswachstums auf der anderen Seite befanden.61 Als Antwort auf die öffentliche Kritik und Forderungen nach unternehmerischer Verantwortung brachte das Essener Energieunternehmen STEAG als erstes deutsches Unternehmen 1972 unter dem Titel ›Sozialbilanz‹ eine Publikation heraus, um Mitarbeitern, Anteilseignern und einer interessierten Öffentlichkeit Informationen über gesellschaftsbezogene, die reine Gewinnerwirtschaftung überschreitende Leistungen der STEAG bereitzustellen.62 Diesem Beispiel folgten im Verlauf der 1970er Jahre zahlreiche weitere Unternehmen in Westdeutschland. Gerade in der Anfangsphase bis Mitte der 1970er Jahre war der durch die Praxis geprägte Begriff der Sozialbilanz umstritten und die begriffliche Unschärfe wurde von gewerkschaftlicher wie wissenschaftlicher Seite angeprangert. In den meisten Fällen veröffentlichter Sozialbilanzen handelte es sich gerade nicht um Bilanzen63, sondern um verbale, bebilderte Sozialberichte, die durch statistisches Material ergänzt wurden. Dennoch etablierte sich der Begriff Sozialbilanz als Schlagwort für die Publikationen, die über das gesellschafts- und umweltbezogene Handeln von Unternehmen für eine breite Öffentlichkeit Auskunft geben sollten. So sollten nicht nur Anteilseigner eines Unternehmens über dessen Aktivitäten in Kenntnis gesetzt werden, sondern insbesondere auch Mitarbeiter, Konsumenten, Zulieferer, Anwohner und die Medien. Statt Informationen über die finanzielle Lage und den ökonomischen Erfolg des Unternehmens wurde der Informationsbedarf dieser Öffentlichkeit in den Bereichen Umweltschutz, betriebliche Sozialpolitik,64 gesellschaftliches Engagement oder Produktentwicklung verortet und sollte mittels der Sozialbilanzen erfüllt werden. Trotz der anfänglich dominierenden verbalen Berichterstattung war es der Anspruch der Publikationen, den aus unternehmerischen Aktivitäten resultierenden Schaden oder Nutzen quantitativ abzubilden, um Transparenz hinsichtlich gesellschaftsbezo60 Vgl. Doering-Manteuffel/Raphael 2008, S. 104-105. Zur wirtschaftlichen und politischen Situation in den 1970er Jahren siehe ausführlicher Kapitel 2. 61 Siehe dazu ausführlich Kapitel 3. 62 Vgl. STEAG Sozialbilanz 1971/72. 63 Zwar ist auch der Bilanzbegriff nicht eindeutig, er beschränkt sich jedoch auf die Sphäre des Rechnungswesen und beschreibt den Rechnungsabschluss ggf. unter Einbeziehung der Gewinn- und Verlustrechnung. Vgl. Küpper/Mattessich 2005, S. 347. 64 Als betriebliche Sozialpolitik wird hier die Gesamtheit der »nicht im Arbeitslohn beziehungsweise Gehalt inbegriffenen betrieblichen Sach-, Dienst- und Geldleistungen« verstanden. Welskopp 1994b, S. 333.

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gener Informationen für die Adressaten und Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen zu gewährleisten. 1976 schlossen sich sieben Unternehmen zum Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis (AKSBP) zusammen, mit dem Ziel branchenübergreifende Standards für eine erweiterte Sozialberichterstattung zu entwickeln. Zu den Gründerunternehmen des Arbeitskreises gehörten das Chemieunternehmen BASF, der Medienkonzern Bertelsmann, der rheinland-pfälzische Weinproduzent und -vertrieb Pieroth, der Büromaschinenhersteller Rank Xerox, die Saarbergwerke AG und die Energieunternehmen STEAG und Deutsche Shell. Die Entwicklungen in der unternehmerischen Praxis wurden begleitet von wissenschaftlicher und gewerkschaftlicher Kritik, die mit je eigenen Konzepten einer idealen Sozialbilanzierung aufwartete. Die wissenschaftliche Diskussion, die maßgeblich von Sozialwissenschaftlern geprägt wurde, dominierte vor allem der Ansatz des Sozialwissenschaftlers und Sozialbilanzpioniers Meinolf Dierkes, der darüber hinaus die Unternehmen des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis als wissenschaftlicher Experte beriet. Grundlegende Forschungsfragen und theoretischer Ansatz Zentraler Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung der Sozialbilanzierung westdeutscher Unternehmen von 1972 – als die erste Sozialbilanz der STEAG erschien – bis in die achtziger Jahre hinein. Erkenntnisleitend für die Analyse ist die Frage, wie die Sozialbilanz unter dem Einfluss wissenschaftlicher Konzepte und Beratung, gewerkschaftlicher und öffentlicher Kritik, unternehmerischer Bedürfnisse, politischen Kalküls und staatlicher Regulierungsansprüche an Gestalt gewann. Dabei geht es nicht darum, festzustellen, inwieweit die in den Sozialbilanzen beschriebenen sozialen und umweltbezogenen Leistungen tatsächlich erbracht worden sind, sondern um eine wissensgeschichtliche Rekonstruktion der Sozialbilanz als Ausdrucksform einer betrieblichen Sozialtechnik, die von Unternehmensleitungen eingeführt und im Aushandlungsprozess zwischen den zum Teil divergierenden Interessen der beteiligten Akteure geformt wurde. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis und dessen Arbeit im Verhältnis zu den am Sozialbilanz-Diskurs beteiligten Akteuren: Wissenschaftlern, Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) und der 1972 einberufenen Kommission zur Reform des Unternehmensrechts. Die Entwicklung der Sozialbilanzierung in Deutschland – insbesondere unter Berücksichtigung des Einflusses durch den Arbeitskreis SozialbilanzPraxis und der mit ihm verbundenen Akteure – ist bisher nicht aus historischer Perspektive beleuchtet worden. Die gegenwärtige Literatur zur Sozialbilanzierung stammt im Wesentlichen von Meinolf Dierkes – ehemals Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), wissenschaftlicher Berater des Arbeitskreises und einer der maßgeblichen, wenn nicht gar der wichtigste Akteur in

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der Sozialbilanzdebatte und -entwicklung in den siebziger Jahren – oder von Sozialwissenschaftlern, die eng mit Dierkes zusammengearbeitet haben. Die historischen Rückblicke dieser sozialwissenschaftlichen Autoren sind inhaltlich aufschlussreich und die von ihnen betonte These der Kontinuität in der Entwicklung von Sozialbilanzen zum gegenwärtigen Corporate-Social-Responsibility-Reporting wurde in die vorliegende Arbeit aufgenommen. Die historischen Schilderungen dieser Autoren sind jedoch schlaglichtartig und stammen aus der Perspektive von Meinolf Dierkes selbst oder sind von dieser zumindest stark geprägt. Edmund Hemmer, der in den 1970er Jahren als Autor des Instituts der deutschen Wirtschaft den Sozialbilanzdiskurs ebenfalls mitbestimmte, versuchte sich zwanzig Jahre später an einer skizzenhaften historischen Einordnung und erklärte die Idee der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung für gescheitert aufgrund der Freiwilligkeit des Konzepts, konjunktureller Krisen, geringerer gesellschaftlicher Kritik an Unternehmen in den achtziger Jahren und des misslungenen Versuchs, den gesellschaftlichen Nutzen von Unternehmen monetarisieren zu wollen.65 Diese subjektiv gefärbten Retrospektiven bedürfen sowohl im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Sozialbilanz als auch im Hinblick auf die unterschiedlichen Perspektiven der an der Sozialbilanz-Debatte beteiligten Akteure in den siebziger Jahren einer historischen Kontextualisierung und Überprüfung.66 In den vergangenen Jahren sind die 1970er Jahre unter Aspekten der Krisenhaftigkeit des Jahrzehnts, des Wertewandels, der Demokratisierungstendenzen und Verwissenschaftlichungsprozesse in allen sozialen Bereichen (z. B. Arbeit, Familie, Bildung, Umwelt) stark in den Fokus der geschichtswissenschaftlichen Forschung gerückt. Das ist zum einen der Zugänglichkeit des Archivmaterials aus diesem Jahrzehnt geschuldet, zum anderen deuteten ihre Zeitgenossen die siebziger Jahre als Dekade vielschichtiger Umbrüche im Werteverständnis der westlichen Gesellschaft nach der Silent Revolution67: vom Fortschritts- über den Reformoptimismus

65 Vgl. Hemmer 1996. 66 Vgl. Dierkes/Berthoin Antal/Marz 2002; Berthoin Antal/Dierkes/MacMillan/Marz 2002; Berthoin Antal/Dierkes/Oppen 2007; Berthoin Antal/Sobczak 2004; dies. 2005; Berthoin Antal/Oppen/Sobczak 2007; Moes et al. 2008; URL: Berthoin Antal/Sobczak 2004. Eine gute, aber knappe historische Überblicksdarstellung liefern die Conference Paper von Julia Steets und Thomas Weihe (URL: Steets/Weihe 2006) sowie von Gaspare Rappa (2006). Moldaschl stellt ebenfalls den historischen Bezug zwischen Sozialbilanzen und heutigem CSR-Reporting her. Vgl. Moldaschl 2005, S. 286. Zur Entwicklung der Sozialberichterstattung jenseits der Bundesrepublik vgl. Adams et al. 1998; Carroll 1999; Epstein 2003; Gray 2002; Mathews 1997; Mook 2007; Roberts 1992, S. 595-597. 67 Vgl. Inglehart 1971 u. 1977.

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zur postindustriellen68 und postmodernen gesellschaftskritischen Haltung, die nicht mehr allein den wissenschaftlichen Gesellschaftsbeobachtern vorbehalten war.69 Die Interpretation der Ereignisse in den siebziger Jahren als Phase des Umbruchs durch die Zeitgenossen selbst und im Spiegel damaliger wissenschaftlicher Erkenntnisse wirft für den Historiker heute die Frage nach einer möglichen gesellschaftlichen Zäsur der Jahre »nach dem Boom«70 auf. Die historische Kontextualisierung trägt dazu bei, die Gefahr einer reinen Reproduzierung der zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Beobachtungen und einer unkritischen Priorisierung des Wandels als Erklärungsmodell gegenüber der Kontinuität zu bannen.71 Die vorliegende Arbeit will erstens einen Beitrag zur Diskussion um den Zäsurcharakter der 1970er Jahre leisten. Der Fall der Einführung von Sozialbilanzen in Unternehmen und der Diskurs um zunächst relativ banal erscheinende Publikationen, die zum Politikum in der Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeberverband, Unternehmen und Gewerkschaften wurden – und dies nicht allein in der Bundesrepublik –, reflektieren die wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklungen, die die Gesellschaft der siebziger Jahre prägten. Es wird angenommen, dass Sozialbilanzen einerseits Merkmale von Pfadabhängigkeiten in der Sozialberichterstattung aufweisen und andererseits Zeichen eines Wandels in der Kommunikationsstrategie als Teil der Unternehmenskultur sind. Die Ursachen dieses Wandels können nach dem Modell institutionellen Wandels von Douglass C. North mit einem change in tastes erklärt werden: Der gesellschaftliche Rahmen, in dem die Unternehmen agierten, hatte sich dahingehend verändert, dass Profitmaximierung allein nicht länger zur Legitimation unternehmerischer Aktivität genügte. Das Unternehmen wandelte sich in der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung zur »quasi-öffentliche[n] Institution«72. Die Öffentlichkeit forderte einen verantwortungsvolleren Umgang der Unternehmen mit Mitarbeitern, der Umwelt und in gesellschaftlichen Belangen. Dieser marktexogene Faktor als Erklärung für Wandel geht einher mit einem marktendogenen: Die Furcht vor Reputationsverlusten und damit mittel- bis lang-

68 Vgl. Bell 1973. 69 Vgl. Andresen et al. 2011; Baumann 2011; Borstelmann 2012; Doering-Manteuffel 2007; Doering-Manteuffel/Raphael 2008; Dworog/Mende 2009; Faulenbach 2011; Ferguson/Maier 2010; Hünemörder 2004; Jessen 2010; Kaelble 2010; Nützenadel 2005; W. Plumpe 2009; Raithel/Rödder et al. 2009; Raithel/Schlemmer 2009; Reitmayer/ Rosenberger 2008; Rödder 2004; Schanetzky 2007; Seefried 2010; Varsori/Migani 2011. 70 Doering-Manteuffel/Raphael 2008. 71 Auf diese Gefahr weisen Rüdiger Graf und Kim Christian Priemel in ihrem 2011 erschienenen Aufsatz hin. Zur Diskussion siehe auch Dietz/Neumaier 2012; Dietz et al. 2014; URL: Heinemann 2012; Ziemann 2012, S. 226-227. 72 Ulrich 1977.

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fristig drohenden Umsatzeinbußen setzte die Unternehmen unter Handlungszwang, um dem Legitimationsdefizit zu begegnen.73 Die Einführung von Sozialbilanzen stellte eine Möglichkeit dar, dem Legitimationszwang und den Unsicherheiten im Umgang mit neuen gesellschaftlichen Anforderungen nach mehr Verantwortung zu begegnen.74 Feldenkirchen und Nieberding vertreten die Auffassung, Unternehmen verfolgten erst seit den 1990er Jahren eine Strategie, die in der internen wie externen Kommunikation ein kohärentes Image zur Selbstdarstellung, Legitimation und Prävention durchsetzen wolle – insbesondere gegenüber unternehmensexternen Stakeholdern wie Bürgerinitiativen oder Umweltschützern. Der Fall der Sozialbilanz wirft die Frage auf, inwieweit diese Strategie nicht schon die unternehmerische Kommunikationspolitik in den 1970er Jahren bestimmte und in den nachfolgenden Dekaden nicht vielmehr eine Professionalisierung und Ausdifferenzierung stattgefunden hat, die heute unter dem Begriff der Corporate Identity firmiert. Auch Hilger und Wischermann stellen vielmehr fest, dass Unternehmen in Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren begannen, Öffentlichkeitsarbeit zur Konfliktvermeidung einzusetzen und ihre Selbstdarstellung durch die Einrichtung von PRAbteilungen, Imageumfragen und Strategien zur Schaffung eines Unternehmensbildes, das auf Mitarbeiter wie Öffentlichkeit gleichermaßen wirken sollte, erheblich zu professionalisieren. Wolbring zeichnet die Ursprünge dieser imagebildenden Strategien nach innen und außen im Kruppschen Unternehmen bereits für das Ende des 19. Jahrhunderts nach.75 Der spezifische Fall des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis dient zweitens zur exemplarischen Illustration der Bedeutung sozialwissenschaftlicher Forschung und Expertise für Unternehmen. Die Fallstudie soll zur Klärung der Frage beitragen, inwiefern es durch die wechselseitigen Einflüsse von wissenschaftlicher Forschung und unternehmerischer Praxis zur Professionalisierung der unternehmerischen Informations-, Umwelt- und Sozialpolitik kam und welche Anpassungsleistungen von wissenschaftlicher Seite geleistet wurden. Nicht so sehr der Erfolg der Kooperation wissenschaftlicher, gewerkschaftlicher und unternehmerischer Akteure soll hier im Fokus stehen, sondern die Motivation zur Kooperation, die in der Suche nach Legitimation und effizienter Problembewältigung begründet lag. Die forschungsleitende These ist, dass die Kooperation der unterschiedlichen Akteure zu neuen Formen der Governance mit neuen Legitimationsstrategien geführt hat, diese Entwicklung im Kontext der spezifischen Rahmenbedingungen sozialen Wandels der 1970er Jahre möglich wurde und die korporatistischen Beziehungen der Akteure prägend waren. 73 Vgl. Ullmann 1981. 74 Zu den theoretischen Annahmen vgl. North 1990, insbesondere S. 24-27 u. 83-91; ders. 1981, S. 201-209. 75 Vgl. Feldenkirchen 2000, S. 15; Hilger 2004, S. 259-279; Nieberding 2003b, S. 62; Stücker 2003a, S. 93; Wischermann 2000, S. 34; Wolbring 2000.

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Governance wird hier verstanden als institutionalisierender Steuerungsprozess zur Ausbildung und Legitimation neuer Standards zur Sozialberichterstattung, die die Beziehungen eines Unternehmens zu seiner Umwelt veränderten: In den Unternehmen institutionalisierte sich eine Stakeholder-Perspektive, die sich in den sozialen Praktiken der Unternehmen zu manifestieren begann – und dies, bevor der Stakeholder-Ansatz zu einem populären Begriff der Managementliteratur avancierte. Der Stakeholder-Begriff bezeichnet in der vorliegenden Arbeit nach der Definition von Freeman und Reed (1983) jenen Akteur who can affect the achievement of an organization’s objectives or who is affected by the achievement of an organization’s objectives. (Public interest groups, protest groups, government agencies, trade associations, competitors, unions, as well as employees, customer segments, shareowners, and others are stakeholders, in this sense.)76

Freeman und Reed grenzen diesen weit gefassten Stakeholder-Begriff von einem eng gefassten Begriff ab, der allein jene Akteure einschließt, von denen das Überleben des Unternehmens unmittelbar abhängig ist (Mitarbeiter, Kapitalgeber, Zulieferer, dezidiert zuständige Behörden).77 Dierkes und Preston verwendeten bereits 1977 eine weite Definition des Stakeholder-Begriffes,78 die sich auch im Begriff der Anspruchsgruppen in den Sozialbilanzen deutscher Unternehmen widerspiegelte. Die Berichtsstandards treten im Sinne eines Steuerungsinstrumentes als Selbstverpflichtung an die Seite rechtlich legitimierter Normen, die allein nicht mehr ausreichen, unternehmerisches Handeln gegenüber gesellschaftlichen Ansprüchen zu legi-

76 Freeman/Reed 1983, S. 91. Der Stakeholder-Begriff zur Beschreibung von Gruppen, die in einer Form der reziproken Abhängigkeit mit einem Unternehmen verbunden sind, wurde in den 1960er Jahren entwickelt und steht im Zusammenhang mit der Entstehung alternativer sozialer Bewegungen (Umwelt-, Frauen-, Consumerism-, Bürgerrechtsbewegung usw.), die eigene Interessen gegenüber der Gesellschaft und ihren Institutionen formulierten und geltend zu machen suchten. 1984 veröffentlichte R. Edward Freeman seine Monographie Strategic Management: A Stakeholder Approach und verhalf dem Stakeholder-Ansatz damit zu bedeutend mehr Aufmerksamkeit in Wissenschaft und Managementpraxis als in den zwei Dekaden zuvor. Freeman versuchte, den Stakeholder-Begriff so zu operationalisieren, dass er erstens sowohl theoretischen Analysen als auch dem praktischen Gebrauch gerecht werden konnte und zweitens die Stakeholder-Strategie als eine genuin ökonomische Ausrichtung des Unternehmens definierte. Vgl. Carroll 1999, S. 290; Clarke 1998, S. 186-187; Freeman/Reed 1983; Freeman 2010 [1984]; Hoppe 2006, S. 166; Roberts 1992, S. 597-598. 77 Vgl. Freeman/Reed 1983, S. 91. 78 Vgl. Dierkes/Preston 1977, S. 3.

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timieren.79 Dieser Prozess kann durch drohende staatliche Eingriffe – den Schatten der Hierarchie80 – beschleunigt werden. An die Stelle staatlicher Kontrolle im Normsetzungsprozess können allerdings wissenschaftliche Expertise und mit ihr assoziierte Glaubwürdigkeit und Rationalität als Legitimationsressourcen treten.81 Indem die Entwicklung der Sozialbilanzen unter dem Einfluss unternehmerischer, korporatistischer und wissenschaftlicher Akteure sowie ihre Weiterführung hin zur heutigen CSR-Berichterstattung untersucht werden, soll gezeigt werden, dass der zunehmende Institutionalisierungsgrad der selbstverpflichtenden Berichterstattung zur Legitimation dieser Berichtsnormen und Abwendung staatlicher Regulierung geführt hat.82 Damit wirft der Prozess der Sozialbilanzentwicklung bereits die Schatten der Audit Society voraus, die Michael Power Anfang der 1990er Jahre beschrieb und damit die Ausbreitung von Accounting- und Audit-Techniken in alle sozialen Bereiche als institutionalisierte Dauerbeobachtung kennzeichnete (Audit Explosion).83 Power definiert Accounting als Mittel zur Kontrolle für das Management, Auditing als »control of control«84. Beides ersetze in einer zunehmend ausdifferenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft die früheren Formen direkter Kontrolle und staatlicher Regulation. Die Kontrolle durch Zahlenwerke erlaube eine größere raum-zeitliche Unabhängigkeit und verspreche im Ideal Transparenz, Vergleichbarkeit. Sie impliziere die Existenz einer Vertrauensbasis durch die bloße Möglichkeit zur Überprüfung.85 Indem Unternehmen sich mit Sozialbilanzen an die Öffentlichkeit und damit an ihre Stakeholder wandten, übertrugen sie zugleich auch die Verantwortung für die Kontrolle der gesellschaftsbezogenen Aktivitäten der Unternehmen auf die Öffentlichkeit. Wissenschaftliche Expertise diente hierbei als Vehikel zur Akzeptanz dieses »governing by numbers«86, das in der Audit Society weithin unterhinterfragt praktiziert wird:87 »the elegance of a single figure provides a legitimacy that, at least in 79 Jutta Hoppe verortet diesen Prozess erst mit Aufkommen des Nachhaltigkeitskonzeptes und der entsprechenden Berichterstattung in den 1990er Jahren. Vgl. Hoppe 2006, insb. S. 102-104. 80 Vgl. Power 1994, S. 302; Rudloff 2010, S. 146. 81 Vgl. J. Meyer/Rowan 1977, S. 355; F. Meier 2004, S. 223. 82 Vgl. Grande 2009; Jürgens/Lippert 2009; Kötter 2009; Mayntz 2006, 2009a u. 2009b; Raphael 2006, S. 191-192; Schuppert 2011; Zürn 2009. 83 Vgl. Moldaschl 2005. 84 Power 1994, S. 303. Auditing beschreibt eine Rechenschaftslegung, die formalisierten Regeln unterworfen ist und idealerweise von einer unabhängigen Instanz kontrolliert wird. 85 Vgl. Power 1994, ders. 1997, S. 1-14. 86 P. Miller 2001. 87 Vgl. dazu Kapitel 8.2.

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certain Western societies, seems difficult to disrupt or disturb«88. Zahlen beziehungsweise quantifizierten Informationen wird ein hoher Grad an Objektivität zugerechnet. Diese Zurechnung sollte den Unternehmen helfen, ihre in Sozialbilanzen beschriebene Position innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges mit Glaubwürdigkeit zu vertreten und Reputationsverlusten entgegenzuwirken, auch wenn die Daten, die den Sozialbilanzen zugrunde lagen, entgegen dem Ideal raum-zeitlicher Distanz auch stets nur flüchtige, zeitgebundene Informationen über das Unternehmen bereitzustellen vermochten.89 Der Bedeutungszuwachs des Faktors Wissen zeigt sich am Beispiel der Sozialbilanz nicht nur in der legitimierenden Funktion wissenschaftlicher Expertise, sondern auch in einer weiteren Dimension: im Wandel der sozialen Beziehungen innerhalb von Unternehmen. Die Zunahme des Anteils hochqualifizierter Arbeitnehmer erklärt das erhöhte Bewusstsein für den Wert, den Arbeitnehmer für ein Unternehmen haben – und damit die Karriere der Humankapitaltheorie –, bringt zugleich aber auch einen höheren Emanzipationsgrad der einstmals Abhängigen mit sich. Drittens soll also der Prozess sich verändernder sozialer Beziehungen innerhalb von Unternehmen nachgezeichnet werden, der seit den siebziger Jahren verstärkt in Erscheinung getreten ist. Diesem Vorhaben liegt die Fragestellung zugrunde, inwieweit die Sozialbilanz Ausdruck und Instrument einer sich wandelnden Unternehmensführung wurde. Die Sozialbilanz wurde zum Instrument einer befriedenden, sinnstiftenden Kommunikationspolitik, um möglichst alle Mitarbeiter mit dem von der Unternehmensleitung erwünschten Bild einer partizipativen, demokratisierten Unternehmenskultur vertraut zu machen. Die Formulierung universeller ökonomischer, sozialer und ökologischer Ziele, an deren Erreichung die Mitarbeiter sich idealiter beteiligen sollten, zeichnete den Weg zu dieser von der Unternehmensleitung gewünschten Kultur vor, die auch nach außen getragen werden sollte. Die Einführung der Sozialbilanz als Teil einer dokumentierbaren, verschriftlichten Unternehmenskultur – so die These – reflektiert einen Wandel der Governance im Unternehmen: Kultur nahm durch ihre von der Unternehmensleitung gesteuerte Vermittlung einen hohen handlungslegitimierenden Stellenwert in der Unternehmenspolitik

88 P. Miller 1994, S. 3. 89 Zum Objektivitätsanpruch von Quantifizierungsstrategien vgl. Heintz 2008, S. 114-122. Karin Knorr Cetina analysiert anhand der Beispiele von Jahresberichten bis hin zur Entwicklung der Aktienkursindizes die Ambivalenz zwischen diesen Objektivitätsansprüchen – die Wahrheitsansprüche suggerieren – von Finanzdaten und ihrer eingeschränkten Aussagekraft, weil die Daten kontextgebunden sind, also stets nur einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum abbilden und keine universalen Informationen über ein Unternehmen bieten. Vgl. Knorr Cetina 2011.

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ein.90 Folgt man der Foucaultschen Terminologie der gouvernementalité91, so verschieben sich die Regierungsmodi von hierarchischen Strukturen hin zu Techniken der Selbststeuerung und der Ausbildung des »Unternehmer[s] seiner selbst«92. In neoliberaler Rhetorik wird diese Entwicklung gefasst als Demokratisierungsprozess und Ausbau individueller Autonomie, indem jeder Mitarbeiter angehalten wird, die zu erreichenden Ziele zu verinnerlichen. Begleitet wird dieser Prozess von der Implementierung immer umfassenderer Evaluationsinstrumente.93 Im Falle der Sozialbilanz bedeutet dies, dass eine zunehmend indirekte Form der Kontrolle sozialer Beziehungen entwickelt und implementiert wurde, die diese Beziehungen in ökonomischen Termini abzubilden suchte. Indem versucht wurde, soziale Entitäten quantitativ abzubilden, wurden Normen postuliert: für den individuellen Arbeitnehmer, der sich selbst im Durchschnitt von Krankenständen, Unternehmenszugehörigkeit, Alters- oder Einkommensstruktur, als Bezieher von sozialen Leistungen verorten durfte; für Unternehmen im Branchenvergleich als Anbieter sozialer Leistungen oder als Organisation, die Umweltstandards achtet oder sogar setzt; vor allem aber für das Management, das durch seine Entscheidungen die gesetzten Ziele – wie Einhaltung von Umweltstandards, Bindung und Anwerbung von Arbeitskräften, Reduzierung von Krankenständen und Unfallzahlen, zufriedene und motivierte Beschäftigte – erreicht. Diese Normen dienen letztlich der Disziplinierung: ihre Erfüllung wird einerseits dokumentiert und zugleich gefordert, ist damit also sowohl deskriptiv als auch präskriptiv.94 Die Eigenlogik der Quantifizierung stellt dabei im Sinne Foucaults ein Rationalitätsregime dar und Sozialbilanzen können als Praktik dieses Regimes definiert werden: als eine Form der Sozialtechnologie neben anderen komplementären qualitativen Techniken, die gleichsam disziplinierende und steuernde Absicht haben wie Unternehmensphilosophien, Führungsgrundsätze,

90 Zu Begriff und Bedeutung von Unternehmenskultur vgl. Berghoff 2004, S. 147-162; Götz 2000, S. 228-232; Hilger/Landwehr 2011; Nieberding 2003a, S. 13-19; Schreyögg 1993; Stadler 2004, S. 15-17; Welskopp 2004, S. 272-273; Wischermann 2003. 91 Foucault definiert die gouvernementalité als »Art und Weise, mit der man das Verhalten der Menschen steuert, [und] ist nichts anderes als der Vorschlag eines Analyserasters für [...] Machtverhältnisse«. Foucault 2006b, S. 261. 92 Foucault 2006b, S. 314; vgl. dazu Bröckling 2013; Prinz/Wuggenig 2007; Raphael 2012, S. 53; Rosenberger 2008, S. 429-432. 93 Vgl. Boltanski/Chiapello 2006, S. 211-259; P. Miller 2001, S. 381; P. Miller/Rose 1995. 94 Zum Begriff der Norm und der Normalisierung vgl. Foucault 2006a, S. 98; im Zusammenhang mit Accountability s. a. Moes 2009; allgemein zum Diskurs um Normen, Normierung und Begriffsentwicklungen: Link 2009.

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Mitarbeiterbefragungen oder Zielvereinbarungen.95 Die Sozialbilanz kann als Ausdrucksform einer Tendenz zur Ökonomisierung des Sozialen96 gewertet werden, die sich vom reformerischen Duktus sozialer Techniken im Sinne des Social Engineering noch nicht ganz losgesprochen hat97 und zugleich jenen Wandel hin zum unternehmerischen Selbst schon reflektiert, dessen volle Entfaltung Peter Miller und Nikolas Rose für die neoliberal geprägten 1980er Jahre des industrialisierten Westens feststellten. In jener Dekade sah sich das Management westlicher Unternehmen der japanischen Herausforderung gegenüber und der Wunsch nach Optimierung des Humankapitalmanagements verschaffte sich in weltweit breit rezipierten Publikationen wie In Search of Excellence der Unternehmensberater Peters und Waterman Geltung.98 Das postfordistische unternehmerische Selbst wird beschrieben durch Werte wie Team- und Kommunikationsfähigkeit, Innovationsaffinität und vor allem absolute Flexibilität. Hervorgebracht wird es, »indem man die Selbststeuerungspotentiale [des Individuums] aktiviert«99 und dies aber paradoxerweise durch Topdown-Implementationsprozesse zu realisieren versucht.100 Luhmann, der die Differenz zwischen der Gewinnorientierung von Unternehmen und abweichenden Zielen der Gesellschaft beschrieb, deutete die Sozialbilanz als Phänomen der unternehmerischen Selbstdarstellung, die »in zunehmenden Maße auf ›Öffentlichkeit‹ Rücksicht«101 nehme. Er sah sie aber auch als Kommunikationsinstrument, das sprachlich der ökonomischen Logik folge, indem es dem binären Code des Funktionssystems Wirtschaft – Haben/Nichthaben – entspreche und auf diese Weise zwischen unternehmerischen und gesellschaftlichen Zielen vermitteln könne.102 Die Sozialbilanzierung weist aber auch noch Merkmale der tradierten Sozialberichterstattung auf, die konstitutiver Bestandteil einer betrieblichen Sozialpolitik war und – dem Konzept Thomas Welskopps folgend – wie andere ihrer Elemente erstens zur Legitimation unternehmerischen Handelns gegenüber den Anspruchsgruppen eines Unternehmens diente; zweitens zur Abwehr staatlicher Intervention im Sozialbereich; 95

Vgl. Lemke et al. 2012, S. 7-32; Lemke 2007, S. 41. Verfeinert wurde die Anwendung quantifizierender Sozialtechnologien bspw. durch den Auditzwang von Qualitätsmanagementsystemen. Vgl. Bröckling 2012, S. 131-153.

96

Vgl. Gertenbach 2008, S. 62, 82 u. 98; Prinz/Wuggenig 2007, S. 246; Stehr 2009, S. 491.

97

Etzemüller (2009, S. 35) sieht die 1970er Jahre als Ende der Ära des Social Engineering, Kuchenbuch (2010, S. 306) verortet das Ende präzise im Jahr 1970.

98

Vgl. Kleinschmidt 2002a; T.J. Peters/Waterman 1982; Stadler 2004, S. 105-123.

99

Bröckling 2013, S. 61-2; vgl. Luks 2010, S. 269-279; P. Miller/Rose 1995, S. 453-457; Opitz 2004, S. 113-144.

100 Vgl. Wischermann 2003, S. 33. 101 Luhmann 1988, S. 107. 102 Luhmann 2008, S. 50, vgl. auch S. 67 u. ders. 1988, S. 107-108.

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drittens zur Abgrenzung gegenüber konkurrierenden Unternehmen durch individuelle Leistungen und in all diesen Funktionen zur Anwerbung und Bindung von Mitarbeitern.103 Wenn auch das Prinzip unternehmerischer Verantwortung gegenüber Mitarbeitern oder der Gesellschaft in der theoretischen Betrachtung nicht neu war und jahrzehntelang – oftmals mit sozialreformerischem Anspruch – innerhalb unterschiedlicher staatlicher und sozialer Rahmenbedingungen praktischen Ausdruck gefunden hatte in der Fürsorge für die Mitarbeiter und deren Angehörige, in freiwilligen und philanthropischen Sozialleistungen, so fanden wirtschaftsethische Modelle und Fragestellungen seit den späten 1960er Jahren in Wissenschaft, Unternehmen und in der Öffentlichkeit mehr Beachtung. Die »Ethikwelle«104 erfasste den öffentlichen, globaler werdenden Diskurs und lenkte die Aufmerksamkeit auf generelle soziale und ökologische Probleme, die durch Unternehmen verursacht würden. Es entbrannte eine Diskussion darüber, ob die Verantwortung von Unternehmen über die Mehrung von Profiten hinausgehen dürfe oder müsse. In der Folge entwickelten immer mehr Unternehmen Grundsätze, Verfassungen oder Verhaltenskodizes, deren Verbreitung sich auch im Davoser Manifest von 1973 spiegelte. Die auf dem dritten Management Symposium im Schweizer Davos veröffentlichte Erklärung definierte bereits implizit das Nachhaltigkeitsprinzip ebenso wie die Stakeholderbeziehungen von Unternehmen und Gewinn als notwendigen, aber nicht hinreichenden Unternehmenszweck. Unternehmen müssten neben dem Gewinninteresse genauso den Ansprüchen ihrer Mitarbeiter, Kapitalgeber, Verbraucher, der Gesellschaft und künftigen Generationen gerecht werden. Demokratisierungs- und Emanzipationsbestrebungen manifestierten sich auch in Umwelt- und Verbraucherbewegung, in Diskursen über Lebensqualität, Mitbestimmung, Humanisierung der Arbeit, Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit.105 Mithilfe von social accounting sheets oder Sozialbilanzen (gesellschaftsbezogener Rechnungslegung) versuchten

103 Vgl. Welskopp 1994b, S. 349-352. 104 Berghoff 2004, S. 169. 105 Vgl. Abelshauser, Werner, »Gab es eine Wirtschaftsethik des Rheinischen Kapitalismus?« in: Berliner Republik (2006), Nr. 3, S. 48-57; Berghoff 2004, S. 170; Abs, Hermann Josef, »Gewinn ist gut, aber nicht alles: Das Selbstverständnis des Unternehmens heute«, in: Handelsblatt (16./17.02.1973), S. 26; Böhm 1979, S. 71; Carroll 1999; Friedman, Milton, »The Social Responsibility of Business is to Increase Its Profits«, in: The New York Times Magazine (14.09.1970); Hesse et al. 2004; Hilger 2007; Homann 1994; Kracke 1982, S. 204-5; Lupa 1993; Nutzinger 1992; Seefried 2015; Stadler 2004; Kapitel 3.1.

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Unternehmen, breiten gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Verantwortung und Rechenschaft über ihr Handeln (accountability) zu begegnen.106 Quellenlage In der Beschreibung der wissenschaftlichen Ansätze zur Sozialbilanzierung stützt sich die Arbeit auf die zeitgenössische wissenschaftliche Literatur, die als Quelle behandelt wird. Für die Darstellung der Sozialbilanz-Entwicklung im Kontext der unternehmerischen Praxis und in der Auseinandersetzung mit dem DGB, dem WSI, der BDA und der Unternehmensrechtskommission im Bundesministerium der Justiz (BMJ) wurden sowohl veröffentlichte als auch unveröffentlichte Quellen herangezogen. Dies umfasste die Auswertung von Sozialbilanzen, Personal- und Sozialberichten, Geschäfts- und Umweltberichten, Medienberichten, Drucksachen sowie Darstellungen, die von den beteiligten Akteuren und Organisationen veröffentlicht worden sind. Als ergiebig erwies sich der Quellenbestand der Zentralen Öffentlichkeitsarbeit im Unternehmensarchiv der Bertelsmann AG in Gütersloh sowohl zur Arbeit des AKSBP als auch des Unternehmens selbst. Im BASF Unternehmensarchiv in Ludwigshafen und im Evonik Konzernarchiv in Frankfurt konnten vereinzelte Dokumente ausfindig gemacht werden, die Informationen über die Sozialbilanzierung von BASF, STEAG und Degussa lieferten. Die Kommunikationsabteilung der RAG AG in Saarbrücken stellte Material aus dem Bestand der ehemaligen Saarbergwerke AG zur Verfügung, ebenso wie die IG Bergbau, Chemie, Energie in Ludwigshafen. Das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv zu Köln und das Montanhistorische Dokumentationszentrum beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum boten umfangreiche Sammlungen von Werkszeitungen, Geschäfts- und Sozialberichten. Leider existieren nach Auskünften der angefragten Unternehmen keine archivierten Bestände bei der deutschen Xerox GmbH, bei Shell Deutschland und der Pieroth GmbH. Die Pieroth Unternehmenskommunikation war allerdings zu hilfreichen Auskünften bereit. Anfragen bei der Stiftung Hanseatisches Wirtschaftsarchiv, beim Staatsarchiv Hamburg und dem Museum der Arbeit in Hamburg ergaben leider keine Hinweise auf gesuchte Dokumente der Deutschen Shell. In den Beständen des ehemaligen HWWA am Leibniz Informationszentrum Wirtschaft (ZBW) sind einige wenige Sozialberichte der Rhenania-Ossag AG frei zugänglich. Das Shell International Records Centre in Den Haag verweigerte aus Kapazitätsgründen den Archivzugang. Umfangreich war dagegen das Quellenmaterial des DGB-Bundesvorstandes der Abteilungen Gesellschaftspolitik und des Vorsitzenden im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. In der Bibliothek der BDA in Berlin konnten archivierte Rundschreiben mit Sitzungsprotokollen und Drucksachen der BDA-Abteilungen Arbeitsmarkt/Berufsbildung, 106 Vgl. Küpper 2006, S. 280-286; zum Rechenschaftsbegriff/Begriff der Accountability vgl. bspw. Moes et al. 2008; Nuhn 2013; Rieth 2009.

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Soziale Sicherung, Soziale Betriebsgestaltung, Presse und Europapolitik eingesehen werden. Das Quellenmaterial zur Arbeit der Unternehmensrechtskommission entstammt den Sitzungsunterlagen der Kommission, die im Bundesarchiv Koblenz im Bestand des BMJ archiviert sind. Der Bestand des Bundesministeriums für Forschung und Technologie ermöglichte außerdem Recherchen über das Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens. Die Gespräche mit Zeitzeugen erlaubten es, die Motivation und Interessen der beteiligten Akteure besser nachvollziehen zu können. Die in offenen Interviews befragten Zeitzeugen zeichneten ein lebendiges Bild der Ereignisse und gaben wertvolle Hinweise, die mit den aufgefundenen Quellen überprüft werden konnten. Aus quellenpragmatischen Gründen werden im Folgenden die Begriffe Sozialbilanz, soziale oder gesellschaftsbezogene Rechnungslegung, Berichterstattung oder Rechenschaftslegung und weitere ähnliche Begriffe synonym verwendet, da sie sowohl in der unternehmerischen Praxis wie auch in der wissenschaftlichen Literatur – bis auf wenige Ausnahmen – oftmals nicht voneinander abgegrenzt wurden. Dessen ungeachtet wird auf die terminologische Entwicklung in Kapitel 3.2.1 eingegangen. Aufbau der Arbeit In Kapitel 1 werden zunächst die verschiedenen Formen der Sozialberichterstattung in Geschäftsberichten, gesonderten Sozialberichten sowie Werkszeitungen und ihre historische Entwicklung von ihren Anfängen im Kaiserreich bis in die 1960er Jahre skizziert. Damit soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Sozialbilanz der 1970er Jahre, die unter dem Begriff des Social Accounting als Konzept in den USA zuerst in Erscheinung treten sollte, Ausdruck des vieldiskutierten Amerikanisierungsprozesses des westlichen Nachkriegsdeutschlands gewesen ist. Denn die zeitgenössischen Autoren der Sozialbilanz-Literatur heben immer wieder die Bezüge zum amerikanischen Social Accounting-Diskurs hervor, ohne die Wurzeln der deutschen Sozialberichterstattung zu berücksichtigen. Die Amerikanisierungsthese wurde für die Etablierung neuer Managementansätze und Produktionsmethoden oftmals herangezogen: für die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften wie für die stärkere Hinwendung der Soziologie zur empirischen Sozialforschung. Unliebsame Kontinuitäten – wie im Falle der empirischen Sozialforschung – leisteten der These einer Amerikanisierung nach 1945 zusätzlich Vorschub. Einzelfallstudien zeigen, dass das Phänomen der Amerikanisierung zwar nicht von der Hand zu weisen ist, aber auch nicht als alleiniger Erklärungsansatz zur Verbreitung neuer Ansätze in Wissenschaft und unternehmerischer Praxis taugt. Vielmehr zeigten sich in vielen Bereichen der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft Formen der wechselseitigen Durchdringung und Tendenzen einer Homogenisierung von Ordnungsmodellen und Denkmustern in Westeuropa, die Doering-Manteuffel unter

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dem Begriff der Westernisierung fasst.107 Lassen sich auch am Beispiel der Sozialbilanz Elemente einer sich kontinuierlich entwickelnden Unternehmenskultur aufzeigen, die das Etikett eines progressiven, amerikanischen Managementansatzes dankbar angenommen hat? Dieser Frage liegt die These zugrunde, dass im Falle der Sozialbilanzentwicklung nicht eine völlig neue Form der Sozialberichterstattung aufgetreten ist – wie von den zeitgenössischen Autoren und Akteuren postuliert –, sondern dass es sich um eine Form inkrementellen institutionellen Wandels in der Informationspolitik von Unternehmen handelt, der möglicherweise geringer war als er von den Zeitgenossen wahrgenommen und beschrieben wurde. Kapitel 2 geht auf die wirtschaftspolitische Situation in der Bundesrepublik am Ende der 1960er Jahre und in den 1970er Jahren ein. Hier steht die Frage nach den spezifischen Bedingungen der hohen Aufmerksamkeit von Unternehmen, BDA und DGB für die Sozialbilanz als Instrument betrieblicher Sozialpolitik im Vordergrund. Denn gerade die Verantwortlichen großer Unternehmen – wie beispielsweise Reinhard Mohn bei Bertelsmann oder Johannes C. Welbergen bei der Deutschen Shell – förderten aktiv die Implementierung von Sozialbilanzen in ihren Unternehmen. Zur Klärung der Frage, welche Beweggründe sie dazu hatten und mit Blick auf die Amerikanisierungsthese, ist es deshalb sinnvoll, den wirtschafts- und sozialpolitischen Rahmen, in dem sich diese Unternehmen bewegten, zu erläutern. Denn der durch gesetzliche Regulierung bestimmte Formalisierungsgrad betrieblicher Sozialleistungen deutscher Unternehmen, über die in den Sozialbilanzen berichtet wurde, unterschied sich deutlich von jenem amerikanischer Unternehmen, deren betriebliche Sozialpolitik wesentlich in freiwilligen Leistungen bestand und auch durch ein entsprechendes Selbstverständnis geprägt war. Um die Frage nach den tatsächlichen Einflüssen amerikanischer Ansätze auf die deutsche Sozialbilanz umfassend klären zu können, werden im dritten Kapitel die Entwicklungen des Social Accounting in den USA während der 1960er und frühen 1970er Jahre und im Anschluss daran die wissenschaftlichen Konzepte zur Sozialbilanz in der Bundesrepublik beschrieben, um die Bezüge des deutschen zum amerikanischen Diskurs über Sozialbilanzen herausarbeiten zu können. Trug die Sozialbilanz die »second wave of Americanization«108, die Harm G. Schröter zwischen 1950 und 1970 verortet, noch bis weit in die 1970er Jahre? Oder verbindet sie 107 Zur Amerikanisierungs- respektive Westernisierungsthese siehe Abelshauser 2003; Adamski 2009; Berghahn 1985; Berghahn/Vitols 2006; Doering-Manteuffel 1999; Erker 1997; Gassert 1999; Herbert 2002; Hesse 2010, S. 320-334; Hilger 2004; Kleinschmidt 2002a; Nolte 2000, S. 242-245 u. 253; Sala 2012; Schröter 1997; ders. 2004; Wehler 2008, S. 67-69; Wellhöner 1996, S. 59-67; Ziemann 2012, S. 206-217. Küpper und Mattesich (2005) zeigen die wechselseitigen Einflüsse der deutschen, amerikanischen und britischen Accounting-Forschung für das 20. Jahrhundert auf. 108 Schröter 2005b, S. 206.

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sie gar mit der dritten Welle der 1980er Jahre? In dem Kapitel soll darüber hinaus geklärt werden, inwiefern die Sozialbilanz eine konzeptionelle Neuerung in der Sozialberichterstattung darstellte, oder ob es sich lediglich um einen Neologismus handelte, der helfen sollte, auf die wirtschaftspolitischen Umbrüche der siebziger Jahre zu reagieren.109 Der Begriff der Sozialbilanz war zwar auch vor Erscheinen der ersten Unternehmenssozialbilanz und Forschungsliteratur in Deutschland in Bezug auf die Bewertung staatlicher Sozialprogramme gebräuchlich, vollzog aber in der Verwendung für Unternehmenspublikationen in den 1970er Jahren eine Bedeutungsverschiebung. Während das Social Accounting in den USA gleichermaßen zur Evaluation staatlicher wie privatwirtschaftlicher Sozialprogramme diente, irritierte der Begriff im Kontext der unternehmerischen Sozialpraktiken deutscher Unternehmen, da diese weniger auf Sozialprogramme abzielten. Kapitel 4 reflektiert die politischen Implikationen der Entwicklung und Einführung von Sozialbilanzen. Es widmet sich der Darstellung der BDA- und DGBStrategien in der Entwicklung von Konzepten zur Sozialbilanzierung, die spätestens in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zum Politikum und Spiegelbild der Auseinandersetzungen um die paritätische Mitbestimmung zwischen den beiden Verbänden wurden. Darüber hinaus wird die Debatte um eine mögliche gesetzliche Regulierung der unternehmerischen Sozialbilanzierung im Publizitätsauschuss der Unternehmensrechtskommission in den Jahren 1976 und 1977 nachgezeichnet. Im fünften Kapitel werden die Arbeit des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis dargelegt sowie die Publikationspraxis und -bedingungen der einzelnen Unternehmen aus dem Arbeitskreis illustriert. Ziel ist es, erstens die Motivation der Unternehmen zur Sozialbilanzerstellung herauszuarbeiten und zweitens die Formen der Umsetzung zu beschreiben. Damit soll schließlich auch das Spannungsverhältnis zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch auf inhaltliche Differenzierung und dem ökonomischen Interesse an Komplexitätsreduktion ausgeleuchtet werden.110 Da für Rank Xerox kaum Material vorlag und die Sozialbilanz des Unternehmens nicht zu den markanten Ansätzen zählt, beschränkt sich die Analyse auf die verbleibenden sechs Unternehmen des Arbeitskreises: STEAG, Saarberg, Pieroth, BASF, Deutsche Shell und Bertelsmann. Kapitel 6 zeigt in einer Längsschnittanalyse die quantitative Entwicklung der Sozialberichterstattung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand einiger ausgewählter westdeutscher Großunternehmen und unterstützt die These eines inkrementellen Wandels in der Entwicklung von Sozialberichten. In Kapitel 7 wird die Entwicklung der Sozialbilanzdebatte in Frankreich aufgrund der besonderen Rolle dieser Debatte für die gesamte Entwicklung der Sozialbilanz ausführlich dargestellt. Frankreich war das erste Land, in dem eine gesetzli109 Zur Funktion von Neologismen vgl. Koselleck 1979, S. 27-32. 110 Vgl. Schönberger/Springer 2003.

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che Regelung zur Sozialbilanzerstellung getroffen wurde. Darüber hinaus wird die Sozialbilanzentwicklung in der Schweiz am Beispiel des Migros-Konzerns erläutert, der mit Meinolf Dierkes zusammengearbeitet hat. Im Anschluss folgt eine Beschreibung weiterer Sozialbilanzentwicklungen in verschiedenen Nationalstaaten. Diese Darstellung bleibt lediglich skizzenhaft und beschränkt sich auf die 1970er Jahre, da sich eine umfassende historische Darstellung der global parallel verlaufenden Entwicklungen von Sozialbilanzen im Rahmen dieser Arbeit nicht leisten lässt. Dennoch wird der Versuch unternommen, mithilfe des Varieties of Capitalism-Ansatzes von Soskice und Hall Divergenzen und Konvergenzen in der Entwicklung von Sozialbilanzen zu deuten. Das letzte Kapitel der Arbeit analysiert die Entwicklung zur Ökobilanzierung der 1980er Jahre sowie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zum CorporateSocial-Responsibility-Reporting der folgenden Dekaden. In der gegenwärtigen Forschung zu CSR- und Nachhaltigkeitsstrategien von Unternehmen, die die Berichterstattung einschließen, fehlen die Bezüge zu Praxis und wissenschaftlichem Diskurs über die gesellschafts- und umweltbezogene Unternehmensberichterstattung in den 1970er Jahren oftmals gänzlich oder sie gilt als sozialwissenschaftliche Kuriosität einer experimentierfreudigen Dekade. Soziale Projekte und freiwillige Sozialleistungen von Unternehmen werden oftmals als reine Philanthropie verstanden und ihre jahrzehntelange Bedeutung als Instrument für die Beschäftigungspolitik eines Unternehmens unterbewertet. So stellen Jutta Hoppe und Lothar Rieth beispielsweise einen Zusammenhang zwischen der Umweltberichterstattung der achtziger Jahre und der heutigen CSR-Berichterstattung her, vernachlässigen jedoch eine historische und damit auch kausale Erklärung für das Aufkommen der Umweltberichterstattung und der nachfolgenden CSR-Berichterstattung. Im Gegenteil verortet Rieth sogar den Einbezug sozialer Themen in die nicht-finanzbezogene Berichterstattung zeitlich in den mittleren und späten neunziger Jahren. Hoppe sieht Unternehmen erst in der Gegenwart mit gesellschaftlicher Kritik konfrontiert, die die Legitimität unternehmerischen Handelns in Frage stelle und durch die das Einhalten von Gesetzen allein nicht mehr zur Handlungslegitimation ausreiche. Die integrierte Berichterstattung – d.h. Berichte, die soziale, ökonomische und ökologische Themen abbilden und sich an alle Stakeholder eines Unternehmens richten – habe sich erst seit den späten neunziger Jahren entwickelt und unterscheide sich dadurch evident von früheren Formen der Berichterstattung, »die diese drei Dimensionen jeweils getrennt«111 betrachteten.112 Ebenso stellt der Bericht der Organization for Economic 111 Hoppe 2006, S. 157. 112 Vgl. Hoppe 2006, insb. S. 103, 158-163; Rieth 2009, insb. S. 220, 232, 285 u. 294; s. a. Blankenagel 2007, S. 9 u. 59; Elkington 1999, S. 79; Hardtke 2011, S. 35; Jasch 2012; Osburg 2012; Rieth stellt u. a. die Behauptung auf, die BASF habe erst 1997 Themen wie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz thematisch aufgegriffen und damit ihre

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Co-Operation and Development (OECD) über gegenwärtige CSR-Initiativen von 2008 die »sehr bewusste und öffentliche Aktivität«113 als Folge gesellschaftlicher Erwartungen und als Novum gegenüber historischen Formen der Verantwortungsdemonstration von Unternehmen heraus. Neuere geschichtswissenschaftliche Ansätze verorten den Nachhaltigkeitsdiskurs innerhalb wie außerhalb von Unternehmen sehr viel früher. Elke Seefried zeichnete jüngst die Entwicklung des Diskurses seit den 1970 nach. Die 2013 erschienene wirtschaftshistorische Arbeit von Inga Nuhn zur Entwicklung betrieblicher Nachhaltigkeit bei der Bayer AG und den niederländischen De Staatsmijnen (DSM) beleuchtet umfassend die historische Entwicklung verschiedener Phasen von betrieblichen Verantwortungskonzepten für die beiden Unternehmen – von betrieblicher Sozialpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die 1960er Jahre, über betriebliche Umweltpolitik, Nachhaltigkeit bis zu den gegenwärtigen Corporate-Social-Responsibility- und Corporate-Citizenship-Konzepten. Allerdings geht auch Nuhn davon aus, dass erst in den letzten Jahren eine Standardisierung der Berichterstattung stattgefunden habe, deren Qualität sich in Bestrebungen einer integrierten gesellschaftsbezogenen Berichterstattung innerhalb von Geschäftsberichten (integrated reporting) manifestiere.114 Mit der vorliegenden Arbeit sollen diese Annahmen widerlegt werden. Eine der zentralen Thesen dieser Arbeit ist, dass sich die Sozialbilanz in den siebziger Jahren im – durchaus öffentlichkeitswirksamen – Aushandlungsprozess zwischen Unternehmen, Verbänden, Staat, unter wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen entwickelte, und dass in diesem Entwicklungsprozess die strukturellen Voraussetzungen für die nachfolgende Umwelt- und gegenwärtige CSR- und Nachhaltigkeits-Berichterstattung geschaffen wurden.115 Insofern stellt die Sozialbilanz-Praxis von Unternehmen in den siebziger Jahren neben den Kontinuitäten, die diese Form der Sozialberichterstattung zu den vorangegangenen Dekaden aufweist, zugleich eine Zäsur dar. Unternehmen beganUmweltberichterstattung um soziale Aspekte erweitert (S. 275). Zu den Inhalten der Sozialberichterstattung der BASF vgl. Kapitel 5.4.1. 113 URL: OECD-ILO-Konferenz 2008, S. 5. 114 Vgl. Nuhn 2013, S. 223-5; 358-9; Seefried 2015. 115 Der Strukturbegriff folgt hier den Ausführungen Thomas Welskopps über das dialektische Verhältnis von Strukturgenese und Akteurshandeln und dessen methodischem Wert für die Sozialgeschichtsschreibung in Anlehnung an Giddens. Vgl. Welskopp 2001, S. 104: »Nicht obwohl, sondern weil die Akteure handeln, entstehen und reproduzieren sich Strukturgeflechte, die man soziale Systeme nennen kann. Umgekehrt besitzen soziale Strukturen in der Praxis der Akteure eine materiale Qualität. Außerhalb des Handelns ist ihre Existenz virtuell [...]. ›Strukturen‹ müssen somit immer durch das Bewußtsein der Handelnden ›hindurch‹, um reproduziert oder modifiziert zu werden; die Akteure müssen sich auf sie beziehen [...], um überhaupt handeln zu können.«

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nen verstärkt auf Anforderungen von außen – die nicht allein das Kerngeschäft betrafen – zu reagieren. Zugleich soll dieser Blick in die jüngste Vergangenheit und in die Gegenwart auch bei der Beantwortung der Frage helfen, inwieweit sich im Falle deutscher Unternehmen die oftmals postulierte Dichotomie von Shareholder- und Stakeholder-Orientierung tatsächlich aufrecht erhalten lässt. Bedingen nicht vielmehr beide Konzepte, die seit den 1980er Jahren zunächst im angloamerikanischen Raum an Bedeutung gewannen, einander? Bestimmen nicht gerade im Hinblick auf das deutsche Produktionsregime beide die Zielausrichtung eines Unternehmens und unterliegt die gesellschaftsbezogene Berichterstattung nicht dem Versuch der Konvergenz beider Perspektiven?116

116 Vgl. Abelshauser 2011, S. 38; Clarke 1998; Figge/Schaltegger 2000; Freeman/Reed 1983; Hoppe 2006, S. 165-173; Jürgens et al. 2000; Lazonick/O’Sullivan 2000; Rappaport 1986; Soskice/Hall 2001.

1. Paternalismus, Psychotechnik und Propaganda Sozialberichterstattung vor 1970

1.1 B OLLWERKE FÜR DEN B ETRIEBSFRIEDEN : W ERKSZEITUNGEN UND W OHLFAHRTSBERICHTE Während der Industrialisierung orientierte sich die soziale Sicherung der Arbeiterschaft in der Regel am Grad des Wohlwollens ihres Arbeitgebers. Diese patriarchalen Strukturen bedeuteten vor allem Abhängigkeit und Unsicherheit für die Arbeiter. Seit der Gründung des Kaiserreiches jedoch gewannen die Gewerkschaften zunehmend an Macht und die Arbeiter an Einfluss und Selbstbewusstsein. Mit dieser Entwicklung ging allerdings auch die Zunahme von Konflikten zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite einher, in denen sich die wachsenden Strukturen des Korporatismus abzeichneten. Dieser wurde sukzessive durch legislative Intervention institutionalisiert. Streiks nahmen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts deutlich zu und viele Arbeiter forderten neben grundsätzlich besseren Bedingungen in Form von geregelten Arbeitszeiten, höherem Lohn und Gesundheitsschutz auch das Recht auf organisierte und gleichsam unabhängige Interessenvertretung sowie Möglichkeiten zur Selbstbestimmung. Die industriellen Arbeitgeber versuchten diesen Freiheitsbestrebungen vor allem mit betriebseigenen Arbeitervereinen entgegenzuwirken, deren Einrichtung teilweise zu einer stärkeren Hierarchisierung sozialer Leistungen im Betrieb führte. Die ›Wohlfahrtseinrichtungen‹ in den Unternehmen hatten neben ihrem karitativen auch immer schon palliativen Charakter, der jedoch im späten 19. Jahrhundert und in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts zuzunehmen schien und Kritik an diesen Leistungen aufkommen ließ.1

1

Vgl. Milert/Tschirbs 2012, S. 41-106; Ritter/Tenfelde 1992, S. 372-389; Welskopp 2000, S. 278-290.

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Der Zeitgenosse und Sozialreformer August Engel konstatierte beispielsweise 1907, die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Kritik an »Fabrik-Wohlfahrtseinrichtungen«2 habe zugenommen. Engel verstand unter den Wohlfahrtseinrichtungen die freiwillig erbrachten sozialen Leistungen eines Unternehmens wie Bildungsangebote, finanzielle Unterstützungen im Krankheits- oder Sterbefall, die Wohnungsfürsorge oder die Beschaffung von Lebensmitteln. Die sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Kritik werfe den Unternehmern vor, die Arbeiter in ihrer Freizügigkeit einzuschränken, sie vom Unternehmen abhängig zu machen und sie auf diese Weise nicht gleichberechtigt zu behandeln. Engel forderte nicht die grundsätzliche Abschaffung solcher Wohlfahrtseinrichtungen, die Grundlagen für ein menschenwürdiges Dasein schaffen könnten, jedoch sollte ein ausgewogenes Maß an Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Arbeiter erreicht werden.3 Auf der Arbeitgeberseite wurde versucht, dem gewerkschaftlichen Einfluss entgegenzuwirken. Betriebliche Sozialleistungen sollten die Arbeiter an das Unternehmen binden, und werkseigene Publikationen waren gleichermaßen Teil und Ausdrucksform dieser Strategie.4 Offiziell trugen Werkszeitungen zur Information und Unterhaltung bei, dienten jedoch zugleich als Plattform für die Verbreitung von Informationen über soziale Leistungen und zur Abwehr gewerkschaftlicher Intervention, indem die Bedeutung des Betriebsfriedens besonders betont wurde. Bei der BASF beispielsweise bewarb die Werkszeitung Vereinsblatt betriebliche Sozialleistungen als nutzenbringend und widersprach gewerkschaftlicher Kritik, diese Leistungen seien lediglich ›vorenthaltener Lohn‹.5 Zwischen 1888 und 1891 wurden im Deutschen Reich die ersten sieben Werkszeitungen gegründet und am Ende des Jahrhunderts gab es bereits über 5.000 verschiedene Betriebsmagazine. Neben diesen Gründungen, die alle auf die Initiative der jeweiligen Unternehmen zurückgingen, versuchte der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Oechelhäuser Ende der 1880er Jahre, ein zentralisiertes Werkszeitungswesen als »Preßfeldzug«6 gegen den wachsenden sozialdemokratischen Einfluss auf die Arbeiterschaft zu etablieren. Die Arbeitgeber-Vereinigungen sollten damit direkt Einfluss auf die Inhalte von Werkszeitungen nehmen. Neben zunächst noch kritischen Berichten zur sozialdemokratischgewerkschaftlichen Bewegung und einem erzieherischen Duktus der Texte zogen Unterhaltungsthemen und die ausführliche Berichterstattung über unternehmerische Sozialleistungen zunehmend Leser an. Sie wirkten damit weiterhin als Plattformen 2

Engel 1907, S. 211.

3

Vgl. Engel 1907, S. 211-213.

4

Vgl. Bartels 2013, S. 45-57; Engelen 2013, S. 44-45; Nieberding 2004; Nuhn 2013, S. 64-71; Stücker 2003b; Weihe 2006, S. 155-188.

5

Vgl. Michel 1997, S. 44 u. 54.

6

Zit. n. Michel 1997, S. 26.

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national-konservativer, arbeitgeberfreundlicher Einstellungen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg professionalisierte sich das Werkszeitungswesen und wurde durch die Anbindung an die Sozialabteilungen oder an ein mit der Öffentlichkeitsarbeit im Unternehmen befasstes ›Literarisches Büro‹ oder ›Nachrichtenbüro‹ institutionalisiert. Die Entwicklungen von Kommunikationstechniken und ihre Berücksichtigung als Teil einer Systematisierung des Managements stetig wachsender Unternehmen forcierten den Formalisierungsprozess des vormals persönlichen Kontaktes zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten hin zu einer Standardisierung der Kommunikation in Berichtsform. Werkszeitungen sollten einerseits der schriftlichen Kommunikation zwischen Unternehmensleitungen und Belegschaften eine persönliche Note geben und andererseits zur Disziplinierung im Hinblick auf Arbeitssicherheit, Hygiene, Zusammenarbeit oder Pünktlichkeit beitragen. Die unterhaltenden Inhalte der Werkszeitungen stießen allerdings durchaus auf Kritik: Von wissenschaftlicher Seite wurde gefordert, dass die Zeitungen stärker die sozialen Bindungen der Arbeiter untereinander und an das Unternehmen herausstellen sollten als unterhalten zu wollen.7 Der Schwerpunkt der Werkszeitungen blieb dennoch auch weiterhin auf überwiegend positiven Darstellungen des Arbeiterlebens und bewegte sich im Themenfeld von Familie, Sittlichkeit, Bildung und Gesundheitsfürsorge. Erst im Ersten Weltkrieg änderte sich dies; das Vereinsblatt der BASF druckte nun zum Beispiel Feldpost und die Schilderung von Fronterlebnissen.8 Noch mehr als die Werkszeitschriften konzentrierten sich die Berichte über die Wohlfahrtseinrichtungen auf die Darstellung der betrieblichen Sozialleistungen. Die BASF bewarb mit den Broschüren ihre Sozialpolitik sowohl nach außen – und erhielt dafür Preise wie auf der Pariser Weltausstellung 1900 – als auch nach innen. Die Herausstellung der betrieblichen Sozialleistungen sollte die Fluktuation unter den Angestellten eindämmen, vor allem aber dem Betriebsfrieden dienen.9 Die BASF veröffentlichte Broschüren über Die Wohlfahrts-Einrichtungen für die Arbeiter und berichtete über Arbeitszeitregelungen, Verpflegungsmöglichkeiten, Urlaub und die Werksbibliothek zur »Pflege des Geistes und Gemütslebens«10, Arbeiterwohnungen und die Fabrik-Sparkasse, Prämien und Geschenke bis hin zur kostenlosen Versorgung der Arbeiter mit Kaffee in den Sommermonaten »zur Verhütung des übermäßigen Trinkens von kaltem Wasser«11. Die Summe der Ausgaben für freiwillige Sozialleistungen wurde im Bericht von 1912 explizit heraus- und der Summe für gesetzliche Sozialleistungen gegenübergestellt.12 Besonders großen 7

Vgl. Kollmer-von Oheimb-Loup 2004; Michel 1997, S. 23-36; Yates 1993.

8

Vgl. Michel 1997, S. 65-109; Nieberding 2003a, S. 265-271.

9

Vgl. von Hippel 2002, S. 90, 105-115; Johnson 2002, S. 119.

10 BASF C 720/20, Die Wohlfahrtseinrichtungen der BASF 1912, S. 1. 11 Ebd. 12 BASF C 720/20, Die Wohlfahrtseinrichtungen der BASF 1912, S. 10.

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Raum nahmen die finanziellen wie institutionellen Beiträge der BASF zur Krankenfürsorge und die Fürsorge für die Arbeiterfamilie durch Witwen- und Waisenunterstützung, medizinische Behandlungen und Hygieneeinrichtungen, Haushaltsschule, Volksschule, Turnhalle, Gartenbauverein und Kinderhort ein. Diese Form der Unterstützung sei »[v]on der Absicht geleitet, die Lage der Arbeiterfamilien nach jeder Richtung hin zu heben« und damit »auch erzieherisch und bildend«13 zu wirken. Fotos dienten im Wohlfahrtsbericht von 1912 bereits der Illustration idyllisch gelegener Erholungseinrichtungen und Arbeiterkolonien, die Gesundheit, Zufriedenheit und langfristige Bindung an das Unternehmen versprachen. Die Ästhetik der Bilder entsprach dem Sujet der Industriefotografie, wie sie auch bei Krupp zu finden war.14 Menschenleere Siedlungen und Einrichtungen und eine klare geometrische Bildsprache vermittelten den Eindruck von Ordnung, Sauberkeit und Disziplin. Die Berichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts lieferten ein umfassendes Bild der finanziellen, geistig-moralischen und physischen Fürsorge des Unternehmens für seine Arbeiter und deren Familien.15 Der Zweck dieser Fürsorge und ihrer publizistischen Darstellung lag in der Eindämmung der hohen Arbeiterfluktuation begründet, die aus belastenden Arbeitsbedingungen resultierte, sowie in der Beschränkung der Streikbereitschaft und des sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Einflusses. Der Fokus auf die Gesundheitsfürsorge um die Jahrhundertwende ging insbesondere auf die sozialdemokratische Kritik an den Arbeitsbedingungen zurück, die zunehmend auf die Gesundheitsrisiken durch eine Beschäftigung bei der BASF abhob und den Gewerkschaften in die Hände spielte.16 Doch spiegelten sich in der Werkspresse auch die über die Werkstore hinausgehenden, von Experten aus Medizin und Verwaltung bestimmten Debatten um Hygiene- und Arbeitsbedingungen sowie deren Folgen, die zunehmend Berufskrankheiten einschlossen. Diese Debatten erstreckten sich auf alle industrialisierten Länder und beschäftigten Politik, Verwaltung und Versicherer gleichermaßen.17

13 Ebd., S. 7. 14 Vgl. Reif 1994. 15 BASF C 720/20, Die Wohlfahrtseinrichtungen der BASF 1900, 1908 u. 1912. 16 Vgl. von Hippel 2002, S. 105-115; Johnson 2002, S. 152-156, 165-168; Milert/Tschirbs 2012, S. 85-89. 17 Vgl. Moses 2012.

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Abbildung 1: Kolonie Hemshof

Abbildung 2: Haushaltungsschule und Wöchnerinnen-Asyl

Quelle: Die Wohlfahrtseinrichtungen der BASF (1912), S. 4 und 8.

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Auch bei Krupp hatte man verstanden, dass betriebliche Sozialleistungen die Arbeiterschaft nicht nur an das Unternehmen banden, sondern für betrieblichen Frieden sorgten. So veröffentlichte das Essener Unternehmen bereits 1876 seinen ersten Bericht über die betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen, die nicht zuletzt auch prestigefördernd für Unternehmen und Eigentümerfamilie wirken sollten. 1901 entstand eine letztlich nicht veröffentlichte PR-Schrift, in der die Sozialleistungen des Unternehmens einen zentralen Stellenwert einnahmen und die der öffentlichen Kritik am Unternehmen durch Ausbeutungs- und Monopolisierungsvorwürfe entgegentreten sollte. Das Unternehmen betrieb gezielte Öffentlichkeitsarbeit, die sich weniger an die Arbeiterschaft als vielmehr an die Kunden des Unternehmens – allen voran den preußischen Staat, den Krupp als Öffentlichkeit verstand – richtete. Krupp warb in Brüssel auf der Exposition et Congrès d’Hygiène et de Sauvetage 1867 und auf den Pariser Weltausstellungen 1867 und 1900 mit seinen Wohlfahrtseinrichtungen und erhielt dort Auszeichnungen. Auch auf der Düsseldorfer Gewerbeausstellung präsentierte das Unternehmen nicht nur seine Produkte, sondern auch die betrieblichen Sozialleistungen, indem ein Modell eines Arbeiterhauses und Fotografien ausgestellt wurden, die die Leistungen des Unternehmens belegten und inszenierten. Bereits bei den ersten Fotografien achtete Firmeninhaber Alfred Krupp auf die Abbildung gesunder Arbeitsverhältnisse, die wenig Rauch, dafür aber blühende Natur zeigten.18 Bis zum Ersten Weltkrieg war die Verwendung von Fotografien in unternehmerischen Publikationen nicht sehr verbreitet. Die Beispiele der BASF und von Krupp zeigen jedoch, dass die ersten fotografischen Experimente eine Ästhetik schufen, die eine vermeintlich objektive Abbildung der Verhältnisse schaffen sollte und über Jahrzehnte nachwirkte. Werkszeitung und Wohlfahrtsrapport ergänzten einander, doch hatte der Wohlfahrtsbericht den Anspruch, allgemeiner über die Bedingungen für die Arbeiterschaft zu informieren und suggerierte die Beständigkeit der beschriebenen Leistungen. Zugleich waren die Broschüren auch ein Aushängeschild für Unternehmen nach außen, in deren Sphäre die Gewerkschaften, Staat und Behörden in zunehmendem Maße eindrangen. Die Sozialgesetzgebung schuf einen institutionellen Rahmen für Sozialleistungen. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden darüber hinaus die hygienischen Bedingungen in den Betrieben stärker reguliert und beispielsweise die Einrichtung von Kantinen gefordert.19 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Unternehmen bemüht waren, ihre freiwilligen sozialen Leistungen und sich selbst ins rechte Licht zu rücken.

18 Vgl. Kanther 2007, S. 157-159 u. 176; Reif 1994, S. 105; Wolbring 2000, insb. S. 82-83, 111-121, 133, 142-3, 284-304. 19 Vgl. von Hippel 2002, S. 113; Ritter/Tenfelde 1992, S. 372-389; Uhl 2012, S. 375.

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1.2 M ODERNISIERUNG VERSUS I DEOLOGISIERUNG IM K IELWASSER DER P SYCHOTECHNIK Nach dem Ersten Weltkrieg klagten Unternehmen in den sozialbezogenen Berichtsteilen ihrer Geschäftsberichte vor allem über steigende Lohnkosten und -forderungen sowie die zunehmende Einmischung des Staates, die als geschäftsschädigend empfunden wurde, wie im Degussa Geschäftsbericht von 1922: Zu dem ungeheuren Anwachsen der Unkosten haben neben dem Steigen der Löhne und Gehälter auch die vielen Neueinstellungen von Beamten beigetragen, welche für alle Arten von unproduktiven Arbeiten notwendig wurden, und nicht minder die sich immer mehr erhöhenden Steuern an Staat und Gemeinde, die in letzter Linie auch wieder durch die ungeheuren Ausgaben der Behörden für, zum nicht geringen Teil, unproduktive Arbeit verursacht werden.20

Ähnliches veröffentlichten auch die Dresdner Bank und die Deutsche Bank in ihren Geschäftsberichten. Ab der Mitte der zwanziger Jahre fanden jedoch bei letzterer Zuwendungen an gemeinnützige Stiftungen oder Vereine, Schulungsangebote und betriebliche Sozialleistungen wie Erholungsheime Eingang in die Berichterstattung, während die Dresdner Bank ausschließlich in den Kriegsjahren eine positive Sozialberichterstattung bot.21 Zurückführen lässt sich diese Zurückhaltung auf Forderungen nach Einschränkung des staatlichen Einflusses und die Betonung des laissez faire – auch für die betriebliche Sozialpolitik. Diese Haltung wurde vom Sprachrohr der Industrieunternehmen, dem Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI), in den Zwischenkriegsjahren geradezu vehement vertreten.22 Während in den Geschäftsberichten soziale Inhalte eher geringen Raum einnahmen und die Beschäftigten als Leser tendenziell ausgeklammert wurden, schlugen die Werkszeitungen nach dem Ersten Weltkrieg eine neue Richtung ein. War die BASF Werkszeitung im Krieg noch weiterhin regelmäßig erschienen und hatte den Krieg als Thema in die Berichterstattung einbezogen, indem sie die Feldpost ehemals bei der BASF beschäftigter Soldaten abdruckte, wurden andere Werkszeitungen kaum oder gar nicht mehr veröffentlicht. Infolge dieses Vakuums entwickelte sich nach dem Krieg ein völlig neuer Typus von Zeitungen. Die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen – wie die revolutionären Nachkriegsjahre, die Etablierung der sozialdemokratischen Regierung und die Institutionalisierung der Arbeitervertretung durch das Betriebsrätegesetz 1920 – brachten eine 20 Degussa Geschäftsbericht 1922, S. 2. 21 Deutsche Bank Geschäftsberichte 1918, 1923, 1925, 1927 u. 1929; Dresdner Bank Geschäftsberichte 1911-1933. 22 Vgl. Bührer 1996, S. 81-89.

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emanzipiertere und durchaus streikbereite Leserschaft hervor, die nicht mehr belehrt werden wollte.23 Auch die technischen Entwicklungen in der industriellen Produktion und die mit ihnen einhergehenden Rationalisierungen schufen völlig neue Rahmenbedingungen im Arbeitsleben mit allen positiven wie negativen Folgen.24 Als hervorstechendste Beispiele einer Werkspresse, die diesen veränderten Anforderungen gerecht wurde, galten die Werkszeitungen von Bosch und Daimler.25 Der Bosch-Zünder, ein von Robert Bosch selbst mit hohem Anspruch initiiertes Projekt, wollte Transparenz schaffen. Im Vordergrund stand der informierende, anleitende Charakter der Texte, die sich vor allem auf technische und produktionsbezogene Inhalte konzentrierten. Schilderungen betrieblicher Sozialleistungen waren nur in geringem Umfang zu finden, da Bosch monetäre Sozialleistungen bevorzugte.26 Es lag jedoch vor allem im Interesse von Bosch, die Akzeptanz für technische Neuerungen und Rationalisierungen à la Taylor zu erhöhen, die bei der Arbeiterschaft auf deutlichen Widerstand stießen und den sozialen Frieden im Betrieb eher gefährdeten als ihn zu garantieren.27 Ähnlich konzipiert wie der Bosch-Zünder war die Daimler Werkszeitung. In der von Betriebsdirektor Paul Riebensahm und dem für Daimler tätigen Soziologen Eugen Rosenstock-Huessy entworfenen und herausgegebenen Werkszeitung standen technische Themen im Vordergrund. Darüber hinaus sollten die arbeitspolitischen Entwicklungen – wenn auch beschränkt auf ihre Bedeutung für das Unternehmen – in die Werkszeitung Eingang finden, die zwischen 1918 und 1921 erschien. Rosenstock-Huessy wollte mit der Zeitung Möglichkeiten zur Weiterbildung schaffen, scheiterte aber letztlich mit diesen ambitionierten Vorstellungen am Daimler-Direktorium.28 Beide Zeitungsprojekte waren Ausdruck einer demokratisierten und professionalisierten Betriebspublizistik, die wissenschaftlich fundierte Texte veröffentlichte, indem sie Technik-Experten aus dem eigenen Unternehmen einbezog. Arbeiter wurden zur Mitarbeit angeregt, auch wenn diese das Angebot kaum in Anspruch nahmen.29 Zugleich fügten sich beide Projekte in Konzepte der aufkommenden wissenschaftlichen Betriebsführung ein. Auch die Werkszeitung der 1925 gegründeten I.G. Farben Von Werk zu Werk bemühte sich neben ihrer identitätsstiftenden Funktion für das Unternehmenskonglo23 Vgl. Johnson 2002, S. 189, 206-219; Michel 1997, S. 111-130; Milert/Tschirbs 2012, S. 126-153; W. Plumpe 1999, S. 37-58; Tenfelde 2010; Wischermann 2003, S. 26. 24 Hier seien z. B. Arbeitszeitverkürzung, Steigerung des Lebensstandards ebenso genannt wie Dequalifizierung, Arbeitsintensivierung und Arbeitslosigkeit. Vgl. Stollberg 1981, S. 85-104; zur Rationalisierung bei der BASF: Johnson 2002, S. 208. 25 Vgl. Geck 1931, S. 128. 26 Vgl. Michel 1997, S. 147-168. 27 Vgl. Homburg 1978, S. 180-194. 28 Vgl. Luks 2010, S. 9-27; Michel 1997, S. 168-184. 29 Vgl. Michel 1997, S. 111-184.

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merat darum, die Auswirkungen der Rationalisierungsbewegung aufzugreifen. Vor allem die Unfallverhütung als Aspekt der Arbeitssicherheit spielte in dieser Hinsicht eine zunehmende Rolle in der Werkspresse der I.G. Farben.30 Das mit Fragen der Rationalisierung und technokratischen Menschenführung befasste, rechtskonservativ-nationalistische Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA), das 1925 gegründet wurde und 1933 in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) überging,31 beschäftigte sich ebenfalls mit den Anforderungen wissenschaftlicher Betriebsführung sowie den Auswirkungen technischer Entwicklungen auf den arbeitenden Menschen und verwob diese betriebssoziologische Forschung mit rechtsnationalistischem Gedankengut.32 Die Werkszeitungen wurden als Teil des psychotechnischen Ausbildungsprogramms33 des DINTA gesehen, »geeignet zur Selbstschulung und -erziehung« des Arbeiters und der »Arbeiterfrau«34. Die Werkszeitung im Sinne des DINTA sollte die Diskrepanz zwischen rationalisierter, tayloristisch-fordistischer Produktionsweise und menschlichen Bedürfnissen nach Freiheit, Harmonie und Mitwirkung nivellieren und das Verständnis »für die Welt der Maschine«35 wecken. Nach eigenen Angaben veröffentlichte das DINTA 1929 wöchentlich 75 verschiedene Ausgaben von Werkszeitungen in einer Gesamtauflage von etwa 500.000 Exemplaren.36 Zu Beginn der 1920er Jahre entwickelten der Gründer und spätere Leiter des DINTA, Carl Arnhold, sowie der spätere Hauptschriftleiter des 1926 initiierten Systems von Werkszeitungen des DINTA, Rudolf Fischer, Gedanken zum Konzept dieses Informationsinstrumentes.37 Die DINTAWerkszeitungen würden dabei keine politischen Absichten verfolgen, sondern lediglich zur »Anregung des Geistes zu Urteil und Nachdenklichkeit«38 beitragen wollen, wenn politische Fragen aufgegriffen würden. Die tatsächliche Berichterstat30 Vgl. Heinelt 2003, S. 94; Stokes 2002, S. 235, 246. 31 Vgl. Hachtmann 2012, S. 473-474, Anm. 165 u. S. 505, Anm. 19: Das DINTA wurde 1935 in das DAF-Amt ›für Betriebsführung und Berufserziehung‹ umbenannt und stand weiterhin unter der Leitung von Arnhold; s. a.: Hachtmann 1989, S. 181; Adamski 2009, S. 69. 32 Vgl. Arnhold 1930. 33 Vgl. Pätzold 1989, S. 276-279. 34 Bäumer 1930, S. 97. 35 Ebd. 36 Vgl. Bäumer 1930, S. 93; Susanne Hilger nennt die Zahl von 70 Zeitungen in einer Auflage von etwa einer halben Million Anfang der 1930er Jahre, deren bedeutendsten u. a. die Werkszeitungen der Gutehoffnungshütte (GHH), der Dortmunder Union oder der Eisen- und Stahlwerke Hoesch waren; für 1932: 68 Zeitungen mit einer Auflage von 830.000. Vgl. Hilger 1996, S. 346. 37 Vgl. Hilger 1996, S. 346. 38 Bäumer 1930, S. 95.

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tung der Zeitungen offenbarte spätestens seit 1933 das Gegenteil. War die BASFAusgabe der I.G.-Farben-Werkszeitschrift in den frühen dreißiger Jahren um eine unpolitische Berichterstattung bemüht, die die sozialen Auswirkungen hoher Arbeitslosigkeit thematisch zu vermeiden suchte, so nahm das DINTA ab 1933 immer mehr Einfluss auf die Publikationen und bewarb die Leistungen der DAF.39 Die Werkszeitung der Hibernia Bergwerksgesellschaft berichtete über das Gesetz zur nationalen Arbeit, den vermeintlich positiven Einfluss der Machtergreifung auf die Auftragslage, die Beschäftigtenzahlen oder die »durch das Versailler Diktat geraubten Gebiete«40. Themen, wie sie von gewerkschaftlicher Seite propagiert würden, hätten keinen Raum in den Publikationen, ließ das Institut schon vor 1933 verlautbaren. Von den potentiellen Lesern wurde das Zeitungsprojekt jedoch tendenziell eher abgelehnt, wie Thomas Welskopp für die Eisen- und Stahlindustrie herausstellt.41 Tatsächlich nahm das Werkszeitungskonzept des Instituts ideologisch vorweg, was die Sozialberichte der Unternehmen im Nationalsozialismus widerspiegelten. Der Gemeinschaftstopos wurde besonders betont, der Arbeiter als funktionaler Träger des Systems herausgestellt und die kontraproduktive Wirkung individualistischen Verhaltens angeprangert. Die Werkszeitung war das Vehikel der ideologischen Disziplinierung.42 Der Soziologe und Zeitgenosse Ludwig Adolph Geck stellte fest, dass die Werkszeitung als Mittel gegen die »Entfremdung der Arbeiter von der Betriebsleitung und dem Betriebe«43 diene. In dieser Funktion wirke sie allerdings schon seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland, dies sei kein spezifisches Merkmal der DINTA-Werkszeitungen. Geck kritisierte den uniformen Charakter der InstitutsZeitungen, die seiner Auffassung nach einer idealen Werkspublikation nicht entsprachen.44 Er beschrieb die Werkszeitung als wichtigen Bestandteil einer modernen, sozial orientierten Betriebsführung, die wissenschaftlich fundiert sein sollte. Er blickte insbesondere auf die Entwicklungen des Social Engineering in den USA, wo die Betriebsführung Gegenstand wissenschaftlicher Forschung war und sich die Wissenschaft mit der Gewinnbeteiligung, der Arbeitnehmervertretung oder der Werkszeitung befasste. Die grundlegenden Aufgaben dieser Publikationsform lägen darin, die Arbeiterschaft zu Loyalität gegenüber dem Unternehmen und zur Zusammenarbeit zu bewegen, deren Identifikation mit dem Unternehmen zu stärken und die allgemeinen Betriebsabläufe verständlich zu vermitteln. Die Zeitung solle darüber hinaus als Informationsinstrument genutzt werden, um über Unfallschutz 39 Vgl. Stokes 2002, S. 254-7, 262-3. 40 Hibernia Zeitung 1934, S. 2. 41 Vgl. Welskopp 1994a, S. 685-686. 42 Vgl. Bäumer 1930, S. 93-99; Michel 1997, S. 119. 43 Geck 1938, S. 20. 44 Vgl. Hilger 1996, S. 346-347.

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oder Freizeitangebote zu informieren.45 Nicht zuletzt habe sie auch ein erzieherisches Moment, wenn das Fehlverhalten von Mitarbeitern und die Lösung der daraus resultierenden Konflikte in der Werkszeitung beschrieben wurden. Vor allem jedoch solle die Werkszeitung den aus der zunehmenden Größe von Unternehmen resultierenden wachsenden Mangel an persönlichen Kommunikationsbeziehungen zwischen Arbeiterschaft und Unternehmensleitung überbrücken, um den dieser Beziehung inhärenten Konflikt auszugleichen.46 Zwar ließ das DINTA verlautbaren, ähnliche Zwecke mit ihren Werkszeitungen verfolgen zu wollen, de facto dienten die Einheitszeitungen jedoch von Beginn an als Plattform nationalsozialistischer Ideologie, an deren Seite in den 1930er Jahren ebenso ideologisch eingefärbte Sozialberichte treten sollten.

1.3 W ERBEN

FÜR DEN

»L EISTUNGSKAMPF «

Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) vom 20. Januar 1934 verschlechterte die rechtliche Lage von Arbeitern und Angestellten massiv und vergrößerte so die Macht der Unternehmensleitungen, sofern die ihr angehörenden Personen nicht Opfer der ›Arisierungen‹47 oder aufgrund ihrer politischen Einstellung verfolgt wurden. Zuvor schon waren Gewerkschaften und Arbeitervereine aufgelöst und die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmerschaft damit zugleich unterbunden worden. Anstelle der Gewerkschaften war die DAF getreten. Dem nationalsozialistischen »Primat des Bellizismus«48 und ›Führerprinzip‹ folgend wurde die ›Volksgemeinschaft‹ in den Unternehmen auch sprachlich desensibilisiert und auf die Kriegswirtschaft vorbereitet: Arbeitgeber wurden zu ›Betriebsführern‹ und Arbeitnehmer zur gehorsamen ›Gefolgschaft‹.49 In den Darstellungen der im Mai 1933 eingerichteten DAF zur erwünschten Form von Sozialberichten enthielt dieses neue Verhältnis jedoch eine viel stärkere soziale Komponente als sie die Betriebsgemeinschaften vor 1933 besessen hätten. Das »Zeitalter des Klassenkampfes«50 sollte beendet werden.51 Die Bezüge der Vor45 Vgl. Geck 1938, S. 34, 40 u. 91-92; ders. 1931, S. 129-130. 46 Vgl. Geck 1931, S. 129-130 u. 88-89, Anm. 2. 47 Hier wird von einem weiten Arisierungsbegriff ausgegangen, der nicht nur die Enteignung von Eigentum umfasst, sondern die Verdrängung aus allen Bereichen des Arbeitslebens. Vgl. Kopper 2010, S. 300; M. Schneider 2007, S. 147. 48 Hachtmann 2012, z. B. S. 14 und 43. 49 Vgl. Bührer 1996, S. 89-93; Michel 1997, S. 374-377 u. 380; Schneider 1999, S. 168243; Stokes 2002, S. 277-9, 293-7. 50 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 13.

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standsmitglieder sollten beispielsweise in einem »angemessenen Verhältnis«52 zu den Ausgaben für Sozialleistungen53 an die Beschäftigten stehen. Da die Vorstandsbezüge im Geschäftsbericht ausgewiesen werden mussten, wurde von Unternehmen in der Folge erwartet, dass sie auch über ihre sozialen Leistungen berichteten, obwohl die Sozialberichterstattung selbst nach der Neuregelung des Aktiengesetzes von 1937 nicht gesetzlich verpflichtend geworden war.54 Obgleich Unternehmen den Forderungen der DAF folgend über ihre sozialen Leistungen an Mitarbeiter berichteten, geschah dies nach Ansicht der Organisation oft nicht in befriedigendem Maße. Das Arbeitswissenschaftliche Institut (AwI) der DAF veröffentlichte 1937 zwei Untersuchungen über die Geschäftsberichte deutscher Unternehmen und die in ihnen ausgewiesenen sozialen Leistungen. Das AwI stellte Mängel in Methode und Umfang der Berichterstattung fest, denn oft seien die Leistungen nicht im Einzelnen aufgeschlüsselt.55 1940 gab das Amt ›Soziale Selbstverantwortung‹56 schließlich einen Leitfaden für Unternehmen heraus, der klare Richtlinien für die Sozialberichterstattung festlegen sollte, da die bisherigen Darstellungen über soziale Leistungen im Betrieb lediglich Werbezwecken dienten und rein »propagandistischen Wert«57 hätten. Inhaltlich orientierte sich der Leitfaden an den Ausführungen des AwI (Der soziale Rechenschaftsbericht des Betriebsführers, 1939) und Erläuterungen zur Behandlung von Sozialaufwendungen im Geschäftsbericht.58 Der Grund für die im Verständnis der DAF unzureichende Form der Sozialberichte liege in der Vermischung zweier Dimensionen, die eine soziale Rechenschaftslegung mit sich bringe: »Die soziale Rechenschaft der Betriebsführer ist eine politische Frage der Volksgemeinschaft, die bilanzmäßige Behandlung eine – freilich nicht unbedeutende – technische Frage des Unternehmensrechts und der Be-

51 Vgl. Hachtmann 2012, S. 9-69; ders. 1989, S. 30-36. 52 AktG 1937 § 77 Abs. 4. 53 Hier werden Wohnfürsorge, Büchereien, Pensionskassen, Winterhilfen und Leistungen zur Verschönerung von Gemeinden genannt. 54 Vgl. AktG 1937 § 77 u. § 128, Abs. 7; Walb 1938, S. 25-29. 55 Hepp et al. 1988, Nr. 257: Der Sozialbericht in den Geschäftsberichten öffentlicher oder gemischtwirtschaftlicher Betriebe; vgl. Hachtmann 1989, S. 258-268. 56 Das DAF-Amt für ›Soziale Selbstverantwortung‹ wurde infolge der Leipziger Vereinbarung am 21.03.1935 gegründet und unterstand ab diesem Zeitpunkt der Leitung des DAFFunktionärs Theodor Hupfauer. Das Amt zeichnete unter anderem für den seit 1937 durchgeführten Leistungskampf der deutschen Betriebe verantwortlich. Vgl. Roth 1993, S. 70-71 u. 121-124; Hachtmann 1989, S. 257. 57 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 8. 58 Arbeitswissenschaftliches Institut 1939, Bd. I, S. 427-439; Bd. II, S. 400-448.

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triebswirtschaft.«59 Während die Frage der Erfassung sozialer Leistungen in der Bilanz ungelösten methodischen Schwierigkeiten unterlag,60 beschäftigte die DAF eher der geringe Umfang der politisch orientierten Sozialberichterstattung. Der Zweck eines Unternehmens sei es zuallererst, dem Wohle der ›Volksgemeinschaft‹ zu dienen und daraus ergebe sich die »doppelte Verantwortung«61 des Betriebsführers, nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern auch der ›Gefolgschaft‹ gegenüber sozial verpflichtet zu sein.62 Über die Rechenschaftslegung gegenüber der Öffentlichkeit und der daraus zu folgernden politischen Rolle des Sozialberichts hinaus wurde insbesondere die Bedeutung des Berichts als Informationsinstrument im ›Leistungskampf der deutschen Betriebe‹ betont. Der Sozialbericht könne Grundlage für die Bewertung eines Betriebes im Vorhinein sein, so die Argumentation der DAF.63 Tatsächlich bot der Sozialbericht neben den Werkszeitungen64 vor allem ein zusätzliches Forum, die Ideologie des Leistungskampfes unter Betriebsangehörigen und in der Öffentlichkeit zu streuen und auf diese Weise nicht zuletzt auch die Existenz der DAF publizistisch zu rechtfertigen. Durch den seit 1937 praktizierten ›Leistungskampf‹ versuchte die DAF, soziale Leistungen, die oftmals bereits vor 1933 Bestandteil der unternehmerischen Sozialpolitik gewesen waren, »propagandistisch als Resultat der sozialpolitischen Aktivitäten der Arbeitsfront zu reklamieren«65. Dadurch allerdings genoss sie wenig Ansehen bei den Pionierunternehmen betrieblicher Sozialpolitik und auch das Vertrauen der Arbeitnehmerschaft war nicht besonders hoch.66 Überdies maß sich die DAF in dem Leitfaden zur Sozialberichterstattung das Urteil an, große Unternehmen hätten erst »unter dem Druck des Nationalsozialismus«67 ab 1933 begonnen, über soziale Leistungen zu berichten.68 Zuvor seien soziale Leistungen, so-

59 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 6. 60 Ebd., S. 21-25. 61 Ebd., S. 5 u. 7. 62 Ebd., S. 12; vgl. AOG 1942, S. 3. 63 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 8. 64 Zur Bewerbung des Leistungskampfes in den Werkszeitungen siehe ausführlich Michel 1997, S. 362-377. 65 Hachtmann 1989, S. 257. 66 Vgl. Hachtmann 1989, S. 31 u. 257-8. 67 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 8. 68 Vgl. auch Walb 1938, S. 33: »Der fortschreitenden Aufklärungsarbeit der DAF und der steigenden Beachtung, die die Handelspresse in letzter Zeit der sozialen Berichterstattung

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fern es sie überhaupt gegeben habe, kein fundamentaler Bestandteil der Unternehmenspolitik gewesen und höchstens eine »Art Liebhaberei«69. Das Berichten über diese Leistungen sei ohnehin entweder vernachlässigt worden oder habe sich rein auf die monetäre Darstellung von finanziellen Verlusten beschränkt: Die Verantwortung für die der Unternehmung anvertraute Gefolgschaft wurde nur höchst widerwillig in dem Grade übernommen, in dem die soziale Unzufriedenheit drohte, den Produktionserfolg zu beeinträchtigen. Diese Einseitigkeit der Unternehmerfunktion kam im gesamten Wirtschaftsrecht zum Ausdruck und fand ihren sichtbaren Niederschlag in der Rechenschaftspflicht des Unternehmers.70

Im Wesentlichen war es also das Ziel der DAF, die Sozialberichterstattung für die eigenen Propagandazwecke zu instrumentalisieren und dafür die bereits vor 1933 praktizierte Berichterstattung sprachlich und inhaltlich in die gewünschte Richtung zu lenken. Dass die betriebliche Sozialpolitik zum Teil die Kürzungen staatlicher sozialer Leistungen durch das NS-Regime ausglich und dies vom Regime auch gewollt war,71 machte die DAF umso mehr zum Trittbrettfahrer betrieblicher Sozialpolitik. Die inhaltlichen Schwerpunkte des DAF-Leitfadens richteten sich daher vornehmlich auf Bereiche, in denen sie ihre eigenen Aktivitäten und Einrichtungen besonders hervorzuheben suchte, wie Wohnbedingungen, Gesundheitsfürsorge, Freizeitgestaltung und Berufsausbildung.72 Im Sozialbericht sollte über die Wohnverhältnisse der Belegschaft, das Winterhilfswerk (WHW), die Reichsberufswettkämpfe, über die Beiträge des KdF-Amtes Schönheit der Arbeit zur Arbeitsplatzgestaltung, Rationalisierungsmaßnahmen und weitere KdF-Einrichtungen zur Freizeitgestaltung und Fürsorge berichtet werden. Auch »Auswirkungen besonderer Ereignisse auf das soziale Betriebsleben«73 wie Kriege und Naturereignisse waren in den Augen der DAF als Bestandteil des Unternehmenssozialberichtes zu betrachten; ihre Darstellung entsprach der Vorstellung eines gewollt politisch gefärbten Sozialberichts.74 Ähnlich zeigten sich die Inhalte der DAF-Werkszeitschriften, wie Alezuwendet, ist es zu verdanken, daß die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Sozialberichts sich immer mehr durchsetzt.« 69 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 13. 70 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 7. 71 Vgl. Hachtmann 1989, S. 277-282. 72 Vgl. Hachtmann 2012. 73 RWWA 121-135-3: DAF Betriebs-Information, Sonderausgabe Der Sozialbericht (1940), S. 16. 74 Ebd., S. 10-11, 15 u. 18-22.

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xander Michel unter anderem am Beispiel des Bosch-Zünders und der I.G.-FarbenWerkszeitschrift expliziert. Die Überwindung des Klassenkampfes, die ästhetische Überhöhung manueller und einfacher Arbeiten, die fotografische Inszenierung von Betriebsbesuchen durch Parteifunktionäre, die Idealisierung einer störungsfreien, sauberen, gesunden und leistungsfähigen wie -willigen Betriebsgemeinschaft sowie das Sozialleistungsangebot der DAF gehörten nun zu den kanonischen Berichtsinhalten der Zeitschriften. Die ehemals liberal gefärbten Zeitschriften wie der BoschZünder hatten damit erheblich an Glaubwürdigkeit verloren.75 Mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft erschien es der DAF umso dringlicher, die vermeintlichen Errungenschaften ihres Wirkens auf das soziale Angebot im Unternehmen in den Geschäftsberichten ausgeleuchtet zu sehen. Die Leistungsbereitschaft sollte aufrechterhalten und die Akzeptanz des Krieges gefördert werden. Der zunehmende Fachkräftemangel, nicht zuletzt durch Verfolgungen, Ermordungen und den Krieg vom NS-Regime verursacht, konnte bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung in der industriellen Fertigung zum Teil zwar durch Rationalisierungsmaßnahmen und die Erweiterung fordistischer Produktionsweisen abgefedert werden. Dies war insbesondere durch den Einsatz von Frauen, fremd- oder geringer qualifizierten Arbeitskräften und Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen in bestimmten Produktionsbereichen möglich.76 Trotzdem versuchte die DAF eine Abwanderung der verbleibenden Fachkräfte aus den Betrieben vehement zu verhindern und unterstützte diese Strategie publizistisch durch die Werkspresse.77 Die zunehmende Beschäftigung freiwillig tätiger Frauen wiederum begünstigte beispielsweise die Förderung von Sozialeinrichtungen wie Kindergärten, Kindererholungsfahrten oder die Einstellung von ›Betriebsarbeiterinnen‹, die den oftmals in ihrer Tätigkeit nur angelernten Frauen Hilfe im beruflichen wie im familiären Alltag bieten sollten.78 Dort, wo Frauen und verbliebene Fachkräfte noch gewonnen oder gehalten werden sollten, erschien es durchaus rational für betriebliche Sozialleistungen in Werkszeitungen und Sozialberichten zu werben,79 zumal das NS-Regime zu Beginn seiner Herrschaft Frauen noch mit Anreizen wie Ehestandsdarlehen und Geburtenprämien dem Arbeitsmarkt entzogen hatte. Tatsächlich aber blieb der Anteil der freiwillig tätigen weiblichen Arbeitskräfte über den Zeitraum zwischen 1939 und 1944 konstant. Zwar nahm der Anteil weiblicher Arbeitskräfte in der Industrie um gut sechs Prozent zu, dieser Erhöhung ergab sich aber vor allem aus der Beschäftigung von 75 Vgl. Michel 1997, 343-362; G. Plumpe 1990, S. 626-627. 76 Vgl. Abelshauser 2011, S. 50; Hachtmann 2011, S. 187; von Saldern 2012, S. 162-164; Schneider 2007, S. 156. 77 Vgl. Michel 1997, S. 372-398. 78 Vgl. Hachtmann 1989, S. 56-89; Michel 1997, S. 384-387; Priemel 2007, S. 470-494; Stokes 2002, S. 293-7, 311-3, 322-327. 79 Vgl. z. B. Preußag Geschäftsbericht 1940, S. 7.

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Zwangsarbeiterinnen.80 Dass die DAF gerade ab 1940 – als der Anteil der Zwangsarbeit bereits deutlich stieg – auf der umfassenden Beschreibung sozialer Leistungen für Arbeitnehmer und der unternehmerischen Pflicht zu Fürsorge und Verantwortung gegenüber der ›Gefolgschaft‹ beharrte, lässt einmal mehr das Auseinanderklaffen von propagandistischer Darstellung und sozialer Realität des NSRegimes eklatant hervortreten. Neben dem Werbeeffekt für die vermeintlich vom Regime eingeführten Sozialleistungen hatten die Sozialberichte auch den Zweck der systematischen Erhebung von Daten über das Ausmaß und die Ausgaben für betriebliche Sozialpolitik. Das 1935 gegründete AwI machte es sich zum Ziel, möglichst viele Daten von einzelnen Unternehmen zu sammeln, um durch die »totalisierte Erfassung«81 ein exaktes Bild über die gesamte wirtschaftliche und sozialpolitische Situation zu erhalten.82 Auch in anderen Bereichen wurden minutiös Daten erhoben, beispielsweise über die Einnahmen- und Ausgabensituation eines Arbeiterhaushaltes. All diese Erhebungen im Sinne eines »Frühwarn- beziehungsweise Observationssystems«83 sollten zur Vorbereitung auf die Kriegswirtschaft dienen, um die geplante Herabsetzung von sozialen Leistungen und Lebensstandard kalkulieren zu können. In der nationalsozialistischen Utopie-Rhetorik dagegen sollten die Daten nach dem Krieg zur Planung und Umsetzung einer neuen, hierarchisch klar gegliederten Gesellschaftsordnung beitragen, in der die Verteilung von Gütern – seien es Lohn, Alterssicherung oder Grund und Boden – anhand dieser Daten vollzogen würde. Das nationalsozialistische Regime folgte also auch im Bereich der betrieblichen Sozialpolitik seinem Dokumentationswahn bis ins Detail und verlieh ihm gleichzeitig durch die Tätigkeit des AwI einen wissenschaftlichen Anstrich. Umgekehrt bot das AwI insbesondere Sozialstatistikern ein Tätigkeitsfeld, auf dem sie sich wissenschaftlich profilieren konnten.84 Wie schon Porter für britische Versicherungsmathematiker im 19. Jahr-

80 Vgl. Hachtmann 1989, S. 260-265 u. 275-277; Humann 2011, S. 118-135; Petzina 2001, S. 141; Wehler 2003, S. 752-760. 81 Roth 1993, S. 141. 82 Die Sozialberichte ergänzten andere Formen der Datenerhebung im Unternehmen über die Personalsituation wie z. B. die 1935 eingeführten Arbeitsbücher. Vgl. Tooze 2001, S. 236. 83 Adamski 2009, S. 72; in den 1950er Jahren propagierte der während der NS-Zeit durchaus politkonforme Otto Neuloh an der Sozialforschungsstelle Dortmund erneut die Idee eines gesellschaftsbezogenen Frühwarnsystems, das – interdisziplinär organisiert – die sozialen Probleme und Bedürfnisse der Bevölkerung sowie speziell der Arbeiter in den Betrieben erkennen helfen sollte. Vgl. ebd., S. 34-35. 84 Vgl. Roth 1993, S. 129-148; Raphael 1998, S. 238; Schneider 1999, S. 199-201; Zum Aufstieg junger Wissenschaftler – insbesondere im Bereich der Statistik – im Nationalso-

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hundert feststellte, förderten Quantifizierungsbestrebungen auch im Nationalsozialismus die Etablierung vormaliger Außenseiter, die wiederum dem Vorhaben ein wissenschaftliches Antlitz und damit Legitimation verliehen. Die Auswirkungen dieser politischen Forderungen auf die Sozialberichterstattung zeigten sich bald in den Publikationen von Unternehmen im Reich. Die Rhenania-Ossag Mineralölwerke AG veröffentlichte 1937 auf politischen Druck hin ihren ersten Sozialbericht für die Geschäftsjahre 1935/36: Es entspricht nicht unserer Überlieferung, Zahlen über soziale Leistungen des Unternehmens anderen als den damit beschäftigten Dienststellen der Firma zugänglich zu machen, weil darin eine peinliche Verquickung sozialen Denkens mit geschäftlicher Werbung erblickt werden könnte. Wenn wir trotzdem von dem bisherigen Brauch abgehen, so geschieht dies mit Rücksicht auf den in der öffentlichen Diskussion erkennbaren und verständlichen Wunsch, den Wiederaufschwung der deutschen Wirtschaft auch in einem entsprechenden Sozialaufwand zugunsten der Gefolgschaft widergespiegelt zu sehen.85

Die Benzinwerke Rhenania GmbH war 1902 als Tochtergesellschaft der niederländischen Royal Dutch86 in Düsseldorf gegründet worden. 1913 kamen die Mineralölwerke Rhenania in Monheim dazu, die ab 1917 zusammen mit den Benzinwerken die Mineralölwerke Rhenania AG bildeten. Im Juni 1925 übernahm die Rhenania AG die Ölwerke Stern-Sonneborn, wodurch das Großunternehmen Rhenania-Ossag entstand.87 Das Unternehmen verfügte über eine qualifizierte Stammbelegschaft, nicht zuletzt, weil es im Branchenvergleich höhere Löhne und Gehälter als die oftmals kleineren Konkurrenzunternehmen zahlte.88 Die deutschen Autarkiebestrebungen und Zollerhöhungen in den 1930er Jahren, die durch die Aussicht auf mögliche Erdölfunde bestärkt wurden, schienen eine Anbiederung an das Regime zu legitimieren. Darüber hinaus hegte der Vorstandsvorsitzende des Mutterkonzerns Royal Dutch/Shell, Sir Henri Deterding, Sympathien für die anti-kommunistische NSPolitik. Offen unterstützte er Hitlers Politik zwar erst nach seinem Ausscheiden aus dem Konzern 1937; Gerüchte um finanzielle Hilfen von Deterding für das Regime gab es allerdings schon zu Beginn der 1930er Jahre.89 zialismus und der Entwicklung wissenschaftlicher Disziplinen vgl. Grüttner 2010; Hachtmann 2010; Tooze 2001, S. 218-219. 85 URL: ZBW, Rhenania-Ossag Sozialbericht 1935/36, S. 1. 86 1907 fusionierte die Royal Dutch mit Shell Transport zu Royal Dutch/Shell. Vgl. Jonker/van Zanden 2007, S. 7; Stadler 2004, S. 22-23. 87 Nach Jonker und van Zanden (2007, S. 344) hat die Übernahme bereits 1924 stattgefunden. 88 Vgl. Karlsch/Stokes 2003, S. 55, 88, 101 u. 128-129. 89 Vgl. Jonker/van Zanden 2007, S. 475-491; Karlsch/Stokes 2003, S. 197.

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Trotz der Erdölfunde im Land erwarteten die ausländischen Ölkonzerne keine große Ausbeute, sie wollten aber auch den Zugang zum deutschen Markt mit seiner wachsenden Automobilisierung nicht verlieren. So wurden schon in den ersten Monaten nach der Machtergreifung bei Rhenania-Ossag jüdische Angestellten entlassen. Die Ossag-Gründer Leo Stern und Jacques Sonneborn mussten den Aufsichtsrat verlassen. Die Rhenania-Führung unterstützte den Ubbelohde-Feder-Plan zum Ausbau von Raffinerien im Reich, der den Import von Fertigprodukten verringern sollte. Zwar war die Royal Dutch/Shell wie andere Mineralölkonzerne nicht begeistert von dem Plan, er bedeutete aber immerhin weiterhin Zugang zum deutschen Markt. Das Treibstoffsyntheseverfahren, das die Autarkiebestebungen des Regimes stützen sollte, war jedoch erfolgreicher als erwartet. Der Raffinerieausbau mit Unterstützung der großen Mineralölkonzerne entwickelte sich dagegen nur langsam.90 Zwischen 1938 und 1940 verlor die Royal Dutch/Shell-Gruppe zunehmend an Einfluss über Rhenania-Ossag, bis das Unternehmen schließlich 1940 staatlicher Kontrolle unterstellt wurde.91 Der Sozialbericht der Rhenania-Ossag für 1935/36 fällt noch relativ knapp aus und schildert im Wesentlichen soziale Leistungen wie Altersversorgung, Notfallunterstützungen, Unterstützung des Eigenheimbaus, Verpflegung, Weihnachtsbeihilfen oder Sportangebote. Bei den Kinderzulagen wird jedoch bereits darauf hingewiesen, dass die Unterstützung von Familien mit mehr als zwei Kindern zur Unterstützung der »staatlichen Bevölkerungspolitik«92 geschehe. Die nachfolgenden Sozialberichte unterscheiden sich deutlich von diesem ersten und lassen die politisch erwünschten Vorgaben zu Tage treten: In den Berichten für die Geschäftsjahre 1937 bis 1939 veröffentlichte Rhenania eine genaue Aufschlüsselung der Belegschaftsstruktur nach Status, Alter, Dienstjahren und Lohngruppen und lieferte damit die vom AwI geforderten statistischen Daten. Als »Soziale Betriebsfürsorge« wurden in einem zweiten Berichtsteil die auch in den Dekaden davor schon üblichen Sozialleistungen wie die Ausbildung Jugendlicher, Gesundheitsfürsorge und »Gesunde Wohnverhältnisse«93, Freizeitangebote, Verpflegung oder Altersversorgung beschrieben. Die Maßnahmen sollten allerdings stets dem Ziel dienen, »die Durchführung des Leistungsprinzips«94 zu ermöglichen sowie der ›Gefolgschaft‹ das größte Ausmaß an Erholung, »Kameradschaft«95, »Wohlbefinden und Schaffenskraft«96 zu 90 Vgl. Jonker/van Zanden 2007, S. 465-474; Karlsch/Stokes 2003, S. 147-169; Stadler 2004, S. 256-257. 91 Vgl. Howarth/Jonker 2007, S. 22 u. 78; Karlsch/Stokes 2003, S. 191-202. 92 URL: ZBW, Rhenania-Ossag Sozialbericht 1935/36, S. 6. 93 Rhenania-Ossag Sozialbericht 1937, S. 9. 94 Ebd., S. 8. 95 Ebd., S. 13. 96 Ebd., S. 9.

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sichern. Die Ausbildung diene nicht der Erlangung spezieller Kenntnisse für den eigenen Betrieb, sondern Jugendliche sollten so ausgebildet werden, dass sie universal in Betrieben eingesetzt werden könnten; das »allzu frühe Hineinwachsen in den Großbetrieb«97 solle verhindert werden. Erholungsmöglichkeiten durch die Teilnahme an Veranstaltungen der ›Hitler Jugend‹ wurden ebenso herausgestellt wie die Vorzüge der ›Betriebssportappelle‹ und des ›Reichsberufswettkampfes‹.98 Kritik an der Politik wurde – anders als noch in den 1920er Jahren – nur noch vereinzelt geübt.99 In den Geschäftsberichten der Degussa, der Deutschen Bank und der Dresdner Bank traten die von der DAF gewünschten Inhalte in der Sozialberichterstattung ebenso deutlich hervor. Die Degussa veröffentlichte zunächst keine Sozialberichte, berichtete aber ab 1935 in den Geschäftsberichten über betriebliche Sozialpolitik. Zwar betonte die Degussa durchaus die langjährige Tradition vieler Sozialleistungen, die bereits vor 1933 Bestandteil der Firmenpolitik waren, die von der DAF geforderten Inhalte fehlten deshalb jedoch keineswegs. Die Teilnahme an Veranstaltungen der DAF und die Umsetzung von KdF- und ›Schönheit der Arbeit‹Maßnahmen, die Prämierung dieser Maßnahmen, Heiratszuschüsse und Kinderbeihilfen, Adolf-Hitler-Spenden und Beiträge zum Winterhilfswerk gehörten ebenso zum jährlichen Kanon der Sozialberichterstattung wie die unablässige Betonung des Stellenwertes von Kameradschaft, körperlicher Ertüchtigung und der Harmonie zwischen ›Betriebsführung und Gefolgschaft‹. Gleiches galt für die Geschäftsberichte der Deutschen und der Dresdner Bank. Wie bei Rhenania wurde auch bei Degussa für die Jahre 1937/38, bei der Deutschen Bank und der Dresdner Bank für das Geschäftsjahr 1937 erstmals die Belegschaftsstruktur im Detail dargestellt: Gesamtzahl der Angestellten und Arbeiter sowie Dienstalter, Lebensalter und Geschlecht. Alle vier Unternehmen reagierten damit auf die Anforderungen an die Berichterstattung seitens der DAF. Die Dresdner Bank berichtete überhaupt erstmals seit dem Ende des Ersten Weltkrieges positiv über soziale Leistungen und hatte vor 1935 auch keine eigene Betriebszeitung veröffentlicht, ließ allerdings bereits 1928 einen Werbefilm über die betrieblichen Sozialleistungen drehen. Die Deutsche Bank dagegen veröffentlichte vor 1933 durchaus Sozialberichte und Betriebszei-

97 Ebd., S. 7; vgl. dazu bspw. auch Dresdner Bank Sozialbericht 1942, S. 16. 98 Rhenania-Ossag Sozialbericht 1937, S. 7; dies. 1938, S. 3 u. 5; dies. 1939, S. 3 99 So übte Degussa im Geschäftsbericht 1935/36 Kritik an der steuerlichen Behandlung des Pensionsfonds durch das ›Gesetz zur nationalen Arbeit‹ (S. 6-7) und im RhenaniaSozialbericht bedauerte man finanzielle Einschränkungen durch erzwungene Abgaben zum Schul- und Straßenbau im Sozialbericht von 1937 (S. 9-10).

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tungen, beugte sich aber zunehmend den Forderungen der DAF nach inhaltlicher Gestaltung der Zeitungen und Berichte.100 Für die Geschäftsjahre 1940/41 veröffentlichte die Degussa ihren ersten eigenständigen Sozialbericht, der von Kriegsrhetorik durchtränkt war. Der Krieg selbst wurde als Begründung für die Veröffentlichung des Sozialberichtes angeführt, das Erscheinen des Berichtes deckt sich aber vor allem mit den Anforderungen der DAF-Broschüre zur Erstellung von Sozialberichten. Der Bericht führt im Wesentlichen die Sozialberichterstattung der Geschäftsberichte in ausführlicherer Form weiter und stellt zunehmend die Loslösung dieser Berichterstattung von den eigentlichen Geschehnissen im Unternehmen heraus. Die Zusammenarbeit mit der DAF und der Einsatz ehemaliger Beschäftigter als Soldaten nehmen den größten Raum ein; vereinzelt werden regime-erwünschte Leistungen wie die Bereitstellung »sorgfältig ausgewählte[r] Unterhaltungsbücher« oder die Vorführung der Wochenschauen dargestellt.101 Noch sehr viel weiter ging allerdings der Sozialbericht einer der Hauptfilialen der Dresdner Bank in Köln. Unter der Überschrift »Wir marschieren mit! Leistungskampf der deutschen Betriebe« berichtete die Filiale detailliert über die Partei- und Organisationszugehörigkeit der Führungselite und verbarg nicht im geringsten die politischen Absichten dieser Berichterstattung. Die Personalauswahl erfolge »nach den Grundsätzen nationalsozialistischer Menschenauslese«102, Lehrlinge gehörten ausnahmslos der HJ oder dem BDM an, und durch die Ausbildung würde dafür gesorgt, dass »der Nationalsozialismus für alle Zeiten eine Grundlage des deutschen Lebens ist«103. Dieses radikale Beispiel zeigt, dass der Krieg keineswegs von allen Unternehmen zum Anlass genommen wurde, die Sozialberichterstattung einzustellen und sie auf das notwendigste Maß zu reduzieren. Im Gegenteil sorgte das Einsetzen des Krieges dafür, dass die Sozialberichterstattung bei einigen Unternehmen umfassender und immer deutlicher im Sinne des Regimes umgesetzt wurde. Zwar gab es bereits vor 1937 eine aktive Sozialberichterstattung der Unternehmen,104 sie nahm jedoch mit Reform des Aktienrechts, durch die von der DAF 100 Geschäftsberichte Degussa 1935/36-1939/40; Deutsche Bank 1930-1944; Dresdner Bank 1930-1941; auch von der Presse wurden die Veränderungen in der Sozialberichterstattung kommentiert, zu Rhenania vgl. »Der soziale Gedanke im Vordergrund«, URL: ZBW, Hamburger Fremdenblatt 135 (17.05.1938). Zur Entwicklung der betrieblichen Sozialleistungen und dem Betriebszeitungswesen bei der Deutschen und Dresdner Bank vgl. Weihe 2006, S. 164-185. 101 Degussa Sozialbericht 1940/41. 102 Dresdner Bank Sozialbericht 1942, S. 7. 103 Ebd., S. 10. 104 Anders als Meyer-Merz vermutete, beinhaltete nicht erst der Geschäftsbericht der AEG von 1937/38 die erste detaillierte Auflistung von Sozialleistungen. Vgl. Meyer-Merz 1985, S. 170.

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gestellten Anforderungen und die von der AwI-Studie identifizierten Defizite erheblich zu.

1.4 M EHR »I NFORMATIONSFREUDIGKEIT « AMERIKANISCHEM V ORBILD

NACH

Die Versuche der DAF, ideologisch auf die Sozialberichterstattung der Unternehmen einzuwirken, führten nicht dazu, dass diese nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben wurde. Sozialberichte gehörten auch in den 1950er und 1960er Jahren neben Geschäftsberichten und Werkszeitungen zum selbstverständlichen Publikationskanon von Großunternehmen, und das Kriegsende stellte nicht zwangsläufig eine Zäsur für die betriebliche Berichterstattung dar.105 Der Gewerkschafter, Sozialdemokrat und Leiter des WWI, Erich Potthoff, unterstrich 1953 sogar die Bedeutung der vom DINTA in den 1920er Jahren geschaffenen sozialen Einrichtungen im Betrieb und für die Arbeiterfamilien:106 »die betriebliche Sozialarbeit [konnte] nach 1945 durchaus an die Leistungen der Vergangenheit anknüpfen und die Techniken im Sinne einer neuen sozialen Aufgabenstellung der Betriebe weiterentwickeln.«107 Potthoff ging hier auf Werkszeitungen als wichtigem Baustein der betrieblichen Sozialpolitik ein, die aber allein nicht ausreichten, um die Beschäftigten umfassend zu informieren und zu motivieren.108 Er kritisierte vor allem den Mangel an »Informa105 Vgl. zu den Kontinuitäten der betrieblichen Sozialpolitik Rosenberger 2008, S. 422423. 106 Zu Potthoffs Haltung s. a. Lauschke 2007, S. 94. Ähnlich unkritisch fiel auch die Sicht der Landesvereinigung industrieller Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalen auf Sozialberichte und Werkszeitungen aus, die lediglich als Instrumente der betrieblichen Sozialpolitik mit langer Tradition beschrieben wurden. Vgl. Landesvereinigung 1954, S. 18-19; auffällig im Vergleich dazu ist die Klage über den Missbrauch der Werkszeitungen im Nationalsozialismus von Albrecht Weiß, der sich als Sozialdirektor der BASF 1939 noch im Sinne der DAF-Ideologie geäußert hatte. 1947 hatte Weiß die Arbeitsgemeinschaft für soziale Betriebsgestaltung (A.S.B.) – 1963 umbenannt in Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Betriebsführung und soziale Betriebsgestaltung – ins Leben gerufen, die sich mit wissenschaftlichen und praktischen Entwicklungen der Personalführung und Sozialpolitik im Unternehmen beschäftigte. Vgl. Weiß 1951, S. 10; Rosenberger 2008, S. 80-81, 151-168 u. 360. 107 Potthoff 1953, S. 44. 108 Die Kritik an der oftmals zu positiv berichtenden und ins Triviale abgleitenden Werkszeitung, die der Unternehmensführung mehr verpflichtet sei als den Interessen der Beschäftigten, setzte sich auch in die sechziger Jahre fort. Vgl. Bergmann/Zapf 1965, S. 69-71.

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tionsfreudigkeit«109 und an Standards für die Sozialberichterstattung in Geschäftsberichten oder als Einzelpublikationen sowie das Fehlen einer geeigneten Definition dessen, was freiwillige Sozialleistungen eigentlich umfassten: Entsprechend dem Charakter der aktienrechtlichen Rechenschaftslegung ist der Sozialbericht in erster Linie ein Bericht über die Art und Höhe der Aufwendungen, so daß diese Berichte, auch wenn sie gesondert herausgegeben werden, mehr oder weniger eine oft bebilderte Aufzählung der sozialen Maßnahmen und Techniken bringen. Es ist deshalb ernsthaft zu überlegen, ob und wie man durch einen echten Sozialbericht, der sich mit der sozialen Betriebspolitik befaßt, Abhilfe schafft.110

Potthoff plädierte für die Etablierung von Maßstäben, die auch an die Finanzberichterstattung gelegt würden und forderte eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit der Sozialberichterstattung. Für die betriebliche Sozialpolitik im Allgemeinen galt für Potthoff, dass hier noch eine große Lücke zwischen sozialwissenschaftlicher Forschung und unternehmerischer Praxis zu schließen sei, allerdings von beiden Seiten. Hier sah er auch das WWI in der Pflicht, anwendungsorientierte Forschung zur Professionalisierung der Sozialpolitik zu betreiben.111 Als gutes Beispiel für Prinzipien einer vorbildhaften betrieblichen Sozialpolitik führte Potthoff das Beispiel der amerikanischen Eastman Kodak Company an, deren Code of Industrial Relations die wichtigsten Felder der betrieblichen Sozialpolitik umschreibe und damit auch die wichtigsten Punkte einer Sozialberichterstattung markiere. Dazu gehörten freiwillige und gesetzliche Sozialleistungen, das Arbeitsklima, Auswirkungen von Rationalisierungsmaßnahmen und die Kommunikation mit dem Management.112 Wie diese idealen Grundsätze tatsächlich umgesetzt wurden und über sie im Einzelnen berichtet wurde, ließ Potthoff offen; die betrieblichen Sozialleistungen der Eastman Kodak Company vor dem Hintergrund des U.S.-amerikanischen ökonomischen und sozialpolitischen Systems beleuchtete er nicht. Von wissenschaftlicher Seite wurde das Thema ebenfalls aufgegriffen. So wies Kiepe 1958 auf die Vorbildfunktion amerikanischer Geschäfts- und Sozialberichte hin, die ein besseres Verständnis der Vorteile dieser Form der Public Relations für die Beziehungen zu Aktionären, Geldgebern und der Belegschaft eines Unternehmens bewiesen. Anschauliche, bebilderte Berichte, die in einer klaren Sprache die Lage des Unternehmens erläuterten, seien »nicht nur auf billige Effekte abgestellt [...], sie sollen [...] eine Brücke zwischen Unternehmung und Öffentlichkeit schla109 Potthoff 1953, S. 54. 110 Ebd., S. 47. 111 Vgl. Lauschke 2007, S. 65-66; Zur Entwicklung der gewerkschaftlichen Expertise im Bereich der Sozialpolitik vgl. Platz 2010. 112 Potthoff 1953, S. 38-39 u. 42.

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gen.«113 Unter dem Begriff der Öffentlichkeit wurden hier jedoch vor allem Aktionäre verstanden. Für die Sozialberichterstattung gelte insbesondere, dass sie überzogene Gehaltsforderungen verhindere, Fluktuation eindämme und helfe, qualifizierte Arbeitskräfte zu werben.114 Eine differenziertere Darstellung veröffentlichte Ulrich Pleiß 1960, indem er die Bedeutung der detaillierten Offenlegung betrieblicher Sozialleistungen beschrieb, weil diese Leistungen eine Umverteilung des Betriebsgewinnes bedeuteten.115 Diese Problematik spiegelte sich in dem seit Jahrzehnten von gewerkschaftlicher Seite angeführten Vorwurf, bei freiwilligen Sozialleistungen handele es sich um ›vorenthaltenen Lohn‹. Dieser Vorwurf wurde in den Sozialbilanzen der siebziger Jahre in der Debatte um die Veröffentlichung von Wertschöpfungsrechnungen erneut aufgegriffen.116 Die Variationsbreite aus den zwanziger und dreißiger Jahren in der Qualität der Sozialberichte blieb auch nach 1945 erhalten; Unternehmen entschieden individuell über Inhalte und Form der Berichte. Gleichwohl gab es Versuche von Verbands-, Staats- und Wissenschaftsseite, Standards zur unternehmerischen Berichterstattung zu entwickeln, um deren Qualität zu verbessern und ihren Informationsgehalt zu erhöhen. Kurt Haberkorn, Experte für Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht, entwickelte beispielsweise 1965 ein Schema zur Erfassung sozialer Leistungen, das geeignet sein sollte, diese Leistungen im Sozial- respektive Geschäftsbericht eines Unternehmens darzustellen. Den Zweck der Berichterstattung sah er darin, die Mitarbeiter eines Unternehmens mit den sozialen Einrichtungen und Leistungen vertraut zu machen, da ihnen diese Angebote oftmals nicht bekannt seien.117 Haberkorn betrachtete sein Schema als eine Weiterentwicklung vorangegangener Sozialberichtskonzepte der BDA von 1952, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und des Studienkreises für sozialwirtschaftliche Betriebsformen ›Der Neue Betrieb‹, beide von 1963. 118 Der Entwurf der BDA – an dem sich Haberkorn orientierte – sah die Untergliederung in gesetzliche, tarifliche und freiwillige Sozialleistungen vor. Im Konzept wurde die detaillierte Erfassung der freiwilligen Sozialleistungen wie der ergänzenden Beiträge zu den folgenden Bereichen vorgeschlagen: zur sozialen Sicherung (z. B. zusätzliche Kranken- oder Unfallversicherungen, Notfallhilfen), zur Woh113 Kiepe 1958, S. 73; ähnlich äußerte sich Merle 1963, S. 141; zum amerikanischen Werkszeitungs-Vorbild s. a. Richers 1951, S. 23. 114 Vgl. Kiepe 1958, S. 6 u. 71-75. 115 Vgl. Pleiß 1960, S. 97-138. 116 Vgl. Kapitel 5.2.3. 117 Vgl. Haberkorn 1965, S. 15. 118 Der Studienkreis für sozialwirtschaftliche Betriebsformen e.V. ›Der Neue Betrieb‹ wurde 1952 gegründet und 1968 in Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGfP) umbenannt. Vgl. Rosenberger 2008, S. 366.

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nungsfürsorge durch unternehmenseigene oder vom Unternehmen subventionierte Wohnungen, zur familiären Unterstützung (Mutter-Kind-Hilfen, Ausbildungsunterstützung, Zuschüsse) sowie zum Bereich Fürsorge und Gesundheit (von der allgemeinen Betriebsfürsorge über Kleidung, Verpflegung, Unfallverhütung und den Gesundheitsdienst bis hin zu Maßnahmen und Einrichtungen zur Erholung und Vorbeugung von gesundheitlichen Schäden), aber auch zu Bildungs- und Freizeitangeboten. Erwähnenswert ist insbesondere, dass das BDA-Schema auch die Erfassung produktions- und betriebsbedingter Aufwendungen vorsah, wenn diese Leistungen auch einem Abgrenzungsproblem zu den Sozialleistungen unterlagen. Sie wurden im Schema gesondert ausgewiesen, da sie im Gegensatz zu den zuvor aufgeführten Leistungen unmittelbar Voraussetzung für den funktionierenden Betriebsablauf seien; darunter fielen zum Beispiel die Berufsausbildung der Mitarbeiter oder deren Unfall- und Gesundheitsschutz.119 Der Entwurf ist vor allem vor dem Hintergrund der Montanmitbestimmung von 1951 und des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 zu sehen, die nolens volens zum Gegenstand des Konfliktes zwischen Gewerkschaftsseite und BDA geworden waren. DGB und BDA stellten die Gesetzesfassung gleichermaßen als nicht ihren Interessen entsprechend dar: Das Gesetz bedeutete eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte im personellen Bereich gegenüber dem Betriebsrätegesetz von 1920, zugleich aber keinen wirklichen Machteinschnitt für die Arbeitgeberseite. Die BDA sah sich veranlasst, in dem Berichtsschema gerade jene Bereiche zu erfassen, die in den Kernbereich der gewerkschaftlichen Mitbestimmung fielen: Lohn, Arbeits- und Urlaubszeiten, Akkordregelungen, Unfallschutz, Ausbildung und Wohlfahrtseinrichtungen.120 Die später entwickelten Schemata der EWG und des Studienkreises weisen eine ähnliche Struktur wie das BDA-Konzept auf und unterscheiden sich inhaltlich kaum. Allerdings konzentriert sich das EWG-Schema wesentlich stärker auf die gesetzlichen und tariflichen Sozialleistungen und zielt deutlich auf eine supranationale Vergleichbarkeit betrieblicher Sozialleistungen, die in der Bundesrepublik vom Statistischen Bundesamt im Auftrag der EWG erhoben wurden.121 Auffallend ist, dass das EWG-Schema Naturalleistungen wie Verpflegung, Kleidung oder Kohle berücksichtigte, die gesondert aufgeführt werden sollten.122 In allen drei Konzepten wurden die sozialen Leistungen jedoch größtenteils rein monetär erfasst, sie berücksichtigten ausschließlich Input-Größen und waren stark an das bestehende Rechnungswesen angelehnt. Haberkorn orientierte sich in seinem Modell vor allem an den Konzepten der BDA und des Studienkreises. Das Modell des Studienkreises 119 Vgl. Haberkorn 1965, S. 25-27. 120 Vgl. Abelshauser 2011, S. 355-360; Lauschke 2007, S. 51-62; Milert/Tschirbs 2012, S. 393-429. 121 Vgl. Haberkorn 1965, S. 19-25. 122 Vgl. ebd., S. 24.

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wies seiner Ansicht nach allerdings nicht genügend Verbindlichkeit für die Betriebe auf, da Sozialleistungen in beliebigem Umfang erfasst würden.123 Das Haberkornsche Konzept einer umfassenden Darstellung sozialer Leistungen für den Sozialbericht in einem Sozialkontenplan hatte als Weiterentwicklung der drei Schemata seinen Schwerpunkt ebenfalls nicht auf den freiwilligen Leistungen eines Unternehmens. Ziel sollte es insbesondere sein, Strukturwandelprozesse mithilfe des Sozialkontenplanes abbilden zu können. Dies zeigte sich beispielsweise an der detaillierten Dokumentation der Belegschaftsstruktur: »Hier ist an Hand von Vergleichen über mehrere Jahre aufzuzeigen, wie sich die Belegschaftsstruktur infolge erhöhter Aufwendungen, bedingt durch technischen Fortschritt, Automation und der damit verbundenen Schaffung von neuen Arbeitsplätzen beziehungsweise dem Wegfall herkömmlicher Arbeitsplätze verändert hat.«124 In diesen Bereichen sollte nicht zwangsläufig eine rein quantitative Erfassung der Veränderungen erfolgen, ihre Erfassung sollte jedoch statistisch gestützt werden. In der Einleitung eines Sozialberichts müsse grundsätzlich eine qualitativ-deskriptive Dokumentation aller wichtigen Veränderungen innerhalb eines Berichtszeitraumes erfolgen, unter anderem über »organisatorische Probleme des Unternehmens«, »Fragen und Probleme der Rationalisierung und Automation«, über die »allgemeine Arbeitsmoral«, »Maßnahmen zur Ausbildung und Förderung der Persönlichkeit«125, Baumaßnahmen, Arbeitssicherheit oder über neue soziale Angebote und Leistungen für die Mitarbeiter. Insgesamt lag der Schwerpunkt des Sozialkontenplanes jedoch durchaus auf der quantitativen Erfassung betrieblicher Sozialleistungen. Haberkorn entwickelte einen umfassenden Katalog mit knapp 300 Kennzahlen über den gesamten Sozialaufwand, die Belegschaft, Gastarbeiter, Löhne und Gehälter, Arbeitszeit, Fluktuation, Krankenstand, Werkspeisung und Ruhegelder mit einem deutlichen Schwerpunkt auf monetären Kennzahlen.126 Die 300 Kennzahlen bezogen sich allerdings vor allem auf Großunternehmen; für kleine und mittlere Unternehmen sah Haberkorn einen reduzierten Katalog vor, auch wenn diese gar nicht der Publizitätspflicht unterlägen.127 Wo eine monetäre Darstellung der Leistungen nicht möglich sei, sei eine statistische Erfassung sowohl in absoluten wie prozentualen Größen vorzunehmen. Vereinzelt sah Haberkorn auch im Sozialkontenbereich qualitative Berichtsfelder vor, zum Beispiel in Form eines »Erfahrungsbericht[es] über Gastarbeiter«128, der die Auflistung der sozialen Kosten dieser Mitarbeitergruppe (Ausgaben für Anwer123 Vgl. ebd., S. 19. 124 Ebd., S. 42-43. 125 Haberkorn 1965, S. 39. 126 Vgl. ebd., S. 28-55. 127 Vgl. ebd., S. 3-37. 128 Ebd., S. 55.

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bung, Reisen, Sprachkurse, Mietzuschüsse, Dolmetscher etc.) den ›Integrationsbemühungen‹ seitens der Arbeiter gegenüber stelle. Haberkorn versuchte mittels seines Sozialkontenplanes Standards für die Sozialberichterstattung festzulegen. Neben den etwa 300 Kennzahlen gibt er ausführliche Definitionen zu einzelnen Begriffen, deren Allgemeingültigkeit aus methodischer Sicht zum Teil fragwürdig erscheint. Neben Pensionierung, Krankheit, Tod und Einberufung zum Wehrdienst benennt er auch die »Kündigung in gegenseitigem Einvernehmen« oder die »Anfertigung einer Dissertation«129 als Ursachen unbeeinflussbarer Fluktuation in einem Unternehmen. Wenn auch methodische Schwierigkeiten vorlagen und der Umfang des Sozialkontenmodelles eine unmittelbare Umsetzung in die Praxis schwierig gestaltet hätten, so ist Haberkorns Katalog doch als erster Versuch zu werten, ein umfassendes auf Kennzahlen basierendes Modell zur Sozialberichterstattung zu entwickeln, das einige Züge der Entwicklungen von Sozialindikatorenkatalogen in den 1970er Jahren antizipierte. Auf eine nach außen gerichtete Sozialberichterstattung verzichtete das Modell jedoch gänzlich und beschränkte sich auf die Mitarbeiter eines Unternehmens als Adressaten. An einigen Sozialberichten war die Professionalisierung der Berichterstattung im Verlauf der frühen fünfziger Jahre bereits durchaus abzulesen, wie in jenen der Zellstofffabrik Waldhof. Das Unternehmen veröffentlichte für die Jahre 1948 bis 1955 Sozialberichte, die zu Beginn noch der von Potthoff vorgebrachten Kritik bunt bebilderter Publikationen mit launigen Texten entsprachen. Bilder von weinseligen Betriebsfeiern, dem Großvater mit seinen Enkeln beim Betrachten der Werkszeitung oder von Mitarbeitern bei der Ausübung ihrer Freizeitaktivitäten wurden in den späteren Jahren durch Momentaufnahmen ersetzt, die Arbeitssituationen zeigten. Die Bilder in den Sozialberichten nahmen ab und entrückten zunehmend der persönlichen Ebene: abgebildete Beschäftigte wurden nicht mehr namentlich genannt und durch professionelle Werksfotografen bei der Arbeit in Szene gesetzt. Die Nähe zum Leser wich dem Anspruch, Informationen über die Leistungen des Unternehmens bereit zu stellen. Statt Fotos wurden nun Infografiken und Tabellen abgedruckt, die zum Beispiel über die freiwilligen Sozialleistungen, Löhne und Gehälter, den Produktionsprozess oder die Fluktuation im Unternehmen informierten. Der Bericht für das Jahr 1954 diente der Veröffentlichung der Ergebnisse einer Betriebsumfrage zu den betrieblichen Sozialleistungen. Die Sozialberichte des Unternehmens näherten sich in dieser Entwicklung in Form und Inhalt Geschäftsberichten an und verloren den anfänglichen Werkszeitungscharakter.130 Einen ähnlichen Balanceakt vollführten die Sozialberichte der Wuppertaler Vereinigte Glanzstoff Fabriken AG, der Steinkohlenbergwerke Stinnes, von Bayer, Daimler, Hoesch 129 Ebd., S. 50, Anm. 67. 130 Zellstofffabrik Waldhof Sozialberichte 1948/50-1955.

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oder Rheinpreußen. Sie versuchten eine Sprache zwischen Werkszeitung und Geschäftsbericht zu finden, um einerseits den Beschäftigten als Lesern gerecht zu werden und als Unterhaltungsmedium zu fungieren, andererseits aber auch als ernsthaftes Informationsmedium zu gelten. Allen Berichten gemein war eine umfassende Aufstellung der Ausgaben für soziale Leistungen, die in der Darstellung Parallelen zur Gewinn- und Verlustrechnung der Geschäftsberichte aufwies. Dennoch überwogen mit Ausnahme des Stinnes-Sozialberichtes die deskriptiven Berichtsanteile, die zwar thematisch durchaus die Forderungen wissenschaftlicher Autoren erfüllten, jedoch noch wenig gemein hatten mit dem beispielsweise später von Haberkorn geforderten umfassenden Katalog.131 Die Entwicklung der Sozialberichterstattung innerhalb von Geschäftsberichten ähnelte der formalen und inhaltlichen Entwicklung gesonderter Sozialberichte: die Texte wurden durch Infografiken und Tabellen datenreicher und suggerierten zugleich eine höhere Anschaulichkeit. Die Texte erschienen – nicht überraschend im Vergleich zur Sozialberichterstattung der dreißiger und vierziger Jahre – sachlicher und glichen sich dem Sprachduktus der Lageberichte an.132 Die ersten Versuche einer Professionalisierung der Sozialberichterstattung in den fünfziger und sechziger Jahren sind im Kontext einer sich weiter professionalisierenden betrieblichen Personal- und Sozialpolitik zu sehen. Die Glanzstoff AG galt hier als eines der Vorzeigeunternehmen mit Ludwig Vaubel als treibender Kraft.133 Eingesetzt hatte diese Entwicklung bereits in den zwanziger Jahren. In den fünfziger und vor allem den sechziger Jahren änderten sich jedoch bei vielen Unternehmen die Organisationsstrukturen, und eigenständige Personal- und Sozialabteilungen wurden eingerichtet.134 Das Vorhaben, betriebliche Sozialleistungen monetär abzubilden, lässt sich vor allem damit begründen, dass die Leistungen selbst von der Nachkriegszeit zu den Wirtschaftswunderjahren zunehmend den Zweck einer materiellen Notstandshilfe und Sicherung der Grundversorgung – oftmals für die ganze Familie der Beschäftigten – verloren. Sie entwickelten sich zu einem Angebot, das seine Attraktivität durch die flexiblere Anpassung an die Bedürfnisse des einzelnen Arbeitnehmers erhielt.135 Zugleich verbreiteten sich in den 1950er Jahren amerikanische Managementansätze, die eine Optimierung der Ressourcenverteilung 131 Glanzstoff Sozialberichte 1949/50-1955; Bayer Wirtschafts- und Sozialbericht 1951; Daimler, Das gemeisterte Jahr 1954; Rheinpreußen Belegschafts- und Sozialbericht 1952, 1956, 1959; Stinnes Belegschafts- und Sozialbericht 1956; für Hoesch vgl. Ellerbrock 2000, S. 144-166. 132 Zu den ausgewerteten Geschäftsberichten und der quantitativen Entwicklung der Sozialberichterstattung vgl. Kapitel 6. 133 Vgl. Berghahn 1985, S. 252; Kleinschmidt 2002b, S. 24-27; Rosenberger 2008. 134 Vgl. Lauschke 2007, S. 92; Rosenberger 2008, S. 371-420; Trischler 1996. 135 Vgl. Bartels 2013; Engelen 2013.

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und eine mitarbeitergerechte Information über die wirtschaftlichen Entwicklungen im Unternehmen propagierten. Zu diesen Ressourcen zählten – gemäß dem amerikanischen Human-Resource (HR)-Ansatz – auch die Fähigkeiten der Beschäftigten, die es möglichst effizient zu nutzen galt.136 So wurde das Ziel in der HR-Theorie expliziert, mit möglichst geringem Aufwand Arbeitnehmer möglichst hoch zu motivieren und sie gesund und arbeitsfähig zu erhalten, also betriebliche Sozialleistungen möglichst effektiv für Effizienzgewinne einzusetzen. Diese Ideen sind jedoch nicht allein auf amerikanische Konzepte zurückzuführen, sondern weisen ebenso Bezüge zur praktizierten Personalführung in deutschen Unternehmen während der zwanziger und dreißiger Jahre auf. Die amerikanischen Ansätze wurden von den Zeitgenossen selbst als »Re-Import«137 wahrgenommen.138 Darüber hinaus spiegeln sie auch ein Verständnis von gleichermaßen verantwortungsvoller wie rationaler Unternehmensführung als Facette der sozialen, korporativen Marktwirtschaft, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik durchsetzte und deren Bedingungen wie Erfolg als eigene kapitalistische Spielart in ihrem institutionellen Rahmen einschließlich der betrieblichen Mitbestimmung begründet liegt.139 Ohne die Auseinandersetzungen um die Montanmitbestimmung und das Betriebsverfassungsgesetz ist die Ausbreitung amerikanischer Personalmanagementansätze nicht zu denken. Das Harzburger Modell antizipierte Strömungen amerikanischer Managementansätze und sprach sich für eine friedliche Sozialpartnerschaft im Betrieb aus, die den Forderungen nach Mitbestimmung die Grundlage entziehen sollte statt sie zu fördern.140 Insbesondere die offene Kommunikationspolitik nach amerikanischem Vorbild (»open-door-policy«141 ) – die allerdings zweifelsohne auch die Werkszeitschriftentradition der Vorkriegszeit fortsetzte und damit eher ein Mischprodukt dieser Einflüsse war – sollte die gewerkschaftliche Macht einschränken.142 Kleinschmidt stellt jedoch darüber hinaus fest, dass das neue Antlitz der Öffentlichkeitsarbeit seit den späten 1950er Jahren den Expansionsbestrebungen der Unternehmen geschuldet war. Der kaufkräftige US-amerikanische Markt bot den 136 Vgl. Bernet/Gugerli 2011; Bröckling 2003; Hilger 2004, S. 254-258; Kleinschmidt 2002a; ders. zu den Entwicklungen bei Glanzstoff 2002b, S. 25-26; Tanner, Jakob, »Managementkonzepte im gesellschaftlichen Wandel«, in: io New Management 76 (2007), Nr. 6, S. 8-14. 137 Kleinschmidt 2002a, S. 198. 138 Vgl. Kleinschmidt 2002a, S. 173-203; ders. 2002b; ders. 2004, S. 263-264; Rosenberger 2008. 139 Vgl. Abelshauser 2003, S. 142-162; ders. 2011, S. 480-493 u. 523-529. 140 Vgl. von Saldern 2009. 141 Kleinschmidt 2002a, S. 188. 142 Vgl. Bührer 1996, S. 101-104; Jähnichen 2008, S. 123-150; Kleinschmidt 2002a, S. 173-203; Wehler 2008, S. 67-69, 73-76.

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Exportplänen deutscher Unternehmen eine vielversprechende Perspektive. Doch ihnen mangelte es nach dem Krieg vor allem an Vertrauen in der amerikanischen Öffentlichkeit, um das sie buchstäblich werben mussten. Dies setzte zunächst überhaupt ein verändertes Verständnis von Öffentlichkeit voraus, das nicht mehr allein den Staat als Öffentlichkeit auffasste, sondern auch jeden potentiellen Investor, Verantwortlichen einer künftigen Standortkommune, Mitarbeiter oder Kunden bis hin zu Vertretern von Wissenschaft und Forschung; in erster Linie allerdings die Medien als Katalysatoren der öffentlichen Meinung. Deutsche Unternehmen entdeckten das Konzept des Unternehmensimages, dessen Wirkung sich durch Umfragen ermitteln ließ. Die Beziehungen zu dieser erweiterten Öffentlichkeit – Public Relations – mussten gepflegt werden. Diese Pflege wurde seit 1958 durch die neu gegründete Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) unterstützt, seit den sechziger Jahren auch von der Harzburger Akademie propagiert und zunehmend als eine Aufgabe der Unternehmensleitung betrachtet, was sich seit der zweiten Hälfte der Dekade in den Unternehmensorganisationen niederzuschlagen begann.143

143 Vgl. Hilger 2004, S. 259-277; Kleinschmidt 2002a, S. 204-220; von Saldern 2009, S. 318-319.

2. Reform und Krise Die politische und wirtschaftliche Situation in den 1970er Jahren

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts war seit 1973 die Geschichte einer Welt, die ihre Orientierung verloren hat und in Instabilität und Krise geschlittert ist.1 ERIC HOBSBAWM, DAS ZEITALTER DER EXTREME

Hobsbawm beschreibt mit dem Krisenjahr 1973 einen Einschnitt in der Selbstwahrnehmung vor allem der westlichen, industrialisierten Welt, die mit dem Verlust ihrer Symbole für wirtschaftliche und politische Stabilität konfrontiert wurde. Das Ende des Währungsabkommens von Bretton Woods war besiegelt, die Verlässlichkeit des schwarzen Goldes schwand mit der ersten Ölpreiskrise und unterstützte tiefgreifend den Eindruck des wirtschaftlichen Stabilitätseinbruches. Die goldenen Jahre des Booms waren vorbei, Arbeitslosigkeit wurde wieder zum Massenphänomen, staatliche Steuerungsmöglichkeiten schienen zu schwinden und die Unumkehrbarkeit dieser Entwicklung manifestierte sich endgültig mit Beginn der zweiten Ölkrise 1979.2 Die fordistisch geprägte Produktion geriet in den westlichen Industrienationen erst in die Krise und dann in den Abgrund, während der Dienstleistungssektor dort an Größe gewann und die »post-industrial society«3 ausgerufen wurde, die das Stadium der industriellen Produktion überholt zu haben schien und

1

Hobsbawm 2002, S. 503.

2

Vgl. Abelshauser 2011, S. 37, 267-269 u. 472; Doering-Manteuffel/Raphael 2008, S. 3442; Hobsbawm 2002, S. 503-537; Judt 2005, S. 453-464; Kielmansegg 2009; Milert/Tschirbs 2012, S. 496; Rödder 2009, S. 197; Schanetzky 2007, S. 35-56; Schröter 2005a, S. 388-408; W. Süß 2009; Wellhöner 1996, S. 25-27.

3

Bell 1973.

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Wissen als immateriellen Produktionsfaktor zur Existenzbedingung machte. Mit der Einführung und Verbreitung des Computers manifestierte sich der Wandel der Arbeitswelt und ihrer Anforderungen.4 Auch in der Bundesrepublik zeichnete sich ab, dass die Jahre des Wirtschaftswunders endgültig der Vergangenheit angehörten. Der Anstieg von Rohstoffpreisen und Arbeitslosigkeit fielen ebenso wie der Anwerbestopp in das von Hobsbawm exponierte Jahr 1973.5 Allerdings nimmt Hobsbawm dem Krisenjahr zugleich die Schwere einer einschneidenden Zäsur, die auch im Hinblick auf die wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklungen in Deutschland vieldiskutiert und zugleich relativiert worden ist. Betont wird in der gegenwärtigen Geschichtsforschung vor allem die ›Janusköpfigkeit‹ des Jahrzehnts der beiden Ölkrisen, zwischen Brandts Ostpolitik, sozialen Bewegungen und Schmidts Politik zum NATO-Doppelbeschluss, Anti-Kommunismus und Anti-Amerikanismus. Es wird charakterisiert als eine Phase des umfassenden Wandels auf politischer, ökonomischer und sozialer Ebene,6 dem Doering-Manteuffel und Raphael allerdings durchaus »revolutionäre Qualität«7 zuschreiben. Der ambivalente Charakter der 1970er Jahre tritt gerade deshalb so hervor, weil das Jahrzehnt von einer Phase der breiten Pluralisierung von Werten und damit von Lebenswelten geprägt war.8 Angestoßen wurde diese Entwicklung in den späten 1960er Jahren. Die konjunkturelle Krise von 1966/67 stand am Ende der »langen fünfziger Jahre«9 und erschütterte den westdeutschen Glauben an ein ewig fortgesetztes Wirtschaftswunder, das gleichermaßen politische wie wirtschaftliche Allianzen legitimiert hatte.10 Auch wenn Stabilitätsgesetz, subventionierte, interventionistische Technologiepolitik und konzertierte Aktion zunächst staatlich kontrollierte Planungssicherheit suggerierten, zeichnete sich ein Ende der Euphorie ab. Die konzertierte Aktion als Versuch der Harmonisierung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen scheiterte schließlich endgültig an den Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung. Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften wuchsen, sie repräsentierten jedoch zunehmend nur noch jene, deren Arbeitsplätze zu verschwinden drohten. Die Anzahl wilder Streiks und die Zahl der Aussperrungen nahmen im Vergleich zu den fünfziger und sechziger Jahren exponentiell zu. Das Ende des goldenen Zeitalters galt nicht minder für 4

Vgl. Abelshauser 2003, S. 137-141; ders. 2011, S. 385; Bernet/Gugerli 2011, S. 444; Borstelmann 2012, S. 140; Wellhöner 1996, S. 21-67.

5

Vgl. Schanetzky 2007, S. 35-56.

6

Vgl. Andresen et al. 2011, S. 11-18; Doering-Manteuffel 2007, S. 559-562; Faulenbach 2011, S. 767; Gassert 2011; Loth 2011; Reitmayer/Rosenberger 2008, S. 9-18; Varsori 2011.

7

Doering-Manteuffel/Raphael 2008, S. 11.

8

Schanetzky 2007, S. 53.

9

Abelshauser 1987.

10 Vgl. Abelshauser 2011, S. 302-303; ders. 1987, S. 75; Schanetzky 2007, S. 30.

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die Gewerkschaften, die erkennen mussten, dass die Rationalisierungen der vorangegangenen Jahrzehnte nicht nur Arbeitserleichterungen, Fortschritt und Wachstum gebracht, sondern auch Gesundheit und Arbeitsplätze gefährdet hatten.11 Der Wandel wurde von politischen Ereignissen eingeleitet und begleitet, die die Ambivalenz der 1970er Jahre vorwegnahmen und je nach politischer Überzeugung kritisch oder enthusiastisch gesehen wurden. Die Protestbewegung, die im vermeintlichen Revolutionsjahr 1968 kulminierte,12 stellte die wirtschaftspolitische und bürgerliche Ordnung in Frage: vor allem, weil sie öffentlichkeitswirksamer agierte als der sozialkritische Elitendiskurs der frühen 1960 Jahre. Die auf Öffnung und Demokratisierung zielenden Reformen der Universitäten unterstützten diese Entwicklung und brachten immer mehr akademisch ausgebildete, junge Arbeitskräfte und eine – nicht von allen erwünschte – erstarkende, breiter aufgestellte und verjüngte Linke hervor.13 Der Amtsantritt Willy Brandts als Kanzler läutete das »rote«, »sozialdemokratische Jahrzehnt«14 ein und versprach die Welle der Reformeuphorie in die neue Dekade zu tragen. Humanisierung, Egalisierung und Emanzipation, Liberalisierung und Partizipation waren die von Brandt formulierten Ziele für eine demokratische Gesellschaft, die ideell und juristisch durch soziale, geschlechtliche bis hin zur räumlichen15 Gleichstellung und finanziell durch erhöhte Sozialausgaben erreicht werden sollten.16 Mithin zeichneten sich durch Gesetzesinitiativen zur sozialen Inklusion allmählich die Konturen jener sozialen Ordnung ab, die heute unter dem Begriff der Zivilgesellschaftlichkeit gefasst wird.17 Die Existenzsicherung durch den Sozialstaat steigerte zugleich die Möglichkeiten der Partizipation am Konsum von Luxus- und Freizeitgütern, dessen Umfang sich seit den 1950er Jahren 11 Vgl. Bähr 1995; Berghahn 1985, S. 311; Hachtmann 2011; Milert/Tschirbs 2012, S. 486; Nützenadel 2005, S. 307-343; Priemel 2009, S. 107; Rehling 2011; Schanetzky 2007, S. 35-56; Schroeder 2004; Seifen 2009, S. 193; Testorf 2011. 12 Vgl. Hodenberg/Siegfried 2006, S.12. 13 Hinter dem ideellen Anspruch der Bildungsoffensive stand jedoch zugleich ein wirtschaftlicher zur Sicherung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie durch hochqualifizierte Arbeitnehmer in Bereichen wissensbasierter Produktion und Dienstleistungen. Vgl. Etzemüller 2005, S. 131-145; Doering-Manteuffel/Raphael 2008, S. 104-105; Jarausch 2004, S. 204-238; Jessen 2010, S. 269-273; Seefried 2010, S. 86. 14 Koenen 2007; Faulenbach 2011. 15 Hier ist zum einen die in Brandts Regierungserklärung verkündete Nivellierung des Bildungsgefälles zwischen ländlichen und städtischen Regionen und zum anderen die Förderung des sozialen Wohnungsbaus gemeint. 16 Vgl. Regierungserklärung Brandts vom 28.10.1969 (in: Beyme: 1979, S. 251-281); Faulenbach 2011, S. 181-200; Hockerts 2011, S. 181-201; Nolte 2006, S. 27-46; Schmidt 2009. 17 Vgl. Gosewinkel 2010; M. Schäfer 2014.

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in der Bundesrepublik und im nordwestlichen Europa kontinuierlich ausgedehnt hatte. Begleitet wurde diese Entwicklung aber auch von kritischen Stimmen zum verschwenderischen Konsum sowie von einer allmählichen Institutionalisierung und staatlichen Regulierung des Verbraucherschutzes.18 Die Säkularisierung und der bis dahin nur von wenigen erschütterte Glaube an die Segnungen technischen Fortschritts unterstützten die Tendenz zur gesellschaftlichen Modernisierung.19 Die Verbesserung der Lebensqualität auf breiter Basis wurde zum Kernziel der Bestrebungen und orientierte sich an der U.S.amerikanischen Quality of Life-Debatte.20 Die 1971 von der Regierung eingesetzte Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel sollte die gesellschaftlichen Veränderungen analysieren und die Reformpläne wissenschaftlich stützen. 21 Die Reformstrategie erstreckte sich auch auf die Bereiche des Natur- und Umweltschutzes.22 Die kritische Sicht auf die Folgen von Technisierung und wirtschaftlichem, auf industrieller Produktion basierendem Wachstum verbreitete sich durch die seit den 1960er Jahren lauter gewordene Umweltbewegung, die 1972 auf dem ersten Umweltgipfel der Vereinten Nationen in Stockholm ein internationales und institutionelles Forum bekam. Zwar bündelte das 1971 beschlossene Umweltprogramm der Bundesregierung in Bezug auf den Immissionsschutz zum Teil nur bereits bestehende Regelungen, aber selbst diese »symbolische Politik«23 räumte der Umweltpolitik öffentlich einen erheblichen höheren Stellenwert als frühere Regierungen ein. Bereits im Europäischen Naturschutzjahr 1970 beschloss die sozialliberale Koalition ein Sofortprogramm zum Umweltschutz, 1974 richtete sie das Bundesumweltamt ein, setzte europäische Richtlinien um und erließ im Verlauf der siebziger Jahre zahlreiche Gesetze zum Umweltschutz.24 18 Vgl. Kaelble 1997; Kleinschmidt 2008, S. 152-62; ders. 2006, hier S. 25: 1975 beispielsweise entschied der Bundesgerichtshof gegen das Interesse der Industrie über die Rechtmäßigkeit der Stiftung Warentest. 19 Vgl. Gabriel 2009; Rödder 2004; zum Modernisierungsbegriff Schulz 1996, S. 106-109. 20 Vgl. Faulenbach 2011, S. 225; s. a. Kapitel 3.1. 21 Vgl. Hockerts 2011, S. 195; Schanetzky 2006, S. 171ff; Kapitel 3.2.2. 22 Der Begriff des Umweltschutzes wurde direkt aus dem Englischen übersetzt und fand erstmals 1969 durch die Umbenennung und Reorganisation der Abteilung Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (Bundesgesundheitsministerium) in Abteilung Umweltschutz (Bundesministerium des Innern) Eingang in den deutschen Sprachgebrauch. Vgl. Huff 2015, S. 170-171; Uekötter 2011, S. 91-92. 23 Uekötter 2003, S. 483; s. a. Radkau 2000, S. 306-313. 24 Vgl. Uekötter 2003, S. 25-26 u. 485; ders. 2011, S. 92: u. a. das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm und das Benzinbleigesetz 1971, das Abfallbeseitigungsgesetz und das DDTGesetz 1972, das Bundesimmissionsschutzgesetz 1974 sowie das Bundeswaldgesetz und das Bundesnaturschutzgesetz 1976.

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Die skizzierten Umbrüche schufen das Fundament für die zweite Frauenbewegung, die das Ende des ›goldenen Zeitalters der Ehe‹ begründete, tradierte Rollenmuster aufbrach und einer sozialen, ökonomischen und rechtlichen Selbstbestimmung den Weg ebnen sollte.25 Schon Anfang der 1960er Jahre hatten die weiblichen Arbeitskräfte den Arbeitsmarkt allmählich für sich wiederentdeckt, nachdem erst die nationalsozialistische Ideologie und in den fünfziger Jahren die christlichkonservative Geisteshaltung die Hausfrauen- und Mutterrolle in den Vordergrund gestellt hatten. Die SPD wollte Frauen ermutigen, Teilzeitarbeit aufzunehmen und sich eine gute Ausbildung zunutze zu machen. Frauen wurden damit auch zu einer neuen Klientel für die Gewerkschaften.26 Insgesamt verringerte sich zwar die Zahl der berufstätigen Frauen von 9,854 Millionen (1960) auf 9,547 Millionen (1971), allerdings war in diesem Zeitraum der Anteil jener Frauen, die in Teilzeitarbeit in Familienbetrieben halfen, um die Hälfte zurückgegangen (von 6,37 vH 1960 auf 3,19 vH 1971), während der Anteil der abhängig, in Teilzeit beschäftigten Frauen von 7,1 vH auf 19,3 vH gestiegen war.27 1972 stieg die Zahl der weiblichen Angestellten erstmals dauerhaft über die der männlichen Angestellten, 1979 lag der Anteil der berufstätigen Frauen mit 37,4 vH in der Gruppe aller Berufstätigen etwa wieder auf dem Niveau von 1960 (37,8 vH), allerdings war der Anteil der Angestellten unter allen weiblichen Berufstätigen von 30,1 vH auf 51 vH gestiegen. Der Anteil der Arbeiterinnen war lediglich von 39,4 vH auf 31,6 vH gesunken. Erheblich reduziert hatte sich vor allem der Anteil der Frauen, die als mithelfende Angehörige in keinem regulären, von der Familie unabhängigen Arbeitsverhältnis standen.28 Im Verlauf der 1970er Jahre hatte sich die Position der erwerbstätigen Frauen in regulären Arbeitsverhältnissen also erheblich gefestigt und sie gehörten damit nicht unbedingt zu den Verlierern der Arbeitsmarktentwicklungen in den 1970er Jahren, auch wenn erst die Reform des Eherechts 1976 eine selbstbestimmte Berufsausübung ermöglichte und es weiterhin Tendenzen gab, Mütter aufgrund der krisenhaften Arbeitsmarktentwicklung durch fehlende Kinderbetreuungsangebote und konservative Wertvorstellungen nach wie vor vom Arbeitsmarkt zu drängen.29 Der Rückgang der Geburtenquote durch weibliche Erwerbstätigkeit, ein verändertes Familienbild und den ›Pillenknick‹ seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre evozierte gemeinsam mit der zunehmden Zahl an Rentenbeziehern eine Debatte um die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik und die Leistungsfähigkeit des

25 Vgl. Biermann 2009; Silies 2011. 26 Vgl. Oertzen 1999, S. 99-112. 27 Oertzen 1999, S. 229. 28 URL: Statistisches Bundesamt: Erwerbstätige in Deutschland nach Geschlecht und Stellung im Beruf, 1957-2011. 29 Vgl. Faulenbach 2011, S. 212; Mattes 2011; Neumaier 2014.

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Rentensystems.30 Lagen der Rentenreform von 1972 noch optimistische Annahmen über die Entwicklung des Arbeitsmarktes und der demographischen Struktur der Bevölkerung zugrunde, so fielen die Vorhersagen für die Leistungsfähigkeit des Rentensystems ab Mitte der siebziger Jahre zunehmend unerfreulicher aus.31 Ebenso von den Reformbestrebungen beeinflusst wurde die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung, die seit den sechziger Jahren durch Elterninitiativen und in den siebziger Jahren durch Betroffenengruppen und Expertengremien stärker in den politischen Fokus geraten waren. 1974 wurde unter anderem das Schwerbeschädigtengesetz reformiert und galt nun nicht mehr allein für Kriegsbeschädigte. 1976 initiierte die Regierung ein Förderprogramm zur Integration von Arbeitnehmern mit Behinderung durch die Subventionierung von Arbeitsplätzen, die sich allerdings spätestens in den achtziger Jahren als erheblich stärker konjunkturabhängig erwiesen als reguläre Arbeitsplätze.32 Insgesamt war die Phase der späten sechziger und frühen siebziger Jahre geprägt von der grundlegenden Verschiebung sozialer Werte, wie Tim Schanetzky feststellt: »Nun war Selbstständigkeit gefragt statt Gehorsam, Mitbestimmung statt Unterordnung, Kritik statt Disziplin, und der selbstbestimmte, eigene freie Wille oder die individuelle Autonomie wurden zu neuen Werten.«33 Mitbestimmung wurde auch auf betrieblicher Ebene zum Ausdruck der Reformbestrebungen. Das Betriebsverfassungsgesetz und die Debatte um paritätische Mitbestimmung versprachen, den Einfluss der Interessenvertretung für die Beschäftigten in den Unternehmen zu vergrößern.34 Soziale Unterschiede im Unternehmen sollten nivelliert werden. Die Arbeitserleichterung durch zunehmend technologie- und wissensbasierte Arbeit läutete den endgültigen »Abschied vom Malocher«35 ein, wohingegen die Nachfrage nach akademisch ausgebildetem Personal stieg.36 Dies bedeutete allerdings zugleich eine Freisetzung von Arbeitskräften, die nicht dem neuen Anforderungsprofil einer qualifizierten Arbeitskraft entsprachen.37 Mit dem wirtschaftlichen Einbruch der ersten Ölkrise 1973/74 verschärfte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen gefährdeten die Pläne und schon umgesetzten Maßnahmen zur »Neugestaltung der Gesellschaft«38 erheblich. 30 Vgl. Rödder 2009, S. 189-190; Wehler 2008, S. 37-40. 31 Vgl. Hockerts 2011, S. 294-305. 32 Vgl. Rudloff 2009 u. ders. 2010. 33 Schanetzky 2007, S. 53. 34 Vgl. Milert/Tschirbs 2012, S. 481-492. 35 Hindrichs/Jürgenhake et al. 2000. Dieser Prozess hatte freilich schon in den 1950er Jahren eingesetzt und differiert branchenabhängig. Vgl. Nolte 2000, S. 351-371. 36 Vgl. W. Plumpe/Reuber 2010, S. 155-156. 37 Vgl. Abelshauser 2011, S. 470-474; Ambrosius 2009; P. Miller/Rose 1995, S. 444. 38 Faulenbach 2011, S. 767.

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Das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik ging zurück und die Inflation hielt an, während gleichzeitig die strukturell bedingte Arbeitslosigkeit und die Staatsausgaben stiegen. In Zeiten der Stagflation herrschte »ökologische Katerstimmung«39 und einer umweltorientierten Verkehrspolitik stand beispielsweise die kriselnde Autoindustrie gegenüber. Noch ein Jahr zuvor hatte der Club of Rome mit einer düsteren Prognose auf die Gefahren ungehemmten Wirtschaftswachstums und dessen Auswirkungen auf Umwelt und Lebensbedingungen hingewiesen.40 Zwar offenbarte auch die Ölpreiskrise die Folgen der Abhängigkeit von der endlichen und in Europa raren Ressource Öl, Konjunkturmaßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft wurde jedoch ein höherer Stellenwert beigemessen als dem Umweltschutz mit abstrakteren Zielen.41 Die krisengeschüttelte Regierungszeit Schmidts war geprägt von dem Bestreben nach wirtschaftlicher Konsolidierung und innen- wie außenpolitischer Sicherheit. Planungsdenken und Reformeuphorie, denen Schmidt schon zuvor skeptisch gegenüber gestanden hatte, wurden keine bestimmenden Rollen mehr gestattet.42 Radikalität und Gewaltbereitschaft der Roten Armee Fraktion (RAF) hatten im Verlauf des Jahrzehnts zugenommen und kulminierten im ›Deutschen Herbst‹ 1977. Konservative wie Franz-Josef Strauß nutzten die erhitzte Stimmung, um den RAFTerror prinzipiell mit linken Überzeugungen und reformpolitischen Ideen undifferenziert gleichzusetzen.43 Unter Federführung von Schmidt und Giscard d’Estaing sollten die globalen wirtschaftlichen Probleme zum Gegenstand der G7-Gipfel werden, die im November 1975 ihren Anfang nahmen.44 Viele der Protestbewegungen, die sich in den späten sechziger Jahren entwickelt hatten, wuchsen weiter oder neue gründeten sich. Die wirtschaftliche und politische Situation in der ›Dritten Welt‹ rückte in den späten siebziger Jahren stärker in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit, nicht zuletzt resultierend aus der Erkenntnis globalwirtschaftlicher Zusammenhänge, die beispielsweise beide Ölkrisen zutage gefördert hatten. Die Anti-Atomkraft-Bewegung fand in den 1970er Jahren eine breitere Anhängerschaft und war emblematisch für ein neues bürgerliches Selbst-

39 Klenke 1994, S. 189. 40 Vgl. Meadows 1972. 41 Vgl. Seefried 2015; Uekötter 2011, S. 100. 42 Vgl. Faulenbach 2011, S. 190; Hockerts 2011, S. 197. 43 Vgl. Balz 2008; Ellwein 1989, S. 21-29; Faulenbach 2011, S. 615-630; Judt 2005, S. 470471; Weinhauer 2004. 44 Vgl. Abelshauser 2011, S. 436-437; Faulenbach 2011, S. 498.

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verständnis, das sich später in der Friedensbewegung fortsetzen und der Gründung der Grünen den Weg bereiten sollte.45 Auf wirtschaftlicher Ebene erleichterte die Ölpreiskrise die Rechtfertigung mancher Maßnahme, die nicht zwangsläufig in Verbindung mit ihr stand, aber helfen sollte, das Bewusstsein für die Probleme der Beschäftigungskrise nach außen zu demonstrieren. So wurde im November 1973 der Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte erlassen und unter anderem von Arbeitsminister Walter Arendt in den Kontext der Krise gestellt.46 Doch schon im Januar 1973 war der Versuch unternommen worden, die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte nicht weiter wachsen zu lassen, indem die Vermittlungsgebühr für Arbeitnehmer, die nicht aus EG-Ländern stammten, von 300,- DM auf 1000,- DM angehoben worden war.47 Die möglichen Folgen der zwei Jahrzehnte andauernden Anwerbung von ›Gastarbeitern‹ – ohne Beachtung der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen für die Angeworbenen, die Bundesrepublik wie für die Entsendeländer – waren jahrelang ignoriert, im Zuge der Rezession von 1966/67 aber vermehrt öffentlich diskutiert worden. Hier standen allerdings vor allem die wirtschaftlichen Folgen für die BRD im Mittelpunkt des Interesses. Nachdem sich die Rezession jedoch abschwächte, flaute auch die Diskussion um eine Begrenzung der Zahl ausländischer Beschäftigter ab. Im Gegenteil wurde die Beschäftigung von überwiegend jungen Arbeitnehmern ohne soziale Bindungen sogar als vorteilhafter »Konjunkturpuffer«48 betrachtet. Aufgrund ihrer Mobilität könnten sie je nach Konjunkturlage dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht würden und zurückwandern, wenn sich die Beschäftigungslage verschlechtert. Gleichzeitig wurde vorausgesetzt, dass sie kaum soziale Kosten verursachten, wie etwa für Schulbesuche oder durch Krankheit. Die größten Investitionskosten lagen im Bereich der Bereitstellung von Wohnraum, und selbst hier wurde das Sparpotential in erheblichem Maße ausgeschöpft. Diese zynische Rechnung stellte sich als fehlerhaft heraus, als zu Beginn der 1970er Jahre zunehmend deutlich wurde, dass die Fluktuation der ausländischen Arbeitnehmer zwar groß war, sie aber auch Familien in der Bundesrepublik gründeten oder Familienmitglieder nachzogen und die Bereitschaft zur Rückwanderung nachließ. Damit rückte die jahrelang missachtete Frage der sozialen Integration ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien durch die damit verbundenen Probleme in den Vordergrund: von

45 Vgl. Altenburg 2010, S. 51-57; Dworog/Mende 2009; Engels 2006, S. 344-350; Faulenbach 2011, S. 588; Gassert 2011, S. 179-182; Radkau 2000, S. 302; Richter 2011; Uekötter 2011, S. 97-8. 46 Vgl. Hunn 2005, S. 328. 47 Vgl. Herbert 1986, S. 219. 48 Herbert 1986, S. 207.

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knappem Wohnraum über langfristig schlechte Bildungs- und Arbeitsmarktchancen bis hin zur generellen sozialen und politischen Diskriminierung.49 Belastungen am Arbeitsplatz und das Aktionsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens Für jene, die einen Arbeitsplatz innehatten, versprachen die siebziger Jahre durchaus Verbesserungen. International wurde die Quality of Life und die damit verbundene Zufriedenheit am und mit dem Arbeitsplatz als Voraussetzung für Produktivität und Betriebsfrieden von Wissenschaftlern und Politikern diskutiert. Norwegen veranlasste Mitte der 1960er Jahre Programme zu einer humaneren Arbeitsplatzgestaltung, die zu Vorbildern für zahlreiche Programme in Westeuropa wurden.50 In der Bundesrepublik bereiteten das Maschinenschutzgesetz (1968), das Betriebsverfassungsgesetz (1972) und das Arbeitssicherheitsgesetz (1973) den Boden für das von der Bundesregierung initiierte Programm ›Humanisierung des Arbeitslebens‹ (HdA). Das HdA-Programm nahm die Debatte um die Verbesserung der Lebensqualität auf und hatte zum Ziel, die Arbeitsbedingungen insbesondere in der produzierenden Industrie unter physiologischen, aber auch psychologischen Gesichtspunkten zu verbessern. 1976 ergänzte die Arbeitsstättenverordnung die bereits bestehenden Regelungen um eine gesetzliche Grundlage zur sicheren und weniger gesundheitsgefährdenden räumlichen Gestaltung von Betrieben. Der im Mai 1974 ernannte Minister für Forschung und Technologie, Hans Matthöfer, stattete das Programm während seiner Amtszeit zwischen 1974 und 1978 mit beachtlichen finanziellen Mitteln aus. Sie ermöglichten die Finanzierung von Forschungsprojekten in den Bereichen Arbeits- und Unfallschutz, Ergonomie, Aus- und Weiterbildung, Arbeitsabläufe, Führung, Motivation und Autonomie oder Grenz- und Richtwerte für Lärm und Chemikalien. Unter der Ägide des »Humanisierungsministers« Matthöfer sollten Wissenschaftler, Regierungs-, Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter, Betriebsräte und Beschäftigte gemeinsam Konzepte zur humaneren Gestaltung der Arbeitswelt entwickeln, wenn auch den beiden letzteren Gruppen der geringste Einfluss zukam und die gewerkschaftliche Seite dem Programm zunächst kritisch begegnete.51 49 Vgl. Herbert 1986, S. 205-236; Hunn 2005, S. 277-327. 50 Vgl. P. Miller/Rose 1995, S. 439-453. 51 Vgl. BArch B 196/51604; Abelshauser 2009, S. 288-297; Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partnerschaft in der Wirtschaft 1975; Bächi 2012; Condrau 2004; Hockerts 2011, S. 184-201; Kissler/Sattel 1982; Kleinöder 2015; Kleinschmidt 2002a, S. 200-202; Matthöfer 1977; Seibring 2011, S. 107-113; Heinz Oskar Vetter verdeutlichte seinen Standpunkt zum Humanisierungsprogramm auf dem SPD-Parteitag in Mannheim im November 1975, in dem er darlegte, dass der DGB Humanität vor allem durch Beschäftigungssicherheit und Partizipation gesichert sehe: »Die Humanisierung der Arbeitswelt,

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Die politische, wissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit der Verbesserung von Arbeitsbedingungen unter den Aspekten job enrichment, job enlargement und job rotation war ein weiterer Eckstein der sozialdemokratischen Reformbestrebungen und grenzte sich im Verständnis der Zeitgenossen von der Tradition des Social Engineering vorangegangener Dekaden deutlich ab.52 Während beispielsweise die industrielle Psychotechnik in den 1920er Jahren zum Ziel hatte, die menschliche Arbeitskraft gezielt anhand definierter Normen auszuwählen und durch diese Auswahl an die gegebenen maschinellen Arbeitsbedingungen anzupassen, um die Effizienz ihrer Leistung zu steigern,53 war es das Ziel der Humanisierung des Arbeitslebens, die Maschinenwelt sehr viel stärker an den arbeitenden Menschen anzupassen. Hier zeigte sich ein grundlegend anderer Blick auf den Arbeiter, der nicht mehr nur als zu motivierender Bedürfnisträger, sondern als Individuum verstanden werden sollte, das Qualifizierung, Mitsprache und Autonomie forderte, selbstregulativ handelte und dessen physische und soziale Umwelt daran angepasst werden sollte.54 Technik müsse nicht zwangsläufig »menschenfeindlich«55 sein, stellte Matthöfer heraus und hob die Bedeutung politischer Steuerung für eine menschengerechte Technologieentwicklung hervor. Dies müsse auch im Interesse der Arbeitgeber liegen: »Wer glaubt, seine Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten auf Dauer sichern zu können, indem er sich um den Preis menschenwidriger Arbeitsbedingungen Kostenvorteile zu sichern sucht, wird keine dauerhaften Erfolge ernten können.«56 Menschenwürdige Arbeitsbedingungen wirkten sich durch die Verringerung von Arbeitsunfällen, Fehlzeiten, Fluktuation, Streikbereitschaft und allgemeiner Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen langfristig kostensenkend auf betrieblicher und volkswirtschaftlicher Ebene aus.57 Insbesondere die psychophysischen die wir fordern, setzt die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit für jeden einzelnen und die Demokratisierung der Wirtschaft für alle voraus.«, AdsD 5/DGCS 000009: Rede Vetters am 11.11.1975, S. 1. 52 Vgl. Matthöfer 1977, S. 133-137; Wachtler 1979. 53 Vgl. P. Miller/Rose 1995, S. 431; Patzel-Mattern 2010, S. 99; Einleitung dieser Arbeit. Das 1921 gegründete Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (RKW) betonte allerdings durchaus den hohen Stellenwert von Gesundheit und Arbeitszufriedenheit, die nicht »in Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit« (S. 298) von Unternehmen stehen müssten. Es sei Aufgabe des Staates, eine Ausbeutung der Arbeitskräfte zugunsten wirtschaftlicher Ziele zu unterbinden, wenn Leben und Gesundheit durch die Arbeit gefährdet würden; vgl. Reichskuratorium 1931, S. 296-298; Radkau 2008, S. 286. 54 Vgl. Luks 2010, S. 276; P. Miller/Rose 1995, S. 439-445. 55 Matthöfer 1976, S. 20. 56 Ebd., S. 162. 57 Vgl. Matthöfer 1976, S. 160-164; ders. 1977, S. 9-71.

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Belastungen der Arbeitswelt gerieten nun in den Fokus der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Arbeitswelt. Stress entwickelte sich Mitte der 1970er Jahre zum Vehikel für die Debatte um Arbeitsbedingungen und zum populären Diskussionsgegenstand in Wissenschaft, Medien und Politik. Im medialen Diskurs zur Volkskrankheit avancierend, wurde Stress als Folge von Umwelteinflüssen zum Inbegriff von Zivilisationskritik. Die Diskussion reflektierte den Leistungsbegriff nach den Boomjahren des Wiederaufbaus, und Stress wurde als Konzept dem Begriff der Lebensqualität diametral gegenübergestellt. Zugleich spiegelte die Vorstellung, Stress sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, auch die Demokratisierungstendenzen der siebziger Jahre. Galt Überlastung in den fünfziger Jahren noch als Problem der Verantwortungsträger in Wirtschaft und Politik, so konnten zwei Dekaden später auch Arbeiter durch körperliche Belastungen wie Lärm und Monotonie oder durch von starren hierarchischen Strukturen hervorgerufenen psychischen Druck überlastet sein. Experten aus Psychologie und Medizin forderten, das Phänomen Stress in der Gestaltung von Arbeitsplatz und -beziehungen zu berücksichtigen.58 Der allgemeine Wunsch nach mehr Lebensqualität sei keine Forderung, die daraus erwachse, dass der materielle Wohlstand aller bereits gesichert sei, und dürfe, so stellte Matthöfer klar, »an den Fabriktoren nicht haltmachen«59. Lebensqualität eigne sich als Indikator für die Qualität wirtschaftlichen Wachstums und sichere dessen Zukunft: Das Wachstum des in monetären Einheiten ausgedrückten Bruttosozialprodukts ist kein ausreichender Maßstab für wirklichen Fortschritt. Lebenschancen in der Bildung und im Arbeitsleben, Gesundheit, Erholungsmöglichkeiten und der Wert der Freizeit wachsen nicht notwendigerweise mit steigenden Umsätzen. Auch wenn es noch keine wirklich befriedigenden Versuche gibt, die Qualität von Bildung, Gesundheit, Wohnung, Arbeit, Umwelt oder Freizeit in

58 Vgl. Kury 2012, S. 109-175 u. 223-265; Radkau 1998, S. 446. Der Stressbegriff changierte seit den 1970er Jahren zwischen individueller und sozialer Ebene: einerseits wurde Stress als verbreitetes Phänomen mit einer großen Zahl von Betroffenen gesehen, andererseits sollte das Individuum vor allem selbstverantwortlich Vorsorge betreiben, um Stress zu reduzieren oder zu vermeiden. Letzteres Verständnis setzte sich zunehmend seit den 1980er Jahren durch und kann als Ausdruck liberaler Gesellschaftskonzeptionen begriffen werden, die der Körpermetapher zur Beschreibung gesellschaftlicher Zustände eher ablehnend gegenüberstanden; vgl. Kury 2012, S. 264. Zum Zusammenhang zwischen sozialreformatorischen Gesellschaftsutopien und der Körpermetapher vgl. Tanner 1998. 59 Matthöfer 1977, S. 11.

78 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN quantitativen Indikatoren auszudrücken, so wird künftiges wirtschaftliches Wachstum doch danach zu beurteilen sein, ob es auf diesen Gebieten Fortschritte ermöglicht.60

Die Aufgabe der Entwicklung geeigneter Sozialindikatoren zur qualitativen Messung des Fortschritts liege bei den Sozialwissenschaften, deren Wert für die politische Planung und Ansätze zur Lösung sozialer Probleme häufig unterschätzt würde. Matthöfer setzte sich für eine Stärkung der anwendungsorientierten Sozialwissenschaften im Zuge des Aktionsprogrammes ein. Natur- und Ingenieurswissenschaften seien bereits stark vertreten in der Humanisierungsforschung, Psychologie und Betriebssoziologie dagegen deutlich geringer. So wurde auch das 1969 gegründete Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) mit verschiedenen Forschungsschwerpunkten verstärkt gefördert. Darunter waren das von Meinolf Dierkes geleitete Internationale Institut für Umwelt und Gesellschaft sowie die Schwerpunkte Verbraucherforschung und Forschung zu bürgernaher Infrastrukturplanung.61

60 Matthöfer 1976, S. 13. 61 Vgl. Matthöfer 1976, S. 235-242; ders. 1977, S. 174-180.

3. Quantifizierte Lebensqualität Konzepte der Sozialberichterstattung in den 1970er Jahren

The market is an expression of public preference and desire. The firm responds to the market. The firm is thus under public control and the public cannot be in conflict with itself.1 JOHN KENNETH GALBRAITH, 1973

3.1 U NTER DEM D RUCK DER Ö FFENTLICHKEIT : S OCIAL A CCOUNTING IN DEN USA Mit dieser einfachen, logisch bestechenden Formel begründete Galbraith das unternehmerische Gebot, Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit abzulegen. Je größer ein Unternehmen sei, desto öffentlicher werde es, weil es mit dem Zuwachs an Größe auch an Macht gewinne, nicht nur durch seinen Einfluss auf Preise, Rohstoffangebote, die Umwelt und Konsumenten, sondern zunehmend auch auf die Regierung. Die neoklassischen Annahmen einer strikten Trennung von wirtschaftlichem und politischem Handeln seien deshalb nicht einfach nur wissenschaftlich operable Modelle, sondern Glaubenslehren.2 Der Institutionalist Galbraith vertrat damit eine Position, die sich spätestens seit dem Ende der 1960er Jahre in den USA verbreitet hatte und öffentlich sichtbar geworden war. Die Skepsis gegenüber dem Einfluss von multinational agierenden Unternehmen trat der Forderung nach verantwortlichem Handeln zur Seite und der radikale Ruf der No Gmrowth-Bewegung nach einer Neuausrichtung des Wirtschaftens gelangte in die Öffentlichkeit.3 Die Verantwortung des Unternehmens solle nicht nur darin liegen, Gewinne zu mehren, wie es Milton Friedman 1970 in seinem 1

Galbraith 1973, S. 4.

2

Vgl. ebd., S. 3-9.

3

Vgl. Olson et al. 1975; Oliveiro 2010.

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vielzitierten Artikel4 formuliert hatte, sondern sich auf jeden denkbaren Bereich der Unternehmenssphäre ausdehnen: »The cry uttered by all, corporate insiders and outsiders, is ›corporate social responsibility‹. The cry is the same whatever the issue: war, environmental destruction, urban decay, racial and sexual discrimination, consumer protection, better education, mass transit, and humanized technology.«5 Als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der US-amerikanischen Protestbewegungen6 forderte Ralph Nader mehr Transparenz über unternehmerische Aktivitäten in den Bereichen Gesundheits- und Verbraucherschutz, da sie massiven Einfluss auf alle Bereiche des Lebens hätten.7 Um die fragile Idee unternehmerischer Verantwortung und die damit einhergehende – teils implizite, teils explizite – Forderung nach institutionalisierter Rechenschaftslegung im Unternehmen in operabler Form implementieren zu können, entwickelten sich im wissenschaftlichen Raum Konzepte zu einer sozialbezogenen Rechenschaftslegung, die Informationen über die Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf Gesellschaft und Umwelt liefern sollte. Das Interesse der Unternehmen an einem Instrument, das geeignet schien, verantwortungsbewusstes Handeln im Sinne der Anspruchsgruppen eines Unternehmens demonstrieren zu können, lässt sich mehrdimensional begründen: Unternehmen wollten ihr Ansehen in der Öffentlichkeit pflegen, Regulierungsmaßnahmen durch die Regierung vermeiden und Beziehungen zu ihren Anspruchsgruppen langfristig erhalten.8 Die theoretischen Konzepte wurden auf der einen Seite stark von der Profession der Wirtschaftsprüfer und Bilanzierungsexperten dominiert, auf der anderen Seite zeigte sich die in den 1960er Jahren aufblühende Sozialindikatorenforschung zur Evaluierung sozialen Wandels auf volkswirtschaftlicher Ebene einflussreich für die Sozialbilanzforschung auf der Unternehmensebene. Im Folgenden werden deshalb zunächst die grundlegenden Entwicklungen in der USamerikanischen Sozialindikatorenforschung dargestellt – die sich anfangs vorwiegend mit Regierungsprogrammen beschäftigte – bevor die prominentesten theoretischen Ansätze und praktischen Umsetzungen von Sozialbilanzen in den USA skizziert werden, die auch in Deutschland rezipiert wurden.9

4

Friedman, Milton, »The Social Responsibility of Business is to Increase Its Profits«, in: The New York Times Magazine (14.09.1970).

5

Henning 1973, S. 151.

6

Vgl. D. Meyer/Rohlinger 2012; Radkau 2011, S. 172.

7

Vgl. Nader 1973; Kleinschmidt 2006, S. 22.

8

Vgl. Bauer/Fenn 1972, S. 3-14; Burson 1974; Davis 1973, S. 313-317; Harris 1974.

9

Vgl. Dierkes 1974; Epstein 2003; Fischer-Winkelmann 1980, S. 107-108; Gray et al. 1987; Hess 2001, S. 311; Jaggi 1980; Mook 2007, S. 22-27; Robertson 1978; Ziehm 1974.

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3.1.1 Von der Sozialindikatorenforschung zum Corporate Social Accounting Der Senator und spätere Vizepräsident der USA, Walter F. Mondale,10 brachte 1967 einen Gesetzesvorschlag unter dem Titel »The Full Opportunity and Social Accounting Act«11 in den US-amerikanischen Kongress ein. Mondale schlug die Einrichtung eines sozialwissenschaftlichen Beratergremiums in Analogie zum Wirtschaftsrat vor. Das Gremium solle einen jährlichen Sozialbericht erstellen, in dem soziale Entwicklungen und die Ausgaben für Regierungsprogramme sowie deren sozialer Erfolg dokumentiert würden. Er forderte, dass der Präsident gegenüber dem Kongress und der Öffentlichkeit Rechenschaft über staatliche Ausgaben ablegen und die Effizienz dieser Ausgaben evaluiert werden möge. Nachdem der Vorschlag abgelehnt wurde, unternahm Mondale weitere Versuche, seine Idee eines sozialwissenschaftlichen Rates durchzusetzen.12 Dem Senator lag insbesondere daran, dass militärische und raumfahrtbezogene Ausgaben verringert und auf ihren sozialen Nutzen hin überprüft werden. So kritisierte er 1970 im Zuge eines weiteren Versuches, seinen Vorschlag als »Full Opportunity and National Goals and Priorities Act«13 in den Kongress einzubringen, es gebe zwar einzelne Evaluationsversuche von verschiedenen Behörden und anderen Organisationen, diese würden aber nicht miteinander koordiniert. So wurde beispielsweise das Ausbildungsprogramm der Armee durch das General Accounting Office (GAO) evaluiert und eine Erfolgsquote von 65 vH ermittelt, aber es gab keine Erhebungen über den Erfolg von anderen, zivilen Ausbildungsprogrammen, so dass die Erhebung ohne Vergleichsgrößen keinerlei Wert als Entscheidungsgrundlage habe, wie Mondale erklärte.14 Bereits in den 1960er Jahren hatte es einige Initiativen gegeben, soziale Ziele auf nationaler Ebene festzulegen und deren Erreichung zu messen, um die Lebensqualität (Quality of Life) der Bevölkerung quantitativ erfassen zu können. Dwight D. Eisenhower hatte 1960 die Commission on National Goals eingesetzt, die im 10 Als Senator (von 1964 bis 1976) und Mitglied des Bureau of the Budget (seit 1970 Office of Management and Budget) setzte sich Mondale für die Ausgabenbegrenzung in Militär und Raumfahrt ein. 1975 erschien seine Monographie The Accountability of Power, in der er den Missbrauch präsidentieller Macht vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges und des Watergate-Skandals kritisierte. Vgl. Mondale 1975, S. 1-22. 11 Die Namensgebung des Gesetzes leitete sich aus der Idee ab, mit der Verbesserung sozialer Institutionen werde jedem Mitglied der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben, sein Potential voll auszuschöpfen. Vgl. Mondale 1970, S. 497. 12 Vgl. Belkaoui 1984, S. 122 u. 231; Duncan 1974, S. 5096-5097; Sheldon/Parke 1975, S. 694. 13 Mondale 1970, S. 496. 14 Vgl. ebd., S. 499-500.

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selben Jahr ihren Bericht Goals for Americans veröffentlichte. Die Kommission beschränkte sich allerdings darauf, Ziele zu formulieren, ohne die notwendigen Ressourcen und Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung zu ermitteln.15 Der 1969 veröffentlichte Bericht Toward a Social Report des Department of Health, Education and Welfare (DHEW) offenbarte, dass maßgebliche Daten fehlten, um Aussagen darüber treffen zu können, wie effizient das Gesundheitssystem funktioniere oder welche Chancen das Bildungssystem biete. Die Autoren, unter ihnen Mancur Olson, erkannten selbst die Schwächen eines solchen Berichtes und betrachteten ihn lediglich als ersten Versuch, das Erreichen sozialer Ziele zu evaluieren. Hierfür reiche das Bruttosozialprodukt allein nicht aus, sondern es seien Sozialindikatoren notwendig.16 1969 richtete Präsident Richard Nixon eine Kommission ein, die zukünftige Entwicklungen in den Bereichen Bevölkerungswachstum und -verteilung, Bildung, Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Konsum, Technikfolgenabschätzung und Umwelt ermitteln und zu erreichende Ziele in den jeweiligen Bereichen festlegen sollte. Das National Goals Research Staff (NGRS) veröffentlichte allerdings nur einen einzigen Bericht im Jahr 1970 und stellte seine Arbeit anschließend ein. Die Kritik am NRGS-Bericht war, dass er kaum langfristige Trends und überhaupt keine Ziele aufzeigte. Indem das NGRS vor allem auf Anforderungen der Politik reagierte und schnell Ergebnisse produzierte, lief es seinem eigentlichen Zweck zuwider, eine fundierte Evidenzbasis zur Legitimation politischer Entscheidungen zu liefern.17 Schließlich übernahm das Office of Management and Budget (OMB, vor 1970 Bureau of the Budget), dem auch Mondale angehörte, die Aufgabe, einen umfassenden statistischen Bericht (Social Indicators 1973) mit Zeitreihen über die Bereiche Bevölkerung, Bildung, Beschäftigung, Einkommen, Freizeit, Gesundheit, öffentliche Sicherheit und Wohnungsbau vorzulegen. Der Bericht erschien 1973 und bündelte die Daten verschiedener Ministerien, die zwischen 1970 und 1972 erhoben worden waren. Ein zweiter und letzter Bericht folgte 1976.18 Derartige politische Bemühungen, soziale Zustände und Veränderungen umfassend zu dokumentieren und künftige Entwicklungen zu extrapolieren, waren nicht vollkommen neu. Das von Präsident Herbert Hoover 1929 eingesetzte Research Committee on Social Trends unter der Leitung des Sozialingenieurs William F. Ogburn veröffentlichte 1933 seinen einschlägigen Bericht Recent Social Trends. Durch 15 Vgl. AICPA 1972, S. 23-26; Colm 1964, S. 26; Young 1966, S. 77. 16 Vgl. Sheldon/Parke 1975, S. 694-695. 17 Vgl. Abelson 1970, S. 535; Mondale 1970, S. 500-501. 18 Vgl. AICPA 1972, S. 23-26; House 1981, S. 422; Sheldon/Parke 1975, S. 693. In den gegenwärtigen Finanzberichten des OMB beschränkt sich die Veröffentlichung sozialer Indikatoren auf einige Kernzahlen, für detailliertere Informationen wird auf die jeweils zuständige Behörde verwiesen. Vgl. z. B. OMB 2013, S. 105-111; ebd. 2012, S. 95-101; ebd. 2011, S. 455-461.

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die Kooperation zahlreicher U.S. Behörden und Organisationen wurden wichtige statistische Daten für den New Deal zur Verfügung gestellt. Recent Social Trends erfasste alle ökonomischen und sozialen Felder und deren Auswirkungen auf das soziale Leben: von Landwirtschaft, Bodenschätzen, technischen Entwicklungen, Stadtentwicklung über Beschäftigung, Bildung, Familie, Minderheiten, Konsum, Kriminalität bis hin zu Verwaltung, Steuern und Gesetzgebung.19 In den 1960er Jahren flammte die sozialbezogene Planungseuphorie erneut auf, auch wenn es ihr letztlich an Durchsetzungskraft fehlte. Der Vietnamkrieg, die hohen Ausgaben für die Raumfahrt und die wirtschaftliche Entwicklung hatten Ausgabenkürzungen im öffentlichen Bereich zur Folge. Sie erforderten eine planvollere Ausgabenpolitik sowie erhöhte Transparenz hinsichtlich der staatlichen Mittelvergabe, wie sie auch Mondale gefordert hatte.20 In diesem Klima knapper werdender Sozialausgaben und zunehmender Kritik am Handeln des Staates veröffentlichte Raymond Bauer21 Social Indicators (1966). Bauer und seine Mitverfasser loteten in diesem Sammelband die Möglichkeiten zur Evaluation externer Effekte (secondorder consequences22) des NASA-Raumfahrtprogramms für technologische Innovationen, auf das Bildungssystem, die physische Umwelt und die Volkswirtschaft aus. Die Kritik an den Ausgaben für die Raumfahrt, deren Ausmaß Bauer auf den Sputnik-Schock zurückführte, habe der NASA Anlass gegeben, die nicht immer intendierten Auswirkungen ihrer Aktivität auf die US-amerikanische Gesellschaft messen oder zumindest antizipieren zu wollen. Durch die Veröffentlichung des Sammelbandes etablierte sich der Begriff der Sozialindikatoren.23 Diese sollten Informationen über eine – durch nationale Grenzen definierte – Gesellschaft liefern, deren Aussagekraft über jene des Bruttosozialprodukts hinausgeht, indem auch Informati-

19 Vgl. Recent Social Trends 1933; Dierkes 1975b, S. 12; Dierkes et al. 1976, S. 2; Duncan 1974, S. 5096; Hochgeschwender 2009, S. 190; House 1981, S. 422; Noll 2004, S. 151152; Sheldon/Parke 1970, S. 695. 20 Vgl. Hochgeschwender 2009, S. 194-195; Radkau 2011, S. 478. 21 Raymond Augustine Bauer (*07.09.1916, † Juli 1977) unterrichtete und forschte zwischen 1953 und 1957 am MIT, war seit 1957 Professor of Business Administration an der Harvard University und unter anderem Vorsitzender der American Association for Public Opinion Research. 22 Bauer 1966, S. 8. 23 Bauer definiert soziale Indikatoren als »statistics, statistical series, and all other forms of evidence – that enable us to assess where we stand and are going with respect to our values and goals, and to evaluate specific programs and determine their impact.« Bauer 1966, S. 1.

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onen über die sozialen Auswirkungen von Bildungs-, Beschäftigungs- oder Gesundheitsprogrammen gesammelt und aggregiert würden.24 Während jedoch das Betätigungsfeld für Sozialingenieure auf der gesellschaftlichen Makroebene immer kleiner wurde,25 eröffneten die Sozialindikatoren ein neues Feld für die Sozialwissenschaften auf der Unternehmensebene. Die Idee, soziale Beziehungen und deren Veränderungen quantitativ – und möglichst sogar monetär – abzubilden, schien kompatibel mit den ökonomischen Prinzipien einer rationalen Unternehmensführung und ließ sich unmittelbar an Konzepte der Humankapitaltheorie anschließen.26 Gleichzeitig bot sie die Möglichkeit, externer Kritik an der vermeintlich mangelnden sozialen Orientierung von Unternehmen zu begegnen. Das wissenschaftliche Antlitz der indikatorengestützten Humankapitalansätze trug zur Legitimation unternehmerischer Aktivität bei. Nachfolgend werden einige grundlegende Konzepte vorgestellt, die den Sozialindikatorenansatz aufgriffen und in unterschiedlichem Grade in das traditionelle Rechnungswesen des Unternehmens zu integrieren versuchten, um dessen Beziehungen zu seinen Mitarbeitern und seiner physischen wie sozialen Umwelt reflektieren zu können. 3.1.2 ›Humankapital‹ im Rechnungswesen Richard Lee Brummet, Eric G. Flamholtz und William C. Pyle27 veröffentlichten im April 1968 einen Aufsatz zum Human-Resource-Management als theoretische Herausforderung für die Rechnungslegung. In ihrem Aufsatz identifizierten sie die praktischen und zugleich gewinnbringenden Herausforderungen für Unternehmen, denn diese würden ihr vorhandenes ›Humankapital‹ häufig unterschätzen. Ausgaben zur Weiterqualifikation oder Bindung der Mitarbeiter würden oft als Verluste deklariert. Diesem Verständnis fehle das Moment der Zukunft als dem Zeitpunkt, an dem sich die zuvor als Verluste begriffenen Ausgaben zu Gewinnen wandelten. Wenn die Langfristigkeit in den Vordergrund der Betrachtung von HumankapitalBeziehungen im Unternehmen rücke, könne die Allokation von Zuwendungen an die Mitarbeiter verbessert werden. Es sei ein verbreiteter Fehler, gerade daran zu sparen und ausschließlich auf Produktionsgewinne zu schauen, während ›Humankapital‹ verloren gehe. Anzustreben sei deshalb ein standardisiertes Rechnungsle-

24 Vgl. Bauer 1966; Dierkes 1975b, S. 12; Dierkes et al. 1976, S. 2-4; Noll 2004, S. 151. Zum Sputnik-Schock vgl. Bernet/Gugerli 2011. 25 Vgl. Hochgeschwender 2009, S. 195. 26 Grundlegende Ideen dazu entwickelte Bauer selbst in einem von der Russel Sage Foundation finanzierten Projekt. Vgl. Bauer/Fenn 1972. 27 Brummet, Flamholtz und Pyle waren am Institute of Social Research an der University of Michigan (Ann Arbor) tätig.

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gungssystem für ›Humankapital‹, das dem bisherigen Rechnungswesen gleiche:28 »Accounting for human resources will tend to move ›the human factor‹ from a qualitative factor that is typically held constant or ignored to a quantitative one which may be an integral part of decision models.«29 Brummet, Flamholtz und Pyle entwickelten einen der frühesten Social Accounting-Ansätze, der Orientierung für weitere Forschung bot. Ende der 1960er Jahre erschienen in den USA weitere Publikationen, die sich mit dem ›Faktor Mensch‹ befassten: als zunehmend wertvoller Ressource im Unternehmen und damit auch von Bedeutung für das Rechnungswesen. Während sich dieser Ansatz jedoch auf die Aus- und Weiterbildungsinvestitionen in die Arbeitskräfte beschränkte, ging der Ansatz von David F. Linowes noch einen Schritt weiter und bezog nicht nur die Beziehungen des Unternehmens zu seinen Beschäftigten in ein erweitertes Rechnungswesen ein, sondern auch die Beziehungen des Unternehmens zu seiner physischen und sozialen Umwelt. Es war der Versuch, externe Effekte in das Rechnungswesen zu integrieren. David F. Linowes: Socio-Economic Operating Statement Seit 1968 arbeitete der Wirtschaftsprüfer David F. Linowes30 an einem Social Accounting-Ansatz, der 1972 in seinem Konzept des Socio-Economic Operating Statement (SEOS) mündete. In den späten 1960er Jahren argumentierte Linowes zunächst für die Notwendigkeit einer professionalisierten Rechnungslegung öffentlicher Einrichtungen. Er plädierte für eine Kooperation von Sozialwissenschaftlern und Bilanzierungsexperten, um ein Rechnungswesen für soziale Einrichtungen zu entwickeln, das den Ansprüchen an die traditionelle Rechnungslegung genüge und gleichzeitig fähig sei, den sozialen Erfolg einer Organisation zu messen. Denn das Bruttosozialprodukt reiche nicht aus, um soziale Entwicklungen wie Armut und Diskriminierung abzubilden. Die interdisziplinäre Erarbeitung von sozialbezogenen Rechnungslegungsstandards werde objektivere Prognosen gesellschaftlicher Ent28 Vgl. Brummet et al. 1968, S. 217-220. 29 Ebd., S. 220. 30 David Linowes (* 16.03.1917, † 29.10.2007) arbeitete als Wirtschaftsprüfer und lehrte seit den 1970er Jahren bis zu seiner Emeritierung an der University of Illinois (UrbanaChampaign) als Professor für Politik und politische Ökonomie. Er leitete unter anderem Untersuchungen zum Datenschutz in Unternehmen und deren Umgang mit arbeitnehmerbezogenen Informationen (1975-1977: Privacy Protection Study Commission, 1989-1996: Privacy in the Work Place). Neben social accounting im Unternehmen beschäftigte sich Linowes außerdem mit der Rechnungslegung der öffentlichen Hand in Bezug auf soziale Belange und Umweltschutz: So war Linowes Vorsitzender der Commission on Fiscal Acccountability of the Nation’s Energy Resources (Linowes Report). Vgl. URL: University of Illinois, Library Archive; URL: Bernstein, Washington Post; URL: Office of Natural Resources Revenue (Linowes Report).

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wicklungen ermöglichen. Je objektiver und präziser die Daten seien, desto zuverlässiger könnten sie von den Institutionen selbst, aber auch von politischer Seite zur Entscheidungsfindung – beispielsweise zur Schließung ineffizienter oder Förderung erfolgreicher Einrichtungen – herangezogen werden. Die Auswirkungen sozialer Maßnahmen und Programme könnten mindestens quantifiziert und unter Umständen sogar monetär dargestellt werden.31 Seinen Anspruch, soziale Erfolge und Misserfolge quantitativ zu messen und Standards hierfür zu entwickeln, weitete Linowes Anfang der 1970er Jahre auf die Sphäre privatwirtschaftlicher Unternehmen aus. Zur Implementierung im Unternehmen sollten ebenfalls interdisziplinäre Expertengruppen eingesetzt werden.32 In seinem Berechnungsschema SEOS identifiziert Linowes drei Beziehungsfelder des Unternehmens – Menschen, natürliche Umwelt und Produkt – innerhalb derer ein Unternehmen vorgenommene Verbesserungen oder Schäden durch Unterlassung dokumentieren kann. Diese Dokumentation erfolgt innerhalb des üblichen Bilanzierungszeitraumes, bildet Nutzen und Schaden rein monetär ab und saldiert diese. Das SEOS operiert ausschließlich mit Inputgrößen, das heißt Nutzen und Schaden werden nur durch die aufgewendeten Summen für sozial nutzenbringende Maßnahmen widergespiegelt beziehungsweise durch die Kosten, die infolge der Unterlassung empfohlener Maßnahmen zur Verbesserung entstanden sind oder entstehen könnten. Das Schema geht von einfachen Kausalbeziehungen aus. So kann im Bereich Umwelt die Aufforstung einer ehemaligen Deponie eine Verbesserung sein. Der Schaden durch Unterlassung wird auf gleiche Weise berechnet, indem die geschätzten Kosten für eine Wiederaufforstung als Schadenssumme angenommen werden.33 Auf der Nutzenseite werden lediglich freiwillige Zahlungen erfasst und beispielsweise gesetzlich vorgeschriebene Leistungen wie Steuern nicht als positive soziale Leistungen verbucht. Schaden und Nutzen werden einfach saldiert. Der deutsche Ökonom und Sozialbilanz-Autor Eichhorn – der selbst das Prinzip der Freiwilligkeit als Abgrenzungskriterium sozialer von nicht-sozialen Leistungen in seinem Ansatz favorisiert – kritisierte diese Einschränkung dahingehend, dass Freiwilligkeit zwar als Abgrenzungskriterium dienen kann, aber gesetzlich vorgeschriebene Sozialleistungen in einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung trotzdem erfasst werden sollen.34 Die Missachtung gesetzlich vorgeschriebener Leistungen – zum Beispiel durch Steuerhinterziehung – wird im SEOS allerdings durchaus als gesellschaftlicher Schaden verstanden. Dass Linowes Zuwendungen an den Staat weithin außer Acht ließ, war umso erstaunlicher im Hinblick auf seine 31 Vgl. Linowes 1968. 32 Vgl. AICPA 1972, S. 48; s. a. Dierkes 1974, S. 111. 33 Vgl. URL: CSEAR (Linowes). 34 Vgl. Eichhorn 1974, S. 45-46 u. 59; Kapitel 3.2.2.

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Ende der 1960er Jahre entwickelten Ideen zur sozialbezogenen Rechnungslegung öffentlicher Einrichtungen. Er trennte hier strikt gemeinwirtschaftliche von privatwirtschaftlichen Organisationen und versuchte auch nicht, die Rechnungslegung als Teil einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu betrachten. Privatwirtschaft, Volkswirtschaft und gemeinnützige Organisationen müssten in einer sozialen Rechnungslegung als unabhängige Einheiten mit eigenen Erfolgsmaßstäben betrachtet werden. Das Problem dieses Ansatzes lag damit allerdings erstens in der Abgrenzung der einzubeziehenden Kapitalströme und zweitens in der Definition des Zwecks einer solchen Rechnung: wie lässt sich der gesellschaftliche Nutzen unternehmerischer Aktivitäten feststellen, wenn ein nicht unerheblicher Teil – die Beziehung zum Staat – ausgeblendet wird? Linowes hob in seinem Modell auf die Freiwilligkeit der vom Unternehmen erbrachten sozialen Leistungen ab und betonte sie vor allem deshalb als wichtiges Moment der Abgrenzung, weil er selbst Erfahrungen mit unternehmensinitiierten Sozialprogrammen hatte und ihnen größere Effizienz zuschrieb als staatlichen Programmen.35 Linowes’ Konzept ist sowohl in den USA als auch in Deutschland breit rezipiert worden, stieß aber auf einige Kritik.36 Dierkes bemängelte wie Eichhorn das Fehlen objektiver, klar definierter Kriterien für den Nutzen oder Schaden durch unternehmerische Aktivitäten und erläuterte dies anhand eines Beispiels: Das Unternehmen weist als sozialen Nutzen die Tätigkeit seines Vize-Präsidenten in der Sachkommission der Bundesregierung für Arbeitsschutz aus. Es stellt sich hier jedoch die Frage, ob diese Tätigkeit wirklich von Nutzen für die Gesellschaft war, dadurch daß er z. B. mit dazu beigetragen hat, daß entsprechende Forschung initiiert, Gesetze vorgeschlagen oder Arbeitsschutzeinrichtungen geschaffen wurden. Denkbar wäre ja auch, daß er im Rahmen seiner Kommissionstätigkeit diese Entwicklung nur verzögert hat.37

Darüber hinaus würden die Ausgaben für soziale Aktivitäten oder den Umweltschutz nichts über die Effizienz der Maßnahmen offenbaren. Gleichzeitig werde sozialen Leistungen, die weder Kosten verursachten noch Kosten verhinderten, kein Wert zugeschrieben.38 Gegenstand von Kritik am Konzept Linowes’ war auch sein

35 Vgl. AICPA 1972, S. 79-80 u. 83-84; Gastil 1973, S. 97; Linowes 1977, S. 15-19 u. ders. 1988, S. 229-251. 36 Vgl. u. a. Bauer 1973, S. 9-11 u. 18; Belitsky 1983, S. 20-22; Dierkes 1974, S. 110-114; Eichhorn 1974, S. 44-45; D. Gray 1973, S. 316; Gastil 1973, S. 97; Jaggi 1980, S. 35. 37 Dierkes 1974, S. 113. 38 Dierkes nennt hier als Beispiel »mehr Verantwortung und Wahrheit in Marketingmaßnahmen oder Werbung«, wodurch nach seiner Auffassung keine Kosten entstünden. Dierkes 1974, S. 114; siehe dazu auch Bauer 1973, S. 9-12.

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Versuch einer konsequenten Monetarisierung im SEOS-Schema,39 obwohl Linowes selbst durchaus die Schwierigkeiten sah und sich für alternative Indikatoren aussprach. Im April 1972 nahm Linowes an einer Experten-Gesprächsrunde teil, die unter der Ägide des American Institute of Certified Public Accountants (AICPA) in Charleston, South Carolina, stattfand. Das AICPA beschäftigte zu Beginn der 1970er Jahre mehrere Expertengruppen, die sich mit gesellschaftsbezogener, umweltbezogener und humankapitalorientierter Rechnungslegung befassten.40 In der Gesprächsrunde wies Linowes auf die Dominanz des Denkens in monetären Kategorien hin sowie auf die Notwendigkeit, neue Kategorien finden zu müssen, wenn die künftige Rechnungslegung eine soziale Dimension erhalten solle. Der kleinste gemeinsame Nenner von Soziologen, Ökonomen und Wirtschaftsprüfern liege in der Methode des Vergleichs von Zahlen, diese müssten aber nicht zwingend monetäre Größen abbilden.41 American Institute of Certified Public Accountants (AICPA) An dem Expertengespräch im April 1972 mit Soziologen, Politikwissenschaftlern, Ökonomen, Regierungsvertretern, Bilanzierungsexperten und Praktikern aus Unternehmen und Unternehmensberatungen nahmen unter anderem auch Raymond A. Bauer und Richard Lee Brummet teil, deren Ansätze zum Social Accounting in der Bundesrepublik rezipiert wurden. Nicht zuletzt sorgte insbesondere Meinolf Dierkes für die Verbreitung der Ideen Bauers, mit dem er während eines USAAufenthaltes Anfang der 1970er Jahre zusammengearbeitet hatte. Gemeinsam veröffentlichten sie 1973 Corporate Social Accounting; ein Jahr später erschien von Dierkes das deutschsprachige Werk Die Sozialbilanz. Zusammen bildeten diese beiden Werke die Standardliteratur zur Sozialbilanzierung der 1970er Jahre.42 Im Zentrum der AICPA-Gesprächsrunde standen Möglichkeiten zur Messung der Lebensqualität sowohl in der Sphäre eines Unternehmens als auch der Gesellschaft als Ausdruck des sozialen Erfolges. Bauer verortete die Schwierigkeiten dieses Vorhabens insbesondere darin, objektive Indikatoren zur Messung höchst subjektiver Zustände zu entwickeln und das richtige Maß zwischen diesen beiden Dimensionen einzuhalten. Es bestehe die Gefahr, dass durch reine Quantifizierung individuelle Faktoren derart nivelliert würden, dass die gewonnen Zahlen kaum in

39 Vgl. Dierkes 1974, S. 114; Zimmermann 1980, S. 80-83. 40 Vgl. Brummet 1973, S. 346. 41 Vgl. AICPA 1972, S. 19-20 u. 84. 42 Vgl. Dierkes/Bauer 1973; Dierkes 1974; Oeckl 1976, S. 425; Interview Dierkes 19.10.2010.

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Bezug zur Realität des Individuums stünden, wie die Daten von Bevölkerungsumfragen43 zeigten: The point I want to close on is the issue of ›hard‹ versus ›soft‹ data. Let me make a flat assertion: the proposition ›Thirty percent of a cross-sectional sample of American adults 18 years and over said they are very happy‹ is just as objective as the statement that the GNP of the U.S. is one trillion dollars. [...] The problem that bothers one is not the objectivity of the data – a person either said it or he didn’t – but the meaning that may be attached to it or the inferences that may be drawn from it.44

Den Zweck der sozialen Erfolgsmessung sah Bauer auf der einen Seite in der Bereitstellung eines Planungs- und Entscheidungsinstrumentes für die Unternehmensführung und eines Entscheidungsinstruments für die Öffentlichkeit auf der anderen Seite.45 Die Unternehmensführung könne den Wert der sozialen Leistungen für das Unternehmen beurteilen; die Öffentlichkeit – als Mitarbeiter, Konsumenten, Anwohner – könne sich für oder gegen eine Beschäftigung, ein Produkt oder die Nachbarschaft entscheiden. Da es stets um subjektive Beurteilungen gehe, seien Mechanismen der Urteilsfindung in den Prozess der Indikatorenentwicklung einzubeziehen.46 Ein Problem der Evaluierung sozialer Leistungen bestand für Bauer vornehmlich darin, dass sozialwissenschaftliche Methoden oft nicht ausreichend berücksichtigt würden und hier Hilfestellung durch Wissenschaftler geboten werden müsse, die einige Unternehmen möglicherweise anzunehmen bereit seien.47 Die Expertenrunde kam zu dem Schluss, dass es vor allem zu vermeiden sei, den Prozess der Entwicklung von Standards einer sozialbezogenen Rechnungslegung – für privat- wie gemeinwirtschaftliche Unternehmen – durch einseitige, politisch oder medial motivierte Debatten bestimmen zu lassen. Genauso müsse berücksichtigt werden, dass Unternehmen in der Regel dann sozial aktiv würden und dies kommunizierten, wenn sie gesetzgeberische Maßnahmen vermeiden wollte, sich also von diesen Debatten beeinflussen ließen. Die Sozialindikatorenbewegung und die Versuche, externe Effekte zahlenmäßig zu erfassen, seien Versuche, auf Kritik an Unternehmen und dem marktwirtschaftlichen System zu antworten und ihrer Vehemenz durch Zugeständnisse zu begegnen. Es solle daher vor allem eine analytische Trennung zwischen dem Akt des Messens sozialer Aktivität und den dieser 43 Mitte der 1970er Jahre begann Richard Easterlin diese Umfrageergebnisse zum Glücksempfinden mit ökonomischen Daten zu korrelieren und begründete damit die ökonomisch orientierte Glücksforschung. Vgl. Frey/Stutzer 2002, S. 404. 44 Raymond Bauer in AICPA 1972, S. 10. 45 AICPA 1972, S. 79. 46 Ebd., S. 91. 47 Ebd., S. 114 u. 122.

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Aktivität zugrunde liegenden Werten stattfinden, um zuverlässige Standards zur Sozialbilanzierung entwickeln zu können. Dieser Entwicklungsprozess brauche Zeit, da Unternehmen gerade erst begönnen, gesellschaftsbezogene Rechnungslegungen zu veröffentlichen und dies zudem auf ganz unterschiedliche Weise vornähmen. Vor allem sei aber die Unterstützung von Wissenschaftlern und Wirtschaftsprüfern notwendig zur Entwicklung von Berichtsstandards. Letztere könnten durch ihr Testat die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung gewährleisten. Auf volkswirtschaftlicher Ebene gestalte sich die Entwicklung standardisierter Sozialindikatorenkataloge noch schwieriger. Auch sie könnten nur im Verlauf der Zeit verbessert werden und sollten zunächst nicht als Abbild sozialer Wirklichkeit betrachtet werden, sondern als Instrumente, Probleme zu identifizieren. Vor allem jedoch solle die Mikroebene der einzelnen Unternehmen nicht mit der Makroebene der Gesellschaft vermengt und Sozialbilanzen von Unternehmen zur Erstellung einer Sozialbilanz für die gesamte Volkswirtschaft herangezogen werden.48 Darüber hinaus solle berücksichtigt werden, dass Unternehmen größere Ressourcen zur Verfügung stünden als gemeinwirtschaftlichen Unternehmen oder Regierungsorganisationen, so dass sich die Sozialbilanzierung asymmetrisch entwickeln könne, obwohl diese Organisationen möglicherweise über denselben Gegenstand berichteten (beispielsweise die Reduktion von Abfällen in einer Kommune oder die finanzielle Unterstützung einer Schule). Gleichzeitig müssten die verschiedenen Organisationen – wie eine kommunale Regierung und ein Unternehmen – ihre Informationen aber einander zugänglich machen, um effizient und in sozialem Sinne agieren zu können, weil die sozialen Probleme der Organisationen einander oft bedingten, wie zum Beispiel Mängel in der Infrastruktur den Mangel an Arbeitskräften verursachen könnten.49 Sowohl Linowes als auch Arthur B. Toan, Teilnehmer der AICPA-Expertenrunde und Partner bei Price, Waterhouse & Co., erkannten die Möglichkeiten, die sich durch die Erweiterung der Rechnungslegung um eine soziale Dimension für die Zunft der Bilanzierungsexperten und Rechnungsprüfer boten. Diese hätten das Wissen und die Fähigkeiten, die Daten über soziale Vorgänge zu sammeln, zu bündeln, in monetäre Dimensionen zu übersetzen, in ein Verhältnis zu den ›rein‹ finanziellen Daten zu setzen und dieses Verhältnis zu analysieren. Die Aufgabe der Profession habe sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte bereits gewandelt von einem vergangenheitsbezogenen Berichtsauftrag hin zur Entwicklung und Bereitstellung von Planungsinstrumenten für die Zukunft. Das zunehmende Interesse an Informationen über soziale Beziehungen im Unternehmen und über die Gesellschaft im Allgemei-

48 Vgl. AICPA 1972, S. 31, 85, 89-94 u.116-118. 49 Ebd., S. 15-17 u. 30.

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nen sowie die Komplexität der Erfassung dieser Beziehungen begünstige die Erweiterung des Tätigkeitsbereiches für Bilanzexperten:50 The profession has a tradition of responding to the needs of society. Today it has an obligation to respond creatively to new problems. I believe the time has come to identify and classify these new areas of opportunity and challenge, in no less fashion than we have identified and classified new services in the management advisory area during recent areas.51

Das AICPA selbst setzte 1972 ein Komitee52 ein, das sich mit sozialen Messungen beschäftigte und die Ergebnisse dieser Arbeit 1977 veröffentlichte. Das Komitee wollte Messstandards etablieren, die im Unternehmen tatsächlich anwendbar sein und nicht nur methodischen Anforderungen von wissenschaftlicher Seite genügen sollten. Das AICPA-Komitee schlug zentrale Berichtsfelder (Umwelt, nichterneuerbare Energien, Zulieferer, Produkte, Dienstleistungen, Kunden, Öffentlichkeit) vor, spezifizierte die Daten, die in diesen Berichtsfeldern zusammen getragen werden können und listete Möglichkeiten auf, diese Daten zu ermitteln. So empfahl das Komitee beispielsweise im Berichtsfeld Umwelt neben externen und unternehmenseigenen Messungen, die sich an gesetzlichen Richt- und Grenzwerten orientierten, auch Fotodokumentationen und Beobachtungen von Anwohnern durch Befragungen einzubeziehen.53 Im Bericht des Genfer Battelle-Institutes zur internationalen Entwicklung der Sozialbilanzierung wertete man die Veröffentlichung als Schritt zur Etablierung von Messstandards im Bereich sozialer Aktivitäten.54 Die AICPA-Kommission empfahl unter anderem die Orientierung an den in den USA geltenden GAAP-Standards (Generally Accepted Accounting Principles), wenn sie in bestimmten Berichtsfeldern brauchbar erschienen oder dem Anwendungsfeld entsprechend modifiziert würden. Sozialbezogene Rechnungslegung müsse jedoch als organisch wachsende Disziplin begriffen werden, für die nicht a priori Standards festgelegt werden könnten.55

50 Vgl. AICPA 1972, S. 40-42; Linowes 1968, S. 37 u. 42. 51 Linowes 1968, S. 42. 52 Mitglieder des zwölfköpfigen Komitees waren unter anderem Arthur B. Toan als Vorsitzender, Richard Lee Brummet, David F. Linowes und Stewart McElya, die alle bereits an dem Expertentreffen des AICPA im April 1972 teilgenommen hatten. 53 Vgl. AICPA 1977, S. 71-100; s. a. Belkaoui 1984, S. 129-146. 54 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 23. 55 Vgl. AICPA 1977, S. 305-313.

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American Accounting Association Nicht nur auf der Ebene des AICPA setzten sich Wirtschaftsprüfer mit den Problemen einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung auseinander. 1973 veröffentlichte das im Juli 1971 von der American Accounting Association (AAA) eingesetzte Committee on Environmental Effects of Organizational Behavior seinen Bericht über Bedingungen, Möglichkeiten und Ansätze zu einer externen Berichterstattung von Unternehmen. Der Fokus des akademischen Expertengremiums lag auf umweltbezogener Berichterstattung. Trotzdem wurde der Bericht als grundlegender Ansatz zu einer erweiterten Berichterstattung gesehen, da er die wesentlichen Schwierigkeiten der Abgrenzung, Messung und Präsentation von Daten über externe Effekte unternehmerischen Handelns herausstellte. Die Mitglieder des Gremiums kamen zu dem Schluss, dass es schwierig oder sogar unmöglich sei, die Gesamtkosten für Umweltschäden oder Leistungen für die Umwelt unmittelbar monetär in der Rechnungslegung zu erfassen. Bei direktem Nutzen oder Schaden (z. B. erhaltene Subventionen zur Förderung des Umweltschutzes im Unternehmen, verhängte Geldstrafen gegen Umweltsünder) sei dies noch möglich, bei indirekten Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf die Umwelt – im Sinne externer Effekte – seien die Schwierigkeiten erheblich größer. Es sei jedoch auch in diesem Falle durchaus möglich, Nutzen und Schaden quantitativ zu erfassen, beispielsweise indem die Einhaltung oder Missachtung von physikalischen Richtwerten dokumentiert werde. Um diese quantitativen Werte in ein monetär orientiertes Berichtswesen zu integrieren, sei eine Kooperation zwischen Bilanzexperten und Naturwissenschaftlern im Unternehmen notwendig. Wo eine Übersetzung der quantitativen Daten in monetäre Einheiten jedoch nicht möglich sei, solle zunächst eine verbale, qualitative Beschreibung des vom Unternehmen hervorgerufenen Nutzens oder Schadens an der Umwelt bevorzugt werden.56 Anstrengungen, Instrumente zur Abbildung von Umweltschäden im Rechnungswesen zu entwickeln, sollten dennoch unternommen werden, indem Berechnungsverfahren angewandt würden, die auch zur Ermittlung von Abschreibungen oder Forderungsausfällen gebräuchlich seien.57 Die Autoren der Studie identifizierten die zunehmende Verschärfung der Umweltgesetzgebung in den USA als maßgebliche Motivation von Unternehmen, in entsprechende Maßnahmen zur Verhinderung oder Behebung von Umweltschäden zu investieren und Informationen über Schäden und Maßnahmen offenzulegen. Solange es keine gesetzlich vorgeschriebenen Standards zum Umweltschutz gegeben habe, seien Unternehmen auch kaum bereit gewesen, Maßnahmen zum Umweltschutz zu ergreifen.58 Die Forderungen nach mehr Umweltschutz und der Offenle56 Vgl. AAA 1973, S. 83-84 u. 108; Corbin 1973, S. 321-326; vgl. auch Estes 1976, S. 5860. 57 Vgl. AAA 1973, S. 80. 58 Ebd., S. 79.

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gung unternehmerischer Aktivitäten gingen von den Anspruchsgruppen der Unternehmen aus, die in der Studie als Kapitalgeber, Regierungsbehörden und allgemeine Öffentlichkeit verstanden wurden: »[A]n increasingly vocal outcry has arisen for reform of polluting processes, for modification of polluting products and for restoring the environment to its once relatively unpolluted status.«59 Kapitalgeber mit einem Interesse an sozialem Wohlverhalten von Unternehmen seien hauptsächlich gemeinnützige Organisationen wie Kirchen oder Stiftungen, die gut informiert seien und ein Interesse an sozial vertretbaren Investitionen (clean investments) hätten. Der Begriff der Öffentlichkeit umfasse allgemein Städte und Kommunen, die von Umweltbelastungen betroffen seien und die Kosten dafür zu tragen hätten, aber auch einzelne Organisationen und Individuen. Einzig Mitarbeiter des verursachenden Unternehmens wurden nicht explizit als Betroffene von Umweltschäden in der Studie genannt. Durch Forderungen von Konsumenten nach mehr Umweltschutz ebenso wie durch eine restriktivere Gesetzgebung sei Umweltverschmutzung nicht nur zu einem gesundheitlichen und ethischen Problem, sondern auch zu einem konkreten wirtschaftlichen geworden. Gerade Unternehmen, deren Produktion hohe Belastungen für die Umwelt darstelle, müssen viel investieren, um Umweltschutzauflagen zu erfüllen und Strafen zu vermeiden. Der Anreiz, sich für Umweltschutz einzusetzen, dies zu dokumentieren und zu kommunizieren, sei also ein ökonomischer.60 Der vom AAA-Komitee vorgestellte, gestaffelte Mischansatz mit einer Empfehlung zur Berichterstattung in monetären oder zumindest quantitativen Größen, wo diese Quantifizierung möglich ist, und zur qualitativ-verbalen Berichterstattung in Bereichen, in denen die Instrumente zur Quantifizierung nicht oder noch nicht gegeben sind, war ein pragmatischer Ansatz, der durchaus Einfluss auf nachfolgende Konzepte hatte.61 Auch deutsche Autoren orientierten sich am AAA-Ansatz, der Raum ließ für die Entwicklung von Quantifizierungsmethoden. Die Nutzung verbaler Beschreibungen bot unmittelbar die Möglichkeit, die Beziehung zwischen Unternehmen und der physischen Umwelt in das Berichtswesen einzubinden, auch wenn es langfristig geboten sei, Quantifizierungsmethoden zu erforschen. Aufgrund des gesellschaftlichen Drucks sei die Berichterstattung über Umweltbelange notwendig, und die Unternehmen müssten darauf ebenso reagieren wie die theoretisch orientierte Forschung: The search for this model [which would include information regarding the environmental effects of organization behavior] should not waver; but rather, it should be a continuing objective of the profession. The urgency attached to improved reporting for environmental effects 59 Ebd., S. 75. 60 Vgl. AAA 1973, S. 76 u. 89-90. 61 Vgl. Estes 1976, S. 58-60; R. Gray 2002, S. 691.

94 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN dictates, however, more immediate action. Therefore, the committee recommends that in addition to an optimum utilization of the present reporting model, immediate attention be directed toward extension of the current attested model as means for achieving improvement in reporting environmental information. Specifically this extension of the current model requires a verbal description of the organization’s involvement with environmental problems.62

Die gesellschaftliche Entwicklung stelle neue Herausforderungen an die Rechnungslegung und Bilanzexperten und habe Unsicherheit darüber geschaffen, wie diesen Herausforderungen zu begegnen sei. Das Ignorieren umweltbezogener Themen in der Rechnungslegung verursache nicht nur einen Imageschaden für Unternehmen, sondern auch für Bilanzexperten, stellte der Komiteebericht fest. Deshalb müsse die Sensibilität für soziale und Umweltthemen in der akademischen Ausbildung ebenso gefördert werden wie die interdisziplinäre Kompetenz, um die Rechnungslegung langfristig um Umweltaspekte erweitern zu können.63 Aus den ersten Ansätzen und praktischen Erfahrungen heraus entwickelten sich elaboriertere Sozialbilanzkonzepte, die allerdings an ihrem fehlenden Praxisbezug scheitern mussten.64 3.1.3 »Let people shoot at it«: Die Sozialberichterstattung amerikanischer Unternehmen Mit Beginn der 1970er Jahre veröffentlichten zahlreiche Unternehmen in den USA erste Sozialbilanzen. So präsentierte zum Beispiel der Automobil-, Raumfahrt- und Rüstungsindustriezulieferer Thompson Ramo Woolridge (TRW) 1972 seine erste Sozialbilanz und berichtete über Umweltschutz, Auslandsinvestitionen sowie die Beschäftigung und Förderung von Minderheiten im Unternehmen oder der Gesellschaft. Die New Yorker Bank Chase Manhattan informierte ebenfalls 1972 in ihrem Geschäftsbericht über ihre soziale Verantwortung, beispielsweise durch Beiträge zur Finanzierung gemeinnütziger Projekte wie Kindergärten oder sozialem Wohnungsbau.65 Auch der Textilzulieferer Scovill Manufacturing Company, der unter anderem Produkte für militärische Bekleidung herstellt, und das Energieunternehmen Eastern Gas and Fuel Company berichteten erstmals 1972 über ihre sozialen 62 AAA 1973, S. 110. 63 Vgl. ebd., S. 115-116. 64 Hier ist beispielsweise der Ansatz von Estes zu nennen, der mithilfe einer Universalformel den Versuch unternahm, ein möglichst objektives Instrument zur Berechnung des Gesamtnutzens beziehungsweise -schadens unternehmerischen Handelns zu entwickeln und alle positiven wie negativen Externalitäten abbilden und internalisieren zu wollen. Vgl. Estes 1976, insb. S. 92. 65 Vgl. Nolan 1973, S. 292-296.

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Aktivitäten für Mitarbeiter und Öffentlichkeit. Die International Business Machines Corporation (IBM) begann 1972 in ihrem Geschäftsbericht unter dem Stichwort IBM and Society über soziale Aktivitäten zu berichten. Dieser Bericht umfasste das soziale Engagement von Mitarbeitern in verschiedenen Projekten, die Beschäftigung von Frauen und Minderheiten in Leitungsfunktionen sowie soziale Projekte des IBM’s Fund for Community Service.66 Scovill stellte bereits nach einem Jahr die Berichterstattung wieder ein.67 Andere Unternehmen dagegen verfolgten intensiver die Möglichkeiten, über ihre sozialen Aktivitäten und Auswirkungen ihres Handelns auf Mitarbeiter, Öffentlichkeit und Umwelt zu berichten. Im Folgenden werden einige der prominentesten Ansätze zur Sozialbilanzierung aus der Praxis U.S.-amerikanischer Unternehmen im Detail vorgestellt, die von englischsprachigen wie deutschen Autoren rezipiert und zum Vorbild für andere Unternehmen wurden. Abt Associates Einer der frühesten praktischen Ansätze, der von unternehmerischer wie wissenschaftlicher Seite gleichermaßen stark beachtet wurde, war das Social and Financial Balance Sheet and Income Statement des Beratungsunternehmens Abt Associates Inc. in Cambridge, Massachusetts. Das 1965 von Clark C. Abt gegründete Unternehmen berät vorrangig Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, Universitäten und Stiftungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wohnungsbau, Beschäftigung und Umweltschutz.68 1971 veröffentlichten Abt Ass. das erste Social Income Statement und das erste Social Balance Sheet in ihrem Geschäftsbericht. Die sozialbezogene Gewinn- und Verlustrechnung ebenso wie die Bilanz weisen Aufwendungen für soziale Leistungen an die Anspruchsgruppen (Mitarbeiter, Anteilseigner/Unternehmen, Gemeinde/Allgemeinheit, Kunden) beziehungsweise erhaltene Leistungen von den jeweiligen Gruppen aus.69 Abt orientierte sich eng an Linowes und unternahm den Versuch einer umfassend monetären Abbildung sozialer Leistungen – bei deren Berechnung vielfach Schattenpreise oder reine Inputgrößen zugrunde gelegt wurden – bis hin zur Saldierung von sozialem Schaden und Nutzen. So wird beispielsweise die Reduzierung von Parkflächen als kostenverursachend für die Mitarbeiter von Abt Ass. gewertet, gleichzeitig wird aber auch der Aspekt des Umweltschutzes durch die damit einhergehende Verminderung des 66 Vgl. Estes 1976, S. 31-32; Hargreaves/Dauman 1975, S. 261. 67 Vgl. Estes 1976, S. 25-26 u. 32-44. 68 Vgl. Butcher 1973, S. 278; Dierkes 1974, S. 103-105; URL: Abt Ass. History, Practice Areas. 69 Vgl. Bauer 1973, S. 5-6; Butcher 1973, S. 278; URL: CSEAR (Abt); Estes 1976, S. 4449; Dierkes 1974, S. 103-105; Fischer-Winkelmann 1980, S. 230-236; Mintrop 1976, S. 104-112; Zimmermann 1980, S. 84-94.

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Verkehrsaufkommens als Nutzen für die Gemeinde berücksichtigt. Das Ergebnis wies große Nähe zum traditionellen Rechnungswesen auf und unterschied zwischen einer Sozialbilanz und einer sozialen Gewinn- und Verlustrechnung. In der ersten Sozialbilanz von 1971 wurde sogar noch die genuine Geschäftstätigkeit des Unternehmens als sozialer Nutzen für Kunden und die Einnahmen aus dieser Tätigkeit als Nutzensumme ausgewiesen, jedoch die Kosten für alle Tätigkeiten, die nicht unmittelbar dem Kunden zugute kamen, abgezogen.70 Die Sozialbilanz und sozialbezogene Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens wurde in der wissenschaftlichen Literatur primär als erster Versuch eines Ansatzes zur Berechnung der Auswirkungen unternehmerischen Handelns in der Praxis gewertet – wenn auch mit zahlreichen methodischen Schwächen. Als Instrument für den unternehmensinternen Gebrauch im Versuchsstadium schien es zeitgenössischen Autoren geeignet, nicht jedoch als Instrument, die Öffentlichkeit über die sozialen Aktivitäten des Unternehmens zu unterrichten.71 Abt selbst sah nach eigener Aussage gar keine Notwendigkeit, seine Sozialberichterstattung für öffentliche Zwecke einzusetzen, am wenigsten zu Werbezwecken. Er wollte vielmehr ein Instrument als Entscheidungshilfe für das Management bereitstellen, um die Auswirkungen sozial orientierter Maßnahmen im Unternehmen evaluieren zu können. Dies sei durchaus aus der finanziellen Verantwortung der Unternehmensführung heraus geboten. Soziale Verantwortung stehe nicht im Kontrast zur Maxime der Gewinnorientierung eines Unternehmens, sondern gehe mit ihr einher, stellte Abt fest.72 Bank of America Im Verlauf der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre wurde die Bank of America zum Ziel teils gewaltsamer, überwiegend studentischer Proteste.73 Kurz darauf führte die Bank einige Sozialprogramme ein, deren Schwerpunkte auf den Bereichen Wohnungsbau, Minderheiten, Umwelt und Vorbeugung sozialer Unruhen lagen. 1971 entschied sich die Unternehmensführung, die Effizienz dieser Sozialprogramme zu evaluieren.74 Bernard Butcher75 erklärte, dass die Bank nur solche Aktivitäten evaluiere, die von genuin sozialer Natur seien und nicht in einem Zusammenhang mit der Geschäftsaktivität stehen. Dieser »social program approach«76 sei vornehmlich als internes Informationsinstrument zur Budgetplanung für das Ma70 Vgl. URL: CSEAR (Abt); Belkaoui 1984, S. 268-278; Estes 1976, S. 44 u. 84-86. 71 Vgl. Estes 1976, S. 86; Gastil 1973, S. 99. 72 Vgl. Abt 1974. 73 Vgl. Estes 1976, S. 27; Fernandez/McAdam 1988, S. 362, Smith 2009. 74 Vgl. AICPA 1972, S. 96; Butcher 1973, S. 282-284; Estes 1976, S. 27-28. 75 Butcher war zu diesem Zeitpunkt Assistent von Robert Truex, des Vizepräsidenten der Bank of America, der maßgeblich mit den Sozialprogrammen betraut war. 76 Butcher 1973, S. 279.

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nagement geeignet: »The approach translates squishy social programs into the comparatively rational cost/benefit terminology familiar to business men.«77 Erst diese Übersetzungsleistung ermögliche langfristig die Durchführbarkeit solcher Sozialprogramme im Unternehmen. Eine externe Publizierung der Daten sei für die Bank dagegen von geringer Bedeutung. Die Kostenanalyse sollte die tatsächlichen Kosten erfassen; die Nutzenanalyse allerdings sollte nicht über eine mögliche Quantifizierung erfolgen, sondern durch Befragungen den subjektiven Nutzen der Sozialprogramme für die Betroffenen ermitteln. Insbesondere solle die Zielerreichung ermittelt werden, um die Frage zu beantworten, ob die ursprünglich mit der Einrichtung des Sozialprogramms verbundenen Ziele tatsächlich erreicht wurden oder überhaupt erreicht werden könnten. Dadurch solle festgestellt werden, ob die Ziele realistisch seien und das jeweilige Programm eine Zukunft habe. Durch die quantitative Kosten- und die qualitative Nutzenanalyse solle die ökonomische und soziale Effizienz verbessert werden. Eine totale Objektivierung in der Priorisierung von Sozialprogrammen sei damit nicht gegeben, aber zumindest würde dieser Ansatz dem Management Entscheidungshilfen bereit stellen und die Budgetschätzungen der Programme könnten mit den tatsächlichen Ausgaben verglichen werden.78 Die Argumentation Butchers für den Ansatz überrascht an dieser Stelle vor allem, weil davon ausgegangen werden sollte, dass eine Bank einen Budgetplan für ihre Ausgaben aufstellt, unabhängig davon, ob diese Ausgaben unmittelbar geschäftsbezogen sind oder für soziale Zwecke aufgewendet werden. Vielmehr erscheint die Erweiterung der Entscheidungskriterien für oder gegen ein Sozialprogramm durch die qualitative Nutzenanalyse auch als Mittel, um die Abschaffung ineffizienter Sozialprogramme nicht nur durch Kostenargumente rechtfertigen zu müssen. Denn obwohl Butcher betonte, dass es für die Bank of America von sekundärer Bedeutung gewesen sei, Informationen zu ihren Sozialprogrammen zu veröffentlichen, publizierte sie 1972 eine Broschüre, die die Evaluationsergebnisse offenlegte. Ziel war es nach Aussage Butchers auch, »to get something down on paper and let people shoot at it«79. First National Bank of Minneapolis Die First National Bank of Minneapolis berichtete erstmals im Geschäftsbericht von 1971 über soziale Aktivitäten und versuchte, diese mithilfe sozialer Indikatoren abzubilden. Es wurden zehn Kategorien für die Lebensqualität in Minneapolis und ihrer Zwillingsstadt St. Paul aufgestellt. Mit diesem Ansatz beabsichtigte die Bank, mithilfe makrosoziologischer Indikatoren die eigene unternehmerische Aktivität im Geflecht eines begrenzten geografischen Raumes statistisch zu erfassen. Der 77 Ebd., S. 282. 78 Ebd. 79 AICPA 1972, S. 97.

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Mischansatz aus monetären und nicht-monetären quantitativen Indikatoren umfasste die Bereiche Wohnungsbau (u. a. Anzahl und Umfang der von der Bank vergebenen Hypothekenkredite), Aus- und Weiterbildung (Spenden an Ausbildungseinrichtungen, Anzahl der Angestellten im Bank College Program), Arbeitsunfälle, Einkommen, Beschäftigungschancen, Gesundheit (Fehlzeiten, Gesundheitsfürsorge), Verkehrsnutzung der Mitarbeiter, politische Partizipation von Mitarbeitern auf kommunaler und staatlicher Ebene, Umweltschutz (Papierrecycling, Energieverbrauch, Spenden), Spenden an kulturelle Einrichtungen, Human Relations (Geschäftskredite an Angehörige einer ›Minderheit‹, Spendenbeiträge), regionale Investitionen (Kredite an lokale Unternehmen, Sonderkredite an staatliche Einrichtungen, Kredite und Spareinlagen der Bevölkerung) sowie Verbraucherschutz und -dienstleistungen. Der quantitative Ansatz sollte diachrone Vergleiche im Unternehmen selbst und synchrone mit anderen Unternehmen ermöglichen sowie die Aktivitäten der Bank im Verhältnis zur sozialen Struktur in der Region beleuchten. Kritisiert wurde an dem Ansatz vor allem, dass er kaum ausgereift sei und die Auswahl der Indikatoren der Willkür des Unternehmens unterliege.80 Vielfach beschrieben die Indikatoren die genuine Geschäftstätigkeit der Bank: so wurden beispielsweise Studentendarlehen in der Kategorie Verbraucherschutz und Dienstleistungen für Verbraucher erfasst. Die Kategorie Human Relations konzentrierte sich ausschließlich auf den Bereich ›Minderheiten‹ und in diesem Bereich im Wesentlichen auf bewilligte Kredite und Kreditanträge. Alle sozialbezogenen Aktivitäten wurden unter dem Begriff des philantropic investments sehr weit gefasst. Die Indikatoren beschrieben Spenden des Unternehmens, Engagement von Mitarbeitern in sozialen Bereichen (erfasst in Zeitstunden), die Kosten für die Beschäftigung von weiblichen Mitarbeitern oder Mitarbeitern, die einer Minderheit angehörten, sowie Ausgaben für Gesundheitsprogramme im Unternehmen.81 Quaker Oats Der Mischkonzern Quaker Oats veröffentlichte ebenfalls von der Literatur vielbeachtete Sozialberichte. Mit überwiegend verbalen Darstellungen berichtete das Unternehmen bereits seit 1968 in seinem Social Progress Plan über geplante und durchgeführte Maßnahmen zur Verbesserung sozialbezogener Aktivitäten und Einrichtungen. Auf umfassende Quantifizierungen wurde verzichtet, wie auch auf den Versuch, die Auswirkungen dieser Aktivitäten darzustellen oder zu bewerten. Der betont deskriptive Ansatz umfasste ab 1972 zahlreiche unternehmensinterne und

80 Vgl. Belkaoui 1984, S. 264-266; Butcher 1973, S. 277; Dierkes 1974, S. 98-101; Estes 1976, S. 38-41; Finkelstein 1973, S. 223. 81 Vgl. Belkaoui 1984, S. 297-316.

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-externe Berichtsfelder und war mit rund 30 Seiten relativ umfangreich.82 Quaker Oats begründete sein soziales Engagement und die Veröffentlichung eines Sozialberichtes damit, dass der Beitrag eines Unternehmens zum Allgemeinwohl immer auch dem langfristigen Erfolg des Unternehmens zuträglich sei, da Gewinn und sozialer Fortschritt nicht als voneinander getrennt betrachtet werden sollten.83 Kritik an dem Ansatz wurde vor allem hinsichtlich der rein verbalen Darstellung geäußert, die kaum die Entwicklung von Standards zuließe. Darüber hinaus erscheine die Auswahl der Themen zum Teil arbiträr.84 Allerdings formulierte Quaker Oats klare Zielvorgaben für jede Berichtsperiode und berichtete auch darüber, inwieweit diese Ziele tatsächlich erreicht worden waren.85 3.1.4 Experimente ohne staatlichen Einfluss Der Sozialbilanz-Entwurf von David F. Linowes und der eng an diesem Konzept orientierte Versuch einer sozialbezogenen Rechnungslegung der Abt Associates Inc. folgten dem »constituent impact approach«86, der eine umfassende Monetarisierung der sozialen Leistungen vorsieht. Diese Übersetzung sozialer Leistungen in die Sprache des traditionellen Rechnungswesens eines Unternehmens bedeutete die Möglichkeit einer unmittelbaren Integration der Sozialbilanz in das Rechnungswesen ohne größeren Aufwand. Die Struktur dieser sozialen Rechnungslegung wird von der Definition der Anspruchsgruppen eines Unternehmens bestimmt; d.h. die Bestimmung dessen, wer Stakeholder eines Unternehmens ist, bildet das Abgrenzungskriterium für das Ausmaß, in dem soziale Kosten und sozialer Nutzen erfasst werden. Die Schwächen dieses Ansatzes lagen vor allem darin, dass nahezu ausschließlich Input-Größen zur Berechnung der sozialen Leistung eines Unternehmens herangezogen wurden, nicht aber die tatsächliche Leistung abgebildet wurde, ebenso wenig wie negative Auswirkungen in Form externer Effekte unternehmerischer Aktivität.87 Die First National Bank of Minneapolis dagegen verfolgte einen Sozialindikatorenansatz,88 mit dessen Hilfe das Wirken der Bank und die Folgen auf 82 Quaker Oats veröffentlichte unter anderem Informationen über die Bereiche Nahrung und Ernährung, Beschäftigungschancen, Umwelt, Verbraucherschutz, Gleichstellung von Frauen und Minderheiten, Ausbildung, Jugendprogramme, Gesundheitsschutz, ihr Social Progress Budget, aber auch über weiter gefasste Bereiche wie die Qualität des Fernsehens oder Drogenmissbrauch. Vgl. Finkelstein 1973, S. 223; Toan 1973, S. 336. 83 Vgl. Bauer 1973, S. 33; Finkelstein 1973, S. 223; Toan 1973, S. 336-337. 84 Vgl. Bauer 1973, S. 33; Estes 1976, S. 31. 85 Vgl. Dierkes 1974, S. 85-88 u. 158-159; ders. 1975, S. 165-167. 86 Vgl. Butcher 1973, S. 278. 87 Vgl. ebd., S. 278-279. 88 Vgl. AICPA 1972, S. 98.

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die Lebensqualität in einem definierten geographischen Raum beschrieben werden sollten. Auch wenn die Umsetzung methodische Defizite aufwies, kann der Ansatz durchaus als für die 1970er Jahre progressiver Versuch zur Sozialbilanzierung gewertet werden. Dierkes, Coppock, Snowball und Thomas stellten in einer Untersuchung, die sie 1973 veröffentlichten, fest, dass zwischen 1965 und 1971 die Berichterstattung großer amerikanischer Unternehmen über soziale Belange in Geschäftsberichten insgesamt zugenommen hatte (von 1,4 vH 1965 auf 4,8 vH 1971). Sie analysierten dazu die jährlich erscheinenden Publikationen von 57 Unternehmen. Insbesondere die Berichterstattung über Umweltschutz war in diesem Zeitraum signifikant angestiegen, von einem Anteil von zehn Prozent an der sozialbezogenen Berichterstattung im Geschäftsbericht 1967 auf 42 vH 1971. Ebenfalls zugenommen hatte das Berichten über den Verbraucherschutz (von sieben auf elf Prozent) und über die Beschäftigung von Minderheiten (von null auf acht Prozent). Das Berichten über philanthropische Aktivitäten war traditioneller Bestandteil amerikanischer Geschäftsberichte und nahm im Untersuchungszeitraum in Relation ab (von 80 auf 20 vH), blieb absolut jedoch etwa gleich. Während in den Berichten von 1965 weder der Begriff social responsibility noch vergleichbare Termini verwandt wurden, änderte sich dies deutlich mit Beginn der 1970er Jahre. Gleiches galt für Begriffe wie Umweltschutz und -verschmutzung, Minderheiten und benachteiligte Gruppen.89 Neben der Erhebung des Umfangs der unternehmerischen Sozialberichterstattung untersuchten die Autoren, inwiefern gesellschaftliche Gruppen Druck auf Unternehmen ausüben und es dadurch zu einer Erhöhung der sozialbezogenen Berichterstattung kam. Laut der Auswertung von 300 Ausgaben des Time Magazine, der Newsweek und der Business Week von 1965 bis 1971 bezogen sich die meisten Anforderungen nach mehr sozialer Verantwortung von Unternehmen auf den Verbraucherschutz (37 vH), gefolgt von Umweltschutz (insgesamt 34 vH, dabei bezogen sich 24 vH auf den Produktionsprozess und zehn Prozent auf den Gebrauch des Produktes). Forderungen nach der Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten (sieben Prozent), der Verbesserung von Arbeitsbedingungen (zwei Prozent), der Beschäftigung von Minderheiten oder einer Verminderung von kriegsbezogenen Geschäften (etwa ein Prozent) waren vergleichsweise gering.90 61 vH der Forderungen stammten von Regierungsseite und etwa 18 vH von einzelnen Bürgern oder Bürgerinitiativen wie der Umwelt-, Frauen- oder Studentenbewegung. Allein Ralph Nader und seinen Anhängern wurden drei Prozent der Forderungen nach mehr unternehmerischer Verantwortung zugeschrieben.91 Die Autoren stellten allerdings auch fest, dass die unternehmerische Sozialberichterstattung nicht unmittelbar dem 89 Vgl. Dierkes et al. 1973, S. 77-81. 90 Ebd., S. 61-65. 91 Ebd., S. 68-69.

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Aufmerksamkeitszyklus für bestimmte Themenbereiche in den ausgewerteten Medien unterlag. Sie deuteten diese Asymmetrie als Zeichen einer eigenständigen Gewichtung der Sozialberichterstattung seitens der Unternehmen. Dass insbesondere große Unternehmen über soziale Themen berichteten, interpretierten die Sozialwissenschaftler ebenfalls optimistisch im Sinne eines Bewußtseinswandels in den Unternehmensführungen: »The management of the larger companies apparently is more prepared to accept a new philosophy which regards business not exclusively as an economic institution, but also as an important part of the social and political system, with the attendant specific social and political responsibilities.«92 Ob gerade in großen Unternehmen die Unternehmensführung ein stärkeres Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung besitzt und dies anhand der Geschäftsberichte auszumachen ist, bleibt fraglich. Dass Regierungsorganisationen nach den oben angeführten Untersuchungsergebnissen aber maßgeblich den höchsten sozialen Druck auf Unternehmen auszuüben schienen, und dies insbesondere in Bereichen des Umweltschutzes, lässt eher darauf schließen, dass Unternehmen ein Interesse daran hatten, einer restriktiveren Gesetzgebung im Umweltbereich entgegenzuwirken, indem sie ihr freiwilliges Engagement betonten.93 Bei Unternehmen wie Scovill oder TRW, die nachweislich das Militär in den USA belieferten, wird dagegen die zunehmende Kritik am Vietnamkrieg und den Ausgaben für diesen Krieg erheblichen Einfluss auf die Entscheidung zur Sozialberichterstattung gehabt haben. Von staatlicher Seite gab es weder umfangreiche noch besonders erfolgreiche Bemühungen, die Sozialbilanzierung von Unternehmen zu regulieren. Die USamerikanische Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) äußerte sich zwischen 1971 und 1976 zu einer durch soziale und umweltbezogene Aspekte erweiterten Berichterstattung von Unternehmen, konstatierte jedoch, dass seitens der SEC kein Handlungsbedarf bestünde, eine solche Berichterstattung von staatlicher Seite zu forcieren. Die SEC sah ihren Auftrag in der Wahrung von Anlegerinteressen, d.h. die Berichterstattung über soziale und umweltbezogene Themen sei dann von Bedeutung, wenn die Interessen der Anleger durch die Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf Umwelt, Mitarbeiter oder Gesellschaft gefährdet seien. In den meisten Fällen impliziere dies aber ohnehin, dass Unternehmen dann gegen geltendes Recht verstießen.94 Im Oktober 1977 kündigte Handelsministerin Juanita Morris Kreps die Einrichtung eines Social Performance Index (SPI) an, der in Zusammenarbeit mit dem United Nations Centre on Transnational Corporations (UNCTC) entstehen und Daten von Unternehmen zu den sozialen Auswirkungen

92 Dierkes et al. 1973, S. 86. 93 Vgl. Heard/Bolce 1981, S. 248-249. 94 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 22; vgl. AAA 1973, S. 93.

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ihrer Aktivitäten veröffentlichen sollte. Das Vorhaben scheiterte allerdings am Widerstand der Unternehmen und wurde nicht umgesetzt.95 Unter dem Eindruck der theoretischen Überlegungen zum Social Accounting und den ersten praktischen Umsetzungen in US-amerikanischen Unternehmen gründete sich 1974 das Committee on Accounting for Corporate Social Performance im Verband der National Association of Accountants (NAA)96 mit dem Ziel, Standards für eine gesellschaftsbezogene Rechnungslegung zu entwickeln. Aus der Arbeit des Expertengremiums gingen zwei empirische Studien hervor, deren Ergebnisse im Hinblick auf die Wirkung wissenschaftlicher Konzepte auf die unternehmerische Praxis jedoch eher ernüchternd waren. Marc J. Epstein, Eric G. Flamholtz und John J. McDonough untersuchten Sozialbilanzen von 800 großen U.S.amerikanischen Unternehmen und kamen zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen nur wenig Gebrauch von theoretischen Erkenntnissen der Social AccountingForschung machten und zur rein monetären Abbildung ihrer sozialen Leistungen neigten.97 Dies stellten auch Loren A. Nikolai, John D. Bazley und Richard Lee Brummet fest, die sich in der ein Jahr zuvor erhobenen Studie der NAA auf Umweltaspekte in der Berichterstattung konzentrierten. Das Ergebnis der Studie zeigte, dass die untersuchten Unternehmen mit ihrer umweltbezogenen Berichterstattung experimentierten: es gab keine grundlegenden Änderungen in der Unternehmensorganisation oder -strategie, die auf einen langfristigen Wandel des Berichtsverhaltens hingewiesen hätten. Die Initiativen zur umweltbezogenen Berichterstattung wurden überwiegend von der Unternehmensleitung gesteuert und gingen nicht auf gewachsene Strukturen im Unternehmen zurück.98

3.2 W ISSENSCHAFTLICHE A NSÄTZE

IN

D EUTSCHLAND

In Deutschland sind die in den USA stattfindende Diskussion um Social Accounting-Ansätze und die ersten praktischen Versuche amerikanischer Unternehmen stark rezipiert worden. Die Aufmerksamkeit von wissenschaftlicher Seite verdankt das Thema vor allem dem Einfluss von Meinolf Dierkes, der mit den USAnsätzen durch seinen Forschungsaufenhalt in Seattle in Kontakt gekommen war.

95 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 23-24; vgl. Belitsky 1983, S. 24; o.A., »Corporate disclosure: beware the data trap«, in: Industrial and Commercial Training 10 (1978), Nr. 4, S. 162-165, hier S. 163; Rappa 2006, S. 14. 96 Die NAA wurde 1991 zum Institute of Management Accountants (IMA). 97 Vgl. Epstein et al. 1977, S. 1-9 u. 15-27. 98 Vgl. Belkaoui 1984, S. 114-122; Estes 1976, S. 15-22; Nikolai et al. 1976, S. 7-25.

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Dierkes war von 1970 bis 1973 am Battelle Seattle Research Center und an der University of Washington.99 Im Folgenden wird zunächst die von Dierkes skizzierte Terminologie im Bereich der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung erläutert, die sich eng an der amerikanischen Debatte orientierte und die Grundlage für die deutsche Begriffsdiskussion lieferte. Anschließend werden zuerst wissenschaftliche Ansätze vorgestellt, die sich an das traditionelle Rechnungswesen mit rein monetären Berichtsmaßstäben anschließen und Ansätze der Forschung zum Human-Resource-Accounting sowie der Berechnung externer Effekte aufnahmen. Anschließend wird das Konzept von Dierkes beschrieben, das den größten Einfluss auf den Diskurs um die Sozialbilanz im deutschsprachigen Raum hatte.100 Es folgen in der Beschreibung weitere sozialwissenschaftliche Ansätze, die mit der Entwicklung von Sozialindikatoren einhergingen. Diese Darstellung entspricht nicht zwingend der historischen Abfolge, in der die jeweiligen Ansätze publiziert wurden, insbesondere da Dierkes’ Die Sozialbilanz von 1974 eine der frühesten deutschsprachigen Publikationen war und zum Standardwerk avancierte. Doch unter inhaltlichen Gesichtspunkten ist es geboten, zunächst die konservativeren, an betriebswirtschaftlichen Konzepten orientierten Ansätze zur Sozialbilanz vorzustellen, bevor die progressiveren, sozialwissenschaftlichen Konzepte – wie jenes von Meinolf Dierkes – erläutert werden. 3.2.1 Der Begriff der Sozialbilanz Dierkes, der das Konzept der Sozialbilanz in Deutschland theoretisch wie praktisch etablieren half, orientierte sich eng an angloamerikanischen Definitionen sowie an Begrifflichkeiten des traditionellen Rechnungswesens. Er bemühte sich in der Einführungsphase in Deutschland noch um eindeutige Definitionen möglicher Begriffe für das Phänomen Sozialbilanz, die anderen Autoren als Vorbild dienten. So beschreibt der Begriff des gesellschaftsbezogenen Rechnungswesens (corporate social accounting, corporate socio-economic accounting101) nach seiner Definition die Gesamtheit der Erfassung, Analyse und Veröffentlichung von Daten, die soziale Auswirkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit sowie von bereits auf soziale Zwecke zielenden Tätigkeiten (philanthropischen Aktivitäten) betreffen. Dabei sollen erstens insbesondere Daten berücksichtigt werden, die das finanzorientierte Rechnungswesen nicht erfasst; zweitens müssen diese nicht zwangsläufig quantitativ sein, wenn eine Quantifizierung aus methodischen Gründen nicht möglich ist; und drittens soll dies offensichtlich unabhängig von der Beschaffenheit der kausalen 99

Vgl. Interview Dierkes 19.10.2010.

100 Vgl. Göllert 1979; Hemmer 1979; ders. 1980; Hoff/Strümpel 1982; Kracke 1982; Meyer-Merz 1985; Wenkebach 1979; Wysocki 1981. 101 Vgl. Kapitel 3.1; Bauer 1973, S. 13-14.

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Beziehung zwischen Tätigkeit und Auswirkung geschehen: »Daten über die wesentlichen, primären, sekundären und höherrangigen gesellschaftlichen Auswirkungen der regelmäßigen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens [...], auch solche Auswirkungen, die unbeabsichtigt, indirekt oder mit großer Zeitverzögerung auftreten«102. Das Abgrenzungskriterium für die Datenerfassung ist allein die Eingrenzung der Auswirkungen auf die jeweilige Bezugsgruppe des Unternehmens. Für die Phase der Etablierung eines gesellschaftsbezogenen Rechnungswesens im Unternehmen schlägt Dierkes eine strikte Trennung von diesem und dem traditionellen, finanzwirtschaftlichen Rechnungswesen vor. Dierkes geht allerdings nicht näher darauf ein, ob diese Trennung aus methodischen oder unternehmenspolitischen Gründen vorgenommen werden sollte.103 Parallel zur Terminologie des traditionellen Rechnungswesens legt Dierkes auch den Begriff der Sozialbilanz beziehungsweise der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung (corporate social reporting) als Abschluss des gesellschaftsbezogenen Rechnungswesens fest. Allerdings schließt Dierkes in den Bilanzbegriff auch eine Form der Gewinn- und Verlustrechnung im Sinne einer Erfolgsbilanz ein, die alle gesellschaftsbezogenen Aufwendungen und Erträge einer Bilanzierungsperiode abbilden soll. Eine Sozialbeständebilanz – äquivalent zum konventionellen Bilanzbegriff – soll dagegen »über die Verbindlichkeiten und Forderungen des Unternehmens gegenüber den verschiedenen sozialen Gruppen jenseits der finanziellen Verbindlichkeiten und Forderungen berichten«104 . Als primitiverer Sonderfall ist hier außerdem die gesellschaftliche Nutzenrechnung angeführt, die per definitionem nur den gesellschaftlichen Nutzen beziehungsweise im Bereich der Kosten lediglich die im Vergleich zu vorherigen Berichtsperioden geschaffenen Verbesserungen abbildet.105 Aufgrund der Differenzierung zwischen Sozialbeständebilanz und jener der Gewinn-und-Verlustrechnung (GuV) ähnlichen Sozialerfolgsbilanz plädierte Dierkes dafür, dem Begriff der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung gegenüber dem der Sozialbilanz den Vorzug zu geben. Auch wenn von dem Begriff Sozialbilanz eine stärkere Anziehungskraft ausginge, so suggeriere er doch, dass darüber hinaus auch eine sozialbezogene Gewinn- und Verlustrechnung zu erstellen sei. Diesen utilitaristischen Ansatz der Saldierung von Nutzen und Schaden schließt Dierkes jedoch aus. Darüber hinaus unterliege der Begriff des Sozialen im Deutschen in diesem Kontext einer Verengung auf das semantische Feld der betrieblichen Sozialpolitik, während der Begriff »gesellschaftsbezogen« den Einbezug gesamtgesellschaftlicher Auswirkungen unternehmerischen Handelns berücksichti-

102 Dierkes 1974, S. 19. 103 Vgl. ebd., S. 19-20. 104 Dierkes 1974, S. 21. 105 Vgl. ebd., S. 22.

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ge.106 Trotzdem und vor allem wegen der von Dierkes bereits antizipierten Attraktivität des Begriffs setzte sich zunehmend der Begriff Sozialbilanz pars pro toto als Terminus technicus für das ganze Feld des gesellschaftsbezogenen Rechnungswesens von Unternehmen durch. Die Begriffe corporate social audit und evaluation of business response to social priorities verstand Dierkes als Konzepte einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung. Das Audit umfasst die Prüfung und Testierung der Sozialbilanz, die Evaluation soll als Feedback-Instrument von allen Bezugsgruppen des Unternehmens genutzt werden.107 Im angloamerikanischen Sprachraum entwickelten die Begriffe des Social Accounting und Social Audits allerdings eine ähnliche Eigendynamik wie jener der Sozialbilanz im deutschen Sprachraum. Sie standen oftmals für eine Vielzahl von Formen der Sozialberichterstattung ohne den formellen Charakter einer Bilanz zu tragen.108 Meinolf Dierkes bot relativ eindeutige Definitionen an, die von den meisten Autoren in dieser Form übernommen und zumindest erwähnt worden sind. Während jedoch in der ersten Hälfte der 1970er Jahre geeignete Begriffsdefinitionen diskutiert wurden, etablierte sich in der zweiten Hälfte der Dekade der Begriff Sozialbilanz aufgrund seiner Prägnanz und ungeachtet seiner Unzulänglichkeiten in der wissenschaftlichen Literatur als Schlagwort, das sich in der unternehmerischen Praxis längst durchgesetzt hatte.109 3.2.2 Schattenpreise und Sozialfonds Eichhorn: Aktivitäten-Bezugsgruppen-Matrix Ein relativ frühes Konzept zur Sozialbilanzierung legte Peter Eichhorn 1974 vor. Der auf das Rechnungswesen kommunaler und gemeinnütziger Betriebe spezialisierte Ökonom verbrachte Ende der 1960er Jahre ein Forschungsjahr an der University of California (Berkeley) und an der Harvard Business School (Boston). Beide Institutionen gehörten zusammen mit der University of Michigan (Ann Arbor) Ende der 1960er Jahre zu den führenden in der Sozialindikatorenforschung,110 aus der sich die Social Accounting-Forschung entwickelte; mit Raymond A. Bauer in Boston und Richard L. Brummet in Ann Arbor. Eichhorns Sozialbilanz-Projekt, das Einflüsse der US-amerikanischen Human-Resource-Accounting-Forschung auf-

106 Vgl. Dierkes 1974, S. 21-22; ders. 1978b; Ziehm 1978, S. 111. 107 Vgl. Dierkes 1974, S. 22-23. 108 Vgl. Bauer/Fenn 1973, S. 38. 109 Vgl. Heymann 1981, S. 113-118; Piller 1980, S. 9-12: Wysocki 1981, S. 2-3. 110 Vgl. Dierkes 1975b, S. 14.

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nahm und weiterentwickeln wollte,111 entstand als eines von 189 Teilprojekten im Auftrag der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, die 1977 ihr umfangreiches Abschlussgutachten veröffentlichte. Die aus Hochschul-, Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbandsvertretern112 heterogen zusammengesetzte Kommission war aus dem 1967 gegründeten Arbeitskreis Automation hervorgegangen, der sowohl dem Bundeswirtschafts- als auch dem Bundesarbeitsministerium zugeordnet war. Weil durch die Zugehörigkeit von Ministerialmitgliedern um die Unabhängigkeit des Arbeitskreises und seiner Ergebnisse gefürchtet wurde, trat die Kommission 1971 anstelle des Arbeitskreises, um die ökonomischen und sozialen Folgen technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Wandels zu eruieren. Die zentralen Berichtsfelder der Sozialbilanzierung berührten im Kern die Themenbereiche der Kommissionsarbeit wie Einkommensverteilung, Bildungschancen und Beschäftigung, Umwelt- und Verbraucherpolitik oder die Gestaltung von Arbeitsbedingungen.113 Eichhorns Projekt behandelte die Integration der Themen Umweltschutz und Soziale Marktwirtschaft in das unternehmerische Rechnungswesen. Er sah in der Erweiterung der Unternehmensrechnung um gesellschaftliche Faktoren ein externes Informationsinstrument – beispielsweise zur Unterrichtung der Politik über Umweltschutzmaßnahmen – und ein internes Kontrollinstrument für eine sozialverantwortliche Personalführung.114 Insbesondere mit Blick auf wachsende Umweltschäden sei es wichtig, die Auswirkungen unternehmerischen Handelns nicht nur auf betrieblicher Ebene zu betrachten. Ein umfassendes gesellschaftsbezogenes Rechnungswesen könne schließlich auch dazu dienen, zum Beispiel die Kosten für die Einführung und Einhaltung neuer gesetzlicher Umweltschutzregelungen zu berechnen und auf diese Weise die Wirkungen solcher Maßnahmen realistischer einzu111 Vgl. Eichhorn 1974, S. 25-35; ders. 1978, S. 81-82: Ziel eines gesellschaftsbezogenen Rechnungswesens sei es, soziales Vermögen und soziale Schulden abzubilden. Zum sozialen Vermögen zähle das Humanvermögen als der »soziale[ ] Wert des von der Unternehmung geschaffenen menschlichen Leistungspotentials, bildet also eine soziale Forderung der Unternehmung gegenüber der Belegschaft«; ebenso zähle das Gemeinvermögen zum sozialen Vermögen als »der soziale Wert des von der Unternehmung hervorgebrachten Anlage- und Umlaufvermögens« als Forderung gegenüber dem Staat, weiteren Unternehmen oder der Öffentlichkeit; Schulden würden verursacht durch Handlungen »zu Lasten der Belegschaft« oder Gemeinschaft. 112 Unter den Kommissionsmitgliedern waren der Geschäftsführer des WSI, Heinz Markmann, und der Geschäftsführer der BDA, Hans Otto Messedat. Vgl. Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel 1977, S. 1-2. 113 Vgl. Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel 1977; Nützenadel 2005, S. 338; Rehling 2011, S. 80; Schanetzky 2007, S. 171-177. 114 Vgl. Eichhorn 1974, S. 40.

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schätzen.115 Nach Eichhorn ist die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung für gemeinwirtschaftliche Unternehmen von größerer Bedeutung als für privatwirtschaftliche. So könnten steuerliche Vergünstigungen und der Erhalt von Subventionen auch für die Öffentlichkeit leichter nachvollzogen und eine Verteilung der Mittel nach objektiven Kriterien sichergestellt werden.116 Aber auch für privatwirtschaftliche Unternehmen eigne sich das gesellschaftsbezogene Rechnungswesen, um den Nutzen sozialer Ausgaben zu überprüfen und um Ansprüche an das Unternehmen seitens der Gesellschaft zu antizipieren und gegebenenfalls »die heute überwiegend technologisch und ökonomisch ausgerichtete Unternehmensplanung um soziale Elemente zu erweitern«117. Eine gesellschaftsbezogene Rechnungslegung könne abbilden, welche Kosten der Allgemeinheit aufgebürdet würden oder welche unternehmerischen Maßnahmen der Allgemeinheit zugute kämen. Darüber hinaus würde auch die Internalisierung sozialer Kosten, z. B. durch eine strengere Umweltgesetzgebung und die daraus für das Unternehmen resultierenden Kosten, im Zeitverlauf dokumentiert.118 Stärkstes Argument Eichhorns für die Erweiterung des Rechnungswesens um gesellschaftsbezogene Elemente war, dass auf diese Weise das kapitalistisch geprägte Anreizsystem nicht grundsätzlich verändert würde. Er bezog sich dabei auf Dierkes, der dieses Argument zuvor schon herausgestellt hatte.119 Im Gegensatz zu Dierkes sah Eichhorn eine durchgehende Monetarisierung des sozialen Nutzens oder Schadens jedoch nicht als ersten Schritt in der Entwicklung von Indikatoren für eine gesellschaftsbezogene Rechenschaftslegung, sondern als einzig geeignetes Instrument, um gesellschaftliche Ansprüche in das Funktionssystem des Unternehmens zu integrieren.120 In seinem Konzept stellte Eichhorn deshalb eine rein monetär orientierte Rechnung auf, die der Ermittlung des gesellschaftsbezogenen Nutzens oder Schadens unternehmerischen Handelns dienen sollte: Tabelle 1: Sozialer Nutzen und Schaden in der Unternehmensrechnung Erträge Sozialer Nutzen Gesamtnutzen

-

Aufwendungen Soziale Kosten Gesamtkosten

Aus: Eichhorn 1974, S. 81.

115 Vgl. ebd., S. 13 u. 113. 116 Vgl. ebd., S. 18 u. 113. 117 Eichhorn 1974, S. 41. 118 Vgl. ebd., S. 38-39. 119 Vgl. Kapitel 3.2.3. 120 Vgl. Eichhorn 1974, S. 2 u. 41.

= = =

Gewinn/Verlust Sozialer Nettonutzen/-schaden Gesamtnettonutzen/-schaden

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Eichhorn definierte den sozialen Nutzen respektive Schaden als »den über die unternehmerischen Erträge beziehungsweise Aufwendungen hinausgehenden gesellschaftsbezogenen Wertzuwachs beziehungsweise Wertverbrauch«121. Zur Bewertung des Nutzens oder Schadens unternehmerischer Tätigkeit auf die Bezugsgruppen des Unternehmens schlug Eichhorn im ersten Schritt eine »AktivitätenBezugsgruppen-Matrix«122 vor, in der die Bezugsgruppen (Abnehmer, Lieferanten, Betriebsangehörige, Anteilseigner, Bevölkerung, Unternehmen, öffentliche Haushalte) den Aktivitäten (Beschaffung, Lagerhaltung, Transport, Fertigung, Forschung, Verwaltung, Finanzierung, Absatz) gegenübergestellt würden. Durch diese Stakeholder-Matrix sollten die externen Effekte der unternehmerischen Aktivitäten quantitativ erfasst werden.123 Eichhorn erläuterte dies anhand einiger Beispiele: [Z].B. stiftet die Unterhaltung einer Werkskantine Nutzen für die Belegschaft in Höhe der Kostenersparnisse für deren Selbstversorgung oder schränken Emissionen wie Ruß, Dämpfe, Lärm usw. das persönliche Wohlbefinden ein [...], z. B. entlastet die Unternehmung die öffentliche Verwaltung von sonst zu erfüllenden Aufgaben oder verunreinigt die betriebliche Produktion das Wasser und muß die Gemeinde für Klärung sorgen.124

Im Verständnis dieses Ansatzes würden die externen Effekte so zunächst erfasst, indem z. B. die Emissionen mengenmäßig dokumentiert würden. In diesem ersten Schritt findet noch keine Unterscheidung zwischen Input- und Outputgrößen statt, sondern alle Daten, die potentielle Auswirkungen unternehmerischer Aktivität auf die Bezugsgruppen berücksichtigen, werden erhoben. Um dieses Verfahren im Unternehmen überhaupt implementieren zu können, muss die Matrix nicht von Beginn an dem Anspruch der Vollständigkeit genügen, sondern soll im Laufe der Zeit detaillierter werden. Wie auf diese Weise die überbetriebliche Vergleichbarkeit der Rechnungslegung gewährleistet werden soll, ließ Eichhorn allerdings offen. Die monetäre Bewertung und Abgrenzung von Input- und Outputgrößen erfolgt in einem zweiten Schritt durch indirekte Bewertungsverfahren. So können Kosteneinsparungen oder Mehraufwendungen durch bestimmte Maßnahmen berechnet werden, wie im oben aufgeführten Beispiel die Differenz der Kosten zwischen Kantinen- und Selbstversorgung der Belegschaft eines Unternehmens oder die dadurch gewonnene Zeitersparnis für das Unternehmen und die Mitarbeiter in Lohngrößen ausgedrückt werden. Weiter können Auswirkungen nach dem Prinzip der Schadensverhinderung oder -verursachung berechnet werden, d.h. der Wert von Sicherheitsmaßnahmen im Betrieb bemisst sich durch die Kosten, die ein Arbeitsunfall 121 Eichhorn 1974, S. 81; vgl. ebd., S. 15 u. 37-38. 122 Ebd., S. 108. 123 Ebd., S. 107-109. 124 Ebd., S. 87-88.

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potentiell verursachen könne. Die Auswirkungen von Lärm bemessen sich an den Kosten für die Folgebehandlungen der lärmgeschädigten Personen. Aufwändigere, von Eichhorn angeführte Verfahren sind die Berechnung von Alternativkosten (Opportunitätskostenansatz), Sekundärgrößenverschiebungen oder das Aufstellen von Nachfrage- beziehungsweise Wertminderungshypothesen; dabei gilt es jeweils zu ermitteln, inwieweit sich die Nachfrage nach einem bestimmten Gut durch unternehmerische Aktivität erhöht oder vermindert (zum Beispiel ansteigende oder fallende Grundstückspreise in unmittelbarer Nachbarschaft zum Unternehmen und damit einhergehende Gewinne oder Verluste für Unternehmer, Grundstücksbesitzer oder die Kommune). Um eine konsequente Monetarisierung aller Auswirkungen unternehmerischen Handelns gewährleisten zu können, schlägt Eichhorn die Berechnung durch Schattenpreise (»z. B. Ansatz eines fiktiven Preises für den Eintritt in Grünanlagen«125) vor oder fordert die Feststellung der Zahlungsbereitschaft bestimmter Bezugsgruppen für die Durchführung oder Unterlassung einer Maßnahme. Regionale Unterschiede sollen dabei durchaus berücksichtigt und durch statistische Verfahren nivelliert werden, um letztlich die Vergleichbarkeit der gesellschaftsbezogenen Rechnung gewährleisten zu können.126 Weitere Bezugsgrößen, anhand derer der Nutzen oder Schaden bestimmter Maßnahmen bewertet werden könnte, seien »technische Standards, medizinische Grenzwerte und politisch gesetzte Richtwerte«127. Das Maß der Unter- oder Überschreitung der Werte ist dann Grundlage für die monetäre Bewertung. Wie Dierkes sah auch Eichhorn im corporate social audit eine Weiterentwicklung der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung, weil er nachprüfbare, allgemein anerkannte Standards voraussetze und somit die Veröffentlichung manipulierter Zahlenwerke verhindere sowie überbetriebliche Vergleiche ermögliche, die auch der wirtschaftspolitischen Planung dienen könnten. Schließlich könne die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung über Standards hinaus gesetzlich geregelt werden, zumindest solle sie aber den von Eichhorn aufgestellten Anforderungskriterien der Vollständigkeit, Überprüfbarkeit, Vergleichbarkeit und Wirtschaftlichkeit genügen. Überprüfbarkeit solle nicht zuletzt durch den eindimensionalen Indikatorenansatz einer stringenten Monetarisierung ermöglicht werden. Wirtschaftlichkeit bedeutete in diesem Zusammenhang vor allem, dass eine im Sinne des dargestellten Ansatzes ernsthaft verfolgte gesellschaftsbezogene Rechnungslegung ressourcenaufwändig sei, und deshalb nur dann wirtschaftlich sein könne, wenn auch Konsequenzen – also Maßnahmen zur Behebung sozialkostenverursachender Zustände – aus den gewonnen Informationen gezogen würden.128 125 Eichhorn 1974, S. 111. 126 Vgl. ebd., S. 109-112; ders. 1978. 127 Eichhorn 1974, S. 20. 128 Vgl. Eichhorn 1974, S. 19-23, 61 u. 77-78.

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Ein wesentliches Kriterium des Eichhornschen Ansatzes war die Abgrenzung der gesellschaftsbezogenen Auswirkungen von den wirtschaftlichen Auswirkungen unternehmerischen Handelns. Er schlug hier eine klare Trennung vor und lehnte darüber hinaus die Idee ab, den gesellschaftlichen Nutzen oder Schaden, den ein Unternehmen produziert oder verursacht, als bloßen Teil volkswirtschaftlichen Wertzuwachses oder volkswirtschaftlicher Kosten zu betrachten. Eichhorn mochte – ähnlich dem Vorschlag der AICPA – die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung allein auf die Sphäre des Unternehmens beschränkt sehen, da dieses Projekt andernfalls zu umfangreich sei und die kausalen Beziehungen nicht umfassend quantitativ erfasst würden, geschweige denn monetär abgebildet.129 Schon auf Unternehmensebene entdeckte Eichhorn einige Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich der Auswahl unternehmerischer Handlungen und der Zurechenbarkeit von Auswirkungen jener Handlungen. Dem Auswahlprozess lägen oft Annahmen über kausale Zusammenhänge, die nicht immer wissenschaftlich überprüft würden, sowie subjektiv gefärbte oder politische Überzeugungen zugrunde. So gelte oftmals das Prinzip der Freiwilligkeit als einziges Abgrenzungskriterium für sozialbezogene gegenüber wirtschaftsbezogenen Leistungen. Eichhorn forderte deshalb, Standards zur Definition der Abgrenzung von marktbezogenen und nicht-marktbezogenen Aktivitäten eines Unternehmens seien in Zusammenarbeit von interdisziplinären Wissenschaftlergruppen130 und Unternehmensvertretern zu entwickeln. Diese Standards dienten dazu, den den Grad der Zurechenbarkeit von Auswirkungen dieser Aktivitäten festzulegen. Ihre Entwicklung könne durch akribische Dokumentation aller Vorgänge im Unternehmen erfolgen, erleichtert durch branchenspezifische Schwerpunktsetzungen.131 Der Wissenschaft kommt in diesem Vorschlag die Aufgabe zu, das Problembewusstsein für Abgrenzungsschwierigkeiten zu schärfen und damit grundsätzlich zu definieren, was der Unternehmenssphäre und was der Unternehmensumwelt zuzurechnen ist, wobei zwischen sozialer und physischer Umwelt nicht unterschieden wird. Eichhorn betonte in seinem Ansatz immer wieder die grundlegende Bedeutung von Rechnungslegungsstandards und betrachtet den Verhaltenskodex, wie er im Davoser Manifest von 1973 formuliert worden war, lediglich als inhaltsleeres Versprechen, das keine Grundlage für konkrete Handlungen der Unternehmensführung bereit halte.132 Das von Eichhorn vorgeschlagene Konzept einer eindimensio129 Vgl. ebd., S. 37-38. 130 Eichhorn orientiert sich hier an den Vorstellungen des Bundesinnenministeriums zur Entwicklung der Umweltgesetzgebung, nach denen Wissenschaftler über Disziplinengrenzen hinweg ihr fachspezifisches Wissen einbringen. So könnten Juristen, Wirtschaftsprüfer, Naturwissenschaftler und Ingenieure gemeinsam Standards für eine umweltbezogene Berichterstattung entwickeln. Vgl. Eichhorn 1974, S. 78. 131 Vgl. Eichhorn 1974, S. 16, 78-80 u. 89-91. 132 Vgl. ebd., S. 62; zum Davoser Manifest 1973 vgl. Einleitung dieser Arbeit.

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nalen gesellschaftsbezogenen Unternehmensrechnung zeigt seine Präferenz für eine rein marktorientierte Lösung in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Forderungen an Unternehmen, indem durch dieses Modell externe Effekte ohne regulative Eingriffe des Staates internalisiert werden sollen. Allein der Preis und damit einhergehende Effizienzkriterien entscheiden darüber, inwieweit gesellschaftliche Ziele unternehmerische Entscheidungen beeinflussen.133 Mintrops Modell des ›Sozialen Fonds‹ Das Sozialbilanzkonzept von Angelika Mintrop verortete die Notwendigkeit einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung im schwindenden Vertrauen auf die Verlässlichkeit und Erklärungsmacht liberaler Wirtschaftstheorien sowie im zunehmenden Einfluss multinationaler Konzerne, deren globale Verflechtungen längst nicht mehr dem »Bild einer atomistischen Wettbewerbswirtschaft«134 entsprächen. Das soziale Umfeld des Unternehmens fordere Demokratie, Mitbestimmung und Rechenschaft, nicht zuletzt, weil die Führung von Unternehmen kaum noch zwingend dem Eigentümer unterlag. Kontroll- und Mitspracheforderungen nähmen zu und beförderten das gesellschaftsbezogene Rechnungswesen gleichermaßen zu einem Instrument der internen Entscheidungsfindung wie der Legitimation nach außen. Ihr Vorschlag zur Berücksichtigung der sozialen Dimension in der unternehmerischen Berichterstattung war zurückhaltend und sah eine Erweiterung des Rechnungswesens um die Rechnung des »sozialen Fonds«135 vor. Mintrop lehnte eine Berechnung der volkswirtschaftlichen Schäden beziehungsweise des volkswirtschaftlichen Nutzens unternehmerischer Tätigkeit ab. Das Rechnungswesen könne dies nicht leisten. Das von Dierkes vertretene Konzept sozialer Indikatoren sei dazu eher geeignet, impliziere aber zu viele methodische Herausforderungen, denen nur durch die Festlegung von Konventionen begegnet werden könne. Die Möglichkeiten zur Umsetzung solcher Konventionen bewertete sie jedoch als zu gering. Auch gewerkschaftliche Ansätze einer arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre (AOEWL)136 lehnte die Autorin ab, da diese marktwirtschaftlichen Prinzipien eher zuwider liefen und gewerkschaftliche wie bürokratische Einflüsse auf die Unternehmensführung zu stark werden ließen.137 Der soziale Fonds, den sie in ihrem Ansatz vorstellt, sieht auf der Seite der sozialen Leistungen des Unternehmens (Zuflüsse an den Fonds) monetäre Leistungen vor: Aufwendungen für Umwelt-, Unfall- und Gesundheitsschutz, Steuern, Spenden oder Zuführungen zur freien Rücklage für die Erhaltung der Unternehmenssub133 Vgl. Bonus 1976. 134 Mintrop 1976, S. 169. 135 Ebd., S. 166-167. 136 Ausführlicher dazu Kapitel 4.3. 137 Vgl. Mintrop 1976, S. 37-51 u. 171-172.

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stanz. Auch andere materielle Leistungen, die sich ebenfalls monetär erfassen ließen (Information von Kunden, Mitarbeitern, Aktionären durch Geschäftsberichte oder durch die Ausrichtung der Hauptversammlung), stellen Zuflüsse zum Fonds dar. Deren Wert bemisst sich vor allem an der Wirkung der Maßnahmen; das Konzept Mintrops jedoch beschränkte sich allein auf Aufwandsposten. Die Auswahl der gesellschaftsbezogenen Leistungen wird damit begründet, dass sie keinem direkten Tauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung unterliegen und deshalb als atypische Leistungen im Unternehmen betrachtet werden können. Auf der Seite der vom Unternehmen verursachten sozialen Kosten (Abflüsse aus dem sozialen Fonds) erscheint der Verzehr von Subventionen, freier Güter aus der ökologischen Umwelt (Luft, Wasser; durch Geruchs- und Lärmbelästigung) und öffentlicher Güter aus der sozialen Umwelt (Infrastruktur, Wissen). Inwiefern der Verzehr der freien und öffentlichen Güter berechnet werden soll, lässt Mintrop allerdings offen. Sie verweist lediglich darauf, dass bei einer Erweiterung der Rechnungslegung um soziale Dimensionen diese Güter, die lediglich volkswirtschaftlichen Wert hätten, dann auch betriebswirtschaftlich als Gut bewertet werden müsste.138 Ebenso ist unklar, inwiefern das Fehlen eines direkten Tauschverhältnisses als Abgrenzungskriterium für soziale Leistungen dienen kann, denen in der Rechnung des sozialen Fonds ein monetärer Wert zugeschrieben wird und die damit unmittelbar einen Tauschwert erhalten. Mintrop bot also keine Lösung für die Berechnung externer Effekte aus der unternehmerischen Tätigkeit an, sondern beschränkte sich auf den Hinweis, dass diese berücksichtigt werden müssen. Ihr Konzept impliziert, dass die Verringerung des Verzehrs öffentlicher und freier Güter die soziale Bilanz des Unternehmens im Hinblick auf gesellschaftliche Kosten verbessert. Insbesondere für das öffentliche Gut ›Wissen‹, das erstens durch unterlassene Nutzung höhere gesellschaftliche Kosten verursacht als durch Nutzung, und zweitens nicht zwangsläufig kostenfrei zugänglich sein muss, war das Modell von Mintrop wenig innovativ und verharrte in konventionellen Konzepten zum Rechnungswesen. Allerdings weist Mintrops Modell bemerkenswerte Parallelen zum gegenwärtigen Modell des Emissionshandels auf.139 Aktiva und Passiva sozialer Verantwortung: Das Konzept von Ziehm Einer der meistbeachteten Ansätze neben Dierkes Konzept war der Sozialbilanzansatz des Wirtschaftsprüfers Friedrich Ziehm.140 Er stellte fest, dass ein Großteil der deutschen Unternehmen zwar Verantwortung im sozialen und ökologischen Bereich übernehme, es aber an angemessenen Instrumenten fehle, diese Verantwortungs138 Vgl. Mintrop 1976, S. 144; 166-168. 139 Vgl. Kapitel 8.2. 140 Vgl. AKSBP 1977; BDA 1975; Fischer-Winkelmann 1980, S. 36-40; Teuchert-Pankatz 1982, S. 94-94; VCI 1975; Wysocki 1981, S. 101-104; Zimmermann 1980, S. 105-111.

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übernahme nach außen zu dokumentieren und aus diesem Mangel ein negatives Unternehmerbild resultiere. Ziehms Ziel war es, ein Sozialbilanz-Modell für die Unternehmenspraxis zu entwerfen, das mit den herkömmlichen Jahresabschlüssen kompatibel ist, als geschlossenes Konzept funktioniert, aber trotzdem Raum für Weiterentwicklungen lässt. Eine gesetzliche Regelung der Sozialbilanzierung und Testatspflicht solle nicht zwanghaft verfolgt werden, und Wirtschaftsprüfer sollten in erster Linie beratend den Entwicklungsprozess der Sozialbilanzen begleiten, um gemeinsam mit der Praxis Standards für eine gesellschaftsbezogene Rechnungslegung heranzubilden. Dennoch ging Ziehm damit deutlich über die Anforderungen seiner Zunft an die Sozialberichterstattung hinaus. Das Handbuch der Wirtschaftsprüfer empfahl 1973 lediglich die oftmals bereits praktizierte Integration mitarbeiterbezogener Informationen wie Beschäftigtenzahlen, Entlohnung, Tarifregelungen und freiwillige Sozialleistungen: hier vor allem Informationen zu tradierten Sozialleistungen wie Werkswohnungsbau, Werksverpflegung, Erholungsheimen, Weihnachts- und sonstige Sonderzuwendungen, Unterstützung von Pensions- oder Wohlfahrtskassen, allerdings auch einige Sozialleistungen jüngeren Datums wie Gewinnbeteiligungen und Belegschaftsaktien.141 In die Sozialbilanzen sollten nach Ziehm nicht nur der gesellschaftliche Nutzen einfließen, sondern auch die negativen Auswirkungen und sozialen Verpflichtungen, die aus der wirtschaftlichen Aktivität von Unternehmen resultieren. Dies seien die Informationen, nach denen die Öffentlichkeit verlange, wenn sie Unternehmen zu verantwortlicherem Handeln auffordere.142 Ziehm kehrte das bereits in der unternehmerischen Praxis gängige Verfahren – die Auflistung sozialer Leistungen und die Erläuterung des gesellschaftlichen Nutzens dieser Leistungen – um, indem er vorschlug, es sollten zunächst die gesellschaftlichen Verpflichtungen und Schäden, die durch die wirtschaftliche Aktivität eines Unternehmens gegenüber der Gesellschaft entstünden, definiert und wenn möglich quantifiziert werden. Dies seien die Passiva in der Sozialbilanz eines Unternehmens. In einem zweiten Schritt könnten – ebenfalls möglichst quantifiziert – dann die Leistungen zum Ausgleich dieser Verpflichtungen oder Schäden auf der Aktivseite aufgeführt werden. Auf der PassivaSeite identifizierte Ziehm beispielsweise »Gesellschaftliche Einwirkungen des Unternehmens«143 wie Luft- oder Wasserverschmutzung durch Produktion oder Produkte, denen er auf der Aktiva-Seite Maßnahmen wie der Einbau von Luftfiltern oder der Bau von Kläranlagen gegenüberstellte. Ziehm verfolgte damit einen problemorientierten Ansatz anstelle eines rein aufwendungsorientierten. Seine Auswahl der gesellschaftsbezogenen Verpflichtungen spiegelt die Konfliktthemen zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern in den siebziger Jahren wider. In Ziehms 141 Vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer 1973, S. 510. 142 Vgl. Ziehm 1974, S. 1489-1490 u. 1493. 143 Ebd., S. 1491.

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Leistungsrechnung spielt Umweltschutz eine ebenso zentrale Rolle wie Konflikte mit den Mitarbeitern und Gewerkschaften, insbesondere jene, die aus der Mitbestimmung oder dem Strukturwandel resultierten und politischen Entwicklungen durch das Programm zur Humanisierung der Arbeit oder der Problematisierung der Gastarbeiterbeschäftigung geschuldet waren. Der Hinweis auf »Rassenkonflikte« folgt eher dem nahen Vorbild der amerikanischen Sozialbilanzansätze. Ziehm bezieht sich hier vor allem auf Linowes. Die Aufnahme von Investitionen in Entwicklungsländer als Posten der sozialen Leistungsrechnung erschließt sich aus der in den siebziger Jahren zunehmenden öffentlichen und globalen Diskussion um den Einfluss multinationaler Unternehmen aus Industriestaaten auf Entwicklungsländer.144 Die Beurteilung der Frage, ob das Verhältnis zwischen Aktiv- und Passivseite – also zwischen definiertem Problem und Maßnahme zur Problemlösung – angemessen ist, solle dem Management und sachkundigen Lesern überlassen werden. Der Sozialbilanzansatz von Ziehm richtete sich somit nicht zuallererst an die Öffentlichkeit, sondern stärker an ein fachliches Publikum. Hier waren die Mitarbeiter als Experten für ihre Arbeitsbereiche nicht ausgeschlossen. Eine solche Sozialbilanz biete aber auch der Öffentlichkeit Informationen über die gesamten gesellschaftsbezogenen Leistungen an und darüber, »in welchem Umfang das Management seine soziale Verantwortung wahrnimmt und zur Verbesserung der Lebensqualität beiträgt.«145 Ziehm bezieht sich an dieser Stelle auf die amerikanische Managementliteratur der fünfziger Jahre – insbesondere auf Peter F. Drucker – , über die er bereits in seiner 1958 erschienenen Dissertation gearbeitet hatte. Eine Orientierung allein an der Maximierung des Gewinnes könne nur als kurzfristiges Ziel eines Unternehmen sinnvoll sein, langfristig sei es empfehlenswert, ein Unternehmen stets in der »soziale[n] Verflechtung mit der Umwelt«146 zu betrachten und aus dieser Beziehung heraus die Unternehmensziele zu definieren. In der Demonstration von Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit liege eine ebenso zentrale Aufgabe von Unternehmen.147 Eine Monetarisierung der Verpflichtungen und insbesondere der Leistungen schien Ziehm vor allem deshalb sinnvoll, weil die soziale Rechnungslegung dann in die geschäftsbezogene Rechnungslegung integriert werden könne, da jede soziale Leistung des Unternehmens schließlich aus den erwirtschafteten Überschüssen finanziert und damit auch kontrolliert werden müsse. Die Daten über die sozialen Ausgaben würden ohnehin der Gewinn- und Verlustrechnung entnommen. Allerdings erlaubt es die Gegenüberstellung mit den sozialen Verpflichtungen, das Ausmaß der sozialen Leistungen und die Begründung ihrer Auswahl detailliert darzu144 Vgl. Kapitel 7.1. 145 Ziehm 1974, S. 1491. 146 Ziehm 1958, S. 57. 147 Vgl. Drucker 1954; Ziehm 1958; ders. 1974; ders. 1978, S. 112-114.

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stellen, und eigne sich damit als Legitimationsinstrument. Das Sozialbilanzkonzept von Ziehm hat also erstens die Funktion eines Kontrollinstrumentes für das Management und zweitens die eines Informationsinstrumentes für die Stakeholder des Unternehmens, insbesondere für Presse und Politik. Letztere Funktion legitimiere den Aufwand für die Sozialbilanzerstellung, wenn durch die Veröffentlichung die Beziehungen zu den Stakeholdern in dem Maße »nachhaltig verbessert« würden, dass höhere Gewinne beziehungsweise geringere gesellschaftsbezogene Ausgaben zu erwarten seien.148 Vier Jahre später veröffentlichte Ziehm eine überarbeitete Fassung seines Konzepts, in der er den Anspruch einer möglichst umfassenden Quantifizierung deutlich zurücknahm und auf deren Schwierigkeiten in der Praxis verwies. Er plädierte deshalb für den Begriff der Rechenschaftslegung anstelle einer gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung, weil erstere verbale Beschreibungen gesellschaftsbezogener Leistungen und Verpflichtungen zulasse. Ziehm revidierte seine früheren strengeren Forderungen zugunsten der Erfahrungen aus der unternehmerischen Praxis – insbesondere der Unternehmen aus dem Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis, auf die er direkt Bezug nahm. Dort wo pekuniäre Quantifizierungen möglich seien, sollten allerdings möglichst die etablierten Standards der finanzbezogenen Berichterstattung – im Sinne der allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze – beachtet werden.149 3.2.3 Soziale Indikatoren und der Imperativ der Verantwortung Das Feld der Sozialindikatorenforschung gewann in den siebziger Jahren erheblich an Bedeutung. In den USA bestimmten Autoren wie Raymond A. Bauer, Eleanor Sheldon und Mancur Olson den wissenschaftlichen Diskurs. Regierungseinrichtungen nutzten die entwickelten sozialwissenschaftlichen Methoden zur Evaluation ihrer Programme. Auf globaler Ebene versuchten die OECD und die Vereinten Nationen Sozialindikatoren als Wohlstandsindikatoren zu etablieren und waren Vorbild für ähnliche Bemühungen in der Europäischen Gemeinschaft.150 In der Bundesrepublik schufen der Ausbau des Sozialstaates und die mit ihm verwobene Verwissenschaftlichung der Politik durch Expertengremien ein Fundament zur Institutionalisierung der Sozialindikatorenforschung, die an die Diskussion um die Qualität des Lebens und Möglichkeiten der alternativen Wohlfahrtsmessung anschloss. Der Sozialindikatorenansatz versprach, geeignete Instrumente zur Erfolgsmessung der Symbiose aus Wissenschaft und Politik zu bieten und eröffnete zugleich ein weiteres Tätigkeitsfeld für Sozialwissenschaftler. 1972 gründete die Deutsche Gesellschaft für Soziologie die Sektion Soziale Indikatoren, 1974 erschloss sich mit dem 148 Vgl. Ziehm 1974, S. 1491-1493. 149 Vgl. Ziehm 1978. 150 Vgl. Kapitel 3.1 u. 7.1.

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Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens151 ein wichtiges Arbeitsfeld zur Anwendung sozialer Indikatoren. Die Vertreter der Sozialindikatorenbewegung zielten durchaus darauf, die Anwendungsmöglichkeiten ihrer Forschung hervorzuheben. Zahlreiche Arbeitstagungen in den 1970er Jahren stellten die verschiedenen Anwendungsfelder heraus. Die pragmatische Ausrichtung machte die Sozialindikatorenforschung nicht nur für die Politik, sondern auch für die Anwendung im Unternehmen attraktiv.152 Soziale Indikatoren bieten die Möglichkeit, Daten mehrdimensional zu erfassen, zu aggregieren, in einem geschlossenen System zu behandeln, erlauben Vergleiche zwischen Unternehmen und über definierte Zeiträume.153 So können beispielsweise in Mitarbeiterbefragungen ermittelte Daten mit statistischen Daten korreliert werden. Daten müssen nicht zwangsläufig in monetären Dimensionen abgebildet werden, was insbesondere die Darstellung von Outputs im sozialen Rechnungswesen erheblich vereinfachte.154 Damit schienen sie die Probleme der Sozialberichterstattung auflösen zu können, die einerseits die Nähe zum finanzorientierten Rechnungswesen suchte und andererseits mit heterogenen Datenmengen umgehen musste. Soziale Verantwortung »für Fortgeschrittene«: Der Goal Accounting-Ansatz von Meinolf Dierkes Der Sozialwissenschaftler Meinolf Dierkes sah im Sozialindikatorenansatz großes Potential, gesellschaftliche Wandlungsprozesse abzubilden. Erstens könnten die Informationen, die die Indikatoren über den Zustand einer Gesellschaft liefern, zur Beseitigung sozialer und ökologischer Probleme beitragen, indem der Ist-Zustand in allen gesellschaftlichen Bereichen erfasst und Problembereiche damit überhaupt definiert würden. Zweitens könnten in der Rückschau Trends extrapoliert und auf diese Weise Wandlungsprozesse nachgezeichnet werden. Langfristig könnten soziale Indikatoren die Datengrundlage für eine wissenschaftlich fundierte Sozialprognostik bereitstellen. In Unternehmen gesammelte Daten trügen insbesondere in den Bereichen Arbeit und Einkommen, aber auch in Bezug auf die physische Umwelt, Bildungs- und Einkommenschancen, Gesundheitsversorgung oder soziale Mobilität dazu bei, ein möglichst detailliertes Bild einer Gesellschaft zu zeichnen. Dierkes war während eines USA-Aufenthaltes als Fellow des Research Center am Battelle Memorial Institute in Seattle zwischen 1970 und 1973 mit der amerikanischen Sozialindikatoren- und Social Accounting-Forschung in Berührung gekommen. Gemeinsam mit Raymond Bauer organisierte er Tagungen und publizierte zu beiden 151 Vgl. Kapitel 2. 152 Vgl. bspw. Dierkes et al. 1976; Hoffmann-Nowotny 1980 u. 1981; HoffmannNowotny/Gehrmann 1984; OECD 1974; Zapf 1976. 153 Vgl. Hockerts 2011, S. 196; M. Peters/Zeugin 1979, S. 6 u. 17-36. 154 Vgl. M. Peters/Zeugin 1979, S. 15 u. 46-48.

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Themen.155 Nach seiner Rückkehr wurde er Leiter der Abteilung für Angewandte Sozial- und Verhaltensforschung der Frankfurter Niederlassung des BattelleInstituts und wissenschaftlicher Direktor der von der Deutschen Bank 1972 ins Leben gerufenen und ebenfalls in Frankfurt ansässigen Stiftung Gesellschaft und Unternehmen.156 Sowohl die Stiftung als auch das Battelle-Institut erlaubten enge Kontakte zur Wirtschaft. Die 1953 in Frankfurt gegründete Niederlassung des amerikanischen Battelle-Institutes157 betrieb im Wesentlichen Auftragsforschung für die Industrie und bezog die meisten ihrer Aufträge in den 1950er und 1960er Jahren aus der Chemie-, Elektro- und Maschinenbaubranche. In den 1970er Jahren erweiterte Battelle sein Leistungsportfolio und versuchte, auch die wissenschaftliche MetaEbene dieser Auftragsforschung zu beleuchten, indem der gesellschaftliche Bedarf solcher Forschung ermittelt werden sollte. Sowohl in der deutschen als auch in der Schweizer Niederlassung in Genf wurden mit dieser Ausrichtung auf die Sozialprognostik Betätigungsfelder für Sozialwissenschaftler geschaffen, die sich unter anderem mit den Themen des von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitskreis Automation überschnitten. Die Frankfurter Forschergruppe führte im Rahmen der Arbeitskreisagenda eine Untersuchung zu den Implikationen technischen Fortschritts auf Beschäftigte im Transportwesen durch.158 Bei aller Nähe zur industriefinanzierten Auftragsforschung hatte Dierkes die Vision von einem humaneren Kapitalismus, der sich langfristig unter dem Eindruck des gesellschaftlichen Wertewandels entwickeln würde. Eine sozialindikatorengestützte Sozialbilanzierung könne als Instrument zur Kontrolle und Durchsetzung von Reformen des Wirtschaftssystems als Ganzem dienen und die Aufgaben von Unternehmen in der Gesellschaft neu definieren helfen. Dierkes beschreibt das Unternehmen als Organisation in zwei verschiedenen Umwelten, einer ›tätigkeitsbezogenen‹ und einer ›ziel- oder aufgabensetzenden‹. Die tätigkeitsbezogene Umwelt bezeichnet das Wirtschaftssystem, die zielsetzende die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen, in die das Unternehmen eingebettet ist. Während Unternehmen im Wirtschaftssystem hohe Anpassungsfähigkeit demonstrierten, zeigten sie sich gegenüber sozialen Veränderungen nur wenig flexibel, insbesondere wenn die155 Vgl. Dierkes 1973; ders. 1975; Dierkes et al. 1976. 156 Abs leitete die Stiftung, die finanziell von 45 Unternehmen unterstützt und von Dierkes sowie vier weiteren Mitarbeitern wissenschaftlich betreut wurde. 157 Weitere europäische Niederlassungen hatte das Institut in Genf, London, Mailand, Madrid und Paris. Vgl. Lieske 2000, S. 267. 158 BDA Abt. VII: Bundesminister für Wirtschaft, Bericht über die Tätigkeit des Arbeitskreises Automation (05.02.1970). Ende der 1980er wurde das Frankfurter Battelle-Institut geschlossen. Es konnte vor allem der Konkurrenz durch die zunehmend einflussreichere Fraunhofer-Gesellschaft wenig entgegensetzen. Vgl. Lieske 2000, S. 257-276 u. 305-309; Seefried 2010, S. 84.

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se Veränderungen im Gegensatz zu »den Zielen des eng definierten ökonomischen Tätigkeitsfeldes«159 stünden. So würde auch der Erfolg eines Unternehmens nur an seinem wirtschaftlichen, nicht aber an seinem sozialen Handeln gemessen. Das veränderte gesellschaftliche Umfeld fordere jedoch eine stärkere Ausrichtung an einem gemeinsamen Ziel – mehr Lebensqualität für alle – und stelle damit neue Anforderungen an Unternehmen. Erfolg bedeute dann nicht mehr allein wirtschaftliches Wachstum, sondern auch die Umsetzung von Maßnahmen zu einer Verbesserung der Lebensqualität durch mehr Mitsprache, saubere Luft oder mehr Verteilungsgerechtigkeit. Dierkes sah in der Sozialbilanz ein geeignetes Instrument zur Erfolgskontrolle von Unternehmen, die ihre Ziele nicht allein rein marktwirtschaftlich ausrichten, sondern sich einem solchen humanen Kapitalismus verpflichten würden.160 Dass selbst die Soziale Marktwirtschaft nicht geeignet sei, weder die Lebensqualität jedes Einzelnen noch den Wohlstand aller langfristig zu befördern und den sozialen und Umweltproblemen zu begegnen, offenbare sich zunehmend, stellte Dierkes fest. Im Gegenteil befördere jedes kapitalistisch ausgerichtete System sogar die Probleme: Rationale Unternehmensentscheidungen bewirken, so zeigt sich häufig, ein irrationales Verschleudern natürlicher Ressourcen, eine Zerstörung der physischen Umwelt, zunehmende Entfremdung des arbeitenden Menschen, kurz: sie führen, in Teilbereichen wenigstens, zur Reduktion statt zur Erhöhung der Qualität des Lebens. Im Gegensatz zu den Erwartungen der marktwirtschaftlichen Theorie, daß individuelle, auf das Eigeninteresse ausgerichtete Entscheidungen der Wirtschaftseinheiten durch den Wettbewerbsprozeß letztlich in einem gesamtgesellschaftlichen Optimum resultieren, ist somit zunehmend festzustellen, wie absolut vernünftige mikroökonomische Entscheidungen und Handlungen in der Aggregation oft weitgehend unerwünschte Makroergebnisse mit sich bringen.161

Dierkes forderte global ausgerichtete Handlungsmaximen von Unternehmen und die Ausrichtung an alternativen Erfolgsindikatoren. Es könne nicht allein nur möglichst hohes Wachstum zu möglichst geringen Kosten als Indiz für erfolgreiches Handeln zugrunde gelegt werden. Auch die Politik müsse in der Lage sein, einerseits die Hinwendung zu einem humanen Kapitalismus zu steuern und geeignete Steuerungsinstrumente zu implementieren, ohne andererseits das Wirtschaftssystem durch eine dominierende Bürokratie zu lähmen. Die institutionellen Regelungen der Sozialen Marktwirtschaft – wie die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und die Sozi-

159 Dierkes 1974, S. 37. 160 Vgl. Dierkes 1974, S. 27-40. 161 Dierkes 1975a, S. 157.

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alpartnerschaft162 – gingen Dierkes in der Praxis zur Sicherstellung eines akzeptablen Niveaus an Lebensqualität nicht weit genug. Seine Äußerungen zur Funktion des Staates vor dem politischen Hintergrund des Kalten Krieges und andauernder reziproker Systemkritik stellten die Defizite des extrem liberalen Kapitalismus ebenso wie des sozialistischen Wirtschaftssystems heraus. Dierkes wünschte sich verantwortliches, auf das Gemeinwohl ausgerichtetes Handeln von allen beteiligten Akteuren durch spezifische Zielsetzungen im Unternehmen, externe Regulierung und Festlegung von gesamtgesellschaftlichen Zielen durch die Politik sowie Kontrolle und Feedback durch die Anspruchsgruppen wie beispielsweise Konsumenten, Umweltschützer oder Mitarbeiter. Sanktionsmechanismen sollten die Orientierung aller Akteure an den festgelegten Zielen sicherstellen.163 Dierkes war sich allerdings auch bewusst, dass eine so umfassende Veränderung in der Zielorientierung von Wirtschaftsunternehmen Utopie bleiben musste, wenn sie ad hoc geschehen sollte. Eine graduelle Entwicklung zur Gemeinwohlorientierung hielt er jedoch für möglich oder wollte sie zumindest als Vision nicht aufgeben. Die Kontrolle dieser Orientierung an Zielen sah er durch das Goal Accounting gewährleistet, einen Ansatz, den Dierkes während seiner Zeit in den USA selbst mitentwickelt und in Deutschland bekannt gemacht hatte,164 und den er als »[g]esellschaftsbezogene Unternehmenspolitik für Fortgeschrittene«165 bezeichnete. Die Berichterstattung über die Definition und die Erfüllung der gesetzten Ziele stellte einen wesentlichen Baustein im Managementsystem des Goal Accounting dar, das sich in vier Stufen entwickeln konnte. Die einfachste Form konnte eine Zusammenstellung aller über rein wirtschaftliche Ziele hinausgehenden Maßnahmen sein. In einem zweiten Entwicklungsschritt würden die Ausgaben für diese Maßnahmen dokumentiert. Eine dritte, komplexere Stufe sah den Einsatz von Indikatoren vor, die nicht allein monetär sein sollten. Es würden mehr Daten aggregiert und eine geringere Verständlichkeit der Berichterstattung würde zugunsten eines höheren Informationsgehaltes durch den Indikatoreneinsatz in Kauf genommen. Die elaborierteste Stufe der Berichterstattung schließlich berücksichtige auch die Auswirkungen unternehmerischer Maßnahmen; und zwar aller Aktivitäten auf die natürliche und soziale Umwelt. Die größten Schwierigkeiten lägen hier in der Ermittlung der Output-Größen:166

162 Zum Begriff der Sozialen Marktwirtschaft vgl. Abelshauser 2003, S. 142-162; ders. 2011, S. 480-493 u. 523-529; Jähnichen 2008, S. 123-184; Scholtyseck 2012. 163 Vgl. Dierkes 1974, S. 27-44; ders. 1975, S. 156-164. 164 Vgl. Hoffmann 2001, S. 209; Interview Dierkes 19.10.2010. 165 Dierkes 1974, S. 122. 166 Ebd., S. 172-179.

120 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN So sind z. B. Aufwendungen für den werksärztlichen Dienst noch relativ leicht zu ermitteln. Versucht man jedoch festzustellen, in welchem Umfang das Unternehmen durch diese Aktivität zu Hebung des allgemeinen Gesundheitsniveaus einer Region oder auch allein seiner Mitarbeiter beigetragen hat, so stößt man sofort auf die beiden zentralen Probleme: a) Gesundheit operationabel zu definieren und b) die Veränderungen in der Gesundheit der Gruppe unfragwürdig den speziellen Aktionen des Unternehmens, die ja letztlich nur ein Teil der Faktoren sein können, die den Gesundheitsstand beeinflussen, zuzurechnen.167

Gelöst würden solche methodischen Probleme nicht a priori auf rein theoretischer Ebene, sondern nur im Lernprozess der Anwendung von sozialen Indikatoren im Unternehmen.168 Im Einsatz subjektiver wie objektiver Sozialindikatoren sah der Sozialwissenschaftler eine geeignete Methode, die Erreichung von Zielen zu messen, die mehr als das monetär gemessene Wirtschaftswachstum umfassten. Soziale Indikatoren erlauben tatsächlich die Messung von Outputs. Subjektive Indikatoren ermitteln durch Befragung den Output in Form von Zufriedenheit mit Zuständen oder Maßnahmen, objektive Indikatoren können andere Formen von Output abbilden, den Institutionen generieren: Universitäten die Zahl von Hochschulabsolventen oder Krankenhäuser die Zahl von Genesenen. Indem kausale Beziehungen zwischen Investitionen oder Maßnahmen als Input und Auswirkungen als Output erst nach langjährigen Datenerhebungen und unter Berücksichtigung vielseitiger Variablen hergestellt werden, wird die Erhebung von Sozialindikatoren methodisch abgesichert.169 Der Vorschlag, Sozialindikatoren in Sozialbilanzen einzusetzen, stellte damit einen qualitativen Sprung gegenüber den konservativeren, stärker am Rechnungswesen orientierten Modellen dar, die sich im Wesentlichen auf die Erhebung von Inputdaten – in der Regel eindimensional in der Form von monetären Investitionen – beschränkten. Auf der vierten Ebene würden gesellschaftsbezogene Unternehmensziele, die sich aus den gesellschaftlichen Anforderungen und Problemfeldern ableiten, den ökonomischen Zielen in ihrer Wertigkeit gleichgesetzt. Beide Zieldimensionen erfordern eine umsichtige Planung, die durch die finanz- wie gesellschaftsbezogenen Bilanzen dokumentiert und so der Kontrolle zugänglich gemacht würden. Durch die externe Veröffentlichung der Unternehmensziele und des Zielerreichungsgrades würden idealiter Rückkopplungseffekte generiert: die gesellschaftlichen Forderungen an das Unternehmen würden angesichts erfüllter Forderungen modifiziert und neue Unternehmensziele formuliert. Sollten die Unternehmen weniger erfolgreich sein, würden die gesellschaftlichen Forderungen entweder erneut gestellt oder der Misserfolg in der Zielerreichung würde sanktioniert, beispielsweise durch Kauf167 Dierkes 1974, S. 173-174. 168 Vgl. ebd., S. 173. 169 Vgl. Dierkes et al. 1976, S. 12-13; Zapf 1975, S. 61.

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boykott oder Kündigung. Die von Dierkes skizzierte Sozialbilanz unterliegt in diesem Modell ebenso der Testatspflicht wie der Jahresabschluss und erhebe sich damit über den Status eines reinen Marketinginstrumentes. 170 Abbildung 3: Managementsystem und externe Berichterstattung

Schaubild von Dierkes zur Darstellung der Integration finanzwirtschaftlich-ökonomischer und gesellschaftsbezogener Unternehmensziele. Aus: Dierkes 1974, S. 124.

170 Vgl. Dierkes 1974, S. 122-127.

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Besondere Funktionen kommen in Dierkes Konzept erstens der Erkenntnis gesellschaftlich relevanter Ziele und der Planung von Maßnahmen zur Zielerreichung im Unternehmen und zweitens der Veröffentlichung der Sozialbilanzen zu, da beides die Partizipation der Anspruchsgruppen gewährleiste.171 Ein social forecastingProgramm oder social intelligence-Programm solle gesellschaftliche Forderungen an das Unternehmen antizipieren und drängende soziale Probleme erkennen helfen, auf die das Unternehmen gegenwärtig noch nicht reagiere. Diese gesellschaftlichen Strömungen sollen durch Befragungen von Unternehmensangehörigen verschiedener hierarchischer Ebenen, Verantwortungsträgern in Standortgemeinden, allgemeine, repräsentative Bevölkerungsbefragungen, Medienanalysen, Delphi-Panels172 oder gesellschaftliche Quer- und Längsschnittuntersuchungen zu künftig erwartbaren Veränderungen in der Gesellschaft ermittelt werden.173 Um die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit, insbesondere des Produktionsprozesses, auf die soziale und natürliche Umwelt abschätzen und eine KostenNutzen-Analyse vornehmen zu können, schlug Dierkes darüber hinaus ein externes Technology Assessment (TA) vor, das bisher nur in Bezug auf staatliche und staatlich kontrollierte Risikotechnologien beispielsweise zur Risikobewertung von Atomkraftwerken oder militärisch genutzter Technik Beachtung fand. Durch das TA könnten im engeren Sinne die Folgen von Modifikationen im Produkt- und Produktionsbereich oder durch Anlagenbau bewertet, aber auch auf den Sozialbereich (z. B. soziale und ökonomische Auswirkungen auf die Region, die Volkswirtschaft durch rationalisierungsbedingte Entlassungen) ausgedehnt und kostenintensive, unerwünschte Spätfolgen vermieden werden. Allerdings berge diese Technikfolgenabschätzung von außen als Kontrollinstrument durchaus die Gefahr, privatwirtschaftliche Innovationen zu hemmen und solle deshalb mit Bedacht eingesetzt werden.174 Die Technikfolgenabschätzung – die soziale Techniken impliziere – solle deshalb nicht allein von außen vorgenommen werden, sondern es olle sich auch innerhalb eines Unternehmens ein Expertenteam mit TA auseinandersetzen und dessen Berücksichtigung im Zielsystem des Unternehmens überwachen und umsetzen. Konk171 Vgl. ebd., S. 154-155. 172 Hier stellte sich Dierkes einen »Dialog mit Gesellschaftsphilosophen, Journalisten, Futurologen, Politiker[n] oder Vertreter[n] verschiedener gesellschaftlicher Randgruppen« vor, um künftige gesellschaftliche Trends extrapolieren zu können. Dierkes 1974, S. 130; Eine Forschergruppe des Battelle-Institutes Frankfurt sammelte Mitte der 1970er Jahre mithilfe eines Delphi-Panels erste Daten über die Einschätzungen gesellschaftlicher Entwicklungen und deren Auswirkungen für die Wirtschaft von Unternehmensvertretern des mittleren und leitenden Managements deutscher Unternehmen. Vgl. Dierkes 1976. 173 Vgl. Dierkes 1974, S. 127-130. 174 Vgl. Dierkes 1974, S. 118-122.

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ret sah Dierkes hier Maßnahmen vor, die gänzlich unterschiedliche Einflüsse auf das Unternehmen selbst hätten: von Spenden für gemeinnützige Zwecke bis hin zu Maßnahmen zum Immissionsschutz, Beschäftigungsprogrammen zur Wiedereingliederung von sozial auffälligen Arbeitnehmern oder einer umweltfreundlicheren Produktpolitik. Social forecasting und Social Accounting sollten ebenfalls durch Expertenteams aus Mitarbeitern aller Unternehmensbereiche, einschließlich der Führungsebene, sowie externen Wissenschaftlern implementiert und betreut werden. Das Social Accounting schaffe für diese Expertenteams den nach innen wie außen legitimierenden, objektivierenden Bezugsrahmen für sozialbezogene Ziele, Maßnahmen und Leistungen des Unternehmens.175 Damit warb Dierkes nicht nur für die legitimierende Funktion der Sozialbilanz für Unternehmen, sondern auch für die Beschäftigung von Sozialwissenschaftlern. Für letztere konnte die Sozialbilanzierung also gleichermaßen legitimierende Funktion besitzen. Die visionären Ideen von Dierkes beschrieben eine enorme Ausweitung der unternehmerischen Sphäre: dem finanziellen Erfolg eines Unternehmens trat die Verantwortung für Einflüsse auf gesellschaftliche Entwicklungen gleichwertig zur Seite. Unternehmerische Berichterstattung dient so nicht mehr allein zur Dokumentation der Vergangenheit, um eventuell Korrekturen vergangener Fehler vorzunehmen, sondern mit ihrer Hilfe werden Entwicklungen in der Zukunft antizipiert, die zum Bezugsrahmen für Entscheidungen in der Gegenwart werden. Dierkes verklammerte mit diesem Modell die Vorschläge zu einem Sozialbilanzkonzept, das Unternehmen Legitimität in der Gesellschaft verschaffen, mit einem umfassenderen Konzept eines Informationssystems, das alle gesellschaftlichen Bereiche erfassen sollte. Das Modell trug dem politischen Interesse an der durch sozialwissenschaftliche Methoden abgesicherten Messung sozialer Leistungen und Programme Rechnung, das in den 1970er Jahren unter anderem aus dem Ausbau des Sozialstaates, der konjunkturell krisenhaften Entwicklung und der wachsenden Aufmerksamkeit für den Umweltschutz erwuchs.176 Trotz der Radikalität seiner Vorschläge fand Dierkes durchaus Gehör bei deutschen Großunternehmen, nicht zuletzt durch seine Position bei der Stiftung Gesellschaft und Unternehmen und als Gründer und Direktor des 1976 errichteten Internationalen Instituts für Umwelt und Gesellschaft am Wissenschaftszentrum Berlin, das sich auf anwendungsbezogene Forschung ausrichtete. 177 Als extrem stark bewertete Dierkes selbst den Einfluss der Stiftung, der BattelleAbteilung, des WZB-Institutes und des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis178 auf den Transfer des amerikanischen Social Accounting-Diskurses in die Bundesrepublik und auf die Debatte um die Implementierung von Sozialbilanzen in deutschen 175 Vgl. ebd., S. 133-134 u. 147-149. 176 Vgl. Hockerts 2011, S. 195-196. 177 Vgl. Lengwiler 2005, S. 22. 178 Zum Arbeitskreis ausführlich Kapitel 5.

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Unternehmen. Er hatte in allen genannten Organisationen und dem Gremium allerdings auch eine zentrale Funktion inne.179 Auch andere Autoren teilten diese Bewertung und schrieben Dierkes eine Schlüsselposition in der Verbreitung der Sozialbilanz zu durch seine Beratungstätigkeiten für den Arbeitskreis SozialbilanzPraxis, die Deutsche Shell und den Schweizerischen Migros-Konzern.180 Neben Dierkes folgten zwei weitere Ansätze dem Konzept der Sozialindikatoren für eine gesellschaftsbezogene Rechnungslegung im Unternehmen. Der Ansatz des gewerkschaftsnahen Wolf F. Fischer-Winkelmann favorisierte eine soziale Rechnungslegung, die die Interessen der Arbeitnehmer stärker widerspiegelte als es die kapitalorientierte ermöglicht; Edmund Heinen und Arnold Picot verfolgten mit ihrem Ansatz eine Lösung, die die Internalisierung externer Effekte im gesellschaftsbezogenen Rechnungswesen berücksichtigen wollte. Fischer-Winkelmann: Messung der Lebensqualität Die am finanzorientierten Rechnungswesen ausgerichteten Sozialbilanzkonzepte konzentrierten sich auf Modelle, die vergangenheitsbezogene Daten mit sozialem Bezug in die vorhandene Berichterstattung integrierten. Wolf F. FischerWinkelmann, einer der energischsten Kritiker solch konservativer Ansätze, die er als Sozialbilanzen des Typs I bezeichnete, bemängelte begründetermaßen den fehlenden Bezug auf künftige Entwicklungen. Fischer-Winkelmann gehörte wie Norbert Koubek vom WSI zum Kreis jener Wirtschaftswissenschaftler an der Gesamthochschule Wuppertal, die gegen den disziplinären Mainstream versuchten, eine alternative Betriebswirtschaftslehre unter stärkerer Berücksichtigung von Umweltschutz und Arbeitnehmerinteressen zu entwickeln, die insbesondere bei den Gewerkschaften auf Interesse stieß.181 Seiner Ansicht nach solle eine Sozialbilanz eine Prognosefunktion erfüllen, wenn sie sinnvoll eingesetzt werde. Ein vernünftiger Einsatz sei dann gewährleistet, wenn nicht nur Inputgrößen berücksichtigt werden, sondern eben gerade die Wirkung unternehmerischer Aktivität – im positiven wie negativen Sinne – durch Outputdaten dargelegt werde. Es fehle bisher an Möglichkeiten zur Überprüfbarkeit der Daten, weil diese allein von der Unternehmensführung ausgewählt und veröffentlicht würden. Eine brauchbare Sozialbilanz solle jedoch gerade Unternehmensexterne informieren und darüber hinaus nicht nur für Bilanzexperten verständlich sein.182 Im Gegensatz zu Mintrop favorisierte Fischer-Winkelmann eine Sozialberichterstattung, die Methoden der empirischen Sozialforschung und Sanktionsmöglichkeiten einschließt. Konventionen für die Inhalte der Berichterstattung würden sich 179 Vgl. Dierkes 1979, S. 91. 180 Vgl. Kapitel 5.1.5 u. 7.3. 181 Vgl. Freimann 2009, S. 418; Kapitel 4.3. 182 Vgl. Fischer-Winkelmann 1980, S. 35-45.

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über Konsensfindung in einem dynamischen Prozess des Dialogs aller Anspruchsgruppen des Unternehmens herausbilden. Diese Konventionen seien jedoch stets an den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen ausgerichtet und erreichten nie einen finalen Zustand. Ihnen lägen immer das Ziel einer gesteigerten Lebensqualität und der Imperativ unternehmerischer Verantwortung zugrunde. Gewinn werde seine zentrale Stellung als Handlungsmaxime verlieren. Er bezeichnete diese Form der Berichterstattung als Typ II und charakterisierte sie als idealtypische Variante, bei der die finanzbezogene Rechnungslegung in ein »gesellschaftsbezogenes Informations-, Planungs- und Rechnungslegungssystem«183 eingebettet wird statt umgekehrt die sozialbezogenen Daten an das traditionelle Rechnungswesen anzupassen. Zum Typ II zählte Fischer-Winkelmann Sozialindikatorenansätze und das von Dierkes entwickelte Goal Accounting-Konzept, dessen Prinzip der Ex-ante-Berichterstattung den Rezipienten mehr Kontrollmöglichkeiten einräume, da sie die Unternehmen an ihrer tatsächlichen Zielerreichung messen könnten.184 FischerWinkelmann befürwortete den Dialog der Anspruchsgruppen eines Unternehmens zur Festsetzung der potentiellen Ziele, die eine stärkere gesellschaftliche Orientierung von Unternehmen ermöglichen, sah diesen Dialog aber in der Praxis gefährdet. Letztlich würden vor allem Politikvertreter und wissenschaftliche Experten den Dialog bestimmen und den reformatorischen Anspruch einer Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche – einschließlich der wirtschaftlich-unternehmerischen Sphäre – gefährden.185 Darüber hinaus sei die Rolle von wissenschaftlichen Experten kritisch zu sehen, da sie scheinbar mit einem Dilemma konfrontiert seien: einerseits wollen sie kohärente theoretische Konzepte präsentieren, andererseits sollten diese auch in der Praxis anwendbar sein, weisen dadurch aber häufig erhebliche methodische Defizite auf. Aufgelöst werden könne dieses Dilemma nur durch Annäherung der Interessen aller am Entwicklungsprozess Beteiligten.186 Die bisherige Entwicklung der Sozialbilanz zeige, dass der größte Fehler darin bestehe, sie in die Nähe der traditionellen Rechnungslegung zu stellen, die selbst einem jahrhundertelangen Entwicklungsprozess unterlegen habe und deren bestehende Mängel nicht in Frage gestellt würden. Die Idee der Sozialbilanz sollte nach Ansicht Fischer-Winkelmanns nicht grundsätzlich verworfen werden, nur weil es Fehlentwicklungen in den wenigen Jahren ihrer Genese und Anwendung gegeben habe, sondern diese Fehlentwicklungen sollten vielmehr als Anreiz zur Verbesserung der Sozialbilanzkonzepte betrachtet werden.187

183 Ebd., S. 46. 184 Vgl. Fischer- Winkelmann 1980, S. 46-52. 185 Vgl. ebd., S. 140-146. 186 Vgl. ebd., S. 158-175. 187 Vgl. ebd., S. 162.

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Heinen und Picot: Legitimation und Loyalität sichern Edmund Heinen und Arnold Picot vom Institut für Industrieforschung und betriebliches Rechnungswesen an der Universität München identifizierten den Bedarf eines gesellschaftsbezogenen Rechnungswesens im Zusammenhang mit der Diskussion um externe Effekte. Die seit den fünfziger Jahren im deutschsprachigen Raum virulente wissenschaftliche Auseinandersetzung mit externen Effekten erlebe durch gesellschaftliche Forderungen nach mehr Lebensqualität eine Hausse; Unternehmen seien nun aufgefordert, sich mit dem Problem der Externalitäten auseinanderzusetzen. Die Motivation der Unternehmen sei in Imageproblemen, Bestrebungen zur Kosteneinsparung und der Antizipation gesetzlicher Maßnahmen zu suchen. Die Zunahme gesetzlicher Regelungen und Erwartungen künftig noch strengerer Regulierung im Umweltschutzbereich beispielsweise verlangten bereits die Berücksichtigung externer Effekte. Gütern wie Luft, die ehemals als frei galten, würde nun ein gemeinwirtschaftlicher Wert zugeschrieben und infolge der Forderung nach Internalisierung der vom Unternehmen verursachten Schäden müsse ihnen zwangsläufig auch ein betriebswirtschaftlicher Wert zugemessen werden. Wo dies nicht möglich sei, könnten Mengenangaben mit einschränkenden Richt- und Normwerten als Quantifizierungsalternative herangezogen werden. Der Staat müsse dafür den gesetzlichen Rahmen vorgeben und Handlungssicherheit darüber schaffen, in welchem Ausmaß Unternehmen externe Effekte berücksichtigen sollen. Trotzdem sei es notwendig, freiwillige Initiativen von Unternehmen nicht einzuschränken, da sie sich oftmals mimetisch ausbreiteten und auf eine ganze Branche positive Effekte haben könnten.188 Picot verknüpfte diese Überlegungen des Auftretens externer Effekte in einem vier Jahre später erschienen Aufsatz noch stärker mit der wachsenden Bedeutung von Interessengruppen, die z. B. als Beschäftigte, Anwohner oder Konsumenten in unmittelbarer Beziehung zu Unternehmen stehen. Das »Auftreten außermarktlicher externer Effekte [sei] vor allem ein Bewußtseinsphänomen [Herv. i. O.]«189 der Interessengruppen. Entzögen diese Gruppen dem Unternehmen ihre Zustimmung beim freien Verzehr von Gemeingütern wie Wasser oder Rohstoffen, müsse sich das Unternehmen eine neue Legitimations- und Loyalitätsgrundlage schaffen, indem es Externalitäten durch verbesserten Umweltschutz oder Zahlungen an die Gemeinde oder den Staat internalisiere. Sozialbilanzen könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie für Transparenz sorgte. Die Publikationen müssten jedoch stets flexibel bleiben, um sich neuen gesellschaftlichen Anforderungen wie Gesetzesänderungen anzupassen. Deshalb seien Indikatorensysteme zu bevorzugen, die eine permanente Anpassung erlaubten und gleichzeitig präzise Informationen liefern könnten.190 188 Vgl. Heinen/Picot 1974. 189 Picot 1978, S. 61. 190 Vgl. Picot 1978.

4. Im Spannungsfeld politischer Interessen

Das Verhältnis von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden war in den 1970er Jahren geprägt von Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung bis hin zur Verfassungsbeschwerde der BDA. Darüber hinaus wurde von gewerkschaftlicher Seite die zunehmend internationale Ausrichtung von Großunternehmen kritisch beobachtet, nicht zuletzt, weil der Abbau heimischer Arbeitsplätze befürchtet wurde. Die Arbeitgeberseite dagegen beklagte ein negatives öffentliches Image, Fachkräftemangel und fehlenden Nachwuchs. In diesem Klima der Auseinandersetzungen entwickelte sich die Kontroverse um die Sozialbilanz zum Spiegelbild der jeweiligen Weltanschauungen. Sie sollte der einen Seite zur Demonstration sozialer Verantwortung dienen und der anderen als profanes Propagandainstrument erscheinen. Der Chronologie der Ereignisse folgend wird zunächst die Initiative der BDA im Sozialbilanzdiskurs nachgezeichnet, bevor die Beschäftigung der Unternehmensrechtskommission mit Sozialbilanzen und schließlich die Bestrebungen des DGB, eigene Konzepte zur gesellschaftsbezogenen Berichterstattung vorzulegen, aufgezeigt werden.

4.1 H UMANISIERUNGSBILANZ FÜR EIN POSITIVES U NTERNEHMERBILD : D IE PR-O FFENSIVE DER BDA »Wir verkaufen uns selbst am schlechtesten«1 zitierte Der Spiegel Hanns Martin Schleyer im Titel eines Interviews vom Dezember 1973. Schleyer war nur wenige Tage zuvor zum neuen BDA-Präsidenten gewählt worden und bezog im SpiegelInterview Stellung zum negativen Unternehmerbild in der Öffentlichkeit.2 Die

1

Böhme, Erich; Funk, Werner, »›Wir verkaufen uns selbst am schlechtesten‹: Arbeitgeberpräsident und Daimler-Vorstand Hanns Martin Schleyer über Unternehmertum und Konjunktur«, in: Der Spiegel 27 (1973), Nr. 50 (10.12.1973), S. 63-66.

2

Zum Unternehmerbild in den 1970er Jahren vgl. Dierkes 1970; Hesse 2011, S. 97-103.

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Gründe dafür sah er auf der einen Seite im »Wohlstandsekel« und in der »Verteufelung«3 des Unternehmertums durch linke Propaganda und den mit ihr sympathisierenden Massenmedien. Auf der anderen Seite hätten es Unternehmer versäumt, sich dieser omnipräsenten Kritik entgegenzustellen und ihre Leistungen für die Gesellschaft – insbesondere den hohen Wert unternehmerischer Aktivität für den Wiederaufbau nach dem Krieg – angemessen zu kommunizieren. Dabei könnten sie beispielsweise neben den wohlfahrtsmehrenden wirtschaftlichen Erfolgen durchaus auch Fortschritte in verschiedenen Bereichen des Umweltschutzes vorweisen, die oftmals zu wenig bekannt seien. Die bisher geübte Zurückhaltung der Unternehmer müsse deshalb einer stärkeren Eigenwerbung weichen, um sich dem negativen Image entgegenzustellen.4 Schleyers Vorgänger Otto A. Friedrich äußerte bereits in einem Fernsehinterview 1971 ähnliche Ansichten. Viele Unternehmer handelten zwar nach dem Prinzip der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und seien sich ihrer gesellschaftspolitischen Stellung bewusst, trügen diese Haltung aber nicht in die Öffentlichkeit.5 Seit den 1960er Jahren erlebte die Arbeitgeberseite eine Welle öffentlicher Kritik, der sie zunächst kaum etwas entgegensetzte. Viele Unternehmen waren auf die zunehmende kapitalismuskritische Medienberichterstattung wenig vorbereitet. So klagten auch die Mitglieder des BDA-Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung über die kritische Darstellung der Fabrikarbeit in den Medien: »Angriffe gegen die Akkordarbeit oder gegen die Fließbandarbeit werden von linksradikaler Intelligenz vorgetragen und finden durch Fernsehdokumentation und -filme weite Verbreitung.«6 Sie fürchteten darüber hinaus massive staatliche Eingriffe in die Wirtschaft durch die sozialliberale Koalition. Auf Unternehmensebene sorgten sie sich um ihre junge Arbeiterschaft, die von radikal linker Gewerkschaftsideologie infiltriert werden könne; um kommunistische Einflüsse auf ausländische Beschäftigte,7 und zu3

Böhme/Funk, »›Wir verkaufen uns selbst am schlechtesten‹«, in: Der Spiegel 27 (10.12.1973), S. 63-66, hier S. 63.

4

Vgl. ebd, S. 63-65.

5

BDA Abt. VIII, 1-34 (1972): Wie man Marktwirtschaft und Demokratie unterhöhlt: Ein Interview zwischen den ZDF-Redakteuren Wolfgang Schröder u. Dieter Balkhausen mit O.A. Friedrich (23.12.1971), Abschrift; vgl. Kleinschmidt 2002b.

6

BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (10.05.1973), S. 16; Jochen Wistinghausen, Motivation der Führungskräfte in unternehmenspolitischer Sicht (28.02.1974), S. 13; RWWA 40001/33: BDA/BDI Information und Presse 19681969.

7

BDA Abt. IV 1971, 101-149: »Politisch radikale Bestrebungen türkischer Arbeiter und Studenten im Bundesgebiet«; »Auszug aus dem Aktionsprogramm der Kommunistischen Partei Italiens für die Arbeit in der BRD«.

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gleich um den künftigen Führungskräftenachwuchs, der zu jenem Zeitpunkt an den von massiven politischen Umwälzungen betroffenen Universitäten ausgebildet wurde.8 Zeitgleich rückte bereits eine neue Generation von jungen Managern in den Unternehmen nach, die ebenfalls Kritik am patriarchalen Führungsstil übte, einen nüchtern-sachlichen Stil und den Einsatz neuer Managementinstrumente nach amerikanischem Vorbild propagierte. Von wissenschaftlicher und journalistischer Seite wurde die Rückständigkeit der Unternehmen gegenüber der von Jean-Jacques Servan-Schreiber formulierten amerikanischen Herausforderung angeprangert, der europäische Unternehmen technologisch wie strategisch unterlegen seien. In der medialen Öffentlichkeit erschienen die etablierten Unternehmer als eine Gruppe autoritärer Patriarchen, die sich dem gesellschaftlichen Wandel verweigerten und für die Zukunft nicht gewappnet waren. Auf diese Kritik von links reagierte die Arbeitgeberseite auf Verbandsebene zunächst vor allem mit Abwehr. Doch zu Beginn der 1970er Jahre fand allmählich ein Strategiewechsel statt.9 Während es dem 1969 zum BDA-Präsidenten gewählten Otto A. Friedrich kaum gelang, zwischen der Position der Arbeitgeberseite und neuen gesellschaftlichen Ansprüchen zu vermitteln, obwohl er diesen durchaus aufgeschlossen gegenübertrat, begannen einzelne Unternehmen mit PR-Kampagnen auf die linke Kritik zu reagieren. Nicht unter dem vermittelnden Friedrich, sondern unter seinem polarisierenden Nachfolger Schleyer bemühte sich die BDA schließlich um eine offenere Position gegenüber Medien und Öffentlichkeit. 1974 entwarf die BDA ein neues Grundsatzprogramm, das die sozialpolitische Position der Vereinigung präzisieren sollte. Das Grundsatzprogramm nahm Bezug auf alle Kernthemen medialer und gewerkschaftlicher Kritik – unter anderem die Humanisierung der Arbeit, die Wachstums- und Leistungsparadigmen, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Weltanschauung und Demokratieverständnis, Arbeitsmarkt und soziale Sicherung älterer Arbeitnehmer, Beschäftigung von Frauen, Jugendliche und Berufsbildung, Verbesserung der Bedingungen für ausländische Beschäftigte oder Tarifautonomie und Gewerkschaftsmacht – in der Absicht, »weniger eine Rechtfertigung des Unternehmers [...] als eine Aufklärung über seine Funktion und seine Grundhaltung«10 zu liefern.11 Schleyer selbst bediente sich in seiner 1973 erschienenen programmatischen Schrift Das soziale Modell des Vokabulars, das den Kern der öffentlichen Kritik 8

RWWA 40010146/751: Gesprächskreis Wissenschaft und Wirtschaft 1966-1968; vgl. Berghahn 1985, S. 312-321; Bührer 2008, S. 240-242; Rehling 2011, S. 75; Schleyer 1973, S. 179-180.

9

Der BDI gründete 1970 eine Arbeitsgruppe Gesellschaftspolitik, um Kommunikationsstrategien gegenüber gesellschaftlicher Kritik entwickeln zu können. Vgl. Jahresbericht BDI 1970/1971, S. 173.

10 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (22.10.1974). 11 Vgl. BDA 1975.

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sowie der sozialliberalen Wirtschaftspolitik widerspiegelte und suchte Worte zur Verteidigung der sozialen Marktwirtschaft und individuellen Freiheit gegen die »Systemsprenger[ ] und Utopisten«12. Erläuterungen seiner Ansichten zum Umweltschutz und dem Paradigma unbegrenzten Wachstums, zur Humanisierung der Arbeitswelt, zu Bildung, sozialer Sicherung, Mitbestimmung, Ausländerbeschäftigung, einem kooperativen Führungsstil oder dem Wert betrieblicher Sozialpolitik, die nicht nur »Klimbim«13 sei, fanden Eingang in seine oftmals polemische Argumentation. Diese richtete sich gegen ein von Schleyer identifiziertes öffentliches Bild vom Unternehmertum, das die Mitarbeiter, die Umwelt und die Gesellschaft ausbeute.14 Der Versuch, der linken Kritik – die aus Arbeitgebersicht von einem mehr oder minder undifferenzierten Block reformorientierter Sozialdemokraten, der Studentenbewegung, K-Gruppen, Sozialisten und anderen linken Gruppen ausging15 – argumentativ zu begegnen, spiegelte sich nicht nur in der Rhetorik des BDA- und späteren BDI-Präsidenten, sondern auch innerhalb der beiden Verbände. Sie hatten durch die Auseinandersetzung dazugelernt und verfolgten nun eine offensive Kommunikationsstrategie von verstärkter Einflussnahme auf die Präsenz in den Massenmedien bis hin zur Basisarbeit auf kommunaler Ebene, indem Ortsverbände als »Kontakt-Gruppen« gezielt Vereine, Gewerkschaften, Parteien, Bildungs- und Jugendeinrichtungen oder Kirchengruppen durch Nutzung aller »modernen Kommunikationsformen und -techniken«16 ansprechen sollten. Der BDA-Ausschuss Technischer Fortschritt und Strukturwandel, der Mitglieder in den von der Bundesregierung einberufenen Arbeitskreis Automation und in die dem Arbeitskreis nachfolgende Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel entsandte, sowie der 1955 gegründete Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung befassten sich mit dem Einfluss des gesellschaftlichen Wandels auf die Unternehmen. Ging es durch den engen Kontakt zum Arbeitskreis Automation zunächst vor allem um den Einfluss technischer Entwicklungen – insbesondere der Fließbandarbeit – auf die Beschäftigten, reflektierte die Arbeit der beiden Ausschüsse zunehmend den Einfluss einer um soziale Aspekte erweiterten Debatte über die

12 Schleyer 1973, S. 42. 13 Ebd., S. 34. 14 Schleyer 1973. 15 Vgl. Bührer 2008, S. 240. 16 Jahresbericht der BDA 1974, S. 124-125; BDA Abt. VIII: Allgemeiner Informationsbericht Presse (Nr. 4: 30.11.1976; Nr. 3: 04.11.1977; Nr. 1: 01.02.1979); Abt. VIII: Rundschreiben an die Mitgliedsverbände (06.05.1974; 13.07.1978); vgl. BDA Jahresbericht 1976, S. 117-118; Berghahn 1985, S. 317; Bührer 2008; Kleinschmidt 2002b; Kurzlechner 2008.

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Humanisierung der Arbeit.17 Die beiden Ausschüsse luden zu ihren Sitzungen Wissenschaftler aus Ingenieurswissenschaften, Ökonomie, Rechtswissenschaften und Soziologie ein, die den Ausschussmitgliedern Einblicke in ihre Forschung unter anderem im Feld der Arbeitsmotivation, der Personalführung oder der Humanisierung gewährten.18 Die Auseinandersetzung mit arbeitswissenschaftlicher Forschung führte im Ausschuss für soziale Betriebsgestaltung zu der Erkenntnis, dass eine Orientierung an neuen Methoden der Personalführung und Arbeitsorganisation durchaus nicht nur zu einer Imagekorrektur in der Öffentlichkeit führen, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sein könne, indem beispielsweise Fluktuation oder Lohnnebenkosten gesenkt würden. Die im Ausschuss diskutierten arbeitswissenschaftlichen Ergebnisse sorgten zuweilen für überraschte Einsichten: So wurde beispielsweise im Protokoll festgehalten, dass auch Frauen motiviert werden könnten, sich am betrieblichen Vorschlagswesen zu beteiligen; oder dass Intellekt und Temperament Anhaltspunkte für die »eignungsgerechte Auswahl« des Personals seien, dass aber kaum wissenschaftlich valide Aussagen darüber getroffen werden könnten, ob »körperliche Merkmale [...] Rückschlüsse auf Intelligenz und Monotonieempfinden zulassen«19 und deshalb diese zur Personalauswahl eher ungeeignet seien. Der Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung befasste sich mit den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen, die eine Herausforderung für Unternehmen darstellten und deshalb eine Redefinition der Aufgabe betrieblicher Sozialpolitik notwendig erscheinen ließen. Aufgrund der guten materiellen Versorgung seien die Ansprüche der Beschäftigten im sozialen Bereich signifikant gestiegen, und beschränkten sich nicht mehr allein auf eine Grundsicherung: Ihre politische Mündigkeit und ihr neuer sozialer Status erhöhen ihr Selbstbewußtsein in allen Lebensbereichen. Aus dieser Haltung werden jegliche Fürsorgeleistungen als Bevormundung abgelehnt und dafür Rechtsansprüche auf soziale Leistungen gefordert. Auch das Verlangen nach Mitwirkung ist das Spiegelbild einer Entwicklung, die insgesamt gesehen eine Umstrukturierung der Gesellschaft in eine moderne Industriegesellschaft zur Folge hat, in der es ein ›Proletariat‹ im Sinne früherer Vorstellungen und Wirklichkeiten nicht mehr gibt.20

17 BDA Abt. VII: Protokolle des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung und des Ausschusses für Technischen Fortschritt und Strukturwandel. Zur Gründung des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung vgl. Rosenberger 2008, S. 336-341. 18 BDA Abt. VII: Protokolle des Ausschusses für Technischen Fortschritt und Strukturwandel; Protokolle des Auschusses für Soziale Betriebsgestaltung. 19 BDA Abt. VII: Protokolle des Auschusses für Soziale Betriebsgestaltung (10.05.1973), S. 17-18. 20 BDA Abt. VII: Dorothee Müller-Hagen, Entwurf eines Arbeitsberichtes zur Betrieblichen Sozialpolitik (19.02.1970), S. 2.

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Wenn auch die BDA in ihrer Denkschrift Gedanken zur sozialen Ordnung bereits 1953 den Abschied vom Proletariat und die enge Verflechtung von unternehmerischer und gesellschaftlicher Sphäre konstatierte,21 so versuchte die Vereinigung nun dennoch für die siebziger Jahre eine erneute Zeitenwende zu postulieren. Die Bedürfnisse der Beschäftigten lägen nun nicht mehr allein im Arbeitsschutz, der sozialen und materiellen Sicherheit, sondern maßgeblich auch in der Schaffung persönlicher Freiräume. Diese Freiräume seien an die Übernahme größerer Verantwortung gebunden, in Anerkennung der individuellen Leistungen und deren Funktion für die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens. Letztere könne durch eine zielgruppenspezifische Sozialberichterstattung illustriert werden, die den Beschäftigten die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens nahebringe. Denn die Gewinnerwirtschaftung als genuine Aufgabe von Unternehmen solle nicht negiert und »als falsch verstandenes Zugeständnis an die kritische Gesellschaft«22 bagatellisiert werden. Die soziale Gemeinschaft in den Unternehmen könne nicht mehr als eigener, von der Gesellschaft getrennter Mikrokosmos verstanden werden, sondern müsse als Teil der Gesellschaft begriffen werden. Die Analyse »übergeordnete[r] Leitbilder der gesellschaftspolitische[n] Entwicklung und Zielsetzung«23 sei unerlässlich, um die künftigen Erwartungen von Arbeitnehmern und Gesellschaft an die Unternehmen zu ermitteln. Die betriebliche Sozialpolitik müsse auf der einen Seite durch eine veränderte Personalführung seitens der Führungskräfte reformiert werden, die dem Einzelnen mehr Verantwortung übereigne und als partnerschaftliches, kooperatives Verhältnis verstanden werde. Dies solle jedoch nicht eine Egalisierung der Beziehungen von Führung und Beschäftigten im Sinne einer übereifrigen Demokratisierung implizieren.24 Auf der anderen Seite sollte die betriebliche Sozialpolitik durch eine Anpassung der Leistungen an die Lebensumstände modernisiert werden. Beihilfen zur Einkellerung von Kartoffeln seien nicht mehr zeitgemäß und würden Leistungen wie der Unterstützung zur eigenverantwortlichen Vermögensbildung weichen. Eine umfassende Mitarbeiterinformation, Mitsprachemöglichkeiten und die Vermögensbeteiligung könnten die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen erheblich befördern und damit für die notwendige soziale Integration der Beschäftigten sorgen. Galt das von Erhard entwickelte Vermögensbildungsgesetz in der ersten Hälfte der 1960er Jahren bei vielen Arbeitgebern noch als sozialisierende Geißel, so erschien die Vermögensbildung seit der zweiten Hälfte der Dekade zunehmend als Instrument zur Befriedung von Verteilungskonflikten und politisches Zugeständnis zur Vermeidung einer Ausweitung der Mitbestimmung, für 21 Vgl. Nolte 2000, S. 273-274 u. 356. 22 BDA Abt. VII: Jochen Wistinghausen, Motivation der Führungskräfte in unternehmenspolitischer Sicht (28.02.1974), S. 14. 23 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (23.09.1970). 24 Vgl. Rosenberger 2008, S. 429-430.

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das sich auch Schleyer einsetzte.25 Im Bereich der Mitarbeiterinformation sei nicht allein der gute Informationsfluss von der Unternehmensleitung an die Mitarbeiter wichtig, sondern auch die »Aufwärtsinformation«26 vom Mitarbeiter zur Unternehmensführung über Vertrauenspersonen, Personalleiter, Beschwerdeinstanzen und Meinungsumfragen. Durch letztere könne die Einstellung der Mitarbeiter zur betrieblichen Sozialpolitik im Unternehmen ermittelt werden.27 Der Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung orientierte sich in diesen Empfehlungen am Harzburger Modell und – wenn auch durchaus mit kritischer Distanz – an amerikanischen Managementkonzepten wie jenen Peter F. Druckers.28 Viele der im Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung diskutierten Ideen waren indes gar nicht so neu, wie es den Mitgliedern selbst erschien. In öffentlichen Schriften propagierten die BDA und ihr Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung bereits Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre einige der vorgeschlagenen Maßnahmen zur menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung, der Delegation von Verantwortung oder der Eigentumsförderung, die zu Beginn der 1970er Jahre vermehrt unter den Begriffen der Humanisierung und Individualisierung im Unternehmen firmierten.29 In der Analyse künftiger gesellschaftlicher Erwartungen stützte sich der Ausschuss auf die Erkenntnisse der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Diese identifizierte Forderungen nach einer Verbesserung der Lebensqualität durch Steigerung der Freizeit, der Einkommensgerechtigkeit, der sozialen Sicherheit, des Gesundheitsschutzes, der Bildungs- und Beteiligungschancen als 25 Vgl. Berghahn 1985, S. 301-305 u. 312-313; Bührer 2008, S. 234. 26 BDA Abt. VII: Entwurf des Arbeitsberichtes zur innerbetrieblichen Information (02.11.1972), S. 12. 27 BDA Abt. VII: Dorothee Müller-Hagen, Entwurf eines Arbeitsberichtes zur Betrieblichen Sozialpolitik (19.02.1970); Entwurf des Arbeitsberichtes zur innerbetrieblichen Information (02.11.1972); Jochen Wistinghausen, Motivation der Führungskräfte in unternehmenspolitischer Sicht (28.02.1974). 28 BDA Abt. VII: Protokolle des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (09.09.1970, 23.09.1970); Jochen Wistinghausen, Motivation der Führungskräfte in unternehmenspolitischer Sicht (28.02.1974). Im Auftrag der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel ermittelte die Unternehmensberatung Booz-Allen & Hamilton den Stand der Umsetzung neuer Managementmethoden in deutschen Unternehmen, begutachtet von Prof. Heinz Hartmann, der bereits einschlägige Studien zu deutsch-amerikanischen Unternehmensführungsvergleichen veröffentlicht hatte. BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses Technischer Fortschritt und Strukturwandel (02.10.1972); vgl. Berghahn 1985, S. 249-251; Kleinschmidt 2002b; Kurzlechner 2008; zum Harzburger Modell vgl. von Saldern 2009. 29 Vgl. Jahresbericht der BDA 1958, S. 236-244; Jahresbericht 1959, S. 213-118; BDA 1963.

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maßgebliche gesellschaftliche Ziele, deren Erreichung mittels statistischer Erfassung durch mehrdimensionale Indikatoren gemessen werden müsse. Diese gesellschaftlichen Ziele reflektierten zu Beginn der 1970er Jahre einen globalen Trend der Suche nach alternativen Wohlstandsindikatoren zur Abbildung der Lebensqualität, auf deren Suche sich auch Forschungsbestrebungen der OECD konzentrierten.30 Die Definition eines alternativen Wohlstandsbegriffes erschien darüber hinaus vor dem Hintergrund der ökologischen Kassandrarufe zu Beginn der 1970er Jahre geboten. Die prominente MIT-Studie Limits to Growth warnte 1972 vor der Endlichkeit der globalen Ressourcen und versuchte, die zu erwartenden Folgen des Ressourcenverbrauchs zu extrapolieren.31 Im Ausschuss für Technischen Fortschritt und Strukturwandel diskutierten die BDA-Vertreter die Studie im Hinblick auf ihre Bedeutung für Unternehmen. Der Ausschuss-Vorsitzende Martin Kluge, Vorstandsmitglied der Standard Elektrik Lorenz AG, attestierte der pessimistischen Prognose durchaus ein Maß an Realismus und sprach sich dafür aus, dass erstens an die Bereitschaft der Konsumenten appelliert werden müsse, höhere Preise für eine umweltfreundlichere Produktion in Kauf zu nehmen; zweitens müsse die Produktionsgüterindustrie zur Intensivierung des technischen Fortschritt und zur Wiederverwendung von Rohstoffen für die Reduktion umweltschädlicher Produktionsvorgänge angehalten werden. Diese Neuerungen müssten langfristig von wirtschaftspolitischen Maßnahmen begleitet werden. Die übrigen Vertreter im Ausschuss nahmen eine weniger progressive Haltung ein: Einige Mitglieder räumten ein, dass es wichtig sei, sich mit den Grenzen des Wachstums auseinanderzusetzen und dieses Thema auch in die Arbeit der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel einzubringen; andere zweifelten jedoch die Aussagekraft der MIT-Studie an und setzten optimistisch auf die Segnungen des technischen Fortschritts, der bisher stets zuverlässig zur Überwindung von drohenden Versorgungskrisen beigetragen habe.32 Schleyer äußerte sich an anderer Stelle ähnlich über die Studie und bemängelte gleichermaßen ihren »Kulturpessimismus« wie ihre »naive[ ] Wissenschaftsgläubigkeit«33. So nahm das Thema Umweltschutz in den Diskussionen der beiden BDA-Ausschüsse um die unternehmerische Verantwortung und eine zeitgemäße Unternehmenspolitik deutlich weniger Raum ein als die Humanisierung der Arbeit oder die Verteidigung der Sozialen Marktwirtschaft, die gegenüber dem Sozialismus Freiheit und humane Arbeitsbedingungen garantiere.34 30 BDA Abt. VII: Entwurf des Kommissionsberichtes (08.02.1972). Vgl. Kapitel 7.1. 31 Vgl. Hünemörder 2004; Meadows 1972; Kapitel 8.1. 32 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses Technischer Fortschritt und Strukturwandel (16.02.1972). 33 Schleyer 1974, S. 20. 34 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses Technischer Fortschritt und Strukturwandel (16.02.1972); Jochen Wistinghausen, Motivation der Führungskräfte in unternehmenspo-

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Um eine solche stets aktuelle Unternehmens- und insbesondere Personalpolitik umzusetzen, seien Sozialbilanzen respektive »Humanisierungsbilanzen«35 ein geeignetes Instrument zur Planung, Durchführung und Kontrolle von Maßnahmen. Fritz-Jürgen Kador, seit 1973 in der Geschäftsführung der BDA und Leiter der Abteilung Soziale Betriebsgestaltung, sowie Wolfgang R. Habbel, Vorstandsmitglied der Audi NSU-Auto Union, stellten im Mai 1974 dem Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung ein Konzept zur Implementierung von Humanisierungsmaßnahmen vor, das der Sozialbilanz einen zentralen Stellenwert zumaß. Mittels Sozialbilanz könnten die Kosten von Fluktuation, Krankenständen, Betriebsstillstandszeiten oder Imageverlusten gegen die Gewinne durch ergonomische Verbesserungen, Weiterbildungen, die Abschaffung von Schichtarbeit oder den verbesserten Führungsstil gerechnet werden. Der »Selbstbeweihräucherung«36 solle die Sozialbilanz jedoch nicht dienen, sondern Analyseinstrument eines Humanisierungsprozesses sein, der mit einer Analyse des Status quo beginne. Durch die Erarbeitung von Zielen, Modellen, Experimenten, mit der stufenweisen Einführung neuer Maßnahmen und permanentem Feedback führe dieser Prozess zur Überwindung von Widerständen im Unternehmen sowie zu einer Verbesserung der Personalführung und der Arbeitsbedingungen. Die Sozialbilanz könne Schwachstellen in der Unternehmensführung aufzeigen, die Gesamtleistungen der Unternehmen zur Humanisierung auf einen Blick darstellen sowie die Zusammenhänge zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen und der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse demonstrieren. Zwar bestünden Schwierigkeiten in der Auswahl geeigneter Maßstäbe zur Quantifizierung der Leistungen und auch der Schäden, die Unternehmen verursachten, dennoch sei die Sozialbilanz geeignet, ein anschauliches Bild von den – auch bereits erbrachten – Unternehmensleistungen für die Beschäftigten ebenso wie für die Öffentlichkeit zu bieten.37 Während Fritz-Jürgen Kador in seinem Referat vor den Ausschussmitgliedern zwar durchaus die Probleme der Quantifizierung einiger Leistungen benannte, verfolgte er trotzdem die Idee einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung weiter. Hierin sah Günter Büschges, Soziologieprofessor an der Universität Bielefeld und ebenfalls Referent vor dem Ausschuss in der gleichen Sitzung, den eigentlichen Konflikt zwischen dem Gewinndenken auf Unternehmensseite und gesellschaftlichen Anlitischer Sicht (28.02.1974), S. 14-16; Referat Günter Büschges, Beitrag der Personalpolitik zur Humanisierung der Arbeitswelt (14.05.1974); Fritz-Jürgen Kador, ›Humanisierung der Arbeitswelt‹ – Aufgaben der betrieblichen Personalpolitik (14.05.1974); Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (22.03.1979). 35 BDA Abt. VII: Fritz-Jürgen Kador, ›Humanisierung der Arbeitswelt‹ – Aufgaben der betrieblichen Personalpolitik (14.05.1974), S. 3. 36 Ebd. 37 Ebd.

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sprüchen. Diese Ansprüche folgten einer anderen Logik und seien deshalb nur schwer in das Zielsystem der Unternehmen zu integrieren: Unternehmerisches Handeln orientiert sich in unserer Wirtschaftsordnung an in Geldgrößen umgesetzten Resultaten getroffener unternehmerischer Entscheidungen. Nur das, was quantifizierbar ist, geht in die Planung ebenso ein wie in die Kontrolle des Erfolgs von Planungen. Sicherlich werden im Entscheidungsprozeß auch andere Aspekte mitberücksichtigt. Aber schon die Art, wie die Geschäftsführer und Vorstände von Unternehmen zur Rechenschaft verpflichtet sind, verpflichtet sie auch zu dieser Form ökonomischer, in Geldgrößen ausdrückbarer Rationalität.38

Zudem sei diese Denkweise in die Vergangenheit gerichtet, soziale Ansprüche aber in die Zukunft. Die Schwierigkeit bestehe darin, Leistungen zu erbringen, die in die Zukunft projizierte soziale Ziele erfüllen sollen und deren Wert schwer zu quantifizieren sei. Eine wesentliche Motivation der Suche nach einer geeigneten Darstellung von bereits bestehenden Leistungen, die unter dem Begriff der Humanisierung der Arbeit zu fassen sind, lag für die Ausschussmitglieder in der Vermeidung gesetzlicher Regulierung. Durch Antizipation der gewerkschaftlichen Forderungen – insbesondere des Postulats paritätischer Mitbestimmung als obligatem Faktor der Humanisierung – und Bemühungen, in den arbeitswissenschaftlichen Fachausschüssen des Humanisierungsprogramms die eigenen Interessen durch Vorarbeiten in eigenen Arbeitskreisen durchzusetzen, versuchte die BDA die Entwicklung möglichst arbeitgeberfreundlicher, flexibler Leitsätze zu erreichen und die Einführung gesetzlicher Normen zu verhindern.39 Die Mitglieder des Ausschusses verfolgten die von Kador vorgetragene Idee einer ›Humanisierungsbilanz‹ weiter und luden im April 1975 Jens Brandenburg, der für die ersten STEAG Sozialbilanzen verantwortlich zeichnete, sowie Meinolf Dierkes zur Beratung ein. Dierkes berichtete vor dem Ausschuss vor allem von den Erfahrungen amerikanischer Unternehmen mit der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung als Planungs- und Kontrollinstrument: darunter Quaker Oats, Abt Associates, die First National Bank of Minneapolis und die Bank of America. Die positiven Erfahrungen dieser Unternehmen mit der Berichterstattung bestünden darin, dass sich die Unternehmen mit einer Erweiterung ihrer Ziele auseinandergesetzt hätten. Die Berichterstattung diente der Planung möglicher Ziele und der Kontrolle erreichter Zielerwartungen wie beispielsweise der Beschäftigung einer bestimmten Quote von Minderheiten im Unternehmen oder der Verbesserung des Umweltschut38 BDA Abt. VII: Referat Günter Büschges, Beitrag der Personalpolitik zur Humanisierung der Arbeitswelt (14.05.1974). 39 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (22.10.1974); Aktivitäten im Bereich der Humanisierung der Arbeit (26.03.1975).

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zes. So sei es möglich gewesen, drohenden regulativen Eingriffen seitens des Staates vorzugreifen und eine lange Lernphase ohne gesetzlichen Druck nutzen zu können, was letztlich geringere Kosten verursacht habe als teure Ad-hoc-Maßnahmen. Dierkes beschrieb darüber hinaus die Bestrebungen in Frankreich, England und den USA zu einer gesetzlichen Regulierung der Sozialberichterstattung sowie die Erfahrungen auf nationaler und internationaler Ebene mit der Entwicklung alternativer Wohlfahrtsindikatoren. Er gab zu verstehen, dass es auch in der 1972 eingerichteten deutschen Unternehmensrechtskommission Überlegungen zu einer für Unternehmen verpflichtenden Sozialberichterstattung gebe, wenn auch bisher nur in einem informellen Stadium.40 Neben ihrer Funktion als Planungs- und Kontrollinstrument diene die gesellschaftsbezogene Berichterstattung darüber hinaus der Information von Anspruchsgruppen, insbesondere durch den Vergleich von Unternehmen, der durch eine breite Publikationspraxis möglich werde. Die Berichterstattung biete die Möglichkeit, selbst erhobene Daten an Mitarbeiter und die Öffentlichkeit herauszugeben, um Sachverhalte klar darzulegen, statt diese Arbeit beispielsweise Journalisten zu überlassen, die schlecht recherchierten oder spekulative Zahlen veröffentlichten und so den Unternehmen schadeten. Dierkes bezeichnete die frühen Ansätze, wie sie von der STEAG und der Saarbergwerke AG veröffentlicht wurden, als erste Schritte, forderte aber auch die Entwicklung elaborierterer Berichtsinstrumente in Richtung einer zielbezogenen Berichterstattung. Die gesellschaftsbezogenen Ziele könnten durch Befragungen der Mitarbeiter und anderer Anspruchsgruppen ermittelt werden. Wenn sie in die Berichterstattung einflössen, müssten sie allerdings auch entsprechend in der Unternehmenstätigkeit berücksichtigt und Maßnahmen zu ihrer Erreichung dargelegt werden: Wenn sie [die Unternehmensführungen] hierüber [nichtökonomische Ziele; SHW] nach einer Zeit keine Rechenschaft ablegen können, daß sie versucht haben, diese Ziele in gleich organisierter Form zu verfolgen, wie sie dem Hauptziel des Unternehmens, nämlich die [sic!] Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen und der Schaffung von Einkommen nachgekommen sind, dann wird man sich deutlich die Frage stellen: Warum ist das der Fall? Es gibt im Grunde dann nur zwei Hypothesen: Einmal sind sie dumm oder einmal sind sie verlogen.41

Um eine glaubwürdige Berichterstattung zu betreiben, die sich nicht auf die Veröffentlichung von »schönen Broschüren«42 erschöpfe, sei es unabdingbar, das Projekt der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung ernsthaft zu verfolgen und sie als 40 Vgl. Kapitel 4.2. 41 BDA Abt. VII: Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung, Referat Meinolf Dierkes (29.04.1975), S. 11. 42 Ebd.

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Kontrollinstrument für die Implementierung gesellschaftsbezogener Ziele zu gebrauchen. Parallel zum Referat von Dierkes stellte Kador den Entwurf eines Arbeitsberichtes vor, der Unternehmen zur Information über das Konzept der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung dienen und als Empfehlung für die konkrete Umsetzung im Unternehmen anleiten sollte. In einem Arbeitskreis hatten unter anderem Jens Brandenburg als ehemaliger STEAG-Verantwortlicher für die Sozialbilanz sowie weitere Vertreter von Unternehmen, des BDI und des Instituts der deutschen Wirtschaft an dem Entwurf mitgearbeitet. Dierkes lobte die Empfehlung als Schritt in Richtung einer Fortentwicklung der ersten Sozialbilanzansätze wie jener der STEAG, der durchaus der Weiterentwicklung bedürfe. Dierkes riet – bezugnehmend auf die Versuche von Abt Associates – vor allem von dem Versuch einer konsequenten Quantifizierung und insbesondere Monetarisierung ab. Dort, wo keine geeigneten Indikatoren zur Verfügung stünden, um eine quantitative Darstellung zu rechtfertigen, sollten Unternehmen eine qualitative Berichterstattung vorziehen, um aussagefähige und glaubwürdige Berichte zu veröffentlichen, zumal eine hohe Datenaggregation für die Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit ohnehin kontraproduktiv sei. Geeignete Indikatoren zur Abbildung der Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeit seien vermutlich erst in zehn oder zwanzig Jahren zu erwarten.43 Die Beratung durch Dierkes führte dazu, dass der Titel des Arbeitsberichtes von »Sozialbilanzen« in »Gesellschaftsbezogene Unternehmensberichterstattung (›Sozialbilanzen‹)« geändert wurde, um der Problematik nicht ausgereifter Quantifizierungsmethoden gerecht zu werden, das »Mode- und Reizwort«44 Sozialbilanz nicht in den Vordergrund zu stellen und durch die Vermeidung des Bilanzbegriffes keine falschen Assoziationen zu einer testatspflichtigen Berichterstattung zu wecken. Vor allem die von Dierkes heraufbeschworene Drohkulisse einer nahenden gesetzlichen Regelung der Sozialberichterstattung hinterließ bei den Mitgliedern des Ausschusses Eindruck. Es sei entscheidend, dass sich Unternehmen in der Sozialbilanzierung engagierten, um Einfluss auf diese Entwicklung zu nehmen, »Freiheitsspielräume zu erhalten«45 und Zeit für Experimente zu haben. Im September 1975 veröffentlichte der Ausschuss schließlich einen Arbeitsbericht, um erstens die grundsätzliche Haltung der Arbeitgeberseite zur Sozialbilanzierung darzulegen, die eng mit den Aussagen des Grundsatzprogramms über die wirtschaftliche und soziale Verantwortung der Arbeitgeber, also über die Steigerung der Lebensqualität, Einkommensge-

43 BDA Abt. VII: Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung, Protokoll und Referat Meinolf Dierkes (29.04.1975). 44 BDA Abt. VII: Jochen Wistinghausen, Arbeitsstudie zum Thema Unternehmensgrundsätze (1975), S. 14. 45 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (29.04.1975), S. 4.

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rechtigkeit und langfristige Ziele verknüpft war;46 und um zweitens Unternehmen eine praktische Empfehlung für die Erstellung von Sozialbilanzen zu geben, die zwar den hohen Ansprüchen der »Sozialbilanz-Theoretiker«47 nicht entspreche, aber deren Zweck vor allem in der Ausbreitung der Sozialbilanzpraxis liegen sollte. Der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter maß dem Arbeitsbericht in dieser Hinsicht erhebliche Bedeutung bei und machte ihn dafür verantwortlich, dass Unternehmen anschließend deutlich mehr Sozialbilanzen veröffentlicht hätten als dies noch 1974/75 der Fall gewesen sei.48 Der Arbeitsbericht des BDA-Ausschusses orientierte sich sowohl am Vorbild der Sozialbilanzen von STEAG als auch am 1975 veröffentlichten Wertschöpfungsrechnungskonzept des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI)49 und empfahl die Aufstellung einer Aufwands- und Nutzenrechnung. Die Erstellung solle idealerweise durch die Arbeit in Projektteams mit Mitarbeitern aus dem Rechnungswesen, der Öffentlichkeitsarbeit, dem Personalwesen, der Planung, Produktion und weiteren Bereichen erfolgen. Um die Sozialbilanzen inhaltlich und methodisch weiterentwickeln zu können und dabei ein hohes Maß an Flexibilität zu erhalten, sollte die Arbeit der Projektteams möglichst lange fortgeführt werden. Den Hinweis von Meinolf Dierkes, auf quantitative Daten mit niedriger Aussagekraft zugunsten einer qualitativen Darstellung zu verzichten, berücksichtigte die BDA-Empfehlung allerdings nur begrenzt und empfahl die Nutzung von Schätzungen und Input-Größen. Die verbalen Berichtsteile sollten dagegen die Öffentlichkeit ansprechen und durch Bilder aufgelockert werden. Denn entscheidendes Ziel der Berichterstattung sei es schließlich, »die wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktion der Öffentlichkeit gegenüber sichtbar und verständlich zu machen.«50 Die Berücksichtigung des Gemeinwohls öffentlich zu demonstrieren, bedeutete für die Bundesvereinigung nicht nur eine Anpassung an die neue Rhetorik des Zeitgeistes, sondern besaß für sie als gesellschaftspolitisch einflussreicher Verband aus der tripartistisch organisierten Wirtschaftsordnung heraus legitimatorische Notwendigkeit; umso mehr, je stärker sich ein Scheitern der Konzertierten Aktion abzeich-

46 Im Entwurf von 1974 wurde die Sozialbilanz als Beitrag zur Humanisierungsdiskussion dagegen noch nicht erwähnt, sie fand erst Eingang in die Endfassung des Grundsatzprogramms von 1975. Vgl. BDA 1974 u. 1975. 47 BDA Abt. VII: Rundschreiben des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (28.10.1975), Gesellschaftsbezogene Berichterstattung, S. 4. 48 AdsD 5/DGAI 000232: Schreiben Vetters an die Mitglieder des GBV (05.11.1976), S. 1. 49 Ausführlicher dazu Kapitel 5.2.3. 50 Arbeitsberichte des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung bei der BDA: Informationen für die Betriebsleitung, Nr 37: »Gesellschaftsbezogene Unternehmensberichterstattung (›Sozialbilanz‹)«, S. 4.

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nete.51 Wurde in den 1950er Jahren noch das harmonische Zusammenwirken von Unternehmensleitung und Beschäftigten als Ziel betrieblicher Sozialpolitik propagiert, so rückte in den 1970er Jahren die Interessengerechtigkeit in den Fokus der Ordnungsvorstellungen einer funktionierenden Gemeinschaft von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und ihren Vertretern. Die Sozialbilanz schien ein geeignetes Instrument, auf Unternehmensebene für zeitgemäße Sozialleistungen zu werben und über veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen zu berichten, die jene Verschiebung des Verhältnisses von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern reflektierten. Es lag im Interesse der Arbeitgeberseite, ein eigenes Forum gegenüber der Arbeitnehmerseite zu schaffen, in dem sie auf das Betriebsverfassungsgesetz, die Mitbestimmung oder Änderungen in der Sozialgesetzgebung eingehen konnte. Zugleich grenzten sich Sozialbilanzen auch gegenüber den Werkszeitungen ab, die bisher der Kommunikation mit den Beschäftigten dienten. Die Vorzüge der Sozialbilanz lagen erstens darin, dass sie durch Titel und Erscheinungsrhythmus gegenüber der Fülle an Werkszeitungen ein Alleinstellungsmerkmal als Unternehmenspublikation besaß. Die Arbeitgeberseite betrachtete argwöhnisch die Zunahme kommunistischer, sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Publikationen, die in direkter Konkurrenz zu den Werkszeitungen standen und um die Leserschaft buhlten. Gleichzeitig standen Werkszeitungen seit Jahrzehnten in der Kritik, lediglich ein harmonisches Betriebsbild darzustellen. Zweitens richtete sich die Sozialbilanz nicht nur an die Beschäftigten, sondern an einen erweiterten Adressatenkreis, und konnte damit auf die öffentliche, mediale Kritik – in der Bundesrepublik wie in der DDR52 – am Unternehmen antworten. Sie waren PR-Instrumente der Unternehmensseite mit politischer Botschaft: zur Demonstration der gesellschaftlichen Rolle und Verantwortung der Unternehmen und Verteidigung der freien Marktwirtschaft, die es in der Konkurrenz der politischen Systeme zu verteidigen galt.53

51 Vgl. Berghahn 1985, S. 180-201, 228-257 u. 295-323. 52 BDA Abt. VIII: »Informationsbericht über Ostprobleme: Blick in die Zonenpresse« (Laufzeit 1970-1974). 53 BDA Abt. VIII: Informationsbericht über betriebliche Publizistik (Nr. 5: 25.05.1970; Nr. 9:

24.09.1970;

Nr. 4: 18.05.1971;

Nr. 12: Nr. 7:

07.12.1970; 23.08.1971;

Nr. 2: Nr. 9:

12.03.1971; 10.11.1971;

Nr. 3:

15.04.1971;

Nr. 8:

19.09.1972;

Nr. 1: 10.01.1974; Nr. 8: 13.09.1976; Nr. 5: 08.06.1977); Allgemeiner Informationsbericht Presse (Nr. 1, 01.02.1979); Kleine Kommission des Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsausschusses (24.11.1970); Analyse zur Versorgung der Arbeitnehmer mit Gewerkschaftszeitschriften beziehungsweise Propagandaliteratur (18.04.1977).

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4.2 E IN JURISTISCHES G LASPERLENSPIEL : D IE U NTERNEHMENSRECHTSKOMMISSION Bundesjustizminister Gerhard Jahn setzte 1972 eine Kommission ein, die sein Ministerium beraten und sich auf mögliche Fragen zu einer Reform des Unternehmensrechts konzentrieren sollte.54 Die 28 Mitglieder rekrutierten sich paritätisch aus gewerkschafts- sowie arbeitgebernahen Praktikern und Wissenschaftlern.55 Der Justitiar der IG Metall, Michael Kittner56, brachte das Thema Sozialbilanzen ein, das in der Unterkommission zur Reform der Publizitätspflicht von Unternehmen diskutiert wurde. Am 2. November 1976 stellte Kittner sein gemeinsam mit Klaus Mehrens57 verfasstes Konzept zur Sozialbilanz im Unterausschuss Publizität der Unternehmens-

54 Die Bundesregierung ermächtigte Jahn am 06.10.1971, die Kommission zu berufen, deren konstituierende Sitzung am 09.05.1972 stattfand. AdsD 24/630, 24/697; Bundesministerium der Justiz 1980, S. 77-78. Im Mittelpunkt stand insbesondere die Angleichung nationalen Rechts an die sogenannte Vierte EG-Richtlinie, die erstmals 1971 in der EWG diskutiert wurde und die eine Harmonisierung des Unternehmensrechts innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorsah. Der Schwerpunkt der Richtlinie lag dabei auf der Angleichung der Richtlinien für Jahresabschlüsse und umfasste somit auch Publizitätsgrundlagen. Der Rat der EWG verabschiedete sie am 25.07.1978. In deutsches nationales Recht wurde die Richtlinie 1985 umgesetzt. Vgl. Küpper/Mattessich 2005, S. 371; Söffing 1979, S. 65-100; Weickert 1980, S. 18-24. 55 Die Kommission setzte sich aus Vertretern von Regierungsinstitutionen, Universitäten, Wirtschaftsverbänden, Unternehmen und Rechtsexperten zusammen, darunter Prof. Dr. Otto Kunze (DGB) als Vorsitzender, Prof. Dr. Kurt Ballerstedt (bis † 25.10.1977, Universität Bonn), RA Dr. Ernst-Gerhard Erdmann (bis 05.12.1974, BDA), RA Dr. Heinz Gester (DGB), RA Werner Junge (DIHT), Prof. Dr. Michael Kittner (ab 12.06.1972, IGM), WP Prof. Dr. Erich Potthoff (ehem. Wirtschaftswissenschaftliches Institut der Gewerkschaften). AdsD 5/DGAK000028: Projektgruppe im WSI, Vorschläge zum Unternehmensrecht, S. 260-261; Bundesministerium der Justiz 1980, S. 91-93. 56 Michael Kittner war seit 1972 Justitiar der IG Metall; Geschäftsführer der Otto-BrennerStiftung; darüber hinaus Mitglied im Arbeitskreis für Unternehmensrecht des DGB und ist emeritierter Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der früheren Gesamthochschule Kassel. 57 Klaus Mehrens, Ökonom und ehemaliger Leiter des IG-Metall-Bezirkes Frankfurt, war kein Mitglied der Unternehmensrechtskommission, wurde aber von Kittner als Experte hinzugezogen und war später Mitglied des DGB-Arbeitskreises der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung/Sozialbilanzen‹. Vgl. Kapitel 4.3; Interview Kittner 22.09.2010.

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rechtskommission vor.58 Ein zentraler Aspekt der Kritik von Kittner und Mehrens an den bis dahin entwickelten Modellen unternehmerischer Sozialbilanzen war der Versuch einer Übernahme monetärer Berechnungsgrundlagen aus der kapitalorientierten Rechnungslegung. Den Versuchen der Unternehmen, ihre gesellschaftsbezogenen Aktivitäten in der Publikationsform Sozialbilanz zu erfassen, liege ein »monetärer Maßstab als Fetisch«59 zugrunde. Diese Adaption aus dem finanzbezogenen Rechnungswesen sei für die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung im Hinblick auf die zu bewertenden Daten jedoch inadäquat. Dieses Urteil der Autoren richtete sich konkret gegen ein von Peter Eichhorn60 angeführtes Beispiel der Berechnung eines Betriebsunfalles für die Sozialbilanz, das die Autoren in ihrem Referat zitierten. Es zeige, dass die konsequente Monetarisierung von Ereignissen wie Betriebsunfällen zur Abbildung der betriebswirtschaftlichen Kosten in der Sozialbilanz nicht nur absurd, sondern geradezu unmenschlich sei, da die physischen und psychischen Folgen für den Betroffenen nicht erfasst würden; Eichhorn betone sogar, dass langfristig der Schaden für das Unternehmen nicht allzu groß sei, weil der verunfallte Arbeitnehmer ersetzt werden könne: Die Inhumanität eines derartigen Vorgehens schlägt dann auch voll durch, wenn Eichhorn die Irrelevanz des Betriebsunfalls für seine ›gesellschaftsbezogene Schlußbilanz‹ mit der (aus seiner Sicht konsequenten) Bewertung konstatiert: ›Das Humanvermögen verringert sich nicht, weil die Teilinvalidität der Geschädigten durch Neueinstellung kompensiert wurden 61

[sic!].‹

Der von Eichhorn verfolgte Ansatz einer umfassenden Monetarisierung aller Aktivitäten und Vorgänge im Unternehmen suggeriere die uneingeschränkte Vergleichbarkeit aller erfassten Daten, sei moralisch verwerflich und liege damit letztlich auch jenseits »wissenschaftlicher Konsensfähigkeit«62. Insgesamt fehle es den bislang in Wissenschaft und Praxis entwickelten Ansätzen zur Sozialbilanz, ungeachtet der moralischen Bewertung, an substantiellem Informationsgehalt, so die zentrale Aussage der beiden Gewerkschaftsvertreter, die Anregungen zu ihrem Referat aus Arbeiten des WSI zur Arbeitnehmerorientierten Einzelwirtschaftslehre erhalten hatten, einem mitarbeiterzentrierten Alternativansatz zur Betriebswirtschaftslehre.63 58 Datiert ist der Textentwurf für die Unternehmensrechtskommission auf den 09.08.1976; später wurde er mit geringfügigen Veränderungen veröffentlicht: Kittner/Mehrens 1977; Kittner/Mehrens 1978. 59 BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 7. 60 Vgl. Kapitel 3.2.2. 61 BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 7-8. 62 Ebd., S. 8. 63 Vgl. Kapitel 4.3; Interview Kittner 22.09.2010.

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Die diachrone und interorganisationale Vergleichbarkeit durch Standardisierung der zu erhebenden Daten solle nicht durch die Orientierung an monetären Maßstäben hergestellt werden, sondern vielmehr durch einen ausdifferenzierten Katalog sozialer Indikatoren, der über rein ökonomische Aspekte hinausgehen müsse. Die Sozialbilanz solle das Beziehungsgeflecht zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt erfassen und könne diesem Begriff nur gerecht werden, wenn es dieses Geflecht auch beschreibe, so die Argumentation der beiden Autoren. Ein Katalog sozialer Indikatoren sollte die Lücke schließen zwischen Monetarisierung und den von Kittner und Mehrens als substanzlos bewerteten Sozialberichten, deren inhaltliche Gestaltung im Ermessen der Unternehmensvorstände liege und die den Interessengruppen Öffentlichkeit und Arbeitnehmer bisher als ausreichende Information präsentiert würden. Auf verbale Darstellungen solle allerdings nicht verzichtet werden, wenn eine numerische Abbildung durch Indikatoren nicht möglich sei. Darüber hinaus solle dem jeweiligen Betriebsrat die Möglichkeit eingeräumt werden, die Publikation zu ergänzen oder einen Begleitbericht herauszugeben.64 Insgesamt solle der Fokus stärker auf die Wirkungen unternehmerischen Handelns gelegt werden statt auf die Aufwendungen, die erbracht würden, d.h. die Autoren plädierten für eine outputorientierte anstelle einer inputorientierten gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung. Diese Forderung trat im wissenschaftlichen Diskurs um Sozialbilanzen in den 1970er und 1980er Jahren immer wieder in Erscheinung. Kittner und Mehrens bezogen sich an dieser Stelle auf Dierkes, der die Entwicklung der Sozialbilanz in einem vierstufigen Modell beschrieb. Stufe eins und zwei beschränken sich im Wesentlichen auf die Aufstellung und Erfassung von Input-Daten; Stufe drei und vier umfassen die Entwicklung sozialer Indikatoren und die Option, Output-Daten wiederzugeben, um so die positiven wie negativen Auswirkungen unternehmerischen Handelns umfassend zu analysieren.65 Um Stufe zwei letztlich überwinden zu können, seien, so die Autoren, politische Akteure gefragt: U.E. ist gegenwärtig eine Phase erreicht, wo die Diskussion um die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung aus dem Stadium einer eher privaten Angelegenheit der Wirtschaft herausgewachsen ist. Ihren eigentlichen Zweck kann diese Diskussion nur dann erfüllen, wenn sie zu einem politischen Anliegen relevanter politischer Gruppen gemacht wird, mit dem Ziel einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. […] Die Komplexität der sozialen Bezüge und die Vielzahl der vorhandenen Informationsinteressen erzwingt geradezu die Beschränkung auf relevante Kategorien, wobei die Relevanz von den verschiedenen beteiligten Gruppen verschie-

64 BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 3 u. 11-12. 65 Vgl. Dierkes 1974, S. 177-9; Kapitel 3.2.3; BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, S. 13.

144 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN den eingeschätzt wird. Die Auswahl wird also ein Ergebnis eines politischen Meinungsbil66

dungsprozesses sein müssen.

Die von Kittner und Mehrens geforderte gesetzliche Regelung zielt auf eine stärkere Kontrolle der Unternehmen durch Vergleichbarkeit auf der Grundlage eines verbindlichen Katalogs, um die substantiellen Ziele der Sozialbilanz erreichen zu können. Diese Ziele sind erstens die Information der Stakeholder und zweitens die Berücksichtigung der Stakeholder-Interessen durch einen neu definierten Begriff von Wirtschaftlichkeit, der eine Ausrichtung der Unternehmenspolitik an gesellschaftlichen Bedürfnissen voraussetzt. Die Motivation der Unternehmen, Sozialbilanzen zu veröffentlichen, beruhe schließlich nicht auf eigens entwickelten Vorstellungen von Moral, sondern auf dem Nexus von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft: vor allem auf der gerade für Großunternehmen zunehmenden finanziellen Abhängigkeit von staatlichen Subventionen, die eine Orientierung unternehmerischen Handelns an der öffentlichen Meinung notwendig erscheinen ließe. Die Publikationsform Sozialbilanz sei eine Möglichkeit, der Forderung nach verantwortungsvollem, unternehmerischem Handeln entgegenzutreten, sich dieser aber gleichzeitig entziehen zu können, indem die Bereitschaft zum Handeln im Sinne gesellschaftlicher Ziele und Wünsche demonstriert werde.67 Zum einen werde so das Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit verbessert, zum anderen das Informationspotential der Publikation genutzt. Beides trage letztlich zur Steigerung des Gewinnes bei und entspreche der systemimmanenten »Rolle und Funktion von Unternehmen in unserer Gesellschaft.«68 Auch Jahns Nachfolger im Amt des Bundesjustizministers, Hans-Jochen Vogel, sprach sich für eine verbesserte Unternehmenspublizität aus, die den Interessen der Öffentlichkeit gerecht werden könne. Letztlich sei dies auch im Interesse der Unternehmen, denn »hierbei [handelt es sich] um ein marktwirtschaftskonformes Instrument [...], das am ehesten unsachlicher Kritik den Boden zu entziehen vermag.«69 Orientiert am Beispiel der ersten Sozialbilanzen der STEAG schlugen die Autoren eine Untergliederung in ein inneres und ein äußeres Beziehungsfeld des Unternehmens vor,70 wobei dem inneren Beziehungsfeld – beschränkt auf die Beschäftigten und ihre Vertreter – im Konzept der Gewerkschaftsvertreter deutlich mehr Gewicht zukommt. Numerisch erfasst werden sollten die Beschäftigtenstruktur, Löhne und Gehälter, die Arbeitszeit, Maßnahmen der Arbeitssicherheit und des Gesund66 BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 14. 67 Ebd., S. 2 u. 17. 68 Ebd., S. 3. 69 Hans-Jochen Vogel, »›Macht über Menschen bedarf der Legitimation‹«, in: Manager Magazin 4 (1976), Nr. 7, S. 18. 70 BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 15; vgl. Kapitel 5.1.1.

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heitsschutzes, Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme und Bildungsmaßnahmen jeglicher Art einschließlich der regulären Berufsausbildung, die Sozialeinrichtungen des Unternehmens sowie Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften. Das äußere Beziehungsfeld konzentriere sich in dem von Kittner und Mehrens entwickelten Katalog auf die Bereiche »Belastung beziehungsweise Beanspruchung der physischen Umwelt«, Inanspruchnahme und Bereitstellung infrastruktureller Einrichtungen, Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sowie den »Beitrag zu gesamtwirtschaftlichen und strukturpolitischen Zielsetzungen«71. Hier sind die Preiserhöhungen von Produkten, geschaffene Arbeitsplätze und getätigte Investitionen genannt. Nach Aussage der Autoren sei der entworfene Katalog nicht als statisches Konzept aufzufassen, sondern unterliege den Bedingungen eines Lernprozesses, in dem alle Akteure – Unternehmen wie Interessengruppen – gefordert seien, weitere geeignete Indikatoren zu finden.72 Eine Gegenposition zu den Ausführungen von Kittner und Mehrens nahm Rechtsanwalt Werner Junge in seinem Referat ein, das er ebenfalls am 2. November 1976 vor dem Unterausschuss Publizität hielt. Junge, Mitglied des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), erklärte, eine gesetzliche Regelung sei im Falle der Sozialberichterstattung von Unternehmen ungeeignet. Er begründete diese Position maßgeblich mit dem Argument, den Unternehmen fehlten schlicht die Möglichkeiten, aus den vorhandenen Unternehmensdaten den sozialen Nutzen beziehungsweise Schaden durch das Unternehmen zu ermitteln. Übrig bliebe so nur eine »Public Relations-Schrift«73. Die Bereitstellung elementarer Daten zur Information der Mitarbeiter sei ohnehin bereits über das Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Zur Information der Öffentlichkeit genüge es, einige soziale Kerndaten anzuführen, wobei es sich dabei vorrangig um soziale Daten aus dem internen Bereich des Unternehmens wie beispielsweise zur Altersversorgung oder zu Grundsätzen der Personalpolitik handeln solle; die Behandlung gesellschaftspolitisch umfassenderer Themen gehöre nicht zu den Aufgaben der Unternehmensberichterstattung.74 Im Vordergrund der Berichterstattung solle statt schönfärbender Publikationen die Ertragslage des Unternehmens stehen: Mag sich auch der Kreis der Unternehmensziele erweitert haben, der Rentabilität gebührt nach wie vor der Vorrang. Denn keine der sozialen oder ethischen oder volkswirtschaftlichen Forderungen, die an das Unternehmen gestellt werden, kann verwirklicht werden, wenn das Unternehmen nicht rentabel arbeitet. […] Was nützt es dem Arbeitnehmer, wenn ihm eine ausführliche ›Sozialbilanz‹ sagt, was alles für ihn getan wird, z. B., wieviel Essen in der 71 Ebd., S. 25. 72 Ebd., S. 17 u. 25. 73 BArch B 141/67681: Ergebnisprotokoll, S. 114. 74 Ebd.

146 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN Werkskantine ausgegeben werden, wenn ihm gleichzeitig eine Jahresbilanz vorgelegt wird, in der durch Bildung und Auflösung stiller Reserven die wahre Ertragslage des Unternehmens verschleiert wird. Im Fall der Sozialbilanz geht es um die Qualität des Arbeitsplatzes, im Fall der Jahresbilanz geht es u.U. um den Bestand des Arbeitsplatzes.

75

Die von Kittner und Mehrens verfasste Stellungnahme und der von ihnen vorgelegte Indikatorenkatalog bildeten zusammen mit dem Referat von Junge, Informationen zur gesetzlichen Regelung der Sozialbilanzierung in Frankreich, dem 1976 veröffentlichten Sozialbericht Bayer in Wirtschaft und Gesellschaft und dem Arbeitsbericht der BDA76 die Grundlage für die Beratungen der Unterkommission zur Publizität von Unternehmen, die sich im Wesentlichen auf einzelne Sitzungen in den Jahren 1976 und 1977 beschränkten.77 Primär stand die Frage im Mittelpunkt, ob die Veröffentlichung einer Sozialbilanz nach französischem Vorbild für Unternehmen ab einer bestimmten Größe gesetzlich verpflichtend werden sollte. Im Juli 1977, nur wenige Tage nach Erlass des Gesetzes in Frankreich, befasste sich die deutsche Unternehmensrechtskommission mit dem Gesetzentwurf zur französischen Sozialbilanz. Wahrgenommen wurde, dass in Frankreich vor allem zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden eine Debatte um die Grenze der Unternehmensgröße geführt wurde. So forderten dort die Gewerkschaften eine Pflicht zur Bilanzierung für Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten, Arbeitgeberverbände hingegen wollten eine Heraufsetzung der Grenze auf 2000 Beschäftigte durchsetzen. Der französische Wirtschafts- und Sozialrat befürwortete eine Grenze von 300 Beschäftigten.78 Der von Kittner vorgestellte Katalog stieß im Einzelnen auf wenig Widerspruch, wurde jedoch von einigen Mitgliedern der Kommission als zu umfassend beurteilt, wohingegen Kittner und Mehrens ihn als ersten Versuch bewerteten, genauere Daten zur Sozialbilanzierung erheben zu können. Bedenken seitens der Kommissionsmitglieder wurden allerdings besonders gegen den Punkt »Verstöße gegen Arbeitsvorschriften«79 geäußert. An dieser Stelle sah der Katalog vor, dass gegen das Unternehmen verhängte rechtskräftige Geldbußen in absoluten Zahlen und in der Gesamtsumme sowie gegen Vertreter des Unternehmens verhängte rechtskräftige Strafen ausgewiesen würden. Diese Bedenken wurden im Ergebnisprotokoll des Unterausschusses nicht näher erläutert, jedoch wurde im Abschlussbericht der Unternehmensrechtskommission darauf verwiesen, derartige Offenlegungen seien be-

75 Ebd., S. 153. 76 Vgl. Kapitel 4.1. 77 BArch B 141/67680, B 141/67681 und B 141/73603. 78 Vgl. Kapitel 7.2. 79 BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 23.

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dingt zumutbar.80 Weiteres Beratungsergebnis war, dass die Ausweisung der Inanspruchnahme und Bereitstellung infrastruktureller Einrichtungen (Punkt 9 des Katalogs) aus praktischen Gründen nicht in die Berichterstattung aufgenommen werden solle, weil die Datenerhebung schwierig und aufwendig würde. Die Inanspruchnahme von Subventionen (Punkt 10) als Teil einer verpflichtenden Berichterstattung wurde kontrovers diskutiert, wie der Abschlussbericht der Kommission offenbart. Für eine Ausweisung dieses Postens wurde das Argument angeführt, die Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft und der durch die Organisation verursachte Nutzen oder Schaden könnten nur bewertet werden, wenn die auf »Kosten der Allgemeinheit«81 erlangten Steuerbegünstigungen und Subventionen offengelegt würden. Dagegen sprachen sich einige Kommissionsmitglieder mit der Begründung aus, diese Angaben seien für den Adressatenkreis der gesellschaftsbezogenen Publikation nicht relevant, »zumal es keine Steuerermäßigungen gebe, die speziell bestimmten Unternehmen gewährt würden.«82 Besonders ausführlich ging der Abschlussbericht auf die Frage ein, ob die Veröffentlichung umweltbezogener Daten verpflichtend gemacht werden sollte. Für eine Verpflichtung zur Umweltberichterstattung sprach nach Ansicht einiger Kommissionsmitglieder die wachsende Aufmerksamkeit, die Umweltfragen zukomme. Mit einer regelmäßigen, standardisierten Berichterstattung könnten Transparenz und Vergleichbarkeit sichergestellt und den Debatten um die Umweltbeziehungen eines Unternehmens könne ihre Emotionalität genommen werden. Schließlich könne sich von der Pflicht zur Berichterstattung ausgehend sogar ein verstärktes Augenmerk der Unternehmen auf den Umweltschutz im Allgemeinen entwickeln.83 Hauptargument gegen eine normative umweltbezogene Berichterstattung war der unangemessene Aufwand, der dem Informationswert gegenüberstehe. Es sei lediglich geboten, aus aktuellem Anlass über bestimmte umweltbezogene Aktivitäten eines Unternehmens zu berichten, dann jedoch solle eher der Weg über die öffentlichen Medien genutzt werden statt über den Geschäftsbericht, der für eine solche Berichterstattung nicht das geeignete Publikationsorgan sei. Desweiteren wurde vorgebracht, dass »den Unternehmen […] im allgemeinen nicht zugemutet werden [könne], über von ihnen ausgehende Umweltbelastungen von sich aus zu berichten und die damit verbundene Schädigung ihres Rufs in Kauf zu nehmen.«84 Dies störe den Frieden innerhalb der Belegschaft und »[d]arüber hinaus bringe eine laufender [sic!] Berichterstattung die Gefahr mit sich, daß in den Hauptversammlungen Fragen der Umweltbelastung künftig eine noch größere Rolle spielen würden als bis80 Bundesministerium d. Justiz 1980, S. 956. 81 Ebd., S. 963. 82 Ebd. 83 Vgl. ebd., S. 958. 84 Ebd., S. 959.

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her.«85 Vielfach bedinge die technische Komplexität, dass die Sachverhalte dem Adressatenkreis nicht vermittelt werden könnten. Auch an dieser Stelle wurde erneut das Emotionalitätsargument vorgebracht: [D]as Interesse der Öffentlichkeit [gelte] nicht nur der von einem Unternehmen ausgehenden laufenden Umweltbelastung, sondern häufig sogar in erster Linie dem mit bestimmten Anlagen wie zum Beispiel Kernkraftwerken verbundenen Gefahrenpotential […]. Man könne den Unternehmen aber nicht zumuten, im Rahmen ihrer laufenden Berichterstattung Urteile über den Wahrscheinlichkeitsgrad katastrophaler Ereignisse abzugeben und die möglichen Folgen solcher Ereignisse zu beschreiben.86

Die Kommission spaltete sich hinsichtlich der umweltbezogenen Berichterstattung also zwischen jenen Mitgliedern, die sich positive Effekte für den Umweltschutz wünschten, und denen, die in erster Linie das öffentliche Bild der Unternehmen durch eine gesetzliche Regelung gefährdet sahen. Die Beratungen des Unterausschusses Publizität am 16. November und der Kommission vom 22. November 1976 ergaben insgesamt kein eindeutiges Ergebnis hinsichtlich einer Regulierung der Sozialberichterstattung. Das Ergebnisprotokoll der Beratungen offenbart, dass es zu Beginn zumindest einen Minimalkonsens gab. So wurden vor allem die arbeitnehmerorientierten Indikatoren als mögliche Grundlage für eine verpflichtende Sozialbilanzierung gesehen. Der Mehrheit der Kommissionsmitglieder erschien es empfehlenswert, dass Unternehmen soziale Daten mindestens im Geschäftsbericht veröffentlichen sollten, besser noch in einer gesonderten Publikation, um den Adressaten gerecht werden zu können.87 Für die umweltbezogene Berichterstattung einigte sich die Kommission darauf, dass sie »angemessen«88 sein solle. Beide Empfehlungen deuten darauf, dass selbst, wenn es zu einer gesetzlichen Regelung gekommen wäre, die gesellschaftsbezogene Berichterstattung weiterhin im Ermessen der Unternehmen hätte liegen sollen. Der veröffentlichte Abschlussbericht der Kommission unterstützt diese These. Im Bericht werden keine eindeutigen Empfehlungen ausgesprochen, sondern lediglich Argumente für und gegen eine gesetzliche Regelung aufgeführt. Die Befürworter einer verpflichtenden, gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung unterstrichen die Notwendigkeit der Vergleichbarkeit und Transparenz unternehmerischer Berichte. Einwände gegen eine gesetzliche Regelung wurden von einigen Kommissionsmitgliedern mit dem Argument vorgebracht, man müsse einen »Regelungsperfektionismus« vermeiden, »um 85 Ebd. 86 Ebd., S. 960. 87 BArch B 141/67680: Ergebnisprotokoll 1976, S. 93. 88 Ebd.

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der Praxis den notwendigen Freiraum für die Fortentwicklung der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung zu belassen.«89 Ohnehin sei die Veröffentlichung von Informationen, die eine solche Relevanz besäßen, dass sie eine gesetzliche Verankerung erforderlich machten, bereits durch das Betriebsverfassungsrecht geregelt. Weder aus den überlieferten Akten der Unternehmensrechtskommission noch aus deren Abschlussbericht geht hervor, welche Mitglieder der Kommission im einzelnen – von Kittner und Junge abgesehen – Position für oder gegen eine gesetzliche Regelung der unternehmerischen Sozialbilanzierung beziehen. Das Material liefert jedoch eindeutige Hinweise auf eine Debatte, die eine klare Trennlinie zwischen der gewerkschaftsnahen und der arbeitgebernahen Position markiert. Auf der einen Seite steht die Empfehlung zur Regulierung der unternehmerischen Praxis, um Transparenz und Kontrolle sicherstellen zu können, auf der anderen Seite die Haltung, auf die Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen zu vertrauen und der wirtschaftlichen Praxis wie auch der Wissenschaft für eine Weiterentwicklung der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung ohne gesetzliche Vorgaben Raum zu geben. Das Ziel der gewerkschaftlichen Arbeit wurde im DGB-Arbeitskreis ›Unternehmensrecht‹90 klar formuliert: Es sollten nicht nur vereinzelte Problemlösungen in Hinblick auf die Verankerung des Mitbestimmungsgesetzes entwickelt werden, sondern die Unternehmensführung im Allgemeinen und die Beachtung von Arbeitnehmerinteressen im Ganzen in den Fokus rücken, auch wenn diese Arbeit die Gefahr gesellschaftspolitisch relevanter Auseinandersetzungen berge. Weder von Justizminister Jahn noch seitens des DGB und WSI wurde erwartet, dass die Kommission sich intensiv mit dem Thema Mitbestimmung befassen würde.91 Michael Kittner und Heinz Gester aus dem DGB-Justitiariat gehörten dem im Januar 1975 gegründeten DGB-Arbeitskreis ›Unternehmensrecht‹ an und unterrichteten ihn über die laufenden Beratungen in der Unternehmensrechtskommission ebenso wie sie umgekehrt versuchten, die im Arbeitskreis erarbeiteten Konzepte in der Kommission publik zu machen. Die Arbeit des Arbeitskreises wiederum orientierte sich an den Ergebnissen eines früheren gewerkschaftlichen Arbeitskreises zum Unternehmensrecht, dem Otto Kunze – DGB-Mitglied und nun Vorsitzender der Unternehmensrechtskommission – angehört hatte.92 Die vagen Empfehlungen der Kommission und das Fehlen einer eindeutigen Position entsprachen letztlich der Absicht der Kommissionsmitglieder, die sich zu 89 Bundesministerium d. Justiz 1980, S. 948. 90 Vgl. dazu Kapitel 4.3. 91 AdsD 5/DGAK000028: Projektgruppe im WSI, Vorschläge zum Unternehmensrecht 1979, S. 10 u. 260; Bundesministerium d. Justiz 1980, S. 82. 92 AdsD, 5/DGBR, 24/7207: Protokoll d. Sitzung d. AK »Unternehmensrecht« (30.01.1975, datiert auf d. 11.03.1975), S. 1-4; 5/DGAK000028: Brief v. Gester an Heinz Oskar Vetter (21.04.1980), S. 4-5.

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Beginn ihrer Beratungen dagegen ausgesprochen hatten, über ihre Beratungen abzustimmen und eindeutige Ergebnisse zu präsentieren. Verantwortlich für diese Entscheidung waren Michael Kittner und Heinz Gester, die auf diese Weise verhindern wollten, dass die Beratungen zu einem Spiegel politischer Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschafts- und Arbeitgeberseite würden.93 So entzogen sich die Kommissionsmitglieder der Gefahr, politische Entscheidungen durch ihre Empfehlungen vorwegzunehmen, was nicht dem Auftrag der Kommission entsprochen hätte. Offiziell waren die Mitglieder zwar als Sachverständige für Unternehmensrecht ausgewählt worden, dennoch konnte deren politischer Hintergrund nicht vollkommen ignoriert werden und so wurde versucht, zumindest ein politisches Gleichgewicht innerhalb der Kommission herzustellen, indem sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite durch Referate repräsentiert und die Darstellung eindeutiger Ergebnisse im Abschlussbericht der Kommission vermieden wurde:94 »Zwischen beiden Lagern gab es keinen Druck, sich zu verstehen. Es wurde immer deutlicher, dass das ein Glasperlenspiel ist.«95

4.3 V OM F RÜHWARNSYSTEM ZUM M ITBESTIMMUNGSINSTRUMENT : D IE E NTWICKLUNG DES DGB-S OZIALINDIKATORENANSATZES 4.3.1 Alternative Kennziffernsysteme statt konformer Sozialbilanzen Mit Blick auf die Beratungen der Unternehmensrechtskommission und die zunehmende Zahl sozialbilanzierender Unternehmen sah sich der Deutsche Gewerkschaftsbund gezwungen, der Debatte um Sozialbilanzen nicht nur mit Ablehnung zu begegnen und stattdessen ein eigenes Konzept zu entwickeln. Denn den Gewerkschaften komme als Kritikerinnen eine bedeutsame Rolle für die Weiterentwicklung von Sozialbilanzen zu. Von wissenschaftlicher Seite seien kaum Beanstandungen an der bisherigen Sozialbilanzpraxis geäußert worden, obwohl die Publikationen bei weitem nicht den wissenschaftlichen Konzepten entsprächen, stellte Hans-Detlev

93 AdsD 5/DGBR, 24/7207: Protokoll d. Sitzung d. AK »Unternehmensrecht« (30.01.1975, datiert auf den 11.03.1975), S. 1-2; Bundesministerium d. Justiz 1980, Vorwort; Interview Kittner 22.09.2010. 94 Bundesministerium der Justiz 1980, S. 83; AdsD 5/DGAK000028: Projektgruppe im WSI, Vorschläge zum Unternehmensrecht 1979, S. 260; AdsD 5/DGAI 002693: Brief Raisers an Albrecht Krieger (BMJ) (13.06.1979). 95 Interview Kittner 22.09.2010.

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Küller von der Abteilung Gesellschaftspolitik des DGB fest. Die Unternehmen beschränkten sich auf eine allzu positive Berichterstattung und vernachlässigten die von ihnen verursachten gesellschaftlichen Schäden in ihren Sozialbilanzen. Küller gehörte zu den zentralen Akteuren des DGB in der Entwicklung eines eigenen Sozialbilanz-Konzeptes und verortete die Gründe für die stetig steigende Zahl veröffentlichter Sozialbilanzen erstens in der Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes und im Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens, zweitens im steigenden Bewusstsein für das Problem externer Effekte und drittens in Legitimierungsstrategien, um der öffentlichen Kritik am Unternehmertum entgegenzuwirken.96 Heinz Oskar Vetter, Vorsitzender des DGB, warnte vor den Gefahren, die in den Sozialbilanzaktivitäten für Gewerkschaften und Arbeitnehmer lägen. Zwar könnten Sozialbilanzen in tarifpolitischen Verhandlungen als Informationsgrundlage herangezogen werden. Doch solange die Erstellung von Sozialbilanzen allein durch die Unternehmensleitung gesteuert würde, könne keine objektive Berichterstattung erwartet werden. Daran ändere auch die zunehmende Mitarbeit von Betriebsräten oder Wissenschaftlern an Sozialbilanzen nichts; sie erhöhe nur die Nachteile für die Arbeitnehmerseite.97 Vetter fürchtete, dass die Unterstützung durch Betriebsräte und die wissenschaftliche Fassade der Sozialbilanz zu mehr Reputation verhelfen könne als es seiner Auffassung nach gerechtfertigt sei: Die Erfahrungen der Vergangenheit lassen vermuten, daß es den Unternehmen weniger auf eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung ankommt. Den Unternehmensleitungen geht es vielmehr um eine Auflistung der Kosten für Löhne und Gehälter, betriebliche Sozialleistungen, Betriebsratsarbeit etc. Damit wird die gesellschaftsbezogene Rechnungslegung aber zu einem Instrument der gezielten Beeinflussung der Willensbildung von Belegschaften und Gewerkschaften.98

Vetter schloss die Möglichkeit einer gesetzlichen Regulierung der Sozialbilanzierung zu diesem Zeitpunkt nicht aus und schrieb der gewerkschaftlichen Arbeit an einem eigenen Konzept durchaus Einfluss auf die Legislative zu; zumindest wollte er jedoch verhindern, dass lediglich die unternehmerischen Konzepte zum Vorbild für eine gesetzliche Festschreibung genommen würden.99 Ein Arbeitskreis aus WSI-, DGB- und Einzelgewerkschaftsmitgliedern sollte Vorschläge zu einer arbeitnehmerfreundlichen Sozialbilanzierung erarbeiten, die mit der Idee paritätischer Mitbestimmung zu vereinbaren und auch realisierbar sei-

96 AdsD 24/9245: Küller an Lührig; vgl. Küller 1978. 97 AdsD 5/DGAI 000232: Schreiben Vetters an Mitglieder des GBV (05.11.1976), S. 2-3. 98 Ebd., S. 2. 99 Ebd., S. 3.

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en.100 Bevor der Bundesvorstand entschied, einen Arbeitskreis einzurichten, um den Aktivitäten in Unternehmen, Arbeitgeberverbänden und von wissenschaftlicher Seite aktiv zu begegnen, hatten sich bereits einige Vertreter der Abteilung Gesellschaftspolitik im DGB-Bundesvorstand mit dem Phänomen Sozialbilanz befasst. Zu ihnen gehörte Hans-Detlev Küller,101 der schließlich die Leitung des Arbeitskreises der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung/Sozialbilanzen‹ (AK DGB) übernahm. Die bis dahin veröffentlichten Stellungnahmen der Abteilung Gesellschaftspolitik und ihre Dokumentation der Sozialbilanzentwicklung dienten dem Bundesvorstand ebenso als Beratungsunterlagen zur Entscheidung über die Einrichtung eines Arbeitskreises wie die Sozialbilanzen der Unternehmen aus dem Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis, Stellungnahmen der Arbeitgeberseite, der SudreauBericht zur Entwicklung in Frankreich102 und wissenschaftliche Analysen. Am 7. Dezember 1976 beschloss der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes die Einrichtung des AK DGB als Reaktion auf die intensive Debatte um Sozialbilanzaktivitäten deutscher Unternehmen. Zeitgleich mit dem Erscheinen der Rahmenempfehlung zur Sozialbilanzierung des AKSBP im April 1977 trafen sich erstmals im Frühjahr desselben Jahres Vertreter aus den Hauptvorständen der Mitgliedsgewerkschaften, Experten aus verschiedenen Abteilungen des DGBBundesvorstandes und aus dem WSI.103

100 AdsD 5/DGAI 000232: Schreiben Vetters an Mitglieder des GBV (05.11.1976), S. 1 u. 3. 101 Hans-Detlev Küller (*1943) war von 1970 bis 1971 persönlicher Referent von HeinzOskar Vetter. Zwischen 1972 und 1980 leitete er das Referat Vermögensbildung, anschließend bis 1999 das Referat Mitbestimmung im DGB-Bundesvorstand. Von 1999 bis 2004 war er Sozialattaché der Deutschen Botschaft in Riga. 2004 kehrte er zum DGB zurück: zunächst als Abteilungsleiter Wirtschaft für den Bezirk Sachsen, 2005 wurde er Referatsleiter für die Europäische Bildungspolitik und von 2007 bis 2008 war er Bereichsleiter für Bildung, Qualifizierung und Forschung im DGB-Bundesvorstand. Vgl. Interview Küller 23.11.2010. 102 Vgl. Kapitel 7.2. 103 Zum Arbeitskreis gehörten u. a. Rainer Hübner und Rainer Niebuhr von der HansBöckler-Stiftung; Ingrid Scheibe-Lange und Gert Volkmann vom WSI; Dieter Noth und Thomas Schmidt von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV); Dr. Manfred Krüper (IG Chemie-Papier-Keramik), abgelöst von Gerd Schloßarek (ebenfalls IG CPK); Horst Neumann und Toni Engberding von der IG Metall, Wiebke Buchholz-Will (Gewerkschaft Textil und Bekleidung, GTB), Prof. Bernhard Nagel (Wirtschaftsrecht Kassel, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW), Werner Rittershofer (Deutsche Postgewerkschaft, DPG) sowie Heinrich Strohauer. AdsD 5/DGBR, 24/7207; 5/DGAK 000028; Interview Küller 23.11.2010.

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Der DGB-Bundesvorstand begann erstmals 1976 sich der zunehmenden Sozialbilanzierungspraxis anzunehmen und riet Gewerkschafts- und Betriebsratsmitgliedern mit Blick auf die Erwartungen an die Mitbestimmung, Aktivitäten von Unternehmensseite grundsätzlich ablehnend zu begegnen, da Sozialbilanzen eine Offensive gegen »die tarifpolitische und betriebspolitische Willensbildung innerhalb der Gewerkschaften und Betriebsräte«104 darstellten. Die Gründung des Arbeitskreises der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung/Sozialbilanzen‹ war ein erster Schritt seitens des DGB, diese prinzipiell ablehnende Haltung aufzugeben und ein eigenes Konzept zur Sozialbilanz zu erarbeiten, nicht zuletzt weil ein Anstieg der Zahl sozialbilanzierender Unternehmen in nur wenigen Jahren prognostiziert wurde: 1978 veröffentlichten 20 Unternehmen in der Bundesrepublik Sozialbilanzen, doch für die Jahre 1981 und 1982 rechneten die Mitglieder des gewerkschaftlichen Arbeitskreises mit 50 sozialbilanzierenden Großunternehmen. Insbesondere die Rahmenempfehlung des unternehmerischen Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis105 habe diese Entwicklung befördert und eine »beachtliche Sogwirkung«106 zur Folge gehabt. Das Konzept einer auf Arbeitnehmerbedürfnisse abgestellten Sozialbilanzierung sollte harmonieren mit den Konzepten des Frühwarnsystems und des Kennziffern-Informations-Systems, die als Mitbestimmungsinstrumente entwickelt worden waren.107 Die enge Bindung des Sozialbilanzkonzeptes an gewerkschaftliche Grundideen zur Mitbestimmung war das erklärte Ziel des Arbeitskreises, weshalb sich die Mitglieder mit Vertretern des Arbeitskreises Mitbestimmung im DGB-Bundesvorstand und Vertretern des Fachausschusses der Arbeitsgemeinschaft Engere Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren Eisen und Stahl (Fachausschuss 17) in der Hans-Böckler-Stiftung inhaltlich abstimmten.108 Küller und die weiteren Mitglieder des Arbeitskreises kamen zu dem Schluss, dass Sozialbilanzen vor allem eine »neue Form der Firmenwerbung«109 seien, die Überprüfbarkeit und Objektivität suggerierten, ohne wissenschaftlichen Standards zu folgen. Unter dem Vorwand, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen zu wollen, sei das Engagement der Unternehmen zuallererst durch steigenden Legitimationsdruck auf die Unternehmen durch die Öffentlichkeit induziert. Sowohl in den USA als auch in Deutschland hätten zunächst die Unternehmen mit der Veröffentlichung von Sozialbilanzen begonnen, die dem größten öffentlichen Druck begegnen mussten: 104 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 3; vgl. auch S. 1. 105 Kapitel 5. 106 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 3. 107 Vgl. Kapitel 4.3.2. 108 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 1-3. 109 AdsD 5/DGAI 000232: Abt. Gesellschaftspolitik, »Sozialbilanzen/Sozialreports/Gesellschaftsbezogene Firmenberichterstattung« (25.10.1976), S. 1.

154 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN Unternehmen der Mineralölindustrie (Shell, Esso, BP), die einer allgemeinen gesellschaftlichen Kritik der ›Multis‹ ausgesetzt sind; Unternehmen der chemischen Industrie (z. B. BASF, Chemische Werke Hüls) und des Energiesektors (z. B. STEAG, Saarbergwerke), die im Kreuzfeuer der Kritik von Umweltschützern stehen. Daß gegenwärtig zu diesen Branchen die Pharmazeutische Industrie (Schering, Boehringer, Hoffman [sic !]-La Roche) und die Nahrungsmittelindustrie (z. B. Nestlé) hinzukommen, bestätigt das Bild […].110

Im Detail zeige sich die Motivation der Unternehmen, wenn »zuweilen demagogisch vorgegangen«111 würde und gesetzlich vorgeschriebene Leistungen oder Maßnahmen, die dem Unternehmen ebenso oder mehr als den Mitarbeitern oder der Öffentlichkeit dienen, als vom Unternehmen gestifteter Nutzen dargestellt würden. Der verursachte Schaden werde stets minimiert. Solange keine Objektivierung der Sozialbilanzierung stattfinde, sei sie von gewerkschaftlicher Seite abzulehnen, so das Fazit der ersten Stellungnahme des gewerkschaftlichen Arbeitskreises.112 Ebenso kritisch vertrat Küller seine Haltung zu Sozialbilanzen in einem Artikel des PRMagazins, das sich 1976 schwerpunktmäßig auf das Thema konzentrierte.113 Die Ursache für die zunehmende Kritik an Arbeitgeber- und Kapitalseite liege in den divergierenden Interessen zwischen Privatwirtschaft und Allgemeinwohl. Dieses Problem, das vor allem ein Verteilungsproblem sei und nach Ansicht Küllers nur politisch und nicht durch die Privatwirtschaft gelöst werden könne, werde durch Sozialbilanzen im Sinne eines Frühwarnsystems zwar offengelegt, aber nicht gelöst. Die öffentliche Kritik am unternehmerischen Handeln werde auf diesem Wege nur bagatellisiert. Insbesondere lehnte er eine Prüfung von Sozialbilanzen durch Wirtschaftsprüfer ab, da die Unabhängigkeit der Prüfer nicht immer garantiert sei und damit eine solche Prüfung den Eindruck vermeintlicher Objektivität nur noch weiter stütze.114 Am 29. Dezember 1978 beschloss der Arbeitskreis der Sachbearbeiter die Endfassung eines Katalogentwurfes, der arbeitnehmerorientierte Sozialindikatoren enthielt und die Vorstellungen des Arbeitskreises zu notwendigen Inhalten einer Unternehmenssozialbilanz zum Ausdruck bringen sollte. Dieser Katalog wurde dem Abschlussbericht beigefügt, den der Arbeitskreis am 10. Januar nach knapp zweijähriger Arbeit an den DGB-Bundesvorstand übergab. Die vordergründige Botschaft des Berichtes war, Unternehmen wollten mit ihren Sozialbilanzen primär dar-

110 Ebd., S. 2. 111 Ebd. 112 Ebd., S. 3. 113 Hans-Detlev Küller, »Gewerkschaftspolitik contra Sozialbilanz?« in: PR-Magazin 2 (1976), Nr. 1, S. 34-6. 114 Ebd.

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legen, Löhne, Lohnnebenkosten und Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen seien grundsätzlich zu hoch und schmälerten die Rendite.115 In großen Teilen war der vorgelegte Katalog des Arbeitskreises der Sachbearbeiter identisch oder zumindest inhaltlich stark angelehnt an den Sozialindikatorenkatalog von Kittner und Mehrens, die diesen bereits im November 1976 dem Unterausschuss Publizität der Unternehmensrechtskommission vorstellten.116 Beide Kataloge weisen eine Untergliederung in ein inneres und ein äußeres Beziehungsfeld auf. Diese Struktur folgte der unternehmerischen Praxis und erlaubte eine Trennung der Berichterstattung über soziale Leistungen des Unternehmens für seine Mitarbeiter und Leistungen, die im Wesentlichen der natürlichen Umwelt, Anwohnern oder kommunalen, föderalen und staatlichen Einrichtungen zugute kommen beziehungsweise Handlungen, durch die diese Interessengruppen oder die Umwelt belastet werden. Die Indikatoren des inneren Beziehungsfeldes betreffen in den Entwürfen der Kommissionsmitglieder und des Arbeitskreises der Sachbearbeiter übereinstimmend die Themenfelder Beschäftigung (Arbeitsplätze, Personalstruktur, Fluktuation), Qualifikation der Mitarbeiter (Aus- und Weiterbildung), Arbeitszeit (inklusive Urlaubs-, Ausfall- und Kurzarbeitszeiten) und Einkommen einschließlich der detaillierten Erfassung gesetzlicher und freiwilliger sozialer Leistungen bis hin zum Durchschnittspreis des Kantinenessens. Im äußeren Beziehungsfeld erfassen die Indikatoren die vom Unternehmen verursachten Umweltbelastungen (Luft-, Boden- und Wasseremissionen, Abfallerzeugung), durchgeführte Maßnahmen zum Umweltschutz und deren Kosten sowie die Einhaltung oder Überschreitung von Umweltschutzgesetzen einschließlich gezahlter Geldbußen und verhängter Strafen für die Verletzung von Umweltschutzbestimmungen. Beide Kataloge stimmen außerdem in der Indikatorenauswahl zur Erfassung der öffentlichen Mittel überein, die ein Unternehmen direkt (Subventionen) oder indirekt (Grundstücksverbilligungen, Steuervergünstigungen) erhielt. Hier weicht lediglich der Katalog von Kittner und Mehrens dahingehend ab, dass die beiden Juristen auch die Nutzung der öffentlichen Infrastruktur wie Bildungseinrichtungen, des Verkehrs- oder Informationsnetzes durch Unternehmen erfasst sehen wollen. Schließlich berücksichtigten beide Entwürfe den unternehmerischen Beitrag zur Erfüllung gesellschaftlicher Ziele (DGB) beziehungsweise den Beitrag zu gesamtwirtschaftlichen und strukturpolitischen Zielsetzungen (Kittner/Mehrens), d.h. vor allem die volkswirtschaftlich relevante Erhebung der durch das Unternehmen geschaffenen Arbeitsplätze und der entsprechenden Investitionssumme sowie der Preis- und Produktpolitik des Unternehmens.117 115 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 1. 116 Vgl. Kapitel 4.2. 117 UA BAG ZÖ 0007/377: Entwurf des DGB-Indikatorenkataloges (29.12.1978); BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 18-22.

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Eine grundlegende und bedeutsame Erweiterung des Kataloges von Kittner und Mehrens nahm der AK DGB im Bereich der Indikatoren für Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit vor. Hier berücksichtigte der Arbeitskreis unter der Kategorie Arbeitsgestaltung auch Indikatoren, die die Umsetzung von Maßnahmen des Programmes zur Humanisierung der Arbeit messbar machen sollten. In der Summe des Aufwandes für Gesundheitssicherung, Arbeitssicherheit und technische Veränderungen sollten staatliche Zuschüsse respektive Refinanzierungsmaßnahmen jedoch gesondert aufgeführt werden, um die unternehmerische Leistung von der staatlichen zu trennen. Kennziffern zur Analyse der Arbeitsorganisation im Unternehmen ergänzten die monetäre Erfassung der Maßnahmen.118 Der Arbeitskreis sah sich durch den Versuch, numerisch orientierte Indikatoren zur Abbildung von Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeit zu entwickeln, in einer Vorreiterrolle, legitimiert durch die Auffassung, die Weiterentwicklung des Humanisierungsprogrammes sei eine genuin gewerkschaftliche Aufgabe: »Aufgrund des noch unentwickelten Standes der Diskussion um die Humanisierung des Arbeitslebens beziehungsweise der Arbeitsgestaltung existieren [...] bis heute keine Indikatoren, die objektiv umschreiben, was als Beitrag zur Humanisierung anzusehen ist.«119 Der Versuch ermögliche, diese Diskussion voranzutreiben und lege einen Grundstein für die Zusammenarbeit von Betriebsräten und Unternehmensleitungen. Er schaffe die Voraussetzungen für eine konstruktive Auseinandersetzung über eine mögliche Indikatorenauswahl in diesem Themenbereich. Durch diesen Abstimmungsprozess würden eindeutige Definitionen der verwendeten Begriffe festgeschrieben und letztlich eine Objektivierung der Indikatorenauswahl erreicht.120 Der gewerkschaftliche Arbeitskreis ging weiter in seinen Forderungen und stellte fest, dass Unternehmen nur dann eine überzeugende Berichterstattung über ihr gesellschaftsbezogenes Handeln leisten könnten, wenn sie erstens den gewerkschaftlichen Katalog unbedingt berücksichtigen und zweitens Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften in die Auswahl der Berichtsfelder einbezögen, damit für Unternehmen problematische Themen wie Arbeitssicherheit oder Überstunden in der Berichterstattung nicht ignoriert oder bagatellisiert würden.121 Nicht nur im Bereich der Humanisierung der Arbeit spielte die Berücksichtigung staatlicher Zuschüsse und Refinanzierungsmaßnahmen eine wichtige Rolle im DGB-Indikatorenkatalog, die im Katalog von Kittner und Mehrens vernachlässigt worden war. Im Bereich der Ausgaben zur Förderung der Arbeitsaufnahme von schwer vermittelbaren Arbeitnehmern, Schwerbehinderten oder Arbeitnehmern in Resozialisierungsmaßnahmen sollten Unternehmen öffentliche Zuschüsse ebenso 118 UA BAG ZÖ 0007/377: Entwurf des DGB-Indikatorenkataloges (29.12.1978). 119 Ebd. 120 Ebd. 121 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 6.

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ausweisen wie bei der Berufsausbildung, bei Abfindungen und Sozialplänen im Zuge von Entlassungen.122 Weibliche und ausländische Beschäftigte wurden in den Berichtsfeldern Arbeitnehmergruppen, Einkommen und Arbeitszeiteinteilung ebenfalls als Sondergruppen aufgeführt. Im Katalog von Kittner und Mehrens allerdings wurde sogar der durchschnittliche Krankenstand geschlechtsspezifisch erfasst. Die Anzahl der an ausländische Beschäftigte vermieteten Werkswohnungen wurde von Kittner und Mehrens erst in ihrer Publikation in den Katalog aufgenommen.123 Ein weiteres entscheidendes Novum gegenüber dem in der Unternehmensrechtskommission präsentierten Katalog ist die Berücksichtigung der Mitbestimmung und der Mitarbeiterinformation als Themen potentieller Sozialberichterstattung. Auch hier dominiert der Versuch einer möglichst numerischen Abbildung. Als Indikatoren für die unternehmerische Informationspolitik dienen die Auflagen der betrieblichen Publikationen und der damit verbundene monetäre Aufwand. Im Bereich der Mitbestimmung solle die Anzahl der Interessenvertreter ermittelt werden sowie die Anzahl der Konflikte von Beschwerden, die gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz behandelt und durchgesetzt würden bis hin zu laufenden oder bereits entschiedenen Arbeitsgerichtsverfahren.124 Beide Kataloge stellten den Versuch einer konsequenten quantitativen Erfassung der Beziehungen des Unternehmens zu seinen Interessengruppen und seiner Umwelt dar. Indikatoren böten vor allem die Möglichkeit, der »bestehende[n] Unternehmer-Willkür«125 entgegenzuwirken, die in der Sozialberichterstattung vorherrsche. Entgegen früherer Aussagen von gewerkschaftlicher Seite wurden im Katalog des AK DGB verstärkt monetäre Indikatoren – wie beispielsweise in den Bereichen der Arbeitsgestaltung, der Mitarbeiterinformation oder der Sozialeinrichtungen – in Betracht gezogen, um die sozialbezogenen Leistungen eines Unternehmens zu dokumentieren. Es wird betont, dass auf diese Weise eine ungleiche Mittelverteilung offengelegt werden könne. Dennoch hoben die Mitglieder des Arbeitskreises den provisorischen Status der Indikatoren hervor, auch in den für die gewerkschaftliche Arbeit relevanten Bereichen der Humanisierung des Arbeitslebens und der Mitbestimmung.126 Angesichts der Notwendigkeit, in einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung über die wesentlichsten gesellschaftlichen Bezüge der Unternehmenspolitik zu berichten, wäre es in122 UA BAG ZÖ 0007/377: Entwurf des DGB-Indikatorenkataloges (29.12.1978). 123 Ebd.; BArch B 141/67680: Kittner/Mehrens, Sozialbilanzen, S. 18-21; Kittner/Mehrens 1977, S. 32. 124 UA BAG ZÖ 0007/377: Entwurf des DGB-Indikatorenkataloges (29.12.1978). 125 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 5. 126 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 5; UA BAG ZÖ 0007/377: Entwurf des DGB-Indikatorenkataloges (29.12.1978).

158 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN des unvertretbar, auf eine Berichterstattung völlig zu verzichten. Es wird dem weiteren Gang der Diskussion überlassen bleiben, ob es gelingt, hierbei zu überprüfbaren und objektiven Kriterien zu gelangen.127

Soziale Indikatoren seien gegenüber monetären jedoch immer zu favorisieren, um Verständlichkeit und Transparenz für die Adressaten der Berichterstattung gewährleisten zu können. So böten nach Ansicht des Arbeitskreises monetäre Indikatoren eher die Gelegenheit, Kapital zu verbergen, indem staatliche Subventionen nicht erwähnt oder Rücklagen »als Maßnahme zur Arbeitsplatzsicherung« deklariert würden.128 Zu Beginn der Sozialbilanz-Diskussion in der Bundesrepublik war von gewerkschaftlicher Seite der Versuch einer Monetarisierung gesellschaftsbezogener Leistungen noch kategorisch ausgeschlossen worden, ebenso wie die potentielle Offenheit eines Indikatorensystems als Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Anpassung der Berichterstattung an eine sich wandelnde Unternehmensumwelt grundsätzlich kritisiert worden war. Parallelen zum Konzept des AKSBP wies der Katalog des gewerkschaftlichen Arbeitskreises im Berichtsfeld der ökonomischen Daten auf, das im Katalog von Mehrens und Kittner nicht existierte. In diesem Bereich sollten im Wesentlichen Daten über die Wertschöpfung von Produktions- und Verteilungsseite dargestellt werden.129 Damit griff der Katalog die bereits vom AKSBP eingeführte Wertschöpfungsrechnung als zentrales Element der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung wieder auf, gewichtete sie jedoch nicht so stark wie es das Konzept des unternehmerischen Arbeitskreises vorsah. Trotz der Annäherung an das Thema Sozialbilanz und der Arbeit an einem eigenen Konzept blieb die gewerkschaftliche Haltung zur unternehmerischen Sozialbilanzierung kritisch, auch wenn Küller den Sozialbilanzen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bescheinigte, »nicht mehr ganz so hanebüchen wie die ersten«130 gewesen zu sein. Wie schon im Beschluss des Bundesvorstandes vom 5. November 1976 verkündet, vertraten Arbeitskreis und Bundesvorstand auch im Abschlussbericht die Auffassung, Sozialbilanzen seien ein Werbeinstrument, das gegenüber Mitarbeitern und der Öffentlichkeit eingesetzt würde. Sie seien sogar eine »Propagandamaßnahme mit dem Anstrich wissenschaftlicher Fundiertheit und Objektivität«131 . Diese Funktion der Unternehmenssozialbilanz würde von wissenschaftlicher Seite überdies noch gestützt oder zumindest nicht ausgeschlossen. Entweder ließen sich Wissenschaftler für das Projekt Sozialbilanz instrumentalisieren, oder es fehle ihnen am notwendigen Bezug zur unternehmerischen Praxis, um substantielle Kritik 127 UA BAG ZÖ 0007/377: Entwurf des DGB-Indikatorenkataloges (29.12.1978). 128 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 7. 129 UA BAG ZÖ 0007/377: Entwurf des DGB-Indikatorenkataloges (29.12.1978). 130 Deuß et al. 1978, S. III/12. 131 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 2.

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hervorbringen zu können. So liege es in der Verantwortung der Gewerkschaften, Kritik zu üben. Da sich diese Kritik aber der zunehmenden »›Verwissenschaftlichung der Argumentationen‹«132 stellen müsse, werde ein Expertendiskurs generiert, der nicht mehr den Informationsbedürfnissen aller Rezipienten einer Sozialbilanz entspreche. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass sich viele Unternehmen an der Rahmenempfehlung des AKSBP orientierten. Die Empfehlung würde oft jedoch nur rudimentär umgesetzt, indem zwar Wertschöpfungs- und Lohnnebenkostenrechnungen veröffentlicht würden, diese aber unabhängig von einer Sozialbilanz lediglich im Geschäftsbericht. Auch hier befürchtete der DGB-Arbeitskreis, weitere Unternehmen könnten dieser Entwicklung folgen und ausschließlich Wertschöpfungsrechnungen und Lohnnebenkostenrechnungen ohne Sozialbilanz veröffentlichen.133 Die Herauslösung des Instrumentes der Wertschöpfungsrechnung – die ohnehin nur eine Umgliederung der Posten aus der Gewinn- und Verlustrechnung darstellte – aus dem Kontext der Sozialbilanz und der damit einhergehende Verzicht auf eine Sozialberichterstattung brüskierte die Mitglieder des gewerkschaftlichen Arbeitskreises mehr als die Herausgabe von Sozialbilanzen selbst, weil sie nicht in erster Linie auf die Informationsbedürfnisse der Mitarbeiter zielte, sondern darauf, die hohen Lohnund Lohnnebenkosten als Belastung der Kapitalseite herauszustellen. Gleichzeitig konstatierte der gewerkschaftliche Arbeitskreis eine ansteigende Normierung der Unternehmenssozialbilanzen in Form und Inhalt, die auf die Rahmenempfehlung des AKSBP zurückgeführt wurde. Allerdings sah der DGB-Arbeitskreis auch im eigenen Katalog die Gefahr allzu rigider Vorgaben, die auf Unternehmen eher abschreckend wirken könnten. Aus diesem Grund empfahl der Arbeitskreis, zunächst nur eine Kurzform des Kataloges als Gewerkschaftskonzept zu veröffentlichen. Die Orientierung an der Langform des Kataloges sei als Maximum dessen aufzufassen, was eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung leisten könne. In welchen Bereichen die Berichterstattung besonders ausführlich werde, solle deshalb im Einzelfall, aber stets unter Einbeziehung des Betriebsrates und von Arbeitnehmerinteressen entschieden werden.134 Die gewerkschaftliche Kehrtwende von der Ablehnung der Sozialbilanzierung zum Interesse an einer möglichst umfangreichen, quantitativen Berichterstattung, wie sie der DGB-Katalog vorsah, erkannte Arieh A. Ullmann – der mit Dierkes am Internationalen Institut für Umwelt und Gesellschaft (WZB) zusammenarbeitete – als motiviert durch die Möglichkeit, die Daten für Tarif- und Mitbestimmungsforderungen gezielt einsetzen zu können. Je standardisierter die Berichterstattung sei, desto leichter sei es, mithilfe der Datenbasis Forderungen auf Branchen- oder Bundesebene durchzusetzen. Darüber hinaus vernichte eine Aus132 Ebd., S. 4. 133 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 2-3. 134 Ebd., S. 3 u. 7-8.

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breitung und Standardisierung der Berichterstattung den Goodwill-Effekt für die Außendarstellung der Unternehmen.135 Die Mitglieder des DGB-Arbeitskreises vermuteten, Unternehmen würden sich auch weiterhin in ihren Sozialbilanzen grundsätzlich immer noch in positivem Lichte präsentieren, doch die Kritik seitens der Gewerkschaften und Betriebsräte habe dazu geführt, dass sich die Publikationen seit 1976 erheblich verbesserten: »Es wurden einige bis dahin verwendeten [sic!] Manipulationstechniken fallengelassen, die Darstellung und die Argumentation zum Teil stark verfeinert, der Zahlenteil in der Berichterstattung ausgebaut und durchweg der Versuchscharakter von Sozialbilanzen betont.«136 Diese Entwicklung habe jedoch gleichzeitig zur Folge, dass Kritik und Anforderungen an Sozialbilanzen von Gewerkschaftsseite nuancierter und genauer formuliert werden müssten als dies noch Mitte der 1970er Jahre der Fall gewesen sei. 4.3.2 Zaghafte Annäherungen Die Auseinandersetzung mit den Konzepten der jeweils anderen Seite führte zu der Bereitschaft von Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern, in einen Dialog miteinander zu treten. Von gewerkschaftlicher Seite wurde in Gesprächen mit Unternehmensvertretern die Chance gesehen, tatsächlich Einfluss auf die unternehmerische Praxis zu nehmen und eine Verbesserung der Sozialberichterstattung zugunsten der Informationsbedürfnisse von Arbeitnehmern und der Allgemeinheit herbeizuführen. Schließlich fand Ende 1978 ein Treffen zwischen den Mitgliedern beider Arbeitskreise statt. Nach diesem Treffen hegten die Mitglieder des DGBArbeitskreises sogar die Hoffnung, dass zumindest ein Teil ihres Indikatorenkataloges Eingang in die Berichtspraxis der Unternehmen finden könnte. Der überwiegende Teil der vorgelegten Indikatoren orientierte sich an der bereits bestehenden unternehmerischen Berichtspraxis und an gesetzlichen Vorgaben, so dass »es kaum praktische beziehungsweise technische Hindernisse geben dürfte, die der Erfüllung der gewerkschaftlichen Forderungen entgegenstehen«137. Zugleich waren sich die Mitglieder des DGB-Arbeitskreises jedoch bewusst, dass eine Annäherung an ihr Sozialbilanzkonzept immer auch ein politisches Zugeständnis der Unternehmen sein würde.138 Um nicht in eine schwächere Position gegenüber der Unternehmensseite zu gelangen, empfahl der AK DGB Gewerkschaften und Betriebsräten trotz dieser Annäherungen aus strategischen Gründen ihren Widerstand gegen Sozialbilanzen auf135 Vgl. A. Ullmann 1981, S. 198-202. 136 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 3. 137 Ebd., S. 9. 138 Ebd., S. 3-4 u. 9.

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recht zu erhalten. Solange es keine individuellen Abstimmungen zwischen den jeweiligen Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsräten über Ziele und Inhalte der Sozialbilanz gebe, dürfe es auch keine Unterstützung, nicht einmal eine Duldung der Sozialbilanzierung des jeweiligen Unternehmens geben. Darüber hinaus seien die Veröffentlichung der Sozialbilanz im Geschäftsbericht, deren Testierung und gesetzliche Regulierung abzulehnen, da durch all diese Maßnahmen der gewerkschaftliche Einfluss restringiert und die Weiterentwicklung von Sozialbilanzen verhindert würde.139 Abbildung 4: Zeitgenössische Karikatur zur Sozialbilanz-Debatte

Quelle: Wirtschaftswoche vom 17.10.1980, Nr. 42, S. 39.

Der DGB-Bundesvorstand stimmte nach Vorlage bei den Einzelgewerkschaften einer Veröffentlichung des Abschlussberichtes und des Indikatorenkataloges im Mai 1979 zu. Die vom Arbeitskreis erbrachten Vorschläge entsprachen nach Ansicht der Vorstandsmitglieder dem erteilten Arbeitsauftrag. Der Öffentlichkeit sollte jedoch nur eine Kurzfassung des Indikatorenkataloges als DGB-Vorschlag zur Gestaltung von Sozialbilanzen präsentiert werden; die ausführliche Fassung des Kataloges richtete sich an ein interessiertes Fachpublikum. Trotz seines Umfanges wurde der DGB-Katalog von der Presse durchaus positiv aufgenommen: Die Frankfurter Rundschau lobte den Ansatz nicht nur als wichtigen Beitrag innerhalb der nationalen Sozialbilanzdebatte, sondern auch als bedeutsamen Schritt innerhalb der globalen gewerkschaftlichen Bemühungen um einen Verhaltenskodex für multinationale

139 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 4.

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Unternehmen.140 Und auch die Wirtschaftwoche maß der gewerkschaftlichen Kritik an Sozialbilanzen als »Etikettenschwindel«141 einen konstruktiven Einfluss auf die positive Weiterentwicklung der unternehmerischen Publikation im Verlauf der 1970er Jahre zu. Der Bundesvorstand unterstützte mit seinem Beschluss die Forderung des DGBArbeitskreises, derzufolge Betriebsräte und Gewerkschaften Unternehmen in ihrer Sozialbilanzaktivität grundsätzlich nur dann unterstützen sollten, wenn die Unternehmensleitung auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei der Erstellung der Publikationen signalisiere.142 Mit der Veröffentlichung des DGB-Abschlussberichtes wurde der Arbeitskreis aufgelöst und weitere Projekte zur allgemeinen Publizität von Unternehmen, wie sie in der Unternehmensrechtskommission erörtert wurde, nicht weiterverfolgt. Um den Katalog bekannt zu machen, präsentierte Küller Anfang Dezember 1979 die Arbeitsergebnisse des AK DGB auf einer gemeinsamen Arbeitstagung von Hans-Böckler-Stiftung (HBS) und DGB. Ziel der Tagung war es, erstens die eigenen Mitglieder zu schulen, und zweitens über die teilnehmenden externen Wissenschaftler Impulse an die betriebswirtschaftliche Forschung weiterzugeben.143 Der DGB forcierte damit eine stärkere Gewichtung gewerkschaftlicher Interessen im theoretischen Bereich der Sozialbilanzforschung und hoffte auf die Ressourcen der staatlich geförderten, unabhängigen Forschung an den Hochschulen. Diese Strategie des Gewerkschaftsbundes war nicht vollkommen neu, denn der hohe Verwertungsdruck in der außeruniversitären Forschung traf die finanziell schlechter ausgestatteten Arbeitnehmerorganisationen noch weit mehr als die Arbeitgeberseite.144 Ursprünglich plante der DGB die Einsetzung eines weiteren Arbeitskreises aus Mitgliedern der Abteilung Gesellschaftspolitik und des WSI, um die aus der Arbeit über Sozialbilanzen gewonnen Erkenntnisse auch allgemeiner auf das Themenfeld der Firmenpublizität anzuwenden, vor allem im Hinblick auf die Publikationspflichten öffentlicher Unternehmen.145 Im September 1979 trafen sich Ingrid ScheibeLange und Wolfgang Spieker vom WSI sowie Hans-Detlev Küller mit Vertretern des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland, darunter das Unternehmens140 O.A., »Kehrtwende mit Vorbehalt«, in: Frankfurter Rundschau (20.06.1979). Zur Debatte um die Entwicklung von Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen vgl. Kapitel 7.1. 141 O.A., »Sozialbilanzen: Spitze des Eisberges«, in: Wirtschaftswoche 34 (17.10.1980), Nr. 42, S. 38-44, hier S. 38. 142 AdsD 5/DGAI 000254: Vorlage zur Bundesvorstandssitzung (11.05.1979). 143 AdsD 5/DGCU 000103: Arbeitstagung DGB und HBS (01.11.1979). 144 Vgl. Jung 1979, S. 265-270; Lieb 1981, S. 41. 145 AdsD 5/DGCU 000103: Vorlage zur Bundesvorstandssitzung (18.01.1979); Vetter an den Arbeitskreis der Sachbearbeiter (10.05.1979).

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rechtskommissionsmitglied Erich Potthoff. Die Gewerkschaftsvertreter hegten insbesondere aufgrund der Teilnahme Potthoffs die Hoffnung, in den Wirtschaftsprüfern Verbündete für eine Erweiterung der Publizitätspflicht um die Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen zu finden. Erstens erwarteten sie Unterstützung darin, den gerade veröffentlichten DGB-Indikatorenkatalog als Grundlage einer regulierbaren Sozialbilanzpraxis etablieren zu können, ohne zwangsläufig eine starre gesetzliche Festschreibung voraussetzen zu müssen. Die Regulation sollte vielmehr durch die professionelle Kontrolle der Wirtschaftsprüfer erfolgen, Unternehmen vom »Glatteis der Berichterstattung«146 holen und die Informationsrechte der Arbeitnehmer im Sinne der Mitbestimmung institutionell stärken. Zweitens hofften sie auf eine Präzisierung der rechtlichen Grundlagen des Testats für Jahresabschlüsse durch die vierte EG-Richtlinie zur Harmonisierung des Rechnungswesens.147 Von gewerkschaftlicher Seite war schon vor Etablierung der Sozialbilanzierung bemängelt worden, dass Testate von Wirtschaftsprüfern häufig als Prüfvermerk für den gesamten Geschäftsbericht verstanden würden. Mit der Veröffentlichung im Geschäftsbericht integrierter Sozialbilanzen könne das Testat auch als Prüfung der Sozialbilanz aufgefasst werden, ohne dass diese irgendwelchen allgemein gültigen Kriterien unterliege. Letztlich waren die Wirtschaftsprüfer jedoch nicht bereit, eindeutige Zusagen über ihre Haltung gegenüber unternehmerischen Sozialbilanzen zu machen und die Gespräche blieben ohne konkretes Ergebnis.148 Ingrid Scheibe-Lange sah durch die Sozialbilanzdebatte vor allem den Weg für ein internes Kennziffern-Informations-System (KIS) bereitet, das die extern orientierte Sozialbilanz ergänzen und stärker die unmittelbaren Informationsbedürfnisse der Arbeitnehmer berücksichtigen sollte als dies in den Geschäftsberichten geschehe. Durch ein solches System könnten die Arbeitnehmer über die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes und ihres Einkommens sowie die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes – beispielsweise im Hinblick auf die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz – umfassender informiert werden. Bemerkenswert ist besonders der Vorschlag Scheibe-Langes, Informationen aus Sozialbilanzen als Grundlage für Tarifverhandlungen heranzuziehen, denn genau diese Funktion gereichte Gewerkschaftsvertretern in der

146 AdsD Bestand WWI/WSI (Titel: Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland II): Protokoll des 4. Gesprächs zwischen WSI/DGB und Wirtschaftsprüfern am 27.09.1979 (vom 09.11.1979), S. 2. 147 Vgl. Kapitel 4.2. 148 AdsD Bestand WWI/WSI (Titel: Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland II): Protokoll des 4. Gesprächs zwischen WSI/DGB und Wirtschaftsprüfern am 27.09.1979 (vom 09.11.1979), S.1-3; DGB-Stellungnahme zum Transformationsgesetz (09.05. 1980), S. 1-6.

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Frühphase der Sozialbilanzierung noch zur Kritik an den Publikationen.149 Der hohe Anspruch Scheibe-Langes an Sozialbilanz und KIS wird deutlich, wenn sie darauf besteht, dass die Auswirkungen von Investitionen auf die Arbeitsplatzsicherheit, die Rentabilität einzelner Bereiche, die Liquidität des Unternehmens und die Prosperität der Branche sowie die personalpolitischen Folgen gewerkschaftlicher Forderungen unmittelbar dargelegt werden sollten. Hier schlossen sich die Hoffnungen auf eine bessere Kontrolle der gesamten Unternehmenspublizität durch Wirtschaftsprüfer an, die geschönte Jahresabschlüsse verhindern sollte.150 Scheibe-Lange, wie auch Gert Volkmann, der Mitglied der WSI-Projektgruppe zum Unternehmensrecht und Mitglied des DGB-Arbeitskreises zur Sozialbilanzierung war, gaben dem internen KIS den Vorzug gegenüber externen Sozialbilanzen, da ersteres auf die Informationsinteressen der Arbeitnehmer ausgerichtet sei, letztere dagegen als »Unternehmenspropaganda mit wissenschaftlichem Etikett«151 konzipiert worden seien.152 4.3.3 Informationsbedürfnisse für die Mitbestimmung Für gewerkschaftliche Interessen erschien das Konzept des intern nutzbaren Frühwarnsystems für Großunternehmen brauchbarer als die auch nach außen gerichteten Sozialbilanzen. Angesichts der Sozialbilanzpraxis der Unternehmen betrachtete der DGB-Arbeitskreis die begriffliche Trennung von Sozialbilanz und Frühwarnsystem respektive Kennziffern-Informations-System als sinnvoll. Zwar sollten der DGBIndikatorenkatalog für Sozialbilanzen und die Kennziffern für ein internes Informationssystem kongruent sein, das KIS sollte aber um Plandaten erweitert werden, deren externe Veröffentlichung vermieden werden solle. Plandaten sollten im Sinne der unternehmerischen Schutzinteressen rein zum internen Gebrauch der Kontrollfunktion von Betriebsrat, Wirtschaftsausschuss und Aufsichtsrat dienen und nicht in erster Linie einer externen Insolvenzprognose.153 Während externe Frühwarnsysteme zur Insolvenzprognose überwiegend mit vergangenheitsbezogenen Zahlen aus den Jahresabschlüssen operieren und im Grundsatz auf die Erkennung des Worst Case ausgerichtet sind, schließen interne, indikatorenbasierte Frühwarnsysteme zukunftsbezogene, strategische Daten deutlich stärker ein und erlauben seit dem zunehmenden Einsatz elektronischer Datenverarbeitung immer kürzere Kontrollintervalle. Darüber hinaus werden auch Daten berücksichtigt, die über die finanzielle 149 AdsD Bestand WWI/WSI (Titel: Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland I): Scheibe-Lange, Gewerkschaftliche Vorstellungen zur Rechnungslegung, Prüfung und Publizität (16.11.1979), S. 4. 150 Ebd., S. 3-7. 151 Küller 1981, S. 118. 152 Vgl. Volkmann 1978, S. 113-114; Briefs/Küller/Scheibe-Lange 1980; Schloßarek 1981. 153 AdsD 5/DGAI 000254: DGB-Abschlußbericht 1979, S. 8-9.

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Rechnungslegung hinausgehen. So werden beispielsweise aus dem Personalwesen Daten zur Arbeitsproduktivität, Fluktuation oder Krankenquote, aus dem Management Daten zu den Auswirkungen von Investitionen und Personalentscheidungen, zum Führungsstil oder der Mitarbeiterinformation und aus dem Bereich von Forschung und Entwicklung zum Beispiel Daten zur Quote von Verbesserungsvorschlägen oder der Forschungs- und Innovationsintensität herangezogen.154 Die Forderung nach einem Frühwarnsystem offenbarte, dass Sozialbilanzen als Abfallprodukt eines solchen Systems betrachtet wurden, da die Daten für das Frühwarnsystem zu Kontrollzwecken ohnehin erhoben würden. Zugriff auf alle – eben auch strategischen – Daten haben zu können, entsprach dem gewerkschaftlichen Verständnis eines umfassenden Informationsrechtes im Sinne der Mitbestimmung. Die Idee des Frühwarnkonzeptes umfasste eine detaillierte Aufstellung geplanter und erfolgter Investitionen, die beispielsweise als Soll- und Ist-Daten für jedes Quartal intern in einem Dokument zum direkten Vergleich veröffentlicht würden. So würden den Arbeitnehmervertretern Informationen zu Investitionen erstens rechtzeitig zugänglich gemacht und zweitens die Investitionen und ihre Auswirkungen umfassender kontrolliert. Dieses Informationsbedürfnis sah der DGB weder durch die jährliche, im Betriebsverfassungsgesetz von 1972 verankerte Unterrichtungspflicht noch durch das Mitbestimmungsgesetz erfüllt.155 Frühwarnsysteme wurden als wichtige Instrumente einer Arbeitsorientierten Einzelwirtschaftslehre (AOEWL) gesehen, deren Grundzüge bereits in einer Projektgruppe des WSI zwischen April 1972 und September 1973 erarbeitet worden waren. Ziel einer AOEWL sollte es sein, einen alternativen, theoretischen Ansatz vom Betrieb als Einzelwirtschaft gegenüber der Betriebswirtschaftslehre zu entwickeln und sie in Analogie zum Verhältnis von Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in eine Arbeitsorientierte Gesellschafts- und Wirtschaftslehre (AOGWL) einzubetten sowie Anregungen für weitere Forschungsprojekte zur Erweiterung der traditionellen Betriebswirtschaftslehre zu schaffen. Der Ansatz bezog arbeitnehmerorientierte Interessen ein und war interdisziplinär angelegt, indem Forschungsansätze aus Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaften, Soziologie und Sozialphilosophie eingeschlossen wurden156 , die ihn zu einem moderaten Spiegel linker Gesellschaftstheorien machten:

154 Vgl. Hübner/Niebur 1979; Kloss 1984, S. 41-63. 155 Vgl. Hübner/Niebur 1979, S. 152-157; Wysocki 1981, S. 7; Seifen 2009, S. 194. 156 Der Projektgruppe gehörten die beiden späteren Mitglieder des Arbeitskreises der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung/Sozialbilanzen‹, Hans-Detlev Küller (DGB) und Ingrid Scheibe-Lange (WSI) sowie Ulrich Briefs (WSI, Mitglied des WSI-Arbeitskreises zum Unternehmensrecht) an. Weitere Projektgruppen-Mitglieder waren die spätere stellvertretende Vorsitzende des DGB, Ursula Engelen-Kefer sowie

166 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN Die einzelwirtschaftliche Kritik am System der herkömmlichen BWL läßt sich am zweckmäßigsten anhand der Kritik der zentralen Begriffe ›Rentabilität‹, ›Kosten‹, ›Gewinn‹ und ›Zielsystem‹ darstellen. Durch verschiedene Beschränkungen befaßt sich diese Wissenschaft gegenwärtig fast ausschließlich mit dem unter dem Prinzip der privatwirtschaftlichen Kapitalverwertung stattfindenden wirtschaftlichen Handeln und dient damit bewußt oder unbewußt den hinter dieser Art der Kapitalverwertung stehenden gesellschaftlichen Gruppen. Betriebswirtschaftliche Aussagen sind daher in hohem Maße politische beziehungsweise politisch wirkende Aussagen.157

Die arbeitsorientierte Lehre schloss Aspekte der Einkommens- und Verteilungsgerechtigkeit auf der Mikroebene des Unternehmens ebenso wie auf der gesellschaftlichen Makroebene ein. Sie berücksichtigte arbeitnehmerrelevante Themen wie beispielsweise Beschäftigungssicherheit oder die Humanisierung der Arbeit, die Auswirkungen unternehmerischer Aktivität auf Umwelt und Gesellschaft wie Umweltverschmutzungen, Rohstoffverknappung oder Gesundheitsschädigung der Beschäftigten.158 Die AOGWL sah die Erfassung quantifizierter Daten vor – finanzieller, naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher als Kalkül ökonomischer, ökologischer und sozialer Indikatoren –, die als Elemente eines gemeinsamen Informationssystems dienen sollten.159 Neben quantitativen Daten berücksichtigte das Konzept auch qualitative, da Informationen über die Qualität des Lebens nicht in das enge Korsett der Quantifizierung zu zwängen seien.160 In diesen Bereich fielen auf der betrieblichen Ebene Informationen über die Qualität des Arbeitsplatzes, die Informationssituation (zum Beispiel Einflussmöglichkeiten auf die Erstellung der Werkszeitung),161 die Mitbestimmungsmöglichkeiten oder die »Kreativbedingungen«162 als Indikatoren für die Qualität der Arbeit. Dieses von der WSI-Projektgruppe entwickelte »Schema eines integrierten Indikatoren-Katalogs«163 schuf die Grundlage für den späteren DGB-Indikatorenkatalog zur Sozialbilanz, dem allerdings ein deutlich pragmatischerer Ansatz und weniger sozialreformerischer Duktus zugrunde lag.164 Der radikalere Ansatz der WSI-Gruppe konnte dem DGB jedoch Mario Helfert, Gerhard Himmelmann, Heribert Kohl, Norbert Koubek und Bernd Mülhaupt. Vgl. WSI 1974, S. 8-13. 157 Koubek 1973, S. 78. 158 Vgl. Koubek 1973, S. 75; WSI 1974, S. 83-84 159 Vgl. Küller 1973, S. 130-131; WSI 1974, S. 243-261. 160 Vgl. WSI 1974, S. 98-99. 161 Ebd., S. 68. 162 WSI 1974, S. 253; vgl. auch Koubek 1976. 163 WSI 1974, S. 254-260. 164 AdsD 5/DGAK; 24/765: Ergebnisprotokoll d. Sitzung der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung/Sozialbilanzen‹ (26.10.1978).

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nur willkommen sein. Denn die etablierten Gruppen von DGB und Gewerkschaften litten unter dem zunehmenden Einfluss neu entstandener sozialer Bewegungen, an die sie programmatisch nur schwer Anschluss fanden und die ihnen ideologische Auseinandersetzungen mit der jüngeren Gewerkschaftergeneration bescherten. Die Orientierung am WSI-Ansatz bot die Möglichkeit, die von der jüngeren Generation eingeforderte Rolle der Gegenmacht zur Arbeitgeberseite auszufüllen.165 Beide Entwürfe zielten jedoch vor allem darauf, die Grundlage für ein Informationssystem zu schaffen, das der Mitbestimmung dienlich sein sollte. Mit der Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes am 1. Juli 1976, das die Interessen des DGB nur bedingt deckte, und der oft unbefriedigenden Umsetzung der Mitbestimmung in der Praxis, war die gewerkschaftliche Forderung nach umfassender Information als zentralem Element tatsächlicher Kooperation und Kontrollmöglichkeiten nicht verstummt. Der DGB sah seine Bemühungen, die Mitbestimmung nach seinen Vorstellungen zu gestalten, angesichts der Defizite des Gesetzes verloren, die Heinz Oskar Vetter auf die Opposition von Arbeitgeberverbänden, Christdemokraten und Liberalen zurückführte.166 Diese wiederum stemmten sich vehement gegen die Mitbestimmungskonzeption. Der Wirtschaftsrat der CDU beurteilte die Mitbestimmung vor allem als Einschränkung der unternehmerischen Autonomie und Erstarken politisch linker Kräfte. »Leider kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß noch nicht überall erkannt worden ist, wie schwerwiegend die Veränderungen sein werden, die in den Unternehmungen und in dem Ordnungsgefüge unserer Bundesrepublik als Folge dieses Gesetzes unvermeidlich sind«167, ließ der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Philipp von Bismarck, im Januar 1976 verlauten. Mitglieder des Rates sowie der FDP und der BDA forcierten Anfang 1976 Strategien zur Verhinderung beziehungsweise Schwächung des geplanten Mitbestimmungsgesetzes. Eine der Strategien sollte darin liegen, zwar das allgemeine Mitbestimmungsgesetz zuzulassen, aber dafür die Verfassungswidrigkeit des Montan-Mitbestimmungsgesetzes herauszustellen, zumal der neue Gesetzesentwurf in vielen Punkten nicht über die praktizierte Montanmitbestimmung hinausging.168 Der DGB hatte diese Entwicklung antizipiert und Mitte 1975 ein Gutachten bei dem Konstanzer Staatsrechtsprofessor Ekkehart Stein in Auftrag gegeben, das 1976 veröffentlicht wur-

165 Vgl. Rehling 2011, S. 73-78; Schroeder 2004; Interview Küller 23.11.2010. 166 AdsD 5/DGCS 000009: DGB-Nachrichtendienst – ND 186/76, »Volle Mitbestimmung bleibt unser Ziel« (30.06.1976); vgl. Milert/Tschirbs 2012, S. 475-476. 167 AdsD 5/DGCS 000009 (26.01.1976). 168 AdsD 5/DGAI 002697: DGB-Nachrichtendienst – ND 49/74, »DGB weist Angriff Genschers gegen die Mitbestimmung zurück« (06.03.1974); 5/DGAI 002696: Protokoll 6. Arbeitssitzung d. Unternehmensrechtskommission, Anlage 2 (18.07.1973); vgl. Vetter 1979, S. 229-230; dazu Lauschke 2007, S. 220-221; ders. 2006.

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de.169 Stein kam zu dem Ergebnis, dass die am Montanmodell orientierte Erweiterung der Mitbestimmung nicht verfassungswidrig sei und nicht die Rechte der Anteilseigner verletze. Im Gegenteil trüge sie zu einer konstruktiveren Konfliktlösungspolitik im Unternehmen bei.170 Stein reagierte damit erwartbar auf ein 1974 veröffentlichtes Gutachten des Staatsrechtlers Rupert Scholz (FU Berlin) und des Unternehmensrechtsexperten und Mitglied der Unternehmensrechtskommission Thomas Raiser (Justus-Liebig-Universität Gießen), das zu einem gegenteiligen Ergebnis kam.171 Die letztlich angestrengte Klage der Arbeitgeberseite gegen das Gesetz von 1976 wurde schließlich 1979 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.172 Noch zu Beginn der 1970er Jahre war der gewerkschaftliche Gestaltungsoptimismus groß und wurde von der Erklärung der Bundesregierung gestützt, in der die Mitbestimmung als »Substanz des Demokratisierungsprozesses«173 betitelt wurde. So initiierte der DGB im Oktober 1972 das Projekt Mitbestimmungsbildung, das dazu dienen sollte, Schulungskonzepte und -material für die Unterrichtung von Gewerkschaftsvertretern und Arbeitnehmern zu entwickeln.174 Die gewerkschaftliche Schulungsarbeit zielte darauf, die eigenen Vertreter auf die Arbeit als Kontrollinstanz im Aufsichtsrat und auch auf den Umgang mit den zur Verfügung stehenden Informationsgrundlagen vorzubereiten: Die Arbeitnehmervertreter sollten unter anderem schlicht in der Lage sein, eine Bilanz lesen zu können.175 Als die Inhalte des Mitbestimmungsgesetzes dann bekannt wurden, erhob sich Kritik aus dem WSI und dem DGB-Bundesvorstand am Gesetzesentwurf. Ende Juni 1976 – wenige Tage vor dessen Verabschiedung – hatte Wolfgang Spieker (WSI), Mitglied des DGB-Arbeitskreises Unternehmensrecht und der WSI-Projektgruppe Unternehmensrecht, seine Position zur Mitbestimmung deutlich geäußert. Mitbestimmung im Interesse der Arbeitnehmer sei nur durchzusetzen, wenn erstens der Gewerkschaftsbund im Sinne einer starken Einheitsgewerkschaft die Interessen aller Arbeitnehmer bündele, zweitens die politischen Parteien – insbesondere die sozialdemokratische – klare Positionen bezögen statt kompromissorientierte Koaliti169 AdsD 5/DGCS 000009: Rundschreiben Vetters an DGB-Bundesvorstand (16.02.1976). 170 Vgl. Stein 1976, S. 107-113. 171 AdsD 5/DGCS 000009: DGB-Nachrichtendienst – ND 39/76, »Neues Rechtsgutachten widerlegt ›verfassungsrechtliche Bedenken‹ gegen qualifizierte Mitbestimmung« (16.02.1976); vgl. Vetter 1976. 172 Vgl. Abelshauser 2011, S. 387-388. 173 Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 in Bundestagsdrucksache 7/1167, S. 2 aus: AdsD 5/DGAI 002697. 174 AdsD 5/DGCS 000009: Rundschreiben Vetters an Mitglieder des Bundesvorstandes (15.04.1976), S. 1-6. 175 Vgl. Interview Reimann 28.02.2011.

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onspolitik zu betreiben, und drittens Politik und Öffentlichkeit auch einer radikaleren Gewerkschaftsarbeit zur Durchsetzung der Mitbestimmung tolerant begegneten. Seiner Ansicht nach sollte die Ausweitung tarifpolitischer Handlungsmöglichkeiten statt umfangreicher gesetzlicher Regelung zur Verankerung von Mitbestimmungsinstitutionen und einer Humanisierung der Arbeit führen. Die bereits vorhandenen Mitbestimmungsinstrumente sollten mit all ihren Möglichkeiten genutzt und der Einfluss der Vertrauensleute ausgeweitet werden.176 Mit der gleichen Kritik war zuvor schon Heinz Oskar Vetter dem Gesetzentwurf der Regierung zur Mitbestimmung begegnet. Das Gesetz solle stärker am Vorbild der Montanmitbestimmung ausgerichtet sein. Die vorgesehenen gesetzlichen Regelungen, die auch die SPD unterstützte, würden eine Gefahr für die Interessen der Arbeitnehmer bergen, insbesondere die Stichentscheid-Regelung und die Sonderstellung der leitenden Angestellten als Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat. Dies unterlaufe die Interessen des DGB und die Idee der Einheitsgewerkschaft. Schließlich sah Vetter die gewerkschaftlichen Interessen auch durch die Bundestagswahl gefährdet, da diese in der Frage der Mitbestimmung seiner Meinung nach mit großer Wahrscheinlichkeit zum Spielball des Wahlkampfes degenerieren könnten.177 In einem offenen Brief an Bundeskanzler Helmut Schmidt legte Vetter deshalb die unnachgiebige Position des DGB dar: Der Gewerkschaftsbund würde nur einen Gesetzentwurf unterstützen, der sich an der Montanmitbestimmung orientiere und die paritätische Mitbestimmung ermögliche.178 Vetter forderte insgesamt mehr Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften im politischen Bereich – nicht nur im Sinne der Arbeitnehmerinteressen, sondern auch der Öffentlichkeit – durch die Beteiligung in Wirtschafts- und Sozialräten, die beispielsweise Mitspracherechte hinsichtlich der Standort- und Umweltpolitik von Unternehmen hätten. Nur so und mithilfe einer tatsächlich paritätischen Mitbestimmung könnten die gewerkschaft-

176 AdsD 5/DGCS 000009: Referat Spiekers zur Festveranstaltung ›25 Jahre MontanMitbestimmungsgesetz‹ (02.06.1976), S. 1-2; DGB-Nachrichtendienst – ND 297/75, »DGB dementiert Bereitschaft zum Mitbestimmungskompromiß« (10.11.1975); 5/DGAI 002697: DGB-Nachrichtendienst ND 51/74 »DGB zum Regierungsentwurf eines Mitbestimmungsgesetzes« (06.03.1974). 177 AdsD 5/DGCS 000009: DGB-Nachrichtendienst – ND 102/76, »Vetter kündigt harte Wahlkämpfe um Aufsichtsratssitze an« (08.04.1976); ND 321/75, »DGB zum Mitbestimmungskompromiß« (11.12.1975); DGB-Bundesvorstand zum Mitbestimmungskompromiss (11.12.1975). 178 AdsD 5/DGCS 000009: DGB-Nachrichtendienst – ND 316/75, »DGB hält an paritätischer Mitbestimmung fest« (03.12.1975).

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lichen Ziele – die Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme und echte Demokratie – erreicht werden.179 Der direkte Bezug auf die Mitbestimmung in der Sozialbilanzdebatte zielte vor allem darauf, auf die Diskrepanz zwischen dem von Unternehmen formulierten Zweck der Sozialbilanzen – Arbeitnehmer über die wirtschaftlichen und sozialen Vorgänge im Unternehmen zu informieren – und der Ablehnung der Mitbestimmung einschließlich der damit einhergehenden Informationsrechte durch die Arbeitgeberseite offenzulegen. Damit diskreditierte die gewerkschaftliche Kritik zunächst die Sozialbilanz als bloßes PR-Instrument und konnte sich darüber hinaus die immer populärere Publikationspraxis zunutze machen, indem sie einen klareren Bezug der Datenerhebung und Veröffentlichung im Hinblick auf die Mitbestimmungsrechte einforderte. Obwohl Gewerkschaftsvertreter in der Unternehmensrechtskommission zunächst noch eine gesetzliche Verankerung der Sozialbilanzierung verfolgten, änderte sich im Zuge der Mitbestimmungsauseinandersetzungen die DGB-Strategie. Die Furcht von Gewerkschaftsseite lag insbesondere darin, dass eine gesetzliche Anerkennung der Sozialbilanzen als Arbeitnehmerinformation die geforderten Informationsrechte im Sinne der Mitbestimmung schwächen könnte. Gleichzeitig war es zweckmäßig, selbst etwas zum Thema beizutragen statt wie bisher nur Ablehnung zu demonstrieren. Die Mitglieder des AK DGB waren überzeugt, dass die Zahl der sozialbilanzierenden Unternehmen in den nachfolgenden Jahren nicht abnehmen werde. So erschien es sinnvoller, den Sozialbilanz-Diskurs für die Mitbestimmungsinteressen zu instrumentalisieren. Der hohe Quantifizierungsanspruch des DGB-Kataloges lässt sich zum einen aus den bereits bestehenden Versuchen des WSI zu einer alternativen Einzelwirtschaftslehre erklären, ergab sich zum anderen aber auch aus der verspäteten Beteiligung am SozialbilanzDiskurs. Als der DGB-Arbeitskreis seine Arbeit aufnahm, bestimmten andere Gruppen bereits den Diskurs, der weniger auf Arbeitnehmerinteressen ausgerichtet war. Mit seinem quantitativen Ansatz verlieh sich der DGB-Katalog selbst einen wissenschaftlichen Anstrich, der dieses Defizit auszumerzen versuchte.

179 AdsD 5/DGCS 000009: DGB-Nachrichtendienst – ND 84/76, »DGB: Mitbestimmungsregelung muß ausgeweitet werden« (26.03.1976); Rede Vetters auf dem SPD-Parteitag in Mannheim (11.11.1975), S. 3; Rede Vetters auf einer Großkundgebung des DGB (08.11.1975), S. 5.

5. Pioniere der deutschen Sozialbilanzierung Der Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis

Ein wesentlicher Faktor für die Einführung von Sozialbilanzen war das infolge der Kritik an Produktions- und Beschäftigungsbedingungen entstandene Legitimationsvakuum. Großunternehmen standen dabei stärker im Fokus der öffentlichen Kritik durch Gewerkschaften, Staat, Medien sowie erstarkende Verbraucher- und Umweltschutzbewegungen.1 Die Sozialbilanz sollte ein Mittel bieten, Öffentlichkeitsarbeit nach innen wie außen zu betreiben, indem sich die Publikation gleichermaßen an Mitarbeiter wie Anteilseigner, Presse und eine nicht immer klar konturierte, interessierte Öffentlichkeit richtete. Die interne Information der Mitarbeiter, beispielsweise durch Werkszeitungen, galt nicht erst in den 1970er Jahren als Mittel zur Erhaltung oder Herstellung des Betriebsfriedens.2 Die angestrebte Demokratisierung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern durch die Mitbestimmung, die Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse durch das Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt und die Zunahme des Anteils höher- und hochqualifizierter Arbeitnehmer durch Tertiarisierungsentwicklungen und technologischen Wandel3 stellten jedoch größere Anforderungen an die Information der Mitarbeiter als es eine Werkszeitung zu leisten vermochte. Auch nach außen sollte mithilfe der Sozialbilanz der als verstärkt kritisch wahrgenommenen und Mitsprache einfordernden Öffentlichkeit begegnet werden.4 Seit den siebziger Jahren hatte in vielen Unternehmen eine kommunikative Öffnung stattgefunden: Grund- und Leitsätze der Personalführung wurden entwickelt und zunehmend transparenter für die Mitarbeiter gestaltet. Henkel beispielsweise sorgte 1972 mit einer vielbeachteten Imagekampagne für Aufse-

1

Vgl. Hoff/Strümpel 1982, S. 36-40.

2

Vgl. Kapitel 1; Kalmus 1982, S. 93-94 u. 101-102.

3

Vgl. Ambrosius 2009, S. 22; Andresen 2011, S. 167-170.

4

Vgl. Sachs 1980, S. 100-111.

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hen, in der das Unternehmen sein Verständnis von gesellschaftlicher Verantwortung unterstrich.5 Diese Öffnung – wenn sie auch eher eine Reaktion auf Druck von außen denn ein Agieren aus intrinsischer Motivation darstellte – ist nicht zuletzt auf die erstarkende Position von Marketing-, Personal- und Öffentlichkeitsabteilungen in den Unternehmen zurückzuführen. Befördert wurde diese Entwicklung seit den sechziger Jahren durch die Professionalisierung der Akteure dieser Abteilungen, die Durchsetzung des betriebswirtschaftlichen Denkens und des damit verbundenen Konzepts vom Wert des ›Humankapitals‹ gegenüber dem Primat der Technik sowie des managementgeführten Unternehmens mit einer verjüngten, offeneren Führungselite. Schließlich unterlag jede dieser Entwicklungen Synergieeffekten durch die jeweils anderen.6 Darüber hinaus hatte die Bedeutung des Rechnungswesens als Informationsinstrument seit den späten sechziger Jahren insgesamt an Bedeutung gewonnen. Das managementgeführte Unternehmen war zum Normalfall geworden, gewann zunehmend an Größe, wies komplexere Organisationsstrukturen mit professionalisierter Aufgabenverteilung auf und agierte internationaler. Offenheit und Mitarbeiterinformation erhielten einen zentralen Platz in der Unternehmenspolitik.7 Das Ziel höherer Transparenz erstreckte sich nicht nur auf die Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch auf das Rechnungswesen, das sich nach amerikanischem Vorbild von einem vergangenheitsorientierten Berichtswesen zu einem Planungsinstrument entwickelte. Zukunftsorientierte Management-Ansätze wie das von Peter F. Drucker entwikkelte Management by Objectives versprachen mehr Autonomie für die Beschäftigten, allemal für wissenschaftlich ausgebildete leitende Angestellte, und eine höhere Objektivität in der Leistungsbeurteilung. Drucker plädierte allerdings aus den Erfahrungen des Scientific Management heraus dafür, dass diese Beurteilung nicht anhand quantitativer Daten erfolgen solle, sondern vor allem durch Selbstkontrolle

5

Vgl. Hilger 2004, S. 268-269.

6

Vgl. Abelshauser 2002, S. 478-483; Berghoff 2007; Hilger 2004; W. Plumpe/Reuber 2010; Rosenberger 2008, S. 371-436.

7

Jürgen Kocka beschreibt, wie sich der Manager-Kapitalismus bereits Ende des 19. Jahrhunderts ausbreitete, Eigentum und Unternehmenskontrolle zunehmend auseinanderfielen und die funktionale Integration voranschritt. Vgl. Kocka 2011, S. 140-155; s. a. Kocka 1969. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts dynamisierte sich diese Entwicklung unter dem Einfluss amerikanischer Unternehmensberatungen erneut durch Divisionalisierung und die Schaffung zentraler Ressorts in Unternehmen. Verantwortung wurde delegiert, und in den Ressorts nahm der Anteil spezialisierter, wissenschaftlich ausgebildeter Fachkräfte zu. Vgl. Feldenkirchen 1997, S. 295-299; Hilger 2004, S. 212224; Kleinschmidt 2002a, S. 260-275.

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anhand der Erreichung von Zielen.8 Die Willkür des zentral bestimmten Unternehmenskurses wich einem demokratischeren Ansatz der Leistungsmessung und Entscheidungsfreiheit, dem ein zukunftsorientiertes Rechnungswesen zur Kontrolle und Unternehmensplanung diente. Befeuert durch die Rezession 1966/67, die nach einer effizienteren Ressourcennutzung verlangte, und unterstützt durch die Reform des Aktienrechts 1965, hielt das Controlling seit den späten sechziger Jahren Einzug in deutsche Unternehmen. Bis Mitte der siebziger Jahre hatte es sich weitgehend durchgesetzt, nicht zuletzt durch die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV). War diese in den fünfziger Jahren nur von wenigen Pionieren wie Bayer genutzt worden, besaßen deutsche Großunternehmen in den sechziger Jahren bereits eigene EDV-Geräte. Die Technik ermöglichte die Durchsetzung von Informationssystemen, die das Management zeitnah mit allen gewünschten Daten über das Unternehmen vom Produkt bis zum Personal versorgte und das vergangenheitsgewandte herkömmliche betriebliche Rechnungswesen für interne Informationszwecke zunehmend unbrauchbar erschienen ließ.9 Hier zeigen sich Parallelen zur Entwicklung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als – wie JoAnne Yates für die USA zeigt – die zunehmende Verbreitung von technischen Möglichkeiten der Vervielfältigung von Texten zu einer Formalisierung und Standardisierung der Kommunikation und damit zu einem Anstieg des Berichtswesens in Unternehmen führte.10 Internationalisierung und veränderte Kommunikationspolitik führten zu einer allmählichen Angleichung von Rechnungslegungsstandards nach angloamerikanischem Vorbild, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist.11 1973 etablierte das neu gegründete International Accounting Standards Committee (IASC) ein in-

8

Vgl. Bröckling 2013, S. 131; Dietz 2014; Hilger 2004, S. 249; Drucker sprach sich für die Etablierung multipler Ziele in der Unternehmenspolitik aus, die Erfolg und Überleben des Unternehmens betreffen, aber sich nicht allein auf die unmittelbare Gewinnerwirtschaftung beziehen – wie in den Bereichen Marktmacht, Innovation, Produktivität, Profitabilität, materielle und finanzielle Ressourcen – sondern auch die Leistungen und Entwicklungen des Managements, der Beschäftigten sowie die Verantwortung des Unternehmens gegenüber der Gesellschaft reflektieren sollten. Letztere resultiere aus der Größe von Unternehmen; sie sei abhängig von den jeweiligen sozialen und politischen Bedingungen im Umfeld des Unternehmens und ihr Geltungsbereich nicht zu verallgemeinern. Vgl. Drucker 1950, S. 40; ders. 1954, S. 63-87 u. 126-127; ders. 1977, S. 351-364.

9

Vgl. Boltanski/Chiapello 2006, S. 100-108; Hilger 2004, S. 224-239; Kleinschmidt 2002a, S. 276-292; von Saldern 2009, S. 320.

10 Vgl. Yates 1993; vgl. Luks 2010, S. 212. 11 Vgl. Kapitel 8.2.

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ternationales Bilanzrecht.12 Die angloamerikanische sozialwissenschaftliche Forschung beförderte die wachsende internationale Dominanz der heimischen Rechnungslegungsstandards. So proklamierten Organisationstheoretiker und Verhaltensforscher beispielsweise, dass gerade die zunehmende Bedeutung des Rechnungswesens Anreize für das Management schaffe, den eigenen Erfolg über dieses zu kommunizieren.13 Peter Miller beschreibt diese Entwicklung als Folge der Vorherrschaft von Zahlen, die allein über die Bewertung von Erfolg oder Misserfolg zu bestimmen vermögen. Er erklärt aus der Anziehungskraft dieser vermeintlichen Objektivität den Aufstieg des Rechnungswesens und des »governing by numbers«14 im 20. Jahrhundert, das sich seit den fünfziger Jahren aus den USA heraus verbreitete.15

5.1 D IE G RÜNDUNG DES A RBEITSKREISES S OZIALBILANZ -P RAXIS Der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, erkannte die zunehmenden Legitimationsschwierigkeiten von Unternehmen gegenüber der Gesellschaft. »Gewinn ist gut, aber nicht alles« titelte er im Handelsblatt vom Februar 1973 und skizzierte darin die Herausforderungen, die an Unternehmen gestellt würden. Der konservative Abs stand zwar dem seit Ende der sechziger Jahre einsetzenden Wertewandel mehr als skeptisch gegenüber, war aber als gläubiger Christ der katholischen Soziallehre und dem Diskurs um unternehmerische Verantwortung durchaus zugeneigt.16 Ein guter Unternehmer stehe in ständigem Dialog mit den Anspruchsgruppen des Unternehmens – Mitarbeitern, Kunden, dem Staat, Anteilseignern und Kapitalgebern, Zulieferern und Konkurrenten – und könne so deren jeweilige Bedürfnisse identifizieren. Gewinnerwirtschaftung sei notwendig zum Erhalt von Unternehmen und Grundvoraussetzung zum Funktionieren der Wirtschaftsordnung, aber letzteres erfordere ebenso gesellschaftliche Akzeptanz. Das Selbstverständnis von Unternehmen müsse daher nach innen wie außen den Dienst 12 Vgl. Haaker/Velte 2013, S. 90-91; 2001 wurde das IASC abgelöst vom International Accounting Standards Board (IASB) als Standardisierungsorgan des International Financial Reporting Standards (IFRS). Vgl. Lütz/Eberle 2009, S. 424. 13 Vgl. dazu die Beiträge von Benston, Becker/Green, Stedry und Ridgway in Rappaport 1970, S. 363-404. 14 P. Miller 2001. 15 Vgl. P. Miller 1994; ders. 2001. 16 AdsD 5/DGAI 000232: Schreiben Vetters an Mitglieder des GBV (05.11.1976), S. 2; vgl. Abs 1975, S. 7-8; Gall 2004, S. 382-407; Kopper 2005, S. 167 u. 173; Kurzlechner 2008, S. 312.

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an der Gesellschaft reflektieren und dies glaubwürdig kommunizieren.17 Ein Baustein dieser glaubwürdigen Kommunikation sollte die gesellschaftsbezogene Berichterstattung werden. Bereits 1972 hatte Abs die Stiftung Gesellschaft und Unternehmen in Frankfurt gegründet, deren wissenschaftlicher Direktor 1973 Meinolf Dierkes wurde, der dieses Amt neben seiner Tätigkeit am Battelle-Institut in Frankfurt ausübte. 1974 wurde innerhalb der Stiftung der Arbeitskreis Sozialbilanzen und gesellschaftliche Nutzenrechnung unter der Leitung von Dierkes gegründet, der dessen eigene konzeptuelle Arbeit zur Sozialbilanz und die ersten praktischen Ansätze der STEAG AG aufgreifen sowie Standards zur Erstellung von Sozialbilanzen entwickeln sollte. Zweck des Arbeitskreises war die Kooperation von Unternehmenspraktikern und Wissenschaftlern.18 Bevor der Arbeitskreis allerdings erste Ergebnisse veröffentlichen konnte, präsentierten der Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung der BDA und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) ihre Ansätze zur Standardisierung gesellschaftsbezogener Berichterstattung.19 Dierkes begann parallel, die Deutsche Shell bei der Erstellung ihrer integrierten Sozialbilanz zu beraten. Elmar Pieroth, dessen Weinvertriebsgesellschaft im Begriff war, gerade die zweite Sozialbilanz zu erstellen, ergriff daraufhin die Initiative, dem bisher nicht sehr aktiven Arbeitskreis der Stiftung neuen Impetus zu geben und regte die Gründung eines neuen Arbeitskreises an. Im Sommer 1976 rief er den Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis ins Leben, dem sich neben Pieroth Vertreter der Unternehmen BASF, Bertelsmann, Rank Xerox, Saarbergwerke, Deutsche Shell und STEAG anschlossen. Die Unternehmensvertreter trafen sich etwa einmal pro Quartal, um an einer gemeinsamen Rahmenempfehlung zu arbeiten, die künftig als Leitfaden für sozialbilanzierende Unternehmen dienen und Unsicherheiten hinsichtlich des Begriffes der Sozialbilanz ebenso wie ihrer Kerninhalte beseitigen sollte. Dierkes begleitete als wissenschaftlicher Berater die Arbeit des AKSBP.20

17 Abs, Hermann Josef, »Gewinn ist gut, aber nicht alles: Das Selbstverständnis des Unternehmens heute«, in: Handelsblatt (16./17.02.1973), S. 26. 18 Vgl. Berthoin Antal/Sobczak 2005; Heymann 1980, S. 114; Küller 1978, S. 246; o.A., »Ein Konzept für Sozialbilanzen: Neuer Arbeitskreis soll Starthilfen geben«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (25.05.1974), Nr. 120, S. 12; Oeckl 1976, S. 425-6; Ziehm 1974, S. 1490. 19 Vgl. Kapitel 4.1 u. 5.2.3. 20 Vgl. AKSBP 1977; Deuß et al. 1978, S. III/24; Faltlhauser 1978b, S. 150; Hemmer 1980, S. 56; Manager Magazin (Hg.), Enquete über das soziale Engagement der deutschen Industrie, Sonderdruck, Hamburg: Manager Magazin Verlag 1976; Pieroth Sozialbilanz 1975/76; Popp 1990, S. 59-60; o.A., »Sozialbilanzen: Spitze des Eisberges«, in: Wirtschaftswoche 34 (17.10.1980), Nr. 42, S. 38-44, hier S. 42.

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5.1.1 STEAG: Die erste deutsche Sozialbilanz Die 1937 gegründete Steinkohlen-Elektrizität AG (STEAG)21 veröffentlichte 1972 die erste Sozialbilanz für 1971/72. Karlheinz Bund, bis November 1973 Vorstandsvorsitzender des Essener Unternehmens, sah den Nutzen der Sozialbilanz vor allem in einer Form der Selbstdarstellung, die in der Sprache von Ökonomen verfasst sei und gleichzeitig geeignet, Kapitalismuskritik und Umweltschutzforderungen zu begegnen.22 In der Sozialbilanz unterstrich das Unternehmen die Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels, der eine veränderte Selbstdarstellung von Unternehmen erfordere, um »dem Feld der diffusen Angriffe auf das freie Unternehmertum«23 die oftmals unterschätzten sozialen Leistungen und deren Nutzen für die Gesellschaft gegenüberzustellen. Unternehmen dürften sich nicht mehr nur als »Ort der Gewinnmaximierung«, sondern müssten sich als Träger gesellschaftlicher Verantwortung »zunehmend auch als sozialer Organismus verstehen«24 und dies zum Gegenstand ihrer Außendarstellung machen. Der Stromkonzern war das erste Unternehmen in der Bundesrepublik, das eine Sozialbilanz unter diesem Begriff herausbrachte. Es orientierte sich explizit am amerikanischen Vorbild. Heinz Schulte, Nachfolger von Bund als Vorstandsvorsitzender der STEAG, beschrieb die Sozialbilanz des Unternehmens als Versuch, gesellschaftlichen Forderungen nach Offenlegung des unternehmerischen Beitrages zur Lebensqualität zu begegnen ohne gleichzeitig eine umfangreiche staatliche Regulierung in diesem Bereich zu evozieren.25 Ähnlich dem Social Balance Sheet der Unternehmensberatung Abt Associates wurden die sozialen Leistungen des Unternehmens nach Anspruchsgruppen untergliedert und nach einem inneren (Leistungen für die Belegschaft, Zuführung zur freien Rücklage) und einem äußeren Beziehungsfeld (Leistungen für Forschung und Entwicklung, Umweltschutz, Öffentlichkeit) differenziert. Parallelen bestanden auch zum SEOS von Linowes, allerdings berücksichtigte die STEAG-Bilanz ausschließlich den Nutzen der Unternehmensaktivitäten und berichtete nicht über deren mögliche

21 2007 ging die STEAG in der neu gegründeten Evonik Industries auf. Der Evonik Konzern übernahm die ›weißen‹ Sparten (neben Energie auch Chemie und Immobilien der ehemaligen RAG AG). Ende 2010 erwarb das Stadtwerkekonsortium Rhein-Ruhr die Mehrheitsanteile (51vH) des 2011 wieder in STEAG GmbH umbenannten Energieunternehmens; seit September 2014 ist sie alleiniger Gesellschafter. Vgl. Abelshauser 2011, S. 391; Wodopia/Riedel 2009, S. 45; URL: STEAG Eigentümer; URL: STEAG Historie. 22 Vgl. Karlheinz Bund, »Auf Zahlen bauen statt auf Dialektik«, in: Manager Magazin 1 (1973), Nr. 11, S. 64-71. 23 STEAG Sozialbilanz 1971/72, S. 4. 24 Ebd., S. 1. 25 Vgl. STEAG Sozialbilanz 1971/72; Schulte 1974, S. 277-278.

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negative Auswirkungen.26 Um die Bezeichnung Sozialbilanz für die Publikation der STEAG, die aus einem wenige Seiten umfassenden Sozialbericht mit Grafiken und einer tabellarischen Auflistung sozialer Leistungen an verschiedene Bezugsgruppen des Unternehmens bestand, entbrannte nach deren Veröffentlichung eine Debatte zwischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, Unternehmenspraktikern, Gewerkschafts- und Pressevertretern über den Begriff der Bilanz, die erst allmählich abflaute und einer stärkeren inhaltlichen und methodischen Beschäftigung mit dem Gegenstand Sozialbilanz wich.27 Den Begriff der Sozialbilanz behielt die STEAG trotz der anfänglichen Kritik für ihre Publikation bei, weil er eine direkte Übersetzung aus dem angloamerikanischen Sprachraum sei und jene Form der sozialen Berichterstattung benannte, die auch die STEAG umsetze.28 Zwar nahm STEAG Bezug auf die amerikanische Sozialbilanzpraxis, beanspruchte für sich zugleich aber eine inhaltliche Anpassung an die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Das Kriterium der Freiwilligkeit für die Auswahl der sozialen Leistungen für die Sozialbilanz sei ebenso wenig ausreichend wie es sinnvoll sei, ohne Selektion alle Leistungen in eine soziale Rechnungslegung aufzunehmen oder jene auszuschließen, die notwendig zur wirt26 STEAG Sozialbilanz 1972/73; vgl. Wysocki 1981, S. 92-93; Kapitel 3. 27 Zur intensiven Begriffsdebatte vgl. Kapitel 3.2; Jens E. Brandenburg, »Kein Markt für Lebensqualität«, in: Wirtschaftswoche (08.03.1974), Nr. 11, S. 58-60; Karlheinz Bund, »Auf Zahlen bauen statt auf Dialektik«, in: Manager Magazin 1 (1973), Nr. 11, S. 64-71; Dribbusch 1978, S. 106; Faltlhauser 1978a, S. 78-80; Haarlaender 1978, S. 289-290; Hemmer 1979, S. 10-12; Huber 1978, S. 273-274; Manager Magazin (Hg.), Enquete über das soziale Engagement der deutschen Industrie, Sonderdruck, Hamburg: Manager Magazin Verlag 1976; Gustav Mayer, »Die ›Sozialbilanz‹ steht auf schwachen Füßen«, in: Blick durch die Wirtschaft (25.03.1974); Hugo Müller-Vogg, »Sozialbilanz – mehr als nur ein Schlagwort«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 99 (06.08.1979); o.A., »Sozialbilanzen: Spitze des Eisberges«, in: Wirtschaftswoche 34 (17.10.1980), Nr. 42, S. 38-44; o.A., »Kehrtwende mit Vorbehalt«, in: Frankfurter Rundschau (20.06.1979); o.A., »Sozialbilanzen: Hilfe für den Fiskus«, in: Der Spiegel 32 (21.08.1978); Nr. 34, S. 80-82; Stefan Sethe, »Nicht nur Soll und Haben. Sozialbilanzen: Auf dem Weg zu einer neuen Unternehmens-Ethik«, in: Die Zeit (23.11.1979), Nr. 48; Welbergen 1978, S. 610-611; Burckhardt Wenzel, »Sozialbilanz – mehr als PR«, in: PR-Magazin 1 (1975), S. 10. AdsD 5/DGAI 000232: Gerd Schloßarek, »Sozialbilanz mehr als Public Relations?« (Drucksache); AdsD 5/DGAI 000254: Küller et al., Analyse der Sozialbilanzen der Firmen STEAG, Saarbergwerke und Pieroth (Mai 1976), S. 2-5; BDA Abt VIII: Gesellschaftsbezogene Berichterstattung (28.10.1975), S. 5; Pieroth Sozialbilanz 1973/74; Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975, S. 10; dies. 1979, S. 8-9; STEAG Sozialbilanz 1974, S. 1; dies. 1975, S. 1. 28 STEAG Sozialbilanz 1974, S. 1.

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schaftlichen Produktivität seien. Diese Abwägung der Abgrenzungskriterien für eine aussagekräftige Sozialbilanz spiegelte die bereits in der amerikanischen Sozialbilanz-Debatte aufgeworfenen Probleme wider. Während Karlheinz Bund allein der unternehmerischen Praxis die Fähigkeit zusprach, aussagekräftige Sozialbilanzen zu entwickeln,29 wusste sein Nachfolger Schulte die methodisch elaborierten wissenschaftlichen Ansätze durchaus zu schätzen. Er sah die Vorteile von Dierkes’ Goal Accounting-Konzept als Informations- und Kontrollinstrument zur Reduktion externer Effekte und Nutzenmaximierung für die Anspruchsgruppen, aber auch die Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung. Die Aufgabe der Wissenschaft liege darin, geeignete subjektive und objektive Sozialindikatoren für die Anwendung im Unternehmen zu entwickeln. Die STEAG-Sozialbilanz sei jedoch als Versuch zu werten, zunächst einmal die sozialen Leistungen des Unternehmens überhaupt zu definieren und ihnen einen Wert zuzuschreiben, wenn auch unter deutlichen Einschränkungen:30 »Bei der Bestimmung des Aufwands in der Sozialbilanz waren mitunter noch grobe Hilfsrechnungen nötig. Die Bewertung des Erfolgs (Nutzen) der einzelnen Leistungen für die gesellschaftliche Umwelt ist nur unvollkommen gelungen. Hier fehlen noch Maßstäbe für die Quantifizierung.«31 Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass die STEAG-Sozialbilanz ausschließlich zur Darstellung der positiven Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Bezugsgruppen des Unternehmens konzipiert war, was dem Unternehmen nicht zuletzt den Vorwurf einbrachte, die Sozialbilanz sei ein reines PR-Instrument. Hervorzuheben ist allerdings der Anspruch, verstärkt quantitative Daten veröffentlichen zu wollen, wenn entsprechende methodische Kriterien entwickelt worden seien. Die STEAG Sozialbilanz war ein von der Unternehmensleitung ins Leben gerufenes Projekt, eng am Rechnungswesen des Unternehmens ausgerichtet und wurde in den ersten Jahren maßgeblich von Jens Brandenburg betreut, der als promovierter Jurist im Controlling des Unternehmens tätig war. Brandenburg war sich bewusst, dass die Beschränkung auf die Aufwandsposten keine hinreichende Lösung für die Sozialbilanz darstellte. Sie erlaube aber zumindest chronologische Vergleiche zur Gewinnerwirtschaftung des Unternehmens, Vergleiche zu anderen Unternehmen, die Offenlegung von Schwachstellen und die dauerhafte Kontrolle der gesellschaftsbezogenen Aufwendungen. Langfristiges Ziel solle trotzdem die Entwicklung von Methoden zur Outputmessung sein.32 Dierkes verortete die Sozialbilanz des Unter29 Vgl. Karlheinz Bund, »Auf Zahlen bauen statt auf Dialektik«, in: Manager Magazin 1 (1973), Nr. 11, S. 64-71. 30 Vgl. Schulte 1974, S. 278-280; STEAG Sozialbilanz 1972/73, S. 1. 31 STEAG Sozialbilanz 1972/73, S. 2. 32 Vgl. Jens E. Brandenburg, »Kein Markt für Lebensqualität«, in: Wirtschaftswoche (08.03.1974), Nr. 11, S. 58-60; UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Jens Brandenburg, »Das neue Selbstverständnis verlangt auch eine neue Selbstdarstellung« (Drucksache), 1973.

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nehmens auf der zweiten Stufe seines Vier-Stufen-Modells, auf der vor allem soziale und umweltbezogene Aufwendungen überhaupt erst einmal klassifiziert würden, auch wenn diese Form der Berichterstattung Sekundärfolgen ausblende und »reaktive[n] Charakter« habe.33 Eine Anregung von Dierkes Goal Accounting nahm die STEAG allerdings auf: Seit der Sozialbilanz für das Jahr 1977 bat das Unternehmen seine Leser um ein Feedback zu der Publikation, hauptsächlich, um deren Inhalte künftig stärker auf die Interessen der Leser ausrichten zu können.34 Jens Brandenburg sah 1973 in den Mitarbeitern die vorrangige Zielgruppe der Sozialbilanz, allerdings betonte er, die gesellschaftliche Umwelt des Unternehmens sei nicht zu vernachlässigen und Kapitalgeber, Kunden, Lieferanten, der Staat, die physische Umwelt und die Öffentlichkeit – dies seien entweder organisierte Gruppen wie Vereine, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, das Bildungswesen oder Immissionsbetroffene, Arbeitslose und Minderheiten – müssten ebenso berücksichtigt werden.35 Tatsächlich hatte die STEAG erhebliches Interesse daran, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten gegenüber diesen externen Gruppen zu legitimieren, da sie zum einen neue Standorte suchte und plante und zum anderen ihre Projekte erheblich durch öffentliche Mittel subventioniert wurden. Mit ihren Sozialbilanzen reagierte die STEAG in den 1970er Jahren zum einen auf Kritik an umstrittenen Kraftwerksprojekten und damit einhergehenden Umweltschutzaspekten; und zum anderen auf die Folgen der Kohlekrise, die die Zukunft der Steinkohle in der Bundesrepublik grundsätzlich in Frage stellte. Das Unternehmen warb seit 1974 in den Publikationen für die Errichtung neuer Kraftwerke, insbesondere von leistungsstarken Großkraftwerken, die trotz ihrer höheren Leistungsfähigkeit im Gegensatz zu älteren Anlagen geringere Immissionen verursachten und neuesten Umweltschutzanforderungen entsprächen. Darüber hinaus würden mithilfe neuer Standorte und neuer Kraftwerke Arbeitsplätze geschaffen – insbesondere auch im wachsenden Dienstleistungsbereich des Unternehmens – respektive erhalten, da veraltete Kraftwerke aufgrund erhöhter Umweltschutzauflagen und ihrer Ineffizienz abgeschaltet würden. Auch indirekt würden Arbeitsplätze gesichert durch die Vergabe von Bauaufträgen und durch Lieferbeziehungen. STEAG argumentierte außerdem mit Steuerzahlungen, die beim Betrieb derartiger Anlagen im zweistelligen Millionenbereich anfielen und zum Großteil direkt an die Standortgemeinde flössen.36 Zwei Projekte rückten während der 1970er Jahre immer wieder in den Mittelpunkt der Sozialberichterstattung. Im September 1975 musste die STEAG aufgrund eines Urteils des Düsseldorfer Verwaltungsgerichtes den Bau ei33 Dierkes 1978a, S. 266; vgl. Dierkes 1974, S. 178; vgl. Kapitel 3.2.3. 34 Vgl. STEAG Sozialbilanz 1977, S. 36. 35 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Jens Brandenburg, »Das neue Selbstverständnis verlangt auch eine neue Selbstdarstellung« (Drucksache), 1973. 36 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1974-1982.

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nes gemeinsam mit dem RWE geplanten Großkraftwerkes in Voerde stoppen. Eine Bürgerinitiative von Anwohnern des bereits genehmigten Kraftwerksbaus hatte die Klage gegen das Vorhaben auf Grundlage des 1974 in Kraft getretenen Bundesimmissionsschutzgesetzes und der revidierten Verwaltungsrichtlinie Technische Anleitung (TA) Luft initiiert. Der Vorfall offenbarte die juristischen Interpretationsspielräume beider angewandter Regelungen und führte dazu, dass die Koalitionsparteien im Dezember 1975 einen Gesetzesentwurf zur Revision des Bundesimmissionsschutzgesetzes einbrachten, der fortan unter dem Schlagwort Lex Steag von der Protestbewegung aufgegriffen wurde. Die Neufassung des Gesetzes trat im Mai 1976 in Kraft und ermöglichte schließlich mit vier Jahren Verzögerung den Bau des Kraftwerkes Voerde, dessen erster Block 1982 in Betrieb genommen wurde. Einen weiteren Rechtsstreit strebte eine Bürgerinitiative 1977 gegen den Bau eines Großkraftwerkes in Bergkamen an. Das Verfahren wurde schließlich durch einen Vergleich beigelegt, und die STEAG verpflichtete sich zur Zahlung von 1,9 Millionen DM an die Stadt Bergkamen und die Bürgerinitiative.37 STEAG widmete dem Kraftwerksbau in Bergkamen in der Sozialbilanz für 1980 einige Schwerpunktseiten und bewarb unter dem Berichtspunkt Umweltschutz die technischen Standards und das landschaftsgerechte Erscheinungsbild des Kraftwerkes. Es »wurde durch architektonische Gestaltung, Farbgebung und bepflanzte Erdwälle in die Landschaft eingefügt«38. Abbildung 5: Bau des Kraftwerkes Bergkamen

Quelle: STEAG Sozialbilanz 1980, S. 4.

37 Vgl. Naumann 1976; Pohl 1983, S. 114-117; Evonik KA, RPW Druckschriften: STEAG Presseinformation (04.05.1977; 17.02.1978); STEAG Sozialbilanzen 1974-1982. 38 STEAG Sozialbilanz 1980, S. 17.

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Die Legitimierung des Kraftwerkbaues war nicht nur unmittelbar im Hinblick auf die Proteste von Bürgerinitiativen von Gewicht, sondern entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft der steinkohleverarbeitenden Industrie. Die geplanten Großkraftwerke sollten neben der Stromerzeugung auch neue Fernwärmetrassen durch das Ruhrgebiet speisen und waren für diesen Zweck weitaus geeigneter als die vorhandenen Altanlagen, wobei Bundesregierung wie nordrhein-westfälische Landesregierung den Aspekt des Umweltschutzes zugunsten des sozialverträglichen Strukturwandels hintanstellten.39 Seit Ende der fünfziger Jahre war die Kohle zunehmend in die Krise geraten. Das Öl hatte die Kohle als für den Endverbraucher leichter handhabbares und saubereres Produkt mehr und mehr vom Heizmarkt verdrängt. Billigere Importkohle bedrohte außerdem den heimischen Absatz, die Kernenergie stilisierte sich zur saubereren Lösung in der Stromerzeugung und schließlich kriselte es auch in der Stahlindustrie. Durch Importzölle, Subventionen wie die Kokskohlenbeihilfen oder den Kohlepfennig und gezielte Absatzförderung versuchte die Bundesregierung den wirtschaftlichen Fall der Steinkohle zu bremsen, um zumindest soziale Härten für die im Bergbau und in den verbundenen Industrien Beschäftigten abfedern zu können. Die Verstromungsgesetze (1965, 1966 und 1974 mit Novellierungen 1976, 1977 und 1980), die Gründung der Ruhrkohle AG (RAG) und das 1973 verabschiedete und 1974 fortgeschriebene Energieprogramm der sozialliberalen Koalition ermöglichten eine Stabilisierung des Kohleabsatzes in der Stromerzeugung, die durch flankierende Subventionen marktfähig wurde. Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre gaben der Steinkohle noch einmal Aufwind und ermöglichten es, die Kohle als sicheren Energieträger anzupreisen, der von Weltmarktschwankungen und weltpolitischen Ereignissen unabhängig schien.40 Seit 1974 betonte die STEAG unermüdlich den Wert der heimischen Steinkohle, die Abhängigkeiten von ausländischen Öl-, Gas- und Kohleimporten verringere und gegenüber »den kräftigen Verteuerungen des Rohöls«41 stabilere Preise und darüber hinaus Arbeitsplätze für die kommenden Jahrzehnte im Ruhrgebiet garantiere. STEAG warb für sein vom BMFT subventioniertes Fernwärmeprojekt und für die Kohleverstromung, die zwar in der Erzeugung die Umwelt belaste, in der Anwendung aber eine umweltfreundliche Energiequelle sei. Insgesamt fanden sowohl Bemühungen im Umweltschutz durch Aufrüstung alter und den Bau neuer Anlagen als auch die Sicherung von Arbeitsplätzen und subventionierte Projekte umfangreich Eingang in die STEAG Sozialbilanzen. Damit spiegelten sie die für das Unternehmen dringlichsten sozio-ökonomischen Themen wider. Seit 1974 berichtete die STEAG erstmals über die quotenübererfüllende Bereitstellung von Arbeitsplät39 Vgl. Uekötter 2011, S. 94. 40 Vgl. Abelshauser 1984, S. 87-164; Berghahn 1985, S. 283-285; Farrenkopf/Slotta 2009; Przigoda 2009; Wodopia/Riedel 2009. 41 STEAG Sozialbilanz 1974, S. 11.

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zen für Schwerbeschädigte (seit 1976 Schwerbehinderte), die Zahl der ausländischen Beschäftigten, über Maßnahmen zum Umweltschutz und zur Arbeitsgestaltung unter Gesundheits-, Sicherheits- und sozialen Aspekten, die 1976 sogar den Schwerpunkt der Berichterstattung bildeten. Unter den Schlagworten Ergonomie, Arbeitsschutz und -sicherheit wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Maßnahmen, Verbesserungen und Entwicklungen in diesen Bereichen sowie die Motivation für Maßnahmen zum Unfallschutz und zur Gesundheitsvorsorge erläutert. Der Begriff der Humanisierung des Arbeitslebens fand allerdings nur in die Sozialrechnung von 1975 Eingang, nicht aber in die verbale Berichterstattung der Dekade. Im Bericht von 1976 wurden die Mitbestimmung und die Frauenquote im Bertriebsrat zum Thema. Der Umfang der Berichterstattung nahm zunächst kontinuierlich zu von nur sieben Seiten in der ersten Sozialbilanz auf 21 Seiten 1974, 32 Seiten 1976 und 37 Seiten 1977. Ab 1978 wurden die Publikationen wieder deutlich kürzer mit durchschnittlich knapp 14 Seiten. Auch qualitativ gab es sichtbare Entwicklungssprünge in der STEAG Sozialbilanz. Waren sie 1971/72 und 1972/73 noch stark an die traditionelle Sozialberichterstattung angelehnt und um eine einfach gehaltene Sozialrechnung ergänzt, so zeigte sich die Sozialbilanz von 1974 von der politischen und wissenschaftlichen Diskussion beeinflusst. Die Kritik an der Monetarisierung von Betriebsunfällen spiegelte sich beispielsweise ebenso in den Texten wie auch die Beschreibung von kurz-, mittel- und langfristigen Zielen, die das Unternehmen zu verfolgen suchte. Zwar wurde Dierkes Goal Accounting hier nicht explizit umgesetzt, dessen Einflüsse waren im Entwurf von Zukunftsszenarien aber durchaus sichtbar. Eichhorn hatte dafür argumentiert, den gesellschaftsbezogenen Nutzen unternehmerischer Leistungen unabhängig davon herauszustellen, ob diese Leistungen freiwillig erbracht oder gesetzlich verlangt würden. Wichtiger sei, dass der Nutzen als gesellschaftlicher identifiziert werden könne. STEAG übernahm diese Argumentation, ignorierte jedoch die Integration gesellschaftsbezogener Schäden in die Sozialbilanzen, was dem Unternehmen erhebliche Kritik von Eichhorn, Ziehm, Küller und Mintrop einbrachte. Letztere bemängelte darüber hinaus, es finde keine Differenzierung zwischen Leistungen statt, die der Gewinnerwirtschaftung dienten, und solchen, die tatsächlich auf einen sozialen Nutzen abstellten.42 Nahmen die ersten Sozialbilanzen noch Bezug auf die amerikanischen Vorbilder, so stützte sich das Unternehmen seit der Sozialbilanz von 1976 auf die von ihm mitentwickelte Empfehlung zur Erstellung von Sozialbilanzen des AKSBP. Nach 42 AdsD 5/DGAI 000254: Küller et al., Analyse der Sozialbilanzen der Firmen STEAG, Saarbergwerke und Pieroth (Mai 1976), S. 2-3; vgl. Jens E. Brandenburg, »Kein Markt für Lebensqualität«, in: Wirtschaftswoche (08.03.1974), Nr. 11, S. 58-60; Eichhorn 1974, S. 57; Faltlhauser 1978a, S. 78; Mintrop 1976, S. 99-101; Ziehm 1974, S. 1490; ders. 1978, S. 124.

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der Veröffentlichung des DGB-Indikatorenkataloges enthielt die STEAG Sozialbilanz eine tabellarische Übersicht über die mitarbeiterbezogenen Kerndaten des Unternehmens, die den Anforderungen des gewerkschaftlichen Konzepts entgegenkam. Seit 1978 rückten die Beschäftigten als Thema in der gesamten Publikation deutlich in den Vordergrund. Die Berichte waren stärker bebildert und zeigten die Beschäftigten nicht mehr als anonyme Repräsentanten der Arbeiterschaft, sondern als Individuen bei der Arbeit und in der sozialen Interaktion. Auch Frauen rückten als Angestellte im Dienstleistungsbereich des Unternehmens deutlich stärker in den Fokus der Bilder. Die Sozialbilanzen hoben verstärkt auf den Strukturwandel ab, der sich auch im Unternehmen zeige. Der Anstieg der Angestelltenzahl gegenüber der sinkenden Zahl der Arbeiter wurde ebenso thematisiert wie die Überalterung der Belegschaft durch den fehlenden Nachwuchs im Kohlesektor. Fortbildungsangebote wurden ausführlicher dargelegt, insbesondere Schulungsangebote, die für eine Tätigkeit im Ausland qualifizierten.43 Die STEAG engagierte sich seit Mitte der 1970er Jahre zunehmend im Ausland und warb in den Sozialbilanzen seit 1978 um das ›Humankapital‹ der heimischen Mitarbeiter, die ihr Wissen an die ausländischen Kollegen weitergeben könnten, denn »Knowhow und Anwendungstechnik sind exportierbar«44. In Indonesien und im Nahen Osten war das Unternehmen im Kraftwerks- und Klimatechnikbereich tätig, in Brasilien in einem Projekt zur Urananreicherung, das zur Entwicklung einer umweltfreundlichen Endlagerung radioaktiver Abfälle, zum Technologietransfer nach Brasilien und zur Sicherung von Rohstofflieferungen in die Bundesrepublik beitragen sollte.45 Die sozialen Leistungen der STEAG für ihre Mitarbeiter fanden oftmals in Durchschnittsberechnungen Eingang in die Sozialbilanzen. Die Publikationen zeichneten jährlich das Bild des durchschnittlichen STEAG-Facharbeiters, dessen Einkommen, Leistungsansprüche, Arbeitsleistung, Alter, Unternehmenszugehörigkeit, Versicherungskosten, Urlaubs-, Krankheits- und sonstige Fehltage, Unfallrisiko oder Qualifikationsstruktur dem lesenden Mitarbeiter offenlegte, wo er selbst mit seiner Arbeitsleistung und seinem Einkommen im Vergleich zu seinen Kollegen stand. Dem künftigen Mitarbeiter wurde aufgezeigt, welche Lohnentwicklung und sozialen Leistungen ihn erwarten würden; dem Kapitalgeber, wie es um das ›Humankapital‹ des Unternehmens bestellt war.46

43 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1974-1982. 44 Dies. 1978, S. 7. 45 Vgl. dies. 1976, S. 28. 46 Vgl. dies. 1972/73-1982.

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5.1.2 Saarbergwerke AG: Auf der Suche nach qualifizierter Belegschaft Die Saarbergwerke AG mit Verwaltungssitz in Saarbrücken veröffentlichte als zweites deutsches Unternehmen nach der STEAG für das Geschäftsjahr 1973 eine Sozialbilanz. Das durch den Steinkohlenbergbau geprägte Unternehmen war seit Erschließung der Saargruben Mitte des 18. Jahrhunderts überwiegend in öffentlichem Besitz gewesen, erlebte durch die politischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich jedoch immer wieder Eigentümerwechsel.47 Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Frankreich die Verwaltung der 1935 ins Deutsche Reich eingegliederten Saargruben zunächst als Régie des Mines de la Sarre (19481953), dann als französisch-saarländische Saarbergwerke. Gemäß dem Saarvertrag gingen die Saarbergwerke am 30. September 1957 in deutschen Besitz über. Die Saarbergwerke AG wurde gegründet, an der die Bundesrepublik einen Anteil von 74 vH hielt und das Saarland einen Anteil von 26 vH. Im November 1957 wurde ein neuer Gesamtbetriebsrat eingesetzt, Verbote von Gewerkschaften aufgehoben und die Montanmitbestimmung im Unternehmen eingeführt.48 Der wirtschaftliche Neubeginn des öffentlichen Unternehmens mit dem Schwerpunkt auf Kohleförderung gestaltete sich angesichts lange hinausgezögerter Rationalisierungsmaßnahmen und der kurz darauf einsetzenden Kohlekrise jedoch schwierig. In den sechziger Jahren versuchte die Unternehmensleitung, den Saarberg-Konzern durch Mechanisierung und Personalabbau wirtschaftlicher und durch Aktivitäten über die Grenzen des Saarlandes hinaus sowie durch Diversifizierung unabhängiger von den Entwicklungen auf dem Kohlemarkt zu machen. Staatliche Subventionen und die protegierende Energiepolitik des Bundes flankierten den sozialverträglichen Personalabbau. Zwischen 1957 und 1970 wurde die Zahl der Kohlegruben durch Stilloder Zusammenlegungen von 18 auf sechs, die Beschäftigtenzahl insgesamt um 58,6 vH von 64.961 auf 26.883 und die Untertage-Belegschaft um 61,4 vH von 40.668 auf 15.712 Beschäftigte reduziert.49 Saarberg baute den Kraftwerksbereich kontinuierlich aus und versuchte, sich in den Bereichen Öl – unter anderem durch an eine Beteiligung an der Deutschen Mineralölexplorationsgesellschaft mbH (DEMINEX)50 –, Petrochemie sowie in der Gummi- und Werkzeugproduktion zu etablieren. Während die Petrochemie und eine Beteiligung an der Frisia-Erdölraffinerie nicht den gewünschten Erfolg brachten und in den siebziger Jahren wieder aufgegeben wurden, erwiesen sich vor allem der Ausbau der Kraftwerkswirtschaft über den Eigenbedarf hinaus und die Ausweitung der Aktivitäten auf den 47 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 79-80. 48 Vgl. Kotthoff/Ochs 1988, S. 35-43 u.145-206; Wenzel 1978, S. 299. 49 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 95. 50 Vgl. Karlsch/Stokes 2003, S. 359-375.

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Energiesektor (Kohleverstromung, Koksveredelung, Fernwärme und Uran) sowie die Trinkwasserversorgung als gewinnbringend. Die mithilfe der Unternehmensberatung McKinsey durchgeführte Reorganisation des Konzerns durch Divisionalisierung sollte ab August 1970 eine effiziente Aufstellung der einzelnen Geschäftsfelder ermöglichen. Begleitet wurde die Divisionalisierung durch eine Modernisierung des Managements: 1971 wurde ein EDV-gestütztes Informationssystem mit Zentralstatistik und Berichtswesen zur Planung und Kontrolle eingeführt; ein Management by Goals folgte 1972, das erstmals die strategischen Ziele des Unternehmens in Fünf- und Zehnjahresplänen verbalisierte, »um ein Zusammenwachsen des Konzerns zu beschleunigen«51 und die Fokussierung auf die Energiesparte voranzutreiben. Im Personalbereich war bereits 1969 für eine Professionalisierung der Beschäftigtenbetreuung gesorgt worden. Die Betriebsdirektoren für Personal- und Sozialfragen übernahmen seit diesem Zeitpunkt die Betreuung des wichtiger werdenden ›Humankapitals‹ von den meist technisch ausgebildeten Betriebsdirektoren des Konzerns.52 Eine hochqualifizierte Stammbelegschaft sollte zur Expansion der Energiesparte beitragen und darüber hinaus eine Ausweitung der ausländischen Aktivitäten durch Knowhow-Transfer unterstützen. Hier lag jedoch ein maßgebliches Problem der Saarbergwerke AG wie der gesamten deutschen Steinkohlebranche. Das für den Bergbau bekannte Unternehmen war durch die Kohlekrise und den mit ihr einhergehenden kontinuierlichen Personalabbau als Arbeitgeber unattraktiv geworden, obwohl Saarberg der größte Arbeitgeber in der Region blieb und auch die kriselnde Stahlindustrie keine besseren Beschäftigungschancen für Facharbeiter bot. Insbesondere ambitionierter Nachwuchs fehlte in der zunehmend überalterten Belegschaft des Unternehmens, das durch den steten Personalabbau kaum Aufstiegschancen bieten konnte.53 Zwischen 1970 und dem Anwerbestopp im November 1973 versuchte das Unternehmen mit der Einstellung von 1100 türkischen Bergleuten die Engpässe im Untertagebetrieb zu überbrücken. Die Zahl der Beschäftigten erreichte 1973 mit 21.326 ihren Tiefstand seit 1957. Strukturbedingt litt die Saarbergwerke AG unter den gleichen Schwierigkeiten wie die STEAG seit Einsetzen der Kohlekrise. So hatte die im Herbst 1973 einsetzende Ölpreiskrise aber auch für das saarländische Unternehmen positive Effekte auf die Absatz- und Beschäftigungsgrundlage, die sich auch auf das Selbstverständnis des Unternehmens, der Branche und 51 Saarbergwerke 1982, S. 39. 52 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 108; Karlsch/Stokes 2003, S. 376; Kotthoff/Ochs 1988, S. 190. 53 Das Durchschnittsalter der Untertage-Belegschaft stieg zwischen 1957 und 1960 von 35,4 Jahren auf 40,1 Jahre. 1970 lag es nur unwesentlich niedriger bei 39,5 Jahren und sank erst im Verlauf der 1970er Jahre wieder. 1980 betrug das Durchschnittsalter dann 34,6 Jahre. Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 97.

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deren Positionierung gegenüber der Öffentlichkeit auswirkten, denn der »Kostgänger der Nation [...] war wertvolles Faustpfand für die Sicherheit der Energieversorgung geworden, die Subventionen der vergangenen Jahre hatten nachträglich ihren Sinn und ihre Berechtigung bekommen.«54 Die für Ende 1973 geplante Stilllegung der Grube Camphausen im Süden des Saarlandes wurde aufgehoben, neue Bergleute und vor allem Auszubildende eingestellt, die für eine Verjüngung der Belegschaft sorgten. Abgesehen von den türkischen Bergarbeitern waren seit der Gründung 1957 kaum mehr Bergleute im Unternehmen aufgenommen worden.55 Saarberg investierte nun in die Personalentwicklung und errichtete zwei Ausbildungszentren. Das Ausbildungspersonal wurde professioneller und ein höherer Akademisierungsgrad der Beschäftigten durch die 1964 gegründete eigene Bergingenieursschule angestrebt.56 Die Veröffentlichung der ersten Sozialbilanz des Konzerns 1974 für das vergangene Geschäftsjahr 1973 fiel genau in jenen Zeitraum, in dem Saarberg erstmals wieder auf der Suche nach qualifiziertem Personal und Nachwuchskräften für die Erweiterung seiner Stammbelegschaft war. So richten sich die Sozialbilanzen des Konzerns insbesondere in den ersten beiden Dekaden ausschließlich an die Belegschaft und potentielle neue Beschäftigte. Die Saarbergwerke Sozialbilanz erschien von 1974 bis 1998; ihr Erscheinen wurde mit der Übernahme der saarländischen Anteile an der Saarbergwerke AG durch die RAG AG im August 1998 eingestellt.57 Die Inhalte wurden bestimmt von allgemeinen statistischen Angaben zur Belegschaft am Beginn der Berichte und stets mit Durchschnittswerten veranschaulicht: Altersaufbau, Lohn, Krankenstand und Unfallhäufigkeit. Das Ende jeder Sozialbilanz orientierte sich am Vorbild der Werkszeitung und berichtete über die »Allgemeine Fürsorge und kulturelle Betreuung«58 wie Jubilarehrungen, das Renommee des Saarknappenchores, Notfallbeihilfen oder Ferienfahrten und Kuren für Kinder von Beschäftigten. Im Mittelpunkt standen vor allem drei Themen: die Bereiche Aus- und Weiterbildung, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie das Wohnungswesen. Im Verlauf der Jahre erhielten sie jedoch unterschiedliche Gewichtungen in der Sozialberichterstattung. Das Wohnungswesen nahm bis 1980 eine wichtige Rolle in der Berichterstattung und als betriebliche Sozialleistung des Unternehmens ein, danach verlor es auch in der Sozialbilanz an Bedeutung. Zwischen 1974 und 1980 nahm die Wohnungswirtschaft knapp 9 vH der Berichterstattung ein, danach sank sie auf durchschnittlich 4,5 vH ab. Saarberg veräußerte in den 1960er und 1970er Jahren einen Großteil seiner Werkswohnungen und Häuser an Beschäftigte. Der 54 Saarbergwerke 1982, S. 52. 55 Vgl. ebd., S. 43 u. 98. 56 Vgl. ebd., S. 101-103. 57 Vgl. Wodopia/Riedel 2009, S. 44. 58 Saarbergwerke Sozialbilanz 1973, S. 25.

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Konzern sorgte damit einerseits für eine höhere Liquidität – Saarberg war mit Industrie- und Wohnungsgrundstücken der größte Grundstücksbesitzer des Saarlandes – und warb andererseits mit der Unterstützung für den Eigenheimerwerb durch den Immobilienverkauf und die Vergabe günstiger Darlehen als betriebliche Sozialleistungen. Letztlich konnte sich das Unternehmen damit auch eine lokal gebundene Stammbelegschaft sichern und die seit der Kohlekrise gerade unter den jüngeren Belegschaftsmitgliedern verbreitete Fluktuation verringern. Darüber hinaus hatte die Bereitstellung von Wohnungen und Wohnheimplätzen insbesondere in der ersten Hälfte der 1970er Jahre für die angeworbenen Gastarbeiter noch einen zentralen Stellenwert. In den späten 1970er und 1980er Jahren vermietete Saarberg die Wohnheime jedoch zunehmend an externe Firmen oder soziale Träger zur Unterbringung von Flüchtlingen.59 In der Sozialbilanz von 1974, zwischen 1977 und 1981 sowie 1991 bis 1997 lag der Anteil der Berichterstattung über den Arbeits- und Gesundheitsschutz bei der Saarbergwerke AG mit durchschnittlich knapp 15 vH deutlich über der Berichterstattung der übrigen Jahre mit durchschnittlich 8,5 vH. Die Bedeutung des Themas für die Berichterstattung von 1974 steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Beginn des Programms zur Humanisierung des Arbeitslebens, das für die gesamten siebziger Jahre in der Sozialbilanzierung vieler Unternehmen und so auch für die Saarbergwerke von Bedeutung war. Maßnahmen zur Silikosevorsorge, -therapie und Verringerung der Betroffenenzahl, die Verbesserung der ergonomischen Arbeitsbedingungen, die Zunahme an Kontrolluntersuchungen wie beispielsweise audiometrischer Untersuchungen zum Gehörschutz60 oder Investitionen in die Modernisierung von Waschkauen und Sozialräumen seit 1975 beherrschten die Berichterstattung. Diese Berichterstattung diente vor allem dem Abbau von Ängsten vor den Risiken des Bergarbeiterberufes und dessen Aufwertung, besonders für den gesuchten Nachwuchs. Zudem wurden 1975 mit der Aussicht auf wirtschaftliches Wachstum erstmals wieder Investitionen in Sozialräume getätigt, die seit Unternehmensgründung 1957 aufgrund der wirtschaftlichen Lage und des kontinuierlichen Personalabbaus vernachlässigt worden waren. In den Sozialbilanzen der 1990er Jahre rückte der Arbeits- und Gesundheitsschutz wieder stärker in den Fokus der Berichterstattung, nun vor allem im Hinblick auf die Risiken, die von Gefahrstoffen wie Asbest ausgingen. Obwohl bereits seit 1973 erste Grenzwerte für Asbest am Arbeitsplatz galten und eine öffentliche Debatte über die gesundheitlichen Gefahren im Gange war, nahm Saarberg erst das europaweite Asbestverbot seit 1991 und die Gefahrstoffverordnung von 1993 zum Anlass, über den Schutz vor Gefahrstoffen 59 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1973-1997; Saarbergwerke 1982, S. 105-106 u. 180. 60 Der Gehörtschutz wurde 1961 erstmals als Berufskrankheit anerkannt, seit 1972 galt eine VDI-Richtlinie zur Lärmschutzbekämpfung, die Voraussetzung für die Maßnahmen bei Saarberg war. Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 135.

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am Arbeitsplatz zu berichten.61 Neu in den Sozialbilanzen waren darüber hinaus Berichte über die Teilnahme an oder Unterstützung von Forschungsprojekten zur Arbeitssicherheit und Berufskrankheiten. Tradierte Berichtsinhalte über die Unfallentwicklung, Rehabilitationsmaßnahmen für verunglückte Bergleute oder psychotechnische Untersuchungen zur Optimierung der Arbeitsplatzbesetzung blieben Inhalte der Sozialbilanzen bis zum Ende der 1990er Jahre.62 Der Themenkomplex Aus- und Weiterbildung dominierte jedoch die Inhalte der Sozialbilanzen. Burckhardt Wenzel, der für die Sozialbilanzen bei Saarberg maßgeblich verantwortlich zeichnete, benannte ihn als einen der wichtigsten Faktoren zur Einführung der Sozialbilanzen im Unternehmen. Das gesellschaftliche Engagement des Unternehmens für die Ausbildung Jugendlicher gehöre zu jenem »Bündel von nicht-ökonomischen Erwartungen«, das »kürzerfristig ökonomischen Interessen diametral entgegenstehe[ ]«63 und dessen Wert für das Unternehmen und die Gesellschaft kaum mit den Mitteln der finanzbezogenen Rechnungslegung ermittelt werden könne. Vor allem zwischen 1977 und 1985 nahmen die Berichtsanteile über Aus- und Weiterbildungsthemen großen Raum in den Saarberg Sozialbilanzen ein. Der durchschnittliche Anteil der Berichterstattung lag in diesen Jahren bei rund 20 vH an den Sozialbilanzen gegenüber durchschnittlich 9,5 vH in den Jahren vor 1977 und nach 1985. Es waren die Jahre nach der ersten und zweiten Ölpreiskrise, die dem Kohlesektor zu wirtschaftlichem Aufschwung verhalfen und in denen die Saarbergwerke AG wieder Personal einstellte nach den Jahren des Personalabbaus in den fünfziger und sechziger Jahren.64 Mit Bezug auf die Bildungspolitik der Bundesregierung warben die Saarbergwerke mit der Professionalisierung der Ausbildung im Konzern durch die pädagogische Qualifizierung der Ausbilder, die Einführung von Ausbildungsrahmenplänen sowie durch den Ausbau der unternehmenseigenen Berufsschule und Bergingenieursschule.65 Jugendlichen ohne qualifizierten Schulabschluss und türkischen Jugendlichen sollte in gesonderten Lehrgängen der Einstieg in das Berufsleben erleichtert werden. Ab 1979 wurde zudem über die Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen in technischen Berufen berichtet. Während in den achtziger Jahren noch der Modellcharakter dieser Ausbildungswege betont wurde, suggerierte die Berichterstattung über die Ausbildung von Bergtechnikerinnen in den neunziger Jahren bereits Normalität. In der Sozialbilanz für das Jahr 1974 – dem Jahr der Reformierung des Schwerbeschädigtengesetzes und dessen Ausweitung – findet die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung erstmals Eingang in die Sozialberichterstattung von Saarberg. Ab diesem Zeitpunkt steht vor 61 Vgl. Höper 2008, S. 182-202; Saarbergwerke Sozialbilanzen 1990-1997. 62 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1973-1997. 63 Wenzel 1978, S. 301. 64 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 61-2. 65 Vgl. Kotthoff/Ochs 1988, S. 190-194.

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allem die Wiedereingliederung verunglückter Bergleute in ihren Beruf oder in alternative Beschäftigungsmöglichkeiten im Vordergrund der Berichterstattung. Zwei Jahre nach Einführung des subventionierten Bundesförderprogramms zur Integration von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz begann Saarberg erstmals über die Quotenerfüllung in der Bereitstellung entsprechender Arbeitsplätze zu berichten und setzte dies für die folgenden Jahre fort.66 Die Sozialbilanzen präsentierten neben den professionellen und sozialen Aspekten auch weitere attraktive Seiten der Ausbildung bei Saarberg: die Vorbereitung auf das Berufsleben durch Gewerkschaftsseminare oder Ferienfahrten für Auszubildende. Saarberg versprach in den siebziger Jahren als einer der größten Arbeitgeber des Saarlandes noch die Übernahme jedes Auszubildenden. Dies änderte sich erst in den achtziger Jahren, als Saarberg ungeachtet der späteren Beschäftigungschancen von Auszubildenden im Bergbau vor allem seinen sozialen Beitrag zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit im Bundesland hervorhob. Saarberg war darum bemüht, mit den Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen seine soziale Leistung für das Saarland herauszustellen. In den siebziger Jahren waren es hochqualifizierende Bildungsmöglichkeiten, die leistungsfähige Auszubildende und künftige Akademiker anziehen sollten, sowie soziale Integrationsmöglichkeiten für benachteiligte Jugendliche; in den achtziger Jahren die grundsätzliche Bereitstellung von Ausbildungsplätzen und in den achtziger und neunziger Jahren die Vorbereitung der Belegschaft auf das erneut einsetzende Arbeitsplatzsterben im Steinkohlenbergbau, das durch Umschulungen, EDV-Schulungen, Existenzgründungen und Ausstiegshilfen sozialverträglich gestaltet werden sollte. In der Sozialbilanz von 1995 wurden diese sozialen Leistungen als Schwerpunkt der Berichterstattung herausgestellt und ausgewählte Mitarbeiter des Unternehmens porträtiert, die von den Umschulungs-, Bewerbungstrainings- und Existenzgründungsangeboten profitiert hatten. Hier wurde die Möglichkeit zur Identifikation mit Betroffenen generiert, die die Situation des Arbeitsplatzverlustes gemeistert hatten, und eine persönliche Ebene in der Berichterstattung geschaffen, die die Distanz zwischen der Unternehmensleitung, die Arbeitsplätze abbaute, und Beschäftigten, die davon betroffen waren, reduzieren sollte.67 Anders als bei der STEAG spielte die Legitimierung des Kohlekraftwerksbaues zur wirtschaftlichen Rettung des Steinkohlenbergbaus in den Sozialbilanzen der Saarbergwerke eine untergeordnete Rolle. Erst in der Sozialbilanz von 1988, die die positiven Auswirkungen der Konzernaktivitäten für das Saarland herausstellen sollte, wird in wenigen Worten auf die ein Jahrzehnt zurückliegenden Proteste gegen den Bau des Großkraftwerkes Bexbach im östlichen Saarland eingegangen, die gegen eine Geldspende des Konzerns an die Standortgemeinde eingestellt worden wa66 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanz 1978, S. 9. 67 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1973-1997.

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ren.68 Obwohl es durchaus weitere Proteste von Bürgerinitiativen gegen den Bau von Großkraftwerken durch die Saarbergwerke AG gegeben hatte,69 präsentierte sich das Unternehmen in den Sozialbilanzen vor allem als beliebter Arbeitgeber in der Region, der im strukturschwachen Saarland Arbeitsplätze bot und sich gegen »ein total schiefes Bild [...] vom subventionierten Großverdiener«70 wehren müsse. Die Aktivitäten von Saarberg seien durch seine enorme Bedeutung als Arbeitgeber von der Akzeptanz der Bevölkerung getragen, die die negativen Folgen des Bergbaus für die Umwelt toleriere.71 Erst in den neunziger Jahren – als Saarberg nicht mehr jene dominante Position als Arbeitgeber in der Region innehatte wie noch in den siebziger Jahren – beschrieb die Saarberg Sozialbilanz den Stellenwert der Akzeptanz für die Auswirkungen des Bergbaus in der Öffentlichkeit und die Bedeutung, die der Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns in diesem Zusammenhang zukomme.72 So wurden in den Saarbergwerke Sozialbilanzen im Rahmen der Sozialrechnung zwar die Ausgaben für Umweltschutzmaßnahmen aufgeführt, innerhalb der verbalen Berichterstattung wurde der Umweltschutz aber erst in den späten achtziger Jahren in die Sozialbilanzen aufgenommen. Entgegen der noch 1978 von Burckhardt Wenzel geäußerten Pläne gab es keine gesonderten Umweltberichte von Saarberg zum Ausbau der Umweltberichterstattung. Vielmehr wurde das Thema vereinzelt aufgegriffen und lediglich zwei Sonderausgaben der Sozialbilanz widmeten sich dem Umweltschutz.73 Der Begriff der Nachhaltigkeit erscheint erstmals in der Sozialbilanz von 1979, bezieht sich hier aber ausschließlich auf eine langfristige Beschäftigungspolitik im Interesse der Arbeitnehmer.74 Bereits 1974 unternahm Saarberg allerdings den Versuch, Informationen über Umweltschutzbemühungen des Konzerns im Saarberg Umweltschutz-Brief zusammenzustellen und intern sowie für ausgesuchte Fachjournalisten zugänglich zu machen. Nach Erscheinen des zweiten Umweltschutzbriefes wurde er jedoch noch im gleichen Jahr wieder eingestellt.75 Obwohl der französische Markt auch in den 1970er Jahren durchaus noch eine Rolle spielte – vor allem für den Absatz von Kokskohle für die Saarbergwerke AG – und Frankreich sich zugleich um eine Reduktion der einst im Saarvertrag verein68 Vgl. Saarbergwerk Sozialbilanz 1988, S. 6-7 u. 19; Christel Szymanski, »Kohlekraftwerk: Ein heikles Geschenk als Friedensstifter. Scharfe Umweltschutzauflagen und eine 400.000-Spende lassen die Protestler verstummen«, in: Die Zeit (05.10.1979), Nr. 41. 69 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 56-58. 70 Saarbergwerke Sozialbilanz 1989, S. 32. 71 Hierzu bes. Saarbergwerke Sozialbilanz 1988. 72 Vgl. Saarberg Sozialbilanz 1994, S. 25. 73 Vgl. Wenzel 1978, S. 304; Kapitel 8.1. 74 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanz 1979. 75 Vgl. Saarberg Umweltschutz-Brief 1974, Nr. 1 (18.01.1974) u. Nr. 2 (13.11.1974).

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barten Liefermengen und Abnahmepreise bemühte,76 schlägt sich die Beziehung zum einstigen Eigentümer und Hauptabnehmer der Saarkohle nicht in den Sozialbilanzen nieder. Zwar sprach sich Wenzel als Hauptverantwortlicher für die Sozialbilanz sogar für die Einführung gesetzlicher Regelungen zur Sozialbilanzierung aus, und auch die Sozialrechnungen von Saarberg waren im Hinblick auf die Belegschaftsaufwendungen ähnlich den französischen Sozialbilanzen durchaus detailliert, jedoch nicht in dem Maße, in dem es die französische Gesetzgebung seit 1978 verlangte.77 Durch die breitere Streuung der Absatzmärkte und die Diversifikation der angebotenen Produkte seit den sechziger Jahren hatte Frankreich ohnehin die Bedeutung als Absatzmarkt eingebüßt, die es noch bis in die späten fünfziger Jahre für die Saarbwergwerke AG hatte. Dagegen hatte unter anderem der ostdeutsche Markt seit 1969 an Bedeutung gewonnen und behielt sie bis zum Beginn der achtziger Jahre.78 5.1.3 Pieroth: »Vermögenspolitik à la ›fröhlicher Weinberg‹« Das Weinvertriebsunternehmen Pieroth aus der rheinland-pfälzischen Gemeinde Rümmelsheim schloss sich als drittes der Gruppe sozialbilanzierender deutscher Unternehmen an und veröffentlichte für die Geschäftsjahre 1973 und 1974 erstmals eine Sozialbilanz. Obwohl das mittelständische Unternehmen nicht der Publizitätspflicht unterlag und bis zu diesem Zeitpunkt keinen Geschäftsbericht veröffentlicht hatte, entschlossen sich die Firmeninhaber Kuno und Elmar Pieroth, sozialbezogene Daten in einer Sozialbilanz zu publizieren. Das Unternehmen Pieroth ging damit nicht den klassischen Weg der zunehmenden Integration sozialer Daten in Geschäftsberichte, sondern plante im Gegenteil als mittelfristiges Ziel die Integration geschäftsbezogener Informationen in die Sozialbilanz.79 Die Firmenerben und Brüder Kuno und Elmar Pieroth bauten das im Weinbau etablierte Familienunternehmen seit den fünfziger Jahren sukzessive zum internationalen Vertriebsunternehmen auf, das zu Beginn der siebziger Jahren zum deutschen Marktführer im Weinvertrieb avancierte. Pieroth erweiterte sein Handelsnetz und expandierte zwischen Ende der 1950er und Mitte der 1970er Jahre im Ein- und Verkauf in die Märkte Frankreichs, Englands, der Benelux-Staaten, der Schweiz, Österreichs, Italiens, Australiens, der USA und Japans.80 Mit der Expansion des Handels wuchs auch die Mitarbeiterzahl, und die Firmeninhaber entschlossen sich, die betriebliche Sozialpolitik des Unternehmens zu reformieren. Kernstück dieser 76 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 41-2 u. 172. 77 Vgl. Wenzel 1981, S. 174; Kapitel 7.2. 78 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 42 u. 162-3. 79 Vgl. Huber 1978, S. 280. 80 Vgl. Faltlhauser 1971, S. 55.

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Neuerungen wurde ein Modell zur Erfolgs- und Vermögensbeteiligung der Mitarbeiter, das sich als ›Pieroth-Modell‹ zu einem der meist beachteten Mitarbeiterbeteiligungsmodelle in der Bundesrepublik entwickelte, nicht zuletzt deshalb, weil Elmar Pieroth für die politische Außenwirkung des im Juli 1968 eingeführten Vorzeigeprojektes sorgte. Er trat 1965 in die CDU ein und wurde 1969 in den Bundestag gewählt, war Mitglied des Wirtschaftsausschusses der CDU und deren vermögenspolitischer Sprecher. In dieser Funktion kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der SPD, die die Arbeitnehmerbeteiligung zu einem ihrer Reformthemen machte und Modelle einer überbetrieblichen Vermögensbildung entwickelte. Insbesondere Elmar Pieroth und der SPD-Abgeordnete Philip Rosenthal gerieten beim Thema Mitarbeiterbeteiligung aneinander. Rosenthal hatte als Vorstandsvorsitzender der Rosenthal AG selbst ein Beteiligungsmodell in seinem Unternehmen eingeführt und gehörte als parlamentarischer Staatssekretär bis November 1971 der Kommission zur Vermögensbildung an, beschäftigte sich aber in der Fraktionsarbeitsgruppe Vermögensbildung auch nach 1971 mit dem Thema.81 In einem Interview mit dem Spiegel im Oktober 1970 bezeichnete Rosenthal das Pieroth-Modell als »Vermögenspolitik à la ›fröhlicher Weinberg‹« und »hochgradiges GewinnGepansche«82, während Pieroth den SPD-Entwürfen mangelnde Reife und Kollektivismus attestierte.83 Rosenthal und der SPD-Abgeordnete Herbert Ehrenberg – späterer Arbeitsminister im Kabinett Schmidt – wollten die Vermögensbildung als sozialdemokratisches Thema der Gesellschafts- und Verteilungspolitik verstanden wissen. Ein Zuwachs des Arbeitnehmereinkommens zur Lebensstandardsicherung sei letztlich nur über die Vermögensbildung zu erreichen, da Nominallohnsteigerungen keine Reallohnsteigerungen seien und die einzig andere Alternative [...] eine Verstaatlichung aller [Herv. i. O.] Unternehmen [wäre], die erfahrungsgemäß in den kommunistischen Staaten nicht zu einer von manchen erwarteten Verbesserung der materiellen und immateriellen Lebenslage der Arbeitnehmer geführt hat und darüber hinaus noch die Möglichkeiten der Gewerkschaften völlig eingeschränkt hat.84

81 Vgl. Faulenbach 2011, S. 219; Philip Rosenthal, »Schade Kollege Pieroth: Mit Schreckgespenstern macht man keine gute Politik«, in: Sozialdemokratischer Pressedienst 34 (25.09.1979), Nr. 184, S. 1-2. 82 O.A., »Machbare Gerechtigkeit: Spiegel Interview mit Wirtschafts-Staatssekretär Philip Rosenthal«, in: Der Spiegel 24 (26.10.1970), Nr. 44, S. 32. 83 Vgl. Rosenthal, »Schade Kollege Pieroth« (25.09.1979); Faltlhauser 1971, S. 128-9. 84 AdsD 5/DGCS 000009: Brief von Ehrenberg und Rosenthal an Heinz-Oskar Vetter (23.06.1976), S. 1.

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Die Vermögensverteilung stand mit der Rezession von 1966/67 wieder verstärkt auf der politischen Agenda: Eine gerechte Verteilung des Kapitals sollte zur sozialen Stabilität als tragender Säule der sozialen Marktwirtschaft beitragen. Während das erste und zweite Vermögensbildungsgesetz (1961 und 1965) vor allem für höhere Einkommensgruppen Vorteile und Sparanreize schuf, brachte das dritte Vermögensbildungsgesetz auch Arbeitnehmern mit kleineren Einkommen Sparvorteile. Letztlich aber führte das staatlich geförderte Vermögensbildungsmodell nicht zu einer Umverteilung des Kapitals, sondern stellte vielmehr eine »großzügige[ ] Sparförderung«85 für Arbeitnehmer dar.86 Auf das stabilitätsfördernde Moment setzte auch Pieroth bei der Einführung des Gewinnbeteiligungsmodells und konzipierte es als »soziales Regulativ«87, das Arbeitnehmer mit Kindern und geringerem Verdienst besonders förderte. Das PierothModell präsentierte sich als Vermögensförderung, die den Gegensatz von Arbeit und Kapital vermindern wolle,88 trug allerdings auch unverhohlen paternalistische Züge, wenn in der schriftlichen Fassung von 1968 betont wird, dass selbst hohe Löhne allein nicht zur Vermögensbildung genügten und durch die Beteiligung am Unternehmenserfolg eine Spargrundlage geschaffen werde, »die nicht gleich konsumiert wird.«89 Die Akzeptanz für Beteiligungsmodelle könne durch einen »langfristigen Erziehungsprozeß«90 der Arbeitnehmer und flankierende gesetzliche Maßnahmen erreicht werden und damit einen ähnlichen Stellenwert wie das Bausparen bekommen, das von den Arbeitnehmern längst akzeptiert sei. Wichtig für die Akzeptanz sei vor allem eine transparente Struktur des Modells, die Rosenthal am Pieroth-Gewinnbeteiligungsmodell allerdings in Frage stellte.91 In Sozialbilanzen sah Elmar Pieroth ein geeignetes Mittel »offensiver Verteidigung unserer sozialen Marktwirtschaft«92. Die Publikationen stellten das Beteiligungsmodell des Unternehmens als komplementäres Instrument der betrieblichen Sozialpolitik in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Die Information der Mitarbeiter und Mitsprache auf der einen, das Beteiligungsmodell auf der anderen Seite bildeten zwei Säulen einer betrieblichen Sozialpolitik, die von den Mitarbeitern als partnerschaftlich verstanden würde, die Identifikation mit dem Unternehmen fördere und zur Übernahme von Verantwortung ermutige. Eine Umfrage unter den 85 Faulenbach 2011, S. 219. 86 Vgl. Abelshauser 2011, S. 299 u. 346-355. 87 Faltlhauser 1971, S. 113. 88 Vgl. Faltlhauser 1971, S. 17 u. 57; E. Pieroth 1976, S. 349 u. 345. 89 Faltlhauser 1971, S. 73. 90 Ebd., S. 28. 91 Vgl. ebd., S. 113-4. 92 O.A., »Sozialbilanzen: Hilfe für den Fiskus«, in: Der Spiegel 32 (21.08.1978), Nr. 34, S. 80-82, hier S. 81.

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Pieroth-Beschäftigten im Jahre 1971 hatte ergeben, dass diese mehr Informationen aus dem sozialpolitischen Bereich – auch über Einzelheiten zum Pieroth-Modell – wünschten.93 Die Sozialbilanz wurde damit zur Informationsplattform für die Beschäftigten und zur Verteidigungsstrategie gegenüber den Kritikern der umstrittenen Gewinnbeteiligung. Obwohl die Gewinnbeteiligung bei ihrer Einführung ein Wagnis gewesen sei und wie alle sozialpolitischen Instrumente wechselhaften Forderungen der unternehmerischen Umwelt unterliege, habe sie sich bei den Mitarbeitern etabliert, denen sie durch Zinserträge »ein zweites Einkommen«94 biete. Darüber hinaus sei sie zum Vorbild für andere Unternehmen geworden. Die Bedeutung der Vermögensbildung offenbarte sich auch in der Sozialrechnung innerhalb der Sozialbilanz: Sie stellte im Bereich der Leistungen an die Mitarbeiter den drittgrößten Posten nach Löhnen/Gehältern und den gesetzlich festgeschriebenen Sozialbeiträgen zur Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung dar.95 Die erste Sozialbilanz von Pieroth für die Geschäftsjahre 1973/74 (erschienen im Oktober 1975) war am Begriff der Bilanz orientiert und beschränkte sich auf eine gesellschaftsbezogene Leistungsrechnung, die die Aufwendungen des Unternehmens nach Vorbild der STEAG Sozialbilanz im inneren und äußeren Beziehungsfeld abbildete. Diese Darstellung quantifizierter Sozialleistungen, Umweltschutzmaßnahmen und philanthropischer Zuwendungen wurde allerdings durch verbale Erläuterungen umfassend ergänzt. Die Erläuterungen enthielten nicht nur Aussagen zum gesellschaftlichen Nutzen der Aufwendungen, sondern auch zu denkbaren gesellschaftlichen Schäden. Zwar wurden diese selektiv präsentiert, dennoch war diese Art der Darstellung eine Neuerung in der Sozialberichterstattung deutscher Unternehmen. Vor allem antizipierte sie die zu erwartende Kritik an vereinzelten Posten der Leistungsrechnung. So gibt Pieroth als potentiellen gesellschaftlichen Schaden des Gewinnbeteiligungsmodells die Einschränkung der Mitarbeitermobilität an und greift damit einen der zentralen Kritikpunkte an diesem Modell auf. Andere benannte gesellschaftliche Schäden in der Sozialbilanz beziehen sich insbesondere auf die Bereiche Bildung, Lohnerhöhungen, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Marktmacht. Vorworte des Aufsichtsratsvorsitzenden Elmar Pieroth und des Geschäftsführers Adolf Huber, der diese Aufgabe 1971 von Elmar Pieroth übernommen hatte, begleiteten das Zahlenwerk. Sie gingen einerseits auf methodische Schwierigkeiten und andererseits auf kritische Themen wie die Stellung des Unternehmens in der Gesellschaft oder hohe staatliche Ausgaben für soziale Zwecke ein. Elmar Pieroth beschrieb die Aufgabe der Sozialbilanz als Koordinationsinstrument, um unternehmerische und staatliche Aufgaben im Hinblick auf gesellschaftliche Ziele in Einklang zu bringen. Zwar werden die deutlichen Pa93 Vgl. Faltlhauser 1971, S. 31-2. 94 Pieroth Sozialbilanz 1975/76, S. 10. 95 Vgl. Pieroth Sozialbilanz 1973/74, 1975/76, S. 9-10 u. 17-19; E. Pieroth 1976.

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rallelen zu Dierkes Goal Accounting-Modell von Pieroth in der Sozialbilanz nicht explizit benannt, sie treten aber dennoch in seinen Erläuterungen und im ergänzenden Schaubild der Sozialbilanz von 1973/74 deutlich hervor. Pieroth stellte ökonomische und gesellschaftsbezogene Ziele als gleichwertige Unternehmensziele nebeneinander und betonte die wichtige Funktion der Sozialbilanz, um die Erreichung der gesellschaftsbezogenen Ziele kontrollieren zu können.96 In der zweiten Sozialbilanz 1975/76 entwarf Adolf Huber schließlich die Vision einer dem Goal Accounting-Konzept folgenden integrierten Berichterstattung nach dem Vorbild der Deutschen Shell.97 Abbildung 6: Von Dierkes inspiriertes Schaubild zum Zielsystem Pieroths

Quelle: Darstellung in der Pieroth Sozialbilanz 1973/74. 96 Vgl. Pieroth Sozialbilanz 1973/74; Kapitel 3.2.3. 97 Vgl. Pieroth Sozialbilanz 1975/76, S. 4.

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Abbildung 7: Unternehmensbeziehungen von Pieroth im Stakeholder-Modell

Quelle: Darstellung in der Pieroth Sozialbilanz 1973/74.

Huber erklärte, die erste Pieroth Sozialbilanz solle vor allem ein praktischer Beitrag zur Sozialbilanzdebatte sein und sich nicht zu hohen wissenschaftlichen Ansprüchen und dem Drang zur umfassenden Quantifizierung von Input- und insbesondere von Outputdaten beugen. Trotzdem bezog sich Huber in seinen Erläuterungen zu den methodischen Grundlagen der Sozialbilanzerstellung bei Pieroth auf die wissenschaftlichen Arbeiten von Wysocki, Bauer und Fenn.98 Huber unterstreicht mit

98

Vgl. Pieroth Sozialbilanz 1973/74; Huber 1978; Kapitel 3.

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seinem Plädoyer für einen pragmatischen Ansatz der Sozialbilanzerstellung die Bedeutung von Verständlichkeit und Lesbarkeit einer Sozialbilanz. Mit einer Infografik werden die Adressaten der Publikation, die zugleich die Anspruchsgruppen des Unternehmens sind, in der Sozialbilanz benannt. Auch der Leiter der volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Abteilung der deutschen Pieroth-Gruppe und Mitverantwortliche für die Sozialbilanz des Unternehmens, Kurt Faltlhauser,99 sprach sich für eine pragmatische Orientierung in der Sozialbilanzerstellung aus und bezog eine eindeutige Position zum Verhältnis von wissenschaftlichem wie reformatorischem Anspruch gegenüber der praktischen Umsetzung der Sozialbilanz. Der Anspruch müsse der Realisierbarkeit im Unternehmen entsprechen, andernfalls würden Unternehmen nicht motiviert, überhaupt Sozialbilanzen zu veröffentlichen. Darüber hinaus müsse das durch die Veröffentlichung signalisierte Zugeständnis an die Anspruchsgruppen des Unternehmens und die Berücksichtigung gesellschaftlicher Ziele auch ordnungspolitisch vertretbar sein: Mit der Erstellung und der Veröffentlichung einer ›Sozialbilanz‹ trifft ein Unternehmer eine Aussage zur Stellung des Unternehmens innerhalb der Gesellschaft. [...] ›Sozialbilanzen‹ eines, mehrerer, aller Unternehmen können sich durchaus einpassen in die Grundlinien unserer sozialen Marktwirtschaft. Die Sozialbilanz kann jedoch auch als Instrument entwickelt werden, unverzichtbare Elemente dieser sozialen Marktwirtschaft zu beseitigen oder zu unterhöhlen.100

Faltlhauser vertrat offen seine konservativen Überzeugungen und die auf Arbeitgeberseite nicht seltenen Befürchtungen der Ausbreitung linksradikaler Gesellschaftsentwürfe. Nicht nur betrachtete er den Wertewandel in der Gesellschaft gemäß der Maslowschen Bedürfnispyramide als Ausdruck des materiellen Überflusses und als Sinnbild eines zunehmenden Werteverfalls; die Ausrichtung wirtschaftlicher Aktivität auf ein vermeintlich diffuses Ziel wie die Verbesserung der Lebensqualität gefährde durch seine Ideologisierung und Instrumentalisierung – nicht zuletzt durch die Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung – auch die Grundfesten der Wirtschaftsordnung.101 99

Vgl. Faltlhauser 1971; ders., »Wachsende gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmung ... wie können wir sie rechtfertigen?« in: Management Zeitschrift io 48 (1979) Nr. 6, S. 271-275; Faltlhauser begann 1968 für Pieroth zu arbeiten und schrieb seine Dissertation über das Beteiligungsmodell des Unternehmens. 1974 zog Faltlhauser als CSU-Abgeordneter in den Bayrischen Landtag, 1980 in den Bundestag ein. Zwischen 1998 und 2007 bekleidete er das Amt des Bayrischen Finanzministers.

100 Faltlhauser 1978a, S. 13. 101 Vgl. ebd., S. 13-21.

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Neben der Darstellung potentieller Schäden zog die Pieroth Sozialbilanz durch die Testierung der Publikation die Aufmerksamkeit wissenschaftlicher Autoren auf sich.102 Ziehm, Fischer-Winkelmann und Peters sahen in der ersten Pieroth Sozialbilanz gegenüber den Versuchen von STEAG und Saarberg einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Sozialbilanzdiskussion, weil das mittelständische Unternehmen erstens eine sehr offensive Kommunikationspolitik verfolge, die gegenüber den Großkonzernen nicht durch öffentlichen Druck induziert worden sei; und zweitens habe die Auflistung potentieller oder tatsächlicher sozialbezogener Schäden der Sozialbilanz mehr Glaubwürdigkeit verliehen.103 Auch Dorothee Müller-Hagen vom Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung der BDA lobte die Darstellung sozialer Schäden und Versäumnisse seitens des Unternehmens in der Pieroth Sozialbilanz und deren Testierung durch einen Wirtschaftsprüfer als Weiterentwicklung der Publikationsform.104 Hans-Detlev Küller vom DGB bemängelte dagegen die Darstellung der externen Effekte des Unternehmens Pieroth als unsystematisch und einseitig. Durch das Testat werde der Versuch unternommen, »einer unternehmerischen Meinungsäußerung den Mantel des Objektiven umzuhängen.«105 Die Verwendung des Bilanzbegriffes suggeriere ebenfalls eine Objektivität, die von der Willkürlichkeit der Auswahl sozialer Leistungen und Schäden in der Sozialbilanz ablenken solle. So kritisierte Küller – teils polemisch – die Erläuterungen zu den gesellschaftlichen Schäden hinsichtlich der Lohn- und Gehaltssumme. Pieroth stellte in der Sozialbilanz 1973/74 beispielsweise Lohnerhöhungen als potentiellen gesellschaftlichen Schaden dar, weil sie die Gewinnsumme des Unternehmens reduzierten und dem Staat somit Steuereinnahmen entgingen. Wenn Pieroth im Detail über potentielle Schäden berichte, müsse dies auch lückenlos geschehen, forderte Küller. So könne beispielsweise auch der Rückgang des Absatzes als gesellschaftsbezogener Nutzen in der Pieroth Sozialbilanz ausgewiesen werden, denn ein geringerer Weinabsatz könne als »›Beitrag zur Erhaltung der Volksgesundheit‹ bezeichnet werden, denn wenn weniger Wein getrunken wird, dürfte die Zahl der Leberschäden in der Bevölkerung entsprechend zurückgegangen sein.«106 Küller warf Elmar Pieroth vor, die Sozialbilanz für Zwecke der Selbstdarstellung und zur Förderung der eigenen politischen Karriere zu missbrauchen. Die Erläuterungen zum Gewinnbeteiligungsmodell bei 102 Vgl. Ziehm 1978, S. 130-132; Zimmermann 1980, S. 168-177. 103 Vgl. Fischer-Winkelmann 1980, S. 81-82; Peters 1979, S. 25-27; Ziehm 1978, S. 123127. 104 BDA Abt. VII: Müller Hagen, Gesellschaftsbezogene Berichterstattung (28.10.1975), S. 3-6. 105 AdsD 5/DGAI 000254: Küller, Analyse der Sozialbilanzen der Firmen STEAG, Saarbergwerke und Pieroth (Mai 1976), S. 9. 106 Ebd., S. 11.

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Pieroth seien in ihrer Darstellung sogar geradezu irreführend und nicht am Interesse der Beschäftigten orientiert. Küller unterstützte damit die gewerkschaftliche Linie, die Vermögensbildungsmodelle ablehnte, weil sie auf betrieblicher Ebene die Mobilität der Arbeitnehmer einschränke und das staatlich geförderte Modell unter dem Verdacht stand, aus den Arbeitnehmern wenig streitbare »Kleinkapitalisten«107 zu machen. Die Vorstellung Elmar Pieroths vom idealen Arbeitnehmer zielte tatsächlich auf ein unternehmerisches Selbst und Selbständigkeit als »soziale Grundverhaltensform«108. Der eigenständig agierende Arbeitnehmer solle durch die Rahmenbedingungen der Führung und Organisation im Unternehmen zum selbstverantwortlichen, motivierten und effizient arbeitenden Mitglied des Unternehmens werden, das an der Verwirklichung der zentralen Unternehmensziele mitwirke, sich selbst, seine Kollegen und die Ausgaben im Unternehmen kontrolliere. Teil dieser Rahmenbedingungen seien die Mitarbeiterbeteiligung zur Motivation, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie eine humane Arbeitsgestaltung.109 Diese drei Elemente bildeten den inhaltlichen Schwerpunkt der zweiten Pieroth Sozialbilanz, die 1977 für die Geschäftsjahre 1975/76 erschien. Die Publikation thematisierte den allmählichen Anstieg des Bildungsniveaus bei den Beschäftigten, die Umsetzung von Maßnahmen zur Humanisierung des Arbeitslebens und von konkreten gesetzlichen Vorschriften. Im Mittelpunkt standen auch weiterhin die Besonderheiten des Pieroth-Modells, das Vorbild für andere Unternehmen geworden sei, inzwischen den Status eines »ausgereifte[n] System[s]«110 erlangt habe, aber weiterhin unter Mitarbeitern und in der Öffentlichkeit beworben werden müsse.111 In der zeitgenössischen Sekundärliteratur gibt es vereinzelte Hinweise auf zwei weitere Ausgaben der Sozialbilanz für die Geschäftsjahre 1977/78 und 1979/80,112 allerdings sind diese Ausgaben weder bei Pieroth noch in Bibliotheksbeständen überliefert. Mitte der achtziger Jahre versuchte sich das Unternehmen nach einem medienwirksamen Lebensmittelskandal gänzlich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen und unternahm keine weiteren Versuche einer gesellschafts- oder umweltbezogenen Publizität. Im Sommer 1985 wurde bekannt, dass von Pieroth vertriebene Weine das Frostschutzmittel Diethylenglykol enthielten. Auf diesen Glykolskandal folgten Rückrufaktionen, erhebliche Umsatzeinbußen und Anklagen gegen die Unternehmensverantwortlichen. Darüber hinaus offenbarte der Skandal die Vertriebs107 Faulenbach 2011, S. 219; vgl. Hockerts 2011, S. 187. 108 Pieroth 1977, S. 408. 109 Vgl. o.A., »Verantwortung beweisen: Elmar Pieroth, erfolgreicher Unternehmer und Abgeordneter der CDU im Bundestag«, in: Die Zeit (14.02.1975); Pieroth 1977. 110 Pieroth Sozialbilanz 1975/76, S. 9. 111 Vgl. Pieroth Sozialbilanz 1975/76. 112 Vgl. Anders 1988; Borkowski 1988.

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wege des Unternehmens und deklarierte Pieroth als multinationales Vertriebsunternehmen, das im Kontrast zum öffentlichen Bild als Weinkellerei mit einem exklusiven Direktvertriebsnetz stand. 1988 wurde die Pieroth Gruppe schließlich in Wein International Weingüter- und Kellerei-Verwaltungs-GmbH (WIV, heute Wein International AG) umbenannt.113 5.1.4 BASF: »Aktionäre sind auch Menschen« Wie Saarberg und Pieroth begann auch die BASF für das Geschäftsjahr 1973 mit ihrer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung im Sinne einer Sozialbilanz, indem erstmals der Sozialbericht Menschen – Arbeit – Geschäft als Sonderausgabe der Werkszeitschrift BASF information erschien. Er wurde 1975 um den Zusatztitel Sozialbilanz ergänzt. Das Unternehmen reagierte allerdings auf die öffentliche Diskussion um den Begriff der Sozialbilanz und entschied sich gegen eine weitere Verwendung des Zusatztitels. In den Folgejahren erschienen die Publikationen wieder als Sozialberichte und für die Jahre 1976 bis 1984 unter dem zusätzlichen Titel Menschen – Arbeit – Geschäft, für 1985 bis 1992 in dem Format Menschen – Arbeit – Gesellschaft und bis 2000 weiterhin als Beilage der BASF information.114 Da die BASF ihren Sozialbericht nur für das Jahr 1975 unter dem Zusatztitel Sozialbilanz veröffentlichte, wird die Publikation im Folgenden deshalb als Sozialbericht bezeichnet. Die 1865 gegründete Badische Anilin- und Sodafabrik AG (BASF) in Ludwigshafen war aus der Mannheimer Teerfarbenfabrikation hervorgegangen. Als Chemieunternehmen war die BASF in Konkurrenz zur bereits angesiedelten Industrie einerseits gerade zu Beginn der hohen Fluktuation von gering qualifizierten Chemiearbeitern ausgesetzt, die es an das Unternehmen zu binden galt, und andererseits auf der Suche nach qualifizierten Beschäftigten im Entwicklungsbereich. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert wuchs vor allem die Bedeutung des Faktors Wissen für die Produktionsbedingungen stetig. Die BASF reagierte darauf mit der Veröffentlichung von Sozialberichten, die das Angebot der freiwilligen sozialen Leistungen im Unternehmen bewarben.115 1925 ging die BASF neben Bayer, den Farbwerken Hoechst und weiteren Unternehmen der Chemiebranche in dem Firmenkonglomerat I.G. Farbenindustrie auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg entflochten wurde. Wäh113 Vgl. o.A., »›Die Geschichte zum Wein gehört dazu‹. Das Unternehmensgespräch: Johannes Pieroth, geschäftsführender Gesellschafter der WIV Wein International AG«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.06.2011); o.A., »Höchste Kunst«, in: Der Spiegel 39 (19.08.1985), Nr. 34, S. 81-82; Peter Schelling, »Gepanschter Wein: Glykol – Die Mutter aller Lebensmittelskandale«, in: Die Welt (09.07.2010). 114 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1975; Mattke 2006, S. 172-178. 115 Vgl. von Hippel 2002; Kapitel 1.

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rend die Zerschlagung der I.G. Farben und die Neugründung der BASF AG 1952 eine Zäsur suggerieren, zeigten sich keine radikalen Veränderungen in der Personalpolitik des Unternehmens gegenüber den vorangegangenen Dekaden. Der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften für die Fortführung der Strategie einer »diversifizierten Qualitätsproduktion«116 war nach dem Krieg hoch, und die Anzahl der Mitarbeiter in der BASF wuchs in den ersten zehn Jahren schnell an.117 Mit Beginn der 1960er Jahre zeigte sich allmählich, dass die Organisationsstruktur der BASF angesichts ihrer Größe und Marktkonkurrenz zu wenig Flexibilität besaß – und dies nicht nur in Bezug auf ökonomische Herausforderungen zur Finanzierung der weiteren Expansion, sondern auch hinsichtlich der sozialen. Fordernde Gewerkschaften und Kritik am Unternehmen als Umweltverschmutzer erforderten eine veränderte Unternehmenskommunikation nach innen wie außen, um Sozialpartnerschaft und Standort nicht zu gefährden. Die sukzessive Veränderung der Organisationsstruktur sollte Abhilfe schaffen. 1961 wurden erste Elemente divisionaler Organisation eingeführt. Bernhard Timm übernahm 1965 den Vorstandsvorsitz von Carl Wurster und leitete die Abkehr vom tradierten, technisch geprägten Unternehmensleitbild hin zum »Primat der Betriebswirtschaft«118 ein. Die Reform des Aktienrechtes 1966 forderte die Implementation einer Geschäftsordnung, auch wenn diese de facto hinsichtlich der Führungsorganisation innerhalb des BASFVorstandes zunächst keine allzu großen Veränderungen mit sich brachte. Ab Mitte der 1960er Jahre gab es Überlegungen zu einer weiteren Reform der Organisationsstruktur in Richtung einer vollständigen Umstellung auf eine divisionale Organisation, die mehr Dezentralität und Delegation von Entscheidungen im Konzern befördern sollte. Diese Überlegungen wurden ab 1968 von McKinsey als externer Unternehmensberatung begleitet, die unter anderem auch zu einer Reform der Unternehmensphilosophie riet. Die Umstrukturierungen fanden erst zu Beginn der 1980er Jahre ihren Abschluss mit einer weiteren Revision der Organisationsstruktur, die 1978 eingeläutet worden war.119 Im Zuge der Umstrukturierungen und Expansion des Konzerns wuchsen die Kompetenzen der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit (AOA) kontinuierlich an. Sie entwickelte Strategien zum Aufbau eines positiven Unternehmens- und Konzernimages der BASF im In- und Ausland. Die AOA zählte Mitte der 1970er Jahre zu den größten und professionellsten PR-Abteilungen innerhalb der westdeutschen Industrie. Maßgeblich verantwortlich für diese Professionalisierung zeichnete der

116 Abelshauser 2002, S. 375. 117 Vgl. ebd., S. 374-7 u. 637; Stokes 2002, S. 355-8. 118 Abelshauser 2002, S. 483; vgl. ebd., S. 436 u. 632; Stokes 2002, S. 225. 119 Vgl. Abelshauser 2002, S. 385-6, 478-489 u. 552-584; BASF Sozialbericht 1980, S. 910; Rosenberger 2008, S. 399.

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»PR-Papst«120 Albert Oeckl, der bereits zwischen 1936 und 1941 zunächst in der Nachrichtenstelle, dann in der Direktionsabteilung der I.G. Farben arbeitete, ab 1951 die Pressestelle des DIHT leitete und von 1959 bis 1974 die Leitung der BASF-Öffentlichkeitsarbeit übernahm. Als Gründungsmitglied der DPRG übernahm er darüber hinaus in der Nachfolge von Carl Hundhausen die Präsidentschaft der Gesellschaft zwischen 1961 und 1967 und setzte sich als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates im wissenschaftlichen Institut der DPRG – dem Deutschen Institut für Public Relations (DIPR) – die Professionalisierung der Ausbildung und Berufsstandards für die Öffentlichkeitsarbeit zum Ziel. Während Oeckl die Öffentlichkeitsarbeit der BASF systematisch ausbaute, stieg er 1961 zum stellvertretenden Direktor und 1967 zum Direktor auf. Oeckls Strategie für die BASF beruhte auf seinem Verständnis von PR-Arbeit, die in erster Linie Vertrauen herstellen sollte. Er verfolgte eine offensiv-vorbeugende Strategie sowohl für die interne Kommunikation mit den Mitarbeitern wie für die externe Kommunikation mit Anwohnern, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Unter seiner Leitung wurde 1960 die Außenstelle Bonn der AOA eingerichtet, um die Kommunikation zwischen BASF und Ministerien sowie in- und ausländischen Regierungen zu verbessern. Das ebenfalls in diesem Jahr geschaffene Ressort AOA/Allgemein vereinte eine Vielzahl an Zuständigkeiten und vertrat die BASF nach außen gegenüber Wirtschafts- und PRVerbänden, in- und ausländischen Medien und der breiten Öffentlichkeit, dokumentierte und archivierte die Berichterstattung über den Konzern und war darüber hinaus auch für die Kommunikation zwischen Führung und Mitarbeitern verantwortlich. Der systematische Einsatz wissenschaftlicher Methoden und Theorien wurde schließlich durch die 1963 eingerichtete Gruppe PR-Grundlagen und -Aktionen institutionalisiert, und die PR-Arbeit der BASF gewann unter anderem durch den Einsatz von extern ausgerichteten Image-Umfragen an Gehalt. Oeckls Ziel war es, die BASF als vertrauenswürdiges, fortschrittliches, sicheres und offenes Unternehmen zu präsentieren. Er forcierte dies durch die stete Ausdifferenzierung der PR-Arbeit im In- und Ausland sowie durch aufmerksame Kontaktpflege zu den Medien und deren progressive Nutzung. Oeckl war sich durchaus bewusst, dass er auf die öffentliche Meinung durch die vielfältigen Aktivitäten der BASF-Öffentlichkeitsarbeit zwar Einfluss nehmen konnte, die externe journalistische Berichterstattung aber immer noch mehr Glaubwürdigkeit besaß als die unternehmenseigene.121 Nicht unerheblich war die Positionierung der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des Konzerns. Oeckl etablierte die Trennung von Werbung und Öffentlichkeitsarbeit im Unternehmen, sorgte damit dafür, dass die AOA direkt dem Vorstandsvorsitzenden unterstellt war und sicherte sich die Budgetverantwortung für das eigene Ressort. Die Aufgaben des Ressorts wurden immer wieder der sich verändernden 120 Heinelt 2003. 121 Oeckl 1976, S. 132-3.

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Unternehmensstruktur und der expansiven Strategie des Konzerns angepasst: durch den Versuch, die Auslandsbüros der PR-Abteilung gut zu besetzen, durch die Kontaktpflege zu ausländischen Journalisten und Ministerien sowie durch die in mehreren Sprachen erscheinenden Unternehmenspublikationen über das Unternehmen zur betrieblichen Sozialpolitik oder zum Umweltschutz bei BASF. Die Bedeutung dieser Maßnahmen zur PR-Förderung sahen die Verantwortlichen – allen voran Oeckl – auch in der sich inzwischen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch publizistisch formierenden Konkurrenz durch Bayer und Hoechst. Der Expansionskurs der BASF schlug sich unmittelbar in der Publikationspolitik des Unternehmens nieder. So wurde die Werkszeitung 1962 aufgespalten in die BASF Nachrichten als Zeitschrift für die Mitarbeiter einerseits und andererseits die Hauszeitschrift Die BASF, die sich vor allem an einflussreiche Funktionsträger in der Gesellschaft wie Politiker im In- und Ausland, Vertreter aus Bildungsinstitutionen oder Wirtschaftsverbänden richtete und über die wichtigsten technischen und ökonomischen Entwicklungen des Konzerns berichtete. Beide Publikationen erschienen – neben dem Geschäftsbericht und weiteren Informationsbroschüren zu Spezialthemen wie Umweltschutz – mehrsprachig und wurden je nach Aktivitäten der BASF im Gastgeberland und den dortigen institutionellen Rahmenbedingungen auch inhaltlich den Adressatenländern angepasst, wie das Beispiel eines stärkeren Fokus auf den Umweltschutz in den USA zeigt. Aus Kostengründen verschmolzen diese Publikationen seit der Rezession 1966/67 immer stärker miteinander und die Werkszeitung erhielt den Titel BASF information, der auch für internationale Zwecke brauchbar schien.122 Bereits seit den sechziger Jahren hatten die Herausforderungen der Öffentlichkeitsarbeit zugenommen. Glichen die Beziehung zu Beschäftigten und Arbeitnehmervertretern in den fünfziger Jahren einer friedlichen Sozialpartnerschaft, weil das Unternehmen seine qualifizierte Belegschaft und diese wiederum die Arbeitsbedingungen schätzte,123 so wurde dieses partnerschaftliche Verhältnis in den sechziger und siebziger Jahren gestört. Durch gewerkschaftlichen Einfluss wurden Verteilungsfragen geschürt, die angesichts der einsetzenden Rezession in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre an Gewicht gewannen. Darüber hinaus lag es im Hinblick auf sinkende Mitgliedszahlen im Interesse der Industriegewerkschaft ChemiePapier-Keramik (IG CPK), die eigene Existenzberechtigung durch eine aggressivere Tarifpolitik herauszustellen. 1973 kam es zu Warnstreiks, 1977 war die Streikbereitschaft unter den Gewerkschaftsmitgliedern erneut hoch. Der Expansionskurs des Unternehmens zwang zur Rationalisierung, warf die Frage auf, ob der Standort 122 Vgl. BDA Abt. VIII: Informationsbericht über betriebliche Publizistik (26.10.1972), Nr. 9, »Bei der BASF zu Gast«; Eberhard B. Freise, »Lesen mit Gewinn: Zeitungslektüre im Betrieb«, in: Manager Magazin 4 (1976), Nr. 2, S. 60-64, hier S. 64; Heinelt 2003, S. 87-129; Mattke 2006, S. 110-178; Oeckl 1976, S. 99 u. 373-9. 123 Vgl. Abelshauser 2002, S. 374-7; Stokes 2002, S. 354-5.

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Ludwigshafen dem Expansionsdruck auf Dauer standhalten würde und beförderte die Abkehr vom technischen hin zum betriebswirtschaftlichen Leitbild. Die stärkere Ausrichtung an betriebswirtschaftlichen Konzepten und damit letztlich an Gewinnzahlen musste gegenüber den Beschäftigten, Gewerkschaften und einer kritischen Öffentlichkeit gleichermaßen als angemessene und notwendige Strategie kommuniziert werden. Schließlich wurden auch die Umweltprobleme – die Luft- und Wasserverschmutzung entlang des Rheins – als zunehmend problematischer bewertet als dies noch in den vierziger und fünfziger Jahren der Fall gewesen war. Einen Proteststurm lösten schließlich die Pläne der BASF zum Bau eines Atomkraftwerkes (AKW) aus, die 1967 aufgrund der durch Nahost- und Nigeriakonflikt bedroht erscheinenden Erdölversorgung konkrete Form annahmen. Da Erdöl dem Unternehmen sowohl als Energie- als auch als Rohstoffquelle diente, schien zumindest die Substitution in der Energieversorgung ratsam, denn eine Dekade zuvor hatte schon der Rohstoff und Energieträger Kohle seine Krisenanfälligkeit demonstriert. Zunächst schmiedete die BASF Pläne für ein unterirdisches AKW, die aus Sicherheitsgründen aufgegeben wurden. Die Pläne für den Bau des nahegelegenen AKWs Biblis sorgten 1970 schließlich für die Rückstellung der BASF-Pläne um zwei Jahre bis 1973 eine erneute Genehmigung für den AKW-Bau in Aussicht stand. Der wiederholte Protest gegen die geplanten Sonderregelungen für das BASF-AKW in dicht besiedeltem Gebiet und die allgemein zunehmenden Proteste gegen die Nutzung von Atomkraft forderten schließlich die Kommunikationspolitik der BASF heraus.124 Diese »Summe [von] Imageschäden«125 erforderte eine geeignete Krisenkommunikation des Unternehmens nach innen wie außen. Denn auch bei BASF wurde die veränderte Haltung der Bevölkerung zum Umweltschutz wahrgenommen, die durch Veröffentlichungen wie die Studie des Club of Rome126 oder im allgemein zunehmenden Fortschrittspessimismus ihren Ausdruck fand: »Für alle Industrien und Industrieunternehmungen sind die Zeiten vorbei, in denen sie die Einstellung der Umgebung einfach unter Hinweis auf die Steuerkraft und die Vielzahl von Arbeitsplätzen negieren konnten.«127 Neben Sonderpublikationen und gezielten PRAktionen wie der Umweltschutzwoche 1973 gehörte eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung zu den Strategien der BASF, um den Protesten gegen das AKW ak-

124 Vgl. Abelshauser 2002, S. 410-7, 439-440, 456, 482-3, 491 u. 507-520; Hermann Böfieneeker, »Die verschmähten Retter: Nur Kernkraftwerke können die Energielücke schließen«, in: Die Zeit (24.08.1973), Nr. 35; Heinelt 2003, S. 117-119; Marx 2015; Kapitel 2. 125 Abelshauser 2002, S. 482. 126 Vgl. Kapitel 2 u. 8.1. 127 BASF Sozialbericht 1974, S. 31.

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tiv zu begegnen.128 1974 wurde ein interner Arbeitskreis im Unternehmen aus Mitgliedern der Ressorts Personal und Öffentlichkeitsarbeit gegründet, der sich mit den bereits vorhandenen Konzepten und Beispielen zur Sozialbilanz auseinandersetzte und Überlegungen zu einer Umsetzung im eigenen Unternehmen anstellte.129 Bereits 1970 wurde ein Umweltschutzreferat innerhalb der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet und die BASF begann in ihren Geschäftsberichten über Umweltschutz zu berichten. Im ersten Sozialbericht von 1973 wurde die Umweltberichterstattung erweitert. Die wirtschaftlichen Bedingungen durch die Ölpreiskrise gehörten ebenso wie das geplante Atomkraftwerk zu den Berichtsthemen, die bis 1982 in den Sozial- und Geschäftsberichten der BASF immer wieder aufgegriffen wurden. BASF bewarb das konzerneigene Atomkraftwerk mit der sich bietenden Unabhängigkeit von Öl und Kohle und der damit einhergehenden Reduktion von Emissionen am Standort Ludwigshafen. Die Risiken der Technologie fanden dagegen ebenso wenig Eingang in die Berichterstattung wie die Proteste gegen das AKW oder die Kosten für Errichtung und Betrieb des Kraftwerkes. An anderer Stelle beklagte BASF allerdings die erhöhten Kosten durch steigende Umweltschutzauflagen und verwehrte sich gegen eine kontinuierlich verdichtete gesetzliche Regulierung in diesem Bereich, die dem Unternehmen im internationalen Wettbewerb Nachteile verschaffe; eine Klage, die sich in der Umweltberichterstattung des Unternehmens bis in die 1990er Jahre fortsetzte.130 Hinsichtlich der Ausgaben für Forschung und Entwicklung allerdings hob die BASF in ihrer umweltbezogenen Berichterstattung bereits 1973 hervor, dass es die »permanente Zielsetzung«131 des Unternehmens sei, den Umweltschutz bereits im Stadium von Forschung und Entwicklung zu berücksichtigen, um umweltfreundlichere Produkte herzustellen. In den Folgejahren wurde dieser Anspruch auch für die Produktanwendung und später die Vermeidung von Umweltbelastungen in der Anlagen- und Produktkonzeption innerhalb der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung immer wieder bekräftigt. Der Anteil der Umweltberichterstattung stieg im Verlauf der Dekade insbesondere auch in den Sozialberichten leicht an, nahm allerdings erst in den achtziger Jahren sowohl in den Sozial- als auch in den Geschäftsberichten signifikant zu. Mit Erscheinen des ersten BASF Umweltberichtes stieg der prozentuale Anteil der Umweltberichterstattung im Geschäftsbericht gegenüber dem Vorjahr von 1,4 vH auf 4,2 vH.132 In der Regel wurde über Maßnahmen zur 128 Vgl. BASF 1972; BASF 1978; Heinelt 2003, S. 117-119; Mattke 2006, S. 110-189; Oeckl 1976, S. 411-415. 129 Vgl. Dribbusch 1978, S. 106. 130 Vgl. BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1970-2000; Adams/Kuasirikun 2000; Mattke 2006, S. 157-8 u. 184. 131 BASF Sozialbericht 1973, S. 17. 132 Vgl. Kapitel 6 u. 8.1.

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Luft- und Wasserreinhaltung sowie über Schwerpunktthemen berichtet. Dazu gehörten immer wieder die BASF Mülldeponie und die Inbetriebnahme der BASFKläranlage Ende 1974, die zu einer erheblichen Verbesserung der Wasserqualität und Verminderung des Fischsterbens am Ludwigshafener Rheinabschnitt führte, gegen die es aber aufgrund der erhöhten Geruchsbelastung zunächst Proteste gab.133 Mit dem Berichtsjahr 1974 gehörten Energieeinsparungen, Lärm- und Emissionsschutz zum Berichtskanon und beschrieben damit seit dem Jahr der Einführung des Programmes zur Humanisierung der Arbeit die Bedeutung dieser Umweltschutzmaßnahmen für den Arbeitsschutz.134 Ebenfalls 1974, zwei Jahre nachdem die OECD das Verursacherprinzip zur Handlungsmaxime im Umgang mit industrieller Umweltverschmutzung erklärt hatte,135 nahm auch die BASF Bezug auf die OECDErklärung: Je nach Auslegung des Verursacherprinzips kann man darunter, wie bisher, reine Vermeidungskosten verstehen, aber auch in neuer Version die Einbeziehung schwer quantifizierbarer, gesellschaftlicher Folgelasten, die jedoch insgesamt den Herstellkosten zuzurechnen sind und damit im Preis ihren Niederschlag finden. Somit müssen wir also alle für die bessere Umwelt bezahlen.136

Hier gab die BASF zu Bedenken, dass eine allzu restriktive Gesetzgebung zur Berücksichtigung des Verursacherprinzips die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gefährden könne. Während das potentielle Risiko des geplanten AKWs zu Beginn der 1970er Jahre in der Berichterstattung vernachlässigt wurde, stieg vor allem in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre der Anteil der Berichterstattung über Risiken für Beschäftigte, Anwohner und Umwelt und über Technologien zur Beherrschung dieser Risiken an. BASF sei trotz »gelegentliche[r] Störfälle«137 , die in der Öffentlichkeit aus Unwissenheit für Unruhe sorgten, auf Risiken vorbereitet und verfolge schon aus eigenem und wirtschaftlichem Interesse eine Sicherung der Produktionsanlagen durch permanenten technischen Fortschritt.138 Der Beginn der Berücksichtigung von Unfällen und die Hinweise auf die hohen Sicherheitsmaßnahmen der BASF als Berichtsinhalte seit 1976 fielen nicht zufällig mit dem DioxinUnglück im italienischen Seveso im Juli 1976 zusammen. Die gesamte ChemieBranche unternahm zu jenem Zeitpunkt große Anstrengungen in der Öffentlich133 Vgl. BASF 1978, S. 6 u. 59; Abelshauser 2002, S. 514-518. 134 Vgl. BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1970-2000; BASF 1980, S. 71-82. 135 Vgl. Kapitel 8.1. 136 BASF Sozialbericht 1974, S. 32. 137 BASF Sozialbericht 1980, S. 30. 138 Vgl. BASF Sozialberichte 1979, S. 26 u. 37-8; 1980, S. 30; Geschäfts- u. Sozialberichte 1976-2000.

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keitsarbeit, um die Auswirkungen dieser Katastrophe auf das öffentliche Vertrauen in die Chemieindustrie zu revidieren.139 Friedrich Dribbusch, Leiter des Personalressorts bis 1977 und damit auch verantwortlich für die Inhalte der Sozialberichte, verortete den Anlass zur Sozialberichterstattung der BASF im früheren »Versäumnis ausreichender Selbstdarstellung« gegenüber gesellschaftlichen Forderungen nach unternehmerischer Verantwortung. Unternehmen hätten durch ihre Sozialleistungen in der Vergangenheit durchaus sozialen Nutzen für die Gesellschaft gestiftet, es sei jedoch nicht üblich gewesen, dies auch nach außen zu kommunizieren. Die BASF unterstütze den »Wunsch nach mehr Lebensqualität« und sehe die Notwendigkeit und Kernaufgabe des Unternehmens, nicht nur Gewinne zu erwirtschaften, sondern auch Arbeitsplätze zu sichern, die Endlichkeit von Ressourcen zu berücksichtigen und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dazu suche die BASF wie andere Unternehmen auch den »Dialog mit ihrer gesellschaftlichen Umwelt«. Die Sozialbilanz sei eines der geeigneten Mittel, mit dieser Umwelt in den Dialog zu treten. Dadurch könne das Ansehen von Unternehmen in der Öffentlichkeit wiederhergestellt werden, das durch Kritik von »engagierten Gruppen« verzerrt worden sei.140 Ihre Sozialberichte nutzte die BASF nicht nur, um in den Dialog mit der Öffentlichkeit zu treten und das Verständnis ihrer Rolle in der Gesellschaft als Steuerzahler und Arbeitgeber zu dokumentieren. Sie reflektierten das Vorhaben, den Dialog mit der Öffentlichkeit zu suchen, indem über Veranstaltungen, Werksbesuche oder die Pressearbeit berichtet wurde.141 Dribbusch griff mit dieser Begründung für die Erstellung von Sozialbilanzen die Forderungen Schleyers nach einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit auf Unternehmensseite wieder auf. Schleyer hatte vor allem die öffentliche Zurückhaltung von Unternehmen in der Darstellung ihrer Leistungen und des Wertes ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft als einen der Gründe für die Zunahme der Kritik an Unternehmen und dem Wirtschaftssystem identifiziert.142 Ziel der BASF Sozialbilanz sei es, so Dribbusch, den Dialog mit den Anspruchsgruppen des Unternehmens – Mitarbeiter, Kapitalgeber, Lieferanten, Kunden, Staat und Öffentlichkeit – zu versachlichen. Die Publikation könne Transparenz herstellen, indem sie nachprüfbare statistische Daten und Informationen liefere. Intern könne sie darüber hinaus zur Planung und Kontrolle der gesellschaftsbezogenen Ausgaben dienen.143 Die Bedeutung von Geschäfts- und Sozialberichten liege nicht nur darin, die Beziehungen zu den Mitar139 Vgl. Abelshauser 2002, S. 520; BASF 1978, S. 101; Engels 2006, S. 224; Jungkind 2013, S. 247-302; Kracke 1980, S. 166-7. 140 Dribbusch 1978, S. 103. 141 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1987. 142 Vgl. Kapitel 4.1. 143 Vgl. Dribbusch 1978.

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beitern zu vertiefen. Sie dienten auch der Beziehungspflege zu Aktionären, Banken, Kunden, Hochschulen und der Gesellschaft im Ganzen und nützten deshalb der Darstellung, Erklärung und Begründung jener Entscheidungen und Aktivitäten der BASF, die diese Anspruchsgruppen betreffen. Gesellschaftspolitische Themen wie Umweltschutz oder die multinationalen Aktivitäten von Unternehmen zählten zu den alltäglichen Inhalten der Öffentlichkeitsarbeit und würden deshalb auch in den Sozialbilanzen erwähnt.144 Deshalb war auch die Aufhebung der 1962 vorgenommenen Trennung von Haus- und Werkszeitschrift Ausdruck dieses veränderten Verständnisses von den Informationsbedürfnissen der BASF-Anspruchsgruppen.145 Die Sozialberichte richteten sich nun explizit an die Stakeholder des Unternehmens, und die BASF unternahm den Versuch, ihre Inhalte auf die Informationsbedürfnisse ihrer Anspruchsgruppen auszurichten. An die Kapitalgeber und Lieferanten wandte sich in erster Linie der Geschäftsbericht; der Sozialbericht griff dennoch einige Informationen aus dem Geschäftsbericht zur wirtschaftlichen Lage und Produktausrichtung der BASF wieder auf. Er war jedoch vor allem für die Mitarbeiter und die allgemeine Öffentlichkeit bestimmt. Die BASF verschickte ihre Sozialberichte aus diesem Grunde an gesellschaftliche Multiplikatoren wie Journalisten, Lehrer, Ärzte, Politiker oder Pfarrer und erhoffte sich daraus einen positiven Effekt auf die öffentliche Meinung. Die BASF zeigte früh Interesse an den theoretischen und praktischen Social Accounting-Ansätzen in den USA. Dies ließ sich jedoch nicht nur auf die Legitimationsschwierigkeiten in der Heimat, sondern auch auf die Geschäftstätigkeit in den USA zurückführen. Hieraus resultierte die Frage, inwieweit die bereits bestehende Berichtspraxis an die amerikanischen Ansätze angepasst werden sollte, um dem öffentlichen Informationsbedürfnis zu begegnen. Denn als Chemieunternehmen stand die BASF auch in den USA wie ihre Konkurrenten unter der Beobachtung von Umweltaktivisten.146 Darüber hinaus erschien die Mitarbeiterzeitschrift BASF information – in deren Reihe der Sozialbericht als Sonderausgabe veröffentlicht wurde – in einer inhaltlich etwas reduzierten englischsprachigen Ausgabe.147 Systematisch integriert wurden wirtschafts-, sozial- und umweltbezogene Informationen über die BASF Gruppe in den Sozialbericht allerdings erst mit der Ausgabe für das Jahr 1980. Zuvor lag der Fokus im Wesentlichen auf der Berichterstattung über die BASF AG. Wolf-Rüdiger Ott, seit 1974 neben Hans-Karl Lobenwein einer der Verantwortlichen für die inhaltliche und redaktionelle Gestaltung der BASF Sozialberichte, nahm 1978 an einem Kongress zur Sozialberichterstattung in Atlanta teil und berichtete in einem Interview der Werkszeitung, dass der Ansatz des deutschen 144 Vgl. BASF Sozialberichte 1974, 1976. 145 Vgl. Mattke 2006, S. 187. 146 Vgl. Abelshauser 2002, S. 504-5 u. 518-9; BASF 1978. 147 Vgl. Mattke 2006, S. 172-178.

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BASF Sozialbilanzkonzeptes durchaus auf Interesse bei amerikanischen Kollegen gestoßen sei. Für die Berichterstattung in Deutschland sei dagegen der quantitativ orientierte amerikanische Ansatz nicht geeignet. Diese Form der Berichterstattung lege zu wenig Wert auf die Qualität der Beziehung zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Ott machte deutlich, dass die quantitativ orientierten, amerikanischen Ansätze des Social Accounting nicht seinem Anspruch an eine zweckmäßige Sozialberichterstattung genügten. Der Auftrag des Sozialberichtes, nämlich »den Beitrag des Unternehmens zur Lösung gesellschaftlicher Probleme«148 aufzuzeigen, könne nicht allein durch die Veröffentlichung von Zahlen verwirklicht werden. Hier könne nur eine qualitative Berichterstattung diesen Zweck erfüllen, indem auch die Unternehmensphilosophie und die ökonomischen wie sozialen Ziele des Unternehmens durch die Berichterstattung erläutert würden. Wunsch und Wille deutscher Arbeitnehmer nach Identifikation mit dem Unternehmen oder die hohen Aus- und Weiterbildungsinvestitionen der Arbeitgeber müssten in der Berichterstattung wiederzufinden sein. Dieses Bedürfnis würde in der amerikanischen Sozialberichterstattung aufgrund der andersartigen, loseren Beziehung zwischen Unternehmen und Beschäftigten in den USA weniger Berücksichtigung finden.149 Auch Lobenwein aus der Personalabteilung, der bis 1979 zur Fachredaktion für die Sozialberichterstattung zählte, wies in einem Interview mit dem Schweizer Rundfunk 1976 darauf hin, dass der Sozialbericht in erster Linie die Mitarbeiter über Themen informieren solle, »die sie unmittelbar berühren«150 . Die immer kritischer werdende Öffentlichkeit als Adressat dürfe jedoch nicht vernachlässigt werden, weil Unternehmen stärker als je zuvor mit ihrer Umwelt verflochten seien, wodurch der soziale Nutzen der Unternehmenstätigkeit gegenüber dem ökonomischen an Bedeutung gewonnen habe. Die Stiftung sozialen Nutzens durch Unternehmen müsse deshalb gegenüber den Anspruchsgruppen der Unternehmen nicht nur durch Taten, sondern auch durch eine geeignete Selbstdarstellung demonstriert werden. So werde die Diskussion über die Position von Unternehmen in der Gesellschaft versachlicht und ein »Beitrag zur Erhaltung unserer freien Wirtschaftsordnung«151 geleistet. Diese Selbstdarstellung solle Transparenz über, Verständnis für unternehmerische Entscheidungen herstellen und die soziale Verantwortung des Unternehmens für seine Umwelt demonstrieren. Bisher seien Sozialbilanzen keine Äquivalente zu ökonomischen Bilanzen und auch von wissenschaftlicher Seite sei noch kein perfektes Konzept vorgelegt worden. Mit dem BASF Sozialbericht solle jedoch ein Beitrag zur sukzessiven methodischen Verbesserung der Sozialbilanz148 BASF UA C 6002: BASF information, »Die Sozialbilanz ist auch jenseits des Atlantik aktuell« (19.10.1978). 149 Vgl. ebd. 150 BASF UA C 604: Lobenwein, Personalführung im Großunternehmen, S. 292. 151 Ebd., S. 295.

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konzepte geschaffen werden: »[W]ir freuen uns, daß es uns gelungen ist, ziemlich unbürokratisch nach dem Prinzip des ›just do it‹ rasch zu einem Ergebnis zu kommen, das uns wichtiger erscheint als die wissenschaftliche Diskussion um eine endgültige, vollkommene und echte Sozialbilanz [...].«152 Seit der Sozialbilanz für das Geschäftsjahr 1975 griff die BASF das Sujet des sozialen Nutzens ihrer Tätigkeit immer wieder in den Publikationen auf, verwies auf die Angemessenheit der Gewinne und das Bewusstsein für die besondere gesellschaftspolitische Verantwortung als Arbeitgeber, Steuerzahler, Auftraggeber, gegenüber Anwohnern oder Umwelt und auf das Ziel, Lebensqualität für die Anspruchsgruppen des Unternehmens gewährleisten zu wollen.153 Doch erst mit der Einführung der zielorientierten Berichterstattung für den Sozialbericht 1979 erhielt die gesellschaftsbezogene Berichterstattung als Rechenschaftslegung einen Ort in der Systematik der Unternehmensorganisation. Im Zuge der Mitarbeit im Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis setzte man sich bei der BASF mit dem Konzept des Goal Accounting auseinander. Sowohl Lobenwein als auch Oeckl, obwohl nicht mehr in der operativen Verantwortung, hoben den Wert der zielbezogenen Berichterstattung als Planungs-, Kontroll- und Entscheidungsinstrument hervor. Oeckls Nachfolger bei der BASF, Hubertus von Tobien, betonte ebenfalls die Bedeutung von Sozialbilanzen als Frühwarn- und Steuerungsinstrument. Die Kritik an Unternehmen und die Ablehnung des Wirtschaftssystems resultierten seiner Ansicht nach vor allem aus Unwissenheit und Unsicherheit. Indem die Informationsbedürfnisse der Anspruchsgruppen identifiziert und eine vertrauensbildende Informationspolitik verfolgt würden, könne dieser Ablehnung jedoch wirksam entgegengesteuert werden.154 Im Rahmen der Reorganisation der Unternehmensorganisation verabschiedete die BASF 1979 Unternehmens- und Führungsleitlinien. Erstere sollten die langfristigen Ziele der BASF im wirtschaftlichen und sozialen Bereich – einschließlich der Umweltpolitik und Öffentlichkeitsarbeit, letztere insbesondere die Ziele der Personalpolitik – festlegen. Die Leitlinien waren als Grundsatzkatalog konzipiert, dienten als Gerüst zur Festlegung und Ausgestaltung der mittel- und kurzfristigen Ziele der Unternehmenspolitik und sollten handlungsanleitend für alle Mitarbeiter im Unternehmen sein. Innerhalb der Personalpolitik sollte die Führung der Mitarbeiter beispielsweise am Prinzip der Verantwortungsdelegation ausgerichtet sein, die Selbstkontrolle der Beschäftigten und die konstruktive Lösung von Konflikten fördern sowie die Weiterentwicklung der Beschäftigten und den Informationsfluss im Unternehmen aufwärts wie abwärts ermöglichen. Grundlegendes Ziel dieses Führungskonzeptes als Teil der Unternehmenskultur war die Aktivierung der Eigen152 Ebd. 153 Vgl. BASF Sozial-/Geschäftsberichte 1975-2000. 154 Vgl. BASF UA C 6002: Lobenwein, Personalführung im Großunternehmen, S. 293; Kracke 1982, S. 185; Oeckl 1976, S. 221.

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initiative der Beschäftigten: die Mitarbeiter sollten innerhalb ihres Arbeitsbereiches möglichst autonom entscheiden, Informationen von allein weitergeben, ihre Arbeit ergebnisorientiert selbst kontrollieren und ihr Fortkommen im Unternehmen durch eigenes Engagement und unter Nutzung der Weiterbildungsangebote gestalten. Die Unternehmensleitlinien und das darin enthaltene Personalkonzept stellten den Versuch dar, die Grundpfeiler einer erwünschten Unternehmenskultur festzuschreiben, und die Sozialberichte der BASF dienten seit den späten 1970er Jahren schließlich dazu, das Bild des idealen Mitarbeiters, der den Willen zur Selbstkontrolle und Selbstentfaltung mitbrachte, zu transportieren. Auch für die Beziehungen des Unternehmens nach außen versuchte die BASF klare Ziele zu formulieren und über das Erreichen dieser Ziele zu berichten, auch wenn sich dies auf eine überwiegend positive Berichterstattung beschränkte. Die BASF formulierte den Umweltschutz als Daueraufgabe, bei der die Vermeidung von Umweltverschmutzung, die Entwicklung eigener Lösungen und der offene Dialog mit den Behörden an erster Stelle stünden. Teil der Zielbildungs- und Kontrollstrategie war der Einsatz von Meinungsumfragen und die Veröffentlichung von deren Ergebnissen in den Sozialberichten: Im Personalbereich wurde 1972 die erste Mitarbeiterbefragung zur Ermittlung der Zufriedenheit und von Verbesserungsmöglichkeiten durchgeführt, die Bevölkerung von Ludwigshafen und Umgebung wurde 1980 um eine Beurteilung der BASF und ihrer Auswirkungen auf die Region befragt.155 Die Beziehungen zur Stadt Ludwigshafen gestalteten sich angesichts des steigenden Verkehrsaufkommens rund um das Werk, der Investitionswünsche der BASF in die Infrastruktur und der gleichzeitig hohen Verschuldung der Stadt schon in den sechziger Jahren immer schwieriger. Eine geplante Erhöhung der Gewerbeund Vermögenssteuer konnte die BASF 1966 noch durch eine Spende an die Stadt und die Einschaltung der Landesregierung, die finanzielle Mittel für Straßen- und Wohnungsbauprojekte beibrachte, abwenden. Es wurde jedoch immer deutlicher, dass die Standortfrage sich verschärfte, wechselseitig abhängig war von der Zahlungsbereitschaft der BASF und der Investitionsfähigkeit von Ludwigshafen.156 In den Sozialberichten der 1970er Jahre thematisierte die BASF die Beziehungen zur Stadt deshalb immer wieder, verwies auf die infrastrukturellen Leistungen für die Bürger durch Steuerzahlungen, Wohnungsbau, Bereitstellung von Arbeitsplätzen, die Errichtung des Klärwerkes für Ludwigshafen, das nicht nur vom Unternehmen, sondern auch von der Stadt genutzt wurde, oder philanthropische Leistungen wie die öffentliche Sportförderung. Umwelt- und Verkehrskapazitätsprobleme wurden zwar in den Sozialberichten angesprochen, jedoch nicht als Konfliktfeld zwischen Stadt und BASF beschrieben: »Alle diese Fragen werden zwischen der Unternehmensleitung und der Stadtverwaltung in gutem Einvernehmen geregelt. Die Zu155 Vgl. BASF Sozialberichte 1978-1987; Kapitel 5.4. 156 Vgl. Abelshauser 2002, S. 496-7; G. Bauer 1973, S. 177.

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sammenarbeit funktioniert nicht zuletzt deshalb so gut, weil beide Partner frei und unabhängig entscheiden.«157 Die wirtschaftliche Dominanz des Unternehmens als Arbeitgeber und Steuerzahler hob die BASF als positiven Beitrag hervor und verwies auf den hohen Beitrag zu kommunalen, regionalen und staatlichen Investitionsmöglichkeiten durch Steuerzahlungen sowie auf die indirekten Beschäftigungswirkungen, die durch die Zuliefererindustrie und nachgelagerte Industrie- und Dienstleistungen entstünden.158 Zugleich beklagte die BASF aber auch einen immerwährenden Fachkräftemangel, insbesondere im Bereich des Führungskräftenachwuchses, der nicht zuletzt aus dem unattraktiven Standort des Unternehmens resultierte.159 Das Unternehmen bewarb vor allem seit den späten 1970er Jahren massiv die Ausbildungs-, Förder- und Aufstiegsmöglichkeiten für Fach- und Führungskräfte in seinen Sozialberichten. Die BASF berichtete über die Investitionen in Gebäude und Ausbildungsmaßnahmen und stellte die Bemühungen um eine ständige Verbesserung der Ausbildungsqualität durch die Professionalisierung der Ausbilder heraus. Die Berufs- und Weiterbildung bei der BASF geschehe zielgerichtet und systematisch, antizipiere künftige Entwicklungen und Anforderungen an die jeweiligen Berufsfelder und biete damit eine langfristige Perspektive für die Beschäftigten, insbesondere auch innerhalb des Unternehmens. BASF begegne dem Strukturwandel mit modernen Ausbildungsplänen und einem vielseitigen Weiterbildungsangebot. Ab 1977 wurden jedoch auch die Anforderungen an die Mitarbeiter für eine Zukunft im Unternehmen deutlicher hervorgehoben: »Das Weiterbildungskonzept gibt der Eigeninitiative des einzelnen einen wichtigen Platz; denn wer selbst nicht gewillt ist, an sich zu arbeiten und dafür Arbeitskraft und Zeit – selbst Freizeit – aufzuwenden, dessen berufliche Entwicklung wird sich nur schwer fördern lassen.«160 Flexibilität und geistige wie regionale Mobilität seien Voraussetzungen für die individuelle Befähigung, dem Strukturwandel aktiv zu begegnen und für eine Karriere bei der BASF. Das Unternehmen betonte den Stellenwert der Rekrutierung von Führungskräften aus den eigenen Reihen durch eine spezielle Abiturientenförderung und im Beruf durch zielgerichtete Karriereplanung und entsprechende Weiterbildungsangebote, die auf Führungsaufgaben und Personalverantwortung vorbereiteten. Die BASF versuchte damit bei ihrer Suche nach qualifizierten Führungskräften auch der Kritik an ihrer Personalarbeit zu begegnen, die Berater von McKinsey in ihrer Analyse der Unternehmensorganisation des Chemiekonzerns vorgebracht hatten.161 Um den Ausbildungs- und Führungsnachwuchs möglichst 157 BASF Sozialbericht 1977, S. 27. 158 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1987. 159 Vgl. Abelshauser 2002, S. 503-4. 160 BASF Sozialbericht 1977, S. 18. 161 Vgl. Abelshauser 2002, S. 576-580.

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früh für das Unternehmen gewinnen zu können, suchte die BASF Kontakte zu Hochschulen und Schulen, unterstützte den Wettbewerb »Jugend forscht« und warb seit Ende der 1970er Jahre verstärkt um Mädchen als künftige Auszubildende in technischen Berufen.162 Einen wichtigen Teil der Öffentlichkeitsarbeit stellte hinsichtlich der Rekrutierung von Nachwuchskräften das Referat Schulbetreuung in den 1970er Jahren unter der Leitung von Volker Heinz dar. Das Referat organisierte Werksbesuche für Schulklassen der Abschlussjahrgänge, seit 1973 staatlich anerkannte Lehrerfortbildungen zu den Themenkomplexen Chemie, Technik, Wirtschaft und Umwelt sowie zur Arbeitslehre, schickte Referenten in rheinland-pfälzische Schulen und versorgte die Einrichtungen – einschließlich der Schülerzeitungen – mit Informationsmaterialien zu den Themen Umweltschutz, Chemie und Wirtschaft. Darüber hinaus spendete die BASF auch Chemikalien und Lehrmittel für den schulischen Chemieunterricht. Einerseits reagierte das Unternehmen damit auf Anfragen nach Informationen seitens der Schulen, andererseits stellte diese Form der Betreuung auch eine Vorsorge zur Sicherung des Arbeitskräftenachwuchses als größtem Arbeitgeber in der Region und von Akzeptanz in der Bevölkerung dar. 1976 berichtete das Manager Magazin über das Programm zur Schulbetreuung bei der BASF und anderen westdeutschen Unternehmen und betonte, dass damit insbesondere der mangelnden Informiertheit der Lehrer, die oftmals die Schüler zusätzlich mit ihren Antipathien der Wirtschaft gegenüber beeinflussten, entgegengewirkt werden solle. Die Esso AG bot 1969 als erstes Unternehmen in Reaktion auf die Studentenproteste von 1968 Seminare für Lehrer zur Fortbildung über wirtschaftsbezogene Themen an; ihr folgten neben der BASF auch die Demag, Hoechst, Shell, BP, IBM, Siemens, SEL, die August-Thyssen-Hütte, Braun und einige mittelständische Unternehmen. Das Institut der deutschen Wirtschaft, die Harzburger Akademie und die BDA lieferten durch Weiterbildungsangebote, Literatur und Arbeitskreise zusätzliche institutionelle Unterstützung. Nachdem das rheinland-pfälzische Kultusministerium die Behandlung von Sozialbilanzen auf das Curriculum des schulischen Sozialkundeunterrichts der Oberstufen gesetzt hatte, verschickte die BASF ihre Sozialberichte an Schulen als Informationsmaterial. Sie erstellte darüber hinaus einen Film in Ergänzung zu den Berichten, der schülergerecht die Wertschöpfung des Unternehmens und deren Verteilung erläutern sollte. In den 1980er Jahren war dann weniger die Systemopposition von Schülern und Studenten Beweggrund, mit Schulen zu kooperieren, dafür aber das gewachsene Umweltbewusstsein der Bevölkerung. 1986 bildete das Thema »Schule in der BASF« einen der thematischen Schwerpunkte im Sozialbericht und betonte, wie wichtig diese Arbeit sei, nicht zuletzt weil »Schüler [...] die Mitarbeiter und Verantwortlichen von morgen«163 seien.164 162 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1987; Heinz 1978. 163 BASF Sozialbericht 1986, S. 21.

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In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre suchte die BASF darüber hinaus Kontakt zu Vertretern der Kirchen. Über das Gespräch mit den Geistlichen wollte sie die öffentliche Akzeptanz für das Unternehmen fördern. Die BASF veranstaltete Vortragsreihen mit Kirchenvertretern zu Themen wie Umweltschutz oder »Kirche und Wirtschaft aus nationalökonomischer und sozialethischer Perspektive«.165 Der Kontakt zu Kirche, Schulen, Politikern oder auch Ärzten sollte letztlich dazu dienen, »das immer noch bestehende Informationsdefizit über die BASF weiter abzubauen.«166 Dieses Informationsdefizit wurde auch für die Skepsis gegenüber der globalen Expansion von Unternehmen verantwortlich gemacht. Multinationale Unternehmen standen aufgrund ihrer Expansionspolitik, Marktmacht und ihres Einflusses auf die wirtschaftspolitischen Verhältnisse im Gastgeberland nicht nur in der Bundesrepublik in der Kritik, sondern oftmals auch in eben jenen Ländern, in denen sie wirtschaftlich aktiv wurden. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der BASF verfolgte in den 1960er und 1970er Jahren deshalb sowohl daheim als auch in den Gastgeberländern die Strategie, ein positives Image hinsichtlich der sozialen und ökologischen Verantwortung aufzubauen und zu erhalten. Als Unternehmen, das bereits Mitte der 1960er Jahre in knapp 60 Ländern wirtschaftlich tätig war, war die BASF von den öffentlichen Debatten um den Einfluss multinationaler Unternehmen auf die Länder der sogenannten Dritten Welt unmittelbar betroffen. Sie versuchte, aktiv auf diese Debatten Einfluss zu nehmen. So nahmen Repräsentanten der BASF im November 1974 an einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bundestag zur Bedeutung der Aktivitäten multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern teil. Auf Betreiben von Matthöfer167 beraumte Entwicklungsminister Erhard Eppler das Hearing an, das zur Erarbeitung eines entwicklungspolitischen Konzepts der Bundesregierung beitragen sollte. Ziel war es, in Zusammenarbeit mit international tätigen Unternehmen Grundsätze für deren Auslandsaktivitäten zu entwickeln, um eine nachhaltigere Entwicklung in den Gastgeberländern zu befördern: so sollte zusätzliche, sozial ausgewogene Beschäftigung geschaffen werden statt Arbeitsplätze zu zerstören, ein den herrschenden Bedin164 Vgl. BASF Sozialberichte 1976-1986; Mattke 2006, S. 111-2; Heinz-Klaus Mertes, »Wirtschaft und Schule: Nachhilfe für Schüler und Lehrer«, in: Manager Magazin 4 (1976), Nr. 8, S. 50-55; Dribbusch 1978, S. 108; Oeckl 1976, S. 281; de Senarclens 1981, S. 3. 165 BASF Sozialbericht 1982, S. 33; vgl. BASF Sozialbericht 1983, S. 28; Mertes, »Wirtschaft und Schule« (1976), hier S. 54. 166 BASF Sozialbericht 1982, S. 33. 167 Matthöfer wurde 1973 als Berater in einen Sonderausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung des Einflusses multinationaler Konzerne und zur Entwicklung von Instrumenten zur Kontrolle ihrer Aktivitäten berufen. Vgl. Abelshauser 2009, S. 247-254.

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gungen angepasster Technologietransfer ermöglicht und Kapital investiert werden, ohne dass Einfluss auf die politischen Rahmenbedingungen im jeweiligen Land genommen würde. Ähnliche Ziele verfolgte auch die OECD mit der Entwicklung von Leitsätzen als Handlungsorientierung für multinationale Unternehmen. Auch hier war die BASF vertreten: Im zuständigen Ausschuss der OECD zur Entwicklung der Leitsätze war Friedrich Dribbusch als Mitglied der internationalen Arbeitgeberorganisation der OECD-Staaten (Business and Industry Advisory Committee, BIAC).168 Abbildung 8: Der Einfluss der BASF auf die wirtschaftlichen Bedingungen in Entwicklungsländern

Quelle: Darstellung im BASF Sozialbericht 1976, S. 6.

168 BDA Abt. IX: Tätigkeit und entwicklungspolitischer Einfluß deutscher multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern (02.12.1974); Grundsatzerklärung der IAO und OECD-Guidelines (01.09.1977); Deutscher Bundestag, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Öffentliche Anhörung: »Tätigkeit und entwicklungspolitischer Einfluß deutscher multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern« (11./12.11.1974), 7. Wahlperiode, 31. u. 32. Sitzung, Stenographischer Bericht; vgl. Faulenbach 2011, S. 162-5; Mattke 2006, S. 143-152; o.A., »Stärker als der Staat? Spiegel-Report über Einfluß und Arbeitsweise der multinationalen Konzerne«, in: Der Spiegel 28 (29.04.1974), S. 36-54; Zum Begriff der multinationalen Unternehmen, zur Debatte um ihren Einfluss und zur Entwicklung der OECD-Leitsätze siehe ausführlicher Kapitel 7.1.

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Das Engagement der BASF in Fragen des Einflusses und der Verantwortung multinationaler Unternehmen schlug sich unmittelbar in den Sozialberichten nieder. Die BASF berichtete 1973 über die Angleichung von Sozialleistungen an den ausländischen Standorten und 1974 über ihren Beitrag zur »Versachlichung der Diskussion«169 durch ihre Teilnahme am Bundestags-Hearing. Sie ging in der Berichterstattung der 1970er Jahre auf die Ziele der bundesdeutschen Entwicklungspolitik und der OECD-Leitsätze ein und erläuterte die gleichermaßen positiven Auswirkungen von Auslandsinvestitionen für heimische Arbeitsplätze wie für die sozialpolitische Entwicklung der Investitionsstandorte: Ohne Auslandsinvestitionen verliere die BASF wichtige Marktanteile und gefährde damit auch Arbeitsplätze im Inland. Sie etabliere soziale Leistungen für die Beschäftigten wie Altersversorgung, hohe Standards für den Gesundheitsschutz, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen nach dem Vorbild des Heimatstandortes, aber unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialen und gesetzgeberischen Bedingungen. Geringere Umweltschutzstandards seien kein Grund für Auslandsinvestitionen, wie das Engagement der BASF in den USA zeige. Als die OECD 1976 ihre Leitsätze verabschiedete, widmete die BASF ihrer Verantwortung als multinationalem Unternehmen einen thematischen Schwerpunkt im Sozialbericht und bekannte sich zur Einhaltung der Leitsätze. Ohnehin habe das Handeln der BASF im Ausland schon den Anforderungen dieser Richtlinien entsprochen und sie würden nun »als Bestandteil der unternehmenspolitischen Grundsätze betrachtet.«170 In den 1980er Jahren verlor die Rechtfertigung von Auslandsinvestitionen gegenüber der internationalen Angleichung von Arbeits- und Gesundheitsschutzstandards innerhalb der BASF-Gruppe an Bedeutung. Die Einhaltung der SEC-Rechnungslegungsrichtlinien stellte BASF als zusätzlichen Beitrag zur Herstellung von Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit dar, auch wenn das Befolgen der SEC-Richtlinien maßgeblichen Einfluss auf den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt hatte.171 Allerdings konnte die BASF damit den Vorstellungen Matthöfers begegnen, der für eine transparente Rechnungslegung multinationaler Unternehmen plädierte, um mehr Kontrolle über deren Wirken zu erlangen. In ihrer qualitativen Berichterstattung verzichtete die BASF jedoch oftmals auf Offenheit und thematisierte beispielsweise nicht ihre geschäftlichen Beziehungen im vom Apartheidsregime regierten Südafrika.172 Gegenüber den Schilderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den ausländischen Standorten nahm die Berichterstattung über den Arbeits- und Gesundheitsschutz am Heimatstandort jedoch noch bedeutend mehr Raum ein. Die 169 BASF Sozialbericht 1974, S. 41. 170 BASF Sozialbericht 1976, S. 6. 171 Vgl. Abelshauser 2002, S. 434-5. 172 Vgl. BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1973-2000; Abelshauser 2002, S. 521-552; ders. 2009, S. 248.

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BASF legte seit ihrer Gründung ein besonderes Augenmerk auf den Gesundheitsschutz im Unternehmen. Die Werksärzte der BASF waren an Initiativen zur Forschungsförderung im Bereich der Arbeitsgesundheit beteiligt. So gehörte Werksarzt Heinz Oettel der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an. Ziel der Kommissionsarbeit war es, Maximalwerte für die Konzentration von Gefahrstoffen am Arbeitsplatz festzulegen, woraus sich schließlich der Name MAK-Kommission (Maximale Arbeitsplatzkonzentration) ableitete. Die Gründung der bis heute aktiven internationalen Vereinigung der Betriebsärzte in der chemischen Industrie MEDICHEM ging 1972 auf die Initiative von Professor Alfred M. Thiess zurück, dem leitenden Werksarzt der BASF in Ludwigshafen.173 Der Fokus auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz entwickelte sich aus den Arbeitsbedingungen und -gefahren für die Beschäftigten der BASF. Unfälle und Krankheiten – insbesondere die Entdeckung immer neuer Zusammenhänge zwischen Arbeit und Krankheit174 – bedurften der Veränderungen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes. So bildete dieser Themenkomplex wiederholt inhaltliche Schwerpunkte in der Sozialberichterstattung der BASF in den 1970er Jahren ab. Das Bedürfnis, über die Maßnahmen des Unternehmens zum Schutz der Mitarbeiter zu berichten, war vor allem auf die Verabschiedung des Arbeitssicherheitsgesetzes und auf das Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens zurückzuführen. Im Sozialbericht für 1973 wurde betont, die BASF hätte bereits viele Angebote und Leistungen eingeführt, als diese noch nicht gesetzlich gefordert waren.175 Die BASF argumentierte hier dafür, dass eine strengere staatliche Regulierung nicht notwendig sei, da die Auflagen zum Gesundheitsschutz aus der Fürsorge für die Mitarbeiter, für die Anwohner und aus dem Verständnis für den Umweltschutz heraus ohnehin antizipiert würden. Darüber hinaus fördere sie fortschrittliche Ansätze zur Verbesserung der Gesundheit und Zufriedenheit am Arbeitsplatz durch freiwillige Maßnahmen wie beispielweise die seit 1972 betriebene, ärztlich überwachte Arbeitsplatzgymnastik, die den Mitarbeitern nicht nur zur »körperlichen Gesunderhaltung und Ertüchtigung«176 dienen, sondern auch stressbedingte Leiden verringern sollte. Im Sozialbericht für 1974 hoben die Autoren hervor, es seien »dank der in der BASF bereits bestehenden modernen Einrichtungen und des vorhandenen qualifizierten Personals in der BASF Aktiengesellschaft kaum zusätzliche Maßnahmen« für den Arbeitsschutz notwendig gewesen und zur Förderung des Einsatzes und der

173 Vgl. BASF 1980, S. 3-58 u. 112-130; BASF Sozialberichte/-bilanzen 1972, 1979-1981; Bächi 2012; Westermann 2007, S. 297. 174 Vgl. BASF 1980; Bächi 2012; Kleinöder 2015; Westermann 2007. 175 Vgl. BASF Sozialbericht 1973, S. 12. 176 BASF 1980, S. 165.

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Umsetzung arbeitswissenschaftlicher Methoden »beträchtliche Mittel«177 aufgewendet worden. Ohne das Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt immer explizit zu benennen, war es das Ziel der Kommunikation in den Sozialberichten, weitere politische Eingriffe in die betriebliche Gesundheitsvorsorge und den Arbeitsschutz abzuwehren. Dies sollte durch die Präsentation der bereits gebotenen Leistungen zur abwechslungsreichen Gestaltung der Arbeit und größerer Autonomie, ergonomischen Verbesserungen und der Berücksichtigung von Grenzwerten im Arbeitsschutz sowie des demonstrierten Willens, diese Leistungen unter arbeitswissenschaftlichen Aspekten freiwillig weiter anzupassen, geschehen.178 Auch im Sozialbericht für 1976 – als weitere Gesetze und Gesetzesänderungen zum Arbeitsschutz (Arbeitsstättenverordnung, Jugendarbeitsschutzgesetz, Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe) in Kraft traten und die Ärztliche Abteilung aufgrund ihrer wachsenden Aufgaben als Abteilung für Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz reorganisiert wurde – wurde erneut herausgestellt, dass »der Umfang der werksärztlichen Leistungen in der BASF [...] wesentlich über die Vorschriften des Arbeitssicherheitsgesetzes hinaus«179 gingen. Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre spielte die Gesundheitsvorsorge eine noch größere Rolle: Einerseits wurde auf Studien verwiesen, die in der BASF seit 1968 durchgeführt wurden und beispielsweise die Vermeidung oder Linderung von Diabetes-, Herz-Kreislaufoder Krebserkrankungen zum Ziel hatten; andererseits appellierten die Texte auch stärker an das eigenverantwortliche Handeln der Beschäftigten, die aus eigener Initiative die Vorsorgeangebote wahrnehmen sollten. Epidemiologische Studien über die langfristigen Auswirkungen der Tätigkeit im Chemiebetrieb wurden in den Sozialberichten vorgestellt und oftmals detailreich, aber dennoch für den medizinischen Laien verständlich erklärt. Dies geschah auch in der Absicht, auf diesem Wege Studienteilnehmer rekrutieren zu können, da die Mitarbeiter nicht zu einer Teilnahme an den Langzeitstudien verpflichtet werden konnten. Die Vorstellung in der Sozialberichterstattung konnte den Studien die notwendige Aufmerksamkeit verschaffen und das Interesse an einer Teilnahme wecken, denn ihr Zweck liege in der permanenten Reduktion von Arbeitsrisiken insbesondere im Umgang mit Gefahrstoffen zum Schutze der Beschäftigten.180 Auch beim durch wissenschaftliche Methoden entwickelten Arbeitsschutz sollte die Eigenverantwortung der Vorsorge durch das Unternehmen in nichts nachstehen: »Natürlich muß der einzelne Mitarbeiter auch selbst dazu beitragen [Arbeitsunfälle zu vermeiden], unter anderem in177 BASF Sozialbericht 1974, S. 14; vgl. auch BASF Sozialbilanz 1977, S. 36. 178 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1983. 179 BASF Sozialbericht 1976, S. 20; vgl. ebd., S. 35 u. 39; BASF 1980, S. 64; zu den Entwicklungen des Arbeitsschutzes in den 1970er Jahren vgl. auch Kleinöder 2015, S. 213310; Kapitel 2. 180 Vgl. BASF Sozialberichte 1976-1987; S. 10-11; BASF 1980, S. 191-263.

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dem er die vorgeschriebenen Körperschutzmittel konsequent anwendet.«181 Ferner wurde seit den späten 1970er Jahren nicht mehr nur über physische Gesundheitsvorsorge und -betreuung geschrieben, sondern auch die Sozialberatung der BASF vorgestellt, die den Beschäftigten bei psychischen, sozialen und Suchtproblemen Hilfestellung leisten sollte. Mit der Aufnahme psychischer Probleme in die Berichterstattung wurde zunehmend auf individuelle Probleme von Mitarbeitern eingegangen und nicht mehr nur auf die grundsätzlichen Gesundheitsgefahren hingewiesen, die unmittelbar von der Tätigkeit in den Betrieben ausgingen.182 In den Sozialberichten zeigte sich deutlich der Bezug zu aktuellen politischen Entwicklungen wie dem HdA-Programm, dennoch war das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz letztlich nicht neu in der Sozialberichterstattung. Wie in den Sozialberichten und Werkszeitungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts blieb das Thema auch zur Jahrtausendwende weiterhin fester Bestandteil der Berichterstattung über die betrieblichen Sozialleistungen des Unternehmens.183 Allerdings veränderten sich im Verlauf der Dekaden Aufgabe, Wahrnehmung und Darstellung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes: Die umfassende Minimierung von physischen und psychischen Risiken der Arbeit – für die das Unternehmen und seine Beschäftigten gleichermaßen verantwortlich waren – sollte die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft dauerhaft gewährleisten.184 Nicht nur im Bereich der Gesundheitsvorsorge, die innerhalb der Gesundheitsfürsorge immer bedeutender wurde, unterstrich die BASF fortlaufend deren Modernität innerhalb der Sozialberichte. Die BASF versuche die gestiegenen gesellschaftlichen Ansprüchen und Wünschen nach mehr Lebensqualität durch eine angemessene betriebliche Altersversorgung, Eigenheimförderung, eine differenzierte und umfassende Mitarbeiterinformation, Prämien, Vorschlagswesen oder Mitarbeiterbeteiligung zu entsprechen. Zwar konnten die Beschäftigten der BASF schon seit 1955 Belegschaftsaktien beziehen, die Mitarbeiter inländischer Mehrheitsbeteiligungen erhielten diese Möglichkeit aber erst seit 1971.185 So bewarb die BASF ihr Beteiligungsmodell intensiv in den Sozialberichten der 1970er Jahre und verwies darauf, dass Belegschaftsaktien zur »Weckung der Initiative und der Selbstständigkeit« beitrügen und »wichtige Bausteine einer modernen Sozial- und Gesellschaftspolitik«186 seien. Dieses moderne Element der betrieblichen Sozialpolitik trage zum Wohlstand aller bei, die Kapitalsubstanz des Unternehmens werde gestärkt und die Beschäftigten zugleich motiviert. Sie entwickelten stärkeres Interesse für das wirt181 BASF Sozialbericht 1983, S. 17. 182 Vgl. BASF Sozial-/Geschäftsberichte 1977-2000; BASF 1980, S. 282. 183 Vgl. Kapitel 1; BASF Sozialberichte 1973-1987; Geschäftsberichte 1970-2000. 184 Zur Entwicklung des Arbeitsschutzes vgl. Kleinöder 2015. 185 Vgl. BASF Sozialberichte 1974, S. 10 u. 1977, S. 34. 186 BASF Sozialbericht 1973, S. 13.

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schaftliche Geschehen und würden zur eigenverantwortlichen und individuellen finanziellen Vorsorge ermutigt.187 Eigenverantwortung, Individualität und Motivation sind Attribute, die seit dem Sozialbericht für 1974 zunehmend die Beschreibung der Beschäftigten bei der BASF kennzeichnen. In der Darstellung der betrieblichen Sozialpolitik wird deutlich, dass das Unternehmen einerseits die Kernthemen des Humanisierungsprogramms aufgreift, andererseits aber auch die Ideale der Human-Relations-Bewegung propagierte. Neben guten physischen Arbeitsbedingungen sollen auch gute soziale vorherrschen: die Zufriedenheit mit der Arbeit und dem Betriebsklima sowie die Identifikation mit der Arbeit und dem Unternehmen sollen befördert und die Erwartungen der Mitarbeiter erkannt werden, um sie einbeziehen zu können und Mitdenken und Mitarbeit zu ermöglichen. Man habe festgestellt, dass die Beschäftigten ein höheres Selbstwertgefühl haben und ein Bedürfnis nach Freiheit, eigenverantwortlicher Entscheidungskompetenz und Selbstentfaltung im Beruf. Eine dezentrale Führung und die Delegation von Verantwortung seien Mittel der Unternehmensführung, diesen Bedürfnissen zu entsprechen. Spätestens mit der Einführung der zielbezogenen Berichterstattung ab 1978 transportiert die Beschreibung der sozialen Leistungen jedoch auch die Anforderungen der BASF an die Mitarbeiter und den zunehmenden neoliberalen Duktus dieser Ausführungen. Leistungsbereitschaft, räumliche und soziale Mobilität, individuelle Fähigkeiten und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen, Eigeninitiative und Flexibilität beschrieben nun die Wesensmerkmale jener Beschäftigten, die zur modernen Personalpolitik der BASF passten. Ging es in den siebziger Jahren in der Berichterstattung noch darum, die Forderungen der Mitarbeiter und der Gesellschaft an das Unternehmen zu identifizieren und ihnen zu begegnen,188 so führt die BASF im Sozialbericht von 1982 in Bezug auf ihr Personalkonzept aus, es sei auch wichtig, die Erwartungen des Unternehmens an Mitarbeiter und Gesellschaft zu formulieren. In den späten 1980er und 1990er Jahren gesellten sich Innovationsbereitschaft, Kreativität, Integrität und interkulturelle Kompetenz zu den geforderten Eigenschaften eines idealen Mitarbeiters des multinationalen BASF-Konzerns.189

187 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1981. 188 So hob Wolfgang Jentzsch im BASF Sozialbericht für 1979 noch hervor: »Die Bedürfnisse und Wünsche der Gesellschaft sind für sie [die BASF] nicht nur Chance für unternehmerische Tätigkeit, sondern zugleich auch Maßgabe für ihr Handeln und Verhalten.« (S. 3). 189 Vgl. BASF Geschäfts- und Sozialberichte 1970-2000; Kracke 1982, S. 147-8.

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Der Konflikt mit der IG Chemie und Kapitalismuskritik von links Von gewerkschaftlicher Seite wurden die BASF Sozialberichte weniger als Mittel zur Information über das vielfältige Angebot an Sozialleistungen für die Mitarbeiter gesehen, sondern vielmehr als manipulatives Kommunikationsinstrument zur Irreführung der Beschäftigten. So erfuhr die BASF zu Beginn des Jahres 1978 durch eine Publikation aus der Ludwigshafener Verwaltungsstelle der IG Chemie-PapierKeramik (IG CPK) eine massive Kritik an ihrer Sozialberichterstattung. Deren Geschäftsführer Manfred Reimann190 hatte zusammen mit dem Hannoveraner Ökonomie-Doktoranden Wolfgang Mehte eine 175-seitige Kommentierung des BASF Sozialberichts für 1976 veröffentlicht.191 Mehte, der sich auch andernorts dem marxistischen Programm verpflichtet sah,192 und Reimann beabsichtigten, »hinter die Kulissen dieser schillernden Broschüre zu schauen, diese geschickte Zahlenakrobatik aus Arbeitnehmersicht zu untersuchen und zu bewerten, die wirklichen Verteilungsverhältnisse abgeschminkt zu erkennen, um notwendige gewerkschaftliche und tarifpolitische Forderungen ziehen zu können.«193 Die Autoren zielten dabei vor allem gegen die Wertschöpfungsrechnung der BASF und vermuteten in ihr den Versuch des Unternehmens, Gewinne zu verschleiern. Entgegen der von Arbeitgeber- und Unternehmensseite öffentlich proklamierten Absicht sei es das eigentliche Ziel von Sozialbilanzen, Arbeitnehmern und ihren Vertretern in Gewerkschaften und Betriebsräten Informationen vorzuenthalten. Sozialbilanzen seien zuallererst Mittel, »von den realen Verhältnissen abzulenken, die Arbeitnehmer auf die unternehmerische Sachzwangargumentation einzuschwören und sich zugleich ihrer Leistungsbereitschaft zu versichern.«194 Sie würden als Palliativ gegen Kritik an multinational operierenden Unternehmen, die Umwelt und Entwicklungsländer ausbeuteten, gegen Kritik am Abbau von Arbeits-

190 Manfred Reimann (*14.04.1928) trat 1957 in die SPD ein und ist seit 1961 Mitglied der IG CPK. Er war zwischen 1963 und 1968 Sekretär der IG CPK in Ludwigshafen, anschließend Geschäftsführer der IG in Mainz und arbeitete vier Jahre später in der Hauptverwaltung der IG CPK in Hannover. Von 1978 bis 1983 war Reimann Geschäftsführer der Ludwigshafener Geschäftsstelle der IG CPK und Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der BASF. Von 1979 bis 1983 saß Reimann als SPD-Mitglied im rheinland-pfälzischen Landtag, von 1983 bis 1994 im Bundestag und war anschließend bis 2004 Mitglied des Ludwigshafener Stadtrates. Vgl. Interview Reimann 28.02.2011; Reimann 2006. 191 Vgl. Mehte/Reimann 1978. 192 Vgl. Mehte 1983. 193 Mehte/Reimann 1978, S. 4. 194 Ebd., S. 170.

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plätzen, an Kürzungen sozialer Leistungen und gegen gewerkschaftliche Lohnforderungen eingesetzt.195 Die Veröffentlichung von Reimann und Mehte ist vor allem vor dem Hintergrund der Tarifauseinandersetzungen von 1977 bei der BASF zu sehen, die eine Spaltung der Ludwigshafener Gewerkschaftsvertretung in gemäßigte Sozialdemokraten und radikalere Kommunisten zu zementieren schien. Diese Spaltung war bereits durch die Strategie der IG CPK-Bundesvertretung begünstigt worden: Sie versuchte seit 1971 verstärkt, als Sozialpartner der Arbeitgeberseite aufzutreten und eine Radikalisierung innerhalb der eigenen Reihen zu verhindern.196 Zudem bemühte sich die gewerkschaftliche Seite weiterhin um eine Positionierung in der Diskussion um Sozialbilanzkonzepte. Während der DGB an seinem Konzept arbeitete, folgte der Betriebsrat der BASF der DGB-Empfehlung, sich nicht an der Erstellung von Sozialbilanzen zu beteiligen. Gerade im tarifpolitisch aufreibenden Jahr 1977 trug die BASF eine Einladung zur Mitarbeit an der Sozialbilanz an den Betriebsrat heran, unterließ es allerdings, Vertreter der IG CPK ebenfalls daran beteiligen zu wollen. Der Betriebsrat verweigerte schließlich die Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung.197 Die Zeit kommentierte, die Kritik der IG CPK zeige nun die Kehrseite der unternehmerischen Freiheit, allein über die Inhalte von Sozialbilanzen bestimmen zu wollen: »Es kann dann passieren, daß – wie bei der BASF sehr spektakulär geschehen – der rosa gefärbten Schönwetterbilanz der Unternehmensleitung eine ebenso einseitige, tiefschwarze Negativbilanz von der Gewerkschaft entgegengesetzt wird.«198 Die mit kopierten Grafiken des BASF-Sozialberichts und eigenen Karikaturen versehene Streitschrift vermittelte den Eindruck eines handgestrickten Pamphlets, das mit klassenkämpferischem Duktus gegen die Hochglanzbroschüre der Kapitalseite und deren Absichten polemisierte, obwohl der zwar durchaus streitbare Reimann selbst zum sozialdemokratischen Flügel der IG CPK zählte. Während sich der DGB irritiert zurückhielt, wurde die IG-Kritik methodisch und inhaltlich sowohl von wissenschaftlicher als auch von Arbeitgeberseite kritisiert. Die »Ermittlungsmethode« der eigenen Berechnungen zur Kritik an der BASF Wertschöpfungsrechnung sei »in vielen Fällen fragwürdig«199, urteilte beispielsweise Wilfried Zimmermann in seiner Dissertation über gesellschaftsbezogene Rechnungslegung. Der 195 Vgl. Mehte/Reimann 1978. 196 Vgl. Abelshauser 2002, S. 416-7; o.A., »Betriebsrätewahlen: Links im Visier«, in: Der Spiegel 26 (07.02.1972), Nr. 7, S. 30-32; Reimann 2006, S. 39; Schroeder 2004, S. 262265. 197 Vgl. Baumgartner 1981, S. 299. 198 Stefan Sethe, »Nicht nur Soll und Haben. Sozialbilanzen: Auf dem Weg zu einer neuen Unternehmens-Ethik«, in: Die Zeit (23.11.1979), Nr. 48. 199 Zimmermann 1980, S. 157.

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Schweizer Ökonom Thomas Baumgartner dagegen verteidigte die Schrift trotz ihrer methodischen Mängel und begrüßte die Absicht der IG CPK, sich im Sinne der gewerkschaftlichen Anliegen in der Sozialbilanzdebatte öffentlich positioniert zu haben.200 Reimann selbst betonte, er habe »ein anderes Denken«201 herbeiführen und eine Argumentationshilfe gegen die Publikationsoffensive der BASF zur Verfügung stellen wollen.202 Im Lager der BASF verfehlte die Schrift nicht ihre Wirkung und evozierte eine Gegendarstellung des Unternehmens. Man sei enttäuscht von der Art und Weise, wie die IG CPK ihre Kritik am BASF Sozialbericht vorgebracht habe. Sie sei zu polemisch, zu aggressiv und in vielen Fällen sachlich falsch, weil methodische Standards der Rechnungslegung missachtet und Sachverhalte aus dem Sozialbericht durch Zitatkürzungen verfälscht dargestellt würden. Die BASF habe Arbeitnehmervertreter in den Prozess der Sozialberichterstellung einbeziehen wollen. Umso unverständlicher sei nun die von der Industriegewerkschaft vorgebrachte Kritik. »Daß unsere Sozialbilanz der Gewerkschaft nicht gerade gefällt, weil sie ihr die Argumentation erschwert, ist verständlich. Ich meine aber, daß sich die Autoren dieser Antisozialbilanz doch etwas vergaloppiert haben«203, kommentierte Wolfgang Jentzsch204 die IG-Kritik in einem Interview mit dem Südwestfunk im Mai 1978. Die Radiosendung ließ neben Jentzsch auch Reimann zu Wort kommen, der seine Schrift trotz erheblicher Kritik an Methode und Inhalt weiterhin verteidigte. Ihm sei es darum gegangen, den vermeintlich wissenschaftlichen Charakter von Sozialbilanzen ebenso als Trugschluss zu entlarven wie die Absicht der Unternehmen, mit Sozialbilanzen mehr Transparenz für Arbeitnehmer schaffen zu wollen. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Reimann und Jentzsch konzentrierten sich insbesondere auf die Interpretation der Daten zur Berechnung sozialer Leistungen im Bereich Ausbildung und Gesundheitsschutz sowie der Beurteilung der Expansion des Konzerns. Während Reimann Arbeitsplätze durch die multinationalen Aktivitäten 200 Vgl. Baumgartner 1981; Kapitel 4.3. 201 Interview Reimann 28.02.2011. 202 Vgl. Faltlhauser 1978a, S. 155; Hemmer 1979, S. 56; ders. 1980, S. 51-52; Kracke 1982, S. 199. 203 BASF UA C 6002: Abschrift Interview Südwestfunk 1 »Aus Arbeit und Wirtschaft: BASF Sozialbilanz« (22.05.1978), S. 4. 204 Dr. Wolfgang Jentzsch (*1932) war seit 1960 bei der BASF, wurde 1974 zum Direktor ernannt und leitete von da an bis 1977 die Sparte Lackchemie. Ab 1972 gehörte er zum Vorstand der BASF Farben und Fasern AG, 1974 wurde er deren Vorsitzender. Im März 1977 rückte Jentzsch in den Vorstand der BASF AG vor und trat im Juli desselben Jahres die Nachfolge von Dribbusch als Leiter des Personalressorts an. Damit war Jentzsch neben der AOA ebenfalls für die Inhalte der Sozialberichte verantwortlich. Vgl. Abelshauser 2002, S. 608; Heinz 1978, S. 243; Kracke 1982, S. 70.

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der BASF gefährdet sehen und Ausgaben für Ausbildung und Gesundheitsschutz als Investitionsmaßnahmen der BASF zur Erhaltung von Arbeitskraft verstanden wissen wollte, zeichnete Jentzsch das Bild eines verantwortungsbewussten Unternehmenskurses, das die sozialbezogenen Ausgaben der BASF als Investitionen in Entwicklungsländern, in die Zukunft von Schulabgängern und die Gesundheit der Arbeitnehmer präsentierte. Beide Seiten rückten in der Diskussion in diesen Punkten nicht von ihren Positionen ab. Obwohl Form und Inhalt der IG-Kritik bemängelt wurden, sorgte sie in der BASF doch für Aufruhr. Das Interesse der Medien – das weitaus größer war als das der Arbeitnehmer – veranlasste die BASF dazu, eine kommentierte Gegendarstellung unter den BASF-Führungskräften zirkulieren zu lassen, um ihnen für Gespräche mit Arbeitnehmer- und Pressevertretern eine Argumentationshilfe an die Hand zu geben.205 An der Berichterstattung über die Zusammenarbeit mit der Betriebsvertretung in den Sozialberichten änderte die Publikation der IG CPK allerdings wenig. Während der siebziger und bis in die neunziger Jahre hinein betonte BASF in der Sozialberichterstattung, es habe stets eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Betriebsräten bestanden. Allerdings hoben einzelne Sozialberichte in den frühen 1980er Jahren hervor, die gesellschaftsbezogene Berichterstattung der BASF sei von den Betriebsratsvertretern intensiv diskutiert worden.206 Insgesamt zeichnete die Berichterstattung ein überwiegend harmonisches Bild der Arbeitsbeziehungen und Signalwörter wie Streik, Arbeitskampf oder Einstellungsstopp207 fanden nur vereinzelt Eingang in die Texte. Arbeitslosigkeit wurde zwar als gesellschaftliches Phänomen allgemein thematisiert; der Begriff Entlassungen wurde aber im Zusammenhang mit Aktivitäten der BASF durch Wendungen wie Rückgang der Beschäftigtenzahlen oder Abgabe von Arbeitsplätzen »infolge von Rationalisierungsmaßnahmen«208 vermieden,209 obwohl der Personalabbau zwischen 1970 und 1980 in einzelnen Konzernbereichen durch Verluste im Farben- und Faserbereich nicht un-

205 Vgl. BASF UA C 6002: Abschrift Interview Südwestfunk 1 »Aus Arbeit und Wirtschaft: BASF Sozialbilanz« (22.05.1978); Presse und Information, Stellungnahme für die Presse (19.04.1978); BASF information, »Der BASF-Sozialbericht zeigt nur Tatbestände auf: Stellungnahme der BASF zur Kritik der IG Chemie am Sozialbericht« (27.04.1978); Dribbusch, »Grundsätzliche Bemerkungen zur Erstellung von Sozialbilanzen und zur Gegendarstellung der IG Chemie« (17.05.1978); Jentzsch/Dribbusch, »Kommentierte Fassung der Gegendarstellung zur BASF Sozialbilanz« (09.06.1978). 206 Vgl. BASF Sozialberichte 1981, S. 28; 1983, S. 26. 207 Vgl. BASF Sozialbericht 1975, 1979, 1983; Geschäftsbericht 1975. 208 BASF Geschäftsbericht 1992, S. 14. 209 Es sei denn, Entlassungen selbst konnten vermieden werden. Siehe BASF Sozialbericht 1980, S. 11.

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erheblich war.210 Der Anwerbestopp für ausländische Beschäftigte 1974 wurde umschrieben als »Verminderung der Einstellungen von ausländischen gewerblichen Arbeitnehmern«211 durch »[e]inschränkende behördliche Bestimmungen über die Arbeitserlaubnis«212 . Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetz fanden als gesetzliche Rahmenbedingungen, nicht aber als Konfliktthemen zwischen Arbeitnehmervertretung und Arbeitgeberseite Erwähnung in der Berichterstattung, obwohl die Begeisterung im BASF-Vorstand für die gesetzlichen Regelungen nicht allzu groß ausfiel.213 So wurden in der Sozialbilanz für 1975 als Schwerpunktthema die Implikationen des Mitbestimmungsgesetzes für Unternehmen und Beschäftigte ausführlich und sachlich beschrieben. Die Vertretung leitender Angestellter als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – ein Konfliktthema zwischen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite, weil die Gewerkschaften die Arbeitnehmervertretung dadurch ausgehöhlt sahen – fand nur am Rande Erwähnung. Besonders für das Jahr der Mitbestimmungseinführung betonte die BASF im Sozialbericht 1976, dass die Zahl der Angestellten gegenüber den gewerblichen Arbeitnehmern kontinuierlich zugenommen habe. In der chemischen Industrie seien qualifizierte Arbeitnehmer zunehmend gefragt und es bestehe durch technischen Fortschritt, Rationalisierungen, weltweite Arbeitsteilung und Forschungsaktivitäten ein höherer Bedarf an Akademikern. Darüber hinaus fördere die BASF aber auch die Nivellierung von Statusunterschieden zwischen gut qualifizierten Arbeitern und Angestellten.214 Die BASF betrieb die Eingliederung von qualifizierten gewerblichen Angestellten bereits seit den sechziger Jahren215 und wies in ihrer Sozialberichterstattung darauf hin, dass es auch angesichts des Strukturwandels und veränderter Produktionsbedingungen dem Selbstverständnis entspreche, weiterhin eine lebenslange Beschäftigung und sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Während nach außen ein sozialverträglicher und harmonischer »Abschied vom Malocher«216 gezeichnet wurde, fürchtete man intern allerdings eine »personelle Aufblähung im Angestelltenbereich«217, die vor allem zu erhöhten finanziellen Belastungen führe. Auch im Sozialbericht von 1977, der im Jahr der IG-Kritik erschien und durchaus über die Tarifauseinandersetzungen von 1977

210 Vgl. Abelshauser 2002, S. 569 u. 608. 211 BASF Sozialbericht 1974, S. 19. 212 BASF Sozialbilanz 1975, S. 5. 213 Vgl. Abelshauser 2002, S. 569. 214 Vgl. BASF Sozialbericht 1976, S. 9, 20 u. 24. 215 Vgl. Abelshauser 2002, S. 427. 216 Hindrichs/Jürgenhake et al. 2000; vgl. Kapitel 2. 217 BASF UA C 6002: Sozialpolitische Argumente 1978 (1.7).

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berichtete, wurde zuvorderst ein Bild der Arbeitsbeziehungen abgebildet, das Dialog- und Konsensbereitschaft widerspiegelte.218 Zwar rüttelte die Schrift der Industriegewerkschaft zur BASF Sozialbilanz das Unternehmen ein wenig auf, dennoch war Kritik von links in der BASF eigentlich nichts Neues und das Unternehmen durchaus darauf vorbereitet. Die 1970er Jahre waren geprägt von ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Kapitalismuskritikern und Arbeitgeberseite.219 Schon in den ersten Sozialberichten der Dekade beklagten die Autoren die »Verteufelung der Gewinne durch Randgruppen unserer Gesellschaft«, die »Angriffe[ ] von Systemkritikern« und von »Gegnern unserer Gesellschaftsordnung«220. Deren Flugblätter würden unvernünftig und wachstumsfeindlich argumentieren. Sie würden Gewinnerwirtschaftung und Rücklagenbildung anprangern, ohne die wirtschaftliche Notwendigkeit von Gewinnen oder Rücklagen zu berücksichtigen, die schließlich auch Arbeitsplätze sicherten. Von gewerkschaftlicher Seite würden darüber hinaus Vorwürfe des Inhalts vorgebracht, Rücklagen und soziale Leistungen seien nichts weiter als vorenthaltene Löhne. Um dieser Kritik entgegenzuwirken, nutzte BASF die Sozialberichte, um bilanzbezogene Fachbegriffe für ökonomisch nicht geschulte Arbeitnehmer zu erklären. So wurden dem Leser der Sozialberichte beispielsweise Begriffe wie Umsatz und Gewinn, Bilanz, Abschreibungen oder Investitionen dargelegt und Mechanismen der Preisbildung oder von Wertberichtigungen erörtert.221 »Beide Seiten, Kapital und Arbeit, brauchen in diesem Prozeß einander, sind aufeinander angewiesen. Floriert das Geschäft, wirft es etwas ab, so haben beide Seiten etwas davon: diejenigen, die es durch ihre Arbeit, und jene, die es durch ihr Kapital ermöglichen.«222 In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde dieser Versuch der Erwiderung kapitalismuskritischer Äußerungen deutlich distanzierter und sachlicher. Die Sozialberichte nahmen einen stärker erklärenden Duktus an und verzichteten auf verbale Gegenangriffe. Als Hilfe diente eine 1977 vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und der Bildungsabteilung der BDA herausgegebene Broschüre, die Begriffsdefinitionen für bilanzbezogene Fachbegriffe lieferte. Die Broschüre sollte vor allem die Argumentation »[m]arxistische[r] Bilanzanalytiker«223 – im Falle der BASF von kommunistischen Werkszeitungen bis zur Anti-Sozialbilanz der IG CPK – of-

218 Vgl. BASF Sozialbilanz 1975, S. 22-23; BASF Sozialbericht 1977, S. 22-23; BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1970-1997. 219 Vgl. Michel 1997, S. 127-8; Kapitel 1.1 u. 4.1. 220 BASF Sozialbericht 1974, S. 16 u. 52. 221 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1979. 222 BASF Sozialbericht 1973, S. 17. 223 BASF UA C 6002: Institut der deutschen Wirtschaft (Hg.), Unternehmensbilanzen: Die ›entschleierte‹ Ausbeutung, Köln: IW-Verlag 1977 (Die neue Linke; Nr. 37), S. 4.

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fenlegen, um deren Kampagnen zur »Bilanz-Entschleierung«224 entgegentreten zu können. Ziel der sogenannten Bilanz-Entschleierung sei es, durch die Analyse von Geschäftsberichten und Sozialbilanzen das Prinzip der Gewinnerwirtschaftung und die ungleiche Verteilung von Gewinnen anzuprangern, um letztlich Konflikte zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen zu säen. Die Broschüre wurde in der IW-Reihe Die neue Linke veröffentlicht, die nicht nur Unternehmen zur Verfügung gestellt, sondern auch unter Studierenden verteilt wurde, mit dem Ziel, eine Radikalisierung des potentiellen qualifizierten Nachwuchses zu unterbinden.225 Trotz aller Auseinandersetzung mit Systemgegnern, Kritikern des marktwirtschaftlichen Systems, kommunistischen Gruppen und dem Expansionsstreben des BASF Konzerns unterblieb die Thematisierung der Beziehungen zu den sozialistischen Nachbarländern und der grundsätzlichen Systemfrage in den Sozialberichten.226 Dem Argument der Gewinnverschleierung und der Kritik an der Legitimität ihrer Gewinne versuchte die BASF seit 1974 außerdem mit der Anzeigenkampagne Aktionäre sind auch Menschen zu begegnen, die dazu dienen sollte, den Mythos vom Großaktionär, der die BASF steuere und eine rücksichtslose Kapitalmehrung im Sinn habe, zu revidieren. Die BASF nutzte neben der Kampagne die Sozialberichte in den 1970er Jahren, um herauszustellen, dass die Mehrheit der Anteile am Unternehmen überwiegend von Kleinaktionären wie Hausfrauen, Rentnern und Pensionären gehalten werde und ein nicht unerheblicher Prozentsatz dieser Anteilseigner die Mitarbeiter seien.227 Sie würden durch ihre Bereitschaft, einen Teil des unternehmerischen Risikos zu tragen, entlohnt, indem die Dividende an sie ausgeschüttet werde. Auch die Zunahme des Anteils von Investmentgesellschaften sei vor allem auf das Bestreben der Kleinaktionäre zurückzuführen, die ihr Risiko zu streuen versuchten. Bunte Grafiken, die die Aktionärsstruktur der BASF erläuterten, dienten der Unterstützung dieser Argumentation in den Sozialberichten.228 In den 1980er Jahren verschob sich der Fokus der Berichterstattung über die Anteilseigner der BASF wieder: Die Sozialberichte wurden vor allem dazu genutzt, Werbung für die Belegschaftsaktie zu machen. Durch sie würden sich die Mitarbeiter, die zugleich Aktionäre seien, zweifach mit dem Unternehmen verbunden fühlen.229 Indem die BASF das Bild ihrer Aktionäre in der Öffentlichkeit zu korrigieren versuchte, 224 Ebd., S. 3. 225 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1979; BASF UA C 6002: Institut der deutschen Wirtschaft (Hg.), Unternehmensbilanzen: Die ›entschleierte‹ Ausbeutung, Köln: IW-Verlag 1977 (Die neue Linke; Nr. 37); Bührer 2008, S. 240. 226 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1980. 227 In der Tat hatte die Anteilseignerstruktur aus Kleinaktionären Tradition bei der BASF. Vgl. Abelshauser 2002, S. 401. 228 Vgl. BASF Sozialberichte 1974-1978; Dribbusch 1978, S. 104; Oeckl 1976, S. 279. 229 Vgl. BASF Sozialberichte 1982, S. 32; 1986, S. 16-7.

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verdeutlichte sie ihr Bild von den Shareholdern des Unternehmens, die als gegenwärtige oder ehemalige Mitarbeiter, deren Familienmitglieder oder Anwohner immer zugleich auch Stakeholder des Unternehmens waren. Sie waren demnach auch eine Garantie für die Verankerung eines gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmenskurses, der nicht allein auf kurzfristige Gewinnerwirtschaftung und -ausschüttung ausgerichtet ist. So richteten sich die Sozialberichte der BASF eher mittelbar an die Anteilseigner, sofern sie nicht auch zu den anderen Anspruchsgruppen des Unternehmens gehörten. Seit der Reform des Aktienrechts 1966 und einer zunehmenden Orientierung an den Publizitätsanforderungen des internationalen Kapitalmarktes wurden ihre Informationsinteressen ohnehin durch die Geschäftsberichte bedient.230 Noch zu Beginn der 1980er Jahre erklärte die BASF im Sozialbericht dessen Bedeutung für den Dialog mit den Anspruchsgruppen. Mit dem Sozialbericht von 1985 zeichnete sich jedoch eine allmählichen Verengung der Adressatengruppe in Richtung der Beschäftigten ab: die Berichte über den Geschäftsverlauf als Zusammenfassung der Inhalte des Geschäftsberichte fanden nicht mehr Eingang in die Sozialberichte, der Umfang statistischer Daten wurde gekürzt und die Texte nahmen zunehmend den Sprachduktus von Werkszeitungen an. Sie waren oftmals als Reportagen konzipiert, die einzelne Personen und Unternehmensbereiche in den Mittelpunkt stellten, um mehr Nähe zum Leser herzustellen.231 5.1.5 Deutsche Shell: »Optimum des Realisierbaren« Die Deutsche Shell veröffentlichte für das Geschäftsjahr 1975 ihre erste Sozialbilanz als integrierten Bestandteil des Geschäftsberichtes.232 Das Tochterunternehmen der Royal Dutch/Shell-Konzerngruppe und Nachfolgerin der Rhenania-Ossag Mineralölwerke – 1947 wurde der Hauptsitz von Düsseldorf nach Hamburg verlegt und das Unternehmen in Deutsche Shell umbenannt233 – hatte bereits in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren Sozialberichte veröffentlicht und darüber hinaus in den 1950er und 1960er Jahren stets innerhalb des Geschäftsberichtes über mitarbeiterbezogene und philanthropische Themen berichtet. Dazu gehörten regelmäßig sowohl quantitative Daten wie Sozialaufwendungen, Mitarbeiterzahlen ebenso wie eine qualitative Berichterstattung über soziale Themen. Waren diese in den fünfziger Jahren noch bestimmt von Inhalten wie dem unternehmerisch geförderten Wohnungsbau oder Ferienfahrten für Beschäftigte und deren Angehörige, so wurde in den sechziger Jahren erstmals vereinzelt über die Auswirkungen von Krisen auf die 230 Vgl. Abelshauser 2002, S. 408-9. 231 Vgl. BASF Sozialberichte 1985-1987. 232 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975. 233 Vgl. Jonker/van Zanden 2007, S. 381; Karlsch/Stokes 2003, S. 253.

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Geschäftsaktivitäten,234 die Sicherung der Energieversorgung, die Rolle der Shell in der Gesellschaft, Ausbildung und Förderung des akademischen Nachwuchses im Unternehmen, Führungstechniken und den Einsatz sozialwissenschaftlicher Methoden, Frauen als Beschäftigte oder das Verhältnis zwischen Beschäftigten und Unternehmen berichtet.235 Zwar schloss die Shell mit ihrer Sozialbilanz ab 1975 an eine bereits bestehende Berichtspraxis an; gegenüber den bis dahin sozialbilanzierenden Unternehmen stellte die in den Geschäftsbericht integrierte Sozialbilanz jedoch eine Neuerung dar, ebenso wie sie innerhalb der Shell-Berichtspraxis im Vergleich zu den Sozialberichten der Vorjahre deutliche Veränderungen aufwies. Allein der Umfang der sozialbezogenen Berichterstattung ohne Umweltthemen stieg von 5,1 vH (1974) auf 14,9 vH (1975) und schließlich auf 23,4 vH (1976) am Gesamtbericht, bevor der Anteil zum Ende der Dekade wieder abnahm und bis 1986 bei etwa 14 vH stagnierte.236 Meinolf Dierkes begleitete von Beginn an das Sozialbilanz-Projekt der Deutschen Shell, das auf Initiative des Unternehmensbereiches Öffentlichkeitsarbeit und Wirtschaftspolitik begonnen wurde. Volker Hoffmann, Direktor des Bereiches, wollte nach dem Vorbild anderer Unternehmen wie der STEAG die Sozialbilanz bei Shell einführen, stieß aber zunächst auf interne Widerstände: Der Rechtsbereich sah keine Pflicht zur erweiterten Berichterstattung und warnte vor freiwilligen Leistungen und Festlegungen, da sie nicht zurückzunehmen seien. Der Bereich Rechnungswesen erklärte die Ableitung der erforderlichen Daten aus der Buchhaltung für kritisch, forderte zumindest anderthalb neue Planstellen und hatte – wie intern zu erfahren war – ein Problem damit, eine neue Entwicklung verschlafen zu haben. Die Linienbereiche wollten in Ruhe gelassen werden, um ihren operativen Geschäften ohne externe Fragestellungen nachgehen zu können. [...] Als entschiedenster Gegner bekämpfte besonders der für die bisherige Erstellung des Geschäftsberichtes allein verantwortliche Controller das Ansinnen der ›Verrückten‹ innerhalb und außerhalb des Unternehmens.237

Allerdings konnte Hoffmann sowohl den Personalbereich als auch den Vorstandsvorsitzenden und Generaldirektor der Deutschen Shell, Johannes C. Welbergen, für das Projekt gewinnen. Sie wandten sich an Meinolf Dierkes, der zu diesem Zeitpunkt am Battelle-Institut in Frankfurt die Abteilung für Angewandte Sozial- und Verhaltensforschung leitete. Die Ausrichtung des Battelle-Instituts auf Anwen234 Hier wurde sowohl retrospektiv die Suezkrise von 1956 thematisiert als auch der Sechstagekrieg 1967, die Rezession 1966/67 und der nigerianische Bürgerkrieg (›Biafra Krieg‹, 1967-1970). 235 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsberichte 1951-1969; Kapitel 1. 236 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsberichte/Sozialbilanzen 1951-1999; Kapitel 6. 237 V. Hoffmann 2001, S. 208.

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dungsforschung und Dierkes’ Status als Experte für Sozialbilanzen versprachen als Ergebnis der Zusammenarbeit eine gleichermaßen implementierungsfähige wie anspruchsvolle Sozialbilanz. Dierkes überzeugte schließlich sogar den widerständigen Controller von dem Projekt, indem er ihn einlud, mit Studenten über Shell und ihre Rolle in der Gesellschaft zu diskutieren.238 Welbergen berief eine Arbeitsgruppe ein, die zusammen mit Dierkes ein Konzept zur Integration der Sozialbilanz in den Geschäftsbericht erarbeitete. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe gehörten alle der Leitungsebene an und kamen aus den Unternehmensbereichen Personal, Öffentlichkeitsarbeit, Gesellschaftspolitik, Rechnungswesen, Marketing, Technik, Forschung und Umweltschutz. Die Mitarbeit des Wissenschaftlers verschaffte der Publikation erstens qua seiner Teilnahme und zweitens durch einen deutlich elaborierteren Ansatz ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit als bis dahin erschienene Sozialbilanzen.239 Der Einfluss des Sozialwissenschaftlers schlägt sich deutlich in den Publikationen nieder. Shell versuchte den von Dierkes entwickelten Goal Accounting-Ansatz in der Sozialbilanz anhand fünf zentraler Unternehmensziele umzusetzen, die die langfristige Unternehmenspolitik bestimmen sollten: (1) marktgerechte Versorgung der Verbraucher, (2) Entwicklung neuer Anwendungsverfahren und Produkte, (3) Erwirtschaftung einer angemessenen Rendite, (4) Berücksichtigung der Interessen unserer Mitarbeiter sowie (5) Beachtung der Belange des Gemeinwohls. Das fünfte Ziel wurde 1977 zu Beachtung der Belange des Gemeinwesens als Reaktion auf Kritik an dieser Formulierung, die eine stete Gemeinwohlorientierung des Unternehmens suggeriere, geändert. 1978 entfiel das Ziel Entwicklung neuer Anwendungsverfahren gänzlich, stattdessen wurde die langfristige Unternehmenssicherung zum Zentralziel der Unternehmenspolitik erkoren, von dem sich die vier verbleibenden Ziele ableiten sollten. Wohlwissend um die Wirkung stellte Welbergen Parallelen zwischen dem mikroökonomischen Zielsystem der Deutschen Shell und dem makroökonomischen ›magischen Viereck‹ her, das seit der Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes 1967 unter Wirtschaftsminister Karl Schiller als Symbol der Zielharmonie von angemessenem Wirtschaftswachstum, hoher Beschäftigung, Preisniveaustabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht innerhalb der Sozialen Marktwirtschaft gilt:240

238 Vgl. ebd., S. 208-211. 239 Vgl. Welbergen 1978, S. 610 u. 615; Interview Dierkes 19.10.2010; Kapitel 3.2. 240 Vgl. Abelshauser 2011, S. 371-372; Haarlaender 1978, S. 293-294; Welbergen 1978, S. 613; ders. 1979, S.8.

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Abbildung 9: Unternehmensziele der Deutschen Shell AG

Marktgerechte Versorgung der Verbraucher

Erwirtschaftung einer angemessenen Rendite

Langfristige Unternehmenssicherung

Beachtung der Belange des Gemeinwesens

Berücksichtigung der Interessen unserer Mitarbeiter Quelle: Darstellung in Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978, S. 10; dies. 1979, S. 8.

Die Ziele waren das Kernstück der 1974 verabschiedeten Shell-Führungsgrundsätze und legten erstmals eine formale Definition der Stakeholder des Unternehmens als »Gruppen der Gesellschaft, die die wirtschaftliche Leistung erstellen oder von dieser abhängig sind«241 fest. Diese Definition entspricht jenem Stakeholder-Begriff, für dessen Popularität Freeman und Reed in den 1980er Jahren sorgen sollten.242 Beide Definitionen berücksichtigten die Konkurrenz diametral zueinander stehender Stakeholder-Ansprüche: Die Mitarbeiter wollen mehr Lohn und Gehalt, bessere Arbeitsplatzbedingungen, höhere Sozialleistungen. Die Aktionäre wollen höhere Dividende oder eine stärkere Sicherung des Unternehmens durch Bildung von Rücklagen. Die Verbraucher wollen mehr Ware von besserer Qualität zu günstigeren Preisen. Der Staat wünscht ein höheres Steueraufkommen. Die Bürger verlangen geringere Umweltbelastung durch industrielle Tätigkeit.243 241 Welbergen 1978, S. 613. 242 Vgl. Freeman/Reed 1983; Einleitung d. vorl. Arbeit. 243 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1979, S. 9; vgl. Welbergen 1978, S. 613.

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Zweck der Sozialbilanz sollte es sein, gegenüber diesen Anspruchsgruppen »vollständige Rechenschaft über die Erreichung aller fünf [...] Unternehmensziele«244 abzulegen und die Orientierung am Prinzip der Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu demonstrieren.245 Sie sollte damit erstens den Stakeholdern zur Kontrolle der Unternehmensaktivitäten in Übereinstimmung mit ihren Interessen und zweitens dem Unternehmen zur Legitimation seiner Handlungen dienen. Beide Funktionen erfüllten Kriterien, die auch gegenwärtig an eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung gestellt werden.246 Mit der Formulierung der Führungsgrundsätze kam die Deutsche Shell dem Mutterkonzern zuvor, der 1975 begann, einen für den Gesamtkonzern verbindlichen Verhaltenskodex aufzustellen. Dies geschah nach dem Bekanntwerden eines Korruptionsskandals in Italien, in den Shell Italien verwickelt war, und nachdem in Großbritannien Informationen darüber öffentlich geworden waren, dass ShellÖllieferungen über Umwege nach Rhodesien gelangt waren.247 Der zunächst zur internen Verwendung gedachte Verhaltenskodex wurde 1976 nach Verabschiedung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen – die global agierenden Unternehmen Unterstützung in der Umsetzung einer verantwortungsvollen Unternehmenspolitik bieten sollten und auf die die Deutsche Shell in Geschäftsbericht/ Sozialbilanz 1976 Bezug nahm248 – schließlich als General Business Principles veröffentlicht. Diese Prinzipien sind immer wieder leicht modifiziert worden, haben jedoch bis heute Geltung und legten, wie die Führungsgrundsätze der Deutschen Shell zwei Jahre zuvor, ebenfalls eine Definition der Stakeholder des Unternehmens fest. Die zentralen Anspruchsgruppen sollten auch hier Kapitalgeber und Aktionäre, Mitarbeiter, Verbraucher und die Gesellschaft sein. Diesen gegenüber hatte der Konzern Verantwortung wahrzunehmen, die zunächst in der Erwirtschaftung von Gewinnen und dann in der Berücksichtigung der jeweiligen Partikularinteressen liegen sollte. Allerdings vertrat der Shell-Konzern den Standpunkt, kein politischer Akteur zu sein und stieß mit dieser Haltung durch seine wirtschaftlichen Aktivitäten in Südafrika auf erhebliche Kritik. Zwar berichtete der Shell-Konzern schon 1973 über den gesellschaftlichen Wandel und seine Auswirkungen auf das Unternehmen 244 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975, S. 10; vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/ Sozialbilanz 1977, S. 12. 245 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975, S. 10. 246 Vgl. Kapitel 8.2. 247 Das völkerrechtlich illegitime Regime von Rhodesien – heute Simbabwe – erhielt zunächst über Südafrika, ab 1971 über Mozambique Öllieferungen, wodurch das Bürgerkriegsembargo gegen Rhodesien umgangen worden war. Vgl. Sluyterman 2007, S. 314318; Stadler 2004, S. 142-143. 248 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976, S. 13 u. 46; Welbergen 1977, S. 140; Kapitel 7.1.

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und verteilte 1976 Broschüren, die die wichtigsten Inhalte des Geschäftsberichtes – u. a. die Gewinnverteilung – für die Mitarbeiter zusammenfasste, doch erst 1978 begann der Konzern, in Geschäftsberichten die Einhaltung der General Business Principles und die Erfüllung gesellschaftlicher Verantwortung zu dokumentieren.249 Die Deutsche Shell war damit innerhalb des Konzerns Vorreiterin in der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung. Die Tochterfirmen des Royal Dutch/Shell-Konzerns waren traditionell relativ unabhängig von der Unternehmenspolitik des Mutterkonzerns. Diese dezentrale Organisation ergab sich zum einen aus der niederländisch-britischen, gremiengeführten Doppelspitze des Konzerns und zum anderen aus den geographischen und damit einhergehenden kulturellen Herausforderungen, denen sich der Mineralölkonzern abhängig von den jeweiligen Bedingungen in den Explorations- und Vertriebsländern stellen musste. 1957 wurde die Dezentralität der lokalen Shell-Einheiten institutionalisiert. In einem von McKinsey unterstützten Reorganisationsprozess wurden Serviceunternehmen250 als Mittler zwischen die niederländisch-britischen Mutterunternehmen Royal Dutch Petroleum und Shell Transport and Trading und den lokalen Operating Companies gesetzt. Formal blieb die 1957 entworfene Organisationsstruktur bis 2005 bestehen.251 Allerdings führte die zunehmende Globalisierung seit den 1970er Jahren allmählich wieder zu Zentralisierungsbestrebungen, in die sich auch die Implementierung der General Business Principles als global geltende Handlungsanweisung für die Shell-Unternehmen einfügte.252 Die fünf Ziele der Deutschen Shell strukturierten die Berichterstattung, verwoben gesellschaftsbezogene mit geschäftsbezogenen Berichtsinhalten zu thematischen Einheiten und schufen einen verbindlichen Kanon von Berichtsinhalten bis 249 Vgl. Sluyterman 2007, S. 307-329; Stadler 2004, S. 139-170; 1978 hatte der Personalbereich des Shell-Konzerns auch eine Analyse des Managements vorgenommen, die zu dem Ergebnis kam, es sei für das Überleben des Konzerns entscheidend, Manager zu haben, die offen und sensibel auf gesellschaftliche Anforderungen reagieren. Vgl. Sluyterman 2007, S. 251. 250 Auf niederländischer Seite Bataafse Internationale Petroleum Maatschappij, Bataafse Internationale Chemie Maatschappij und Shell Internationale Research Maatschappij, auf britischer Seite Shell International Petroleum Company und Shell International Chemical Company. Vgl. Howarth/Jonker 2007, S. 145. 251 Bis 2005 wurde das Unternehmen von einem Vorstandskomitee geleitet, erst dann setzte Shell einen CEO ein. Diese Entwicklung ist vor allem auf den Druck durch amerikanische Shareholder und die zunehmende Verbreitung der SEC-Regeln als internationalem Standard seit Ende der 1970er Jahre zurückzuführen. Vgl. Sluyterman 2007, S. 268-270, 280, 387-394. 252 Vgl. Howarth/Jonker 2007, S. 137-149; Sluyterman 2007, S. 57, 243 u. 436-437; Stadler 2004, S. 242-259.

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zur letzten von Shell veröffentlichten Sozialbilanz 1989. Im Gegensatz zur Sozialberichterstattung vor 1975 stellte die Berichtsstruktur damit tatsächlich eine Innovation dar.253 Zur Bestimmung der kurz- und mittelfristigen Unternehmenspolitik wurden Teilziele von den fünf langfristigen Zielen abgeleitet und zur Kostenkontrolle sowie zur Überprüfung von Maßnahmen und Dokumentation der Ergebnisse dieser Maßnahmen instrumentalisiert. Die Intention einer ständigen Kontrolle an Zielen und Teilzielen war die Implementierung eines Lernprozesses, um Erkenntnisse über die Beziehungen zu den Stakeholdern des Unternehmens zu gewinnen. Welbergen und Hoffmann sahen bereits im Prozess der Formulierung solcher Teilziele ein Movens zur Veränderung der Unternehmenskultur, weil der Zielfindungsprozess die Routine im Unternehmen störe, sich das Unternehmen an den formulierten Zielen messen lassen müsse und jeder Mitarbeiter in die Zielfindung und -erreichung eingebunden werde. Der Prozess »induziert allmählich ein Umdenken im Unternehmen in Richtung auf gesellschaftspolitische Mitverantwortung der einzelnen Mitarbeiter.«254 Die Idee der Mitverantwortung jedes Beschäftigten im Prozess der Zielfindung und -formulierung reflektiert den Wandel der Governance im Unternehmen. Die Unternehmenskultur wird zum Ausdruck eines Individualisierungsprozesses. Es gilt nicht mehr nur, die Betriebsordnung einzuhalten, sondern das eigene Handeln an den Zielen auszurichten und mithilfe der Ziele zu kontrollieren, die idealiter einen harmonischen Konsens aus eigenen und unternehmerischen Zielen darstellen. Konkret hieß dies bei der Deutschen Shell beispielsweise, dass die Beschäftigten den Umweltschutz als Ziel verinnerlichen und Schulungen wegweisend diesen Verinnerlichungsprozess unterstützen sollten.255 Die anspruchsgruppenspezifisch formulierten Ziele sollten gesellschaftlichen Forderungen gerecht werden, zugleich aber auch die Grenzen der Ansprüche gegenüber dem Unternehmen verdeutlichen und schließlich auch unpopuläre Haltungen oder Maßnahmen kommunizieren helfen sowie Verständnis für die Position des Unternehmens wecken: dies geschah insbesondere im Mitarbeiterbereich in Bezug auf Rationalisierungs- und Entlassungspläne, die Grenzen der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit oder den Mangel an weiblichen Beschäftigten, Fach- und Führungskräften.256 Denn auch wenn die fünf Ziele eine langfristig orientierte Unternehmenspolitik zum Ausdruck brachten, waren sie doch zugleich auch eine Reaktion auf die Herausforderungen der unmittelbaren Unternehmensumwelt, denen sich die Deutsche Shell wie der Mutterkonzern in den siebziger Jahren ausgesetzt sahen. Multinationale Mineralölunternehmen standen in der Kritik, zu viel Macht zu besit253 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1989. 254 Welbergen 1978, S. 615; vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978, S. 10; V. Hoffmann 2001, S. 211-212. 255 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976-1989. 256 Vgl. Welbergen 1978, S. 615; Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1994.

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zen und Kartelle zu bilden, Menschenrechte zu missachten, die Umwelt zu verschmutzen und Gewinne möglichst einer Besteuerung zu entziehen.257 Mit Beginn der Ölpreiskrise drohte darüber hinaus die seit den 1960er Jahren kontinuierlich gewachsene Marktmacht der Ölunternehmen und das damit einhergehende Versprechen, die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik auf dem Energiesektor sicherstellen zu können, plötzlich in Frage gestellt zu werden. Der seit den späten fünfziger Jahren kriselnde Kohlesektor erlebte dagegen einen unverhofften, wenn auch nur kurzfristigen Aufschwung.258 Die Deutsche Shell nutzte ihren Geschäftsbericht, um ihre auf Langfristigkeit ausgerichtete Bevorratungspolitik herauszustellen und zugleich die hohen Mineralölpreise zu rechtfertigen, die Ergebnis einer hohen Besteuerung und der Preispolitik der Förderländer seien. Shell übte in den 1970er Jahren in den Geschäftsberichten verhaltene Kritik an den Emanzipationsbestrebungen der erdölproduzierenden Länder. Diese hatten sich 1960 zur Organization of Petroleum Exporting Countries (OPEC) zusammengeschlossen und suchten eine Beteiligung an den Erlösen der in ihren eigenen Ländern geförderten Bodenschätze durch Verstaatlichung und Lizenzierung der Erdölförderung zu sichern. Die Beteiligungen der OPEC-Staaten an der Erdölförderung stiegen in den siebziger Jahren vielfach auf zunächst 25 vH, innerhalb von ein bis sechs Jahren dann auf 60 vH bis 100 vH. Shell kritisierte jedoch die einseitige und politisch motivierte Festsetzung der Rohölpreise, die schnellen Verstaatlichungen der Ölquellen durch die Förderländer, die zum Teil entgegen vertraglicher vereinbarter sukzessiver Übernahmen stattgefunden hätten, und die Reduktion der Fördermengen, um einen gleichbleibenden Absatz zu sichern.259 Nach Abflauen der ersten Ölpreiskrise wurde der Geschäftsbericht zur Plattform für Shells Kritik an der allzu rigorosen, staatlich erzwungenen Bevorratungspflicht, die 1972 mit dem Bundesgesetz zur Notbevorratung mit Erdöl und Gas verstärkt worden war.260 Sie führe zu einem Angebotsüberschuss, und dieser bereitete Shell letztlich in den 1970er und 1980er Jahren ökonomisch mehr Probleme als die vermeintliche Knappheit des Öls unmittelbar in der Krise 1973/74.261 Denn die erhöhten Ölpreise hatte Shell an die Verbraucher weitergeben und darüber hinaus bereits Lagerbestände zum höheren Preis verkaufen können. Die Notbevorratung stelle einen Eingriff in die Mechanismen des freien Marktes dar, so der Vorwurf Shells. Auf dem freien Markt müsse sich das Unternehmen jedoch behaupten, während die 257 Vgl. Sluyterman 2007, S. 301-330. 258 Zur Kohlekrise vgl. Kapitel 5.1.1 u. 5.1.2. 259 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1973-1982; Sluyterman 2007, S. 1933, 77 u. 93. 260 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1973-1978; Karlsch/Stokes 2003, S. 377. 261 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1974-1977.

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deutsche Steinkohle hoch subventioniert würde. Obwohl Shell sich für einen freien Markt aussprach, forderte sie neben anderen Unternehmen der Mineralölindustrie zugleich staatliche Zuwendungen und eine Entlastung von der Bevorratungspflicht, indem die Bestände von der öffentlichen Hand übernommen würden. An den Forderungen entspann sich 1977 eine Debatte um die Einführung eines »Ölpfennigs«262 in Analogie zum Kohlepfennig. Shell kritisierte neben der Subventionierung der heimischen Kohle die Einfuhrbeschränkungen für billigere Importkohle, in deren Handel der Mutterkonzern seit 1974 wieder aktiv geworden war.263 Während die staatliche Unterstützung der Mineralölwirtschaft seit Mitte der sechziger Jahre massiv abgenommen hatte – 1965 lag sie bei 54,4 vH, 1967 noch bei 6,4 vH – hatte die Subventionierung deutscher Steinkohle vice versa zugenommen: von gut 20 vH 1964 auf knapp 90 vH 1967 mit steigender Tendenz in den siebziger Jahren.264 Während der kriselnde Kohlesektor in den Berichten der fünfziger und sechziger Jahre kaum eine Rolle spielte, schwang sich die Kohle noch einmal zum Konkurrenzprodukt im deutschen Energiemarkt auf und rückte mit der Ölpreiskrise entsprechend wieder in den Fokus der Berichterstattung. Die Deutsche Shell betonte umso mehr die Zukunftsfähigkeit ihrer hohen Investitionen in der Erdöl- und Erdgasexploration zur Sicherstellung der Energieversorgung in der Bundesrepublik. So fanden nach vereinzelten Funden in den sechziger Jahren seit Anfang der siebziger Jahre vermehrt Öl- und Erdgasbohrungen im Verbund mit anderen Mineralölgesellschaften in der Nordsee statt, die mit Entdeckung des Brent-Feldes 1971 vor der Nordostküste Großbritanniens vom Mutterkonzern forciert wurden und den Unternehmen mehr Unabhängigkeit von den OPEC-Lieferungen verschaffen sollte.265 Mit dem Geschäftsbericht/der Sozialbilanz für das Jahr 1976 bildeten die Verbraucher einen zentralen Punkt der Berichterstattung. Neben Belegen zur marktgerechten Versorgung wurde auch über Maßnahmen zur dauerhaften Qualitätssicherung, zur Information und Aufklärung der Verbraucher – direkt über Publikationen 262 Jens Friedemann, »Rückzug aus dem Öl? Verdient wird nur an der Chemie: ZeitGespräch mit Johannes C. Welbergen, dem Chef der Deutschen Shell«, in: Die Zeit (25.3.1977), Nr. 13; Deutscher Bundestag, Drucksache 8/33 (14.1.1977), S.18; Krüper 1977, S. 208-211. 263 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1973-1982; Shell war zum einen am Handel mit der seit der Ölpreiskrise wieder attraktiv gewordenen Kohle interessiert, zum anderen an der Weiterentwicklung von Kohlevergasungsverfahren. Erst im Jahr 2000 verkaufte der Konzern seine Kohlesparte wieder. Vgl. Sluyterman 2007, S. 117124. 264 Vgl. Karlsch/Stokes 2003, S. 366-367. 265 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1980; Sluyterman 2007, S. 38-53; Stadler 2004, S. 28-29.

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und indirekt über Ausbildung und Schulung von Shell-Mitarbeitern und Vertriebspartnern – sowie zu deren Gesundheitsschutz und Sicherheit berichtet. Darüber hinaus wurden die Kernergebnisse von Marktforschungsumfragen zur Bedarfsermittlung und Kundenzufriedenheit in der Publikation veröffentlicht.266 Diese Berichterstattung spiegelte die wachsende Bedeutung der Verbraucher als meinungstragende Anspruchsgruppe in der Wahrnehmung des Unternehmens wider, die durch eine zunehmende Regulierung des Verbraucherschutzes gestärkt worden war.267 Eines der zentralen Anliegen der Sozialbilanzierung war die Einbettung der Gewinnerwirtschaftung als eines der Kernziele in die soziale Umwelt des Unternehmens. So erklärte Welbergen, dass er Milton Friedman zwar durchaus darin zustimme, die Gewinnerwirtschaftung sei elementar mit der Existenz eines Unternehmens verknüpft. Zur Legitimation der Unternehmensexistenz genüge die Gewinnerwirtschaftung aber angesichts zunehmender gesellschaftlicher Kritik nicht mehr. Hier drohe nicht zuletzt eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit durch eine restriktivere Gesetzgebung, wenn Unternehmer zu wenig auf gesellschaftliche Forderungen nach mehr Verantwortung eingingen. Trotzdem scheute es Shell nicht, in Geschäftsbericht und Sozialbilanz für das Jahr 1977 die Gleichgewichtigkeit der postulierten Kernziele aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung im Berichtsjahr zu hinterfragen und dem Ziel der Gewinnerwirtschaftung Vorrang gegenüber den übrigen Zielen einzuräumen.268 Indem jedoch das wirtschaftliche Handeln qua Berichterstattung erklärt wurde, offenbarte sich auch hier der Wille zur Legitimation der Unternehmenstätigkeit gegenüber den Anspruchsgruppen als Adressaten der Publikation. Shell sah sich in den 1970er Jahren wie andere Mineralölkonzerne Vorwürfen der Preisabsprache mit Konkurrenten, der Gewinnverschiebung und Steuermanipulation sowie der Ausnutzung eines Monopols gegenüber und hatte dringenden Legitimationsbedarf gegenüber der Öffentlichkeit.269 Kritik kam unter anderem von gewerkschaftlicher Seite. Die national agierenden Gewerkschaften standen vermehrt multinational operierenden Unternehmen gegenüber und fürchteten um ihre Einflussmöglichkeiten, vor allem aber um die Verlagerung von Produktionsstätten in Länder, die eine kostengünstigere Produktion durch geringere Lohnkosten versprachen.270 Diese Befürchtungen waren eng verbunden mit der andauernden Debatte

266 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976-1983. 267 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977 u. 1980; Sluyterman 2007, S. 84-85. 268 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977, S. 12. 269 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1973-1983; Dt. Shell, Fakten – Zahlen – Hintergründe: Shell zum Thema Gewinnverschiebung (1981); Welbergen 1977, S. 139141. 270 Vgl. Jungnickel/Matthies 1973, S. 43-56.

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zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften über zu hohe Lohnforderungen auf der einen und vorenthaltene Gewinne oder geschönte Bilanzen auf der anderen Seite.271 Das Bestreben, innerhalb der Berichtserstattung die positiven Beiträge des Unternehmens zur Erfüllung der Stakeholder-Ansprüche herauszustellen, führte zu Inkonsistenzen in der Berichterstattung: So versuchte Shell sich auf der einen Seite den Vorwürfen von Monopolpolitik und Preistreiberei zu erwehren, beschrieb auf der anderen Seite aber »[s]tändige Bemühungen um Erhöhung der Preise für Mineralölprodukte«272 als Beitrag für die Geldgeber und Anteilseigner des Unternehmens. Mit Veröffentlichung der ersten Sozialbilanz für das Geschäftsjahr 1975 begann die Deutsche Shell überhaupt erst, ihre Beziehungen zur Kapitalgebern im Geschäftsbericht zu thematisieren und damit diese Gruppe als Anspruchsgruppe formal zu definieren, während sich frühere Geschäftsberichte mit Selbstverständlichkeit zuallererst an die Kapitalgeber als Rezipienten und nachgeordnet an die Mitarbeiter des Unternehmens richteten.273 Auf der Suche nach einem ›grünen‹ Image Willy Brandt erklärte in seiner Antrittsrede vom 28. Oktober 1969 Umweltschutz zum Gegenstand seiner Politik, 1970 folgte ein Sofortprogramm und 1971 ein Umwelt-Programm der Bundesregierung.274 Zur gleichen Zeit begann die Deutsche Shell erstmals in ihrem Geschäftsbericht von 1969 über Umweltthemen zu berichten. Schwankte diese Berichterstattung zunächst in ihrem Umfang, so stieg sie von durchschnittlich 3,8 vH an der Gesamtberichterstattung zwischen 1970 und 1974 auf durchschnittlich 8,3 vH zwischen 1975 und 1979.275 Sie wurde durch die Integration der Sozialbilanzen in die Geschäftsberichte seit 1975 erstmalig formalisiert, indem ihr eigene Berichtsabschnitte zugewiesen wurden. In Geschäftsbericht und Sozialbilanz für 1976 veröffentlichte die Deutsche Shell selbstgesetzte Richtlinien zum Umweltschutz, die geeignet sein sollten, sowohl der stets aktuellen Gesetzgebung als auch den 1969 verabschiedeten, bisher nur intern verwendeten umweltpolitischen Leitsätzen der Royal Dutch/Shell gerecht zu werden. Die Richtlinien fassten schlagwortartig die wesentlichen Umweltziele des Unternehmens zusammen, deren inhaltliche Ausgestaltung im Berichtsteil spezifiziert wurden.276 Hier ging es um Informationen über die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen auf 271 Vgl. Schäfer 1973. 272 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977, S. 14. 273 Vgl. Dt. Shell Geschäftsberichte 1951-1975. 274 Vgl. Regierungserklärung Brandts vom 28.10.1969 (in: Beyme 1979, S. 251-281); Faulenbach 2011, S. 598. 275 Vgl. Kapitel 6. 276 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976, S. 40; dies. 1977-1979; Pohl 1983, S. 7.

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bundes- und europäischer Ebene zum Immissions-, Wasser- und Luftschutz (TA Luft277) und zu Arbeitsstoffen, der Störfallverordnung, des Benzinbleigesetzes, der Großfeuerungsanlagenverordnung oder des Chemikaliengesetzes. Shell versäumte es zudem nicht, auf der einen Seite Maßnahmen wie beispielsweise Forschung zur Förderung umweltfreundlicherer Produktion, Produktanwendung und -entsorgung, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgingen, und auf der anderen Seite die zusätzlichen finanziellen sowie organisatorischen Belastungen durch steigende Regulierung von Umweltschutzmaßnahmen in den Publikationen zu erwähnen.278 Vor allem jedoch wurde die Verantwortung des Unternehmens gegenüber der Umwelt – als staatlicher Berater279 –, Verbrauchern und Anwohnern sowie die Verantwortung jedes einzelnen Shell-Mitarbeiters besonders herausgestellt. Es galt, durch eine gezielte Informationspolitik das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Anwohner zu gewinnen und durch gezielte Schulungen die Mitarbeiter als eigenverantwortliche Individuen zu umweltschutzorientiertem Handeln anzuleiten.280 Die Betonung des freiwilligen Umweltschutzengagements war von außerordentlicher Bedeutung für Shell, da Proteste von Umweltschutzaktivisten erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung haben konnten.281 Der Hinweis auf Aktivitäten in der Deutschen Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie (DGMK), die umweltorientierte Forschungsprojekte betrieb, und in der Initiative CONCAWE (Conservation of Clean Air and Water in Western Europe) sollten Aussagen über die Umweltschutzabsichten zusätzlich stützen.282 CONCAWE wurde 1963 als Gemeinschaftsprojekt von Shell und BP gegründet, um externe Forschungsprojekte zur Vermeidung von Umweltverschmutzungen durch Immissionen beziehungsweise zur Verbesserung des Immissionsschutzes zu fördern. In den siebziger Jahren schlossen sich immer mehr Unternehmen dem Projekt an.283 In den 1970er Jahren begann der Shell-Konzern eine Diversifizierungsstrategie durch Firmenübernahmen und Neugründungen zu verfolgen, baute seine Chemiesparte aus, engagierte sich in der Förderung von Erzen und ab 1973 in der Atomindustrie mit der Gründung der General Atomic Company – einem Gemeinschaftsprojekt von Shell und Gulf Oil. Ende der 1970er Jahre wagte Shell allerdings schon wieder den Ausstieg aus der Atombranche. Gründe dafür vermutet Stadler erstens in den Sicherheitsrisiken der Atomtechnik, die durch die Teil-Kernschmelze in Harrisburg 1979 konkret wurden, und zweitens in der Angst vor möglichen Imagever277 Vgl. Kapitel 5.1.1. 278 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1974-1987. 279 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976, S. 40. 280 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976-1997. 281 Vgl. Sluyterman 2007, S. 80-81. 282 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977-1979. 283 Vgl. Gladwin/Walter 1976, S. 67-68; Sluyterman 2007, S. 304-305.

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lusten, die mit einer seit 1975 erstarkenden Bürgerbewegung gegen den weiteren Ausbau der Atomkraft stieg. Sie liegen aber sicher nicht weniger im finanziellen Risiko der investitionsintensiven Technologie begründet.284 Einen Imagewechsel verfolgte der Mutterkonzern 1978 durch weitere Diversifizierung mittels der neu gegründeten Sparte Non-Traditional Business Division (NTB), die sich auf die Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien (Forstwirtschaft285 , Solarenergie, Biotechnologie) konzentrieren sollte, die 1997 in der Gründung von Shell International Renewables aufgingen.286 Shell nutzte die Geschäftsberichte/Sozialbilanzen, um auf einen maßvolleren Umgang mit Energieressourcen aufmerksam zu machen. Das Unternehmen rief die Verbraucher immer wieder zum sparsamen Umgang mit Öl auf, um erstens die Versorgungssicherheit angesichts politischer Krisen zu sichern, und zweitens hinsichtlich der Endlichkeit fossiler Ressourcen eine ausgewogene Verteilungspolitik zu verfolgen. Zugleich warb das Unternehmen in den Publikationen jedoch auch mit der Ausweitung der Geschäftstätigkeit zur Sicherung der Versorgung als »Leistung gegenüber Staat und Gemeinschaft« ohne auf das Spannungsverhältnis beider Ziele hinzuweisen.287 Die Publikation diente seit den späten 1970er Jahren auch dazu, die Leser über die Häufigkeit und das Ausmaß von Ölverschmutzungen durch Tankerunglücke, aber auch über technische Verbesserungen zur Vermeidung solcher Unfälle zu informieren. Shell berichtete erstmals in Geschäftsbericht und Sozialbilanz für 1977 über Tankerunglücke. Der Bericht erschien im Frühjahr 1978, nachdem kurz zuvor der Tanker Amoco Cadiz vor der bretonischen Küste verunglückt war, 220.000 Tonnen Ladung verlor und die bis dahin größte Katastrophe der Öltankerschifffahrt auslöste. Zwar gehörte das Schiff der American Oil Company (Amoco), allerdings hatte Shell das Schiff von Amoco gechartert und stand deshalb ebenso wie das amerikanische Unternehmen in der öffentlichen Kritik, die sich auch in Deutschland in Protesten von Umweltschützern äußerte.288

284 Vgl. Faulenbach 2011, S. 488-9; Sluyterman 2007, S. 96-109; Stadler 2004, S. 28. 285 Der Bereich Forstwirtschaft wurde wegen seiner engen Bezüge zur Papierindustrie später ersetzt durch den Bereich Windenergie. Vgl. Sluyterman 2007, S. 362. 286 Vgl. Sluyterman 2007, S. 127-128 u. 426. 287 Dt. Shell Geschäftsbericht 1974, S. 23; vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1973-1983. 288 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977-1990, insb. 1977, S. 40; Heinz Blüthmann, »Die letzten elf Stunden der ›Amoco Cadiz‹: Wie es zur bisher größten Ölkatastrophe kam«, in: Die Zeit (7.7.1978), Nr. 28; Engels 2006, S. 224; Sluyterman 2007, S. 63-67.

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Das soziale Unternehmen Die sozialpolitischen Themen, die die siebziger Jahre bewegten, spiegelten sich deutlich in den Sozialbilanzen der Deutschen Shell. Zwar blieben traditionelle Sozialleistungen wie die Mitarbeiterverpflegung, Sportangebote, das Vorschlagswesen und Maßnahmen zur langfristigen sozialen Sicherung – wie Altersversorgung und Krankenversicherung – wichtige Bestandteile der Berichterstattung. Durch die Ausweitung der Berichterstattung um aktuelle politische Themen gewann die mitarbeiterbezogene Berichterstattung jedoch an Umfang und Qualität. Zu quantitativen Angaben – wie Personalkosten, Mitarbeiterzahlen und Unfallentwicklung – kamen ab Mitte der 1970er Jahre differenzierte Daten über die Mitarbeiterstruktur (Alter, Geschlecht, Qualifikation, Bezahlung) hinzu und wurden zunehmend durch Grafiken und Tabellen ergänzt. Die Deutsche Shell informierte seit 1976 über die angebotenen Fördermöglichkeiten für Frauen, für ältere Arbeitnehmer, damit diese trotz körperlicher Einschränkungen weiterhin im Berufsleben stehen könnten, und seit 1978 für Menschen mit Behinderung.289 Der Berichterstattung über Karrieremöglichkeiten für Frauen gingen Diskussionen um deren Förderung im Gesamtkonzern der Shell voran. Der Konzern befürchtete, auch europäische Regierungen könnten unter dem Druck der Frauenbewegung den Unternehmen Quoten vorschreiben, wie in den USA bereits in den 1960er Jahren geschehen. Einer möglichen staatlichen Regulierung wollte er durch freiwilliges Engagement vorgreifen.290 Mit der Einführung der Sozialbilanz änderte sich das Bild, das von den Beschäftigten innerhalb des Geschäftsberichtes gezeichnet wurde. Nicht mehr kollektive Sozialleistungen standen im Vordergrund der Sozialberichterstattung, sondern Maßnahmen zur Förderung der individuellen Entwicklung jedes Mitarbeiters. Eigenverantwortlichkeit, Flexibilität, Innovationsfähigkeit und Selbstverwirklichung – jene Ziele, die Foucault dem unternehmerischen Selbst als handlungsleitende Maxime zuschreibt291 – beherrschten nun die Berichterstattung über das Portfolio der sozialen Leistungen. Eng an den Ideen der Humanisierung der Arbeitswelt orientiert, wurden Maßnahmen zur geeigneten Arbeitsplatzauswahl, -gestaltung und -verbesserung propagiert: Arbeitsplatz- und Mitarbeiterbewertungssysteme schüfen ein objektives Instrument zur Auswahl der Beschäftigten für die richtigen Arbeitsplätze und vice versa; die institutionalisierte Karriereplanung bei Shell ebne schon dem akademischen Führungsnachwuchs den Weg zum verantwortungsbewussten, qualifizierten Manager; Motivation, Verantwortung und Identifikation der Mitarbeiter würden durch individuelle, leistungsabhängige Entlohnung, flexible Arbeitszeitregelungen, das Vorschlagswesen, den Abbau von Hierarchien und eine auf Transparenz gerichtete Informationspolitik gefördert. Sozialen Gefahren wie »Koordinie289 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1970-1997. 290 Vgl. Sluyterman 2007, S. 256-260. 291 Vgl. Einleitung dieser Arbeit.

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rungs- und Kommunikationsschwierigkeiten«292 werde durch den Bau von Gebäuden vorgebeugt, die das soziale Miteinander förderten; physische Gefahren wie Unfälle und Krankheiten würden durch ergonomische und arbeitsmedizinische Maßnahmen gebannt. Zufriedenheit, Betriebsklima und potentielle Missstände wurden anhand von Befragungen und Zufriedenheitsindikatoren wie Fluktuation, Krankenstand und Fehlzeiten gemessen, um Maßnahmen zu deren Vermeidung zu entwikkeln. Zwar sind diese Mittel zur Förderung der Mitarbeitermotivation und Messung der Zufriedenheit kaum eine Innovation, doch unterschied sich die Darstellung in der Sozialberichterstattung im Vergleich zu jener früherer Jahre deutlich, indem auf die individuelle Förderung und gleichzeitige Verantwortung des einzelnen Mitarbeiters verwiesen wurde. Ziel sei es letztlich, dass die Mitarbeiter sich als »Kommunikationsmittler zwischen Shell und der Öffentlichkeit«293 verstünden. Hierzu seien Identifikation, Information und Motivation der Beschäftigten notwendig.294 Die Deutsche Shell berichtete bereits in den 1950er Jahren – wie ihre Vorgängerin Rhenania-Ossag – traditionell im Geschäfts- wie im Sozialbericht über philanthropische Maßnahmen, allerdings wurde sie mit der Integration der Sozialbilanz in den Geschäftsbericht und der Formulierung des Zieles Beachtung der Belange des Gemeinwohls/Gemeinwesens systemrelevant innerhalb der Berichterstattung. Wurde zunächst weiterhin über Spenden, die Freistellung von Mitarbeitern und die seit 1949 betriebenen Verkehrserziehungsschulen der Deutschen Shell berichtet, so weitete sich die Berichterstattung in Geschäftsbericht und Sozialbilanz für 1977 deutlich aus: Die Belange des Gemeinwesens umfassten nun die Berücksichtigung der Interessen von Staat, Bevölkerung, Jugend, sozial schwachen und benachteiligten Gruppen, der Umwelt und des Interessengefüges aus Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft mit seinen Wechselwirkungen.295 Diese Ausweitung hatte auch Auswirkungen auf die tradierten Berichtsinhalte. Mit dem Geschäftsbericht für das Jahr 1976 – zwei Jahre nach der Reform des Schwerbeschädigtengesetzes und im Jahr des Inkrafttretens des Förderprogramms zur Integration von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz – wies die Deutsche Shell auf die besondere Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in der Verkehrserziehung hin, weil damit »positive Akzente für eine weiterführende soziale Integration«296 gesetzt würden. Vor allem standen jedoch inhaltlich neue Aspekte der Gesellschaftsorientierung im Vordergrund. Shell betonte den gesellschaftlichen Nutzen des Unternehmens durch die Bereitstellung von 292 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1974, S. 23. 293 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977, S. 43. 294 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1986. 295 Vgl. Rhenania-Ossag Sozialbericht 1935/36-1939; Dt. Shell Geschäftsbericht/ Sozialbilanz 1951-1997. 296 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976, S. 36.

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Fachwissen, Informationen, Erfahrung, Dienstleistungen und Sachmitteln oder von Mitgliedschaften in und Zahlungen an Verbände; und hob zugleich hervor, dass Lobbyismus als legitime und sozial nutzenbringende Aktivität aufgrund der Verflechtung von Unternehmen und Gesellschaft verstanden werde.297 Die Einhaltung der Steuergesetzgebung zählte Shell in der Sozialbilanz gleichermaßen zu den gesellschaftlich nützlichen Leistungen des Unternehmens, zuweilen auch mit gewagter Formulierung: »Als Leistung gegenüber Staat und Gesellschaft empfinden wir auch unsere Pflicht zum Steuereinzug und zur Steuerzahlung. Bei der Mineralölund Umsatzsteuer sowie den Zöllen fungieren wir letztlich als ehrenamtliche Steuereinzieher.«298 Als ehrenamtliche Aufgabe präsentierte Shell den Steuereinzug in den nachfolgenden Publikationen zwar nicht mehr, er blieb aber dennoch als gesellschaftsbezogene Aufgabe Teil der Berichterstattung.299 Das Unternehmen war jedoch nicht das einzige der Branche, das die Besteuerung von Mineralölprodukten zum Anlass nahm, seine sozialen Absichten zu demonstrieren. Auch der Mineralölkonzern BP präsentierte sich als »tax collecting agency«300. Die Berichterstattung über die Jugendarbeit der Deutschen Shell konzentrierte sich in den 1970er Jahren – neben den Verkehrsschulen als traditionellem Berichtsinhalt – auf die Beziehungen des Unternehmens zu Gymnasialschülern und Studenten; also zu jenen Gruppen, die einerseits Opposition zu multinationalen Unternehmen in der Chemiebranche wegen ihres Images als Umweltverschmutzer bezogen, und aus denen sich andererseits der gesuchte Fach- und Führungskräftenachwuchs rekrutieren sollte.301 Shell klagte über den Mangel an Chemie-Fachkräften und legte besonderen Wert auf eine möglichst frühe Bindung von potentiellen Führungskräften an das Unternehmen. Lebenslange Beschäftigung gehörte in dem Konzern selbst unter Führungskräften bis in die 1990er Jahre zur Regel, und der Nachwuchs wurde durch zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten, Programme und Auslandsaufenthalte gezielt auf die Aufgaben in dem global agierenden Unternehmen vorbereitet.302 So berichtete Shell über Informationsmöglichkeiten zur Aufklärung an Schulen und Hochschulen über Umweltschutzmaßnahmen im Unternehmen oder das an Schulen und Berufsschulen eingesetzte Unterrichtsmodell Energie zur Darstellung energiepolitischer Entwicklungen und Probleme. Darüber hinaus schrieb Shell über 297 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977-1979, 1982, 1986; zum Lobbyismus siehe z. B. 1978, S. 44: »Darüber hinaus nehmen wir unser Recht in Anspruch, bei der Meinungsbildung über die vom Staat zu setzenden Rahmenbedingungen für die Betätigung von Industrie und übriger Wirtschaft mitzuwirken.« 298 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1974, S. 25. 299 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1986. 300 Zit. n. Sluyterman 2004, S. 77. 301 Vgl. Kapitel 4.1. 302 Vgl. Stadler 2004, S. 172-174.

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das an Gymnasien umgesetzte Programm Schule und Arbeitswelt, das Einblicke in die Welt der Führungskräfte geben sollte; das Hamburger Modell als Berufsbildungsprogramm, das die Zeit zwischen Abitur und Studium für begabte Abiturienten mit Einblicken in die unternehmerische Praxis überbrücken sollte; den Beitritt zum 1969 gegründeten Förderkonsortium der Studentenvereinigung AIESEC (Association Internationale des Étudiants en Sciences Économiques et Commerciales) oder die Shell Jugendstudien.303 Im Auftrag des Jugendwerkes der Deutschen Shell entstanden in den 1970er Jahren mehrere Befragungen Jugendlicher und junger Erwachsener, durch die deren Einstellungen zum Wirtschaftssystem, Unternehmertum und multinationalen Unternehmen ermittelt wurden. Die Studien, die vom Münchner Institut für Jugendforschung durchgeführt wurden, sollten insbesondere das Ausmaß der Kritik an den Unternehmen und den Wissensstand der Befragten über wirtschaftliche Zusammenhänge analysieren. Die Studien zum Unternehmerbild entstanden zwischen 1973 und 1979. Sie zielten insbesondere auf eine gesonderte Erhebung der Einstellungen jener Befragten, die ein Gymnasium oder eine Hochschule besuchten oder besucht hatten, um das Meinungsbild der künftigen Führungselite zu erfassen.304 Dieses Anliegen spiegelte die in den siebziger Jahren von Arbeitgeberseite immer wieder formulierte Furcht vor einer Radikalisierung der akademisch ausgebildeten Jugend, die das freie Unternehmertum und das kapitalistische Wirtschaftssystem im Allgemeinen ablehne.305 So wurden die Befragten nach ihrem Bild vom Kapitalismus und Sozialismus befragt sowie danach, welches System sie bevorzugten und aus welchen Gründen. Die Studien reflektieren all jene Problembereiche, die von Arbeitgeberseite zur Beginn der siebziger Jahre als problematisch mit Blick auf das öffentliche Bild des Unternehmens identifiziert worden waren und sich in den Geschäftsberichten/Sozialbilanzen der Deutschen Shell wiederfanden.306 Insbesondere der Umweltschutz nahm einen hohen Stellenwert bei den Befragten ein, die diesen in erster Linie als Aufgabe der Industrie betrachteten. Die Ergebnisse der Studien waren allerdings durchaus im Sinne der Auftraggeber – der Deutschen Shell und ihres Jugendwerkes – und bescheinigten der Jugend insgesamt sowie der künftigen Führungselite ein kritisches, aber durchaus positives Unternehmerbild, Konsumfreudigkeit, Bejahung des Leistungsprinzips, den Willen zum sozialen Aufstieg, eine positive Einstellung gegenüber multinationalen Unternehmen und im Wesentlichen

303 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1974-1997. 304 Vgl. Deutsche Shell Jugendwerk 1974a, 1974b u. 1980. 305 Vgl. BDA Abt. VIII 1974: Allgemeiner Informationsbericht Presse Nr. 7 (23.10.1974, S. 2-3); Kapitel 4.1. 306 Vgl. Kapitel 4.1.

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Konformität mit dem westlichen Wirtschaftssystem, wenn sich auch einige kritische Ausreißer zeigten.307 Vielversprechend oder elitär? Die Rezeption der Shell Sozialbilanzen Durch ihren elaborierten Goal Accounting-Ansatz, der unter der Mithilfe von Meinolf Dierkes anwendungsbezogen entwickelt worden war, und die Kombination mit weiteren Instrumenten zur Demonstration einer verantwortungsvollen Unternehmenspolitik, fiel die Resonanz auf die Shell Sozialbilanzen überwiegend positiv aus. Kurt Faltlhauser, ehemals bei Pieroth für die Sozialbilanz verantwortlich, würdigte die Shell Sozialbilanz als positiven Beitrag zur Verbindung finanz- und gesellschaftsbezogener Berichterstattung, die verhindere, dass die gesellschaftsbezogene Berichterstattung »zur Sumpfblüte sozialromantischer Phantasten oder aber zum oberflächlich interpretierten Handwerkszeug der Werbeabteilungen«308 verkomme. Gerd Haarlaender, der den Bereich Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bei der Deutschen Shell leitete, sprach selbstbewusst sogar davon, dass die Shell Sozialbilanz von 1977 trotz verbesserungswürdiger Aspekte »das Optimum des heute Realisierbaren«309 sei. Doch auch von wissenschaftlichen Autoren wurde der Anspruch der Shell-Sozialbilanz gegenüber vorherigen Versuchen einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung positiv hervorgehoben. Friedrich Ziehm310 wertete die ShellSozialbilanz trotz einiger Differenzen zwischen dem theoretischen Anspruch des Goal Accounting-Ansatzes und der praktischen Umsetzung als Indikator für »ein Verständnis der gesellschaftlichen Verantwortung des Managements dieses multinationalen Unternehmens«311. Der Schweizer Ökonom Bikki Jaggi beschrieb die Eigenheiten der qualitativ ausgerichteten deutschen Sozialbilanzierung gegenüber den amerikanischen Versuchen, stellte das Beispiel der Shell als vielversprechendsten Ansatz heraus und wies auf dessen Potential als Vorbild für andere europäische Unternehmen hin.312 Von gewerkschaftlicher Seite hingegen gab es Kritik. Der gewerkschaftsnahe Fischer-Winkelmann bezeichnete das Goal Accounting der Deutschen Shell als »elitäres Zielfindungskonzept«313. Die Ziele seien nicht im Dialog gefunden worden, dadurch ebenso wenig gesellschaftlich legitimiert, sondern lediglich von der 307 Vgl. Deutsche Shell Jugendwerk 1974a, 1974b u. 1980. 308 Faltlhauser 1978a, S. 65. 309 Haarlaender 1978, S. 298. 310 Vgl. Kapitel 3.2.2. 311 Ziehm 1978, S. 127. 312 Vgl. Jaggi 1980. 313 Fischer-Winkelmann 1980, S. 56.

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Unternehmensführung implementiert worden, ohne den Primat der Gewinnmaximierung in Frage zu stellen. Dem gewerkschaftlichen Vorwurf, die Sozialbilanz sei lediglich ein Instrument, um die Tarifpolitik zugunsten der Arbeitgeberseite zu beeinflussen, entgegnete Welbergen, es gebe längst geeignetere Mittel, um Einfluss auf die Tarifpolitik zu nehmen; ebenso wie es geeignetere Wege der Unternehmenswerbung und -PR gebe als die Sozialbilanz. Ihr Zweck liege darin, tatsächlich »die Leistung für die Gemeinschaft [zu] verdeutlichen.«314 Allerdings erreichte die Sozialbilanz die Gesellschaft nicht in dem Maße wie es sich Dierkes und die Shell-Verantwortlichen gewünscht hatten. Zwar behauptete Welbergen, die Sozialbilanz sei sowohl als Mittel zur Information als auch zur Kommunikation konzipiert worden.315 Letztlich blieb sie jedoch ein einseitiges Informationsinstrument und die von Dierkes propagierten Feedback-Funktionen der Sozialbilanz wurden – abgesehen von der Mitarbeiterbefragung – nicht entwickelt. Dass die Sozialbilanz auch 1980 noch nicht die gewünschte Masse an Lesern gewonnen hatte, zeigte sich in der Produktion des Filmes »Das Unternehmen und seine Umwelt«, der den Mitarbeitern und der Öffentlichkeit die Shell Sozialbilanz näher bringen sollte.316 Und auch Ende der 1990er Jahre erwies sich, wie wenig die Sozialbilanz als Kommunikationsinstrument im Unternehmensgedächtnis verankert war. 1998 veröffentlichte der Mutterkonzern Royal Dutch/Shell als Element einer Kommunikationsoffensive einen Bericht über die gesellschaftliche Rolle des Konzerns und seine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Die Deutsche Shell würdigte diesen Bericht als erstmaligen Versuch einer offenen Kommunikationspolitik und »völlig neuen Unternehmensberichterstattung«317 gegenüber den Stakeholdern, um diesen zu »zeigen, daß sich ethische Grundsätze und Gewinnstreben nicht ausschließen müssen.«318 Der Bericht stellte sogar grafisch die vermeintliche Neuerung der Berichterstattung dar und beschrieb ihn als ersten Bericht, der finanz-, sozial- und ökologiebezogene Themen in einer Publikation vereine. Auch die niederländische Historikerin Keetie Sluyterman konstatierte, Shell habe mit dieser Form der Berichterstattung 1998 Neuland betreten: »The area of environmental auditing was in its infancy, and ›social auditing‹ was even less advanced.«319 Der Versuch der Deutschen Shell eben jenen Forderungen nach Verantwortung, Transparenz und offener Kommunikation mit der Sozialbilanz von 1975 gerecht zu werden, war vergessen. Neu war allerdings die Möglichkeit zum Feedback, die den Lesern durch 314 Welbergen 1978, S. 610. 315 Vgl. Welbergen 1978, S. 612; Interview Dierkes 19.10.2010. 316 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1979, S. 36; Senaclens 1981, S. 3. 317 RWWA 409: Klaus Picard (Direktor Unternehmenskommunikation und Wirtschaftspolitik, Dt. Shell) an Klara van Eyll (RWWA) (08.03.1999). 318 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1997, S. 34. 319 Sluyterman 2007, S. 358.

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Antwortkarten und das Internetportal der Shell bereitgestellt wurde. Die Leser wurden aufgefordert, Verbesserungsvorschläge und Wünsche an Shell hinsichtlich der künftigen Berichterstattung zu formulieren. Hier wurde jene Feedback-Vision von Dierkes Wirklichkeit, die er bereits 1974 in sein Goal Accounting-Konzept integriert hatte.320 Christian Stadler verortet in seiner Untersuchung über die Unternehmenskultur der Royal Dutch/Shell diese neuerliche Öffnung als Folge der Ereignisse um die Entsorgungspläne der Brent Spar und stellt fest, dass die Kommunikationspolitik des Shell-Konzerns im Hinblick auf technische Entwicklungen bis in die 1990er Jahre eindimensional geprägt war. Shell informierte die Öffentlichkeit, aber trat nicht in einen Dialog mit ihr.321 Entgegen der Deutung Stadlers, der zwar eine frühe Stakeholder-Orientierung beim Shell-Konzern ausmacht, diese aber als unbewusst angewandte Strategie verortet, bei der die Gesellschaft nur eine untergeordnete Rolle spielt,322 lässt die Kommunikationspraxis der 1970er Jahre – zumindest für die Deutsche Shell – bereits auf eine ganz bewusste und gelenkte StakeholderOrientierung schließen, die die Beachtung gesellschaftlicher Ansprüche an das Unternehmen offenkundig werden lässt. Volker Hoffmann als ehemaliger Verantwortlicher in der Deutschen Shell beurteilte die Sozialbilanz des Unternehmens im Rückblick als Rettung für einige der tradierten gesellschaftlichen Leistungen wie die Jugendverkehrsschulen und die Jugendstudien, die ohne die öffentliche Würdigung in der Sozialbilanz »wohl längst dem Rotstift während der über die Jahre zahlreichen Rationalisierungs- und Kosteneinsparungswellen zum Opfer gefallen«323 wären. 5.1.6 Bertelsmann: Kybernetik statt kosmetischer Korrekturen Aus der Reihe der AKSBP-Unternehmen stach der Medienkonzern Bertelsmann ähnlich wie Pieroth zunächst hervor. Bertelsmann unterlag wie Pieroth nicht dem Mitbestimmungsgesetz, gehörte keinem der von Strukturkrisen betroffenen Sektoren an324 und auch nicht jenen Branchen wie der Chemie oder Energie, die seit den späten 1960er Jahren besonders von öffentlicher Kritik betroffen waren. Das familiengeführte Unternehmen wurde 1835 in Gütersloh gegründet und hat bis heute dort seine Firmenzentrale. In den 1920er Jahren übernahmen sukzessive Manager neben Familienmitgliedern Führungsaufgaben. In dem stetig wachsenden Unternehmen institutionalisierten sich die Prinzipien der Verantwortungsdelegation und 320 Vgl. Kapitel 3.2.3 u. 8.2; Shell Report 1998. 321 Vgl. Stadler 2004, S. 25 u. 154-157; Kapitel 8.1. 322 Vgl. Stadler 2004, S. 335. 323 V. Hoffmann 2001, S. 213. 324 Vgl. Ambrosius 2009, S. 22.

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Dezentralität der Führung, die prägend für die Unternehmenskultur des heutigen Konzerns wurden.325 1947 übernahm Reinhard Mohn326 die Leitung des Unternehmens von seinem Vater Heinrich, der aufgrund seiner Verstrickungen im NSRegime von seiner Position zurückgetreten war. Reinhard war zwar nicht der designierte Unternehmenserbe, einer seiner älteren Brüder war jedoch gefallen, der andere in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.327 Reinhard kehrte aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück und entwickelte trotz oder gerade wegen dieser Erfahrung eine lebenslange Affinität zu US-amerikanischer Kultur, Unternehmens- und Managementkonzepten. Unter seiner Führung wurde das Verlagshaus sukzessive ausgebaut und das Produkt- sowie Dienstleistungsportfolio permanent erweitert. Bereits in den 1950er Jahren wurde die Basis für die Diversifizierungspolitik geschaffen mit der Gründung des Leserings 1950, der Schallplattenfirma Ariola und des Druckwerkes Sonopress 1958, des Dienstleistungszweiges 1959, der heute unter dem Namen Arvato rund ein Viertel des Konzernumsatzes bestreitet und mehr als die Hälfte der Mitarbeiter beschäftigt,328 sowie mit dem Einstieg in das Fernsehgeschäft 1960. Bertelsmann erlebte einem enormen Wachstumsprozess. Schon 1959 hatte Mohn das Modell der Profitcenter eingeführt, die einerseits eigenständige und flexibel agierende Wirtschaftseinheiten darstellten, andererseits aber der Kontrolle durch die Gütersloher Konzernzentrale nicht völlig entzogen wurden. Neben der zentralisierten Verwaltung formten die institutionellen Bausteine der Bertelsmann Unternehmenskultur jene Klammer, die den ideologischen Zusammenhalt der Profitcenter garantieren sollten: die 1947 eingeführte Betriebsordnung, das 1955 gegründete Pensionswerk, die Betriebskrankenkasse (1957), das Vorschlagswesen (1958) sowie als Meilensteine die Grundsatzordnung und Führungsgrundsätze. Letztere wurden 1960 eingeführt und sollten die sozialen Ziele und das Führungskonzept des Unternehmens widerspiegeln. Die weitere Expansion und Entwicklung des Konzerns im Verlauf der 1960er Jahre ließen allerdings eine Novellierung dieser Bausteine notwendig erscheinen. So wurden die Führungsgrundsätze 1967 neu 325 Vgl. Berghoff 2010. 326 Reinhard Mohn (*29.06.1921, † 03.10.2009) leitete von 1947 bis 1981 den Bertelsmann Verlag, initiierte 1977 die Gründung der Bertelsmann Stiftung, wechselte 1981 in den Aufsichtsrat des Konzerns und blieb dessen Vorsitzender bis 1991 und Ehrenvorsitzender bis zu seinem Tode. 1991 übernahm Mohn den Vorsitz im Vorstand der Bertelsmann Stiftung bis 1998 und diente als deren Interimsvorsitzender von 2000 bis 2001. Erst 2004 zog sich Mohn, der als maßgeblicher Gestalter der Bertelsmann Geschäftsund Sozialpolitik galt und verantwortlich zeichnete für die Expansionspolitik des Konzerns, ganz aus den Aktivitäten von Stiftung und Konzern zurück. Vgl. Bertelsmann 2010. 327 Vgl. Friedländer et al. 2002, S. 525-535. 328 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte 2011-2014.

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formuliert und 1973 die Unternehmensverfassung als Weiterführung der Grundsatzordnung verabschiedet.329 Um den Beschäftigten diese Unternehmensverfassung näher zu bringen, gab der Bertelsmann-Konzern im Dezember 1974 erstmals einen Sozialbericht für das Geschäftsjahr 1973/74 unter dem Titel Auf dem Weg zur Verwirklichung der Unternehmensverfassung: Eine Sozialreportage heraus. Mohn stellte der Presse den Sozialbericht in einer von der jährlichen Hauptversammlung getrennten Pressekonferenz vor, um ihm möglichst viel mediale Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.330 Parallel dazu bewarb Dr. Georg Türnau331 als Leiter der Personalabteilung die Publikation vor Personalleitern, Lehrkräften der Bertelsmann-Berufsschule, Betriebsrats- und Jugendvertretern, die der Sozialreportage als Multiplikatoren innerhalb der Belegschaft hohe Beachtung verschaffen und verhindern sollten, dass die 9000 Exemplare ungelesen »in den Papierkörben lande[n]«332. Durch diese zweigleisige Lancierungsstrategie beabsichtigte die Konzernleitung, möglichst viele Stakeholdergruppen von Bertelsmann anzusprechen und sich nicht auf den Kreis der Beschäftigten zu beschränken, an den sich die Publikation nominell richtete. Denn Bertelsmann stand in der ersten Hälfte der 1970er Jahre vor allem öffentlich in der Kritik für seine Expansionsbestrebungen. Insbesondere die geplante Fusion mit der Springer-Presse ließ das Unternehmen weder im linken politischen Lager und gegenüber dem potentiellen Führungskräftenachwuchs an den Universitäten noch bei der Konkurrenz und im Hinblick auf die Wettbewerbskontrolle in gutem Lichte dastehen.333 Manfred Harnischfeger,334 Leiter der Zentralen Öffentlichkeitsarbeit, sah in der Sozialberichterstattung eine Möglichkeit, Schlagzeilen vom »Medien-Moloch«335 und von der »Umarmung des Polypen«336 entgegenzuarbeiten und 329 Vgl. Berghoff 2010, S. 19-39; Wischermann 2010. 330 UA BAG 0058/49 (3): Harnischfeger an Mohn et al. (05.09.1974); Mohn an die Vorstandsmitglieder (29.03.1974). 331 Türnau war bei Bertelsmann verantwortlich für das zentrale Personalwesen, das Berichtswesen und die Konzernrevision. 332 UA BAG 0058/49 (1): Harnischfeger: Planung Pressekonferenz und Mitarbeiterpräsentation (26.11.1974). 9000 der insgesamt 14.557 inländischen Beschäftigten (vgl. Bertelsmann 2010, S. 382) erhielten die erste Sozialreportage. 333 Vgl. Berghoff 2010, S. 36-37. 334 Manfred Harnischfeger (*27.07.1944, † 22.11.2015) war Pressesprecher im hessischen Landtag für die CDU-Fraktion, bevor er 1972 zu Bertelsmann wechselte. Bis 2002 war er verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns, von 2003 bis 2009 hatte er diese Position bei der Deutschen Post World Net inne. 335 Harnischfeger, Manfred, »Irrweg Sozialbilanz?«, in: PR-Magazin 2 (1976), Nr. 1, S. 2931. 336 UA BAG 0058/49 (1): Rohentwurf zum Teil I des Sozialberichtes, S. 4.

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die Absicht zu kommunizieren, Bertelsmann sei stets am Bildungsauftrag und an der Sicherung der Meinungsvielfalt gelegen, die als Ziel in der Unternehmensverfassung festgehalten war.337 So richtete sich der Erstentwurf der Sozialreportage deutlich gegen diese Kritik von links am Großunternehmen Bertelsmann; dieser Aspekt wurde für die Veröffentlichung dann allerdings abgeschwächt und verschwand allmählich aus der Sozialberichterstattung der nachfolgenden Jahre. Man wolle keine »kosmetischen Imagekorrekturen« durchführen, sondern über das schon immer gegenüber den Mitarbeitern und der Gesellschaft praktizierte Engagement transparent berichten. Bertelsmann trage durch sein Medienangebot zu Bildung und freier Meinungsbildung bei. Es gehe darum, den »Systemkritikern [zu] beweisen, daß finanziell vertretbare Korrekturen am System auch wirklich durchgeführt werden«, und um die »Erhaltung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs und Beseitigung negativer Erscheinungen der kapitalistischen Wirtschaft.«338 Auch in den nachfolgenden Sozialbilanzen wurden die Topoi des Bildungsauftrages, der umfassenden sozialen Verantwortung und der Gewährleistung einer pluralistischen Medienlandschaft immer wieder hervorgehoben.339 Gleichzeitig wollte Bertelsmann jedoch nicht allzu genaue Zahlen zu den Umsätzen der einzelnen Unternehmensdivisionen veröffentlichten. So wurden beispielsweise detailliertere Informationen über die Entwicklung von Ariola zurückgehalten, da gefürchtet wurde, der Branchenkonkurrenz zu viele Informationen über den erfolgreichen Unternehmenszweig zu enthüllen.340 Bertelsmann expandierte sehr stark in den sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre im In- und Ausland. Die Expansionsbestrebungen kulminierten im Jahr 1969, als das Unternehmen 25 vH des Verlages Gruner + Jahr übernahm und für das darauffolgende Jahr plante, zunächst ein Drittel des Springer Verlages zu erwerben. Letzteres Vorhaben scheiterte und offenbarte Probleme in der Kapitalbeschaffung des Konzerns. 1971 wurde Bertelsmann in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, um Fremdkapital einwerben zu können. Darüber hinaus reformierte Reinhard Mohn 1970 unter dem Eindruck öffentlicher verteilungspolitischer Debatten das Gewinnbeteiligungsmodell, das bereits seit den 1950er Jahren in Kraft war und als freiwillige Sozialleistung und Weg zur Bindung und Motivation der Beschäftigten galt. Zugleich stützte es allerdings die Kapitalbasis des Unternehmens

337 UA BAG 0058/49 (1): Entwurf Sozialbericht Herbst 1974. 338 UA BAG 0058/49 (1): Rohentwurf zum Teil I des Sozialberichtes, S. 1-4. 339 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/1977-2000/2001; zu Wettbewerbskontrolle

und

Monopolvorwürfen:

Bertelsmann

Geschäftsberichte

1975/76, 1976/77, 1988/89, 1994/95, Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1985/86 und Sozialbilanz 1976/77. 340 UA BAG 0058/49 (1): Entwurf Sozialbericht Herbst 1974.

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und half, die Gewinnerwirtschaftung als unternehmerisches Ziel zu legitimieren.341 Das starke Wachstum des Unternehmens sowie der Mitarbeiterzahlen – von 5190 Mitarbeitern im Jahr 1960 auf 11.185 Mitarbeiter im Jahr 1970342 – und die dezentrale Organisation des Konzerns erklären den Veröffentlichungszeitpunkt der Sozialreportage. Sie sollte die Mitarbeiter nicht nur auf die sozialen Leistungen des Unternehmens aufmerksam machen, sondern sie vor allem auf eine Unternehmenskultur einschwören, die sich durch neu eingeführte oder reformierte Maßnahmen unter dem Titel Das soziale Modell Bertelsmann als Unternehmensverfassung zunehmend institutionalisierte: die Führungsleitsätze, die Grundsatzordnung, Betriebsvereinbarungen (Gewinnbeteiligung, Vermögensbildung, Altersversorgung, Vorschlagswesen), das Lohn- und Gehaltssystem sowie die Mitbestimmung.343 Mit der Sozialreportage sollten alle »Bertelsmänner«344 angesprochen und sich dieser Gruppe zugehörig fühlen. Wie Alexia Söhlke in ihrer Magisterarbeit zur Selbstdarstellung des Unternehmens in den Vorworten von Geschäftsberichten und Sozialbilanzen richtig feststellt, dienten die Publikationen der schriftlichen Verbreitung der Bertelsmann-Unternehmenskultur.345 Mithilfe von Geschäftsbericht und Sozialbilanz konnten die Grundpfeiler der Bertelsmann-Unternehmenskultur Jahr für Jahr mit wechselnden Schwerpunkten an alle Mitarbeiter vermittelt und verstetigt werden.346 Die 1960 eingeführten Führungsleitsätze als schriftlich fixierte Grundlage für das bei Bertelsmann praktizierte Delegationsprinzip – die weitgehende Übertragung der Verantwortung nach unten – wurden 1973 von einem aus jungen Führungskräften bestehenden Arbeitskreis überarbeitet und 1974 erneut verabschiedet. Eine Einführungskampagne mit Schulungsprogramm für Führungskräfte sollte die Implementierung und Beachtung der Leitsätze erleichtern. Die in erster Linie moralisch verpflichtende Bertelsmann Grundordnung von 1960 wich 1973 einer Unternehmensverfassung, deren Entstehung vor dem Hintergrund des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 gesehen werden kann und mehr Verbindlichkeit als die Grundordnung schuf. In der Unternehmensverfassung wurden die gesellschaftspolitischen Prinzipien des Unternehmens formuliert: unter anderem die Delegation von Verantwortung, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die Gewinnbeteiligung und die 341 UA BAG 0058/49 (1): Entwurf des Sozialberichtes Herbst 1974, S. 4; vgl. Berghoff 2010, S. 27-40; Wischermann 2010, S. 251-253 u. 272. 342 Vgl. Bertelsmann 2010, S. 381. 343 UA BAG 0058/49 (1): Das soziale System des Unternehmens. 344 Bertelsmann Sozialreportage 1973/74: An dieser Stelle wird auch auf die Ungenauigkeit dieser Bezeichnung im Hinblick auf die weiblichen Beschäftigten hingewiesen, die sich ebenfalls mit dem Unternehmen identifizieren sollten. 345 Vgl. Söhlke 1999. 346 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1973/1974-2000/2001.

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Verbindlichkeit der Führungsleitsätze für Kooperation und Motivation im Unternehmen.347 Die aktive politische Debatte um die paritätische Mitbestimmung in der ersten Hälfte der 1970er Jahre führte bei Bertelsmann – als Unternehmen, das Tendenzschutz genießt – zur Einführung einer unternehmenseigenen Interpretation der Mitbestimmung. Getestet wurde das unternehmenseigene Mitbestimmungsmodell zunächst 1974 bei dem von Mark Wössner348 geleiteten Unternehmen Mohndruck, das zum Namenspaten des Konzepts für den Gesamtkonzern wurde. Das MohndruckModell sieht Mitsprachemöglichkeiten der Beschäftigten in Bereichen vor, die direkt ihren Arbeitsplatz betreffen. Dahinter stand die Annahme, dass sie als Fachkräfte am besten beurteilen könnten, wie sich Änderungen auf ihre Arbeit auswirkten. Sie könnten Verbesserungsvorschläge unterbreiten und das Unternehmen profitiere von dieser Interpretation der Mitbestimmung weitaus mehr als von unqualifizierten Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Jenen fehle es an Führungserfahrung, und dieses Defizit könne auch durch gewerkschaftliche Schulungen nicht aufgeholt werden, betonte Mohn in seinen späteren programmatischen Schriften und Vorträgen immer wieder, in denen er sich explizit gegen die paritätische Mitbestimmung und für eine geduldete Drittelparität von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat aussprach, die von Bertelsmann praktiziert wurde. Durch die neu eingeführte Institution der Mitarbeiterbesprechung am Arbeitsplatz (MAB) und weitere institutionalisierte Gesprächsmöglichkeiten (Januar- und Herbstgespräche), erste Ansätze zu Mitarbeiterbefragungen und Aufforderungen, selbst Verantwortung im Rahmen der festgelegten Sozialordnung zu übernehmen und gegebenenfalls auch eine andere Meinung zu vertreten – insbesondere wenn das Handeln des Vorgesetzten Prinzipien der Führungsleitsätze widerspreche – würden die Beschäftigten dagegen zu echter Mitsprache am und über ihren Arbeitsplatz motiviert. So wurden seit den späten 1970er Jahren zunehmend die Begriffe Mitbestimmung und Be347 UA BAG 0058/49 (1): Das soziale System des Unternehmens; Entwurf Harnischfeger (09.10.1974); Bertelsmann Sozialreportage 1973/74; Leitsätze für die Führung des Hauses Bertelsmann: Beiträge zur Erläuterung; vgl. Wischermann 2010, S. 242-256 u. 264: Die Unternehmensverfassung wurde 1980 und 1985 weiter ergänzt, 1988 in Bertelsmann Essentials umbenannt und 1998 einer weiteren Revision unterzogen. 348 Mark Wössner (*14.10.1938) kam 1968 als Assistent der Geschäftsleitung zu Bertelsmann und übernahm 1974 die Leitung von Mohndruck. Als Ressortleiter für den Druckund Industriebereich wurde er 1976 Vorstandsmitglied. 1981 stieg er zunächst zum Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden und Mohn-Nachfolgers Manfred Fischer auf, 1983 übernahm Wössner selbst den Vorsitz. 1998 wechselte er als Vorsitzender in den Aufsichtsrat der Bertelsmann AG und übernahm den Vorsitz der Bertelsmann Stiftung bis zum Bruch mit Mohn im Jahr 2000, als Wössner alle Ämter bei Bertelsmann niederlegte. Vgl. Bertelsmann 2010.

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triebsverfassungsgesetz in den Geschäftsberichten und Sozialbilanzen vermieden und fast ausschließlich jener der Mitsprache verwendet. Darüber hinaus wurden die Mitarbeiterbesprechungen und -befragungen in den Sozialbilanzen beworben und dort immer wieder die Relevanz des eigenverantwortlichen Handelns der Mitarbeiter betont. Die Publikationen skizzierten den Idealtypus des Bertelsmann-Mitarbeiters als unternehmerisches Selbst, das von dem im Unternehmen praktizierten Prinzip der Verantwortungsdelegation stets profitiere und in der Beschreibung der Führungselite sogar explizit seinen Ausdruck im Begriff des »Unternehmers im Unternehmen«349 fand. Oftmals ging der Entwurf dieses impliziten Idealtypus vom leitenden Angestellten – dem kaum alle Mitarbeiter entsprechen konnten – in der Sozialberichterstattung einher mit weiteren Attributen, die gleichermaßen den Bertelsmann-Beschäftigten wie der seit Ende der 1970er Jahre beschworenen Unternehmenskultur zugeschrieben wurden: leistungs- und karriereorientiert, kreativ, flexibel, fortschrittlich, auf der Suche nach Selbstverwirklichung, tolerant, offen und engagiert und seit den 1980er Jahren auch innovationsfreudig, dynamisch, effizient, mobil und freiheitsliebend.350 Das Konzept der Mitarbeiterbesprechung war aus der Human-RelationsBewegung hervorgegangen und fand erstmals Ende der 1950er Jahre in deutschen Unternehmen Anwendung als Instrument alternativer, nicht gesetzlich verankerter Mitsprachemodelle. Es galt als Ausdruck fortschrittlicher, demokratisierter und auf Kooperation ausgerichteter Personalpolitik, die Führungskräften und Beschäftigten die Verantwortung für ein gutes soziales Miteinander selbst in die Hände lege.351 Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes stellte Mohn erneut den Wert des Mitwirkungsprinzips in seiner Umsetzung bei Bertelsmann heraus. Mohn sah in diesem Modell eine reale Mitbestimmung der Beschäftigten umgesetzt, weil sie eigenverantwortliches Handeln fördere, eine größere Chance auf Selbstverwirklichung durch die Arbeit verspreche und damit als Schritt zu einer tatsächlichen Humanisierung der Arbeit aufgefasst werden könne.352 Ein ähnliches Konzept zur Erweiterung des im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 verankerten Mitwirkungsprinzips stellte 1970 der Regensburger Betriebswirtschaftsprofessor Eduard Gaugler dem BDA-Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung vor.353 Die bevorstehende Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes und die Einführung des 349 Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1987/88, S. 7. 350 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77-2000/01; zum Bild des leitenden Angestellten in den 1970er Jahren vgl. auch Dietz 2014. 351 Vgl. Kleinschmidt 2002a, S. 194; Rosenberger 2008, S. 428-429. 352 UA BAG 0058/49 (1); vgl. Mohn 1980, S. 10-11; ders. 1981; 1986; ders. 1996, S. 135159; Wischermann 2010, S. 253. 353 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (23.09.1970); vgl. Berghahn 1985, S. 229.

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Mitbestimmungsgesetzes dürften maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung von Alternativkonzepten der nicht gesetzlich kodifizierten erweiterten Mitwirkung von Arbeitnehmern gehabt haben. Die menschengerechte Gestaltung der Arbeitsplätze und -abläufe blieb bis in die späten 1980er Jahre immer wieder Thema in den Sozialbilanzen des Gütersloher Konzerns und wurde eng an das Mitsprachemodell gekoppelt.354 Erste Überlegungen zu einer Sozialberichterstattung für Bertelsmann stellte Reinhard Mohn im Frühjahr 1974 an, in die er Manfred Harnischfeger und Georg Türnau einbezog. Beide übernahmen danach die Hauptverantwortung für die Erstellung der Bertelsmann Sozialberichterstattung, und Türnau ließ sich durch seinen persönlichen Kontakt zu Hans Krämer als Vorstandsmitglied der STEAG über die Erfahrungen des Essener Unternehmens mit ihren Sozialbilanzen unterrichten.355 Mohn hatte sich bereits die Sozialberichterstattung anderer Unternehmen angeschaut und entschied nach Lektüre des Sozialberichtes des Kölner Versicherungskonzerns Gerling, selbst aktiv zu werden, aber einen weitaus ambitionierteren Bericht herauszugeben: Ich glaube, daß wir unseren eigenen Sozialbericht besser machen können, obwohl sich der Bericht vom Gerling Konzern durchaus sehen lassen kann. – Wir haben aber besser durchdachte soziale und gesellschaftspolitische Lösungen vorzuzeigen. In unserem Bericht sollten nicht nur Zahlen, Leistungen, Sozialeinrichtungen und entsprechende Maßnahmen beschrieben werden, sondern vor allen Dingen auch die Hintergründe dieser Arbeit, die ihren Niederschlag in der Unternehmensverfassung gefunden haben.356

Gegenüber Harnischfeger und Türnau äußerte Mohn die Absicht, den Bericht »zu einem hervorragenden Mittel unserer PR-Arbeit zu machen«357 . Nach außen jedoch wurde die Sozialreportage vor allem als Instrument einer Kommunikationsoffensive in der Personalpolitik präsentiert. Thematisch griff die Sozialreportage als Sonderausgabe der Mitarbeiterzeitung Bertelsmann Report – neben der Darstellung der tariflichen und freiwilligen Sozialleistungen – die berufliche Bildung, Betriebsratsarbeit und Mitbestimmung, die Auswirkungen der Öffentlichkeitsarbeit auf die Personal- und Gesellschaftspolitik des Unternehmens sowie Erfahrungen mit und Reaktionen auf die Unternehmensverfassung auf.358 Ursprünglich war geplant, bereits vor der Gründung der Bertelsmann Stiftung im ersten Sozialbericht 1973/74 von dieser zu berichten und den Mitarbeitern den gesellschaftspolitischen wie ökonomi354 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77-1989/90. 355 UA BAG 0058/49 (1): Krämer an Türnau (13.05.1974). 356 UA BAG 0046/449: Mohn an Harnischfeger und Türnau (18.03.1974). 357 Ebd. 358 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1973/74-1998/99.

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schen Auftrag der Stiftung nahezubringen. Schließlich wurde dies erst mit der Gründung der Einrichtung 1977 in der ersten Sozialbilanz nachgeholt. In den Folgejahren wurde der Wirkungsbereich der Stiftung vermehrt zum Gegenstand der Sozialberichterstattung.359 Die Gründung der Stiftung diente dazu, das Mohnsche Vermögen als Kapitalbasis für das Unternehmen zu sichern, den Einfluss der Familie wahren und zugleich das operative Geschäft dem Management überlassen zu können. Gleichzeitig verfolgt sie satzungsgemäß gemeinnützige Zwecke und hat sich seit ihrer Gründung vor allem als wirtschafts-, wissenschafts- und bildungspolitischer Think-Tank hervorgetan.360 Der Berichtszweck der Sozialreportage gegenüber den Beschäftigten liege vor allem darin, sie mit dem Sozialen Modell Bertelsmann vertraut zu machen, denn bisher sei das Modell den Mitarbeitern unterhalb der Führungsebene trotz der Berichterstattung in den Mitarbeiterzeitschriften des Unternehmens nicht im gewünschten Maße näher gebracht worden. Dies betraf umso mehr die Beschäftigten jener Unternehmen, die Bertelsmann in jüngerer Zeit gekauft oder an denen sich der Konzern beteiligt hatte und in denen ebenfalls die sozialen Institutionen des Mutterkonzerns etabliert werden sollten.361 Für die Sozialreportage sei deshalb der Titel Auf dem Weg zur Verwirklichung der Unternehmensverfassung gewählt worden.362 Obwohl bei der Erstellung der Reportage auf umfassendes Zahlenmaterial insbesondere im Personalbereich zurückgegriffen werden konnte, entschieden sich Türnau und Harnischfeger für einen kurzen Bericht mit thematischen Schwerpunkten. Informationen zur Beschäftigungsstruktur und zu sozialen Leistungen flossen in einen mit Graphiken angereicherten statistischen Teil ein. Harnischfeger wollte auf »kompliziertes Zahlenwerk, intellektuelle Spielchen und modische Terminologie«363 verzichten und stattdessen Aufrichtigkeit und die wahrheitsgemäße Darstellung kritischer Themen befördert sehen, um eine realistische Erwartungshaltung der Beschäftigten an das Angebot sozialer Leistungen zu schaffen.364 Denn die Sozial359 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77-1997/98. 360 UA BAG 0058/49 (1): Entwurf des Sozialberichtes Herbst 1974, S. 4; UA BAG 0058/49 (3): Mohn an die Vorstandsmitglieder (29.03.1974); vgl. Mohn 1996, S. 75-82; Wischermann 2010, S. 270-278. 361 UA BAG 0058/49 (3): Türnau: Abstimmung über Fragen der personellen Führung bei Beteiligungserwerb und Firmenkäufen (19.10.1973); UA BAG 0058 (1): Entwurf Sozialbericht 1973/74. Auch in den nachfolgenden Sozialbilanzen war das Soziale Modell Bertelsmann immer wieder Gegenstand der Berichterstattung; vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1981/82-1993/94. 362 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): 09.09.1980, S. 1; ZÖ 0007/316 (1): Brief vom 15.12.1975. 363 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): 09.09.1980, S. 4. 364 Auch in späteren Sozialbilanzen wurde erneut Bezug genommen auf die Diskrepanz zwischen innerbetrieblicher Wirklichkeit und realitätsfernen Forderungen hinsichtlich

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bilanzen vieler Unternehmen würden »etwas zuviel Schminke«365 gebrauchen anstelle einer glaubwürdigen Darstellung, die auch vom Bertelsmann-Betriebsrat unterstützt und gefordert würde. Der Konzernbetriebsrat zeigte sich insgesamt kooperativ, unterstützte die Idee der Sozialbilanz und demonstrierte diese Unterstützung auch nach außen durch ein Vorwort in der Publikation, das immer wieder durchsetzt war von den Begriffen der Kooperation, Solidarität, kritischer Loyalität, Konsens, Vertrauen, Respekt und Partnerschaft, durch die sich das Verhältnis von Unternehmensführung und Mitarbeitern bei Bertelsmann besonders auszeichne.366 Die Mitarbeit des Betriebsrates an der Bertelsmann Sozialbilanz wurde von außen allerdings nicht ausschließlich positiv bewertet. Der Konzernbetriebsrat gelte in Gewerkschaftskreisen als gefügig,367 schrieb ein Autor der Financial Times, und die Sozialbilanz sei ausschließlich im Sinne der Konzernleitung entwickelt und implementiert worden. »Reinhard Mohn [...] has his own ideas and the freedom to implement most of them.«368 Bemerkenswert ist der Rechercheaufwand, der für den ersten Sozialbericht betrieben wurde. Neben den ohnehin schon erhobenen statistischen Personal- und Finanzdaten wurden die Leiter der Unternehmen und Konzernabteilungen angeschrieben und um Informationen in »Frontberichten«369 gebeten, die Auskunft über die Sozialleistungen an die Mitarbeiter und deren Zufriedenheit mit diesen Leistungen geben sollten.370 Der größte Teil der Angeschriebenen bestätigte die Umsetzung der Führungsleitsätze, die Durchsetzung des Delegationsprinzips, kooperative Bedes Anspruches auf soziale Leistungen. Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77, 1978/79, 1986/87, 1989/90. 365 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): 09.09.1980, S. 3. 366 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1977/78-1997/98. 367 Das Verhältnis zwischen Konzernbetriebsrat und Unternehmensleitung war in der Tat sehr gut, und Mohn förderte die positive und persönliche Beziehung zu den Konzernbetriebsräten Martin Wolf und dessen Nachfolger Jochen Werner, indem er sie in den Aufsichtsrat berief, ohne dass hierzu eine gesetzliche Verpflichtung bestanden hätte. Vgl. Wischermann 2010, S. 255. 368 Darrell Delamaide, »German’s sour social debate«, in: Financial Times (17.4.1979), S. 13. 369 UA BAG 0058/49 (3): Türnau an Führungskräfte (25.07.1974). 370 Einbezogen wurden die Daten aus dem Verlag Buch und Wissen, dem Geo-Center, dem Verlag Heinrich Vogel, der Vertriebsgesellschaft H. Vogel, der Verlagsgemeinschaft, der UFA-Musikverlage, der UFA-Werbefilm GmbH, der UFA-ATB Ton und Bild KG, der Aquarius Film GmbH & Co. KG, der UFA-Fernsehprouktion, der Ariola, dem Centralversand, der Europäischen Bildungsgemeinschaft, von Mohndruck, Sonopress, dem Industrieservice, der Vereinigten Verlagsauslieferung sowie von Verlagsgruppe und Hauptverwaltung. UA BAG 0058/49 (3): 04.09.1974.

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ziehungen zu den Beschäftigten, das Vorherrschen eines guten Arbeitsklimas und ausreichender bis guter physischer Arbeitsbedingungen, die Akzeptanz der Bertelsmann Sozialleistungen und der Gewinnbeteiligung sowie die Gesamtzufriedenheit der Mitarbeiter, die durch vereinzelte Befragungen und Gespräche ermittelt worden war. Die meisten der angeschriebenen Führungskräfte nahmen die Anfrage Georg Türnaus ernst und bemühten sich um mehr oder minder ausführliche Berichterstattung, auch wenn die Ergebnisse dieser Berichte letztlich nicht im Detail in die Sozialreportage einflossen. Auf Kritik wurde verzichtet, lediglich eine der befragten Führungskräfte wertete allein die Frage nach Sozialleistungen eher lapidar als Frage nach Selbstverständlichkeiten, zeigte Unverständnis und geringes Interesse am Sinn einer Berichterstattung darüber.371 Zunächst plante Mohn keine regelmäßige Sozialberichterstattung und wollte den Erscheinungsrhythmus davon abhängig machen, ob es etwas zu berichten gebe.372 Nach den Neuerungen und Reformen im Sozialbereich zu Beginn der 1970er Jahre, die reichlich Material für den ersten Bericht geliefert hatten, erschien der nächste Sozialbericht von Bertelsmann für die Geschäftsjahre 1976/77 – nun erstmals unter dem Titel Sozialbilanz – im April 1978. Auch diese Publikation richtete sich ausschließlich an die Mitarbeiter.373 Franz Netta374 , der bei Bertelsmann ab 1976 maßgeblich für die Entwicklung der Unternehmenssozialbilanz verantwortlich war, sah die größten Schwierigkeiten für die Etablierung der Sozialbilanz im Unternehmen darin, dass bei den Beschäftigten »vielfach noch mangelnde Sensibilität für ordnungs- und gesellschaftspolitische Bezüge der eigenen Arbeit«375 vorherrsche. Die erste Sozialreportage traf nur auf ein geringes Echo bei den Beschäftigten, obwohl Unternehmensleitung und Betriebsrat die Publikation aktiv bewarben. Gründe für die geringe Rezeption wurden in Stil und Anspruch der Publikation gesehen. Für die zweite Veröffentlichung, die Mohn um der Glaubwürdigkeit des Projekts Sozialbilanz willen als dringend notwendig erachtete, sollte eine verständlichere Spra371 UA BAG 0058/49 (3): Interne Mitteilung an Türnau (30.07.1974). 372 UA BAG 0058/49 (1): Mohn an die Mitglieder des Vorstandes (04.02.1975). 373 UA BAG 0058/49 (3): Bertelsmann Sozialbilanz: Bausteine zum 1. Entwurf. 374 Der promovierte Jurist Dr. Franz Netta (*10.10.1947) war seit Februar 1976 zunächst als Assistent von Georg Türnau im Zentralen Personalwesen des Bertelsmann-Konzerns tätig und wurde dessen Nachfolger als Leiter. Später übernahm er für zwölf Jahre die Leitung von Telemedia, einem Multimedia-Profit-Center von Bertelsmann, bevor er 1998 mit Beginn der Ära Middelhoff wieder in der Konzernzentrale arbeitete und an der Weiterentwicklung der Bertelsmann-Unternehmenskulturbausteine mitwirkte, unter anderem an der Entwicklung des Gesundheitsmanagements, der Neukonzeptionierung der Gewinnbeteiligung und des Pensionswerkes sowie der Einführung eines internationalen Berichts- und Lernsystems zur Unternehmenskultur. Vgl. Interview Netta 19.11.2010. 375 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Angaben zur Bertelsmann Sozialbilanz (09.09.1980), S. 4.

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che gewählt und Anschaulichkeit durch Beispiele hergestellt werden, um »mehr aus der Sicht des ›einfachen Mitarbeiters‹ [...] zu schreiben.«376 Führungskräfte fürchteten vor allem den Mehraufwand, der mit der Erstellung einer weiteren Publikation einhergehen könnte.377 So versuchte die Konzernleitung die Mitarbeiter zu ermutigen, sich an der Erstellung der Sozialbilanz zu beteiligen, und lud sie ein, für die Sozialbilanz geeignete Themen in der Erstellungsphase gemeinsam zu diskutieren. 1979 richtete das Unternehmen einen Ausschuß mit einzelnen Mitarbeitern, Vertretern des Vorstandes, des Managements einzelner Profitcenter, der Betriebsräte und der Personalleiter ein, um die Unternehmensgrundsätze »hierarchiefrei und kontrovers«378 zu diskutieren.379 Doch selbst Wössner, der zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer von Mohndruck war, war von dem Sozialbilanz-Experiment zunächst nur mäßig überzeugt. Er fürchtete beispielsweise hinsichtlich einer Berichterstattung über die sozialen Einrichtungen bei Bertelsmann um die Reputation des Mohndruck-Modells, das gerade in seinem Unternehmen getestet wurde. Hier sei zu befürchten, dass das Mitsprache-Modell nur als PR-Aktion für die Sozialbilanz wahrgenommen würde.380 Doch vor allem waren methodische Probleme für die Einschränkung von Inhalt und Adressatenkreis der ersten beiden Publikationen verantwortlich. Harnischfeger sah durchaus erhebliche Schwierigkeiten erstens in der Auswahl und zweitens in der Darstellung des Aufwandes und noch viel mehr des Nutzens oder Schadens gesellschaftsbezogener Aktivitäten und ihrer sinnvollen Quantifizierung: Wenn sich das Haus Bertelsmann personell und finanziell für die in Finanznot geratenen ›Schulen des Deutschen Buchhandels‹ engagiert – wie hoch ist der Aufwand (Durchführung von Spendenaufrufen, Gespräche mit Branchenkollegen und Politikern etc.)? Welchen Nutzen hat ein solcher Einsatz? Wie kann man den Bertelsmann-Anteil an gemeinsamen erfolgreichen Bemühungen des Berufsstandes herausdividieren? Wäre dies überhaupt der Sache selbst dienlich oder nur Image-Pflege? Wie wären Punkte des Marktverhaltens zu erfassen und zu veranschlagen, die dem gesamten Buchhandel eher geschadet haben? Ist die Bereitschaft vorhanden, solche Punkte selbstkritisch ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren? 381

Während in der Sozialreportage die Leistungen für die Mitarbeiter im Wesentlichen nur aufgelistet wurden, bezog Bertelsmann in der ersten Sozialbilanz bereits Anre376 UA BAG 0058/49 (1): Harnischfeger an Türnau (28.02.1975), Sozialbericht, S. 3. 377 Ebd., S. 2-3. 378 Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978/79, S. 61. 379 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Angaben zur Bertelsmann-Sozialbilanz (09.09.1980), S. 4. 380 UA BAG 0058/49 (1): Harnischfeger an Türnau (28.02.1975), Sozialbericht, S. 4. 381 Harnischfeger, Manfred, »Irrweg Sozialbilanz?«, in: PR-Magazin 2 (1976), Nr. 1, S. 2931, hier S. 29.

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gungen aus dem AKSBP und von Meinolf Dierkes’ Goal Accounting-Konzept ein. Es wurden Ziele für das Unternehmen formuliert und in die Sozialbilanz aufgenommen, die mit den Unternehmensgrundsätzen und dem Sozialen Modell Bertelsmann korrespondierten. Im Vergleich zu den Sozialbilanzen der Deutschen Shell blieb die Darstellung der Ziele in den Publikationen jedoch unsystematisch und bildete nicht den Kern der Berichterstattung.382 Dem Problem, den Nutzen der gesellschaftsbezogenen Aktivitäten zu quantifizieren, entzogen sich die Publikationen, indem der Schwerpunkt auf eine qualitative Berichterstattung gelegt wurde. Nur ohnehin schon statistisch erhobene Inputdaten beispielsweise zu Löhnen, freiwilligen Sozialleistungen, Ausbildungsaufwendungen oder zum Vorschlagswesen wurden veröffentlicht. Lediglich in zwei Sozialbilanzen gingen die Autoren auf methodische Probleme der Quantifizierung des sozialen Nutzens ein.383 Im Frühjahr 1979 erschien die Sozialbilanz erstmals integriert in den Geschäftsbericht für das Jahr 1978 mit der Begründung, auf diese Weise könne der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Aktivität und dem sozialen Engagement von Bertelsmann noch deutlicher hervorgehoben werden.384 Mohn war sich bewusst, dass es nicht reichte, die Gewinnmaximierung als alleinigen Unternehmenszweck und den Stellenwert einer sachorientierten Berichterstattung nach außen zu kommunizieren. Der Zweck des Geschäftsberichtes liege in der Offenheit gegenüber Mitarbeitern und der Öffentlichkeit und sei ein »brauchbares Zeugnis für den Manager«. Die Sozialbilanz ergänze den Geschäftsbericht in dieser Hinsicht und könne die »innerbetriebliche Wirklichkeit«385 abbilden. Mohns Wunschbild dieser Wirklichkeit orientierte sich sehr eng an den Managementkonzepten von Peter F. Drucker, mit denen er sich bereits in den 1950er und 1960er Jahren wie viele deutsche Unternehmer intensiv auseinandergesetzt hatte. Später suchte Mohn sogar den persönlichen Kontakt zu Drucker.386 In Mohns programmatischen Schriften, aber auch in den Vorworten zu Geschäftsberichten und Sozialbilanzen spiegelt sich unverkennbar der Einfluss Druckers wider. Beide plädieren für die Delegation von Verantwortung zur Motivation der Mitarbeiter und insbesondere der Führungskräfte. Die Übernahme von Verantwortung im eigenen Arbeitsbereich geht einher mit der Definition von Zielen für die eigene Arbeit, die allerdings mit den Zielen und Visionen des Unternehmens in Einklang zu stehen haben. Die Mitarbeiter würden sich selbst kontrollieren, indem sie überprüften, inwieweit sie die selbstgesetzten und die Unternehmensziele er382 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte/Sozialbilanzen 1977/78-1987/88. 383 Vgl. Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978/79; Sozialbilanz 1988/89. 384 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Brief von Harnischfeger an Vollherbst vom 18.10.1980; vgl. Interview Netta 19.11.2010. 385 Mohn 1996, S. 101 u. 124; vgl. Mohn 1980; Interview Netta 19.11.2010. 386 Vgl. Kleinschmidt 2002a, S. 192; Interview Netta 19.11.2010.

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reichten. Fremdkontrolle und hierarchische Strukturen würden durch Selbstkontrolle und Eigenverantwortung abgelöst. Bei Bertelsmann schlägt sich diese Strategie in der Organisation des Konzerns nieder, der durch seine dezentrale Struktur Unternehmer im Unternehmen schuf, die eigenverantwortlich die wirtschaftlich eigenständigen Profitcenter leiten.387 Indem Mitarbeiter durch Freiräume und die Übernahme von Verantwortung motiviert würden, sei die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung durch die Arbeit gegeben und damit die Idee zur Humanisierung der Arbeit erst verwirklicht, schrieb Mohn später.388 Drucker wie Mohn wandten sich gegen regulierende staatliche Eingriffe in die Unternehmenssphäre. Diese könnten durch ein gutes Management verhindert werden. Mohn trat an dieser Stelle für das Prinzip der Sozialpflichtigkeit des Eigentums als staatliche Rahmenbedingung und für soziale Verantwortung gegenüber den Beschäftigten ein, die durch die Förderung selbstverantwortlichen Handelns zum Ausdruck gelange. Er sprach sich damit gegen ein paternalistisches Fürsorgekonzept aus und für monetäre (Sozial-) Leistungen an die Beschäftigten in der Form von betrieblicher Altersvorsorge oder Gewinnbeteiligung. Mitarbeiter würden zuallererst durch Menschlichkeit und Mitsprachemöglichkeiten motiviert. Mohn sah wie Drucker die ideale Funktion von Gewerkschafts- und Betriebsratsvertretern in erster Linie in der ordnungspolitisch gewünschten Opposition, die mit der Unternehmensleitung kooperieren darf, aber nicht Einfluss auf unternehmerische Entscheidung haben solle. Den Versuch, das Demokratieprinzip auf Privatunternehmen übertragen zu wollen, bewertete Mohn als Fehlentwicklung, die die Leistungsfähigkeit von Unternehmen negativ beeinflusse und letztlich Arbeitsplätze gefährde statt zur Selbstverwirklichung der Beschäftigten beizutragen.389 Drucker war sicherlich der prominenteste Autor, dessen Management-Ansätze in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren rezipiert worden waren. Die Orientierung Mohns an seinem Ansatz spiegelt jedoch einen allgemeinen Trend in deutschen Unternehmen hin zur Amerikanisierung der Unternehmensorganisation in den 1970er Jahren beispielsweise in der Umsetzung des Delegationsprinzips.390 Nicht allein Druckers Konzept fand Eingang in die Führungsstrategien von Bertelsmann. Auch vom Steuerungsversprechen der Kybernetik zeigte sich Mohn fas387 Vgl. Drucker 1950, S. 170-1, 191-195 u. 267-269; ders. 1954, S. 121-136, 205-224, 262-288, 302-306; ders. 1977, S. 361-362; Mohn 1996, S. 84-87, 171-2, 304-5; Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1975/76-1980/81; Interview Netta 19.11.2010. 388 Vgl. Mohn 1996, S. 150-157. 389 Vgl. Drucker 1950, S. 47, 99-102, 203-207 u. 293; ders. 1954, S. 380-388; Mohn 1996, S. 46-73, 118, 135-159, 170-171 u. 250; vgl. Kleinschmidt 2002a, S. 187; Wischermann 2010, S. 255. 390 Vgl. Kleinschmidt 2002a; ders. 2002b.

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ziniert. Die Sozialbilanz schien ein geeignetes Kommunikationsinstrument zu sein, das effiziente Steuerung durch ein umfassendes Kennziffernsystem in Aussicht stellte und sich in ein kybernetisches Managementsystem einfügen würde. Der Ingenieur Mark Wössner war es schließlich, der die Idee einer Unternehmenskultur als »kybernetische[m] Regelkreis« prägte und damit bei Mohn auf begeisterte Zustimmung traf.391 Sozialbilanz und Mitarbeiterbefragung waren als Messinstrumente dieses Regelkreises konzipiert, um kontrollieren zu können, inwieweit tatsächlich die in der Unternehmensverfassung und den Führungsleitsätzen formulierten Grundwerte verwirklicht respektive berücksichtigt würden. Die Grundwerte sollten der Formulierung von Zielen dienen, wie zum Beispiel der Etablierung einer Partnerschaftskultur. Mittel zur Erreichung dieser das Verhältnis von Eigner, Unternehmensführung und Mitarbeitern prägenden Kultur waren die Gewinnbeteiligung und das Mitsprache-Modell. Konnten die gewünschten Ziele nicht erreicht werden, sollten entweder sie oder die Instrumente verändert werden, »so dass wir einen sich immer wieder neu, sich selbst anstoßenden Regelkreis schaffen«392 . Die Sozialbilanz diente dazu, die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zu veröffentlichen, um auf diese Weise auch »Defizite im Bertelsmann-Sozialsystem«393 aufzeigen und eliminieren zu können. Weitere Elemente dieses Steuerungsinstrumentes zeigten sich in der Einführung von Programmen mit klar gegliederten Teilzielen, deren Einrichtung und Erreichung ebenfalls Teil der Sozialberichterstattung wurden.394 Schließlich sollte die Sozialbilanz als Informationsinstrument helfen, die postulierte gemeinsame Unternehmenskultur in den einzelnen Profitcentern zu institutionalisieren durch eine »stärkere[ ] Kongruenz von Selbstverständnis, Zielen, Markthandeln und Unternehmenskommunikation«395 und die Vision eines gemeinsamen Unternehmenszieles kommunizieren, um »ineffiziente Reibungsverluste zwischen 391 Einen Grund für Mohns Begeisterung für die Kybernetik vermuteten seine Wegbegleiter in dem frühen Wunsch, selbst Ingenieur werden zu wollen. Er hatte Ende der 1930er Jahre geplant, ein Ingenieursstudium aufzunehmen. UA BAG 0058/49 (1): Referat Wössners 30.05.1974; UA BAG UP 2/12 – 1978: Pressemitteilung zur Sozialbilanz (02.05.1978); UA BAG UP 2/20-108: »›Der Mensch – das Maß aller Dinge?‹ Wir bei Bertelsmann – Sozialbilanz 1976/77 veröffentlicht« (April 1978). Vgl. Berghoff 2010, S. 22-23; Friedländer et al. 2002, S. 531; Interview Netta 19.11.2010. 392 Interview Netta 19.11.2010. 393 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Angaben zur Bertelsmann-Sozialbilanz (09.09.1980), S. 1. 394 Vgl. Sozialbilanz 1976/77; Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1982/83, S. 55: die Einführung des 10-Punkte-Programms zur Dezentralisation und Koordination, das auch die Motivation, Kreativität, Leistungsbereitschaft und Entfaltung der Mitarbeiter steuern soll; Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1987/88, S. 46: Verabschiedung des 7Punkte-Programms zur Behebung von Schwachstellen im System sozialer Leistungen. 395 Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1982/83, S. 10.

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verschiedenen Firmen der Unternehmensgruppe und gegebenenfalls sogar einander widerstrebendes Verhalten am Markt«396 zu überwinden. Mit dem Konzept des kybernetischen Regelkreises als Instrument zur Steuerung der Verinnerlichung einer Unternehmenskultur greifen Mohn und Wössner die Idee Dierkes’ von einem Feedback-System zur Implementierung sozialer Ziele in der Unternehmensstrategie auf. Der Begriff des Feedbacks entstammt der Kybernetik und transformierte durch seinen systematischen Einsatz die alltagskommunikative Rückmeldung zur Sozialtechnik. Die Kybernetik besaß nicht nur Anziehungskraft für planwirtschaftliche Volkswirtschaften und durchlief in diesen eine beachtliche Karriere, sondern strahlte mit der Veröffentlichung von Stafford Beers Kybernetik und Management (1959) auch auf Managementtheorien aus, die westlichen Unternehmern attraktiv erschienen. Die Idee eines Instruments, das das Zusammenwirken von Steuerung, Kommunikation und Kontrolle und die ständige Anpassung des Unternehmens an eine sich schnell verändernde Umwelt als andauernden, objektiv nachvollziehbaren Lernprozess versprach, kam den sozialen und ökonomischen Herausforderungen von Unternehmen in den sechziger und siebziger Jahren entgegen. Die Kybernetik als Steuerungsinstrument gab dem Streben nach dem Universalziel jedes Unternehmen – Überleben und Gewinne erwirtschaften – einen wissenschaftlichen Anstrich und verhieß eine Objektivierung von Managemententscheidungen unter sich wandelnden externen Bedingungen.397 Das Feedback als wichtige Funktion kybernetischer Ansätze begann im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Karriere als Terminus aufkommender Managementtheorien, die in der Tradition des Social Engineering stehend jene Kontroll- und Steuerungsvisionen entwarfen, die in der Audit Society ihre volle Entfaltung fanden mit Stakeholder-Befragungen, Rankings, (Selbst-) Evaluationen oder 360-Grad-Feedbacks, die geradezu buchstäblich an das von Foucault beschriebene Benthamsche Panoptikum erinnern.398 Befördert durch den Aufstieg des Human-Resource-Management verbreiteten sich diese Formen der allseitigen kontinuierlichen Leistungskontrolle in den Unternehmen der westlichen Hemisphäre als Teil eines partizipativen Führungsstils. Insbesondere die demokratische Anmutung dieser Sozialtechnik der Erfolgskontrolle aller durch alle – in der Praxis zum Teil nur gewährleistet durch anonyme Befragungen – und das ihr innewohnende Versprechen transparenter Kommunikationsabläufe machte sie seit den 1970er Jahren so populär.399 Das von Dierkes vorgesehene Feedback-Prinzip fand schließlich Eingang in die erste Sozialbilanz für das Geschäftsjahr 1978, die in den Geschäftsbericht integriert war. Dort wurden die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung zur Beurteilung der 396 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Angaben zur Bertelsmann-Sozialbilanz (09.09.1980), S. 2. 397 Vgl. Luks 2010, S. 212-218; Tanner 2008, S. 380-404. 398 Vgl. Foucault 2006a, S. 176; Einleitung dieser Arbeit 399 Vgl. Bröckling 2008.

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Ziele und Zielerreichung veröffentlicht. Von 7500 ausgewählten Mitarbeitern nahmen knapp 5500 an der ersten Mitarbeiterbefragung im Oktober 1977 teil und repräsentierten damit 21,6 vH der Bertelsmann-Beschäftigten im In- und Ausland. Für die Konzipierung der Mitarbeiterbefragung hatte Bertelsmann eine Kommission unter der Leitung von Mark Wössner eingerichtet. Die Einrichtung dieser Kommission hatte maßgeblichen Einfluss auf die Fortentwicklung des AKSBP zum Arbeitskreis Mitarbeiterbefragung.400 Im Gegensatz zu den gesellschaftsbezogenen Zielen des Unternehmens blieb die Mitarbeiterbefragung über Jahrzehnte Gegenstand der Sozialberichterstattung. Die Publikationen dienten nicht nur der Spiegelung der Zufriedenheit der Mitarbeiter mit den betrieblichen Sozialleistungen, sondern auch der Darstellung von Maßnahmen zur Verbesserung betrieblicher Missstände.401 Ab 1988/89 veröffentlichte Bertelsmann seine Sozialbilanz wieder getrennt vom Geschäftsbericht und richtete sie damit nur noch an die inländischen Beschäftigten. Die Gründe hierfür lagen in der zunehmenden Internationalisierung des Konzerns. In den 1980er Jahren expandierte der Konzern vor allem ins und im Ausland. Damit sank die Bedeutung der Darstellung sozialer Leistungen, die im Wesentlichen auf die inländischen Unternehmen des Konzerns zugeschnitten waren. Obschon Bertelsmann versuchte, Modelle wie die Gewinnbeteiligung auf seine ausländischen Firmen zu übertragen und dies auch seit Mitte der 1980er Jahre in der Sozialberichterstattung thematisierte,402 scheiterten diese Versuche oftmals an den politischen Rahmenbedingungen, die andere Leistungen wie Krankenversicherung oder Altersvorsoge dringlicher erscheinen ließen. Zwar bewarb auch der seit 1983 amtierende Nachfolger von Mohn, Mark Wössner, die Sozialleistungen bei Bertelsmann, propagierte jedoch zugleich einen aggressiveren Führungsstil als Mohn dies getan hatte und übernahm seine Aufgabe mit den Worten »Jetzt verdienen wir erstmal Geld«403. Mit dem Rückzug Mohns und der Orientierung der Sozialbilanz nach innen fielen auch Wirkungsabsicht und Duktus von Sozialbilanz und Geschäftsbericht in den 1980er und 1990er Jahren mehr und mehr auseinander.404 Indes anzunehmen, dass die Bertelsmann Sozialbilanz vorrangig aus unternehmerischer Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Gesellschaft veröffentlicht worden sei,405 griffe im Hin400 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Angaben zur Bertelsmann-Sozialbilanz (09.09.1980), S. 1; UA BAG UP 2/12 – 1978: Pressemitteilung zur Sozialbilanz (02.05.1978); UA BAG UP 2/20-108: »›Der Mensch – das Maß aller Dinge?‹ Wir bei Bertelsmann – Sozialbilanz 1976/77 veröffentlicht« (April 1978). Vgl. Kapitel 5.4. 401 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77-2000/01. 402 Vgl. Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1984/85-1987/88. 403 O.A., »Reichlich Arbeit: Bertelsmann-Chef Wössner legt seine letzte Bilanz vor«, in: Der Spiegel 50 (1998), Nr. 39, S. 130-133. 404 Vgl. Berghoff 2010, S. 48-53; Söhlke 1999. 405 So Söhlke 1999, S. 46.

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blick auf die Motive Mohns zu kurz. Mohn war sich der Bedeutung von Public Relations und des Wertes eines positiven Unternehmensimages sehr bewusst, wie er auf der Jahrestagung der DPRG 1976 offenbarte und auch später in seiner programmatischen Schrift Erfolg durch Partnerschaft bekräftigte.406

5.2 S CHRITT ZUR S TANDARDISIERUNG : D IE E MPFEHLUNG DES A RBEITSKREISES S OZIALBILANZ -P RAXIS Im April 1977 veröffentlichte der Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis eine Empfehlung zur Erstellung gesellschaftsbezogener Berichte, die Ende der 1970er Jahre zum zentralen Bezugspunkt für die Sozialbilanzierung von Unternehmen wurde. Unternehmen beriefen sich immer wieder auf die einfach gehaltene, dreigliedrige Empfehlung, die eine geringe Hürde für den Einstieg in die Sozialbilanzierung setzte, zugleich aber durch die wissenschaftliche Begleitung des Arbeitskreises und die positive Resonanz der Arbeitgeberseite auf die Veröffentlichung als Referenz dienen konnte. Der Arbeitskreis selbst empfahl sich als »ständige Einrichtung zur Koordination von Fragen der gesellschaftsbezogenen Unternehmensrechnung«407. Die Veröffentlichung lieferte eine prägnante Definition des Sozialbilanzbegriffes, die einen Schlussstrich unter die Diskussionen um die Mängel des Begriffes setzte. Eine Sozialbilanz solle in der Regel die drei Elemente Sozialbericht, Wertschöpfungsrechnung und Sozialrechnung enthalten. Der Begriff der Sozialbilanz solle als »eingeführtes Markenzeichen«408 zur Beschreibung der vom AKSBP beschriebenen Berichtsform verstanden werden, unabhängig davon, welche Dimensionen hinter den Begriffen ›sozial‹ und ›Bilanz‹ steckten. Der Untertitel der Publikation griff allerdings den Begriff der gesellschaftsbezogenen Unternehmensrechnung wieder auf und war den kritischen Anmerkungen Meinolf Dierkes’ in der Begriffsdebatte geschuldet. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welchen Einfluss der Arbeitskreis und seine Empfehlung, aber auch die Arbeiten der wissenschaftlichen und gewerkschaftlichen Autoren und ihrer Sozialbilanzkonzepte auf die jeweiligen Sozialbilanzelemente Bericht, Wertschöpfungs- und Sozialrechnung der AKSBPUnternehmen hatte. Im externen Anhang zu diesem Buch auf der Website des Transcript-Verlags409 finden sich zur Veranschaulichung darüber hinaus Beispiele zur formalen und inhaltlichen Entwicklung von Wertschöpfungs- und Sozialrechnungen der AKSBP-Unternehmen. 406 Vgl. BDA Abt. VIII: Informationsbericht über betriebliche Publizistik, »DPRGJahrestagung« (01.06.1976), Nr. 6, S. 6; Mohn 1996, S. 124 u 167-168. 407 AKSBP 1977, S. 1. 408 Ebd., S. 2. 409 Vgl. URL: Transcript.

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5.2.1 Kontinuität und Wandel: Der Sozialbericht Der Sozialbericht, die traditionelle Form der Berichterstattung über soziale Leistungen, sollte nicht durch strenge Vorgaben in ein Korsett gezwängt, sondern um einige neue Aspekte erweitert werden. In erster Linie sollte er die gesellschaftsbezogenen Ziele der Unternehmen, den Erfüllungsgrad dieser Ziele und die nicht quantifizierbaren sozialen Auswirkungen (Output) unternehmerischer Aktivität erläutern. Hier offenbart sich der Einfluss durch Dierkes, der sein Konzept des Goal Accounting mit einer Berichterstattung über die Zielerreichung und den Output unternehmerischen Wirkens in der Bundesrepublik etabliert sehen wollte.410 Der AKSBP empfahl in Anlehnung an Dierkes darüber hinaus den Einsatz von Befragungen der Mitarbeiter und anderer Anspruchsgruppen der Unternehmen als Feedbackinstrumente zur Beurteilung der unternehmerischen Sozialpolitik. Statistiken, denen bei der Erstellung Prinzipien der Rechnungslegung zugrunde gelegt werden sollten, könnten als Belegstellen für die verbalen Schilderungen dienen und Vergleiche mit anderen Unternehmen vereinfachen. Grafiken und Fotos sollten die Lesebereitschaft erhöhen. Inhaltlich sollten Sozialberichte in der Regel die Personalstruktur und -entwicklung, Lohn- und Lohnnebenkosten und deren Entwicklung, Arbeitszeit, Unfälle sowie die Vermögensbildung abbilden, zusätzlich seien Statistiken in unregelmäßigen Abständen zur Altersversorgung, zum betrieblichen Vorschlagswesen, zur Aus- und Weiterbildung und zur Informationspolitik im Unternehmen denkbar. Generell sei es sinnvoll, Schwerpunkte für die Berichterstattung zu wählen, um ein Thema umfassend zu beleuchten. Informationen zum Umgang mit neuen gesetzlichen Regelungen könnten dem Gesetzgeber ein Feedback über die Wirkung dieser Regelungen verschaffen. Auch hier zeigen sich die Ideen von Dierkes, der die Vorstellung von Rückkopplungseffekten fest in seinem Konzept verankert hat. Schließlich sollte der Sozialbericht Bezüge zu Sozial- und Wertschöpfungsrechnung herstellen und eine Interpretation der dort dokumentierten Daten anbieten.411 Die Sozialbilanzen der STEAG wiesen nach der Veröffentlichung dieser AKSBP-Empfehlung für die Berichtsjahre 1976 und 1977 deutliche inhaltliche Veränderungen auf. So wurde ausführlich über aktuelle Schwerpunktthemen berichtet, etwa 1976 Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz und 1977 über neue Kraftwerksprojekte wie in Voerde und Bergkamen. Erstmalig wurden die Orientierung an gesetzlichen Vorgaben – dem Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitssicherheitsgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz – sowie an Programmen der Bundesund Landesregierung zur Energieversorgung und die Kooperation mit Behörden und Forschungseinrichtungen zur Legitimation von Projekten und Maßnahmen ausführlich dargestellt. In der Sozialbilanz von 1979 wurden erstmals in geringem Um410 Vgl. Kapitel 3.2.3. 411 Vgl. AKSBP 1977, S. 3 u. ebd. Anlage 1.

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fang Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung zum Schwerpunktthema Aus- und Fortbildung abgedruckt. Weitere Berichtsinhalte stimmten mit der AKSBPEmpfehlung überein, wurden von der STEAG aber auch schon vor 1976 in die Sozialbilanzen aufgenommen und gehörten größtenteils schon vor 1970 zum Kanon der deutschen Sozialberichterstattung. Der Anteil der Grafiken und Fotos zur Unterstützung der Berichtsinhalte stieg kontinuierlich an. Während die erste Sozialbilanz noch ohne derartige Darstellungen veröffentlicht wurde, enthielt die STEAG Sozialbilanz von 1980 auf 21 Seiten insgesamt 15 Infografiken und 26 Fotos.412 Hier spiegelte sich der Trend zum vermehrten Gebrauch von visuellen Darstellungsmitteln. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Graphen zur Komprimierung von Daten in Unternehmen verwendet, um die Kommunikation über Entwicklungen innerhalb des Unternehmens zwischen Experten zu erleichtern. Standards, die die Zuverlässigkeit der Informationsübermittlung garantieren und Manipulationen verhindern sollten, bildeten sich aus und führten zur Verbreitung der visuellen Datenübermittlung in Unternehmen.413 Seit Mitte der 1960er Jahre jedoch fanden Infografiken in Form von Graphen, Tabellen oder Mischformen mit Bildern zunehmend auch Verwendung für öffentliche Zwecke in Zeitungen, Zeitschriften oder Geschäftsberichten und veränderten die Sehgewohnheiten: sie lieferten ein einfaches Bild und zugleich hochaggregierte Daten, die den Objektivitätsanspruch der Informationen zusätzlich unterstreichen sollten. Tanner sieht in der Infografik eine Strategie, Quantifizierungen über abstrakte Zahlenkolonnen hinaus zu visualisieren und damit in gewissem Sinne zu renaturalisieren, weil sie dem Leser um ein Vielfaches einfacher und geordneter erscheinen als die auf den ersten Blick komplexen Zahlwerke einer Bilanz oder die Informationsdichte eines Textes. Infografiken erscheinen dann als grafische Repräsentation der Wirklichkeit und suggerieren damit zugleich eine Notwendigkeit der repräsentierten Daten. Sie sind Darstellungsmittel des allgegenwärtigen Wachstumsparadigmas: eine Infografik, die keine dynamische Entwicklung aufzeigt, würde in die Berichterstattung der Unternehmen niemals Eingang finden. Damit sind sie Teil jener eingangs beschriebenen Normalisierungsstrategien, die zugleich deskriptiv und präskriptiv sind, weil sie dem Leser der Sozialbilanz aufzeigen, wie sich die Löhne, Unfallzahlen oder Immissionswerte über die Zeit entwickelt haben, aber auch die Erwartungen der Entwicklungen für die Zukunft schon festlegen, wenn die Kurve stets nach oben oder unten zeigt.414 Infografiken erwiesen sich in den Sozialbilanzen der 1970er Jahre als beliebtes Gestal-

412 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1971/72-1982. 413 Vgl. Yates 1993, S. 85-91. 414 Vgl. Kruke/Ziemann 2012, S. 244-248; Link 2002; Luks 2010, S. 267; Raphael 2012, S. 51-52; Tanner 2002.

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tungselement, ohne dass die Methoden der Datengewinnung im Detail offengelegt wurden.415 Die Sozialbilanz der Saarbergwerke AG orientierte sich eng am Vorbild des tradierten Sozialberichtes und wurde 1973 zunächst um eine Sozialrechnung, 1976 um eine Wertschöpfungsrechnung erweitert. Inhaltlich war die Sozialbilanz sogar deutlich eingeschränkter als die seit 1955 erscheinende Werkszeitung des Unternehmens. Diese verstand sich seit ihrer Einführung nicht nur als soziales Bindeglied zur Belegschaft, sondern auch als Informationsinstrument über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens und unterrichtete ihre Leser neben sozialbezogenen Themen und unterhaltenden Inhalten auch über die Geschäftsfelder von Saarberg.416 Die Sozialbilanz spiegelte durch die Fortführung der bereits bestehenden Sozialberichterstattung den Konservatismus wieder, der im Unternehmen vorherrschte.417 Über den gesamten Zeitraum der Sozialbilanzierung fanden Themen wie der Bergarbeiterberufsverkehr, die Versorgung der Mitarbeiter mit Hausbrand, die Arbeit der Werksfürsorgerinnen – seit 1981 Sozialarbeiterinnen –, die Werksbücherei, Kinder-Ferienfahrten, die Ehrung von Jubilaren und die Aktivitäten von Kapellen und Chören jährlich wiederkehrend Eingang in die Berichterstattung, auch wenn diese Sozialleistungen und -angebote zum Teil längst ihre Bedeutung für die Beschäftigten eingebüßt hatten.418 Wurden aktuelle Themen der Berichterstattung gewählt, so berichtete Saarberg meist zeitverzögert darüber statt gesellschaftliche Entwicklungen zu antizipieren, obwohl es durchaus Interesse außerhalb des Unternehmens an den Sozialbilanzen gab. Die Sozialbilanz erschien in zwei unterschiedlichen Auflagen: zum einen erhielten sie die Mitarbeiter und Betriebsräte als Sonderausgabe der Werkszeitschrift Saarberg, zum anderen gab es eine Auflage für externe Leser, die der Auflagenhöhe des Geschäftsberichtes entsprach und an jene Gruppen verschickt wurde, die als Anspruchsgruppen oder Multiplikatoren im Interesse dieser Gruppen verstanden wurden und die diese Publikationen auch anforderten: Journalisten, Politiker, andere Unternehmen, staatliche Stellen, Hochschulen und Wirtschaftsinstitute.419 Zulieferer und Kunden wurden aus diesem Kreis ausgeschlossen.420 Saarberg orientierte sich demnach mit der Definition der Zielgruppen für seine gesellschaftsbezogene Berichterstattung an der Empfehlung des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis. In den neunziger Jahren wurde der Erscheinungsrhyth415 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1972/73-1982. 416 Vgl. Saarbergwerke Schacht und Heim 1955-1970; Saarberg Konzernzeitschrift 19711981. 417 Vgl. Kotthoff/Ochs 1988, S. 145-206. 418 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1973-1997. 419 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1977, S. 30; dies. 1979, S. 33; dies. 1981, S. 30; dies. 1982, S. 4 u. 33. 420 Vgl. Wenzel 1981, S. 160.

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mus der Werkszeitschrift langsamer: Pro Jahr erschienen nur noch zwei Ausgaben, eine davon als Sozialbilanz. Das Unternehmen suchte nach schnelleren Kommunikationswegen und informierte seine Mitarbeiter seit 1995 auch digital mit der Möglichkeit zum Feedback oder in Form von monatlich erscheinenden, im Gegensatz zur Werkszeitschrift kürzeren, aber aktuelleren Zeitungen.421 Trotz des geringen Abweichens der Saarberg Sozialbilanzen von der tradierten Sozialberichterstattung wurde ihr Erscheinen von BDA und DGB gleichermaßen beobachtet und von beiden Verbänden als PR-Strategie des Konzerns bewertet, wobei die Bewertung der BDA erwartungsgemäß positiv, jene des DGB negativ ausfiel.422 Küller (DGB) kritisierte an der Saarbergwerke Sozialbilanz, sie täusche Objektivität durch die Quantifizierung und Auflistung der sozialen Leistungen vor, ohne den Nutzen dieser Leistungen tatsächlich herausstellen zu können. Letztlich sei die Sozialbilanz nur ein Mittel, »das die Belegschaften des eigenen Unternehmens beziehungsweise die im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften über ihre wahre Interessenlage hinwegtäuschen und einschüchtern soll.«423 Zwar waren im Saarbergbau die Arbeitsbeziehungen weniger von Konflikten geprägt als im Ruhrkohlenbergbau und die Montanmitbestimmung nicht etwa auf Forderungen seitens der Belegschaft hinetabliert, sondern erst nach 1957 von oben eingeführt worden. Dennoch nahm der Einfluss der Betriebsräte seit den siebziger Jahren deutlich zu, und die strukturellen Veränderungen der Arbeit im Bergbau hatten die »Erosion traditioneller sozialer Beziehungen und berufsständischer Orientierung«424 zur Folge. Saarberg wollte eine verjüngte, hochqualifizierte Stammbelegschaft und versuchte mit seinen Sozialbilanzen die Kongruenz von gebotenen Leistungen und Ansprüchen der potentiellen Belegschaft hinsichtlich gerechter Entlohnung, gesicherter Beschäftigung, Mitwirkungs- und Aufstiegsmöglichkeiten zu dokumentieren. Darüber hinaus erschienen die Publikationen zu einem Zeitpunkt, an dem die Mitarbeiterrechte im Konzern durch die Einführung der Betriebsdirektoren für Personal und Soziales und das Betriebsverfassungsgesetz in den konzernzugehörigen Unternehmen außerhalb des Bergbaus weiter gestärkt wurden. In der Gleichförmigkeit der Berichterstattung über 25 Jahre Sozialbilanzierung zeigte sich allerdings kaum wissenschaftlicher oder gewerkschaftlicher Einfluss auf die Saarberg Sozialbilanzen. Die Sozialberichterstattung des Unternehmens lag traditionell in den Händen der Betriebsleitung, und auch mit Beginn der Sozialbilanzierung arbeitete der Betriebs421 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanz 1996, S. 30-31. 422 AdsD 5/DGAI 000254: Analyse der Sozialbilanzen der Firmen STEAG, Saarbergwerke und Pieroth (Mai 1976); BDA Abt. VIII: Informationsbericht über betriebliche Publizistik (02.09.1974), S. 10. 423 AdsD 5/DGAI 000254: Analyse der Sozialbilanzen der Firmen STEAG, Saarbergwerke und Pieroth (Mai 1976), S. 7. 424 Kotthoff/Ochs 1988, S. 206.

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rat nicht an der Publikation mit.425 Die Forderungen des DGB nach Berichterstattung über die Lohnstruktur, Sozialpläne, die Beschäftigung von Ausländern, Frauen und Menschen mit Behinderung, Arbeitssicherheit und die Humanisierung des Arbeitslebens erfüllten sie durchaus,426 aber dies stellte auch nur einen Teil des DGBKataloges zur Sozialbilanzierung dar. Die Subventionen, die Saarberg erhielt, wurden zwar erwähnt, aber nicht als Summe benannt, und Umweltbelastungen waren in den siebziger Jahren ebenso wenig Gegenstand der Berichterstattung wie die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten. Erst 1994 erschien der Begriff des Betriebsklimas in der Sozialbilanz, und nicht früher als im Jahr 1996 wurden die Ziele der Personalpolitik als Kommunikationsstrategie offengelegt.427 Hier zeigen sich mit großer zeitlicher Verzögerung die Managementkonzepte der fünfziger bis siebziger Jahre, die 1974 Eingang in das Goal Accounting-Konzept von Meinolf Dierkes gefunden hatten. Bei Saarberg jedoch offenbaren sich mit der Einführung vielmehr die Bestrebungen, das Vorbild der STEAG-Sozialbilanzen mit der eigenen Sozialberichterstattung zu verknüpfen.428 Pieroth orientierte sich in seiner 1977 erschienenen, zweiten Sozialbilanz ebenfalls an der AKSBP-Empfehlung, übernahm die dreigliedrige Struktur und die entsprechende Terminologie. Allerdings wurde die Pieroth Sozialbilanz damit sehr viel konventioneller, als es die erste gewesen war. Das Unternehmen verzichtete aufgrund externer Kritik an der ersten Sozialbilanz auf die Darstellung potentieller Schäden durch das Unternehmen in der Sozialrechnung und konzentrierte sich auf eine positive verbale Berichterstattung im Sozialbericht mit den Schwerpunktthemen Vermögensbeteiligung, Ausbildung und humane Arbeitsplatzgestaltung. Die Auseinandersetzung mit den Sozialbilanzen anderer Unternehmen habe die Gestaltung der eigenen beeinflusst, und die Arbeit des AKSBP mit dem Ziel einer Standardisierung der Sozialbilanzierung wirke positiv auf die eigene Publikation. Durch Standardisierung nach der Empfehlung des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis könne die Sozialbilanz ein brauchbares Kommunikationsmittel für Unternehmen sein und eine gewerkschaftliche Instrumentalisierung der Publikationen verhindert werden. Zwar votierten sowohl Elmar Pieroth als auch Kurt Faltlhauser für eine Standardisierung, eine gesetzliche Regulierung der Berichterstattung lehnten sie jedoch konsequent ab.429 Die Sozialbilanz der BASF für 1975 überwand als erste die Trennung in ein inneres und ein äußeres Beziehungsfeld des Unternehmens nach dem Vorbild der STEAG und etablierte stattdessen eine Berichterstattung, die sich auf die einzelnen 425 Vgl. Kotthoff/Ochs 1988, S. 176; Wenzel 1981, S. 165. 426 Vgl. Wenzel 1981, S. 157 u. 173. 427 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1994, S. 39; dies. 1996, S. 30. 428 Vgl. Wenzel 1981, S. 172. 429 Vgl. Faltlhauser 1978a, S. 155; Pieroth Sozialbilanz 1975/76, S. 2.

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Bezugsgruppen des Unternehmens – Mitarbeiter, Gesellschaft, Kapitalgeber und Kunden – konzentrierte. Neben der BASF nahm nur Pieroth noch die Kunden in die Berichterstattung auf, während der AKSBP davon abriet, die Kunden als Anspruchsgruppe des Unternehmens innerhalb der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung zu erwähnen, weil die Ausgaben für die Pflege der Kundenbeziehungen oftmals direkt mit der Geschäftstätigkeit verbunden seien.430 Das Vorhaben der BASF, die Kunden in die Berichterstattung einzubeziehen, kann bei dem Chemieunternehmen, das traditionell nicht für den Verbrauchermarkt produzierte, vor dem Hintergrund der Bemühungen gesehen werden, seit den 60er Jahren verstärkt in die Produktion verbrauchernaher Produkte wie Ton- und später Videobänder, Lacke oder Pharmazieprodukte einzusteigen.431 Die BASF bemühte sich jedoch vor allem, ihre gesellschaftliche Verantwortung durch die Sozialberichte in der Öffentlichkeit zu demonstrieren und nutzte die Möglichkeit, die Berichte an Presse, Kirche, Schulen, Universitäten oder Politik zu verschicken. Sie kam damit jener Empfehlung nach, die Dierkes im Hinblick auf die Bedeutung des Einflusses gesellschaftlicher Meinungsträger und ihrer Rolle als Multiplikatoren in der Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen herausgestellt hatte.432 In der Gestaltung zeigte sich sehr deutlich die Ausrichtung auf ein breites und öffentliches Publikum. Schon vor der Konstitution des Arbeitskreises arbeitete der BASF Sozialbericht mit Grafiken und Tabellen zur Veranschaulichung der Texte. Mitte der 1970er Jahre stieg jedoch auch die Zahl der Fotos deutlich an: von fünf im Sozialbericht für 1973 (mit 31 Seiten Bericht), auf 63 für 1974 (55 Seiten) und 95 für 1976 (63 Seiten) und pendelte sich in den 1980er Jahren bei durchschnittlich einem Foto pro Seite ein. Der BASF Sozialbericht sorgte damit auf der einen Seite tatsächlich für die vom AKSBP gewünschte Anschaulichkeit, geriet auf der anderen Seite aber auch zu jener Form von bunt bebilderter Broschüre, die von wissenschaftlicher und gewerkschaftlicher Seite als gehaltlos und wenig aussagekräftig kritisiert worden war und große Nähe zur Gestaltung von Werkszeitschriften aufwies. Die Kerndaten zur Sozialbilanz – Mitarbeiterzahl und -struktur, die Lohn- und Gehaltssummen sowie –gruppen, Tarifentwicklungen, Fluktuationsquoten, Arbeitszeit, Altersstruktur, Krankenstand, Betriebskrankenkasse, Unfallzahlen, Kosten für vorgeschriebene und freiwillige betriebliche Sozialleistungen, Aus- und Weiterbildungskosten, Vermögensbildung, Altersversorgung und Gesundheitsdienst – erhob 430 Vgl. BASF UA C 6002: Lobenwein, Personalführung im Großunternehmen, S. 294. Faltlhauser 1978, S. 110; Hemmer 1979, S. 32. 431 Durch die starke Konkurrenz, v.a. im Magnetophonband- und Pharmabereich, gab BASF diese Aktivitäten bis Mitte der 1990er Jahre nach und nach wieder auf. Vgl. Abelhauser 2002, S. 584-627. 432 Vgl. Kapitel 3.2.3.

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die BASF auch schon vor Veröffentlichung der Sozialberichte in den 1970er Jahren433 ausführlich in den internen Jahresberichten der Personalabteilung, die im Unternehmensarchiv der BASF für den Zeitraum von 1947 bis 1968 überliefert sind. Für 1978 und 1982 sind Berichte unter dem Titel Sozialpolitische Argumente archiviert, die ebenfalls die Kerndaten zur Personalpolitik lieferten und ausschließlich intern im Unternehmen zirkulierten. Neben den Informationen, die die Jahresberichte bereitstellten, lieferten die Sozialpolitischen Argumente zugleich auch Erklärungen für den ökonomischen wie sozialpolitischen Kurs der BASF. In den Berichten wird deutlich, dass sie sich explizit als Argumentationshilfe an Führungskräfte wandten, um diesen die Verteidigung ökonomischer Entscheidungen beispielsweise hinsichtlich der Erhöhung des Eigenkapitalanteils, der Ausbildungspolitik oder der Auslandsaktivitäten gegenüber Mitarbeitern, Gewerkschaften oder der Öffentlichkeit zu erleichtern. Um die Argumentationshilfe bedarfsgerecht zu gestalten, wurden die Empfänger 1982 aufgefordert, ein Feedback mittels Fragebogen zu geben. Hier ging es vor allem darum, die praktische Anwendbarkeit der Informationshilfe gewährleisten zu können; d.h. die Führungskräfte sollten erläutern, inwieweit die Argumentationshilfe tatsächlich eine Hilfestellung im beruflichen Alltag darstellte. Die Sozialpolitischen Argumente stellten die Personaldaten in einen größeren politischen Zusammenhang, indem zum Beispiel Organisationsstruktur und Einflussbereich des DGB oder die Einstellungspolitik im Vergleich zur Arbeitsmarktsituation in der Bundesrepublik und zur Einstellungspolitik der Konkurrenten Hoechst und Bayer erläutert wurden.434 Mehrkosten dürften damit durch die Erstellung der Sozialbilanz hinsichtlich der Datenerhebung kaum angefallen sein, da diese schon zuvor in den Jahresberichten erhoben wurden. Zusätzlichen Aufwand bedeutete dagegen vor allem die lesergerechte Aufbereitung der Daten, deren Präsentation in den Jahresberichten und Sozialpolitischen Argumenten schließlich auch der Selbstdarstellung des Unternehmens dienen sollte. Um den Aussagewert der veröffentlichten Daten zu erhöhen, verwendete die BASF in den Sozialberichten oftmals Vergleiche mit Durchschnittswerten und stellte beispielsweise die durchschnittlichen Lohnund Gehaltssummen, Übernahmezahlen von Auszubildenden oder die Summe der freiwillig gezahlten Sozialleistungen den jeweiligen Durchschnittswerten der Gesamtindustrie oder der chemischen Industrie gegenüber. Zusätzliche Objektivität in der Bewertung der BASF-Leistungen sollten Bezüge auf statistische Erhebungen oder Untersuchungen externer Institute herstellen wie im nachfolgenden Beispiel:

433 Zur Berichterstattung über diese Daten in den BASF Berichten vgl. BASF Geschäfts-/ Sozialberichte 1970-2000. 434 Vgl. BASF UA C 604: Jahresberichte der Personal- und Sozialabteilung; C 6002: Sozialpolitische Argumente 1978 u. 1982.

272 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN Die Personalnebenkosten der BASF Aktiengesellschaft müssen in der Tat erstaunen; besonders wenn man die Zahlen anderer Industriezweige zum Vergleich heranzieht. Nach einer Veröffentlichung des Instituts der Deutschen Wirtschaft betrugen sie zum Beispiel bei der verarbeitenden Industrie 1973 insgesamt nur 53,60 DM je 100 DM reinen Leistungsentgelts, über 36 DM weniger als bei der BASF Aktiengesellschaft.435

Die BASF Sozialberichte nahmen einige Forderungen des DGB-Kataloges bereits vorweg. So berichtete die BASF schon zu Beginn der 1970er in Sozial- und Geschäftsberichten über Arbeitszeitregelungen, Schichtarbeit und Arbeitsplatzsicherheit, Lohngerechtigkeit, Durchschnittsalter und -verdienst, über die Beschäftigungslage für Frauen, Schwerbehinderte oder ausländische Arbeitnehmer, allerdings nicht immer in der vom DGB-Katalog geforderten Systematik. Die soziale Integration ausländischer Arbeitnehmer spielte dagegen erst seit den späten 1970er Jahren eine Rolle in der Berichterstattung, insbesondere im Zusammenhang mit der Verbesserung des Wohnraumangebotes und der Förderung ausländischer Jugendlicher durch spezielle Ausbildungsseminare. Die Aufstiegs- und Fördermöglichkeiten für Frauen im Unternehmen durch Kinderbetreuung oder die Ausbildung von Mädchen in technischen Berufen wurden vor allem in den 1980er Jahren stärker herausgestellt, auch wenn bereits der Sozialbericht von 1974 propagierte, dass Frauen in der BASF als »gleichberechtigt« betrachtet, weder bevorzugt noch benachteiligt würden und es »in der BASF für die Frau keine altmodische Schwelle [gebe], die nur durch neue Emanzipationsbestrebungen überschritten werden könnte.«436 Dieser Passus lässt sich auf die Wirkung der Frauenbewegung seit den späten sechziger Jahren auf die gesellschaftliche Situation in der BRD zurückführen und im Zusammenhang damit auf die steigende Zahl von Arbeitnehmerinnen. Die Zahl der weiblichen Beschäftigten in der BASF hatte zwischen 1960 und 1978 um mehr als die Hälfte zugenommen (56 vH), wobei sich die Zahl der weiblichen Angestellten in diesem Zeitraum beinahe verdoppelte (um 98,2 vH).437 Über Beschäftigte mit Behinderung berichtete die BASF in den Sozialberichten insbesondere im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Schwerbehindertengesetzes 1974 und schwerpunktmäßig in den Berichten von 1980 und 1981.438 Die Bedeutung dieser Berichterstattung resultierte vor allem aus der gewachsenen Bedeutung von Beschäftigten mit Behinderung für das Unternehmen. Die vom Schwerbehindertengesetz angestrebte Beschäftigungsquote von sechs Prozent erfüllte die BASF 1980 erstmalig mit einem Anteil von 6,8 vH an der Gesamtbeschäftigtenzahl, noch 1974 hatte der Anteil der Be-

435 BASF Sozialbericht 1973, S. 8. 436 Dies. 1974, S. 21. 437 Vgl. BASF 1980, S. 150; vgl. Kapitel 2. 438 Vgl. BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1971-2000.

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schäftigten mit schwerer Behinderung in der BASF bei 1,8 vH gelegen.439 Die stärkere Berücksichtigung der Themen ›weibliche und ausländische Beschäftigte‹ sowie ›Mitarbeiter mit Behinderung‹ in den späten 1970er Jahren lassen sich auf den Einfluss der allmählichen inhaltlichen Angleichungen von Sozialbilanzen mit Bezügen zu den sozialdemokratischen Reformthemen der Dekade, aber auch auf die Berichtsanforderungen des DGB-Kataloges zurückführen. Besonders deutlich wird dies im Falle der BASF hinsichtlich der Berichterstattung über Tarifleistungen, über Steuerleistungen und über die Inanspruchnahme öffentlicher Gelder. Als die gewerkschaftliche Seite begann, sich in die inhaltsbezogene Debatte um Sozialbilanzen einzuschalten, nahm die BASF in den Sozialberichten vermehrt Bezug auf ihre Rolle als leistungsfähiger Steuerzahler der Standortgemeinden und bekräftigte immer wieder, welche Belastungen diese Zahlungen darstellten. Darüber hinaus stellte die BASF klar, dass sie durch Steuerzahlungen mehr für den Staat leiste als sie an Leistungen beziehe und verneinte den Bezug unberechtigter Subventionen. 1979 führte die BASF den Berichtsabschnitt »Sozialpolitische Entwicklungen« in die Sozialberichte ein und stellte ihre eigenen Aktivitäten und Leistungen – z. B. ihre aussertariflichen Leistungen oder Bemühungen zur Ausbildung von Jugendlichen über den eigenen Bedarf hinaus – in den Zusammenhang mit volkswirtschaftlichen Entwicklungen wie der zunehmenden Jugendarbeitslosigkeit oder der Abnahme tariflicher Leistungen.440 Neben der inhaltlichen Anpassung an die sozialpolitischen Ereignisse der 1970er Jahre hielt die BASF aber auch an klassischen Werkszeitungs- und Sozialberichtsthemen früherer Dekaden wie dem Wohnungswesen, Jubilarfeiern, der Werksbücherei oder der Förderung von Kulturveranstaltungen für die Mitarbeiter zum Teil bis in die 1980er Jahre fest. Die Berichterstattung über Werksvereine und der Topos der Geselligkeit waren in den ersten Sozialberichten der 1970er Jahre sogar ganz verschwunden, fanden aber in den 1980er Jahren wieder Eingang in die Sozialberichterstattung, obwohl sie eher Themen für die Werkszeitung waren. Dies deutet auch auf eine allmähliche Abkehr von Sozialberichten als Informationsinstrumente für eine breite Öffentlichkeit und auf eine Zurückentwicklung zu einem Informationsmedium für die Beschäftigten des Unternehmens. In der Berichterstattung über das Wohnungswesen zeichnete sich wie in den Sozialbilanzen anderer Unternehmen auch der soziale Wandel ab: während in den frühen 1970er Jahren Berichte über Unterbringungsmöglichkeiten für jugendliche und ausländische Beschäftigte in Wohnheimen noch Teil der Berichterstattung waren, konzentrierten sich die Berichte seit den späten 1970er Jahren vor allem auf die Zuschüsse der BASF zum Eigenheimerwerb. Die Werksverpflegung blieb dagegen ein Dauerthema in den Sozialberichten – auch als Schwerpunktthema – und unterstrich ihre Be439 Vgl. BASF 1980, S. 286. 440 Vgl. BASF Sozialberichte 1977-1982; Kracke 1982, S. 75.

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deutung als immer noch zeitgemäße Sozialleistung vor dem Hintergrund sozialer Veränderungen wie Standortverlagerungen, die ein größeres Einzugsgebiet der Mitarbeiter bedingten, oder der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen.441 Der Einfluss des Arbeitskreises auf die Sozialberichte zeigt sich darin, dass die BASF Ende der 1970er Jahre begann, über die Ziele und Zielerreichung in der Unternehmens- und insbesondere der Personalpolitik zu berichten. Durch Befragungen der Mitarbeiter und der Anwohner der BASF wurde versucht, die Erwartungen dieser Stakeholder zu ermitteln und entsprechende Maßnahmen in Abstimmung mit den wirtschaftlichen Zielen des Unternehmens festzulegen. Die Nutzung von Instrumenten der empirischen Sozialforschung wie der Befragung von Anspruchsgruppen stellte einen ersten Versuch dar, Mitsprache- und Kontrollmöglichkeiten für diese Gruppen zu etablieren, wie es in den wissenschaftlichen Sozialbilanzkonzepten von Dierkes oder Mintrop gefordert wurden. Die BASF setzte mehrdimensionale Indikatoren – insbesondere im Bereich der Umweltberichterstattung – ein, um mehr Informationen zu vermitteln. Sie versuchte darüber hinaus, den Stellenwert des ›Humankapitals‹ und den Wert von Bildungsinvestitionen für das Unternehmen, wie ihn die Human-Resource-Forschung herausgestellt hatte, in ihren Sozialberichten zur Geltung zu bringen. Die Berichterstattung über die Erreichung der Ziele von Personal- und Umweltpolitik beschränkte sich letztlich allerdings im Wesentlichen auf eine Erfolgsberichterstattung und vermied es, auch gescheiterte Projekte und Maßnahmen einzubeziehen, wie es sich die wissenschaftlichen und gewerkschaftlichen Autoren für eine glaubwürdige Berichterstattung wünschten.442 Unter den Unternehmen des Arbeitskreises verfolgte die Deutsche Shell den anspruchsvollsten Ansatz und nutzte die direkte Zusammenarbeit mit Meinolf Dierkes im Unternehmen. Durch die Mitarbeit im Arbeitskreis hoffte Shell vor allem auf eine Harmonisierung der Berichtsstandards sozialbilanzierender Unternehmen, die zwar die Vorbildfunktion der Shell und damit den PR-Effekt der Sozialbilanz vermindert, aber das frühe Engagement belohnt hätte, weil nur durch eine Verbreitung von freiwilligen Standards letztlich eine gesetzliche Regelung der Berichterstattung verhindert werden könnte. Diese Harmonisierungshoffnungen äußerte Shell gerade in der Sozialbilanz für jenes Jahr, in dem die Beratungen über eine potentielle Regulierung der Sozialbilanzierung in der Unternehmensrechtskommission diskutiert wurden.443 Die Deutsche Shell versäumte es nicht, ihre Leistungen für die Allgemeinheit in den Sozialbilanzen hervorzuheben. So betonte sie beispielweise ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der bundesdeutschen Infrastruktur durch Investitionen in Forschung und Entwicklung für den Asphalt-Straßenbau und die jahrzehntelange Be441 Vgl. BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1970-2000. 442 Vgl. BASF Sozialberichte 1978-1987. 443 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976, S. 13; vgl. Kapitel 4.2.

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reitstellung von Fachwissen.444 Mit Erscheinen des Geschäftsberichtes und der Sozialbilanz für das Geschäftsjahr 1976 legte die Deutsche Shell mehr Wert auf eine übersichtliche Darstellung der Maßnahmen und Ausgaben für den Umweltschutz. Investitionen wurden tabellarisch dargestellt. Diese Darstellung ließ einen chronologischen Vergleich von Umweltschutzzielen, -maßnahmen und -ergebnissen über die Geschäftsjahre hinweg zu. Dieser Katalog zur Dokumentation der Umsetzung von Umweltschutzzielen erfuhr im Verlauf der Jahre tiefere Differenzierungen und wurde dadurch aussagekräftiger. Neben monetären Indikatoren dokumentierte Shell seit 1978 verstärkt Umweltschutzmaßnahmen durch den Einsatz weiterer Indikatoren wie Mengenangaben, Ausschussgrößen, Beschwerdezahlen, eingesetzter Arbeitsstunden oder der Zahl von Forschungsprojekten und versuchte damit dem wissenschaftlichen und gewerkschaftlichen Anspruch an eine multidimensionale, indikatorenbasierte Berichterstattung gerecht zu werden.445 In der Sozialberichterstattung war die Deutsche Shell den Entwicklungen im Arbeitskreis voraus und fungierte als Vorbild. Die Quantifizierbarkeit ebenso wie die Nichtquantifizierbarkeit sozialer Leistungen – vor allem aber von deren Wirkungen – wurden bereits 1974 thematisiert.446 Allerdings nahm auch im mitarbeiterbezogenen Berichtsteil der Anteil von Grafiken und Tabellen zur Komprimierung und Visualisierung statistischer Daten in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre deutlich zu447 und verlieh der Publikation objektivierenden Charakter.448 Die Hauptfunktion der Sozialbilanz sei es, »vollständige Rechenschaft über die Erreichung aller fünf [...] Unternehmensziele«449 abzulegen. Dazu sei es notwendig, einen konsensorientierten Dialog mit den Anspruchsgruppen des Unternehmens zu führen, die durch die Sozialbilanz angesprochen werden sollten: »In der Bewältigung der Aufgaben zum Umweltschutz ist nach unserem Dafürhalten das Verständnis zwischen den Beteiligten ein wesentlicher Faktor. Durch Kontakte mit Interessengemeinschaften und Bevölkerungsgruppen sind wir bestrebt, diese Verständigung zu fördern.«450

444 Vgl. dies. 1977, S. 22. 445 Vgl. dies. 1976-1996. 446 Vgl. dies. 1974, S. 18. 447 1973 war eine Tabelle im Geschäftsbericht für den mitarbeiterbezogenen Teil abgebildet, 1974 je eine Grafik und eine Tabelle. Deren Zahl wuchs auf 9 für 1975, 14 für 1976, 16 für 1976 und 19 für 1978. 448 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1974-1989. 449 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975, S. 10; zu den Zielen der Shell vgl. Kapitel 5.1.5. 450 Dies. 1974, S. 24.

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Auch mit den Vertriebspartner werde der »ständige[ ] Meinungsaustausch[ ]«451 gesucht, um eine partnerschaftliche Arbeitsteilung auf Augenhöhe gewährleisten zu können und die »ständige interne und externe Diskussion über die Rolle und Aufgaben des Unternehmens in der heutigen Gesellschaft«452 mit allen Anspruchsgruppen habe zur Findung und Anpassung der fünf zentralen Unternehmensziele geführt. Schließlich wird auch die Sozialbilanz selbst innerhalb der Publikation als ein Beitrag unter vielen Maßnahmen zu einer offenen Kommunikationspolitik gegenüber den Anspruchsgruppen des Unternehmens propagiert.453 An diesen Stellen wird deutlich, dass die Deutsche Shell mithilfe der Sozialbilanz jenem Demokratisierungsanspruch zu begegnen versucht, der für die späten 1960er und 1970er Jahren zunächst für Protestbewegungen und dann auch für die Arbeitswelt postuliert worden ist, und der zum legitimen Anspruch von Stakeholdern gegenüber Unternehmen werden sollte. Die Shell Sozialbilanzen nahmen Inhalte der AKSBP-Empfehlung wie des DGB-Kataloges vorweg. So beschrieb das Unternehmen die Auswirkungen gesetzlicher Maßnahmen auf die Unternehmenspolitik und -entwicklung schon vor 1977, beispielsweise zu Neuregelungen der Altersversorgung, den Implikationen der Umweltschutzgesetzgebung oder des Energieprogramms der Bundesregierung, allerdings beschränkte sich die Berichterstattung auf eine allgemeine Bezugnahme und ging nicht im Detail auf die Maßnahmen bei Shell ein. Seit der Publikation für das Geschäftsjahr 1977 wies das Unternehmen hingegen dezidiert auf die Einhaltung von Gesetzen als gesellschaftsbezogenem Ziel hin.454 1976 verabschiedete die OECD Leitsätze als Verhaltensrichtlinien für multinationale Unternehmen, zu deren Befolgung sich auch der Shell-Konzern verpflichtete. 1977 griff die Deutsche Shell die Multinationalität des Konzerns und die globalen wirtschaftlichen Verflechtungen der Deutschen Shell als Thema im Geschäftsbericht in einem Schwerpunkt auf.455 Ähnlich wie die Shell- und STEAG-Sozialbilanzen hatten auch einige Elemente der Bertelsmann-Sozialbilanzen Vorbildcharakter für die AKSBP-Empfehlung. So hatte nicht nur die bereits praktizierte Veröffentlichung der Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen Einfluss auf die Empfehlung. Bereits im Geschäftsbericht von 1974/75 veröffentlichte Bertelsmann die erste graphische Darstellung einer Wertschöpfungsrechnung. Zahlenmaterial wie Angaben zu Mitarbeiterzahlen, Statistiken, Tabellen und Graphiken enthielt schon der erste Geschäftsbericht von 1971/72. 451 Dies. 1976, S. 39. 452 Dies. 1978, S. 10. 453 Vgl. ebd., S. 47. 454 Vgl. dies. 1974-1982. 455 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1976, S. 13; 1977, S. 49-52; BDA Abt. IX: Gesprächskreis »Multinationale Unternehmen« (29.03.1979); Kapitel 7.1.

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In den nachfolgenden Geschäftsberichten und Sozialbilanzen nahm deren Zahl während der 1970er Jahre noch zu. Es lassen sich jedoch auch Einflüsse der AKSBPEmpfehlung und -Unternehmen innerhalb der Bertelsmann-Sozialbilanzen erkennen. So finden die Themen Frauen, Menschen mit Behinderung, Fluktuation, Arbeitsplatzsicherheit und Sozialpläne, Arbeitsschutz, medizinische Versorgung und Vorsorge erst mit Veröffentlichung der AKSBP-Empfehlung Eingang in die Sozialbilanzen von Bertelsmann und bleiben auch in den 1990er Jahren noch Bestandteil der Berichterstattung, zum Teil als Schwerpunktthemen.456 Kurz nimmt der Konzern auch die Anregungen auf, in den Publikationen nach dem Modell der STEAG zwischen einem inneren und äußeren Beziehungsfeld des Unternehmens zu unterscheiden457 und über schwebende Arbeitsrechtsverfahren zu berichten, wie von Kittner und Mehrens 1976 und vom DGB 1979 gefordert.458 Klassische Sozialberichtsthemen wie die Betriebskrankenkasse, Altersversorgung oder auch philanthropische Leistungen (Spenden, organisatorische und finanzielle Unterstützung der Leseförderung) fehlten jedoch ebenso wenig, auch wenn einige wie die Essensversorgung, der Betriebskindergarten oder das Sportangebot eher marginal behandelt wurden.459 Hier zeigt sich, dass die fehlende Sozialberichtstradition bei Bertelsmann einer zeitgemäßen Auswahl der Berichtsthemen zugute kam, und das Unternehmen nicht der Wiederholung althergebrachter Inhalte verhaftet blieb. Bertelsmann betonte in seinen Publikationen, dass Gewinn als Maßstab für den wirtschaftlichen Erfolg richtig sei, aber nicht allein Informationen über den gesellschaftlichen Beitrag des Unternehmens liefere. Als Unternehmen, das die Ausrichtung am Konzept der Sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik und das Prinzip der Sozialpflichtigkeit des Eigentums bejahe, könne die Sozialbilanz geeignetes Instrument zur Darstellung der qualitativen Sozialleistungen sein und der sozialen Beziehungen als Gemeinschaft und Familie im Unternehmen.460 Diese Absicht spiegelte sich in dem seit 1978/79 verwendeten Titel Unsere innere Ordnung, der für die integrierte Sozialberichterstattung gewählt worden war. Die Publikationen entsprachen damit nicht nur dem Geist des Unternehmensdoyens Mohn, sondern auch den Vorstellungen, die die BDA von der Sozialbilanz als Kommunikationsinstrument zwischen Öffentlichkeit, Mitarbeitern und Unternehmen vertrat. Zwar richtete sich die Bertelsmann Sozialbilanz zunächst primär an die Mitarbeiter, mit der Integration in den Geschäftsbericht aber schließlich auch an eine erweiterte Öffentlichkeit, die in den Publikationen selbst skizziert wurde, indem die Interessen von Verbrauchern, Staat, Gewerkschaften und Wissenschaft angesprochen wur456 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77-2000/01. 457 Vgl. Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977/78. 458 Vgl. Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1977/78-1978/79. 459 Vgl. Bertelsmann Sozialbilanzen 1976/77, 1988/89 u. 1989/90. 460 Zum Gemeinschaftstopos der ›Bertelsmann-Familie‹ vgl. auch Söhlke 1999.

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den.461 Um die Sozialbilanz dem gewünschten breiteren Publikum zugänglich zu machen, bewarb Mohn die Publikation auf der jährlichen Aktionärsversammlung im März 1979 vor der Presse und betonte den gesellschaftspolitischen Auftrag, dem er sich als Unternehmer über die Gewinnerwirtschaftung hinaus verpflichtet sehe.462 Abbildung 10: Die Expertenrunde des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis

Bertelsmann verwies in seiner Sozialbilanz selbstreferentiell auf die Arbeit des AKSBP. Quelle: Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978/79, S. 73.

Bertelsmann reagierte direkt auf die Veröffentlichung des DGB-Indikatorenkataloges in der Sozialbilanz für das Geschäftsjahr 1978/79 und kritisierte dessen Anforderungen als eine bloße Aufreihung objektiver Indikatoren ohne starke Aussagekraft für jene qualitativen Informationen, die eine Sozialbilanz eigentlich dem Unternehmen wie dem Leser liefern solle. In der Publikation wurde zugleich auf die Stärke subjektiver Indikatoren verwiesen, die durch Mitarbeiterbefragungen gewonnen würden: Es wird häufig versucht, die Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern durch sogenannte statistische Indikatoren zu belegen. [...] Diese konventionellen Daten erweisen sich bei näherer Betrachtung als ungeeignet, Arbeitszufriedenheit und Verbundenheit mit dem Unternehmen zu messen oder Hinweise zur Verbesserung unserer Führungsarbeit zu geben. Dies

461 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1973/74-1997/98; Kapitel 5.1.6; Interview Netta 19.11.2010; zu den Stakeholder-Interessen insbesondere Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77-1980/81. 462 Vgl. Delamaide, Darrell, »German’s sour social debate«, in: Financial Times (17.04.1979), S. 13.

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leisten besser Mitarbeiterbefragungen, wie wir sie im Jahr 1977 durchgeführt haben und 1980 wiederholen werden.463

Auch wenn Bertelsmann die gewerkschaftlichen Forderungen an den Informationsgehalt ablehnte, so wurden aufgrund seiner veränderten Haltung doch Zugeständnisse an den DGB gemacht. Die Sozialbilanzen berichteten seit 1978/79 vermehrt zum einen über konkrete Indikatoren der Beschäftigungsqualität wie Arbeitszeitmodelle, die Übernahme von Arbeitnehmern in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse, Lohn- und Gehaltsstrukturen, die Beschäftigtenstruktur oder soziale Sicherheit; zum anderen fanden gerade zu Beginn der 1980er Jahre Konzepte sozialer Gerechtigkeit und einer ständigen Dialogbereitschaft von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie die Begriffe Fairness und Strukturwandel ihren Platz in den Publikationen. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende fand in seinem Grußwort neben lobenden auch kritische Worte für die sozialen Beziehungen im Unternehmen, machte Verbesserungsvorschläge und warnte vor negativen Entwicklungen.464 Trotz der beratenden Tätigkeit Meinolf Dierkes’, der das Goal Accounting »als Führungs- und Kontrollinstrument«465 für Unternehmen maßgeblich entwickelt hatte, standen nicht alle Unternehmensvertreter des AKSBP diesem accounting-Ansatz positiv gegenüber. So fürchteten einige Unternehmen um ihre Wettbewerbsfähigkeit durch die Veröffentlichung ihrer Ziele. Diese Befürchtungen bezogen sich vor allem auf Unternehmensziele, die dem Bereich Forschung und Entwicklung entsprangen. Gleichzeitig hegten einige Unternehmensvertreter hinsichtlich drohender Auseinandersetzungen mit der gewerkschaftlichen Seite auch Bedenken gegen die Veröffentlichung arbeitnehmerbezogener Ziele. Sie könnte »die Verhandlungsposition eines Unternehmens« schwächen. Darüber hinaus könne die Veröffentlichung »zu vorzeitiger und evtl. unnötiger Beunruhigung der Mitarbeiter führen«,466 würden beispielsweise Informationen publik, die auf künftige Entlassungen hinwiesen, die dann letztlich nicht durchgeführt würden. Insgesamt sei die Fülle unternehmerischer Ziele derart groß, dass eine einschränkende Auswahl der Ziele für die Berichterstattung notwendig sei – auch wenn sie zu Lasten der Objektivität ginge. Schließlich berge die »ex post-Berichterstattung über die Zielerreichung« Gefahren, denn hier sei »die Glaubwürdigkeit der Information unter Umständen geringer, weil viele Leser auch von einer ex post-Definition der Ziele ausgehen«.467 BASF, Bertelsmann und Shell verfolgten den Goal Accounting-Ansatz ungeachtet der ange463 Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978/79, S. 61. 464 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1978/79-2000/01. 465 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll der AKSBP-Sitzung (04./05.09.1979), S. 5; Dierkes 1974. 466 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll der AKSBP-Sitzung (04./05.09.1979), S. 5. 467 Ebd.

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führten Kritikpunkte weiter und dienten den anderen AKSBP-Mitgliedern mit ihren Erfahrungen als Vorbilder.468 5.2.2 Die Sozialrechnung: Illustration des sozialen Nutzens? Für die Sozialrechnung schlug der AKSBP eine Orientierung an den Anspruchsgruppen der Unternehmen nach Vorbild der STEAG Sozialbilanz vor. Hauptbezugsfelder sollten die Mitarbeiter, Kapitalgeber, Staat, Öffentlichkeit, natürliche Umwelt und das Unternehmen selbst sein, nicht jedoch die Kunden, weil sich hier die Abgrenzung zur wirtschaftlichen Tätigkeit schwierig gestalte. Die übrigen Bezugsgruppen seien durchaus zusammenzufassen, wie beispielsweise Öffentlichkeit und Umwelt. Insbesondere in diesem Vorschlag zeigte sich das Verständnis einer betrieblichen Umweltpolitik, die überwiegend an Forderungen von außen – formuliert durch gesetzliche Auflagen oder Protestbewegungen – orientiert war. In der Empfehlung wurden auch die Schwierigkeiten der Sozialrechnungserstellung dargelegt, die vor allem darin lägen, die gesellschaftsbezogenen Erträge neben den Aufwendungen ebenfalls in der Rechnung auszuweisen. Hierunter sind zum Beispiel Subventionen, Sonderabschreibungen oder die Nutzung kommunaler oder staatlicher Infrastruktur zu verstehen. Erstere seien durchaus in die Sozialrechnung integrierbar, letztere aufgrund methodischer Probleme nicht. Hier spiegelt sich die wissenschaftliche Diskussion um die Abgrenzungsschwierigkeiten sozialer Leistungen und um die Monetarisierungsbestrebungen, die schon die amerikanischen Autoren beschäftigten. Denn für die Sozialrechnung stellte es auch auf der Inputseite eine methodische Herausforderung dar, Leistungen zu berücksichtigen, denen nur schwer ein unmittelbarer monetärer Wert zugeschrieben werden konnte. Aufgrund der methodischen Schwächen plädierte der AKSBP deshalb für eine vereinfachte Sozialrechnungserstellung, die diese Schwierigkeiten ausblendet und die Daten aus dem internen Rechnungswesen bezieht. Diese seien dann durchaus testierbar.469 Für das Berichtsjahr 1976 führte die STEAG gemäß der AKSBP-Empfehlung erstmals den Begriff der Sozialrechnung für die Darstellung der gesellschaftsbezogenen Aufwand- und Nutzenrechnung ein und grenzte sie von den verbalen Berichtsinhalten und der Wertschöpfungsrechnung ab. Zusätzlich wurde die Gewinnund Verlustrechnung des Unternehmens aus dem Geschäftsbericht in die Sozialbilanz integriert, allerdings auf ein Testat der gesamten Publikation verzichtet. Darüber hinaus ließ die STEAG in der Sozialrechnung die Untergliederung in ein inneres und ein äußeres Bezugsfeld fallen, obwohl sie anderen Unternehmen zum Vorbild diente. Stattdessen umging STEAG die daraus resultierenden Abgrenzungsprobleme, die sich beispielsweise im Bereich der Kapitalgeber ergibt, und unter468 Ebd. 469 Vgl. AKSBP 1977, S. 5-6 u. ebd. Anlage 3.

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gliederte die einzelnen Rechnungsposten stärker: Anstelle des inneren und äußeren Bezugsfeldes wurden nun die Beziehungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern,470 Kapitalgebern und Gesellschaft471 getrennt aufgeführt sowie Maßnahmen zur Substanzerhaltung des Unternehmens einbezogen, worunter maßgeblich Aufwendungen im Bereich Forschung und Entwicklung, Abschreibungen und Rücklagenbildung gefasst wurden. Im Verlauf der siebziger Jahre differenzierten sich die Berichtsfelder der Sozialbilanz immer deutlicher in Richtung einer Berichterstattung aus, die sich an den einzelnen Stakeholdergruppen orientierte. In der Sozialbilanz für 1980 ergänzte schließlich eine Infografik die Sozialrechnung und sollte die Beziehungen des Unternehmens zu seinen Stakeholdern und die Verteilung der Wertschöpfung für den Leser offenlegen. Bis dahin hatte die STEAG mit der Abgrenzung einzelner Anspruchsgruppen in der Sozialrechnung lediglich experimentiert. 1980 glich sich die STEAG den Vorschlägen aus Wissenschaft und Praxis – AKSBP, BDA und VCI – an und orientierte sich an der zunehmenden Vereinheitlichung der Definition von Bezugs-, Anspruchsgruppen respektive Stakeholdern eines Unternehmens. Die Sozialbilanzen der STEAG und die Sozialrechnung im Besonderen weisen eine ständige Anpassung an Kritik von außen auf. War die Sozialrechnung 1971/72 noch sehr einfach gehalten und wies Aufwendungen für Forschung und Entwicklung als Kosten für den Umweltschutz auf, so zeigte sich schon in der nachfolgenden, zweiten Sozialbilanz eine differenziertere Abgrenzung der einzelnen Aufwandsposten. Die Sozialbilanz 1976 spiegelte schließlich sehr deutlich die Einflüsse der AKSBP-Empfehlung. Trotz aller Vorwürfe, Sozialbilanzen seien lediglich Imagebroschüren, hielt die STEAG konsequent an einer positiven Berichterstattung fest. Sie führte ausschließlich ihre pekuniären Aufwendungen in der Sozialrechnung auf, verzichtete aber seit der Sozialbilanz für 1976 auf die Darstellung des gesellschaftlichen Nutzens in der Sozialrechnung und entzog sich damit den wissenschaftlichen wie gewerkschaftlichen Vorwürfen, die Auswahlkriterien der Nutzen-

470 Im Bereich Mitarbeiter wurde erstmals zwischen direkten und indirekten Leistungen unterschieden; so wurden direkte Leistungen als Sozialaufwendungen betrachtet, die den Mitarbeitern unmittelbar zukommen, während indirekte Leistungen eine längerfristige soziale Sicherung garantieren sollen (Beiträge zur Renten-, Kranken-, Arbeitslosenversicherung, Berufsgenossenschaft, Insolvenzsicherung und Pensionsrückstellungen). Vgl. STEAG Sozialbilanz 1976, S. 30. 471 Das Feld Unternehmen – Gesellschaft wurde weiter untergliedert in die Beziehungen zum Staat (Steuern, Investitionszulagen), zur Öffentlichkeit (Spenden, Verwaltungskosten für Steuern und Krankenversicherung, Erholungsanlagen, Öffentlichkeitsarbeit) und Umweltschutz (Luftreinhaltung, Gewässerreinhaltung). Vgl. STEAG Sozialbilanz 1976, S. 31.

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bestimmung seien ohnehin rein willkürlich oder wenig aussagefähig.472 Die Erläuterung der durch die STEAG verursachten, gesellschaftsbezogenen Schäden wurde von Anfang an gänzlich vernachlässigt. Alternative Indikatoren wie Mengenangaben fanden sich ausschließlich im Sozialbericht und wurden dort mit Einheiten wie Güterwagenladungen, Pro-Kopf-Verbrauchszahlen oder mit der Produktionsmenge verbundener Arbeitsplätze für den fachfremden Leser veranschaulicht. Diese alternativen Indikatoren dienten vor allem dazu, auf die Leistung des Unternehmens zur Sicherung der Stromversorgung von Haushalten und zur sozialen Sicherung der Beschäftigten im Ruhrgebiet hinzuweisen.473 Die Saarbergwerke AG führte ebenfalls mit Bezug auf die Rahmenempfehlung des Arbeitskreises 1976 in ihrer Sozialbilanz die Untergliederung in Sozialbericht, Sozialrechnung und Wertschöpfungsrechnung ein. Im Aufbau orientierte sich die Sozialrechnung des Unternehmens explizit am Vorbild der STEAG und führte die Aufwendungen für das innere und das äußere Beziehungsfeld auf.474 Im Unterschied zur STEAG nahm die verbale Berichterstattung im Sozialbericht jedoch in den siebziger Jahren gar keinen und in den nachfolgenden Dekaden kaum Bezug auf die Aufwendungen des Unternehmens für das äußere Beziehungsfeld, das als Bezugsgruppe erstens Öffentlichkeit (Aufwendungen für Öffentlichkeitsarbeit und Spenden) und Umwelt (Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, Umweltschutz) und zweitens staatliche Institutionen (Aufwendungen, die an Bund, Land, Kommunen oder Behörden fließen) und Verbände umfasste. Die Sozialrechnungen der Saarbergwerke AG behielten von 1973 bis 1997 dieselbe Form,475 wobei schon in der ersten Sozialbilanz die begriffliche Unschärfe des Bilanzbegriffes und die Probleme der Quantifizierung von sozialen Leistungen und insbesondere deren Nutzen benannt wurden. Die Gleichförmigkeit der Sozialrechnung verhinderte einerseits, dass Kritik von gewerkschaftlicher wie wissenschaftlicher Seite zu einer Ausweitung oder Verbesserung der Sozialrechnung im Hinblick auf Arbeitnehmerinteressen, Abgrenzungskriterien oder Nutzenstiftung führte,476 erfüllte andererseits aber den oftmals formulierten Anspruch einer diachronen Vergleichbarkeit der Aufwendungen.

472 AdsD 5/DGAI 000254: Küller et al., Analyse der Sozialbilanzen der Firmen STEAG, Saarbergwerke und Pieroth (Mai 1976), S. 2; vgl. Eichhorn 1974, S. 57; Mintrop 1976, S. 95-103. 473 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1971/72-1982. 474 Vgl. Wenzel 1981, S. 158. 475 Vgl. URL: Transcript. 476 AdsD 5/DGAI 000254: Küller et al., Analyse der Sozialbilanzen der Firmen STEAG, Saarbergwerke und Pieroth (Mai 1976); Mintrop 1976, S. 97-103; M. Peters 1979, S. 25; Ziehm 1978, S. 122-124.

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Während Pieroth sich in der ersten Sozialbilanz 1973/74 noch am Vorbild der STEAG orientierte und die Aufwandsposten der gesellschaftsbezogenen Leistungen nach innerem und äußerem Beziehungsfeld des Unternehmens untergliederte, löste die Weinvertriebsgesellschaft diese Kontrastierung in der zweiten Sozialbilanz auf. Die Aufwandspositionen wurden nun entsprechend der Stakeholdergruppen Mitarbeiter, Kapitalgeber, Staat, Öffentlichkeit, natürliche Umwelt und Unternehmen (Rücklagen) untergliedert. Diese Gliederung entsprach damit im Wesentlichen den Empfehlungen des AKSBP und der BDA.477 Bertelsmann veröffentlichte nur in der Sozialbilanz für 1976/77 eine Sozialrechnung, die sich ebenfalls am Vorbild der STEAG orientierte, allerdings ausschließlich das innere Beziehungsfeld abbildete, da die Mitarbeiter des Konzerns als zentrale Zielgruppe der Publikation betrachtet wurden. In den nachfolgenden, integrierten Sozialbilanzen verzichtete Bertelsmann auf die Sozialrechnungen, erläuterte allerdings kanonisch die Zahlung gesetzlicher und freiwilliger Sozialleistungen an die Mitarbeiter seit 1977/78 in dem Berichtsabschnitt »Der stille Lohn«; stets ergänzt durch eine Grafik, die auf einen Blick die Höhe der Sozialleistungen den Lohnzahlungen gegenüberstellte sowie Vergleiche zu Vorjahreswerten erlaubte. Der Berichtsabschnitt zielte qua Titel vor allem darauf, aus Unternehmenssicht überzogene Forderungen nach Lohnerhöhungen seitens der Mitarbeiter, des Betriebsrates oder der gewerkschaftlichen Seite einzudämmen und den hohen sozialen Standard, der bei Bertelsmann herrsche, herauszustellen.478 Die BASF zeigte in ihren ersten beiden Sozialberichten für 1973 und 1974 lediglich jeweils halbseitige Grafiken zur Darstellung der Aufwendungen für soziale Leistungen, die allein zwischen den Ausgaben für Löhne und Gehälter, für gesetzliche und freiwillige Sozialleistungen differenzierten. Die Sozialbilanz 1975 jedoch enthielt erstmalig eine Sozialrechnung – auch unter dem Titel Sozialbilanz – und unterschied nicht nur zwischen den Ausgaben für die vier Anspruchsgruppen Mitarbeiter, Gesellschaft, Kapitalgeber und Kunden, sondern enthielt drei weitere Spalten: einen Vergleich der Ausgabenposten von 1975 zu 1970, Erläuterungen zu den Aufwandsposten und eine knappe Verbalisierung des Nutzens dieser Ausgaben. Von 1976 bis 1978 blieb der Hinweis auf den sozialen Nutzen der erbrachten Leistungen weiterhin Teil der Sozialrechnung, allerdings wurde mit einem Hinweis auf die Seitenzahlen der entsprechenden Textstellen im Sozialbericht verwiesen. Die Darstellung des Nutzens innerhalb der Sozialrechnung zählte zu den häufigsten Kritikpunkten an den Sozialbilanzen aus der Unternehmenspraxis und wurde schließlich auch bei der BASF eingestellt, als die Methodendiskussion zwischen AKSBPund DGB-Vertretern intensiver wurde. Dribbusch verwies in einem Aufsatz 1978 477 Vgl. Pieroth Sozialbilanzen 1973/74 u. 1975/76. 478 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1973/74-1989/90; URL: Transcript.

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darauf, dass die bisherigen Lösungsvorschläge aus der Wissenschaft zur Quantifizierung des sozialen Nutzens »völlig unpraktikabel« und »wahrhaft in einem embryonalen Stadium«479 seien und deshalb zunächst nur die Verbalisierung des Nutzens in der Unternehmenspraxis möglich sei. Wenn Sozialrechnungen die Ansprüche an eine Bilanzierung, wie sie der Sozialbilanzbegriff verheiße, wirklich erfüllen sollten, dann müsse der soziale Nutzen konsequent pekuniär abzubilden sein. Diese Möglichkeit zog Dribbusch für die Bemessung des Wertes von Arbeitszufriedenheit, der Reduzierung von Arbeitsunfällen oder für den Nutzen von Umweltschutzinvestitionen jedoch nicht in Betracht und schloss sich damit der bereits von Kittner und Mehrens vorgebrachten Kritik an einer derart umfassenden Monetarisierung sozialer Leistungen an.480 Die Erläuterungen zu den Aufwandsposten enthielten zum Teil alternative Indikatoren, die eine zusätzliche Rechtfertigung der Aufwendungen stützen sollten. So wurde zum Beispiel im Bereich der Ausgaben für den Umweltschutz die Energieersparnis in Tonnen für Dampf, Kilowatt für Strom und Kubikmetern für Flusswasser und Erdgas oder im Bereich der Forschungsausgaben die Anzahl der entstandenen wissenschaftlichen Publikationen angegeben. Ab 1976 firmierte die Auflistung der sozialbezogenen Aufwendungen dann unter dem Titel Sozialrechnung. Hier zeigt sich der Einfluss des AKSBP, der bei allen beteiligten Unternehmen eine Konvergenz in der Struktur der Sozialbilanzen durch die Einführung der Dreigliederung in Sozialbericht, Sozialrechnung und Wertschöpfungsrechnung herbeiführte. Im Jahr 1976 veröffentlichte die BASF auch die mit Abstand umfangreichste Sozialrechnung mit insgesamt 16 Seiten gegenüber vier Seiten für 1975, neun für 1977 und zwölf für 1978. Der Durchschnitt der anderen AKSBP-Unternehmen lag bei ein bis vier Seiten. Die Aufwandsrechnungen für die jeweiligen Bezugsgruppen des Unternehmens waren eingebettet in erklärende Textpassagen. Eine zusammenfassende Übersicht der Aufwendungen befand sich am Ende der Sozialrechnung. Bereits 1976 wurde das Beziehungsfeld Unternehmen – Kunde in Angleichung an die AKSBP-Empfehlung durch das Beziehungsfeld Unternehmen – Unternehmen ersetzt und wies nun die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung sowie die Summen für die Rücklage des Unternehmens aus. Ab 1979 reduzierte die BASF die Sozialrechnung allmählich im Umfang, ab 1980 umfasste sie nur noch zwei bis drei Seiten in der Gesamtpublikation. Noch 1978 beschrieb die BASF den Zweck der Sozialrechnung als Versuch, »mit Zahlen zu belegen, was das Unternehmen zur Befriedigung der gesellschaftlichen Ansprüche geleistet hat.«481 Mit dem Rückgang des Umfanges wird deutlich, dass die Sozialrechnung insgesamt an Bedeutung ver-

479 Dribbusch 1978, S. 106. 480 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1987; Dribbusch 1978; Kapitel 4.2. 481 BASF Sozialbericht 1978, S. 33.

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loren hatte und der Versuch, den sozialen Nutzen unternehmerischer Tätigkeit zu quantifizieren, gescheitert war.482 Auch Shell begann zunächst nach dem Vorbild der STEAG, zwischen Leistungen an die Belegschaft und Leistungen an externe Anspruchsgruppen zu differenzieren, führte aber bereits die Kapitalgeber als dritte, unabhängige Anspruchsgruppe in der ersten Sozialrechnung von 1975 an. Diese erste Sozialrechnung wurde noch unter dem Titel der Sozialbilanz geführt und zeigt die Hoffnungen auf eine in der Zukunft tatsächlich mögliche Bilanzierung sozialer Leistungen, aber auch die anfänglichen begrifflichen Unschärfen der ersten Sozialbilanzexperimente. Für das Berichtsjahr 1976, in dem sich der AKSBP intensiv über Standards der Berichterstattung beriet, passte Shell die Terminologie an das Konzept des AKSBP an und betitelte die tabellarische Aufstellung der gesellschaftsbezogenen Ausgaben als Sozialrechnung, die Gesamtpublikation als Geschäftsbericht/Sozialbilanz. Die Untergliederung der Sozialrechnung wurde weiter aufgefächert und umfasste nun vier Beziehungsfelder: Mitarbeiter, Kapitalgeber, Gemeinwesen und Substanzerhaltung/ -stärkung. Im Beziehungsfeld Mitarbeiter wurde nach dem Beispiel der STEAG Sozialrechnung weiterhin nach Leistungen, die den Mitarbeitern direkt, indirekt und in ihrer Gesamtheit zufließen, unterschieden. Im Beziehungsfeld Gemeinwesen zeigt sich erneut der Einfluss des AKSBP: waren 1975 noch die Verbraucher als Anspruchsgruppen neben Umwelt und Öffentlichkeit in der Sozialrechnung aufgeführt, so wichen sie gemäß der AKSBP-Empfehlung ab 1976 einer Aufstellung, die neben Umwelt und Öffentlichkeit die Beziehungen zum Staat durch die Auflistung von Steuerzahlungen berücksichtigte. Trotz der Veränderungen im Sozialbericht mit stärkeren soziopolitischen, aktuellen Bezügen, bildeten die Posten der freiwilligen Sozialleistungen in der Sozialrechnung noch immer und bis 1989 viele traditionelle Leistungen wie Zuwendungen an Arbeitsjubilare, Zuschüsse für Mittagessen, Eheschließungen, Sportvereine oder Ferienwohnungen ab. Bis 1989 blieb die Sozialrechnung zusammen mit einer Leistungsrechnung Bestandteil des Geschäftsberichtes, der bei der Deutschen Shell bis 1986 den Zusatztitel Sozialbilanz trug.483 Im Gegensatz zu den ersten Sozialrechnungen der anderen AKSBP-Unternehmen verdeutlichte das Konzept der Shell die Funktion der Sozialrechnung als Bindeglied zwischen dem um gesellschaftsbezogene Aspekte erweiterten Geschäftsbericht und der Gewinn- und Verlustrechnung. Eine Spalte der Sozialrechnung referierte auf die Seitenzahlen im Text zur Erläuterung der Aufwandsposten, eine zweite Spalte auf die jeweiligen Positionen der Aufwendungen in der GuV und eine dritte zeigte die pekuniären Aufwendungen stets im Vergleich zum Vorjahr.484 So konnte auf Details in anderen Textabschnitten verwiesen und eine leserfreund482 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1987; URL: Transcript. 483 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1970-1989. 484 Vgl. URL: Transcript.

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liche, kompakte Darstellung der Sozialrechnung verwirklicht werden, wenn sie sich auch allein auf monetäre Leistungen beschränken musste. Zwar zielte auch die Sozialbilanz der Deutschen Shell auf eine möglichst umfassende Quantifizierung der gesellschaftsbezogenen Aufwendungen; eine strikte Monetarisierung des sozialen Nutzens hielt Welbergen dennoch für unangemessen: Unseren Aufwand [für die Jugendverkehrserziehung] können wir quantifizieren. Der Nutzen hingegen - weniger Unfälle, weniger Verkehrstote – ist (wenn überhaupt) nur schwer zu ermitteln. Keinesfalls jedoch kann und sollte er in Mark und Pfennig aufgerechnet werden. Wer also das Postulat des monetären Maßstabes erhebt und versucht, aus Gründen der Vergleichbarkeit alles in Geldeinheiten ausdrücken zu wollen, führt m.E. den Gedanken der Sozialbilanz ad absurdum.485

Da Shell alle Daten der Sozialrechnung unmittelbar der Gewinn- und Verlustrechnung entnahm und die Sozialbilanz in den Geschäftsbericht integriert worden war, wurde sie von externen Wirtschaftsprüfern testiert. Damit war die Deutsche Shell das zweite Unternehmen nach Pieroth, das seine Sozialbilanzen testieren ließ, was allerdings auch im Falle des Mineralölunternehmens von gewerkschaftlicher Seite nicht gutgeheißen wurde, weil es der Publikation einen Anstrich von Objektivität verleihe, dem das Medium kaum gerecht werde.486 5.2.3 Ein Stück vom Kuchen: Das Konzept der Wertschöpfungsrechnung Als Instrument zur Abbildung der Bedeutung eines Unternehmens für die Gesellschaft empfiehlt der AKSBP in seinen Gestaltungshinweisen zur gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung die Veröffentlichung einer betrieblichen oder einzelwirtschaftlichen Wertschöpfungsrechnung (WSR) und übernimmt die Empfehlungen des Arbeitskreises Das Unternehmen in der Gesellschaft im Betriebswirtschaftlichen Ausschuß des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI).487 Die einzelwirtschaftliche Wertschöpfungsrechnung – als Konzept und Begriff mit Beginn der 1950er Jahre verstärkt diskutiert und abgegrenzt von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung488 – dient dazu, den Zusammenhang zwischen der Leistung eines Unternehmens und dessen volkswirtschaftlicher Bedeutung aufzuzeigen. Innerhalb der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung sollte die WSR zugleich die soziale Leis485 Welbergen 1978, S. 614. 486 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1989; Küller 1978, S. 247. 487 Vgl. VCI 1975, S. 161. 488 Vgl. E. Schäfer 1951; zur Entwicklung und dem Aufstieg der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Speich Chassé 2013.

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tung des Unternehmens in einem bestimmten Zeitraum herausstellen, da sie die Verteilung der Wertschöpfung an die Anspruchsgruppen eines Unternehmens (Mitarbeiter, öffentliche Hand, Darlehensgeber, Aktionäre/Gesellschafter) beschreibt. Im Unterschied zur traditionellen Rechnungslegung in Form der Gewinn- und Verlustrechnung hat die WSR den Vorteil, dass sie durch die Form der Darstellung unmittelbar die Verteilung der Wertschöpfung darlegt.489 In seinem Diskussionsbeitrag zur gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung hob der VCI-Arbeitskreis Das Unternehmen in der Gesellschaft die WSR als Bindeglied zwischen der Finanzberichterstattung und der Sozialberichterstattung hervor. In dieser Funktion sollte die WSR auch »für den ungeübten Leser«490 verständlich sein, indem eine klare Form der Darstellung gewählt wird, die möglichst eindeutige Informationen über den Zeitraum, die Menge und die Verteilung der Wertschöpfung bereitstellt. Um die Wertschöpfung eines Unternehmens umfassend zu ermitteln, müssen verschiedene Ressourcen des Unternehmens korreliert und in einheitlichen Kennzahlen (idealerweise monetär) abgebildet werden: outputorientierte Kennzahlen auf Produktionsebene (Wertzuwachs an Umsatz und Unternehmensleistung) werden in Beziehung gesetzt zu inputorientierten Kennzahlen über den Wertzuwachs an Kapital und den Einsatz von Arbeit (Beschäftigte, Arbeitsstunden, Eigen- und Fremdkapital sowie Anlagevermögen).491 Auf der Entstehungsseite bildet die einzelwirtschaftliche Wertschöpfungsrechnung den durch das Unternehmen hinzugefügten Wert »zu den von anderen Wirtschaftseinheiten bezogenen Gütern oder Dienstleistungen«492 (Vorleistungen) ab. Auf der Verteilungsseite zeigt sie die Verteilung des erwirtschafteten Wertes abzüglich der Vorleistungen an die Anspruchsgruppen des Unternehmens, z. B. den Anteil an Löhnen/Gehältern, Steuern und Dividenden. Im Unterschied zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsrechnung wird bei der einzelwirtschaftlichen lediglich der Begriff der Verteilungsrechnung gebraucht, nicht jener der Verwendungsrechnung, um die Verteilung der Wertzuwachssumme auf die Anspruchsgruppen des Unternehmens zu zeigen. Die Verwendungsrechnung erfasst gemäß Terminologie der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) hingegen die Summe der verwendeten (konsumierten, investierten oder exportierten) Güter und Dienstleistungen.493 Im WSR-Schema des VCI und dem damit inhaltlich übereinstimmenden des AKSBP werden die Begriffe der Verwendungs- und Verteilungsrechnung fälsch-

489 Vgl. VCI 1975, S. 163-165; AKSBP 1977, S. 4 u. ebd. Anhang; Meyer-Merz 1985, S. 11, 28-29, 40-41 u. 133-135. 490 VCI 1975, S. 166. 491 Vgl. VCI 1975, S. 164-166. 492 Meyer-Merz 1985, S. 42. 493 Vgl. ebd., S. 43.

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licherweise jedoch identisch gebraucht.494 Deshalb werden auch in der nachfolgenden Beschreibung der Umsetzung der von Wertschöpfungsrechnung in den AKSBP-Sozialbilanzen beide Begriffe zum Teil identisch verwendet, da die Begriffe direkt den jeweiligen Sozialbilanzen als Quellen entnommen werden. Beispiele zur WSR-Praxis der einzelnen AKSBP-Unternehmen finden sich im externen Anhang zu diesem Buch auf der Website des transcript-Verlags.495 Die Entstehungsrechnung bietet die Möglichkeit, die wirtschaftliche Leistung eines Unternehmens darzustellen und die Verteilungsrechnung, dessen soziale Leistung abzubilden. Weil nach diesem Modell die wirtschaftliche und die soziale Leistung des Unternehmens in einem komplementären Verhältnis zueinander gesehen werden, eignete sich die Wertschöpfungsrechnung besonders für die Sozialbilanz und hatte deshalb auch in wissenschaftlichen Sozialbilanz-Konzepten einen zentralen Stellenwert inne.496 Durch die Entwicklung der Sozialbilanzierung in den 1970er Jahren erfuhr die Wertschöpfungsrechnung verstärkte Aufmerksamkeit, da sie als quantifizierendes Instrument zur Objektivierung der Berichterstattung beitragen sollte. Im Gegenzug erhöhen diese Aufmerksamkeit und die öffentliche Debatte um die Sozialberichterstattung aber auch das Forschungsinteresse an der Wertschöpfungsrechnung als Instrument zur betrieblichen wie volkswirtschaftlichen Sozialbilanzierung.497 Der BDA-Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung ermunterte Unternehmen, Wertschöpfungsrechnungen in Geschäfts- und Sozialberichten zu veröffentlichen, da sie »eine sinnvolle Ergänzung der gesellschaftsbezogenen Unternehmensberichterstattung«498 darstellten. Der Betriebswissenschaftler Horst Albach stellte den Nutzen der Wertschöpfungsrechnung heraus, indem er auf deren hohe Aussagekraft verwies: sie könne nicht allein die Beziehungen des Unternehmens zu seinen Anspruchsgruppen abbilden, sondern durch die Darstellung der Wertschöpfungsverteilung auch die Veränderung von Machtverhältnissen im Unternehmen, wenn etwa der stetige Anstieg des Bruttolohnes auf diese Weise erfasst und dargestellt würde.499 Genau hierin sah jedoch Ingrid Scheibe-Lange vom gewerkschaftlichen WSI das Missbrauchspotential von Wertschöpfungsrechnungen, die methodisch oftmals kaum ausgereift seien und vielmehr als PR-Instrument genutzt würden, um die Gemeinwohlorientierung der Unternehmen zusätzlich hervorzuheben und zu visualisieren.500 494 VCI 1975, S. 164; AKSBP 1977, ebd. Anhang. 495 Vgl. URL: transcript. 496 Vgl. Meyer-Merz 1985, S. 44-46. 497 Vgl. Meyer-Merz 1985, S. 11-14 u. 47-52; Sigel 1990, S. 13-14. 498 BDA Abt. VII: Rundschreiben »Sozialbilanzen – Wertschöpfungsrechnungen« (30.07.1976). 499 Vgl. Albach 1978, S. 626. 500 Vgl. Scheibe-Lange 1978, S. 631-634.

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Nach Erscheinen der VCI-Empfehlung zur Erstellung von Wertschöpfungsrechnungen veröffentlichte der Arbeitgeberverband Chemie Hessen die kumulierte Wertschöpfungsrechnung für 13 Chemieunternehmen aus dem Bundesland. Ziel war es, den volkswirtschaftlichen Wertbeitrag und »die Grenzen der Belastbarkeit für Unternehmen«501 der Branche aufzuzeigen. Demnach flossen über 70 vH der Wertschöpfung in den Jahren 1973 und 1974 an die Mitarbeiter. 502 Damit hob die hessische Chemiebranche ihren gesellschaftlichen Beitrag als Arbeitgeber hervor, um dessen Ansehen gerade beim potentiellen akademischen Nachwuchs gefürchtet wurde. Bei der hessischen IG Chemie-Papier-Keramik wurde die Veröffentlichung sogar als Provokation im Hinblick auf die bevorstehende Tarifrunde gewertet.503 Die STEAG veröffentlichte erstmals in der Sozialbilanz für das Berichtsjahr 1975 Wertschöpfungsrechnungen für die Jahre 1973 bis 1975, um einen chronologischen Vergleich zu ermöglichen. Tabellen und Infografiken stellten die Wertschöpfung anschaulich für den Leser dar. STEAG betonte, mit der WSR »die gesellschaftliche Bedeutung des Unternehmens«504 abbilden zu wollen, insbesondere in der Darstellung der Wertschöpfungsverteilung an die Anspruchsgruppen des Unternehmens (Mitarbeiter, Aktionäre, Kreditgeber, Staat und Rücklagen für das Unternehmen selbst). Die WSR zeigt den Anteil der jeweiligen Konzernbereiche an der Gesamtwertschöpfung auf und stellt die Entstehungs- und Verwendungsseite dar, ermittelt aus Daten der Gewinn- und Verlustrechnungen, die für die Jahre 1976 bis 1978 ebenfalls in der Sozialbilanz abgedruckt wurden. STEAG orientierte sich damit am VCI-Konzept und verdeutlichte erstens durch die Veröffentlichung von Gewinn- und Verlust-, Wertschöpfungs- und Sozialrechnung die Rolle der WSR als Bindeglied zwischen der wirtschaftlichen und sozialen Leistung des Konzerns; Zweitens stellte die Integration von GuV und WSR eine Professionalisierung des sozialbezogenen Rechnungswesens dar, erschien objektiver und weniger willkürlich als die isolierte Veröffentlichung der Sozialrechnung, die erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten unterlag. Seit 1979 kombinierte die STEAG Sozial- und Wertschöpfungsrechnung in einer Gesamtrechnung mit Daten aus der Gewinn- und Verlustrechnung. Diese integrierte Rechnung stellte eine beträchtliche Weiterentwicklung der vorherigen Formen dar, weil sie die Leistungserstellung bereits in der Sozialrechnung berücksichtigte. Die STEAG reagierte damit auf die gewerkschaftliche und wissenschaftliche Kritik an den oftmals bunten Wertschöpfungsgrafiken, die Informationen verschleierten, sprach damit allerdings nicht mehr den vom VCI be-

501 BDA Abt. VII: Hessen Chemie-Aktuell (15.12.1975), »Versuch einer ›Sozialbilanz‹ für Chemie-Aktiengesellschaften in Hessen«, S. 2. 502 Ebd. 503 AsdD 5/DGAI 000232: »Irreführende ›Sozialbilanz‹«. 504 STEAG Sozialbilanz 1976, S. 5.

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schriebenen ungeübten Leser an und schloss so zum Teil die Mitarbeiter als Rezipienten aus.505 Der Einfluss des Arbeitskreises zeigte sich in den Saarberg Sozialbilanzen mit Einführung der WSR für das Berichtsjahr 1976. Diese WSR wurde allerdings kaum den Anforderungen des Arbeitskreises an eine für den Laien verständliche Rechnung gerecht. Gelöst werden sollte dieses Problem durch eine ergänzende, bunte Grafik, die wiederum kaum den methodischen Vorgaben des Arbeitskreises entsprach. Im folgenden Jahr zeigte sich die WSR deutlich nüchterner und ausführlicher, gewährte mehr Transparenz und offenbarte weniger methodische Probleme als jene des Vorjahres. Die bestehenden Probleme wurden benannt, und Burckhardt Wenzel – verantwortlich für die Saarberg Sozialbilanz – beschrieb die Einschränkungen in der Aussagekraft der WSR über den tatsächlichen gesellschaftlichen Nutzen der erbrachten Leistungen in nachfolgenden Publikationen, die sich mit der gewerkschaftlichen und wissenschaftlichen Kritik an Saarbergs Umsetzung des WSR-Konzeptes auseinandersetzten. Von 1978 bis 1983 veröffentlichte Saarberg nur noch eine Wertschöpfungsrechnung, die auf einer Seite knapp die Entstehung und Verwendung der Wertschöpfung erläuterte, ab 1984 fehlte die Rechnung gänzlich in den Sozialbilanzen.506 Von gewerkschaftlicher Seite wurde oftmals die Darstellung der Wertschöpfungsverteilung kritisiert, denn sie weise meist einen zu hohen Anteil für die Mitarbeiter aus. Diese Kritik und die Zweifel am Aussagewert der Rechnung – insbesondere gegenüber der Gewinn- und Verlustrechnung –, die Wenzel schon 1981 äußerte, führten vermutlich zur Abschaffung dieses Bestandteiles der Saarberg Sozialbilanz: »Von einigen Firmen wird [die Wertschöpfungsrechnung] sehr forciert. Wir jedoch haben einige Bedenken, weil mit der Wertschöpfungsrechnung vorwiegend politisch argumentiert wird.«507 Auch Pieroth veröffentlichte erst unter dem Einfluss des AKSBP in seiner zweiten Sozialbilanz 1975/76 eine Wertschöpfungsrechnung und bildete gemäß der Empfehlung die Entstehung und Verteilung der Wertschöpfung ab. Das Unternehmen ging jedoch noch einen Schritt weiter: Es veröffentlichte darüber hinaus den prozentualen Anteil für die Mitarbeiter an der Netto-Wertschöpfung und zog einen Vergleich zu anderen Unternehmen: neben den AKSBP-Unternehmen STEAG, BASF, Rank Xerox auch Rheinbraun und Bayer. Die Motivation für Pieroth, sich mit den Großunternehmen in diesem Aspekt als konkurrenzfähiger Arbeitgeber zu messen, lag vor allem in der Bedeutung des Beteiligungsmodells für das Unterneh-

505 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1975-1982; vgl. Kapitel 3.2 u. 4.3. 506 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1973-1997; Wenzel 1978; ders. 1981; Beispiele siehe URL: Transcript. 507 Vgl. Wenzel 1981, S. 165.

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men begründet und stellte ohnehin eines der zentralen Berichtselemente der Pieroth Sozialbilanzen dar.508 Die Deutsche Shell wollte zunächst keine WSR in den Bericht integrieren, um eine methodisch saubere Leistungsrechnung, die Vorleistungen ausweist, vorzulegen und veröffentlichte 1975 deshalb nur eine Leistungsrechnung. Unter dem Einfluss der AKSBP-Empfehlung und der Zunahme von Wertschöpfungsrechnungen ergänzte das Unternehmen 1977 und 1978 seine Leistungsrechnung schließlich doch durch Angaben zur Wertschöpfung und nach dem Vorbild der AKSBPMitglieder durch Grafiken, die die Verteilung der Leistungen an die Anspruchsgruppen abbildeten. Sie kehrte 1979 aber wieder zur Leistungsrechnung zurück und behielt diese Praxis in den 1980er Jahren bei.509 Der Einfluss des Arbeitskreises auf die Erstellung der Wertschöpfungsrechnung war bei Shell also nur von kurzer Dauer, und das Unternehmen bevorzugte eine weniger plakative und methodisch unkritischere Leistungsrechnung. Dennoch wurde auch diese Vorgehensweise von gewerkschaftlicher Seite kritisiert, da sie dem ungeübten Leser die Methode der Rechnungserstellung ebenso wenig offenlege wie andere Wertschöpfungsrechnungen und kaum geeignet sei, zu einer alternativen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beizutragen, die den tatsächlichen gesellschaftlichen Beitrag des Unternehmens abbilde.510 Die BASF AG zeigte bereits früh erste Ansätze zu einer Wertschöpfungsrechnung. Im Geschäftsbericht von 1973 wurde zunächst eine Infografik über die Verwendung des Gesamtertrages abgebildet, d. h. über die Aufwendungen für Vorleistungen und die Aufwendungen für Beschäftigte, Steuern, Rücklage, Dividende und Zinsen. In den Sozialberichten der nachfolgenden Jahre wurde diese Darstellung der Vorleistungen und Verteilung an die Anspruchsgruppen – Mitarbeiter, Kapitalgeber, öffentliche Hand und Unternehmen – stärker ausdifferenziert. Im Sozialbericht für 1974 zählte in der als Leistungsbilanz ausgewiesenen Darstellung der Ertragsleistung und ihrer Verteilung zunächst noch die Gruppe der Lieferanten zu den Anspruchsgruppen; durch die ab 1975 vorgenommene Unterscheidung zwischen Vorleistungen und Verteilungsrechnung in der erstmals als Wertschöpfungsrechnung ausgewiesenen Aufstellung entfiel diese Stakeholdergruppe. Ab 1976 stieg der Anteil der Wertschöpfungsrechnung am Sozialbericht komplementär zu jenen der anderen AKSBP-Unternehmen deutlich an: von ein bis zwei Seiten mit ein bis zwei Infografiken zwischen 1973 und 1975 auf insgesamt vier Seiten mit zehn Infografiken, die auf einen Blick und für den Laien verständlich unter anderem Entstehung und Verteilung der (Netto-) Wertschöpfung, die Zusammensetzung der Vorleistun508 Vgl. Pieroth Sozialbilanz 1975/76, S. 14-15; Kapitel 5.1.3. 509 Vgl. Deutsche Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1989; Zimmermann 1980, S. 154-155. 510 Vgl. Scheibe-Lange 1978, S. 633-637.

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gen und die diachrone Entwicklung der Nettowertschöpfung abbildeten. Dieser Anstieg im Umfang, der ab 1978 allerdings wieder abnahm, veranschaulicht den Stellenwert der Diskussion um die Wertschöpfungsrechnung im AKSBP und in der gesamten Sozialbilanzdebatte für die zweite Hälfte der 1970er Jahre.511 Neben den Infografiken waren auch die Texte der BASF-Wertschöpfungsrechnung für Leser konzipiert, die nicht im Lesen von Bilanzen geschult waren. Bilanzbegriffe wurden ausführlich erklärt und anhand von Berechnungsbeispielen detailliert erläutert. Seit 1977 zeichneten sie sich jedoch durch deutlich mehr Sachlichkeit aus als zwischen 1974 und 1976. In diesen frühen Jahren trugen die Erläuterungen zur Leistungs- beziehungsweise Wertschöpfungsrechnung einen spürbar defensiveren Charakter: Rücklagen dienten zur Sicherung von Arbeitsplätzen und nicht dazu, den Beschäftigten Löhne vorzuenthalten, wie durch »Angriffe von Systemkritikern«512 oder »von Kritikern unserer Wirtschaftsordnung«513 behauptet werde; der Ausweis von Vorleistungen zeige, dass Großunternehmen viel mehr Marktmacht und Kapitalkraft zugerechnet werde, als dies de facto der Fall sei; zudem sei der Anteil der Wertschöpfung für die Mitarbeiter seit Mitte der 1960er kontinuierlich gestiegen. Die Wertschöpfungsrechnung als Element der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung sollte vor allem die Notwendigkeit einer maßvollen Verteilung der Wertschöpfung zur Sicherung des Unternehmens und damit der Interessen aller Stakeholder hervorheben und Forderungen einzelner Anspruchsgruppen nach höheren Löhnen, Dividenden oder Steuern entgegenwirken: Die Wertschöpfungsrechnung macht deutlich, daß jeder Versuch eines Unternehmenspartners, mehr von der Wertschöpfung zu erhalten, zu einer Umverteilung zu Lasten der anderen Partner führen muß, wenn es nicht gelingt, den Gesamtbetrag der Wertschöpfung zu steigern. Erhalten beispielsweise die Mitarbeiter ein größeres Stück vom Kuchen, und wird aus diesem Grunde die Leistung an die Kapitalgeber kleiner, so sind dadurch möglicherweise neue Kapitalien für nötige Erneuerungs- und Erweiterungsinvestitionen gefährdet. Es würde sich längerfristig in der Leistung an die Mitarbeiter auswirken [...].514

Während in den 1970er Jahren die Forderungen der Mitarbeiter nach einem größeren »Stück vom Kuchen«515 immer wieder in der WSR angesprochen wurden, hoben die Wertschöpfungsrechnungen der 1980er Jahre den Beitrag der Mitarbeiter zur Erwirtschaftung der Wertschöpfung positiv hervor und kritisierten vor allem die Belastungen, die durch staatliche Besteuerung entstünden. Wie in den Sozialberich511 Vgl. BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1973-1987. 512 BASF Sozialbericht 1974, S. 16. 513 Dies. 1976, S. 16. 514 BASF Sozialbericht 1977, S. 30. 515 Ebd.

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ten zeigten sich also auch in den Wertschöpfungsrechnungen trotz ihres zunächst Objektivität und Kontinuität ausstrahlenden Charakters inhaltliche und gestalterische Trends, die externen Einflüssen durch die wirtschafts- und sozialpolitische Lage sowie gewerkschaftlicher und wissenschaftlicher Kritik geschuldet waren.516 Bertelsmann veröffentlichte die erste Wertschöpfungsrechnung in Form einer Graphik ein Jahr nach der Veröffentlichung der Sozialreportage im Geschäftsbericht für 1974/75 – noch bevor die erste Sozialbilanz des Konzerns herausgegeben wurde. Dies war der erste Geschäftsbericht, der – abgesehen vom Organigramm des Konzerns in früheren Berichten – überhaupt Infografiken und Fotos enthielt. Die Darstellung der Wertschöpfung vermittelte durch die verwendete Säulengrafik in den Berichten für 1974/75 und 1975/76 zunächst den Anspruch einer relativ sachlich orientierten Abbildung, während für die Sozialbilanz 1976/77 ein Kreisdiagramm in Form einer Ein-D-Mark-Münze gewählt wurde, um die Wertschöpfungsrechnung anschaulicher für die Leser der Sozialbilanz – in erster Linie die Mitarbeiter – zu gestalten. Mit der Integration der Sozialbilanz in den Geschäftsbericht ab 1977/78 wurde schließlich ein schlichtes Kreisdiagramm, ergänzt um eine tabellarische Rechnung, als Form gewählt und bis 1986/87 beibehalten. So sollten gleichermaßen die Sachlichkeit der Wertschöpfungsrechnung in ihrer Darstellung für Experten als auch ihre Anschaulichkeit für weniger geschulte Leser gewährleistet werden. Alle Formen zielten jedoch darauf, die Verteilung der Wertschöpfung an die Stakeholder des Unternehmens möglichst verständlich darzustellen und das Spannungsfeld, in dem sich das Unternehmen durch die Ansprüche dieser Gruppen bewegte, auf einen Blick zu verdeutlichen. Im Experimentieren mit der Darstellung der Wertschöpfung zeigte sich die Schwierigkeit, allen Rezipienten – und gerade bei der integrierten Sozialbilanz den bisherigen Sehgewohnheiten und Standards einschließlich der Testierbarkeit – gerecht zu werden. Die gemeinsame Arbeit der Unternehmen im Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis führte jedoch zu einer allmählichen Entwicklung von Darstellungskonventionen, denen sich auch andere Unternehmen außerhalb des Arbeitskreises anschlossen.517 Allerdings wich Bertelsmann auch in einigen Punkten von der Praxis der anderen AKSBP-Unternehmen ab, was zu Diskussionen im Arbeitskreis führte. So stellte Bertelsmann nicht nur die Verteilung der Wertschöpfung in der Sozialbilanz dar, sondern auch die Verteilung der Gesamtleistung. Hier sollte vor allem die Verteilungsrelation »zur Versachlichung der verteilungspolitischen Diskussion«518 betont werden, denn nach der Rechnung von Bertelsmann flossen 1978 rund zwei Drittel 516 Vgl. BASF Geschäfts-/Sozialberichte 1973-1987; Dribbusch 1978; AdsD 5/DGAI 000232: Gerd Schloßarek, »Wertschöpfung und Sozialbilanz: Eine kritische Analyse«. 517 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1971/72-1986/87; URL: Transcript. 518 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll v. 30.03.1979, S. 2.

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des Umsatzes und sonstiger Leistungen in die Vorleistungen, lediglich ein Drittel sei Wertschöpfung und deshalb in der Konsequenz auch z. B. der Mitarbeiteranteil vergleichsweise gering zum Umsatz des Unternehmens. Die Leistungsrechnung bot im Unterschied zur Wertschöpfungsrechnung auch die Möglichkeit, den Anteil der Kapitalgeber vor und nach Steuern auszuweisen.519 Diese Modifikation in der Darstellung von Wertschöpfung und Unternehmensleistung sollte gewerkschaftlicher Kritik – der Anteil der Kapitalgeber sei zu hoch und der Mitarbeiteranteil zu niedrig – ebenso antizipativ begegnen wie der Ausweis der Sekundär- anstelle der Primärverteilung: Wir stellen die Nettoverteilung nach Umgliederung der Steuer dar, weil sonst der tatsächliche Anteil des Staates nicht sichtbar würde. Schließlich sind die als persönliche Steuern abgehenden Beträge der Verfügung von Mitarbeitern und Kapitalgebern entzogen und unmittelbar dem Staat zuzurechnen. Bei anderer Berechnung würde zum Beispiel der Anteil der Mitarbeiter unrealistisch hoch ausgewiesen.520

Die Mitglieder des Arbeitskreises wiesen an diesem Punkt jedoch darauf hin, dass es sinnvoll sei, auch die Primärverteilung aufzuzeigen, um die Verbindung der Verteilungsrechnung mit der Gewinn- und Verlustrechnung nicht zu verlieren.521 Die Bertelsmann Wertschöpfungs- beziehungsweise Leistungsrechnung berücksichtigte darüber hinaus auch die Mehrwertsteuer als Abgabe des Unternehmens an den Staat, denn diese Steuer sei kein »Durchlaufposten, sondern muß vom Unternehmen am Markt durchgesetzt werden«522. Da Bertelsmann vor allem für Endverbraucher produziere, sei die Berücksichtigung dieses Steueranteils von besonderer Bedeutung. Diesem Beispiel folgten die weiteren AKSBP-Mitglieder mit ihren Wertschöpfungsrechnungen allerdings nicht. Die Art der Darstellung in der Bertelsmann Sozialbilanz erhöhte deutlich den Staatsanteil an Unternehmensleistung und Wertschöpfung, der in der Sozialbilanz 1978/79 insgesamt 26,8 vH ausmachte. Der Mitarbeiteranteil dagegen lag bei 19,9 vH, der Aktionärsanteil lediglich bei 0,7 vH.523

519 Ebd., S. 2-3. 520 UA BAG Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978/79, S. 69. 521 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll v. 30.03.1979, S. 2. 522 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll v. 30.03.1979, S. 2; vgl. auch Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978/79, S. 68-69. 523 Bertelsmann Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1978/79, S. 68-69; vgl. Hemmer 1980, S. 32-33.

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5.2.4 Investitionen in ›Humankapital‹ In der Entwicklung eines Konzeptes zur Erfassung der Aus- und Weiterbildungskosten in der Sozialbilanz setzten sich die Unternehmensvertreter im AKSBP mit dem gewerkschaftlichen Indikatorenkatalog auseinander und bemühten sich um eine Vereinheitlichung in der Berechnung und Darstellung der Kosten. Die Federführung für die Entwicklung von Schemata zur Kostenberechnung übernahmen Vertreter von Bertelsmann, darunter Eberhard Pfeuffer aus der zentralen Personalabteilung, der sowohl für Weiterbildungsmaßnahmen bei Bertelsmann als auch für die Koordinierung der Mitarbeiterbefragung verantwortlich zeichnete. Das geplante Berechnungsmodell orientierte sich am Konzept der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGfP), das bereits bei Bertelsmann genutzt wurde.524 Die DGfP als Dachverband der Personalexperten aus der unternehmerischen Praxis hatte seit den sechziger Jahren durch ein wachsendes Angebot an Schulungen und Auftragsstudien zunehmend an Einfluss gewonnen. Das Feld der Personalführung erlebte durch eine steigende Akademisierung der Praktiker eine deutliche Professionalisierung und führte in den siebziger Jahren zur Durchsetzung der DGfP als Autorität in Fragen der wissenschaftlich fundierten Personalführung.525 Als monetärer Indikator für die Erfassung der Ausbildungskosten im Unternehmen sollten die Gesamtkosten für die Ausbildung ermittelt werden. Das bei Bertelsmann verwendete Modell sah hier sowohl die Erfassung der Kosten im Unternehmen als auch die der Berufsschulbildung vor. Bertelsmann richtete 1962 eine eigene Berufsschule und 1965 eine Berufsfachschule für seine Auszubildenden ein und wollte die Kosten für diese Schulen in seiner Sozialbilanz und als Beitrag des Unternehmens zur Gesellschaft berücksichtigt sehen.526 Im Einzelnen setzten sich die Gesamtkosten nach diesem Modell aus der Ausbildungsvergütung, den Lohnnebenkosten, Raum-, Einrichtungs- und Materialkosten, Personalkosten für Lehrkräfte, Verwaltung und Ausbilder bis hin zu den Schulungskosten für Ausbilder, Einbußen durch Krankheits- und Streiktage, Exkursionen, »Zeiten für Zusehen, Zeiten mit eigener Beschäftigung, Leer- und Wartezeiten«527 zusammen. Die Leistung, die der Auszubildende erwirtschafte, müsse von den Gesamtkosten abgezogen werden. Auf diese Weise könnten die »Netto-Ausbildungskosten«528 ermittelt werden, die 524 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll d. AKSBP-Sitzung (16.03.1979), S. 4-5. 525 Vgl. Rosenberger 2008, S. 335-370. 526 UA BAG 0058/49 (1): Berufsbildung; Das soziale System des Unternehmens, S. 8; UA BAG 0058/49 (3): Regierungspräsident Ernst Graumann (Detmold) an die berufsbildenden Schulen der Bertelsmann AG (22.08.1974). 527 UA BAG ZÖ 0007/377: Schema zur Erfassung der Berufsausbildung bei Bertelsmann (30.03.1979), S. 10. 528 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll d. AKSBP-Sitzung (16.03.1979), S. 4-5.

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das Unternehmen aufbringe. Die potentielle Leistung des Auszubildenden solle dabei durch eine Leistungsgradabschätzung unter Berücksichtigung von Faktoren wie der Ausbildungsdauer und dem Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit berechnet und ins Verhältnis »zur Leistung eines durchschnittlichen Angestellten/Facharbeiters«529 gesetzt werden. Diese Leistung sei wiederum äquivalent zum Nettolohn oder -gehalt.530 Auch hier wurde versucht, die unterschiedlichen Datenkategorien, die den Nutzen beruflicher Ausbildung konsequent belegen sollten, in monetäre Größen zu übersetzen; das Konzept der DGfP war bereits erprobt und die Sozialbilanzkonzepte der AKSBP-Unternehmen passten sich diesem Modell problemlos an. So wurden Personen, Arbeitsplätze, Maschinen und Räume in Mengen erfasst, Zeit als »Verweildauer in bestimmten Ausbildungsprozessen und Tätigkeiten«531 definiert und dokumentiert, Leistungsgrade festgelegt und in Relation zueinander gesetzt, um so letztlich den Preis für Personen, Maschinennutzung, Zeit und Leistung zu bestimmen. Die rein monetäre Darstellung ermöglichte vorrangig, die oben erläuterten mittelbaren und unmittelbaren Ausbildungskosten den unmittelbaren Erträgen, die Auszubildende während ihrer Ausbildung erwirtschafteten, gegenüberzustellen. Der Zweck der Berechnung für die Sozialberichterstattung konnte der Beleg dafür sein, dass die Ausbildungskosten zunächst einmal höher als die Erträge daraus waren, und der ökonomische Nutzen der Berufsausbildung für das Unternehmen damit geringer als der Nutzen für die Gesellschaft. Für Bertelsmann war eine differenzierte Erfassung der gesamten Ausbildungskosten vor allem deshalb relevant, weil das Unternehmen 1974 dazu überging, diese Kosten auf den Gesamtkonzern umzulegen statt sie wie bisher einzelnen Abteilungen und Unternehmen zuzuordnen. So offenbarten sich die Ausbildungsausgaben des Unternehmens auf einen Blick und versteckten sich nicht mehr in den Personalkosten einzelner Unternehmenseinheiten.532 Das inputorientierte Berechnungsmodell leistete es allerdings nicht, den langfristigen Nutzen – also den tatsächlichen Output – der Ausbildung für das Unternehmen oder eine ganze Branche abzubilden, der hohe Ausbildungskosten durchaus rechtfertigen würde. Auch Synergieeffekte und damit Kostenreduktionen durch brancheneinheitliche Ausbildungsstandards, längst etablierte Ausbildungsprogramme und überbetriebliche Berufsschulbildung fanden wenig Berücksichtigung. Dabei hätte der Arbeitskreis im Bereich der Bildungsaktivitäten durchaus von wissenschaftlichen Studien profitieren können. Denn die eindimensionale, inputorientierte Darstellung der Ausbildungsaktivitäten ver529 UA BAG ZÖ 0007/377: Schema zur Erfassung der Berufsausbildung bei Bertelsmann (30.03.1979), S. 10. 530 Ebd. 531 Ebd., S. 4. 532 UA BAG 0058/49 (3): Halbjahresbericht ZA (10.10.1974), S. 5.

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schleiert die tatsächliche Wirkung der Ausbildungsmaßnahmen und kann beispielsweise die Wirkung interner Wissensstandkontrollen (Outputindikator) oder die Zufriedenheit mit der Wahl des Ausbildungsplatzes (subjektiver Indikator) nur schwer abbilden.533 Im Schema des AKSBP fiel die Darstellung der Qualität der Ausbildung damit deutlich hinter die quantitative Darstellung der Investitionskosten zurück. Die Bemühungen um eine Abbildung der unternehmerischen Ausbildungskosten standen im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der gewerkschaftlichen Seite über die Organisation der Berufsbildung im Zuge des 1969 verabschiedeten Berufsbildungsgesetzes. Die Arbeitgeberseite sprach sich für den Erhalt betriebseigener Berufsschulen und gegen eine vom DGB geforderte betriebsunabhängige schulische Ausbildung mit einer gesetzlichen Ausbildungsabgabe aus, die im Ausbildungsförderungsgesetz von 1976 bis 1980 umgesetzt wurde und eine statistische Erfassung ausbildungsbezogener Informationen vorsah.534 In der Sozialbilanz 1976/ 77 betonte Bertelsmann, dass die Aus- und Weiterbildung im Unternehmen eben nicht nur diesem diene, sondern auch der Gesellschaft. Die unternehmenseigene Berufsfachschule habe einen hohen Stellenwert durch die »enge[ ] Verzahnung«535 praktischer und theoretischer Ausbildung gemäß der Anforderungen des Berufsbildungsgesetzes und sei darüber hinaus auch für externe Schüler geöffnet. In den Sozialbilanzen der 1970er Jahre bis Anfang der 1980er Jahre hob Bertelsmann Relevanz und Qualität der eigenen Schule deutlich hervor, bezifferte die über staatliche Zuschüsse hinausgehenden Kosten für die Ausbildung und unterstrich die gesellschaftliche Verantwortung, die durch diese Investitionen übernommen werde. Die im Arbeitskreis vorgestellten Kriterien für die quantitative Darstellung der Ausbildungsqualität zeigten sich in den Publikationen: Es wurde zwischen Netto- und Bruttoausbildungskosten unterschieden, die Auszubildendenzahlen und -quoten dargelegt sowie Vergleiche zur westdeutschen Industrie gezogen.536 In den achtziger Jahren verschob sich der Schwerpunkt der Berichterstattung von der Rechtfertigung der unternehmensinternen Ausbildung hin zur Problematisierung von Jugendarbeitslosigkeit, die Bertelsmann trotz eines geringeren Eigenbedarfs an Arbeitskräften durch die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen zu senken versuche, auch wenn die Auszubildenden am Ende ihrer Ausbildung nicht alle übernommen wür533 Vgl. Grünewald/Kohlheyer 1976. 534 BDA Abt. IV 1972, 91-149: Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, Erklärung der Wirtschaft zu den Forderungen des DGB zur beruflichen Bildung; Ausschuss für Berufsbildung und -fortbildung, Novellierungsvorschläge zum Berufsbildungsgesetz (04.12.1972). Vgl. Abelshauser 2011, S. 31; Andresen 2011, S. 162-165; Faulenbach 2011, S. 439. 535 Bertelsmann Sozialbilanz 1976/77, S. 10. 536 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1976/77-1980/81.

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den. Seit den späten 1980er Jahren konzentrierte sich die Berichterstattung über die Ausbildung bei Bertelsmann dann vor allem auf die Darstellung von Qualifizierungsangeboten für Abiturienten und Hochschulabsolventen, die auf Führungsaufgaben im Bertelsmann-Konzern vorbereiteten. Dennoch wurde auch weiterhin die Bedeutung der unternehmenseigenen Berufsschule hervorgehoben.537 In den Sozialberichten der BASF stellten Aus- und Weiterbildung einen inhaltlichen Schwerpunkt in der Berichterstattung dar. Die BASF trug in den 1970er Jahren zahlreiche Modellprojekte zur Verbesserung der Ausbildungsbedingungen von Jugendlichen in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer und dem Kultusministerium Rheinland-Pfalz oder der Bundesagentur für Arbeit: zur Kombination von Ausbildung und Erlangung der Fachoberschulreife in einem Ausbildungsgang (1972), zur Einführung eines Berufsgrundbildungsjahres (1973), zur grenzübergreifenden Ausbildung in einem deutsch-französischen Projekt (System Contrôle continu, 1975), zur Ausbildung von Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss und zur Ausbildung und Integration von ausländischen Jugendlichen (1976). 1979 kam ein Modellprojekt zur Beschäftigung weiblicher Auszubildender in technischen Berufen hinzu. Darüber hinaus hatte die BASF während der siebziger Jahre in den Aufbau moderner Ausbildungsstätten investiert und bildete nach eigener Aussage während der gesamten Dekade über den Eigenbedarf hinaus Jugendliche aus, um ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden und der Jugendarbeitslosigkeit als gesellschaftlichem Problem entgegenzuwirken. Die Ausgaben für diese Maßnahmen und Modellprojekte, die sowohl zur Verringerung sozialer Probleme wie Strukturwandel und Arbeitslosigkeit als auch zur Verringerung des Fachkräftemangels bei der BASF beitragen sollten, stellte das Unternehmen in den Sozialberichten differenziert dar. Die Darstellung orientierte sich an den im Arbeitskreis diskutierten Berechnungsmodellen. Die BASF betonte auf der einen Seite den Wert von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die langfristige Sicherung des Unternehmenserfolges: Im Sozialbericht von 1982 stellte sie das »Humanvermögen«538 gleichwertig neben das Kapitalvermögen als Faktor der Unternehmenssicherung. Sie nutzte die Berichterstattung über Aus- und Weiterbildung auf der anderen Seite jedoch auch, um ihre Bildungsinvestitionen als stetig steigende finanzielle Belastung herauszustellen: Die Zahl der Auszubildenden sei prozentual und absolut ständig gestiegen und habe bei der BASF immer über dem Branchen- und Industriedurchschnitt gelegen, die Zahl der professionellen Ausbilder steige, die Anforderungen an die Berufsausbildung würden durch äußere Reglementierung, Technisierung und andere inhaltliche Veränderungen der Berufsfelder immer komplexer. Die Kernaussagen der Berichtsabschnitte zielten also zum einen darauf, den Wert der Beschäftigten für das Unternehmen zu beleuchten, und zum anderen zu verdeut537 Vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte und Sozialbilanzen 1981/82-2000/01. 538 BASF Sozialbericht 1982, S. 35.

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lichen, dass insbesondere die Kosten der Ausbildung um ein Vielfaches über den von den Auszubildenden erwirtschafteten Leistungen lagen und die BASF, indem sie Jugendliche fördere, maßgeblich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung nachkomme. Gleichzeitig begegnete sie damit Forderungen des Landes nach zusätzlicher finanzieller Unterstützung.539 Auch in den Sozialbilanzen der anderen AKSBP-Unternehmen spielte der Themenkomplex der Aus- und Weiterbildung als soziale Investition eine zentrale Rolle. Im Unterschied zu Bertelsmann und BASF nahm die differenzierte Darstellung der Kosten in den Publikationen jedoch einen weitaus geringeren Stellenwert ein als das Ziel, den ganzen Umfang des eigenen Aus- und Weiterbildungsangebotes zu bewerben, um letztlich qualifiziertes Stammpersonal zu gewinnen und zu halten. Die Kosten für diese Investitionen in das ›Humankapital‹ – Daten, die für die interne Personal- und Budgetplanung der Unternehmen von hohem Wert waren – zeigten sich hier oftmals nur als singuläre, abstrakte Zahl, die den Leser durch ihre bloße Größe überzeugen sollte. Bis zur Sozialbilanz für 1975 berichtete die STEAG lediglich über die Auszubildendenzahlen und die Gesamtsumme der Aufwendungen für deren Ausbildung. Ab 1976 widmeten die Sozialbilanzen des Unternehmens dem Thema mehr Raum. So wurde der gesellschaftliche Nutzen der Berufsausbildung betont, indem Arbeitsplätze geschaffen und Beiträge zur Verminderung der Jugendarbeitslosigkeit und zur Verbesserung der Berufsbildung geleistet würden. Hier verwies die STEAG erneut auf die Notwendigkeit, neue Großkraftwerke in Betrieb zu nehmen, da sonst keine neuen Ausbildungsplätze entstünden und die gesellschaftliche Verantwortung für die Jugend nicht wahrgenommen werden könne. Das Unternehmen machte mittels Sozialbilanzen darauf aufmerksam, dass es nicht nur im produzierenden, sondern auch im Dienstleistungsbereich Ausbildungsplätze bot, und dieser Bereich im Unternehmen zu wachsen verspreche.540 Hinsichtlich ihres Fortbildungsangebotes wies die STEAG in erster Linie auf die Folgen des Strukturwandels hin und insbesondere auf ihr Engagement, die Härten dieses Wandels abzufedern. Die Stammbelegschaft sollte sich für die Arbeit in den neu errichteten oder geplanten Großkraftwerken und für den Einsatz im Ausland weiterqualifizieren.541 Sowohl für die Berechnung der Ausbildungs- wie auch der Weiterbildungskosten sahen die Mitglieder des Arbeitskreises die Möglichkeiten zur Präzisierung der Kostenerfassung vor allem in der Weiterentwicklung der betrieblichen elektronischen Datenerfassung. Die Überlegungen zur Erfassung von Aus- und Weiterbildungskosten schlossen direkt an die Forschung zur Bilanzierung von Humankapitalinvestitionen und deren Inte539 Vgl. BASF Sozialberichte 1973-1987; Heinz 1978; BASF UA C 6002: Sozialpolitische Argumente 1978, 1.4 u. 1.10. 540 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1976, S. 12-13; dies. 1977, S. 20. 541 Vgl. dies. 1974-1982.

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gration in das konventionelle betriebliche Rechnungswesen an. Die Humankapitalrechnung schaffe innovative Möglichkeiten der effizienten Ressourcenallokation im Unternehmen, diene aber auch als »Instrument einer erweiterten gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung«542 und könne damit Forderungen aus Wissenschaft und Öffentlichkeit nach sozialer Verantwortung von Unternehmen begegnen.543 STEAG beschrieb in der Sozialrechnung den gesellschaftlichen Nutzen von Aus- und Weiterbildung mit der Erhöhung des Wissensstandes und der Qualifikation der Mitarbeiter.544 Die Saarbergwerke AG stand zu Beginn der 1970er Jahre insbesondere vor dem Problem, dass Jugendliche zwar eine Ausbildung in dem Unternehmen absolvierten, danach allerdings aufgrund der düsteren Berufsaussichten im Kohlesektor das Unternehmen verließen. Saarberg rang um Anerkennung für seinen »strukturpolitischen Beitrag«545 gegen die Jugendarbeitslosigkeit im Saarland und klagte über die finanzielle Belastung durch die Ausbildung Jugendlicher, während sie der übrigen Wirtschaft mehr nutze als dem Unternehmen selbst. Saarberg brauchte jedoch für die Expansion in den Energiesektor selbst eine gut ausgebildete Stammbelegschaft – besonders nach den massiven Personalreduktionen der sechziger Jahre – und investierte weiter in die Ausbildung durch die Errichtung zweier Ausbildungszentren als eigene Berufsschulen, in denen eine fundierte und professionalisierte Ausbildung stattfinden sollte. Der Wandel der Ausbildungsanforderungen zeigte sich in der Modernisierung des Berufsbildes: Seit 1976 wurden nicht mehr Bergknappen, sondern Bergmechaniker ausgebildet. Ambitionierten Belegschaftsmitgliedern stand der Weg in eine akademische Laufbahn durch die eigene Bergingenieursschule offen, und nach der Stagnation der sechziger Jahre bot das Unternehmen wieder Aufstiegschancen.546 Saarberg strebte insgesamt eine höhere Qualifizierung der Belegschaft an und warb damit in seinen Sozialbilanzen. Pieroth schlug den gleichen Weg ein, wies in seiner zweiten Sozialbilanz auf die Beschäftigungsmöglichkeiten für Abiturienten im Unternehmen hin und bewarb konkrete Weiterbildungsmöglichkeiten, die Auslandsaufenthalte einschließen sollten.547 Die Deutsche Shell machte die Ausbildung 1978 zu einem der Schwerpunktthemen in der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung. Sie verwies aber auch in den anderen Sozialbilanzen umfassend auf Nachwuchsprobleme, die Überalterung im Facharbeiter- und akademischen Bereich und warb mit Programmen zur indivi542 Aschoff 1978, S. 2. 543 Vgl. dazu auch Aschoff 1978, S. 26-38 u. 60-64; Conrads 1976, S. 155-164. 544 Vgl. STEAG Sozialbilanzen 1972/73; dies. 1975. 545 Saarbergwerke 1982, S. 43. 546 Vgl. Saarbergwerke 1982, S. 43, 54-55 u. 101-103. 547 Vgl. Pieroth Sozialbilanz 1975/76, S. 11.

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duellen Karriereplanung, weiteren Qualifizierungsangeboten, lebenslanger Beschäftigung im Unternehmen, und dem Einsatz sozialwissenschaftlicher Methoden, um Arbeitnehmer optimal entsprechend ihrer Fähigkeiten und Qualifikationen auszuwählen und zu fördern. In den 1970er Jahren zeigten sich bei Shell zunehmende Demokratisierungstendenzen in der Personalpolitik und die Mitarbeiter wurden in den Prozess der Karriereplanung einbezogen. Der Fachkräftemangel wurde insbesondere in der zweiten Hälfte der 1970er erkennbar, als Shell seine Diversifizierungsstrategie initiierte und die Chemie- und Energiesparten auszubauen begann. Auch Führungspositionen wurden vor allem von Akademikern mit technischer Ausbildung besetzt, deren Soft Skills durch spezielle Seminare gefördert werden sollten. Üblicherweise entsandte der Konzern potentielle Führungskräfte für mehrere Jahre ins Ausland. Die ausgeprägte Expatriaten-Kultur und die hohen Investitionen in die Fach- und Führungskräfte bei Shell erforderten umso mehr eine feste Bindung an das Unternehmen. Mit Beginn der 1980er Jahre zeichnete sich das Wunschbild des aufstiegswilligen, leistungsorientierten, motivierten, mobilen und flexiblen Mitarbeiters noch deutlicher ab, den Foucault als jenen Typus des unternehmerischen Selbsts beschrieb, der nicht mehr der Fremdkontrolle durch die Unternehmensleitung unterliegt, sondern durch Mechanismen zur Selbstkontrolle diszipliniert wird.548 5.2.5 Zwischenfazit Insgesamt erscheint die Rahmenempfehlung des AKSBP als Minimalkonsens der beteiligten Unternehmen und der Einfluss von Meinolf Dierkes auf die Sozialbilanzgestaltung der einzelnen Unternehmen war unterschiedlich groß. Dennoch hatte er als wissenschaftlicher Berater des Arbeitskreises erheblichen Einfluss auf die Debatten in der Gruppe. Dierkes vernahm durchaus einen Bewusstseinswandel in den Unternehmen, mit denen er im Arbeitskreis in Kontakt stand. Diesen Wandel führte er zum einen auf das Engagement junger Manager zurück, die offen gewesen seien für die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Belange, sich als Mittler zwischen ihren Unternehmen und den Anspruchsgruppen verstanden und offen für einen Lernprozess gewesen seien; zum anderen sah er in den gesellschaftlichen Umbrüchen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre einen Grund für die Unumkehrbarkeit des Wandels, der Unternehmen zur Legitimierung ihres Handelns zwang und die Anspruchsgruppen zur Einforderung ihrer Bedürfnisse.549 Allein die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis auf diesem Gebiet – auch wenn die wissenschaftlichen Konzepte nicht immer ihren Weg in die Unternehmen ge548 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1975-1997; Sluyterman 2007, S. 242-248 u. 260-265; Stadler 2004, S. 172-178; Einleitung dieser Arbeit. 549 Vgl. Dierkes 1979; Deuß et al. 1978, S. III/2-3.

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funden haben – sei »eindeutig als Erfolg zu bezeichnen.«550 Für die achtziger Jahre konstatierte der Sozialwissenschaftler jedoch eine Verlangsamung in der Entwicklungsdynamik, die erstens durch weitere Forschungsimpulse insbesondere im Bereich der noch unterentwickelten Sozialindikatoren umgekehrt werden könne, zweitens durch die Erzeugung öffentlichen Drucks, indem die Möglichkeit staatlicher Regulierung gegenüber den Unternehmen kommuniziert würde, und drittens durch die Einbeziehung der Anspruchsgruppen. Letzteres sei bedeutend im Hinblick darauf, dem eigentlichen Zweck der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung gerecht zu werden, nämlich die Anspruchsgruppen entsprechend ihrer Bedürfnisse zu informieren und das eigene Verhalten an die Forderungen der Umwelt marktgerecht anzupassen, um Legitimität zu erlangen.551 Der Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis setzte seine Arbeit auch in den 1980er Jahren fort, allerdings schieden Pieroth, BASF und die später hinzugekommene Kölner Bank aus dem Arbeitskreis aus. Die verbleibenden Mitglieder des Arbeitskreises waren ihm zum größten Teil 1979 beigetreten: Bayer, Fordwerke Köln, die Flughafen AG Frankfurt, Lufthansa, Mannesmann, die RUD-Kettenfabrik, Rheinbraun, die Stadtwerke Düsseldorf, VW und Wacker-Chemie.552 Sie beschäftigten sich Ende der 1980er Jahre unter dem Vorsitz von Edmund Hemmer (Institut der Deutschen Wirtschaft) vorrangig mit der Frage der Verzahnung von Sozialbilanzierung, Unternehmenskultur, Unternehmensverantwortung, Corporate Identity und deren Wert für die betriebliche Personalpolitik.553 Während sich die Mitglieder des Arbeitskreises den personalpolitischen Modethemen der achtziger Jahre – Unternehmenskultur und Corporate Identity – zuwandten und die gesellschaftsbezogene Berichterstattung nur noch für die Public-Relations-Forschung von Interesse war, lenkte sich die Aufmerksamkeit von Unternehmen und Wissenschaft nun verstärkt auf die thematisch spezifischere umweltbezogene Berichterstattung.554

550 Deuß et al. 1978, S. III/11. 551 Vgl. Dierkes 1984; Dierkes/Berthoin Antal 1985; dies. 1986. 552 Vgl. Kap. 5.3. 553 Vgl. Popp 1990, S. 60-62. 554 Vgl. Kapitel 8.1.

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5.3 D ER A RBEITSKREIS

IM

D IALOG

MIT

DGB

UND

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BDA

5.3.1 Von der Opposition zu konstruktiver Kritik Nachdem der DGB mit dem Sozialindikatorenkatalog ein eigenes Konzept zur Sozialbilanzierung zu entwickeln begonnen hatte,555 intensivierten sich die Kontakte zwischen dem unternehmerischen Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis und dem gewerkschaftlichen Arbeitskreis der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung/Sozialbilanzen‹. Der noch unveröffentlichte DGB-Abschlussbericht schürte das Interesse im AKSBP an einem Gespräch mit dem gewerkschaftlichen Arbeitskreis. Neben dem Wunsch, sich mit den Gewerkschaftsvertretern auszutauschen, zielten die Mitglieder des AKSBP auf ein geschlossenes Auftreten gegenüber den gewerkschaftlichen Arbeitskreisvertretern. Es sei dringlich, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen, bevor es zu einem Gespräch mit dem DGB käme, so Wolf-Rüdiger Ott, der für die Sozialberichte der BASF verantwortlich war. Im Vorfeld wurden deshalb die Arbeitskreis-Mitglieder gebeten, die Indikatoren im DGB-Katalog einzeln zu bewerten und anzugeben, ob sie die Indikatoren als annehm- und umsetzbar, problematisch oder unverhältnismäßig erachteten oder sie grundsätzlich ablehnten.556 Im Zuge der Gesprächsvorbereitungen sollten darüber hinaus auch neue Mitglieder in den unternehmerischen Arbeitskreis aufgenommen werden. Die Erweiterung des Arbeitskreises war zwar vorher schon geplant worden, aber die Gelegenheit schien willkommen, den Gewerkschaftsvertretern in möglichst großer Zahl gegenüber zu treten.557 Eingeladen wurden deshalb Vertreter von Unternehmen mit reger Sozialbilanzierungspraxis: von Audi NSU, Ford, VW, Degussa, Merck, Bayer, Wella, Rheinbraun, der Lufthansa, der RUD-Kettenfabrik aus Aalen und der Kölner Bank.558 Kriterium für die Auswahl und Aufnahme der Unternehmen in den Arbeitskreis war die Fähigkeit, die »Arbeiten [des Arbeitskreises] methodisch zu fördern und weiterzutragen«. Dies setze eine bestimmte Unternehmensgröße, vor allem aber eine bereits ernstzunehmende Sozialbilanzpraxis voraus.559 Bei einem Treffen des erweiterten Arbeitskreises am 4. und 5. September 1979 in Mönchengladbach beschlossen die Mitglieder, dass »mit den Aktivitäten der Unternehmen evtl. verbundene negative Faktoren in die gesellschaftsbezogene Bericht555 Vgl. Kapitel 4.3. 556 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll AKSBP-Sitzung (16.03.1979); Brief von Ott an AKSBP (10.04.1979). 557 UA BAG ZÖ 0007/377: Brief von Otto an Netta (09.04.1979); Brief von Ott an AKSBP (10.04.1979). 558 UA BAG ZÖ 0007/377: Brief von Ott an AKSBP (09.04.1979). 559 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll AKSBP-Sitzung (16.03.1979).

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erstattung aufgenommen werden sollten«560 . Damit sollte den DGB-Forderungen entsprochen und letztlich die Glaubwürdigkeit der Sozialbilanzen erhöht werden. Gleichzeitig wurde im Protokoll des AKSBP-Treffens jedoch festgehalten, dass dieser sogenannte Negativkatalog nicht in seiner Gesamtheit in eine Sozialbilanz einfließen sollte, sondern lediglich solche Aktivitäten oder Ereignisse, die innerhalb des betroffenen Bilanzzeitraumes in den Vordergrund getreten waren, und nur, insofern »sie keine Selbstanklage des Unternehmens bedeuten.«561 Dies schloss alle Berichtspunkte ein, die ohnehin schon durch öffentliche Berichterstattung bekannt waren oder deren Bekanntwerden unvermeidbar schien und erfasste in seiner Vagheit die meisten der im Negativkatalog aufgeführten Faktoren. Bemerkenswert an diesem Vorschlag war zumindest, dass durch die potentielle Veröffentlichung negativer Aspekte unternehmerischen Handelns in der Sozialbilanz intendiert war, die Informationen gebündelt in einer Publikation darzustellen.562 Oftmals waren diese Informationen zwar durch Medienpublikationen öffentlich zugänglich, aber nicht in derart konzentrierter Form. Das Konzept des DGB-Negativkataloges sah jedoch auch vor, die negativen Auswirkungen unternehmerischen Handelns nicht nur quantitativ darzustellen, sondern sie zu explizieren und zu bewerten, um den Interpretationsspielraum für die Leser einzuschränken. Darüber hinaus sollten Maßnahmen und Ergebnisse von Kontrollen und Evaluierungen präsentiert werden. Hierunter fielen die Erfassung und Veröffentlichung von Kürzungen betrieblicher Sozialleistungen, Rationalisierungsfolgen, Benachteiligung von Minderheiten beispielsweise durch Nichterfüllung der Schwerbehindertenquote, Folgen der Standortpolitik und der Verlagerung von Produktionsstätten, Arbeitsbedingungen, die nicht dem Anspruch an eine humane Arbeitsplatzgestaltung genügten und Maßnahmen zu ihrer Beseitigung, die Ergebnisse behördlicher Prüfungen und kritische Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen. Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt des DGBNegativkatalogs lag auf der Erfassung von Faktoren, die die gewerkschaftliche Arbeit respektive Betriebsratsarbeit berührten wie Tarifauseinandersetzungen und Konflikte mit dem Betriebsrat, allerdings sollten auch Konflikte mit Arbeitgeberverbänden Eingang in die Sozialbilanzen finden.563 Die AKSBP-Unternehmen erfüllten zumindest zum Teil jene Anforderungen an eine kritische Berichterstattung wie sie der DGB forderte. Die Deutsche Shell be560 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll AKSBP-Sitzung (04./05.09.1979), S. 3. 561 Ebd., S. 4. 562 Ebd.: Hier werden Daten zur wirtschaftlichen Konzentration, Standortpolitik, Verhältnis des Unternehmens zu Bürgerinitiativen, Umweltverschmutzung, Einflußnahme auf die Kommune, Kartellamtsverfahren, Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung, Geldbußen und Strafen als Faktoren aufgeführt. 563 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll der AKSBP-Sitzung (04./05.09.1979), S. 3; vgl. Kapitel 4.3.

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richtete seit 1976 in ihren Sozialbilanzen tatsächlich über den Mangel an Frauen, insbesondere in Führungspositionen, Tankerunglücke und juristische Auseinandersetzungen, die die Beziehungen zu den Anspruchsgruppen – Mitarbeiter, Staat (insbesondere Steuer- und Kartellbehörden) und Vertriebspartner – betrafen, ebenso wie über Abhängigkeiten von staatlichen oder europäischen Subventionen. Die Negativberichterstattung blieb jedoch sporadisch und wurde nicht allein durch gewerkschaftliche Forderungen, sondern auch durch externe Ereignisse induziert. Dagegen ist grundsätzlich ein Anstieg der gewerkschaftsbezogenen Themen in den Shell Geschäftsberichten mit Einführung der Sozialbilanz zu beobachten, der auf die Revision des Betriebsverfassungsgesetzes und auf die Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes 1976 zurückzuführen ist. Erst mit der Kombination von Geschäftsbericht und Sozialbilanz für das Jahr 1975 begann die Deutsche Shell über den Betriebsrat, die IG Chemie-Papier-Keramik, Tarifpolitik, Arbeitszeitregelungen und Sozialpläne zu berichten. Deutlich werden die Auswirkungen der DGB-Veröffentlichung vor allem im Einfluss des Shell-Betriebsrates auf die Sozialbilanz der Deutschen Shell. Während das Unternehmen bis einschließlich 1979 eine Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat bei der Sozialbilanzerstellung verweigerte, weil die Publikation »als Rechenschaftsbericht der Unternehmensleitung von dieser allein zu verantworten«564 sei und die Mitarbeitervertretung eine Anspruchsgruppe des Unternehmens vertrete, über deren Beziehung zum Unternehmen berichtet werde, änderte sich diese Haltung für die Publikation von 1980. Nun durfte der Betriebsrat an der Sozialbilanz mitarbeiten, allerdings beschränkte sich diese Einflussnahme ausschließlich auf die mitarbeiterbezogene Berichterstattung.565 Bei Bertelsmann wurden einige der Faktoren aus dem Negativkatalog aufgenommen, aber in einen Positivkatalog umgewidmet. So wurden die Punkte »Benachteiligungen von Minderheiten (z. B. Frauen in Führungspositionen)«, »Nichterfüllung der Schwerbehindertenquote« und »Standortpolitik«566 transformiert in »Qualifikationsgrad und Karrierechancen von Frauen«, »Schwerbehindertenquote« und »Lohnnebenkosten im internationalen Vergleich«567. Kritisiert wurde vor allem der technokratische Ansatz des DGB, der nur auf eine Auflistung von Daten abziele, ohne deren Nutzen zu berücksichtigen.568 Bei Bertelsmann dagegen würden auch nicht-quantifizierbare Informationsbereiche angeführt, die der DGB-Katalog nicht erfasse. Hierzu gehörten die Aspekte »Führung und Selbstentfaltung« und »Zufriedenheit der Mitarbeiter und Auszubildenden«569, die durch Mitarbeiterbefragungen 564 Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1979, S. 29. 565 Vgl. Dt. Shell Geschäftsberichte/Sozialbilanzen 1975-1980. 566 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll der AKSBP-Sitzung (04./05.09.1979), S. 4. 567 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Angaben zur Bertelsmann-Sozialbilanz (09.09.1980), S. 3. 568 Ebd., S. 2-3. 569 Ebd., S. 3.

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ermittelt würde. Tatsächlich beschränkte sich das DGB-Konzept auf quantitative Daten in der Ermittlung der Mitarbeiterzufriedenheit durch Fluktuationsquoten und Fehlzeiten. Reinhard Mohn fand darüber hinaus harsche Worte zum Umfang des DGB-Kataloges. Mit seinen 330 Indikatoren sei er ein »Dokument der Unsicherheit«570, dessen objektivierender Anspruch weit hinter dem Realisierbaren zurückbleiben müsse. Milder fiel die Bertelsmann-Kritik am DGB-Katalog dagegen hinsichtlich der Indikatoren zur Abbildung der Berufsförderung von Frauen, des Ausbildungsplatzangebotes, der sozialen Schichtung der Auszubildenden mit Hinblick auf das Problem des »›Verdrängungswettbewerbs‹ gegen Absolventen nachgeordneter Schultypen«571 aus. Bei Bertelsmann war man jedoch der Ansicht, dass die eigene Berichterstattung über die Anforderungen des DGB-Kataloges hinausging. Indikatoren zur Darstellung der Lohnnebenkosten würden im DGB-Entwurf ebenso wenig berücksichtigt wie die Rolle der leitenden Angestellten als Mitarbeitervertreter im Aufsichtsrat oder die Steuerbelastung der Unternehmen.572 An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie sehr die Debatte um die Sozialbilanz zum Spiegel grundsätzlicher Streitpunkte zwischen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite wurde. Sowohl von Unternehmen selbst als auch von Arbeitgeberverbänden wurde und wird die Höhe der Lohn- und Lohnnebenkosten in Deutschland gegen gewerkschaftliche Forderungen als wettbewerbsschädigend ins Feld geführt; von gewerkschaftlicher Seite wurde dagegen der soziale Rückschritt durch stagnierende Löhne und den Abbau von Sozialleistungen angeprangert. Beide Seiten bemühten sich, den Gegensatz von Arbeit und Kapital rhetorisch aufrecht zu erhalten.573 Die von Unternehmensseite stets als zu hoch bewertete Steuerbelastung sollte durch die Wertschöpfungsrechnung besonders hervorgehoben werden, auf deren Entwicklung Bertelsmann bei der Sozialbilanz vornehmlich Wert gelegt hatte. Im DGB-Vorschlag sei die Steuerbelastung durch die angeführten Indikatoren dagegen nicht angemessen berücksichtigt. Die Vertretung leitender Angestellter im Aufsichtsrat geriet im Zuge der Diskussionen um die Mitbestimmung ebenso in das 570 O.A., »Sozialbilanzen: Ein Dokument der Unsicherheit«, in: Wirtschaftswoche 33 (26.03.1979), Nr. 13, S. 20-22. 571 UA BAG ZÖ 0007/296 (3): Angaben zur Bertelsmann-Sozialbilanz (09.09.1980). 572 Ebd. 573 »Die Arbeitgeber und ihre politischen Freunde versäumen keine Gelegenheit, den Gewerkschaften zu unterstellen, sie würden mit ihren Forderungen die Grundlagen unseres Wirtschaftssystems zerstören.« AdsD 5/DGCS 000009: Heinz Oskar Vetter auf Großkundgebung des DGB (08.11.1975), S. 1; s. a. BDA Abt. VII: Ausschuß für Soziale Betriebsgestaltung, Protokoll (22.03.1979); AdsD 5/DGAK; 24/765: Argumentationskatalog zu Lohnnebenkosten (05.09.1978); Schleyer 1976, S. 17; Nonn 2007; Tatsächlich stiegen die Lohnnebenkosten zwischen 1966 und 1974 um 3,8 vH an und sollten die Zunahme an staatlichen Sozialausgaben finanzieren. Vgl. Hockerts 2011, S. 191-192.

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Konfliktfeld zwischen Gewerkschaften auf der einen und Unternehmen und Arbeitgeberverbänden auf der anderen Seite. Am 24. Oktober 1979 trafen sich schließlich die Vertreter beider Arbeitskreise. Franz Netta betonte anschließend gegenüber Reinhard Mohn, Manfred Harnischfeger, Georg Türnau und dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Martin Wolf, das Treffen habe in »ausgesprochen sachlicher und kooperativer Atmosphäre«574 stattgefunden. Während zu Beginn der Sozialbilanzierung in Deutschland bis zur Mitte der siebziger Jahre der Begriff der Sozialbilanz selbst oft im Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen gewerkschaftlicher und unternehmerischer Seite stand, kamen die Teilnehmer des Treffens darin überein, dass die Frage der begrifflichen Bestimmung zurückgestellt werden könne, sofern auf inhaltlicher Ebene ein gemeinsamer Nenner gefunden werde. Die Mitglieder des unternehmerischen Arbeitskreises begrüßten die Reduktion des ihrer Ansicht nach umfangreichen DGB-Kataloges. Der Katalog sollte nicht mehr der strikten Erfassung von 330 Einzeldaten dienen, sondern insbesondere den Betriebsräten optionale Berichtsfelder und Datensätze anbieten. Die Bedingung für diese Reduktion war, dass die Unternehmensleitungen eine restringierende oder divergierende Indikatorenauswahl stets nur unter Absprache mit den Betriebsräten treffen sollten. Die Form des – wenn auch flexibleren – Katalogs sollte jedoch beibehalten werden, um »das Verhältnis von Fakten zu Meinungsäußerungen«575 umzukehren, denn der Anteil subjektiv gefärbter Texte liege in den Sozialbilanzen bei 90 vH, wohingegen nur zehn Prozent des Inhalts Fakten widergäben, so der gewerkschaftliche Vorwurf. Die Indikatoren des DGB-Kataloges sollten als Orientierungsmarke dienen, um überbetriebliche Vergleiche zu ermöglichen. Die Weiterentwicklung der Indikatoren könne durchaus in Zusammenarbeit mit dem AKSBP erfolgen. Die jeweiligen Berichtsfelder sollten im Aufbau stets demselben Schema folgen und zunächst den gegenwärtigen Zustand analysieren, dann Verbesserungsmaßnahmen aufzeigen und schließlich die Rechtssicherheit für die Arbeitnehmer im jeweiligen Bereich durch gesetzliche, tarifliche oder betriebliche Regelungen sowie staatliche Subventionen dokumentieren. Durch dieses Analyseschema sei der Anspruch an ein wirksames Informationsinstrument gewährleistet, das die Interessen der Arbeitnehmer sichere.576 Zwischen den Mitgliedern beider Arbeitskreise wurde die Aufnahme sozialer Ziele als Präambel jeder Sozialbilanz diskutiert. Die DGB-Mitglieder hatten die Offenlegung dieser Ziele als Teil des obligaten Berichtsschemas zunächst als illusori574 UA BAG ZÖ 0007/377: Sozialbilanz/Mitarbeiterbefragung – Meinungsaustausch mit dem DGB (26.10.1979), S. 1. 575 Ebd., S. 2. 576 Ebd..

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sche Forderung eingestuft, die bei einem Großteil der Unternehmen ohnehin auf Ablehnung stoße, weil sie nicht »über derartige Zielformulierungen [verfügten]«577. Der Vorschlag, die sozialen Ziele als Teil der Sozialbilanzierung im Bericht aufzuführen, wurde schließlich jedoch von den Unternehmensvertretern vorgebracht, weil dies »für den Leser weit aufschlussreicher als viele Einzeldaten sei«578. Ohnehin verfolgten Shell, Bertelsmann, Pieroth und BASF durch ihr Goal Accounting bereits diesen Ansatz in ihren Sozialbilanzen.579 Die Weiterentwicklung von Wertschöpfungsrechnung und Personalnebenkostenrechnung wurde bei dem Treffen besonders hervorgehoben. Der DGB-Arbeitskreis plante hier die Entwicklung eigener Konzepte, um die Manipulationsspielräume der AKSBP-Konzepte zu begrenzen, die bei den Daten zur WSR und Personalnebenkostenrechnung für Tarifverhandlungen durchaus von Relevanz seien. Die praktizierte Form der Wertschöpfungsrechnung von Bertelsmann 580 wurde jedoch von Mitgliedern beider Arbeitskreise als geeignete, wenn auch noch nicht ideale Form der Darstellung der wirtschaftlichen Gesamtleistung eines Unternehmens gewertet.581 Das Treffen diente neben der Diskussion über Form, Inhalt und Regelung der Sozialbilanzierung auch der Sondierung eines möglichen Spitzengespräches zwischen Bertelsmann und dem DGB, dessen Inhalte sich auf Sozialbilanzen und eine Kooperation des DGB mit der Bertelsmann Stiftung im Bereich der Mitarbeiterbefragungen konzentrieren sollten.582 Die Annäherungen an den DGB geschahen jedoch mit Vorsicht. Die Zugeständnisse sollten nicht allzu groß ausfallen, aber die gewerkschaftliche Gesprächsbereitschaft auch nicht im Keim erstickt werden.583 Eine öffentliche Stellungnahme des unternehmerischen Arbeitskreises zum DGB-Indikatorenkatalog sollte deshalb zunächst bis zum Ende der Gespräche mit den DGB-Vertretern zurückgehalten werden. Dieses Vorgehen wurde ebenfalls mit der BDA abgesprochen, obwohl auch zwischen dem AKSBP und der BDA Differenzen beim Thema Sozialbilanz bestanden.584 Schließlich setzten sich die Arbeitskreismitglieder über die Vereinbarung mit der BDA hinweg, gaben dem Druck der Presse nach und veröffentlichten ihr Positionspapier am 15. August 1979 ohne 577 Ebd. 578 Ebd. 579 Vgl. Kapitel 5.1. 580 Vgl. Kapitel 5.2.3. 581 UA BAG ZÖ 0007/377: Sozialbilanz/Mitarbeiterbefragung – Meinungsaustausch mit dem DGB (26.10.1979), S. 4. 582 UA BAG ZÖ 0007/377: Harnischfeger an Netta (03.10.1979); Sozialbilanz/ Mitarbeiterbefragung – Meinungsaustausch mit dem DGB (26.10.1979); zu Mitarbeiterbefragungen siehe Kapitel 5.4. 583 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll der AKSBP-Sitzung (04./05.09.1979). 584 Ebd., S. 2-3.

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Absprache mit BDA und DGB. Ott – zu diesem Zeitpunkt Sprecher des AKSBP – begründete diesen Schritt damit, dass auch die BDA ihre Position ohne Rücksprache mit den Unternehmen öffentlich vertrat.585 In ihrer Stellungnahme an die Presse befürworteten die Mitglieder des AKSBP grundsätzlich die Öffnung des DGB und dessen Ansatz, konstruktive Kritik an unternehmerischen Sozialbilanzen üben zu wollen, ohne ein Gesetz zur verpflichtenden Sozialbilanzierung zu fordern. Da von einer steigenden Zahl publizierender Unternehmen ausgegangen werde, lägen gemeinsame Ziele bei der Entwicklung von Standards in der Sicherung von Transparenz, Objektivität, Verständlichkeit und Kontrollierbarkeit der Publikationen. Hier habe jedoch der AKSBP bereits wichtige Arbeit durch die Veröffentlichung seiner Rahmenempfehlung geleistet.586 Trotzdem befinde sich die Sozialbilanzierung von Unternehmen weiterhin ebenso in einer Phase des Experimentierens wie konzeptionelle Entwicklungen von wissenschaftlicher Seite. Der DGB-Katalog müsse als Teil dieser Phase gesehen werden im Sinne eines »weiteren Diskussionsbeitrag[s]«587 im bereits bestehenden Dialog zwischen Unternehmensvertretern im Arbeitskreis, Wissenschaftlern und Vertretern der Unternehmensverbände. Kritik übte der AKSBP in seiner Stellungnahme vor allem an der Grundidee und dem Umfang des gewerkschaftlichen Indikatorenkataloges. Die mit dem Katalog abzufragende Datenmenge gehe auf Kosten der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit, sei für den durchschnittlichen Leser unzugänglich und resultiere in »einem Zahlenfriedhof«588 . Konzeptionell führe der Ansatz in die Anfangszeiten der Sozialbilanzierung zurück, denn sowohl wissenschaftliche Überlegungen als auch die praktische Umsetzung seien längst fortentwickelt worden, insbesondere hinsichtlich der Adressaten einer Sozialbilanz. Der DGB-Indikatorenkatalog berücksichtige nicht alle Interessengruppen, sondern erfasse überwiegend Informationen, die für tarifpolitische Auseinandersetzungen von Bedeutung seien und große Nähe zum gewerkschaftlichen Konzept eines Frühwarnsystems aufwies, auch wenn Sozialbilanzen für tarifpolitische Zwecke aus Sicht des AKSBP nicht praktikabel erschienen.589 Besonders kritisch bewertete der AKSBP den DGB-Vorschlag an jenen Stellen, an denen von gewerkschaftlicher Seite entweder unmittelbar Mitsprache über die Inhalte gefordert wurde oder zumindest Raum hierfür ließen. Von gewerkschaftli585 UA BAG ZÖ 0007/377: Brief von Ott an die Mitglieder des AKSBP (26.07.1979); Stellungnahme des AKSBP für die Presse (15.08.1979). 586 Vgl. AKSBP 1977. 587 UA BAG ZÖ 007/377: Stellungnahme zu dem Beschluß des DGB-Hauptvorstandes vom 12.06.1979 über Sozialbilanzen (15.08.1979), S. 2. 588 Ebd. 589 Ebd., S. 3; vgl. Kapitel 4.3

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cher Seite könnten zwar Vorschläge zur Gestaltung von Sozialbilanzen eingebracht werden, jedoch dürfe es kein »Mitbestimmungsrecht über die Auswahl und Inhalte der Berichtsfelder«590 geben; zumal Sozialbilanzen vom DGB weiterhin als »Propagandamaßnahme«591 bezeichnet würden. Die Stellungnahme machte deutlich, dass es seitens des AKSBP als beinahe erpresserischer Akt wahrgenommen wurde, wenn Vertreter des DGB eine bereits bestehende oder geplante Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Betriebsräten verhindern wollen würden, um Gewerkschaftsinteressen in der Aushandlung über Sozialbilanzen durchzusetzen.592 5.3.2 Keine Verhandlungen über Sozialbilanzen Bereits im März 1979 hatte Küller den BDA-Ausschuss über den Indikatorenkatalog des DGB und dessen Haltung in Bezug auf Sozialbilanzen in Kenntnis gesetzt. Daraufhin gründete sich innerhalb des BDA-Ausschusses ein kleiner Arbeitskreis mit Fritz-Jürgen Kador und Dorothee Müller-Hagen von der BDA, Edmund Hemmer vom Institut der deutschen Wirtschaft, Dr. Cieplik von Audi-NSU und Klaus Wirth (Arbeitsring der Arbeitgeberverbände der Deutschen Chemischen Industrie), die sich mit dem DGB-Konzept beschäftigten.593 Die Arbeitgebervertreter sahen in der Indikatorenauswahl die Gefahr einer viel zu negativen Unternehmensdarstellung und wollten zudem nicht die Inhalte von Unternehmenspublikationen zur Verhandlungssache von Gewerkschaften machen. Darüber hinaus fanden sie ihre eigene Empfehlung zur Sozialbilanzerstellung nicht genügend von Seiten der Unternehmen berücksichtigt.594 Im Juni 1979 sprachen sich die Mitglieder des Ausschusses in einer Presseerklärung gegen eine Annäherung an den DGB aus und warfen ihm vor, sich zu einem Zeitpunkt der aktiven Mitgestaltung annehmen zu wollen, an dem die unternehmerische Publikationspraxis – allein durch die quantitative Präsenz der Sozialbilanz – längst gefestigt und unumkehrbar schien. Der gewerkschaftliche Einfluss wurde als schädlich für die Informations- und Handlungsfreiheit der Unternehmen dargestellt. Die veränderte Haltung des DGB in Fragen der Sozialbilanzierung und das unerwartete Engagement hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit Unternehmen des AKSBP sei allzu durchschaubar und allein auf die Absicht der Einflussnahme zurückzuführen. Die BDA dagegen habe schon vier Jahre zuvor den Unternehmen geraten, Sozialbilanzen zu veröffentlichen, um erstens darüber zu berichten, in welcher Form gesellschaftlichen Forderungen entsprochen würde, und 590 Ebd. 591 Ebd. 592 Ebd., S. 2-3. 593 BDA Abt. VII: Küller an BDA, Sozialbilanzen (14.03.1979); Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (22.03.1979; 09.10.1979). 594 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (26.06.1979).

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zweitens »Impulse für eine wirtschaftlich und gesellschaftlich verantwortungsvolle Unternehmenspolitik« zu geben.595 Zwei Monate später signalisierten Kador und Müller-Hagen bei einem Treffen mit Ott jedoch, die BDA stünde Gesprächen zwischen AKSBP und DGB nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenüber. Allerdings sollte der Informationsaustausch zwischen Mitgliedern des AKSBP und des BDA-Ausschusses intensiviert werden, um in Zukunft gegenüber dem DGB und der Öffentlichkeit eine gemeinsame Position zu vertreten und die vorherigen Differenzen beizulegen.596 Ott betonte gegenüber dem Ausschuss, der Arbeitskreis beabsichtige nicht, über Inhalte der Sozialberichterstattung mit dem DGB zu verhandeln, aber zumindest Gespräche zu führen und die »Tür nicht zuzuschlagen«597. Der Meinungswechsel im BDA-Ausschuss resultierte vor allem aus der Befürchtung heraus, selbst aus der Diskussion ausgeschlossen zu werden. Darüber hinaus fürchtete man, die beiden Arbeitskreise einigten sich möglicherweise auf zu hohe Standards für Sozialbilanzen, die zwar für die Pionierunternehmen des Arbeitskreises vertretbar gewesen wären, nicht aber für Unternehmen, die noch nicht mit der Veröffentlichung von Sozialbilanzen begonnen hatten. In seinem weiteren Vorgehen sprach sich der BDA-Ausschuss deshalb mit AKSBP-Mitgliedern ab und veröffentlichte eine Stellungnahme des kleinen BDA-Arbeitskreises, der sich mit dem DGB-Konzept befasst hatte, erst nach dem Treffen zwischen DGB und AKSBP im Oktober 1979. In dieser Stellungnahme betonten die Arbeitgebervertreter erneut, die Inhalte von Sozialbilanzen seien nicht von Gewerkschaftsseite festzulegen und die Publikationen fielen nicht unter die im Mitbestimmungsgesetz formulierten Informationsrechte des Betriebsrates. Schon ein Jahr zuvor hatte sich Kador gegen die Beteiligung von Betriebsräten an der Erstellung von Sozialbilanzen ausgesprochen und entkräftete die gewerkschaftlichen Argumente für eine Mitarbeit, indem er die Befürchtung formulierte, durch die Mitarbeit der Betriebsräte in der Entstehungsphase könnten »Konflikte im Vorfeld bereinigt und gewissermaßen verkleistert werden«598. Die Mitglieder des BDA-Arbeitskreises hoben in ihrer Stellungnahme hervor, dass der DGB-Katalog eher als Maximal- denn als Minimalanforderung an eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung zu verstehen sei, die Flexibilität der Berichtsinhalte und die Informationsfreiheit der Unternehmen gewahrt und unternehmenssowie branchenspezifische Bedingungen berücksichtigt werden müssten. Hohe Standards, Schwerpunkte auf einer Negativberichterstattung, ein zu hoher Aufwand 595 BDA Pressedienst, PDA Nr. 25 (26.06.1979): »›Sozialbilanzen‹ müssen Sache der Unternehmen bleiben«. 596 UA BAG ZÖ 0007/377: Protokoll der AKSBP-Sitzung (04./05.09.1979), S. 2-3. 597 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (09.10.1979), S. 3. 598 Deuß et al. 1978, S. III/7.

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in der Datenerfassung und zu viele Details, die nur noch für Experten nachvollziehbar sind, seien zu vermeiden, wenn überhaupt eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung durchgesetzt werden solle. Diese könne dann durchaus in Zusammenarbeit mit Betriebsräten entstehen.599 Für eine breitere und verbesserte Anwendung von Sozialbilanzen setzte Kador seine Hoffnungen weniger in die Zusammenarbeit mit der gewerkschaftlichen Seite als vielmehr in die Kooperation von Wissenschaft und Praxis. In einer weiteren Presseerklärung wurde die Zusammenarbeit mit dem DGB in Sachen Sozialbilanzen dann sogar explizit ausgeschlossen:600 Wissenschaftliche Berater sollten die Sozialbilanzen der Unternehmen verbessern und im Gegenzug werde den Wissenschaftlern durch die Zusammenarbeit die notwendige empirische Basis geliefert, um die theoretischen Konzepte zu verbessern. Denn diese Konzepte wurden anhand angelsächsischer Unternehmenserfahrungen entwickelt und waren nur wenig auf die deutschen Unternehmen zugeschnitten.601

5.4 D IE P ROJEKTGRUPPE M ITARBEITERBEFRAGUNG Mitarbeiterbefragungen dienen dazu, die Zufriedenheit der Beschäftigten eines Unternehmens mit den herrschenden Arbeitsbedingungen zu ermitteln. Sie können Aufschluss über Verbesserungen geben, die sich die Mitarbeiter wünschen, und liefern mithilfe subjektiver Indikatoren eine quantitative Datenbasis. Insofern versprachen die Befragungen den Anspruch an die Sozialbilanz als Feedback-Instrument entscheidend zu ergänzen. Die Publikationen konnten als Plattform zur Veröffentlichung der Befragungsergebnisse und der aus diesen Ergebnissen extrahierten Ziele zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen fungieren. So konzentrierten sich die Arbeiten des AKSBP zum Ende der 1970er Jahre zunehmend auf die Entwicklung geeigneter Standards für Mitarbeiterbefragungen, um diese als komplementäres Instrument zur Sozialbilanz in der Personalpolitik einsetzen zu können. Schließlich erwuchs aus dem AKSBP die Projektgruppe Mitarbeiterbefragung, der weiterhin Vertreter der Unternehmen Deutsche Shell, Bertelsmann, BASF, Pieroth, Saarbergwerke und STEAG angehörten. Allerdings gab es einige personelle und institutionelle Veränderungen. Die Rank Xerox AG schied aus der Zusammenarbeit aus, dagegen beteiligten sich nun Vertreter des Einzelhandelsunternehmens Karstadt, des Haushaltsgeräteherstellers Vorwerk, der Mineralölgesellschaft Esso, des ITProduzenten IBM und der Vereinigten Schmirgel- und Maschinen-Fabriken (VSM) an der Projektgruppe. Die wissenschaftliche Betreuung übernahmen Professor Mi599 BDA Abt. VII: Protokoll des Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung (09.10.1979), Entwurf einer Stellungnahme zum Beschluss des DGB. 600 BDA Abt. VIII: Allgemeiner Informationsbericht Presse (05.10.1979), S. 3. 601 Vgl. Kador 1981, S. 137-141.

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chel Domsch von der Bundeswehrhochschule Hamburg und sein Assistent Peter Reinecke. Die Projektgruppe ließ sich nicht nur weiterhin wissenschaftlich beraten, sie suchte auch wieder den Kontakt zum DGB, und Franz Netta informierte HansDetlev Küller über die ersten Entwürfe zu einer Konzeptionierung von Mitarbeiterbefragungen.602 Den Wert der Mitarbeiterbefragung für die DGB-Arbeit sah Netta erstens im Mitsprachepotential, und zweitens ziele die Arbeit der Projektgruppe auf eine Standardisierung, um die Vergleichbarkeit von Befragungen zwischen verschiedenen Unternehmen gewährleisten zu können. Gleichzeitig sollte dieser standardisierte Fragebogen »problemorientiert« bleiben und »nicht schönfärben, sondern Kritik und Schwachstellen transparent machen und zu unbeeinflußten Bewertungen führen«603 . Um dieses hehre Ziel zu erreichen, wurden die entworfenen Fragebögen zunächst bei Bertelsmann, Karstadt und Pieroth getestet und durch IBM auf ihre Auswertbarkeit mit EDV-Programmen hin geprüft. Der Fragebogen sollte vor allem den Standards sozialwissenschaftlicher Forschung genügen. Er musste daher einerseits relativ allgemein, praxisnah und verständlich gehalten werden, um branchenübergreifend empfohlen werden zu können; andererseits aber auch methodisch wissenschaftlichen Standards entsprechen, um relevante Ergebnisse zu gewährleisten und damit letztlich den Aufwand der Befragung zu rechtfertigen. Thematisch konzentrierte sich die Befragung auf die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit, den physisch gegebenen Bedingungen am Arbeitsplatz und der Arbeitsorganisation, auf den Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten, das Betriebsklima im Allgemeinen, Entlohnung und Sozialleistungen sowie Information und Weiterbildung.604 Die Projektgruppe entschied sich dafür, den ersten Fragebogen im August 1978 in dem Bertelsmann-Unternehmen Sonopress zu testen. Eine der Schwierigkeiten des Testlaufes lag darin, die Belegschaft von Sonopress zunächst davon zu überzeugen, dass das Ziel der Befragung die Weiterentwicklung des Fragebogens war und »nicht Sonopress [...] durchleuchtet werden sollte«605. Die Mitarbeiter, die länger im Unternehmen beschäftigt waren, zeigten dabei erwartungsgemäß ein höheres Interesse an der Offenlegung von Schwachstellen und Problemen und beteiligten sich intensiver an der Befragung.606 Darüber hinaus führte Reinecke Interviews mit einigen Befragten, um weiteren Schwächen des Testlaufes aufzuspüren. Die gesam602 UA BAG ZÖ 0007/377: Sitzungsprotokoll Projektgruppe Mitarbeiterbefragung (17.10.1979); Projektgruppe Mitarbeiterbefragung 1980. 603 UA BAG ZÖ 0007/377: Brief von Netta an Küller (29.10.1980). 604 UA BAG ZÖ 0007/377: Brief von Netta an die Mitglieder der Projektgruppe (11.04.1979; 03./04.10.1979); Brief von Netta an Küller (29.10.1980). 605 UA BAG ZÖ 0007/377: Sitzungsprotokoll Projektgruppe (16.10.1979), S. 2; s. a. Interview Netta 19.11.2010. 606 UA BAG ZÖ 0007/377: Sitzungsprotokoll Projektgruppe (16.10.1979).

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te Testphase dauerte über ein Jahr, bis schließlich am 4. Oktober 1979 eine überarbeitete Fassung des Fragebogens auf Grundlage der Sonopress Befragungsergebnisse und eines weiteren Pretests mit 300 Mitarbeitern von Karstadt vorlag.607 Ein Vergleich der Fragebogenentwürfe zeigt, dass rund ein Drittel der Fragen inhaltlich und formal verändert worden waren. Auf inhaltlicher Ebene sollte erstens eine größere Verständlichkeit erzielt werden, indem nicht eindeutige Fragen eliminiert wurden und sich die Befragung im Wesentlichen auf das unmittelbare Arbeitsumfeld des jeweiligen Mitarbeiters bezog. Zweitens sollte das Vertrauen der Mitarbeiter in den Nutzen der Befragung für sie geweckt werden. Sie sollten gerade bei Fragen zur Leistungsbereitschaft und -fähigkeit nicht das Gefühl bekommen, ihre eigene Arbeit oder die ihrer Abteilung würde durch die Befragung kontrolliert. Stattdessen konzentrierten sich die Fragen und Antwortmöglichkeiten darauf, Ursachen für Schwierigkeiten in der Organisation der Arbeitsabläufe, in den örtlichen Gegebenheiten – insbesondere der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz – sowie der monetären und nicht-monetären Anerkennung von Leistung, aber auch in der Einstellung zum Unternehmen zu suchen. Die besonderen Arbeitsbedingungen von Schichtarbeitern rückten stärker in den Fokus des Fragebogens, ebenso wie Faktoren der Arbeitsmotivation und Stressbelastung.608 Methodisch sollte der Fragebogen den in der Meinungsforschung vorherrschenden Standards einer skalenorientierten Befragung entsprechen und mit EDVProgrammen auszuwerten sein, um eine hohe und gleichzeitig schnelle Vergleichbarkeit zu garantieren. Für diesen Zweck holte Helga Meyer-Strömbach (BASF) Informationen über die Kombinationsmöglichkeiten von numerischer und verbaler Skalierung bei verschiedenen Meinungsforschungsinstituten ein. Gespräche fanden außerdem zwischen Franz Netta und dem Präsidenten sowie den jeweiligen Leitern der deutschen und englischen Niederlassung der International Survey Research Corporation statt. Meinolf Dierkes hielt nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitskreis weiterhin Kontakt zur Projektgruppe Mitarbeiterbefragung, weil er sich inzwischen selbst im Rahmen seiner Beratungstätigkeit für den Schweizer MigrosKonzern mit Konzepten für Mitarbeiterbefragungen auseinandersetzte. Netta bot Dierkes an, Ergebnisse aus den Test-Befragungen für die Migros zu Vergleichszwecken zugänglich zu machen.609

607 UA BAG ZÖ 0007/377: Brief von Netta an die Mitglieder der Projektgruppe Mitarbeiterbefragung (11.04.1979). 1979 führte Karstadt darüber hinaus auch eine umfassende Mitarbeiterbefragung mit insgesamt rund 55.000 Teilnehmern aus allen Niederlassungen mit einer Teilnahmequote von knapp 90 vH durch. Vgl. Karstadt Geschäftsbericht 1979, S. 27. 608 UA BAG ZÖ 0007/377: Fragebogen vom 23.10.1978 (05.04.1979). 609 Ebd; zu den Mitarbeiterbefragungen der Migros siehe Kapitel 7.3.

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Mit der Absicht, durch Mitarbeiterbefragungen die Sozialbilanz inhaltlich zu ergänzen und die Akzeptanz der Publikationen bei den Mitarbeitern über die Befragung zu testen, strebten die Vertreter der beteiligten Unternehmen nach weiterer wissenschaftlicher Fundierung ihres Projektes. Repräsentative Befragungen hatten sich im politischen Bereich und in der Marktforschung spätestens seit Mitte der 1960er Jahre etabliert. Sie versprachen auf der einen Seite eine neutrale sowie präzise Abbildung der Meinung von Befragten und suggerierten auf der anderen Seite Möglichkeiten der Partizipation und freien Meinungsäußerung.610 Quantitative Befragungen schienen großen Unternehmen geeignet, das Stimmungsbild einer wachsenden Zahl von Mitarbeitern zu zeichnen und mehr über deren Einstellungen und Meinungen zum Unternehmen zu erfahren, die allein aufgrund der Unternehmensgröße längst nicht mehr durch persönlichen Kontakt zu ermitteln waren. Die Befragungen implizieren darüber hinaus das Bild emanzipierterer Mitarbeiter, die nicht mehr nur Empfänger von Informationen waren, die hierarchisch nach unten weitergegeben wurden. Vielmehr wirkten sie selbst auf den Informationsfluss im Unternehmen ein, indem sie ein Feedback zu ihrer Arbeitssituation gaben.611 Darüber hinaus bot die Befragung präzisere Möglichkeiten der Effizienz-Kontrolle, indem z. B. der Stellenwert sozialer Einrichtungen im Unternehmen für die Mitarbeiter oder die Akzeptanz neu eingeführter Einrichtungen oder Abläufe ermittelt werden konnten. Unerwünschte Einrichtungen konnten auf diese Weise eingespart und die Wirkung von Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeit überprüft werden. Diese Funktionen stellte auch der Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung der BDA als Nutzen der Befragungen heraus: Sie ermöglichten eine Umkehr des Informationsflusses im Unternehmen und könnten Auskunft über das Betriebsklima, die allgemeine Arbeitszufriedenheit und die Einstellungen der Mitarbeiter zum Unternehmen, zu dessen Leitung und zu den Kollegen geben. Diese Informationen seien durch objektive Indikatoren allein nicht zu ermitteln. So empfahl der Ausschuss die Durchführung von Mitarbeiterbefragungen und folgte damit den Ergebnissen und Empfehlungen zweier Studien durch die Befragungsinstitute Emnid und infas, die Befragungen eine höhere Bedeutung als die Mitbestimmung für die Beschäftigten zuwiesen. Dass die Befragungsinstitute durchaus eigene Absichten in der Empfehlung zur Durchführung von Befragungen in Unternehmen vertraten, blieb in den Überlegungen des BDA-Ausschusses zur weiteren Empfehlung von Mitarbeiterbefragungen allerdings unberücksichtigt.612 610 Vgl. Kruke/Ziemann 2012. 611 Vgl. Scior 1982, S. 77-91. 612 BDA Abt. VIII: Informationsbericht über betriebliche Publizistik, Nr. 4: »Innerbetriebliche Information von unten nach oben« (30.04.1974); BDA Abt. VII: »Unternehmerische Personalpolitik: Analyse der Arbeitsbedingungen und personalpolitische Schwerpunktaufgaben, Entwurf« (1978).

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Die Projektgruppe Mitarbeiterbefragung bündelte mithilfe von Domschs wissenschaftlicher Expertise ihre Überlegungen zur Standardisierung von Mitarbeiterbefragungen 1980 in der Veröffentlichung einer Empfehlung, die kurz und prägnant die Vorteile von Befragungen für Unternehmen, Arbeitnehmer und deren Vertreter herausstellte. Die Empfehlung skizzierte Mitarbeiterbefragungen als Teil eines erweiterten Personalmanagements: Sie erlaubten präzisere Ist-Analysen des Betriebsklimas, erhöhten das Identifikationspotential der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und ermöglichten den Dialog zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten. Die Einführung von Mitarbeiterbefragungen setze voraus, dass die Ergebnisse der Befragungen tatsächlich dazu genützt würden, Missstände, auf die die Befragten aufmerksam machten, zu thematisieren und idealerweise zu beseitigen. Auf diese Weise stünden die Unternehmen zwar unter Handlungsdruck, aber es würden auch die Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter nachdrücklich hervorgehoben und ein glaubwürdiges Personalmanagement etabliert. Um Kosten zu reduzieren und gleichzeitig aus wissenschaftlicher Sicht methodisch valide Ergebnisse zu produzieren, empfahl die Projektgruppe den Einsatz eines standardisierten Fragebogens, wie er von der Gruppe selbst entwickelt worden war. Dies garantiere eine Vergleichbarkeit der Unternehmen untereinander und reduziere insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen die Einstiegskosten.613 Die Projektgruppe riet dazu, Sozialbilanzen als Kommunikationsinstrument zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten zu nutzen, um darin Mitarbeiterbefragungen zu bewerben sowie ihre wichtigsten Ergebnisse, die daraus gewonnenen Handlungsziele und deren Umsetzung zu dokumentieren. Schon vor der Veröffentlichung der Empfehlung hatten einige Unternehmen aus der Projektgruppe ihre Sozialbilanzen als Plattform für die Mitarbeiterbefragung genutzt. Jene drei Unternehmen, die bereits einen zielbezogenen Berichtsansatz verfolgten - Bertelsmann, BASF und die Deutsche Shell – gehörten auch in Bezug auf die Nutzung von Mitarbeiterbefragungen und deren Veröffentlichung zu den Vorreitern und verfolgten durch ihre Kommunikationspraxis einen umfassenden Personalmanagementansatz. Bertelsmann engagierte sich stark in der Projektgruppe und wollte das Potential der Mitarbeiterbefragungen effektiv nutzen. Ziel war es vor allem, die Zufriedenheit der Beschäftigten mit der betrieblichen Sozialpolitik und dem Führungskonzept – dem Sozialen Modell Bertelsmann – zu ermitteln. Dafür arbeiteten die Verantwortlichen eng mit dem Betriebsrat zusammen und entschieden sich gegen Repräsentativbefragungen, um allen Mitarbeitern eine Stimme zu geben. Die nationale Befragung aller Beschäftigten erfolgte 1982, eine weitere 1987. Sie orientierten sich an den gemeinsam in der Projektgruppe entwickelten Befragungsstandards, von denen einige allerdings von Bertelsmann selbst eingebracht worden waren. Kritik an der betrieblichen Sozialpolitik und den Führungskräften wurde sowohl in den Sozialbi613 Vgl. Projektgruppe Mitarbeiterbefragung 1980.

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lanzen als auch in den Werkszeitungen offen kommuniziert, denn die Mitarbeiterbefragung wurde als Teil eines permanenten Korrekturprozesses im Sinne der kybernetischen Steuerung verstanden. Die Sozialbilanz wurde nicht nur zur umfassenden Veröffentlichung der Befragungsergebnisse und der daraus abgeleiteten Verbesserungsziele genutzt, sondern auch, um über tatsächlich umgesetzte Maßnahmen zu berichten. So wurden beispielsweise auf Wunsch der Mitarbeiter die von Mohn favorisierten Großraumbüros teilweise wieder abgeschafft und in der künftigen Raumplanung weniger berücksichtigt. Rückbezüge auf die jeweils vorangegangenen Befragungen sollten die Fortschritte und Verbesserungen im Sozialen Modell Bertelsmann dokumentieren. In den 1990er Jahren fanden vereinzelt in den ausländischen Unternehmen des Bertelsmann-Konzerns Mitarbeiterbefragungen statt, überwiegend in Frankreich, Spanien und den USA. 2001 wurde mit einer Testbefragung die erste zentral durchgeführte Befragung für das Jahr 2002 vorbereitet. Inzwischen wird sie in rund 50 Ländern und 16 Sprachen durchgeführt.614 Die Deutsche Shell führte bereits 1970 ihre erste Mitarbeiterbefragung durch. Sie beauftragte ein externes Institut mit der mündlichen Befragung der Beschäftigten, um mehr über die Einstellung der Mitarbeiter zum Betriebsklima und über ihre Arbeitszufriedenheit zu erfahren. Als die Arbeiten der Projektgruppe Mitarbeiterbefragung begannen, ließ die Deutsche Shell im Winter 1978/79 eine zweite Befragung durchführen. Dieses Mal wurden die Beschäftigten schriftlich befragt und die Ergebnisse mit jenen der ersten Befragung von 1970 verglichen. Die Auswertung der 70 Fragen zu den betrieblichen Sozialleistungen des Unternehmens, zu Aufstiegschancen, zum Arbeitsentgelt, zur Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung, zur Einstellung gegenüber dem Unternehmen und Vorgesetzten dauerte bis zum Sommer 1979 an und offenbarte durchaus Schwächen der betrieblichen Sozialpolitik. So schienen die 1974 verabschiedeten Grundsätze zur Führung und Zusammenarbeit615 nicht in dem Maße bei den Mitarbeitern akzeptiert und verankert zu sein, wie es sich die Unternehmensleitung gewünscht hatte. Sie arbeitete deshalb 1981 zusammen mit Arbeitnehmervertretern an einem neuen Konzept für die Grundsätze. Vor Bekanntwerden der Befragungsergebnisse versprach Shell bereits in der Sozialbilanz, kritische Anmerkungen, die die Befragung zutage fördern könnte, zum Anlass für Verbesserungsmaßnahmen zu nehmen. Die Deutsche Shell veröffentlichte einige Informationen zu Mitarbeiterbefragungen in den Geschäftsberichten/Sozial614 Vgl. UA BAG UP 2/20-145 (1982): »Das ›soziale Modell‹ hat seine Prüfung bestanden«,

in:

Bertelsmann

Report

145,

S. 2-12;

Bertelsmann

Geschäftsberich-

te/Sozialbilanzen 1976/77, 1978/79-1979/80, 1981/82-1982/83, 1985/86-1988/89, 1990/91-1991/92, 1995/96-1997/98; Geschäftsbericht 2001/02; Hemmer 1979, S. 50-1; Söhlke 1999, S. 33-34; Wischermann 2010, S. 264-266; Interview Netta (19.11.2010); URL: Bertelsmann Mitarbeiterbefragung. 615 Vgl. Kapitel 5.1.5.

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bilanzen zwischen 1978 und 1980, nutzte aber auch eine weitere Befragung 1979, um Informationen über die Akzeptanz der Sozialbilanzen selbst zu erhalten. Hier wurden neben den Mitarbeitern auch Wirtschaftsstudenten sowie Vertreter aus Politik, Presse und Wirtschaftsverbänden danach befragt, ob sie die Informationen aus der Sozialbilanz als nützlich und glaubhaft erachten und welche Inhalte sie sich zusätzlich wünschten.616 Ab 1999 wurden weltweit Mitarbeiterbefragungen vom Mutterkonzern durchgeführt. Von den 90.000 Mitarbeitern in 130 Ländern antworteten rund 63.000 im Shell People Survey auf die Fragen zu ihrer Einstellung zum Unternehmen, zur Unternehmenskultur und ihrer Arbeitszufriedenheit.617 Während die Deutsche Shell die Befragungen seit Ende der 1970er Jahre eher sporadisch durchführte, wurden sie im Konzern seit dem beginnenden Jahrtausend jährlich realisiert und zum festen Bestandteil eines dialogorientierten Personalmanagements. Auch die BASF begann bereits vor der Gründung der Projektgruppe, die Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen im Sozialbericht zu veröffentlichen. 1972 führte sie eine Befragung zum Betriebsklima und zur Arbeitszufriedenheit durch und publizierte die positiven Ergebnisse, aber auch kritische Punkte der betrieblichen Sozialpolitik auszugsweise im Sozialbericht für 1973. Ende der 1970er Jahre begann die BASF in den Sozialberichten den methodischen Wert von Mitarbeiterbefragungen hervorzuheben und damit für eine Teilnahme an künftigen Befragungen zu werben, denn sie ergänzten die Informationen, die objektive Indikatoren wie Fluktuationsquoten und Krankenstände lieferten. Im Zuge der Implementierung der BASF Unternehmensgrundsätze präsentierte das Unternehmen Mitarbeiterbefragungen im Sozialbericht als Instrument zur Aktivierung und Motivation der Mitarbeiter: Sie seien brauchbar zur Identifikation ihrer Wünsche und zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen. 1980 führte die BASF wieder eine repräsentative Umfrage mit 1000 Befragten durch. Diesmal wurden Anwohner gebeten, das Unternehmen als Arbeitgeber zu beurteilen, die Beziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt zu bewerten, aber auch die Beschäftigten der BASF zu charakterisieren. Nachdem 1979 das zielorientierte Personalkonzept eingeführt worden war, versuchte die BASF 1982 eine erste Zwischenbilanz zu ziehen und befragte ihre Mitarbeiter erneut zu ihrer Einstellung gegenüber dem Unternehmen, dem Personalkonzept und ihrer Zufriedenheit. Der Sozialbericht 1982 diente als Plattform zur Veröffentlichung der Befragungsergebnisse, die zusammen mit den Zielsetzungen, erreichten Zielen und Verbesserungsmaßnahmen abgedruckt wurden. Hier veröffentlichte die BASF jedoch auch die Erwartungen des Unternehmens an die Mitarbeiter und signalisierte dadurch, dass Verbesserungen nicht allein in der Verantwortung des Unternehmens lägen. 1987 folgte eine weitere Befragung der Mitarbeiter. 616 Vgl. Dt. Shell Geschäftsberichte/Sozialbilanzen 1978-1980; Dierkes/Berthoin Antal 1985, S. 31. 617 Vgl. Sluyterman 2007, S. 294 u. 435; Stadler 2004, S. 267.

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Die BASF betonte auch hier wieder die Funktion von Befragungen für die künftige Unternehmensplanung und Gestaltung der betrieblichen Sozialpolitik und unterstrich damit die Verantwortung der Mitarbeiter für eine verbesserte Personalführung: »Mal so richtig seine Meinung sagen. Frei und offen Wünsche äußern, sagen, was einem im Unternehmen gefällt, kritische Hinweise geben, mal nicht nur am Stammtisch meckern«618, schrieben die Autoren des Sozialberichtes für 1987, um für die Beschäftigten den Nutzen an einer Teilnahme von Mitarbeiterbefragungen hervorzuheben.619 Neben den bereits im AKSBP etablierten Unternehmen, die Mitarbeiterbefragungen als Teil ihres zielorientierten Managements betrieben, steuerten Vertreter von Esso und IBM ihre Erfahrungen im Bereich der Mitarbeiterbefragungen für die Projektgruppe bei. Esso führte 1969 die erste und 1974 die zweite Mitarbeiterbefragung durch. IBM brachte EDV-Programme zur Auswertung ein und hatte zuvor ebenfalls Mitarbeiterbefragungen durchgeführt. Obwohl die Entwicklung des Standardfragebogens durch die Projektgruppe auch auf die Vergleichbarkeit der Befragungsergebnisse zwischen Unternehmen abzielte, beschränkten sich die Mitglieder der Projektgruppe nach Aussage von Franz Netta auf einen internen Vergleich, um ihre Leistungen der betrieblichen Sozialpolitik ohne öffentlichen Druck bewerten und einschätzen zu können.620

618 BASF Sozialbericht 1987, S. 7. 619 BASF Sozialberichte 1973, 1977-79, 1981-82 u. 1987; BDA Abt. VIII: Informationsbericht über betriebliche Publizistik Nr. 10 (24.10.1973). 620 Vgl. Esso Geschäftsbericht 1974, S. 11; IBM Geschäftsbericht 1977, S. 5; Interview Netta (19.11.2010).

6. Quantitative Entwicklung Gesellschaftsbezogene Berichterstattung in Geschäftsberichten

Die Entwicklung der Sozialbilanzierung in Deutschland lässt sich in drei Phasen einteilen: eine erste Phase der unternehmerischen Experimente, eine zweite Phase der Entwicklung von Standards und eine dritte Phase der Konsolidierung. Diese Phaseneinteilung lässt sich aus der Analyse des Sozialbilanzdiskurses gewinnen und deckt sich mit den Beobachtungen anderer Autoren, darunter auch Dierkes.1 Phase I begann mit der Veröffentlichung der STEAG Sozialbilanz im Jahr 1972. An dieser Publikation orientierten sich die Experimente der nachfolgenden Pionierunternehmen deutscher Sozialbilanzierung, wie auch an den ersten Konzepten und praktischen Beispielen aus den USA. Der Diskurs in Wissenschaft und unternehmerischer Praxis wird vor allem von Dierkes 1974 publizierter Monographie zur Sozialbilanz geprägt. Phase II beginnt 1975 mit der Veröffentlichung erster Konzepte durch den Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung der BDA und durch den VCI-Arbeitskreis. Wesentlich für die weiteren Bemühungen zur Entwicklung von Berichtsstandards wird aber die Rahmenempfehlung des 1976 gegründeten Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis, die 1977 veröffentlicht wurde. Phase II beschreibt die Boomjahre der unternehmerischen Sozialbilanzierung in der Bundesrepublik.2 Sie findet ihren

1

Vgl. Berthoin Antal/Dierkes/MacMillan/Marz 2002; Dierkes/Marz/Berthoin Antal 2002; Epstein 2003, S. 3; Kracke 1982, S. 46-53; Mook 2007, S. 24-5.

2

1979 gaben rund 40 Unternehmen Sozialbilanzen heraus. Vgl. AdsD 5/DGAI 000232: Schreiben Vetters an die Mitglieder des GBV, S. 1; BDA Abt. VII: Unternehmerische Personalpolitik: Analyse der Arbeitsbedingungen und personalpolitische Schwerpunktaufgaben (Entwurf); o.A., »Nur etwa 40 Sozialbilanzen: Falsch verstandene Aufwandsrechnungen«, in: Süddeutsche Zeitung 36 (24.04.1980), Nr. 96, S. 31; Breisig 1990, S. 482; Dierkes/Hoff 1981, S. 15; Heymann 1981; Kador 1981, S. 134-135; Teichert 1995; Ullmann 1981, S. 202; Zimmermann 1980, S. 161.

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Abschluss 1979 mit der Herausgabe des DGB-Indikatorenkataloges, der zunächst zwar die Opposition von Unternehmen und BDA hervorruft, schließlich aber zum Dialog zwischen DGB- und Unternehmensvertretern führt. In Phase III – seit 1980 – beginnen nur noch wenige Unternehmen, erstmalig Sozialbilanzen zu veröffentlichen. Die meisten orientieren sich an den Vorgaben des AKSBP, einige versuchen, auch kritische Punkte aus dem DGB-Indikatorenkatalog zu berücksichtigen. Von sozialwissenschaftlicher Seite werden im Wesentlichen nur noch die bereits vorhandenen Konzepte rekapituliert, weniger aber neue entwickelt. Diese allmähliche Stagnation führte schließlich auf eine Verengung der Berichtsinhalte auf umweltbezogene Themen hin. Diese Einengung gab der Entwicklung der Berichterstattung jedoch neuen Impetus, allerdings sank der Einfluss der Sozialwissenschaften hier zugunsten der Naturwissenschaften, deren Vertreter sich mit der Entwicklung von Konzepten zur Berechnung der Einflüsse unternehmerischer Aktivitäten auf die physische Umwelt beschäftigten. Neben den Konzepten der Unternehmensverbände und des AKSBP dürfte nicht zuletzt auch eine 1975 initiierte, breit angelegte Umfrage des Manager Magazins (MM) für den Boom der Sozialbilanzierung seit 1975 verantwortlich gewesen sein. Durchgeführt wurde die Umfrage in Zusammenarbeit mit der Stiftung Gesellschaft und Unternehmen, mit Meinolf Dierkes, der zu diesem Zeitpunkt schon am WZB war, und mit Richard van den Bergh (Battelle-Institut Frankfurt). Diese Enquete war ein von der konkurrierenden Presse weithin beachtetes Prestige-Projekt, zu dem sich Finanzminister Hans Apel, Bundesarbeitsminister Walter Arendt, Hermann Josef Abs, Hanns Martin Schleyer, Heinz Oskar Vetter und Karl Hauenschild (Vorsitzender der IG Chemie-Papier-Keramik) – durchaus auch kritisch – in der Zeitschrift äußerten. Im November 1975 erschien der erste Teil der MM-Enquete, in dem über die Notwendigkeit für Unternehmen, gesellschaftliche Verantwortung zu demonstrieren, und vereinzelt über Beispiele von unternehmerischem sozialem Engagement berichtet wurde. Soziale Rahmenbedingungen für veränderte Anforderungen an Unternehmen – wie die Debatten um die Mitbestimmung und humanere Arbeitsbedingungen – wurden ebenso skizziert wie erste Versuche von Unternehmen, ihr Engagement in Sozialbilanzen gegenüber ihren Anspruchsgruppen darzustellen. Von 350 angeschriebenen Unternehmen nahmen schließlich 142 an der Befragung teil. Im Mai 1976 präsentierte das Manager Magazin die Ergebnisse der Befragung. Zwar verzichtete das Magazin auf die Aufstellung einer Rangliste mit einzelnen Unternehmen – die Wirtschaftszeitschrift L’Expansion hatte dies 1975 und 1976 in Frankreich getan3 –, dennoch wurden erstmals Summen für Lohnaufwendungen, Ausund Weiterbildungen, Spenden, freiwillige Sozialleistungen und innerbetriebliche Information sowie die Zahl der Unfälle für die jeweils beteiligten Branchen in solch breiter Abdeckung innerhalb einer Publikation für die Öffentlichkeit sichtbar ge3

Vgl. Kapitel 7.2.1.

Q UANTITATIVE E NTWICKLUNG

| 323

macht.4 30 Jahre später gehörte das Manager Magazin mit den Unternehmensberatungen Kirchhoff und Deloitte Deutschland zu den Initiatoren des ersten deutschsprachigen CSR-Management-Rankings. Seit 2004 wurde darin die CSR-Politik aller DAX-30-Unternehmen und zehn weiterer anhand von CSR-Berichten und anderen Publikationen wie Geschäfts-, Umweltberichten und Presseartikeln bewertet – darunter von Bertelsmann, der Deutschen Bahn und von Boehringer Ingelheim.5 Weniger öffentlichkeitswirksam, aber als erste repräsentative Studie hatte Klaus Brockhoff im Rahmen eines von der Stiftung Gesellschaft und Unternehmen finanzierten Projektes 1975 Ergebnisse einer quantitativen Untersuchung der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung deutscher Unternehmen veröffentlicht, die in die später erschienene Sonderausgabe des Manager Magazins einflossen. Brockhoff hatte die Geschäftsberichte von 296 Unternehmen für das Geschäftsjahr 1973 im Hinblick auf die Quantität der sozial- und umweltbezogenen Berichterstattung einschließlich des Berichtens über Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung untersucht. Anhand dieser Querschnittsanalyse kam er zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich größere Unternehmen verstärkt über die Bereiche Mitarbeiter und Umwelt berichteten, unternehmensexternes soziales Engagement dagegen werde – im Gegensatz zu US-amerikanischen Unternehmen – insgesamt in der deutschen Berichterstattung vernachlässigt. Darüber hinaus gebe es mehr Gemeinsamkeiten im Berichterstattungsverhalten innerhalb einer Branche als innerhalb einer Gruppe von Unternehmen von einer bestimmten Größe oder Rechtsform.6 Meinolf Dierkes und Andreas Hoff vom WZB legten 1981 eine Analyse zur Quantität und Qualität von Sozialbilanzen und erweiterten Sozialberichten vor. Sie untersuchten dazu in einer Querschnittsanalyse die Publikationen von 30 Unternehmen für die Berichtsjahre 1975 bis 1979. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die mitarbeiterbezogene Berichterstattung aufgrund der Verfügbarkeit ihrer Daten größeren Raum einnimmt als umwelt- und gesellschaftsbezogene Themen. Die qualitativen Unterschiede zwischen den Unternehmen in der Berichterstattung seien groß, allerdings habe es eine deutliche Tendenz hin zu einer Standardisierung gegeben, insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung von Sozial- und Wertschöpfungsrechnungen.7 Im Anschluss an die Beobachtungen der Querschnittanalysen von Brockhoff, Dierkes und Hoff soll an dieser Stelle die quantitative Entwicklung der gesellschaftsbezogenen Berichtsanteile in Geschäftsberichten dreizehn deutscher Unternehmen im Längsschnitt abgebildet und analysiert werden. Die Erhebung der Daten 4

Vgl. Manager Magazin (Hg.), Enquete über das soziale Engagement der deutschen Industrie, Sonderdruck, Hamburg: Manager Magazin Verlag 1976.

5

Vgl. Balzer/Kröher 2006.

6

Vgl. Brockhoff 1975 u. 1979.

7

Vgl. Dierkes/Hoff 1981.

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hat rein heuristische Funktion und ist dezidiert nicht repräsentativ, kann jedoch Trends in der Berichterstattung verdeutlichen. Da zum Teil für vereinzelte Jahre Geschäftsberichte einzelner Unternehmen fehlen – die Berichterstattung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu unterschiedlichen Zeitpunkten fortgesetzt, oder vereinzelte Jahrgänge sind nicht archiviert –, wurde eine Darstellung anhand von Mittelwerten (arithmetisches Mittel) gewählt. Ausgewählt wurden ausschließlich branchenführende Großunternehmen,8 weil diese die Sozialbilanzentwicklung maßgeblich bestimmt haben. Die Auswahl fiel auf Unternehmen, die im Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis (BASF, Bertelsmann, Deutsche Shell; später Bayer, Degussa und Rheinbraun) und im nachfolgenden Arbeitskreis Mitarbeiterbefragung (Esso, Karstadt) aktiv waren. Darüber hinaus wurden Unternehmen ausgesucht, die z.T. Sozialbilanzen veröffentlichten, sich in den 1970er Jahren am Diskurs um unternehmerische Verantwortung beteiligten oder als branchenführend zu kategorisieren sind (Deutsche Bank, Dresdner Bank, BMW, Daimler, Opel, VW). Anhang I in der vorliegenden Arbeit zeigt eine Liste weiterer sozialbilanzierender Unternehmen der 1970er und 1980er Jahre.9 Bei der Bewertung der Anteile von sozial- oder umweltbezogenen Berichtsteilen in Geschäftsberichten wurde keine Rücksicht auf die inhaltliche Differenzierung der Berichterstattung genommen. Sie wurde allein dem Umfang nach erfasst. Im sozialen Bereich wurden sowohl Berichtsteile über soziale Leistungen an Mitarbeiter ermittelt, unabhängig davon, ob sie freiwillig geleistet wurden oder gesetzlich beziehungsweise tariflich vorgeschrieben waren, sowie karitative Leistungen. Umweltbezogene Berichterstattung umfasst das Berichten über Maßnahmen zum Umweltschutz im Produktionsprozess, infolge des Produktionsprozesses (z. B. Renaturierungsmaßnahmen), im Gebrauch der Produkte (insbesondere im Automobilsektor) sowie im Dienstleistungsbereich (Einsparung von Papier, Unterstützung von Umweltschutzprojekten etc.). Obwohl das Themenfeld Forschung und Entwicklung in einigen Fällen von den Unternehmen selbst im Bereich soziale Verantwortung oder Umweltschutz verortet wurde, wurde es nicht in die Erhebung aufgenommen, da sich dieser Bereich für die Mehrheit der ausgewerteten Unternehmen auf die genuine Geschäftstätigkeit bezieht. Es wurde nur dann berücksichtigt, wenn in diesem Bereich explizit über Umweltschutz unter den o.g. Kriterien berichtet wurde. Die Auswertung bezieht sich allein auf Geschäftsberichte, da sich eine diachrone Abbildung der Sozialberichterstattung über mehrere Dekaden aufgrund der oft8

Unter Großunternehmen werden hier und im Folgenden Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz über 50 Millionen Euro verstanden.

9

De Senarclens nannte 1981 eine Zahl von über 120 Unternehmen in der Bundesrepublik, die erweiterte Sozialberichte mit Sozialrechnungen, Wertschöpfungsrechnungen, Angaben zum Umweltschutz und/oder philanthropischen Leistungen veröffentlichten. Diese Zahl konnte allerdings nicht verifziert werden. Vgl. de Senarclens 1981, S. 6-7.

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mals größeren Zeitabstände zwischen den Publikationen nicht sinnvoll leisten lässt. Allerdings lässt sich beobachten, dass die Veröffentlichung von Sozialberichten respektive -bilanzen zum Teil positiv korreliert ist mit einer erhöhten Sozialberichterstattung in Geschäftsberichten.10 Mit Beginn der externen Publikation von Corporate-Social-Responsibility-Reports und Nachhaltigkeitsberichten am Ende des 20. Jahrhunderts nahm der Anteil jedoch insgesamt ab. Über Soziales (vgl. Abb. 11) und Umwelt wird in Geschäftsberichten nur noch rudimentär berichtet und oftmals auf externe Publikationen verwiesen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verstärkt sich die integrierte Berichterstattung allmählich wieder, wobei sich auch die Formen der Berichterstattung durch das Internet vollkommen verändert haben.11 Für die Branchen ergibt sich im Bereich der Berichterstattung über soziale Leistungen kein einheitliches Bild. Betrachtet man die chemische Industrie, so lag die gesellschaftsbezogene Berichterstattung bei Bayer in den 1950er Jahren bei rund sieben Prozent und schwankte in den nachfolgenden Dekaden zwischen durchschnittlich 2,6 und 3,7 vH. Bei BASF und Degussa dagegen nimmt sie von den 1950er Jahren zur Jahrtausendwende kontinuierlich ab: von 10,6 auf 2,5 vH bei der BASF und 11,5 auf 1,9 vH bei Degussa (vgl. Abb. 12).12

10 Dies ist beispielsweise bei Degussa und Rheinbraun zu beobachten sowie bei Bertelsmann für das Jahr 1977. 11 Vgl. Kapitel 8.2. 12 Quellen für diese und die nachfolgenden Abbildungen in Kapitel 6: Geschäftsberichte BASF (1952-2000), Bayer (1952-2000), Bertelsmann (1971-2000), BMW (1950-2000), Daimler (1951-2000), Degussa (1952-2000), Deutsche Bank (1952-2000), Dresdner Bank (1957-2000), Esso (1952-1999), Karstadt (1952-2000), Opel (1950-2000), Rheinbraun (1952-2000), Deutsche Shell (1952-1999), VW (1951-2000). Für die Deutsche Bank wurden für die Jahre von 1952 bis 1956 Mittelwerte für die Sozialberichterstattung der Süddeutschen, Norddeutschen und der Rheinisch-Westfälischen Bank/Deutsche Bank West gebildet.

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Abbildung 11: Sozialberichterstattung in Geschäftsberichten (1952-2000) % 10

5

0 1952

1962

1972

1982

1992

Branchenunabhängige Mittelwerte der sozialbezogenen Berichterstattung deutscher Unternehmen in Geschäftsberichten (ohne Umweltberichterstattung).

Abbildung 12: Sozialberichterstattung in der chemischen Industrie (1952-1999) %

BASF

Bayer

Degussa

14 12 10 8 6 4 2 0 1950-1959 1952-1959

1960-1969 1960-1969

1970-1979 1970-1979

1980-1989 1980-1989

1990-1999 1990-1999

!

Langjährige Mittelwerte der Anteile sozialbezogener Berichterstattung in Geschäftsberichten ohne Umweltberichterstattung.

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Im Handels- und Dienstleistungsbereich ist das Ergebnis ebenso heterogen, allerdings lässt sich feststellen, dass sowohl die Deutsche als auch die Dresdner Bank insgesamt relativ wenig über soziale Aktivitäten berichten. Bei der Deutschen Bank liegt der Höchstwert in den siebziger Jahren bei durchschnittlich 5,3 vH – gegenüber 0,9 vH in den 1960er und 3,3 vH in den 1980er Jahren – und die Geschäftsberichte der Dresdner Bank weisen zwischen 1970 und 2000 dauerhaft einen geringen gesellschaftsbezogenen Anteil auf: zwischen 2,1 vH in den 1970er und 2,7 vH in den 1990er Jahren. Dieser war auch schon in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts sehr niedrig. Hier schwankte die Sozialberichterstattung der Deutschen Bank zwischen 0,7 vH in der ersten Dekade und 1,4 vH in den 1930er Jahren. Sie stieg allerdings zwischen 1940 und 1944 auf durchschnittlich 3,6 vH (Höchstwert 1942: 7,5 vH) an. Ähnliches gilt für die Dresdner Bank, die zwischen 1911 und 1935 Durchschnittswerte zwischen 0,6 und 1,3 vH erreicht, zwischen 1936 und 1941 aber eine deutlich aktivere Sozialberichterstattung aufweist – 1936 waren es 6,0 vH, bis 1938 steigt der Anteil auf 10,7 vH und fällt 1939 auf 3,2 vH. Degussa beginnt ebenfalls in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre über soziale Leistungen zu berichten, während dies in der ersten Hälfte der Dekade überhaupt nicht geschah. Der Berichtsanteil lag zwischen 1935 und 1939 bei durchschnittlich 6,3 vH. An der Berichterstattung dieser drei Beispiele lässt sich also durchaus das Drängen der DAF zur politisch erwünschten Berichterstattung ablesen.13 Bei Karstadt liegen die Mittelwerte in den untersuchten Jahrzehnten stets über sechs Prozent, in den 1970er Jahren sogar über zehn Prozent. Bertelsmann veröffentlichte erst mit Gründung der AG 1971 überhaupt Geschäftsberichte. Der Anteil der sozialbezogenen Berichterstattung stieg dort von 7,6 vH in den 1970er auf 9,7 vH in den 1980er Jahren und fiel in den 1990er Jahren auf 2,4 vH ab. Einschränkend muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass Bertelsmann Ende der 1970er Jahre begann, seine Sozialbilanzen in den Geschäftsbericht zu integrieren und sie Ende der 1980er Jahre wieder als Einzelpublikationen für die Mitarbeiter veröffentlichte. In den aktivsten Jahren des AKSBP lag die Sozialberichterstattung in Geschäftsberichten bei Bertelsmann zwischen 20,1 vH (1977)14 und 14 vH (1980) und wurde in den 1980er Jahren wieder reduziert (vgl. Abb. 13).

13 Geschäftsberichte Deutsche Bank 1900-1944; Dresdner Bank 1911-1941; vgl. Kapitel 1.3. 14 Für das Jahr 1977 veröffentlichte Bertelsmann darüber hinaus auch seine erste Sozialbilanz, die im Gegensatz zu den nachfolgenden Sozialbilanzen unabhängig vom Geschäftsbericht erschien. Vgl. Kapitel 5.1.6.

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Abbildung 13: Sozialberichterstattung von Dienstleistungs-/Handelsunternehmen (1950-1999) Bertelsmann

%

Deutsche Bank

Dresdner Bank

Karstadt

12 10 8 6 4 2 0

1950-1959

1960-1969

1970-1979

1980-1989

1990-1999

Langjährige Mittelwerte der Anteile sozialbezogener Berichterstattung in Geschäftsberichten ohne Umweltberichterstattung

Abbildung 14: Sozialberichterstattung in der Energie-Industrie (1950-1999) %

Esso

Rheinbraun

Shell

14 12 10 8 6 4 2 0 1950-1959

1960-1969

1970-1979

1980-1989

1990-1999

Langjährige Mittelwerte der Anteile sozialbezogener Berichterstattung in Geschäftsberichten ohne Umweltberichterstattung

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Gleiches gilt für Shell als Vertreter des Energiesektors. Das Unternehmen publizierte zwischen 1975 und 1989 Sozialbilanzen, die in den Geschäftsbericht integriert waren, und weist so einen deutlich höheren Sozialberichtsanteil auf als branchengleiche Unternehmen, die dagegen mit größerer Kontinuität über Soziales berichteten. Bei Shell entwickelte sich der Anteil von 2,5 vH in den 1950er Jahren über 1,8 vH in den 1960er Jahren zu 11,6 vH (1970er) und 12,3 vH (1980er) und fiel schließlich in den 1990er Jahren auf 6,8 vH zurück. Rheinbraun dagegen veröffentlichte Berichtsteile über soziale Leistungen im Geschäftsbericht mit einen relativ gleichmäßigen Anteil in den 1950er (7,7 vH), 1970er (8,0 vH) und 1980er Jahren (7,8 vH). Lediglich in den 1960er Jahren (4,5 vH) und in den 1990er Jahren (6,8 vH) war der Anteil geringer. Bei Esso war der Anteil entgegen des beobachtbaren Trends aller anderen Unternehmen – unabhängig von der Branche – in den 1990er Jahren am höchsten mit durchschnittlich 7,7 vH, gefolgt von den 1950er Jahren mit 6,1 vH. In den relativ schwachen siebziger Jahren (4,9 vH) lag der Anteil einmal – im Jahr 1978 – über zehn Prozent. Dieser herausstechende Wert ist ein weiterer Indikator für den starken Trend zur Sozialberichterstattung Ende der 1970er Jahre, der nicht zuletzt durch die Veröffentlichung der AKSBP-Empfehlung 1977 hervorgerufen wurde (vgl. Abb. 14). Abbildung 15: Sozialberichterstattung in der Automobilindustrie (1950-1999) %

BMW

Daimler-Benz

Opel

Volkswagen

18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1950-1959

1960-1969

1970-1979

1980-1989

1990-1999

Langjährige Mittelwerte der Anteile sozialbezogener Berichterstattung in Geschäftsberichten ohne Umweltberichterstattung

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Im Automobilbereich nahm die gesellschaftsbezogene Berichterstattung bei Daimler und VW seit Mitte der 1950er Jahre kontinuierlich ab: Lag der Durchschnittswert bei Daimler für die 1950er Jahre bei 15,8 vH, so sank er in den 1990er Jahren auf 3,7 vH; und bei VW von 11,2 vH in den 1950er Jahren auf 4,1 vH in den 1990er Jahren. BMW und Opel dagegen wiesen vor allem in den 1970er und 1980 Jahren eine aktivere Sozialberichterstattung in Geschäftsberichten auf: zwischen 8,0 vH und 8,5 vH bei BMW und 12,7 vH und 12,3 vH bei Opel (vgl. Abb. 15). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Sozialberichterstattung in der chemischen Industrie in den Geschäftsberichten seit den fünfziger Jahren quantitativ kontinuierlich abgenommen hat, während sie im Dienstleistungsbereich und im Energiesektor in den siebziger und achtziger Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Ein ganz anderes Bild dagegen zeichnet die Umweltberichterstattung in den Geschäftsberichten dieser Unternehmen. Hier zeigen sich klare Bezüge zur jeweiligen Branche (vgl. Abb. 16). Allerdings finden sich die ersten Berichte mit Bezug zum Naturschutz überhaupt erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre in den Geschäftsberichten von Rheinbraun, seit Ende der sechziger Jahre auch bei Esso und Shell. Die in den Rheinbraun-Geschäftsberichten erläuterten Maßnahmen beziehen sich im Wesentlichen auf die Rekultivierung von Flächen zur weiteren wirtschaftlichen Nutzung durch die Land- und Forstwirtschaft. Dennoch legte diese Art der Berichterstattung den Grundstein für die spätere Umweltberichterstattung, weil die Natur und Maßnahmen zur Wiederherstellung ihres vormaligen Zustandes als Themen in die Berichterstattung einbezogen wurden. Der Durchschnitt der Umweltberichterstattung liegt bei Shell und Rheinbraun insgesamt deutlich über jenem der anderen betrachteten Unternehmen, allerdings mit großen zeitlichen Unterschieden. Während Rheinbraun vor allem in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in vergleichsweise großem Umfang berichtet – die Werte schwanken zwischen 10,2 vH (1976) und 14,8 vH (1978) – berichtete Shell erst in den 1990er Jahren – trotz integrierter Sozialbilanz in den siebziger Jahren – in ähnlichem Umfang: 1992 waren es 14,6 vH, im Jahr darauf 12,5 vH; 1996 sank der Anteil der Berichterstattung leicht auf 10,4 vH. Auch Esso berichtete in den neunziger Jahren mehr über Umweltthemen als in den Dekaden zuvor (vgl. Abb. 17). Die Ölindustrie sah sich in den neunziger Jahren mit erhöhter Aufmerksamkeit konfrontiert: Umweltschutz hatte insgesamt als Thema an Bedeutung gewonnen. Im Fokus dieser Aufmerksamkeit war es seit den späten achtziger Jahren immer wieder zu schweren Ölkatastrophen gekommen, eine der prominentesten wurde 1989 die Havarie des Tankers Exxon Valdez. Auch die von Greenpeace lancierte Medienaufmerksamkeit für den Fall der Brent Spar-Plattform 1995 rückte Shell und die gesamte Ölbranche in ein schlechtes Licht.15

15 Vgl. Radkau 2011, S. 493; Wöbse 2004; Kapitel 8.

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Abbildung 16: Umweltberichterstattung in Geschäftsberichten (1955-1999) %

Chemie

Dienstleistungen

Energie

Automobil

7 6 5 4 3 2 1 0 1955-59 1960-64 1965-69 1970-74 1975-79 1980-84 1985-89 1990-94 1995-99

Mittelwerte der Umweltberichterstattung deutscher Unternehmen in Geschäftsberichten – Branchenvergleich

Abbildung 17: Umweltberichterstattung in der Energie-Industrie (1955-1999) %

Esso

Rheinbraun

Shell

12 10 8 6 4 2 0 1955-59 1960-64 1965-69 1970-1974 1975-79 1980-84 1985-89 1990-94 1995-99

Langjährige Mittelwerte der Anteile von Umweltberichterstattung in Geschäftsberichten

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Im Handels- und Dienstleistungsbereich gab es kaum nennenswerte Berichtsaktivitäten bis zum Ende der 1990er Jahre, lediglich Karstadt ging seit Beginn der 1990er Jahre in seinen Geschäftsberichten auf umweltbezogene Fragen ein. In der Chemiebranche begannen Bayer und BASF zu Beginn der 1970er Jahre, ihre Berichterstattung um umweltpolitische Aspekte zu ergänzen. Der Anteil erhöhte sich in den achtziger Jahren bis etwa Mitte der neunziger Jahre, wobei sich der Trend bei BASF deutlicher als bei Bayer abzeichnete. Insgesamt waren die Anteile an der Gesamtberichterstattung jedoch nicht allzu hoch: Die Durchschnittswerte lagen bei BASF in den achtziger Jahren bei 2,1 vH und bei Bayer bei 1,8 vH; in den neunziger Jahren jeweils bei 2,9 vH – der Höchstwert bei der BASF lag 1990 bei 5,6 vH und bei Bayer 1991 bei 4,4 vH. Degussa begann 1974 mit der Umweltberichterstattung und widmete dem Thema Umwelt einen relativ großen Teil des Geschäftsberichts von 1978 (12,8 vH). In den achtziger Jahren berichtete die Degussa in ähnlichem Umfang wie Bayer, in den neunziger Jahren ging die Umweltberichterstattung dann deutlich zurück. Abbildung 18: Umweltberichterstattung in der chemischen Industrie (1970-1999) BASF

Bayer

Degussa

% 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 1970-1974

1975-79

1980-84

1985-89

1990-94

1995-99

Langjährige Mittelwerte der Anteile von Umweltberichterstattung in Geschäftsberichten

In den Geschäftsberichten der Unternehmen aus der Automobilindustrie wurde auffallend wenig über Umweltthemen berichtet. BMW und VW berichteten verstärkt in den 1980er Jahren, allerdings mit einem immer noch geringen Anteil: Bei BMW machten Umweltthemen rund zwei Prozent der Berichte aus, bei VW waren es 1,8 vH. Höchstwerte erreichte BMW 1984 mit 4,1 vH und 1988 mit 4,4 vH. Bei

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VW waren es 1989 immerhin 14,3 vH, die aber in deutlichem Kontrast zu den Jahren vorher und nachher standen. Opel und Daimler konzentrierten sich in den 1990er Jahren mehr auf Umweltthemen, auch hier mit einem vergleichsweise kleinen Anteil an der Gesamtberichterstattung: Er lag bei durchschnittlich 1,9 vH für Daimler – mit einem 1994 erreichten Höchstwert von 3,5 vH – sowie bei 2,6 vH für Opel – mit einem Höchstwert von 10,75 vH für 1992 (vgl. Abb. 19). Abbildung 19: Umweltberichterstattung in der Automobilindustrie (1970-1999) %

BMW

Daimler-Benz

Opel

Volkswagen

4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 1970-1974

1975-79

1980-84

1985-89

1990-94

1995-99

Langjährige Mittelwerte der Anteile von Umweltberichterstattung in Geschäftsberichten

Trotz dieser geringen Anteile der Umweltberichterstattung in den Geschäftsberichten muss jedoch berücksichtigt werden, dass überhaupt erstmals über Umweltthemen berichtet wurde und darüber hinaus in den achtziger und neunziger Jahren zum ersten Mal auch externe Umweltberichte veröffentlicht wurden, die zum Teil das redaktionelle Material für die Geschäftsberichte lieferten.

7. Eine Idee geht um die Welt Sozialbilanzierung als globales Phänomen

7.1 D IE S CHATTENSEITEN DER W ELTWIRTSCHAFT : S OZIALINDIKATOREN UND V ERHALTENSKODIZES MULTINATIONALE U NTERNEHMEN

FÜR

Die Erweiterung unternehmerischer Berichterstattung um die Auswirkungen unternehmerischen Handelns auf Umwelt und Gesellschaft beschäftigte auch internationale Organisationen. Innerhalb der International Labour Organization (ILO), der OECD und der Vereinten Nationen (UN) befassten sich verschiedene Ausschüsse mit der Entwicklung von Verhaltenskodizes für transnationale respektive multinationale Unternehmen (MNU),1 die eine auf Transparenz zielende Berichterstattung einschließen sollten. Die zunehmend international ausgerichteten Aktivitäten von Großunternehmen wurden seit den 1990er Jahren unter dem Begriff der Globalisierung zur Beschreibung der globalen Verflechtung von Güter-, Kapital-, Arbeitskräfte-, Dienstleistungs- und Informationsströmen verschlagwortet.2 Die Globalisierung zeigte neben Produktionszuwächsen, der Erschließung neuer Märkte und Arbeitskräfte auch die Schattenseiten einer immer dichter vernetzten Wirtschaft auf, von der nicht alle profitierten und die große Unterschiede der Lebens- und Beschäftigungsstandards insbesondere im Nord-Süd-Gefälle verdeutlichte. Zugleich wuchsen

1

Transnationale Unternehmen werden hier verstanden als Unternehmen, die international tätig sind (in mindestens einem anderen als dem Mutterland), während multinationale Unternehmen im engeren Sinne als Unternehmen definiert werden, die ausländische, möglichst autonom agierende Tochtergesellschaften betreiben, die auf den lokalen Arbeitsmarkt zugreifen.

2

Vgl. Abelshauser 2001, S. 510; Altvater/Mahnkopf 2002, S. 63; Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft 2002, S. 52.

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nicht nur in den Industrienationen die Partizipationsansprüche und die Kritik an den bestehenden Verteilungsverhältnissen.3 OECD, ILO und UN begannen in den 1960er Jahren mit Strukturentwicklungsprogrammen auf dieses Ungleichgewicht zu reagieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg rückten zunehmend die Länder der südlichen Hemisphäre als Akteure, die buchstäblich um ihre Eigenständigkeit und Anerkennung kämpften, in den Fokus internationaler Organisationen. Das Konzept von der ›Dritten Welt‹ zur Kategorisierung sozioökonomisch benachteiligter Regionen und Staaten verbreitete sich, dessen Entstehen Daniel Speich Chassé zu einem gewichtigen Anteil dem Aufstieg des Bruttosozialprodukts als Kennziffer zur Wohlstandsmessung zuschreibt.4 Die Kontrolle der Einhaltung grundlegender Menschenrechte, allgemeiner Arbeitsnormen und Sicherheitsstandards sowie der Schutz vor Ausbeutung und Diskriminierung erschienen im Verlauf der 1960er Jahre verstärkt auf der Agenda der ILO und der neu gegründeten OECD. Durch schwankende Rohstoffpreise, politisch instabile Verhältnisse und wirtschaftspolitische Abhängigkeiten von ehemaligen Kolonialmächten profitierten viele der Staaten, die als Rohstofflieferanten der Industrieländer fungierten, nicht von deren wirtschaftlichem Aufschwung in den fünfziger und sechziger Jahren. UN und ILO hofften durch strukturplanerische Politik in den sechziger und siebziger Jahren – insbesondere in ländlichen Gebieten – dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Der Erfolg dieser Förderung und damit die Abschwächung des Nord-Süd-Konflikts sollte zugleich auch den ideologischen Einfluss der Sowjetunion schwächen. Denn der kapitalistische Westen wie der sozialistische Osten warben im Interesse politischen Einflusses und mit Blick auf den Zugang zu den Rohstoffmärkten um die Gunst der ›Neuen Nationen‹ in Asien, Afrika und Südamerika.5 Die Messung des Lebensstandards innerhalb der marktorientierten Volkswirtschaften sowie des wirtschaftlichen und sozialen Erfolges von Entwicklungsprogrammen internationaler Organisationen lag insbesondere im Interesse der westlichen Industrienationen. Würden sich der wirtschaftliche und ideologische Erfolg des Kapitalismus, seine Effizienz und Stabilität auch in sozialen Bereichen wie dem Bildungs- oder Gesundheitswesen belegen lassen, so würde das den Einfluss des sozialistischen Blocks erheblich mindern, so die Hoffnungen.6 3

Vgl. Jolly 2005, S. 17; Murphy/Yates 2009, S. 83; OECD 1974, S. 5; dies. 1982, S. 7; Osterhammel/Petersson 2003.

4

Vgl. Speich Chassé 2013.

5

Vgl. Varsori 2001; Wellhöner 1996, S. 24 u. 63.

6

Vgl. Maul 2007, S. 140-155, 257-266 u. 313-354; Raphael 2012, S. 52; Tanner 2008; Die Erklärung der Menschenrechte erlebte seit 1968 erhöhte politische und mediale Aufmerksamkeit – in nicht unerheblichem Maße aufgrund des wachsenden Einflusses international agierender NGOs wie Amnesty International – und geriet zum Gegenstand der Auseinandersetzungen über moralische Macht im Systemstreit zwischen West und Ost. Ins-

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Die OECD und das Statistische Büro der UN begannen in den 1970er Jahren mit der Entwicklung von Sozialstatistiken, die eine alternative Wohlfahrtsmessung ermöglichen sollten. 1971 setzte das Manpower and Social Affairs Committee der OECD eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung von Sozialindikatoren ein, die mit der List of Social Concerns 1973 erste Ergebnisse veröffentlichte.7 Die Arbeitsgruppe hatte acht grundlegende Kategorien sozialer Interessensgebiete identifiziert, die für alle Mitgliedsländer Gültigkeit besäßen: (1) Gesundheit, (2) Bildung, (3) Beschäftigung und Qualität des Arbeitslebens, (4) Freizeit, (5) Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, (6) Umwelt, (7) persönliche Sicherheit und Justizverwaltung sowie (8) soziale Aufstiegschancen und Partizipationsmöglichkeiten.8 Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren sich bewusst, dass sie mit der Auswahl dieser Kategorien und der entsprechenden Indikatoren bereits eine Wertung vornahmen. Indem diese Kategorien als grundlegend für die Wohlfahrt von Individuen in einem Staat definiert worden waren, wurde ein Mindeststandard für gute Lebensbedingungen postuliert.9 Mit dieser Indikatorenliste unterstrich die OECD ihre Agenda, nicht nur quantitatives Wirtschaftswachstum zu unterstützen, sondern gleichermaßen auf die Qualität dieses Wachstums im Hinblick auf die Lebensbedingungen aller zu achten.10 Die Liste bildete den Auftakt einer Reihe von Publikationen zur Entwicklung immer weiter verfeinerter globaler Sozialindikatoren, die in der 1982 veröffentlichten OECD List of Social Indicators gebündelt wurden. Darin wurde die Verlässlichkeit subjektiver und objektiver Indikatoren analysiert11 und es wurden methodische Richtlinien zur Anwendung von Sozialindikatorensystemen festgelegt, die eine globale Vergleichbarkeit nationaler Daten sicherstellen sollten.12 Die meisten Mitbesondere in den USA übte das Thema Menschenrechte Druck auf die Politik aus – angesichts der Proteste gegen den Vietnamkrieg und der Bürgerrechtsbewegung, die dem global propagierten Selbstverständnis der USA als Verfechter von Demokratie und Freiheit einen bedeutenden Imageschaden zufügten. Vgl. Borstelmann 2012, S. 179-186; Morgan 2010. 7

Vgl. OECD 1973, S. 2; s. a. Belkaoui 1984, S. 237-240; Göllert 1979, S. 164-171; Schmidt 1973, S. 209.

8

Vgl. OECD 1973, S. 14-17; dies. 1976a, S. 17.

9

Vgl. OECD 1973, S. 8.

10 Vgl. ebd., S. 3 u. 8. 11 1972 veranstaltete die Arbeitsgruppe eine Tagung in Paris zum Thema Subjective Elements of Well-Being, an der unter anderem auch Ronald Inglehart sowie Wolfgang Zapf (Deutschland) und Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (Schweiz) teilnahmen. Zapf und Hoffmann-Nowotny bestimmten in den 1970er Jahren maßgeblich den Diskurs über soziale Indikatoren im deutschsprachigen Raum. Vgl. OECD 1974; Kapitel 3.2.3. 12 Vgl. OECD 1974, 1976, 1977 u. 1982. Die Indikatoren sollten Vergleiche über die Zeit und zwischen Nationen gewährleisten können. Darüber hinaus sollte ein geeignetes Maß

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gliedsstaaten hatten Mitte der 1970er Jahre begonnen, soziale Indikatoren zur Wohlfahrtsmessung und zum sozialen Wandel unter dem Aspekt der Quality of Life einzusetzen. Die Arbeitsgruppe der OECD betrachtete es als ihren besonderen Verdienst, mittels des Projektes Entwicklungen auf nationaler Ebene zur Erhebung sozialer Daten angestoßen und begleitet zu haben.13 Die chilenische Regierung unter Präsident Allende verfolgte sogar die Idee einer kybernetischen, technokratischen Steuerung der Volkswirtschaft durch umfangreiche Datenerhebung. Sie war es auch, die im Zuge der Verstaatlichungsbestrebungen in der Kupferindustrie gegen nordamerikanische Unternehmen vorging und 1972 den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (Economic and Social Counsil, ECOSOC)14 aufforderte, den Einfluss transnationaler Unternehmen auf die Weltwirtschaft und insbesondere auf Entwicklungsländer zu untersuchen.15 Durch die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD)16 wurde daraufhin eine Kommission eingerichtet, die sich mit dem Problem der transnationalen Unternehmen befassen sollte. 1975 nahm diese Kommission, die dem United Nations Centre on Transnational Corporations (UNCTC) unterstellt wurde, ihre Arbeit auf. Ziel war es unter anderem, ein umfangreiches Informationssystem zu etablieren, mit dessen Hilfe Daten von Unternehmen gesammelt und ausgewertet werden können, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen unternehmerischer Aktivitäten zu analysieren.17 Infolge dieser Entwicklungen beschäftigten sich die OECD und die ILO mit dem Einfluss der MNU. Internationale Gewerkschaftsvertreter forderten auf einer Tagung der ILO im Herbst 1972 die Entwicklung eines Verhaltenskodexes für international agierende Unternehmen. Zwar blockierte die Arbeitgeberseite eine Entzwischen aussagekräftigeren aggregierten Daten und exakteren disaggregierten Daten gefunden und außerdem berücksichtigt werden, dass ein und derselbe Indikator in Bezug auf verschiedene soziale Interessen sowohl negative als auch positive Entwicklungen abbilden kann. 13 Über die OECD-Staaten hinaus setzten auch Brasilien, Indonesien, Israel, Kenia, Kolumbien, Malaysia, Panama, die Philippinen sowie Trinidad und Tobago soziale Indikatoren zur Wohlfahrtsmessung ein, und Indien bereitete dies Anfang der 1980er Jahre vor. Vgl. Belkaoui 1984, S. 230-239; OECD 1982, S. 7 u.122; Noll 2004. 14 Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen wurde 1945 als komplementäres Gremium zum Sicherheitsrat gebildet und sollte die Verantwortung in internationalen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen tragen. Vgl. Speich Chassé 2013, S. 138. 15 BDA Abt. IX: ILO, Report of the meeting on the relationship between multinational corporations and social policy (Oktober/November 1972), S. 6. Der Militärputsch von 1973 verhinderte letztlich die Umsetzung dieser Steuerungspläne. Vgl. Tanner 2008, S. 389. 16 Die erste UNCTAD wurde 1964 in Genf abgehalten. Vgl. Speich Chassé 2013, S. 209. 17 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (15.051975); vgl. Hummel 2007.

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scheidung hierzu zunächst erfolgreich, dennoch hing die drohende Einführung eines Kodexes wie ein Damoklesschwert über den Unternehmen.18 In Deutschland fand im November 1974 eine Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Bundestag statt, bei der die Erörterung der Tätigkeiten multinationaler Unternehmen, die Sicherstellung von Transparenz und Kontrolle durch nationale Regierungen, EG und UN und des unternehmerischen Einflusses auf das Welthandels- und Währungssystem behandelt wurden. An dem Hearing nahmen auch Vertreter der BASF als Repräsentanten der Unternehmensseite teil. Im Einzelnen ging es unter anderem um Investitionsgründe und -summen, Arbeitnehmerinteressen, Beiträge zur sozioökonomischen Entwicklung der Gastländer, Auswirkungen auf deren Handlungs-, Zahlungs- und Devisenbilanzen, Auswirkungen auf politische Beziehungen sowie Interessenausgleiche zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.19 Die ILO sah in der Internationalisierung unternehmerischer Aktivität insbesondere die Interessen von Arbeitnehmern gefährdet und suchte in den frühen 1970er Jahren nach einem Instrument, das Mindeststandards in den Bereichen der Mitarbeitervertretung, des Arbeits-, Gesundheits- und Jugendschutzes, der Entlohnung, Ausbildung und der Verhinderung jeglicher Diskriminierung gewährleisten kann.20 Die Arbeitsorganisation vergab zunächst branchenbezogene Forschungsaufträge, um die Situation in den Unternehmen und ihre Beziehungen zu ihrer Umwelt zu analysieren und anhand der Forschungsergebnisse über die Entwicklung eines Kodexes zu entscheiden. Die internationale Arbeitgeberorganisation (IOE) rief zur Unterstützung dieser Forschungsbestrebungen auf, um die Debatte um unternehmerische Verantwortung zu versachlichen, und auch die deutsche Arbeitgeberseite begrüßte diese Entscheidung. Der BDA-Gesprächskreis für multinationale Unternehmen – hier fanden sich unter anderem Vertreter der später sozialbilanzierenden Unternehmen BASF, Bayer, Brown, Boveri & Cie., Ford und Philips – kam zu dem Schluss, es sei wichtig, diese Forschungsbestrebungen zu unterstützen, da die Verantwortung für negative soziale Verhältnisse nicht allein pauschal bei den Unternehmen gesucht werden dürfe. Es müsse die Gesamtsituation der Arbeitnehmer, die auch Bürger seien, gesehen und Ursachen für Unzufriedenheit nicht nur in Arbeitsbedingungen,

18 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (22.01.1973). 19 BDA Abt. IX: Deutscher Bundestag, Fragebogen zum Hearing des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (05.07.1974); Stellungnahme der BDA zur Bundestagsanhörung (07.10.1974); Protokoll des Gesprächskreises MNU (30.10.1974); Tätigkeit und entwicklungspolitischer Einfluß deutscher multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern (02.12.1974); BASF Sozialbilanz 1974, S. 41. 20 Vgl. Behrman 2001, S. 53-54; URL: ILO 1977 Tripartite Declaration; URL: ILO Conventions.

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sondern auch mit Blick auf die gesamten Lebensumstände betrachtet werden.21 Unternehmen aus den westlichen Industrienationen mussten sich in Sitzungen der ILO insbesondere dem Systemvergleich mit sozialistischen Unternehmen stellen und Vorwürfen begegnen, sie würden lediglich aus Gründen der Steuerersparnis und mit der Absicht, in den Gastländern Arbeitskraft und Rohstoffe ausbeuten zu wollen, ihre Aktivitäten in Entwicklungsländern verfolgen. Die Einhaltung von international anerkannten Arbeitsstandards würde bislang nicht kontrolliert und hier könne ein Verhaltenskodex Abhilfe schaffen.22 1973 begann die OECD, sich mit dem Einfluss der MNU auf Arbeitsbeziehungen, Wirtschaftswachstum und Investitionsentwicklungen zu beschäftigten und richtete im Januar 1975 das Committee on International Investment and Multinational Enterprises (CIME) ein. Das CIME konsultierte von Beginn an die Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite. Die internationale Arbeitgebervertretung BIAC und das internationale Gewerkschaftsorgan Trade Union Advisory Committee (TUAC) erhielten im Diskussionsprozess um die Einführung von handlungsorientierenden Leitsätzen für multinationale Unternehmen Beratungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten.23 Durch Seminare, Veröffentlichungen und Diskussionsveranstaltungen warben sie für das OECD-Vorhaben, besonders bei Unternehmensleitungen, die vom CIME als kritischer und gewichtiger Faktor bei der Verbreitung potentieller Leitsätze betrachtet wurden. Sowohl die internationale als auch die deutsche Arbeitgeberseite bevorzugte das OECD-Projekt gegenüber jenen der ILO und der UN, weil es auf einen geringeren Regulierungsgrad abzuzielen versprach. Aus diesem Grund sprachen sich die nationalen Arbeitgeberverbände umfassend für das OECD-Konzept aus, das schließlich die Entwicklung von weniger verbindlichen Leitsätzen vorsah, während ILO und UN weiter an der Idee strikterer Verhaltenskodizes festhielten.24 Während die umfassenden Studien und Beratungen der ILO und der UNCTC zu zeitlichen Verzögerungen in der Entwicklung von Kodizes führten, verabschiedete die OECD am 21. Juni 1976 die Guidelines for Multinational Enterprises als Zusatz zur Declaration on International Investment and Multinational Enterprises. Der Nutzen der Leitsätze sollte in einer Förderung der Zusammenarbeit von multinational agierenden Unternehmen und Regierungen sowie in der Information von Mitarbeitern und der Öffentlichkeit über unternehmerische Aktivitäten liegen. Angestrebtes Ziel war die Förderung von Investitionen an den jeweiligen Standorten durch die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für fremde Unternehmen in den Berei21 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (22.02.1973; 25.09.1974). 22 BDA Abt. IX: ILO, Report of the meeting on the relationship between multinational corporations and social policy (Oktober/November 1972). 23 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (15.05.1975). 24 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (15.05.1975, S. 4-8; 29.08.1975); vgl. OECD 1976b.

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chen Produktion, Handel und Technologietransfer. Ausländischen Unternehmen sollten keine Nachteile durch ihren ausländischen Firmensitz bei Investitionsvorhaben entstehen (National Treatment-Klausel). Damit sollten jedoch nicht nur die Rahmenbedingungen für multinationale Unternehmen, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der jeweiligen Investitionsstandorte verbessert werden: Enterprises should [...] in particular, give due consideration to those countries’ aims and priorities with regard to economic and social progress, including industrial and regional development, the protection of the environment, the creation of employment opportunities, the promotion of innovation and the transfer of technology;25

Im Bereich der Beschäftigungspolitik sollten laut der OECD-Leitsätze Mitarbeiterrechte gewahrt, Gewerkschaftsarbeit ermöglicht und gefördert, mindestens die rechtlich garantierten Standards des Gastgeberlandes berücksichtigt und Diskriminierung bei der Einstellung, Entlassung, Bezahlung, Ausbildung und Beförderung unterlassen werden.26 Im Sinne der Arbeitgeberorganisationen war und ist bis heute die Einhaltung der Leitsätze nicht gesetzlich bindend, obwohl 23 der 24 Regierungen der OECD-Mitgliedstaaten27 die Leitsätze annahmen und damit die Absicht verknüpften, sie künftig in ihrer Gesetzgebung zu berücksichtigen. Zugleich appellierte das CIME an Unternehmen, sich auch dann an den OECD-Leitsätzen zu orientieren, sollte der nationale gesetzliche Rahmen geringere Anforderungen an sie stellen als die Leitsätze.28 Dieser Appell wurde sowohl vom internationalen Arbeitgeberausschuss BIAC als auch von der BDA in Deutschland unterstützt. Friedrich Dribbusch, Leiter des Personalressorts der BASF, nahm als BIAC-Vertreter an den Konsultationen des OECD-Ausschusses teil und unterrichtete die heimischen Arbeitgeberorganisationen und Unternehmen über den Stand der Entwicklungen.29 Neben der BASF gehörte die Deutsche Shell zu den insgesamt fünf deutschen Un-

25 OECD 1976b, S. 13. 26 Vgl. ebd., S. 16-17. 27 Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, USA, Vereinigtes Königreich. Die türkische Regierung enthielt sich. 28 Vgl. OECD 1984, Paragraph 62. 29 BDA Abt. IX: Protokolle des Gesprächskreises MNU (22.01.1973; 31.03.1976; 27.09.1976; 14.02.1977; 05.05.1977; 29.03.1979); Meeting of European multinational corporations, IOE, Genf 26.01.1973; Deutscher Bundestag, Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit (05.07.1974).

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ternehmen, die sich nach deren Verabschiedung zu den Leitsätzen bekannten und in ihrer Sozialberichterstattung der 1970er Jahre auf sie Bezug nahmen.30 Das hohe Engagement der Arbeitgeberseite in der Etablierung der OECD-Leitsätze ergab sich in besonderem Maße aus den weiterhin nicht abgeschlossenen Bestrebungen der ILO und der UNCTC, restriktivere Kodizes zu verabschieden, die eine gesetzliche Bindung der Unternehmen an die Regelungen hätten bedeuten können: In diesem Zusammenhang spielt eine erhebliche Rolle, welche Präjudizierung die wahrscheinlich in Kürze vorliegenden OECD-guidelines für parallele Tätigkeiten anderer internationaler Organisation haben könnten, wobei zu berücksichtigen ist, daß die bisher bekannten Formulierungen der OECD für das sozialpolitische Verhalten der multinationalen Unternehmen von der Unternehmensseite im großen und ganzen als akzeptabel angesehen werden.31

Die frühe Verabschiedung der OECD-Leitsätze nährte zunächst die Hoffnungen, ILO und UNCTC würden ihre Arbeiten unter Umständen ganz einstellen. Als sich abzeichnete, dass dies nicht geschehen würde, zeigte sich zugleich, dass die von der ILO in Auftrag gegebenen Studien arbeitgeberfreundlicher ausfielen als es sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeberverbände erwartet hatten. Im November 1977 verabschiedete die ILO die Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy als Erklärung von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Regierungen. Die Erklärung fasste Einzelempfehlungen der ILO zu einem Grundsatzprogramm zusammen, das bis in die Gegenwart ausgebaut worden ist. Nachfolgende Empfehlungen der Organisation wurden in den Reformen der ILO-Erklärung von 2000 und 2006 berücksichtigt. Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Erklärung im Jahr 2000 durch die Forderung eines ausdrücklichen Verbotes der schlimmsten Formen von Kinderarbeit.32 Nach der Veröffentlichung der ILO-Erklärung, die wie die OECD-Leitsätze auf dem Freiwilligkeitsprinzip beruhte, hoffte die Arbeitgeberseite zunächst darauf, diese würde in den sozialpolitischen Teil des UNCTC-Konzeptes einfließen, und die Vereinten Nationen würden den Plan, einen eigenen Verhaltenskodex zu entwerfen, nicht weiter verfolgen. Gefürchtet wurde insbesondere der Einfluss der 30 BDA Abt. IX: Tätigkeit und entwicklungspolitischer Einfluß deutscher multinationaler Unternehmen in Entwicklungsländern (02.12.1974); Grundsatzerklärung der IAO und OECD-Guidelines (01.09.1977); Multinationale Unternehmen: OECD Guidelines, ILOErklärung, Arbeiten der UN (29.03.1979); vgl. Kapitel 5.1.4 u. 5.1.5. 31 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (31.03.1976), S. 2. 32 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (31.03.1976); Zusammenfassung IAO-Studie (23.03.1976); vgl. Behrman 2001, S. 53-54; URL: ILO 1977 Tripartite Declaration; URL: ILO Conventions.

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Entwicklungsländer im UN-Ausschuss, der zu einer Gestaltung des Kodexes gegen die Unternehmensinteressen führen könne.33 IOE und in Deutschland die BDA appellierten angesichts des drohenden UN-Kodexes und der für 1979 angesetzten ersten Überprüfung der OECD-Leitsätze und ihrer Umsetzung in Unternehmen, unbedingt die OECD-Leitsätze umzusetzen und in Unternehmenspublikationen wie Geschäfts- und Sozialberichten darauf explizit hinzuweisen. So sollte der gewerkschaftlichen Seite die Gelegenheit zur Kritik an der Nichtbeachtung der Leitsätze und zur Forcierung der UNCTC-Bestrebungen genommen werden.34 Die UNCTC verfolgte ihr Projekt jedoch weiter. 1980 verabschiedete die UNHauptversammlung den Code on Restrictive Business Practices (offiziell unter dem Titel United Nations Set of Principles and Rules on Competition), der zur Kontrolle transnationaler Unternehmen beitragen sollte, wenn diese speziell in Entwicklungsländern – beispielsweise durch Preis- und Angebotsabsprachen oder die Förderung von Arbeitskämpfen – Marktmechanismen außer Kraft setzten und negativen Einfluss auf die heimische Wirtschaft hätten.35 Letztlich bezog sich der Kodex nicht ausschließlich auf transnational operierende Unternehmen. Die Interessen hinsichtlich der Verbindlichkeit des Kodex waren klar verteilt: während die Industriestaaten ihn lediglich auf freiwilliger Basis umgesetzt sehen wollten, forderten Entwicklungsländer seine Verbindlichkeit. Zwar ging der Kodex nicht über nationales Recht in den USA und europäisches Recht innerhalb der EWG hinaus, diese Rechtsstandards galten aber nicht für europäische oder US-amerikanische Firmen, die im Ausland tätig wurden. Für die Regierungen der Industriestaaten lag der Wert des Kodexes darin, Lohndumping und den Verlust von Spitzentechnologie durch Abwanderung von Unternehmen sowie die Flucht vor strengen Umweltgesetzen zu unterbinden; für die beteiligten Unternehmen in der Regelung von Entschädigungsansprüchen bei Verstaatlichungen; für die Regierungen von Entwicklungsländern hätte ein strikter, verbindlicher Code Möglichkeiten zur Durchsetzung von Menschen- und Arbeitsrechten (Arbeitsschutz, Mitarbeitervertretung), Umweltschutzstandards, Besteuerungsabkommen, Regelungen zu Technologietransfers oder Konsumentenrechten schaffen können. Die kommunistischen Staaten schlossen sich der Forderung der Entwicklungsländer an, sahen jedoch eine Ausnahme für Staatsunternehmen vor und vertraten damit ihre eigenen Interessen. Letztlich blieb der Kodex eine Empfehlung ohne Durchsetzungs- oder Sanktionsmechanismen, besaß aber als UNEmpfehlung durchaus auf symbolischer Ebene Autorität. Hier lag jedoch zugleich die Gefahr des Kodexes, nämlich restriktive Gesetze auf nationaler Ebene zu ver-

33 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (27.09.1976; 08.12.1976; 14.02.1977; 05.05.1977; 20.08.1977; 24.08.1978). 34 BDA Abt. IX: Protokoll des Gesprächskreises MNU (01.09.1977). 35 Vgl. Biedermann 2007, S. 17; URL: UNCTAD, Set of Principles 2000.

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hindern statt sie zu befördern.36 1990 folgte nach weiterer Arbeit des UNCTC der UN Code of Conduct on Transnational Corporations, der die im Code on Restrictive Business Practices erfassten Verhaltensempfehlungen für Unternehmen detaillierter ausführte. Im Unterschied zum Code von 1980 wird hier explizit darauf hingewiesen, dass eine Zusammenarbeit transnationaler Unternehmen mit dem südafrikanischen Apartheidsregime von den Vereinten Nationen nicht erwünscht ist. Darüber hinaus nimmt der Kodex Bezug auf die ILO-Erklärung über international tätige Unternehmen.37 Letztlich hatten die Kodizes zu diesem Zeitpunkt nicht die gewünschte Reichweite, um tatsächlich Einfluss auf das Verhalten transnational agierender Unternehmen zu nehmen. Die internationale Aufmerksamkeit richtete sich erst wieder Ende der neunziger Jahre mit dem Engagement des damaligen UNGeneralsekretärs Kofi Annan auf die Rolle der Vereinten Nationen im Bereich der umfassenden unternehmerischen Verantwortung. Die Ideen der Kodizes fanden ihren Niederschlag im Konzept des Global Compact, den die Vereinten Nationen im Juli 2000 verabschiedeten.38 Eines der zentralen Anliegen der UNCTC war die Entwicklung eines Verhaltenskodexes für transnationale Unternehmen, der Standards für die Berichterstattung einschließt: Transnational corporations should make available to the public in the countries in which they operate clear, full and comprehensible information designed to improve understanding of the structure, activities, and policies of the transnational corporation as a whole. The information should include financial as well as non-financial items and should be made available on a regular annual basis [...].39

Allerdings waren die Anforderungen an die Berichterstattung – vor allem außerhalb der finanzbezogenen Inhalte – relativ gering. Im Bereich der Beschäftigung umfassten die Minimalanforderungen an die Berichterstattung Informationen über die Beschäftigtenzahlen, eventuell aufgeschlüsselt nach Produktionssparten und -standorten. Selbst Mitte der 1980er Jahre gab es innerhalb der Arbeitsgruppe der UNCTCAccounting-Experten keine Einigkeit darüber, ob multinationale Unternehmen sich in der Umweltberichterstattung nur auf internationale Standards und auf je nach Standort vorherrschende gesetzliche Anforderungen im Umweltschutz beziehen sollten, oder ob nicht selbstgesetzte Standards im Mutterkonzern, die an allen Standorten rezipiert würden, eine höhere Chance auf Umsetzung hätten.40 36 Vgl. Behrman 2001, S. 52-53; Benson 1981. 37 Vgl. URL: UN Code of Conduct on Transnational Corporations. 38 Vgl. Jolly et al. 2005, S. 43; Rieth 2009, S. 121 u. 170-172; siehe Kapitel 8.2. 39 UNCTC 1980, Annex III, S. 1. 40 Vgl. UNCTC 1984, S. 34-36.

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Auch die OECD bemühte sich um die Festlegung von Berichtsstandards. Die 1978 gegründete OECD Working Group on Accounting Standards versuchte, Standards zur Rechnungslegung für OECD-Mitgliedsstaaten zu definieren, um für die Durchsetzung der OECD-Leitsätze zumindest im Bereich der wichtigsten Unternehmensdaten Vergleichbarkeit für die Unternehmensberichterstattung zu gewährleisten. Hierunter fiel die Empfehlung einer jährlichen Berichterstattung, einer Veröffentlichung von Informationen über Umsätze, Investitionen, Unternehmensstruktur, Standortpolitik und Mitarbeiterzahlen. Maßgebend blieben jedoch nationale Regelungen zur finanziellen Berichterstattung.41 1979 fand die bei der Verabschiedung beschlossene erste Überprüfung der OECD-Leitsätze unter Einbeziehung von BIAC und TUAC statt. Einhergehend mit der Überprüfung der Umsetzung der Leitsätze sollte auch die Berichterstattung über deren Umsetzung geprüft werden. Insgesamt beurteilte der Ministerrat der OECD den Umsetzungsgrad angesichts des kurzen Zeitraumes von drei Jahren als zufriedenstellend, und es wurden keine grundlegenden Änderungen der Leitsätze beschlossen. In Deutschland rief die BDA Unternehmen dazu auf, die Leitsätze ernst zu nehmen und ihre Umsetzung zu verfolgen, da der Druck seitens der Gewerkschaften und der Kapitalismuskritiker nicht nachlasse, restriktivere Formulierungen der Leitsätze und weiterer Kodizes durchzusetzen.42 Um die Umsetzung der Leitsätze weiterhin zu unterstützen, wurden 1979 Nationale Kontaktstellen (NKS) – an den jeweiligen Wirtschaftsministerien der beteiligten Staaten – als Ansprechpartner für Unternehmen, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter eingerichtet. Sie dienten zugleich als Beschwerdestellen und Vermittlungsinstanzen, wenn Unternehmen, die sich zuvor explizit zu ihnen bekannt hatten, gegen die Leitsätze verstießen. Die NKS existieren auch gegenwärtig noch und können zwischen Beschwerdepartei und Unternehmen vermitteln, sofern nicht ohnehin Verstöße gegen nationales Recht vorliegen. Zu Beginn der 1980er Jahre lagen etwa 25 Beschwerden über Verstöße gegen die Leitsätze vor, danach nahm die Zahl aufgrund der zunehmenden gesetzlichen Regulierungen in den Bereichen Beschäftigung und Umwelt innerhalb der OECD-Mitgliedstaaten deutlich ab. Oftmals werden diese Beschwerden – meist von NGOs oder Gewerkschaften vorgetragen – nicht veröffentlicht; die Interpretationsspielräume für Verstöße gegen die Leitsätze liegen im Ermessen der jeweiligen Regierung.43 Gerade die in den Leitsätzen festgelegten Informationspflichten wurden nicht konsequent umgesetzt. Schon in den ersten Jahren nach Einführung der Leitsätze offenbarte sich die Banken- und Versicherungsbranche als besonders wider41 Vgl. OECD 1980; dies. 1984, Paragraph 59-63. 42 BDA Abt. IX: OECD Arbeitsunterlagen für die Ministerratstagung am 13./14.06.1979; Protokoll Gesprächskreis MNU (29.03.1979; 20.08.1979); BIAC-Stellungnahme zur Überprüfung der OECD-Erklärung (16.07.1979). 43 Vgl. Behrman 2001, S. 55; OECD 1984; Rieth 2009, S. 121-168.

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ständig gegen die Informationspflichten, die mit den OECD-Leitsätzen verbunden waren.44 Hohe Sensibilität zeigten Unternehmen hinsichtlich der geforderten Informationen über operative Gewinne, Investitionsstandorte, Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie Rechnungslegungspraktiken. Gerade letzteres sollte grundlegend für mehr Transparenz in der Berichterstattung sorgen und die nationalen Differenzen klar herausstellen.45 Insgesamt sorgten die Universalität der Leitsätze, die Ausrichtung an der je nationalen Gesetzgebung und die Verankerung der Kontrollfunktion bei staatlichen Stellen letztlich für ein geringes Interesse von Unternehmen an den Leitsätzen, weil deren Einhaltung damit kaum zu einer PR-wirksamen Demonstration genügte.46 OECD-Leitsätze, UN-Code und ILO-Erklärung beeinflussten sich gegenseitig. Die Organisationen versuchten mit diesen Instrumenten auf das Verantwortungsbewusstsein multinationaler Konzerne Einfluss zu nehmen, um gemeinwohlorientierte Ziele, eine gerechte Verteilung von Gütern und ein breites Wohlstandsniveau neben wirtschaftlichem Wachstum zu befördern. Für die Durchsetzung gegenwärtiger CSR-Standards nehmen alle drei Instrumente mit ihren zum Teil differierenden Schwerpunkten heute explizit Bezug aufeinander und verstehen sich als komplementäre, kombinationsfähige Instrumente. So berücksichtigt die ILO-Erklärung Arbeitnehmerrechte und vernachlässigt die Bereiche Umwelt und Korruption, während die OECD-Leitsätze Verbraucherinteressen, Wettbewerb und Besteuerung stärker einbeziehen.47 Die Anti-Korruptions-Politik wurde 1997 nach zahlreichen, international bekannt gewordenen Bestechungsskandalen, in die Unternehmen verwickelt waren, vom OECD-Komitee in die Leitsätze aufgenommen. 1999 initiierte der US-amerikanische Vizepräsident Al Gore das erste Global Forum on Fighting Corruption in Washington, das seitdem alle zwei Jahre stattfindet. 2004 wurde die Bekämpfung von Korruption als zehntes Prinzip des Global Compact statuiert.48 Parallel zur Entwicklung der Verhaltenskodizes, Leitsätze und Standards für eine erweiterte, gesellschaftsbezogene Berichterstattung erhielt auch die komplementäre Erarbeitung von Sozialindikatoren weitere Impulse. Das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften (SAEG) orientierte sich an den von der OECD und den Vereinten Nationen begonnenen Arbeiten und beschloss im Januar 1974 ein eigenes Aktionsprogramm zur Entwicklung sozialer Indikatoren mit dem Ziel einer Harmonisierung der verschiedenen nationalen Standards in der Sozial-, Umweltund Wirtschaftsgesetzgebung zur gleichzeitigen Verbesserung der Lebensstandards 44 Vgl. OECD 1984, Paragraph 36 u. 61. 45 Vgl. OECD 1976b, S. 14-15. 46 Vgl. Rieth 2009, S. 121-168. 47 Vgl. OECD 1984, Paragraph 45 u. 46; URL: OECD-ILO-Konferenz 2008; Rieth 2009, S. 121. 48 Vgl. Behrman 2001, S. 57-62.

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innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Im Bereich der Sozialpolitik sollten diese Indikatoren die amtliche Statistik um Daten in den Bereichen Demographie, Gesundheit, Sozialschutz, Bildung, Erwerbstätigkeit, Arbeitskosten und Verteilung von Löhnen und Gehältern, Qualität des Arbeitslebens, Freizeit, Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen sowie Umwelt und Wohnen weiter ergänzen. Dazu wurde nach objektiven und subjektiven Indikatoren gesucht. Im Sommer 1977 fanden Meinungsumfragen als erste Stichproben zur Ermittlung geeigneter Indikatoren im Bereich Wohnen und Gesundheit statt, im Herbst 1978 im Bereich Arbeitsleben. In diesen Befragungen mit je 2000 Teilnehmern in den einzelnen EG-Mitgliedsstaaten konzentrierten sich die Fragen im Bereich Wohnen auf Eigentumsverhältnisse, Wohnungsgrößen, Wohnungs- und Haushaltsausstattungen sowie Beeinträchtigungen der Wohnqualität (Umwelteinflüsse, Kriminalität). Im Bereich des Arbeitslebens standen unter anderem der individuelle Berufsweg der Befragten, Aufstiegschancen, Arbeitsbedingungen, Berufskrankheiten, Gewerkschaftseinflüsse und Arbeitsplatzsicherheit im Fokus der Befragungen.49 Wegen der Nachfrage nach umfangreichem Datenmaterial, das auch in Tochter- und Beteiligungsunternehmen multinationaler Unternehmen erhoben werden sollte, und dem damit einhergehenden Arbeitsaufwand stießen die Pläne des SAEG auf der deutschen Arbeitgeberseite auf deutliche Kritik und provozierten erhöhte Aktivitäten der europäischen Arbeitgeberverbände, um auf die Politik in Brüssel Einfluss zu nehmen. Dies verhinderte letztlich das Ausgreifen des Sozialindikatorenprogramms über die Mutterkonzerne hinaus.50 Der Versuch internationale Standards für Sozialindikatoren entwerfen zu wollen, unterlag vor allem der Schwierigkeit, Vergleichbarkeit zu gewährleisten, weil sie homogene Prämissen bei der Bewertung sozialer Phänomene voraussetzt.51 Diese Bemühungen um Vergleichbarkeit der Datengrundlagen hatte allerdings durchaus Einfluss auf die Methodendiskussion über die unternehmerische Sozialbilanz. Besonders deutlich zeigte sich dieser Einfluss in Frankreich, wo die Sozialbilanz in den späten 1970er Jahren zum Gegenstand staatlicher Regulierung avancierte und ein einheitliches Erhebungsschema die nationale Vergleichbarkeit der sozialbezogenen Unternehmensaktivitäten gewährleisten sollte. Im Anschluss wird deshalb zunächst ausführlich der Fall der Entwicklung von Sozialbilanzen in Frankreich er49 BDA Abt. IX: Rundschreiben, Statistisches Programm 1971-1976 (13.12.1971); Rundschreiben, Statistische Arbeitskostenerhebung SAEG (29.02.1972); Otto A. Friedrich, Bericht für die EWG-Konferzenz ›Industrie und Gesellschaft in der Gemeinschaft‹ (April 1972); Zweites Memorandum der UNICE zur Sozialpolitik in der EG (21.02.1973); vgl. Stache 1980. 50 BDA Abt. IX: Rundschreiben an die Mitgliedsverbände und den Ausschuss für die Sozialpolitik in der EG (28.01.1977; 14.02.1977). 51 Vgl. Gehrmann 1980, S. 48-49.

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läutert. Darauf folgend wird die globale Ausbreitung von Sozialbilanzen anhand nationaler Beispiele skizziert.

7.2 S TAATLICH VERORDNET : L E B ILAN SOCIAL IN F RANKREICH Die Sudreau-Kommission Ähnlich zur Entwicklung in der Bundesrepublik ist auch in Frankreich das Thema Sozialbilanz zuerst von Arbeitgeberseite forciert worden, vor allem um einer möglichen Intervention durch den Gesetzgeber zuvorzukommen und, als sich eine staatliche Einmischung nicht mehr abwenden ließ, zumindest Einfluss zu nehmen auf die Aktivitäten des Ministère du Travail. Die von Präsident Valéry Giscard d’Estaing am 11. Juli 1974 eingesetzte Expertenkommission Comité d’Etude pour la Reforme de l’Entreprise52 unter der Leitung von Pierre Sudreau53 präsentierte im Februar 1975 ihren Bericht zur Reform des Unternehmensrechtes (Rapport sur la Réforme de l’Entreprise), der unter dem Kurztitel Rapport Sudreau in Frankreich bekannt wurde. Die Reform sollte mithilfe eines Frühwarnsystems in Form quantifizierbarer Indikatoren auch die Informationsbedürfnisse und -rechte des Comité d’Entreprise (CE) – und aller anderen Anspruchsgruppen des Unternehmens von Anteilseignern bis hin zu Konsumentenverbänden und Umweltschutzgruppen – bedienen und verbessern. Durch objektive und präzise, aber im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung bestehende Instrumente sollte der dialogue social als eine »indirekte Außensteuerung [des Unternehmens, SHW], die sich durch wechselseiti52 Die Kommission bestand neben Pierre Sudreau aus drei Unternehmensvertretern, drei Gewerkschaftsvertretern (aus CFDT, CGT-FO und CGC), drei Hochschullehrern aus den Disziplinen Soziologie und Rechtswissenschaften, einem Mitglied des Staatsrates (Claude Lasry) sowie dem Kabinettschef des Arbeitsministeriums François Lagrange als Generalberichterstatter der Kommission. Die kommunistisch geprägte CGT lehnte eine Mitarbeit in der Kommission ab. Vertreter der Gewerkschaft nahmen allerdings an den Kommissionsanhörungen teil, ebenso wie Vertreter der CNPF, des CJD, von Entreprise et Progrès und weiteren arbeitgebernahen Institutionen. Vgl. Sudreau 1975, S. 11; Vogelpoth 1980, S. 110-114; Backmann, Michèle, »Les Bonnes Intentions«, in: L’Unité 145 (14.02.1975), S. 3-4, hier S. 3; Igalens/Peretti 1982, S. 12. 53 Pierre Sudreau (*13.5.1919, † 22.01.2012) war während der Präsidentschaft de Gaulles von 1958 bis 1962 Minister für das Bauwesen unter Premierminister Michel Debré und 1962 Erziehungsminister unter Georges Pompidou. Von 1967 bis 1981 war Sudreau Abgeordneter für das Département Loir-et-Cher. Vgl. Rimbaud 2004, S. 17, 29-93, 121-145, 154, 196-198 u. 212; Béatrice Houchard, »L’ancien minister Pierre Sudreau est mort«, in: Le Figaro (23.01.2012).

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ge Information, Diskussion und Beratung zwischen dem Staat beziehungsweise der Allgemeinheit und den Sozialpartnern vollziehen solle«54, auf den Weg gebracht werden. Idealerweise sollte der Staat nur den Handlungsrahmen definieren, damit dieser von den Sozialpartnern ausgestaltet und der Handlungsspielraum der Unternehmen nicht allzu sehr eingeschränkt würde. Die Kommission schlug vor, der Agence Nationale pour l’Amélioration des Conditions de Travail (ANACT)55 die Entwicklung des Indikatorenkataloges zu übertragen.56 Arbeitsminister Michel Durafour orientierte sich an den Vorschlägen der Sudreau-Kommission und kündigte im April 1976 an, eine zweijährige Experimentierphase der Sozialbilanzierung unter der Ägide der ANACT als Teil eines Fünfzehn-Punkte-Programms zur Unternehmensreform einzuführen, die allerdings im Oktober desselben Jahres von seinem Nachfolger, Christian Beullac, wieder beendet wurde. Nach Ansicht Beullacs würden die bereits erhobenen Daten genug Informationen bieten, um sie als Basis für die Entwicklung eines staatlichen Indikatorenkataloges heranzuziehen.57 Beullac bezog daraufhin Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in die Beratungen über die Sozialbilanz ein und präsentierte den Gesetzesentwurf schließlich am 27. Oktober 1976 dem Ministerrat. Am 12. Juli 1977 wurde das Gesetz zur Sozialbilanz verkündet. Es galt ab 1979 für Unternehmen mit mindestens 750 Beschäftigten58 und ab 1982 für Unternehmen mit mindestens 300 Beschäftigten; 2001 wurde eine weitere Revision des Gesetzes (Nouvelle Régulation Economique, NRE) vorgenommen, das allen börsennotierten Unternehmen vorschrieb, Informationen über sozial- und umweltbezogene Themen im Geschäftsbericht zu veröffentlichen. Frankreich legte damit den EU-weiten Vorstoß zur Ausweitung der unternehmerischen Berichterstattung strenger aus als andere EU-Staaten, die den Unternehmen größere Ermessensspielräume hinsichtlich der 54 Vogelpoth 1980, S. 119. 55 Die ANACT wurde nach dem Erlass vom 27.12.1973 mit Wirkung zum 19.09.1974 eingesetzt und war dem Arbeitsministerium unterstellt. Sie hat die Aufgabe, Informationen über die Verbesserung von Arbeitsbedingungen zu erheben, zu sammeln und weiterzugeben, auch an ausländische oder internationale Institutionen, die Arbeitsunfallforschung zu koordinieren, experimentelle Forschung und deren Umsetzung zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen zu ermutigen oder selbst dazu beizutragen sowie Verbindungen zwischen Institutionen zu schaffen, die sich mit der Verbesserung von Arbeitsbedingungen beschäftigen. Vgl. Chaplain 1997, S. 44-5; Code du Travail 1998, L. 200-5; Igalens/Peretti 1982, S. 12; Sudreau 1975, S. 54 u. 64; Vogelpoth 1980, S. 126. 56 Vgl. Chaplain 1997, S. 44 u. 52; Schredelseker 1981, S. 327-328; Sudreau 1975, S. 5253, 80, 176-181 u. 201; Vogelpoth 1980, S. 109-110, 117-125 u. 272. 57 Vgl. Igalens/Peretti 1982, S. 13-14; Vogelpoth 1980, S. 135-141 u. 275. 58 Von dieser Regelung waren im ersten Jahr etwa 1500 französische Unternehmen betroffen. Vgl. Vogelpoth 1980, S. 205.

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Veröffentlichung dieser Informationen einräumten. Den schnellen Gesetzesvorstoß von 1977 begründet Beullac mit den zu erwartenden positiven Folgen, die eine unternehmerische Sozialbilanzierung für weitere Reformen des Unternehmensrechts habe.59 Am 8. Dezember 1977 wurde in einem Erlass des Landwirtschaftsministeriums unter Pierre Méhaignerie und des Arbeitsministeriums unter Beullac ergänzend zum Gesetz vom 12. Juli die Liste des informations et des indicateurs figurant dans le bilan social festgeschrieben, an der die Sozialbilanzen von privatwirtschaftlichen wie öffentlichen Betrieben ausgerichtet werden sollten.60 Die Verantwortung für die Erstellung der Sozialbilanz oblag allein der Unternehmensführung und sollte von der Personalabteilung im jeweiligen Unternehmen umgesetzt werden, da dieser der Großteil der notwendigen Daten ohnehin bereits vorliege. Methodische Einschränkungen von staatlicher Seite gab es nicht, die Unternehmen sollten in den ersten Jahren eigene Standards entwickeln. Adressaten waren Beschäftigte, Gewerkschaftsvertreter und Anteilseigner, denen der Inhalt der Sozialbilanz entweder direkt, über Geschäftsberichte oder zum Beispiel über die Werkszeitung zugänglich gemacht werden sollte. Aber auch Handelspartner, Kunden, die Presse als Katalysator für eine breite Öffentlichkeit und nicht zuletzt das Arbeitsministerium beschäftigte sich mit den Publikationen. Die Gewerbeaufsicht (l’inspection du travail) erhielt als Kontrollinstanz und Mediator Unternehmenssozialbilanzen und übermittelte diese an das Ministerium, das den Nutzen der gewonnenen Informationen erstens darin sah zu kontrollieren, inwieweit Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Unternehmen angewandt wurden, und zweitens in der Verwertbarkeit für eigene, volkswirtschaftliche Sozialbilanzen.61 Für Unternehmer, die sich nicht an das Gesetz hielten, wurde die Sanktionierung durch eine Geldstrafe von 2000 bis 10.000 Francs und/oder eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten bis zu einem Jahr beschlossen, bei wiederholter Nichtveröffentlichung einer Sozialbilanz erhöhte sich die Summe auf 20.000 Francs.62 Die 59 Vgl. Berthoin Antal/Sobczak 2004, S. 4 u. 10; dies. 2005, S. 80-1; Schredelseker 1981, S. 328-329; Vogelpoth 1980, S. 141 u. 275-6. 60 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, Annex 1, France; Code du Travail 1998, R. 438-1. Der Erlaß wurde am 10.12.1977 im Journal Officiel de la République Française (JO) veröffentlicht. Vgl. Igalens/Peretti 1982, S. 18-21. 61 Vgl. Code du Travail 1998, L. 438-1. UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 7; Chaplain 1997, S. 45-6; Igalens/Peretti 1982, S. 59-63; Körner 1999, S. 74; Vogelpoth 1980, S. 167, 175-180, 194-8, 212 u. 259. 62 Vgl. Igalens/Peretti 1982, S. 43; Schredelseker 1981, S. 335; Vogelpoth 1980, S. 201; 1982 wurde die Geldstrafe erhöht auf 25.000 bzw. 50.000 Francs bei Wiederholung, die Gefängnisstrafe auf ein Jahr bzw. zwei Jahre. Vgl. Code du Travail 1998, L. 483-1 et L. 483-2.

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Sanktionierung der Veröffentlichung unvollständiger Daten wurde allerdings nicht explizit in das Gesetz aufgenommen. Zwar durfte keiner der sieben Paragraphen weggelassen werden, jedoch einzelne Indikatoren. Beullac begründete die unvollständige Kodifizierung der Sozialbilanzerstellung damit, dass die Unternehmensführung die Sozialdaten nicht allein dem CE zugänglich mache, sondern unter anderem auch Gewerkschaftsdelegierten und vor allem den Anteilseignern. Das Risiko einer Imageschädigung sei damit deutlich höher als der Nutzen, der in der Veröffentlichung falscher Daten liege. Zudem sei der Inhalt der Sozialbilanz durch die objektiven, quantitativen Indikatoren leicht nachzuvollziehen. Damit werde jedem die Möglichkeit zur Kontrolle der Daten gegeben, ohne dass eine externe Prüfung durch Wirtschaftsprüfer notwendig sei, wie sie Gewerkschaftsvertreter forderten.63 Die Konzepte der Arbeitgeberorganisationen Dem Sudreau-Bericht und der endgültigen gesetzlichen Regelung zur Sozialbilanzierung gingen Projekte in einzelnen Arbeitgeberorganisationen voraus. Bereits 1973 begann eine Arbeitsgruppe der Vereinigung Entreprise et Progrès64 sich mit sozialen Indikatoren für Unternehmen zu beschäftigen.65 Die zwei Kerninstrumente, um die soziale Verantwortung eines Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern abzubilden, sollten die interne, nur für die Unternehmensführung bestimmte Auflistung sozialer Leistungen als Zahlenwerk (tableau de bord social) – die Sozialbilanz im eng definierten Sinne – und der Sozialbericht (rapport social) sein.66 Igalens, Peretti und Chaplain bewerten die Rolle der eigentlichen Sozialbilanz im Konzept der Arbeitsgruppe als regulatives Instrument der Unternehmensführung, das sich in die Entwicklung einer zunehmenden Dezentralisierung von sozialer Verantwortung einfügte. Der Sozialbericht hingegen wandte sich an ein breiteres Publikum: in erster Linie an die Arbeitnehmer, denen der Sozialbericht als Mittel zur Bewertung der sozialen Lage des Unternehmens dienen sollte.67 Der Zweck der komplementären Maßnahmen lag für Entreprise et Progrès erstens in der Einbeziehung sozialer Ziele in jede Einzelentscheidung innerhalb sowie in Entscheidungen über die Gesamtentwicklung des Unternehmens, zweitens in der 63 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 7; vgl. Igalens/Peretti 1982, S. 17, 3843; Vogelpoth 1980, S. 152-3, 161, 187-8 u. 195. 64 Die Vereinigung Entreprise et Progrès ist 1970 von rund 30 Unternehmern unter der Leitung von François Dalle (Unternehmensleitung von L’Oréal) in Reaktion auf die Streiks im Mai 1968 und die Verhandlungen von Grenelle vom 25. Mai 1968 gegründet worden. Vgl. URL: Entreprise et Progrès – L’histoire; Gilcher-Holtey 1995, S. 328-338 ; Jablon et al. 2009, S. 378. 65 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 2. 66 Vgl. Chaplain 1997, S. 43; Igalens/Peretti 1982, S. 10-11; Vogelpoth 1980, S. 139. 67 Vgl. Chaplain 1997, S. 43; Igalens/Peretti 1982, S. 11.

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Bewertung der Auswirkungen aller bereits getroffenen Entscheidungen und drittens in der Institutionalisierung eines Informationsinstrumentes. Dem Konzept der Arbeitsgruppe folgend, sollte die Sozialbilanz die Themen Mitarbeiterzahlen, Fluktuation, Löhne, Pensionen und Pensionspläne, Sicherheit, Arbeitsbedingungen, Ausbildung, Information, Arbeitsbeziehungen und Fürsorge umfassen. Tatsächlich orientierte sich mindestens ein Unternehmen an dem Vorschlag von Entreprise et Progrès: Das französische Pharmaunternehmen Roussel Uclaf erstellte für die Geschäftsjahre 1976 und 1977 Sozialbilanzen zur internen Information und gehörte nach der gesetzlichen Regelung der Sozialbilanzierung zu den wenigen Unternehmen in Frankreich, die inhaltlich über die festgeschriebenen Indikatoren hinausgingen und Ende der 1970er Jahre – wie auch viele Chemiekonzerne in der Bundesrepublik – über Umweltschutz, ihre Energie- und Gesundheitspolitik sowie Forschung und Entwicklung berichteten.68 Im arbeitgebernahen Centre de Recherche et d’Etudes des Chefs d’entreprise (CRC) – ab 1975 Institut de l’Entreprise (IDEP) – wurde ebenfalls ab 1973 ein umfangreicher Katalog zur Ermittlung der Auswirkungen unternehmerischen Handelns anhand von Indikatoren entworfen. Der Entwurf ging über die 1977 gesetzlich festgeschriebenen Anforderungen an eine unternehmerische Sozialbilanz hinaus, indem er die Beziehungen des Unternehmens zur Gesellschaft berücksichtigte. Gegenüber dem rein quantitativen Ansatz des gesetzlich fixierten Sozialbilanzkataloges mit über 120 Indikatoren in 32 Kategorien umfasst der IDEP-Ansatz in insgesamt neun Kapiteln auch qualitative Daten.69 Auch das Centre des Jeunes Dirigeants d’Entreprise (CJD)70 arbeitete an einem Sozialbilanzkonzept. Die organisierten Jungunternehmer betonten im Zuge der Entwicklungen von 1968 die positiven Effekte der Mitbestimmung und sprachen sich in ihrem Manifest »L’Entreprise des Hommes« für humanere Arbeitsbedingungen aus. 1976 gaben sie eine Stellungnahme zur Sozialbilanz heraus: Das sogenannte Diadyres-Projekt (Diagnose de la dynamique des relations sociales) sah die Umsetzung eines Sozialbilanzkataloges durch gleichberechtigte Gruppen im Unternehmen vor. Durch die Analyse der unternehmerischen Aktivität mithilfe eines neunteiligen Kataloges sollten die Dynamiken sozialer Beziehungen im Unternehmen reflektiert, die Zufriedenheit der Unternehmensangehörigen erhoben, Anreize für die Verständigung und Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern geschaffen sowie das Management in den Bereichen Mitbestimmung und Tarifverhandlungen ge68 Vgl. UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 2; Vogelpoth, S. 139 u. 222. 69 Das IDEP ist ein 1975 gegründetes unternehmensnahes Forschungszentrum, das aus dem 1953 etablierten CRC hervorgegangen ist und sich heute selbst als Think-Tank bezeichnet. Vgl. Chaplain 1997, S. 43; Igalens/Peretti 1982, S. 10; URL: IDEP – Historique. 70 Das CJD wurde 1938 als Centre des Jeunes Patrons (CJP) gegründet. 1968 erfolgte die Umbenennung in CJD, das seit 1969 als Institution assoziiertes Mitglied des CNPF ist.

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schult werden können. Der Vorteil der Sozialbilanz lag nach Auffassung des CJD in erster Linie in ihrer dialogstiftenden Funktion zwischen den Sozialpartnern.71 Die Union des Industries Métallurgiques et Minières (UIMM) befasste sich 1975 mit einem Konzept, das drei Ziele erfüllen sollte: die Beschreibung des Unternehmens in Beziehung zu seiner sozialen Umwelt, die Beurteilung der Personalpolitik und die Abstimmung der ökonomischen und sozialen Ziele des Unternehmens aufeinander. Dies sollte durch einen Indikatorenkatalog aus individuell auf das Unternehmen, bestimmte seiner Dienstleistungen oder Berufsgruppen zugeschnittene Indikatoren und aus allgemeinen, für jedes Unternehmen im Land gültigen, zeitlich und lokal unabhängigen, aber im Kern nur personalbezogenen Indikatoren umgesetzt werden.72 Die Commission des Opérations de Bourse (COB)73 veröffentlichte 1976 Daten zur Sozialberichterstattung aus insgesamt 60 Geschäftsberichten börsennotierter Unternehmen und kam zu dem Ergebnis, dass alle zumindest über die Beschäftigtenzahlen, Löhne, soziale Leistungen, Wohnbeihilfen, Weiterbildung und Gewinnbeteiligung Auskunft gaben. Die Hälfte der Unternehmen berichtete allerdings in diesem Rahmen zusätzlich über die Personalentwicklung unter Berücksichtigung des Alters, Geschlechts, der Herkunft und Beschäftigungsdauer, über Arbeitsbedingungen, Arbeitsorganisation, soziale Sicherheit und Altersvorsorge. Dieser Analyse der Geschäftsberichte ging 1975 eine Kampagne der COB voraus, in der Unternehmen für die Reformthemen aus dem Sudreau-Bericht sensibilisiert werden sollten.74 Die Vorschläge der Sudreau-Kommission widmeten sich unter anderem dem Vorhaben, den Menschen in den Mittelpunkt des Unternehmens zu rücken und der zunehmenden Anonymität vor allem in Großunternehmen Einhalt zu gebieten. Dieses Vorhaben sollte durch Mitbestimmung, Kontrolle und Gewinnbeteiligung für die Arbeitnehmerseite realisiert werden. Die Aufgabe der Arbeitnehmervertretung 71 UA BAG, ZÖ 0007/377: Batelle-Bericht 1979, S. 1-2; Igalens/Peretti 1982, S. 11; Sérieyx 2009, S. 87; URL: CJD – Histoire et origine. 72 Die Indikatoren in dem Entwurf waren: Fehlzeiten, Fluktuation, Belegschaftszahlen, Durchschnittsalter und -unternehmenszugehörigkeit, Lohn-/Gehaltsniveau, Häufigkeit und Schwere von Arbeitsunfällen, durchschnittliches Qualifikationsniveau und Durchschnitt der Beförderungen, Aus- und Weiterbildungsaktivitäten, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Arbeits- und Urlaubszeiten, Soziale und ökonomische Spannungen, Maßnahmen zur Begünstigung bestimmter Berufsgruppen, spezifische Bedingungen für bestimmte Arbeitsplätze; vgl. UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 5; Igalens/Peretti 1982, S. 9. 73 Die 1968 gegründete Börsenaufsicht ging 2004 in der Autorité des Marchés Financiers (AMF) auf. Vgl. URL: CAEF – COB. 74 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 6; vgl. Chaplain 1997, S. 45.

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lag primär in der Abstimmung mit der Unternehmensleitung: Sie sollte als gleichwertiger Partner gegenüber der Arbeitgeberseite akzeptiert werden, um Arbeitskonflikte zu vermeiden. Daneben war es ebenso Anliegen der Kommission, ein Frühwarnsystem zu etablieren, um wirtschaftlichen wie sozialen Krisen vorzubeugen, den gesellschaftlichen Beitrag des Unternehmens stärker herauszustellen, die Rechte der Aktionäre zu stärken, Unternehmensgründungen zu fördern und das Konzernrecht zu reformieren.75 Der bereits im Sudreau-Bericht geforderte Ausbau der Mitbestimmung bezog sich allerdings nicht auf eine erweiterte Mitbestimmung in grundlegenden Unternehmensentscheidungen – wie zum Beispiel die Konsultationsrechte des CE in Aufsichtsräten in eine Stimmberechtigung umzuformen –, sondern vielmehr auf ein Mitspracherecht, das im Kern lediglich der Verbesserung der Arbeitsbedingungen dienlich sein sollte.76 Das besondere Interesse der COB an der Sozialbilanz erklären Igalens und Peretti vor allem mit dem Wert von Informationen über die soziale Leistungsfähigkeit eines Unternehmens für die Anteilseigner. Ein hohes Maß an sozialem Engagement und entsprechenden Ausgaben sei in der Regel ein Signal für die stabile wirtschaftliche Lage eines Unternehmens.77 Gewerkschaften: Spielräume der Partizipation Die Gewerkschaften in Frankreich standen dem Thema Sozialbilanz ebenso wie ihre europäischen Schwesterorganisationen kritisch gegenüber und überließen die Entwicklung von Sozialbilanzkonzepten den arbeitgebernahen Organisationen.78 Die drei größten Gewerkschaften – CGT, CGT-FO und CFDT– sahen in der Sozialbilanz eine den Unternehmen willkommene Hintertür, den Beschäftigten im Allgemeinen und dem CE im Besonderen Informationen nur nach Gutdünken zukommen zu lassen,79 auch wenn das Gesetz explizit eine Aufhebung der Informationsrechte des CE hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Unternehmens negierte: »Ces obligations ne se substituent à aucune des obligations d’information et de consultation du comité d’entreprise ou d’établissement qui incombent au chef d’entreprise en application, soit de dispositions législatives ou réglementaires, soit de stipulations conventionnelles.«80 Im Gesetzesentwurf war die Sozialbilanz idealiter nicht nur als Planungsinstrument für die Unternehmensführung konzipiert, um soziale Schwächen des Unternehmens insbesondere in den Bereichen der Arbeitsbedingungen, -gesundheit sowie -sicherheit zu entdecken und zu beseitigen oder Warnsignale wie zum Beispiel eine 75 Vgl. Sudreau 1975. 76 Vgl. Code du Travail 1998, L. 641-1; Körner 1999, S. 68-70. 77 Vgl. Igalens/Peretti 1982, S. 60. 78 Vgl. Chaplain 1997, S. 42-7 ; Igalens/Peretti 1982, S. 14. 79 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle Bericht 1979, S. 1. 80 Code du Travail 1998, L. 438-1.

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hohe Personalfluktuation für eine reformbedürftige Personalpolitik besser wahrnehmen zu können. Die Sozialbilanz war gleichwertig als Informationsinstrument für Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Anteilseigner entworfen worden. So zielte der Entwurf der Sudreau-Kommission darauf, dass die Unternehmen im Interesse der Arbeitnehmervertretung zum Beispiel detailliert Auskunft geben über den Abbau von Arbeitsplätzen. Grundsätzlich sollten dem CE und Gewerkschaftsvertretern die gleiche, vermeintlich objektive Informationsbasis zur Verfügung stehen wie der Unternehmensleitung, um einen ideologiefreien Raum für konstruktive Diskussionen zwischen den beiden Parteien zu schaffen. Die Informationsrechte des CE wurden durch die Sozialbilanz zwar nicht wesentlich erweitert, aber normiert und einem größeren Adressatenkreis zugänglich gemacht,81 und für die Arbeitnehmer selbst erschloss sich ein direkter Zugang zu sozialen Daten. Die offen zugänglichen Informationen beschränkten sich zuvor für die Arbeitnehmer entweder auf die ökonomischen Leistungen des Unternehmens durch Geschäftsberichte oder auf die informelle, bisweilen belanglos erscheinende Berichterstattung der Werkszeitungen: »les grands événements de la vie des salariés (mariage, naissance et décès, départ à la retraite, médailles du travail), le sport, le colonies de vacances et l’arbre de Noël occupent souvent l’essentiel des pages.«82 Dem CE wurde die Möglichkeit eingeräumt, zur Sozialbilanz im Unternehmen schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme sollte den Aktionären des Unternehmens zugänglich gemacht und mit der Sozialbilanz veröffentlicht werden. Idealerweise sollten dem CE mit diesem neu zu etablierenden, partizipativen Instrument Mitsprache- und Mitwirkungsmöglichkeiten in sozialpolitischen Fragen zugesichert werden. In der Praxis wurde das Recht des CE jedoch nicht immer in der vorgesehenen Form gewahrt und die Sozialbilanz beispielsweise zu spät zur Prüfung übergeben, wie die Untersuchung Vogelpoths 1980 zeigte.83 Auf diese Weise wurde die Verständigung zwischen Arbeitnehmervertretung und Arbeitgeberseite als dritte maßgebliche Funktion der Sozialbilanz – neben Planung und Information – letztlich in der Praxis untergraben. Schon dem Sudreau-Bericht begegneten CGT, CFDT und CGT-FO kritisch, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaße. FO und CFDT, die je einen Vertreter in die Expertenkommission entsandten, sahen im Bericht überwiegend ein Instrument der Politik, um wachsender öffentlicher Kritik am Wirtschaftssektor in unternehmensfreundlicher Weise zu begegnen. Die CGT beurteilte ihn als Streben nach einer Zusammenarbeit der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite, wodurch die Interessen der Arbeitnehmer letztlich preisgegeben würden. Obwohl sie die Sozialbi81 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 6-7; vgl. Igalens/Peretti 1982, S. 6 u. 50-68; Körner 1999, S. 108. 82 Igalens/Peretti 1982, S. 56. 83 Vgl. Vogelpoth 1980, S. 158-160, 193, 199-200 u. 241; Igalens/Peretti 1982, S. 50 u. 67.

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lanz ablehnte und als Instrument zur Täuschung der Arbeitnehmer deklarierte, forderte die Gewerkschaft im Zuge der Entwicklung des Gesetzes, bereits Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten zur Veröffentlichung einer Sozialbilanz zu verpflichten, während die Arbeitgeberseite eine gesetzliche Regelung erst für Unternehmen mit mindestens 2000 Beschäftigten durchsetzen wollte.84 Die FO schloss sich der Forderung nach einer Sozialbilanzierungspflicht für Unternehmen ab 50 Beschäftigten an und argumentierte gleichzeitig, es sei dringlicher, die bestehenden Rechte der Arbeitnehmervertretung zu stärken, da zum Beispiel in knapp einem Drittel aller Unternehmen mit mehr als 49 Beschäftigten nicht einmal ein CE existiere. Positiv bewerteten alle drei Gewerkschaften hingegen die Ausweitung des gewerkschaftlichen Handlungsspielraumes, den der französische Arbeitgeberverband Conseil National du Patronat Français (CNPF)85 im Gegenzug kritisierte. Der Unternehmerverband befürwortete eine elaboriertere Informationspolitik der Unternehmen gegenüber Shareholdern, Produzenten, Lieferanten und Konsumenten, nicht jedoch auf Kosten der unternehmerischen Selbst- oder vielmehr Alleinbestimmung.86 Schließlich nahm der Handlungsspielraum der Arbeitnehmervertretung auch im IDEP-Entwurf keine große Rolle ein.87 Statt Mitspracherechten wurden Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitsbedingungen als Leistungen der Arbeitgeber in den Vordergrund gestellt. Die Informationen zur Lohnsituation waren nach Vorbild des IDEP-Kataloges in erster Linie zur Abwehr gewerkschaftlicher Forderungen konzipiert. Im gesetzlichen Katalog dagegen trug zumindest die Indikation der niedrigsten und höchsten Gehälter diskussionsförderndes Konfliktpotential in sich, um den Dialog zwischen den Sozialpartnern auf den Weg zu bringen. Auch Vogelpoth stellte 1980 in seiner Untersuchung der CE-Stellungnahmen zur Sozialbilanz fest, dass im Zuge der steigenden Arbeitsplatzunsicherheit und wachsenden wirtschaftlichen Unsicherheit während der 1970er Jahre in Frankreich die Lohnsituation besonders in den Fokus der Betriebsräte geraten war.88 Wenig überraschend kam insofern die gesetzliche Regelung der Arbeitnehmerseite deutlich mehr entgegen als die Sozialbilanzkonzepte von Arbeitgeberseite, die auf die Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen bestanden. Die Vorschläge von unternehmerischer respektive Verbandsseite waren unter dem Eindruck der Entwicklungen im Mai 1968 entstanden. Gründe für die Proteste in Frankreich verortet Gilcher-Holtey in Verteilungskonflikten und einer Krise der gesellschaftlichen Wertevorstellungen. Rationalisierun84 Vgl. Vogelpoth 1980, S. 149 u. 155; Chaplain 1997, S. 44-9. 85 Seit 1998 firmiert der Verband unter dem Namen Mouvement des Entreprises de France (MEDEF). 86 Vgl. Vogelpoth 1980, S. 129-131. 87 Vgl. Jablon et al. 2009, S. 378. 88 Vgl. Vogelpoth 1980, S. 239-240.

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gen und technologische Entwicklungen hatten zu Produktivitätssteigerungen geführt und die französische Wirtschaft in eine gute wirtschaftliche Lage gebracht. Doch waren die Ursachen wirtschaftlicher Prosperität gleichzeitig Gründe für eine wachsende finanzielle und damit auch soziale Kluft, denn die Löhne der Arbeitnehmer waren nicht an die inflationsbedingten Preissteigerungen angepasst worden, und die Arbeitslosigkeit nahm zu. Dazu kam der Wunsch nach weniger autoritären Strukturen und mehr Demokratie auf allen Ebenen der Gesellschaft.89 Rankings avant la lettre Das Thema Sozialbilanz wurde aufgrund seiner politischen Brisanz und zunehmenden Verbreitung auch seitens der Presse schon relativ früh aufgegriffen, noch bevor eine gesetzliche Regelung getroffen worden war. In den Jahren 1975 und 1976 publizierten etwa 60 börsennotierte französische Unternehmen freiwillig Informationen zu sozialen Aktivitäten in ihren jährlichen Geschäftsberichten. Das entsprach ungefähr 12,5 vH aller an der Börse notierten Unternehmen.90 Diese Entwicklung nahmen die Journalisten Emile Favard und Pierre Beaudeux zum Anlass und veröffentlichten 1975 in der Wirtschaftszeitschrift L’Expansion Rankings, die dazu dienten, die Sozialleistungen 50 mittlerer und großer französischer Unternehmen miteinander zu vergleichen. Grundlage ihrer unter dem Titel L’Examen Social veröffentlichten Analyse – die erste dieser Art in Frankreich – waren die Sozialbilanzen von Unternehmen, deren Gehalt sie durch Befragungen von Unternehmensführungen und von Gewerkschaftsvertretern überprüften.91 Der Fragenkatalog antizipierte zu großen Teilen die Berichtsfelder des später folgenden gesetzlichen Indikatorenkatalogs und umfasste beispielsweise Fragen zu Arbeitsbedingungen und -unfällen, Entlohnung, Fluktuation und Entlassungen, Altersversorgung, Frauenbeschäftigung, Wohnungswesen, Mitarbeiterinformation und zum Wirken des CE und der Gewerkschaften. Durch ihre Befragungen stellten Favard und Beaudeux unter anderem fest, dass der öffentliche Sektor im sozialen Bereich positivere Ergebnisse lieferte als Privatunternehmen. Dies sei darin begründet, dass staatliche Unternehmen erstens nicht im selben Umfang wie private den Marktgesetzen unterlägen, und zweitens darin, dass sie die Aufgabe hätten, mit gutem Beispiel voranzugehen.92 Des weiteren stünden mittlere Unternehmen im Bereich des sozialen Fortschritts den Großunternehmen in nichts nach, wenn auch mit anderen Schwerpunkten.93 Insgesamt sei 89 Vgl. Gilcher-Holtey 1995, S. 272-281; Igalens 1982, S. 7. 90 Vgl. Chaplain 1997, S. 45; Igalens/Peretti 1982, S. 51. 91 Vgl. Beaudeux, Pierre; Favard, Emile, »L’examen social«, in: L’expansion: premier journal économique français (1975), S. 75-97; dies. »L’examen social«, in: L’expansion: premier journal économique français (1976), S. 93-122; Schredelseker 1981, S. 342-344. 92 Vgl. Beaudeux/Favard 1975, S. 77-78. 93 Vgl. dies. 1976, S. 94-96.

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eine Entwicklung hin zu einem neuen Unternehmertum mit dem Willen zur Transparenz zu verzeichnen. Allerdings sei diese Entwicklung auch durch gesellschaftliche Forderungen nach Transparenz und sozialer Verantwortung induziert: [L]es entreprises françaises ont ouvert leurs portes et leurs livres à L’Expansion. C’est le signe d’une évolution notable et positive des mentalités dans le milieu patronal. [...] Cette évolution est elle-même le résultat de phénomènes convergents. L’opinion publique demande des comptes à l’entreprise, non seulement sur ses résultats financiers, mais sur son efficacité sociale.94

Ab 1979 stützten sich die Journalisten ausschließlich auf die per Gesetz hervorgebrachten Sozialbilanzen. Die Zeitung Le Nouvel Économiste sowie die Zeitschrift Libre Service Actualité (LSA) veröffentlichten in diesem Jahr ebenfalls erste Rankings. Vogelpoth, der diese Rankings avant la lettre als »Hitparaden der Sozialleistungen«95 bezeichnete, verglich die Informationen über die französischen Firmen miteinander und interpretierte Verbesserungen – zum Beispiel im Bereich der Arbeitsbedingungen, Arbeitssicherheit oder der Gleichstellung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern – als Resultat der Examens sociaux.96 Deren Ziel war es – wie bei heutigen Rankings – eine öffentliche, neutrale Bewertungsgrundlage der Berichtsinhalte zu schaffen und auf mögliche Diskrepanzen zwischen Berichten und Handeln der Unternehmen aufmerksam zu machen. Zwischenfazit Die Reform des Unternehmensrechts in Frankreich sollte Entgegenkommen und Sensibilität für die Bedürfnisse der Arbeitnehmerseite demonstrieren.97 Die Sozialbilanz war als Mittel zur Demonstration des sozialen Handelns der Arbeitgeberseite konzipiert. Solange die Arbeitnehmer unter dem Eindruck standen, am wirtschaftlichen Wachstum teilzuhaben, spielten die sozialen Leistungen eine untergeordnete Rolle. Die Verschärfung der sozialen Unterschiede zwischen Arbeitnehmer- und Kapitalseite ließ es jedoch notwendig erscheinen, soziales Verantwortungsgefühl zu demonstrieren und entsprechende Maßnahmen in der Sozialbilanz zu dokumentieren. So nahm der Entwurf der UIMM zum Beispiel auch das Feld sozialer und ökonomischer Spannungen in den Indikatorenkatalog auf, das sich über die Anzahl von Streiks oder die Abbildung von Gehaltsdifferenzen sichtbar machen ließe. Das Konzept des CJD ausgenommen, war die Mitarbeit von Arbeitnehmervertretern bei der Sozialberichterstattung in den oben vorgestellten Verbandskonzepten 94 Dies. 1975, S. 76. 95 Vogelpoth 1980, S. 255. 96 Vgl. ebd., S. 250-259. 97 Vgl. Chaplain 1997, S. 44.

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nicht vorgesehen. Sie war als Instrument der Unternehmensführung erdacht und sollte dies auch bleiben. Von den in Frankreich konflikterprobten Gewerkschaften konnten diese Konzepte nur als Palliativ wahrgenommen werden. Die Einbeziehung des CE durch seine Stellungnahme in der gesetzlichen Variante dagegen kam der traditionellen Rolle der Arbeitnehmervertretung in Frankreich durchaus entgegen und verlangte ihr eine kritische und unnachgiebige Haltung ab.98 Im Vergleich zur Situation der deutschen Betriebsräte in der Sozialbilanzdebatte wird die dadurch gestärkte Position der französischen Betriebsräte noch deutlicher. Denn deutsche Betriebsräte beschränkten sich meist auf ein wohlwollendes Grußwort in der Sozialbilanz. Wenn sie eine kritische Haltung gegenüber der Unternehmenssozialbilanz einnahmen, so wurde diese Kritik nur selten in der Sozialbilanz reflektiert. Vor diesem Hintergrund ist die gesetzliche Festlegung in Frankreich aus Sicht der Arbeitnehmervertretung durchaus positiv zu bewerten. Darüber hinaus wies der deutsche DGB-Katalog, der die Interessen der Arbeitnehmer reflektieren sollte, erhebliche Ähnlichkeiten zu den Vorgaben des französischen Indikatorenkataloges auf.99 Nach Meinung Vogelpoths und Chaplains ging es nicht darum, Konflikte durch die Sozialbilanz zu vermeiden, sondern sie zu objektivieren durch die gemeinsame Informationsbasis und gemeinsame Zahlen-Sprache (»langage commun«100 ), die für die Sozialpartner geschaffen und implementiert werden sollte. So könnten im Dialog die Probleme der betrieblichen Sozialpolitik gemeinsam im Sinne der concertation gelöst werden. Um diese objektive, gemeinsame Sprache zu erreichen, verzichtete man in der Liste des informations et des indicateurs figurant dans le bilan social auf subjektive Indikatoren, wie zum Beispiel die Ermittlung der Mitarbeiterzufriedenheit durch Befragungen. Die Konzepte der Unternehmensverbände dagegen sahen den Einsatz subjektiver Indikatoren durchaus vor, ebenso wie Unternehmen vor 1977 vereinzelt mit Befragungen experimentierten.101 Einer der stärksten Kritikpunkte an der staatlichen Regulierung der Sozialbilanzierung in Frankreich war die mangelnde Flexibilität des Katalogs, der nicht auf die spezifischen Bedingungen des jeweiligen Unternehmens eingehe, die sozialen Beziehungen innerhalb des Unternehmens nur starr abbilde und sie außerhalb gar nicht berücksichtige. Über eine Erweiterung des gesetzlichen Sozialbilanzkataloges ist allerdings in den späten 1970ern durchaus nachgedacht worden, so zum Beispiel hinsichtlich einer Betrachtung der Beziehung zwischen Unternehmen und Konsumenten.102 Im Wesentlichen beschränkte sich der gesetzliche Indikatorenkatalog auf 98

Vgl. Schredelseker 1981, S. 335-336.

99

Vgl. ebd., S. 332.

100 Chaplain 1997, S. 44. 101 Vgl. Chaplain 1997, S. 46; Igalens/Peretti 1982, S. 8-9 u. 67-74; Vogelpoth 1980, S. 183-190 u. 260-261. 102 Vgl. Igalens/Peretti 1982, S. 15-20 u. 106; Vogelpoth 1980, S. 267.

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gleichermaßen monetäre wie nicht-monetäre Inputindikatoren.103 Erstere umfassten unter anderem Ausgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Sicherheit am Arbeitsplatz oder aufgewendete Summen für Löhne; letztere beziehen sich beispielsweise auf die statistische Erhebung der Mitarbeiterstruktur, Unfallzahlen, Berufskrankheiten oder die Anzahl von Kommissionssitzungen. Auch dieser Ansatz warf das Problem auf, dass letztlich die Darstellung der Auswirkungen unternehmerischen Handelns anhand der Indikatoren unterbleiben musste. Das 1975 entstandene Konzept der UIMM bot überwiegend quantitative Indikatoren, wollte allerdings auch Entwicklungen im Unternehmen beschreiben, die nur qualitativ abzubilden sind. Hier ging es vor allem um die Darstellung sozialer und ökonomischer Spannungen im Unternehmen. Wesentlich weiter hinsichtlich qualitativer und outputorientierter Datenerfassung geht der IDEP-Entwurf mit qualitativen Kategorien wie beispielsweise der Arbeitszufriedenheit oder der Rolle des Unternehmens in und für die Gesellschaft. Hier wird der Vergleich zu anderen Unternehmen, dem nationalen oder dem Branchendurchschnitt bereits impliziert. Prinzipiell ist die Idee des Vergleichs auch im gesetzlichen Indikatorenkatalog angelegt. Die Federführung der Verortung des Unternehmens in ökonomischen und sozialen Strukturen obliegt jedoch nicht dem Unternehmen selbst, sondern dem Staat, der die Daten zum Vergleich einfordert, sowie grundsätzlich jedem Rezipienten, dem die Sozialbilanzen zugänglich sind. Der fehlende Methodenkanon des staatlichen Indikatorenkataloges offenbarte jedoch, dass es erstens von staatlicher Seite nur wenig Interesse an den vorangegangenen Experimenten mit Sozialbilanzen gab und auch wenig Interesse an wissenschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Sozialindikatorik, und dass zweitens der Staat den Handlungsspielraum für Unternehmen möglichst unangetastet lassen wollte.

7.3 V ARIATIONEN

UND

K ONVERGENZ

Schweiz Das Interesse des Schweizer Gewerkschaftsbundes (SGB) am Thema Sozialbilanzen fiel im Vergleich zum deutschen Pendant Ende der 1970er Jahre deutlich geringer aus, obwohl die auf die Sozialbilanz bezogene Debatte zwischen deutschen Unternehmen und dem DGB sowie dessen Bestreben, einen Indikatorenkatalog zu entwickeln, durchaus in der Schweiz rezipiert wurden. Statt auf »eine Auswahl gefälliger Nachrichten« seitens der Unternehmen zu setzen, sei es dringlicher, das Schweizer Aktienrecht zu reformieren und die Finanzberichterstattung zu verbessern, forderte Beat Kappeler, Sekretär des SGB, mit Verweis auf einen aktuellen Finanzskandal in einem Interview mit der Schweizerischen Handelszeitung. Dessen 103 Vgl. Chaplain 1997, S. 45; Vogelpoth 1980, S. 176-185.

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Reform sei wichtiger als »die Zahl verbilligter Kantine-Mahlzeiten«, die in Sozialbilanzen veröffentlicht würde, auch wenn eine gesetzliche Regelung durchaus wünschenswert sei, um die Überprüfbarkeit der Angaben gewährleisten zu können. Das größte Problem der Sozialbilanzen liege letztlich in der Willkür der Inhalte, die von den Unternehmen selbst bestimmt würden und Transparenz und Glaubwürdigkeit vermissen ließen, zumal »in diesem Bereich die Ursachen und Wirkungen nur schwer quantifizierbar und [sie] damit einem beträchtlichen Werturteils-Spielraum ausgesetzt« seien. So plante der SGB auch nicht, Empfehlungen auszusprechen oder gar ein eigenes Konzept zur Sozialbilanz zu entwickeln, wie es der Gewerkschaftsbund in Deutschland vorgelegt hatte. Das DGB-Konzept betrachtete Kappeler jedoch – trotz seiner ablehnenden Haltung dem Thema Sozialbilanz gegenüber – als Basis für einen Dialog der Sozialpartner.104 Am 4. September 1978 veröffentlichte der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) als erstes Unternehmen in der Schweiz eine Sozialbilanz für das Geschäftsjahr 1977, die vor allem dadurch Aufsehen erregte, dass sie zu den umfangreichsten im deutschsprachigen Raum gehörte,105 die je veröffentlicht wurden, und sich außerdem um eine realistische Darstellung bemühte. Pierre Arnold,106 Präsident der Migros-Verwaltungsdelegation, bezeichnete die Bilanz als »schonungslose Analyse, in der wir uns selbst auf Herz und Nieren prüften«.107 Arnold begründete die Entscheidung zur Veröffentlichung einer Sozialbilanz mit der wachsenden Größe der Migros und den damit einhergehenden zunehmenden gesellschaftlichen Verflechtungen. Diese seien in einem kleinen Land wie der Schweiz und durch die vielen Geschäfts- und Tätigkeitsfelder des MGB – in Lebensmittelhandel, Medien, Tourismus, Brennstoffen (Migrol), Bank- und Versicherungswesen und durch angebundene Organisationen in der Erwachsenenbildung, im Kulturbereich, in der Stiftungsarbeit und in der Politik – evident. Schließlich sei die Migros durch ihre 104 Interview mit Beat Kappeler in Schweizerische Handelszeitung (14.06.1979). 105 Die erste Sozialbilanz umfasste rund 90 Seiten, die zweite und dritte über 100 und die vierte noch knapp 70 Seiten. 106 Pierre Arnold (* 22.11.1921, † 25.03.2007) wurde im Mai 1958 Direktor im MGB und gehörte ab 1959 der geschäftsführenden Verwaltungsdelegation an, deren Vizepräsident er 1965 wurde. Im gleichen Jahr wurde das Marketing-Departement der Migros geschaffen, dessen Leitung Arnold übernahm. Von 1976 bis 1984 stand Arnold der Delegation als Präsident vor und leitete das Departement für Koordination, Kulturelles und Soziales. Er setzte sich während seiner Präsidentschaft für die Erweiterung der 1971 etablierten, rein finanziellen Mitarbeiter-Partizipation in eine soziale ein, sowie für die 1978 bei der Migros eingeführte Lebensmittelkennzeichnung. Bis 1992 blieb Arnold Präsident des Aufsichtsrates, darauf folgte die Präsidentschaft in der Gottlieb-undAdele-Duttweiler-Stiftung, der Stiftung der MGB-Gründer. 107 Migros Sozialbilanz 1977, S. 3; vgl. Arnold 1984, S. 316; Dierkes 1978a; URL: Migros.

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genossenschaftliche Organisation besonders zu Transparenz und der Demonstration von Solidarität verpflichtet. Diese Werte seien in den 1950 von den Gründern – Gottlieb und Adele Duttweiler – verfassten Thesen sowie dem 1957 geschlossenen Vertrag zwischen dem Genossenschaftsbund und den Genossenschaften verankert. Eine Sozialbilanz könne dazu dienen, die Leistungen des Unternehmens bekannt zu machen und einer erweiterten Rechenschaftspflicht über Gewinnerwirtschaftung hinaus nachzukommen.108 Meinolf Dierkes, der die Migros seit 1976 in der Erstellung aller Sozialbilanzen beraten hatte, sah in der genossenschaftlichen Verfassung des MGB große Chancen für die Umsetzung einer zielbezogenen Berichterstattung, weil die Genossenschaft qua Gründungszweck auf gemeinwirtschaftliche Ziele ausgerichtet und es ihre Aufgabe und Vorbildfunktion sei, die Interessen von Mitarbeitern und Kunden in den Mittelpunkt der geschäftlichen Aktivität zu stellen. Auf Grundlage der MigrosGründungsstatuten wurden für die Sozialbilanz allgemeine Ziele formuliert, die für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren Gültigkeit besitzen sollten. Die Ziele spiegelten die Tätigkeitsfelder des Unternehmens und dessen Beziehungen zu seiner Umwelt vom Genossenschaftler und Konsumenten, Mitarbeiter, über Umweltschutz und Forschung bis zu den Nutznießern der Kultur- und Bildungsangebote.109 Aus diesen Zielen wurden Subziele abgeleitet, die sich an der konkreten sozialpolitischen Situation des Unternehmens orientierten und deren Erreichung durch einhundert Indikatoren zu Produktqualität und -kontrollen, Personal-, Preis-, Sortiments-, Gleichstellungs-, Informations-, Versicherungs- und Zinspolitik, zum Umweltschutz, zum kulturellen und sozialen Engagement (»Kulturprozent«110) sowie zur Stiftungsunterstützung in wissenschaftlichen und sozialen Bereichen gemessen wurde. Überwiegend als Fließtext verfasst und durch Tabellen und Grafiken ergänzt, wurden diese dann in der Sozialbilanz veröffentlicht. Statt die Umweltbewegung als Bedrohung der Geschäftsgrundlage zu betrachten, setzte die Migros sie auf ihre Kommunikationsagenda111 und gab dem Umweltschutz in der Sozialbilanz verhältnismäßig viel Raum (6,7 vH des Gesamtberichtes), indem sie Maßnahmen und Aufwendungen in Bereichen der Produktion, Produktentwicklung, Verpackung und des Vertriebes, Recycling, Energie- und Wassereinsparungen beschrieb.112 Schon zu 108 Vgl. Arnold 1984, S. 316-318; Migros Sozialbilanz 1977, S. 3-4; Welskopp 2003. 109 Vgl. Migros Sozialbilanz 1977, S. 1-10; dies. 1980, S. 1-8; dies. 1983, S. 1-10; dies. 1986, S. 1-2. 110 Migros Sozialbilanz 1977, S. 32. Der MGB spendet seit 1957 unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung 0,5 vH des Einzelhandels- und 1 vH des Großhandelsumsatzes für kulturelle, soziale, bildungs- und wirtschaftspolitische Zwecke. Vgl. Gericke 2003, S. 271 u. 274. 111 Vgl. Welskopp 2003, S. 14 u. 33. 112 Vgl. Migros Sozialbilanz 1977, S. 43-48.

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Beginn der 1970er Jahre unterstützte das 1963 gegründete Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) – benannt nach dem sozialvisionären Gründer der Migros – Forschung zum Umweltschutz und initiierte beispielsweise 1972 ein Symposium zum Einfluss unternehmerischer Aktivität auf die Umwelt. 1974 verabschiedete der MGB Umweltleitlinien, deren mangelhafte Umsetzung allerdings vom ehemaligen Leiter des GDI später kritisiert wurde.113 Ursprünglich hatte die Zahl der Indikatoren in der Sozialbilanz bei 300 gelegen, die aus umsetzungspraktischen Gründen – vor allem einer mangelnden Datenbasis – reduziert worden war. Zum Teil griff die Migros auf Daten zurück, die bereits vor der Veröffentlichung der ersten Sozialbilanz dokumentiert worden waren. Es wurden aber auch neue erhoben, unter anderem in einer Studie des Zürcher Publizistischen Seminars zu Wirkung und Einfluss der Migros-Werbung. Eine extern in Auftrag gegebene Marktforschungsumfrage ergänzte die Sozialbilanz um Informationen zur Meinung und Kenntnis der Schweizer Bevölkerung über die Migros-Gesellschaft und reflektierte zum Beispiel durch Fragen nach dem negativen Einfluss der Migros auf kleine Einzelhandelsgeschäfte den Versuch, die Umfrage für eine selbstkritische Einschätzung zu nutzen. Die Migros hatte sich bereits früh die aufkommende Marktforschung zunutze gemacht und schloss sich 1943 der Schweizerischen Gesellschaft für Marktforschung an.114 Den größten Raum in der Sozialbilanz nahm die Berichterstattung über die Beziehungen zu Kunden, Genossenschaftern und Mitarbeitern ein. Die gesetzlichen und freiwilligen Leistungen an die Mitarbeiter wurden hier nicht in einer gesonderten Sozialrechnung ausgewiesen, sondern lediglich verbal dargestellt und in der umfangreichen Wertschöpfungsrechnung im Anhang der Sozialbilanz in allgemeinen Kategorien aufgeführt. Der Berichtsteil über die Mitarbeiter wurde durch eine externe Studie über die Arbeitszufriedenheit der Migros-Führungskräfte angereichert und zugleich angemerkt, es fehle bisher an Informationen über die Zufriedenheit aller Mitarbeiter. In der Gesamtbetrachtung weisen die verwendeten Indikatoren in der Sozialbilanz durchaus auf die Bemühungen um eine transparente Berichterstattung hin. Beispielsweise wurden im Bereich der Produktqualität die Zahl beanstandeter Waren dokumentiert und im Bereich der Produktwerbung der Schwerpunkt auf zuckerhaltige Lebensmittel bemängelt. Durchzuführende Maßnahmen im Bereich der Humanisierung der Arbeit, die unter dem Landesdurchschnitt liegende Bezahlung oder die nicht spannungsfreien Beziehungen zu Gewerkschaften wurden ebenfalls thematisiert. Letzteres war in den deutschsprachigen Sozialbilanzen zwar durchaus verbreitet, ging jedoch selten mit Selbstkritik seitens der Unternehmen einher. Darüber hinaus war ein FeedbackFragebogen im Anhang der Sozialbilanz mit Fragen nach Akzeptanz, Glaubwürdig113 Vgl. Hünemörder 2004, S. 85; Mahler 2003, S. 221-222; Migros Sozialbilanz 1977, S. 41. 114 Vgl. Migros Sozialbilanz 1977; Welskopp 2003, S. 30.

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keit und Ausgewogenheit der Berichterstattung an die Leser Teil des Projektes und sollte zur Verbesserung nachfolgender Publikationen beitragen. Diese Möglichkeit zum Feedback nutzten trotz einer Auflage von 32.000 Exemplaren allerdings nur 600 Leser. Um dennoch ein Feedback zur Sozialbilanz zu erhalten, wurde 1982 eine Resonanz-Studie mit Mitarbeitern und ihrer Vertretung, Genossenschaftern sowie mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Medien, Politik, Konsumenten- und Umweltschutzverbänden durchgeführt.115 Die Motivation zur Veröffentlichung von Sozialbilanzen mag ihrer eigenen Aussage folgend für die Migros in ihrer Konstitution als genossenschaftliche Vereinigung gelegen haben, zugleich hatte die Migros jedoch auch mit Imageproblemen zu kämpfen. Das in der Sozialbilanz reproduzierte Selbstbild des sozialen Arbeitgebers, umweltfreundlichen Produzenten und großzügigen Mäzenen deckt sich nicht mit dem »Image des Billigdiscounters«116 des MGB in den sechziger und siebziger Jahren. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung der ersten Sozialbilanz ausgerechnet für das Geschäftsjahr 1977 scheint kaum ein Zufall zu sein. 1978 veröffentlichte die Migros zum ersten Mal einen konsolidierten Jahresabschluss und professionalisierte damit ihre Geschäftsberichtspraktiken, an denen es zuvor deutliche Kritik aufgrund mangelnder Transparenz gegeben hatte.117 Die Ausrichtung auf eine kapitalmarktorientierte Berichterstattung ist zu diesem Zeitpunkt vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Migros gerade seit den späten 1970er Jahren eine stärkere Eigenkapitalquote aufwies und sich gerade nicht in Richtung des Kapitalmarktes orientierte.118 Indem die Migros die Geschäftsberichte aber klarer auf eine betriebswirtschaftlich vorgebildete Leserschaft zuschnitt, verringerte sie die Ausrichtung auf die Informationsbedürfnisse ihrer wichtigsten Anspruchsgruppen – der Mitarbeiter und der Kunden, die oftmals zugleich Genossenschafter und damit die eigentlichen Adressaten ökonomischer Informationen waren. Gerade die Organisation als Genossenschaft führte zu einer stärkeren Informationsasymmetrie zwischen Management und Eigentümern der Migros, als dies bei Aktiengesellschaften der Fall ist.119 Die Sozialbilanz bot den geeigneten Rahmen, die Informationsbedürfnisse von Mitarbeitern und Genossenschaftern zu befriedigen. Durch die parallele Veröf115 Vgl. Migros Sozialbilanz 1980, S. 3: Innerhalb dieser Auflage waren 16.000 Exemplare für den deutschen, 8000 für den französischen, 3000 für den italienischen Sprachraum bestimmt, und 5000 Exemplare erschienen in englischer Sprache. Zwar bediente die Migros durch die mehrsprachige Auflage damit einerseits ihre vielsprachigen Kunden, sie gehörte jedoch auch zu den ersten Unternehmen, die Sozialbilanzen bewusst für den internationalen Raum veröffentlichte, indem sie sie in englischer Sprache verfasste. 116 Welskopp 2003, S. 36. 117 Vgl. Trachsel 2003. 118 Vgl. Hiestand 2003, S. 175. 119 Vgl. S. Meier 2003.

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fentlichung des Geschäftsberichts konnte die Migros trotzdem zeitgleich solide Kapitalmarktinformationen bereitstellen. Der Migros kamen in der Erstellung der Sozialbilanzen die Erfahrungen zugute, die Meinolf Dierkes als wissenschaftlicher Berater bereits mit deutschen Unternehmen gemacht hatte. Sie konnte damit Fehler vermeiden, die die deutschen Pionierunternehmen begangen hatten.120 Sowohl Dierkes als auch Arnold betonten den experimentellen, auf einen langfristigen Lernprozess ausgerichteten Charakter der Migros Sozialbilanz.121 So musste sich die Migros nicht mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, eine bloße Hochglanzbroschüre ohne substantiellen Inhalt veröffentlicht zu haben.122 Im Gegenteil nutzte sie die bestehenden Beziehungen zu eigenen und externen Forschungseinrichtungen, um sich auf umfangreiches Datenmaterial in der Sozialbilanz beziehen zu können. Die Sozialbilanz war jedoch auch Ausdruck einer veränderten Kommunikationspolitik, die wieder unter der Kontrolle der Unternehmensleitung stehen sollte: Die Migros Zeitung TAT, die über Migros-Produkte durchaus kritisch berichtete,123 wurde in der 1978 erscheinenden Sozialbilanz zunächst noch als Reformprojekt angepriesen: Die TAT setzt sich für eine freie, offene und demokratische Gesellschaft ein. Sie engagiert sich für das soziale Kapital, für die freie Marktwirtschaft und für die Konsumenten, und sie kämpft gegen Monopole, Kartelle und Missbräuche. [...] Im wirtschaftlichen und sozialpolitischen Bereich nimmt die TAT eindeutig für den Konsumenten Stellung: Das Informationsdefizit, das dieser den Produzenten gegenüber hat, soll verringert werden.124

Doch noch im Berichtsjahr wurde die Redaktion aufgelöst, deren Mitarbeiter traten in den Streik und die Migros sah sich darüber hinaus mit weiteren Fronten der Kritik aus eigenen Reihen konfrontiert. Hans A. Pestalozzi, ehemaliger Assistent Gottlieb Duttweilers und Leiter des GDI, provozierte die Migros-Leitung in den siebziger Jahren mit Forderungen nach mehr Umweltschutz und sozialer Verantwortung. Die zunehmende Radikalisierung des Instituts war der Migros-Leitung und dem ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Arnold ein Dorn im Auge und führte 1979 schließ120 Wie Thomas Welskopp feststellt, verfolgte die Migros auch in ihren Geschäftsbereichen gezielt bereits erprobte Strategien der Konkurrenz und konnte von deren Erfahrungen profitieren. Vgl. Welskopp 2003, S. 16-17. 121 Vgl. Dierkes 1978a, S. 269; Migros Sozialbilanz 1980, S. 5; Interview Dierkes 19.10.2010. 122 Vgl. Heymann et al. 1984, S. 115. 123 1935 unter dem Titel Die Tat von Duttweiler gegründet. 1976 wurde der Titel nach einer Umstrukturierung in TAT gekürzt. Vgl. Mahler 2003, S. 227; Migros Sozialbilanz 1977, S. 28. 124 Migros Sozialbilanz 1977, S. 28-29.

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lich zur Entlassung Pestalozzis. Dieser organisierte daraufhin die Bewegung MFrühling, der sich auch Max Frisch, Adolf Muschg und die Ökonomen Hans Christoph Binswanger (Hochschule St. Gallen) und Werner Geissberger anschlossen. Der M-Frühling kritisierte das massive Wachstum und die schwindenden demokratischen Strukturen innerhalb der Migros. Die Bewegung prägte schließlich den medientauglichen Begriff des »Migrosauriers«125 , der mit seiner Marktmacht den Schweizerischen Einzelhandel niederdrücke.126 Die von dem Unternehmensberater Claude M. Beck veröffentlichte Kritik an der Migros-Sozialbilanz, deren Zweck es sei, die Expansions- und Produktionspolitik des Unternehmens zu beschönigen, erhielt ebenfalls viel mediale Aufmerksamkeit und beschränkte die positive Wirkung der Sozialbilanz-Offensive in der Öffentlichkeit, die die Migros verfolgte.127 Becks Kritik galt insbesondere dem konzeptionellen Kern der Sozialbilanz, der Ausrichtung an den von Duttweiler formulierten Grundsätzen, »an die sich die Migros heute noch – vielleicht zähneknirschend halten muss«128. In ihrer zweiten Sozialbilanz für das Geschäftsjahr 1980 reagierte die Migros auf die Migrosaurier-Kampagne und veröffentlichte in einem Schwerpunktartikel die Ergebnisse einer Studie zweier Marktforschungsinstitute zu den Lieferantenbeziehungen der Migros. Die vom Unternehmen in Auftrag gegebene unabhängige Studie sollte für Kritiker und Kartellbehörde untersuchen, inwiefern die Migros ihre rund 20.000 Lieferanten durch ihre Marktmacht tatsächlich in Abhängigkeit versetze und damit deren wirtschaftlichen Erfolg langfristig gefährde. Der mit wissenschaftlichem Anspruch geschriebene Artikel unter dem damit für künftige Sozialbilanzen eingeführten Reihentitel »Unter der Lupe« offenbarte sowohl die Stärken als auch die Gefahren der Migros-Lieferanten-Beziehungen und war um eine transparente Abbildung dieser Beziehungen bemüht. Aus den Befragungsergebnissen leitete die Migros die Einrichtung eines Verhaltenskodexes für Migros-Einkäufer ab, um diese beispielsweise für die Gefahren von Nachfrageschwankungen seitens des Konzerns für die Lieferanten zu sensibilisieren.129 Einen zweiten Schwerpunkt innerhalb der Publikation bildete die Veröffentlichung der Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung, die in reduzierter Form in den nachfolgenden Sozialbilanzen für die Geschäftsjahre 1983 und 1986 fortgeführt wurde. Der Mitarbeiterbericht in der Sozialbilanz der Migros – als einem der größten Schweizer Arbeitgeber – hob sich gegenüber Sozialbilanzen anderer Unternehmen dadurch hervor, dass er nicht nur Fluktuationszahlen, sondern auch Gründe für Unternehmensaustritte anführte und in anderen Personalfragen ebenso detailgenau 125 Zit. nach Mahler 2003. 126 Vgl. Mahler 2003. 127 Vgl. ebd., S. 227. 128 C.M. Beck 1978, S. 26. 129 Vgl. Arnold 1984, S. 317; Migros Sozialbilanz 1980, S. 15-32.

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berichtete. Im europäischen Vergleich betrachtet, wies die Migros Sozialbilanz jene Indikatorendichte auf, die französische Sozialbilanzen per Gesetz zu erfüllen hatten, berichtete aber zugleich auch mit qualitativer Dichte durch die zielbezogene Ausrichtung wie deutsche oder schwedische Unternehmen. In einigen Abschnitten der Sozialbilanzen führte diese qualitative Ausrichtung zu einem Verzicht auf die Entwicklung quantitativer Indikatoren. Kritiker bemängelten sowohl den inkonsequenten Indikatoreneinsatz als auch den allzu wissenschaftlichen Stil der Publikation, die ihre eigentliche Zielgruppe vernachlässige.130 Trotzdem ist das Projekt der Migros als äußerst ambitioniert zu beurteilen. Gelingen konnte es durch die enge wissenschaftliche Begleitung der Arbeitsgruppe Sozialbilanzen im Unternehmen, die sowohl Meinolf Dierkes leistete als auch der auf Sozialindikatorenforschung spezialisierte Schweizer Soziologe Matthias Peters bei den letzten beiden Sozialbilanzen von 1983 und 1986.131 Mit der vierten Sozialbilanz stellte die Migros deren Veröffentlichung ein, obwohl in der Einleitung auf weitere geplante Veröffentlichungen Bezug genommen wurde. 1986 ging der Hauptverantwortliche für die Sozialbilanz bei der Migros, Werner Baumann, in den Ruhestand.132 Zuvor hatte es bereits einen Wechsel an der Unternehmensspitze gegeben. 1984 übernahm Jules Kyburs das Präsidialamt in der Verwaltungsdelegation von Pierre Arnold. Damit verließen die zwei Hauptförderer des Projektes das Unternehmen. Die Migros hatte mit ihrer Sozialbilanz eine Vorbildfunktion inne und nahm damit Einfluss auf den praxisbezogenen wie wissenschaftlichen Diskurs über Sozialbilanzen in der Schweiz. Letzterer wurde weiterhin von Meinolf Dierkes geprägt, und auch das Genfer Battelle-Institut sorgte für die Verbreitung von Sozialbilanzkonzepten.133 Neben der Migros hatte die Roco Conserven AG (Rorschach/Bodensee) in den 1970er Jahren Daten zum Einfluss der Produktion auf die Umwelt in einer eindimensionalen Indikatorenrechnung im Geschäftsbericht veröffentlicht. Das Konzept für diese umweltbezogene Berichterstattung entwickelte eine interdisziplinäre Forschergruppe der Hochschule St. Gallen: Die Roco testete das Konzept, das zunächst die Erhebung physikalischer Daten (Energie-, Wasser- und Materialverbrauch, Emissionen etc.) vorsah, deren monetäre Werte dann in einem zweiten Schritt ermittelt wurden. Nestlé plante in den späten siebziger Jahren die Veröffentlichung einer in den Geschäftsbericht integrierten Sozialberichterstattung, entschied sich aufgrund der komplexen multinationalen Verflechtungen des Unternehmens jedoch dagegen und publizierte ab 1978 einen eigenständigen, hauptsäch130 Vgl. Dierkes 1978a; Migros Sozialbilanz 1977; Toffler 1980, S. 259; zur Kritik siehe Heymann et al. 1984, S. 115; M. Peters 1979, S. 20-21; de Senarclens 1981, S. 15-16; Wysocki 1981, S. 124-125. 131 Vgl. Migros Sozialbilanz 1983, S. 1; dies. 1986, S. 1. 132 Vgl. Migros Sozialbilanz 1986, S. 1-2. 133 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, Annex 4, Battelle-Geneva.

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lich an die Mitarbeiter gerichteten Bericht, integrierte allerdings personalbezogene statistische Daten in den Geschäftsbericht. So entzog sich Nestlé dem Vorwurf, mit der Publikation lediglich auf Produktboykotte und Anschuldigungen zu reagieren, die im Zusammenhang mit Kritik an der Unternehmenspolitik in Entwicklungsländern vorgebracht wurden. Nestlé wurde vorgeworfen, durch allzu aggressive Werbung für seine Produkte in Ländern, in denen die Wasserqualität nicht ausreiche, um mithilfe des Nestlé-Milchpulvers einen gesunden Ersatz für Muttermilch zu bieten, das Leben von Säuglingen zu riskieren. Die Veröffentlichung von The Baby Killer durch die Hilfsorganisation War on Want hatte den Nestlé-Skandal 1974 ausgelöst.134 1979 folgte der Elektronikhersteller Brown Boveri & Cie. und veröffentlichte ebenfalls eine Sozialbilanz, die ausschließlich an den Informationsbedürfnissen der Mitarbeiter ausgerichtet war. Die Schweizerische Metall-Union publizierte als erster Verband eine Sozialbilanz mit einem Schwerpunkt auf der Wertschöpfungsrechnung, um die volkswirtschaftliche Bedeutung des Verbandes für die Schweiz hervorzuheben. Mindestens 35 Schweizer Unternehmen veröffentlichten bis 1979 eine Wertschöpfungsrechnung in ihrem Geschäftsbericht oder in einem gesonderten Sozialbericht. Darunter waren Ciba-Geigy, Ringier, die Schweizer Tochterfirmen von Gulf Oil und Shell, Nestlé, Swiss Air, die Treuhandgesellschaft Visura, aber auch kleinere Firmen wie Brauereien und Genossenschaften oder öffentliche Institutionen wie die Schweizerische Post (PTT), der Arbeitgeberverband Schweizerische Metall-Union (SMU) oder 1982 die Universität Genf, die vor allem auf eine Berichterstattung zu internen Zwecken setzten. Als zurückhaltendste Berichterstatter erwiesen sich – wie auch in Deutschland – Banken und Versicherungen.135 Großbritannien Die von der Labour Party geführte Regierung unter Harold Wilson versuchte, die Informationsrechte von Anspruchsgruppen gegenüber Unternehmen durch Maßnahmen im Bereich der Mitarbeiter-, Umwelt- und Konsumentenrechte zu stärken. So erließ die Regierung im Zuge der auch in Großbritannien geführten Mitbestimmungs-, Quality of Life- und Humanisierungsdebatten im Juli 1974 den Health and Safety at Work Act und im November 1975 den Employment Protection Act. Ersteres Gesetz forderte, die Beschäftigten und externe Kontrolleure über Sicherheitsund Gesundheitsgefahren zu unterrichten. Darüber hinaus sollte mit dem Gesetz eine Grundlage für die Berichterstattung über Maßnahmen zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten oder anderer möglicher Betroffener im jährlichen Lagebericht (Director’s Report) geschaffen werden. Obwohl dieses Anliegen 134 Vgl. Berghoff 2004, S. 169-170; Kädtler 2001, S. 226-228. 135 Vgl. Hemmer 1980, S. 35; Heymann et al. 1984, S. 113-143; Meyer-Merz 1985, S. 6-10 u. 557-609; M. Peters 1979, S. 23-24; de Senarclens 1981, S. 8-17 u. 37-39.

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im Companies Act zur Reform des Unternehmensrechtes 1985 wiederholt wurde, konnte die Informationspflicht letztlich nicht gesetzlich festgeschrieben werden. Der Employment Protection Act räumte Gewerkschaften das Recht ein, Informationen einzufordern, die in Tarifverhandlungen von Bedeutung sind: damit also vor allem Informationen über die Beschäftigtenstruktur, Entlohnung und freiwillige Sozialleistungen an die Mitarbeiter eines Unternehmens. Auch im Bereich des Umweltschutzes wurde die britische Regierung in der ersten Hälfte der 1970er Jahre aktiv. 1970 wurden eine Royal Commission on Environmental Pollution und das Department of Environment eingerichtet, 1974 der Control of Pollution Act erlassen, der es Lokalbehörden erlaubte, Daten zur Luft- und Wasserverschmutzung von der Industrie einzuholen und zu veröffentlichen; er verpflichtete sie allerdings nicht dazu.136 1975 setzte die Regierung den National Consumer Council (NCC) ein, der als NGO die Konsumenteninteressen gegenüber dem Unternehmen vertreten und organisatorisch eine ähnliche Stellung haben sollte wie der britische Gewerkschaftsbund Trades Union Congress (TUC) und der Arbeitgeberverband Confederation of British Industry (CBI). Dahinter steckte die Idee dessen, was später als StakeholderDialog bezeichnet werden sollte. Der Handlungsspielraum des NCC entsprach jedoch bei weitem nicht dem des TUC und der CBI. Die Bestrebungen der WilsonAdministration waren allerdings nicht im luftleeren Raum entstanden. Zumindest die Konsumentenrechte waren bereits durch den Weights and Measures Act 1963, die Trade Descriptions Acts von 1968 und 1972 und den Fair Trading Act 1973 verbessert worden.137 Darüber hinaus hatte die Conservative Party bereits 1973 einen Reformvorschlag zum Unternehmensrecht eingebracht, der die Inhalte des Director’s Report statuieren sollte, aber mit dem Regierungswechsel 1974 scheiterte. Dieser Reformvorschlag (White Paper) antizipierte den Health and Safety at Work Act und sah die Dokumentation von Maßnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Gewährung der Sicherheit für Beschäftigte und die Öffentlichkeit vor. Ferner sollte er die Unternehmenskultur und Beschäftigungspolitik des Unternehmens sowie die Einhaltung der o.g. Gesetze zum Konsumentenschutz abbilden.138 An den USA orientiert und angeregt durch das eigene White Paper der Regierung setzten sich auch in Großbritannien die Wirtschaftsprüfer mit der Entwicklung von Standards zum Social Accounting auseinander und standen der Idee positiv gegenüber. Das Institute of Chartered Accountants in England and Wales (ICAEW) 136 Vgl. R. Gray et al. 1987, S. 39-41; P. Miller/Rose 1995, S. 447; Uekötter 2011, S. 90; WSI 1981, S. 346-357; BDA Abt. VII: Rundschreiben d. Ausschusses für Soziale Betriebsgestaltung, Gesellschaftsbezogene Berichterstattung (28.10.1975), S. 3. 137 Vgl. Beesley/Evans 1978, S. 80-81 u. 87-93; R. Gray et al. 1987, S. 9. 138 Vgl. Beesley/Evans 1978, S. 76-78; R. Gray et al. 1987, S. 41-42; Marinetto 1999, S. 812; Robertson 1978, S. 120-121.

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hatte 1970 das Accounting Standards Steering Committee (ASSC) eingerichtet, um verbindliche Standards für die Finanzberichterstattung zu entwickeln, unter anderem für die Bereiche Steuern, Subventionen sowie Forschung und Entwicklung in der Rechnungslegung.139 Eine Arbeitsgruppe des ASSC befasste sich zwischen Oktober 1974 und Juli 1975 mit möglichen Berichtsstandards, die in einem 1975 veröffentlichten Diskussionspapier unter dem Titel The Corporate Report zusammengefasst wurden.140 Das Papier definierte die Adressaten des Geschäftsberichtes (Kapitalgeber, Mitarbeiter, Zulieferer, Branche, Regierung, Öffentlichkeit), die Inhalte (Wertschöpfungsrechnung, Beschäftigte, Steuern, Subventionen, Aussichten der wirtschaftlichen Entwicklung, Ziele des Unternehmens) und den Zweck der Berichterstattung (Evaluierung der Leistung, Effizienz/Zielerreichung des Unternehmens und des Managements, Einschätzung der wirtschaftlichen Stabilität oder Schwäche). Inhalte und Zweck sollten auch auf die Interessen der Gesellschaft und der nationalen Wirtschaft im Hinblick auf verursachte soziale Kosten oder erbrachten sozialen Nutzen ausgerichtet werden.141 Das Department of Trade orientierte sich an diesen Vorschlägen und veröffentlichte 1976 eine eigene Empfehlung zur Gestaltung von Geschäftsberichten einschließlich sozialbezogener Themen. Spätestens mit dieser Regierungsinitiative jedoch wurde der Protest von Arbeitgeberseite deutlicher. CBI und das Institute of Directors wollten die Berichterstattung auf das Notwendigste reduziert sehen und fürchteten eine zu starke staatliche und öffentliche Einmischung in die Belange von Privatunternehmen. Unter den Unternehmen, die bereits gesellschaftsbezogene Berichte veröffentlichten, waren: die British Telecom, die Mineralölkonzerne Royal Dutch/Shell und BP, der Automobilkonzern British Leyland, die unter anderem in der Chemiebranche tätigen Unternehmen Unilever, Courtaulds, Avon Rubber und Imperical Chemical Industries (ICI), der Technikkonzern Tube Investments und das Bergbauunternehmen Rio Tinto-Zinc. Sie veröffentlichten in den 1970er und 1980er Jahren entweder eigenständige gesellschaftsbezogene Berichte oder Geschäftsberichte, die ein Statement on Corporate Social Responsibility enthielten.142

139 Vgl. R. Gray 2002, S. 690; URL: ICAEW – History and Development. 140 Vgl. ASSC 1975; R. Gray et al. 1987, S. 43-53. 141 Vgl. ASSC 1975. 142 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 11-16; vgl. R. Gray et al. 1987, S. 4850, 95, 114-5 u. 137-144; Kapitel 5.1.5.

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Schweden Auch in Schweden wurde die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft diskutiert. Im Zusammenhang mit dem wachsenden Einfluss multinationaler Unternehmen und Diskussionen um Partizipation, Lebensqualität, Umwelt- und Konsumentenschutz, Arbeitslosigkeit, Mitbestimmung143 und die Humanisierung des Arbeitslebens rückte die Frage nach dem Maß der Verantwortung von Unternehmen gegenüber ihren Stakeholdern in den Fokus der Öffentlichkeit. Staatliche Unternehmen wurden per Gesetz dazu verpflichtet, Grundsätze für den Umgang mit ihren Stakeholdern schriftlich zu fixieren. Einige Privatunternehmen folgten diesem Beispiel und entwickelten eigene Verhaltenskodizes. Infolge dieser Entwicklung entstand Mitte der 1970er Jahre eine Debatte um Sozialbilanzen als mögliche Instrumente zur Messung des sozialen Beitrags von Unternehmen. Staatliche wie private Unternehmen – darunter das staatlich geführte Forstwirtschaftsunternehmen ASSI oder das private Pharmaunternehmen Astra (heute AstraZeneca) – experimentierten mit der Entwicklung von Sozialbilanzen und arbeiteten in Einzelprojekten mit wissenschaftlichen Beratern zusammen. Bei Volvo wurde die Sozialbilanz im Zusammenhang mit Fallstudien zur Bemessung der sozialen Kosten von Mitarbeiterfluktuation und Fehlzeiten für Unternehmen, Gemeinde und Gesellschaft eingeführt und diente als internes Managementinstrument.144 Die beiden Wirtschaftswissenschaftler JanErik Gröjer und Agneta Stark von der Universität Stockholm initiierten in Zusammenarbeit mit dem Studienverbund für Wirtschaft und Gesellschaft (Studieförbundet Näringsliv och Samhälle) im Herbst 1974 ein Projekt zur Implementierung von Sozialbilanzen in einem schwedischen Stahlwerk und bei dem schwedischen Chemiekonzern Fortia, dessen Produktions- und Umsatzschwerpunkt auf pharmazeutischen Produkten lag. Ziel des Vorzeigeprojektes war es, mit wissenschaftlich fundierten Methoden und einem zugleich für die Praxis geeigneten Zugang eine Sozialberichterstattung in den Unternehmen zu implementieren, die für interne wie externe Informationszwecke gleichermaßen nützlich sein würde. Während die Sozialbilanz des Stahlwerkes ausschließlich als internes Managementinstrument genutzt wurde, richtete Fortia seine Sozialbilanz an alle Stakeholder des Unternehmens. Dies interpretierten Stark und Gröjer als eine Reaktion auf die zunehmende öffentliche Kritik an der Pharmaindustrie in ihrer Rolle als Profiteur von Krankheiten. Bemerkenswert an diesem Projekt war der theoretische Zugang zur Sozialbilanzierung. Sie sollte nicht als Ergänzung zur finanzbezogenen Berichterstattung konzipiert werden, sondern im Gegenteil die Finanzberichterstattung als Teil der Sozialberichterstattung verstanden werden. Dies wurde damit begründet, dass das Unter143 Mit Wirkung zum 01.01.1977 verabschiedete die schwedische Regierung ein Rahmengesetz zur Mitbestimmung. Vgl. WSI 1981, S. 358. 144 Vgl. Gray et al. 1987, S. 34-36; Gröjer/Stark 1977, S. 349; Lindstedt-Axhamre/Stymne 1979.

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nehmen in die Gesellschaft eingebettet sei und nicht umgekehrt. Darüber hinaus wurden die Stakeholder des Unternehmens als Mitwirkende am Unternehmen definiert und der Versuch unternommen, die einzelnen Stakeholder-Gruppen zu identifizieren: Mitarbeiter, Anteilseigner, Konsumenten, das Unternehmen selbst, die physische Umwelt, kommunale, regionale und nationale Behörden. Deren Interessenvertretung wurde anhand der Definition und Umsetzung von Zielen in der Sozialbilanz modelliert. Um diese Ansprüche umzusetzen, wurden zum einen objektive Indikatoren wie finanzbezogene, statistische oder andere technische Daten erhoben und verwendet – beispielsweise zur Luftverschmutzung oder Mitarbeiterbezahlung – und zum anderen Befragungen der Stakeholder durchgeführt. Diese beschränkten sich allerdings auf die Gruppe der Mitarbeiter und auf Mediziner, die die Gruppe der Konsumenten repräsentierten. Die Mitarbeiter wurden per Fragebogen zur Arbeitszufriedenheit, zu Motivationsgründen und zur persönlichen Einschätzung der Gesundheits-, Arbeits- und Arbeitsplatzsicherheit befragt, die Mediziner in persönlichen Interviews zur Wirksamkeit und zu Nebenwirkungen von Fortia-Medikamenten. Innerhalb des Bearbeitungszeitraums des Berichtes von mehr als zwei Jahren wurde eine zweite Befragung der Mitarbeiter durchgeführt, um die Wirkung von Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit zu messen, die nach der ersten Befragung vorgenommen wurden. Das Ergebnis dieses elaborierten Projektes war ein Mischansatz aus subjektiven und objektiven Indikatoren, statistischen Daten und verbalen Beschreibungen der Beziehungen des Unternehmens zu seinen Stakeholdern.145 Charakteristisch für das schwedische Sozialbilanz-Modell, das über Schwedens Grenzen hinaus Beachtung fand, war der Zweck der Publikation. Sie wurde als Möglichkeit betrachtet, die Perspektive der Stakeholder abzubilden und nicht jene des Managements oder Eigentümers, auch wenn den Unternehmen von wissenschaftlicher Seite in erster Linie Legitimationsdefizite als Motivation für die Sozialbilanzaktivitäten vorgehalten wurden.146 Niederlande In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre begannen niederländische Unternehmen vermehrt Personalberichte zu veröffentlichen, die Mitarbeiter und Betriebsräte als informationssuchende Anspruchsgruppe in der Berichterstattung von Unternehmen berücksichtigten. Im Verlauf der ersten Hälfte der 1970er Jahre nahm die Zahl der Sozialberichte weiter zu, und die Gruppe der potentiellen Leser wurde ausgeweitet auf Gewerkschaften, Protestgruppen, Anwohner, Verbraucherorganisationen und die Presse. Dekker und van Hoorn stellten 1977 fest, dass zum einen Veränderungen der legislativen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Publikationspflicht und der Mitarbeitervertretung zu einer Ausweitung der Sozialberichterstattung für die 145 Vgl. Gröjer/Stark 1977. 146 Vgl. Gray et al. 1987, S. 141 u. 163; Lindstedt-Axhamre/Stymne 1979, S. 115 u. 120.

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Öffentlichkeit (Sociaal Jaarverslag) geführt hatten, aber auch Veränderungen der sozialen Rahmenbedingungen durch eine kritischere Öffentlichkeit, die Unternehmen zu verantwortungsbewusstem gesellschaftlichen Handeln aufforderten. 1974 veröffentlichte der Verband der Metall- und Elektroindustrie (Federatie voor de Metaal- en Electrotechnische Industrie, FME) einen Leitfaden zur inhaltlichen Gestaltung von Sozialberichten, 1975 folgte der Arbeitgeberverband VNO (Verbond van Nederlandse Ondernemingen) mit einer Empfehlung zur Gestaltung von Sozialberichten, 1976 der Niederländische Gewerkschaftsbund (Federatie Nederlandse Vakbeweging, FNV). Mindestens hundert Unternehmen in den Niederlanden veröffentlichten 1976 erweiterte Sozialberichte, allerdings mit großen inhaltlichen Schwankungen. Quantitativ hatte die Berichterstattung über Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen, Arbeitsplatzbewertung und Karrierechancen zwischen Mitte der 1960er und Mitte der 1970er Jahre jedoch insgesamt deutlich zugenommen.147 Belgien Die christdemokratische Regierungspartei in Belgien (CDV – Christen-Democratisch en Vlaams) plante 1977 nach dem Vorbild Frankreichs eine gesetzliche Regelung der Sozialberichterstattung im Rahmen eines Programms zur Humanisierung der Arbeit. Von der Regelung sollten mittlere und kleinere Unternehmen ausgenommen sein. Den Betriebsräten sollte ein Mitspracherecht durch die Möglichkeit einer Stellungnahme im Bericht eingeräumt werden, doch die gewerkschaftliche Seite war in Bezug auf den Nutzen von Sozialbilanzen für ihre Zwecke gespalten. Während die sozialistische FGTB (Fédération Générale du Travail de Belgique) Sozialbilanzen grundsätzlich ablehnte, entwarf die konservative CSC (Confédération des Syndicats Chrétiens) ein eigenes Konzept. Letztlich wurden die Pläne einer staatlichen Regulierung gänzlich verworfen. Unternehmen im wallonischen wie im flämischen Teil des Landes experimentierten mit Sozialbilanzkonzepten, darunter die Stahlproduzenten Bekaert und Cockerill, BASF Antwerpen, der Waffenproduzent Fabrique National Herstal oder die Société Générale de Banque. Eine Analyse des Genfer Battelle-Instituts von 1979 ergab, dass die Sozialbilanzen wallonischer Unternehmen Parallelen zur französischen Sozialbilanzpraxis aufwiesen, jene flämischer Unternehmen zur niederländischen Praxis.148

147 Vgl. Dekker/van Hoorn 1977; Gray et al. 1987, S. 36; Igalens/Peretti 1982, S. 58; de Senarclens 1981, S. 7. 148 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 8-10; Gray et al. 1987, S. 36-37.

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Italien Gerade einmal fünf italienische Unternehmen veröffentlichten 1979 Sozialbilanzen: der Automobilhersteller Fiat, der unter anderem in der Chemie- und Energiebranche tätige Mischkonzern Montedison, der Haushaltsgerätehersteller Merloni sowie die italienischen Tochterfirmen von IBM und des Reinigungsmittelhersteller Johnson Wax. Die Unternehmen erstellten unter Leitung des Arbeitgeberverbandes Confindustria (Confederazione Generale dell’Industria Italiana) Sozialbilanzen nach einem Berichtsschema, das im Battelle-Institut Genf entwickelt worden war und einen Indikatorenkatalog mit Bezug auf die Anspruchsgruppen Mitarbeiter, Verbraucher, Anteilseigner und Geschäftspartner vorgab. Von staatlicher Seite gab es kein Interesse an einer Regulierung der Sozialbilanzierung.149 Spanien Ähnlich wie in Italien gab es auch in Spanien keine Bestrebungen von staatlicher Seite, die gesellschaftsbezogene Berichterstattung regulieren zu wollen. Allerdings waren die staatlichen Rahmenbedingungen hier in besonderem Maße Voraussetzung dafür, dass überhaupt Sozialbilanzen veröffentlicht wurden. Erst mit dem Ende des Franco-Regimes und einer beginnenden Demokratisierung im Land waren Unternehmen mit Forderungen nach gesellschaftlicher Verantwortung und einem erhöhten Legitimationsbedürfnis konfrontiert. Das aus den Autarkiebestrebungen der Franco-Diktatur hervorgegangene, staatliche Instituto Nacional de Industria (INI), das nach 1975 selbst um Legitimation rang und sich den Prinzipien des Marktes zu öffnen versuchte,150 legte Ende der 1970er Jahre ein Konzept zur Erstellung von Sozialbilanzen vor. Dieses Konzept sah die Berücksichtigung gesellschaftsbezogener Ziele in der Unternehmensführung vor (gestion social integrada) und wies große Ähnlichkeiten zum Goal Accounting-Konzept von Meinolf Dierkes auf, das in Spanien durchaus rezipiert wurde.151 Die wenigen sozialbilanzierenden Unternehmen im Land experimentierten allerdings entweder mit eigenen Ansätzen – wie das staatliche Zellstoffunternehmen Empresa Nacional de Celulosas – oder orientierten sich – wie im Falle der Banco Popular oder der am Konzept des Battelle-Instituts Genf ausgerichteten Sozialbilanz der Banco de Bilbao – an externen Konzepten.152

149 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 20-21. 150 Vgl. Tortella 2000, S. 300, 317-319 u. 421. 151 Vgl. Dierkes/García Echeverría 1978. 152 UA BAG ZÖ 0007/377: Battelle-Bericht 1979, S. 17-19; Annex Nr. 3: Spain, INI Main Issues of the Social Audit; Gray et al. 1987, S. 37.

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Japan In Japan erschienen zu Beginn der 1970er Jahre zahlreiche Publikationen zur Frage der sozialen Verantwortung von Unternehmen und zu Sozialbilanzkonzepten, die sich mit der Quantifizierung der sozialen und ökologischen Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeit beschäftigten. Bereits 1968 hatte eine Arbeitsgruppe der japanischen Gesellschaft für Rechnungslegung begonnen, sich mit dem Thema der Sozialbilanzierung auseinanderzusetzen. Die japanischen Konzepte haderten mit den gleichen Problemen wie die amerikanischen und europäischen: Die größte Herausforderung lag in der praxisorientierten Umsetzung der wissenschaftlichen Ansätze und darin, mögliche Feldstudien zur Verbesserung der Konzepte durchführen zu können. Die Zunft der Wirtschaftsprüfer war dabei durchaus offen für sozialwissenschaftliche Ansätze, und das japanische Institut der Wirtschaftsprüfer veröffentlichte 1975 Kriterien für eine fundierte Sozialbilanzierung. Zu den ersten Unternehmen, die Sozialbilanzen in Japan veröffentlichten, gehörten Bridgestone Tire (1972) und die Tokyo Electric Power Company (TEPCO).153 Zwischenfazit Neben den bereits skizzierten Beispielen veröffentlichten auch Unternehmen in Norwegen und Südamerika Sozialbilanzen. In Commonwealth-Staaten wie Kanada, Neuseeland, Australien oder Malaysia verbreitete sich die gesellschaftsbezogene Berichterstattung ebenfalls, oftmals eher nach amerikanischem denn britischem Vorbild und in Malaysia vor allem unter Tochterfirmen westlicher Industriestaaten. Vereinzelte Experimente gab es außerdem in Indien. Die ägyptische Regierung verordnete per Gesetz die Integration sozialer Daten in die standardisierte Rechnungslegung, um präzisere Informationen zum Bruttosozialprodukt der zentralisierten Planwirtschaft zu erhalten.154 Neben all den Parallelen in den Motiven für die Entwicklung von Sozialbilanzen in Theorie und Praxis durch Forderungen nach mehr unternehmerischer Verantwortung von außen, Standardisierungsbemühungen durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften oder deren Opposition gibt es jedoch ebenso große Unterschiede hinsichtlich der Anreize und Ausführungen gesellschaftsbezogener Berichterstattung. So mag es immer wieder Bezüge auf die ersten Social AccountingAnsätze und -Experimente in den USA geben; doch gab es auch zuvor schon wie beispielsweise in den Niederlanden oder in Deutschland eine ausgeprägte Kultur der Sozialberichterstattung. Die Divergenzen in der inhaltlichen Ausgestaltung der Sozialbilanzen zeigen sich insbesondere zwischen jenen Ländern, die Soskice und Hall in ihrem Varieties 153 Vgl. Tokutani/Kawano 1978. 154 Vgl. AlHashim 1977; Dierkes 1984, S. 1218; Gray et al. 1987, S. 26; Robertson 1978; de Senarclens 1981, S. 7.

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of Capitalism-Ansatz als Liberal Market Economies (LME) und als Coordinated Market Economies (CME) bezeichnen. LME zeichnen sich nach diesem Ansatz durch eine hohe Wettbewerbssensibilität, deregulierte und flexible Arbeitsbeziehungen mit niedrigen Investitionen in Ausbildung und durch öffentlich zugängliche Finanzinformationen aus; während CME vor allem von starken staatlichen Rahmenbedingungen und Netzwerken – insbesondere innerhalb von Branchen –, hohen Investitionen in die Ausbildung und in die Bindung von Fachkräften, ausgeprägter Qualitätskontrolle und einem bankendominierten Finanzierungsmodell bestimmt werden. LME beruhen stärker auf formellen Kommunikations- und Vertragsmodellen, während CME stärker auf Netzwerken und Vertrauen basieren. Mischformen zwischen diesen beiden stark dichotomisierenden Typen sind allerdings möglich. Als prototypische LME-Länder bezeichnen Soskice und Hall vor allem die angelsächsischen Länder Großbritannien, USA, Kanada, Australien; als CME-Länder gelten unter anderem Deutschland, Österreich, Belgien, die Niederlande, Frankreich, Italien, Finnland, Schweden, Dänemark und Japan.155 Gegenüber den Sozialbilanzen angelsächsischer Unternehmen zeigt sich in den Publikationen von Unternehmen aus CME-Ländern der starke Fokus auf die Beschäftigten als Stakeholder-Gruppe, die aufgrund des Fachkräftemangels und der hohen Investitionen in Aus- und Weiterbildung durch die Sozialbilanzen umworben werden sollten. Dagegen spielten der Verbraucher- oder Umweltschutz eine geringere Rolle im Vergleich zu den Sozialbilanzen von LME-Unternehmen, die durch eine Berichterstattung in diesen Bereichen Reputationsverluste und staatliche Regulierung zu verhindern suchten. Das im Vergleich zum deutschen oder französischen Fall hohe Interesse von Wirtschaftsprüfern an Sozialbilanzen in den USA und Großbritannien spiegelt die hohe Bedeutung der Berichterstattung als primärem Informationsinstrument am Kapitalmarkt gegenüber ihrer Bedeutung in den kontinentaleuropäischen Ländern. Dennoch zeichnet sich seit den 1970er Jahren durch die Internationalisierung des Wirtschaftsgeschehens eine Konvergenz in der Finanzberichterstattung durch die zunehmende Dominanz der SEC und durch die allmähliche Übernahme von US-Accounting-Standards ab, die auch Auswirkungen auf die gesellschaftsbezogene Berichterstattung hatte und die im Zuge der Entwicklung von CSR-Berichtsstandards gegenwärtig immer deutlicher hervortritt.156 Auch innerhalb Europas gab es als Reaktion auf die wachsende Internationalisierung der Geschäftstätigkeit europäischer Großkonzerne zu Beginn der 1970er Jahre von regierungspolitischer wie gewerkschaftlicher Seite Bemühungen, die nationalen Regelungen des Arbeitsrechts zu harmonisieren und den Versuch, einen Minimalkonsens in Bereichen der Arbeitszeitregelungen, Arbeitsbedingungen und Stellung der Gewerkschaften durchzusetzen, die sich in der sozialbezogenen Be155 Vgl. Hall/Soskice 2001. 156 Vgl. Kapitel 8.2; Hall/Soskice 2001; Rappa 2006, S. 32-24.

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richterstattung widerspiegelten. Auf dem europäischen Gipfeltreffen in Paris am 8. September 1972 wurden diese sozialpolitischen Ziele festgeschrieben. Die wirtschaftliche Entwicklung in Folge der beiden Ölkrisen bremste diese Bemühungen allerdings erheblich, so dass nationale Ziele stärker in den Fokus gerieten und einheitliche Regelungen erst im Maastrichter Vertrag 1993 kodifiziert werden konnten.157 Die Versuche der ILO, der UN und der OECD, Verhaltensstandards für multinational agierende Unternehmen bereits in den 1970er Jahren durchzusetzen, scheiterten – und scheitern bis heute – an den fehlenden Kapazitäten der Organisationen für umfassende Kontrollen. Dennoch sind sie als erster wichtiger Versuch zu werten, jene Lücke zu schließen, die zwischen der Reichweite nationaler Gesetzgebung und den Möglichkeiten der Verantwortungsflucht multinational agierender Unternehmen klafft. Der gegenwärtige CSR-Diskurs reflektiert dieses Problem weiterhin und macht auf alternative Regulierungsmöglichkeiten im Umgang mit multinationalen Unternehmen durch internationale Abkommen und Stakeholder-Netzwerke aufmerksam, die weniger restriktive Sanktionsmöglichkeiten haben als Staaten, aber die deshalb nicht weniger wirksam sein müssen.158

157 Vgl. Mittag/Zellin 2009, S. 165-167; Seifen 2009, S. 191-205. 158 Vgl. Biedermann 2007, S. 17-23; Jürgens 2006; Keohane 2005, S. 128-131; Quack 2006.

8. Ökobilanzen und Corporate-SocialResponsibility-Reporting

8.1 D IE

UMWELTBEWEGTEN 1980 ER J AHRE UND IHRE F OLGEN : V ON DER S OZIAL - ZUR

Ö KOBILANZ

In den 1950er Jahren setzte allmählich eine Verschiebung der öffentlichen Wahrnehmung von den Gefahren durch Umweltverschmutzung ein. Während zuvor vor allem die Betroffenheit durch unmittelbare lokale Effekte eine Handlungsmotivation für den Schutz der Natur darstellte, rückten nun die globalen Zusammenhänge ins Bewusstsein; eine Entwicklung, die Frank Uekötter als »Globalisierung der Umweltdebatte«1 bezeichnet. Rachel Carsons Silent Spring mit ihren Schilderungen über einen gedankenlosen Umgang des Menschen mit Chemikalien in der Natur und die Rezeption dieses und ähnlicher Bücher in den sechziger Jahren leistete dazu sicherlich ebenso einen Beitrag wie die 1972 vom Club of Rome veröffentlichte Studie The Limits to Growth.2 Diese Angst vor Umweltschäden bis hin zu -apokalypsen entwickelte sich zu einem öffentlichen, medial geförderten Konsens, der sich in den nachfolgenden Dekaden manifestierte und den Weg bereitete für ein wachsendes bürgerschaftliches und bürokratisches, aber auch radikaleres Engagement im Umweltschutz. 1961 wurde der World Wildlife Fund (WWF) zum Schutz bedrohter Arten ins Leben gerufen. Die international agierende Umweltschutzorganisation Greenpeace gründete sich zehn Jahre später in Kanada und sorgt seitdem mit plakativen und symbolträchtigen Aktionen für Aufsehen. Dagegen präsentierte sich der 1975 in Deutschland gegründete Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) eher bürgerlich.3 1972 erklärte die OECD mit den Guiding Principles Concerning International Economic Aspects of Environmental Policies das Verursacherprinzip (Polluter-Pays-Principle) zur internationalen Grundlage für den Umgang mit Umwelt1

Uekötter 2011, S. 80-91.

2

Vgl. Carson 1962; Meadows 1972; zu weiteren Autoren siehe Radkau 2011, S. 126-9.

3

Vgl. Hünemörder 2004; Uekötter 2003, S. 366-389; ders. 2011, S. 80-120.

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schäden, die von Unternehmen verursacht werden.4 Im selben Jahr setzten auch die Vereinten Nationen mit der Stockholmer Konferenz und der anschließenden Gründung des UN Environment Programme (UNEP) in Nairobi das Thema Umwelt auf ihre Agenda.5 Die von der Volkswagenstiftung finanzierte Studie The Limits to Growth erschien und zeigte die möglichen Folgen eines weiterhin ungebremsten ressourcenintensiven Wirtschaftens auf. Die Nord-Süd-Kommission unter Willy Brandt verfolgte mit ihrer Agenda eine global gerechtere Ressourcennutzung. Diese in der Retrospektive als Meilensteine der wachsenden – vor allem auch medialen – Aufmerksamkeit für den globalen Umweltschutz zu interpretierenden Ereignisse deuteten die Entwicklung an, die das Thema in den 1980er Jahren nehmen sollte. Umweltschutz geriet als Handlungs- und Kommunikationsfeld verstärkt in den Fokus von Unternehmen, Nationalstaaten sowie von internationalen Organisationen und wurde massentauglich. In Unternehmen wurde Umweltschutz nicht länger nur als Kostenfaktor und »Wachstumsbremse«6 gesehen, sondern in die liberale Wirtschaftsideologie eingebettet: Er war durch die Reduzierung des Energieverbrauchs, die Verminderung von Risiken und einer damit einhergehenden Einsparung möglicher Versicherungskosten rentabel geworden.7 Die Klimakonferenz in Toronto bildete 1988 den Ausgangspunkt für zahlreiche, nachfolgende transnationale Konferenzen. Die Bestrebungen eines internationalen Umweltschutzdialoges kulminierten schließlich 1992 in der UN-Konferenz von Rio de Janeiro. Die Umweltkatastrophen der Dekade und ihre mediale Repräsentation befruchteten diese Entwicklung, denn sie zeigten zum Teil auf drastische Weise die Folgen des unachtsamen industriellen Wachstums auf: Deutschland bangte um seinen sterbenden Wald, die Katastrophen von Bhopal und Tschernobyl kosteten mittel- und unmittelbar tausende Menschen das Leben, und die Auswirkungen der Verseuchungen wirken noch immer nach. Der Klimawandel und die drohende globale Erwärmung unter dem Schlagwort des Treibhauseffektes blieben allerdings über Jahrzehnte das Kernthema der Umweltschutzdebatte.8 Prägend für die Umweltdebatte in den 1980er Jahren war auch die BrundtlandKommission. 1983 wurde sie als Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter dem Vorsitz der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland eingesetzt, die 1987 ihren Bericht (Brundtland-Bericht, Our Common Future) veröffentlichte. Die Kommission erklärte, wirtschaftliches Wachstum sei unabdingbar, 4

Vgl. Biermann 2003, S. 4; Hodge 2000, S. 257; Külp 1976; Wöbse 2004.

5

Vgl. McNeill 2010; Radkau 2011, S. 138-9; Uekötter 2011, S. 89-91.

6

Uekötter 2011, S. 100.

7

Vgl. Doering-Manteuffel 2009, S. 63.

8

Vgl. Anders/Uekötter 2004; Berghoff 2004, S. 168; Engels 2003, S. 89-102; Hauff 1987, Vorwort (Brundtland-Bericht); Radkau/Schäfer 1987, S. 52; Radkau 2000, S. 284-340; ders. 2011, S. 548-9, 580-584 u. 594-608; Seefried 2015.

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um die globalen sozialen Unterschiede zu verringern, aber dieses Wachstum solle ressourcenschonender und mit langfristiger Perspektive geschehen. Hierfür müsse die Politik die institutionellen Grundlagen schaffen. Der Bericht stellte den aus der Waldwirtschaft stammenden Begriff der Nachhaltigkeit9 in den Mittelpunkt seiner Forderungen und betonte die Rolle multinational agierender Unternehmen als der einflussreichsten Akteure in einem Prozess nachhaltig orientierten Wachstums: Die Multinationalen können einen starken Einfluß auf die Umwelt und Ressourcen anderer Länder und auf die Gebiete unter internationaler Hoheit haben. Die Heimat- und Gastländer der MNKs [multinationalen Konzerne] teilen Verantwortlichkeiten und sollten auf diesem Gebiet zusammenarbeiten, um deren Richtlinien zu stärken. Beispielsweise sollten Informationen über Richtlinien und Standards, die von Unternehmen bei Investitionen in ihrem eigenen Heimatland angewendet und befolgt werden, insbesondere was gefährliche Technologien betrifft, den Gastländern weitergegeben werden.10

Die Brundtland-Kommission appellierte damit an die multinationalen – europäischen und amerikanischen – Konzerne, nicht nur in ihren Heimatländern umweltverantwortlich zu handeln, sondern auch auf globaler Ebene Verantwortung zu demonstrieren. Denn die politischen Rahmenbedingungen in den sogenannten Entwicklungsländern boten Konzernen nicht selten die Möglichkeiten, der restriktiven US-amerikanischen oder europäischen Umweltgesetzgebung zu entfliehen und unbeeinflusst von einschränkenden Grenz- und Richtwerten kostengünstiger zu produzieren. Der Bericht forderte die Beachtung jener Prinzipien ein, die grundlegend für die Definition nachhaltigen Wirtschaftens sind: der Erhalt der Ökosysteme und eine gerechte Verteilung von Ressourcen sowohl lokal als auch im Hinblick auf künftige Generationen, wenn auch das Ausmaß dieser gerechten Verteilung nicht klar spezifiziert wurde.11 Die United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) in Rio 1992 dagegen beschränkte sich nicht mehr nur auf allgemeine Prinzipien, denen zu folgen ratsam sei, sondern wollte mittels ihrer Agenda 21 konkretere Ziele festschreiben, die es zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips zu erreichen gelte. Anreize zum Umweltschutz sollten durch Entwicklungshilfen geschaffen werden, auch wenn dies in seiner Paradoxie – Umweltschutz

9

Vgl. Radkau/Schäfer 1987, S. 99; Die Kommission definierte den Begriff der Nachhaltigkeit in Abhängigkeit vom Begriff des Bedürfnisses als »[d]auerhafte Entwicklung [...], die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.« Hauff 1987, S. 46.

10 Hauff 1987, S. 89. 11 Vgl. Hoppe 2006, S. 105-109; Nuhn 2013, S. 78-9; Radkau 2011, S. 552; Siebenhüner 2009, S. 86-87.

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durch wirtschaftliche und zwangsläufig industrielle Entwicklung erwirken zu wollen – scheitern musste.12 Die Brundtland-Kommission und die Konferenz von Rio sorgten maßgeblich dafür, dass nachhaltiges Wirtschaften seit den frühen 1990er Jahren zum weithin anerkannten Globalziel avancierte, das im Verständnis von internationalen Organisationen, NGOs, Medien, Politik und Unternehmen öffentlich bekräftigt wurde. So begünstigte der nationale wie internationale Diskurs um Umweltschutz und Nachhaltigkeit – als Strategie zur Beförderung von Lebensqualität auf globaler Ebene – in den 1980er und 1990er Jahren die asymmetrische Entwicklung der umweltbezogenen unternehmerischen Berichterstattung zulasten der sozialbezogenen. Sowohl nationale als auch internationale Initiativen versuchten, Standards für eine umweltbezogene Berichterstattung zu entwickeln, die in den Kontext der Implementierung eines betrieblichen Umweltmanagements eingebettet wurden. Seit den späten 1980er Jahren bildeten sich schwerpunktmäßig Konzepte zu Umwelt-Audits als Instrumente eines Umweltmanagements heraus. Umwelt-Audits dienen dazu, umweltbezogene Ziele einer Organisation zu formulieren und das Erreichen dieser Ziele (z. B. die Reduzierung von Umweltrisiken) sowie die Einhaltung geltenden Rechts anhand einer umfassenden Dokumentation umweltbezogener Prozesse zu überprüfen. Hierbei können verschiedene Schwerpunkte gewählt werden, wie sie das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) definiert hat: Es kann eine Öko- oder Umweltbilanz für einen Betrieb erstellt werden ohne Berücksichtigung der einzelnen Produktionsprozesse im Betrieb (Betriebsbilanz), aber auch für Prozesse in einem Betrieb (Prozessbilanz), für den Lebenszyklus eines Produktes (Produktbilanz/Life Cycle Assessment) oder für einen Betriebsstandort unter Berücksichtigung der strukturellen Auswirkungen der Betriebstätigkeit (z. B. durch Verseuchung von Böden, Ressourcenverbrauch o.ä.) auf die ihn umgebende Umwelt (Standortbilanz). Letzterer Typ von Ökobilanz sollte durch die nachfolgend beschriebenen Berichtsstandards EMAS und ISO 14001 gefördert werden.13 Während Umweltberichte die Berichterstattung über Umweltthemen im Allgemeinen umfassen, sind Ökobilanzen eine spezifische Form von Umweltberichten, die tatsächlich eine Input-/Outputanalyse der Stoff- und Energieströme einer definierten Einheit (Produkt, Betrieb, Standort) abbilden. In der gegenwärtigen Nachhaltigkeitsberichterstattung kommen Ökobilanzen innerhalb eines Supply Chain Managements zum Einsatz, indem alle umweltbezogenen Daten aus dem Produktionsprozess vom Rohstoff über Zwischenprodukte bis zum Endprodukt vom jeweiligen Produzenten in den Bilanzen erfasst werden und so die Analyse der Öko-Effizienz eines Produktes und mögliche Verbesserungen erlauben, die den gesamten Produk-

12 Vgl. Radkau 2011, S. 554-564. 13 Vgl. Pick et al. 2001, S. 170-1.

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tionsprozess verändern können.14 In dieser Form stellen sie eine Kombination aus Produkt- und Standortbilanz dar. Die Überprüfung der Datendokumentation und Zielerreichung kann sowohl durch organisationsinterne als auch -externe Experten geschehen. Die externe Prüfung ermöglicht eine Zertifizierung von Umweltberichten durch unabhängige Institutionen wie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und staatliche oder private Zertifizierungsagenturen. Zertifizierungen dienen vor allem der Kommunikation mit den Stakeholdern und sollen dem Umweltschutzkonzept eines Unternehmens mehr Glaubwürdigkeit verschaffen.15 Diese Form der Überprüfung, die häufig eher durch nicht-staatliche als durch staatliche Akteure geschieht, markiert einen GovernanceWandel hin zur staatlichen Deregulierung der Überwachung von Unternehmen, die eine dominante Begleiterscheinung des Globalisierungsphänomens ist.16 Die Agenda 21 der Rio-Konferenz erhob die Steigerung der umweltbezogenen Berichterstattung zu einem der Ziele, das eine nachhaltige Wirtschaftsweise befördern helfen sollten. Zu diesem Zweck veröffentlichte das UNEP zusammen mit dem Londoner Think-Tank SustainAbility17 unter der Leitung des britischen Beraters John Elkington 1994 einen Katalog mit 50 Einzelindikatoren, der Unternehmen als Leitfaden dienen sollte, um eine aussagekräftige Umweltberichterstattung einzurichten oder ihre bereits praktizierte zu verbessern. Eine der Grundlagen für die Indikatorenauswahl bildeten Best-Practice-Beispiele von Unternehmen, die fortgeschrittene Erfahrungen mit Umweltberichterstattung vorweisen konnten und zu den weltweit hundert Pionieren in der Umweltberichterstattung gezählt wurden, darunter die BASF, Bayer, Hoechst, Henkel, Kunert, Merck, Siemens, Volkswagen, die Schweizer Migros und Shell. Vor allem Unternehmen aus den USA, Großbritannien, Kanada, Skandinavien und Deutschland wurden als Vorreiter einer ausgereifteren Umweltberichterstattung angeführt. Der UNEP-Report identifizierte im Hinblick auf die Berichterstattung in diesen Ländern zwei Typen von Berichten: Die angelsächsischen Unternehmen betonten in ihren Berichten stärker die Einbindung der Umweltpolitik in die Unternehmensphilosophie und beschrieben ihr Umweltmanagement-Konzept. Quantitativ wurde lediglich über Emissionen berichtet, wohingegen das rheinische Modell der Berichterstattung der deutschen und skandinavischen Unternehmen den elaborierteren Versuch unternahm, Ökobilanzen mit In14 Vgl. Seuring/Beske 2009. 15 Vgl. Fichter/Clausen 1994, S. 72-3; Goebels 2001, S. 101; Sayre 1996, S. 134. 16 Vgl. Siebenhüner 2009, S. 91. 17 SustainAbility wurde 1987 von Elkington mitbegründet. Elkington gilt als Vordenker des Triple Bottom Line-Ansatzes, den er in dem 1997 veröffentlichten Werk Cannibals with Forks entwickelte. Der Ansatz propagiert die Integration ökologischer und sozialer Kennziffern in die ökonomische Rechnungslegung von Unternehmen. Vgl. Elkington 1999; URL: SustainAbility; ausführlicher dazu Kapitel 8.2.

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put- und Outputanalysen entlang des Produktionsprozesses und des ProduktLebenszyklus zu erstellen. Die Autoren vermuteten allerdings, es werde langfristig eine Konvergenz beider Ansätze geben. Im Beratungsgremium für die Erstellung des UNEP-Reports waren drei Vertreter von Industrieunternehmen, die schon in den 1970er Jahren den Sozialbilanzdiskurs mitgestaltet hatten: Shell International (Großbritannien/Niederlande), Rhône-Poulenc (Frankreich) und Ciba-Geigy (Schweiz). Der UNEP-Report verstand sich nicht als Blaupause für eine umfassende Umweltberichterstattung, sondern wollte vielmehr ein Set von Indikatoren anbieten, um Unternehmen eine Lernphase zu ermöglichen. Eines der Teilziele der Agenda 21 sollte zunächst die Ermutigung von Unternehmen zu einer Umweltberichterstattung sein. Eine optimale Berichterstattung sollte Auskunft geben über das Umweltmanagement im Unternehmen, die Stakeholderbeziehungen, finanzielle Transaktionen, Materialflüsse (Rohstoff-, Produkt-, Energieverbrauch, Abfälle, Emissionen etc.) und Anstrengungen im Bereich des nachhaltigen Wirtschaftens. Die Autoren identifizierten fünf Stufen der Umweltberichterstattung: von der Veröffentlichung von Hochglanzbroschüren oder kurzen Abschnitten im Geschäftsbericht zum Umweltschutz (Stufe 1), über vereinzelt erscheinende Umweltberichte und niedergeschriebene Umweltschutzerklärungen (Stufe 2), die Implementierung eines Umweltmanagementsystems im Unternehmen und die regelmäßige Herausgabe von Umweltberichten (Stufe 3), eine umfassende Datenerhebung für interne und behördliche Zwecke sowie eine öffentliche, auch quantitative Berichterstattung (Stufe 4) bis schließlich zu einer quantitativen Berichterstattung, die Nachhaltigkeitsindikatoren berücksichtige sowie alle Kosten, die zugunsten oder zum Nachteil der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes entstünden, bilanziere und möglichst internalisiere (Stufe 5). Unter Nachhaltigkeitsindikatoren wurden hier Informationen über die Einschätzung des eigenen Beitrages für Umweltschutzbelange, Maßnahmen zur Reduzierung von negativen Einflüssen auf Umwelt und Menschen, zum Technologietransfer, zur Erreichung der Agenda 21-Ziele und Informationen über alle Stoff- und Finanzströme des Unternehmens verstanden. Der UNEP-Bericht verortete die meisten Unternehmen mit bereits praktizierender Umweltberichterstattung auf Stufe 2 und 3, einige auf Stufe 4 und entwarf Stufe 5 als Ideal, das es zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu erreichen gelte.18 Chemiekatastrophen wie die in Bhopal 1984 durch Union Carbide oder die in der Nähe von Basel 1986 durch Sandoz verursachte, sorgten vielerorts für eine strengere Umweltgesetzgebung. Die USA verabschiedeten 1986 den Emergency Planning and Community Right to Know Act (Toxic Release Inventory, TRI) zur Dokumentation des Umgangs mit toxischen Chemikalien und deren Freisetzung in die Umwelt. In der BRD wurden am 15. Dezember 1989 das Produkthaftungs- und am 10. Dezember 1990 das Umwelthaftungsgesetz verabschiedet. Beide Gesetze 18 Vgl. UNEP/SustainAbility 1994.

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stärkten die Position von Anspruchsgruppen: Händlern, Versicherern, Konsumenten, Anwohnern und Beschäftigten. Sie verpflichteten Unternehmen zur Beachtung ökologisch sowie gesundheitlich tragbarer Produktionsbedingungen und Produkteigenschaften und förderten Bestrebungen zur umfassenden Dokumentation von Materialeinsatz sowie Produktionsprozessen von unternehmerischer Seite. Unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl wurde im Juni 1986 das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eingerichtet. Forderungen nach einer wirksameren Prävention durch Umweltmanagementsysteme und einer lückenlosen Dokumentation von Stoffen, Produkten und Produktionsabläufen wurden laut, und 1989 sprach sich die International Chamber of Commerce (ICC) erstmals für eine internationale Standardisierung des Umweltmanagements und für die Entwicklung von Umwelt-Audits aus. Die Europäische Kommission und der Europäische Rat planten daraufhin die verpflichtende Einführung von Umweltmanagementanforderungen und eine Regulierung der betrieblichen Umweltberichterstattung einschließlich der Zertifizierung der Publikationen als EG-Verordnung Eco-Management and Audit Scheme (EMAS). Zertifizierte Umweltberichte sollten helfen, die Ziele der europäischen Aktionsprogramme zum Umweltschutz umzusetzen.19 1990 wurde zunächst eine gesetzlich verpflichtende Berichterstattung für Unternehmen in Betracht gezogen, 1991 aber unter dem Druck von Unternehmensverbänden in Richtung eines freiwilligen Engagements revidiert. 1993 verabschiedete die EG die EMAS-Verordnung, die im April 1995 in Kraft trat und nach dem Vorbild des britischen Umweltmanagementstandards BS 7750 des British Standard Institute (BSI) entwickelt worden war. Sie sah eine staatlich kontrollierte Zertifizierung von Umweltberichten vor. Die Zertifizierung durch Gutachter – in Deutschland wurden sie durch die Deutsche Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter (DAU) bemächtigt – sollte dem Umweltmanagement und der externen Berichterstattung von Unternehmen gegenüber externen Anspruchsgruppen Glaubund damit auch Vertrauenswürdigkeit verleihen. Wirtschaftsverbände kritisierten vor allem den bürokratischen Aufwand durch die Verordnung, während der BUND die alleinige Fokussierung auf den Produktionsprozess bemängelte, der nur eine eingeschränkte Berücksichtigung der unternehmerischen Umweltauswirkungen darstelle.20 Die internationale Organisation für Normung (International Organization for Standardization, ISO) begann ebenfalls Anfang der 1990er Jahre, einen Standard für Umweltmanagementsysteme, umweltbezogene Berichterstattungen und Audits 19 Das erste Aktionsprogramm wurde 1973 verabschiedet. Das fünfte Programm von 1993 berücksichtigte bereits das Konzept der Nachhaltigkeit. 20 Vgl. ACCA 1997, S. 1-3; Adams/Kuasirikun 2000; Bültmannn/Müller 2001; Fichter/Clausen 1994, S. 71-9; Goebels 2001; Kupp 2001, S. 28-9 u. 35; Stahlmann 1994, S. 61-2 u. 154.

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zu entwickeln. Die ISO pflegte enge Kontakte zur UNO und hatte bereits Ende der 1980er Jahre einen Qualitätsmanagement-Standard entwickelt, der in Westeuropa und den USA schnell Verbreitung fand. Die 1946 in Genf gegründete, private Organisation hatte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als international anerkannte Institution für die Festlegung technischer Standards etabliert. Das vielfach ehrenamtlich tätige Personal der ISO rekrutierte sich vor allem aus den nationalen Standardisierungsorganisationen ihrer Mitgliedsländer. Der Verwaltungsaufwand der Organisation finanziert sich aus den am Zertifizierungsprozess teilnehmenden Organisationen. Zu den einflussreichsten Mitgliedern zählen das BSI, das American National Standards Institute (ANSI) und das Deutsche Institut für Normung (DIN). Indem der staatliche Einfluss auf die nationalen Organisationen zunahm, veränderte sich auch der Charakter der ISO in den letzten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts und neben privatwirtschaftlichen Akteuren und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft waren nun auch Regierungsvertreter stärker in der Organisation repräsentiert, die allerdings weiterhin Standards zum freiwilligen Gebrauch entwickelte. Während die von der ISO entwickelten und empfohlenen technischen Standards vor allem aus der Nachfrage nach gemeinsamen Standards – wie beispielsweise der Vereinheitlichung von Schiffscontainern durch die zunehmende Verflechtung der internationalen Güterströme – resultierten, gelang es der ISO in den 1980er Jahren eine Nachfrage nach Standards im Management von Unternehmen und anderen Organisationen zu schaffen. Die heute weit verbreitete Standard-Serie ISO 9000 zur Implementierung eines Qualitätsmanagements bot westeuropäischen und amerikanischen Unternehmen ein Instrument, um auf den Qualitätswettbewerb mit japanischen Unternehmen reagieren zu können. Dabei zielte der ISO-Standard zuallererst auf eine Verbesserung des Managements und der Abläufe im Unternehmen, nicht auf die Produkte selbst. Die Zertifizierungsfunktion des Standards resultierte letztlich auch aus der Zunahme internationaler Geschäftsbeziehungen. Vertrauen in ein Unternehmen und seine Produkte konnte auf expansiven Märkten in fernen Ländern nicht mehr allein durch jahrelange PR-Arbeit, sondern musste nun auf schnelleren Wegen erzeugt werden. International einheitliche und anerkannte Qualitätszertifikate sollten daher als Signal die Außenkommunikation unterstützen und kulturelle Unterschiede zwischen einem Unternehmen und seinem Kunden überbrücken helfen.21 Der Erfolg der ISO-9000-Serie schuf die Voraussetzungen für weitere Managementstandards mit Berichtsanforderungen. Auch wenn ISO bereits Ende der 1960er Jahre begann, die Quality of Life-Debatte und den Umweltschutzgedanken in ihre Agenda einzubeziehen, bereitete erst die Konferenz von Rio den Weg für die Entwicklung eines Standards zur Implementierung von Umweltschutzmanagementsystemen. 1991 nahm die Strategic Advisory Group on the Environment (SAGE) in21 Vgl. Kleinschmidt 2002a; Murphy/Yates 2009.

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nerhalb der ISO die Arbeit an der Entwicklung eines zertifizierbaren Umweltmanagements einschließlich einer Umweltberichterstattung auf. Mitte der 1990er Jahre wurde die ISO Standardserie 14000 geschaffen, die unter anderem freiwillige Richtlinien für die Implementierung eines Umweltmanagements (14000), dessen Zertifizierung (14001), Auditierung (14010-14013), Kennzeichnung (14020-14024) und zur Ökobilanzierung (14040-14043) anbot. Die Serie lieferte Unternehmen und anderen Organisationen eine Anleitung zur Formulierung von Umweltschutzzielen und zur Minimierung von Risiken durch Fallanalysen, Präventionspläne und die Rückverfolgbarkeit von Produkten, wie sie später beispielsweise in der Chemikalienverordnung REACh (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals)22 europaweit festgeschrieben wurde. Umweltschutzziele sollten im Dialog mit den Anspruchsgruppen des Unternehmens festgelegt werden. Die ISO14000-Serie zeigte außerdem Maßnahmen zur Schulung von Mitarbeitern und Minimalanforderungen an Datenerhebungen auf, die für ein externe Prüfung und Zertifizierung erforderlich sind. Das Ökobilanzkonzept sieht die Erfassung von Inputund Outputdaten und darauf folgend die Analyse der Auswirkungen von Stoff- und Energieflüssen auf die Umwelt wie zum Beispiel auf Energieressourcen, den Treibhauseffekt oder die Arbeitssicherheit vor. Ziel ist es, mittels der Ökobilanz die Einhaltung von vorher formulierten Umweltschutzzielen messbar zu machen und dies je nach Fokus der Ökobilanz auf Betriebs-, Organisations- oder regionaler Ebene. Durch jährliche Wiederholung soll eine kontinuierliche Verbesserung auf dem Gebiet des Umweltschutzes mit Anpassung an sich wandelnde gesellschaftliche Umstände und Erwartungen erzielt werden. Der ISO-Gutachter Don Sayre bewarb den Nutzen externer Berichterstattung für Unternehmen: Developing, implementing and maintaining a sound environmental management system should receive serious publicity. It shows your commitment to continuous improvement in your impact and interface with the environment and ecosystem. It shows your concern for the protection of the health and safety of the public. It shows your voluntary obligation to the preservation of the environment for future generations.23

Langfristig setzte sich die ISO-Serie 14000 mit ihren Berichtsstandards gegenüber EMAS und dem UNEP-Vorschlag durch. Die Akzeptanz für die ISO-Standards war und ist hoch, da sie auf Freiwilligkeit basieren und damit eine annehmbare Alternative gegenüber potentiell drohender staatlicher Regulierung darstellen. Darüber hinaus entlastet die privatwirtschaftliche ISO staatliche Stellen in der Überprüfung von 22 Die EU-Chemikalienverordnung REACh gilt seit 2007 und soll sicherstellen, dass alle Informationen über eine Chemikalie über die gesamte Lieferkette bekannt sind und kommuniziert werden. Vgl. Führ/Bizer 2009. 23 Sayre 1996, S. 175.

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Umweltstandards und deren Berichterstattung durch bereits bestehende Zertifizierungsstrukturen aus dem Qualitätsmanagement. Das britische BSI nutzte seinen Einfluss bei der ISO und forcierte die Entwicklung der ISO-Serie 14000, um eine europäische Regulierung auf staatlicher Ebene durch EMAS zu verhindern. In der breiten Anwendung zeigte sich der Erfolg von ISO 14000 allerdings erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dieser Erfolg beruhte auf der Formulierung allgemeinverbindlicher Standards für ein Umweltmanagement und eine Umweltberichterstattung, die unabhängig von der Größe, der Branche und dem Standort eines Unternehmens sind. Als ein weiterer Vorteil stellte sich die Modularität des Standards heraus, so können Unternehmen zwischen Managementtools für den internen Gebrauch oder elaborierteren Instrumenten für eine Zertifizierung des Umweltmanagements und der öffentlichen Berichterstattung wählen.24 Neben diesen internationalen Bestrebungen zur Standardisierung von Umweltberichten, die sich rasch verbreiteten,25 gab es zahlreiche nationale. Eine der wichtigsten war die Initiative der US-amerikanischen Coalition for Environmentally Responsible Economies (CERES), die sich nach dem Tankerunglück der Exxon Valdez 1989 konstituierte. Die von CERES verfassten Prinzipien zum umweltverantwortlichen Handeln von Unternehmen beinhalteten auch eine standardisierte Berichterstattung über die Implementierung und Weiterentwicklung von Umweltschutzmaßnahmen. Eines der ersten großen unternehmerischen Mitglieder der Initiative, die sich aus NGO-Mitgliedern und Investoren zusammensetzte, wurde 1994 General Motors. Das Bekenntnis des Konzerns zur Umsetzung der CERESGrundsätze verhalf der Initiative zu mehr Aufmerksamkeit. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre kooperierte CERES mit dem Bostoner Think-Tank Tellus Institute und dem UNEP zur Fortentwicklung der Berichtsstandards. Aus dieser Zusammenarbeit entstand 1997 die Global Reporting Initiative (GRI), deren Global Reporting Guidelines zu einem der führenden Konzepte der CSR-Berichterstattung im 21. Jahrhundert werden sollte.26 In der Bundesrepublik begann das Statistische Bundesamt Ende der 1980er Jahre, Daten für umweltökonomische Gesamtrechnungen (UGR) zu erfassen. Zweck der UGR soll die Ergänzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung um Daten zur Interdependenz zwischen Umwelt und Wirtschaftssystem sein. 1990 berief das Bundesumweltministerium den Beirat Umweltökonomische Gesamtrechnung mit Vertretern des Ministeriums, des Statistischen Bundesamtes, von Wirtschaftsverbänden und aus der Wissenschaft ein, um die Arbeit des Statistischen Bundesamtes zu unterstützen und geeignete Instrumente zur indikatorenbasierten Erfassung der 24 Vgl. Bültmann/Müller 2001, S. 124; Murphy/Yates 2009; Pick et al. 2001; Sayre 1996; UNEP/Sustainability 1994. 25 Vgl. Freimann 2009, S. 423. 26 Vgl. Rieth 2009, S. 223-4; UNEP/SustainAbility 1994, S. 88; zur GRI siehe Kapitel 8.2.

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wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Umwelt zu entwickeln. Der Beirat setzte seine Arbeit bis 2002 fort, legte eine Empfehlung zur Verwendung von gemischten Indikatorenkatalogen für Materialflussberechnungen vor und riet von einer reinen Monetarisierung der Umweltdaten – komplementär zur VGR – ab, um nicht zugunsten einer größeren Anschaulichkeit durch einen monetären Indikator die Aussagekraft der physikalischen Daten zu unterminieren.27 1995 wurde die Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt mit der Entwicklung eines Nachhaltigkeitsleitbildes beauftragt. Sie sollte Etappenziele formulieren sowie Instrumente und Maßnahmen identifizieren, die bei der Umsetzung der in Rio 1992 entworfenen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 21 helfen sollten. In ihrem Abschlussbericht von 1998 empfahl die Kommission der Politik, nicht restriktiv einzugreifen, sondern ihre Aufgabe als gestalterische wahrzunehmen und Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Einrichtung eines Nachhaltigkeitsrates könne diese Aufgabe unterstützen. Die Umsetzung dieser Empfehlung erfolgte 2001 mit der Einrichtung des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), der nach einem Multi-Stakeholder-Verfahren 2012 erstmalig den Deutschen Nachaltigkeitskodex als Empfehlung veröffentlichte. Die Berichterstattung über die Verankerung von Nachhaltigkeit im Unternehmen auf der Basis von GRI-, ISO- und UNGCStandards gehört zum Kern des Kodexes, der 2015 aktualisiert worden ist.28 Eine zentrale Forderung der Enquete-Kommission im Hinblick auf das Zusammenwirken aller Akteure – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und weitere Anspruchsgruppen – war es vor allem, das Prinzip der kurzfristigen Nutzenmaximierung durch eine langfristige Nachhaltigkeitsperspektive zu ersetzen und diese Entwicklung durch eine geeignete Berichterstattung, durch Monitoring und Audits als Maßnahmen der Erfolgskontrolle zu dokumentieren. Schließlich müsse auch »die Nutzung von Natur und Umwelt Eingang in die Kostenrechnungen finden«29, wenn Marktmechanismen weiterhin als Anreize dienen sollten und keine stark restriktive Politik betrieben werden solle.30 Der stete »Schatten der Hierarchie«31 drohender neuer Umweltgesetze zeigte seine Wirkung auch in der Selbstregulierung auf Verbands- und Branchenebene, wobei branchenführende Unternehmen häufig eine Vorreiter- und Vorbildfunktion einnahmen. In den USA legten Unternehmen vor allem über die Einhaltung von Umweltgesetzen Rechenschaft ab, während in Europa stärker die ökologische Verantwortung über die Grenzen der Gesetzgebung hinaus im Mittelpunkt der Umwelt27 Vgl. URL: Beirat Umweltökonomische Gesamtrechnung 2002. 28 Vgl. URL: RNE. 29 Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt 1998, S. 3. 30 Vgl. Clausen et al. 2002, S. 18; Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt 1998; Nuhn 2013, S. 208-9. 31 Vgl. Power 1994, S. 302; Rudloff 2010, S. 146.

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berichterstattung stand. In Großbritannien trieb die Vereinigung der Wirtschaftsprüfer – The Chartered Association of Certified Accountants (ACCA) – die Etablierung und Standardisierung der Umweltberichterstattung zu Beginn der 1990er Jahre voran. In den USA schlossen sich 1993 neun Unternehmen der Chemie-, Elektronikund Energieversorgungsbranche zur Public Environmental Reporting Initiative (PERI) zusammen. Die Vereinigung der europäischen Chemieindustrie – Conseil Européen de l’Industrie Chimique (CEFIC) – entwickelte ebenfalls 1993 eigene Berichterstattungsleitsätze, die wie PERI bei der Umsetzung der Responsible CareInitiative helfen sollten. Responsible Care war 1987 von Unternehmen aus Kanada und den USA als Reaktion auf die Katastrophe von Bhopal ins Leben gerufen worden, um derartige Katastrophen in der Zukunft zu vermeiden. In den Folgejahren schlossen sich zahlreiche Unternehmen der Chemiebranche und Verbände der Vereinigung an, die auch vom deutschen VCI unterstützt wurde. Unternehmen, die sich der Responsible Care-Initiative verpflichteten, sollten ein klares Bekenntnis zum Nachhaltigkeitsgedanken abgegeben und sich die Erhöhung der Arbeits-, Produktund Umweltsicherheit zum Ziel setzen. Eine standardisierte Berichterstattung sollte in dieser Hinsicht für Transparenz sorgen. Sowohl PERI als auch das CEFICKonzept sahen unter anderem eine Berichterstattung über das Umwelt- und Risikomanagement, Datenerhebungen32 über Emissionen, Energieverbrauch, Arbeitsund Gesundheitsschutz, Umweltschutzkosten und Stakeholder-Beziehungen vor.33 Die Initiative Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewußtes Management (B.A.U.M.) e.V. wurde 1984 in Hamburg gegründet und ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, die sich verstärkt dem Umweltschutz widmeten. Alle teilnehmenden Unternehmen verpflichten sich dem B.A.U.M.-Ehrenkodex, der die Orientierung am Umweltschutz als eines der zentralen Unternehmensziele propagiert, zugleich aber auf eine marktwirtschaftliche Lösung für den Umweltschutz in Kooperation mit politischen Institutionen setzt. Ressourcenschonung, vor allem präventiv durch Forschung und Entwicklung, die Einbeziehung aller Mitarbeiter und Wirtschaftspartner; Dialogbereitschaft, die Anerkennung von Umweltgesetzen als Mindeststandards und ein möglichst auf quantitativen Kennzahlen basierendes Umweltmanagementsystem als Planungs-, Steuerungs- und Kontrollinstrument einschließlich einer regelmäßigen Berichterstattung über das Umweltschutzmanagement gehörten zu den Grundlagen des Kodexes und sollen die Umsetzung der B.A.U.M.-Anforderungen gewährleisten. Der Verein mit heute über 500 Mitgliedsunternehmen war einer der Initiatoren der Tutzinger Erklärung, die 1988 als Selbstbekenntnis von Unternehmen zur Idee der Nachhaltigkeit veröffentlicht wurde.34 32 Bei PERI gemäß der US-Gesetzgebung nach TRI-Standard. 33 Vgl. Biedermann 2007, S. 44; Fichter/Clausen 1994, S. 38; Rieth 2009, S. 220; UNEP/SustainAbility 1994, S. 88-98. 34 Vgl. Krichbaum/Dreyer 2001, S. 10-11.

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B.A.U.M. veranlasste 1991 den Aufbau eines internationalen Netzwerkes von Unternehmen (International Network for Environmental Management, INEM), das analog zum bereits bestehenden nationalen Verein den Zusammenschluss von umweltorientierten Unternehmen ermöglichen sollte. Eines der Ziele war es, durch den Zusammenschluss möglichst vieler Unternehmen Informationen über Rohstoffe und Vorprodukte von Lieferanten für ein umfassendes Umweltberichtssystem als Bestandteil des Umweltmanagements zu bekommen. 1992 richtete der Verein die Beratungsgesellschaft B.A.U.M. Consult ein, um Unternehmen bei der Einrichtung eines Umweltmanagements in den Bereichen Qualitätssicherung, Arbeitssicherheit, erneuerbare Energien und Energieeinsparung, Klimaschutz, regionale Orientierung und Unterstützung bei der Beantragung und Umsetzung von EU-Projekten zum Umweltschutz zu beraten.35 Anfang der 1990er Jahre legten Forscher des IÖW ein Öko-ControllingKonzept vor, dessen Startpunkt 1987 ein Modellprojekt in Zusammenarbeit mit der 1986 gegründeten Mittelstandsinitiative Future e.V. und dem mittelständischen Unternehmen Bischof und Klein in Lengerich war. Durch das Konzept sollte es der Unternehmensführung ermöglicht werden, potentielle Ansprüche von Stakeholdern im ökologischen Bereich im Sinne eines Frühwarnsystems zu identifizieren und die Unternehmensziele daran auszurichten. Dem Konzept sollte damit also die Funktion eines Informations-, Analyse- und Steuerungsinstrumentes zukommen, durch das die Unternehmensziele unter Berücksichtigung von Stakeholder-Ansprüchen einer permanenten Überprüfung unterzogen würden. Dazu sollten ein Monitoring der inwie ausländischen Umweltgesetzgebung, der Presse und Fachliteratur sowie Expertenbefragungen vorgenommen werden. Konzeptionell schließt diese Idee an Modelle des Management by Objectives und Dierkes Goal Accounting an. Weitere Projekte wie die öffentlichkeitswirksame Einführung einer Ökobilanz und die Institutionalisierung eines Öko-Controlling bei dem Getränkehersteller und -vertriebsunternehmen Neumarkter Lammsbräu folgten. Das im Biosegment etablierte, seit 1989 der Initiative B.A.U.M. angehörende Unternehmen entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Umweltökonomen Volker Stahlmann und dem IÖW erstmals eine Ökobilanz, die im August 1992 im Bayrischen Umweltministerium in München öffentlich vorgestellt wurde. Die Entwicklung einer mehrere Unternehmensprozesse abbildenden Ökobilanz36 war der erste Schritt in Richtung eines systematischen, EDV-gesteuerten Öko-Controlling-Konzeptes zur internen wie externen Information, Steuerung, Kontrolle und Kommunikation mit den Stakeholdern des Unternehmens. Die Bilanz erfasste in Teilbilanzen die Material- und Energieflüsse (Input und Output) im gesamten Unternehmen, für einzelne Standorte, Pro35 Vgl. Krichbaum/Dreyer 2001, S. 8; Stahlmann 1994, S. 94-100; URL: B.A.U.M. Historie; B.A.U.M. Wer wir sind. 36 Vgl. Stahlmann 1994, S. 172-217.

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duktlinien und Produktionsprozesse. Das Controlling ermittelte auf der Grundlage dieser Daten ökologische Schwachstellen und Risiken durch ein IndikatorenBewertungssystem, Dringlichkeit und Häufigkeit der (potentiell) auftretenden Risiken und Fehler, identifizierte Gesetzesverstöße, negative externe Kosten, Konflikte mit gesellschaftlichen Forderungen und formulierte schließlich Prioritäten für umweltbezogene Aktivitäten. Im Februar 1994 veröffentlichte Lammsbräu seinen ersten Öko-Controlling-Bericht, der an den Vorgaben der EMAS-Verordnung orientiert war. Der IÖW-Ansatz galt in der Unternehmenspraxis zwar als sehr komplex und schreckte viele Unternehmen von der Umsetzung eines umfassenden ÖkoControllings ab, allerdings leisteten die IÖW-Studien einen maßgeblichen Beitrag in Richtung einer Standardisierung von Ökobilanzen durch die Entwicklung eines universalen Berichtsbogens für produktbezogene Bilanzen, der vom Umweltbundesamt in Auftrag gegeben und 1995 veröffentlicht wurde.37 Von 1993 bis 1994 begleiteten Future und das IÖW ein weiteres, vom Land Nordrhein-Westfalen gefördertes Projekt mit zwei mittelständischen Unternehmen aus der Textil- beziehungsweise Bekleidungsbranche (Günther38 in Lengerich und Steilmann in Wattenscheid). Auch bei diesen Firmen ging es um die Implementierung der Umweltberichterstattung im Rahmen eines Umweltmanagements. Langfristiges Ziel der beiden Unternehmen war es, die Anforderungen externer Berichtskonzepte wie der EMAS-Verordnung oder des UNEP/SustainAbility-Indikatorenkataloges zu erfüllen. Eine gute Umweltberichterstattung wurde im Rahmen des Projektes als internes Frühwarnsystem definiert, das zugleich als externes Stakeholder-Kommunikationsinstrument fungiere und zur steten Qualitätsverbesserung das Feedback der Stakeholder berücksichtige. Neben der Begleitung der Berichtskonzeptionierung bei Steilmann und Günther erstellte die Projektgruppe darüber hinaus ein Umweltberichtsranking. Mitglieder der Jury waren unter anderem Vertreter des Magazins Wirtschaftswoche sowie von BUND, IÖW und Future. Grundlage für die Qualitätsbewertung im Ranking war der Erfüllungsgrad der Anforderungen, wie sie beispielsweise die EMAS-Verordnung, der VCI-Leitfaden zur Umweltberichterstattung im Sinne der Responsible Care-Initiative, IÖW, BUND oder PERI an eine gute Umweltberichterstattung stellten. Die ersten drei Plätze des Rankings belegten wenig überraschend Lammsbräu, Günther und Steilmann, das Bertelsmann-Unternehmen Mohndruck erreichte mit seiner Ökobilanz Platz 6 von 35. Trotz guter Einzelbewertungen der hochrangig platzierten Unternehmen kamen Jury und Projektgruppe allerdings auch zu dem Ergebnis, dass keines der Unternehmen die Anforderungen der EMAS-Verordnung erfülle und nicht einmal die Pioniere der Umweltbe37 Vgl. Böning 1994, S. 99-129; Hallay 1990; ders. 1996; Stahlmann 1994; Umweltbundesamt/IÖW 1995. 38 Der Geschäftsführer der Firma, Klaus Günther, war zugleich auch Gründungsmitglied von Future und B.A.U.M. Vgl. Freimann 2009, S. 432.

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richterstattung aus der Chemiebranche wie BASF oder Bayer sie erreichten.39 Das Ranking wird bis heute jährlich durchgeführt, seit 2009 werden KMUs getrennt von Großunternehmen bewertet.40 Neben den Unternehmen und Verbänden erkannten auch die Gewerkschaften in den 1980er Jahren das Potential des Themas Umweltschutz, bei dem sie sich in den 1970er Jahren noch zurückhaltend oder aus Sorge um Arbeitsplätze sogar konfrontativ agiert hatten. Das gewerkschaftliche Interesse zielte auf den Gesundheitsschutz, vor allem aber auf die Einrichtung neuer Arbeitsplätze. So initiierte der DGB 1985 die Kampagne Umweltschutz schafft Arbeitsplätze. Zwar fanden sich erste zaghafte Ansätze bereits in den DGB-Leitsätzen zum Umweltschutz von 1972 und im Umweltprogramm des DGB von 1974, doch erst in den 1980er Jahren gab es konkrete Projekte zur Förderung von betrieblichen Umweltschutzmaßnahmen. 1981 wurde Umweltschutz als Ziel im DGB-Grundsatzprogramm verankert. 1985 legte die IG Bau-Steine-Erden (heute IG Bauen-Agrar-Umwelt, BAU) ›Bauen und Umwelt‹, ein Programm zur umweltfreundlichen Bausanierung, auf. Innerhalb der IG Metall gründete sich Mitte der 1980er Jahre ein Netzwerk zur Entwicklung umweltfreundlicherer Produkte, anfänglich aus der krisenhaften Beschäftigungssituation in der Schiffsbauindustrie heraus zur Herstellung alternativer, rentabler Produkte. Einzelmaßnahmen zum Umweltschutz schufen durch Übernahme in Branchentarifverträge allmählich Standards und sorgten für ein Umdenken auf Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberseite. Es setzte sich die Einsicht durch, dass die Einbindung der Arbeitnehmer sowohl aus Mitbestimmungs- wie aus Nachhaltigkeitsaspekten konstitutiv für eine effiziente Umweltpolitik ist. In den neunziger Jahren war – nicht zuletzt der breiten öffentlichen Wirkung der Rio-Konferenz geschuldet – das Thema Umweltschutz im Betrieb und bei den Gewerkschaften etabliert. Das Interesse daran bewegte sich allerdings überwiegend im nationalen Rahmen. Im DGBGrundsatzprogramm von 1996 wurde die Umweltschutzagenda unter den Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit und der Lebensqualität erneut bekräftigt. Die Beteiligung an Projekten wie dem Deutschen Umwelttag, dem Forest Stewardship Council (FSC) Deutschland zur lückenlosen Zertifizierung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung oder der Clean Clothes Campaign (CCC) zur Sicherung sozialer und ökologischer Standards in der Textil- und Bekleidungsindustrie, an EMAS- und ISO- beziehungsweise DIN-Zertifizierungen, an Gremien wie der Störfall-Kommission (heute Kommission für Anlagensicherheit), dem Beirat Umweltökonomische Gesamtrechnung, der Jury Umweltzeichen/Blauer Engel und der Austausch mit Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, dem Naturschutzring oder dem BUND unterstrichen diese Politik. 1999 riefen der DGB, die Hans-Böckler- und die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Naturschutzring zu einem 39 Vgl. Fichter/Clausen 1994. 40 Vgl. Jasch 2012, S. 510.

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Bündnis für Arbeit und Umwelt auf, das Umweltschutz und Arbeitsmarkt gleichermaßen dienlich sein sollte.41 Trotz all dieser Initiativen und dem wachsenden Interesse am Umweltschutz sah sich die Ökobilanzierung zunächst den gleichen Akzeptanzprolemen und Umsetzungsschwierigkeiten ausgesetzt wie die Sozialbilanzierung: Aussagekraft und Präzision des Ökobilanz-Begriffes wurden in Frage gestellt, Versuche einer eindimensionalen monetären Bilanzierung kritisiert, Diskrepanzen zwischen wissenschaftlichem Anspruch und praktischen Umsetzungsmöglichkeiten und -versuchen identifiziert sowie Abgrenzungsprobleme hinsichtlich der Reichweite einer produktbezogenen Bilanz aufgeworfen.42 Allerdings war die umweltbezogene Rechnungslegung gegenüber der sozialbezogenen durch ihren vergleichsweise eingegrenzten Objektbereich anschlussfähiger an die wirtschaftswissenschaftliche Forschung – die sich spätestens seit Pigou mit der Internalisierung externer Effekte beschäftigte43 – und damit auch an die betriebliche Praxis. Die zunehmende Verbreitung des Stakeholder-Konzeptes, Vorstellungen gestaltbarer Unternehmenskulturen und unternehmensethischer Ansätze in Betriebswirtschaftslehre und Unternehmenspraxis unterstützten die Öffnung gegenüber ökologisch ausgerichteten Unternehmenszielen.44 Naturwissenschaftliche Messverfahren ermöglichten nicht nur die Input-, sondern auch eine quantitative Outputmessung von Stoff- und Energieströmen und wurden dem Bilanzbegriff damit durchaus gerecht, wohingegen der Outputmessung im gesellschaftsbezogenen Bereich stets der Makel einer vermeintlichen Beschränkung auf qualitative Beschreibungen anhaftete.45 Die naturwissenschaftlichen Analyseverfahren versprachen mehr Objektivität und genossen den Nexus wissenschaftlicher Expertise wesentlich unkritischer als die sozialwissenschaftlichen Experimente der Sozialbilanzierungsära. Technische Lösungsmöglichkeiten – zunächst vor allem end of the pipe-Lösungen – ließen sich im Hinblick auf die zu erwartende Wirkung einfacher implementieren als soziale Techniken, deren Wirkungsgrad nicht unmittelbar messbar erschien.46 Allerdings wirkte hier nicht ausschließlich die Eigenmotivation der Unternehmen, sondern auch die Umweltgesetzgebung. Sie schuf durch auferlegte Informationspflichten grundlegende Voraussetzungen für eine umweltbezogene, wenn auch zunächst vor allem auf interne Zwecke gerichtete Berichterstattung. Grenzwerte dienten als Grundlage für die Erfassung von Stoff- und Ener41 Vgl. Hoppe 2006, S. 115-118; Moes et al. 2008, S. 46; E. Schmidt 2009; Schroeder 2004, S. 246; URL: DGB Presse ›Bündnis für Arbeit und Umwelt‹ 21.10.1999. 42 Vgl. Böning 1994, S. 25-53; Braunschweig/Müller-Wenk 1993, S. 15-27; Schaltegger/Sturm 1992, S. 68-128 u. 234; Stahlmann 1994, S. 155; Teichert 1995, S. 15-17. 43 Vgl. Kapp 1950; dazu auch: Nash 1978; J. Ullmann 1983. 44 Vgl. Stahlmann 1994, S. 20-33. 45 Vgl. Teichert 1995, S. 38. 46 Vgl. Dierkes/Fietkau 1988, S. 140; Stahlmann 1994, S. 36.

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gieflüssen in Produktionsprozessen. Wenngleich ihr objektiver Charakter stets infrage gestellt und debattiert wurde, verringerten sie als eine Form institutionell anerkannter Kennzahlen die Hemmnisse der Einführung von Ökobilanzen.47 Die Pionierunternehmen der Sozialbilanzierung traten dabei durchaus im Bereich der umweltbezogenen Berichterstattung hervor. So entwickelte die Migros zu Beginn der 1990er Jahre eine Ökobilanz-Software (Ökobase II) auf der Grundlage von Daten, die das Schweizerische Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) erhob. Die Software wurde nicht nur von der Migros selbst, sondern auch von externen Unternehmen genutzt und vereinfachte den Prozess der Ökobilanzerstellung.48 Bei der BASF wurde die zunehmende Bedeutung der Umweltberichterstattung am Anteil in den Geschäftsberichten sichtbar: Lag er zwischen 1970 und 1976 bei durchschnittlich 0,47 vH, so stieg er zwischen 1977 und 1987 auf durchschnittlich 1,63 vH und zwischen 1988 und 1993 auf einen Durchschnittswert von 4,47 vH, fiel anschließend auf 1,74 vH und stieg ab 1999 allmählich wieder an. Diese Sprünge markieren Veränderungen in der Kommunikationspolitik des Unternehmens. Mit dem Unglück von Seveso begann die BASF – wie andere Unternehmen der Chemiebranche auch und der VCI verstärkt seit 1979 durch die PR-Initiative Geschützter Leben49 – den Themenkomplex Risiken und Sicherheit in den Mittelpunkt der Umweltberichterstattung von Geschäfts- und Sozialberichten zu stellen und führte dies in den 1980er Jahren fort. Sie betonte wiederholt, die Verringerung von Risiken und hohe Anforderungen an die Sicherheit hätten schon immer einen hohen Stellenwert für die BASF besessen. Begriffe wie Sorgfalt, Umsicht, Vorkehrungen, Kontrolle, Sicherheitsmaßnahmen, -wettbewerbe, -trainings und -standards, Verpflichtung und Verantwortung spiegelten den Sicherheitsdiskurs in der Berichterstattung wider. Die Systematik des Sicherheitsmanagements wurde ab 1983 durch die Beschreibung der Leitlinien für Arbeitssicherheit und Umweltschutz demonstriert. Die BASF strebe an, die »höchstmögliche Sicherheit« für Mitarbeiter und Anwohner zu gewährleisten, setze Spezialistenteams zur Überwachung gefährlicher Stoffe und Prozesse ein und beziehe »alle[ ] nur denkbaren Bedingungen«50 der Produktion in das Sicherheitsmanagement ein. Gesetzliche Verordnungen würden nicht nur eingehalten, sondern oftmals schon lange antizipiert, und durch eigene Maßnahmen werde der Schutz der Betroffenen außerdem wesentlich erhöht. Den47 Vgl. Bächi 2012; Böning 1994, S. 185-237; Schaltegger/Sturm 1992, S. 109-127 u. 232234. 48 Vgl. Braunschweig/Müller-Wenk 1993, S. 96-98; Stahlmann 1994, S. 281. 49 Vgl. Adams/Kuasirikun 2000, S. 64-65; Wolfgang Gehrmann, »Mut macht Ärger: Die chemische Industrie wird wegen ihrer Image-Werbung angegriffen«, in: Die Zeit (19.07.1985). 50 BASF Sozialbericht 1980, S. 30.

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noch müsse auch ein »Restrisiko« in Kauf genommen werden, wenn dieses auch unterhalb der »Risiken des täglichen Lebens«51 liege. Die Berichterstattung der BASF sollte zur »Versachlichung der Diskussion«52 um die Beherrschbarkeit von Umweltrisiken beitragen; jener Diskussion, die Ulrich Beck wenige Jahre später mit dem Begriff der Risikogesellschaft beschrieb.53 Die BASF nutzte die Umweltberichterstattung Mitte der 1980er Jahre jedoch auch, um sich über wachsende Investitionssummen durch immer höhere Umweltschutzauflagen, die kaum noch Verbesserungen brächten, und über bürokratische Hemmnisse, die Innovationen und Wirtschaftswachstum verhinderten, zu beklagen. Hier unterschied sich allerdings die Kommunikation gegenüber den Anteilseignern in Geschäftsberichten und auf der Hauptversammlung in ihrer Schärfe noch einmal deutlich von jener in den Sozialberichten, die sich an eine heterogenere Gruppe von Stakeholdern richtete.54 1988 erschien der erste eigenständige Umweltbericht der BASF, und damit stieg die Berichterstattung über Umweltschutz auch in den Geschäftsberichten an. »An [unserem Umweltbericht] können sie uns messen und beurteilen«, versprach Hans Albers, Vorstandsvorsitzender der BASF AG, im Vorwort des Berichts, der »Grundlage vieler gemeinsamer Gespräche«55 werden solle. Albers rief die Leser außerdem dazu auf, der BASF ihre Meinung über den neuen Umweltbericht mitzuteilen. In dieser Aufforderung zum Feedback und der zielorientierten Berichterstattung nahm der Umweltbericht einige Elemente der Sozialberichterstattung aus den 1970er Jahren auf, die Dierkes propagiert und die BASF teilweise schon umgesetzt hatte. In reportageartigen Artikeln zu ausgesuchten Schwerpunktthemen demonstrierte die BASF ihre Umweltschutzaktivitäten; der Berichtsteil »Daten und Fakten« lieferte Kennzahlen zum Luft-, Wasser-, Lärmschutz, zu Kosten des Umweltschutzes, über Forschungsprojekte zum Umweltschutz und eine Zusammenfassung von Ökobilanz-Daten. Der Charakter der Publikationen war wie jener der Sozialberichte bewusst allgemeinverständlich gehalten und richtete sich an alle Stakeholder des Unternehmens. BASF veröffentlichte somit keine umfassende Ökobilanz, verwies aber auf eine interne Erhebung der dazu notwendigen Daten. Ab 1996 veröffentlichte die BASF Umweltberichte für die AG und die BASF Gruppe, systematisierte die zielbezogene Berichterstattung und richtete sie an den Anforderungen des CEFIC zur Berichterstattung im Rahmen der Responsible Care-Initiative aus. Die BASF verpflichtete sich damit öffentlich zu einer Orientierung der Unternehmensstrategie am Prinzip der Nachhaltigkeit. Darüber hinaus begann sie, ÖkoeffizienzAnalysen zu erstellen und einzelne Unternehmensstandorte einem Öko-Audit zu un51 Ebd. 52 BASF Geschäftsbericht 1981, S. 12. 53 Vgl. Beck 2012 [1986]; Jungkind 2013, S. 247-302; Kapitel 5.1.4. 54 BASF Geschäfts- und Sozialberichte 1970-1987; Adams/Kuasirikun 2000, S. 62 u. 71-72. 55 Vgl. BASF Umweltbericht 1988, S. 3.

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terziehen. Für europäische Standorte wurde die EMAS-Verordnung zugrunde gelegt, außereuropäisch der ISO-Standard 14001.56 Obwohl die Saarbergwerke AG im Bergbau- und Energiesektor tätig war, begann der Konzern erst Ende der 1980er Jahre in den Sozialbilanzen über Umweltschutz zu berichten und beschränkte sich im Wesentlichen auf vereinzelte Hinweise zu Maßnahmen des Umweltschutzes. 1987 bildete der Umweltschutz den thematischen Schwerpunkt in der Sozialbilanz, danach dauerte es eine Dekade, bis erneut ein Umweltbericht erschien. Seit Mitte der 1990er Jahre hatte Saarberg verstärkt Bemühungen zum Umweltschutz unternommen, ein den Systemstandards DIN EN ISO 45001 und 9002 unterliegendes Qualitätsmanagement sowie ein Öko-Audit eingeführt. Der Umweltbericht erschien seit 1996 nun als eine von nunmehr lediglich zwei jährlichen Ausgaben der Konzernzeitschrift Saarberg neben der Sozialbilanz.57 Die Berichterstattung über Umweltschutz spielte bei Bertelsmann zunächst eine untergeordnete Rolle und fand überhaupt erst vereinzelt seit 1988/89 statt. »Wir haben ja nicht riesen Umweltprobleme gehabt«58, begründete Franz Netta die marginale Behandlung von Umweltthemen in den Sozialbilanzen und Geschäftsberichten. In den Betrieben wurden jedoch durchaus Anstrengungen zum Umweltschutz unternommen, und Mohndruck entwickelte sich hier zum Vorzeigeunternehmen, das Anfang der 1990er nicht nur Preise vom BDI für sein Umweltmanagement und seine Umweltkommunikation erhielt, sondern auch seit 1994 nach ISO 9001 zertifiziert wurde. Mohndruck begann 1991/92 mit einer Stoff- und Energieflussrechnung, die sukzessive zu einer Öko-Betriebsbilanz ausgebaut und deren Auditierung an der EMAS-Verordnung ausgerichtet wurde. Die Ökobilanz war Teil eines umfassenden Umweltmanagements und wurde in einem eigens gegründeten Arbeitskreis unter Mitwirkung des Instituts für Energie- und Umweltforschung (IFEU) Heidelberg entwickelt. Eine der bedeutenden Folgen der Ökobilanz-Einführung in dem Unternehmen war die Zurechenbarkeit von Umweltkosten nach Verursacher, das heißt den jeweiligen Energieverbrauchern oder Abwasserproduzenten wurden Kostenstellen zugeordnet und auf diese Weise Anreize zur Erhöhung des Umweltschutzes gesetzt. Der Einsatz von Ökoeffizienzanalysen sollte die ökonomischen Vorteile der Umweltschutzmaßnahmen dokumentieren.59 Daneben wollte Mohndruck mit seiner 56 BASF UA R 8004: Presse-Information »Umweltbericht 1988« (12.06.1989); PresseInformation »Umweltbericht 1996 in neuer Form« (28.04.1997); vgl. BASF Umweltberichte 1988-1997; Geschäftsberichte 1988-2000. 57 Vgl. Saarbergwerke Sozialbilanzen 1987-1997. 58 Interview Netta (19.11.2010). 59 Während Ökobilanzen sowohl monetäre als auch physikalische Maßeinheiten berücksichtigen, versuchten Ökoeffizienzanalysen als Fortentwicklung von Ökobilanzen eine rein monetäre Bewertung von Stoffinputs und -outputs vorzunehmen, um diese Informationen

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Ökobilanz die ökologische Belastung der Produktion für interne Zwecke, aber auch für die Kommunikation mit den Stakeholdern des Unternehmens dokumentieren.60 In den Geschäftsberichten/Sozialbilanzen von Shell fiel der Anteil der umweltbezogenen Berichterstattung in den 1980er Jahren gegenüber den 1970er Jahren und stieg erst wieder mit Beginn der 1990er Jahre deutlich an.61 Shell machte vereinzelt auf umweltbezogene Aktivitäten aufmerksam wie die Teilnahme am Hearing »Ökonomie und Ökologie« des Bundesinnenministeriums 1981, bei der Vertreter der Deutschen Shell für flexible, marktwirtschaftliche Lösungen im Umweltschutz plädierten. Für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit gab Shell 1981 die Broschüre »Umweltschutz – Zahlen und Fakten« heraus und initiierte 1983 das Shell Umwelt-Symposium mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft zum Thema Immissionsschutz. Insgesamt blieb die Umweltberichterstattung jedoch gering. 1987 nutzte das Unternehmen den Geschäftsbericht im Gegenteil dazu, über hohe gesetzliche Umweltschutzauflagen zu klagen.62 Denn Shell sah als weltweit größter Erdgashändler durchaus die Implikationen des Brundtland-Berichtes und erwartete staatliche Regulierungsversuche zur Reduzierung von Emissionen.63 In den neunziger Jahren betrieb die Deutsche Shell wieder eine konstruktivere Umweltberichterstattung als in den achtziger Jahren. Bereits zu Beginn der Dekade demonstrierte das Unternehmen in den Geschäftsberichten einen stärkeren Fokus auf den Umweltschutz: 1990 führte Shell ein systematisches Risk Management zur Analyse von Umweltrisiken ein, zu dessen Überprüfung 1991 ein UmweltschutzAudit als internes Kontrollinstrument eingesetzt wurde; ebenfalls 1991 verabschiedete sie neue Umweltgrundsätze als Ziele und ein »klares Bekenntnis zum Umweltschutz«64; das Ende der 1980er Jahre eingeführte Qualitätsmanagement umfasste nun auch den Umweltschutz durch die Orientierung an den ISO 9000-Normen; Tankstellenpartner wurden 1994 ökologisch geschult, um den Umweltschutz nicht in die betriebliche Kostenplanung zu integrieren und im Hinblick auf die Rechnungslegung die tatsächliche Effizienz von Produktions-, Anwendungs- oder Transportprozessen zu messen. Ökoeffizienzanalysen stellen also einerseits höher aggregierte Informationen durch Monetarisierung bereit und sind andererseits stärker auf die Unternehmensplanung ausgerichtet, berücksichtigen also das Moment der Zukunft stärker als Ökobilanzen. Darüber hinaus sollen sie den Effizienzgewinn durch Umweltschutz dokumentieren, der in Ökobilanzen oftmals nur durch höhere Ausgaben berücksichtigt wird. Vgl. Burritt/ Schaltegger 2001. 60 Vgl. Bertelsmann Sozialbilanz 1990/91, S. 5; Pick et al. 2001, S. 171; Schaltegger/Sturm 1995, S. 94-114. 61 Vgl. Kapitel 6. 62 Vgl. Dt. Shell Geschäftsbericht/Sozialbilanz 1980-1989; Pohl 1983. 63 Vgl. Sluyterman 2007, S. 235. 64 Dt. Shell Geschäftsbericht 1991, S. 24.

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allein auf die Produktionssphäre zu beschränken; 1992 trat der Mutterkonzern unter dem Eindruck der Konferenz von Rio der Arbeitsgruppe für Nachhaltige Entwicklung der ICC und dem Unternehmerverband World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) bei. 1996 wurde im Schmierstoffwerk Hamburg-Grasbrook das erste externe Öko-Audit nach EG-Vorgaben durchgeführt; 1997 gründete der Shell-Konzern die Sparte Shell International Renewables mit den Schwerpunkten Biomasse, Solarenergie und Forstwirtschaft; Shell optimierte das Qualitätsmanagement und führte das Quality, Health, Safety, Environment (QHSE)-Managementsystem ein, das erstmals für alle Standorte gültige Standards in den Bereichen Qualität, Gesundheit, Sicherheit und Umwelt formulierte und eine komplementäre Berichterstattung zu diesen Bereichen als Kontrollinstanz voraussetzte. 1997 erschien der erste zertifizierte QHSE-Bericht, 1998 der Shell Report unter dem Titel Profits and Principles: Does there have to be a choice?, der unter der Mitarbeit von Elkington (SustainAbility) entstanden war.65 1998 und 1999 veröffentlichte die Deutsche Shell schließlich eigenständige Umweltberichte, die von Mitarbeitern des IFEU-Instituts Heidelberg im Auftrag der Deutschen Shell verfasst wurden. Das Institut erstellte bereits seit Ende der 1980er Jahre Ökobilanzen im Auftrag von Unternehmen.66 Die Wissenschaftler prüften stichprobenartig die Einhaltung von freiwilligen und gesetzlich auferlegten Umweltschutzrichtlinien wie beispielsweise die Einhaltung von Grenz- und Richtwerten oder die Orientierung an der EMAS-Verordnung und dem ISO-Standard 14001. Sie nahmen Bewertungen der Shell-Umweltschutzpolitik vor und sprachen gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge aus. Der Bericht bestand aus qualitativen wie quantitativen Berichtsinhalten, war für Laien verständlich geschrieben, bezog aktuelle Themen wie die Auseinandersetzungen um die Brent Spar ein, führte – wie bereits in den 1970er Jahren geschehen – Ziele, Maßnahmen und Zeitpläne von Umweltschutzmaßnahmen auf und enthielt eine Stoff- und Energiebilanz im Anhang. Diese Ökobilanz zeigte die Input- und Outputströme der von der Deutschen Shell verwendeten beziehungsweise erzeugten Stoffe auf. Der Umweltbericht wandte sich weniger an Experten und verzichtete auf eine umfassende Darstellung aller umweltrelevanten Aktivitäten des Unternehmens. Er fokussierte vielmehr auf eine Auswahl von Themen, die für die Stakeholder des Unternehmens – insbesondere Anwohner, Verbraucher, Presse und Mitarbeiter – von Relevanz erschienen. Die mit Unterschrift versehene Bewertung der Shell-Umweltpolitik durch die Wissenschaftler des IFEU-Instituts verschaffte dem Bericht darüber hinaus Glaubwürdigkeit.67 In der 65 Vgl. Dt. Shell Geschäftsberichte 1989-1999; Sluyterman 2007, S. 333, 358 u. 426; Stadler 2004, S. 165; Kapitel 8.2. 66 URL: IFEU – Referenzliste Ökobilanzen. 67 Vgl. Dt. Shell Geschäftsberichte 1989-1999; Dt. Shell Umweltbericht 1997, 1998; Shell Report 1998.

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Auswahl der Themen unterschieden sich die Umweltberichte der neunziger Jahre jedoch kaum von der Umweltberichterstattung der siebziger Jahre. Lediglich die Auseinandersetzungen um die geplante Versenkung der Ölplattform Brent Spar geriet ungeplant zu einem Dauerthema in den Geschäfts- und Umweltberichten der Deutschen Shell, denn die daraus erwachsenen Legitimationsschwierigkeiten bedurften einer Kommunikationsoffensive seitens des Unternehmens. Die sorgsam von Greenpeace vorbereitete, medienwirksame Kampagne im Frühsommer 1995 gegen die Versenkung der Ölplattform im Atlantik versetzte dem öffentlichen Ansehen des Shell-Konzerns einen heftigen Schlag, obwohl die bis 1991 betriebene Plattform ein Gemeinschaftsprojekt von Shell U.K. und Esso U.K. war. Das Relikt aus dem »Nordseeölrausch«68 der frühen 1970er Jahre sollte für Greenpeace zum Symbol für die Macht von NGOs werden; dies traf Shell unvorbereitet. Noch im März 1995 hatte Shell Deutschland eine Sympathiekampagne gestartet und den Versuch unternommen, die Marke Shell in den Medien mit gesellschaftlichem Engagement in Verbindung zu bringen. Dieser Versuch scheiterte zumindest in Deutschland erst einmal. Nachdem öffentlich wurde, dass die Brent Spar nicht versenkt werden sollte, lieferte Shell Deutschland eine weitere, diesmal reumütige Imagekampagne, in der das Unternehmen auf der einen Seite erklärte, die Entscheidung zur Versenkung sei zwar rechtlich abgesichert gewesen, aber ohne Berücksichtigung öffentlicher Interessen auch nicht zu legitimieren.69 Kädtler, Sluyterman und Stadler zeigen auf, dass die Entwicklungen um die geplante Versenkung der Brent Spar und der darauf folgende Skandal um die Hinrichtung des nigerianischen Aktivisten Ken Saro Wiwa – der der ökologischen Katastrophe im Nigerdelta durch eine seit den 1950er Jahren anhaltende Ölverschmutzung erstmalig große mediale Aufmerksamkeit verschafft hatte – nicht nur Bemühungen um einen Imagewandel bei Shell anstießen. Die Ereignisse führten auch zu einer Diskussion mit NGOs wie Amnesty International oder Human Rights Watch über die General Business Principles von 1976, die deutliche Auswirkungen auf den von der Konzernführung geplanten Kulturwandel im Unternehmen Mitte der 90er Jahre hatte. Die General Business Principles sollten nicht mehr entsprechend der jeweils lokalen Gesetzgebung und soziokulturellen Rahmenbedingungen eines Landes interpretiert werden, sondern strikte Gültigkeit besitzen. Darüber hinaus zog Shell konkrete Konsequenzen: Der Konzern trat aus der Global Climate Coalition (GCC) – einer Vereinigung von Industrieunternehmen gegen die Einführung strikterer Gesetze zum Klimaschutz – aus. 1996 wurde das Projekt Reputation Manage68 Wöbse 2004, S. 140; 1988 und 1989 gab es mehrere Explosionen und Schäden an Nordsee-Plattformen im Brent- und Cormorant-Feld, die die Sicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit der Plattformen, die überwiegend in den 1970er Jahren gebaut worden waren, in Frage stellten. Vgl. Sluyterman 2007, S. 172-3. 69 Vgl. Wöbse 2004.

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ment gestartet, mit dessen Hilfe die gesellschaftlichen Anforderungen an das Unternehmen analysiert und entsprechende Kommunikationsmaßnahmen zur Erfüllung der Forderungen nach verantwortlichem Handeln entwickelt werden sollten.70 Thomas Loew und Klaus Fichter vom IÖW erhoben 1999 die Zahl der Unternehmen, die in den 1990er Jahren Umweltberichte veröffentlichten. 1995 habe die Zahl der Unternehmensumweltberichte bei 120 gelegen, 1996 bereits bei 630 und 1998 bei rund 2000.71 Die Unternehmen des AKSBP und andere Großunternehmen wie Bayer, Henkel, VW, Daimler-Benz oder BP waren in der Umweltberichterstattung allerdings weniger fortschrittlich als die Vorzeigeunternehmen des Mittelstandes wie Lammsbräu oder Günther, auch wenn sie bereits seit den 1970er Jahren Umweltthemen in ihre Sozialberichterstattung einbezogen.72 Die Chemiebranche erwies sich zwar als sehr aktiv in der Umweltberichterstattung, ihre Motive waren jedoch anders gewichtet als jene der Mittelständler. Zwischenfazit Die »Inventarisierung der Natur«73 durch Quantifizierung war nichts gänzlich Neues und wurde schon seit der Industrialisierung betrieben. Das Wettrennen der industrialisierten Nationalstaaten um den Zugang zu globalen Rohstoffen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Versorgungsknappheit mit Lebensmitteln und Energieträgern während der beiden Weltkriege und das rasche Bevölkerungswachstum im 20. Jahrhundert begünstigten eine quantifizierte Sicht auf das »Naturkapital«74, das es zu verwalten und zu verteilen galt. Die Entstehung der Idee externer Effekte, die Formulierung des Verursacherprinzips und die Forderung nach der Internalisierung externer Effekte sowie die Erkenntnis, dass die Rohstoffversorgung bedroht sein könnte, schufen den Bedarf für exakte Instrumente zur Messung der Rohstoffbasis, des -verbrauchs oder der Artenvielfalt. Die seit den sechziger Jahren aufkommende Ökologische Ökonomik begünstigte einen ökonomisch orientierten Zugriff auf die Natur. Doch trotz dieser Kontinuitäten in der Ökonomisierung der Umwelt sehen Haller, Höhler und Westermann in den Quantifizierungs- und oftmals auch Monetarisierungsbestrebungen zur Erfassung der globalen Pflanzen-, 70 Vgl. Kädtler 2001, S. 230-231; Radkau 2011, S. 599-600; Sluyterman 2007, S. 334-358; Stadler 2004, S. 13, 30, 120-122, 157-160; Wöbse 2004, S. 153. 71 Vgl. Loew/Fichter 1999, S. 4. 72 BDA Abt. VIII: Allgemeiner Informationsbericht Presse (23.10.1974); Informationsbericht über betriebliche Publizistik (30.04.1974); Böning 1994; Loew/Fichter 1999. 73 Haller et al. 2014. 74 Haller et al. 2014, S. 8: Der Begriff des Naturkapitals geht auf den französischen Ökonomen Léon Walras zurück, der damit im späten 19. Jahrhundert die Idee einer Ökonomisierbarkeit der Natur prägte, deren Wachstumslogik den Regeln des Rechnungswesens unterworfen werden könne.

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Tier- und Bodenschatzvorkommen der achtziger und neunziger Jahre eine neue Qualität. Das Nachhaltigkeitspostulat des Brundlandtberichts und der Rio-Umweltgipfel hätten eine Zäsur und ein neues Verständnis vom Nutzen der Natur als Dienstleister für die Menschheit herbeigeführt. Die Ökonomisierung sollte helfen, ein Gleichgewicht zwischen Wachstum und Konsum von Umweltgütern herzustellen und eine gerechtere Verteilung zu gewährleisten. Managementinstrumente wie Ökobilanzen, Ökoeffizienzanalysen, die heute verbreiteten Konzepte vom ökologischen Fußabdruck und die Idee von Kompensationsmitteln wie dem Handel von Emissionszertifikaten dienten und dienen der Umsetzung dieser Vorstellung einer nach ökonomischen Prinzipien verlaufenden Realisierung des Nachhaltigkeitsgedankens.75 In welchem Maße diese Umsetzung einem Imperativ der Verantwortung folgt und jenseits von greenwashing oder einem modernen Ablasshandel mit Zertifikaten liegt, ist eine andere Frage.

8.2 C ORPORATE -S OCIAL -R ESPONSIBILITY -R EPORTING : D IE R EINTEGRATION DER S OZIALBERICHTERSTATTUNG Seit Mitte der 1990er Jahre stehen neben Umweltthemen auch soziale Aspekte wieder vermehrt auf der öffentlichen Agenda multinationaler Unternehmen. NGOs stellten eine immer größer werdende Gruppe kritischer Stakeholder dar, die sich über eine zunehmende mediale Vernetzung etablieren konnten. Sie übten Kritik an der Macht multinationaler Konzerne, die insbesondere in Entwicklungsländern große Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der Arbeits- und Produktionsbedingungen hätten. Ihre Forderungen nach einer Verankerung des Prinzips der Verantwortlichkeit in den wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmen wurden von Politik, Wissenschaft und Medien ebenfalls unterstützt. Dort, wo politische Rahmenbedingungen fehlten, sollten westliche Unternehmen Vorbild sein und durch Wohlverhalten das Prinzip der Nachhaltigkeit propagieren. Dieser öffentliche Druck beförderte erstens die Karriere des Nachhaltigkeitsbegriffes, der bereits in der Definition des Brundtland-Berichts und der Rio-Konferenz nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Nachhaltigkeit hinsichtlich der Verteilungs- und Generationengerechtigkeit einschloss; zweitens entstanden neue Formen der Governance, die zur Implementierung des Verantwortungsprinzips in die Unternehmenspolitik – Corporate Social Responsibility (CSR) – durch Selbstverpflichtungen oder Kooperationen zwischen Regierungs-, Nichtregierungs- und Wirtschaftsorganisationen beitragen sollten. Diese Kooperationen sollen idealerweise vor allem die Möglichkeit der Teilhabe für Stakeholder schaffen, die sich bisher von der Entscheidungsfindung ausgegrenzt sehen, obwohl sie direkt von unternehmenspolitischen Ent75 Haller et al. 2014; Höhler 2014.

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scheidungen betroffen sind; oftmals werden sie von NGOs wie Umweltschutzgruppen, Konsumentenvereinigungen oder Gewerkschaften vertreten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Interessen der Stakeholder im Dialog mit Wirtschaft und Politik zu wahren. In der Praxis stellt sich der angestrebte Stakeholderdialog jedoch oftmals als Diskurs »neokorporatistische[r] Elitenkartelle«76 heraus, der dem demokratischen Anspruch der Kooperation nur wenig gerecht wird. Aus Sicht der Kritiker von Stakeholderdialogen dienen diese vor allem dazu, den Status quo von Selbstverpflichtungen zu legitimieren, um rechtliche Normierungsversuche zu unterbinden.77 Die unternehmerischen Aktivitäten, die die Beziehungen zu den Stakeholdern und der natürlichen Umwelt betreffen, werden seit den späten 1990er Jahren oftmals unter dem Sammelbegriff der Corporate Social Responsibility gefasst. Dessen Auslegung ist vielseitig und reicht in der Praxis von vereinzelten philantropischen Maßnahmen wie Spenden an Schulen, Wohlfahrtsverbände, Kunst- oder Sportvereine bis hin zu einer umfassenden Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte in zentralen Geschäftsbereichen. Diese fehlende Eindeutigkeit und Präzision des CSR-Begriffes resultiert aus den unterschiedlichen Zielen und Organisationsweisen sowie den heterogenen Anforderungen an diese. Derselbe Mangel ist aber auch den Spannungen zwischen den praktischen unternehmerischen Erfordernissen einerseits und den wissenschaftlichen Ansprüchen an ein ethisch fundiertes CSRKonzept andererseits geschuldet.78 Die Debatte um den Begriff und die Konzepte von CSR führt jene wechselseitige Kritik weiter, die bereits die Diskussion um unternehmerische Verantwortung und deren Dokumentation durch Sozialbilanzen in den 1970er Jahren prägte: Unternehmen betrieben PR-Politik unter dem Deckmantel sozialer und ökologischer Verantwortung, und die Wissenschaft liefere keine praktikablen Konzepte, sondern versteige sich in zu hohen Standards. Dem Anspruch nach liegen wesentliche Merkmale von CSR in der Übernahme von Verantwortung in sozialen und ökologischen Bereichen der Wertschöpfung eines Unternehmens.79 Engagement, das über das Kerngeschäft des Unternehmens hinaus geht und nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen Wertschöpfung steht, wird unter dem Begriff des Corporate Citizenship (CC) gefasst und beschreibt in erster Linie Aktivitäten wie Spenden, Sponsoring oder Hilfsprogramme. Diese werden von Unternehmen oftmals unter dem Begriff des zivilgesellschaft-

76 Hummel 2007, S. 233. 77 Vgl. Berthoin Antal/Dierkes/Oppen 2007; Berthoin Antal/Oppen/Sobczak 2007; ConiZimmer/Rieth 2012; Flohr et al. 2010, S. 41-80; Hummel 2007; Moes et al. 2008, S. 1719; Nuhn 2013, S. 203-211; Vogel 2006. 78 Vgl. Aßländer/Senge 2009, S. 7-10; Beschorner/Schank 2012, S. 155-6. 79 Vgl. Günther 2012.

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lichen Engagements gefasst. Jürgen Kocka definiert zivilgesellschaftliches Engagement als freiwillige, unentgeltliche, über den privaten Raum hinausreichende Tätigkeiten mit viel Selbstständigkeit und Freiheit, mit Verantwortungsbereitschaft und Chancen zur Solidarität, vielfältig, immer im Plural auftretend, nicht ohne Konflikt miteinander, aber gewaltfrei (zivil). Es handelt sich um einen Tätigkeitstypus, der weder der kompetitiven, individuellen Nutzen optimierenden und dem Tauschprinzip verpflichteten Handlungslogik des Marktes noch der kollektiven und hierarchischen Logik staatlich-bürokratischer Politik noch den Grundsätzen der Intimität und Überschaubarkeit im privaten Leben folgt, vielmehr sich von diesen drei Bereichen – Staat, Markt und Privatsphäre – abgrenzt, absetzt, unterscheidet.80

Ein Großteil der Aktivitäten, über die Unternehmen in ihrer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung informieren, widerspricht jedoch dieser Definition. Die Aktivitäten sind ihrer Intention nach oftmals nicht klar von wirtschaftlichen Interessen zu trennen. Unternehmen können dem Anspruch, unabhängig von ihren wirtschaftlichen Interessen zu handeln, aber auch gerade deshalb nicht gerecht werden, weil sie sich nicht aus ihrer Rolle als Wirtschaftsunternehmen lösen und als unabhängiger Akteur wirksam werden können. Sie unterliegen in ihrem gesellschaftlichem Engagement einem massiven Glaubwürdigkeitsdefizit, da sie, um den oben formulierten Ansprüchen tatsächlich gerecht zu werden, vor allem die Freiwilligkeit ihres Engagements immer wieder unter Beweis stellen müssen. Ohnehin dominiert in der Berichterstattung jedoch der Gebrauch des CSRBegriffes. CSR-Maßnahmen zeichnen sich ihrer Definition nach dadurch aus, dass sie in der Unternehmensorganisation institutionell verankert sein sollen. Sie sollen sich nicht nur auf die Übernahme von Verantwortung für bereits bestehende – und durch die wirtschaftliche Aktivität von Unternehmen verursachte – gesellschaftliche Probleme und deren Lösung beziehen, sondern auch künftige Probleme antizipieren und vermeiden helfen.81 Maßgeblich ist die Freiwilligkeit der Verantwortungsübernahme: dass es sich nicht um Maßnahmen handelt, die lediglich auf Einhaltung der nationalen Gesetzgebung zielen, sondern dass diese im Gegenteil gerade jene Bereiche abdecken, die von staatlicher Seite nicht berücksichtigt werden. Ein weiteres Merkmal von CSR ist die Dialogbereitschaft der Unternehmen gegenüber ihren Anspruchsgruppen zur gemeinsamen Entwicklung geeigneter Zielvorgaben. Stakeholder-Dialoge zur Identifikation der Forderungen dieser Anspruchsgruppen werden zu den zentralen Institutionen einer wirkungsvollen CSR-Politik gezählt.82 80 Kocka 2010, S. 288. 81 Vgl. Berthoin Antal/Oppen/Sobczak 2007, S. 18; Beschorner/Schank 2012; Hoppe 2006, S. 142-143; Rieth 2009, S. 67-9 u. 102. 82 Vgl. Aßländer 2009, S. 25-26.

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Michael S. Aßländer und Lothar Rieth unterscheiden beide je vier Ebenen der Motivation für die Implementierung von CSR-Maßnahmen: erstens eine instrumentelle Motivation, die der Gewinnerzielung unter öffentlichkeitswirksamer Berücksichtigung von Stakeholder-Ansprüchen den Vorrang gibt und versucht, mögliche gesetzliche Regulierungen abzuwenden; zweitens die politisch motivierte Anerkennung von Rechten und Pflichten, die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit resultieren und Stakeholder-Ansprüche tatsächlich (selektiv) einbeziehen – unter Umständen werden hier jedoch nur die Ansprüche von Shareholdern berücksichtigt, die eine verantwortlichere Unternehmenspolitik für ertragreich oder moralisch geboten halten; drittens die Überzeugung, dass Wirtschaft und Gesellschaft und damit auch die Probleme beider Sphären notwendig miteinander verflochten sind; und viertens die ethisch motivierte Anerkennung der Universalität moralischer Werte.83 Während im ersten Fall CSR vor allem zur Imagepflege instrumentalisiert wird, im zweiten die politische Motivation beispielsweise aus der Sozialpflichtigkeit des Eigentums resultieren kann und im dritten integrative Ansätze sich häufig auf den philanthropischen Bereich beziehen, beschreibt der vierte Fall einen individualistischen Ansatz, nachdem jedes Unternehmen und jeder Vertreter des Unternehmens moralischen Regeln folgt. In der Praxis dürfte die CSR-Tätigkeit in den ersten drei Bereichen verortet sein, während die vierte Ebene als moralphilosophisches Ideal in der Theorie verhaftet bleibt. Imagepflege kann zum einen relevant für die Gewinnung und Bindung von Konsumenten sein, zum anderen kann sie der Verpflichtung von qualifizierten Arbeitskräften dienen. Das sogenannte employer branding wird als nachhaltiges Personalmanagement verstanden und sieht Imagekampagnen schon in Schulen und Hochschulen vor, um die Attraktivität eines Unternehmens für künftige Arbeitnehmer herauszustellen.84 Die Anwerbung von Mitarbeitern durch Imagepflege ist jedoch weniger innovative CSR-Politik als vielmehr durch Tradition geprägte Personalpolitik deutscher Unternehmen. Die paternalistisch gestaltete Sozialpolitik des 19. Jahrhundert diente bereits zur Anwerbung von Generationen junger Arbeitskräfte, deren Väter schon in den Unternehmen tätig waren.85 Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung und zur Erhaltung der Arbeitskraft, wie das Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens oder wie Mitsprache- und Mitgestaltungsmöglichkeiten in den 1970er Jahren, wiesen ebenso die Merkmale heutiger Personalmanagementansätze auf, die als nachhaltig gelten.86 In den neunziger Jahren löste sich die Diskus83 Vgl. Aßländer 2009, S. 28; Rieth 2003, S. 375 u. 378; Rieth 2009, S. 81-85; dieselben Motive identifizieren auch Hoppe und Nuhn: vgl. Hoppe 2006, S. 133; Nuhn 2013, S. 95106. 84 Vgl. Breisig/Meyer-Truelsen 2009, S. 181-189; Hoppe 2006, S. 132 u. 179. 85 Vgl. Kapitel 1. 86 Vgl. Kapitel 5.

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sion um unternehmerische Verantwortung jedoch aus dem je nationalen Kontext, der immer auch die konkreten Gestaltungsmöglichkeiten der Politik betont hatte, und avancierte zum internationalen Diskurs, der die Suche nach standardisierten Regeln im Umgang mit einer globalisierten Wirtschaft spiegelte. Im Zuge dieser globalen Debatte um CSR entwickelten sich einige Initiativen zur Standardisierung einer gesellschaftsbezogenen Berichterstattung als Instrument zur Dokumentation von CSR-Maßnahmen, um Anspruchsgruppen zu informieren. Hier sollten zum einen weiterhin Mitarbeiter und ihre Vertreter in Gewerkschaften angesprochen werden, zum anderen erweiterte organisierte Interessengruppen wie NGOs, die auf eine transparente Unternehmenspolitik und die Überwachung multinationaler Konzerne pochten, aber auch Shareholder, die entweder aus moralischer Überzeugung ein Interesse an einer nachhaltig ausgerichteten Unternehmenspolitik hatten, oder die in einer nachhaltigen Unternehmenspolitik einen ökonomischen Nutzen für Unternehmen vermuteten – sei es durch die Erfüllung breiter Stakeholderforderungen oder schlichtweg durch eine langfristige Unternehmensplanung, die auf einen effizienten Umgang mit Ressourcen schließen lässt, wobei sich diese Shareholder-Motive nicht gegenseitig ausschließen. In den 1990er Jahren versuchten zahlreiche Initiativen, Standards zur Integration sozialer und ökologischer Informationen in die unternehmerische Berichterstattung zu entwickeln. Die Absichten dieser Initiativen waren jedoch nicht immer dieselben. Sie bewegten sich zwischen dem Ziel, ein wirksames Informations- und Kontrollinstrument für Stakeholder zu schaffen, und jenem, staatliche Regulierung im CSR-Bereich zu verhindern. Nachfolgend sollen hier einige der einflussreichsten und bekanntesten CSRInitiativen und Aktivitäten zur Umsetzung von Berichtsstandards vorgestellt und ihre Bedeutung für die weitere Entwicklung der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung skizziert werden. Zunächst werden internationale Initiativen für eine Regulierung von CSR und CSR-Berichterstattung – der UN Global Compact, der ISOStandard 26000, die Standards SA 8000 und AA 1000, die Global Reporting Initiative, das Grünbuch der Europäischen Kommission, das Konzept der Triple Bottom Line, Modelle zur Erfassung von Treibhausgasemissionen im Bereich der Umweltberichterstattung, Ansätze zu Verhaltenskodizes und Konzepte zu ethischen Investments – vorgestellt. Anschließend wird auf deutsche Initiativen – den Runden Tisch der GTZ für Verhaltenskodizes, den Deutschen Corporate Governance Kodex sowie Projekte von DGB, BDI und BDA – eingegangen. In einem letzten Schritt werden die Einflüsse dieser Initiativen auf die CSR-Berichterstattung der AKSBPUnternehmen – Shell, Bertelsmann und BASF – erläutert.

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8.2.1 Internationale Initiativen Im Januar 1999 forderte UN-Generalsekretär Kofi Annan die auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos versammelten Unternehmens- und Verbandsvertreter auf, im Sinne künftiger globaler Prosperität einen Pakt zu schließen, der die Wahrung von Menschenrechten, Sozial- und Umweltschutzstandards zu zentralen Gegenständen einer jeden Unternehmenspolitik erheben sollte. Annan appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Forumsteilnehmer, das aus den Handlungsspielräumen global agierender Unternehmen erwachsen müsse. Der Vorschlag Annans orientierte sich an den Prinzipien der Universal Declaration on Human Rights (1948), der Declaration on Environment and Development (1992) der Vereinten Nationen und der Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work der ILO (1998). Der UN-Generalsekretär köderte die Aufmerksamkeit der Unternehmensvertreter mit dem Hinweis, eine freiwillige Orientierung an diesen sozialen und ökologischen Grundsätzen könne durchaus eine restriktivere staatliche Regulierung abwenden.87 Am 26. Juli 2000 begründete Annan den United Nations Global Compact (UNGC), dem sich zunächst 42 Unternehmen anschlossen. Inzwischen liegt die Zahl der teilnehmenden Organisationen weltweit bei rund 10.000, darunter etwa 7000 Unternehmen (Stand: Mai 2013). Die Akzeptanz des Global Compact resultiert aus der hohen Öffentlichkeitswirkung durch die Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und der mit dieser Schirmherrschaft verbundenen Expertise, die die Unternehmen in Anspruch nehmen können. So unterstützen Wissenschaftler die Grundsatzarbeit der Initiative, erstellen Fallstudien und beraten die Teilnehmer auf den regelmäßig stattfindenden Dialogveranstaltungen. Ausschlaggebend für die Entscheidung an der Teilnahme des Global Compact dürfte aber vor allem der relativ unspezifische, offene Charakter der Prinzipien sein, die sich auf die Bereiche Menschenrechte, Arbeitsnormen (mit direktem Bezug auf die ILO-Kernarbeitsnormen), Umweltschutz und seit Dezember 2005 auch auf den Bereich der Korruptionsbekämpfung beziehen (zur Übersicht der Prinzipien: siehe Anhang III). Die Offenheit des Abkommens soll Unternehmen, aber auch öffentlichen und gemeinwohlorientierten Organisationen im gegenseitigen Austausch die Möglichkeit geben, sukzessive soziales und ökologisches Engagement respektive die Übernahme von Verantwortung durch Orientierung an Vorbildern aus der Praxis zu erlernen und zu erhöhen, ohne unmittelbar gegen feste Standards verstoßen zu können. Der Global Compact ist aus diesem Grund und in Abgrenzung zu früheren UNInitiativen zur Unternehmensverantwortung explizit nicht als Verhaltenskodex konzipiert worden. Bedingung der Teilnahme ist jedoch die Veröffentlichung einer jährlichen Fortschrittsmitteilung (Communication on Progress, COP), die den Stakeholdern Auskunft darüber gibt, dass die Organisation den UNGC unterstützt so87 Vgl. URL: UN Press Release (SG/SM/6881) Secretary-General.

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wie mit welchen Mitteln und in welchem Maße die UNGC-Prinzipien umgesetzt worden sind. Das Ausmaß der Umsetzung kann sowohl durch eine qualitative Beschreibung als auch quantitative Indikatoren dargestellt werden. Die Informationen zum Fortschritt über jede teilnehmende Organisation werden über die Internetseite des Global Compact zugänglich gemacht. Die Berichtspflicht gilt seit 2004; ihre Missachtung wird durch Veröffentlichung des Verstoßes auf der Internetseite des UNGC und durch Entzug der Nutzungsrechte am UNGC-Logo sanktioniert. Darüber hinaus werden statistische Informationen über das diachrone Berichtsverhalten der Teilnehmer bereitgestellt. Allerdings wurden im Gegenzug die Anforderungen an die Berichte herabgesetzt, um die Eintrittsschwelle für Unternehmen niedrig zu halten. Zugleich wurde die Orientierung an bereits bestehenden Berichtsstandards wie der Global Reporting Initiative (GRI), die in enger Zusammenarbeit mit der UNEP entstand und die zehn Prinzipien des Global Compact einschließt, sowie an Indizes zum ethischen Investment (Socially Responsible Investment, SRI) empfohlen. Dadurch sollen Vergleichbarkeit und Qualität der Berichterstattung gewährleistet, das Monitoring der Berichterstattung durch Auslagerung vereinfacht und NGOForderungen nach strengeren Verhaltensregeln für die Teilnahme sowie nach Qualitätsstandards für die Berichterstattung aufgenommen werden. Innerhalb der Teilnehmergruppe werden zwei verschiedene Ebenen des Engagements unterschieden: active level und advanced level. Auf der fortgeschrittenen Ebene müssen ausnahmslos alle zehn GC-Prinzipien in der Organisationsstrategie unter dem Prinzip der Nachhaltigkeit verankert sein, und die Organisation muss sich für die wesentlichen globalen Ziele der Vereinten Nationen einsetzen. Eine qualitative Überprüfung der Berichtsinhalte – insbesondere hinsichtlich der Weiterentwicklung der unternehmenseigenen CSR-Politik – ist nicht vorgesehen.88 Der Austausch unter den Teilnehmern findet seit 2001 in nationalen wie internationalen Foren und StakeholderDialogveranstaltungen mit Vertretern von NGOs, Gewerkschaften und wissenschaftlichen Institutionen statt. Mittelbarer Zweck des Global Compacts ist es, durch dieses Netzwerk auch die Erreichung der im September 2000 verabschiedeten acht UN-Milleniumsziele zur Armutsbekämpfung, Gesundheits-, Bildungs- und Gleichstellungsförderung sowie die in den Erklärungen auf den UN-Gipfeln in Rio (1992) und Johannesburg (2002) festgehaltenen Ziele zum Umweltschutz zu befördern. Für Unternehmen bieten insbesondere die Dialogveranstaltungen die Möglichkeit, ihr Verhältnis zu ihren Stakeholdern zu verbessern und Kooperationen mit NGOs einzugehen. Rieth zeigt auf, dass die frühere Zusammenarbeit mit UNEinrichtungen – wie der UNEP zur Implementierung von globalen Umweltschutzstandards oder im UN-Sonderprogramm UNAIDS zur Unterstützung von Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung von HIV-Infektionen – die Bereitschaft von 88 Vgl. Coni-Zimmer/Rieth 2012, S. 720; Hummel 2007; URL: OECD-ILO-Konferenz 2008, S. 24; Rieth 2009, S. 169-218; URL: UNGC COP Policy.

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deutschen Unternehmen wie der BASF, BMW, Daimler-Chrysler, der Deutschen Bank, der Deutschen Telekom, Otto und SAP erhöhte, sich dem Global Compact anzuschließen.89 Auch das Engagement der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) erhöhte die Bereitwilligkeit von Unternehmen, sich der Initiative anzuschließen. Die GTZ koordiniert seit 2002 das nationale Netzwerk, dem sich bis 2009 24 der DAX-30-Unternehmen angeschlossen hatten.90 Die relative Offenheit und Unverbindlichkeit des Global Compact ebenso wie seine mangelnde politische Legitimität im Entstehungsprozess stießen gerade zu Beginn auf Kritik: »[I]t has none of the legitimacy either of an intergovernmental agreement or of a standard arrived at through the voluntary consensus process.«91 Diesem Vakuum mangelnder Verbindlichkeit und Legitimität wollte die ISO mit der Entwicklung eines CSR-Standards begegnen. Erste Überlegungen zu einem solchen Standard gingen im Frühjahr 2001 vom ISO Committee on Consumer Policy (COPOLCO) aus. Legitimität sollte ein Multi-Stakeholder-Verfahren garantieren, um die Interessen einer möglichst großen Gruppe von Stakeholdern im Aushandlungsprozess zu berücksichtigen und ihnen Mitsprachemöglichkeiten einzuräumen. Verbindlichkeit sollte der Standard durch einen klaren Katalog von Anforderungen schaffen. Die Verbreitung der Standardserien ISO 9000 für das Qualitätsmanagement und ISO 14000 für das Umweltmanagement versprachen einen hohen Akzeptanzgrad für eine CSR-Standardserie. Diese sollte allerdings keine Zertifizierungsfunktion besitzen, da Zertifizierungen die Gefahr bergen würden, legislative Regulierungen im Bereich der CSR zu verhindern. Mittels des Stakeholder-Verfahrens sollte sich der ISO-Standard auch von dem bereits existierenden Social Accountability 8000 (SA 8000) Leitfaden abgrenzen, der von der NGO Social Accountability International (SAI) – vormals Council on Economic Priorities Accreditation Agency (CEPAA) – 1997 entwickelt worden war und sich im Wesentlichen auf die UN-Erklärung der Menschenrechte und die ILO-Konventionen bezog. Der Fokus von SA 8000 als Leitfaden für externe Audits liegt vor allem im Bereich der Wahrung von Mitarbeiterrechten: der Einhaltung von Verboten (Disziplinarmaßnahmen, Diskriminierungen, Kinder- und Zwangsarbeit), der Ermöglichung und Förderung von Arbeits-, Gesundheitsschutz und Organisationsfreiheit, der Befolgung von Arbeitszeitregelungen und der Sicherstellung gerechter und angemessener Entlohnung.92 In der Entwicklungsphase des ISO-Standards wurde ein ausgewogenes Verhältnis der beteiligten Stakeholder angestrebt. Zwei nationale Standardisierungsorgani89 Vgl. Rieth 2003, S. 383-387; ders. 2009, S. 192-195 u. 210-211; Speich Chassé 2013, S. 224-8; URL: UNGC Ten Principles, UNGC Participants. 90 Vgl. URL: Deutsches Global Compact Netzwerk; Rieth 2009, S. 188-189. 91 Murphy/Yates 2009, S. 83-4. 92 Vgl. IÖW/Imug 2002, S. 73-4; Owen et al. 2000, S. 86; URL: SA 8000 2008 u. 2014.

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sationen – das Swedish Standards Institute (SIS) als Repräsentant aus dem Norden und die Associação Brasileira de Normas Técnicas (ABNT) als Repräsentant aus dem Süden – übernahmen die Federführung in einer Arbeitsgruppe, die sich aus rund 400 Personen aus knapp 100 Ländern zusammensetzte. In dieser Arbeitsgruppe waren Vertreter von Konsumentenorganisationen (NGOs und NPOs), von Regierungen – an deren Stelle auch Repräsentanten nationaler Standardisierungsorganisationen die Aufgabe der nationalen Interessenvertretung wahrnehmen konnten –, von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, weiteren NGOs, die nicht die vorgenannten Interessengruppen vertraten, sowie Experten aus der Wissenschaft und anderen Organisationen, die sich mit der Entwicklung von Standards, Verhaltenskodizes oder Leitlinien auseinandersetzen. In der Arbeitsgruppe waren unter anderem Repräsentanten des BIAC, der Europäischen Kommission, der Global Reporting Initiative, der ICC, der ILO, der OECD, von SAI, des UN Global Compact und von UNCTAD. Zwischen 2004 und 2010 entwickelte die Arbeitsgruppe den Standard, der Begriffsdefinitionen, Anwendungsbereiche und Implementierungsmöglichkeiten für Organisationen beschreiben sollte. Als Kernbereiche organisationaler – und damit auch unternehmerischer – sozialer Verantwortung identifizierte die ISOArbeitsgruppe die Bereiche Menschenrechte, Arbeitspraktiken, ökologische Umwelt, faire Geschäftspraktiken, Konsumenteninteressen und den Einfluss auf die Entwicklung der sozialen Umwelt. Um die Übernahme von Verantwortung in diesen Bereichen gegenüber den Stakeholdern glaubwürdig zu demonstrieren und Weiterentwicklungen zu dokumentieren, empfiehlt die ISO eine geeignete Berichterstattung.93 Unter dem Einfluss der zunehmenden inhaltlichen Angleichung von CSRStandards veröffentlichte die ISO im Januar 2014 ein Dokument, das die gemeinsamen und komplementären Eigenschaften von ISO 26000 und den GRI-Leitsätzen für eine CSR-Berichterstattung hervorhob.94 Die Sustainability Reporting Guidelines der Global Reporting Initiative wurden 1999 erstmals entworfen und haben sich zu einem der global am weitesten verbreiteten Berichterstattungsstandards entwickelt. Die Leitsätze wurden 2002 in einer zweiten Version (GRI G2) auf dem UN-Gipfel in Johannesburg veröffentlicht. Die in den USA angestoßene Initiative95 gewann in einem Multi-Stakeholder-Verfahren unter Einbeziehung zahlreicher NGOs und anderer Stakeholder auch in Europa Interesse und hat seit 2002 ihren Sitz als NGO und NPO in Amsterdam. Die hohe Akzeptanz der GRI-Richtlinien resultierte aus dem Postulat der Freiwilligkeit und der Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Umsetzungsgrades. Ein Nachhaltigkeitsbericht nach GRI-Standard soll den 93 Vgl. Hoppe 2006, S. 140; Jasch 2012, S. 503; Murphy/Yates 2009, S. 82-88; Schmiedeknecht/Wieland 2012; URL: ISO 2005, 2006 u. 2010. 94 URL: ISO GRI 2014. 95 Vgl. Kapitel 8.1.

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Einfluss eines Unternehmens auf seine Stakeholder, das Ausmaß der Verankerung von CSR in der Unternehmensstruktur und -kultur sowie den Grad der Umsetzung der GRI-Richtlinien verbalisieren. Die GRI bietet hierfür einen Katalog aus Kernund Zusatzindikatoren, der Unternehmen helfen soll, ihre CSR-Maßnahmen für die Berichterstattung zu kategorisieren. Im Laufe der Weiterentwicklung der GRIRichtlinien – 2013 wurde die vierte Generation des Standards (GRI G4) veröffentlicht – wurde die Auswahl der Indikatoren immer stärker an den zehn Prinzipien des Global Compact ausgerichtet, so dass sich jedem Prinzip des UNGC entsprechende GRI-Indikatoren zuordnen lassen, die über die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsnormen sowie die Umsetzung von Maßnahmen zum Umweltschutz und zur Korruptionsbekämpfung informieren. Die Anwendung aller Indikatoren – selbst im Bereich der Kernindikatoren – war und ist jedoch keineswegs verpflichtend, so dass viele Unternehmen die GRI-Standards bis heute nur unvollständig umsetzen. Die GRI schafft zwar Anreize zur Berichterstattung, indem sie die Namen derjenigen Unternehmen, die den Anforderungen der GRI entsprechen, auf der Website der Initiative veröffentlicht; die Anforderungen können jedoch stufenweise erfüllt werden: Niveau A erfordert die Einbeziehung aller 49 Kernindikatoren, Niveau B verlangt die Einbeziehung von 20 Kernindikatoren, Niveau C von zehn. Die externe Prüfung der Berichterstattung wird durch den Vermerk »+« gekennzeichnet. NGOs bemängeln vor allem das Fehlen einer selbstkritischen Auswahl der Berichtsinhalte, denn diese unterliegt trotz der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Richtlinien weiterhin den Unternehmen, die verständlichweise die positiven Aspekte ihres nachhaltigen Handelns in den Vordergrund rücken. Auch Analysten kritisieren, die Berichterstattung sei oftmals zu lückenhaft, um verlässliche Aussagen über den Beitrag der CSR-Strategie zur Steigerung des Unternehmenswertes zu machen. Julia Lackmann stellte fest, die Aussagekraft der GRI-Leitsätze leide darunter, dass die durch die Indikatoren generierten Informationen einerseits zu komplex für Laien wie Kleinanleger oder andere Stakeholder seien, die damit auf Experten zur Bewertung der CSR-Strategie eines Unternehmens angewiesen seien; für Analysten böten sie andererseits nicht ausreichend Informationen, um eine für die Finanzanalyse brauchbare Bewertung vorzunehmen.96 Arbeitgeberorganisationen und Unternehmen sind dagegen bemüht, die Ermessensspielräume in der Berichterstattung zu bewahren, um eine mögliche Institutionalisierung von Berichtsanforderungen per Gesetz zu verhindern.97 Der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, rief Unternehmen 1993 dazu auf, mehr Verantwortung zu übernehmen und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen. Er wollte Unternehmen ermutigen, Netzwerke zur Lösung gesellschaftlicher 96 Vgl. Lackmann 2010. 97 Vgl. Berthoin Antal/Sobczak 2005, S. 79; T. Hoffmann 2011; Jasch 2012; Lackmann 2010; Rieth 2009, S. 223-257 u. 376; URL: GRI’s History; URL: GRI G4.

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Probleme zu bilden. Einige Unternehmen folgten dieser Aufforderung und gründeten 1996 das European Business Network for Social Cohesion, das seit 2000 unter dem Namen CSR Europe firmiert. Auf dem Lissabonner EU-Gipfel im März 2000 gehörte CSR Europe zu jenen Akteuren, die sich aktiv an der Debatte um unternehmerische Verantwortung beteiligten. Der Gipfel sollte die wirtschaftliche Strategie der Europäischen Union für die nachfolgenden zehn Jahre festlegen. Teil dieser Strategie ist die Sicherung eines sozial und ökologisch nachhaltigen Wachstums in der EU als Garant für langfristig wirtschaftlichen Erfolg. Infolge dieses Gipfels setzte sich die Europäische Kommission verstärkt mit dem Thema CSR auseinander und veröffentlichte schließlich im Juli 2001 das Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen.98 Das Grünbuch fasste die wesentlichen Anforderungen zusammen, die an Unternehmen, aber auch Stakeholder zur Umsetzung einer verantwortungsvollen Unternehmenspolitik gestellt würden. Vorrangiges Ziel der Veröffentlichung sei es gewesen, eine Debatte über CSR auf der Ebene aller Akteure – Unternehmen, Politik, Wissenschaft, Medien, Gewerkschaften, NGOs und anderer interessierte Stakeholder – anzustoßen, damit Unternehmen neben der Gewinnerwirtschaftung auch soziale und ökologische Ziele berücksichtigen. Langfristig könne dies die wirtschaftliche Position Europas stärken. Aufgabe der nationalen und europäischen Politik sei es, die Rahmenbedingungen für ein freiwilliges Engagement von Unternehmen zu schaffen, das über gesetzliche Anforderungen hinausgeht, ohne weitere gesetzliche Regulierungen im sozialen und ökologischen Bereich zu verhindern: Sozial verantwortlich handeln heißt nicht nur, die gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten, sondern über die bloße Gesetzeskonformität hinaus ›mehr‹ investieren [sic!] in Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern. [...] Man eröffnet sich damit neue Wege der Bewältigung des Wandels und neue Möglichkeiten, soziale Errungenschaften mit der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen.99

Der Politik komme die Aufgabe zu, die Rahmenbedingungen für eine Selbstverpflichtung der Unternehmen zu schaffen, die die effiziente Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien erlaube. Orientierung sollen internationale Initiativen wie der Global Compact, die immer wieder überarbeiteten OECD-Leitlinien und die Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy der ILO bieten. Ziel ist eine Harmonisierung und Standardisierung in der Umsetzung von CSR-Strategien einschließlich der Berichterstattung, deren Qualität durch Zertifizierung sichergestellt werde. Die Umsetzung von CSR-Strategien be98 Vgl. Europäische Kommission 2001; URL: CSR Europe, History; URL: Europäisches Parlament, Lissabon-Strategie; Aßländer 2009, S. 25. 99 Europäische Kommission 2001, S. 7.

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deute erstens die Gewinnung qualifizierter Arbeitskräfte durch ein nachhaltiges Human-Resource-Management, das sich durch Angebote zum lebenslangen Lernen und zur Gewinn- und Kapitalbeteiligung, durch Mitsprache- und Mitgestaltungsmöglichkeiten, Lohngerechtigkeit, Chancengleichheit, Beschäftigungssicherheit, hohe Arbeitsschutzstandards, eine ausgeglichene work life balance und gute Informationspolitik auszeichne. Zweitens bestehe die Implementierung von CSR in einer umfassenden Umweltschutzpolitik, die möglichst den gesamten Produktzyklus berücksichtige und Umweltschutzaudits nach EMAS- und ISO-Standard einschließe. Drittens müssten Unternehmen, die verantwortungsvoll handelten, auch ihre gesellschaftliche Rolle reflektieren, sich für Belange des Gemeinwohls einsetzen und Umweltschutz über die Werkstore hinaus betreiben. Viertens umfasse eine CSRStrategie insbesondere mit Rücksicht auf die globale Verflechtung von Unternehmen die Achtung internationaler Menschenrechts- und Arbeitsrechtsnormen einschließlich der Ächtung von Kinderarbeit und Korruption, wie es die ILO-Erklärung oder die OECD-Leitlinien festschreiben. Jeder dieser CSR-Aspekte könne durch enge Kooperation mit den Stakeholdern eines Unternehmens umgesetzt werden. Der Wille zum Dialog mit den Stakeholdern sichere der CSR-Politik eines Unternehmens eine höhere Glaubwürdigkeit. Das Grünbuch identifiziert Sozial- und Umweltaudits als zentrale Instrumente einer glaubwürdigen CSR-Politik und fordert einen Ausbau der unternehmerischen Berichterstattung, insbesondere über die Einhaltung von Menschenrechten, über Arbeitsbedingungen, Chancengleichheit, Maßnahmen zur Bewältigung des Strukturwandels, Mitbestimmung und über die Beziehungen zur Arbeitnehmervertretung. Hier sei eine Standardisierung der Berichterstattung anzustreben. Das Grünbuch empfiehlt die Orientierung an den GRIStandards und an SA 8000, die trotz ihrer Universalität bisher am geeignetsten seien, die Anforderungen an eine glaubwürdige und transparente Berichterstattung zu erfüllen. Zertifikate und Gütesiegel könnten Übersichtlichkeit für Stakeholder ohne Expertenwissen – wie beispielsweise Verbraucher – schaffen.100 Zur weiteren Unterstützung der Umsetzung von CSR in europäischen Unternehmen richtete die Europäische Kommission ein CSR-Stakeholder-Forum ein, das sich aus Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften und anderen Stakeholderguppen zusammensetzt. Es diskutierte auch über die Standardisierung von CSR-Berichterstattung, gelangte allerdings bis zur Veröffentlichung seines Abschlussberichtes 2004 zu keinem Konsens.101 Nach jahrelangen Beratungen und einer Resolution im Jahr 2013, die Maßnahmen zur Ausrichtung unternehmerischer Berichterstattung befördern sollte, veröffentlichte die EU im Oktober 2014 eine Richtlinie (2014/95/EU), die Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und Unternehmen von öffentlichem Interesse – kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungen – ab 100 Vgl. Europäische Kommission 2001. 101 Vgl. dies. 2006.

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2017 dazu verpflichten soll, über CSR zu berichten. Die Richtlinie lässt allerdings große Spielräume hinsichtlich der Umsetzung und schlägt beispielsweise eine Orientierung der Berichterstattung an bereits existierenden Berichterstattungsstandards wie dem Global Compact oder ISO 26000 vor. Darüber hinaus fordert sie nicht zwingend, soziale und ökologische Kennzahlen in den Finanzbericht zu integrieren, sondern lässt auch die Veröffentlichung in einem gesonderten Bericht zu. Bereits im Jahr 2003 hatte die EU eine Reform des Bilanzrechtes vorgenommen und eine Richtlinie verabschiedet, die die Integration nicht-finanzieller Indikatoren in die Finanzberichterstattung verlangte, sofern diese Indikatoren Bedeutung für die Geschäftstätigkeit der Unternehmen haben. Diese offene Regelung wurde auch ins deutsche Handelsgesetzbuch übernommen. Beide EU-Richtlinien fordern nun zwar eine CSR-Berichterstattung ein, bestätigen jedoch eher die ohnehin schon übliche Praxis börsennotierter Großunternehmen. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht dürfte vor allem Auswirkungen auf KMUs haben, die bisher aus Kostenund Kapazitätsgründen noch zurückhaltender in ihrer CSR-Berichterstattung waren. Für sie war allerdings auch der öffentliche Druck, sich zu ihrer Rolle in der Gesellschaft zu äußern, bislang geringer.102 Auch die Vertreter der G8-Staaten diskutierten auf dem Gipfeltreffen in Heiligendamm 2007 über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Sie warben in ihrer Erklärung zu Growth and Responsibility in the World Economy für den Global Compact, die ILO-Erklärung und die OECD-Leitsätze. Sie forderten erstens eine Zusammenarbeit der OECD mit der UNGC-Initiative und der ILO, damit diese gemeinsame, grundlegende Standards entwickeln und die Unterschiede der jeweiligen Initiativen für potentielle Nutzer transparenter kommunizieren. Zweitens forderten sie Nichtmitglieder der OECD auf, die OECD-Leitsätze anzunehmen, und Unternehmen, diese Leitsätze zu befolgen. Drittens sollten börsennotierte Unternehmen in ihren Jahresberichten darüber informieren, an welchen CSRStandards sie sich orientieren und in welchem Grad sie sie erfüllen. In den drei Initiativen – OECD, UNGC und ILO – sahen die G8-Vertreter das größte Potential für eine weltweite Verbreitung. Zurückführen lässt sich diese Einschätzung auf die Bekanntheit der Institutionen und die Gestaltung der jeweiligen Grundsätze, die im Unterschied zu meist branchenbezogenen Privatinitiativen allgemein und niedrigschwellig gehalten sind.103 Daneben machten jedoch auch einige kleine, private Initiativen wie AccountAbility und SustainAbility Karriere und diffundierten in Unternehmen hinein. Das 1995 gegründete Institute for Social and Ethical AccountAbility (ISEA), das inzwi102 Vgl. Jasch 2012, S. 507-8; URL: Amtsblatt der Europäischen Union, Richtlinie 2014/95/EU

(veröffentlicht

am

15.11.2014);

URL:

BMJ,

CSR-Richtlinie-

Umsetzungsgesetz – Referentenentwurf (03/2016). 103 Vgl. URL: G8 Summit Declaration 2007, S. 7-8; URL: OECD-ILO-Konferenz 2008.

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schen nur noch unter dem Namen AccountAbility firmiert, veröffentlichte 1999 den Accounting-Standard AA 1000. Der Standard fand vor allem in Großbritannien relativ schnell Verbreitung, da er auf bereits bestehenden finanzbezogenen Rechnungslegungsstandards basiert und lediglich zusätzliche Informationen über Maßnahmen zur Implementierung von CSR fordert. 2005 erweiterte AccountAbility das Angebot der Standardinstrumente und legte den Fokus auf die Einbeziehung der Stakeholderpartizipation von Unternehmen in die Berichterstattung durch den Standard AA 1000 ES (Stakeholder Engagement Standard).104 Relativ große Bekanntheit erlangte der Ansatz des Briten John Elkington. Der Mitbegründer von SustainAbility105 veröffentlichte 1997 Cannibals with Forks und verbreitete mit diesem Buch die Idee der Triple Bottom Line als Erweiterung der finanzbezogenen Berichterstattung. Die unternehmerische Gewinn- und Verlustrechnung, die den Endgewinn (bottom line) ausweist, sollte um ökologische und soziale Aspekte erweitert werden. Unternehmen sollten neben ihrem Finanzkapital auch ihr Natur-, Human- und Sozialkapital in die Kostenrechnung einbeziehen. Erst wenn den sozialen oder ökologischen Gewinnen und Verlusten ein Wert im Finanzwesen des Unternehmens zugeschrieben werde, sei das Prinzip der Nachhaltigkeit auch tatsächlich im Unternehmen verankert. Elkington votierte für einen quantitativen Ansatz mithilfe von sozialen und ökologischen Indikatoren, sprach sich aber auch für eine möglichst umfassende Monetarisierung aus, die mit Hilfskonstruktionen wie Schattenpreisen zu erreichen sei. Einzelne Indikatoren könnten Unternehmen mithilfe entstehender alternativer Wohlstandsindikatoren auf dem Makrolevel wie des UN Human Development Indicator (HDI) oder des Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) entnehmen. HDI und ISEW sind dazu konzipiert, die Lebensqualität (in) einer Gesellschaft zu spiegeln, indem sie beispielsweise Informationen über Umweltverschmutzung und deren Kosten, den Bildungsgrad einer Gesellschaft – z. B. mittels der durchschnittlichen Zeit des Schulbesuchs oder der Alphabetisierungsrate – oder über die Lebenssituation von Frauen – z. B. mittels des Grades institutionalisierter Beschäftigung, der Bezahlung oder der Anzahl der Kinder – bereitstellen. Im Wesentlichen plädierte Elkington für die Idee der Nachhaltigkeit, die in der Unternehmensstrategie ihren Niederschlag durch alternative Zielsetzungen und einen kulturellen Wandel der Unternehmensführung finden solle, und schlug den Einsatz von bereits existierenden Instrumenten zur ihrer Implementierung vor. An vielen Stellen stimmte er darin mit den Ansätzen der 1970er Jahre überein, ohne allerdings deren Probleme – insbesondere hinsichtlich einer möglichst umfassenden Quantifizierung – gelöst zu haben.106 104 Vgl. Elkington 1999, S. 87-8; Jasch 2012, S. 503-4; E. Miller et al. 2007; Owen et al. 2000, S. 89-95. 105 Vgl. Kapitel 8.1. 106 Vgl. Elkington 1999; E. Miller et al. 2007; Nuhn 2013, S. 83-5; URL: HDI

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Verstärkte Bemühungen zu einer umfassenden Quantifizierung kristallisierten sich verstärkt in der Umweltberichterstattung heraus. Hier wurde seit den späten 1990er Jahren der Fokus auf Treibhausgasemissionen (greenhouse gases, GHG) gerichtet, die die Grundlage für eine Operationalisierung des industriellen Einflusses auf das Klima bildeten. Aus der seit den späten 1980er Jahren geführten Debatte um den durch menschliches Handeln verursachten Klimawandel erwuchsen neben dem Wunsch, diese Emissionen zu reduzieren, auch Ideen zu Kompensationsinstrumenten wie dem Emissionshandel. Voraussetzung für die Möglichkeit zum Handel ist die möglichst exakte und einheitliche Erfassung von Emissionen, um ihnen im nächsten Schritt Marktpreise zuweisen zu können. Die EU verabschiedete das Emissions Trading Scheme (EU ETS) als Vorzeigeprojekt gegen den Klimawandel, durch das seit 2005 – mit eher eingeschränktem Erfolg107 – versucht wird, den Treibhausgasausstoß der europäischen Industrie zu senken, indem Zertifikate an die Industrie vergeben und für Treibhausgase Preise pro Tonne festgelegt werden. Um eine einheitliche Berechnungsgrundlage für den Vergleich von Emissionen und den Handel mit ihnen zu haben, entwickelte das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der UN einen Umrechnungsfaktor, der Emissionen – sofern es sich nicht um Kohlendioxid selbst handelt – in einem der Wirkung von Kohlendioxid äquivalenten Wert erfasst (CO2eq). So entspricht beispielsweise eine Tonne Methan 25 Tonnen Kohlendioxid.108 Zwei Initiativen sorgten seit Ende der 1990er Jahre dafür, dass Anreize für Unternehmen geschaffen wurden, die von ihnen verursachten Emissionen in ihre Berichterstattung einzubeziehen. Zum einen entwickelten der Unternehmerverband WBCSD und das World Resources Institute (WRI) als NGO gemeinsam einen Standard zur Integration emissionsbezogener Daten in das Rechnungswesen. Sie veröffentlichten 1998 das Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol), das seitdem unter Einfluss der ISO weiterentwickelt wurde. Das GHG Protocol unterscheidet drei Ebenen von Emissionen: direkte Emissionen aus eigenen Anlagen (Scope 1), indirekte, z. B. durch die Nutzung von Elektrizität (Scope 2) und weitere indirekte Emissionen, die beispielsweise durch Transport oder Geschäftsreisen entstehen (Scope 3). Das GHG Protocol ermöglicht es, die Gesamtemissionen eines Unternehmens in einer einzigen Zahl als Summe zu erfassen und reflektiert damit auch

107 Vgl. Markus Balser, »Dicke Luft. Letzte Chance: Die Reform des schwächelnden Emissionshandels steht zur Abstimmung im EU-Parlament«, in: Süddeutsche Zeitung (03.07.2013), Nr. 151, S. 21; ders., »Dünne Luft: Europas Industriekonzerne machen Stimmung gegen eine Wiederbelebung des Emissionshandels«, in: Süddeutsche Zeitung (24.04.2014), Nr. 94, S. 17; Klaus Ott, »Schmutz-Deals«, in: Süddeutsche Zeitung (01./02.08.2015), Nr. 175, S. 27. 108 Vgl. Bebbington/Larrinaga-González 2008; Kolk et al. 2008.

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wieder jene Bemühungen der »elegance of a single figure«109. Zum anderen sollte das 2000 in London gegründete Carbon Disclosure Project (CDP), eine internationale Initiative von Investoren, Anreize zur unternehmerischen Berichterstattung über Emissionen schaffen. Im Unterschied zum GHG Protocol erfordert das CDP nicht zwingend eine vereinheitlichte Quantifizierung der Emissionen, sondern hat einen breiteren Fokus, der auch eine qualitative Berichterstattung – beispielsweise über die Etablierung eines Umweltmanagements – berücksichtigt. CDP soll vor allem dazu dienen, Risiken für Investoren zu identifizieren, indem die Emissionspolitik von Unternehmen durch standardisierte Fragebögen ermittelt wird. Deshalb war gerade zu Beginn des Projektes der Anteil von US-amerikanischen Unternehmen zunächst sehr hoch, für die die Risikobewertung durch Investoren relevant für den Kapitalmarktzugang ist. Anreize zur Teilnahme generierte das Projekt darüber hinaus durch ein eigenes Ranking (Climate Disclosure Leadership Index) und zwischen 2004 und 2007 durch eine »wall of shame«110 auf ihrer Website, auf der Unternehmen aufgelistet wurden, die sich der Teilnahme verweigerten. Das GHG Protocol und CDP sind nur zwei Initiativen zur Standardisierung der Berichterstattung über Treibhausgasemissionen, sie sind jedoch die bisher verbreitetsten in der Anwendung durch Unternehmen.111 Doch nicht nur hinsichtlich der Umweltberichterstattung stellten die Interessen von Investoren eine treibende Kraft in der Entwicklung von Standards dar. Die internationale Debatte um die Notwendigkeit von Verhaltensregeln und eine transparente Berichterstattung wurde durch Bilanzfälschungsskandale und das Versagen von Ratingagenturen in den USA zu Beginn des Jahrtausends ausgelöst. Diese Entwicklung führte 2002 zur Verabschiedung des Sarbanes-Oxley Act (SOA). Der SOA verschärfte die Anforderungen und Kontrollmechanismen für die Rechnungslegung und -prüfung und gewann international schnell an Bedeutung durch die zunehmende Relevanz angloamerikanischer Rechnungslegungsstandards am internationalen Kapitalmarkt, an dem sich auch immer mehr deutsche Großunternehmen seit den 1990er Jahren orientierten. Harmonisierungs- respektive Standardisierungsbestrebungen der EU zur Bilanzierung, die bereits mit der Gründung des IASC und der Verabschiedung der Vierten EG-Richtlinie in den 1970er Jahren vorangetrieben wurden,112 forcieren diese Entwicklung.113 Mit dem Ende des Währungsabkommens von Bretton Woods und der Liberalisierung der Finanzmärkte nahmen Ratings zur Bewertung der Finanzkraft von Un109 P. Miller 1994, S. 3; vgl. Einleitung dieser Arbeit. 110 Kolk et al. 2008, S. 732. 111 Vgl. Bebbington/Larrinaga-González 2008; Kolk et al. 2008; URL: GHG Protocol. 112 Vgl. Kapitel 4.2. 113 Vgl. Haaker/Velte 2013, S. 90-1; Hiß/Nagel 2012, S. 79-80 u. 213; Küpper/Mattessich 2005, S. 371-2; Lütz/Eberle 2009; Wagner 2007, S. 50-2.

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ternehmen international an Bedeutung zu. Erste Ratingagenturen gründeten sich in den USA bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Moody 1909 und Poor 1916, die sich 1941 mit Standard Statistics zu Standard & Poor’s zusammenschloss.114 Zeitgleich entwickelten sich dort auch die ersten Ansätze zum Ethical oder Socially Responsible Investment, die von Methodisten und Quäkern ausgingen. Die Ansätze fanden ihren Ursprung in der Listung von Unternehmen, die durch die Produktion von Tabak und Alkohol gegen die Überzeugungen der religiösen Investoren verstießen. In den 1960er Jahren richtete sich das Engagement politscher Protestgruppen auf die Entlarvung von Unternehmen, die mit ihren Geschäftsaktivitäten der Unterstützung des Vietnamkrieges oder des südafrikanischen Apartheidregimes Vorschub leisteten. In den 1970er und 1980er Jahren begann sich das Konzept des ethischen Investments in Deutschland durch die Gründung alternativer Banken wie der GLS Bank, der Triodosbank, der Umweltbank oder der Ethikbank zu etablieren. Das wachsende Interesse an ethischen Investmentmöglichkeiten bedingte die Zunahme von Nachhaltigkeitsratings, die an den neuartigen Informationsbedarf von Banken und Kunden anschlossen. Die Entwicklung sozial- und umweltbezogener Berichterstattung und deren Standardisierung als Grundlage von Audits ist für diese Ratings eine der wesentlichen Voraussetzungen, um neben Hinweisen von Medien und NGOs an Informationen zu gelangen. Audits werden für die Einstufung von Unternehmen herangezogen, um ein Rating nach dem best in class-Prinzip zu erstellen. Alternative Aktienindizes – SRI-Indizes – dokumentieren diese Ratingergebnisse und fassen sie oftmals in einer singulären Ziffer zusammen. Zu den international bekanntesten SRI-Indizes zählen seit 1990 der Domini 400 Social Index (DSI), seit 1993 der Dow Jones Sustainability Index (DJSI) und der Dow Jones Global Index (DJGI), außerdem der britische FTSE4GOOD (Financial Times Stock Exchange), der MSCI World ESG Index (Morgan Stanley Capital International World Environment Social Governance Index) oder der EIRIS Index des Londoner Forschungsinstituts Ethical Investment Research Services; im deutschsprachigen Raum bieten der Naturaktienindex (NAI) oder das Informationsportal Ecoreporter Orientierung. Kriterien für die Aufnahme in SRI-Indizes sind als Mindestanforderungen Nachweise, dass Unternehmen z. B. nicht in Lieferungen kriegswichtiger Güter oder in kriminelle Handlungen verwickelt sind, Umweltkatastrophen herbeigeführt haben oder von Kinderarbeit, Massenentlassungen und Tierversuchen profitieren. Zu den bekanntesten Ratingagenturen in Deutschland zählen Oekom Research in München, Imug (Institut für Markt – Gesellschaft – Umwelt) in Hannover und Sustainalytics in Frankfurt am Main. Die Ratingagenturen arbeiten in der Regel mit Indikatorenkatalogen, die sich an internationalen Standards wie der GRIInitiative oder den ILO-Konventionen orientieren, formulieren Ausschlusskriterien und bewerten CSR-Elemente wie das Umweltmanagement eines Unternehmens. 114 Vgl. Hiß/Nagel 2012, S. 30-49, 74-5 u. 253.

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Die meisten Informationen liefern allerdings die Unternehmen selbst mit Geschäftsoder CSR-Berichten. Deren Potential zum greenwashing wird von Kritikern immer wieder hervorgehoben, die auf die fehlende Unabhängigkeit der Ratingagenturen von den Unternehmen hinsichtlich der Datenbasis verweisen. Diese Unabhängigkeit wird oft zusätzlich in Frage gestellt, weil die Agenturen auch von den Unternehmen beauftragt werden. Es gibt allerdings auch Agenturen, die unabhängig agieren. Oekom Research und Imug werden beispielsweise überwiegend von universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen getragen und haben sich einer seit 2003 existierenden freiwilligen Qualitätskontrolle verpflichtet, dem Corporate Sustainability and Responsibility Research Quality Standard for SRI Research (CSRR-QS).115 Letztlich ist es die Rolle der Ratingagenturen, der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen durch ihre Expertise Glaubwürdigkeit und Legitimation gegenüber den Stakeholdern zu verleihen. Sie machen die Nachhaltigkeitsaktivitäten in hoch aggregierten Indizes für Nicht-Experten sichtbar. Sie schaffen Anreize für Unternehmen, und die Unternehmen versuchen, den Anforderungen an eine quantitative und standardisierte Berichterstattung zu entsprechen, um eine positive Evaluation zu erhalten. Auch hier zeigt sich die Bedeutung von Experten, die durch Quantifizierungsstrategien mit der von Miller formulierten »elegance of a single figure«116 ihr eigenes Betätigungsfeld sichern und im Gegenzug die guten Absichten der Unternehmen bezeugen.117 Um die Aussagekraft von ökonomischen und sozialen Informationen in der CSR-Berichterstattung zu erhöhen, haben neben der UNCTAD, die ihre ersten Ansätze aus den 1990er Jahren permanent weiterentwickelte, auch andere Initiativen inzwischen Konzepte zur Standardisierung – insbesondere der in Geschäftsberichte integrierten – Berichterstattung entwickelt, so z. B. die European Federation of Financial Analysts Societies (EFTAS) gemeinsam mit der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA). Das 2010 gegründete International Integrated Reporting Committee (IIRC), bestehend aus Mitgliedern des International Accounting Standard Board (IASB) und des US-amerikanischen Financial Accounting Standards Board (FASB), bemüht sich um die Auslotung der Möglichkeiten einer in die Finanzberichterstattung integrierten Nachhaltigkeitsberichterstattung, um den Shareholdern eines Unternehmens mehr Informationen zugänglich zu machen. Grundlage für die Entwicklung dieses integrierten Berichtskonzeptes sind

115 Vgl. Europäische Kommission 2001, S. 23-4; Hauser-Ditz/Müller 2002; Hiß/Nagel 2012, S. 50-66 u. 174-5; Hoppe 2006; Rieth 2009, S. 222-3; Schäfer 2012; Tebroke 2004; Wagner 2007, S. 57-8. 116 P. Miller 1994, S. 3; vgl. Einleitung dieser Arbeit. 117 Vgl. Hiß/Nagel 2012, S. 73, 83 u. 260-265.

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die Standards der GRI und des Global Compact.118 Die Probleme einer Integration gesellschaftsbezogener Informationen in das Rechnungswesen, die schon die Sozialbilanzierung aufgeworfen hat, bestehen nach wie vor darin, eine konsequente, monetäre Bewertung der Auswirkungen unternehmerischen Handelns vorzunehmen. Die Methoden zur Berechnung von Marktpreisen für ökologische oder immaterielle Ressourcen haben sich unter anderem aus Ansätzen der Wertschöpfungsrechnung, von Opportunitätskosten- und Zahlungsbereitschaftsansätzen – wie sie beispielsweise schon Eichhorn für die Sozialbilanz einbezogen hatte119 – oder aus verschiedenen Ansätzen der Ökobilanzierung weiter entwickelt.120 8.2.2 Entwicklungen in der Bundesrepublik Parallel zur internationalen Debatte um Verhaltensregeln und Berichtsstandards etablierte sich auch in Deutschland ein Diskurs um die mögliche Selbstverpflichtung zur guten Unternehmensführung nach ethischen Gesichtspunkten. Im September 2001 berief das BMJ die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex ein, um flexible Richtlinien für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung zu finden. Unter dem Vorsitz von Gerhard Cromme, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Thyssen-Krupp, erstellte die Kommission einen Kodex, der dem Ministerium im Februar 2002 vorgelegt wurde. Ziel des Kodexes ist es erstens, Anreize für die Etablierung von Strukturen zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung zu etablieren, indem beispielsweise Interessenkonflikte von Aufsichratsmitgliedern vermieden werden oder die Vielfalt in den Gremien Aufsichtsrat und Vorstand sichergestellt wird – beispielsweise durch die Berufung eines höheren Anteils an Frauen. Zweitens soll die Etablierung solcher Strukturen insbesondere die Nachvollziehbarkeit der Unternehmensführung für ausländische Investoren und damit die Attraktivität für Investitionen erhöhen. Drittens soll die Transparenz der Informationspolitik durch den Kodex erhöht werden, um die Interessen von Kleinaktionären zu schützen und feindlichen Übernahmen vorzubeugen. Hier konzentrieren sich die Empfehlungen des Kodexes auf eine stärkere Ausrichtung an angloamerikanischen Rechnungslegungsstandards. Die Rechnungslegung stellt in diesem System ein gewichtigeres Kontrollinstrument für Aktionäre als im deutschen System dar, wo die Kontrolle der Unternehmensführung durch Aufsichtsräte und Banken dominiert wird. Die Empfehlungen des Kodexes umfassen drei Ebenen unterschiedlicher Reichweite: von Muss-Empfehlungen, die im Wesentlichen Regelungen des geltenden Aktienrechts widerspiegeln, über Soll-Empfehlungen bis hin zu Kann-Empfehlungen. Die politische Brisanz des Kodexes und seine Wirkmacht be118 Vgl. Hiß/Nagel 2012, S. 63-66; Jasch 2012, S. 509; Schmidt 2012, S. 3-5 u. 253. 119 Vgl. Kapitel 3.2.2. 120 Vgl. Günther 2012.

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ziehungsweise sein Versagen zeigen sich insbesondere an jenen Punkten, an denen sich eine gesellschaftliche Debatte entzündet hat, wie etwa bei der Offenlegung von Vorstandsgehältern und Aufsichtsratsbezügen oder bei der Festlegung einer Frauenquote in Unternehmensvorständen.121 Der Arbeit der Kodex-Kommission ging eine Initiative der GTZ voraus, die einen breiteren Fokus hinsichtlich der einzubeziehenden Stakeholder vertrat. Bereits in den späten 1990er Jahren rief die GTZ in Deutschland den Runden Tisch Verhaltenskodizes ins Leben, um gemeinsam mit Vertretern verschiedener Stakeholdergruppen Anforderungen an Verhaltenskodizes zu entwickeln. Diese Kodizes dienen als Richtlinien für einen moralisch korrekten Umgang mit den Anspruchsgruppen eines Unternehmens. Sie sollen juristische Risiken vermindern, die grundlegenden moralischen Werte eines Unternehmens vermitteln und damit zur Institutionalisierung von CSR beitragen. Meist sind diese von multinationalen Unternehmen aufgestellten Verhaltskodizes sehr allgemein gehalten, da sie der Anwendung in vielen, unterschiedlichen kulturellen Kontexten standhalten sollen. Weite Verbreitung haben Branchenkodizes gefunden, deren Richtlinien spezifischer auf die Unternehmen und ihre jeweiligen Bedingungen zugeschnitten sind, wie beispielsweise die Chemie- und Pharmabranche mit der internationalen Responsible Care-Initiative und die Spielzeugbranche mit dem International Council of Toy Industries’ (ICTI) Code of Business Practices oder das in Zusammenarbeit mit der GTZ entstandene nationale Projekt zur Etablierung eines Verhaltensstandards der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE).122 Oftmals wirkten Gewerkschaftsverteter bei der Entwicklung dieser Branchenstandards mit, gerade zu Beginn der CSRDebatte um die Jahrtausendwende zeigten die Gewerkschaften jedoch große Skepsis gegenüber dem CSR-Konzept. Sie sahen in dem Thema vor allem eine Gefahr der Aushöhlung von Mitbestimmung. Die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen berge angesichts der zunehmenden Liberalisierung und einer Tendenz zur »Soft-Regulierung«123 das Potential einer Ablösung staatlicher Regulierung. Dieser Tendenz müssten Gewerkschaften entschieden entgegenwirken und CSR dürfe nicht als Ersatz, sondern lediglich als Zusatz für Regulierung interpretiert werden. 2005 veranstalteten der DGB und die Hans-Böckler-Stiftung eine Tagung, auf der die gemeinsame Linie der gewerkschaftlichen Haltung zum Thema CSR bestimmt werden sollte. Konsens der Überlegungen war vor allem, dass die Gewerkschaften den Unternehmen, Beratungsfirmen und Ratingagenturen das Feld der Standardbestimmung nicht allein 121 Vgl. Haaker/Velte 2013, S. 92-3; Hamel 2007; Wagner 2007, S. 53-54; URL: Deutscher Corporate Governance Kodex 2010. 122 Vgl. Aßländer/Senge 2009, S. 11; Barmeyer/Davoine 2008; Biedermann 2007, S. 162213; Hiß 2006, S. 263-272; Rieth 2009, S. 36-7 u. 109. 123 DGB 2005, S. 3.

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überlassen dürften. Inhaltliche Bestimmungen zur Ausgestaltung von CSR und von Standards zur Berichterstattung müssten in demokratischen Prozessen mit Stakeholdern ausgehandelt werden. Denn mit CSR würden ureigenste gewerkschaftliche Themen hinsichtlich der Gestaltung von Arbeitsbedingungen berührt. Es sei nicht akzeptabel, dass sich Unternehmen eigene Standards setzten und deren Missachtung darüber hinaus nicht sanktionierbar sei. Den Gewerkschaften komme im Bereich der CSR eine entscheidende Überwachungsfunktion zu, wie sie beispielsweise in Frankreich zur verpflichtenden Berichterstattung per Gesetz geregelt sei.124 Neben Forschungsprojekten der Hans-Böckler-Stiftung über CSR und ihre Auswirkungen auf die gewerkschaftliche Arbeit und Mitbestimmung hat sich insbesondere ein von der IG-Metall veranlasstes Projekt zur Positionierung der gewerkschaftlichen Seite in der deutschen CSR-Debatte hervorgetan. 2004 initiierte die IGMetall das Projekt Gute Arbeit, um ein Konzept zur Definition der Rolle von Gewerkschaften und der Rahmenbedingungen für gute Arbeits- und Lebensbedingungen zu entwickeln. Teil des Projektes ist die Entwicklung eines Indikatorenkataloges zur Ermittlung der Arbeits- und Lebenszufriedenheit von Arbeitnehmern. Dieser Katalog wurde gemeinsam mit Verdi, der IG BCE und der NGG unter der Ägide des DGB entworfen. Der DGB-Index Gute Arbeit beruht auf subjektiven Indikatoren und aggregiert die Informationen aus der Befragung von Arbeitnehmern. Er setzt sich aus drei Teilindizes zu den Themenfeldern Ressourcen, Belastungen sowie Einkommen und Sicherheit zusammen. Insgesamt umfasst der Fragebogen 42 Fragen zu elf verschiedenen Bereichen, darunter wird nach körperlichen und emotionalen Belastungen, Qualifizierungsmöglichkeiten, Betriebsklima, Führungsqualität, Sinngehalt der Arbeit, Arbeitsplatzsicherheit oder Einkommen gefragt. 2007 wurde die erste Repräsentativbefragung von Arbeitnehmern durchgeführt und seitdem jährlich wiederholt. Im CSR-Diskurs der Gewerkschaften zeigen sich starke Parallelen zur gewerkschaftlichen Debatte der 1970er Jahre: sowohl in der zunächst demonstrierten Ablehnung der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung als auch in der anschließenden Entwicklung eigener Konzepte.125 Im Gegensatz zur Gewerkschaftsseite war die Arbeitgeberseite im Diskurs um CSR von Anfang an bemüht, dessen freiwilligen Charakter hervorzuheben und zu erhalten. Im Jahr 2000 gründete der BDI die Initiative Econsense, der sich 21 Unternehmen anschlossen. Inzwischen gehören 35 Unternehmen126 dazu, darunter die BASF und Bertelsmann. Der BDI will Econsense als Think-Tank verstanden wissen, durch den sich Unternehmen und Verbände aktiv in die CSR-Debatte einbringen und die unternehmerischen Interessen gegenüber politischen, gewerkschaft124 Vgl. DGB 2005; Kapitel 7.2. 125 Vgl. DGB 2005; IÖW/Imug 2002, S. 19; Pickshaus 2006; Reitzig 2006; Rieth 2009, S. 110-1; URL: DGB-Index Gute Arbeit; HBS CSR. 126 Stand: April 2016.

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lichen und anderen Stakeholder-Forderungen gewahrt bleiben sollen. Eine Erweiterung dieser Bemühungen, die sowohl Lobbyarbeit, als auch die Unterstützung von Forschung und Kooperationen (beispielsweise mit Gewerkschaften zur Etablierung von Branchenkodizes umfassen), stellt die gemeinsame Internetplattform CSR Germany von BDI und BDA dar. Hier werden Stellungnahmen, eigene Publikationen und einschlägige externe CSR-Publikationen – wie die OECD Guidelines, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder die Grundsatzerklärung der ILO – veröffentlicht und die grundsätzlichen CSR-Ziele der Arbeitgeberverbände vermittelt. Die Botschaft von BDI und BDA zur CSR-Berichterstattung richtet sich vor allem gegen eine allzu große Regulierung und gegen Zertifizierungen, die den Aufwand der Berichterstattung erhöhten und den Unternehmen den notwendigen Freiraum zur Entwicklung effizienter Berichterstattungsinstrumente nähmen. Denn diese müssten sehr individuell auf die spezifischen Bedürfnisse der Unternehmen nach Branche und Stakeholdererwartungen zugeschnitten sein. Zwar werden durch CSR Germany Instrumente zur Berichterstattung wie die GRI oder der Standard AA 1000 benannt, gleichzeitig wird jedoch auch vor den Konsequenzen gewarnt, die mit der Entscheidung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung einhergingen:127 Nachhaltigkeitsberichterstattung kann nicht problemlos pausiert oder beendet werden. Einmal damit begonnen wird es ein Unternehmen schwer haben, ohne Imageverluste sein Engagement diesbezüglich auslaufen zu lassen. Das Erstellen eines Nachhaltigkeitsberichtes ist keine einmalige Angelegenheit, sondern der Beginn einer dauerhaften Verpflichtung. [...] Mit Nachhaltigkeitsberichten machen sich Unternehmen angreifbar.128

8.2.3 CSR-Berichterstattung in der Praxis: Shell, Bertelsmann und BASF Von den Unternehmen des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis weisen die BASF, Bertelsmann und Shell weiterhin eine große Aktivität in der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung auf. Shell Deutschland veröffentlicht allerdings keine eigenständigen Berichte mehr, sondern diese werden inzwischen für den Gesamtkonzern erstellt. Pieroth (WIV Wein International AG) unterliegt nicht der Publizitätspflicht und verzichtet auf eine Berichterstattung. Die Saarbergwerke AG ging 1998 in der RAG AG auf. Von dieser werden zwar – zum Teil durch die RAG Stiftung – Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht, in diesen wird jedoch nur in geringem Umfang auf Saarberg Bezug genommen. Zwischen 1997 und 2003 wurden Belegschaftsberichte veröffentlicht, die einige Kennziffern und Informationen über 127 Vgl. Hardtke 2011, S. 58-60; IÖW/Imug 2002, S. 19; Rieth 2003, S. 379; Wegner 2004, S. 51-2; URL: Econsense, CSR Germany. 128 BDA 2011, S. 35.

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die Mitarbeiter der Saarbergwerke sowie der STEAG lieferten. Die STEAG gehörte von 2007 bis 2011 zum Evonik Konzern und ist erst seit 2011 wieder eigenständig. Evonik bekannte sich bereits vor dem Eigentümerwechsel 2011 zum Global Compact, STEAG gehört der UN-Initiative auch nach 2011 weiterhin an und veröffentlicht die erforderlichen Fortschrittsmitteilungen (COP).129 Aufgrund der wechselnden Eigentumsverhältnisse und dem daraus resultierenden Fehlen einer kontinuierlichen Berichterstattung der ursprünglichen AKSBP-Unternemen, beschränkt sich die nachfolgende Darstellung der Nachhaltigkeits- beziehungsweise CSR-Berichterstattung auf BASF, Bertelsmann und Shell. Shell: Lernen aus der Kommunikationskrise Den Auftakt zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Shell bildete der 1998 unter dem Titel Profits and Principles – does there have to be a choice? veröffentlichte Bericht, der maßgeblich vom Einfluss Elkingtons geprägt war. Der Bericht erschien für den Gesamtkonzern und sollte den in den neunziger Jahren eingeleiteten Veränderungsprozess in der Organisationsstruktur und Unternehmenskultur widerspiegeln. Der Fall der Brent Spar und die Hinrichtung Saro Wiwas nährten ein Bedürfnis nach »Imageaufbesserung«130 und forderten eine neue Kommunikationsstrategie gegenüber den Stakeholdern des Unternehmens, das sich nun der Kritik von Regierungsvertretern, NGOs, Medien und Verbrauchern ausgesetzt sah.131 Die Konsultation von Experten sollte diese Kommunikationskrise lösen, und Shell wandte sich an Elkington und seine Beratungsorganisation SustainAbility. Diese wollte nach Aussage Elkingtons zunächst nicht mit Shell zusammenarbeiten, um ihre Unabhängigkeit und den an diese geknüpften Ruf nicht zu gefährden: First, rightly or wrongly, we sensed that many Shell executives were still in denial. Second, we believed we could better leverage change from outside. And, third, we work with the environmental, human rights and development movements: even had we wanted to say yes, a link-up would have been unacceptable to many of our own stakeholders.132

Ein Treffen mit Shell-Topmanagern sollte Elkington schließlich davon überzeugen, im Konzern bestehe der Wille zur Veränderung. Shell griff die Ideen des Beraters zur Triple Bottom Line auf und unternahm den Versuch, die ökonomischen, sozialen und ökologischen Implikationen ihrer Aktivitäten gleichwertig zu beschreiben. Auch sprachlich schlug sich der Einfluss Elkingtons nieder, wenn der Konzern die 129 Vgl. RAG Belegschaftsberichte 1997-2003; URL: RAG Publikationen; Pieroth/WIV; STEAG; UNGC STEAG. 130 Stadler 2004, S. 144. 131 Vgl. Stadler 2004, S. 258-268; Kapitel 8.1. 132 Shell Report 1998, S. 52.

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Bedeutung offener Kommunikation für die Vertrauensbildung als Sozialkapital beschwor.133 Der Bericht sollte Bestandteil eines Stakeholder-Dialogs sein und als Plattform für die Veröffentlichung von Kennzahlen zur Messung der Unternehmensleistung im sozialen Bereich dienen. Der Aufbau des Berichts orientierte sich zum einen an den General Business Principles, die Shell 1976 erstmals verabschiedet und in den 1990er Jahren modifiziert hatte,134 und zum anderen an den Stakeholdergruppen, an die sich Shell mit dem Bericht wandte. Formal wies er damit Parallelen zur ziel- und stakeholderorientierten Berichterstatung der Deutschen Shell in den 1970er Jahren auf. Inhaltlich wurde der Wunsch, in einen Dialog mit den Stakeholdern zu treten, deutlich demonstriert. Shell verwies auf Gespräche mit NGOs wie Pax Christi, Amnesty International oder verschiedenen UN-Organisationen und Kooperationen mit Organisationen wie dem WWF oder der GTZ.135 Kritische Themen – wie die Ereignisse um die Brent Spar, Ölverseuchungen durch Unfälle und Sabotage in Nigeria, der Einfluss multinationaler Unternehmen, die Auswirkungen der Globalisierung, der Klimawandel oder die Beziehungen zu Gewerkschaften – stellte Shell in diesem und in späteren Berichten als Schwerpunktthemen (issues) in den Fokus der Berichterstattung. Die Themen Nigeria und die sozioökonomischen Folgen der Aktivitäten dort ansässiger Ölfirmen136 sowie der Klimawandel bleiben bis in die Gegenwart ein Dauerthema der Konzernberichterstattung und ergänzen spätere Themenschwerpunkte zur Aktivität des Konzerns in Krisengebieten wie dem Irak oder umstrittenen Explorationsvorhaben in der Arktis und in der Tiefsee wie im Golf von Mexico. Eine Bewertung, inwiefern die Darstellungen Shells in der Berichterstattung tatsächlich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden können, kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Die Projekte in der Arktis werden jedoch unter anderem von Greenpeace scharf kritisiert, und Tiefseebohrungen stehen spätestens seit der Explosionskatastrophe der Ölplattform

133 Vgl. Elkington 1999. 134 Vgl. Kapitel 5.1.5. 135 Seit 2011 gehört die GTZ zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). 136 Nigerianische Bauern und Fischer hatten mit Unterstützung der niederländischen Umweltorganisation Milieudefensie Shell 2008 wegen defekter Pipelines und den daraus resultierenden Schäden auf Schadensersatz verklagt. Das Gerichtsverfahren in Den Haag dauerte bis Januar 2013 an und war das erste, in dem ein niederländisches Unternehmen wegen im Ausland verursachter Schäden im Heimatland vor Gericht stand. Vgl. Benjamin Dürr, »Urteil zu Ölpest in Nigeria: Shell hätte Pipeline besser schützen müssen«, in: Der Spiegel (28.01.2013), Nr. 5; Markus Balser, »Schmierige Geschäfte«, in: Süddeutsche Zeitung (31.01.2013), Nr. 26, S. 18.

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Deepwater Horizon im Golf von Mexiko unter kritischer öffentlicher Beobachtung.137 Shell betonte die Bereitschaft zur Einhaltung von Leitlinien und Zielen verantwortlicher und nachhaltiger Unternehmensführung wie den OECD-Leitsätzen, der UN Menschenrechtskonvention, der Responsible Care-Initiative oder den auf der Konferenz von Rio formulierten Nachhaltigkeitszielen. Hinsichtlich formaler Anforderungen an eine Nachhaltigkeitsberichterstattung nahm Shell zunächst im Umweltbereich Bezug auf die Anforderungen von ISO 14001, EMAS und Anforderungen der SEC sowie auf die selbst gesetzten Standards zur Berichterstattung über das Qualitätsmanagement im Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz (QHSE). Elkington verwies im Bericht allerdings auf erste Entwicklungen im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung durch die Initiativen von SAI und ISEA. Darüber hinaus ließ der Konzern den Bericht durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG und PricewaterhouseCoopers (PwC) hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit den Daten aus der Finanzberichterstattung auditieren. Ein internes Social Accountability Team sollte in Zusammenarbeit mit SustainAbility und dem Beratungsunternehmen Arthur D. Little zur Weiterentwicklung der sozialen und ökologischen Rechenschaftslegung von Shell beitragen. Wie der gesamte Transformationsprozess hin zu einer offeneren Unternehmenskultur sollte auch diese Entwicklung zur Standardisierung der Rechenschaftslegung Teil eines Lernprozesses werden, in den verschiedene Stakeholdergruppen des Unternehmens einbezogen würden. So bot Shell Feedbackmöglichkeiten zum Bericht mit einem bereits formulierten, aber optional nutzbaren Fragenkatalog an und legte jedem Bericht ein Antwortkuvert als Einladung zur Teilnahme an der Befragung unter dem Titel Tell Shell bei. Elkington und der Vorsitzende des Shell-Führungskommittees Cor Herkstroter riefen die Leser auf, an der Aktion Tell Shell teilzunehmen, um den Konzern in der Wahrnehmung seiner gesellschaftlichen Verantwortung zu unterstützen.138 In den nachfolgenden Jahren druckte Shell in den Nachhaltigkeitsberichten Zitate der Tell Shell Aktion ab, die keineswegs nur positiv waren und deren kritischer Tenor in der Berichterstattung zunächst sogar zunahm. So warfen die Leser der Nachhaltigkeitsberichte – darunter laut Kennzeichnung in den Berichten auch viele Beschäftigte oder ehemals Beschäftigte – Shell greenwashing und Heuchelei vor.139 »What this company needs is a good Greenpeace scare«140, damit in Umweltschutz 137 Vgl. Bastian Brinkmann, »Liebling, ich habe die Eisberge geschrumpft«, in: Süddeutsche Zeitung (20.07.2012), Nr. 166, S. 20; Bernadette Calonego, »Träume von einem unbekannten Land«, in: Süddeutsche Zeitung (12.09.2012), Nr. 211, S. 25; Hiß/Nagel 2012, S. 281; Jungkind 2013, S. 312; Radkau 2011, S. 485. 138 Vgl. Shell Report 1998; Stadler 2004, S. 143-170. 139 Vgl. Sluyterman 2007, S. 359. 140 Shell Report 2000, S. 14.

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investiert werde, formulierte ein Mitarbeiter von Shell, und ein anderer Leser befand, das Bekenntnis von Shell zur UN Menschenrechtskonvention komme zu spät: »Blood will always, always be on your hands and no Business Principles will ever change that.«141 In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre wurden die Tell Shell-Zitate allmählich durch kurze, eher positive Stellungnahmen von Vertretern aus Wissenschaft, Politik oder NGOs sowie von Mitarbeitern ersetzt, die dem Leser mit Namen und Bild präsentiert wurden. Die Möglichkeit zur Meinungsäußerung behält Shell jedoch bis heute bei. Hier dominieren vor allem Social-Media-Angebote wie Twitter oder Facebook.142 Ab 1999 versuchte Shell die Vorschläge Elkingtons stärker umzusetzen. Der Bericht erhielt eine klarere Struktur, die den Gedanken der Triple Bottom Line widerspiegelte, und wurde in vier Felder untergliedert: (1) ökonomische, (2) soziale, (3) ökologische Leistung und (4) Maßnahmen zur Implementierung von Nachhaltigkeitsstrategien. So konnte Shell im jeweiligen Berichtsabschnitt die entsprechenden Indikatoren (Key Performance Indicators) – monetär im finanzbezogenen, materiell wie Mengenangaben im ökologischen sowie Ergebnisse der weltweiten Mitarbeiterbefragungen und qualitative Darstellungen im sozialen Bereich – zur Beschreibung der Aktivitäten und Auswirkungen verwenden, auch wenn diese Datensätze zum größten Teil nicht kompatibel waren. Darüber hinaus enthielt der Shell Report erstmals Kerndaten zur Ökobilanz, eine Zusammenfassung der QHSEIndikatoren und Hinweise auf die Zusammenarbeit Shells mit anderen Unternehmen und Organisationen in der GRI. Im Shell Report 2002 folgte dann die erste dreigliedrige Abschlussrechnung mit ökonomischen, sozialen und ökologischen Indikatoren für die Jahre 1998 bis 2002 am Ende des Berichts, dessen Daten zum Teil – sofern sie der finanzbezogenen Berichterstattung entstammten – einer externen Prüfung durch Wirtschaftsprüfer unterzogen wurden. Ab 2003 bekannte sich Shell in der Berichterstattung zu den Zielen des Global Compact und zu einer Berichterstattung gemäß der GRI; seit 2008 deklariert Shell seine Berichte gemäß GRIKategorisierung und weist darauf hin, dass der Konzern das höchste Berichtsniveau erreicht und extern geprüft wird. 2004 erwähnte Shell erstmalig, in Ratings wie dem DJSI oder FTSE4Good gelistet worden zu sein. Die Berücksichtigung der OECDLeitsätze bekräftigte das Unternehmen erneut 2005, ebenso wie die Erklärung der Menschenrechte, die UN-Milleniumsziele und die ILO-Erklärung. Zudem nahm der Konzern an der Befragung des Carbon Disclosure Project teil. Für das Berichtsjahr 2005 zog Shell eine externe Gutachtergruppe aus Repräsentanten verschiedener NGOs hinzu, um den Bericht nach Maßgabe des Standards AA 1000 bewerten zu lassen. Auf diese Weise sollte dem Bericht zusätzlich Glaubwürdigkeit zukommen, da auch das Bewertungsverfahren durch KPMG und PricewaterhouseCoopers auf141 Ebd., S. 23. 142 Vgl. Shell Report 1998-2013; URL: Shell Sustainability.

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grund des alleinigen Bezugs auf ökonomische Daten von Stakeholdern kritisiert worden war.143 Die Bewertung der externen Experten fiel durchaus kritisch aus. Sie bemängelte das Fehlen von Informationen, etwa im Hinblick auf ökologisch riskante Explorationen wie dem Abbau von Ölsanden. Ein großer Teil der Informationen in den Nachhaltigkeitsberichten wird allerdings durch Informationen auf der Shell Website ergänzt. Bereits 1998 verwies der Bericht an zahlreichen Stellen zu verschiedenen Inhalten auf weiterführende Informationen im Internet. Heute ist diese multimediale Form der Berichterstattung etabliert, und Nutzer können die jeweils gewünschten Informationen mit Hintergrundstudien, Filmen oder Datenmaterial direkt anwählen. In den Anfängen ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung verwies Shell sogar vielfach auf externe Websites auch kritischer NGOs; heute sind diese Hinweise reduzierter und beschränken sich auf Kooperationsprojekte.144 Bertelsmann als Zivilbürger Die Verbreitung der Grundsätze der Bertelsmann Unternehmenskultur und deren Verankerung in den einzelnen Profitcentern gehörte seit den 1980er Jahren zu den zentralen Zielen der Personalpolitik des Konzerns.145 Die 1973 eingeführte Bertelsmann Unternehmensverfassung als Fortführung der Grundordnung aus den sechziger Jahren wurde 1988 und 1998 weiteren Reformen unterzogen und für den internationalen Gebrauch in Bertelsmann Essentials umbenannt.146 Dem »Problem der interkulturellen Ausdehnung«147 durch das globale und diversifizierte Portfolio des Konzerns und die kontinuierliche Zunahme der Beschäftigtenzahl trat Bertelsmann mit der erneuten Bekräftigung der Unternehmensverfassung durch die Verabschiedung der Essentials und fortwährenden Hinweisen auf diese in der internen und externen Unternehmenskommunikation entgegen. Sozialbilanzen und Geschäftsberichte dienten in den 1990er Jahren als Verbreitungsmedien für die Idee der Essentials und beschworen das »Projekt Kultur-Evolution«148. Teil dieses Projektes war es, zu überprüfen, inwieweit die von der Konzernleitung propagierten kulturellen Prinzipien tatsächlich in den einzelnen Unternehmen gefestigt waren. 2001 regte Mohn die Errichtung eines internen sozialbezogenen Berichtssystems an, das komplementär zum finanzbezogenen den Umsetzungsgrad der Essentials im Konzern dokumentieren sollte. Unter der Ägide der Bertelsmann Stiftung entstand 143 Dennoch stieg die Glaubwürdigkeit der Shell-Berichte zwischen 1999 und 2001 kontinuierlich an. Vgl. Hoppe 2006, S. 28. 144 Vgl. Shell Report 1998-2013; URL: Shell Sustainability. 145 Vgl. Wischermann 2010, S. 266-8. 146 Vgl. Kapitel 5.1.6. 147 Wischermann 2010, S. 266. 148 Bertelsmann Sozialbilanz 1996/97, 1997/98, Geschäftsbericht 1996/97; vgl. Bertelsmann Geschäftsberichte/Sozialbilanzen 1987/88-1997/98.

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ein Lern- und Berichtssystem, an dessen Entwicklung auch Netta und die zentrale Personalabteilung mitwirkten. Das System vergab Punkte an die jeweiligen Unternehmen für die Implementierung von Instrumenten zur vorbildlichen Umsetzung der unternehmenskulturellen Grundsätze – dazu zählten unter anderem die Delegation von Verantwortung, die Etablierung dezentraler Strukturen, partnerschaftliche Führung, Effizienz, Kreativität, Innovationsfähigkeit, Eigenverantwortung und Unternehmergeist – und hob Best-Practice-Beispiele konzernintern lobend hervor. Die Ergebnisse der quantitativen Bewertung wurden nur dem jeweils betroffenen Unternehmen mitgeteilt, die Herausstellung von Best-Practice-Beispielen sollte jedoch Anreize für jene Unternehmen schaffen, die im Bewertungssystem schlechter abgeschnitten hatten.149 2002 erfolgte die erste konzernweite Mitarbeiterbefragung. Auch ihr Zweck war es, die Verbreitung der Essentials sowie die grundsätzliche Einstellung der Mitarbeiter zur Unternehmenskultur zu erheben und aus den Befragungsergebnissen gegebenfalls Maßnahmen abzuleiten, die einer tieferen Verankerung der Unternehmenskultur dienlich sein könnten.150 Die Essentials wurden 2005 erneut überarbeitet. Erst ein Jahr zuvor hatte die Bertelsmann Unternehmenskultur einen neuen Impetus durch die Verabschiedung einer ersten konzernweiten Erklärung zur Umweltpolitik erhalten. 2004 und 2005 wurde die Konzernleitlinie Paper Policy erarbeitet, die eine umweltgerechte Politik bei der Beschaffung und Verwendung eines der wichtigsten Rohstoffe des Konzerns sicherstellen sollte. Der Rohstoffbezug sollte auf ausschließlich zertifizierte Rohstoffe nach den internationalen Standards des FSC sowie des Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes (PEFC) beschränkt werden und den Einsatz eines möglichst hohen Prozentsatzes von Recyclingpapieren garantieren. Auf diese Erweiterung der Unternehmenspolitik im sozialen und ökologischen Bereich folgte die Veröffentlichung des ersten Bertelsmann Corporate Responsibility Report für das Berichtsjahr 2005. Inhaltlich spiegelte die Publikation die Kontinuität in der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung wider, indem über die gesellschaftliche Rolle und den Einfluss Bertelsmanns als großes Medienunternehmen und über die tief in der Tradition des Unternehmens verankerte Unternehmenskultur und deren Elemente berichtet wurde. Zu diesen Elementen zählen beispielsweise das Vorschlagswesen, die Mitarbeiterbefragung, das Aus- und Weiterbildungssystem, die Gewinnbeteiligung und die Betriebskrankenkasse. Informationen über Mitarbeiterzahlen, Arbeitsplatzsicherheit, Beschäftigte mit Behinderung, den Anteil weiblicher Beschäftigter und Maßnahmen zu deren Förderung gehörten noch immer zu den Inhalten dieser sozialbezogenen Berichterstattung, wurden aber auch ergänzt durch Informationen zur Umweltberichterstattung. Vor allem jedoch transportierte 149 Vgl. Bertelsmann Geschäftsbericht 2000/01, S. 24; URL: Bertelsmann Verantwortung (Essentials); Interview Netta (19.11.2010). 150 Vgl. Wischermann 2010, S. 266

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der CR-Report wie schon die Sozialberichterstattung der 1970er und 1980er Jahre die Mohnsche Ideologie einer freiheitsbetonten Unternehmenskultur, die die notwendigen Rahmenbedingungen für eine vertrauensvolle Partnerschaft aller im Unternehmen schaffe, die Kreativität, den offenen Dialog, Mitwirkung und Motivation fördere. Durch diese Kultur werde Effizienz und Qualität unter der Maßgabe gesellschaftlicher Verantwortung möglich. Mohn zog hier Parallelen zu dem »Beispiel der angelsächsischen Demokratien, in denen das Bürgerengagement eine herausragende Rolle spielt.«151 Der CR-Report reflektierte das zivilgesellschaftliche Leitbild Mohns, das er zum Leitbild für den gesamten Konzern erhob. Der Titel des Berichts, der bewusst auf den Zusatz Social verzichtet, pointiert das Ideal eines zivilgesellschaftlichen Engagements auf Mitarbeiter-, Teilunternehmen- und Konzernebene. Die Titelwahl trägt damit der engen Auslegung des Begriffes ›sozial‹ im deutschen Sprachgebrauch Rechnung, mit dem in der Tradition der Berichterstattung deutscher Unternehmen oftmals nur die mitarbeiterbezogene Berichterstattung bezeichnet wurde. Neben dem gesellschaftlichen Engagement beschrieb der CR-Bericht Bertelsmanns den Umgang mit den Mitarbeitern, mit der natürlichen Umwelt und den wirtschaftlichen Erfolg als tragende Säulen der unternehmerischen Verantwortung des Konzerns gegenüber seinen Stakeholdern. Diesen wurde im Zuge der Reformierung der Unternehmenskultur mehr Aufmerksamkeit gewidmet: 2005 führte Bertelsmann zum ersten Mal eine nationale Befragung von Stakeholdern durch – vertreten durch insgesamt 60 Organisationen in Deutschland. Die Befragung offenbarte, Bertelsmann erfülle bereits viele Erwartungen, die die Vertreter der Anspruchsgruppen an ein verantwortungsvolles Unternehmen stellten. Darüber hinaus bot der CR-Report die Möglichkeit zur Bewertung des Berichts, zur Formulierung von Verbesserungsvorschlägen und verwies auf Feedbackmöglichkeiten wie Antwortkarten im Anhang des Berichts sowie auf eine Emailadresse des Konzerns. Der CR-Report sollte die Strategie des Unternehmens zur Implementierung von CSR deutlich gegenüber den Anspruchsgruppen herausstellen. So diente er auch als Plattform für Hinweise auf die Einrichtung eines Arbeitskreises, der die Unternehmensführung mit Blick auf die Maßgaben des Deutschen Corporate Governance Kodexes überpüfen sollte, und auf die Einführung eines eigenen Verhaltenskodexes. Letzterer wurde schließlich 2008 verabschiedet. Der Bedarf nach einem Verhaltenskodex war zunächst vor allem mit Blick auf die finanziellen Risiken durch die Tätigkeit auf dem US-amerikanischen Markt entstanden. Dort kam es immer wieder zu Klagen und Verurteilungen aufgrund fehlender Strukturen gegen die Verhinderung von Korruption oder Betrug in Unternehmen. Die Verabschiedung eines konzernweiten Code of Conduct sollte schließlich ein Signal an die Mit-

151 Bertelsmann CR-Report 2005, S. 14.

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arbeiter und anderen Stakeholder des Unternehmens für eine verantwortungsvolle Unternehmenspolitik aussenden.152 Die Implementierung von Instrumenten zur Verhinderung von Korruption und Betrug, einschließlich der Möglichkeit zum whistle blowing, spielte dann 2008 eine größere Rolle für den Konzern, als sich Bertelsmann zum Global Compact der Vereinten Nationen und der Einhaltung seiner zehn Prinzipien bekannte. Der Beitritt zum UNGC führte zu einer deutlichen Veränderung der Berichterstattung. Der CRReport von 2005 sprach sich noch gegen eine standardisierte Berichterstattung aus, denn die zahlreichen CR-Aktivitäten des Unternehmens ließen sich »nur begrenzt durch standardisierte Kennziffern [abbilden]. Die Praxis unternehmerischer Verantwortung lässt sich nicht über einen Kamm scheren.«153 Die Berichtsanforderungen des UNGC verlangten jedoch genau solche standardisierten Kennziffern. Bertelsmann veröffentlichte einen ersten Fortschrittsbericht gemäß der Global Compact Anforderungen: eine englischsprachige Zusammenfassung für die Jahre 2008 bis 2010 und eine deutsche Langfassung für die Berichtsjahre 2010/11. Der Bericht für 2010/11 umfasste insgesamt 135 Seiten und enthielt neben dem Bekenntnis zum UNGC einen GRI-Index einschließlich einer Zertifizierung des Berichtsniveaus. Bertelsmann berichtet auf dem Niveau B+, also unter Einbeziehung von 20 Kernindikatoren der GRI. Doch der Konzern demonstrierte seine veränderte Einstellung zu standardisierten Kennziffern nicht nur im Bericht selbst, sondern war darüber hinaus auch einer GRI-Arbeitsgruppe zur Entwicklung spezifischer Indikatoren für die Medienbranche beigetreten.154 Nach anfänglicher Verweigerung übernahm der Konzern also die Steuerung der Entwicklung neuer Indikatorenkonzepte zur Berichterstattung. Inhaltlich lag auch in dem Bericht für 2010/11 einer der Schwerpunkte auf dem bürgerschaftlichen Engagement einzelner Mitarbeiter und Unternehmen. So wurde etwa über Initiativen zur Leseförderung, gegen Armut und Diskriminierung, Projekte institutionalisierter Katastrophenhilfe oder Freiwilligenprogramme für Mitarbeiter berichtet. Daneben fanden die 2010 durchgeführte, dritte globale Mitarbeiterbefragung, weitere Maßnahmen zur Durchsetzung des Code of Conduct für eine gute Unternehmensführung und die Einsetzung eines CR Councils zur Entwicklung zu152 Vgl. Bertelsmann Geschäftsbericht 2000/01, S. 68-9; Bertelsmann CR-Report 2005; URL: Bertelsmann Verantwortung (Umweltpolitik, Paper Policy, Code of Conduct); Bertelsmann Corporate Governance. 153 CR-Report 2005, S. 25. 154 Vgl. Bertelsmann CR-Report 2005 u. 2010/11; Bertelsmann Communication of Progress for the UN Global Compact 2008-2010. Eines der jüngsten Projekte der Bertelsmann Stiftung ist die Entwicklung eines Indexes zur Messung der Verankerungstiefe von CR-Maßnahmen (Corporate Responsibility Index, CRI). Vgl. URL: Bertelsmann Stiftung CRI.

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sätzlicher Implementierungsstrategien unternehmerischer Verantwortung Eingang in die Berichterstattung. Der Bericht versäumte es auch nicht, auf die gewohnten Berichtsinhalte wie Personalaufwand, Arbeitssicherheit, Mitarbeiterstruktur, Ausund Weiterbildung und die Tradition der von Flexibilität, Eigenverantwortung, Engagement und Dezentralität geprägten Bertelsmann Unternehmenskultur einzugehen. Zugleich wurden jedoch Themen wie Geschlechtergerechtigkeit oder WorkLife-Balance deutlicher hervorgehoben als in früheren Dekaden. Die ökonomischen Kennzahlen weist Bertelsmann nach den Vorgaben des internationalen Standards der IFRS aus.155 Im Vergleich zum CR-Report 2005 nahm vor allem das Thema Umweltschutz einen deutlich größeren Raum ein. 2008 etablierte der Konzern die Initiative be green zur Implementierung einer konzernweiten Umweltschutzstrategie, die Wege der Reduzierung und Kompensierung von Treibhausgasen aufzeigen sollte. Die Initiative zum Umweltschutz resultierte nicht allein aus dem Willen zur Übernahme von Verantwortung, sondern auch aus ökonomischen Überlegungen heraus. Erstens führte sie zu einer Rohstoff- und Energieersparnis, und zweitens hatte sie die Reduzierung von ökonomischen wie nichtökonomischen Risiken zum Ziel: Im Rahmen der »be green«-Strategie wurden die Risiken evaluiert, die sich durch den Klimawandel für die Bertelsmann AG ergeben können. Diese lassen sich vier Kategorien zuordnen: finanzielle Risiken (z. B. steigende Kosten für Energie und Emissionsrechte), Reputationsrisiken (z. B. Vertrauensverlust bei Stakeholdern und abnehmende Arbeitnehmerattraktivität), regulatorische Risiken (z. B. verschärfte Effizienzstandards) sowie physische Risiken (z. B. Schäden durch Naturkatastrophen).156

Eines der zentralen Instrumente zur Umsetzung dieser Strategie besteht in der internen Erstellung einer Klimabilanz nach den Vorgaben des GHG Protocol. Seit 2008 veröffentlicht Bertelsmann die Ergebnisse dieser Klimabilanzen im Rhythmus von zwei Jahren. Während die mitarbeiter- und gesellschaftsbezogene Berichterstattung durchaus noch einen großen Anteil an qualitativer Berichterstattung aufweist, wurde die Umweltberichterstattung durch die Vorgaben des GHG Protocol deutlich standardisiert. Für die Entwicklung der Klimabilanz suchte Bertelsmann Unterstützung beim IFEU-Institut in Heidelberg. In Zusammenarbeit mit den Experten des Instituts entstand ein Berechnungsmodell gemäß der Anforderungen des GHG Protocol, das die aus Produktionsprozessen, durch Elektrizitäts- und Fernwärmenutzung sowie durch Geschäftsreisen verursachten Treibhausgasemissionen des Konzerns in Äquivalenzwerten für Kohlendioxid (CO2 eq) erfasste. Bertelsmann versuchte den Klimabilanzen nicht nur durch die Orientierung am globalen Standard 155 Vgl. Bertelsmann CR-Report 2010/11. 156 Bertelsmann CR-Report 2010/11, S. 117; Bertelsmann Klimabilanz 2010, S. 1.

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des GHG Protocol und durch die Konsultation der IFEU-Experten eine höhere Glaubwürdigkeit zu verschaffen, sondern ließ die in den Bilanzen veröffentlichten Umweltkennzahlen darüber hinaus von PricewaterhouseCoopers prüfen und den Prüfvermerk in den Bilanzen veröffentlichen.157 Nicht nur im Bereich der umweltbezogenen Berichterstattung verfeinerte Bertelsmann die Nutzung von Indikatoren zur Etablierung einer quantitativen gesellschaftsbezogenen Berichterstattung. Während sich die GRI-Berichterstattung 2010/ 2011 noch auf eine dreiseitige tabellarische Zusammenfassung der berücksichtigten Indikatoren und Hinweise auf Belegstellen im Bericht beschränkte, veröffentlichte der Konzern für 2012/2013 einen eigenständigen 30-seitigen, ebenfalls tabellarischen GRI-Bericht, der neben ausführlicheren Beschreibungen zur Umsetzung der einzelnen Indikatorenanforderungen auch Verweise auf umfassendere Informationen zu den jeweiligen Leistungen und Instrumenten auf der Bertelsmann Website enthielt. Die parallel erscheinenden Fortschrittsberichte zum Global Compact erläutern in tabellarischer Form die langfristigen Unternehmensziele im CR-Bereich sowie die im Berichtsjahr realisierten Maßnahmen und geben einen Ausblick auf geplante Maßnahmen im Folgejahr als anvisierte Ziele. Durch die gleichbleibende Form der Berichterstattung ermöglicht Bertelsmann seinen Stakeholdern damit, die im Vorjahr formulierten Ziele mit den umgesetzten Maßnahmen im jeweiligen Berichtsjahr abzugleichen. Darüber hinaus räumt auch Bertelsmann seinen Stakeholdern Feedback-Möglichkeiten zur Bewertung der Berichterstattung und der CRMaßnahmen ein. Neben einer persönlichen Einladung durch den Vorstandsvorsitzenden Thomas Rabe im Vorwort der Berichte wird unter Nennung von Ansprechpartnern auf die entsprechende Website verwiesen. Damit setzt Bertelsmann letztlich jene Ideen um, die Dierkes in den 1970er Jahren formuliert hatte: eine zielbezogene Berichterstattung mit Feedbackmöglichkeiten, die es erlaubt, ein Unternehmen Jahr für Jahr an seinen eigenen Aussagen zur Umsetzung mittel- und langfristiger Ziele zu messen.158 Der Branchenprimus BASF Mit diesem Bericht betreten wir Neuland. Es ist ein neuer Schritt auf dem Weg, den wir uns durch unser Bekenntnis zum Leitbild der nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung (Sustainable Development) vorgegeben haben. Dieses Leitbild fordert eine ganzheitliche Sicht, die die drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft gleichermaßen berücksichtigt. Die vorliegende Publikation vervollständigt unsere Nachhaltigkeitsberichterstattung und legt das Augenmerk auf die gesellschaftliche Dimension unseres Handelns.159 157 Vgl. Bertelsmann CR-Report 2010/11, Bertelsmann Klimabilanz 2008, 2010, 2012 u. 2014. 158 Vgl. Bertelsmann CR-Report 2010/11, 2012, 2013, GRI-Index 2012/13; Kapitel 3.2.3. 159 BASF Gesellschaftliche Verantwortung 2000, S. 4.

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Mit diesen Worten kommentierte Jürgen Strube als Vorstandsvorsitzender 2001 im Vorwort die Veröffentlichung des BASF CSR-Berichts Gesellschaftliche Verantwortung. Der Bericht für das Jahr 2000 erschien im Sommer 2001 parallel zum Jahresbericht mit finanzbezogenen Informationen und zum Umweltbericht Umwelt – Sicherheit – Gesundheit. Neben Strube hob auch die Presseabteilung die Neuartigkeit des Berichts hervor und stellte heraus, die BASF informiere somit »[a]ls eines der ersten Unternehmen [...] umfassend über alle drei Dimensionen des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung: Ökonomie, Ökologie und soziale Verantwortung«160 . Für die Veröffentlichung eines CSR-Berichtes gab es für die BASF im Jahr 2000 einige Anlässe, denn sie hatte mehrere Schritte zur Implementierung von Maßnahmen zur Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung vorgenommen. So gehörte der Konzern zu den Unternehmen der ersten Stunde, die sich im Juli 2000 dem Global Compact anschlossen. Darüber hinaus hatte die BASF im April 2000 überarbeitete Grundsätze und Leitlinien als schriftliche Basis ihrer Unternehmenskultur verabschiedet. Sie verwendete den Bericht, um diese Werte beziehungsweise Ziele – (1) nachhaltiger Erfolg, (2) Innovation im Dienste der Kunden, (3) Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz, (4) Interkulturelle Kompetenz, (5) gegenseitiger Respekt und offener Dialog sowie (6) Integrität – an verschiedenen Stellen im Text zu wiederholen. Als Gründungsmitglied der im Mai 2000 ins Leben gerufenen Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft übernahm sie in Form von Entschädigungszahlungen die Mitverantwortung an der Beschäftigung von Zwangsarbeitern in den Werken der I.G. Farben.161 Die BASF nutzte den CSRBericht auch, um auf ihre Bemühungen zur Aufarbeitung ihrer Geschichte während des Nationalsozialismus durch die Beauftragung unabhängiger Historiker aufmerksam zu machen.162 Ebenfalls im Jahr 2000 richtete die BASF einen Nachhaltigkeitsrat und das Kompetenzzentrum Responsible Care ein. Beide Einrichtungen waren direkt dem Vorstand untergeordnet und korrespondierten miteinander. Internationale Projektteams mit Vertretern aus unterschiedlichen Konzernsparten sollten Ziele formulieren und Pläne entwickeln, um langfristige Strukturen für die Implementierung von CSR aufzubauen. Ein weiterer CSR-Baustein sollte ein weltweit gültiger und verbindlicher Verhaltenskodexes für den Konzern sein, der bis zum Ende des Jahres 2001 entwickelt werden sollte und den bereits seit 1996 für das USAGeschäft der BASF bestehenden Kodex erweiterte.163

160 BASF UA: Presse-Information: »BASF stellt erstmals Bericht ›Gesellschaftliche Verantwortung‹ vor« (16.08.2001), S. 1. 161 Vgl. Abelshauser 2002, S. 344-5. 162 Das aus dem Projekt entstandene Werk erschien 2002. Vgl. Abelshauser 2002. 163 Vgl. BASF Gesellschaftliche Verantwortung 2000, Umwelt – Sicherheit – Gesundheit 2000, Jahresbericht 2000; Rieth 2009, S. 273-282.

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Die BASF identifizierte insgesamt fünf Themenfelder gesellschaftlicher Verantwortung, die zu Bezugspunkten des CSR-Berichtes wurden: (1) die Förderung der Mitarbeiter und die Pflege einer partnerschaftlichen Beziehung zu ihnen, (2) das Umfeld, dem gegenüber sich BASF als »guter Nachbar« verhalten will, (3) die Einhaltung der Menschenrechte und der ILO-Arbeitsnormen von 1998 sowie die damit einhergehende Ablehnung von Diskriminierung, Zwangs- und Kinderarbeit, (4) der Markt als Feld des fairen wirtschaftlichen Umgangs mit Lieferanten und Kunden – hierunter fällt auch der Ausschluss von Geschäften, die den Drogen- oder Waffenhandel betreffen oder fördern – sowie (5) der offene und sachliche Dialog mit den Stakeholdern, um Transparenz und Vertrauen herzustellen. Die Erstellung und Veröffentlichung von Kennzahlen zu diesen Themenfeldern sollte die Nachhaltigkeit aller Tätigkeiten der BASF dokumentieren. Zur Identifikation dieser Felder und Kennzahlen zog der Konzern im Vorfeld der Berichtserstellung mehrere Instrumente und Initiativen zu Rate, um die weltweit notwendige Datenerfassung möglichst effizient und effektiv für die künftige Nachhaltigkeitsberichterstattung zu gestalten. Neben den Anforderungen des Global Compact orientierte sich BASF am GRILeitfaden, an den Anforderungen des DJSI und des Standards SA 8000, an Fragebögen der Ratingagenturen Imug, EIRIS und Oekom Research sowie an Publikationen zur Berichterstattung von SustainAbility und CSR Europe. Projektteams des BASF-Nachhaltigkeitsrates sollten auf dieser Grundlage Indikatoren weiterentwickeln, um Nachhaltigkeit messbar zu machen.164 Die aus der Unternehmenspraxis stammenden Mitglieder der Projektgruppen sollten darüber hinaus das Nachhaltigkeitsmanagement – und damit auch die Ansätze zur Berichterstattung – stets an den Bedürfnissen der unternehmerischen Praxis ausrichten statt an »losgelöste[n] Paralelstrukturen«165. BASF war an einem Projekt zur Weiterentwicklung eines vierstufigen Werte-Management-Systems beteiligt, das unter der Leitung des Konstanz Institut für WerteManagement (KIeM) stand.166 Wie Bertelsmann und Shell berücksichtigte auch die BASF den Nutzen eines Feedbacks bereits für den ersten CSRBericht und rief die Leser dazu auf, ihn zu bewerten, Verbesserungsvorschläge und Themenwünsche einzuschicken.167 Sowohl der Bericht als auch Konzernvertreter wie Strube vermittelten den Eindruck, der Konzern habe mit diesem Nachhaltigkeitsbericht eine neue Form der Kommunikation mit seinen Stakeholdern gefunden, die mit dem Ziel eines ganzheitlichen Berichtsansatzes die bestehende Berichterstattung im Finanz- und Umweltbereich ergänze. Doch der Bericht weist zahlreiche Parallelen zur Sozialbe164 Vgl. BASF Gesellschaftliche Verantwortung 2000, S. 8-9. 165 BASF Gesellschaftliche Verantwortung 2000, S. 16. 166 Wieland/Schmiedeknecht 2011, S. 93. 167 Vgl. BASF Gesellschaftliche Verantwortung 2000; BASF Umwelt – Sicherheit – Gesundheit 2000; BASF Jahresbericht 2000.

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richterstattung der BASF in den 1970er und 1980er Jahren auf. Zwar konzentrierte sich diese maßgeblich auf den Standort Ludwigshafen; erst mit dem Sozialbericht für 1980 wurden auch Informationen zur BASF Gruppe veröffentlicht. Die Kontinuität gegenüber den vorangegangenen Dekaden beschränkte sich jedoch nicht allein auf das Bekenntnis, Verantwortung für »Mitarbeiter, Aktionäre, Nachbarn, Kunden und alle[ ] anderen Anspruchsgruppen (Stakeholder)«168 übernehmen und ökologische, ökonomische und soziale Ziele im Gleichgewicht halten zu wollen. Die mittel- und langfristigen Ziele waren seit 1979 Bezugspunkt der Sozialberichterstattung, und die BASF folgte damit in den späten 1970er Jahren dem Goal Accounting-Konzept von Dierkes. Parallelen zeigten sich ebenso in der Integration einer Wertschöpfungsrechnung im CSR-Bericht, dem geäußerten Wunsch, den Dialog mit den Anspruchsgruppen verbessern und durch diesen Dialog Vertrauen herstellen zu wollen – ein Ziel, dass auch Oeckl schon formuliert hatte; Meinungsumfragen zur Identifizierung von Stakeholderansprüchen unter Anwohnern und Mitarbeitern gehörten seit den 1980er Jahren zum Instrumentarium der Öffentlichkeitsarbeit und waren Gegenstand der Sozialberichterstattung. Auch der Anspruch, durch die Berichterstattung Vorbild für andere Unternehmen zu sein, nachprüfbare Daten für einen sachlichen Dialog mit den Anspruchsgruppen zu liefern und einen Beitrag für die Verbesserung von Berichtskonzepten zu leisten, bestand während der Arbeit im AKSBP ebenso wie er im Bericht für 2000 formuliert wurde. Themen wie die Erhöhung des Frauenanteils im Unternehmen, die Verbesserung der Umwelt- und Arbeitssicherheit sowie die Reduzierung von Risiken für Umwelt und Gesundheit, die Bedeutung des lebenslangen, eigenverantwortlichen Lernens für eine Karriere bei der BASF, die Suche nach qualifizierten Fachkräften, die Rolle und Verantwortung als multinationales Unternehmen oder die Etablierung sozialer Leistungen unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialen und gesetzlichen Rahmenbedingungen am Standort gleichen einander in der Berichterstattung der 1970er Jahre und zum Jahrtausendwechsel. Freilich mögen die Hinweise von Strube und der Presseabteilung, es handele sich bei dem CSR-Bericht um eine neue Form der Berichterstattung ein Anzeichen dafür sein, dass die Tradition der Berichterstattung nicht umfassend im Unternehmensgedächtnis vorhanden ist. Die Konformität der Inhalte belegt jedoch, dass sowohl die Elemente der Unternehmenskultur im sozialen Bereich, über die berichtet wird, als auch der Weg, sie durch die sozialbezogene Berichterstattung zu vermitteln und zu verstetigen, im Selbstverständnis und in der Organisation der BASF verankert sind.169

168 BASF Gesellschaftliche Verantwortung 2000, S. 4. 169 Vgl. BASF Gesellschaftliche Verantwortung 2000; Kapitel 5.1.4; zur Unternehmenskultur s. a. Abelshauser 2002, S. 628-630.

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In den nachfolgenden Jahren kamen dennoch einige formale und inhaltliche Berichtselemente hinzu, die die bereits bestehende Praxis ergänzten. So nutzte die BASF die Berichte, um über Mitgliedschaften in Netzwerken wie dem WBCSD, den Stakeholderforen des Global Compact oder der GRI zu informieren. Seit 2003 orientierte sich die BASF an der GRI und veröffentlichte die zur Berichterstattung geforderte Indikatorenliste im Bericht. Seit 2007 ließ sie sich die GRI-Berichterstattung auf dem Niveau A+ zertifizieren und seit 2008 wurden die Indikatoren von GRI und UNGC in einem gemeinsamen Index abgebildet. Der Bericht für 2003 integrierte erstmals umfassend ökonomische, ökologische und soziale Informationen, um zu zeigen »wie wir die Aufgabenfelder der Nachhaltigkeit ausgewogen miteinander verbinden«170, wie der Vorstandsvorsitzende Jürgen Hambrecht erklärte. Es wurde jedoch weiterhin ein separater Finanzbericht für Shareholder veröffentlicht. Erst 2007 kam es zu einer vollständigen Integration von Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung, die den Umfang des Berichts mit über zweihundert Seiten gegenüber den Vorjahren mehr als verdoppelte. Diese Umstrukturierung der Berichterstattung war Ergebnis einer globalen Stakeholderbefragung, die den Wunsch nach vollständiger Integration der Nachhaltigkeitsinformationen in die Finanzberichterstattung hervorgebracht habe. Nun wurde auch stärker auf die Unternehmensführung durch den Corporate Governance-Berichtsabschnitt Bezug genommen. Hier berichtete die BASF über Maßnahmen zur konsequenten Umsetzung des 2001 verabschiedeten, weltweit gültigen Verhaltenskodexes und über die Realisierung der Anforderungen durch den Deutschen Corporate Governance Kodex. So veröffentlichte die BASF beispielsweise die Vorstandsgehälter und Aufsichtsratsbezüge an dieser Stelle. Der Konzern versäumte es darüber hinaus nicht, die Auszeichnungen für sein Nachhaltigkeitsmanagement und seine -berichterstattung sowie Höchstplatzierungen in Ratings wie dem DJSI, dem Index des Carbon Disclosure Project und dem FTSE4Good in den Berichten bekannt zu machen. Informationtechnisch bedingte Änderungen vollzogen sich vor allem seit 2009, indem die BASF ihr Online-Angebot im Bereich der Nachhaltigkeit erweiterte. Heute bietet der Konzern ein stark modularisiertes Informationsspektrum, das die Anwahl einzelner Berichtsteile und durch Verlinkung den direkten Vergleich mit Kennzahlen des jeweiligen Vorjahres erlaubt.171 Zwar richtete die BASF ihre Berichterstattung einerseits stärker an internationalen Standards aus – an ISO 14001, EMAS und der IPCC-Berechnungsgrundlage für Treibhausgase im Umweltbereich, an IFRS-und SOA-Vorgaben im Finanzbereich (seit 2004) und den UNGC- und GRI-Anforderungen im sozialen Bereich – andererseits war sie oftmals auch Vorreiter in der Gestaltung von Management und Berichterstattung, wie nicht nur die Ratingergebnisse und eine lobende Erwähnung des 170 BASF Bericht 2003, S. 5. 171 Vgl. BASF Berichte 2000-2013; URL: BASF Nachhaltigkeit.

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UNGC zur BASF-Berichterstattung zeigten. So hatte die BASF schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals einen Verhaltenskodex etabliert, der zum Branchenstandard wurde, und auch im 21. Jahrhundert war es die BASF, die 2008 maßgeblich für die Formulierung eines Branchenkodexes sorgte.172 Das BASF-Berichtsinstrument der Ökoeffizienzanalyse wurde zum Vorbild für zahlreiche andere Unternehmen,173 und in einem UN-Kooperationsprojekt wurde es für die Anwendung in KMUs und in Entwicklungsländern operationalisierbar gemacht. Während sie diese Neuerungen anstieß, hielt die BASF aber auch an tradierten Berichtsinhalten und -elementen fest: Sie veröffentlicht bis heute eine Wertschöpfungsrechnung, nimmt Bezug auf regelmäßig stattfindende Mitarbeiterbefragungen und seit Jahrzehnten etablierte Berichtsfelder wie Qualifizierungsmaßnahmen oder die Gesundheitsvorsorge.174 Zwischenfazit Jutta Hoppe identifiziert eines der wesentlichen Probleme der Nachhaltigkeitsberichterstattung in der fehlenden Zielgruppenorientierung. Die CSR-Berichte würden den Informationsbedürfnissen der Stakeholder oftmals nicht gerecht. Sie würden entweder zu viele Informationen präsentieren, falsche Schwerpunkte setzen oder von zeitlich invariablen Interessen auf Seiten der Stakeholder ausgehen. Um deren Bedürfnissen gerecht zu werden, müssten, so die Forderung Hoppes, die Adressaten der Berichte sowohl in die Auswahl der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmensziele als auch in die Auswahl der Berichtsinhalte einbezogen werden. Zudem würden die Berichte regional divergierende Informationsinteressen nicht abbilden, die zum Teil aus unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen resultierten. So lägen die Informationsinteressen von Mitarbeitern derselben Branche in Deutschland beispielsweise stärker auf dem Umweltschutz, während sie bei Mitarbeitern in Indien eher im Bereich sozialer Sicherung zu finden seien. Indem Unternehmen mit ihren Stakeholdern wie Mitarbeitern oder NGOs in Dialog träten, könnten sie deren Informationswünsche antizipieren und sie zugleich in den Berichtsprozess einbeziehen, damit möglicher Kritik zuvorkommen und die Akzeptanz von Nachhaltigkeitsberichten erhöhen. Die grundsätzliche Akzeptanz von Nachhaltigkeitsberichten sei jedoch allein schon dadurch bestimmt, ob Berichte bereits als eine Form der Kommunikation zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitern über soziale Themen im Unternehemen etabliert seien. Schließlich liege eine der größten Herausforderungen von Nachhaltigkeitsberichten in ihrer Glaubwürdigkeit, da sie beanspruchen, das unternehmerische Handeln gesellschaftlich zu legitimieren. Der Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Berichte resultiere erstens aus Informations172 Vgl. Abelshauser 2002, S. 140-1; ders. 2011, S. 488-9. 173 Vgl. Rieth 2009, S. 206. 174 Vgl. BASF Berichte 2000-2013.

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asymmetrien zwischen den Unternehmen und ihren Stakeholdern und zweitens aus Divergenzen zwischen Berichterstattung und tatsächlichem unternehmerischen Handeln. Erstere Bedenken könnten durch eine externe Prüfung der Berichte ausgemerzt werden, letztere nur durch eine ehrliche Berichterstattung. Externe Kontrollen könnten durch NGOs und Gewerkschaften vorgenommen werden; ein Instrument, das die Sozialbilanzpraxis in Frankreich bereits Ende der 1970er Jahre vorsah.175 Insbesondere für multinationale Unternehmen, die einheitliche, englischsprachige CSR-Berichte überall dort veröffentlichen, wo sie Standorte betreiben, kann es langfristig sinnvoll sein, die Berichtsinhalte an die jeweiligen lokalen Informationsbedürfnisse anzupassen, wenn die Berichte tatsächlich die Stakeholder erreichen und glaubhaft von der Legitimität unternehmerischer Aktivitäten überzeugen sollen. Allerdings kann die gegenwärtige CSR-Berichterstattung durch die gewachsenen technischen Möglichkeiten gegenüber früheren Formen der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung stärker auf die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse ihrer Adressaten eingehen. Die CSR-Kommunikation via Internet erlaubt es – neben der Bereitstellung eines kompakten Berichtes auf der eigenen Firmenwebsite, Stakeholder gezielt anzusprechen, indem nach Schlagworten differenzierte Menüpunkte die Informationen vorstrukturieren. Auf aktuelle Entwicklungen kann schneller reagiert werden, als dies mit einer jährlichen Berichterstattung der Fall ist. Darüber hinaus eröffnet diese Form der Kommunikation einen informelleren Zugang zu Feedbackmöglichkeiten, beispielsweise durch Social-Media-Angebote, die zugleich auch ein Monitoring der öffentlichen Meinung für das Unternehmen vereinfachen.176 Meinolf Dierkes prognostizierte bereits Mitte der achtziger Jahre viele der gegenwärtigen CSR-Praktiken wie ausgereiftere Indikatorenkataloge, die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Unternehmen und Anspruchsgruppen in der Entwicklung von Berichtsinhalten, die steigende Bedeutung von Prüfkriterien oder den Nutzen sektorspezifischer und internationaler Zusammenarbeit von Unternehmen in der Etablierung von Berichtsstandards. Er sah dabei auch die Bedeutung öffentlichen Drucks – insbesondere drohender gesetzlicher Regulierung – und des öffentlichen Interesses: Ohne diese Faktoren sei eine Weiterentwicklung der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung von Unternehmen nicht zu erwarten. Eine besondere Rolle schrieb Dierkes den Aufsichtsräten und Investoren zu und erkannte die Bedeutung des Ethical Investment, das bereits in den siebziger Jahren angesichts von Protesten gegen fragwürdige Großprojekte im Ausland wie den Cahora-Bassa-Staudamm als Thema aufkam und zu Beginn der achtziger Jahre im Zuge der populär werdenden

175 Vgl. Hoppe 2006; Kapitel 7.2. 176 Vgl. Hoppe 2006, S. 333; Osburg 2012, S. 475-6.

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Stakeholder-Debatte breiter diskutiert wurde.177 Heute herrschen Sozialindikatorenkonzepte im Bereich der ernstzunehmenden CSR-Berichterstattung vor. Meist vertreten durch NGOs und Verbände nehmen die Stakeholder heute die Möglichkeit wahr, gezielte Kritik am unternehmerischen Verhalten zu äußern sowie ihre Ansprüche selbst systematisch zu analysieren und an die Unternehmen zu adressieren. Die Teilnahme an heterogen besetzten Stakeholder-Dialogveranstaltungen gehört für multinationale Unternehmen inzwischen zur gängigen und unumgehbaren Unternehmenspraxis. International anerkannte Branchenkodizes haben Synergieeffekte für die an ihrer Einführung beteiligten Unternehmen geschaffen und weitere gezwungen, sich den Berichtspraktiken anzuschließen. Audits und Rankings bewerten – wenn auch in unterschiedlichen Graden der Unabhängigkeit vom Unternehmen – die Berichtsinhalte und sollen die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der Informationen gewährleisten. Dierkes sah also durchaus die Bedeutung des Fundamentes voraus, das die globale Social Accounting-Debatte der 1970er Jahre für weitere Entwicklungen in der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung gelegt hatte.

177 Vgl. Dierkes 1984; Dierkes/Berthoin Antal 1986; Freeman/Reed 1983, S. 94; Kurzlechner 2008, S. 311-312; Interview Dierkes 19.10.2010.

9. Fazit

Ziel der vorliegenden Studie war es, die Idee von der transparenten Sozialpolitik in ihrer historischen Genese nachzuzeichnen. Die Analyse hat deutlich gemacht, dass die Sozialberichterstattung von Unternehmen zwischen dem Beginn des 20. Jahrhunderts und jenem des 21. Jahrhunderts einige Kontinuitäten aufweist, die auf einen inkrementellen Wandel in ihrer Entwicklung hinweisen. Nicht nur in ihrer Gestaltung zeigen sich Ähnlichkeiten durch den Anspruch an Quantifizierung und die Verwendung von Fotografien, Tabellen und Grafiken zur Illustration der intendierten Aussagen. Auch inhaltlich weist die gesellschaftsbezogene Berichterstattung deutscher Unternehmen über die Zeit hinweg Gemeinsamkeiten auf. Sie richtete sich immer in erster Linie an die Beschäftigten, aber stets auch schon an die Öffentlichkeit, und propagierte das Wohl der Gemeinschaft als Ziel der unternehmerischen Sozialpolitik: der Betriebs- oder Volksgemeinschaft bis hin zur Weltgemeinschaft, die einer nachhaltigen Wirtschaftsweise verpflichtet sein will. Allerdings hatte sich zu Beginn der 1970er Jahre der Begriff von Öffentlichkeit fundamental gewandelt, und so versuchten Unternehmen nicht mehr allein, staatlichen Ansprüchen und Regulierungsversuchen mit ihrer Sozialberichterstattung zu begegnen. Aus dem Wandel des Verständnisses von Adressaten ergeben sich auch die je unterschiedlichen Motive der Sozialberichterstattung, die ein Abbild des jeweiligen Zeitgeistes sind. Versuchten die Wohlfahrtsberichte und Betriebszeitungen zwischen 1900 und 1933 zunächst mit erzieherischem Duktus die Arbeiterschaft zu disziplinieren, später den gewerkschaftlichen Einfluss zu mindern und dem Emanzipationsstreben der Beschäftigten gerecht zu werden, so begegneten die Sozialberichte von Unternehmen, die in der NS-Zeit veröffentlicht wurden, Forderungen des Staates nach Transparenz und Kontrollierbarkeit. Die Berichte der 1950er und 1960er Jahre spiegelten die zelebrierte Harmonie der Wirtschaftswunderjahre, und erst in den 1970er Jahren rückten soziale Konflikte wieder stärker in den Fokus der Berichterstattung. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Umwelt, den Folgen der Umweltverschmutzung und der Verknappung des Gutes Natur dominierte die Berichterstattung der 1980er und 1990er Jahre, die sozialen und ökologischen

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Auswirkungen der Globalisierung jene der späten 1990er Jahre bis heute. Die eingangs der vorliegenden Arbeit formulierte These, dass Sozialbilanzen einerseits Merkmale von Pfadabhängigkeiten in der Sozialberichterstattung aufweisen und andererseits einen Wandel in der Kommunikationsstrategie von Unternehmen markieren, hat sich bestätigt. Die Publikationen standen in der Tradition der unternehmerischen Berichterstattung, ließen sich aber angesichts der Legitimationskrise durch Forderungen von außen nach mehr unternehmerischer Verantwortung und der dadurch verursachten Unsicherheit auf Experimente mit neuen Ansätzen wie Sozialrechnungen ein. Trotzdem resultierte aus der Rezeption theoretischer und praktischer Social Accounting-Ansätze aus den USA keine bloße Imitation. Am Fall der Unternehmen des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis konnte gezeigt werden, dass diese eigene Formen der Berichterstattung entwickelten, die weitaus weniger Bezüge zu den quantitativen Konzepten US-amerikanischer Autoren und Unternehmen aufwiesen, auch wenn sie oftmals die Begrifflichkeiten zunächst übernahmen. Erstens folgten sie mindestens ebenso sehr dem Muster der Tradition deutscher Sozialberichterstattung. Zweitens orientierten sie sich hinsichtlich des Adressatenkreises an den spezifischen Rahmenbedingungen des deutschen Produktionsregimes, das von einer ausgeprägten Bindung der Mitarbeiter an die Unternehmen, starken Gewerkschaften und intern eingebundenen Kontrollinstanzen wie Aufsichtsräten und Hausbanken geprägt ist, die nicht primär auf eine nach außen gerichtete Berichterstattung angewiesen sind. Die dennoch stattfindende Standardisierung der Sozialbilanzen in den 1970er Jahren war das Ergebnis des Einflusses aller beteiligten Parteien. Dierkes als Vertreter der Wissenschaft brachte sein Konzept des Goal Accounting ein, das er zwar aus den USA mitgebracht hatte, das aber weitaus weniger an den Informationsinteressen von Shareholdern ausgerichtet war als amerikanische Ansätze. Er folgte dem Leitbild einer demokratisch basierten Unternehmenskontrolle und antizipierte die Idee des Stakeholderdialogs, der heute zumindest rhetorisch zum Standardrepertoire des CSR-Managements gehört, wenngleich die CSR-Berichterstattung stärker als alle historischen Vorgänger der Berichterstattung auf die Informationsbedürfnisse von Shareholdern zugeschnitten ist. Die gewerkschaftliche Seite trug als weiterer Akteur im Entwicklungsprozess von Sozialbilanzen ebenfalls zur Standardisierung durch stete Kritik an den praktizierten Ansätzen und durch die Erarbeitung eigener Konzepte bei, die den Bedürfnissen der Arbeitnehmer und ihrer Vertretung gerecht werden sollten. Auch die Politik erzeugte Handlungsdruck – sowohl durch die Beratungen der Unternehmensrechtskommission wie durch die Reformpläne der Europäischen Kommission zum Unternehmensrecht – und leistete durch die bloße Möglichkeit einer gesetzlichen Regulierung einen Beitrag zu den Standardisierungsbemühungen. Hier zeigte sich, wie drohende staatliche Regulierung Einfluss auf die Governance in Unternehmen hat. Denn die sozialdemokratische Bundesregierung hatte schon mit Einführung der Mitbestimmung sowie mit

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der Ausweitung der Sozial- und Umweltgesetze in den 1970er Jahren unter Beweis gestellt, dass sie bereit war, Reformen auch gegen die verlautbarten Interessen der Unternehmen durchzusetzen. Die Bestrebungen, eigene Konzepte zur Sozialberichterstattung zu entwickeln und ein hohes Maß an Selbstverpflichtung nach außen zu demonstrieren, sollten einem weiteren Ausgreifen der Regulierung entgegenwirken. Die Interessen aller Parteien – Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und ihre Verbände – wirkten somit auf die Entwicklung der Sozialbilanzen ein. Das Ergebnis war erstens eine Professionalisierung der Außendarstellung von Unternehmen, die auf eine kohärente Imagebildung zielte. Zweitens verstetigte sich die Bereitschaft zur organisationsübergreifenden Kooperation mit anderen Unternehmen unter Einbeziehung wissenschaftlicher Experten, die sich erst in der Gründung des Arbeitskreises Mitarbeiterbefragung, später in der Fortsetzung dieser Strategie im Bereich der Umwelt- und CSR-Berichterstattung zeigte. Drittens etablierte sich das Paradigma der Selbstverpflichtung, das sich im Bereich der Umwelt- und CSR-Debatte verfestigte und eng an das Instrument der Berichterstattung als Beleg für die Fähigkeit von Unternehmen zur ethischen Selbstverpflichtung gebunden ist. Die vorliegende Arbeit hat also gezeigt, wie in den 1970er Jahren die strukturellen Voraussetzungen für die gegenwärtige CSR-Berichterstattung geschaffen wurden. Auf welche Weise sich die EU-Richtlinie zu einer künftigen verpflichtenden CSR-Berichterstattung auf deren weitere Entwicklung auswirken wird, muss sich noch zeigen. Doch schon die EMAS-Verordnung verhalf privatwirtschaftlich entwickelten Standards wie jenen der ISO zu einer beachtlichen Karriere, die ohne den politischen Druck vermutlich kaum zustande gekommen wäre. Letztlich zeigen sich hier die besondere Dynamik und der Status von Selbstverpflichtungen, die mit dem Gestus der Freiwilligkeit eingegangen werden, auch wenn sie infolge öffentlichen Drucks zustande kommen. Allen historischen und gegenwärtigen Formen der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung gemein ist die Implementierung von oben, die den Berichten den Charakter einer Sozialtechnik verleiht. Sie alle sind entweder von den Unternehmensleitungen oder im Falle der DAF-Berichte von einer übergeordneten politischen Instanz implementiert worden. Hierin liegt letztlich das größte Akzeptanzund Glaubwürdigkeitsproblem der Publikationen, insofern Leser eine Diskrepanz zwischen den verkündeten und den tatsächlichen Motiven der Implementierung vermuten können. Dies resultiert nicht zuletzt auch daraus, dass die Berichte über die Jahrzehnte hinweg immer auch und oftmals wenig subtil eine bestimmte Ideologie transportierten. Sie stellten stets eine Form der Krisenkommunikation dar und wirkten daher reaktiv statt aktiv. Neue Konzepte zur Sozialberichterstattung entstanden immer dann, wenn der Nachschub an qualifizierten Arbeitskräften – sei es durch Krieg, Expansion oder Imageschäden – oder die Harmonie der Arbeitsbeziehungen bedroht schienen. Die Berichterstattung taugte dazu, das gewünschte Bild der idea-

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len Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und seit den 1970er Jahren darüber hinaus zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt zu transportieren. Es waren jedoch nicht allein die Ausweitung des Berichtsgegenstandes und die Ausdifferenzierung der Adressatengruppe, die der Berichterstattung der 1970er Jahre eine neue Qualität gegenüber jener der Vorjahre verlieh. Die Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Methoden und der Versuch einer umfassenden Quantifizierung sozialer Entitäten stellten einerseits eine Legitimationsstrategie dar, schufen andererseits aber auch eine neue Perspektive auf die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen. Statt über die Vergangenheit zu berichten, richtete sich die Berichterstattung nun auch in die Zukunft, und Unternehmen formulierten den Anspruch, sich an den eigens gesetzten Zielen messen zu lassen. Der Begriff der Rechenschaft bekam damit eine nachhaltige Komponente, indem die Übernahme von Verantwortung nicht mehr nur für die Gegenwart gelten sollte, sondern auch für die Zukunft. Die Kontrolle der Zielerreichung wurde jedoch zugleich an die Stakeholder der Unternehmen übertragen. Auf der einen Seite impliziert diese Ausweitung der Kontrollfunktion das Ideal einer transparenten Gesellschaft, in der jeder das Recht und die Möglichkeiten zur Kontrolle bekommt. Auf der anderen Seite setzt diese Möglichkeit zur Transparenz eine Vereinheitlichung der Sprache voraus, um möglichst vielen den Zugang zu Informationen zu gewähren. Die Übersetzung in Zahlen suggeriert eine solche Vereinheitlichung und damit auch Objektivität. Indem die Trennung von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Verwendung einer gemeinsamen Zahlensprache überbrückbar gemacht zu werden scheint, wird der Eindruck vermittelt, auf diese Weise könnten unternehmerische Verantwortung und verantwortliches Unternehmertum nachvollziehbar gemacht werden. Dass diese Trennung von Wirtschaft und Gesellschaft immer nur eine analytische ist, bleibt dabei ebenso unberücksichtigt wie die Folgen einer solchen Ökonomisierung des Sozialen. In der von Power nachgezeichneten Audit Society, die sich durch die Ausbreitung kaskadenartig organisierter Kontrollsysteme in alle gesellschaftlichen Bereiche auszeichnet, zeigen sich diese Folgen sehr deutlich. Indem dem Einzelnen mehr Möglichkeiten zur Kontrolle eingeräumt werden, kann dies auf der einen Seite zu einer Zunahme des individuellen Verantwortungsbewusstseins führen, aber auch zur Verantwortungsdiffusion. Dies wird beispielsweise immer wieder in den Schwierigkeiten zur Durchsetzung menschengerechter Arbeitsbedingungen sichtbar, weil die Kontrolle der Zulieferketten westlicher Großunternehmen oftmals auf die Anerkennung von Audits und Zertifikaten beschränkt bleibt. Das Ideal von Individualisierung und Eigenverantwortung propagierten schon die Sozialbilanzen der späten 1970er Jahre und wurden damit zum Spiegel neoliberaler Humankapitalansätze, die eine Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen forcierten. Die Internationalisierungsaktivitäten der Unternehmen und die Suche nach qualifiziertem Personal ließen es gleichermaßen notwendig erscheinen, die vorhandenen und künftigen Beschäftigten auf eine konsensfähige Unternehmenskultur

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einzuschwören und ihnen die notwendige Flexibilität für den gemeinsamen Internationalisierungskurs abzuverlangen. Auf diese Weise verkehrten die Unternehmen das Modell von Dierkes ins Gegenteil: Statt gesellschaftliche Werte in der Unternehmensstrategie zu verankern und den Stakeholdern des Unternehmens mehr Macht über die Unternehmenspolitik einzuräumen, sollten ökonomische Werte an Beschäftigte und Gesellschaft herangetragen werden. Der Versuch, den Beschäftigten als Unternehmer seiner selbst im Foucaultschen Sinne zu stilisieren, berührt die Frage, ob die Sozialbilanz Ausdruck einer Amerikanisierung der Unternehmensführung in Form des Bestrebens war, eine neoliberale Ideologie gegenüber der korporatistischen Tradition der Arbeitsbeziehungen zu propagieren. Diese Frage kann nicht gänzlich verneint werden. Jedoch relativieren die Kontinuitäten in der Berichterstattung über die Dekaden hinweg die Amerikanisierungsthese ebenso wie die ausgeprägte Verbreitung der gesellschaftsbezogenen Berichterstattung gerade in jenen Ländern wie Deutschland oder Schweden, die den Coordinated Market Economies zuzurechnen sind. Hier haben sich eigene Formen der Berichterstattung ausgebildet, die stärker auf die Informationsbedürfnisse von Stakeholdern zugeschnitten sind. Deutlichere Amerikanisierungstendenzen haben sich erst in den letzten Jahren durch die zunehmende Orientierung an US-Finanzberichterstattungsstandards gezeigt, die Einfluss auf die Form und die Adressaten der CSR-Berichterstattung nehmen. Wie die Untersuchung der CSR-Berichte von Shell, Bertelsmann und BASF gezeigt hat, richten sich diese Berichte stärker als in den 1970er Jahren an die Shareholder eines Unternehmens, berücksichtigen aber dennoch die Informationsinteressen der Stakeholder und stehen damit ebenso weiterhin in ihrer eigenen Tradition. Die Informationsinteressen von Stake- und Shareholdern lassen sich also durchaus vereinen. Ganz allgemein offenbart die Verflechtung ökonomischer, sozialer und ökologischer Informationen in der Berichterstattung, dass die Interessen von Shareholdern und Stakeholdern an wichtigen Überschneidungspunkten zusammenfallen: Erstens ist das Überleben eines Unternehmens an eine langfristige Strategie geknüpft, und zweitens sind die Anspruchsgruppen voneinander abhängig. Zwei wesentliche Strategien, dem Glaubwürdigkeitsdefizit der Sozialberichte infolge ihres reaktiven Charakters zu begegnen und den Publikationen den Anstrich objektiver Berichterstattung zu verleihen, bestanden und bestehen zum einen in der Konsultation von Experten und zum anderen in den Bestrebungen um eine standardisierte, quantitative Abbildung sozialer Leistungen. Zwar mag es auch vor den 1930er Jahren eine Tendenz zur Angleichung der Inhalte von Sozialberichten und Werkszeitungen gegeben haben. So unternahm Krupp beispielsweise gezielte Anstrengungen, seine Publikationen an die Öffentlichkeit zu bringen; dennoch schufen erst die systematischen Quantifizierungsbestrebungen des AwI eine Grundlage zur Standardisierung von Sozialberichten. Diese Standardisierungsanstrengungen resultierten nicht zuletzt aus den Bestrebungen von Quantifizierungsexperten wie Sta-

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tistikern, eine staatliche Nachfrage nach der eigenen Expertise zu schaffen. In den 1950er Jahren wurden die Bemühungen um eine Standardisierung der Berichterstattung keineswegs eingestellt, sondern von Gewerkschafts-, Arbeitgeber- und staatlicher Seite gleichermaßen in den Blick genommen. Das Vorbild amerikanischer Unternehmen, deren Öffentlichkeitsarbeit der Nimbus der Fortschrittlichkeit umgab, taugte hier durchaus zur Begründung des Interesses an einer Normierung der Sozialberichterstattung und ermöglichte es, sich von den politisch motivierten Standardisierungsbestrebungen der NS-Zeit zu distanzieren. Dennoch besaß auch das Engagement der BDA in den 1950er Jahren ebenso politische Implikationen wie später in den 1970er Jahren und war eng an das Thema der Mitbestimmung gekoppelt. Die Konzepte sozialwissenschaftlicher Experten zur Sozialberichterstattung versprachen als Steuerungsvisionen durch eine langfristige Datendokumentation Trends zu extrapolieren und gesellschaftliche Probleme – zuvorderst Verteilungsfragen – zu lösen. Nachdem diese Verteilungsfragen während des Nationalsozialismus noch von ideologisch verbrämten Überzeugungen geleitet gewesen waren und sich in der Zeit des Wirtschaftswunders kaum gestellt hatten, traten sie Ende der 1960er wieder stärker in das Bewusstsein. Das Wirtschaftswachstum war nicht nur durch Krisen gebremst worden; das Paradigma der Notwendigkeit stetigen Wachstums wurde darüber hinaus grundlegend in Frage gestellt. Neue Anspruchsgruppen forderten plötzlich die Berücksichtigung ihrer Interessen. Der Begriff von Öffentlichkeit wandelte sich und forderte Unternehmen heraus, diesem Wandel zu begegnen. Der Ruf nach verantwortlichem Handeln – im ökonomischen Verständnis die Berücksichtigung der Interessen aller Anspruchsgruppen – erforderte eine Legitimation der unternehmerischen Verteilungspolitik. Diese Legitimation erhofften sich Unternehmen durch die Konsultation von Experten. Hatten sich diese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihr Betätigungsfeld oftmals selbst geschaffen, so wurde ihre Expertise in den 1960er und 1970er Jahren von den Unternehmen aktiv nachgefragt. Die bundesdeutsche Politik war hier mit ihrer Strategie, die Entscheidungsfindung mittels Expertenkommissionen gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, beispielhaft vorangegangen. Eine dritte Strategie zur Lösung des Glaubwürdigkeitsdefizits äußerte sich in den Versuchen, die Adressaten der Publikationen – insbesondere die Mitarbeiter – in die Gestaltung einzubeziehen. Während dies in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts scheiterte, gelang es in den 1970er Jahren vereinzelt durch Arbeitskreise zur Erstellung von Sozialbilanzen in den Unternehmen. Systematisch wurden Stakeholder jedoch erst mit Beginn des 21. Jahrhunderts in den Erstellungsprozess einbezogen, indem sie gemeinsam mit Unternehmen in Multi-Stakeholder-Verfahren Standards für eine gesellschaftsbezogene Berichterstattung entwickeln. Hier zeigen sich tatsächlich die Konturen jenes Entwurfs von der Wissensgesellschaft, demzufolge Wissen erstens anwendungsorientiert produziert,

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zweitens in interdisziplinären Kontexten erstellt wird und drittens die Kontrolle über das Wissen nicht mehr bei der Wissenschaft selbst liegt. Wissen zu produzieren bedeutet im Kontext der Sozialberichterstattung die Entwicklung von Methoden zur Standardisierung der Datenerhebung und -präsentation, die in keineswegs aus Laien bestehenden Multi-Stakeholder-Foren ausgehandelt werden. Vielmehr werden Wissenschaftler als Berater in diesen Foren hinzugezogen. Die Kontrolle liegt idealiter gleichermaßen bei den Unternehmen und den Stakeholdern. Vorbereitet wurde diese Entwicklung jedoch bereits in den 1970er Jahren. Die Idee von interdisziplinär zusammengesetzten Teams aus Wissenschaft und unternehmerischer Praxis wurde schon damals propagiert, um gleichermaßen anspruchsvolle wie praktikable Konzepte zur Standardisierung der Berichterstattung entwickeln und die Ansprüche von Stakeholdern möglichst systematisch erfassen zu können. Dennoch stellt das Glaubwürdigkeitsdefizit letztlich ein inhärentes Problem der Sozialberichterstattung dar. Deshalb können auch die genannten Strategien dieses Problem nicht dauerhaft lösen, sie können es immer nur zeitweilig und im Kontext der jeweiligen Anspruchskonstellationen abmildern. Zu einem Schlusspunkt kann das Ringen um Glaubwürdigkeit so nie kommen. Die sich daraus ergebende Dynamik lässt sich an der Geschichte der Sozialberichterstattung nachvollziehen. Man kann vermuten, dass diese Dynamik auch in Zukunft erhalten bleiben wird. !

Anhang

I. Ü BERSICHT

VERÖFFENTLICHTER

S OZIALBILANZEN

Unternehmen und öffentliche Institutionen mit Sozialbilanzen oder erweiterter, gesellschaftsbezogener Berichterstattung in den 1970er und 1980er Jahren:1 1. Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände 2. Audi-NSU AG (Ingolstadt) 3. BASF AG (Ludwigshafen) 4. Battelle-Institut e.V. (Frankfurt am Main) 5. Bayer AG (Leverkusen) 6. Bayernwerk AG (Regensburg) 7. BMW AG (München) 8. Bertelsmann AG (Gütersloh) 9. Bitburger Brauerei GmbH (Bitburg) 10. R. Bosch GmbH (Stuttgart) 11. Deutsche British Petroleum AG (Hamburg) 12. B. Braun Melsungen AG (Melsungen) 13. British American Tobacco Germany (BAT, Hamburg) 14. Brown, Boverie & Cie. (BBC, Mannheim) 15. Buderus AG (Wetzlar) 16. Canstatter Volksbank (Stuttgart – Bad Canstatt) 17. Chemische Werke Hüls (Marl) 18. Degussa AG (Frankfurt a. M.)

1

Vgl. AdsD 5/DGAI 000232: Schreiben Vetters an die Mitglieder des GBV, S. 1; BDA Abt. VII: Unternehmerische Personalpolitik: Analyse der Arbeitsbedingungen und personalpolitische Schwerpunktaufgaben (Entwurf); Breisig 1990, S. 482; Dierkes/Hoff 1981, S. 15; Heymann 1981; HP Sozialbilanz 1982; Kador 1981, S. 134-135; Teichert 1995; Ullmann 1981, S. 202; Zimmermann 1980, S. 161.

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19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56.

Deutsche Bundesbahn (Frankfurt a. M.) Dyckerhoff Zement AG (Wiesbaden) Eternit AG (Berlin) Ford (Köln) Gerling AG (Köln) Henkel KGaA (Düsseldorf) Hewlett Packard GmbH (Böblingen) Hoechst AG (Höchst) Hoesch AG (Dortmund) IBM Deutschland (Stuttgart) Kölner Bank von 1867 eG (Köln) Kundenkreditbank KGaA (Düsseldorf) Landesforstverwaltung Baden-Württemberg Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster (LVM) Mannesmann AG (Düsseldorf) Merck AG (Darmstadt) Mobil Oil AG (Hamburg) Opel AG (Rüsselsheim) Pieroth Weingut – Weinkellerei GmbH (Burg Layen) Preussag AG (Hannover) Rank Xerox GmbH (Düsseldorf) Rheinische Braunkohlenwerke AG (Köln) RUD-Kettenfabrik GmbH Rieger und Dietz (Aalen) Saarbergwerke AG (Saarbrücken) Schering AG (Berlin) Siemens AG (München) Stahlwerke Peine – Salzgitter AG (Salzgitter) Standard Elektrik Lorenz AG (SEL, Stuttgart) Deutsche Shell AG (Hamburg) Stadtsparkasse Köln STEAG AG (Essen) Stinnes AG (Mühlheim/Ruhr) Cornelius Stüssgen AG (Köln) Thyssen Industrie AG (Essen) Veith-Pirelli AG (Höchst) Volkswagen AG (Wolfsburg) Wella AG (Darmstadt) Wüstenrot (Ludwigsburg) !

A NHANG

II. Ü BERSICHT A RBEITSKREISE

UND

A USSCHÜSSE

1. Unternehmensrechtskommission • Ausschuss Publizität 2. Unternehmens- und Arbeitgeberseite • Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis • Arbeitskreis Sozialbilanz und gesellschaftliche Nutzenrechnung (Stiftung Gesellschaft und Unternehmen) • Ausschuss für Soziale Betriebsgestaltung (BDA) 3. Gewerkschaften • DGB-Arbeitskreis der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungslegung/Sozialbilanzen‹ • DGB-Arbeitskreis Unternehmensrecht I • DGB-Arbeitskreis Unternehmensrecht II • WSI-Projektgruppe Unternehmensrecht

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III. U NITED N ATIONS G LOBAL C OMPACT Tabelle 2: Die zehn Prinzipien des Global Compact Human Rights

1. Businesses should support and respect the protection of internationally proclaimed human rights; and 2. make sure that they are not complicit in human rights abuses.

Labour

3. Businesses should uphold the freedom of association and the effective recognition of the right to collective bargaining; 4. the elimination of all forms of forced and compulsory labour; 5. the effective abolition of child labour; 6. the elimination of discrimination in respect of employment and occupation.

Environment

7. Businesses should support a precautionary approach to environmental challenges; 8. undertake initiatives to promote a greater environmental responsibility; and 9. encourage the development and diffusion of environmentally friendly technologies.

Anti-Corruption

10. Businesses should work against corruption in all its forms, including extortion.

Quelle: UNGC, The Ten Principles (URL).

!

A NHANG

V ERZEICHNISSE Abkürzungsverzeichnis AAA

American Accounting Association

ACCA

Association of Chartered Certified Accountants (GB)

AICPA

American Institute of Certified Public Accountants

AK DGB

Arbeitskreis der Sachbearbeiter ›Gesellschaftsbezogene Rechnungs-

AKSBP

Arbeitskreis Sozialbilanz-Praxis

AKW

Atomkraftwerk

AMF

Autorité des Marchés Financiers

ANACT

Agence Nationale pour l’Amélioration des Conditions de Travail

AOA

Abteilung Öffentlichkeitsarbeit (BASF)

AOEWL

Arbeitsorientierte Einzelwirtschaftslehre

AOG

Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (Arbeitsordnungsgesetz)

AOGWL

Arbeitsorientierte Gesellschafts- und Wirtschaftslehre

ASSC

Accounting Standards Steering Committee (GB)

AwI

Arbeitswissenschaftliches Institut

BASF

Badische Anilin- und Sodafabrik

B.A.U.M.

Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewußtes Management

BDA

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

BDI

Bundesverband der Deutschen Industrie

BDM

›Bund Deutscher Mädel‹

BIAC

Business and Industry Advisory Committee (OECD)

BMFT

Bundesministerium für Forschung und Technologie

BMJ

Bundesministerium der Justiz

BP

British Petroleum

BSI

British Standard Institute

BUND

Bund für Umwelt- und Naturschutz

CDP

Carbon Disclosure Project

CBI

Confederation of British Industry

CC

Corporate Citizenship

CCC

Clean Clothes Campaign

CDS

Centre des Démocrates Sociaux

CE

Comité d’Entreprise

CEFIC

Conseil Européen de l’Industrie Chimique

CEO

Chief Executive Officer

CERES

Coalition for Environmentally Responsible Economies

CFDT

Confédération Française Démocratique du Travail

legung/Sozialbilanzen‹ (DGB)

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454 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN CGC

Confédération Générale de Cadres

CGT

Confédération Générale du Travail

CGT-FO

Confédération Générale du Travail – Force Ouvrière

CIME

Committee on International Investment and Multinational Enterprises (OECD)

CJD

Centre des Jeunes Dirigeants d’Entreprise

CME

Coordinated Market Economies

CNPF

Conseil National du Patronat Français

COB

Commission des Opérations de Bourse

CONCAWE

Conservation of Clean Air and Water in Western Europe

COP

Communication on Progress

CPD

Centre des Jeunes Patrons

CRC

Centre de Recherches et d’Études des Chefs d’Entreprise

CSR

Corporate Social Responsibility

DAF

Deutsche Arbeitsfront

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

DGfP

Deutsche Gesellschaft für Personalführung

DHEW

Department of Health, Education and Welfare (USA)

DIHT

Deutscher Industrie- und Handelstag

DIN

Deutsches Institut für Normung

DINTA

Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung

DJSI

Dow Jones Sustainability Index

DPRG

Deutsche Public Relations Gesellschaft

ECOSOC

United Nations Economic and Social Council

EDV

Elektronische Datenverarbeitung

EIRIS

Ethical Investment Research Services

EMAS

Eco-Management and Audit Scheme

EG

Europäische Gemeinschaft

EU

Europäische Union

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

FSC

Forest Stewardship Council

FTSE

Financial Times Stock Exchange

GAAP

Generally Accepted Accounting Principles

GAO

General Accounting Office (USA)

GBV

Geschäftsführender Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes

GDI

Gottlieb Duttweiler Institut

GHG

Greenhouse Gases

GRI

Global Reporting Initiative

GTZ

Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit

GuV

Gewinn- und Verlustrechnung

HBS

Hans-Böckler-Stiftung

A NHANG

HdA

›Humanisierung des Arbeitslebens‹

HDI

Human Development Indicator

HJ

›Hitler-Jugend‹

HR

Human Resource

IAO

Internationale Arbeitsorganisation (siehe auch ILO)

IASB/IASC

International Accounting Standards Board/Committee

IBM

International Business Machines Corporation

ICAEW

Institute of Chartered Accountants in England and Wales

ICC

International Chamber of Commerce

IDEP

Institut de l’Entreprise

IdW

Institut der Wirtschaftsprüfer

IFEU

Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg

IFRS

International Financial Reporting Standards

IG BCE

Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie

IG CPK

Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik

IGM

Industriegewerkschaft Metall

ILO

International Labour Organization (siehe auch IAO)

Imug

Institut für Markt – Gesellschaft - Umwelt

IPCC

Intergovernmental Panel on Climate Change

IOE

International Organisation of Employers

IÖW

Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung

ISEA

Institute for Social and Ethical AccountAbility

ISEW

Index of Sustainable Economic Welfare

ISO

International Organization for Standardization

IT

Informationstechnologie

IW

Institut der deutschen Wirtschaft

JO

Journal Officiel de la République Française

KdF

›Kraft durch Freude‹

KIS

Kennziffern-Informations-System

KMU

Kleine und mittlere Unternehmen

LME

Liberal Market Economies

LSA

Libre Service Actualité

MAB

Mitarbeiterbesprechung

MEDEF

Mouvement des Entreprises de France

MGB

Migros-Genossenschafts-Bund

MIT

Massachusetts Institute of Technology

MNU

Multinationale(s) Unternehmen

NAA

National Association of Accountants (USA)

NASA

National Aeronautics and Space Administration

NCC

National Consumer Council (GB)

NGG

Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten

| 455

456 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN NGRS

National Goals Research Staff (USA)

NGO

Non-Governmental Organization

NKS

Nationale Kontaktstelle (OECD)

NPO

Non-Profit Organization

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development

OMB

Office of Management and Budget (USA)

OPEC

Organization of Petroleum Exporting Countries

PERI

Public Environmental Reporting Initiative

PR

Public Relations

QHSE

Quality, Health, Safety, Environment (Shell)

RA

Rechtsanwalt

RAF

Rote Armee Fraktion

RAG

Ruhrkohle AG

REACh

Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals

RNE

Rat für Nachhaltige Entwicklung

SA 8000

Social Accountability 8000

SAEG

Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaft

SAI

Social Accountability International

SOA

Sarbanes-Oxley Act

SEC

Securities and Exchange Commission (USA)

SGB

Schweizer Gewerkschaftsbund

SRI

Socially Responsible Investment

STEAG

Steinkohlen-Elektrizität AG

TA

Technology Assessment, Technikfolgenabschätzung

TA Luft

Verwaltungsrichtlinie »Technische Anleitung Luft«

TRI

Toxic Release Inventory

TUAC

Trade Union Advisory Committee (OECD)

TUC

Trades Union Congress (GB)

UDF

Union pour la Démocratie Française

UGR

Umweltökonomische Gesamtrechnung

UIMM

Union des Industries Métallurgiques et Minières

UN

United Nations

UNCTAD

United Nations Conference on Trade and Development

UNCTC

United Nations Centre on Transnational Corporations

UNEP

United Nations Environment Programme

UNGC

United Nations Global Compact

VCI

Verband der Chemischen Industrie

Verdi

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft

VGR

Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

WBCSD

World Business Council for Sustainable Development

WP

Wirtschaftsprüfer

A NHANG

| 457

WSI

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut des DGB (ehem. WWI)

WSR

Wertschöpfungsrechnung

WWF

World Wildlife Fund

WWI

Wirtschaftswissenschaftliches Institut des DGB

WZB

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

458 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Sozialer Nutzen und Schaden in der Unternehmensrechnung | 107! Tabelle 2: Die zehn Prinzipien des Global Compact | 452! Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Kolonie Hemshof | 41! Abbildung 2: Haushaltungsschule und Wöchnerinnen-Asyl | 41! Abbildung 3: Managementsystem und externe Berichterstattung | 121! Abbildung 4: Zeitgenössische Karikatur zur Sozialbilanz-Debatte | 161! Abbildung 5: Bau des Kraftwerkes Bergkamen | 180! Abbildung 6: Von Dierkes inspiriertes Schaubild zum Zielsystem Pieroths | 195! Abbildung 7: Unternehmensbeziehungen von Pieroth im Stakeholder-Modell | 196! Abbildung 8: Der Einfluss der BASF auf die wirtschaftlichen Bedingungen in Entwicklungsländern | 215! Abbildung 9: Unternehmensziele der Deutschen Shell AG | 231! Abbildung 10: Die Expertenrunde des Arbeitskreises Sozialbilanz-Praxis | 278! Abbildung 11: Sozialberichterstattung in Geschäftsberichten | 326! Abbildung 12: Sozialberichterstattung in der chemischen Industrie | 326! Abbildung 13: Sozialberichterstattung von Dienstleistungs- und Handelsunternehmen | 328! Abbildung 14: Sozialberichterstattung in der Energie-Industrie | 328! Abbildung 15: Sozialberichterstattung in der Automobilindustrie | 329! Abbildung 16: Umweltberichterstattung in Geschäftsberichten | 331! Abbildung 17: Umweltberichterstattung in der Energie-Industrie | 331! Abbildung 18: Umweltberichterstattung in der chemischen Industrie | 332! Abbildung 19: Umweltberichterstattung in der Automobilindustrie | 333! Bildrechte Abbildung 1-2: BASF SE Abbildung 3: Professor Dr. Meinolf Dierkes Abbildung 6-7: WIV Wein International AG Abbildung 9: Shell

A NHANG

Q UELLEN

UND

| 459

L ITERATUR

Archivalien und archivierte Druckschriften DGB-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung e.V., Bonn

Bestand des DGB-Bundesvorstandes 24/630 (Alt-Sign.) Abteilung Gesellschaftspolitik/Grundsatz 24/697 (Alt-Sign.) 24/765 (Alt.-Sign.) 24/9245 (Alt-Sign.) 5/DGAK 000028 24/7207 (Alt-Sign.), Abteilung Gesellschaftspolitik/Arbeitsrecht 5/DGBR 5/DGAI 000232 Abteilung Vorsitzender 5/DGAI 000254 5/DGAI 002693 5/DGAI 002696 5/DGAI 002697 5/DGCS 000009 Sekretariat Martin Heiß 5/DGCU 000103 Sekretariat Günter Stephan Bestand WWI/WSI im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-EbertStiftung e.V., Bonn Unverzeichnete Akten Titel: Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. I-III (Laufzeit 1978-1981) Bundesarchiv Koblenz (BArch) B 141/73603 Bundesministerium d. Justiz, Handelsgesellschaften B 141/67680 und stille Gesellschaften: Gesetzentwurf über die B 141/67681 Unternehmensverfassung in Großunternehmen und Konzernen – Unternehmensrechtskommission B 196/51604 Bundesministerium für Forschung u. Technologie

460 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN

Bibliothek der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Berlin Rundschreiben; H III 404 (Laufzeit: 1970-1980) Abteilung IV Arbeitsmarkt/Berufsbildung Abteilung VII Soziale Betriebsgestaltung Abteilung VIII Presse Abteilung IX Europapolitik Pressedienst der deutschen Arbeitgeberverbände (PDA) Montanhistorisches Dokumentationszentrum beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum 32/1161-1163 Werkszeitung der Bergwerksgesellschaft Hibernia, hrsg. im Dinta in der DAF 32/3847 Geschäftsberichte Preußag 11/1950-11/1962 Rheinpreußen Werkszeitung Werk und Mensch; Belegschafts- und Sozialberichte (Sonderhefte der Werkszeitung) Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) 40001/33 Bestand Burandt: BDA Presse- und Informationsabteilung; BDI Arbeitskreis Pressefragen 1968-1969 40010146/175 Bestand Hermann Reusch (Verbände, Vereine): BDI/Gesprächtskreis Wissenschaft und Wirtschaft 121-135-3 Bestand Fa. Leopold Krawinkel 30-99-2 DIHT Arbeitskreis Umwelt Geschäftsberichte, Sozialberichte, Sozialbilanzen, Presseschau: 24, 25, 673 BASF 35, 35a, 361, 362, 932 Bayer 348 Bertelsmann 378, 1187 BMW 66, 66a, 420, 421 Daimler 69, 414 Degussa 73, 74, 75, 950, Deutsche Bank 3-12-12 93, 1281 Dresdner Bank 110, 1183 Esso 916 IBM 14, 166, 961, 1226 Karstadt 215, 1276 Opel

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87, 409 313 367

| 461

Deutsche Shell VW Jahresberichte BDI

Unternehmensarchiv der Bertelsmann AG (UA BAG), Gütersloh 0046/449 Reinhard Mohn, Aufsichtsrat ZÖ 0007/316 (1), Zentrale Öffentlichkeitsarbeit (Leitung); ZÖ 0007/296 (3) und Manfred Harnischfeger ZÖ 0007/377 0058/49 (1) Hauptverwaltung, Dr. Georg Türnau 0058/49 (3) (ZA/ZP/ZT/ZK/ZU/ZC) UP 2, UP 11 Personal- u. Sozialberichte, Sozialbilanzen

! BASF SE Unternehmensarchiv (BASF UA), Ludwigshafen C 720/20 Berichte über Die Wohlfahrtseinrichtungen für die Arbeiter (1900-1912) C 6002 BASF Sozialbilanz C 604 Personal- und Sozialabteilung: Schriften Lobenwein; Jahresberichte Personal- und Sozialbereich 1965-1968 [1947-1968] R 8004 Umweltberichte 1988-1997 Presseinformationen: Nachhaltigkeitsberichte 2000, 2003 Evonik Konzernarchiv Frankfurt a. M. RPW Druckschriften Degussa Personal- und Sozialberichte 1940/41 STEAG Sozialbilanzen 1972/73-1980 Eigene Interviews Prof. Dr. Meinolf Dierkes, Berlin, 19. Oktober 2010. Prof. Dr. Michael Kittner, Telefoninterview, 22. September 2010. Hans-Detlev Küller, Berlin, 23. November 2010. Dr. Franz Netta, Gütersloh, 19. November 2010. Manfred Reimann, Ludwigshafen-Maxdorf, 28. Februar 2011.

462 | D AS » GUTE « U NTERNEHMEN

Gedruckte Quellen und Literatur Detaillierte Angaben zu gedruckten Artikeln aus Zeitungen und nicht-wissenschaftlichen Zeitschriften befinden sich in den Fußnoten der entsprechenden Textstellen. Digitale Quellen – in den Fußnoten durch den Vermerk »URL« gekennzeichnet – sind in einem gesonderten Verzeichnis ab Seite 521 aufgeführt.

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A NHANG

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Ausgewertete Unternehmensschriften Geschäftsberichte (GB), Sozialbilanzen, Sozialberichte (SB), Ökobilanzen/ Umweltberichte (UB), Werkszeitschriften (WZ), Corporate-Social-ResponsibilityReports/Nachhaltigkeitsberichterstattung/Sustainability-Reports (SR) Unternehmen BASF

Bayer

Bertelsmann

BMW Daimler Degussa Deutsche Bank Dresdner Bank Esso Glanzstoff Hewlett Packard Hibernia IBM Karstadt Migros Opel Pieroth Preußag

Typ GB SB UB SR GB SB GB/SB UB SR GB GB/SB SB UB SR GB GB SB GB SB GB GB SB GB SB SB WZ GB GB SB GB SB GB

Jahrgänge 1952-2002 1900, 1908, 1912, 1972-1987 1988-1997, 2000-2002 2000-2013 1924, 1952-2000, 2013 1976 1951 1993, 1995, 1997 1999 1971-2000/01, 2011-2014 1978/79-1989/90 1974, 1976/77, 1988/89-1997/98 2008, 2010, 2012, 2014 2005, 2008-2010, 2010/11, 2012, 2012/13, 2013 1948-2000 1945-2000 1954 1919-2002 1940/41, 1972/73-1986/87, 2003, 2004 1900-2004 1911-2003 1942 1948-1999 1949/50-1955 1982 1934-1937 1972-1997 1948-2000 1977, 1980, 1983, 1986 1948-2000 1973/74, 1975/76 1924-1940

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RAG Rank Xerox Rheinbraun Rheinpreußen Rhenania-Ossag Saarbergwerke

Deutsche Shell

STEAG Stinnes VW Zellstofffabrik Waldhof

SB SB GB SB SB SB UB WZ GB SB UB SR SB SR SB GB SB

1997-2003 1976 1951-2000 1952, 1956, 1959 1935/36-1939 1973-1997 1974 [und als SB 1987, 1995] 1955-1981 1951-1999 1975-1989 (integriert in GB) 1997, 1998 1998-2013 (Royal Dutch/Shell) 1971/72-1982 2013, 2014 1956 1948-2002 1948/50-1955

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Digitale Quellen und Literatur Die letzte Prüfung der Adressen erfolgte am 28. April 2016. Abt Associates – Our History URL: http://www.abtassociates.com/About-Us/Our-History.aspx Abt Associates – Practice Areas URL: http://www.abtassociates.com/Practice-Areas.aspx BASF Nachhaltigkeit URL: https://www.basf.com/de/company/sustainability.html B.A.U.M. – Historie URL: http://www.baumgroup.de/ueber-uns/historie/ B.A.U.M. – Wer wir sind URL: http://www.baumev.de/Wer_wir_sind.html Beirat Umweltökonomische Gesamtrechnungen beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Umweltoekonomi scheGesamtrechnungen/BeiratUgr.html Beirat Umweltökonomische Gesamtrechnungen, Umweltökonomische Gesamtrechnungen: Vierte und abschließende Stellungnahme zu den Umsetzungskonzepten des Statistischen Bundesamtes URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Umweltoekonomi scheGesamtrechnungen/VierteStellungnahmeBeiratUGR.pdf;jsessionid=8EA57 F1393A664D92CB600DF3D24F25F.cae2?__blob=publicationFile Bertelsmann Mitarbeiterbefragung URL: http://www.bertelsmann.de/verantwortung/mitarbeiter/mitsprache/mitar beiterbefragung/ Bertelsmann Corporate Governance URL: http://www.bertelsmann.de/investor-relations/bertelsmann-im-ueberblick/ corporate-governance/ Bertelsmann Stiftung CRI URL: http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/cri-corporateresponsibility-index/projektnachrichten/cri-konferenz/ Berthoin Antal, Ariane; Sobczak, André, Endogenous and Exogenous Factors for Change in Concepts and Practices of Corporate Social Responsibility, Corporate Citizenship and the Politics of Stakeholder influence: Learning from the Case of France, Conference Paper Ljubljana Juli 2004. URL: https://www.wzb.eu/www2000/gwd/kneu/pdf/egos_2004.pdf Bernstein, Adam, »David Linowes: Economist and Educator«, in: Washington Post (01.11.2007). URL: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2007/10/31/AR 2007103102942.html

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BMJ – Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) (2016) URL: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/ RefE_CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1 CAEF – Centre des Archives Économiques et Financières (Ministère des Finances et des Comptes Publics; Ministère de l’Economie, de l’Industrie et du Numérique): Commission des Opérations de Bourse (COB) URL: http://www.economie.gouv.fr/caef/commission-des-operations-boursecob?language=fr CJD – Centre des Jeunes Dirigeants d’Entreprise: Histoire et origine URL: http://www.jeunesdirigeants.fr/Default.aspx?tabid=54 CSEAR – Centre for Social and Environmental Research: D.F. Linowes, SocioEconomic Operating Statement (Reproduktion) URL: https://www.st-andrews.ac.uk/media/csear/app2practice-docs/CSEAR_ csr-linowes-better.pdf CSEAR – Centre for Social and Environmental Research: Abt Associates Inc., Social and Financial Balance Sheet and Income Statement URL: https://www.st-andrews.ac.uk/media/csear/app2practice-docs/CSEAR_ estesabt.pdf CSR Europe – History URL: http://www.csreurope.org/history CSR Germany URL: http://www.csrgermany.de/www/csr_cms_relaunch.nsf/id/home-de Deutscher Corporate Governance Kodex (2010) URL: http://www.dcgk.de/de/kodex/archiv.html Deutsches Global Compact Netzwerk URL: http://www.globalcompact.de/de/ueber-uns/deutsches-netzwerk/ DGB-Index Gute Arbeit URL: http://index-gute-arbeit.dgb.de DGB Presse »Bündnis für Arbeit und Umwelt« (21.10.1999) URL: http://www.dgb.de/presse/++co++e78c7d12-1551-11df-4ca9-00093d10 fae2 Econsense URL: http://www.econsense.de Entreprise et Progrès – L’histoire URL: http://entrepriseprogres.com/?page_id=97 Europäisches Parlament – Lissabon-Strategie URL: http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/media/Lexikon/Pdf/Lissa bon_Strategie.pdf

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Europäische Union – Amtsblatt: Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 URL: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014 L0095&from=DE G8 Summit Heiligendamm, Growth and Responsibility in the World Economy: Summit Declaration (07.06.2007) URL: http://www.g-8.de/Content/EN/Artikel/__g8-summit/anlagen/2007-0607-gipfeldokument-wirtschaft-eng,templateId=raw,property=publicationFile.pdf /2007-06-07-gipfeldokument-wirtschaft-eng.pdf GHG Protocol URL: http://www.ghgprotocol.org/about-ghgp Global Reporting Initiative’s History URL: https://www.globalreporting.org/information/about-gri/gri-history/Pages/ GRI's%20history.aspx Global Reporting Initiative G4, Reporting Principles and Standard Disclosures URL: https://www.globalreporting.org/resourcelibrary/GRIG4-Part1-ReportingPrinciples-and-Standard-Disclosures.pdf HBS – Hans Böckler Stiftung: CSR URL: http://www.boeckler.de/themen_35349.htm HID – Human Development Index URL: http://hdr.undp.org/en/content/human-development-index-hdi Heinemann, Isabel, »Wertewandel«, Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte (22.10.2012). URL: http://docupedia.de/zg/Wertewandel IDEP – L’Institut de l’Entreprise, Histoire URL: http://www.institut-entreprise.fr/histoire IFEU Heidelberg, Referenzliste Ökobilanzen URL: http://www.ifeu.de/index.php?bereich=oek&seite=refoek ILO – International Labour Organization, Tripartite Declaration of Principles concerning Multinational Enterprises and Social Policy (1977) URL: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:62:0::NO:62:P62_LIST_ ENTRIE_ID:2453910:NO ILO – International Labour Organization, Conventions URL: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:12000:0::NO:: P12000_INSTRUMENT_SORT:1 ICAEW – Institute of Chartered Accountants in England and Wales: History and Development URL: http://www.icaew.com/en/library/subject-gateways/accounting-standards/ knowledge-guide-to-uk-accounting-standards ISO Working Group, Guidance on Stakeholder Categories in the ISO/TMB/WG SR, Nr. 48/1

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URL: http://isotc.iso.org/livelink/livelink?func=ll&objId=3974907&objAction= browse&viewType=1> ISO Technical Management Board, Participating in the future International Standard ISO 26000 on Social Responsibility (2006) URL: http://www.iso.org/iso/iso26000_2006-en.pdf ISO 26000:2010 Preview/Content URL: https://www.iso.org/obp/ui/#iso:std:iso:26000:ed-1:v1:en ISO/GRI G 4, How to use the GRI G4 Guidelines and ISO 26000 in conjunction (2014) URL: http://www.iso.org/iso/iso-gri-26000_2014-01-28.pdf Migros-Genossenschafts-Bund – Geschichte URL: http://www.migros.ch/de/ueber-die-migros/geschichte/geschichteslider.html OECD-ILO-Konferenz zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen, Beschäftigung und Arbeitsbeziehungen: Förderung eines verantwortlichen unternehmerischen Handelns in einer globalisierten Weltwirtschaft, Paris (23.24.06.2008) URL: http://www.oecd.org/berlin/41988592.pdf Office of Natural Resources Revenue, Fiscal Accountability of the Nation’s Energy Resources (Linowes Report, 1982) URL: http://www.onrr.gov/Laws_R_D/FRNotices/PDFDocs/linowesrpt1-5.pdf Pieroth/ WIV Wein International AG URL: http://www.wiv-ag.com/web/de/690.htm RNE – Rat für Nachhaltige Entwicklung, Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (2012) URL: https://www.nachhaltigkeitsrat.de/fileadmin/_migrated/media/RNE_Der_ Deutsche_Nachhaltigkeitskodex_DNK_texte_Nr_41_Januar_2012_02.pdf SA 8000 (2008) URL: http://www.sa-intl.org/_data/n_0001/resources/live/2008StdEnglishFinal. pdf SA 8000 (2014) URL: http://sa-intl.org/_data/n_0001/resources/live/SA8000%20Standard%20 2014.pdf Servenay, David, »UIMM: un siècle de pressions patronales«, in: Rue89 (21.03.2008) URL: http://www.rue89.com/2008/03/21/uimm-un-siecle-de-pressionspatronales Shell Sustainability URL: http://www.shell.com/sustainability.html Statistisches Bundesamt: Erwerbstätige in Deutschland nach Geschlecht und Stellung im Beruf (1957-2011)

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URL: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/link/tabelleErgebnis/122 11 -0006 STEAG – Eigentümer URL: https://www.steag.com/s-eigentuemer.html STEAG – Historie URL: https://www.steag.com/s-historie.html Steets, Julia; Weihe, Thomas, »Corporate Social Responsibility – What We Could Learn from the Past - Draft«, Conference Paper Humboldt Universität Berlin (Oktober 2006) URL: http://old.gppi.net/fileadmin/gppi/Weihe_Steets_lessonsfromthepast.pdf SustainAbility – History URL: http://www.sustainability.com/history Transcript – Sozial- und Wertschöpfungsrechnungen (externer Anhang) URL: http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3495-2/das-guteunternehmen (zuletzt geprüft am 03.06.2016) UN Code of Conduct on Transnational Corporations URL: http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/45/186 UNCTAD, Set of Principles and Rules on Competition (2000) URL: http://unctad.org/en/docs/tdrbpconf10r2.en.pdf UNGC – COP Policy URL: http://www.unglobalcompact.org/docs/communication_on_progress/COP _Policy.pdf UNGC – Participants URL: http://www.unglobalcompact.org/ParticipantsAndStakeholders/index. html UNGC – COP STEAG URL: https://www.unglobalcompact.org/COPs/active/25431 UNGC – The Ten Principles URL: http://www.unglobalcompact.org/AboutTheGC/TheTenPrinciples/index .html UN Press Release (SG/SM/6881), Secretary-General Davos (1999) URL: http://www.un.org/News/Press/docs/1999/19990201.sgsm6881.html University of Illinois Archives – David F. Linowes Papers URL: http://archives.library.illinois.edu/uasfa/1518033.pdf ZBW – Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften – LeibnizInformationszentrum Wirtschaft: Sozialberichte Rhenania-Ossag Mineralölwerke AG (1935/36, 1937-39) URL: http://zbw.eu/beta/p20/company/6165/about.de.html ZBW – »Der soziale Gedanke im Vordergrund« [o.A.], in: Hamburger Fremdenblatt 135 (17.05.1938) URL: http://zbw.eu/beta/p20/company/6165/00082/0001

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Sustainability/CSR-Reports BASF – Publikationen URL: https://www.basf.com/de/company/about-us/publications.html Bertelsmann Verantwortung – Publikationen URL: http://www.bertelsmann.de/verantwortung/zahlen-und-fakten/ publikationen/ Bertelsmann – Geschäftsberichte URL: http://www.bertelsmann.de/investor-relations/finanzpublikationen/ finanzberichte/ RAG – Publikationen URL: http://www.rag.de/publikationen/ Shell – Sustainability Reports URL: http://reports.shell.com/sustainability-report/2013/servicepages/previous. html UNGC – STEAG Fortschrittsmitteilung 2015 URL: http://www.steag.com/fileadmin/user_upload/www-steag-com/unter nehmen/verantwortung/GlobalCompact2015-DE-150907.pdf

Histoire Stefan Poser Glücksmaschinen und Maschinenglück Grundlagen einer Technik- und Kulturgeschichte des technisierten Spiels Dezember 2016, ca. 340 Seiten, kart., ca. 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3610-9

Dietmar Hüser (Hg.) Populärkultur transnational Lesen, Hören, Sehen, Erleben im Europa der langen 1960er Jahre November 2016, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3133-3

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.) Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie August 2016, 296 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3021-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Histoire Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.) Das Personal der Postmoderne Inventur einer Epoche 2015, 272 Seiten, kart., 19,99 €, ISBN 978-3-8376-3303-0

Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.) Zeitgeschichte des Selbst Therapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung 2015, 394 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3084-8

Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.) Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2366-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de