126 106 3MB
German Pages 370 [369] Year 2021
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel
Band 202
Guarantees of Non-Repetition Die Anordnung struktureller Reformen durch den Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte
Von
Philipp Stöckle
Duncker & Humblot · Berlin
Philipp Stöckle
Guarantees of Non-Repetition
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von Andreas von Arnauld, Nele Matz-Lück und K e r s t i n v o n d e r D e c k e n Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht
Band 202
Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics James Crawford International Court of Justice, The Hague Lori F. Damrosch Columbia University, New York Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis Eibe H. Riedel Universität Mannheim
Allan Rosas Court of Justice of the European Union, Luxemburg Bruno Simma Iran-United States Claims Tribunal, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit, Heidelberg
Guarantees of Non-Repetition Die Anordnung struktureller Reformen durch den Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte
Von
Philipp Stöckle
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-15899-7 (Print) ISBN 978-3-428-55899-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im November 2018 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis Juni 2020 berücksichtigt. Danken möchte ich an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Andreas von Arnauld, der diese Arbeit von der ersten Idee bis zum vorliegenden Buch begleitet hat. Frau Prof. Dr. Kerstin von der Decken danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und viele hilfreiche Anmerkungen zum Manuskript. Beiden, gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Nele Matz-Lück, danke ich zudem für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Diese Arbeit hat erheblich von zwei Forschungsaufenthalten profitieren können, die ich als Gast am Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in San José und am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg verbringen durfte. Insbesondere Herrn Oscar Parra Vera möchte ich in diesem Zusammenhang für seine Gesprächsbereitschaft und die Einblicke in die Funktionsweise des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs danken. Dem Graduiertenzentrum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst danke ich für die finanzielle Unterstützung, die diese Aufenthalte ermöglicht haben. Meinen herzlichen Dank möchte ich ferner all jenen aussprechen, mit denen ich in den letzten Jahren über meine Arbeit diskutieren konnte und deren Anregungen und Gedanken ein Teil dieser Arbeit geworden sind. Dies sind neben meinen ehemaligen Lehrstuhlkolleg*innen insbesondere einige jener Menschen, die ich im Rahmen von Doktorandenseminaren in Kiel und Kopenhagen, in der Bibliothek des Rechtshauses in Köln sowie während meiner Aufenthalte in San José und Heidelberg kennen gelernt habe. Besonders hervorheben möchte ich meine Kolleg*innen und Freund*innen Sinthiou Buszewski, Carina Calabria, Stefan Martini und Tobias Schröder, dem ich zudem für seine kritische Lektüre des Manuskripts danke. Mein besonderer Dank gilt weiterhin meinen Eltern für ihren Zuspruch und ihre vielfältige Unterstützung. Den größten Dank möchte ich schließlich meiner Frau Lisa und meiner Tochter Emilia aussprechen, weil sie alles Schwere, nicht zuletzt den Abschluss dieser Arbeit, leicht machen. Köln, im August 2020
Philipp Stöckle
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Teil 1 Die Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
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§ 1 Die objektive Rechtsschutzfunktion der Menschenrechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . 23 A. Faktische Anknüpfungspunkte der objektiven Rechtsschutzfunktion . . . . . . . . . . . 24 I. Befassung des IAGMR mit paradigmatischen Beschwerdeverfahren . . . . . . . 24 II. Begrenzte Ressourcen und „aktivistische“ Richterpersönlichkeiten . . . . . . . . 32 B. Rechtliche Anknüpfungspunkte der objektiven Rechtsschutzfunktion . . . . . . . . . . 35 I. Die Vorlagebefugnis der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission 35 1. Konzentration auf strukturell begründete Rechtsverletzungen . . . . . . . . . . . 35 2. Vertretung objektiv-rechtlicher Interessen im Beschwerdeverfahren . . . . . . 37 II. Die privilegierte Rolle von NGOs im Inter-Amerikanischen System . . . . . . . 38 1. Befugnis von NGOs zur strategischen Prozessführung . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Beteiligungsrechte von NGOs im Verfahren vor dem IAGMR . . . . . . . . . . 40 3. Besondere Bedeutung von amicus curiae-Schriftsätzen . . . . . . . . . . . . . . . 41 C. Ausprägungen der objektiven Rechtsschutzfunktion in den Urteilswirkungen . . . 42 I. Urteilswirkung im konkreten Fall: Befolgungspflicht des verurteilten Staats 42 II. Urteilswirkung in Parallelfällen: conventionality control-Doktrin und guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 § 2 Die Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 A. Die Rechtsfolgenkompetenzen des IAGMR nach Art. 63 Abs. 1 AMRK . . . . . . . 47 B. Das Konzept der reparación integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Ein opferzentriertes Verständnis der Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Institutionelle Hintergründe im Verfahren der Urteilsüberwachung . . . . . . . . 56 III. Konzeptionelle Hintergründe im Transitional Justice-Diskurs . . . . . . . . . . . . . 58 C. Guarantees of non-repetition im Kontext der weiteren Rechtsfolgenanordnungen 61 I. Maßnahmen zum Ausgleich und zur Wiederherstellung im konkreten Fall . . 61 1. Berechtigte der Wiedergutmachungsanordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Ersetzbare Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
8
Inhaltsverzeichnis 3. Die Anordnungen des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Entschädigung (compensation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Symbolische Maßnahmen: Öffentlichkeitswirksame Anerkennung und Erinnerung (satisfaction) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Die Praxis des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Individuelle und kollektive Dimensionen der satisfaction . . . . . . . . . . . . . . 79 III. Strafverfolgung individuell verantwortlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Teil 2 Die guarantees of non-repetition des IAGMR
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§ 1 Begriff und Typologie der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 A. Der Begriff der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 I. Guarantees of non-repetition in den Sondervoten Cançado Trindades . . . . . . 90 II. Guarantees of non-repetition als Synonym für präventive Dimensionen der Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 III. Guarantees of non-repetition als Sammelbegriff für strukturelle Anordnungen 96 B. Die Typologie der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Anpassung der Rechtslage an die Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Aufhebung und/oder Neuregelung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Erlass von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Anwendungssperren für konventionswidrige Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Feststellung der Nichtigkeit von Amnestiegesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Stärkung oder Reform von staatlichen Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Stärkung oder Reform bestimmter staatlicher Institutionen . . . . . . . . . . . . . 111 2. Allgemein ausgerichtete Reformprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Staatsbeamte und andere Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 IV. Menschenrechtsbildungs- und Sensibilisierungskampagnen . . . . . . . . . . . . . . 122 § 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 A. Vorliegen von irreparablen Beeinträchtigungen der Opfer im konkreten Fall . . . . 125 B. Verletzung der Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte im innerstaatlichen Rechtsraum (Art. 2 AMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Die Verknüpfung zwischen den guarantees of non-repetition und Art. 2 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Strukturelle Defizite des Menschenrechtsschutzes als Verletzung des Art. 2 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Inhaltsverzeichnis
9
2. Guarantees of non-repetition als nachholende Erfüllung der Pflichten aus Art. 2 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Die Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit Art. 2 AMRK in der Praxis des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Anknüpfung an Art. 2 AMRK bei der Anpassung der Rechtslage an die Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Uneinheitliche Praxis bei institutionell ausgerichteten guarantees of nonrepetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Teilweise Verknüpfung mit der Feststellung einer Verletzung von Art. 2 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Überwiegend bloße Verweise auf einen Kontext struktureller Defizite
145
C. Andauern struktureller Defizite bis zur Entscheidung des IAGMR . . . . . . . . . . . . 149 D. Weitere Entscheidungskriterien im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. Die politische Opportunität von Reformanordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Die Schwere der Konventionsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 III. Der Informationsstand des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 § 3 Die Bestimmtheit und die Konkretisierung der guarantees of non-repetition . . . . . . . 160 A. Bestimmtheit der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B. Konkretisierung der guarantees of non-repetition durch den IAGMR . . . . . . . . . . 163 I. Inhaltsbestimmung durch Verweis auf den Schutzbereich des verletzten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 II. Einzelhinweise zur Umsetzung der Anordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 III. Verbindlicherklärung konkreter Reformvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 § 4 Die Verbindlichkeit der guarantees of non-repetition und ihre Überwachung durch den IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 A. Verbindlichkeit aus Sicht des IAGMR und des Rechts der Konventionsstaaten . . 172 I. Die Verbindlichkeit aus Sicht des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 II. Die Verbindlichkeit nach dem Recht der Konventionsstaaten – ein Überblick 174 B. Überwachung der Urteilsumsetzung durch den IAGMR (Compliance-Phase) . . . . 177 I. Hintergrund und Entwicklung der Compliance-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Das Verfahren in der Compliance-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 C. Die Umsetzung und die Wirksamkeit der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . 184
Teil 3 Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
190
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 A. Der Maßstab der Gerichtsbarkeit ratione materiae des IAGMR (Art. 62 AMRK) 193
10
Inhaltsverzeichnis B. Die funktionale Bestimmung der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Die Überprüfung struktureller Menschenrechtsverletzungen als Teil der Funktionen der Gerichtsbarkeit des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Die subjektive Rechtsschutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Die objektiv-rechtlichen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 III. Die narrative Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen . . . . . . . . . . . . . . . 213 A. Der Ansatz des IAGMR: Rückgriff auf das völkerrechtliche Institut der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Art. 63 Abs. 1 AMRK als Verweis auf das allgemeine Völkerrecht . . . . . . . . 214 II. Guarantees of non-repetition im allgemeinen Recht der Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Entwicklung als Projekt der ILC – rudimentäre positiv-rechtliche Anerkennung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Fragmentarische Ausgestaltung in den ARSIWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Zwischenergebnis mit Blick auf die Anordnungsbefugnisse des IAGMR 235 III. Guarantees of non-repetition in den UN-Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Entwicklung der UN-Grundprinzipien im Transitional Justice-Kontext . . . 237 2. Fokus auf schwere Rechtsverletzungen und Transitionsprozesse . . . . . . . . 239 3. Unsichere positiv-rechtliche Geltung jenseits des Transitional JusticeKontexts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4. Zwischenergebnis mit Blick auf die Anordnungsbefugnisse des IAGMR 243 B. Die Grundlage der guarantees of non-repetition in Art. 63 Abs. 1 AMRK . . . . . 243 I. Art. 63 Abs. 1 AMRK als lex specialis für die Anordnungsbefugnisse des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Die Rechtsnatur der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Strukturelle Anordnungen als Form der Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . 248 2. Strukturelle Anordnungen als nachholende Erfüllung von Art. 2 AMRK
256
3. Zwischenergebnis: Die Doppelnatur der guarantees of non-repetition . . . . 258 III. Strukturelle Anordnungen als Teil der Befugnisse nach Art. 63 Abs. 1 AMRK 259 1. Strukturelle Anordnungen als Teil der subjektiven Rechtsschutzfunktion
259
a) Nachholende Erfüllung eines verletzten Rechts, Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Wiedergutmachung zugunsten der Opfer im Einzelfall, Art. 63 Abs. 1 S. 2 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Strukturelle Anordnungen als Teil der objektiv-rechtlichen Funktionen von Art. 63 Abs. 1 AMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 C. Anforderungen an die Anordnung struktureller Reformen durch den IAGMR . . . 267 I. Ausdrückliche Anknüpfung struktureller Anordnungen an Art. 2 AMRK . . . 267 II. Größere Transparenz bei der Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Inhaltsverzeichnis
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§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . 269 A. Die Anordnungskompetenzen des IAGMR und der Umsetzungsspielraum der Konventionsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I. Grundlage und Grenzen des Umsetzungsspielraums der Konventionsstaaten
272
II. Strukturelle Anordnungen als Eingriff in den Umsetzungsspielraum . . . . . . . 275 B. Die Steuerung der Anordnungsbefugnisse durch das Subsidiaritätsprinzip . . . . . . 277 I. Das Subsidiaritätsprinzip im internationalen Menschenrechtsschutz . . . . . . . . 277 II. Das Subsidiaritätsprinzip in der AMRK und in der Praxis des IAGMR . . . . . 280 1. Grundsätzlich geringe Bedeutung des Subsidaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . 282 2. Ansätze zur Subsidiarität in der jüngeren Praxis des IAGMR . . . . . . . . . . . 289 III. Die Maßstäbe des Subsidiaritätsprinzips für die Anordnungen des IAGMR 292 1. Die Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Berücksichtigung der Realitäten des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 C. Die guarantees of non-repetition im Lichte des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . 300 I. Vereinbarkeit der wesentlichen Parameter mit dem Subsidiaritätsprinzip . . . . 300 II. Die Grenzen des Subsidiaritätsprinzips und des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 A. Der Hintergrund der guarantees of non-repetition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 B. Inhalte, Voraussetzungen und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 C. Die Befugnisse des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 A. Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 B. Resolutionen/Beschlüsse/Dokumente Internationaler Organisationen . . . . . . . . . . 345 I. OAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 II. Vereinte Nationen allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 III. ILC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 C. Urteile und Beschlüsse internationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Urteile des IAGMR, inkl. Sondervoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II. Gutachten des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 III. Beschlüsse des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 IV. Urteile/Beschlüsse/Verfahrenshandlungen des IGH und StIGH . . . . . . . . . . . . 363 V. EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 VI. Sonstige Gerichte/Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Abkürzungsverzeichnis Abs. AfCHPR AMRK ARSIWA Art. Aufl. Bd. BGH CdBP
Absatz African Court on Human and Peoples’ Rights Amerikanische Menschenrechtskonvention Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts Artikel Auflage Band Bundesgerichtshof Interamerikanische Konvention zur Verhütung, Bestrafung und Beseitigung der Gewalt gegen Frauen („Convención de Belém do Pará“) CEDAW-Committee Committee on the Elimination of Discrimination against Women CRPD-Committee Committee on the Rights of Persons with Disabilities Doc. Document EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EuGH Europäischer Gerichtshof f./ff. folgende/folgenden (Plural) Fn. Fußnote GK Große Kammer HRC Human Rights Committee Hrsg. Herausgeber IAGMR Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte IAKMR Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte Ibid. Ibidem (ebenda) IGH Internationaler Gerichtshof ILC International Law Commission IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IStGH Internationaler Strafgerichtshof lit. litera (Buchstabe) NGO Non-Governmental Organization No. Number op. Rn. operative Randnummer Rn. Randnummer S. Seite StIGH Ständiger Internationaler Gerichtshof u. a. unter anderem/und andere UN United Nations VerfO Verfahrensordnung Vol. Volume WÜK Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
Einleitung In seinem Essay Recht und Zeit analysiert Gerhart Husserl, wie sich die Zeit im Bewusstsein der Menschen spiegelt, die mit dem Recht zu tun haben, d. h. in welchem Modus der Zeit sie das Recht erfahren und welche Zeitperspektive sie auf das Recht einnehmen.1 Er unterscheidet zunächst verschiedene Idealtypen: Den „Gegenwartsmenschen“, der allein das Heute zum Ansatzpunkt seines Handelns macht, den „Zukunftsmenschen“, der die Gegenwart primär als etwas Werdendes sieht, der plant und reformiert sowie den „Vergangenheitsmenschen“, dessen Blick rückwärts gerichtet ist und der aus der Vergangenheit Maßstäbe für Heute entnimmt.2 Diese Idealtypen repräsentieren für Husserl auch die Zeitperspektiven, in denen das Recht in den drei Staatsgewalten erfahren wird.3 Die Rechtsprechung ordnet er dabei dem „Vergangenheitsmenschen“ zu. Denn wie etwa die Anknüpfung an geschichtliche Tatbestände und das Ziel der Wiederherstellung des Zustands vor der Rechtsverletzung zeigten, richte sich der Ansatz der Judikative auf die Vergangenheit, während die Exekutive die Gegenwart verwalte und die Legislative die Zukunft plane.4 In dieser Vorstellung spiegelt sich die traditionelle Rollenbeschreibung von Gerichten: Die Auslegung des vorgegebenen Rechts, die Anwendung des Rechts auf Sachverhalte der Vergangenheit und die Bereinigung vergangenen Unrechts. Die Analyse Husserls erscheint auch im Völkerrecht mit Blick auf die Rolle des Internationalen Gerichtshofs zutreffend, der überwiegend als Institution zur Beilegung von Streitigkeiten verstanden wird und über Tatbestände der Vergangenheit und nicht über Entwicklungen der Zukunft urteilt.5 Die heutige Wirklichkeit internationaler Menschenrechtsgerichtshöfe erscheint der Analyse gleichwohl enteilt. Diese Gerichte haben sich Aufgaben zugewandt, die Husserl noch als Domäne des Gesetzgebers verstanden hätte, da sie in ihren Urteilen zunehmend planend und gestaltend auf die Gewährleistung der Menschenrechte in einzelnen Staaten einwirken. In Anbetracht andauernder struktureller Defizite bei der Gewährleistung der Menschenrechte sind diese Gerichte dazu übergegangen, in ihren Entscheidungen auch 1
Gerhart Husserl, Recht und Zeit: fünf rechtsphilosophische Essays, Frankfurt a. M. 1955, S. 41 ff. 2 Ibid., S. 46 ff. 3 Ibid., S. 52. 4 Ibid., S. 58 ff. 5 Mit Verweis auf Husserl auch Magnus Jesko Langer, Les assurances et garanties de nonrépétition: Entre rupture et continuité, in: Denis Alland u. a. (Hrsg.), Unité et diversité du droit international/Unity and Diversity of International Law. Ecrits en l’honneur du Professeur Pierre-Marie Dupuy/Essays in Honour of Professor Pierre-Marie Dupuy, Leiden 2014, S. 539 (569).
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„generelle“ oder, wie sie hier benannt werden sollen, „strukturelle“ Anordnungen zu treffen. Sie schreiben Reformprogramme vor, ordnen Gesetzesreformen an und überwachen die Umsetzung ihrer Anordnungen, um so in Zukunft die effektive Gewährleistung der Konventionsrechte zu erreichen.6 Damit wandelt sich auch der Charakter dieser Gerichte: Von Institutionen der Streitbeilegung und der Gewährung subjektiven Rechtsschutzes werden sie zu Institutionen, die dem Feld der Global Governance zugeordnet werden können.7 Das bekannteste Beispiel für diese Entwicklung ist das seit dem Jahr 2005 praktizierte Piloturteilsverfahren des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Vor dem Hintergrund einer Flut gleichartiger Beschwerden stellte die Große Kammer des EGMR erstmals im Fall Broniowski v. Poland im Rahmen einer Individualbeschwerde im Urteilstenor fest, dass in Polen bestimmte strukturelle Defizite bei der Achtung und Gewährleistung der Eigentumsrechte (Art. 1 ZP 1 EMRK) bestanden und forderte Polen zur Lösung dieser Probleme durch geeignete gesetzliche oder administrative Reformen sowie zur Schaffung innerstaatlicher Rechtsbehelfe auf.8 Die Beteiligten schlossen daraufhin einen Vergleich, der auch die Neuregelung von Gesetzen vorsah, woraufhin der EGMR die Beschwerde aus dem Register strich.9 Mittlerweile ist das Verfahren in Art. 61 VerfO-EGMR näher geregelt: Das Gericht kann eine Frist zur Urteilsbefolgung setzen (Abs. 5) und kann Parallelfälle aussetzen oder wieder aktivieren, um Druck auf den betroffenen Staat aufzubauen (Abs. 6). Der Ministerrat des Europarats priorisiert die Überwachung der Umsetzung der Anordnungen aus Piloturteilen.10 Bislang hat der EGMR in knapp dreißig Fällen Piloturteile erlassen; daneben finden sich strukturelle Rechtsfolgenanordnungen mittlerweile auch außerhalb des Piloturteilsverfahrens des EGMR 6 Bas¸ak C¸alı, Explaining variation in the intrusiveness of regional human rights remedies in domestic orders, International Journal of Constitutional Law 16 (2018), 214 (216 ff.); Alexandra Huneeus, Reforming the State from Afar: Structural Reform Litigation at the Human Rights Courts, The Yale Journal of International Law 40 (2015), 1; Dinah Shelton, Remedies in international human rights law, 3. Aufl., Oxford 2015, S. 278 ff.; Christine Gray, Remedies, in: Cesare Romano/Karen J. Alter/Yuval Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, Oxford 2014, S. 871 (890 ff.); Gerald L. Neumann, Bi-Level Remedies for Human Rights Violations, Harvard Journal of International Law 55 (2014), 323; Thomas M. Antkowiak, An Emerging Mandate For International Courts: Victim-Centered Remedies and Restorative Justice, Stanford Journal of International Law 47 (2011), 279. 7 Siehe hierzu Karen J. Alter/Laurence R. Helfer/Mikael Rask Madsen, International Court Authority, iCourts Working Paper 112/2017, S. 7 ff.; Karen J. Alter, The New Terrain of International Law: Courts, Politics, Rights, Princeton 2014; Armin von Bogdandy/Ingo Venzke, In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens, Berlin 2014; Geir Ulfstein, The International Judiciary, in: Jan Klabbers/Anne Peters/Geir Ulfstein (Hrsg.), The Constitutionalization of International Law, Cambridge 2009, S. 126. 8 EGMR (GK), Broniowski v. Poland, Urt. v. 22. 06. 2004, Nr. 31443/96, op. Rn. 3 f. 9 Ibid., Neue Juristische Wochenschrift 2006, 1312. 10 Siehe die Informationen über den Verlauf des Überwachungsverfahrens des Department for the Execution of Judgments of the European Court of Human Rights, abrufbar unter: https:// www.coe.int/en/web/execution/the-supervision-process.
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(„Art. 46-Urteile“).11 Ähnliche Entwicklungen von strukturellen Anordnungen finden sich auch außerhalb Europas: In der Praxis des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die Rechte der Völker12, in den – allerdings unverbindlichen – Empfehlungen der UN-Menschenrechtsinstitutionen13 und in den Anordnungen des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IAGMR). Strukturelle Anordnungen – die in Übernahme eines Begriffs aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit auch als guarantees of non-repetition bezeichnet werden14 – verändern die Rechtsnatur der Menschenrechtsbeschwerde. Es handelt sich dann nicht mehr allein um Verfahren zum subjektiven Rechtsschutz der individuellen
11 Vgl. Jens Meyer-Ladewig/Kathrin Brunozzi, Artikel 46 EMRK, Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention Kommentar, 4. Aufl., Baden-Baden 2017, Rn. 6; Helen Keller/ Cedric Marti, Reconceptualizing Implementation: The Judicialization of the Execution of the European Court of Human Rights Judgments, European Journal of International Law 4 (2015), 829 (838); Linos-Alexander Sicilianos, The Role of the European Court of Human Rights in the Execution of its own Judgments: Reflections on Article 46 ECHR, in: Anja Seibert-Fohr/Mark Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, Baden-Baden 2014, S. 285 (288 ff.). 12 Vgl. etwa, wenngleich mit weitem Beurteilungsspielraum des betroffenen Staates, AfCHPR, Tanganyika Law Society and Legal and Human Rights Centre and Reverend Christopher R. Mtikila v. United Republic of Tanzania, Urt. v. 14. 06. 2013, Nrn. 009&011/2011, op. Rn. 3; C¸alı, Explaining variation in the intrusiveness of regional human rights remedies in domestic orders, International Journal of Constitutional Law 16 (2018), 214 (224 ff.); Andrés Javier Rousset Siri, La Incipiente jurisprudencia de la Corte Africana de Derechos Humanos y de los Pueblos en materia de reparaciones: análisis comparativo con la experiencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, Anuario Argentino de Derecho Internacional 25 (2016), 61 (77 ff.). 13 Der UN-Menschenrechtsausschuss, nach dem 1. Fakultativprotokoll zum IpbPR zuständig für die Untersuchung von Individualbeschwerden, schlägt im Rahmen seiner Auffassungen (views) häufig auch generelle Maßnahmen (guarantees of non-repetition) vor, etwa die Aufhebung von Gesetzen oder institutionelle Reformen, vgl. HRC, Guidelines on measures of reparation under the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, 30. 11. 2016, CCPR/C/158, S. 3. Ähnliche Empfehlungen finden sich in der Praxis des Ausschusses zur Frauenrechtskonvention und des Ausschusses zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Beide Ausschüsse formulieren neben Maßnahmen zur Abhilfe und Wiedergutmachung im konkreten Fall regelmäßig einen ganzen Katalog von generellen Maßnahmen (general measures), die zur Verhinderung zukünftiger Verletzungen geboten erscheinen, vgl. CRPD-Committee, Marlon James Noble/Australia, Beschl. v. 02. 09. 2016, Nr. 7/ 2012, Rn. 9 lit. b (i); CRPD-Committee, Liliane Gröninger/Germany, Beschl. v. 04. 04. 2014, Nr. 2/2010, Rn. 7 lit. b; CEDAW-Committee, M. W./Denmark, Beschl. v. 22. 02. 2016, Nr. 46/ 2012, Rn. 6 lit. b (ii). 14 Vgl. zur „Versicherung der Nichtwiederholung“ (guarantee of non-repetition) im Recht der Staatenverantwortlichkeit Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2019, S. 185 (Rn. 436). Die hier untersuchten Anordnungen des IAGMR, ebenso wie etwa die Piloturteile des EGMR, weisen neben Gemeinsamkeiten allerdings auch Unterschiede zu den guarantees of non-repetition im Recht der Staatenverantwortlichkeit oder zu den Anordnungen des IGH unter diesem Begriff auf. Siehe dazu ausführlich unten S. 218 ff.
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Beschwerdeführer, sondern um „Musterprozesse“15, „class actions“16 oder um „structural reform litigation“17, da sie die Individualbeschwerde zum Ausgangspunkt für Erörterungen genereller Probleme und der Anordnung struktureller Reformen mit Breitenwirkung werden lassen. Diese Entwicklungen werfen in völkerrechtlicher Hinsicht eine Vielzahl von Fragen auf: Inwieweit lässt ein zunächst auf den individuellen Rechtsschutz ausgerichtetes Verfahren strukturelle Anordnungen überhaupt zu? Wie gehen die Gerichte mit dem Problem mangelnden Wissens um, wenn sie strukturelle Probleme in den Staaten identifizieren und generelle Anordnungen treffen? Wie steht es um die Kompetenz dieser Gerichte zur Anordung struktureller Maßnahmen? Und welche Rolle muss den betroffenen Staaten im Rahmen dieser Anordnungen verbleiben? Auf einige der genannten verfahrensrechtlichen Probleme, die mit strukturellen Anordnungen internationaler Gerichte einhergehen, wies etwa die ehemalige Präsidentin des IGH Rosalyn Higgins in einer Besprechung der Artikel über die Staatenverantwortlichkeit der International Law Commission hin: „The practical problems associated with the characteristics of assurances and guarantees also merit mention. As the Special Rapporteur notes, these remedies have ,characteristics of being future-looking and concerned with ,other potential breaches‘. This raises, it seems to me, major evidentiary problems for a court, which is told not that a specific violation of an ,obligation‘ is continuing, but rather that a breach has occured in the past and it is highly likely more such breaches will occur. But what evidence is sufficient to show this? From whom should it emanate? By when, in the timetable of the litigation, should it be produced and to what tests of examination should it be subjected? […] And can all of this be ,piggybacked‘ on to the initial case in which the applicant claims an unsatisfied violation against itself […]? The problems of jurisdiction, of quality of evidence and of sound administration of judicial proceedings, suggest to this writer that assurances and guarantees should be approached with the greatest caution.“18
In der Literatur sind diese Fragen bislang beinahe ausschließlich am Beispiel des EGMR analysiert worden.19 Die vorliegende Untersuchung richtet den Blick mit dem 15
Jörn Eschment, Musterprozesse vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Probleme und Perspektiven des Piloturteilsverfahrens, Frankfurt a. M. 2010, S. 76 ff. 16 Tatiana Sainati, Human Rights Class Actions: Rethinking the Pilot-Judgment Procedure at the European Court of Human Rights, Harvard International Law Journal 56 (2015), 147; Laurence R. Helfer, Redesigning the European Court of Human Rights: Embeddedness as a Deep Structural Principle of the European Human Rights Regime, European Journal of International Law 19 (2008), 125 (148). 17 Huneeus, Reforming the State from Afar: Structural Reform Litigation at the Human Rights Courts, The Yale Journal of International Law 40 (2015). 18 Rosalyn Higgins, Overview of Part Two of the Articles on State Responsibility, in: James Crawford/Alain Pellet/Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, Oxford 2010, S. 537 (543). 19 Zum Piloturteilsverfahren vgl. etwa Jessica Baumann, Das Piloturteilsverfahren als Reaktion auf massenhafte Parallelverfahren: eine Bestandsaufnahme der Rechtswirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Berlin 2016; Sainati, Human
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Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte nun auf einen Akteur, dessen Anordnungen struktureller Reformen noch kaum näher untersucht worden sind.20 Ihr liegt dabei auch die Überzeugung zugrunde, dass die Praxis des IAGMR nicht nur für das Inter-Amerikanische Menschenrechtssystem selbst von Relevanz ist, sondern zudem Einsichten im Blick auf die beschriebene übergeordnete Entwicklung der internationalen Menschenrechtsgerichtsbarkeit liefern kann. Rights Class Actions: Rethinking the Pilot-Judgment Procedure at the European Court of Human Rights, Harvard International Law Journal 56 (2015), 147; Dominik Haider, The PilotJudgment Procedure of the European Court of Human Rights, Leiden 2013; Marten Breuer, Zur Fortentwicklung der Piloturteilstechnik durch den EGMR, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 39 (2012), 1; Markus Fyrnys, Expanding Competences by Judicial Lawmaking: The Pilot Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, German Law Journal 12 (2011), 1231; Eschment, Musterprozesse vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Probleme und Perspektiven des Piloturteilsverfahrens, 2010; allg. zu generellen Anordnungen des EGMR Sicilianos, The Role of the European Court of Human Rights in the Execution of its own Judgments: Reflections on Article 46 ECHR, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 285; Hans-Joachim Cremer, Prescriptive Orders in the Operative Provisions of Judgments by the European Court of Human Rights: Beyond res judicanda?, in: Anja SeibertFohr/Mark Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, Baden-Baden 2014, S. 39. 20 Eine monographische Untersuchung der guarantees of non-repetition findet sich bei María Carmelina Londoño Lázaro, Las Garantías de no Repetición en la Jurisprudencia Interamericana, Mexiko-Stadt 2014, teilweise aktualisiert in María Carmelina Londoño Lázaro, Impactos estructurales de la Corte Interamericana de Derechos Humanos: una mirada a propósito de sus 40 años, in: Armin von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Cumplimiento e impacto de las sentencias de la Corte Interamericana y el Tribunal Europeo de Derechos Humanos. Transformando realidades, Querétaro 2019, S. 513, die sich indes primär mit dem Verständnis der Maßnahmen als Wiedergutmachung und nur am Rande mit Kompetenzaspekten auseinandersetzt; ferner auch Carina Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286, betreffend die Umsetzung der Anordnungen. Weitere Analysen der Praxis finden sich in den – zahlreichen – Gesamtdarstellungen der Anordnungen des IAGMR unter Art. 63 Abs. 1 AMRK, etwa bei Fabián Novak, The System of Reparations in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, Recueil des Cours 392 (2018), 1 (156 ff.); Thomas M. Antkowiak/Alejandra Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, Oxford 2017, S. 285 ff.; Jo M. Pasqualucci, The Practice and Procedure of the InterAmerican Court of Human Rights, 2. Aufl., Cambridge 2013, S. 188; Jorge Francisco Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, Mexiko-Stadt 2013; Isabela Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, Paris 2013; Laurence Burgorgue-Larsen, The Right to Determine Reparations, in: Laurence BurgorgueLarsen/Amaya Úbeda de Torres (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Case Law and Commentary, Oxford 2011, S. 217; Claudio Nash Rojas, Las Reparaciones ante la Corte Interamericana de Derechos Humanos (1988 – 2007), 2. Aufl., Santiago 2009; Douglas Cassel, The expanding scope and impact of reparations awarded by the Inter-American Court of Human Rights, in: Koen De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, Antwerpen 2005, S. 191; Sergio García Ramírez, La Jurisprudencia de la Corte interamericana de derechos humanos en materia de reparaciones, in: Corte Interamericana de Derechos Humanos (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos: Un Cuarto de Siglo: 1979 – 2004, San José 2005, S. 1.
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Der IAGMR hat eine umfassende und weitreichende Praxis von Rechtsfolgenaussprüchen entwickelt. Gestützt auf Art. 63 Abs. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention ordnet der IAGMR regelmäßig nicht nur finanzielle Entschädigungen an, sondern bestimmt zudem etwa die Untersuchung und Strafverfolgung verantwortlicher Personen oder die Vornahme symbolischer Handlungen wie öffentliche Entschuldigungen durch den verurteilten Staat. Des Weiteren ordnet er unter dem Titel der guarantees of non-repetition regelmäßig umfassende legislative, institutionelle oder administrative Reformen an, die den strukturellen Wurzeln der festgestellten Rechtsverletzung abhelfen und damit vergleichbare Rechtsverletzungen in der Zukunft verhindern sollen. Die Umsetzung dieser Verpflichtungen wird durch den Gerichtshof anschließend selbst überwacht. Der IAGMR definiert seine guarantees of non-repetition wie folgt: „Guarantees of non-repetition. These are measures designed to ensure that human rights violations such as those that occurred in the case are not repeated. Such measures have a public scope or repercussion and frequently resolve structural problems, so that not only the victims of the case but also other members and groups of society benefit from them. Guarantees of non-repetition can, in turn, be divided into three groups, according to their nature and purpose: (a) training public officials and educating the general public with regard to human rights; (b) adopting measures under domestic law, and (c) adopting measures to guarantee the non-repetition of violations.“21
Beispielhaft für die Praxis des IAGMR ist der Fall der Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador.22 Der Fall betraf eine Kichwa-Gemeinschaft in Sarayaku, eine Gemeinde von ca. 1.200 Einwohnern im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Beschwerdegegenstand war die Verletzung des Rechts auf Konsultation der Gemeinschaft bei Ressourcenprojekten – ein andauerndes Problem des Menschenrechtsschutzes in Ecuador und der ganzen Region.23 Der ecuadorianische Staat hatte in den 1990er Jahren einem argentinischen Erdölkonzern eine Konzession erteilt, u. a. auf dem von der Gemeinschaft bewohnten Gebiet Erdöl zu fördern. Das Unternehmen begann gegen den Widerstand der Gemeinschaft mit Erschließungsarbeiten und installierte Sprengsätze auf dem Territorium zur Auffindung von Ölla21
IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2010, 2011, S. 11. IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245; siehe zum Fall auch Heike Wagner, Sentencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos a favor del pueblo Kichwa de Sarayaku (Ecuador) – Entrevista con Patricia Gualinga, in: Eva Kalny/Heike Wagner (Hrsg.), Menschenrechte in Lateinamerika, Baden-Baden 2019, S. 75 ff.; Geneviève Säuberli, The Case of the Kichwa Peoples of the Sarayaku v. Ecuador: Constructing a Right to Consultation and to Cultural Identitiy?, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 573. 23 Vgl. IAKMR, Situation of Human Rights of the Indigenous and Tribal Peoples of the PanAmazon Region, 2019, S. 52 ff.; IAKMR, Indigenous Peoples, Afro-Descendent Communities, and Natural Resources: Human Rights Protection in the Context of Extraction, Exploitation, and Development Activities, 2015, S. 15 ff. 22
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gerstätten. In seinem Urteil aus dem Jahr 2012 stellte der IAGMR dazu fest, dass der ecuadorianische Staat die betroffene Gemeinschaft zu keinem Zeitpunkt effektiv und in gutem Glauben angehört, die Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt und das soziale Gefüge nicht geprüft und die Gemeinschaft an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt hatte (Verletzungen der prozeduralen Gehalte des Eigentums indigener Gemeinschaften gem. Art. 21 AMRK.)24 Überdies stellte er fest, dass in Ecuador allgemein eine unzureichende Rechtslage hinsichtlich der Beteiligung bei Ressourcenprojekten bestehe, denn die ecuadorianische Verfassung sehe zwar entsprechende Rechte indigener Gemeinschaften vor, doch seien einfachgesetzliche Regelungen und Verfahren zur Umsetzung und Ausgestaltung dieser Rechte nicht getroffen worden (Verletzung der Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte im innerstaatlichen Rechtsraum, Art. 2 AMRK).25 Im Rahmen der Rechtsfolgenanordnungen ordnete der IAGMR zunächst die Beseitigung der Sprengstoffe und die Wiederaufforstung der betroffenen Gebiete an, ferner die effektive Konsultation der Gemeinschaft bei zukünftigen Ressourcenprojekten sowie erhebliche finanzielle Entschädigungen für die entstandenen materiellen und immateriellen Schäden.26 Überdies bestimmte er, bereits mit Blick auf das strukturelle Problem der Verletzung der Rechte indigener Gemeinschaften, dass der Staat seine völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie in Anwesenheit von hohen Beamten und Mitgliedern der Gemeinschaft anerkennen und hierüber landesweit berichten müsse.27 Das Urteil des IAGMR sei ferner landesweit bekannt zu machen, insbesondere per Radioübertragung in der betroffenen Amazonasregion und übersetzt in weitere indigene Sprachen.28 24
IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, Rn. 211; im Fall der Saramaka People v. Surinam hatte der IAGMR der Eigentumsgarantie gem. Art. 21 AMRK erstmals besondere Verfahrensrechte zum Schutz der natürlichen Ressourcen in Gebieten indigener Gemeinschaften entnommen. Betroffene Gemeinschaften sind unter Berücksichtigung ihrer inneren Organisation bei jeglichen Ressourcenprojekten anzuhören (right to consultation) und am erzielten Gewinn angemessen zu beteiligen (benefit sharing). Vor jedem Projekt ist eine Überprüfung über Auswirkungen auf die Umwelt und das soziale Gefüge der Gemeinschaft durchzuführen (prior environmental and social impact assessment). Bei umfangreichen Projekten, die eine große Auswirkung auf das Gebiet haben können, entnahm der Gerichtshof Art. 21 AMRK schließlich die Verpflichtung zur Einholung des Einverständnisses der jeweiligen Gemeinschaft (free, prior and informed consent), IAGMR, Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 28. 11. 2007, Series C No. 172, Rn. 127, 134; vgl. auch IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309, Rn. 230. 25 IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, Rn. 222, 227. 26 Der IAGMR bestimmte die Zahlung von ca. 1,3 Mio. US-$ an die betroffene Gemeinschaft, IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, Rn. 293, 299, 317, 323. 27 Ibid., Rn. 305. 28 Ibid., Rn. 308.
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Schließlich ordnete der IAGMR, unter dem Titel der guarantees of non-repetition, abstrakt-generelle Maßnahmen zur Verhinderung ähnlicher Verletzungen an: Unter Verweis auf die Verpflichtung aus Art. 2 AMRK bestimmte der IAGMR, dass Ecuador die notwendigen Regelungen und Verfahren zur Gewährleistung des Rechts auf Konsultation indigener Gemeinschaften unter Beteiligung eben dieser Gemeinschaften zu schaffen habe: „[…] the Court has also noted that the right to prior consultation has not been sufficiently and adequately regulated through appropriate norms for its practical implementation. Thus, under Article 2 of the American Convention, the State must adopt, within a reasonable time, any legislative, administrative or other type of measures that may be necessary to implement effectively the right to prior consultation of the indigenous and tribal peoples and communities, and amend those measures that prevent its full and free exercise and, to this end, the State must ensure the participation of the communities themselves.“29
Ferner ordnete der Gerichtshof die Einrichtung verpflichtender und andauernder Fortbildungsmaßnahmen über die Rechte indigener Gemeinschaften für sämtliche relevante Sektoren der Verwaltung in Ecuador an, da sich das Fehlverhalten staatlicher Institutionen im Umgang mit Ressourcenprojekten und den Rechten der betroffenen Gemeinschaften gezeigt hatte: „In this case, the Court has determined that the violations of the rights to prior consultation and cultural identity of the Sarayaku People resulted from the acts and omissions of different officials and institutions that failed to guarantee those rights. The State must implement, within a reasonable time and with the corresponding budgetary allocation, mandatory programs or courses that include modules on the domestic and international standards concerning the human rights of indigenous peoples and communities, for military, police and judicial officials, as well as others whose functions involve relations with indigenous peoples, as part of the general and continuing training of officials in the respective institutions, at all hierarchical levels.“30
Nach dem Urteil des IAGMR schloss sich eine mehrjährige Phase der Überwachung der Umsetzung (Compliance-Phase) an, in deren Rahmen die Beschwerdeführer, die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission sowie der verurteilte Staat über die ergriffenen Maßnahmen informierten und der Gerichtshof eine mündliche Anhörung über den Stand der Urteilsumsetzung ansetzte.31 Im Jahr 2016 erließ der IAGMR einen ersten Beschluss über die Urteilsumsetzung, in dem er sich u. a. mit den zwischenzeitlich durchgeführten Fortbildungsmaßnahmen in verschiedenen Sektoren der Verwaltung auseinandersetzte und zum Schluss kam, dass Ecuador noch weitere Informationen über den dauerhaften und obligatorischen Charakter dieser Maßnahmen vorzulegen habe.32 Während der Gerichtshof das 29
Ibid., Rn. 301; op. Rn. 4. Ibid., Rn. 302, op. Rn. 5. 31 IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Monitoring Compliance with Judgment., Beschl. v. 22. 06. 2016, S. 2; zur mündlichen Anhörung über die Urteilsumsetzung kam es wegen des Erdbebens in Ecuador im Jahr 2016 allerdings nicht. 32 Ibid., S. 4 ff. 30
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Verfahren hinsichtlich der finanziellen Entschädigung, des öffentlichen Anerkenntnisses und der Veröffentlichung des Urteils als abgeschlossen ansah, dauert es im Hinblick auf die angeordneten Reformen der Rechtslage sowie hinsichtlich der Menschenrechtsbildungsmaßnahmen noch an.33 Die Entscheidungen im Fall der Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador enthalten die wesentlichen Aspekte der guarantees of non-repetition des IAGMR: Die Anordnung struktureller Reformen auf legislativer und institutioneller Ebene aus Anlass eines exemplarischen Einzelfalls sowie die über Jahre andauernde Überwachung der Umsetzung dieser Maßnahmen durch den Gerichtshof. In rechtlicher Hinsicht wirft das Urteil die oben angesprochenen Fragen auf: Wie gelangte der IAGMR dazu, neben den Rechtsverletzungen im konkreten Fall auch das Vorliegen struktureller Defizite zu thematisieren und Maßnahmen zu deren Abhilfe anzuordnen? Wie begründeten sich seine Anordnungen im Verhältnis zur entschiedenen Beschwerde? Durfte der IAGMR die konkrete Beschwerde zum Ausgang nehmen, um derartige strukturelle Reformen anzuordnen? Und welche Rolle sollte dem betroffenen Staat bei der Urteilsumsetzung verbleiben? Die nachfolgende Untersuchung gliedert sich in drei Teile, in der die Praxis des IAGMR einer dogmatisch-deskriptiven Methode folgend analysiert werden soll. Teil 1 erläutert die Hintergründe der strukturellen Anordnungen in der Praxis des IAGMR. Diese liegen in dem objektiv-rechtlichen Verständnis der eigenen Gerichtsbarkeit sowie in dem besonderen Konzept des IAGMR hinsichtlich der Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen, das weit über den Ausgleich und die Wiederherstellung im Einzelfall hinaus reicht. In Teil 2 wird sodann auf Grundlage der Urteile des IAGMR der Versuch unternommen, Ansätze einer Dogmatik der guarantees of non-repetition des IAGMR zu entwickeln. Berücksichtigung finden dabei sämtliche Urteile des IAGMR in streitigen Verfahren bis März 2020 (295 Urteile)34. Es werden die Inhalte und Voraussetzungen der strukturellen Anordnungen herausgearbeitet, deren Tenorierung untersucht und schließlich die Überwachung der Urteilsumsetzung durch den IAGMR analysiert, wobei insgesamt deutlich werden wird, dass eine dogmatische Stringenz der Anordnungen nicht immer gegeben ist. Teil 3 der Untersuchung widmet sich schließlich einer Frage, die für die strukturellen Anordnungen internationaler Gerichte zentral ist, nämlich ob und inwieweit überhaupt eine Befugnis besteht, strukturelle Anordnungen zu treffen. Es wird untersucht, inwieweit das Beschwerdeverfahren Raum zur Überprüfung von 33
Ibid., op. Rn. 5; ebenso wurden die Sprengsätze auf dem Gebiet von Sarayaku bislang noch nicht entfernt, Wagner, Sentencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos a favor del pueblo Kichwa de Sarayaku (Ecuador) – Entrevista con Patricia Gualinga, in: Kalny/ Wagner (Hrsg.), Menschenrechte in Lateinamerika, S. 75 (81). 34 Vgl. die Statistiken des Gerichtshofs, aufgeschlüsselt nach Vertragsstaaten, in IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020, S. 59. Die Urteile sind abrufbar unter www.corteidh.or.cr/casos_sentencias.cfm. Die Zahl von 295 Urteilen entspricht der Zahl der Beschwerdeverfahren und blendet in einem Verfahren ergangene Zwischen- und Interpretationsurteile aus.
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generellen Defiziten bietet, welche Grundlage die Anordnungen in der AMRK haben und welche Grenzen die Bestimmung struktureller Reformen durch den IAGMR im Lichte des Subsidiaritätsprinzips hat.
Teil 1
Die Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR § 1 Die objektive Rechtsschutzfunktion der Menschenrechtsbeschwerde Die guarantees of non-repetition sind ein Ausdruck des weitreichenden Verständnisses des IAGMR hinsichtlich der Funktionen der eigenen streitigen Gerichtsbarkeit. Nach dem Wortlaut der AMRK ist der Streitgegenstand der Beschwerden zum IAGMR, die von der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission oder AMRK-Staaten vorgelegt werden können, zunächst allein die Verletzung der Konventionsrechte einzelner Personen durch eine Vertragspartei.35 Die Funktion der Beschwerde reicht nach Ansicht des IAGMR jedoch über den subjektiven Rechtsschutz hinaus. Sie umfasst zudem die Fortentwicklung der Konventionsgarantien und die Wahrung der Menschenrechte fu¨ r eine Vielzahl vergleichbarer Fälle. Die Beschwerde stellt nach dem Verständnis des Gerichtshofs auch ein Rechtsschutzmittel des objektiven Konventionsrechts dar.36 Die Anordnung von guarantees of non-repetition ist ein Ausdruck dieses objektiven Verständnisses der streitigen Gerichtsbarkeit. Die verschiedenen Anknüpfungspunkte und Ausprägungen des Ansatzes des IAGMR sollen im Folgenden näher dargelegt werden, um die Anordnung der
35 Vgl. Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK: „If the Court finds that there has been a violation of a right or freedom protected by this Convention, the Court shall rule that the injured party be ensured the enjoyment of his right or freedom that was violated.“ Hervorhebung hinzugefügt. Die individualschützende Funktion der Beschwerde konkretisiert sich auch in der Voraussetzung der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs (Art. 46 Abs. 1 lit. a AMRK). 36 Der IAGMR hat die objektive Rechtsschutzfunktion der eigenen Gerichtsbarkeit u. a. in seinen Urteilen zum Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit der Unterwerfungserklärung gem. Art. 62 Abs. 1 AMRK herausgestellt: „The American Convention and the other human rights treaties are inspired by a set of higher common values (centered around the protection of the human person), are endowed with specific supervisory mechanisms, are applied as a collective guarantee, embody essentially objective obligations, and have a special character that sets them apart from other treaties. […] The instrument whereby it recognizes the Court’s jurisdiction must, therefore, be weighed in light of the object and purpose of the Convention as a human rights treaty.“ IAGMR, Case of Ivcher Bronstein v. Peru. Competence, Urt. v. 24. 09. 1999, Series C No. 54, Rn. 41 ff.
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
guarantees of non-repetition zu kontextualisieren und zugleich eine Einführung in die Praxis des Gerichtshofs zu geben.37
A. Faktische Anknüpfungspunkte der objektiven Rechtsschutzfunktion I. Befassung des IAGMR mit paradigmatischen Beschwerdeverfahren Nach den Worten eines costaricanischen Abgeordneten im Rahmen der Gründungsfeierlichkeiten des IAGMR im Jahr 1979 war mit der Gründung des Gerichtshofs nicht weniger als die Hoffnung verbunden, den amerikanischen Kontinent in Zukunft vom Phänomen der „Verschwundenen“, der Gefolterten und der Exilierten befreit zu sehen.38 Dazu ist es nicht gekommen. Gleichwohl sollte die Bedeutung des IAGMR auch nicht unterschätzt werden: Die Zahl seiner Urteile in streitigen Verfahren (295 Urteile seit 1979) – im Vergleich zum EGMR (884 Urteile allein im Jahr 2019)39 verschwindend gering – ist nach allgemeiner Ansicht kein Indikator für die tatsächliche Bedeutung des IAGMR.40
37 Vgl. für allgemeine Darstellungen des Beschwerdeverfahrens zum IAGMR Sabrina Ragone, The Inter-American System of Human Rights: Essential Features, in: Armin von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, Oxford 2017, S. 279 (287 ff., 290 ff.); Johannes Seidl, Meinungsfreiheit in der Rechtsprechungspraxis des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Tübingen 2014, S. 20 ff., 31 ff.; Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 83 ff. 38 Discurso pronunciado en la sesión del 5 de septiembre de 1979, durante la visita que realizaron a la asamblea legislativa los señores jueces de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, in: Corte Interamericana de Derechos Humanos (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos: Un Cuarto de Siglo: 1979 – 2004, San José 2005, S. 463 (466): „Así confirmamos, señores jueces, que vuestros fallos borren del continente americano los conceptos de ,gusanos‘ y de ,desaparecidos‘, de ,torturados‘, y de ,exiliados‘ como calificación de las condiciones penosas en que viven muchos de nuestros semejantes.“ 39 EGMR, Annual Report of the European Court of Human Rights 2019, 2020, S. 129. 40 Par Engstrom, Reconceptualising the Impact of the Inter-American Human Rights System, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1250 (1256); Laurence Burgorgue-Larsen, The Added Value of the Inter-American Human Rights System: Comparative Thoughts, in: Armin von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, Oxford 2017, S. 377 (391 ff.); Ximena Soley, The Transformative Dimension of Inter-American Jurisprudence, in: Armin von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, Oxford 2017, S. 337; Pablo Saavedra-Alessandri, Foreword, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. vii (x); Judith Schönsteiner/Javier A. Couso, La implementación de las decisiones de los órganos del Sistema Interamericano de Derechos Humanos en Chile: Ensayo de un balance, Revista de Derecho de la Universidad Católica del Norte 22 (2015), 315 (321 ff.).
§ 1 Die objektive Rechtsschutzfunktion der Menschenrechtsbeschwerde
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Ein erster Anknüpfungspunkt, um das weitreichende Verständnis des IAGMR im Hinblick auf seine Gerichtsbarkeit zu ermessen, sind die Gegenstände der vor den Gerichtshof gebrachten Beschwerden. Diese betreffen in der Regel über den Einzelfall hinausreichende Probleme des Menschenrechtsschutzes in der gesamten Region oder des betroffenen Vertragsstaats.41 Das hängt auch mit der Entwicklung des Beschwerdeverfahrens zum IAGMR zusammen: Die Gründung des IAGMR fiel in die Zeit der Zusammenarbeit der südamerikanischen Militärdiktaturen im Rahmen der „Operación Cóndor“, welche die Idee eines effektiven regionalen Menschenrechtsschutzes ein geradezu unwahrscheinliches Ziel erschienen ließ.42 Die AMRK und der IAGMR sollten das Inter-Amerikanische System zum Schutz der Menschenrechte komplettieren, das seit seinen Anfängen in der Gründung der Organisation Amerikanischer Staaten im Jahr 1948 auf einer schwachen normativen und institutionellen Grundlage stand.43 41 Vgl. den Überblick bei Humberto Sierra Porto, Treinta y cinco años de funcionamiento de la Corte Interamericana de Derechos Humanos: Esbozo de una trayectoria y nuevos desafíos, in: Pablo Santolaya Machetti/Isabel Wences (Hrsg.), La América de los derechos, Madrid 2016, S. 35 (36 ff.); Felipe González Morales, Pasado, presente y futuro del Sistema Interamericano de Derechos Humanos, in: Pablo Santolaya Machetti/Isabel Wences (Hrsg.), La América de los derechos, Madrid 2016, S. 55 spricht von „casos testigos“. 42 Der IAGMR hat in einer Reihe von Urteilen ausführlich die staatliche Praxis systematischen Verschwindenlassens von Regimegegnern, willkürlicher Inhaftierungen, Folter und außergerichtlicher Tötungen zu Zeiten der Militärdiktaturen und bewaffneten Konflikte in den Konventionsstaaten, insb. im Rahmen der „Operación Cóndor“, dargestellt, vgl. etwa IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Rn. 62 ff.; IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153, Rn. 61.5 ff.; näher zu den historischen Hintergründen der Ratifizierung der AMRK, hinter der die Menschenrechtspolitik der Carter-Regierung stand, Klaas Dykmann, Philanthropic endeavors or the exploitation of an ideal?: the human rights policy of the Organization of American States in Latin America (1970 – 1991), Frankfurt a. M. 2004, S. 222 ff.; Samuel Moyn, The Last Utopia: Human Rights in History, Cambridge, Mass. 2010, S. 143 ff. 43 Auf der Gründungskonferenz der OAS hatten die amerikanischen Staaten auch die Amerikanische Deklaration zum Schutz der Menschenrechte verabschiedet, die noch vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einen Katalog der wichtigsten Menschenrechte enthielt, rechtlich allerdings zunächst unverbindlich blieb. Die OAS-Charta erwähnte die Menschenrechte in ihrer Präambel und in zwei Artikeln, die allerdings allein programmatisch verstanden wurden. Anders als in der UN-Charta von 1945 gehörte der Menschenrechtsschutz also nicht zu den Zielen und Aufgaben der OAS. Dagegen stand insbesondere das beinahe absolute Prinzip der Nicht-Intervention. Im Jahr 1959 wurde im Kontext der kubanischen Revolution durch die OAS-Außenministerkonferenz die Schaffung einer Kommission beschlossen „charged with furthering respect for [human] rights“. Die Außenministerkonferenz gab auch die Ausarbeitung einer verbindlichen Menschenrechtskonvention in Auftrag, bis zu deren Abschluss indes weitere zehn Jahre vergehen sollten. Näher zur Vorgeschichte des IAGMR, José A. Cabranes, Human Rights and Non-Intervention in the Inter-American System, Michigan Law Review 65 (1966), 1147 (1155 ff.); Daniel Zovatto, Antecedentes de la Creación de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, in: Instituto Interamericano de Derechos Humanos (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos. Estudios y Documentos, 1986, S. 207; Juliane Kokott, Das Interamerikanische System zum Schutz der Menschenrechte, Heidelberg 1986, S. 11 ff.
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
Der Gerichtshof blieb bis Mitte der 1980er Jahre indes auf die Erstattung von Gutachten beschränkt.44 Entscheidend für die Inaktivität des IAGMR war neben der geringen Zahl an Unterwerfungserklärungen45 die mangelnde Kooperation der IAKMR, auf deren Vorlagen der Gerichtshof in seiner streitigen Gerichtsbarkeit angewiesen ist.46 In Anbetracht von systematischen und massiven Verletzungen der Menschenrechte in beinahe sämtlichen OAS-Staaten setzte die IAKMR auf Vor-OrtBesuche und Länderberichte, um die lokale und internationale Öffentlichkeit zu mobilisieren und auf eine allgemeine Verbesserung der Menschenrechtssituation zu dringen.47 Die Entscheidung über einzelne Beschwerden und deren Vorlage zum
44 Vgl. IAGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Artt. 27(2), 25 and (8) American Convention on Human Rights), Gutachten v. 06. 10. 1987, Series A No. 9, Rn. 18 ff.; IAGMR, Habeas corpus in Emergency Situations (Artt. 27(2), 25(1) and 7(6) American Convention on Human Rights), Gutachten v. 30. 01. 1987, Series A No. 8, Rn. 14 ff.; IAGMR, Restrictions to the Death Penalty (Artt. 4(2) and 4(4) American Convention on Human Rights), Gutachten v. 08. 09. 1983, Series A No. 3, Rn. 67 ff.; siehe zu den Gutachten Antônio Augusto Cançado Trindade, Die Entwicklung des interamerikanischen Systems zum Schutz der Menschenrechte, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 70 (2010), 629 (655 ff.). 45 Nur ein Vertragsstaat, Costa Rica, unterwarf sich 1980 der streitigen Gerichtsbarkeit und die OAS-Generalversammlung lehnte das erste Budget des Gerichtshofs ab, vgl. Thomas Buergenthal, Remembering the Early Years of the Inter-American Court of Human Rights, New York University Journal of International Law and Politics 37 (2005), 259 ff.; zur feindseligen Einstellung der Mehrheit der damaligen Konventionsstaaten gegenüber dem IAGMR, Thomas Buergenthal, Foreword, in: Jo M. Pasqualucci (Hrsg.), The Practice and Procedure of the InterAmerican Court of Human Rights, 2. Aufl., Cambridge 2013, S. 1: „Effective human rights institutions were not something many governments in the region believed in at the time but they were not opposed to a little window dressing for propaganda purposes.“ 46 Den Versuch Costa Ricas, sich selbst vor dem Gerichtshof anzuklagen und das Verfahren vor der Kommission zu umgehen wies der Gerichtshof zurück, um die Integrität des Schutzsystems nicht zu untergraben, IAGMR, In the matter of Viviana Gallardo et al., Beschl. v. 15. 07. 1981, Series A No. 101, 1; Kokott, Das Interamerikanische System zum Schutz der Menschenrechte, 1986, S. 123 ff. 47 Seit ihrer Gründung waren Vor-Ort Untersuchungen in Anbetracht staatlicher Desinformation und die Veröffentlichung von Länderberichten zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung die wichtigsten Instrumente der Kommission. Nach dem Sturz der Allende-Regierung im Jahr 1973 in Chile hatte sich die IAKMR in einen zunehmend aktiven Widerpart der südamerikanischen Militärdiktaturen entwickelt und hatte in Länderberichten an die OAS-Generalversammlung massive und systematische Menschenrechtsverletzungen angeprangert, Robert K. Goldmann, History and Action: The Inter-American Human Rights System and the Role of the Inter-American Commission on Human Rights, Human Rights Quarterly 31 (2009), 856 (873 ff.); Tom J. Farer, The rise of the inter-american human rights regime: no longer a unicorn, not yet an ox, Human Rights Quarterly 19 (1997), 510 (539 ff.); Dykmann, Philanthropic endeavors or the exploitation of an ideal?: the human rights policy of the Organization of American States in Latin America (1970 – 1991), 2004, S. 141 ff., 181 ff.; Cecilia Medina Quiroga, The Battle of Human Rights: Gross Systematic Violations and the Inter-American System, Dordrecht 1988, S. 221 ff., 262 ff.
§ 1 Die objektive Rechtsschutzfunktion der Menschenrechtsbeschwerde
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IAGMR erschien der IAKMR angesichts des Ausmaßes der Verletzungen und der feindlichen Haltung der Regierungen hingegen zunächst als ungeeignet.48 Die Zeit der schrittweisen Re-Demokratisierung und Beendigung der bewaffneten Konflikte in der Region seit der Mitte der 1980er Jahre stellte sodann die eigentliche formative Phase des IAGMR dar. Die Anzahl der Staaten, welche die AMRK ratifizierten und sich dem Gerichtshof unterwarfen, stieg bis zum Jahr 1998 stetig.49 In inhaltlicher Hinsicht nahm das Inter-Amerikanische Menschenrechtssystem seit Mitte der 1980er durch Zusatzprotokolle zur AMRK und neue Konventionen an normativer Dichte zu50, die teilweise ebenfalls die Gerichtsbarkeit des IAGMR vorsehen51. Gegen Ende der 1980er Jahre überwies die IAKMR auch erste Individualbeschwerden an den Gerichtshof. Bereits die ersten vorgelegten Beschwerden, die sog. Honduras Disappearance Cases52, zeigten dabei, dass die 48 Umgekehrt protestierten nach der Transition einige Regierungen gegen die Anwendung des Berichtswesens, da dieses Verfahren nur im Kontext von Diktaturen, nicht aber gegenüber Demokratien angemessen sei, Felipe González, The Experience of the Inter-American Human Rights System, Victoria University of Wellington Law Review 40 (2009), 103 (117); die Debatte über die Geeignetheit des Beschwerdeverfahrens zur Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage hielt innerhalb der Kommission weiter an, vgl. Dinah Shelton, The Rules and the Reality of Petition Procedures in the Inter-American Human Rights System, Notre Dame Journal of International and Comparative Law 5 (2015), 1 (6). 49 Der streitigen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs nach Art. 62 AMRK unterwarfen sich Costa Rica im Jahr 1980, Honduras, Peru und Venezuela 1981, Argentinien und Ecuador 1984, Kolumbien und Uruguay 1985, Guatemala und Surinam 1987, Chile und Panama 1990, Nicaragua und Trindad und Tobago 1991, Bolivien und Paraguay 1993, El Salvador 1995, Brasilien, Haiti und Mexiko 1998, die Dominikanische Republik 1999 und Barbados im Jahr 2000. Vgl. die Liste der Ratifikationen der AMRK und der Unterwerfungserklärungen gem. Art. 62 AMRK. Abrufbar unter: http://cidh.org/basicos/english/basic4.amer.conv.ratif.htm. 50 Dies sind die Folgenden: Additional Protocol to the American Convention on Human Rights in the Area of Economic, Social and Cultural Rights („Protokoll von San Salvador“) (unterzeichnet am 17. 11. 1988, Inkrafttreten am 16. 11. 1999); Protocol to the American Convention on Human Rights to Abolish the Death Penality (unterzeichnet am 08. 06. 1990, Inkrafttreten am 28. 08. 1991); Inter-American Convention to Punish Torture (unterzeichnet am 09. 12. 1985; Inkrafttreten am 28. 02. 1987); Inter-American Convention on Forced Disappearances of Persons (unterzeichnet am 09. 06. 1994; Inkrafttreten am 27. 03. 1996); InterAmerican Convention on the Prevention, Punishment an Eradication of Violence against Women („Convención de Belém do Pará“, CdBP) (unterzeichnet am 09. 06. 1999; Inkrafttreten am 05. 03. 1995). Siehe zu den Zusatzprotokollen Cançado Trindade, Die Entwicklung des interamerikanischen Systems zum Schutz der Menschenrechte, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 70 (2010), 629 (688 ff.). 51 Das Protokoll von San Salvador sieht die Gerichtsbarkeit für Verletzungen der Vereinigungs- und Bildungsfreiheit vor (Art. 19 Abs. 6), die Inter-Amerikanische Konvention gegen das erzwungene Verschwindenlassen von Personen fällt unter die Zuständigkeit des IAGMR (Art. XIII) ebenso wie die Inter-Amerikanische Anti-Folter Konvention (Art. XIII). Der Gerichtshof hat ferner die Gerichtsbarkeit über Verletzungen der CdBP für sich beansprucht, IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 35 ff. 52 IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4; IAGMR, Case of Godínez Cruz v. Honduras. Merits, Urt. v. 20. 01. 1989, Series C No. 5;
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
IAKMR mit der Vorlage von Individualbeschwerden neben dem Individualrechtsschutz auch die objektive Wahrung der Menschenrechte und die Fortentwicklung der AMRK bezweckte. Die drei vorgelegten Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens standen für hunderte vergleichbare Fälle in Honduras und zehntausende vergleichbarer Schicksale während des lateinamerikanischen „Kalten Kriegs“ auf dem gesamten Kontinent. Die rechtliche Einordnung des gewaltsamen Verschwindenlassens war zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend ungeklärt.53 Der Gegenstand der von der IAKMR vorgelegten Beschwerden geht seither in der Regel über die jeweiligen Einzelfälle weit hinaus. Anhand der Entwicklung der streitigen Gerichtsbarkeit des IAGMR kann die Entwicklung einiger wichtiger Themen des Menschenrechtsschutzes in Lateinamerika nachgezeichnet werden, der, stärker noch als in Europa, von schweren Rechtsverletzungen geprägt ist.54 In den 1990er Jahren legte die IAKMR Beschwerden zu schweren Menschenrechtsverletzungen im bewaffneten Konflikt Perus, zum autoritären Vorgehen der Regierung Alberto Fujimoris55 sowie zur Verstrickung des kolumbianischen Militärs in MasIAGMR, Case of Fairén-Garbi and Solís-Corrales v. Honduras. Merits, Urt. v. 15. 03. 1989, Series C No. 6; zum Hintergrund der Fälle Juan E. Méndez/José Miguel Vivanco, Disappearances and the Inter-American Court: Reflections on a litigation experience, Hamline Law Review 13 (1990), 508; Cecilia Medina Quiroga, Inter-American Commission on Human Rights and the Inter-American Court of Human Rights: Reflections on a Joint Venture, Human Rights Quarterly 12 (1990), 439 (453); Annelen Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, Dordrecht 2015, S. 51 ff. 53 Der Gerichtshof wandte Beweiserleichterungen an, entnahm Art. 1 Abs. 1 AMRK positive Verpflichtungen zur Untersuchung, Strafverfolgung und Wiedergutmachung und charakterisierte das Verschwindenlassen als „a complex form of Human Rights violations that must be understood and confronted in an integral fashion“, IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4, Rn. 150. Vgl. zur völkerrechtlichen Bedeutung der Entscheidung María Pía Carazo, Velásquez Rodríguez v Honduras Case, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Online Edition 2008, Rn. 19 ff.; Nina Schniederjahn, Das Verschwindenlassen von Personen in der Rechtsprechung internationaler Menschenrechtsgerichtshöfe, Berlin 2017, S. 122 ff., 185 ff. 54 Vgl. zum Folgenden Flávia Piovesan, Ius constitutionale commune latinoamericano en derechos humanos e impacto del sistema interamericano: rasgos, potencialidades y desafíos, in: Armin von Bogdandy/Héctor Fix-Fierro/Mariela Morales Antoniazzi (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune en América Latina. Rasgos, Potencialidades y Desafíos, Mexiko-Stadt 2014, S. 61 (64 ff.); Felipe González Morales, Sistema Interamericano de Derechos Humanos: transformaciones y desafíos, Valencia 2013, S. 263 ff.; Claudio Nash Rojas, El Sistema Interamericano de Derechos Humanos en acción: aciertos y desafíos, Mexiko-Stadt 2009, S. 103 ff.; Víctor Abramovich, From Massive Violations to Structural Patterns: New Approaches and Classic Tensions in the Inter-American Human Rights System, SUR-International Journal on Human Rights 6 (2009), 11, 7 ff. 55 IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75; IAGMR, Case of Ivcher Bronstein v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2001, Series C No. 74; IAGMR, Case of the Constitutional Court v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 01. 2001, Series C No. 71; IAGMR, Case of Cantoral-Benavides v. Peru. Merits, Urt. v. 18. 08. 2000, Series C No. 69; IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52; IAGMR, Case of Castillo
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saker im kolumbianischen bewaffneten Konflikt56 vor. Um die Jahrtausendwende betrafen die Beschwerden die Verhängung der Todesstrafe in den anglokaribischen Staaten57, das ungeklärte Schicksal entführter Kinder aus der Zeit der bewaffneten Konflikte in El Salvador und Guatemala58, die andauernde Straflosigkeit für systematische Menschenrechtsverletzungen der Militärdiktaturen in Brasilien, Chile, Paraguay, Uruguay59 sowie der bewaffneten Konflikte in Peru, Guatemala, El Salvador und Surinam60, ferner die prekären Rechte indigener Völker in Nicaragua, Paraguay, Surinam, Ecuador, Panama, Chile und Honduras61, die Einschränkungen Páez v. Peru. Merits, Urt. v. 03. 11. 1997, Series C No. 34; IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Merits, Urt. v. 17. 09. 1997, Series C No. 33. 56 IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163; IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148; IAGMR, Case of the Pueblo Bello Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 01. 2006, Series C No. 140; IAGMR, Case of the „Mapiripán Massacre“ v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 134; IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132; IAGMR, Case of the 19 Merchants v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2004, Series C No. 109; IAGMR, Case of Las Palmeras v. Colombia. Merits, Urt. v. 06. 12. 2001, Series C No. 90; IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Merits, Urt. v. 08. 12. 1995, Series C No. 22. 57 IAGMR, Case of Dacosta Cadogan v. Barbados. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 24. 09. 2009, Series C No. 204; IAGMR, Case of Boyce et al. v. Barbados. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2007, Series C No. 169; IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94. 58 IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108; IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120. 59 IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221; IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006; IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153. 60 IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252; IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211; IAGMR, Case of Tiu Tojín v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs., Urt. v. 26. 11. 2008, Series C No. 190; IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101; IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75; IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Merits, Urt. v. 25. 09. 2000, Series C No. 70; IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Merits, Urt. v. 24. 01. 1998, Series C No. 36; IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Merits, Urt. v. 04. 12. 1991, Series C No. 11. 61 IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304; IAGMR, Case of Norín Catrimán et al. (Leaders, members and activist of the Mapuche In-
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der Meinungsfreiheit in Chile und Argentinien62 und die Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit in Venezuela63. Seit dem Jahr 2010 thematisierten die Beschwerden Gewalt gegen Frauen in Mexiko, Guatemala und Venezuela64, das Verbot der in vitro-Fertilisation in Costa Rica65, die Diskriminierung von Migranten in Panama und der Dominikanischen Republik66, Diskriminierungen in den Gesundheitssystemen von Ecuador, Chile und Guatemala67, den „Drogenkrieg“ in digenous People) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 05. 2014, Series C No. 279; IAGMR, Case of the Kuna Indigenous People of Madungandí and the Emberá Indigenous People of Bayano and their members v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 10. 2014, Series C No. 284; IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245; IAGMR, Case of the Xákmok Kásek Indigenous Community. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 08. 2010, Series C No. 214; IAGMR, Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 28. 11. 2007, Series C No. 172; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146; IAGMR, Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 06. 2005, Series C No. 124; IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125; IAGMR, Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2001, Series C No. 79. 62 IAGMR, Case of Kimel v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 05. 2008, Series C No. 177; IAGMR, Case of Palamara Iribarne v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 135; IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73. 63 IAGMR, Reverón Trujillo v. Venezuela, Urt. v. 30. 06. 2009, Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Series C 197; IAGMR, Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 08. 2008, Series C No. 182. 64 IAGMR, Case of López Soto et al. v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2018, Series C No. 362; IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307; IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277; IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216; IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215; IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205. 65 IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257. 66 IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282; IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218. 67 IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359; IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349; IAGMR,
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Mexiko68 sowie die Ermordung von Menschenrechtsverteidigern in Honduras69 und von Jugendlichen in den Favelas Brasiliens70, um nur einige der Themen zu nennen. Aufgrund der Vorauswahl durch die Kommission haben die Einzelfallentscheidungen des IAGMR in vielen Fällen die Qualität von Leitentscheidungen, welche die Behandlung einer Vielzahl vergleichbarer Fälle oder ganzer Themenkomplexe geprägt haben.71 Wesentliche Innovationsimpulse betreffen etwa den rechtlichen Umgang mit massiven und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, namentlich das gewaltsame Verschwindenlassen und die Unrechtmäßigkeit von Amnestien.72 In den Jahren 2017 und 2018 zeigte sich der Einfluss des IAGMR im Rahmen der Debatten um die sog. Sondergerichtsbarkeit für den Frieden in Kolumbien oder die Rechte politischer Gefangener in Venezuela.73 Einige Schwerpunkte der Rechtsprechung des IAGMR sind mittlerweile in regionalen Men-
Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298. 68 IAGMR, Case of Alvarado Espinoza et al. v. México. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2018, Series C No. 370. 69 IAGMR, Case of Luna López v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2013, Series C No. 269; IAGMR, Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 04. 2009, Series C No. 196. 70 IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333. 71 Christian Steiner/Simone Leyers, Impulsgeber für effektiven Menschenrechtsschutz: Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, KAS-Auslandsinformationen 26 (2010), 7 (15). 72 Vgl. Anja Titze, Transitional Justice in Lateinamerika: Die Arbeit regionaler Instanzen bei der Aufarbeitung von Systemunrecht, in: Anja Mihr/Gert Pickel/Susanne Pickel (Hrsg.), Handbuch Transitional Justice, Wiesbaden 2018, S. 409; Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015; Louise Mallinder, The end of amnesty or regional overreach? Interpreting the erosion of South America’s amnesty laws, International and Comparative Law Quarterly 65 (2016), 645 (654 ff.); Naomi Roht-Arriaza, After Amnesties are Gone: Latin American National Courts and the new Contours of the Fight Against Impunity, Human Rights Quarterly 37 (2015), 341; Federico Sersale di Cerisano, Justicia transicional en las Américas: El Impacto del Sistema Interamericano, Revista Instituto Interamericano de Derechos Humanos 57 (2013), 115. 73 So besuchte die ehemalige venezolanische Generalstaatsanwältin Ortega nach ihrer Flucht aus Venezuela den IAGMR, IAGMR-Pressemitteilung vom 28. 08. 2017: Visita de ex Fiscal General de Venezuela a la Corte Interamericana. Abrufbar unter: www.corteidh.or.cr/ docs/comunicados/cp_27_17.pdf; vgl. ferner Alexandra Huneeus, The institutional limits of Inter-American constitutionalism, in: Rosalind Dixon/Tom Ginsburg (Hrsg.), Comparative Constitutional Law in Latin America, Cheltenham 2017, S. 300 (301); Juana Inés AcostaLópez, The Inter-American Human Rights System and the Colombian Peace: Redefining the Fight Against Impunity, AJIL Unbound 110 (2016), 178; Alejandro Gómez Velásquez, Perspectivas de la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos en justicia transicional y su aplicabilidad a las actuales negociaciones de paz en Colombia, Eunomia. Revista en Cultura de la Legalidad (2016), 147.
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schenrechtsverträgen kodifiziert worden.74 Dass die Bedeutung der dem IAGMR vorgelegten Beschwerden über den Einzelfall hinausgeht, lässt sich schließlich auch am Widerstand ermessen, auf den der Gerichtshof zwischenzeitlich gestoßen ist. Die Urteile des IAGMR führten zur (versuchten) Kündigung der streitigen Gerichtsbarkeit durch Peru im Jahr 1999 und zu den Kündigungen der AMRK durch Trinidad und Tobago im Jahr 1998 und Venezuela im Jahr 2012, sodass die streitige Gerichtsbarkeit des IAGMR nunmehr zwanzig Staaten Lateinamerikas umfasst.75 II. Begrenzte Ressourcen und „aktivistische“ Richterpersönlichkeiten Der IAGMR verfügt nur über geringe finanzielle, personelle und organisatorische Mittel. Er besteht aus sieben Richtern, die von den Vertragsstaaten der AMRK in der OAS-Generalversammlung für sechs Jahre mit einmaliger Wiederwahlmöglichkeit gewählt werden (Artt. 52 Abs. 1, 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 AMRK).76 Die Richter sind bis auf den IAGMR-Präsidenten keine Vollzeitkräfte, da sie kein festes Gehalt erhalten und auch nicht am Sitz des Gerichtshofs wohnen müssen (Art. 16, 17 IAGMRStatut). Der Gerichtshof tagt dementsprechend nicht ständig, sondern tritt zu ordentlichen und außerordentlichen Sitzungen zusammen (Art. 22 IAGMR-Statut). In der Regel finden jährlich vier zweiwöchige ordentliche Sitzungen in San José statt. Daneben tritt der IAGMR seit dem Jahr 2005 auf Einladung auch in anderen Vertragsstaaten der AMRK zusammen (Art. 13 VerfO-IAGMR, „sesiones itineran-
74 Etwa die Inter-American Convention on Forced Disappearances of Persons aus dem Jahr 1994; ferner die nach langer Vorlaufzeit im Jahr 2016 angenommene American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, AG/RES.2888 (XLVI-O/16). Abrufbar unter: www.oas.org/ en/sare/documents/DecAmIND.pdf. 75 Dies sind Argentinien, Barbados, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Haiti, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Surinam und Uruguay; vgl. zum Widerstand der Vertragsstaaten Ximena Soley/Silvia Steininger, Parting Ways or Lashing Back? Withdrawals, Backlash and the Inter-American Court of Human Rights, Max Planck Institute for Comparative Public Law & International Law Research Paper 1/2018; Douglas Cassel, Regional Human Rights Regimes and State Pushback: the Case of the Inter-American Human Rights System (2011 – 2013), Human Rights Law Journal 33 (2013), 1; Alexandra Huneeus, Courts Resisting Courts: Lessons From the Inter-American Court’s Struggle to Enforce Human Rights, Cornell International Law Journal 44 (2011), 493. 76 Die Richter müssen Angehörige eines Mitgliedstaats der OAS, nicht unbedingt jedoch eines Vertragsstaats der AMRK sein. In der streitigen Gerichtsbarkeit, bei von der Kommission eingeleiteten Fällen, ist es den Richtern nicht erlaubt an Verfahren gegen ihren Heimatstaat teilzunehmen (Art. 19 Abs. 1 VerfO-IAGMR). Ebenso ist in diesen Fällen die Benennung von ad hoc-Richtern durch die betroffenen Staaten ausgeschlossen (Art. 55 Abs. 2 AMRK ex contr.). Vor Änderung der Verfahrensordnung im Jahr 2009 konnten die Staaten auf Grundlage der ständigen Praxis des IAGMR ad hoc-Richter bestimmen, IAGMR, Article 55 of the American Convention on Human Rights, Gutachten v. 29. 09. 2009, Series A No. 20, op. Rn. 1 und 2; González Morales, Sistema Interamericano de Derechos Humanos: transformaciones y desafíos, 2013, S. 136 ff.
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tes“).77 Der Gerichtshof bezweckt hierdurch, die Beziehungen zu den Regierungen und obersten Gerichten der jeweiligen Staaten zu pflegen, das Inter-Amerikanische System bekannt zu machen und durch eine größere Sichtbarkeit die Befolgung seiner Urteile sicherzustellen.78 Überlegungen, den IAGMR in einen ständigen Gerichtshof umzuwandeln, sind bislang an dessen sehr begrenzten finanziellen Mitteln gescheitert.79 Kontinuierlich anwesend in San José ist neben dem Präsidenten das ständige Sekretariat, das zwischen den Sitzungen die Entscheidungen des IAGMR vorbereitet. Es besteht aus dem Sekretär des Gerichtshofs, benannt durch den Gerichtshof selbst, einem Stellvertreter und einem kleinen Stab an juristischen Mitarbeitern und Praktikanten (insgesamt etwa 40 Personen).80 Die begrenzten Ressourcen des IAGMR sind ein wichtiger Faktor, um den über den Einzelfall hinausreichenden Ansatz des Gerichtshofs zu verstehen. Da die Fallzahlen aufgrund der geringen Ressourcen begrenzt sind (15 – 20 Urteile pro Jahr), kann sich der IAGMR nach dem Verständnis vieler seiner Richter nicht auf den Individualrechtsschutz beschränken, da sein Einfluss in der Region sonst völlig vernachlässigbar wäre.81 77 Im Jahr 2016 hielt der Gerichtshof bspw. sieben Sitzungen ab, zwei davon außerhalb seines Sitzes (Mexiko-Stadt und Quito), IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2016, 2017, S. 6. 78 Im Zusammenhang mit den den „sesiones itinerantes“ finden regelmäßig Konferenzen unter Teilnahme der IAGMR-Richter statt, vgl. näher Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 9; Pablo Saavedra-Alessandri/ Gabriela Pacheco Arias, Las sesiones „itinerantes“ de la Corte Interamericana de Derechos Humanos: un largo y fecundo caminar por América in: Sergio García Ramírez/Mireya Castañeda Hernández (Hrsg.), Recepción nacional del derecho internacional de los derechos humanos y admisión de la competencia contenciosa de la Corte Interamericana, Mexiko-Stadt 2009, S. 37. 79 Vgl. etwa die Resolution der Generalversammlung AG/Res 1828 (XXXI-O/01) v. 05. 06. 2001, in welcher der ständige Rat der OAS mit der Untersuchung der Möglichkeit einer ständigen Kommission und eines ständigen Gerichtshofs beauftragt wurde, abrufbar unter: www.oas.org/assembly2001/documentse/Decl-Resol.aprv/ag-RES1828XXXI-O-01.htm. Das Budget des IAGMR ist vergleichsweise gering und betrug im Jahr 2019 ca. 6,4 Mio. US-$, wohingegen etwa der EGMR jährlich über ca. 73 Mio. E verfügt. Darüber hinaus stammte ein erheblicher Teil der Ressourcen des IAGMR (26,5 %) aus Spenden von Nicht-OAS-Staaten, darunter Deutschland, wenngleich der OAS-Anteil seit dem Jahr 2017 wieder stärker gestiegen ist, IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020, S. 144. 80 Vgl. dagegen den EGMR (ca. 270 juristische Mitarbeiter), dazu Huneeus, The institutional limits of Inter-American constitutionalism, in: Dixon/Ginsburg (Hrsg.), Comparative Constitutional Law in Latin America, 2017, S. 300; Soley, The Transformative Dimension of Inter-American Jurisprudence, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 337 (351). 81 Interview mit Oscar Parra-Vera, Senior Staff Attorney am IAGMR am 11. März 2015; Lucas Sánchez/Raffaela Kunz, „The Inter-American System has always been in crisis, and we always found a way out“ – An interview with Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, Völkerrechtsblog, 17. 10. 2016, abrufbar unter: www.voelkerrechtsblog.org/the-inter-american-system-has-always-been-in-crisis-and-we-always-found-a-way-out; Huneeus, The institutional limits of Inter-American constitutionalism, in: Dixon/Ginsburg (Hrsg.), Comparative Consti-
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Als ein weiterer bedenkenswerter Faktor sind die Persönlichkeiten zu nennen, die den IAGMR bislang gebildet haben und die in einem Spruchkörper von lediglich sieben Richtern besondere Prägekraft entfalten konnten.82 In der Reihe seiner ehemaligen Präsidenten kann der IAGMR bekannte Völkerrechtler und Menschenrechtsaktivisten aufführen, die als Verfechter eines durchsetzungsfähigen internationalen Menschenrechtsschutzes bekannt sind.83 Hervorzuheben ist hier insbesondere Antônio Augusto Cançado Trindade, dessen naturrechtliches und humanistisches Verständnis des Völkerrechts starken Einfluss auf seine Tätigkeit als Richter hatte und in dessen Präsidentschaft eine von Kritikern als besonders „aktivistisch“ bezeichnete Phase der IAGMR-Rechtsprechung fällt – darunter der Beginn der Anordnung der guarantees of non-repetition.84
tutional Law in Latin America, 2017, S. 300 (306); Soley, The Transformative Dimension of Inter-American Jurisprudence, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 337 (351). 82 Laurence Burgorgue-Larsen, El contexto, las técnicas y las consequencias de la interpretación de la Convención Americana de los Derechos Humanos, Estudios Constitucionales 12 (2014), 105 (113 ff.). 83 Etwa Thomas Buergenthal, nach seiner Zeit als Richter (1979 – 1991) und Präsident (1989 – 1994) des IAGMR zum Richter am Internationalen Gerichtshof gewählt oder Cecilia Medina Quiroga, Richterin (2002 – 2009) und Präsidentin (2008 – 2009) des IAGMR, eine chilenische Menschenrechtsprofessorin, die in den 1980er Jahren vor dem Pinochet-Regime außer Landes geflohen war, vgl. von ihr etwa The Battle of Human Rights: Gross Systematic Violations and the Inter-American System, 1988. 84 Zur Rolle bei der Entwicklung der guarantees of non-repetition, siehe unten S. 90 ff. Zum Verständnis des Prinzips der Wiedergutmachung bei Cançado Trindade und dessen Rolle im IAGMR vgl. ders., El ejercicio de la función judicial internacional: memorias de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 3. Aufl., Belo Horizonte 2011, S. 59 ff.; Pablo Saavedra-Alessandri, Algunas consideraciones sobre las reparaciones en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, in: Renato Zerbini/Ribeiro Leão/Andrew Drzemczewski (Hrsg.), Os rumos do direito internacional dos direitos humanos: ensaios em homanegem ao professor Antônio Augusto Cançado Trindade, Porto Alegre 2005, S. 95; aus den Voten: IAGMR, Case of Gangaram Panday v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judges Picado-Sotela, Aguiar-Aranguren and Cançado Trindade Urt. v. 21. 01. 1994, Series C No. 16; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 26. 09. 2006, Series C No. 154; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77.
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B. Rechtliche Anknüpfungspunkte der objektiven Rechtsschutzfunktion I. Die Vorlagebefugnis der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission 1. Konzentration auf strukturell begründete Rechtsverletzungen Die IAKMR85 verfügt über eine Schleusen- und Filterfunktion für die Praxis des IAGMR, denn nur sie und die Vertragsstaaten sind dazu befugt, Beschwerden über Rechtsverletzungen vor den Gerichtshof zu bringen (Art. 61 Abs. 1 AMRK). Ein individuelles Beschwerderecht direkt zum IAGMR besteht nicht, wenngleich die Rolle der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem IAGMR der eines Klägers angenähert worden ist (dazu sogleich II.).86 Voraussetzung der Vorlage ist, dass die IAKMR die Begründetheit der Beschwerde festgestellt und der betroffene Staat die Empfehlungen der IAKMR zur Abhilfe der Rechtsverletzung nicht befolgt hat (Art. 51 Abs. 1 AMRK).87 85 Die Kommission besteht aus sieben Mitgliedern mit Staatsangehörigkeit eines der OASStaaten und soll die Gesamtheit der Mitgliedstaaten der OAS vertreten (Artt. 34, 35 AMRK). Sie ist ein „Doppelorgan“ im Inter-Amerikanischen System zum Schutz der Menschenrechte: Sie ist einerseits ein Vertragsorgan der AMRK und zur Förderung und Durchsetzung der Konvention in den Vertragsstaaten zuständig (Art. 33 lit. a AMRK). In Bezug auf AMRKVertragsstaaten, die sich der Zuständigkeit des Gerichtshofs als weiteres Vertragsorgan unterworfen haben (Art. 33 lit. b AMRK), ist das Verfahren vor der Kommission die „erste Instanz“ des Beschwerdeverfahrens. Die Kommission ist daneben aber auch, da nicht alle OASMitgliedstaaten die AMRK ratifiziert haben, als autonomes Organ der OAS für den Menschenrechtsschutz außerhalb der Menschenrechtsverträge zuständig und soll die OAS hierbei beraten (Art. 106 Abs. 1 OAS-Charta, Art. 1 IAKMR-Statut). Insoweit hat die AMRK das bis zum Jahr 1978 bestehende Inter-Amerikanische Menschenrechtssystem nicht vollständig ersetzt. 86 Eine Reform des Inter-Amerikanischen Systems hin zu einem Individualbeschwerderecht nach dem Vorbild der EMRK nach dem 11. Zusatzprotokoll wurde zu Anfang der 2000er Jahre erwogen. Costa Rica schlug eine solche Reform bei der OAS-Generalversammlung im Jahr 2001 vor, doch verlief die darauf folgende Diskussion ergebnislos. Bedeutsam wurden sodann die ersten Erfahrungen des europäischen Systems, das die große Zahl an Individualbeschwerden kaum bewältigen konnte. Angesichts der weiterhin prekären finanziellen Situation des Inter-Amerikanischen Systems ist an die Einführung der Individualbeschwerde vor dem IAGMR nicht zu denken, González Morales, Sistema Interamericano de Derechos Humanos: transformaciones y desafíos, 2013, S. 147 ff.; Karsten Seifert, Das interamerikanische System zum Schutz der Menschenrechte und seine Reformierung, Frankfurt am Main, 2008. 87 Kann eine gütliche Beilegung nicht erreicht werden, fasst die Kommission einen Beschluss über die Begründetheit der Beschwerde (Art. 43 VerfO-IAKMR). Kommt sie zum Schluss, dass die AMRK verletzt worden ist, fertigt sie einen vorläufigen Bericht mit Empfehlungen zur Abhilfe und Wiedergutmachung an, welche oftmals auch strukturelle Reformen beinhalten. Sie übermittelt diesen Bericht an den betroffenen Staat und setzt eine Frist zur Umsetzung (Art. 50 AMRK, Art. 44 Abs. 2, 3 VerfO-IAKMR). Gleichzeitig informiert sie die Beschwerdeführer über den Bericht und holt deren Stellungnahme ein, ob der Fall ggf. dem Gerichtshof vorgelegt werden soll und welche Formen der Wiedergutmachung beansprucht werden (Art. 44 Abs. 3 lit. c VerfO-IAKMR). Die Kommission darf den Bericht nach Art. 50 AMRK dem Beschwerdeführer gleichwohl nicht ganz mitteilen, sondern allein hierüber in
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Die Vorlage zum IAGMR liegt im Ermessen der Kommission, was bereits für sich darauf hinweist, dass die Beschwerde Funktionen verfolgt, die über den Individualrechtsschutz hinausgehen. Darüber hinaus ist die Konzentration der IAKMR auf die Vorlage besonders paradigmatischer Fälle in ihrer Verfahrensordnung festgeschrieben: Bei der ersten Untersuchung einer Beschwerde kann sie solche Beschwerden priorisieren, deren Untersuchung zur Beseitigung struktureller Rechtsverletzungen beitragen und so einer Vielzahl gleichartiger Beschwerden abhelfen kann (Art. 29 Nr. 2 lit. d).88 Hinter dieser Regel steht auch, dass ein regelmäßiges Berichtsverfahren im Inter-Amerikanischen System nicht existiert und Individualbeschwerden für die Kommission ein wichtiger Mechanismus sind, um die generelle Situation der Menschenrechte in einem Staat zu untersuchen.89 Bei der Vorlage einer Beschwerde zum IAGMR setzt sich diese Ausrichtung fort. Nach Art. 45 VerfOIAKMR soll der Fall dem Gerichtshof vorgelegt werden, wenn nicht die absolute Mehrheit der Kommissare eine begründete Entschließung dagegen abgibt. Gem. Art. 45 Nr. 2 lit. d VerfO-IAKMR haben die Kommissare dabei neben der Schwere der Rechtsverletzung auch die Bedeutung der Beschwerde zur Fortbildung des Fallrechts im Inter-Amerikanischen System sowie die Auswirkung der Entscheidung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.90 In der Regel legt die IAKMR dem Gerichtshof im Jahr zwischen 15 bis 20 Beschwerden vor. Kenntnis setzen, Certain Attributes of the Inter-American Commission on Human Rights (Artt. 41, 42, 44, 46, 47, 50 and 51 of the American Convention on Human Rights), 16. Juli 1993, Advisory Opinion OC-13/93. Series A No. 13, Rn. 48. Zur Empfehlung struktureller Reformen durch die IAKMR vgl. Evorah Cardoso, Ciclo de vida do litígio estratégico no Sistema Interamericano de Direitos Humanos: dificuldades e oportunidades para atores não-estatais, Revista Electrónica Instituto de Investigaciones Jurídicas y Sociales Ambrosio L. Gioja 5 (2011), 363 (373). 88 Art. 29 Nr. 2 lit. d VerfO-IAKMR: „The petition shall be studied in the order it was received; however, the Commission may expedite the evaluation of a petition in situations such as the following […] d. when any of the following circumstances are present: i. the decision could have the effect of repairing serious structural situations that would have an impact in the enjoyment of human rights; or ii. the decision could promote changes in legislation or state practices and avoid the reception of multiple petitions on the same matter.“ 89 Als Organ der OAS und als Vertragsorgan der AMRK nimmt die Kommission auch allgemeine Aufgaben zur Förderung und Kontrolle der Menschenrechte wahr. Sie führt hierbei Vor-Ort-Untersuchungen durch und erstellt Länder-, Jahres- und thematische Berichte an die OAS Generalversammlung (Art. 41 lit. a – e, f, Art. 18 IAKMR-Statut). Anders als im UNSystem besteht hingegen keine Berichtspflicht der Mitgliedstaaten, González Morales, Sistema Interamericano de Derechos Humanos: transformaciones y desafíos, 2013, S. 183 ff. 90 Art. 45 Nr. 2 leitet das Ermessen der Kommission anhand eines Kriterienkatalogs: „The Commission shall give fundamental consideration to obtaining justice in the particular case, based, among others, on the following factors: a. the position of the petitioner; b. the nature and seriousness of the violation; c. the need to develop or clarify the case-law of the system; and d. the future effect of the decision within the legal systems of the Member States.“ Vgl. zu den Kriterien auch bereits IAGMR, Compulsory Membership in an Association Prescribed by Law for the Practice of Journalism (Artt. 13 and 29 American Convention on Human Rights), Gutachten v. 13. 11. 1985, Series A No. 5, Rn. 25, darunter etwa die besondere Bedeutung für den regionalen Menschenrechtsschutz.
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2. Vertretung objektiv-rechtlicher Interessen im Beschwerdeverfahren Nach der seit dem Jahr 2009 geltenden IAGMR-Verfahrensordnung nimmt die Kommission eine das Inter-Amerikanische System als Ganzes repräsentierende Rolle ein.91 Sie leitet das schriftliche Verfahren durch Vorlage des Berichts nach Art. 50 AMRK ein (Art. 35 VerfO-IAGMR), welcher den tatsächlichen Rahmen der Beschwerde zum IAGMR absteckt. Der Bericht enthält die festgestellten Rechtsverletzungen, Beweise sowie eine Liste mit den betroffenen Personen und die Anträge der IAKMR. Der Bericht soll ferner die Gründe darlegen, welche die Kommission zur Vorlage des Falls bewogen haben („the reasons leading the Commission to submit the case before the Court“, Art. 35 Abs. 1 lit. c VerfO-IAGMR). Überwiegend liegt das Interesse der Kommission darin, vor dem IAGMR auf die Fortentwicklung der Konventionsrechte in einem bestimmten Bereich sowie auf die Anordnung von Maßnahmen zur Prävention und Reform zu dringen.92 Oftmals macht die Kommission die paradigmatische Natur der vorgelegten Beschwerde schon im Rahmen ihres Antrags sowie in der mündlichen Verhandlung deutlich und verknüpft diese Feststellungen mit der Forderung nach strukturellen Reformanordnungen durch den IAGMR.93 Die IAKMR tritt vor dem IAGMR so als eine Art ministério público (Staatsanwaltschaft)94 des regionalen Menschenrechtsschutzes auf und nutzt die Vorlage von Beschwerden strategisch zur Untersuchung und Thematisierung bestimmter genereller Probleme des Menschenrechtsschutzes in den Vertragsstaaten und in der gesamten Region.95 91
Die Verfahrensordnung des IAGMR ist wiederholt Gegenstand von Reformen gewesen, deren Zielrichtung im Wesentlichen die Aufwertung der Rolle der individuellen Beschwerdeführer war, die nach der AMRK nicht als Verfahrenssubjekt vorgesehen sind, vgl. Cecilia Medina Quiroga, Modificación de los reglamentos de la Corte Interamericana de Derechos Humanos y de la Comisión Interamericana de Derechos Humanos al procedimiento de peticiones individuales ante la Corte, Anuario de derechos humanos (2011), 117 (119 ff.); Cançado Trindade, Die Entwicklung des interamerikanischen Systems zum Schutz der Menschenrechte, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 70 (2010), 629 (684 ff.); Carlos Maria Pelayo Moller, Introducción al sistema interamericano de derechos humanos, Mexiko-Stadt 2011, S. 55 f., Fn. 128. 92 Shelton, The Rules and the Reality of Petition Procedures in the Inter-American Human Rights System, Notre Dame Journal of International and Comparative Law 5 (2015), 1 (25): „[…] the IACHR’s focus is on compliance and non-repetition.“; Medina Quiroga, Modificación de los reglamentos de la Corte Interamericana de Derechos Humanos y de la Comisión Interamericana de Derechos Humanos al procedimiento de peticiones individuales ante la Corte, Anuario de derechos humanos (2011), 123. 93 Zum Gang der mündlichen Verhandlung siehe die Art. 45 und 51 VerfO-IAGMR. 94 Vgl. zu diesem Begriff bereits IAGMR, In the matter of Viviana Gallardo et al., Beschl. v. 15. 07. 1981, Series A No. 101, Rn. 22. 95 Vgl. aus den Vorlagen der Kommission: IACHR Takes Case involving Venezuela to the Inter-American Court, abrufbar unter: www.oas.org/en/iachr/media_center/PReleases/2017/ 215.asp: „This case once again reveals the context of extrajudicial executions in Venezuela by regional police forces, especially in the state of Aragua, with a clearly defined modus operandi. The case also points to the ongoing impunity for such acts as one of the elements of that context. In addition to issues related to the use of force, the case also opens the door for the Court to
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
II. Die privilegierte Rolle von NGOs im Inter-Amerikanischen System 1. Befugnis von NGOs zur strategischen Prozessführung Ein weiterer rechtlicher Anknüpfungspunkt für das objektiv-rechtliche Verständnis der Beschwerde liegt in der weiten Handhabung der Voraussetzung der Beschwerdebefugnis in der AMRK. Personen, die Beschwerden an die IAKMR richten, müssen gem. Art. 44 AMRK nicht behaupten, durch das angegriffene staatliche Verhalten selbst in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Sie können stattdessen auch die Verletzung von Rechten Dritter geltend machen. Das Beschwerdeverfahren erlaubt so, in gewissen Grenzen, die Popularbeschwerde (vgl. dagegen Art. 34 EMRK).96 Nach Durchlaufen des Verfahrens vor der IAKMR prägt die Möglichkeit der Popularbeschwerde auch die Ausrichtung des Verfahrens vor dem IAGMR. In der Praxis des Inter-Amerikanischen Systems wird ein großer Teil der Beschwerden durch Nichtregierungsorganisationen eingeleitet97, die dieses Arrangement zur strategischen Prozessführung (strategic litigation) nutzen.98 Einzelpersofurther develop its case law regarding cases in which there are indications of arbitrary use of force and the State does not undertake a diligent investigation to explain the death of one or several individuals in the context of a police operation, and specifically, in this case, based on a problematic definition of the concept of in flagrante delicto.“ Hervorhebung hinzugefügt. 96 Cecilia Medina Quiroga/Claudio Nash Rojas, Sistema interamericano de derechos humanos: introducción a sus mecanismos de protección, Santiago de Chile 2011, S. 30; Diego Rodríguez Pinzón, The victim requirement, the fourth instance formula and the notion of person in the individual complaint procedure of the Inter-American Human Rights System, ILSA Journal of International & Comparative Law 7 (2001), 369; Kokott, Das Interamerikanische System zum Schutz der Menschenrechte, 1986, S. 59. 97 Beschwerdeberechtigt sind gem. Art. 44 AMRK natürliche Personen, Gruppen von Personen oder jedwede Nichtregierungsorganisation, die zumindest in einem Mitgliedstaat der OAS anerkannt ist („nongovernmental entity recognized in one or more member states of the Organization“, Art. 44 AMRK). Auch ausländische NGOs können somit Beschwerden gegen einen Staat vor die IAKMR bringen. 98 Nach den Zahlen von Engstrom/Low wurden bis zum Jahr 2014 etwa 74 % aller Beschwerden aus Kolumbien zur IAKMR von NGOs eingeleitet, Par Engstrom/Peter Low, Mobilising the Inter-American Human Rights System: Regional Litigation and Domestic Human Rights Impact in Latin America, in: Par Engstrom (Hrsg.), The Inter-American Human Rights System: Impact Beyond Compliance, New York 2018, S. 23. Zu Zahlen vor dem Gerichtshof vgl. etwa Lloyd Hitoshi Mayer, NGO Standing and Influence in Regional Human Rights Courts and Commissions, Brooklyn Journal of International Law 36 (2011), 911 (928 ff.): Er zählt im Zeitraum 2000 – 2009 in 96 Merits-Entscheidungen 66 NGOs als Beschwerdeführer. Die NGO CEJIL (Centro por la Justicia y el Derecho Internacional), die am stärksten vor dem IAGMR vertretene NGO, gibt an, gemeinsam mit Partnerorganisationen über 13.000 Personen in 313 Beschwerden und einstweiligen Anordnungsverfahren vertreten zu haben, abrufbar unter: https://cejil.org/en/cejil-numbers. Vgl. auch Soley, The Transformative Dimension of InterAmerican Jurisprudence, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 337 (352 f.); Enzamaria Tramontana, La participación de las ONG en el Sistema Interamericano de Protección de los Derechos Humanos: avances, desafíos y perspectivas, in: Eduardo Ferrer Mac-Gregor/Armin von Bogdandy/Mariela Morales Anto-
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nen waren und sind oftmals finanziell nicht in der Lage, Beschwerdeverfahren einzuleiten, kennen das Inter-Amerikanische System nicht oder müssen Vergeltungsmaßnahmen fürchten.99 Das Profil und die Strategien der vertretenen NGOs haben sich dabei über die Zeit verändert: In den 1970er und 80er Jahren diente die IAKMR transnational agierenden NGOs wie dem argentinischem Centro de Estudios Legales y Sociales oder America’s Watch als eine Plattform, um massive und systematische Menschenrechtsverletzungen anzuprangern.100 Nach der Re-Demokratisierung zielten Beschwerden stärker darauf ab, politische Blockaden im Inland durch Intervention „von außen“ zu lösen und neue Themen in den nationalen Menschenrechtsdiskurs einzuspeisen.101 Dabei bildeten sich auch Koalitionen zwischen lokalen und transnational agierenden NGOs.102 In jüngerer Zeit sind neben NGOs auch Beschwerden staatlicher Ombudspersonen für Menschenrechte und nationaler Koordinatoren für Menschenrechte, formal gesehen also staatliche Stellen getreten, die aber keine Regierungsfunktionen wahrnehmen.103 niazzi (Hrsg.), La justicia constitucional y su internacionalización. ¿Hacia un Ius constitucionale commune en América Latina? Bd. II, Mexiko-Stadt 2010, S. 533 (538). 99 Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 133. 100 In Lateinamerika sind NGOs eng mit der Menschenrechtsbewegung verbunden. Die Militärdiktaturen der 1970er Jahren führten zu Vereinigungen von Opfern und ihren Verwandten (movimiento de familiares), etwa die Madres del Plaza de Mayo in Argentinien. Einige NGOs spezialisierten sich auf rechtliche Unterstützung, insb. bei Beschwerden zu internationalen Instanzen. In den 1990er Jahren schloss sich eine Gruppe von Menschenrechtsverteidigern mit Erfahrung im Inter-Amerikanischen System zu CEJIL zusammen, deren ausdrücklicher Zweck die strategische Prozessführung im Inter-Amerikanischen System ist, Mónica Pinto, NGOs and the Inter-American Court of Human Rights, in: Tulio Treves u. a. (Hrsg.), Civil Society, International Courts and Compliance Bodies, Den Haag 2005, S. 47 (49 f.); vgl. ferner Margaret E. Keck/Kathryn Sikkink, Activists Beyond Borders: Advocacy Networks in International Politics, Ithaca 1998, S. 105 ff. 101 Cardoso, Ciclo de vida do litígio estratégico no Sistema Interamericano de Direitos Humanos: dificuldades e oportunidades para atores não-estatais, Revista Electrónica Instituto de Investigaciones Jurídicas y Sociales Ambrosio L. Gioja 5 (2011), 363 (365); James L. Cavallaro/Stephanie E. Brewer, Reevaluating Regional Human Rights Litigation in the Twenty-First Century: The Case of the Inter-American Court, American Journal of International Law 102 (2008), 768 (788 ff.); vgl. zum Thema der Gewalt gegen Frauen in der Praxis des IAGMR etwa Mariana Assis Prandini, Violence against Women as a transnational category in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1507. 102 So etwa CEJIL, die mit lokalen NGOs bei der Vorlage von Beschwerden kooperiert und dabei auch dem Wissenstransfer im Menschenrechtsschutz dient, Soley, The Transformative Dimension of Inter-American Jurisprudence, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 337 (353); Cardoso, Ciclo de vida do litígio estratégico no Sistema Interamericano de Direitos Humanos: dificuldades e oportunidades para atores não-estatais, Revista Electrónica Instituto de Investigaciones Jurídicas y Sociales Ambrosio L. Gioja 5 (2011), 363 (Fn. 18). 103 Diese sog. defensores públicos oder defensores del pueblo sind, Ombudspersonen ähnlich, in vielen lateinamerikanischen Staaten vorhandene staatliche Stellen zur Gewährleistung der Menschenrechte durch den Staat. Sie sind grundsätzlich unabhängig von der
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
Der IAGMR ist in seinem Ansatz und Selbstverständnis von den Zielen seiner wichtigsten „Nutzer“ maßgeblich geprägt. Der Zweck der strategischen Prozessführung reicht über den Einzelfall hinaus und betrifft die Bewältigung struktureller Probleme, die eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen hervorrufen. Die strategische Prozessführung vor dem IAGMR beinhaltet dabei die Auswahl von Einzelfällen, die als besonders repräsentativ für ein generelles Defizit des Menschenrechtsschutzes in einem Staat angesehen werden. Sie zielt darauf, vor dem IAGMR auf diese Defizite öffentlichkeitswirksam aufmerksam zu machen, die Rechtslage für eine bestimmte Problemkonstellation klären zu lassen und, durch die Beantragung von guarantees of non-repetition, strukturelle Reformanordnungen zu erwirken.104 2. Beteiligungsrechte von NGOs im Verfahren vor dem IAGMR Nach der Einleitung von Beschwerden nehmen NGOs auch im Verfahren vor dem IAGMR eine bedeutsame Rolle ein. Nach mehreren Verfahrensreformen seit den 1990er Jahren verfügen die Beschwerdeführer heute über umfassende und unabhängige Beteiligungsrechte vor dem IAGMR und können so die Beschwerde im Lichte ihrer strategischen Ziele präsentieren.105 Sie werden vor der Vorlage des Verfahrens durch die Kommission angehört (Art. 44 Abs. 3 lit. c VerfO-IAKMR), legen zu Beginn des gerichtlichen Verfahrens einen Schriftsatz vor, der nicht als Klage, sondern als „brief containing pleadings, motions, and evidence“106 (Art. 25 Regierung und mit von Land zu Land unterschiedlichen Funktionen ausgestattet, die von der Förderung der Menschenrechte bis hin zur gerichtlichen Geltendmachung der Menschenrechte vor nationalen Gerichten bis hin zum Inter-Amerikanischen System reichen. Unter letztere fallen die defensores públicos von Argentinien, Brasilien, der Dominikanischen Republik und Guatemalas, vgl. Valeska David, The Inauguration of the Inter-American Defenders’ Era: Reflections after the Furlan Case, Inter-American and European Human Rights Journal 7 (2014), 245 (261 Fn. 78); María Fernanda López Puleio, La puesta en escena del defensor público interamericano, Anuario de derechos humanos (2013), 127 (133); folgende Fälle wurden etwa von defensores públicos vor dem IAGMR eingeleitet: IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, Rn. 4; IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, Rn. 4; IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 02. 2001, Series C No. 72, Rn. 6. 104 Vgl. Paola Pelletier Quiñones, Estrategias de litigio de interés público en derechos humanos, Revista del Instituto Interamericano de Derechos Humanos 55 (2012), 319; Marcia Nina Bernardes, Inter-American Human Rights System as a Transnational Public Sphere: Legal and Political Aspects of the Implementation of International Decisions, SUR-International Journal on Human Rights 8 (2011), 15, 131 (132, 136, 140 f.). 105 Cardoso, Ciclo de vida do litígio estratégico no Sistema Interamericano de Direitos Humanos: dificuldades e oportunidades para atores não-estatais, Revista Electrónica Instituto de Investigaciones Jurídicas y Sociales Ambrosio L. Gioja 5 (2011), 363 (373). 106 Dies ist eine nicht ganz korrekte Übersetzung der originalen Fassung der Verfahrensordnung, die von „escrito de solicitudes, argumentos y pruebas“ spricht. Das Wort „motions“ bedeutet so viel wie „Anträge“, während „argumentos“ „Gründe“ oder „Argumente“ be-
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Abs. 1 VerfO IAGMR) bezeichnet wird und der insbesondere die Anträge auf Ebene der Rechtsfolgen enthält. Während des mündlichen Verfahrens können sie Beweisanträge stellen sowie Zeugen und Sachverständige befragen. 3. Besondere Bedeutung von amicus curiae-Schriftsätzen Einen wichtigen Bestandteil des Verfahrens vor dem IAGMR betreffen schließlich die amicus curiae-Schriftsätze. Amici curiae („Freunde des Gerichts“) sind Personen oder Institutionen, die, ohne Verfahrensbeteiligte zu sein, vor dem Gerichtshof Schriftsätze über rechtliche oder tatsächliche Fragen des Falls einreichen (Art. 2 Abs. 3 VerfO-IAGMR). Der Gerichtshof hat die Rolle von amici curiae stetig erweitert, sodass es nunmehr jedermann erlaubt ist, in sämtlichen Verfahren vor dem IAGMR bis kurz nach der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einzureichen (Art. 44 VerfO-IAGMR).107 Der Gerichtshof hat in seiner Praxis bis zum Jahr 2015 mehr als 500 amicus curiae-Schriftsätze empfangen. Diese Zahl ist erheblich, setzt man sie ins Verhältnis zu den knapp 250 Beschwerden und 23 Gutachten, die der Gerichtshof bis zu diesem Zeitpunkt bearbeitet hatte.108 Die meisten Schriftsätze wurden von NGOs eingereicht (58 %), gefolgt von akademischen Institutionen wie etwa Human Rights Clinics (24,5 %).109 Bedeutsam ist, dass der größte Teil der amici curiae nicht aus dem beklagten Staat stammt.110 Der Gerichtshof hat in einer Vielzahl von Fällen auf rechtliche und faktische Argumente aus amicus curiae-Schriftsätzen zurückgegriffen.111 Bedeutsam ist aber auch der indirekte Einfluss der amici curiae zeichnet, Álvaro Paúl, Translation Challenges of the Inter-American Court of Human Rights and Cost-Effective Proposals for Improvement, Inter-American and European Human Rights Journal 5 (2012), 3 (10, Fn. 31). 107 Vgl. den Überblick über die unterschiedlichen Regelungen im Verlauf der Verfahrensordnungen bei Francisco J. Rivera Juaristi, The Amicus Curiae in the Inter-American Court of Human Rights, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 103 (110 ff.); Tramontana, La participación de las ONG en el Sistema Interamericano de Protección de los Derechos Humanos: avances, desafíos y perspectivas, in: Ferrer Mac-Gregor/von Bogdandy/Morales Antoniazzi (Hrsg.), La justicia constitucional y su internacionalización. ¿Hacia un Ius constitucionale commune en América Latina? Bd. II, 2010, S. 533 (544 ff.); Dinah Shelton, The Participation of Nongovernmental Organizations in International Judicial Proceedings, American Journal Of International Law 88 (1994), 611 (638 ff.). 108 Die Zahlen stammen aus der Studie von Rivera Juaristi, The Amicus Curiae in the InterAmerican Court of Human Rights, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The InterAmerican Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 104. 109 Ibid., 107; vgl. zur Arbeit der Law-Clinics auch näher Felipe González Morales, Estudios de derecho internacional de los derechos humanos, Querétaro 2018, S. 227 ff. 110 Rivera Juaristi, The Amicus Curiae in the Inter-American Court of Human Rights, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 108. 111 IAGMR, Case of Isaza Uribe et al. v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2018, Series C No. 363, Rn. 191; IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
auf das IAGMR-Verfahren, denn das große Interesse und die Intervention von außerhalb des Verfahrens stehenden Parteien zeigt wiederum die über den Einzelfall reichende Funktion des Beschwerdeverfahrens auf.112
C. Ausprägungen der objektiven Rechtsschutzfunktion in den Urteilswirkungen Der IAGMR hat die objektive, über die Streitbeilegung im Einzelfall hinausreichende Funktion der an ihn erhobenen Beschwerde schon früh herausgestellt.113 Sie schlägt sich nicht nur in der Anwendung der Offizialmaxime und des jura novit curia-Prinzips114 nieder, sondern findet ihre Ausprägung insbesondere in jenen Wirkungen der Urteile des IAGMR, deren rechtliche Konsequenzen über den entschiedenen Einzelfall hinausreichen sollen. Die Anordnung von guarantees of nonrepetition ist nur ein Beispiel hierfür. Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung der conventionality control-Doktrin, wodurch die Auslegung der AMRK durch den IAGMR Bindungswirkung für alle Gerichte und Behörden der Vertragsstaaten entfalten soll. I. Urteilswirkung im konkreten Fall: Befolgungspflicht des verurteilten Staats Nach Art. 68 Abs. 1 AMRK verpflichten sich die Konventionsstaaten, das gegen sie ergangenene Urteil des IAGMR zu befolgen: „The States Parties to the Convention undertake to comply with the judgment of the Court in any case to which they nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Fn. 475; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 85; Rivera Juaristi, The Amicus Curiae in the Inter-American Court of Human Rights, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 126 ff. 112 Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 158. 113 Vgl. oben Fn. 36. 114 Der IAGMR prüft proprio motu Verletzungen bestimmter AMRK-Rechte, die von keiner der Parteien vorgebracht worden sind, hält sich im Übrigen aber in der Regel an die Leitplanken des Berichts der Kommission, IAGMR, Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 06. 2005, Series C No. 124, Rn. 60; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146, Rn. 186; vgl. näher Shelton, The Rules and the Reality of Petition Procedures in the Inter-American Human Rights System, Notre Dame Journal of International and Comparative Law 5 (2015), 1 (21 ff.); Dinah Shelton, Jura Novit Curia in International Human Rights Tribunals, in: Nina Boschiero u. a. (Hrsg.), International Courts and the Development of International Law: Essays in honour of Tullio Treves, Den Haag 2013, S. 189 (199 ff.).
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are parties“. Art. 68 Abs. 1 AMRK enthält so das Prinzip der materiellen Rechtskraft (res judicata), wonach der Urteilsinhalt für die Prozessparteien maßgeblich und verbindlich ist.115 In persönlicher Hinsicht bezieht sich die Rechtskraft auf die Parteien vor dem IAGMR. Dies sind nach der AMRK grundsätzlich der beklagte Staat und die Kommission (Art. 61 Abs. 1 AMRK).116 In sachlicher Hinsicht bezieht sich die Maßgeblichkeit des Urteils auf den Streitgegenstand. Dieser ist vor dem IAGMR durch den Bericht der Kommission geprägt, der den Sachverhalt und damit verbundene Rechtsverletzungen enthält. Die behaupteten Opfer und ihre Vertreter dürfen vor dem IAGMR zwar andere Rechtsverletzungen als die Kommission geltend machen, sie sind jedoch auf den von der Kommission vorgebrachten Sachverhalt festgelegt (Art. 40 Abs. 2 lit. a VerfO-IAGMR). Hinsichtlich der Rechtswirkungen der Urteile ist näher hinsichtlich der Urteilsaussprüche des IAGMR zu differenzieren. Die Befolgungspflicht der Staaten bezieht sich auf die Rechtsfolgenanordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK.117 Im Verständnis des IAGMR ergeben sich daneben keine weitergehenden Rechtsfolgen aus der bloßen Feststellung einer Konventionsverletzung. Zwar knüpft das allgemeine Völkerrecht an einen Völkerrechtsbruch grundsätzlich die allgemeinen Verpflichtungen des Rechts der Staatenverantwortlichkeit zur Beendigung, Wiedergutmachung und ggf. zur Vornahme von präventiven Maßnahmen zur zukünftigen Verhinderung solcher Verletzungen. Der IAGMR hat allerdings die Wahl der konkreten Rechtsfolgen durch seine Anordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK an sich gezogen. Der IAGMR selbst bestimmt die Maßnahmen, die als Konsequenz der Rechtsverletzung ergriffen werden sollen und überprüft selbst die Umsetzung dieser Maßnahmen im Verfahren der Überwachung der Urteilsumsetzung. Aus Sicht der AMRK erschöpft sich die Umsetzungpflicht im konkreten Fall daher in den Anordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK (dazu sogleich § 2).118 115
IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia. Voto Razonado del Juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, Beschl. v. 20. 03. 2013, Rn. 22 ff.; Raffaela Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, Berlin 2020, S. 55; Jan Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and InterAmerican Human Rights Systems, Mainz 2015, S. 139. 116 Fraglich ist deshalb die Erstreckung der Rechtskraft auf die natürlichen Personen, deren Rechtsverletzungen letztlich das Objekt des Verfahrens bilden, die nach der AMRK aber selbst keine Streitparteien sind. Hier ergeben sich Hinweise auf die persönliche Rechtskraft aus der Verfahrensordnung des IAGMR, die an einigen Stellen die Opfer und ihre Vertreter nunmehr als „parties“ im Verfahren einschließt, Art. 30 Abs. 1, 4; Art. 44 Abs. 3; Art. 76 VerfO-IAGMR. Vgl. näher Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 147. 117 Zur Verbindlichkeit der guarantees of non-repetition siehe näher unten S. 172. 118 Anders dagegen die Praxis des EGMR: Hier reichen die Urteilsfolgen über die Anordnungen im Urteilstenor hinaus. Die EMRK-Vertragsstaaten sind aus der Feststellung der Rechtsverletzung durch den EGMR zur Vornahme von individuellen und generellen Maßnahmen zur Abhilfe und Wiedergutmachung der Rechtsverletzung verpflichtet. Die Anordnung von Abhilfemaßnahmen durch den EGMR konkretisiert allein einige dieser Verpflichtungen,
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II. Urteilswirkung in Parallelfällen: conventionality control-Doktrin und guarantees of non-repetition Der IAGMR knüpft an seine Urteile daneben auch Konsequenzen, deren Wirkungen weit über den entschiedenen Einzelfall hinausreichen. Diese „Breitenwirkung“ folgt zum einen schon aus den Anordnungen des IAGMR nach Art. 63 Abs. 1 AMRK, die rechtlich oder tatsächlich über den Einzelfall hinausgreifen. Die guarantees of non-repetition sind hierfür das beste Beispiel, denn sie dienen nicht primär dazu, die Wiederholung der Rechtsverletzung gegenüber den Opfern im entschiedenen Fall zu verhindern, sondern sie sollen vielmehr zur Prävention ähnlicher Rechtsverletzungen gegenüber anderen vergleichbaren Personen und Gruppen beitragen. Den Urteilen des IAGMR kommt Breitenwirkung zum anderen über die sog. conventionality control-Doktrin zu. Sie bedeutet die Verpflichtung innerstaatlicher Stellen der Vertragsstaaten zur Beachtung der AMRK und der Entscheidungen des Gerichtshofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus.119 Der Gerichtshof hat diese Verpflichtung ausgehend von seinem Urteil im Fall Almonacid Arellano v. Chile entwickelt, in dem er die Unvereinbarkeit des chilenischen Amnestiedekrets von 1979 mit der AMRK feststellte. Der Gerichtshof entnahm hier Art. 1 Abs. 1 AMRK die Verpflichtung staatlicher Gerichte zur Vornahme einer „sort of ,conventionality control‘ between the domestic legal provisions which are applied to specific cases and the American Convention on Human Rights“. Die Auslegung des IAGMR sei von innerstaatlichen Gerichten dabei verbindlich zu berücksichtigen. Konventionswidrige Gesetze müssten im Zweifel unangewendet gelassen bleiben: „To perform this task, the Judiciary has to take into account not only the treaty, but also the interpretation thereof made by the Inter-American Court, which is the ultimate interpreter of the American Convention. […] [W]hen the Legislative Branch fails to abolish and/or adopt laws that are contrary to the American Convention, the Judiciary is bound to honor the lässt die Umsetzungspflichten der Staaten im Übrigen jedoch unberührt, vgl. EGMR (GK), Scozzari and Giunta v. Italy, Urt. v. 20. 07. 2000, Nr. 39221/98 & 41963/98, Rn. 249: „[…] a judgment in which the Court finds a breach imposes on the respondent State a legal obligation not just to pay those concerned the sums awarded by way of just satisfaction, but also to choose, subject to supervision by the Committee of Ministers, the general and/or, if appropriate, individual measures to be adopted in their domestic legal order to put an end to the violation found by the Court and to redress so far as possible the effects […]“; Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 145 ff., 150 ff. 119 Vgl. dazu Eduardo Ferrer Mac-Gregor, The Conventionality Control as a Core Mechanism of the Ius Constitutionale Commune, in: Armin von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, Oxford 2017, S. 321; Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, 2020, S. 71 ff.; Laurence Burgorgue-Larsen, Chronicle of a Fashionable Theory in Latin America: Decoding the Doctrinal Discourse on Conventionality Control, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The InterAmerican Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 647 (648).
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obligation to respect rights as stated in Article 1(1) of the Convention, and consequently, it must refrain from enforcing any laws contrary to that Convention.“120
Seither hat der Gerichtshof die Verpflichtung zur conventionality control in ständiger Rechtsprechung bestätigt und konkretisiert.121 Nach den Erläuterungen des ehemaligen IAGMR-Präsidenten Ferrer Mac-Gregor besteht die erste Form der conventionality control in der Verpflichtung staatlicher Gerichte, von Amts wegen nationales Recht im Einklang mit der AMRK in der Interpretation des IAGMR auszulegen.122 Soweit eine konventionskonforme Interpretation nicht möglich ist, hängen die weiteren Formen der conventionality control von den Kompetenzen der jeweiligen Richter nach nationalem Recht ab. In Rechtssystemen, in denen Gerichte zur dezentralen Normenkontrolle, d. h. zur Nichtanwendung von Normen im Einzelfall aufgrund deren Verfassungswidrigkeit berechtigt sind, ist diese Kompetenz auch in Bezug auf die Einhaltung der AMRK auszudehnen. Die entgegenstehende Norm ist in diesem Fall unangewendet zu lassen.123 In Systemen mit zentralisierter Normenkontrolle, namentlich in Rechtssystemen mit Verfassungsgericht, sind die hierzu berechtigten Gerichte verpflichtet, konventionswidrige Gesetze mit erga omnes-Wirkung für nichtig zu erklären.124 Gerichte, die weder dazu berechtigt sind, Gesetze unangewendet zu lassen, noch sie für nichtig zu erklären, müssen den Fall einer hierzu berechtigten Instanz vorlegen und auf die Konventionswidrigkeit der 120 IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 123 f. 121 IAGMR, Dismissed Congressional Employees (Aguado Alfaro et al.) v. Peru.Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2006, Series C No. 158, Rn. 128; IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 173; IAGMR, Case of Heliodoro-Portugal v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 12. 08. 2008, Series C No. 186, Rn. 180; IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213, Rn. 307; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 287; IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 282 f.; IAGMR, Case of the Santo Domingo Massacre v. Colombia. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 30. 11. 2012, Series C No. 259, Rn. 142; Burgorgue-Larsen, Chronicle of a Fashionable Theory in Latin America: Decoding the Doctrinal Discourse on Conventionality Control, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/ Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 647 (Fn. 17 m.w.N.). 122 Die Pflicht zur conventionality control betrifft zwar grundsätzlich sämtliche staatliche Stellen, relevant wird sie jedoch primär für staatliche Gerichte, IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs. Concurring Opinion of Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, ad hoc Judge, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, Rn. 35, 37; Ferrer Mac-Gregor, The Conventionality Control as a Core Mechanism of the Ius Constitutionale Commune, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 321 (333). 123 IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs. Concurring Opinion of Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, ad hoc Judge, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, Rn. 36. 124 Ibid.
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
Norm hinweisen, auf dass in dieser Instanz die conventionality control durchgeführt wird.125 In jüngeren Urteilen stellte der Gerichtshof fest, dass nicht allein staatliche Gerichte zur conventionality control verpflichtet sind, sondern „all bodies of the State, including its judges and other bodies involved in the administration of justice at all levels.“126 Diese Definition schließt alle Formen der Gerichtsbarkeit ein, inklusive der Verfassungsgerichtsbarkeit und entsprechender Kammern in den obersten Gerichten (Salas Constitucionales).127 Über das Instrument der conventionality control erlangen die Urteile des IAGMR eine Breitenwirkung (res interpretata) über den Einzelfall hinaus.128 Die conventionality control ist eingebettet in die Konstitutionalisierung der AMRK in den Verfassungen einiger Konventionstaaten und, neben der Anordnung von guarantees of non-repetition, eine wesentliche Ausprägung der objektiven Funktion der Beschwerde in der Praxis des IAGMR.
§ 2 Die Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR Die guarantees of non-repetition sind ferner ein Ausdruck des weitreichenden Verständnisses des IAGMR hinsichtlich der eigenen Entscheidungkompetenzen auf der Rechtsfolgenebene. Der Gerichtshof sieht sich aufgrund seiner Anordnungskompetenzen (Art. 63 Abs. 1 AMRK) als befugt an, bei Stattgabe einer Beschwerde sämtliche Inhalte der völkerrechtlichen Wiedergutmachungspflicht des verurteilten Staates zu bestimmen. Die vom IAGMR dabei bezweckte „vollständige Wiedergutmachung“ (reparación integrál) ist denkbar weitreichend: Neben Maßnahmen, die dem (annähernden) Ausgleich und der Abhilfe von Verletzungen im Einzelfall 125
Ibid., Rn. 39. IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, Rn. 225; IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 284. 127 Burgorgue-Larsen, Chronicle of a Fashionable Theory in Latin America: Decoding the Doctrinal Discourse on Conventionality Control, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 647 (655); die Verpflichtung zur conventionality control erstreckt sich auch auf die Legislative, IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 239. 128 IAGMR, Case of Gudiel Álvarez et al. („Diario Militar“) v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2012, Series C No. 253, Rn. 330; IAGMR, Case of the Santo Domingo Massacre v. Colombia. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 30. 11. 2012, Series C No. 259, Rn. 142; IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia. Voto Razonado del Juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, Beschl. v. 20. 03. 2013, Rn. 91; Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, 2020, S. 57. 126
§ 2 Die Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR
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dienen, umfassen die Anordnungen auch Handlungen, welche die Würdigung der Opfer im Lichte der Öffentlichkeit, die Prävention vergleichbarer Rechtsverletzungen sowie ganz allgemein die effektive Gewährleistung der Konventionsrechte im betreffenden Vertragsstaat erreichen sollen. Neben so diversen Maßnahmen wie öffentlichkeitswirksamer Gedenkveranstaltungen, der Einrichtung öffentlicher Entwicklungsfonds und der Strafverfolgung individueller Personen, ist dabei auch die Anordnung struktureller Reformen unter dem Titel der guarantees of non-repetition als Teil eines umfassenden Konzepts der „Wiedergutmachung“ unter Art. 63 Abs. 1 AMRK zu verstehen. Die rechtlichen Grundlagen der Rechtsfolgenanordnungen sowie die weitreichende Praxis des IAGMR sollen im Folgenden näher dargelegt werden, um die Anordnung der guarantees of non-repetition zu kontextualisieren.
A. Die Rechtsfolgenkompetenzen des IAGMR nach Art. 63 Abs. 1 AMRK Die Entscheidungsmacht des IAGMR bei Stattgabe einer Beschwerde ist in Art. 63 Abs. 1 AMRK niedergelegt: „If the Court finds that there has been a violation of a right or freedom protected by this Convention, the Court shall rule that the injured party be ensured the enjoyment of his right or freedom that was violated. It shall also rule, if appropriate, that the consequences of the measure or situation that constituted the breach of such right or freedom be remedied and that fair compensation be paid to the injured party.“129
Die Norm betrifft den Tenor der stattgebenden Entscheidung, der in der Praxis des Gerichtshofs aus der Feststellung der Rechtsverletzung und Anordnungen zur Wiedergutmachung und zur Kostentragung besteht.130
129
Art. 63 Abs. 1 AMRK lautet in der deutschen Übersetzung: „Kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung von durch diese Konvention geschützten Rechten oder Freiheiten stattgefunden hat, so ordnet der Gerichtshof an, dass dem verletzten Beteiligten der ungestörte Genuss des verletzten Rechts garantiert wird. Er ordnet geeignetenfalls auch an, dass die Folgen der Maßnahme oder Situation, die die Rechtsverletzung beinhaltete, beseitigt werden und dass dem verletzten Beteiligten eine angemesessene Entschädigung gezahlt wird.“ Übersetzung aus Thomas Buergenthal, Menschenrechtsschutz im Inter-Amerikanischen System, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 11 (1984), 169 (178). 130 Gem. Art. 46 Nr. 6 VerfO-IAGMR ergeht die Entscheidung über alle Verfahrensabschnitte in der Regel in einem Urteil („The Court may decide upon the preliminary objections, the merits, and the reparations and costs of the case in a single judgment.“); gem. Art. 65 Nr. 1 lit. g, h VerfO-IAGMR enthält das Urteil eine Feststellungsentscheidung über die Begründetheit der Beschwerde und eine Entscheidung über Wiedergutmachung und Kosten („the ruling on the case; the decision on reparations and costs, if applicable“); vor der Verfahrensreform im Jahr 2001 hielt der Gerichtshof noch getrennte Verhandlungen für jeden Verfahrensabschnitt ab und traf getrennte Urteile. Für eine Rückkehr zu dieser Praxis Cavallaro/Brewer, Reevaluating
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
Der Wortlaut von Art. 63 Abs. 1 AMRK sieht im Wesentlichen zwei unterschiedliche Aussprüche auf der Ebene der Rechtsfolgen vor: Satz 1 enthält die Befugnis und die Verpflichtung des Gerichtshofs anzuordnen, dass die Ausübung der verletzten Rechte zugunsten der verletzten Partei gewährleistet wird („that the injured party be ensured the enjoyment of his right or freedom that was violated“). Nach Satz 2 ist der Gerichtshof zudem befugt, die Beseitigung der Folgen der Rechtsverletzung und eine angemessene Entschädigung zugunsten der verletzten Partei anzuordnen („that the consequences […] be remedied and that fair compensation be paid to the injured party“).131 Anders als in Art. 41 EMRK ist die Anordnung der Beseitigung der Folgen der Rechtsverletzung dabei grundsätzlich nicht abhängig davon, ob vollständige Wiedergutmachung nach innerstaatlichem Recht nicht zu erreichen ist.132 Die travaux préparatoires des Art. 63 Abs. 1 AMRK zeigen, dass der Gerichtshof auf der Rechtsfolgenebene mit weitreichenden Kompetenzen zugunsten der verletzten Beteiligten ausgestattet werden sollte.133 Den Verhandlungen auf der Konferenz von San José im Jahr 1969 lag ein Vorschlag der IAKMR zugrunde, wonach der Gerichtshof nach der Feststellung einer Rechtsverletzung lediglich eine finan-
Regional Human Rights Litigation in the Twenty First Century: The Case of the Inter American Court, American Journal of International Law 102 (2008), 768 (781, 795 ff.). 131 Vgl. zur Auslegung näher unten S. 259 ff. und García Ramírez, La Jurisprudencia de la Corte interamericana de derechos humanos en materia de reparaciones, in: Corte Interamericana de Derechos Humanos (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos: Un Cuarto de Siglo: 1979 – 2004, 2005, S. 1 (11); Cristián Correa, Artículo 63. Reparaciones y medidas provisionales, in: Christian Steiner/Marie-Christine Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2. Aufl., Bogotá 2019, S. 9. 132 Vgl. den Wortlaut von Art. 41 EMRK: „If the Court finds that there has been a violation of the Convention or the Protocols thereto, and if the internal law of the High Contracting Party concerned allows only partial reparation to be made, the Court shall, if necessary, afford just satisfaction to the injured party.“ Hervorhebung hinzugefügt. In der Praxis des EGMR hat das Erfordernis der unvollkommenen Wiedergutmachung nach innerstaatlichem Recht allerdings wenig Bedeutung erlangt, da der EGMR die Frage nach einer gerechten Entschädigung in der Regel auch dann prüft, wenn nach innerstaatlichem Recht eine Entschädigung möglich ist, vgl. näher Meyer-Ladewig/Brunozzi, Artikel 41 EMRK, Gerechte Entschädigung, in: Meyer-Ladewig u. a. (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention Kommentar, 4. Aufl., 2017, Rn. 5 f. 133 Vgl. hierzu Sergio García Ramírez, El amplio horizonte de las reparaciones en la jurisprudencia interamericana de derechos humanos in: Peter Häberle/Domingo García Belaunde (Hrsg.), El control del poder. Homenaje a Diego Valadés, Mexiko-Stadt 2011, S. 87 (91 ff.); Dinah Shelton, Reparations in the Inter-American System, in: David J. Harris (Hrsg.), The InterAmerican System of Human Rights, Oxford 1998, S. 151 f.; warum die Staaten auf der Konferenz von San José für eine Befugnis optierten, die über jene des EGMR (heute Art. 41 EMRK) hinausging, ergibt sich aus den travaux préparatoires nicht. Tanzarella sieht hier einen Zusammenhang zu den besonderen „geschichtlichen Umständen“ und den schweren Menschenrechtsverletzungen über die der IAGMR verhandeln würde, Palmina Tanzarella, La disciplina dei rimedi nelle carte regionali dei diritti. La Corte europea dei diritti dell’uomo e la Corte interamericana a confronto, Verona 2006, S. 98.
§ 2 Die Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR
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zielle Entschädigung anordnen können solle.134 Die Erweiterung der Rechtsfolgenkompetenz im endgültigen Text ging auf die Initiative der Delegation Guatemalas zurück. Im schriftlichen Kommentar zum Kommissionsentwurf schlug Guatemala vor, dass der IAGMR, über die finanzielle Entschädigung hinaus auch Befugnisse haben sollte, um die Beseitigung der Folgen der Rechtsverletzung und die Gewährleistung der verletzten Rechte anzuordnen.135 Der zuständige Ausschuss nahm diesen Vorschlag an. Der Berichterstatter notierte, dass der IAGMR im Vergleich zum Kommissionstext nun über weitreichendere Kompetenzen zugunsten der verletzten Partei verfüge: „Committee II approved a text which is broader and more categorically in defense of the injured party than was the draft.“136 In der Plenarsitzung der Konferenz von 1969 wurde der Vorschlag des Commitee II mit geringfügigen Modifikationen angenommen.137
B. Das Konzept der reparación integral Wenngleich der IAGMR durch Art. 63 Abs. 1 AMRK bereits mit vergleichsweise weitreichenden Anordnungskompetenzen ausgestattet wurde, geht seine Praxis doch weit über den von Wortlaut und Entstehungsgeschichte vorgezeichneten Pfad hinaus. Der IAGMR hat sich in seiner Praxis nicht unmittelbar am Wortlaut und an der Struktur des Art. 63 Abs. 1 AMRK orientiert, sondern versteht die Norm primär in systematischer Hinsicht als einen Verweis auf das völkergewohnheitsrechtliche Prinzip vollständiger Wiedergutmachung, wie es im Urteil des StIGH in Chorzów Factory138 seine bekannteste Bekräftigung erfahren hat.139 An den Anfang seiner 134 Wobei die Entschädigung, anders als vor dem EGMR (ex Art. 50 EMRK, heute Art. 41 EMRK), nicht unter dem Vorbehalt innerstaatlichen Rechts stehen sollte, Draft Inter-American Convention on Protection of Human Rights, 21. 03. 1969, OEA/Ser.L/II.19/Doc.48, in: Thomas Buergenthal/Robert Norris (Hrsg.), Human Rights: The Inter-American System, Booklet Nr. 13, New York 1983, S. 1 (22); Art. 52 Abs. 1 lautete: „After it has found that there was a violation of a right or freedom protected by this Convention, the Court shall be competent to determine the amount of compensation to be paid to the injured party.“ 135 Observations by the Governments of the Member States on the Draft Inter-American Convention on Protection of Human Rights: Guatemala, 8. 11. 1969, in: Thomas Buergenthal/ Robert Norris (Hrsg.), Human Rights: The Inter-American System, Booklet Nr. 13, New York 1983, S. 1 (119, 132). 136 Report of Committee II: Organs of Protection and General Provisions, 30. 01. 1970, in: Thomas Buergenthal/Robert Norris (Hrsg.), Human Rights: The Inter-American System, Booklet Nr. 12, New York 1983, S. 1 (225, 232). 137 Der Entwurf des Committee II stellte die Anordnung nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 noch unter den Vorbehalt, dass die Ausübung der Rechte noch möglich sei. Diese Einschränkung wurde in der Plenarsitzung entfernt, García Ramírez, El amplio horizonte de las reparaciones en la jurisprudencia interamericana de derechos humanos in: Häberle/Belaunde (Hrsg.), El control del poder. Homenaje a Diego Valadés, 2011, S. 87 (92). 138 StIGH, Factory at Chorzów, Jurisdiction, Urt. v. 26. 07. 1927, Series A No. 9, S. 23; StIGH, Factory at Chorzów (Merits), Urt. v. 13. 07. 1928, Series A No. 17, S. 29; vgl. auch IGH,
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
Entscheidungen auf Rechtsfolgenebene stellt der Gerichtshof in der Regel folgende Erläuterung: „Article 63 (1) of the American Convention codifies a rule of customary law that is one of the fundamental principles of contemporary international law on State responsibility. Thus, when an unlawful act occurs that can be attributed to a State, the latter’s international responsibility is immediately engaged for the violation of an international norm, with the resulting obligation to make reparation and to ensure that the consequences of the violation cease.“140
Die aus dem Völkergewohnheitsrecht folgende Wiedergutmachungspflicht wird vom IAGMR sodann sehr weitreichend interpretiert. Sie geht insbesondere über das Konzept der Wiedergutmachung hinaus, wie es etwa in den ILC-Artikeln über die Staatenverantwortlichkeit (Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts) seinen Niederschlag gefunden hat.141 Nach Art. 31 ARSIWA zielt Reparation for Injuries suffered in the Service of the United Nations, Gutachten v. 11. 04. 1949, ICJ Reports, S. 174, 184. 139 In einigen frühen Urteilen unterschied der Gerichtshof in seinen Anordnungen noch zwischen „Reparations“ und einer „Duty to take domestic measures“. Während er unter ersterem Titel Maßnahmen zur Wiedergutmachung im engeren Sinne fasste, d. h. insbesondere die finanzielle Entschädigung, ordnete er unter letzterem Titel stärker auf die objektive Erfüllung der AMRK ausgerichtete Maßnahmen, wie die Untersuchung und Strafverfolgung individuell verantwortlicher Personen an. Später ging er dazu über, letztere Maßnahmen in die Anordnungen zur Wiedergutmachung zu integrieren und bezeichnete sie dort als „other forms of reparations“, vgl. etwa IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39, op. Rn. 4; IAGMR, Case of Castillo Páez v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 43, op. Rn. 2; IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, op. Rn. 6; IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 01. 1999, Series C No. 48, op. Rn. 1; IAGMR, Case of Cesti Hurtado v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 31. 05. 2001, Series C No. 78, Rn. 64, op. Rn. 5. 140 IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92, Rn. 60; IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 26; IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Reparations and Costs, Urt. v. 10. 09. 1993, Series C No. 15, Rn. 43; IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 40. 141 ILC, Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. 26 ff.; angenommen durch die ILC am 31. 05. 2001, ILC, Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session, 2001, A/56/10, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. 25; zur Kenntnis genommen von der UN Generalversammlung am 12. 12. 2001 und Empfehlung zur Kenntnisnahme an alle Mitgliedstaaten, General Assembly, Responsibility of States for internationally wrongful acts, Resolution v. 12. 12. 2001, A/RES/56/83; zum Gang des Kodifikationsprozesses durch die ILC, James Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility: Introduction, Text and Commentaries, Cambridge 2002, S. 1 ff.; James Crawford, State Responsibility: The General Part, Cambridge 2013, S. 35 ff.; Alain Pellet, The ILC’s Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts and Related Texts, in: James Crawford/Alain Pellet/Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, Oxford 2010, S. 76 ff.
§ 2 Die Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR
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die Wiedergutmachung primär auf die Beseitigung entstandener Nachteile und umfasst dabei in der Regel allein die Maßnahmen der Restitution und Entschädigung für den Inhaber des verletzten Rechts.142 Nicht-finanzielle Maßnahmen zur Genugtuung (satisfaction) sind nur ausnahmsweise gefordert und die nachholende Erfüllung der Primärverpflichtung (cessation) sowie die Prävention zukünftiger Verletzungen (assurances and guarantees of non-repetition) werden nicht als Teil der Wiedergutmachung verstanden.143 Demgegenüber fasst der IAGMR unter dem Begriff der Wiedergutmachung eine Vielzahl von Konsequenzen der Rechtsverletzung, deren Ziele weit über den Ausgleich und die Wiederherstellung der Opfer der Rechtsverletzung im engeren Sinne reichen können144: „Reparations is a generic term that covers the various ways a State may make amends for the international responsibility it has incurred (restitutio in integrum, payment of compensation, satisfaction, guarantees of non-repetitions among others).“145
Die anzuordnende Wiedergutmachung kann dabei etwa auch Maßnahmen zur Aufdeckung der Hintergründe der Rechtsverletzung, zur Würdigung der Opfer im öffentlichen Ansehen und zur Strafverfolgung individuell verantwortlicher Täter beinhalten. Insbesondere kann die anzuordnende Wiedergutmachung aber auch auf die nachholende Erfüllung der verletzten Verpflichtungen der Staaten zielen und über den Einzelfall hinausgehende präventive Maßnahmen umfassen:
142
Die ILC legt in Art. 31 (Reparation) fest: „1. The responsible State is under an obligation to make full reparation for the injury caused by the internationally wrongful act. 2. Injury includes any damage, whether material or moral, caused by the internationally wrongful act of a State.“ Der Referenzpunkt der Wiedergutmachungspflicht ist der durch die Rechtsverletzung verursachte Schaden. Gegenstand der Wiedergutmachung ist somit also auch allein die Beseitigung der verursachten Konsequenzen, nicht aber unmittelbar die Reaktion auf die Rechtsverletzung als solche. Als Grundformen der Wiedergutmachung nennt Art. 34 ARSIWA die Wiederherstellung des Zustands, der vor der Verletzung bestand (restitutio in integrum) und die Wiedergutmachung durch ein Äquivalent, nämlich, im Falle von materiellen Schäden durch Geld (compensation) und bei immateriellen Schäden zudem ggf. durch sonstige Handlungen wie Entschuldigungen und Anerkennungen der Verletzung (satisfaction), vgl. Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 481 ff. 143 Die ARSIWA unterscheiden hinsichtlich der Inhalte der Staatenverantwortlichkeit zwischen den Pflichten zur Beendigung noch andauernder Völkerrechtsbrüche (Cessation, Art. 30 (a)) und ggf. Abgabe von Zusicherungen und Garantien gegen zukünftige Rechtsverletzungen (Assurances and Guarantees of non-repetition, Art. 30 (b)) einerseits und der Pflicht zur Wiedergutmachung andererseits (Reparation, Art. 31); vgl. zur Reichweite des Wiedergutmachungsprinzips näher unten S. 248 ff. 144 Die Maßnahmen haben aber aus Sicht der Opfer ausgleichende Wirkungen, dazu Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 191; Nash Rojas, Las Reparaciones ante la Corte Interamericana de Derechos Humanos (1988 – 2007), 2. Aufl., 2009, S. 87. 145 IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 85; IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 01. 1999, Series C No. 48, Rn. 31; IAGMR, Case of Suárez-Rosero v. Ecuador. Reparations and Costs, Urt. v. 20. 01. 1999, Series C No. 44, Rn. 41; Hervorhebung hinzugefügt.
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR „The specific method of reparation varies according to the damage caused; it may be restitutio in integrum of the violated rights, medical treatment to restore the injured person to physical health, an obligation on the part of the State to nullify certain administrative measures, restoration of the good name or honor that were stolen, payment of an indemnity, and so on. […] The reparation may also be in the form of measures intended to prevent a recurrence of the offending acts.“146
Der IAGMR bezeichnet all diese Maßnahmen als Teil einer vollständigen Wiedergutmachung (reparación integral), da auch präventive und auf die Gesellschaft als Ganze ausgerichtete Maßnahmen für die Opfer der Rechtsverletzung Ausgleich und Befriedigung für erlittene Nachteile leisten können.147 Wo immer die Wiederherstellung des Zustands ex-ante nicht möglich sei, könne der IAGMR eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen mit ausgleichender Wirkung anordnen, darunter auch guarantees of non-repetition, um diesem Ideal näher zu kommen: „The reparation of the harm caused by the violation of an international obligation requires, whenever possible, full restitution (restitutio in integrum), which consists in the re-establishment of the previous situation. If this is not possible, as in most cases of human rights violations, the Court will decide measures to ensure the rights that have been violated and to redress the consequences of the violations. Therefore, the Court has considered the need to award different measures of reparation in order to redress the harm integrally, so that in addition to pecuniary compensation, measures of restitution, rehabilitation and satisfaction, as well as guarantees of non-repetition, are particularly relevant to the harm caused.“148 146 IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39, Rn. 41, Hervorhebung hinzugefügt; IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 450. 147 In zwei Urteilen hat der Gerichtshof gleichwohl ausdrücklich die „transformative“ Funktion seiner Wiedergutmachungsanordnungen betont. Bei Verletzungen, die ihren Hintergrund in strukturellen Diskriminierungen und Armut hätten sei es nicht genug, die Opfer wiederherzustellen, sondern Wiedergutmachung müsse einen Beitrag dazu leisten, die Situation der Opfer zu verbessern und die strukturellen Hintergründe der Rechtsverletzung zu beseitigen: „The Court recalls that the concept of ,integral reparation‘ (restitutio in integrum) entails the re-establishment of the previous situation and the elimination of the effects produced by the violation, as well as the payment of compensation for the damage caused. However, bearing in mind the context of structural discrimination in which the facts of this case occurred, which was acknowledged by the State […], the reparations must be designed to change this situation, so that their effect is not only of restitution, but also of rectification. In this regard, reestablishment of the same structural context of violence and discrimination is not acceptable.“ IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, 16. 09. 2009, Series C No. 205, Rn. 450; IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 276; doch hat der Gerichtshof diesen Begriff nicht weiter verwendet, kritisch dazu Clara Sandoval, The Inter-American System of Human Rights and Approach, in: Scott Sheeran/Nigel S. Rodley (Hrsg.), Routledge Handbook of International Human Rights Law, London 2013, S. 439; vgl. zum Konzept Jemima García-Godos, Reparations, in: Olivera Simic´ (Hrsg.), An Introduction to Transitional Justice, 2017, S. 177 (191 f.). 148 IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 11. 2014, Series C
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I. Ein opferzentriertes Verständnis der Wiedergutmachung Das Konzept der reparación integral orientiert sich an den Interessen der Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen, die lange Zeit den Hauptgegenstand der streitigen Gerichtsbarkeit des IAGMR gebildet haben.149 Die durchweg schwerwiegenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen der Opfer und ihrer Angehörigen stellten sich im Verfahrensabschnitt der Wiedergutmachung in der Regel als irreparabel dar.150 Gleichzeitig stieß die Beschränkung der Wiedergutmachung auf finanzielle Entschädigung, wie sie der IAGMR in seinen ersten Urteilen festgelegt hatte, bei vielen Opfern auf Ablehnung.151 In den Augen der zumeist armen Opfer vor dem IAGMR kann eine finanzielle Entschädigung zwar eine Unterstützung darstellen, um die eigene prekäre Situation zu verbessern und die eigenen Leiden in einem gewissen Maße auszugleichen. Ihr primäres Interesse liegt jedoch in der Aufklärung der Wahrheit über das Schicksal verschwundener Angehöriger, dem Ende der Straflosigkeit verantwortlicher Personen, der öffentlichen Rehabilitation No. 287, Rn. 543; IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211, Rn. 226; IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 79 ff. 149 Vgl. zur Rechtsprechungsentwicklung oben S. 24 ff. 150 Vgl. etwa IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs. Reasoned Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 24 f. Die Beschwerde betraf die willkürliche Inhaftierung, unmenschliche Behandlung und den späteren Tod des minderjährigen Walter Bulacio sowie die andauernde Straflosigkeit der Täter. Cançado Trindade ging auf die Grenzen von Wiedergutmachung, verstanden als Ausgleich und Wiederherstellung, angesichts gravierender physischer und psychischer Beeinträchtigungen ein: „In the conceptual framework of what is called – perhaps inadequately – ,reparations‘, we face a truly irreparable damage. Restitutio in integrum is impossible with respect to violation not only of the fundamental right to life but also, in my view, of other human rights such as the right to humane treatment. Under circumstances such as those being considered here – among many others – reparations for human rights violations only provide the victims the means to attenuate their suffering, making it less unbearable, perhaps bearable.“ 151 Bereits in Velásquez Rodríguez v. Honduras hatten die Angehörigen des „verschwundenen“ Studenten weitreichende Anordnungen gefordert, die über finanzielle Entschädigung hinausgingen, etwa die Untersuchung aller bekannten Fälle von Verschwundenen, die Verfolgung und Bestrafung der Täter, eine offizielle Gedenkveranstaltung, die Benennung eines öffentlichen Ortes nach den Opfern sowie die Einrichtung eines Fonds für Angehörige. Der Gerichtshof verwies hingegen darauf, dass in der Praxis des internationalen Menschenrechtsschutzes die Wiedergutmachung für „emotionale Schäden“ durch finanzielle Entschädigung erfolge und das Merits-Urteil bereits eine Form der Wiedergutmachung für die Familien aller Opfer dargestellt habe, IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 7, 31; vgl. hierzu Shelton, Reparations in the Inter-American System, in: Harris (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, 1998, S. 151 (169), wonach die begrenzte Rolle des IAGMR auf der Rechtsfolgenebene in Kontrast zu den weitreichenden Feststellungen und der Brandmarkung der Praxis Honduras’ in der Urteilsbegründung stand; kritisch auch William Michael Reisman, Compensation for Human Rights Violations: The Practice of the Past Decade in the Americas, in: Christian Tomuschat/ Albrecht Randelzhofer (Hrsg.), State Responsibility and the Individual – Reparation in Instances of Grave Violation of Human Rights, Den Haag 1999, S. 63 (65, 74).
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nach Jahren der Ausgrenzung und Kriminalisierung sowie schließlich in der Prävention ähnlicher Verletzungen.152 Es geht für die Opfer vor dem IAGMR um eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen, die sich nicht in finanzieller Entschädigung erschöpfen und die insgesamt eine Anerkennung als Opfer bedeuten. Es geht darum, die eigene Würde wiederhergestellt zu sehen und dem Leiden einen Sinn zu geben.153 Der Gerichtshof hat im Verlauf seiner Rechtsprechung diese Interessen der Opfer in sein Verständnis von Wiedergutmachung aufgenommen und den Umfang seiner Anordnungen auf Rechtsfolgenebene drastisch erweitert.154 Ein Anstieg der Anordnungen nicht-finanzieller Maßnahmen der Wiedergutmachung fiel insbesondere 152 Vgl. speziell zum IAGMR die umfassende Studie Beristains, der auf Grundlage von Interviews mit Opfern, Angehörigen, Anwälten und Richtern die psychosoziale Situation der Opfer, ihre Ziele vor dem Gerichtshof und die Folgen des Verfahrens untersucht hat, Carlos Martín Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, San José 2008, S. 35 ff. zu den Forderungen der Opfer insb. S. 248 ff.; ferner Fabián Salvioli, Que veulent les victimes de violations graves des droits de l’homme?, in: Kathia Martin-Chenut/Elisabeth Lambert-Abdelgawad (Hrsg.), Réparer les violations graves et massives des droits de l’homme: La Cour interaméricaine, pionnière et modèle?, Paris 2010, S. 31. 153 Vgl. Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 5 f.; vgl. ferner allg. viktimologische Studien, Yael Danieli, Massive Trauma and the Healing Role of Reparative Justice, in: Carla Ferstman/Mariana Goetz/ Alan Stephens (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes against Humanity: Systems in Place and Systems in the Making, Leiden 2009, S. 41; Martien Schotsmans, Victims’ Expectations, Needs and Perspectives after Gross and Systematic Human Rights Violations, in: Koen De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, Antwerpen 2005, S. 105 (109 ff.); Antkowiak, An Emerging Mandate For International Courts: Victim-Centered Remedies and Restorative Justice, Stanford Journal of International Law 47 (2011), 279 (282 ff.). Hiernach kommt es gerade auf die Verbindung von finanziellen Entschädigungen mit komplementären Maßnahmen wie Wahrheitssuche, institutionelle Reform, Herstellung persönlicher Verantwortlichkeit und Gedenken an, ohne die eine finanzielle Entschädigung als ein Versuch angesehen werden könnte, die Opfer zum Schweigen zu bringen, vgl. pointiert Pablo de Greiff, Justice and Reparations, in: Pablo de Greiff (Hrsg.), The Handbook on Reparations, Oxford 2006, S. 451 (461). 154 So ordnete der Gerichtshof die Untersuchung und Strafverfolgung der persönlich für die Rechtsverletzung verantwortlichen Personen erstmals an in Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Merits, Urt. v. 08. 12. 1995, Series C No. 22, op. Rn. 4. Im Fall der ermordeten Straßenkinder (Villagrán-Morales et al. v. Guatemala) bestimmte er erstmals die Benennung einer Schule mit dem Namen der Opfer („This will contribute to raising awareness in order to avoid the repetition of harmful acts such as those that occurred in the instant case and will keep the memory of the victims alive“), IAGMR, Case of the „Street Children“ (VillagránMorales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 103. Vgl. näher zur Entwicklung Thomas M. Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The Inter-American Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351 (365 ff.); Cassel, The expanding scope and impact of reparations awarded by the Inter-American Court of Human Rights, in: De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, 2005, S. 191.
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in die Zeit der IAGMR-Präsidentschaft Cançado Trindades (1999 – 2003).155 Cançado Trindade vertrat im IAGMR ein umfassendes Verständnis der Funktionen und Formen von Wiedergutmachung, das weit über die „zivilrechtliche“ Tradition des Völkerrechts hinausreichen und sich an den Interessen der Opfer orientieren solle.156 Die besondere Berücksichtigung der Opferinteressen hat ferner seinen Hintergrund in der schrittweisen Gewährung von Beteiligtenrechten für Opfer und Angehörige im Beschwerdeverfahren, die im Verfahren der Wiedergutmachung, früher als in allen anderen Verfahrensabschnitten, als Beteiligte anerkannt wurden und dort ihre Interessen artikulieren konnten.157 Wesentlich war schließlich die frühe Praxis des Gerichtshofs, die Bestimmung der Rechtsfolgen zunächst einer Vereinbarung zwischen Opfern, Kommission und betroffenen Staat zu überlassen. Die hier getroffenen Lösungen machten die Interessen der Opfer explizit und stellten eine Inspirationsquelle für die spätere Praxis des IAGMR dar.158
155 Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The Inter-American Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351 (368 ff.). 156 Vgl. IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs. Joint Concurring Opinion of Judges A. A. Cançado Trindade and A. Abreu Burelli, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 17: „The whole chapter of reparations for violations of human rights ought to, in our view, be reassessed from the perspective of the integrality of the personality of the victim, bearing in mind her realization as a human being and the restauration of her dignity.“; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 37: „Article 63(1) of the American Convention […] renders it possible, and requires, that reparations be enlarged, and not reduced, in their multiplicity of forms. The fixing of reparations ought to be based on the consideration of the victim as an integral human being, and not on the degraded perspective of the homo oeconomicus of our days.“; IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs. Reasoned Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 27 ff. 157 Nach der Verfahrensordnung von 1991 konnten Opfer auf Einladung der Kommission nur als Teil der Delegation am gerichtlichen Verfahren teilnehmen und vom Gerichtshof im Verfahren der Wiedergutmachung angehört werden. Die Verfahrensordnung von 1996 sah erstmals die eigenständige Beteiligten- und Prozessfähigkeit der Opfer in Fragen der Wiedergutmachung vor, bevor diese Beteiligtenrechte im Jahr 2001 auf das gesamte Verfahren vor dem IAGMR ausgeweitet wurde, vgl. oben Fn. 91 m.w.N.. 158 So verwies der IAGMR als er in Villagrán-Morales et al. v. Guatemala die Benennung einer Schule mit dem Namen der Opfer anordnete auf eine entsprechende Anordnung in IAGMR, Case of Benavides Cevallos v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 06. 1998, Series C No. 38, Rn. 48, 55, op. Rn. 3, die dort allerdings Teil eines Übereinkommens gewesen war; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 103. Wie hier Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The Inter-American Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351 (371); Cassel, The expanding scope and impact of reparations awarded by the Inter-American Court of Human Rights, in: De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, 2005, S. 223.
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II. Institutionelle Hintergründe im Verfahren der Urteilsüberwachung Neben der Berücksichtigung der subjektiven Interessen der Opfer steht hinter dem umfassenden Konzept der reparación integral das institutionelle Interesse des IAGMR, die Umsetzung seiner Urteile besser zu steuern und auf die Achtung und Gewährleistung der AMRK in einem Staat größeren Einfluss nehmen zu können.159 Anders als im europäischen System existiert im Inter-Amerikanischen System kein besonderes politisches Organ, das die Umsetzung der Urteile überwacht. Diese Aufgabe wird durch den IAGMR selbst übernommen.160 Ferner erstreckt sich die Pflicht der Vertragsstaaten zur Umsetzung der Urteile (Art. 68 AMRK) allein auf die Anordnungen im Urteilstenor.161 Der IAGMR muss unter diesen Umständen die Vornahme bestimmter individueller oder genereller Maßnahmen verbindlich anordnen, damit deren Umsetzung von ihm selbst überwacht werden kann. Gleichzeitig muss er bei seinen Anordnungen keine Rücksicht auf die Kompetenzen anderer Institutionen nehmen.162 Der Gerichtshof begann in diesem Sinne etwa auch deshalb mit der verbindlichen Anordnung der Untersuchung und Strafverfolgung bestimmter Personen als Maßnahme der Wiedergutmachung, weil die bloße Feststellung andauernder Straflosigkeit in seinen ersten Urteilen folgenlos geblieben war.163 Die Aufnahme dieser 159 Vgl. Huneeus, Reforming the State from Afar: Structural Reform Litigation at the Human Rights Courts, The Yale Journal of International Law 40 (2015), 1 (8 ff.); Alexandra Huneeus, International criminal law by other means: the quasi-criminal jurisdiction of the human rights courts, American Journal of International Law 107 (2013), 1 (5 ff., 10: „When the Court decrees prosecution as a remedy, it opens the way for a proactive review of national prosecutions of international crimes.“); Huneeus, Courts Resisting Courts: Lessons From the Inter-American Court’s Struggle to Enforce Human Rights, Cornell International Law Journal 44 (2011), 493 (500 ff.); zur doppelten Funktion der Anordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK siehe auch Letizia Seminara, Les effets des arrêts de la Cour interaméricaine des droits de l’homme, Brüssel 2009, S. 62. 160 Vgl. unten S. 177 ff. 161 Vgl. oben S. 42. 162 Zum Vergleich des IAGMR zum EGMR in dieser Hinsicht Philip Leach, No longer offering fine mantras to a parched child? The European Court’s developing approach to remedies, in: Andreas Føllesdal/Birgit Peters/Geir Ulfstein (Hrsg.), Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, Cambridge 2013, S. 142 (175 f.). 163 In Velásquez-Rodríguez v. Honduras hatte der IAGMR festgestellt, dass Honduras selbst bei einer nicht nachweisbaren Beteiligung von staatlichen Agenten am Verschwindenlassen des Studenten Manfredo Velásquez Rodríguez die AMRK verletzt habe, da Art. 1 Abs. 1 AMRK u. a. die positive Verletzung enthalte, Fälle von erzwungenen Verschwindenlassen zu untersuchen, zu bestrafen und wiedergutzumachen. Honduras habe keine entsprechenden effektiven Handlungen unternommen. Auf eine gesonderte Anordnung, in Zukunft die Untersuchung und Strafverfolgung der Täter zu unternehmen, verzichtete der IAGMR allerdings, da schon im Merits-Urteil die andauernde Verpflichtung zur Untersuchung festgehalten worden sei und diese Begründung als „a principle of procedural law“ neben dem dispositif Verbindlichkeit erlangt habe, IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 32 ff. Zur Umsetzung der Anordnungen in Velásquez Rodrí-
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Verpflichtung in den Rechtsfolgentenor eröffnete die Möglichkeit, ihre Umsetzung in einem gesonderten Verfahren zu überprüfen und näher zu steuern.164 Entsprechend stellt auch die Anordnung von guarantees of non-repetition letztlich, neben einer Maßnahme der Genugtuung im Interesse der Opfer, die Konkretisierung einer bereits auf Grund von Art. 2 AMRK bestehenden Pflicht zur Prävention dar, die der Gerichtshof durch seine Anordnungen konkretisiert und im Verfahren der Urteilsüberwachung zu steuern versucht.165 Für das Verständnis des Konzepts der reparación integral ist es maßgeblich, dass der IAGMR seine subjektiv auf einzelne Opfer ausgerichteten Anordnungen zur Wiedergutmachung in die objektiv-rechtlichen Funktionen des Beschwerdeverfahrens integriert. Die Interessen der Opfer sowie der IAKMR und des IAGMR treffen sich im weitreichenden Konzept der reparación integral, das zwar zunächst auf die Opfer der festgestellten Rechtsverletzung ausgerichtet ist, jedoch auch weit darüber hinaus Wirkung entfalten soll.166 Der Verweis auf die weit verstandenen Interessen der Opfer stellt für den Gerichtshof eine Möglichkeit dar, in seinen grundsätzlich auf den Einzelfall beschränkten Anordnungen Breitenwirkung zu erzielen.167 Das Interesse der Opfer, den eigenen Rechtsverletzungen einen Sinn zu geben, für sich selbst und für andere, verbindet der Gerichtshof mit dem eigenen institutionellen Interesse, die Umsetzung seiner Urteile sowie die Beachtung der AMRK über den Einzelfall hinaus zu gewährleisten.168 Die Bezeichnung seiner Anordnungen als guez siehe Shelton, Reparations in the Inter-American System, in: Harris (Hrsg.), The InterAmerican System of Human Rights, 1998, S. 151; ferner Magnus Jesko Langer/Elise Hansbury, Monitoring Compliance with the Decisions of Human Rights Courts: The Inter-American Particularism, in: Laurence Boisson de Chazournes/Marcelo Kohen/Jorge E. Viñuales (Hrsg.), Diplomatic and Judicial Means of Dispute Settlement 2012, S. 213. 164 Da sich die Rechtsfolgenanordnungen in Velásquez-Rodríguez auf die Anordnung finanzieller Entschädigung beschränkten, beschränkte sich der IAGMR auch bei der Untersuchung der Urteilsumsetzung auf die Überprüfung, ob Ersatz geleistet, nicht aber ob auch der festgestellten Rechtsverletzungen abgeholfen wurde, vgl. Rn. 59: „The Court shall supervise the implementation of the compensatory damages at all of its stages. The case shall be closed when the Government has fully complied with the instant judgment.“ 165 Siehe dazu unten Teil 2, § 2, ferner Huneeus, Reforming the State from Afar: Structural Reform Litigation at the Human Rights Courts, The Yale Journal of International Law 40 (2015), 1 (10); Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 281 ff. 166 Vgl. etwa die Aussage des früheren Präsidenten des IAGMR, García Ramírez, La Jurisprudencia de la Corte interamericana de derechos humanos en materia de reparaciones, in: Corte Interamericana de Derechos Humanos (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos: Un Cuarto de Siglo: 1979 – 2004, 2005, S. 1 (6): „La defensa del derecho subjetivo vulnerado permite, pues, la preservación del orden jurídico objetivo. Lo que se hace por aquél trasciende a éste.“ 167 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 279 f.; Nash Rojas, Las Reparaciones ante la Corte Interamericana de Derechos Humanos (1988 – 2007), 2. Aufl., 2009, S. 87 f. 168 Ein wiederkehrendes Thema in der Wiedergutmachungsrechtsprechung stellen in diesem Sinne die Referenzen des IAGMR an die „Gesellschaft als Ganze“ dar. Besonders sichtbar
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Maßnahmen der individuellen Wiedergutmachung dient dem IAGMR so verstanden als eine Legitimation und rhetorische Verstärkung. Gleichwohl riskiert dieses Vorgehen, die objektiv-rechtliche Verpflichtung der Staaten zur Achtung der Konventionsrechte mit dem subjektiven Recht der Opfer auf Wiedergutmachung zu vermischen und damit letztlich zu schwächen.169 III. Konzeptionelle Hintergründe im Transitional Justice-Diskurs Das Konzept der reparación integral findet ferner seine Grundlagen schließlich in völkerrechtlichen soft law-Dokumenten über Abhilfe und Wiedergutmachung in Fällen schwerster und massiver Rechtsverletzungen.170 Zu nennen sind hier der General Comment 31 des UN-Menschenrechtsausschusses171, die Resolution über die Rechte von Opfern von Kriminalität und Machtmissbrauch von 1985172 sowie in besonderem Maße die Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law (UN-Grundprinzipien), die seit Ende der 1980er Jahre im UN-Menschenrechtsausschuss ausgearbeitet und im ist dies etwa in der Rechtsprechung zum „Recht auf Wahrheit“ über die Hintergründe schwerer Menschenrechtsverletzungen. Dieses Recht steht den Angehörigen von Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen nach Art. 8 und 25 AMRK zu. Die Anordnung von Untersuchung und Strafverfolgung in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen im Tenor des Urteils dient nach Ansicht des Gerichtshofs auch den berechtigten Interessen der „Gesellschaft als Ganze“ („an expectation regarding which the State must satisfy the next of kin of the victims and society as a whole“), IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Merits, Urt. v. 25. 09. 2000, Series C No. 70, Rn. 70; IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, Rn. 48; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 148; Judith Schönsteiner, Dissuasive Measures and the „Society as a Whole“: A Working Theory of Reparations in the Inter-American Court of Human Rights, American University International Law Review 23 (2007), 127 (139 ff.); Álvaro Francisco Amaya Villarreal, „Efecto reflejo“: la práctica judicial en relación con el derecho a la verdad en la jurisprudencia de la corte interamericana de derechos humanos, International Law: Revista Colombiana de Derecho Internacional 10 (2007), 131 (135 ff.). 169 Vgl. dazu näher unten S. 262 ff. 170 García Ramírez, El amplio horizonte de las reparaciones en la jurisprudencia interamericana de derechos humanos in: Häberle/Belaunde (Hrsg.), El control del poder. Homenaje a Diego Valadés, 2011, S. 87 (94); Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 15. 171 HRC, Nature of the General Legal Obligation on States Parties to the Covenant, General Comment 31, 29. 03. 2004, CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, Rn. 16: „[…] The Committee notes that, where appropriate, reparation can involve restitution, rehabilitation and measures of satisfaction, such as public apologies, public memorials, guarantees of non-repetition and changes in relevant laws and practices, as well as bringing to justice the perpetrators of human rights violations.“ 172 General Assembly, Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power, Resolution 40/34 v. 29. 11. 1985, A/RES/40/34.
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Jahr 2005 von der UN-Generalversammlung verabschiedet worden sind.173 Stärker noch als das allgemeine Recht der Staatenverantwortlichkeit stellen die UNGrundprinzipien die eigentliche Orientierung für die Wiedergutmachungsanordnungen des IAGMR dar, der seinerseits allerdings auch die Entwicklung der UNGrundprinzipien beeinflusst hat. Seit dem Jahr 2009 folgt die Struktur der Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR den Begriffen und der Struktur der UN-Grundprinzipien.174 Die UN-Grundprinzipien rezipieren die Praxis opferorientierter staatlicher Institutionen wie Wahrheitskommissionen und Wiedergutmachungsprogrammen zur Bewältigung der Folgen schwerer und systematischer Rechtsverletzungen.175 Ihr Gegenstand und ihr opferorientierter Ansatz entspricht somit ganz der Praxis des IAGMR. Die UN-Grundprinzipien enthalten ein umfassendes Verständnis der Wiedergutmachung, das neben finanziellen Entschädigungen Aspekte der Wahrheitssuche, der ökonomischen Entwicklung, der Strafverfolgung und der Prävention durch strukturelle Reformen beinhaltet.176 Damit integrieren sie sämtliche völkerrechtlichen Inhalte der Transitional Justice in ein weitreichendes Konzept der Wiedergutmachung. Der Begriff der Transitional Justice bezeichnet nach der Definition des UN-Generalsekretärs die Gesamtheit der besonderen Regeln und Mechanismen zur Aufarbeitung vergangenen Unrechts nach der Beendigung von Konflikten und Regimeübergängen: 173
General Assembly, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution 60/147 v. 16. 12. 2005, A/RES/60/ 147. Zu den UN-Grundprinzipien auch näher unten S. 237 ff. 174 Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 16; Hélène Tigroudja, La satisfaction et les garanties de non-répétition de l’illicité dans le contentieux interaméricain des droits de l’homme, in: Elisabeth Lambert-Abdelgawad Kathia Martin-Chenut (Hrsg.), Réparer les violations graves et massives des droits de l’homme: La Cour interaméricaine, pionnière et modèle?, Paris 2010, S. 69 (72). 175 Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Study Concerning the Right to Restitution, Compensation and Rehabilitation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Fundamental Freedoms, Final report submitted by Mr. Theo van Boven, Special Rapporteur, 02. 07. 1993, UN Doc E/CN. 4/Sub.2/1993/8; Marten Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles: An Appraisal, Netherlands Quarterly of Human Rights 24 (2006), 641; Theo Van Boven, Victim’s Rights to a Remedy and Reparation: The New United Nations Principles and Guidelines, in: Carla Ferstman/Mariana Goetz/Alan Stephens (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes Against Humanity: Systems in Place and Systems in the Making, Leiden 2009, S. 19. 176 Vgl. insbesondere Nr. 22 und 23 der UN-Grundprinzipien (Satisfaction und Guarantees of Non-Repetition), ferner García-Godos, Reparations, in: Simic´ (Hrsg.), An Introduction to Transitional Justice, 2017, S. 177 (183 f.); Dinah Shelton, The United Nations Principles and Guidelines on Reparations: Context and Contents, in: Koen De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, Antwerpen 2005, S. 11 (19 ff.); Frédéric Vanneste, General International Law Before Human Rights Courts, Antwerpen 2010, S. 500 ff.
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR „The notion of transitional justice […] comprises the full range of processes and mechanisms associated with a society’s attempts to come to terms with a legacy of large-scale past abuses, in order to ensure accountability, serve justice and achieve reconciliation.“177
Die wesentliche Maßgabe des Völkerrechts für Transitional Justice ist die Verpflichtung zu einer gewissen Aufarbeitung von Rechtsverletzungen der Vergangenheit und zur Schaffung von „Gerechtigkeit im Übergang“. Gerechtigkeit wird in diesem Kontext allerdings nicht allein vergeltend, sondern umfassend verstanden: Neben strafrechtlicher Aufarbeitung beinhaltet sie die gerichtliche und außergerichtliche Aufarbeitung der Wahrheit über Taten, Täter und Hintergründe, die Entschädigung der Opfer, den Schutz vor zukünftigen Rechtsverletzungen, die Aufdeckung politischer und ökonomischer Verantwortlichkeiten und die Abschöpfung von Gewinnen.178 Die UN-Grundprinzipien integrieren all diese Bestandteile der Transitional Justice in das Prinzip vollständiger Wiedergutmachung. Aus völkerrechtlicher wie moralphilosophischer Perspektive erweitern sie so das traditionelle Verständnis von Wiedergutmachung als ein Instrument ausgleichender Gerechtigkeit um Aspekte strafender und verteilender Gerechtigkeit.179 Als Grundlage für diese Ausweitung wird zum einen das Prinzip der Anerkennung angeführt, das allgemein dem Konzept der Wiedergutmachung zugrunde liegt, hierzu aber eine Vielzahl von Maßnahmen denkbar erscheinen lässt, soweit sie als performative Akte der Reue und Buße ver177 Security Council, The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies: Report of the Secretary General, 23. 08. 2004, S/2004/616, S. 4 (Rn. 8). 178 Die besonderen Herausforderungen der Aufarbeitung vergangenen Unrechts in innerstaatlichen Übergangsprozessen und Konflikten entziehen sich allerdings einem schematischen Zugriff und verbieten insbesondere die pauschale Übertragung von Prinzipien und Instrumenten, die vielleicht für eine demokratische Gesellschaft in Friedenszeit angemessen und geboten erscheinen mag; vgl. näher Colleen Murphy, The Conceptual Foundations of Transitional Justice, Cambridge 2017, S. 83 ff.; Anja Seibert-Fohr, Transitional Justice in PostConflict Situations, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Law, Online Edition 2015, 7 ff.; Kai Ambos, The Legal Framework of Transitional Justice: A Systematic Study with a Special Focus on the Role of the ICC, in: Kai Ambos (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice: Studies on Transitional Justice, Peace and Development, Berlin 2009, S. 19 (22); Ruti Teitel, Transitional Justice, Oxford 2000. 179 Vgl. Lisa J. Laplante, The Plural Justice Aims of Reparations, in: Susanne BuckleyZistel u. a. (Hrsg.), Transitional Justice Theories, Abingdon 2013, S. 66 (68 ff.), die neben „Reparative Justice“, verstanden als ausgleichende Gerechtigkeit weitere Gerechtigkeitsgehalte wie „Restorative Justice“, „Civic Justice“ und „Socio Economic Justice“ unter den Begriff der „Reparations“ fasst; vgl. auch Rodrigo Uprimny Yepes/Maria Paula Saffon, Reparaciones transformadoras, justicia distributiva y profundación democrática, in: Catalina Díaz Gómez/ Nelson Camilo Sánchez/Rodrigo Uprimny Yepes (Hrsg.), Reparar en Colombia: los dilemas en contexto de conflicto, pobreza y exclusión, Bogotá 2009, S. 31; skeptisch Rama Mani, Reparation as a Component of Transitional Justice: Pursuing Reparative Justice in the Aftermath of Violent Conflict, in: Koen De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, Antwerpen 2005, S. 53 (78 ff.); zu den unterschiedlichen Anliegen vgl. auch John Torpey, Making whole what has been smashed: On Reparations Politics, 2006, S. 54 ff.
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standen werden können.180 Zum anderen wird auf die besondere Situation von Gesellschaften und politischen Systemen verwiesen, die sich im Übergang von einer autoritären zu einer demokratischen Verfassung befinden. „Wiedergutmachung“ könne in dieser Situation nicht, wie etwa im Zivilrecht, bloß ausgleichend verstanden werden, zumal ein solcher Ausgleich angesichts der Schwere der Verletzungen ohnehin nicht möglich sei. „Wiedergutmachung“ müsse hier immer auch als Teil einer größeren politischen Agenda verstanden werden und zu einer gerechten Wiedergutmachung könnten insoweit all jene Maßnahmen gezählt werden, die einen Beitrag zur Schaffung von Institutionenvertrauen, Rechtsstaatlichkeit und Entwicklung leisten.181 Das Konzept der reparación integral findet seine Grundlage in diesem Diskurs.
C. Guarantees of non-repetition im Kontext der weiteren Rechtsfolgenanordnungen I. Maßnahmen zum Ausgleich und zur Wiederherstellung im konkreten Fall Die Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR beinhalten zunächst Maßnahmen, die im engeren Sinne als (annähernder) Ausgleich und Wiederherstellung der Opfer im entschiedenen Einzelfall verstanden werden können. Der Gerichtshof ordnet namentlich Maßnahmen der Restitution an, wenn die Wiederherstellung des rechtlichen oder tatsächlichen Zustandes ex ante möglich ist, ferner Maßnahmen zur Rehabilitation bei physischen und psychischen Beeinträchtigungen und finanzielle Entschädigung zum Ausgleich von fortbestehenden materiellen und immateriellen Schäden.182 180 Anerkennung bedeutet in diesem Kontext die Wahrnehmung und Berücksichtigung von Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen als moralische Subjekte und als Bürger mit gleichen Rechten, Martha Minow, Between Vengeance and Forgiveness: Facing History after Genocide and Mass Violence, Boston 1998, S. 93 f.; de Greiff, Justice and Reparations, in: de Greiff (Hrsg.), The Handbook on Reparations, 2006, S. 451 (460 f.); Frank Haldemann, Another Kind of Justice: Transitional Justice as Recognition, Cornell International Law Journal 41 (2008), 675 (697 ff.; 728 ff.); Ernesto Verdeja, Reparations in Democratic Transitions, Res Publica 12 (2006), 115 (117 ff.); grundlegend Axel Honneth, Kampf um Anerkennung: Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt a. M. 1994. 181 Vgl. de Greiff, Justice and Reparations, in: de Greiff (Hrsg.), The Handbook on Reparations, 2006, S. 451 (454); Naomi Roht-Arriaza, Reparations Decisions and Dilemmas, Hastings International and Comparative Law Review 27 (2004), 157 (160); zu einer Gerechtigkeitskonzeption im Transitional Justice-Diskurs, die sich überwiegend an dem Beitrag der betreffenden Maßnahme zur Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ausrichtet, siehe Murphy, The Conceptual Foundations of Transitional Justice, 2017. 182 Vgl. allg. IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Interpretation of the Judgment of Reparations and Costs, Urt. v. 17. 08. 1990, Series C No. 9, Rn. 26; aufgegriffen in IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 450 (spanischsprachige
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Der Maßstab der individuell ausgerichteten Anordnungen ist primär der durch die Rechtsverletzung verursachte Nachteil. Entsprechend lehnte der IAGMR bereits in Velásquez-Rodríguez v. Honduras die Anordnung von Strafschadensersatz (punitive damages) ab, deren Maßstab nicht die erlittene Einbuße des Opfers, sondern die Handlung und die Einstellung des Täters sei.183 Der IAGMR leitet aus dem Prinzip der Naturalrestitution ferner die, primär für materielle Schäden relevante, Maßgabe ab, dass die Wiedergutmachung weder eine Bereicherung noch eine Einbuße für das Opfer darstellen dürften, sondern sich strikt äquivalent zum verursachten Schaden zu bemessen habe: „Reparations are not supposed to enrich or impoverish the victim or his heirs.“184 Fassung); IAGMR, Case of López Lone et al. v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 10. 2015, Series C No. 302, Rn. 287. 183 Die Beschwerdeführer hatten aufgrund der systematischen Praxis des erzwungenen Verschwindenlassens Strafschadensersatz gefordert. Der Gerichtshof lehnte dies ab, da die in Art. 63 Abs. 1 AMRK genannte Entschädigung rein auf den Ausgleich von Schäden gerichtet sei („compensatory and not punitive“), IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 38; IAGMR, Case of GodínezCruz v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 8, Rn. 36; vgl. auch IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39, Rn. 43: „As the word suggests, reparation is achieved through measures that serve to ,repair‘ the effects of the violation committed. Their quality and their amount depend on the damage done both at the material and at the moral levels.“ Eine verwandte Diskussion entspann sich um das Konzept der aggravated responsibility in den Voten des Richters Cançado Trindade, der den Anordnungen des IAGMR in Fällen schwerster und systematischer Rechtsverletzungen eine strafende Dimension zumaß. Maßgebliche Bezugspunkte der Anordnungen seien in diesen Fällen nicht der Inhalt und Umfang der subjektiven Beeinträchtigungen, sondern die äußeren Umstände der Rechtsverletzung, ihre Planung, Ausmaß und Schwere, vgl. IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153, Rn. 29 ff.; IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs. Reasoned Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 41 ff. In der Rechtsprechung des IAGMR hat sich diese Sichtweise nicht durchsetzen können, vgl. näher Agostina N. Cichero/Sebastián Green Martínez, Punitive Damages and the Principle of Full Reparation in the Case Law of the Inter-American Court of Human Rights, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 337 (344 ff.); Hélène Tigroudja, La Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme au service de „L’Humanisation du Droit International Public“ propos autour des récents arrêts et avis, Annuaire français de droit international 52 (2006), 617 (631 ff.). 184 Hieraus haben sich Fragen zum Verhältnis der Entschädigung durch den IAGMR zum Ersatz durch staatliche Wiedergutmachungsprogramme ergeben, vgl. IAGMR, Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2008, Series C No. 192, Rn. 207; IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 210, 217; Clara Sandoval, Two steps forward, one step back: Reflections on the jurisprudential turn of the Inter-American Court of Human Rights on domestic reparation programmes, The International Journal on Human Rights (2017), 1 (4 ff.) m.w.N.; näher zur Äquivalenz zwischen Schaden und Wiedergutmachung auch Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 152 ff.
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Die Umstände und die Schwere der Rechtsverletzung bleiben in der Praxis des IAGMR indes nicht gänzlich außer Acht. Im Rahmen der Kalkulation der Entschädigung für immaterielle Schäden tritt auch die Genugtuungs- und Präventionsfunktion dieser Zahlungen zutage.185 1. Berechtigte der Wiedergutmachungsanordnungen Die Anordnungen zur Restitution, Rehabiliation und Entschädigung richten sich an die Personen, deren Rechtsverletzungen der IAGMR im Urteil festgestellt hat, die „injured party“/„parte lesionada“.186 Dies können in Fällen schwerster Rechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, Folter und außergerichtlichen Hinrichtungen auch die nahen Angehörigen des unmittelbaren Opfers sein, d. h. Eltern, Kinder, Partner und u. U. Geschwister, die aufgrund ihrer Nähebeziehung und ihres Einsatzes für ihre Nächsten erhebliche materielle Schäden und physische Beeinträchtigungen erlitten haben.187 Neben individuellen Berechtigten erkennt der Gerichtshof nunmehr auch die kollektive Berechtigung indigener Gemeinschaften auf der Ebene der Wiedergutmachung an.188 185
Vgl. dazu unten S. 71 ff. Der Begriff der „injured party“ entspricht nach aktueller Rechtsprechung dem des „victim“ in Art. 2 Nr. 33 VerfO-IAGMR („a person whose rights have been violated, according to a judgment emitted by the Court“). Der IAGMR unterschied in seiner frühen Rechtsprechung noch zwischen unterschiedlichen Kategorien von Berechtigten. Neben den Personen, deren Rechtsverletzungen der IAGMR im Urteil festgestellt hatte, fielen hierunter auch „indirekte“ Opfer, die aufgrund einer Art Drittschadens durch die Verletzung von Rechten einer anderen Person als berechtigt zur Wiedergutmachung angesehen wurden. In seinem ersten ReparationsUrteil erklärte der IAGMR so allein Manfredo Velásquez Rodríguez zum Opfer des erzwungenen Verschwindenlassens, dessen Frau und Tochter hingegen zu Berechtigten der Wiedergutmachung. In seiner weiteren Rechtsprechung ging der Gerichtshof schrittweise dazu über, die nahen Angehörigen von Opfern staatlicher Gewalt und Straflosigkeit auch selbst als Opfer von Konventionsverletzungen anzusehen, insbesondere der Rechte auf einen effektiven Rechtsbehelf gem. Art. 8 und 25 AMRK und dem Verbot der unmenschlichen Behandlung gem. Art. 5 Abs. 1 AMRK, vgl. IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 50 f.; IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Reparations and Costs, Urt. v. 10. 09. 1993, Series C No. 15, Rn. 76 f.; Clara Sandoval, The Concepts of‘ ,Injured Party‘ and ,Victim‘ of Gross Human Rights Violations in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights: A Commentary on their Implications for Reparations, in: Carla Ferstman/Mariana Goetz/Alan Stephens (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes Against Humanity: Systems in Place and Systems in the Making, Leiden 2009, S. 243 (249 ff.). 187 Der Gerichtshof wendet eine Vermutung an, dass die Leiden der Eltern, Kinder und Partner eines Opfers in diesen Fällen den Grad einer Verletzung von Art. 5 AMRK erreicht haben und ordnet Entschädigung wegen immaterieller Schäden an. Geschwister müssen eine Nähebeziehung nachweisen, vgl. vorstehende Fn. und IAGMR, Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2008, Series C No. 192, Rn. 119. 188 Der IAGMR stellte in seiner Praxis zunächst auf die Rechte sämtlicher Mitglieder einer indigenen Gemeinschaft, nicht aber der Gemeinschaft als solche ab. Diese gesamthänderische Konzeption von kollektiven Rechten hatte ihren Grund in Art. 1 Abs. 2 AMRK, wonach 186
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Berechtigte müssen bereits im Vorverfahren von der Kommission identifiziert worden sein.189 Nur im Fall von schweren und kollektiven Rechtsverletzungen, deren Ausmaß und Umstände eine frühzeitige Identifikation sämtlicher Opfer unmöglich gemacht haben, darf der IAGMR proprio motu bisher nicht bekannte Personen als Opfer des Falls hinzufügen (Art. 35 Abs. 2 VerfO-IAGMR).190 2. Ersetzbare Schäden Gegenstand der Wiedergutmachung im konkreten Fall sind zunächst Vermögensschäden (pecuniary damages), worunter entgangene Einnahmen aufgrund des Verlusts der Erwerbsfähigkeit, Aufwendungen aufgrund der Rechtsverletzung sowie die Minderung bestehender Vermögensgüter fallen: „The Court has developed the concept of pecuniary damage in its case law and has established that it supposes ,the loss of, or detriment to, the income of the victims, the expenses incurred because of the facts, and the consequences of a pecuniary nature that have a causal nexus with the facts of the case‘.“191 Rechtssubjekte der AMRK nur Individuen, nicht aber abstrakte Einheiten sein können. Auf der Ebene der Rechtsfolgen bestand indes seit Beginn der Rechtsprechung des IAGMR eine wachsende Bereitschaft, die kollektive Dimension der Rechtsverletzungen in Fällen indigener Gemeinschaften zu berücksichtigen, doch ordnete der Gerichtshof Wiedergutmachung auch hier zunächst zugunsten aller Mitglieder der jeweiligen Gemeinschaft an, nicht aber zugunsten der Gemeinschaft als solche, vgl. etwa IAGMR, Case of the Plan de Sánchez Massacre v. Guatemala. Reparations, Urt. v. 19. 11. 2004, Series C No. 116., Rn. 93. Mittlerweile hat der Gerichtshof die Rechtsfähigkeit indigener Gemeinschaften unter der AMRK anerkannt und sieht diese als Adressaten der Wiedergutmachung, IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, Rn. 284; Säuberli, The Case of the Kichwa Peoples of the Sarayaku v. Ecuador: Constructing a Right to Consultation and to Cultural Identitiy?, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The InterAmerican Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 573 (576 f.). 189 Art. 35 Abs. 1 VerfO-IAGMR: „The case shall be presented to the Court through the submission of the report to which article 50 of the Convention refers, which must establish all the facts that allegedly give rise to a violation and identify the alleged victims. […]“ Hervorhebung hinzugefügt. 190 Die lange überaus flexible Praxis des IAGMR, der im Wiedergutmachungsverfahren mitunter Personen als Berechtigte anerkannte, die zuvor nicht Teil des Beschwerdeverfahrens gewesen waren, war unhaltbar geworden, da sie sich als missbrauchsanfällig erwiesen hatte und das Verfahren der Kommission zu entwerten drohte, vgl. zum Betrug durch angebliche Opfer im Fall des Mapiripán Massacre v. Colombia: Säuberli, Revision Procedures: Revisiting the Case of Mapiripán Massacre v. Colombia, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The InterAmerican Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 51 (61 ff.). 191 IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, Rn. 43; IAGMR, Case of Norín Catrimán et al. (Leaders, members and activist of the Mapuche Indigenous People) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 05. 2014, Series C No. 279, Rn. 441. Unter die positiven Vermögensschäden (daño emergente) fasste der IAGMR im Fall der Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic etwa das gesamte verlorene Eigentum der konventionswidrig nach Haiti ausgewiesenen Familien, d. h. deren Häuser, Möbel und Nutztiere, die in der Dominikanischen Republik zu-
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Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Fällen die durch schwere Rechtsverletzungen verursachten finanziellen Beeinträchtigungen von Familien in einer besonderen Kategorie zusammengefasst (daño al patrimonio familiar). Hierunter fallen positive Schäden, wie die Kosten aufgrund der Suche nach Angehörigen, Ausgaben für Flucht und Exil, Kosten für Medikamente und psychologische Behandlung sowie entgangene Einnahmen durch die faktische Berufsunfähigkeit von Eltern infolge des Verlusts ihrer Kinder oder die Einstellung des Berufs während der Suche nach Verschwundenen.192 Dreh- und Angelpunkt der durch schwere Rechtsverletzungen geprägten Wiedergutmachungspraxis des IAGMR sind daneben immaterielle Schäden (non-pecuniary damages). Vom Begriff der immateriellen Schäden umfasst sind zunächst die physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Opfer und Angehörigen („the suffering and afflictions caused by the violation“) wie Depressionen, Angst, Unsicherheit, Frustration, Vulnerabilität, Trauer und Schuldgefühle.193 Daneben erkennt der IAGMR die Beeinträchtigung besonders wichtiger emotionaler Werte („the impairment of values that are very significant for the individual“) an, worunter er etwa die durch Verletzungen der Kerngewährleistungen und Straflosigkeit hervorgerufenen Gefühle der Herabsetzung und Diskriminierung der Opfer fasst.194 Der rückgelassen werden mussten; ersatzfähig ist auch der entgangene Gewinn durch den Entzug von Eigentum nach Art. 21 AMRK oder durch staatliche Zensur entgegen Art. 13 AMRK, IAGMR, Case of Palamara Iribarne v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 135, Rn. 238 ff.; IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, Rn. 480 ff. 192 IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 88; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, Rn. 59; IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, Rn. 77 f.; vgl. näher Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 105 ff. 193 Vgl. etwa zu den Folgen der Straflosigkeit für die Angehörigen von Opfern erzwungenen Verschwindenlassens IAGMR, Case of Juan Humberto Sánchez v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 06. 2003, Series C No. 99, Rn. 176: „In addition, prevailing impunity […] in this case has caused and continues to cause suffering to the next of kin, making them feel vulnerable and in a state of constant defenselessness vis-a`-vis the State, a situation that causes them deep anguish, as has furthermore been proven.“; IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 11. 2014, Series C No. 287, Rn. 600; IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, Rn. 56; IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 90; näher auch Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 3 ff. 194 IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 84; Correa, Artículo 63. Reparaciones y medidas provisionales, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 57.
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immaterielle Schaden umfasst schließlich Beeinträchtigungen in den sozialen Lebensumständen der Opfer und Angehörigen („any change of a non-pecuniary nature, in the living conditions of the victims“), worunter der Gerichtshof in einigen Fällen etwa die Destabilisierung und Desintegration von Familien zu fassen suchte.195 Diese Schäden berücksichtigen das Opfer in seinem realen Lebensumfeld und nehmen in besonderem Maße sozio-kollektive Dimensionen an, da sie den verursachten Beeinträchtigungen der Sozialstruktur einen Namen geben.196 So stellte der Gerichtshof in Fällen von Massakern in bewaffneten Konflikten die Zerstörung des Zusammenhalts der betroffenen Gemeinden fest, die einen Schaden jedes einzelnen Mitglieds darstelle und Maßnahmen der Wiedergutmachung erfordere.197 Als eine besondere Form des Schadens in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen hat der Gerichtshof ferner den Schaden am life project, life plan oder proyecto de vida entwickelt, der eindrücklich das Bemühen des IAGMR bzw. einiger seiner Richter zeigt, die tradierten Schadensposten des Völkerrechts konzeptionell an den tatsächlichen Interessen der Opfer auszurichten.198 Ausgangspunkt hierfür war der Fall Loayza Tamayo v. Peru, betreffend die willkürliche Inhaftierung eines angeblichen Mitglieds des „Leuchtenden Pfades“, in deren Folge das Opfer, eine Dozentin an der Universidad de San Martín de Porres, auch ihren Beruf und sämtliche Aufstiegschancen verloren hatte. Der Gerichtshof nahm hier entsprechende Forde195 Vgl. IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, Rn. 69: „The facts in the instant case and the subsequent exile of the Molina Theissen family also altered the conditions of its members’ lives; his parents stopped working to focus exclusively on finding their son; his sisters also gave up their jobs and their studies; the family felt constant danger due to the persecution it suffered. The victim’s parents and sisters were forced to leave Guatemala toward different countries, which for them meant abandoning the search for Marco Antonio, their next of kin, friends and colleagues at work, roots and belongings, and reestablishing themselves in a different society […].“; IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 53. 196 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 113; Correa, Artículo 63. Reparaciones y medidas provisionales, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 61 ff. 197 IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148, Rn. 385. Mittlerweile stellt der Gerichtshof bei indigenen Gemeinschaften ausdrücklich auf kollektive Schäden ab. 198 IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs. Joint Concurring Opinion of Judges A. A. Cançado Trindade and A. Abreu Burelli, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 17; näher zum proyecto de vida Burgorgue-Larsen, The Right to Determine Reparations, in: Burgorgue-Larsen/Úbeda de Torres (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Case Law and Commentary, 2011, S. 229 ff.; Jorge Francisco Calderón Gamboa, Reparación del daño al proyecto de vida por violaciones de derechos humanos, Mexiko-Stadt 2005, S. 3 ff.; Maria Auxilidora Solano Monge, La noción del daño al proyecto de vida en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, in: Renato Zerbini/ Ribeiro Leão/Andrew Drzemczewski (Hrsg.), Os rumos do direito internacional dos direitos humanos: ensaios em homanegem ao professor Antônio Augusto Cançado Trindade, Porto Alegre 2005, S. 135.
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rungen Loayza Tamayos auf und erörterte, dass der Schadensposten des proyecto de vida, in Abgrenzung vom Vermögensschaden, den materiellen Gehalt persönlicher Freiheit und das beeinträchtigte Interesse des Opfers an persönlicher Selbstverwirklichung beinhalte und als Schaden anzuerkennen sei: „The so-called ,life plan‘ deals with the full self-actualisation of the person concerned and takes account of her calling in life, her particular circumstances, her potentialities, and her ambitions, thus permitting her to set for herself, in a reasonable manner, specific goals, and to attain those goals. […] An individual can hardly be described as truly free if he does not have options to pursue in life and to carry that life to its natural conclusion. Those options, in themselves, have an important existential value. Hence, their elimination or curtailment objectively abridges freedom and constitutes the loss of a valuable asset, a loss that this Court cannot disregard.“199
Seit dem Urteil hat der IAGMR allerdings nur sporadisch auf den Schadensposten des proyecto de vida zurückgegriffen, dessen Konzeption und Rechtsfolgen dadurch lange fraglich geblieben sind.200 Soweit berücksichtigt, führt der IAGMR diesen Posten überwiegend als Teil der immateriellen Schäden auf, die der finanziellen 199 IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 147. Die Wiedergutmachung nähere sich durch die Anerkennung des Schadens an den Lebenschancen dem Ideal voller Wiedergutmachung an. Im konkreten Fall stellte der IAGMR fest, dass die plausiblen und nicht allein möglichen Pläne des Opfers durch die Inhaftierung und Kriminalisierung grundlegend zunichtegemacht worden seien. Die Forderung nach der Wiedergutmachung der vereitelten Lebenschancen sei daher grundsätzlich zulässig. Nichtsdestoweniger verweigerte der IAGMR sodann jedoch die Anordnung von Schadensersatz, da zu diesem Zeitpunkt Rechtsprechung und Wissenschaft noch keine Maßstäbe für die finanzielle Entschädigung von Schäden am proyecto de vida entwickelt hätten. Der Zugang des Opfers zu einem internationalen Gericht und das Urteil stellten ausreichende Genugtuung für diese Art von Schaden dar, auch wenn sie nicht die Lebensschancen wiederherstellte. Allerdings ordnete der IAGMR die Wiedereinstellung des Opfers zu vollen Bezügen sowie die Wiedereingliederung in die Sozialversicherung an, ohne indes hierbei auf das proyecto de vida einzugehen. In ihren concurring opinions stimmten die Richter Cançado Trindade und Abreu Burelli der Entwicklung dieses Rechtskonzeptes zu, sprachen sich aber gegen die Anordnung von Schadensersatz zur Wiedergutmachung aus, da dies dem zu überwindenden zivilrechtlichen Konzept der Staatenverantwortlichkeit entsprechen würde. Vielmehr sei das proyecto de vida die Grundlage für Anordnungen zur Rehabilitation und Prävention, vgl. IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs. Joint Concurring Opinion of Judges A. A. Cançado Trindade and A. Abreu Burelli, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 12. Das Opfer hatte finanzielle Entschädigungen unter dem Posten des proyecto de vida mit Verweis auf die Arbeit von Carlos Fernández Sessarego, El daño al proyecto de vida, Derecho PUCP 50 (1996), 47 gefordert. 200 Vgl. in diesem Sinne bereits die Kritik von Richter Jackmann, wonach für diesen Schadensposten kein Bedarf bestehe, IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs. Separate Concurring Opinion of Judge Jackman, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, 2.: „I am of opinion that there is ample precedent in the jurisprudence of this Court, without necessity for the creation of a new head of damages, to permit the Court to assess the damage here identified and to make the appropriate orders in terms of Article 63 of the American Convention on Human Rights (,the Convention‘), from which the Court derives its authority to order reparations when it finds that there has been a violation of a right or freedom protected in the Convention.“
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Entschädigung aber auch sämtlicher weiterer Formen der Wiedergutmachung zugänglich sind.201 In diesem Sinne handelt es sich bei dem Schaden am proyecto de vida nicht um einen autonomen Schadensposten, sondern um eine besondere Ausprägung der immateriellen Beeinträchtigung insbesondere junger Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Wenngleich eine Konsistenz in den Anordnungen nicht erkennbar ist, so scheint der Schaden am proyecto de vida insbesondere mit der Anordnung von Rehabilitationsmaßnahmen sowie von Stipendien und Bildungsmaßnahmen verknüpft zu sein.202 3. Die Anordnungen des IAGMR a) Restitution Der IAGMR ordnet unter dem Titel der „Restitution“ beispielsweise die Wiedereinstellung rechtswidrig entlassener Personen203, die Wiederholung irregulär verlaufener Gerichtsverfahren204, die Rückgabe von Land an vertriebene indigene 201 In Cantoral Benavides v. Peru, der ebenfalls einen Fall willkürlicher Freiheitsentziehung im peruanischen Anti-Terrorkampf betraf, ging der IAGMR wieder auf den Verlust von Lebenschancen ein, da das Opfer durch die Haft in der Verwirklichung seiner Studiums und weiterer Ausbildungsschritte gehindert worden war. Der Gerichtshof erörterte die Beeinträchtigung des proyecto de vida zunächst unter dem Abschnitt der non-pecuniary damages, ging später aber in einem besonderen Abschnitt auf dessen Wiedergutmachung ein, indem Peru verpflichtete wurde, ein Stipendium für ein Studium an einer Universität in Brasilien zur Verfügung zu stellen, IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 60, 63, 80; vgl. auch IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114, Rn. 245; IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, Rn. 89; IAGMR, Case of Furlan and Family v. Argentina. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2012, Series C No. 246, Rn. 285; IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 314; IAGMR, Case of Alvarado Espinoza et al. v. México. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2018, Series C No. 370, Rn. 315 (hier als Teil der satisfaction). 202 Vgl. IAGMR, Case of Gómez Palomino v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 136, Rn. 144 f.; IAGMR, Case of Furlan and Family v. Argentina. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2012, Series C No. 246, Rn. 285 ff.; IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 314; IAGMR, Case of Alvarado Espinoza et al. v. México. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2018, Series C No. 370, Rn. 315. 203 IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 02. 2001, Series C No. 72, Rn. 214 (7); IAGMR, Case of De la Cruz Flores v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 11. 2004, Series C No. 115, Rn. 169 ff. 204 IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, Rn. 138 (7); IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, Rn. 223 (9); zur Löschung von Strafregistern vgl. IAGMR, Case of Suárez-Rosero v. Ecuador. Reparations and Costs, Urt. v. 20. 01. 1999, Series C No. 44, Rn. 113 (1); allerdings
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Gemeinschaften205 oder die Garantie der Rückkehr vertriebener Personen206 an. Die Restitution dient der Wiederherstellung des rechtlichen oder tatsächlichen Zustandes vor der Rechtsverletzung und stellt für den IAGMR, soweit möglich, die vorrangige Form der Wiedergutmachung dar.207 Der Vorrang ergibt sich aus dem Ziel vollständiger Wiedergutmachung, dem die Restitution naturgemäß am nächsten kommt. In Fällen noch andauernder Rechtsverletzungen ergibt sich der Vorrang ferner daraus, dass die Restitution inhaltsgleich mit der Beendigung bzw. der nachholenden Erfüllung der Primärverpflichtung sein kann.208 Angesichts der unwiederbringlichen Verluste oder gravierenden Folgen der Rechtsverletzungen in der Rechtsprechung des IAGMR ist die Restitution trotz ihres Vorrangs allerdings oftmals ausgeschlossen
ordnet der Gerichtshof nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen Verfahrensrechte die Freilassung verurteilter Personen an, IAGMR, Case of Norín Catrimán et al. (Leaders, members and activist of the Mapuche Indigenous People) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 05. 2014, Series C No. 279, Rn. 422; IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Merits, Urt. v. 17. 09. 1997, Series C No. 33, Rn. 84; nicht dagegen in IAGMR, Case of Lori Berenson Mejía v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2004, Series C No. 119, Rn. 232 ff.; Antkowiak/Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 303; vgl. dagegen zum EGMR, der eine Wiederaufnahme in der Regel nicht anordnet MeyerLadewig/Brunozzi, Artikel 46 EMRK, Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile, in: Meyer-Ladewig u. a. (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention Kommentar, 4. Aufl., 2017, Rn. 28. 205 IAGMR, Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 06. 2005, Series C No. 124, Rn. 209, 212; IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125, Rn. 211 ff.; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146, Rn. 210 ff.; aufgrund der spirituellen Verbindung vieler Gemeinschaften mit ihrem angestammten Territorium kommt die Übertragung anderer Gebiete nur in Ausnahmefällen in Betracht, IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304, Rn. 325. 206 IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148, Rn. 404; IAGMR, Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 06. 2005, Series C No. 124, Rn. 212. 207 Vgl. etwa die Fälle der Wiedereinstellung entlassener Personen, in denen der Gerichtshof eine Entschädigung nur dann anordnet, wenn eine Wiedereinstellung zu gleichen Bezügen unmöglich ist, IAGMR, Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 08. 2008, Series C No. 182, Rn. 246; IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 02. 2001, Series C No. 72, Rn. 203. 208 So stellt etwa die Freilassung einer rechtswidrig inhaftierten Person gleichzeitig eine Maßnahme der Restitution persönlicher Freiheit sowie eine Form der Beendigung der andauernden Verletzung von Art. 7 Abs. 1 AMRK dar. In diesen Fällen ist die Substitution der Restitution durch eine andere Form der Wiedergutmachung also bereits durch die Primärverpflichtung ausgeschlossen, Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 201 ff.; Giulio Bartolini, Riparazione per violazione dei diritti umani e ordinamento internazionale, Neapel 2009, S. 231.
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oder nur unzureichend möglich.209 Der Gerichtshof hat diese Realität in sein ständiges dictum über den Vorrang der Restitution und die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen der Wiedergutmachung integriert: „If restitution is not possible, as indeed in most cases of human righs violations, the international court must determine the measures that will guarantee the violated rights and repair the consequences of the violations produced, as well as establish payment of compensation for the damage caused, and ensure the non-repetition of harmful acts such as those that occurred in this case.“210
b) Rehabilitation In Fällen von Verletzungen der Kerngewährleistungen wie Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit durch Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Freiheitsberaubungen ordnet der Gerichtshof regelmäßig spezifische Maßnahmen der „Rehabilitation“ durch staatliche Institutionen an. Dies können Maßnahmen zur psychologischen und medizinischen Betreuung der Opfer und zur Abgabe entsprechender Medikamente sein, abhängig vom Gesundheitszustand der Opfer.211 Sie bezwecken die Bewältigung der gravierenden körperlichen, psychischen und emotionalen Beeinträchtigungen, die als Folge der Rechtsverletzung entstanden sind. Der IAGMR ordnet in seiner jüngeren Rechtsprechung grundsätzlich kostenfreie Rehabilitationsmaßnahmen durch staatliche Institutionen an, deren Inhalt abhängig von den jeweiligen Bedürfnissen der Opfer ist und grundsätzlich keiner Frist unterliegt.212 Ausnahmsweise, in Fällen, in denen die Behandlung in staatlichen Institutionen nicht möglich oder nicht zumutbar erscheint, ist die Übernahme von Kosten von privaten 209 IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs. Concurring Opinion of the Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, S. 1: „When all is said and done, restitutio only represents a reference point, an ideal target, in both meanings of the word: an idea and an unattainable goal.“ 210 Vgl. nur IAGMR, Case of Barbani Duarte et al. v. Uruguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 13. 10. 2011, Series C No. 234, Rn. 240. 211 Vgl. in diesem Sinne Nr. 21 der UN-Grundprinzipien: „Rehabilitation should include medical and psychological care as well as legal and social services.“; IAGMR, Case of Espinoza Gonzáles v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2014, Series C No. 289, Rn. 314 ff.; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 263; IAGMR, Case of Chitay Nech et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 25. 05. 2010, Series C No. 212, Rn. 255 f. 212 IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359, Rn. 209 ff.; IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 11. 2014, Series C No. 287, Rn. 567; IAGMR, Case of Chitay Nech et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 25. 05. 2010, Series C No. 212, Rn. 255 f.; IAGMR, Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2004, Series C No. 112, Rn. 318 ff.; kritisch dazu Antkowiak/Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 303.
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Behandlungen möglich.213 Als verwandte Maßnahmen der Rehabilitation ordnet der Gerichtshof insbesondere bei schweren Verletzungen der Rechte von Kindern und Jugendlichen die Bereitstellung von Bildungsmaßnahmen und die Gewährung von Stipendien an.214 Diese Anordnungen verknüpfte der IAGMR in seiner frühen Rechtsprechung insbesondere mit dem Konzept des proyecto de vida. Die Rehabilitation ist eng an die Idee der Restitution angelehnt, ist aber nicht mit dieser gleichbedeutend. Es geht bei der Rehabilitation weniger um die Wiederherstellung eines vergangenen oder hypothetischen Zustandes, sondern primär um die Bewältigung von gravierenden Folgen, um Möglichkeiten des Lebens mit der Rechtsverletzung; es geht darum, die körperliche oder physische Verfassung zu bessern.215 Aus Sicht der Opfer vor dem IAGMR stellen diese Maßnahmen oftmals den Kern der Wiedergutmachung dar, da sie unmittelbar auf die Beseitigung der Folgen in ihrem Leben und ihrem Fortkommen zielen.216 c) Entschädigung (compensation) In Anbetracht der prekären Umstände vieler Opfer, der Schwere der vorgebrachten Rechtsverletzungen und der praktischen Schwierigkeit, über sämtliche erlittene finanzielle Beeinträchtigungen Beweis zu führen, stellt der IAGMR erleichterte Anforderungen an den Nachweis der Verursachung bestimmter Vermögensschäden.217 In der Regel kalkuliert er die Entschädigung für Vermögensschäden zudem nach Billigkeitsgesichtspunkten.218 Bestimmte positive Schadensposten, 213 IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232, Rn. 200; IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213, Rn. 235. 214 IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216, Rn. 257; IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 80. 215 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 215 f. 216 Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 283 ff.; 312 ff. 217 Álvaro Paúl, An Overview of the Inter-American Court’s Evaluation of Evidence, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 28 f.; 44 f.; Karine Bonneau, La jurisprudence innovante de la cour interamericaine des droits de l’homme en matière des droits à réparation des victimes de violations des droits de l’homme, in: Ludovic Hennebel/Hélène Tigroudja (Hrsg.), Le particularisme interaméricain des droits de l’homme, Paris 2009, S. 347 (355). 218 In seiner früheren Rechtsprechung kalkulierte der Gerichtshof die Entschädigung für Vermögensschäden bei erzwungenem Verschwindenlassen oder Tötungen noch nach einer Reihe objektiver Kriterien wie Alter, Lebenserwartung, Gehalt, Lebenshaltungskosten etc., IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989,
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etwa Beerdigungs- oder Heilungskosten, werden vom Gerichtshof vermutet.219 Im Rahmen der Bemessung entgangener Einnahmen im Falle verschwundener oder getöteter Opfer oder entzogenen Besitzes bestimmt der IAGMR in seiner jüngeren Rechtsprechung einen Pauschalbetrag („in fairness“) unter Berücksichtigung bestimmter Faktoren wie den Bildungsstand oder den Beruf des Opfers.220 Der IAGMR nimmt daneben in der Regel an, dass die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, Folter, Inhaftierung sowie ihre Angehörigen schwere immaterielle Beeinträchtigungen erleiden, ohne dass hierfür ein gesonderter Nachweis zu führen ist. Im Fall Ituango Massacre v. Colombia stellte er etwa fest: „As the Court has indicated in other cases, the non-pecuniary damage inflicted on the victims is evident, because it is inherent in human nature that all those subjected to brutal acts in the context of this case experienced intense suffering, anguish, terror and insecurity, so that this damage does not have to be proved.“221
Die Kalkulation der Entschädigung für immaterielle Schäden ergeht sodann nach dem billigem Ermessen des Gerichtshofs.222 Aufgrund der Unmöglichkeit eines Series C No. 7, Rn. 49; IAGMR, Case of El Amparo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 14. 09. 1996, Series C No. 28, Rn. 28; Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 226 ff.; kritisch zur aktuellen Kalkulationsmethode des IAGMR, welche die Höhe des zu erwartenden Ersatzes unvorhersehbar gemacht habe, Antkowiak/Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 295; Correa, Artículo 63. Reparaciones y medidas provisionales, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 54. 219 IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, Rn. 138; IAGMR, Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 06. 2005, Series C No. 124, Rn. 187; IAGMR, Case of the Pueblo Bello Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 01. 2006, Series C No. 140, Rn. 247 ff.; IAGMR, Case of Zambrano Vélez et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2007, Series C No. 166, Rn. 139. 220 IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 303 f.; Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 230. 221 IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148, Rn. 384; vgl. ferner IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114, Rn. 244; IAGMR, Case of Maritza Urrutia v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2003, Series C No. 103, Rn. 168. 222 Der Gerichtshof spricht von „reasonable application of judicial discretion and equity“, vgl. IAGMR, Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 06. 2005, Series C No. 124, Rn. 191; IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 156; ferner bereits IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 27; Antkowiak/Gonza, The American
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Ausgleichs immaterieller Verletzungen durch Geld orientiert sich der IAGMR dabei auch an der Schwere der Rechtsverletzung und an ihren Umständen. Neben der Gewährung eines annähernden Ausgleichs – die Entschädigung soll Leiden durch Annehmlichkeiten lindern und die Lebenssituation verbessern – dient die Entschädigung so auch der Befriedigung der Opfer. Aus dieser Doppelfunktion ergibt sich auch, dass eine Entschädigung in Geld für ganz geringe Beeinträchtigungen nicht in Betracht kommt. In diesen – seltenen – Fällen stellt der Gerichtshof fest „that the judgment constitutes, per se, a form of reparation“, weshalb es keiner finanziellen Entschädigung bedürfe.223 Beispielhaft ist etwa das Urteil in Anzualdo Castro v. Peru, der die Entführung und das Verschwinden eines Studenten im peruanischen bewaffneten Konflikt im Jahr 1993 betraf. Hier verwies der IAGMR bei der Kalkulation der Entschädigung auf seine Rechtsprechung in ähnlichen Fällen, die Umstände, insbesondere die Schwere der Verletzung im Einzelfall, den Zeitablauf, die verursachten Leiden und das Ausmaß der Straflosigkeit im betreffenden Fall: „In light of the compensations determined by the Tribunal in other cases on forced disappearance of people, the circumstances of the instant case, the relevance, nature and seriousness of the violations committed, the suffering caused to the victims and the treatment afforded to them, the time elapsed since the disappearance, the denial of justice as well as the change of the life plans and the remaining non-pecuniary consequences that they suffered […].“224
Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 296; näher zum Ersatz bei Tötung, Gabriele Bruckmann, Was kostet ein Menschenleben? Ein Vergleich der Schadensersatzurteile des Europäischen und des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach der Verletzung des Rechts auf Leben, Frankfurt am Main 2009, S. 252 ff. 223 IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73, Rn. 99; Bartolini, Riparazione per violazione dei diritti umani e ordinamento internazionale, 2009, S. 389. 224 IAGMR, Case of Anzualdo-Castro v. Peru. Preliminary Objection, Merits, Reparations and costs, Urt. v. 22. 09. 2009, Series C No. 202, Rn. 222. Ein wesentliches Kriterium für die Höhe der Ersatzpflicht ist die Bedeutung des verletzten Rechts. Die Entschädigung für Verletzungen von Kerngewährleistungen wie der Rechte auf Leben, Körper und Freiheit fällt in der Regel um ein Vielfaches höher aus als Verletzungen der Meinungsfreiheit, während Verletzungen des Rechts auf Privatleben mitunter keinen immateriellen Schadensersatz nach sich ziehen, vgl. etwa IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73, Rn. 99; IAGMR, Case of Perozo et al. v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 28. 01. 2009, Series C No. 195, Rn. 413; Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 239 f. m.w.N.. Bedeutsam für die Höhe der Rechtsverletzung sind ferner besonders gravierende Umstände, wie die von höchsten Stellen geplante Ermordnung des Opfers in Myrna Mack Chang oder die Ermordung schutzloser Straßenkinder in Villagrán Morales et al, IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 261; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 91, 93.
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Bei Angehörigen berücksichtigt der IAGMR die jeweilige persönliche Nähebeziehung zum Hauptopfer.225 Auch die Anzahl der Opfer im Fall hat Auswirkung auf die Höhe der Entschädigung. So ordnete der Gerichtshof in Fällen ausgedehnter Rechtsverletzungen der Rechte auf Leben und Körper vergleichsweise geringere Summen an als in Fällen mit einer geringeren Opferzahl.226 Die finanzielle Leistungsfähigkeit des betroffenen Staates – in Anbetracht der schwachen Wirtschaftskraft einiger Konventionsstaaten und der paradigmatischen Natur der behandelten Rechtsverletzungen von Relevanz – scheint folglich eine Rolle im Rahmen der finanziellen Entschädigung zu spielen.227 Eine Rolle spielt schließlich auch die Motivation des Opfers selbst, sodass der Gerichtshof in manchen Fällen auf die Entschädigung von Personen verzichtete, die eines Verbrechens schuldig oder dringend verdächtig waren.228 Im Rahmen dieser variablen Kriterien bewegen sich die Summen des Schadensersatzes vor dem IAGMR durchschnittlich auf einer etwas höheren Ebene als vor dem EGMR.229
225 IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, Rn. 109. 226 Siehe hierzu Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The InterAmerican Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351 (397 ff..); Antkowiak/Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 298. 227 Für ein solches Vorgehen bereits Christian Tomuschat, Reparation for Victims of Grave Human Rights Violations, Tulane Journal of International and Comparative Law 10 (2002), 157 (175 f.); Arturo J. Carillo, Justice in Context: the Relevance of Inter-American Human Rights Law and Practice to Repairing the Past, in: Pablo de Greiff (Hrsg.), The Handbook on Reparations, Oxford 2006, S. 504 (527 ff.). 228 IAGMR, Case of Cruz Sánchez et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 04. 2015, Series C No. 292, Rn. 483 (Mitglied einer Terrororganisation); IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, Rn. 130 (wegen Mordes zur Todesstrafe verurteilter Gefangener); zur Kritik Antkowiak/Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 297 f.; Bartolini, Riparazione per violazione dei diritti umani e ordinamento internazionale, 2009, S. 405. 229 Bruckmann kam auf Grundlage der Rechtsprechung bis zum Jahr 2009 zum Ergebnis, dass der IAGMR nach Verletzungen des Rechts auf Leben im Durchschnitt 230.000,00 US-$ für materielle und immaterielle Schäden zugesprochen hatte und damit deutlich über der Praxis des EGMR lag (unter 42.000,00 E), Bruckmann, Was kostet ein Menschenleben? Ein Vergleich der Schadensersatzurteile des Europäischen und des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach der Verletzung des Rechts auf Leben, 2009, S. 277. Die Entschädigung für immaterielle Schäden in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen rangierte in den 2010er Jahren in der Regel zwischen 50.000,00 und 100.000,00 US-$, vgl. IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 11. 2014, Series C No. 287, Rn. 603; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 296 (jeweils 100.000,00 US-$, erzwungenes Verschwindenlassen); IAGMR, Case of Espinoza Gonzáles v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2014, Series C No. 289, Rn. 334 (60.000,00 US-$, Folter); ferner m.w.N. Antkowiak/Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 297.
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Eine besondere Form der Entschädigung für immaterielle Schäden findet sich in einer Reihe von Fällen betreffend die Verletzung der Rechte indigener Gemeinschaften oder ihrer Mitglieder. Hier hat der Gerichtshof kollektiv ausgerichtete Entwicklungsprogramme angeordnet oder die Auflage von Fonds zur Unterstützung der Entwicklung solcher Gemeinschaften bestimmt.230 Im Fall des Plan de Sánchez Massacre v. Guatemala bestimmte er etwa detaillierte Entwicklungsmaßnahmen zugunsten jener Gemeinschaften, in denen die Opfer des Massakers an der lokalen Maya-Bevölkerung leben, darunter eine Verbesserung der Straßenverbindung sowie der Wasserversorgung, die Abordnung speziell geschulter Lehrer und den Ausbau der lokalen Gesundheitsversorgung.231 In späteren Urteilen ist der IAGMR überwiegend dazu übergegangen, statt bestimmter Entwicklungsmaßnahmen die Auflage entsprechender Geldfonds anzuordnen.232 Hinsichtlich der Natur seiner Anordnun230 In einem seiner ersten Urteile, Aloetoeboe et al. v. Surinam, ordnete der IAGMR die Wiedereröffnung und Unterhaltung einer Schule sowie einer Apotheke im Stammesgebiet der betroffenen Saramaka-Gemeinschaft an. Die Maßnahme ging auf einen Vorschlag Surinams zurück. Der Gerichtshof verstand sie als einen Teil der Entschädigung in natura („as part of the compensation due“) zugunsten der Kinder der Opfer, wenngleich auch der Stamm als Ganzes profitieren solle. Der IAGMR verknüpfte diese Anordnung mit der Erwägung, dass ein Teil der Entschädigung für die Kinder der Opfer in deren Bildung zu investieren sei, was ohne Schule nicht möglich sei, IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Reparations and Costs, Urt. v. 10. 09. 1993, Series C No. 15, Rn. 96; Jo Pasqualucci, Victim Reparations in the Inter-American Human Rights System: A Critical Assessment of Current Practice and Procedure, Michigan Journal of International Law 18 (1996), 2 (29); Ángel Salvador Ferrer, El fondo de desarrollo comunitario como reparación colectiva para las comunidades indígenas, Revista Instituto Interamericano de Derechos Humanos 62 (2015), 57 (60); Thomas M. Antkowiak, A Dark Side of Virtue: The Inter-American Court and Reparations for Indigenous Peoples, Duke Journal of Comparative & International Law 25 (2015), 1 (77 ff.). 231 IAGMR, Case of the Plan de Sánchez Massacre v. Guatemala. Reparations, Urt. v. 19. 11. 2004, Series C No. 116, Rn. 110; vgl. auch IAGMR, Case of Coc Max et al. (Massacre of Xamán) v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 08. 2018, Series C No. 356, Rn. 171; IAGMR, Case of the Indigenous Communities of the Lhaka Honhat Association (Our Land) v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2020, Series C No. 400, Rn. 332 f. 232 So bestimmte er in einer Reihe von Urteilen betreffend die Verletzung von Landrechten indigener Gemeinschaften in Paraguay die Auflage eines Entwicklungsfonds für das an die Gemeinschaft zu übergebende Land, „which will be used to implement educational, housing, agricultural and health projects, as well as to provide drinking water and to build sanitation infrastructure, for the benefit of the members of the Community.“, IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125, Rn. 205; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146, Rn. 224. Die Verwaltung dieses Fonds überantwortete der IAGMR in einigen Fällen einem paritätisch aus Opfern und staatlichen Vertretern besetzten „implementation committee“. In anderen Urteilen ordnete er hingegen die Auszahlung an die Gemeinschaft selbst an („the money may be invested as the People see fit, in accordance with its own decision-making mechanisms and institutions“). Allerdings legte er die Verwendung auf entwicklungsbezogene Maßnahmen fest („among other aspects, for the implementation of educational, cultural, food security, health care and eco-tourism development projects or other community infrastructure projects or projects of collective interest that the People considers a priority.“), IAGMR, Case of the In-
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gen verwies der Gerichtshof auf die Möglichkeit einer Entschädigung durch bestimmte Sachleistungen und auf die sozio-kulturellen Dimensionen des verursachten immateriellen Schadens.233 Es ist jedoch eindeutig, dass die Anordnung von Entwicklungsmaßnahmen über die Wiedergutmachung im engeren Sinne, verstanden als wiederherstellende Gerechtigkeit, hinausgeht, da sie an Defizite anknüpft, die bereits vor der Verletzung bestanden und auf die Verbesserung der Situation der betroffenen Gemeinschaft abzielt.234 II. Symbolische Maßnahmen: Öffentlichkeitswirksame Anerkennung und Erinnerung (satisfaction) 1. Die Praxis des IAGMR Der Gerichtshof ordnet unter dem Titel der satisfaction ferner eine Vielzahl symbolischer und in der Regel öffentlichkeitswirksamer Handlungen an, deren Wirkungen weit über den entschiedenen Einzelfall hinausreichen sollen. Die Maßnahmen der satisfaction nehmen in der Praxis des IAGMR eine zentrale Rolle ein.235 In beinahe allen Urteilen steht die Anordnung der Veröffentlichung des Urteils digenous Communities of the Lhaka Honhat Association (Our Land) v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2020, Series C No. 400, Rn. 340; Salvador Ferrer, El fondo de desarrollo comunitario como reparación colectiva para las comunidades indígenas, Revista Instituto Interamericano de Derechos Humanos 62 (2015), 57 (60 ff.). 233 IAGMR, Case of the Indigenous Communities of the Lhaka Honhat Association (Our Land) v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2020, Series C No. 400, Rn. 338; vgl. zur sozialen Dimension des Schadensbegriffs des IAGMR oben S. 64.; ferner Salvador Ferrer, El fondo de desarrollo comunitario como reparación colectiva para las comunidades indígenas, Revista Instituto Interamericano de Derechos Humanos 62 (2015), 59; Antkowiak, A Dark Side of Virtue: The Inter-American Court and Reparations for Indigenous Peoples, Duke Journal of Comparative & International Law 25 (2015), 1 (78); Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 35; Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The Inter-American Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351 (398). 234 In diesem Kontext wird allerdings auf die Gefahr hingewiesen, dass kollektive Maßnahmen der Wiedergutmachung existierende staatliche Pflichten zur Unterstützung und Entwicklung indigener Gemeinschaften ersetzen könnten, vgl. Roht-Arriaza, Reparations Decisions and Dilemmas, Hastings International and Comparative Law Review 27 (2004), 157 (186, 188); Antkowiak, A Dark Side of Virtue: The Inter-American Court and Reparations for Indigenous Peoples, Duke Journal of Comparative & International Law 25 (2015), 1 (78 f.); vgl. ferner zur Entwicklung des Gedankens der Wiedergutmachung im Bereich der Entwicklungspolitik Berthold Unfried, Vergangenes Unrecht: Entschädigung und Restitution in einer globalen Perspektive, Göttingen 2014, S. 47; der IAGMR betont insoweit, dass die angeordnete Wiedergutmachung die bereits existierenden staatlichen Pflichten nur ergänzen dürfe, IAGMR, Case of the Indigenous Communities of the Lhaka Honhat Association (Our Land) v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2020, Series C No. 400, Rn. 338. 235 Spiegelbildlich hat die Bedeutung finanzieller Entschädigung in der Praxis des IAGMR abgenommen. Während die Entschädigung zu Beginn der Rechtsprechung selbst in Fällen
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(bzw. einer Zusammenfassung), nicht allein in staatlichen Anzeigern, sondern in Tageszeitungen, Radio, Fernsehen und im Internet.236 In Fällen, in denen es sich bei den Opfern der Rechtsverletzung um Mitglieder indigener Gemeinschaften handelte, ordnete der Gerichtshof die Veröffentlichung des Urteils auch in der Sprache des betreffenden Volkes an und durch Medien, welche durch die Mitglieder genutzt werden (Radio etc.).237 Eine Maßnahme bei besonders schweren Menschenrechtsverletzungen ist die Anordnung eines öffentlichen Anerkenntnisses der festgestellten Rechtsverletzungen, welches durch hohe Staatsbeamte in Anwesenheit und in Absprache mit den Opfern bzw. ihrer Angehörigen durchzuführen ist.238 Die Anordnung schwerster und massiver Verletzungen die einzige Maßnahme zur Wiedergutmachung darstellte, nennt der Gerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung die Entschädigung nur als letzte unter den verschiedenen Maßnahmen der reparación integral und betont insbesondere die Notwendigkeit nicht-finanzieller Formen der Wiedergutmachung: „[…] the Court has considered the need to order several measures of reparation in order to fully redress the damage caused, and therefore, in addition to pecuniary compensation, the measures of restitution, satisfaction and guarantees of non-repetition are especially relevant.“ IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 241; Tigroudja, La satisfaction et les garanties de non-répétition de l’illicité dans le contentieux interaméricain des droits de l’homme, in: Martin-Chenut (Hrsg.), Réparer les violations graves et massives des droits de l’homme: La Cour interaméricaine, pionnière et modèle? , 2010, S. 69; Bartolini, Riparazione per violazione dei diritti umani e ordinamento internazionale, 2009, S. 230 ff. 236 Noch abgelehnt in IAGMR, Case of Castillo Páez v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 43, Rn. 96; erstmals in IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 79; für unterschiedliche Modalitäten der Veröffentlichung vgl. IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, Rn. 273; IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 11. 2014, Series C No. 287, Rn. 572 f. Im Verlauf seiner Praxis hat der Gerichtshof die Maßnahme modifiziert und gibt seit dem Jahr 2012 selbst eine Zusammenfassung des Urteils vor, die in einem öffentlichen Anzeiger und auf einer entsprechenden Website innerhalb von sechs Monaten zu veröffentlichen ist. Dies soll die Kosten der Veröffentlichung für den verurteilten Staat reduzieren und die oftmals sehr umfangreichen Urteile des IAGMR zugänglicher machen, Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 55. 237 IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, Rn. 308; IAGMR, Case of Yatama v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 06. 2005, Series C No. 127, Rn. 252 f.; IAGMR, Case of the Plan de Sánchez Massacre v. Guatemala. Reparations, Urt. v. 19. 11. 2004, Series C No. 116, Rn. 102 f. 238 IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 11. 2014, Series C No. 287, Rn. 572 f.; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 266; IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 469 f. Voraussetzung der Anordnung sind in der Regel Verletzungen der Kerngewährleistungen auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, die gravierende immaterielle Beeinträchtigungen zur Folge haben, sowie die Zustimmung der Opfer, die auf das Anerkenntnis auch
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im Fall Radilla Pacheco v. Mexico, einem Fall erzwungenen Verschwindenlassens und jahrzehntelanger Straflosigkeit durch die mexikanische Militärgerichtsbarkeit, ist hierfür exemplarisch: „[…] this Tribunal considers it necessary that the State hold a public act of acknowledgment of responsibility with regard to the facts of the present case and in satisfaction of the memory of Rosendo Radilla-Pacheco. Reference shall be made, in that act, to the violations of human rights declared in the present Judgment. Likewise, it shall be carried out through a public ceremony in the presence of high national authorities and the next of kin of Mr. RadillaPacheco. The State and the next of kin of Mr. Radilla-Pacheco and/or their representatives, shall agree on the modality of compliance with the public act of acknowledgment, as well as the specific aspects required, such as the place and date on which it will be held.“239
In Anknüpfung an die verschiedenen symbolischen Maßnahmen, mit denen in den Konventionsstaaten an das massenhafte Unrecht der Militärdiktaturen und bewaffneten Konflikte erinnert wird, hat der Gerichtshof in einer Reihe von Fällen ferner die Schaffung von Erinnerungsorten für die Opfer der festgestellten Rechtsverletzungen angeordnet.240 Dies sind etwa Gedenktafeln, die Benennung öffentlicher Orte wie Schulen, Straßen, Parks oder Plätze nach den Opfern oder die Aufnahme der Namen der Opfer in bereits existierende Gedenkstätten.241 Aber auch andere symbolische Formen der Erinnerung kommen in Betracht: Im Fall der Serrano Cruz Sisters v. El Salvador, der das massenhafte Verschwindenlassen von Kindern während des bewaffneten Konflikts El Salvadors und die andauernde Straflosigkeit der Täter theverzichten können. In Tristán Donoso v. Panama, der die rechtswidrige Veröffentlichung eines abgehörten Gesprächs, die Verurteilung des Opfers wegen Verleumdung und die Straflosigkeit der Täter betraf, erkannte der IAGMR zwar die nachhaltige Beeinträchtigung des Privatlebens und der persönlichen Ehre des Opfers als immaterielle Schäden an. Er lehnte jedoch, über die Anordnung der Veröffentlichung des Urteils hinaus, ein öffentliches Anerkenntnis als Maßnahme der Wiedergutmachung ab, IAGMR, Case of Tristán Donoso v. Panama. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 01. 2009, Series C No. 193, Rn. 200; Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 269 ff. 239 IAGMR, Case of Radilla Pacheco v. Mexico. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2009, Series C No. 209, Rn. 353. 240 Erstmals in IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 103 (Bennenung einer Schule nach den fünf ermordeten Straßenkindern); die Kommission begründete diese Anordnungen aus Opferperspektive: „it is extremely important to consider the needs and wishes of the victims and their next of kin when determining the reparations“, Rn. 96; vgl. dazu IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 9; zur Erinnerungskultur vgl. etwa Katrien Klep, Memorials, Memorialisation and Social Action in Santiago de Chile, in: Susanne Buckley-Zistel/Stefanie Schäfer (Hrsg.), Memorials in Times of Transition, Cambridge 2014, S. 199. 241 IAGMR, Case of Heliodoro-Portugal v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 12. 08. 2008, Series C No. 186, Rn. 253; IAGMR, Case of the Gómez Paquiyauri Brothers v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 07. 2004, Series C No. 110, Rn. 236; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, Rn. 88.
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matisierte, ordnete der Gerichtshof etwa die Einrichtung eines nationalen Gedenktags für die verschwundenen Kinder an.242 In Cepeda Vargas v. Colombia, betreffend die Ermordung des prominenten Politikers, Journalisten und Senators Manuel Cepeda Vargas im Kontext der Verfolgung von Mitgliedern der Partei Unión Patriótica in Kolumbien, ordnete der IAGMR eine Publikation und eine audiovisuelle Dokumentation über das Leben und politische Wirken des Opfers sowie die Vergabe eines Stipendiums an einen Journalisten der ehemaligen Zeitung des Opfers an. Der IAGMR bekräftigte: „such initiatives are significant for the preservation of the memory and satisfaction of the victims, and also for the recovery and re-establishment of the historical memory in a democratic society.“243 Die Anordnungen des IAGMR erreichen hierbei einen hohen Detailgrad. So bestimmte der Gerichtshof in Cepeda Vargas, dass die Dokumentation für die Dauer eines Monats wöchentlich in einem landesweit empfangbaren Fernsehsender zu zeigen sei, sowie darüber hinaus in einer öffentlichen Vorstellung in Bogotá.244 2. Individuelle und kollektive Dimensionen der satisfaction Die Anordnungen der satisfaction zielen in Vollzug des Prinzips der reparación integral auf die gravierenden immateriellen Beeinträchtigungen in Fällen schwerer Rechtsverletzungen und insbesondere auf die verletzte Würde der Opfer und ihrer Angehörigen. Diese Beeinträchtigungen entziehen sich nicht nur einer finanziellen Kalkulation, sie lassen zudem bloßen finanziellen Ersatz unangemessen erscheinen. Regelmäßig stellt der IAGMR in diesem Sinne fest: „Since it is not possible to allocate a precise monetary equivalent to non-pecuniary damage, it can only be compensated in two ways in order to make integral reparation to the victims. First, by payment of a sum of money or the granting of goods or services with a monetary value […]. Second, by performing acts or implementing projects with public recognition or repercussion, such as broadcasting a message that officially condemns the human rights violations in question and makes a commitment to efforts designed to ensure that it does not happen again. Such acts have the effect of restoring the memory of the victims, acknowledging their dignity, and consoling their next of kin.“245 242 IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 196. 243 IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213, Rn. 228; vgl. eine ähnliche Anordnung in IAGMR, Case of Ramírez Escobar et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 09. 03. 2018, Series C No. 351, Rn. 401. 244 Ibid.; vgl. auch Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 204; Tigroudja, La satisfaction et les garanties de nonrépétition de l’illicité dans le contentieux interaméricain des droits de l’homme, in: MartinChenut (Hrsg.), Réparer les violations graves et massives des droits de l’homme: La Cour interaméricaine, pionnière et modèle? , 2010, S. 69 (74). 245 IAGMR, Case of the 19 Merchants v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2004, Series C No. 109, Rn. 244; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-
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Die symbolischen Maßnahmen ergänzen den finanziellen Schadensersatz für immaterielle Schäden, indem sie Leiden lindern, Trost und Sinn spenden. Über ihre ausgleichende Natur hinaus sollen sie zudem bereits ihrem Namen nach Genugtuung (satisfaction) verschaffen, d. h. Befriedigung über die nunmehr zu Gunsten der Opfer vorzunehmenden staatlichen Handlungen.246 Die Würdigung im eigenen Ansehen und im Ansehen der Öffentlichkeit bedeutet eine Anerkennung als Opfer staatlichen Unrechts und entspricht dem Kern der Interessen der Opfer vor dem IAGMR. Für die Betroffenen stellen die Maßnahmen eine besonders wichtige Form der sozialen Rehabilitation und der Genugtuung dar, die allein durch finanzielle Entschädigung nicht erreichbar ist.247 Die große Reichweite der symbolischen Anordnungen reagiert ferner auf die große Bandbreite immaterieller Schäden, unter die der Gerichtshof nicht allein physische und psychische Leiden, sondern auch die Verletzung kultureller Interessen oder ganz allgemein die Beeinträchtigung der sozialen Lebensverhältnisse der Opfer fasst.248 Die öffentliche Strahlkraft der symbolischen Anordnungen verleiht ihnen ferner eine deutliche generalpräventive Ausrichtung, da sie ein öffentliches Unwerturteil über die festgestellte Rechtsverletzung zu senden versuchen.249 Die in der Regel in die Öffentlichkeit gerichteten Maßnahmen sollen die verletzte Rechtsordnung stabilisieren und dabei helfen, der Rechtsverletzung zugrunde liegenden Narrative aufzuzeigen und zu korrigieren. Die Anordnungen zielen so, neben den individuellen Beeinträchtigungen, auf die verletzte Rechtsordnung selbst und entfalten eine präventive Dimension, wie der Gerichtshof selbst bekräftigt („broadcasting a message Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 84. 246 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 258; Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 57 f.; zur Diskussion über die strafende Funktion vgl. auch Tigroudja, La satisfaction et les garanties de non-répétition de l’illicité dans le contentieux interaméricain des droits de l’homme, in: Martin-Chenut (Hrsg.), Réparer les violations graves et massives des droits de l’homme: La Cour interaméricaine, pionnière et modèle?, 2010, S. 69 (75). 247 Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 232 f. 248 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 251. 249 Vgl. IAGMR, Case of Vereda La Esperanza v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2017, Series C No. 341, Rn. 284 ff.; Maria Chiara Campisi, From a Duty to Remember to an Obligation to Memory? Memory as Reparation in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, International Journal of Conflict and Violence 8 (2014), 61 (74 ff.); Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 258; Tigroudja, La satisfaction et les garanties de non-répétition de l’illicité dans le contentieux interaméricain des droits de l’homme, in: Martin-Chenut (Hrsg.), Réparer les violations graves et massives des droits de l’homme: La Cour interaméricaine, pionnière et modèle?, 2010, S. 69 (73); Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The Inter-American Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351 (381).
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that officially condemns the human rights violations in question and makes a commitment to efforts designed to ensure that it does not happen again“). Der ehemalige IAGMR-Präsident und Richter García Ramírez wies in diesem Sinne wiederholt auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Veröffentlichung des Urteils hin, die zum einen Ausgleich und Genugtuung für die Opfer und Angehörigen im konkreten Fall bezweckten, zum anderen aber auch der Prävention zukünftiger Rechtsverletzungen dienten: „The purpose of publication and compensation is three-fold: a) on the one hand, the moral satisfaction of the victims or their successors, the recovery of honor and reputation that may have been sullied by erroneous or incorrect versions and comments; b) on the other, the establishment and strengthening of a culture of legality in favor, above all, of the coming generations; and c) lastly, serving truth, to the advantage of those who were wronged and of society as a whole.“250
Eindeutig ist ferner die gesamtgesellschaftliche Funktion von Erinnerungsorten, die symbolhaft auf Wirkung in der Öffentlichkeit ausgerichtet sind („projects with public recognition or repercussion“). Sie senden ein Signal der Missbilligung, des Bruchs mit der Vergangenheit und der Notwendigkeit der Prävention aus, wovon nicht nur die Opfer im Einzelfall, sondern die Gesellschaft als Ganze profitieren sollen. Entsprechend bekräftigte der Gerichtshof bereits in Villagrán Morales et al. v. Guatemala mit Blick auf die angeordnete Gedenkmaßnahme: „This will contribute to raising awareness in order to avoid the repetition of harmful acts such as those that occurred in the instant case and will keep the memory of the victims alive.“251 Schließlich dienen die Anordnungen auch der Umsetzung des sog. Rechts auf Wahrheit.252 Das Recht auf Wahrheit hat sich in der Rechtsprechung des IAGMR in Fällen erzwungenen Verschwindenlassens als eine Reaktion auf die Vorenthaltung von Informationen über das Schicksal und den Verbleib angeblich „verschwundener“ Opfer entwickelt.253 Es beinhaltet die Aufarbeitung der Umstände der Tat, der un250 IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs. Concurring Opinion of the Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, S. 3; ähnlich in IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge S. García Ramírez, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, S. 6. 251 IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 103; näher Campisi, From a Duty to Remember to an Obligation to Memory? Memory as Reparation in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, International Journal of Conflict and Violence 8 (2014), 61 (67 ff.). 252 Dazu auch näher S. 208 ff. 253 IAGMR, Case of Castillo Páez v. Peru. Merits, Urt. v. 03. 11. 1997, Series C No. 34, Rn. 90. Die Anerkennung des Rechts auf Wahrheit beruhte maßgeblich auf Forderungen der Kommission, die der Gerichtshof in Castillo Paéz v. Peru zunächst zurückgewiesen hatte. Unter dem Eindruck der Regimewechsel in Südamerika hatte die Kommission bereits in den 1980er Jahren festgestellt, dass den Angehörigen von Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen und der Gesellschaft als Ganze ein Recht auf Wahrheit über deren Hintergründe und Täter zustehe. Dieses Recht gründete die Kommission insbesondere auf die Meinungsfreiheit,
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mittelbar und mittelbar verantwortlichen Personen sowie der strukturellen Hintergründe. Als Teilgehalt des Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf (Art. 8 und 25 AMRK) und der Informations- und Meinungsfreiheit (Art. 13 AMRK) stellt es ein individuelles Recht dar.254 In seinen Wiedergutmachungsanordnungen versteht der IAGMR es darüber hinaus aber auch als ein kollektives Recht der Gesellschaft als Ganze, das zentral für das Funktionieren einer Demokratie sei: „The right that every person has to the truth has been developed in international human rights law and, as this Court has stated previously, the possibility of the victim’s next of kin knowing what happened to the victim and, if that be the case, the whereabouts of the victim’s mortal remains, is a means of reparation, and therefore an expectation regarding which the State must satisfy the next of kin of the victims and society as a whole.“255
Das Recht auf Wahrheit zeigt sich in den Rechtsfolgenanordungen etwa bei der Verpflichtung eines Staates zur Suche nach den sterblichen Überresten von Opfern und deren Übergabe an Angehörige256, bei der Anordnung, die Rolle staatlicher Sicherheitskräfte bei Massakern durch paramilitärische Einheiten aufzuklären257 oder bei der Verpflichtung, Archive zu öffnen, um die Aufarbeitung der Vergangenheit zu ermöglichen258.
IAKMR, Annual Report 1985 – 1986, 1987, Kap. V. Weitere Impulse zur Anerkennung eines Rechts auf Wahrheit kamen zu dieser Zeit auch von Seiten der Vereinten Nationen, vgl. etwa Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Question of the impunity of perpetrators of human rights violations (civil and political), Revised final report prepared by Mr. Joinet pursuant to Sub-Commission decision 1996/119, E/CN.4/Sub.2/1997/ 20/Rev.1. Vgl. insgesamt Johann Justus Vasel, Innovationsimpulse des interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 62 (2014), 737 (744 ff.); Amaya Villarreal, „Efecto reflejo“: la práctica judicial en relación con el derecho a la verdad en la jurisprudencia de la corte interamericana de derechos humanos, International Law: Revista Colombiana de Derecho Internacional 10 (2007), 131; Thomas M. Antkowiak, Truth as Right and Remedy in International Human Rights Experience, Michigan Journal of International Law 23 (2002), 977 (985 ff.). 254 Siehe näher die Erläuterungen in IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge Ferrer Mac-Gregor Poisot Urt. v. 14. 11. 2014, Series C No. 287, Rn. 7 ff. 255 IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, Rn. 76. Hervorhebung hinzugefügt. 256 IAGMR, Case of Neira Alegría et al. v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 1996, Series C No. 29, op. Rn. 4. 257 IAGMR, Case of the „Mapiripán Massacre“ v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 134, op. Rn. 7. 258 IAGMR, Case of Herzog et al. v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 03. 2018, Series C No. 353, Rn. 328 ff.; IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232, op. Rn. 10.
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III. Strafverfolgung individuell verantwortlicher Personen Der Gerichtshof ordnet bei besonders schweren Menschenrechtsverletzungen und der andauernden Straflosigkeit259 der Täter ferner strafrechtliche Ermittlungen sowie die Anklage und Verurteilung der verantwortlichen Einzelpersonen an, die mitunter im Urteil namentlich benannt werden.260 Dabei stellt er im Rahmen der Rechtsfolgenanordnungen detaillierte Anforderungen an die Umsetzung von Strafverfolgungsmaßnahmen.261 So ordnete er die Befolgung von internationalen Standards für die Aufklärung von außergerichtlichen Hinrichtungen wie dem sog. Minnessota Protocol an (United Nations Manual on the Effective Prevention and Investigation of
259 Beinahe sämtliche Fälle vor dem IAGMR in den 1990er und frühen 2000er Jahren zeichneten sich durch schwerste Menschenrechtsverletzungen und die andauernde Straflosigkeit der Täter aus, die entweder de jure, durch Amnestien, Verjährungen oder Freisprüche oder de facto durch mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, Unwillen oder Unvermögen der Strafverfolgungsorgane begründet war, vgl. Kai Ambos, Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen, Freiburg im Breisgau 1997; Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015. Im Fall Paniagua Morales et al. v. Guatemala, der eine Serie von Entführungen, Folter und außergerichtlichen Tötungen in Guatemala am Ende der 1980er Jahre und deren mangelhafte Aufklärung und Strafverfolgung betraf, definierte der Gerichtshof Straflosigkeit wie folgt: „[…] impunity meaning the total lack of investigation, prosecution, capture, trial and conviction of those responsible for violations of the rights protected by the American Convention, in view of the fact that the State has the obligation to use all the legal means at its disposal to combat that situation, since impunity fosters chronic recidivism of human rights violations, and total defenselessness of victims and their relatives.“ In Fällen von vergleichsweise leichten Menschenrechtsverletzungen ordnet der IAGMR mittlerweile nicht mehr die Untersuchung und Strafverfolgung auf Ebene der Rechtsfolgen an, vgl. IAGMR, Case of García Ibarra et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 11. 2015, Series C No. 306, Rn. 204 ff. 260 In den Honduras Disappearances Cases hatte der IAGMR trotz der Forderungen der Opfervertreter noch auf die Anordnung der Untersuchung- und Strafverfolgung der Täter im operativen Teil des Urteils verzichtet, IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4, Rn. 189, 194; vgl. dazu Diane Orentlicher, Settling Accounts: The Duty to Prosecute Human Rights Violations of a Prior Regime, Yale Law Journal 100 (1991), 2578, Fn. 173; Douglass Cassel, Lessons from the Americas: Guidelines for International Response to Amnesties for Atrocities, Law & Contemporary Problems 59 (1996), 210; der Gerichtshof ordnete eine Untersuchung und Strafverfolgung sodann erstmals in Caballero Delgado & Santana v. Colombia an: „Decides that the Republic of Colombia is obligated to continue judicial proceedings into the disappearance and the presumed death of the persons named and to extend punishment in accordance with internal law.“ IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Merits, Urt. v. 08. 12. 1995, Series C No. 22, Op. Rn. 4; vgl. insgesamt Fernando Felipe Basch, The Doctrine of the Inter-American Court of Human Rights Regarding States’ Duty to Punish Human Rights Violations and Its Dangers, American University International Law Review 23 (2007), 195 (196 f.). 261 Vgl. den umfangreichen Katalog an Anordnungen in IAGMR, Case of Alvarado Espinoza et al. v. México. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2018, Series C No. 370, Rn. 301; kritisch zur Praxis des IAGMR, Anja Seibert-Fohr, Prosecuting serious human rights violations, Oxford 2009, S. 82.
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Extra-Legal, Arbitrary and Summary Executions)262, gab Maßstäbe zur Beweiswürdigung im gerichtlichen Verfahren vor263, befahl bei völkerstrafrechtlich relevanten Delikten die Außerachtlassung von Verjährungsregeln und des Prinzips ne bis in idem264, verordnete nicht allein die Verfolgung der unmittelbaren Täter, sondern auch der Hintermänner und der Personen, die für die andauernde Straflosigkeit verantwortlich waren265, verbot die Anklage vor der Militärgerichtsbarkeit266 und 262 IAGMR, Case of Carpio Nicolle et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2004, Series C No. 117; später verwies er im Fall von Foltervorwürfen auch auf das sog. Istanbul Protocol: Manual on the Effective Investigation and Documentation of Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, IAGMR, Case of Lysias Fleury et al. v. Haiti. Merits and Reparations, Urt. v. 23. 11. 2011, Series C No. 236, Rn. 121. 263 IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagran-Morales et al.) v. Guatemala. Merits, Urt. v. 19. 11. 1999, Series C No. 63, Rn. 233. 264 IAGMR, Case of Albán Cornejo et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2007, Series C No. 171, Rn. 111; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 152; IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92, Rn. 106; Parra Vera, La jurisprudencia de la Corte Interamericana respecto a la lucha contra la impunidad: algunos avances y debates, Revista Jurídica de la Universidad de Palermo 13 (2012), 5 (9 f.). 265 IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 105; IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163, Rn. 158; in Cepeda Vargas v. Colombia ordnete der Gerichtshof ferner an, dass der Staat die unterschiedlichen Ermittlungsbehörden koordinieren müsse, um die Stukturen hinter der Verletzung, die dahinterstehenden Personen und unterstützenden Faktoren aufzudecken, IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213, Rn. 118, 216 (c). In Caracazo v. Venezuela ordnete der Gerichtshof erstmals an, dass alle Personen, welche die Untersuchung behinderten, bestraft werden müssten, IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95, Rn. 119. 266 Die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz als ein Faktor der Straflosigkeit stellt ein ständiges Thema der Rechtsprechung des IAGMR dar. Im Fall Castillo Petruzzi et al v. Peru, der die Inhaftierung und Verurteilung von vier angeblichen Mitgliedern der „Revolutionären Bewegung Túpac Amaru“ durch ein „gesichtsloses“ Militärgericht wegen Hochverrats zum Gegenstand hatte, stellte der IAGMR fest, dass die durch den Antiterrorkampf begründete Gerichtsbarkeit von Militärgerichten über Zivilisten für bestimmte Straftatbestände gegen das Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter aus Art. 8 AMRK verstieß, IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52, Rn. 128. Im Fall der 19 Merchants v. Colombia, der das Verschwindenlassen von fahrenden Händlern durch Paramilitärs betraf, sah der Gerichtshof die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit ebenfalls als Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und Art. 25 AMRK i.V.m. Art. 1 AMRK an. Auf Rechtsfolgenebene bestimmte der Gerichtshof sodann erstmals: „Competent ordinary criminal courts must investigate and punish the law enforcement personnel who took part in the facts.“ IAGMR, Case of the 19 Merchants v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2004, Series C No. 109, Rn. 263. Diese Feststellung und Anordnung auf Rechtsfolgenebene hat der Gerichtshof seither in einer Reihe von Fällen wiederholt, insbesondere gegenüber Kolumbien und Mexiko, IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163, Rn. 200; IAGMR,
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verlangte in einigen Fällen von den verurteilten Staaten, sich um die Auslieferung der Täter aus dem Ausland zu bemühen267. In Fällen, die das erzwungene Verschwindenlassen von Personen zum Gegenstand hatten, ordnete der Gerichtshof daneben auch die Suche und Übergabe des Leichnams der Opfer an die Angehörigen an.268 Die Anordnungen zur Untersuchung und Strafverfolgung dienen nach dem Konzept der reparación integral zum einen der Genugtuung der Opfer und Angehörigen.269 Entsprechend ordnete der Gerichtshof diese Maßnahme in einer Reihe von Urteilen auch unter dem Titel der satisfaction an.270 Zum anderen dienen die Case of Radilla Pacheco v. Mexico. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2009, Series C No. 209, Rn. 282. 267 Dies erstmals in Goiburú et al v. Paraguay, der das erzwungene Verschwindenlassen von Gegnern des paraguayischen Stroessner-Regimes, insbesondere von Augustín Goiburú, im Jahr 1977 im Kontext der Zusammenarbeit der südamerikanischen Militärdiktaturen in der sog. Operation Condor betraf. Der Gerichtshof untersuchte die nicht erfolgte Auslieferung des ehemaligen Präsidenten Stroessner aus Brasilien und des Innenministers Montanaro aus Honduras. Der Gerichtshof ordnete an, dass aufgrund der besonderen Schwere der Verletzungen und des internationalen Kontexts ihrer Begehung Paraguay wegen der allgemeinen Verpflichtung aus Art. 1 AMRK zur Untersuchungs- und Strafverfolgung auch die Auslieferung der Täter verfolgen müsse, IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153, Rn. 128, 130; ähnliche Anordnungen in La Cantuta v. Peru im Bezug auf die Auslieferung des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori aus Chile, IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, op. Rn. 9, Rn. 227. 268 IAGMR, Case of Neira Alegría et al. v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 1996, Series C No. 29, Op. Rn. 4. 269 Der Gerichtshof hat immer wieder betont, dass die andauernde Straflosigkeit für Opfer und Angehörige eine Quelle schwerer immaterieller Beeinträchtigungen darstellt, vgl. oben S. 64 ff.; hinsichtlich der Suche nach den sterblichen Überresten von Angehörigen, die der Gerichtshof etwa in in Bámaca Velásquez v. Guatemala, Trujillo Oroza v. Bolivia und Caracazo v. Venezuela anordnete, erörterte der IAGMR: „The Court deems that delivery of the mortal remains is in itself an act of reparation as it leads to restore the dignity of the victims, to honor the value of their memory to those who were their beloved ones, and to allow them to adequately bury them.“ IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95, Rn. 123; IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, Rn. 81; IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92, Rn. 115. 270 Die Anordnung der Untersuchung und Strafverfolgung wurde vom IAGMR lange unter den Titel „Other forms of reparation (measures of satisfaction and guarantees of non-repetition)“ zusammengefasst. Seit dem Jahr 2007 besteht hierfür eine eigenständige Kategorie, vgl. etwa IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 277; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, Rn. 78; Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 77; in diesem Sinne auch die UN-Grundprinzipien Nr. 22 lit. (c) und (f): „Satisfaction should include, where applicable, any or all of the following: […] (c) The search for the whereabouts of the disappeared, for the identities of the children abducted, and for the bodies of those killed, and assistance in the recovery, identification and reburial of the bodies in accordance with the expressed or presumed wish of the victims, or the cultural practices of the
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Teil 1: Hintergründe der guarantees of non-repetition in der Praxis des IAGMR
Anordnungen aber auch dazu, im konkreten Fall die nachträgliche Erfüllung der verletzten Verpflichtungen nach Art. 1 Abs. 1 AMRK und Art. 8 und 25 AMRK zur Strafverfolgung bei schweren Menschenrechtsverletzungen sicherzustellen.271 Der Gerichtshof zeigt mitunter ausdrücklich durch die Anknüpfung der Rechtsfolgenanordnung an diese zugrunde liegenden Primärpflichten deren objektiv-rechtliche Bedeutung an.272 Er trifft die Anordnungen zur Strafverfolgung ferner seit einiger Zeit gesondert von den weiteren Maßnahmen der satisfaction („Obligation to investigate the facts and to identify, prosecute and punish, as appropriate, those responsible“).273 Gleichwohl bleiben die Anordnungen nach dem Konzept des IAGMR eine Maßnahme der reparación integral, die neben dem Ausgleich und der Genugtuung der Opfer auch der objektiven Umsetzung der verletzten Primärverpflichtung dient.274 families and communities; […] (f) Judicial and administrative sanctions against persons liable for the violations.“ 271 Die Vertragsstaaten müssen bei Menschenrechtsverletzungen von Amts wegen tätig werden und eine unabhängige und effektive Untersuchung sowie Strafverfolgung und ggf. Bestrafung im konketen Fall gewährleisten, IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4, Rn. 177; neben Art. 1 Abs. 1 AMRK folgt diese Pflicht aus einem eigenständigen Recht von Opfern und Angehörigen auf Gerechtigkeit, Wahrheit, und Wiedergutmachung, das der Gerichtshof aus der Rechtsweggarantie gem. Art. 8 und dem Recht auf Rechtsschutz für Grundrechtsverletzungen gem. 25 AMRK entnommen hat (right to truth, justice and reparation), vgl. etwa erstmals IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Merits, Urt. v. 24. 01. 1998, Series C No. 36, Rn. 97 (Anknüpfung an Art. 8 Abs. 1 AMRK); IAGMR, Case of Castillo Páez v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 43, Rn. 106 (Verknüpfung von Art. 8 und 25 AMRK); dieses Recht der Opfer auf Strafverfolgung dient nicht primär der Prävention zukünftiger Verletzungen, sondern der Genugtuung, Anne Peters, Jenseits der Menschenrechte, Tübingen 2014, S. 234; Seibert-Fohr, Prosecuting serious human rights violations, 2009, S. 65; Douglas Cassel, La lucha contra la impunidad ante el sistema interamerciano de derechos humanos, in: Juan E. Méndez/Martín Abregu/Javier Mariezcurrena (Hrsg.), Verdad y Justicia. Homenaje a Emilio F. Mignone, San José 2001, S. 357 (365 ff.). 272 Vgl. etwa das Vorgehen in Case of the La Rochela Massacre v. Colombia: Der Gerichtshof wiederholte auf Ebene der Reparations die Feststellung, dass die Verpflichtung zur effektiven Untersuchung und Strafverfolgung aus Art. 8 und 25 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK verletzt wurde und ordnete deren nachholende Erfüllung durch den verurteilten Staat an, wobei er für den konkreten Fall noch einige zusätzliche Anordnungen bezüglich der Art und Weise der Umsetzung der Strafverfolgungspflicht traf, IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163, Rn. 287 ff.; dazu Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 291: „L’obligation est ainsi traitée simultanément dans un même arrêt à titre d’obligation primaire susceptible d’engager la responsabilité étatique après une analyse sur le fond, et à titre d’obligation secondaire qui découle de l’engagement de la responsabilité, figurant parmi les mesures de ,réparation‘.“ 273 Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 77. 274 In einem der ersten Urteile, Garrido and Baigorria v. Argentina, unterschied der IAGMR auf Rechtsfolgenebene noch scharf zwischen Maßnahmen der „Reparations“ und einer „Duty to take domestic Measures“, worunter die Anordnung von Strafverfolgungsmaßnahmen falle: „The State’s obligation to investigate the facts and punish those responsible does not erase the
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Diese Doppelnatur, Wiedergutmachung einerseits, Umsetzung von AMRKPflichten andererseits, liegt auch den guarantees of non-repetition zugrunde, auf die nunmehr näher eingegangen werden soll.
consequences of the unlawful act in the affected person. Instead, the purpose of that obligation is that every State party ensure, within its legal system, the rights and freedoms recognized in the Convention.“ IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39, Rn. 72; IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, Rn. 199; dazu García Ramírez, La Jurisprudencia de la Corte interamericana de derechos humanos en materia de reparaciones, in: Corte Interamericana de Derechos Humanos (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos: Un Cuarto de Siglo: 1979 – 2004, 2005, S. 1 (16): „La persecución de los delitos es una forma de satisfacción para el ofendido, pero ante todo permite mantener incólumes los bienes jurídicos colectivos que se atienden a través de la justicia penal.“
Teil 2
Die guarantees of non-repetition des IAGMR § 1 Begriff und Typologie der guarantees of non-repetition Die guarantees of non-repetition bezeichnen in der Praxis des IAGMR die Anordnung genereller Maßnahmen im Urteilstenor, die den gesetzlichen, institutionellen oder kulturellen, d. h. den strukturellen Wurzeln der festgestellten Rechtsverletzungen abhelfen und die Wahrung der Konventionsrechte im verurteilten Staat verbessern sollen.275 Es geht um den Umgang mit strukturellen Rechtsverletzungen, die von Rechtsverletzungen abgegrenzt werden sollen, in denen allein das individuelle Fehlverhalten einzelner Personen zur Rechtsverletzung geführt hat und die nicht beispielhaft für eine Vielzahl vergleichbarer Sachverhalte stehen.276 Die guarantees of non-repetition grenzen sich so zum einen von den bereits beschriebenen weiteren Rechtsfolgenanordnungen ab, die überwiegend der Abhilfe oder Genugtuung im konkreten Fall dienen, etwa die finanzielle Entschädigung der Opfer aber auch die Anordnung einer öffentlichen Entschuldigung, wenngleich derartigen Maßnahmen der satisfaction zugleich eine generalpräventive Bedeutung zukommt.277 Zum anderen grenzen sich die guarantees of non-repetition von all jenen 275 Vgl. die Definition des IAGMR in der Einleitung, S. 18. Wenngleich der IAGMR den Begriff der guarantees of non-repetition erst seit ca. 2007 durchgehend in diesem Sinne verwendet (siehe sogleich § 1 A.) soll nach diesem Begriffsverständns auch die ältere Rechtsprechung untersucht werden; vgl. auch Londoño Lázaro, Las Garantías de no Repetición en la Jurisprudencia Interamericana, 2014, S. 103 ff. 276 In der Literatur zum IAGMR wird der Begriff der „strukturellen“ Verletzung teilweise noch enger und in Abgrenzung zu systematischen und massiven Rechtsverletzungen aus dem Kontext autoritärer Regime oder bewaffneter Konflikte verwendet. Im Gegensatz zu systematischen Rechtsverletzungen seien strukturelle Rechtsverletzungen nicht das Ergebnis staatlicher Planung, sondern das Ergebnis wirkmächter institutioneller, ökonomischer oder kultureller Faktoren, die Rechtsverletzungen bestimmter Personengruppen durch staatliche oder private Akteure erlaubten, erleichterten oder zumindest nicht verhinderten. Zu denken sei bspw. an Fälle exzessiver Polizeigewalt gegenüber Slumbewohnern, Gewalt gegen Frauen, mangels effektiver staatlicher Schutzmaßnahmen und einer Kultur des machismo, sowie die Desintegration indigener Gemeinschaften aufgrund mangelhaften Schutzes ihres Landes und ihrer Kultur, vgl. Nash Rojas, El Sistema Interamericano de Derechos Humanos en acción: aciertos y desafíos, 2009, S. 108 ff.; Abramovich, From Massive Violations to Structural Patterns: New Approaches and Classic Tensions in the Inter-American Human Rights System, SUR-International Journal on Human Rights 6 (2009), 7 (16 ff.). 277 Ganz trennscharf sind die Begrifflichkeiten also nicht; siehe auch oben S. 79 ff. Von den Maßnahmen der satisfaction lassen sich die guarantees of non-repetition insoweit unter-
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Maßnahmen ab, welche allein die Wiederholung der Rechtsverletzung der Opfer im konkreten Fall verhindern sollen.278 Vielmehr dienen die guarantees of non-repetition der Prävention ähnlicher Rechtsverletzungen auch gegenüber anderen vergleichbaren Personen und Gruppen. Diese „Breitenwirkung“ ist besonders augenfällig, da der IAGMR seine strukturellen Anordnungen auch dann trifft, wenn – schon rein tatsächlich – eine Wiederholung der Verletzung gegenüber dem Opfer im Einzelfall in Zukunft nicht mehr in Betracht kommt.279 Der Oberbegriff der guarantees of non-repetition ist dabei eine jüngere Schöpfung: Erstmals von Cançado Trindade erwähnt, gebrauchte der Gerichtshof den Begriff der guarantees of non-repetition bis zum Jahr 2007 noch unspezifisch, um die präventive Natur sämtlicher „other forms of reparation“ zu kennzeichnen, bevor er dazu überging, ihn als Sammelbegriff für die Anordnung struktureller Reformen zu benutzen.
A. Der Begriff der guarantees of non-repetition Die Anordnung struktureller Reformen unter dem Oberbegriff der guarantees of non-repetition ist eine vergleichsweise jüngere Entwicklung in der Praxis des IAGMR. Der Begriff entspricht der gleichnamigen Rechtsfolge im Recht der Staatenverantwortlichkeit und im Katalog der UN-Grundprinzipien.280 In der Praxis des IAGMR lässt sich der Begriff erstmals in einigen Sondervoten des Richters und späteren IAGMR-Präsidenten Cançado Trindade finden, bevor er in die Urteile des Gerichtshofs Eingang fand. Der IAGMR gebrauchte den Begriff der guarantees of scheiden als erstere in der Praxis des IAGMR zwar auch über eine generalpräventive Dimension verfügen, sich aber primär auf die Würdigung und das Gedenken für die Opfer des Einzelfalls statt auf die strukturellen Wurzeln der Verletzung beziehen, wie hier María Carmelina Londoño Lázaro/Mónica Hurtado, Las Garantías de no repetición en la práctica judicial interamericana y su potencial impacto en la creación del derecho nacional, Boletín Mexicano de Derecho Comparado 149 (2017), 725 (731). 278 Vgl. etwa die Anordnungen zum Schutz des Opfers vor Repressalien in IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, Rn. 112, op. Rn. 10. 279 Dies ist etwa der Fall, wenn die konkrete Verletzung ihrer Natur nach nicht wiederholt werden kann oder sich die Lebensumstände der betroffenen Person so verändert haben, dass eine Wiederholung der Rechtsverletzung fernliegt. Beispielhaft hierfür sind etwa die Anordnungen im Urteil Quispialaya Vilcapoma v. Peru aus dem Jahr 2015, das die Folter und Misshandlung eines Rekruten in der peruanischen Armee zu Anfang der 2000er Jahre betraf. Der Gerichtshof ordnete hier die Durchführung von unabhängigen Kontrollbesuchen in Kasernen sowie die Umsetzung eines Mechanismus zur Folterprävention an – Maßnahmen, die sich auf die generelle Situation struktureller Gewalt im peruanischen Militär richteten und die nicht sinnvollerweise als Maßnahmen zugunsten des Opfers im Einzelfalls betrachtet werden können, der zum Zeitpunkt des Urteils nicht mehr Rekrut der peruanischen Armee war, IAGMR, Case of Quispialaya Vilcapoma v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2015, Series C No. 308, op. Rn. 11. 280 Siehe dazu unten S. 218 ff.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
non-repetition sodann lange Zeit unspezifisch, um die präventive Natur sämtlicher nicht-finanzieller Rechtsfolgenanordnungen zu kennzeichnen. Seit dem Jahr 2007 verwendete der Gerichtshof die guarantees of non-repetition sodann zunehmend als eigenständigen Oberbegriff für strukturelle Anordnungen. Da die einzelnen Maßnahmen teilweise bereits schon zuvor in seinen Rechtsfolgenanordnungen zu finden waren und erst später unter den Oberbegriff der guarantees of non-repetition gefasst wurden, ging mit der formalen Zusammenfassung allerdings keine weitergehende Vereinheitlichung der Inhalte oder Voraussetzungen der einzelnen Anordnungen einher. I. Guarantees of non-repetition in den Sondervoten Cançado Trindades Der Begriff der guarantees of non-repetition im Sinne von strukturell ausgerichteten Reformanordnungen taucht erstmals im Jahr 1996 im Sondervotum Cançado Trindades zum Reparations-Urteil im Fall El Amparo v. Venezuela auf. Die Richtermehrheit hatte den IAGMR hier nicht als befugt angesehen, eine Regelung in der venezolanischen Militärgerichtsordnung zu überprüfen, die den venezolanischen Präsidenten berechtigte, die Durchführung von Verfahren vor Militärgerichten zu untersagen. Die Mehrheit begründete dies damit, dass die im Fall festgestellte Straflosigkeit von Angehörigen des venezolanischen Militärs für ein Massaker an Fischern aus dem Ort El Amparo nicht auf der Anwendung dieser Norm beruht hatte – der venezolanische Präsident hatte nicht interveniert.281 Cançado Trindade hingegen sah den IAGMR in seinem Sondervotum auch als zur Überprüfung von Gesetzen berechtigt an, die im vorgelegten Fall (noch) nicht angewandt worden waren.282 Das bloße Bestehen einer konventionswidrigen Regelung könne einen Verstoß gegen die Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte nach Art. 1 und 2 AMRK (bezeichnet als eine „duty to prevention“) darstellen, deren Umsetzung in der streitigen Gerichtsbarkeit überprüfbar sei.283 281 IAGMR, Case of El Amparo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 14. 09. 1996, Series C No. 28, Rn. 60. 282 IAGMR, Case of El Amparo v. Venezuela. Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Cançado Trindade, Urt. v. 14. 09. 1996, Series C No. 28, Rn. 6, wobei er auf die Rechtsprechung des EGMR und des UNHRC verwies: „It is acknowledged nowadays that an individual may effectively challenge a law that has not yet been applied to his detriment, sufficing to that effect that such law be applicable in such a way that the risk or threat that he may suffer its effects is real, is something more than a simple theoretical possibility […].“; vgl. auch IAGMR, Case of Genie Lacayo v. Nicaragua. Application for Judicial Review of the Judgment of Merits, Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Cançado Trindade, Beschl. v. 13. 09. 1997, Series C No. 45, Rn. 25; IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73, Rn. 2 ff. 283 IAGMR, Case of El Amparo v. Venezuela. Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Cançado Trindade, Urt. v. 14. 09. 1996, Series C No. 28, Rn. 4; er verstand unter der „duty of prevention“ die Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte, vgl. Rn. 6 „Precision has been given to the wide scope of this duty, which comprises all the measures,
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Bedeutsam sind hier allein die weiteren Aussagen Cançado Trindades zur Rechtsfolgenebene, da er den IAGMR nicht nur zur Untersuchung einer Verletzung allgemeiner Präventionspflichten, sondern auch zur Anordnung genereller Präventionsmaßnahmen ansah. Die Basis hierfür biete Art. 63 Abs. 1 AMRK: Die Wiedergutmachung nach Art. 63 Abs. 1 AMRK könne auch Maßnahmen zur Umsetzung der allgemeinen Verpflichtung zur Anpassung der Rechtslage beinhalten und auf Verletzungen der objektiven Verpflichtungen aus Art. 1 und 2 AMRK mit der Anordnung von „guarantees of non-repetition“ reagieren: „Full reparation, which in the present context appears as the reaction of the juridical order of protection to the facts in breach of the guaranteed rights, has a wide scope. It includes, besides the restitutio in integrum (restoration of the previous situation of the victim, whenever possible) and the indemnities (in the light of the general principle of the neminem laedere), the rehabilitation, the satisfaction and – significantly – the guarantee of non-repetition of the acts in violation of human rights (the duty of prevention).“284
Guarantees of non-repetition bezeichneten nach dem Verständnis Cançado Trindades Maßnahmen im Rahmen der Anordnungen der Wiedergutmachung nach Art. 63 Abs. 1 AMRK, welche auf die Einhaltung der allgemeinen präventiven Verpflichtungen unter Art. 1 und 2 AMRK zielten. In seinem Votum im Reparations-Urteil in Caballero Delgado and Santana v. Colombia ging Cançado Trindade näher auf die Kompetenzen des IAGMR nach Art. 63 Abs. 1 AMRK ein, allerdings ohne dabei den Begriff der guarantees of nonrepetition zu wiederholen. Die Richtermehrheit hatte es, ähnlich wie in El Amparo, abgelehnt, nach Art. 63 Abs. 1 AMRK die Reform des kolumbianischen habeascorpus-Rechtsbehelfs und die Neuregelung der Strafbarkeit des erzwungenen Verschwindenlassens anzuordnen. Die unzureichende Regelung habe sich bei der Suche nach den Opfern im konkreten Fall nicht ausgewirkt und eine bloß „abstrakte“ Verletzung von Art. 2, 8 und 25 AMRK könne nicht festgestellt werden.285 Cançado Trindade war hingegen wieder nicht nur der Ansicht, dass der IAGMR sehr wohl die rein objektive Einhaltung der Pflichten nach Art. 1 und 2 AMRK überprüfen dürfe. Auf Grundlage von Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK, welcher die Befugnis zur Anordnung von Garantien des verletzten Rechts beinhalte („that the injured party be ensured the enjoyment of his right that was violated“), dürfe der Gerichtshof zudem Maßnahmen zur Umsetzung der generellen Verpflichtungen der Vertragsstaaten anordnen. Darunter falle insbesondere die Anordnung gesetzlicher Reformen. Die Befugnis zur Anordnung genereller Maßnahmen zur Gewährleistung der objektiven Einhaltung der Konvention ergebe sich aus Art. 63 Abs. 1 AMRK und dem objektiven Charakter der AMRK als law-making treaty: legislative and administrative and others, which promote the safeguard of human rights and ensure that the violations of these latter are effectively treated as unlawful acts bringing about sanctions on those responsible for them.“ 284 Ibid., Rn. 6. 285 IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 01. 1997, Series C No. 31, Rn. 55.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR „Since its earliest contentious cases on reparations […], the case-law of the Court has focused above all on the element of the ,just compensation‘ as a measure of reparation, curiously making abstraction of the duty to ensure or guarantee in the present context, likewise enshrined in Article 63(1) of the American Convention. The time has come to link that duty to the ,just compensation‘, as stipulated in Article 63(1). Such duty comprises all measures – including legislative measures – which the States Parties ought to take in order to afford the individuals under their jurisdiction the full exercise of all the rights enshrined in the American Convention. Accordingly, in the light of the provision of Article 63(1), I understand that the Court should proceed to the determination of both the indemnizations as well as the other measures of reparation resulting from the duty to ensure or guarantee the enjoyment of the rights that were violated. The interpretation which I uphold is the one which seems to me to be in full conformity with the objective character of the conventional obligations contracted by the States Parties to the American Convention.“286
In Bulacio v. Argentina kam Cançado Trindade schließlich erneut auf den Begriff der guarantees of non-repetition zurück. Aus Anlass der schweren psychischen und physischen Beeinträchtigungen der Angehörigen eines von der Polizei ermorderten Jugendlichen ging Cançado Trindade auf die Grenzen eines an ausgleichender Gerechtigkeit orienterten Verständnisses von Wiedergutmachung ein. Seiner Ansicht nach umfasse Wiedergutmachung in solchen Fällen notwendigerweise auch präventive Maßnahmen, die zum einen zur Genugtuung für die Opfer, zum anderen aber auch zur Stärkung der objektiven Rechtsordnung des verurteilten Staates beitragen könnten: „Reparatio does not end what happened, the violation of human rights. The wrong was already committed; reparatio avoids a worsening of its consequences (due to indifference of the social milieu, due to impunity, due to oblivion). From this perspective, reparatio takes on a dual meaning: it provides satisfaction (as a form of reparation) to the victims, or to their next of kin, whose rights have been abridged, while also reestablishing the legal order weakened by said violations – a legal order erected on the basis of full respect for the inherent rights of the human person. The legal order, thus reestablished, requires guarantees of nonrecidivism of the injurious facts.“287
Der Begriff der guarantees of non-repetition umfasste für Cançado Trindade nach alledem also die Anordnung genereller Maßnahmen, insbesondere legislativer Reformen, auf Ebene der Rechtsfolgen. Ihr Zweck sollte im weitesten Sinne die Wiedergutmachung der festgestellten Verletzung im Einzelfall sein, die allerdings auch generelle Maßnahmen der Prävention umfassen könne. Die Grundlage solcher Anordnungen sollte Art. 63 Abs. 1 AMRK sein, da hiernach Maßnahmen angeordnet werden dürften, welche das verletzte Recht in Zukunft garantieren und zur Wie286 IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Cançado Trindade Urt. v. 29. 01. 1997, Series C No. 31, Rn. 13; ebenso in IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 4. Hervorhebung hinzugefügt. 287 IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs. Reasoned Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 37.
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dergutmachung des Opfers beitragen. Im Ergebnis stand so im Wesentlichen eine doppelfunktionale Ausrichtung der guarantees of non-repetition, die nach Cançado Trindade sowohl eine generelle Maßnahme der Wiedergutmachung als auch ein Mittel zur Gewährleistung des objektiven Konventionsrechts darstellten. Dieses Verständnis liegt heute auch der Praxis des IAGMR zugrunde. II. Guarantees of non-repetition als Synonym für präventive Dimensionen der Wiedergutmachung Außerhalb von Sondervoten Cançado Trindades findet sich der Begriff guarantees of non-repetition erstmals im Reparations-Urteil in Loayza Tamayo v. Peru im Jahr 1998. Hier wurden guarantees of non-repetition als eine der möglichen Formen der Wiedergutmachung genannt: „Reparations is a generic term that covers the various ways a State may make amends for the international responsibility it has incurred (restitutio in integrum, payment of compensation, satisfaction, guarantees of non-repetitions among others).“288
Was unter den guarantees of non-repetition genauer zu verstehen sein sollte, blieb indes offen. So ordnete der Gerichtshof zwar im selben Urteil erstmals die Aufhebung eines der Straftatbestände der peruanischen Anti-Terrorgesetzgebung an, doch rekurrierte er dabei nicht auf den Begriff der guarantees of non-repetition. Auch im kurz darauf folgenden Urteil in Last Temptation of the Christ, in dem der Gerichtshof die Reform von Zensurregelung in der chilenischen Verfassung anordnete, bezeichnete er diese Anordnung nicht als guarantee of non-repetition.289 Um die Jahrtausendwende fand der Begriff der guarantees of non-repetition häufiger Eingang in die Urteile des IAGMR. Der Gerichtshof weitete zu dieser Zeit seine Anordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK erheblich aus und begann, diese stärker zu systematisieren. Er unterschied zunehmend zwischen der finanziellen Entschädigung („compensation“) für erlittene materielle und immaterielle Schäden einerseits und den „other forms of reparation (satisfaction and guarantees of nonrepetition)“ für immaterielle Schäden andererseits.290 Unter die Gruppe der „other 288 IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 85. 289 IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 192 (5); IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (OlmedoBustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73, Rn. 14, 60 lit. a, op. Rn. 4. 290 Vgl. erstmals IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, Rn. 194; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 94; IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, Rn. 68; näher zur Entwicklung Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The Inter-American Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351 (368 ff.); Cassel, The ex-
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
forms of reparation“ fielen etwa die Anordnungen zur Rehabilitation und zu öffentlichen Entschuldigungen, ferner die Anordnung zur Strafverfolgung verantwortlicher Personen, schließlich aber auch die Verpflichtung zur Ergreifung struktureller Maßnahmen auf legislativer oder administrativer Ebene. Der Zweck all dieser Maßnahmen sollte nach dem oben erläuterten Prinzip der reparación integral zum einen die Wiedergutmachung im konkreten Fall sein, zum anderen aber auch, durch die öffentliche Dimension der Maßnahmen, die Prävention ähnlicher Verletzungen. Regelmäßig leitete der Gerichtshof den Abschnitt mit folgenden oder ähnlichen Worten ein: „In this section [other measures of reparation], the Court will establish measures of satisfaction that seek to redress the non-pecuniary damage; as well as, measures that are public in their scope or repercussions. These measures seek, inter alia, remembrance of the victims, acknowledgment of their dignity, consolation to their next of kin, or transmission of a message of official reproval of the human rights violations involved, as well as avoiding repetition of violations such as those in the instant case.“291
Der Gerichtshof hob innerhalb dieses Abschnitts allerdings nicht jene Maßnahmen hervor, die er spezifisch als guarantees of non-repetition ansah. Vielmehr gebrauchte er den Begriff in unbestimmter Weise, um auf die präventive Dimension bestimmter „other forms of reparation“ hinzuweisen.292 Die guarantees of non-repetition waren nicht mit strukturellen Reformen verknüpft, sondern bezeichneten allein die präventive Funktion bestimmter Formen der „other forms of reparation“ im Rahmen der individuellen Wiedergutmachung. Erstmals gebrauchte der Gerichtshof den Begriff der guarantees of non-repetition in dieser Weise in Caracazo v. Venezuela:293 Der Fall betraf die Unruhen in der Hauptstadt Venezuelas im Frühjahr 1989 und damit verbunden die unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch venezolapanding scope and impact of reparations awarded by the Inter-American Court of Human Rights, in: De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, 2005, S. 191. 291 IAGMR, Case of the Gómez Paquiyauri Brothers v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 07. 2004, Series C No. 110, Rn. 223; IAGMR, Case of Maritza Urrutia v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2003, Series C No. 103, Rn. 171; IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 268; IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 105; IAGMR, Case of the „Street Children“ (VillagránMorales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 84. Hervorhebung hinzugefügt. 292 Vgl. erstmals zur präventiven Dimension der Wiedergutmachung IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39, Rn. 41. Als ein ähnlicher Anknüpfungspunkt dienten Referenzen an die Gesellschaft als Ganze („society as a whole“), die von den Anordnungen profitieren sollte, vgl. dazu Schönsteiner, Dissuasive Measures and the „Society as a Whole“: AWorking Theory of Reparations in the Inter-American Court of Human Rights, American University International Law Review 23 (2007), 127. 293 IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95, Rn. 126: „guarantees of non-recidivism“.
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nische Sicherheitskräfte. Der Gerichtshof bestimmte auf Ebene des Urteilstenors „that the State must take all necessary steps to avoid recurrence of the circumstances and facts of the instant case“294 und ordnete generelle Maßnahmen zur Ausbildung der Sicherheitskräfte bei Schusswaffengebrauch sowie die Anpassung von Operationsplänen bei öffentlichen Notständen an.295 Ebenfalls als „guarantees of nonrecidivism“ bezeichnete der Gerichtshof indes auch die Verpflichtung Venezuelas, die sterblichen Überreste einiger noch verschwundener Opfer der Unruhen zu suchen, zu exhumieren, zu identifizieren und an ihre Angehörigen zu übergeben.296 Der Begriff der guarantees of non-repetition, wie ihn der IAGMR hier noch gebrauchte, beschrieb also Maßnahmen zur Prävention ähnlicher Verletzungen, zum einen durch Handlungen genereller Natur, zum anderen aber auch durch emblematische Maßnahmen im Einzelfall. In diesem Gebrauch des Begriffs der guarantees of non-repetition verfuhr der Gerichtshof bis Mitte der 2000er Jahre. So betonte er, dass die Verpflichtung zur Aufarbeitung und Veröffentlichung der historischen Hintergründe schwerer Menschenrechtsverletzungen nicht allein dem individuellen Recht der Angehörigen aus Art. 8 und 25 AMRK, sondern auch einem kollektiven Recht auf Wahrheit der Gesellschaft als Ganze entspreche, was auch der Prävention diene: „Preventive measures and those against recidivism begin by revealing and recognizing the atrocities of the past, as was ordered by the Court in its judgment on the merits. Society has the right to know the truth regarding such crimes, so as to be capable of preventing them in the future.“297
Auch symbolische Maßnahmen des Gedenkens bezeichnete der Gerichtshof regelmäßig als guarantee of non-repetition.298 Hingegen nutzte der IAGMR bei der 294
Ibid., Rn. 143 (4). Ibid. 296 IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95, Rn. 126. 297 IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, Rn. 77; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, Rn. 85; IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, Rn. 173; IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 272. 298 Vgl. Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 103; IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92, Rn. 122; IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 278, 285; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, Rn 87 f.; IAGMR, Case of the 19 Merchants v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2004, Series C No. 109, Rn. 273 f.; IAGMR, Case of the Gómez Paquiyauri Brothers v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 07. 2004, Series C No. 110, Rn. 236; IAGMR, Case of Carpio Nicolle et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2004, Series C No. 117, Rn. 136. 295
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Anordnung von Maßnahmen auf legislativer und administrativer Ebene den Begriff der guarantees of non-repetition oftmals gerade nicht.299 Eine Gleichsetzung der guarantees of non-repetition mit generellen Maßnahmen fand also nicht statt. Die guarantees of non-repetition bezeichneten nicht bestimmte Typen von Anordnungen des IAGMR. Vielmehr diente der Begriff dazu, die (general-)präventive Dimension beinahe sämtlicher Formen der „other forms of reparation“ nach Art. 63 Abs. 1 AMRK zu kennzeichnen. III. Guarantees of non-repetition als Sammelbegriff für strukturelle Anordnungen Der Gerichtshof hat seit Ende der 2000er Jahre den Begriff der guarantees of nonrepetition zunehmend stringenter verwendet. Im Rahmen der other forms of reparation untergliederte der IAGMR seine Anordnungen nach dem Vorbild der UNGrundprinzipien und nutzte den Begriff der guarantees of non-repetition dabei überwiegend als Oberbegriff für Anordnungen, welche die Aufhebung oder den Erlass bestimmter Gesetze, die Reform bestimmter administrativen Praktiken oder staatlicher Institutionen, die Aus- und Fortbildung von Staatsbeamten oder allgemeine Sensibilisierungskampagnen beinhalteten.300 Nicht mehr vom Begriff der guarantees of non-repetition umfasst waren hingegen Maßnahmen, die sich primär auf den entschiedenen Einzelfall bezogen, jedoch durch ihre öffentliche Wirkung auch generalpräventiv wirken sollten (etwa öffentliche Anerkenntnisse der Verantwortlichkeit für die Rechtsverletzung im Einzelfall). Der Begriff der guarantees of non-repetition umfasste so allein Maßnahmen genereller und präventiver Ausrichtung und grenzte sich von den weiteren Anordnungen auf Rechtsfolgenebene ab, die sich primär auf Ausgleich und Genugtuung der Opfer im Einzelfall oder auf die
299 Vgl. etwa IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 122 ff., 162 (5), hier ging der Gerichtshof erst in einem auf die guarantees of non-repetition folgenden Abschnitt auf Anordnungen auf administrativer und legislativer Ebene ein (Rn. 139 ff.); ferner IAGMR, Case of the Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Preliminary Objections, Urt. v. 23. 11. 2004, Series C No. 118, Rn. 183, 189, 192; IAGMR, Case of Lori Berenson Mejía v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2004, Series C No. 119, Rn. 241; IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114, Rn. 262 ff.; IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 282. 300 Vgl. erstmals die Trennung zwischen „Measures of Satisfaction“ und „Guarantees of non-repetition“ in IAGMR, Case of Boyce et al. v. Barbados. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2007, Series C No. 169, Rn. 126 f.; sodann erneut seit IAGMR, Case of the Xákmok Kásek Indigenous Community. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 08. 2010, Series C No. 214, Rn. 307 ff.; allerdings finden sich auch in der jüngeren Rechtsprechung Urteile, in denen beide Oberbegriffe zusammengefasst werden, vgl. etwa IAGMR, Case of Ramírez Escobar et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 09. 03. 2018, Series C No. 351, Rn. 396.
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Prävention von Rechtsverletzungen allein gegenüber den Opfern im konkreten Fall bezogen.
B. Die Typologie der guarantees of non-repetition I. Anpassung der Rechtslage an die Konvention Die Anpassung der innerstaatlichen Rechtslage an die Konvention ist ein Kernbestandteil der guarantees of non-repetition. Der Gerichtshof trifft entsprechende Anordnungen in der Regel, nachdem er die Unvereinbarkeit der innerstaatlichen Rechtslage mit der allgemeinen Verpflichtung nach Art. 2 AMRK zur effektiven normativen Gewährleistung der Konventionsrechte festgestellt hat (dazu näher § 2.).301 Abhängig vom Einzelfall ordnet der IAGMR zudem die konventionskonforme Interpretation eines Gesetzes durch staatliche Gerichte oder die formelle Aufhebung von Gesetzen bzw. die Neuregelung eines Sachverhalts im Einklang mit der AMRK an.302 Der IAGMR schreibt dies sowie den Inhalt der zu treffenden Regelung in der Regel näher vor und stellt Fristen für die Umsetzung auf. In Einzelfällen hat der Gerichtshof darüber hinaus eine Anwendungssperre von konventionswidrigen Gesetzen für Parallelfälle verhängt und im Ausnahmefall, bei Amnestiegesetzen für schwere Menschenrechtsverletzungen, sogar deren Nichtigkeit im innerstaatlichen Rechtsraum festgestellt. 301 Calabria zählt von 1998 bis 2017 in 73 Urteilen zur Wiedergutmachung insgesamt 96 Anordnungen zur Anpassung der Rechtslage, was etwa einem Drittel der Fälle des IAGMR entspreche, Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1298 f.); quantitativ auch Londoño Lázaro/Hurtado, Las Garantías de no repetición en la práctica judicial interamericana y su potencial impacto en la creación del derecho nacional, Boletín Mexicano de Derecho Comparado 149 (2017), 725 (735, 742); H. Sofía Galván Puente, Legislative measures as guarantees of non-repetition: a reality in the Inter-American Court, and a possible solution for the European Court, Revista del Instituto Interamericano de Derechos Humanos (2009), 69 (79). 302 Der Gerichtshof ordnet in der Regel ausdrücklich gesetzgeberische Reformen an. In einigen Fällen wählte er indes eine etwas umfassendere Begrifflichkeit und ordnete „jedwede Reformen, die notwendig sind“ an, was nicht notwendigerweise eine formelle Neuregelung eines Gesetzes bedeuten muss, sondern auch die Änderung der Rechtsprechung höchster Gerichte, Verwaltungsvorschriften, Prozessordnungen und dergleichen einschließt, um die konventionswidrigen Normen zu verändern. Vgl. etwa die Anordnung in Favela Nova Brasília v. Brazil, wonach die Beteiligung von Opfern und Angehörigen in Ermittlungsverfahren neu geregelt werden müsse: „El Estado debe adoptar las medidas legislativas o de otra índole necesarias para permitir a las víctimas de delitos o sus familiares participar de manera formal y efectiva en la investigación de delitos realizada por la policía o el Ministerio Público, en el sentido dispuesto en el párrafo 329 de la presente Sentencia.“ IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, op. Rn. 19. Vgl. dazu Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1301).
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1. Aufhebung und/oder Neuregelung von Gesetzen Der Gerichtshof ordnete erstmals im bereits angesprochenen Fall Loayza Tamayo v. Peru die Aufhebung und Neuregelung eines Gesetzes im Urteilstenor an. Betroffen waren die Straftatbestände des „Hochverrats“ und des „Terrorismus“ in zwei Gesetzesdekreten der peruanischen Anti-Terrorgesetzgebung aus dem Jahr 1992. Die Tatbestände waren kaum voneinander abgrenzbar und wurden vor Militärgerichten oder „gesichtlosen“ Richtern gegen tausende (angebliche) Mitglieder des Leuchtenden Pfades oder der Bewegung Túpac Amaru angewandt.303 Das Opfer im Fall vor dem IAGMR war von einem Militärgericht aufgrund des „Hochverrats“ freigesprochen, kurz darauf allerdings wegen „Terrorismus“ verurteilt worden und seither inhaftiert worden. Der IAGMR stellte im Merits-Urteil u. a. fest, dass aufgrund der Unbestimmtheit der Gesetze ein Verstoß gegen den ne bis in idem-Grundsatz (Art. 8 (4) AMRK) vorgelegen habe.304 Im Reparations-Urteil ordnete der IAGMR, auf Antrag der Kommission und des nunmehr vor dem Gerichtshof erschienen Opfers, in allgemeinen Worten die legislative Reform der weiterhin geltenden Straftatbestände an, deren Umsetzung der Gerichtshof überwachen würde: „That the State of Peru shall adopt the internal legal measures necessary to adapt DecreeLaws 25,475 (Crime of Terrorism) and 25,659 (Crime of Treason) to conform to the American Convention on Human Rights.“305
Nähere Hinweise zum Inhalt der Reform und zur zwischenzeitlichen Anwendbarkeit der Regelungen gab der Gerichtshof nicht. Die pauschale Anordnung zur Reform der Straftatbestände wiederholte der IAGMR in Castillo Petruzzi v. Peru.306 Der Gerichtshof hat seither praktisch in allen Fällen, in denen er die Unvereinbarkeit bestehender Gesetze mit Konventionsgarantien auf Ebene der Merits festgestellt hat, im Urteilstenor deren Aufhebung und/oder Neuregelung angeordnet und 303 Zum Hintergrund: Im Zuge eines Staatsstreichs („auto-golpe“) im April 1992 hatte der im Jahr 1990 noch demokratisch gewählte Präsident Fujimori den peruanischen Kongress aufgelöst und Massenentlassungen in der Justiz verfügt. Kurz darauf, nach einer Welle von Terroranschlägen, wurden eine Reihe von Anti-Terror-Gesetzesdekreten erlassen, durch die Sonderstraftatbestände, Sondergerichte, in denen die Identität der Richter geheimgehalten wurde, und Einschränkungen von Beschuldigtenrechten im Strafverfahren eingeführt wurden, näher Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015, S. 326 ff.; Manuel Eduardo Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, San José 2011, S. 31. 304 IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Merits, Urt. v. 17. 09. 1997, Series C No. 33, Rn. 68. 305 IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 192 (5). 306 Der Fall betraf die Verurteilung von vier Chilenen unter dem Hochverrat-Tatbestand. Der Gerichtshof stellte zudem einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 9 i.V.m. Art. 2 AMRK fest, IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52, Rn. 119, 202, 226 (14).
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den Inhalt dieser Reformen in der Regel auch näher bestimmt. Der Gerichtshof gelangt zu einer Verletzung von Art. 2 AMRK, wenn entweder das betroffene Gesetz selbst unmittelbar in Konventionsrechte der Beteiligten eingreift oder ein Einzelakt auf einer konventionswidrigen Norm beruht. Frühere Urteile, welche diese Anordnung teilweise noch nicht unter dem Titel der guarantees of non-repetition anführten, betrafen die Aufhebung eines Artikels der chilenischen Verfassung, der die Zensur von Filmen erlaubte307, die Aufhebung der obligatorischen Todesstrafe für Mord308 und die Androhung von Körperstrafen in Trinidad und Tobago309, die Neuregelung des Mordparagraphs in Guatemala310, und die Reform des Straftatbestands der Missachtung der Staatsgewalt in Chile311 und Argentinien312. Aus der jüngeren 307 Der Fall Olmedo-Bustos et al. v. Chile drehte sich um die Zensur eines Films durch den Obersten Gerichtshofs Chiles auf Grundlage eines Artikels der chilenischen Verfassung von 1980 welcher ein „system of censorship for the exhibition and publicity of cinematographic productions“ begründete. Während des Verfahrens vor dem IAGMR hatte Chile bereits eine Verfassungsänderung angestoßen, die allerdings noch nicht umgesetzt wurde und stellte sich im Verfahren ausdrücklich gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Der IAGMR stellte eine Verletzung des Art. 13 AMRK i.V.m. Art. 2 AMRK durch die Zensurvorschrift in der Verfassung fest, aufgrund derer das Verbot ergangen war. Auf Rechtsfolgenebene ordnete der Gerichtshof die Aufhebung des Verfassungsartikels an: „Chile must adopt the appropriate measures to reform its domestic laws, as set out in the previous paragraph, in order to ensure the respect and enjoyment of the right to freedom of thought and expression embodied in the Convention.“ IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73, Rn. 14, 60 lit. a, op. Rn. 4. 308 Der Gerichtshof gab diverse Maßstäbe für die Reform vor: IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, op. Rn. 8, Rn. 212: „The legislative reforms contemplated should include the introduction of different categories (criminal classes) of murder, in keeping with the wide range of differences in the gravity of the act, so as to take into account the particular circumstances of both the crime and the offender. A system of graduated levels should be introduced to ensure that the severity of the punishment is commensurate with the gravity of the act and the criminal culpability of the accused.“; vgl. auch IAGMR, Case of Boyce et al. v. Barbados. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2007, Series C No. 169, op. Rn. 7; IAGMR, Case of Dacosta Cadogan v. Barbados. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 24. 09. 2009, Series C No. 204, op. Rn. 9. 309 Zudem ordnete der Gerichtshof die Reform der Verfassung an, die der Aufhebung dieser Regelungen im Wege stand, IAGMR, Case of Caesar v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 03. 2005, Series C No. 123, Rn. 133, op. Rn. 3 f. Der Fall ist besonders, weil Trinidad und Tobago aus Protest gegen die zuvor ergangenen Urteile des IAGMR die AMRK gekündigt hatte, die Kündigung kurz nach Einreichen der Beschwerde wirksam wurde und der Staat während des Verfahrens nicht vor dem Gerichtshof erschienen war. 310 IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, op. Rn. 5; IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, op. Rn. 8; vgl. auch IAGMR, Case of Ruiz Fuentes et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2019, Series C No. 385, Rn. 225. 311 Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Urteilen die strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, die Kritik an der Regierung oder staatlichen Institutionen geübt hatten als unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit gem. Art. 13 AMRK gewertet, vgl. bereits
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Rechtsprechung ist eine Rechtsprechungslinie zur Reform der Militärstrafgerichtsordnungen zu nennen, welche entgegen der Justizgarantien in Art. 8 AMRK die Zuständigkeit von Militärgerichten für bestimmte Straftaten von Zivilisten oder von Handlungen von Militärangehörigen gegenüber Zivilisten vorsehen313, ferner etwa die Neuregelung der Gerichtsorganisation in Venezuela314, die Aufhebung des Verbots der in vitro-Fertilisation in Costa Rica315 oder der Verjährungsregelungen im brasilianischen Strafgebesetzbuch beim Straftatbestand der Sklaverei.316 IAGMR, Case of Herrera Ulloa v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 07. 2004, Series C No. 107, Rn. 128; IAGMR, Case of Ricardo Canese v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2004, Series C No. 111, Rn. 104 ff.; allerdings stellte er erstmals in Palamara Iribarne v. Chile eine Verletzung von Art. 2 AMRK fest und ordnete erst in diesem Fall die Neuregelung der betreffenden Gesetze im Rechtsfolgentenor an, IAGMR, Case of Palamara Iribarne v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 135, op. Rn. 13. 312 IAGMR, Case of Kimel v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 05. 2008, Series C No. 177, op. Rn. 11; vgl. näher zu diesen Urteilen Seidl, Meinungsfreiheit in der Rechtsprechungspraxis des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 2014, S. 105 ff. 313 IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, op. Rn. 15; IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215, op. Rn. 13; IAGMR, Case of Radilla Pacheco v. Mexico. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2009, Series C No. 209, op. Rn. 10; IAGMR, Case of Usón Ramírez v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2009, Series C No. 207, op. Rn. 8; IAGMR, Case of Zambrano Vélez et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2007, Series C No. 166, Rn. 154, op. Rn. 9. 314 Vgl. beispielhaft etwa den Fall Apitz Barbera et al. v. Venezuela, der die mangelnde Unabhängigkeit der Richter im Venezuela Hugo Chavez’ betraf. Die drei Beschwerdeführer wurden von ihren Stellen als Richter wegen angeblicher „unentschuldbarer richterlicher Fehler“ entlassen. Eine Möglichkeit, diese Entscheidung anzufechten bestand nicht. Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Art. 8 (1) und Art. 25 AMRK i.V.m. Art. 2 AMRK fest, da kein unabhängiges Gericht, kein rechtsstaatliches Verfahren und kein effektiver Rechtsbehelf gegen die Entlassungen bestand und ordnete legislative Reformen an, IAGMR, Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 08. 2008, Series C No. 182, op. Rn. 19; s. ferner IAGMR, Case of Chocrón – Chocrón v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 07. 2011, Series C No. 227, op. Rn. 8; IAGMR, Reverón Trujillo v. Venezuela, Urt. v. 30. 06. 2009, Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Series C 197, op. Rn. 9. 315 Nach einem Urteil der Sala Constitucional des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2000 war die in vitro-Fertilisation in Costa Rica ausnahmslos verboten. Der IAGMR stellte entgegen diesem Urteil fest, dass die Schutzpflicht für das Leben (Art. 4 AMRK) Embryonen, die noch nicht eingepflanzt sind, nicht erfasse und insgesamt schwächer wiege als die Persönlichkeitsrechte der der betroffenen Paare, IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, op. Rn. 2; vgl. zum Fall Eduardo A. Chia/Pablo Contreras, Análisis de la Sentencia Artavia Murillo y Otros (Fecundación in vitro) vs. Costa Rica de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, Estudios Constitucionales 12 (2014), 567.
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2. Erlass von Gesetzen Neben der Aufhebung und Neuregelung konventionswidriger Gesetze ordnet der IAGMR regelmäßig den Erlass neuer Regelungen in zuvor unzureichend geregelten Sachbereichen an. Eine solche Anordnung traf der Gerichtshof erstmals im Fall der Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Der Fall betraf die prekäre rechtliche Situation indigener Völker in Nicaragua. Zwar garantierte die Verfassung Nicaraguas indigenen Völkern einen Anspruch auf Abgrenzung und Anerkennung ihrer angestammten Territorien, doch war das hierzu nötige Verfahren nicht näher geregelt, und seit Anfang der 1990er Jahre war keiner indigenen Gemeinschaft ein kollektiver Eigentumstitel verliehen worden.317 Der Gerichtshof stellte deshalb fest, dass die innerstaatliche Rechtslage das Recht der Mitglieder des Volkes der Sumo auf eine effektive gesetzliche Gewährleistung des Gemeinschaftseigentums gem. Art. 21, 25 i.V.m. Art. 2 AMRK verletzt habe.318 Im Urteilstenor ordnete er zudem, ohne einen entsprechenden Antrag der Parteien, die Schaffung eines effektiven Rechtsrahmens an, zur Bestimmung, Abgrenzung und Anerkennung des Territoriums indigener Gemeinschaften im Einklang mit den Verpflichtungen unter Art. 21 AMRK: „[…] decides that the State must adopt in its domestic law, pursuant to article 2 of the American Convention on Human Rights, the legislative, administrative, and any other measures necessary to create an effective mechanism for delimitation, demarcation, and titling of the property of indigenous communities, in accordance with their customary law, values, customs and mores, pursuant to what was set forth in paragraphs 138 and 164 of this Judgment.“319 316 IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318, op. Rn. 11. Der Fall betraf die Straflosigkeit von Personen, die Wanderarbeiter in vom IAGMR als Sklaverei (Art. 6 Abs. 1 AMRK) qualifizierten Bedingungen gehalten hatten. 317 Im Jahr 1996 erteilte Nicaragua einem koreanischen Unternehmen eine Lizenz zum Abbau von Holz auf dem Land der Awas Tingni, wogegen sich die Gemeinschaft vor nicaraguanischen Gerichten und dem Inter-Amerikanischen System zur Wehr setzte. Der Fall stand exemplarisch für die Situation indigener Gemeinschaften in Nicaragua, vgl. IAGMR, Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2001, Series C No. 79, Rn. 103, 123 ff. 318 Der IAGMR stellte in diesem Fall erstmals fest, dass Art. 21 AMRK in sachlicher Hinsicht angestammte indigene Territorien sowie die damit verbundenen materiellen und immateriellen Interessen nach dem Verständnis der jeweiligen Gemeinschaft schützt. Ferner ermittelte er aus Art. 21 AMRK zwei wesentliche Gewährleistungsgehalte im Fall indigener Gemeinschaften: Der Staat müsse das Gebiet indigener Gemeinschaften zum einen eingrenzen, abgrenzen und rechtlich anerkennen und zum anderen vor der Landnahme oder sonstigem Eindringen durch Dritte schützen. Die hiergegen verstoßenden Handlungen Nicaraguas im konkreten Fall wertete der Gerichtshof sodann als Verletzungen von Art. 21 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK und Art. 2 AMRK. 319 Ibid., Rn. 173 (3). Der Gerichtshof nutzte in diesem Urteil noch nicht den Begriff der guarantees of non-repetition. Vielmehr ordnete er die Reform allgemein unter dem Titel der „Application of Art. 63 (1)“ und mit Verweis auf das Prinzip vollständiger Wiedergutmachung
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Entsprechende Anordnungen zur Schaffung neuer gesetzlicher Regelungen sind seither in einer Vielzahl von Fällen ergangen. Ihre Voraussetzung ist regelmäßig, aber nicht immer, eine Feststellung auf Ebene der Merits, dass der Staat nur unzureichend die positive Verpflichtung zum Schutz oder zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte durch legislative Maßnahmen (Art. 2 AMRK) erfüllt habe. Funktional handelt es sich also um Anordnungen zur Abhilfe in Fällen legislativen Unterlassens, während die zuvor behandelten Anordnungen die Abhilfe von Verletzungen der Konvention durch oder aufgrund eines Gesetzes betreffen.320 Wegen der umfangreichen Rechtsprechung des IAGMR zu positiven Verpflichtungen unter der AMRK hat der Gerichtshof in einer Vielzahl von Fällen die Verletzung der AMRK durch legislatives Unterlassen festgestellt und, als Abhilfe, den Erlass von gesetzlicher Regelungen angeordnet. Beispielhaft lässt sich die Anordnung der Schaffung von Straftatbeständen zur Verfolgung des gewaltsamen Verschwindenlassens im Einklang mit Art. 8 und 25 i.V.m. Art. 2 AMRK sowie Art. III der Inter-Amerikanischen Konvention gegen das Verschwindenlassen nennen.321 Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Fällen gegenüber Peru festgestellt, dass der dort geltende Straftatbestand zum Verschwindenlassen nicht die menschenrechtlichen Anforderungen erfüllt, da das Verschwinden der Person u. a. näher zu beweisen ist („duly proven“), sodass diese Einschränkung mit der klandestinen Natur des Verschwindenlassens nicht im Einund Art. 2 AMRK an. Die Kommission hatte eine solche allgemeine Maßnahme nicht gefordert, sodass der Gerichtshof hier proprio motu vorging. Neben den Gesetzesreformen ordnete der IAGMR im gleichen Abschnitt die Bestimmung, Abgrenzung und Anerkennung des Lands der Awas Tingni an sowie die Unterlassung von Maßnahmen, welche das Eigentum in irgendeiner Weise gefährden könnten, ibid., Rn. 158, 164. 320 Die Abgrenzung kann in Einzelfällen schwierig sein, in der die unzureichende Regelung eines bestimmten Sachverhalts als Verletzung eines Rechts durch Gesetz oder als ein Fall legislativer Unterlassung angesehen werden kann. So kann etwa die im oben erwähnten Fall Radilla festgestellte Verletzung der Rechte der Angehörigen auf ein zuständiges Gericht zur strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen gleichzeitg als die unzureichende Gewährleistung der Pflicht zur Untersuchung und Strafverfolgung gem. Art. 8 und 25 AMRK angesehen werden, vgl. dazu Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 50 („relative omission“). 321 IAGMR, Case of Tenorio Roca et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 06. 2016, Series C No. 314, op. Rn. 14; IAGMR, Case of Osorio Rivera and Family members v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2013, Series C No. 274, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232, Rn. 219; IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, op. Rn. 15; IAGMR, Case of Anzualdo-Castro v. Peru. Preliminary Objection, Merits, Reparations and costs, Urt. v. 22. 09. 2009, Series C No. 202, op. Rn. 8; IAGMR, Case of Heliodoro-Portugal v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 12. 08. 2008, Series C No. 186, op. Rn. 16; IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Gómez Palomino v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 136, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92, op. Rn. 2.
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klang steht. Ein weiterer Fall der Anordnung der Umsetzung legislativer Schutzpflichten betrifft etwa die Verpflichtung Argentiniens im Fall Fornerón and daughter, Kinderhandel unter Strafe zu stellen.322 Weitere Beispiele sind neben Anordnungen zur Garantie des Gemeinschaftseigentums indigener Völker323 etwa die Regelung eines Zugangsrechts zu staatlichen Informationen in Chile324, des Schusswaffengebrauchs durch staatliche Sicherheitskräfte325 oder die Etablierung von Rechtsschutzmöglichkeiten für die Angestellten der Menschenrechtsombudsperson in Guatemala326. 3. Anwendungssperren für konventionswidrige Gesetze Neben der Anordnung von Gesetzesreformen hat sich der Gerichtshof auf der Ebene der Rechtsfolgen bislang nur bei besonders folgenschweren Konventions322
Der Fall betraf, in den Worten des Antrags der IAKMR „the alleged violation of the right to protection of the family of Mr. Fornerón and his biological daughter. The infant was handed over by her mother for pre-adoptive care to a married couple without the consent of her biological father, who has no access to the child, and the State has not ordered or implemented a visiting regime despite numerous requests by Mr. Fornerón over the last 10 years.“ Das Unterlassen strafrechtlicher Regelung stellte eine Verletzung der Schutzpflichten unter Art. 19, 8 und 25 AMRK dar, Case of Fornerón and Daughter v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 242, Rn. 218 (2), (4). 323 IAGMR, Case of the Indigenous Communities of the Lhaka Honhat Association (Our Land) v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2020, Series C No. 400, op. Rn. 15; IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309, op. Rn. 13 ff.; IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, op. Rn. 4; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146, op. Rn. 12; IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125, op. Rn. 10; IAGMR, Case of the Moiwana Community v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 06. 2005, Series C No. 124, op. Rn. 3. 324 IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 2006, Series C No. 151, op. Rn. 7. Der Fall betraf die Vorenthaltung von Informationen über ein privates Abholzungsprojekt durch staatliche Stellen. Unter Verweis auf Resolutionen der OAS, der UN, des Europarats und der Inter-American Democratic Charter stellte der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 13 AMRK i.V.m. Art. 2 AMRK wegen legislativen Unterlassens fest, ibid., Rn. 103. 325 IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, op. Rn. 9; IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, op. Rn. 9; s. in diesem Kontext auch IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, op. Rn. 20. 326 IAGMR, Case of Maldonado Ordóñez v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 05. 2016, Series C No. 311, op. Rn. 10.
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verstößen zur Frage der interimistischen Anwendbarkeit der konventionswidrigen Rechtslage geäußert. Dies geschah ausnahmsweise in zwei Urteilen gegenüber Guatemala, welche die Androhung der Todesstrafe im guatemaltekischen Strafgesetzbuch betrafen: In Fermín Ramírez v. Guatemala stellte der Gerichtshof fest, dass der geänderte Mordparagraph, der an die Feststellung einer besonderen „Gefährlichkeit“ des Täters die Verhängung der Todesstrafe knüpfte, mit dem Bestimmtheitsgrundsatz in Art. 9 AMRK i.V.m. Art. 2 AMRK unvereinbar sei.327 In RaxcacóReyes v. Guatemala sah er die Verschärfung der Strafe für Entführung hin zur Todesstrafe als einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 AMRK i.V.m. Art. 2 AMRK an.328 In beiden Fällen ordnete er die Aufhebung der jeweiligen Paragraphen an und bestimmte zudem, dass die Straftatbestände zwischenzeitlich nicht mehr angewandt werden dürfen. In Fermín Ramírez bestimmte er wörtlich: „The State must abstain from applying the part of Article 132 of the Criminal Code of Guatemala that refers to the dangerousness of the agent and modify it within a reasonable period of time, adjusting it to the American Convention, pursuant to the established in Article 2 of the same, thus guaranteeing the respect for freedom from ex post facto laws, enshrined in Article 9 of the same international instrument. The reference to the dangerousness of the agent included in this stipulation must be eliminated.“329
Ähnliche Anordnungen traf der IAGMR hinsichtlich der für konventionswidrig befundenen Androhung der obligatorischen Todesstrafe für Mord in Trinidad und Tobago330 und in einem Urteil bezüglich der Androhung von lebenslangen Freiheitsstrafen im argentinischen Jugendstrafrecht.331
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IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, Rn. 98; bestätigt in IAGMR, Case of Martínez Coronado v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 05. 2019, Series C No. 376, Rn. 74. 328 IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, Rn. 88; bestätigt in IAGMR, Case of Ruiz Fuentes et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2019, Series C No. 385, Rn. 93. 329 IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, op. Rn. 8; IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, Rn. 132 (ii): „[…] While reforming this Article, the State must abstain from applying the death penalty and executing those convicted exclusively of the crime of kidnapping or abduction.“ 330 IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, op. Rn. 8: „that the State should abstain from applying the Offences Against the Person Act of 1925 and within a reasonable period of time should modify said Act to comply with international norms of human rights protection for the reasons stated in paragraph 212 of the present Judgment […].“ 331 IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, op. Rn. 21: „The State must ensure that sentences of life imprisonment and reclusion for life are never again imposed on César Alberto Mendoza, Claudio David Núñez and Lucas Matías Mendoza, or on any other person for crimes committed while a minor.“
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Diese Anordnungen stellen eine Ausnahme dar. In der Regel belässt es der Gerichtshof, auch in Fällen konventionswidriger Strafgesetze, bei der Feststellung der Konventionswidrigkeit der gesetzlichen Regelung und der Anordnung zur Aufhebung und Neuregelung und geht nicht gesondert auf die zwischenzeitliche Anwendbarkeit dieser Regelungen ein.332 Der Grund hierfür dürfte die seit dem Urteil Almonacid Arellano et al. v. Chile entwickelte conventionality control-Doktrin sein, zumal drei der vier Urteile, in denen der Gerichtshof eine Anwendungssperre anordnete in den Jahren 2002 und 2005 und damit vor Almonacid (2006) ergingen. Wie erläutert, besteht nach der conventionality control-Doktrin die Verpflichtung aller anwendenden Stellen, im Rahmen ihrer Befugnisse nach staatlichem Recht konventionswidrige Gesetze unangewendet zu lassen, sodass es auf die Anordnung einer Anwendungssperre durch den IAGMR nicht ankommt.333 Die ausdrückliche Anordnung einer Anwendungssperre im Fall Mendoza v. Argentina kann insoweit nur klarstellende Bedeutung und Relevanz für das Verfahren der Überwachung der Urteilsumsetzung gehabt haben.334 4. Feststellung der Nichtigkeit von Amnestiegesetzen Einen Schritt über die Anordnung legislativer Reformen hinaus ging der IAGMR im Rahmen seiner Rechtsprechung zur AMRK-Unvereinbarkeit von Amnestien, die Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben. Hier ordnete er nicht erst die Aufhebung der für konventionswidrig erachteten Regelung an, sondern stellte bereits deren Nichtigkeit im innerstaatlichen Rechtsraum fest. Wenngleich der IAGMR sein Vorgehen nicht unter den Begriff der guarantees of non-repetition gefasst hat, fällt die Feststellung der Nichtigkeit einer gesetzlichen
332 Vgl. etwa IAGMR, Case of Kimel v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 05. 2008, Series C No. 177, op. Rn. 11; IAGMR, Case of Boyce et al. v. Barbados. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2007, Series C No. 169, op. Rn. 7. 333 Dazu oben S. 44 ff. In diesem Sinne zur Unanwendbarkeit von Art. 57 der mexikanischen Militärgerichtsordnung die Erläuterung in IAGMR, Case of Cabrera García and MontielFlores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, Rn. 233: „Therefore, as was established in the cases of Radilla Pacheco, Fernández Ortega and Rosendo Cantú, it is necessary that the constitutional and legislative interpretations concerning the criteria for the material and personal jurisdiction of the military courts in Mexico be adapted to the principles established in the case law of this Court, which have been reiterated in the present case and apply to all human rights violations allegedly committed by members of the armed forces. This means that, regardless of any legislative reforms that the State should adopt […] in this case, based on the conventionality control, the judicial authorities must rule immediately and ex officio that the facts be heard by a natural judge, that is, by the ordinary criminal courts.“ 334 Mit Verweis auf die conventionality control-Doktrin, IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 323.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
Regelung im weiteren Sinne unter die strukturellen Anordnungen und soll im Folgenden dargelegt werden. Zum Hintergrund: In beinahe allen Konventionsstaaten wurden als Voraussetzung oder zur Absicherung des demokratischen Übergangs seit Ende der 1970er Jahre Regelungen getroffen, die in unterschiedlicher Reichweite die Strafverfolgung der Sicherheitskräfte für Menschenrechtsverletzungen ausschlossen.335 Zwar wurden außergerichtliche Maßnahmen der Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit ergriffen und namentlich Wahrheitskommissionen, Entschädigungs- und Rehabilitationsprogamme sowie symbolische Formen der Anerkennung und Erinnerung eingerichtet.336 Die strafrechtliche Aufarbeitung selbst schwerster und systematischer Menschenrechtsverletzungen blieb in den meisten Staaten jedoch zu-
335 Amnestie- und Begnadigungsvorschriften existierten, und existieren teilweise bis heute, in Argentinen, Brasilien, Chile, El Salvador, Guatemala, Haiti, Honduras, Nicaragua, Peru, Surinam und Urugay. Inhalt und rechtspolitischer Hintergrund der Regeln unterscheiden sich zwischen den Ländern abhängig von den Umständen der Transition: In Brasilien (1979) und Chile (1979) kamen umfassende Amnestien vor dem demokratischen Übergang zustande und überdauerten diesen. In Argentinien, wo das Militärregime 1983 in einer schweren Krise endete, wurde deren „Selbst-Amnestie“ (1983) hingegen vom Kongress für nichtig erklärt und Mitglieder der Juntas veruteilt (1985), später jedoch wurde auf Druck des Militärs durch zwei Sondergesetze (Ley de Punto Final (1986) und Ley de Obedienca Debida (1987)) sowie durch Begnadigungsdekrete des Präsidenden Menem (1989) weitreichende rechtliche Straflosigkeit erreicht, Brian Loveman, „Protected Democracies“ and Military Guardianship: Political Transitions in Latin America, 1978 – 1993, Journal of Interamerican Studies and World Affairs 36 (1994), 2, 118; Ambos, Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen, 1997, S. 83 ff. 336 Zwischen den Ländern bestehen große Unterschiede hinsichtlich des Inhalts und Ausmaßes dieser Maßnahmen. Dies betrifft insbesondere die mitunter vereinfacht dargestellte Fragestellung, inwieweit außergerichtlichen Formen der Aufarbeitung als eine Alternative zur Strafverfolgung zu verstehen waren. Während dies etwa in Chile der Fall zu sein schien, wo unmittelbar nach Ende des Pinochet-Regimes im Jahr 1990 die Wahrheitskommission ihre Arbeit aufnahm, hingegen die Strafverfolgung blockiert blieb, folgte dem Bericht der argentinischen Wahrheitskommission von 1983 zunächst eine begrenzte Strafverfolgung; in Uruguay und Brasilien kamen Wahrheitskommission erst viele Jahre nach Amnestieregelungen zustande. Ganz anders stellte sich die Lage in Zentralamerika dar, wo etwa die Wahrheitskommission in El Salvador keine ausdrücklichen Vorschläge zur Strafverfolgung unterbreitete, da sie deren institutionelle Voraussetzungen als nicht gegeben betrachtete. Vgl. zum Verlauf der Aufarbeitung in den einzelnen Staaten Lucas Lixinski, A Critical Mapping of Transitional Justice in Latin America, in: Rosalind Dixon/Tom Ginsburg (Hrsg.), Comparative Constitutional Law in Latin America, Cheltenham 2017, S. 87; Elin Skaar/Cath Collins/Jemima GarcíaGodos, Conclusions: the uneven road towards accountability in Latin America, in: Elin Skaar/ Cath Collins/Jemima García-Godos (Hrsg.), Transitional Justice in Latin America. The Uneven Road from Impunity towards Accountability, Abingdon 2016, S. 275 und die im Sammelband enthaltenen Länderberichte; Ezequiel Malarino, Breves reflexiones sobre la justícia de transición a partir de las experiencias latinoamericanas, in: Kai Ambos/Ezequiel Malarino/Gisela Elsner (Hrsg.), Justicia de transición: Informes de América Latina, Alemania, Italia y España, Montevideo 2009, S. 415, sowie ebenfalls die Länderberichte im Band; zu Wahrheitskommissionen Priscilla B. Hayner, Unspeakable Truths: Transitional Justice and the Challenge of Truth Commissions, New York, London 2011.
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nächst die umstrittene Ausnahme.337 Der IAGMR hat in seiner Rechtsprechung seit seinen ersten Urteilen demgegenüber vergleichsweise strikte Standards zum notwendigen Inhalt und Ausmaß der Transitional Justice formuliert und insbesondere eine sehr restriktive Haltung zu Amnestiegesetzen jeglicher Art eingenommen.338 Im zentralen Urteil in Barrios Altos v. Peru aus dem Jahr 2001, der ein auf Anordnung des Präsidenten Fujimori begangenes Massaker an angeblichen Mitgliedern des „Leuchtenden Pfades“ im Jahr 1991 betraf, das unter die Generalamnestie aus dem Jahr 1995 fiel, stellte der IAGMR die Unvereinbarkeit von Amnestien für schwere Menschenrechtsverletzungen namentlich Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen mit der AMRK fest: „This Court considers that all amnesty provisions, provisions on prescription and the establishment of measures designed to eliminate responsibility are inadmissible, because they are intended to prevent the investigation and punishment of those responsible for serious human rights violations such as torture, extrajudicial, summary or arbitrary execution and forced disappearance, all of them prohibited because they violate non-derogable rights recognized by international human rights law.“339
337 Eine Ausnahme stellte die Verurteilung des ehemaligen Diktators Banzer (1980 – 1982) und seiner Gefolgsleute in Bolivien im Jahr 1993 dar, Ambos, Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen, 1997, S. 55; vgl. ferner die Überblicke in der vorangegangenen Fn. und Albin Eser/Ulrich Sieber/Jörg Arnold (Hrsg.), Teilband 11: Chile (Salvador A. Millaleo Hernández), Uruguay (Gonzalo D. Fernández), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht: Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse (2007); Albin Eser/Jörg Arnold (Hrsg.), Teilband 2: Argentinien (Marcelo A. Sancinetti und Marcelo Ferrante), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht: Vergleichende Einblicke in Transitionsprozesse (2002). 338 Die Haltung des IAGMR speist sich, allgemein gesprochen, aus einer starken Berücksichtigung der Interessen der Opfer an Strafverfolgung, wohingegen allgemein-gesellschaftliche Belange der Stabilität, die für Amnestien vorgebracht werden, geringere Berücksichtigung zu finden scheinen. Allerdings fußt der Ansatz des IAGMR auch auf der Überzeugung, dass Straflosigkeit, statt zu befrieden und zu versöhnen, selbst die Ursache andauernder Instabilität und Menschenrechtsverletzungen sein kann. Strafverfolgung dient in diesem Sinne nicht allein den Interessen der Opfer an Gerechtigkeit, sondern stützt auch ein allgemeines Interesse an der Stärkung von Rechtsstaatlichkeit. Wie die Rücknahme und Außerachtlassung von Amnestieregelungen sowie die Einschränkung von Militärgerichtsbarkeit in Lateinamerika zeigen, stützt sich der IAGMR dabei zunehmend auch auf einen regionalen Konsens, zu dessen Entfaltung der Gerichtshof freilich selbst beigetragen hat, vgl. kritisch zum Ansatz des IAGMR Seibert-Fohr, Prosecuting serious human rights violations, 2009, S. 85 ff.; zustimmend dagegen Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015, S. 158 ff. Aus dem Sondervotum des Richters García-Sayán im Fall El Mozote, das von vier der sieben Richter des IAGMR unterzeichnet wurde, ließ sich zudem eine Offenheit hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Strafverfolgung von Verbrechen in bewaffneten Konflikten entnehmen, die etwa die konditionale Amnestie und sog. Sondergerichtsbarkeit für den Frieden in Kolumbien mit der AMRK vereinbar erscheinen ließ, vgl. IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge García-Sayán, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Rn. 21 ff. 339 IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, Rn. 41.
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In seiner knappen Begründung führte der Gerichtshof aus, dass Amnestieregelungen als solche die Rechte der Opfer auf Zugang zu Rechtsschutz, inklusive Strafverfolgung und Wahrheit, gem. Art. 8 und 25 AMRK verletzten, die Straflosigkeit der Täter entgegen Art. 1 Abs. 1 AMRK perpetuierten und gegen die Verpflichtung zur Anpassung der innerstaatlichen Rechtslage gem. Art. 2 AMRK verstießen.340 In der Folgerechtsprechung bestätigte der Gerichtshof zunächst in einem Fall zur chilenischen Amnestieregelung die Unvereinbarkeit von Blankett-Amnestien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit der AMRK und orienterte sich dabei am völkerstrafrechtlichen Komplementaritätsprinzip. Eine Beschränkung der Unvereinbarkeit von Amnestien auf solche, die durch das Regime selbst erlassen wurden („Selbst-Amnestien“), nahm der Gerichtshof hier und auch später nicht mehr vor.341 In Urteilen gegenüber Brasilien, Uruguay und El Salvador stellte der IAGMR später ebenfalls die Konventionswidrigkeit der jeweiligen Regelungen fest und verwies dafür insbesondere auf einen etablierten regionalen Konsens. Die obersten Gerichte in einer Reihe von Konventionsstaaten waren dem IAGMR mittlerweile in seiner Rechtsprechung gefolgt und insbesondere Argentinien hatte seit dem Jahr 2005 Amnestieregelungen zur Zeit der Militärdiktatur zurückgenommen.342 An dieser Stelle sollen nun allein weiter die Rechtsfolgenaussprüche des IAGMR in seiner Amnestierechtsprechung, als Sonderfall der guarantees of non-repetition, näher betrachtet werden. Im Fall Castillo Páez, der das gewaltsame Verschwindenlassen eines Studenten durch peruanische Sicherheitskräfte und die andauernde Straflosigkeit der Täter betraf, hatte der Gerichtshof im Urteilstenor noch angeordnet, dass der Staat Strafverfolgungsmaßnahmen einleiten und, für den Fall, dass das Amnestiegesetz dem entgegen stehe, „die notwendigen legislativen Maßnahmen“ ergreifen müsse („[to] adopt the necessary domestic legal measures to ensure that this obligation is fulfilled“343). Auf die Vereinbarkeit des Amnestiegesetzes mit 340
Ibid., Rn. 42 f. Maßgeblich sei der Zweck der Regelung, die Garantie von Straflosigkeit, nicht ihr Urheber. IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 105 ff. 342 IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Rn. 283 ff.; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 195 ff.; IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, Rn. 147 ff.; vgl. näher zu den Auswirkungen des IAGMR unten S. 184 ff. und Titze, Transitional Justice in Lateinamerika: Die Arbeit regionaler Instanzen bei der Aufarbeitung von Systemunrecht, in: Mihr/Pickel/ Pickel (Hrsg.), Handbuch Transitional Justice, 2018, S. 409; Mallinder, The end of amnesty or regional overreach? Interpreting the erosion of South America’s amnesty laws, International and Comparative Law Quarterly 65 (2016), 645; Christina Binder, Auf dem Weg zum lateinamerikanischen Verfassungsgericht? Die Rechtsprechung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs im Bereich der Amnestien, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 71 (2011), 1 (17 ff.). 343 IAGMR, Case of Castillo Páez v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 43; vgl. dazu Huneeus, Reforming the State from Afar: Structural Reform Liti341
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der Konvention war der Gerichtshof hier noch nicht näher eingegangen. Im maßgebenden Urteil in Barrios Altos v. Peru, kurz nach Ende des Fujimori-Regimes, stellte der IAGMR nicht allein die Unvereinbarkeit der Amnestieregelung mit Art. 8, 25 i.V.m. Art. 2 AMRK fest. Anders als in Castillo Páez stellte er zudem im Urteilstenor die Nichtigkeit dieser Regelung fest. Der Wortlaut ist in diesem Sinne eindeutig: „Owing to the manifest incompatibility of self-amnesty laws and the American Convention on Human Rights, the said laws lack legal effect.“344
Ein innerstaatlicher Akt zur Beseitigung des Konventionsverstoßes auf legislativer Ebene, wie ihn der Gerichtshof sonst anordnete, war deshalb also nicht mehr erforderlich.345 Das Vorgehen des IAGMR ist vergleichbar mit Normenkontrollentscheidungen nationaler Verfassungsgerichte oder des EuGH.346 Auch in allen weiteren Urteilen zur Unvereinbarkeit von Amnestien mit der AMRK hat der IAGMR nicht deren Aufhebung angeordnet, sondern auf deren Nichtigkeit verwiesen und darüber hinaus ausgeführt, dass die Regelungen zukünftigen Untersuchungen nicht im Wege stehen können (nicht also: dürfen).347 So etwa in Gomes Lund et al. v. Brazil: gation at the Human Rights Courts, The Yale Journal of International Law 40 (2015), 1 (10), demnach handelte es sich bei diesen Anordnungen zur Untersuchung und Strafverfolgung, die notwendigerweise strukturelle Reformen beinhalteten, um erste guarantees of non-repetition. 344 IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, op. Rn. 4. 345 Im IAGMR schien zunächst Uneinigkeit über die Tragweite der eigenen Entscheidung zu bestehen. Die Ausführungen im Urteilstext in Barrios Altos blieben auf die apodiktische Feststellung der Nichtigkeit begrenzt. Während Richter García Ramírez in seiner concurring opinion sodann die Nichtigkeit des Gesetzes auch innerhalb der peruanischen Rechtsordnung festhielt, ging Richter Cançado Trindade allein auf die Unvereinbarkeit der Amnestieregelung mit dem Gesetzesbegriff der AMRK ein (Art. 30 AMRK) und wies auf die Pflicht zur Aufhebung der Amnestien hin. Dass der Gerichtshof indes tatsächlich von der Nichtigkeit der Amnestiegesetze auch im innerstaatlichen Recht ausging, zeigte sich hingegen kurz darauf im Fall La Cantuta v. Peru, in dem der Gerichtshof, aufgrund der Nichtigkeit des Gesetzes nach Barrios Altos, keine Verletzung von Art. 2 AMRK fand, obwohl das peruanische Amnestiegesetz de jure noch nicht zurückgenommen war. Der Gerichtshof bestätigte die erga omnesNichtigkeit des Amnestiegesetzes aufgrund der Verbindlichkeit seiner Urteile in der peruanischen Rechtsordnung, IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits. Concurring Opinion of Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, Rn. 15; IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits. Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade. , Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, Rn. 8; IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 186; IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge García Ramírez, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 4 – 5. 346 Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 54; Binder, Auf dem Weg zum lateinamerikanischen Verfassungsgericht? Die Rechtsprechung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs im Bereich der Amnestien, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 71 (2011), 1 (10). 347 IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, op. Rn. 4; IAGMR, Case Gelman
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„Given its express non-compatibility with the American Convention, the provisions of the Brazilian Amnesty Law that impedes the investigation and punishment of serious human rights violations lack legal effect. As a consequence, they cannot continue to represent an obstacle in the investigation of the facts in the present case, nor for the identification and punishment of those responsible, nor can they have equal or similar impact regarding other cases of serious human rights violations enshrined in the American Convention that occurred in Brazil.“348
Die Feststellung der Nichtigkeit durch den IAGMR umgeht die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung, die im Falle von Amnestien in beinahe allen Konventionsstaaten mit erheblichen Widerständen verbunden war, bzw. bis heute ist, und gleichzeitig das Problem des Rückwirkungsverbots aufwerfen würde.349 In Verbindung mit der conventionality control-Lehre, entwickelt im Fall Almonacid, ermächtigt der Ausspruch des IAGMR die Judikative und die Strafverfolgungsbehörden des jeweiligen Staates dazu, die Regelungen außer Acht zu lassen und Ermittlungen einzuleiten.350 Der Wortlaut der Urteile legt es dabei nahe, dass der Gerichtshof tatsächlich von der Nichtigkeit der Amnestiegesetze ab initio ausgeht.351
v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, op. Rn. 11; IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, Declares, Rn. 3; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Declares, Rn. 2. 348 IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, Declares, Rn. 3. Hervorhebung hinzugefügt. 349 Insofern lässt sich ein historisches Vorbild für die Praxis des IAGMR finden: Das argentinische Gesetz Nr. 23.040 vom 27. 11. 1983 mit dem die Selbst-Amnestie der Militärjunta aufgehoben wurde. Art. 1 lautet in der englischen Übersetzung: „The de facto Law No. 22.924 shall be revoked as unconstitutional and declared irrevocably null.“ Art. 2: „The de facto Law No. 22.924 has no legal effect in the judgment of penal, civil, administrative or military responsibilities arising from the acts it pretends to cover […]“, wiedergegeben in Neil J. Kritz (Hrsg.), Transitional justice: how emerging democracies reckon with their former regimes, Band 3: Laws, Rulings, and Reports, Washington D.C. 1995, S. 480. 350 Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, 2020, S. 71 ff.; Micus, The interAmerican human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015, S. 176 ff. 351 So auch Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 54; Binder, Auf dem Weg zum lateinamerikanischen Verfassungsgericht? Die Rechtsprechung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs im Bereich der Amnestien, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 71 (2011), 1 (10); vgl. dagegen mit einer anderen Lesart der Urteile Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, 2020, S. 68 ff.
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II. Stärkung oder Reform von staatlichen Institutionen Der Gerichtshof trifft unter dem Titel der guarantees of non-repetition ferner Anordnungen zur Stärkung oder Reform staatlicher Institutionen, wenn die festgestellten Rechtsverletzungen andauernde generelle Defizite administrativ-institutioneller Art aufgezeigt haben. Abhängig vom Ausmaß dieser Probleme, den bereits eingeleiteten Reformen und den dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen variieren die Anordnungen des IAGMR allerdings stark: Sie reichen von Einzelmaßnahmen zur Verbesserung bestimmter staatlicher Institutionen zu sehr allgemein gefassten Reformprogrammen. 1. Stärkung oder Reform bestimmter staatlicher Institutionen Beispielhaft für Reformanordnungen in Bezug auf bestimmte staatliche Institutionen sind die Anordnungen des IAGMR zur Verbesserung von Haftbedingungen in staatlichen Gefängnissen. Der IAGMR hat in einer Reihe von Urteilen die katastrophalen Haftbedingungen im Einzelfall als eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung gewertet (Art. 5 Abs. 1 und 2 AMRK i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK) und auf Ebene der Rechtsfolgen die Verbesserung der Gefängnisbedingungen im gesamten Staat angeordnet, da er die festgestellten Bedingungen als repräsentativ für den Zustand sämtlicher Gefängnisse im betroffenen Staat ansah. So etwa erstmals in Hilaire, Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago, wobei der IAGMR noch in allgemeinen Worten entschied „to direct the State to bring its prison conditions into compliance with the relevant international human rights norms on the matter.“352 In späteren Urteilen ging der Gerichtshof dazu über, die zu schaffenden Zustände auf Ebene der Rechtsfolgen näher zu bestimmen. So geschehen etwa in Montero Aranguren und Díaz Pena v. Venezuela, wobei sich der IAGMR hier auf bestimmte Haftanstalten bezog: „[…] the State must guarantee that the living conditions of the inmates are the result of the respect due to their dignity as human beings; including, inter alia: a) bed space that meets minimum standards; b) accommodation which is ventilated and naturally lit; c) regular 352 IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, Rn. 217, op. Rn. 14. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Gefängnisbedingungen in den untersuchten Einzelfällen gegen die Konvention verstießen und sah die Zustände als repräsentativ an, ibid., Rn. 84 (n): „[…] this Court accepts as fact that these conditions are typical of Trinidad and Tobago’s prison system […].“, ferner Rn. 170, 217; ebenso IAGMR, Case of Caesar v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 03. 2005, Series C No. 123, Rn. 134; IAGMR, Case of Yvon Neptune v. Haiti. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 05. 2008, Series C No. 180, Rn. 181: „The appalling conditions of Haitian prisons and detention centers have been brought to light in this case.“; IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, op. Rn. 9; IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Lori Berenson Mejía v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2004, Series C No. 119, Rn. 241, op. Rn. 4.
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access to clean toilets and showers securing toilet privacy; d) adequate, timely and sufficient food and health care; and e) access to educational, employment and other opportunities to assist inmates towards a law abiding and self supporting life.“353
In Velez Loor v. Panama stellte der Gerichtshof fest, dass die in Panama praktizierte gemeinsame Inhaftierung von Migranten gemeinsam mit verurteilten Straftätern eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 AMRK darstellte und ordnete als guarantees of non-repetition die Schaffung besonderer Einrichtungen an, die zur Aufnahme von Migranten geeignet und bestimmt sein sollten.354 Verwandt mit diesen Anordnungen sind Maßnahmen zum Schutz Gefangener vor Folter und gewaltsamen Verschwindenlassen. Dazu ordnete der Gerichtshof in Gutiérrez Soler, der die willkürliche Verhaftung, Inhaftierung und Folter des gleichnamigen Opfers zum Gegenstand hatte, Maßnahmen zur Garantie der medizinischen Untersuchung von Gefangenen in staatlichen Gefängnissen nach dem Maßstab des UN-Istanbul Protokolls bei Folterverdacht an: „Such control mechanisms must include, inter alia: a) medical examinations of every arrestee or convict, according to standard medical practice. Specifically, examinations shall be conducted under medical control, in private and never in the presence of security staff or other government officials. Such examinations shall be conducted as promptly as possible after the admission of the arrested or imprisoned person to the place of arrest or imprisonment, and thereafter medical care and treatment shall be provided whenever necessary; b) regular psychological assessments of staff in charge of the custody of persons arrested, in order to ensure their adequate mental health condition; and c) frequent access to such centers for staff ofn the appropriate human rights surveillance and protection organizations.“355 353 IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, Rn. 146, op. Rn. 10; IAGMR, Case of Díaz-Peña v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 26. 06. 2012, Series C No. 244, Rn. 154, op. Rn. 6; in IAGMR, Case of Yvon Neptune v. Haiti. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 05. 2008, Series C No. 180, Rn. 136, schrieb der IAGMR ein noch im Einzelnen offenes Maßnahmenpaket vor: „To this end, the State must, within two years, establish a plan and an action program, as well as a timetable of activities relating to compliance with this provision.“; ähnlich IAGMR, Case of Rodríguez Revolorio et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 10. 2019, Series C No. 387, Rn. 157. 354 IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 327 (15). Die katastrophalen Gefängnisbedingungen in Honduras thematisierte der Gerichtshof im Fall Pacheco Teruel et al. v. Honduras. Der Fall betraf den Tod von 107 mutmaßlichen Mitgliedern sog. Maras durch ein Feuer in einem überbelegten Gefängnis in San Pedro Sula. Hier ordnete der Gerichtshof in Übernahme des getroffenen friendly settlement die Verpflichutng zum Bau und zur Verbesserung der baulichen Bedingungen der Gefängnisse an, namentlich den Neubau des Gefängnisses in San Pedro Sula und in anderen Städten, IAGMR, Case of Pacheco Teruel et al v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 241, op. Rn. 3; zuvor bereits IAGMR, Case of López Álvarez v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 02. 2006, Series C No. 141, op. Rn. 9. 355 IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, Rn. 112, op. Rn. 6.
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In Paniagua Morales et al. v. Guatemala und Humberto Sánchez v. Honduras, Fälle von gewaltsamen Verschwindenlassens durch staatliche Sicherheitskräfte, sowie in Cabrera García and Montiel Flores v. Mexiko, Fälle von willkürlicher Haft und Folter in staatlichen Gefängnissen, ordnete der IAGMR die Schaffung bzw. Verbesserung von einsehbaren Gefangenenregistern an, um die effektive Überprüfung der Haftgründe zu gewährleisten und Gewalt gegen Gefangene zu verhindern.356 Ein weiteres Feld von administrativ-institutionellen guarantees of non-repetition betrifft Anordnungen zur Reform bestehender Institutionen oder die Schaffung neuer staatlicher Institutionen, die das Schicksal von Opfern gewaltsamen Verschwindenlassens aufklären sollen. Beispielhaft sind die Fälle Contreras et al. v. El Salvador und Gelman v. Uruguay, welche die Entführung und das Verschwinden von Kindern während des Bürgerkriegs in El Salvador bzw. der Militärdiktatur in Uruguay betrafen. Der Gerichtshof ging im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung auf die systematische Natur dieser Verbrechen ein und stellte die unzureichende Aufklärung der Hintergründe der Taten und die andauernde Straflosigkeit der Täter entgegen der Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 AMRK sowie der Opferrechte aus Art. 8 und 25 AMRK fest.357 Auf Rechtsfolgenebene führte er diese Verletzungen auch auf den unzureichenden Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu Militärarchiven zurück und ordnete die generelle Öffnung und den freien Zugang zu diesen Archiven an. In Conteras lautete die Anordnung: „The State must adopt the pertinent and appropriate measures to guarantee to agents of justice, as well as to Salvadoran society, public, technical and systematized access to the archives that contain useful information that is relevant to the investigation in cases prosecuted for human rights violations during the armed conflict […].“358 356 Auch hier ging der IAGMR näher auf den Inhalt der Reformen ein: IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, op. Rn. 16, Rn. 243: „[T]he Court considers that, within the framework of the register of detainees currently kept in Mexico, the following supplementary measures should be adopted in order to reinforce the operation and usefulness of this system: i) continuous updating; ii) interconnection between the database of the register and any other relevant databases, establishing a network that allows each detainee to be easily located; iii) guarantee that the register respects the requirements of access to information and privacy; and iv) an oversight mechanism to ensure that authorities comply with the requirement to update the register.“; IAGMR, Case of Juan Humberto Sánchez v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 06. 2003, Series C No. 99, Rn. 192 (9); IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, op. Rn. 4. 357 IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232, Rn. 40 ff., 250 (8); IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 44 ff., 312 (5). 358 IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232, Rn. 212, op. Rn. 10; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, op. Rn. 16, 312 (16), dort offenbar aber nicht als allgemein präventive Maßnahme gedacht, Rn. 282: „Given that this information could be useful for the employees who execute the judicial investigations concerning the facts of the present case [!], the State should adopt the appropriate and adequate measures to guarantee the
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Vergleichbare Anordnungen in Fällen andauernder Straflosigkeit für vergangenes Unrecht traf der Gerichtshof in den Fällen Molina Theissen und Serrano Cruz Sisters v. El Salvador, Ticona Estrada et al. v. Bolivia, Anzualdo-Castro v. Peru, García and family members v. Guatemala oder im Fall des „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Hier bestimmte er u. a. mit Verweis auf Sachverständigengutachten zur Verbesserung der Aufklärung des Schicksals von Verschwundenen die Schaltung einer Webseite zur erleichterten Suche und Zusammenführung entführter und adoptierter Kinder, ferner die Schaffung einer Gendatenbank über gewaltsam verschwundene Personen und die Stärkung von bereits existierenden Institutionen, die diesem Zweck bereits verpflichtet waren.359 Konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Strafverfolgungsinstitutionen ordnete der Gerichtshof auch in Fällen von sog. Femicidios an, da nach Ansicht des IAGMR die andauernde Straflosigkeit der Täter in diesen Fällen von Morden an Frauen auf die mangelnde Sensibilität der staatlichen Ermittler für die Hintergründe der Taten sowie auf eine Kultur der Geschlechterdiskriminierung bei der Polizei zurückzuführen war. In einem der bekanntesten Urteile des IAGMR, González et al. v. Mexiko, der drei Morde an jungen Frauen im Kontext hunderter ähnlicher Fälle in Ciudad Juárez, Mexiko, betraf360, ordnete der IAGMR die Überarbeitung der einschlägigen Prototechnical and systematical access to this information, means that should be supported by the appropriate assigned budget.“ 359 Detailreich näher bestimmt in IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211, Rn. 272, op. Rn. 17; ebenso IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 192, op. Rn. 17; dort auch Anordnungen hinsichtlich der Schaffung einer nationalen Suchkommission, Rn. 184, op. Rn. 16; s. ferner IAGMR, Case of García and family members v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2012, Series C No. 258, op. Rn. 10; IAGMR, Case of AnzualdoCastro v. Peru. Preliminary Objection, Merits, Reparations and costs, Urt. v. 22. 09. 2009, Series C No. 202, op. Rn. 7; IAGMR, Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2008, Series C No. 191, op. Rn. 14; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, op. Rn. 8. 360 Der Fall González et al. betraf die Verantwortlichkeit Mexikos für das Verschwinden, Misshandlungen und den Tod von drei jungen Frauen. Ihre Leichen wurden im November 2001 in einem Baumwollfeld in der Nähe der Stadt Ciudad Juárez gefunden und wiesen Spuren von extremer Gewalt, Vergewaltigung und Verstümmelung auf. Gemeinsam war allen Fällen zudem die unzureichende Reaktion der staatlichen Sicherheitskräfte, die keine konkreten Maßnahmen zur Suche nach den Opfern eingeleitet und die Gefahr für die Frauen heruntergespielt oder diesen selbst die Schuld an ihrem Verschwinden gegeben hatten. Der Gerichtshof stellte der Sachverhaltsfeststellung einen umfangreichen Bericht über den Kontext massiver geschlechtsbezogener Gewalt und Straflosigkeit in Ciudad Juárez voran, den er auf Grundlage von Berichten internationaler, staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen ermittelt hatte. Er stellte dabei insbesondere strukturelle Unzulänglichkeiten bei der Reaktion auf Vermisstenanzeigen sowie bei der Strafverfolgung geschlechtsbezogener Gewalt fest, die vom Staat teilweise bereits eingestanden worden waren. Die Frauenmorde und die unzureichende staatliche Reaktion sei auf eine Kultur der Geschlechterdiskriminierung zurückzuführen: „[These crimes] have been influenced, as the State has accepted, by a culture of gender-based discrimination which, according to various probative sources, has had an impact on both the
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kolle und Verwaltungsanweisungen der Polizei bei der Untersuchung geschlechtsbezogener Gewalt an, die sich in Zukunft an internationalen Standards zu orientieren hatten: „The Tribunal considers that, in this case, the State must, within a reasonable time, continue harmonizing all its protocols, manuals, judicial investigation criteria, expert services and delivery of justice used to investigate all crimes concerning the disappearance, sexual abuse and murder of women with the Istanbul Protocol, the United Nations Manual on the Effective Prevention and Investigation of Extralegal, Arbitrary and Summary Executions, and the international standards for searching for disappeared people, based on a gender perspective.“361
Ähnliche Anordnungen traf der IAGMR später im Fall Pacheco León et al. v. Honduras, der die unzureichende Aufklärung eines politisch motivierten Mordes betraf.362 Ferner lassen sich entsprechende institutionelle Reformanordnungen zum Schutz von Patienten im öffentlichen Gesundheitssystem363 oder zum Schutz von bemotives and the method of the crimes, as well as on the response of the authorities. In this regard, the ineffective responses and the indifferent attitudes that have been documented in relation to the investigation of these crimes should be noted, since they appear to have permitted the perpetuation of the violence against women in Ciudad Juárez. The Court finds that, up until 2005, most of the crimes had not been resolved, and murders with characteristics of sexual violence present higher levels of impunity.“ IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 164; ferner Pablo Saavedra-Alessandri, Una breve revisión de los estándares y las reparaciones con perspectiva de género en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos in: Fernando M. Mariño (Hrsg.), Feminicidio: el fin de la impunidad, Valencia 2013, S. 351; Katrin Tiroch, Violence against Women by Private Actors: The InterAmerican Court’s Judgment in the Case of Gonzalez et al. („Cotton Field“) v. Mexico, Max Planck Yearbook of United Nations Law 14 (2010), 371 (384 ff.). 361 Die Anordnung fand ihre Grundlage in den Merits, in denen der Gerichtshof nach der Feststellung einer Vielzahl von Unregelmäßigkeiten und Fehlern bei der Strafverfolgung auch das Vorliegen struktureller Defizite entgegen Art. 2 AMRK und Art. 7 lit. b CdBP festgestellt hatte, vgl. IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 502, op. Rn. 18; die Anordnung zur Stärkung der Strafverfolgungsbehörden durch Verweis auf die einschlägigen UN-Standards geht zurück auf IAGMR, Case of Carpio Nicolle et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2004, Series C No. 117, op. Rn. 3; siehe auch IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215, op. Rn. 18; IAGMR, Case of López Soto et al. v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2018, Series C No. 362, Rn. 315 ff. 362 IAGMR, Case of Pacheco León et al. v. Honduras, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 11. 2017, Series C No. 342, Rn. 206, op. Rn. 8. 363 IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359, Rn. 225 ff., hier ordnete der Gerichtshof u. a. umfangreiche Maßnahmen zur Kontrolle öffentlicher Krankenhäuser beim Umgang mit HIV-Patienten, bessere Forschung über den Stand der AIDS-Epidemie in Guatemala sowie die Verbesserung der Versorgung mit Medikamenten an; Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349, Rn. 239.
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stimmten Personengruppen vor staatlicher oder privater Gewalt finden364. Beispielhaft für die letztere Fallgruppe ist das Urteil in Quispialaya Vilcapoma v. Peru, das die Folter eines Rekruten in der peruanischen Armee im Kontext einer Vielzahl ähnlicher Fälle von Misshandlungen von Wehrdienstleistenden in Peru betraf, als deren Wurzel der IAGMR eine Kultur übersteigerter, gewaltvoller militärischer Disziplin benannte.365 Der Gerichtshof ordnete die Durchführung von unabhängigen Kontrollbesuchen in Kasernen sowie die Umsetzung eines Mechanismus zur Folterprävention an, der bereits vom peruanischen Kongress verabschiedet worden war: „El Estado debe disponer la realización de visitas periódicas y no anunciadas a las instalaciones militares donde se realice el servicio militar voluntario, por parte de autoridades independientes, autónomas y con competencia en la materia, a fin de verificar el buen trato y condiciones en las que se desarrolla el servicio militar así como el cumplimiento de los derechos y beneficios del personal de tropa […].“366
Maßnahmen gegen exzessive Polizeigewalt ordnete der Gerichtshof schließlich in den Fällen Caracazo v. Venezuela sowie in Favela Nova Brasília v. Brazil an. Letzterer Fall betraf die Tötung von 26 Jugendlichen aus Armenvierteln Rio de Janeiros durch Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte in den Jahren 1994 und 1995. Der Gerichtshof stellte fest, dass der exzessive Einsatz von Polizeigewalt in Favelas und die Straflosigkeit verantwortlicher Polizisten bis in die Gegenwart ein strukturelles Problem in Brasilien darstellten. Als guarantee of non-repetition ordnete der Gerichtshof an, dass der brasilianische Staat jährlich die Zahl der bei Po364
Vgl. in diesem Sinne zu Schutzmaßnahmen gegen geschlechtsbezogene Gewalt IAGMR, Case of V.R.P., V.P.C. et al. v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 350, Rn. 373 ff.; IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 17; IAGMR, Case of Espinoza Gonzáles v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2014, Series C No. 289, op. Rn. 13; IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, op. Rn. 11; zu Schutzmaßnahmen für Angehörige der Strafverfolgungsorgane im bewaffneten Konflikt Kolumbiens, IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163, op. Rn. 10; Schutzmaßnahmen für Gewerkschaftsmitglieder, Case of Isaza Uribe et al. v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2018, Series C No. 363, Rn. 191. 365 Allerdings lehnte es der IAGMR ab, von einer systematischen Politik des peruanischen Staats zu sprechen: „Tras analizar la documentación aportada por las partes y los alegatos sobre el ,contexto‘ de torturas y tratos crueles, inhumanos o degradantes, la Corte considera que carece de elementos suficientes para declarar la existencia de un patrón organizado o una política estatal de violencia, tortura y malos tratos contra reclutas del Ejército. Sin perjuicio de lo anterior, la Corte constata que los comportamientos descritos […] representan un contexto de maltratos físicos y psicológicos en el ámbito del servicio militar provenientes de una arraigada cultura de violencia y abusos en aplicación de la disciplina y la autoridad militar. Dicho contexto servirá de marco para analizar los hechos alegados en el presente caso, e igualmente para determinar la calificación jurídica de los hechos en el Capítulo de Fondo y al disponer medidas de reparación.“ IAGMR, Case of Quispialaya Vilcapoma v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2015, Series C No. 308, Rn. 56 f. 366 Ibid., op. Rn. 10.
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lizeieinsätzen getöteten Personen sowie Informationen über den Stand der Ermittlungen in diesen Fällen veröffentlichen müsse, ferner, dass die interne Untersuchung solcher Vorfälle in Zukunft von außerhalb der handelnden Einheit geführt werden und die Formulare für Untersuchungsberichte dahingehend zu ändern seien, dass Fälle von Polizeigewalt besser dokumentiert werden könnten.367 2. Allgemein ausgerichtete Reformprogramme Neben der Reform bestimmter Institutionen finden sich in der Rechtsprechung des IAGMR eher allgemein gefasste Anordnungen von Reformprogrammen oder Maßnahmenplänen, wodurch den strukturellen Ursachen festgestellter Konventionsverletzungen abgeholfen werden soll.368 Beispielhaft sind eine Reihe von Fällen, welche die Ermordnung von Menschenrechts- und Umweltverteidigern in Honduras, Guatemala und Nicaragua zum Gegenstand hatten.369 Beispielhaft ist insbesondere der Fall Luna López v. Honduras, betreffend die Ermordung des Menschenrechtsund Umweltaktivisten Carlos Luna López durch unbekannte Täter im Jahr 1998. Der Gerichtshof stellte die Gefährdung von Umweltaktivisten in Honduras fest und sah für den Mord rechtlich auch den Staat als verantwortlich an, da Honduras, trotz bekannter Risiken, das Opfer nicht ausreichend beschützt hatte (Verletzung von Art. 4 AMRK). Auf Rechtsfolgenebene ordnete der Gerichtshof als guarantee of non-repetition die Umsetzung einer „comprehensive public policy of protection for 367
IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 102 ff., op. Rn. 15, 16, 20; IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95, op. Rn. 4 b) und c). 368 Vgl. etwa IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349, op. Rn. 16: „El Estado debe adoptar las medidas necesarias, a fin de diseñar una política general de protección integral a las personas mayores […]“; allerdings ist der Gerichtshof bezüglich derart genereller Maßnahmen bislang eher zurückhaltend vorgegangen, da er sich in einigen Fällen aufgrund der ihm von den Beschwerdeführern vorgelegten Informationen nicht in der Lage sah zu beurteilen, ob die Defizite auf einzelne staatliche Institutionen oder die zugrunde liegende staatliche Politik zurückzuführen waren, vgl. etwa die Ablehnung entsprechender Anordnungen in IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216, Rn. 236; IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 474 f.; kritisch hierzu Diana Guarnizo Peralta, Guarantees of Non-repetition and the Right to Health: Review of the Law and Evolving Practice of Judicial and Semi-judicial Bodies at Global and Regional Levels, Essex 2016, S. 174 ff. 369 IAGMR, Case of Acosta et al. v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 03. 2017, Series C No. 334, Rn. 222, op. Rn. 11; IAGMR, Case of Luna López v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2013, Series C No. 269, Rn. 17 ff., op. Rn. 10; IAGMR, Case of Human Rights Defender et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 283, Rn. 72 ff., op. Rn. 14; IAGMR, Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 04. 2009, Series C No. 196, Rn. 69, op. Rn. 14.
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defenders of human rights and the environment“ an und traf allgemeine Vorgaben zu deren Umsetzung und Inhalt: „[…] a public policy for the protection of human rights defenders, including defenders of the environment, should at least take into account the following requirements: a) The participation of human rights defenders, civil society organizations and experts in the formulation of the standards that could regulate protection for the collective in question; b) The protection program should address the problem in a comprehensive and inter-institutional manner, according to the risk of each situation; and adopt measures to immediately address the complaints made by defenders; c) The creation of a risk analysis model that allows for the effective assessment of the risk and protection needs of each defender or group; d) The creation of an information management system on the situation of prevention and protection of human rights defenders; e) The design of protection plans that respond to the specific risk faced by each defender and the characteristics of their work; f) The promotion of a culture that legitimates and protects the work of human rights defenders, and g) The allocation of sufficient human and financial resources to respond to the real needs for protection of human rights defenders.“370
Ähnlich weitreichend hatte der Gerichtshof im Fall des Juvenile Reeducation Institute v. Paraguay formuliert. Der Fall betraf die menschenunwürdigen Zustände der Inhaftierung in einem Jugendgefängnis sowie den Tod von Gefangenen durch ein Feuer in der Haftanstalt. Der Gerichtshof ordnete die Erarbeitung einer „short-, medium- and long-term State policy on the matter of children in conflict with the law that fully comports with Paraguay’s international commitments“ an, und gab dazu bestimmte Inhalte vor.371 Ähnlich urteilte der IAGMR schließlich im Fall Mendoza v. Argentina, der die Verhängung lebenslanger Haftstrafen an minderjährige Straftäter und den gemeinsamen Strafvollzug von minderjährigen und erwachsenen Gefangenen in argentinischen Gefängnissen thematisierte. Hier ordnete er, ohne näheren Bezug zu den strukturellen Ursachen der Rechtsverletzung im Einzelfall, ein Programm zur Bekämpfung der Jugendstrafbarkeit an: „The State must adapt its legal framework to the international standards for juvenile criminal justice indicated above, and design and implement public policies with clear goals and timetables, as well as with the allocation of adequate budgetary resources, for the prevention 370 IAGMR, Case of Luna López v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2013, Series C No. 269, Rn. 243, vgl. zum Kontext Rn. 17 ff. 371 IAGMR, Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2004, Series C No. 112, op. Rn. 11, zum Inhalt der Reformen Rn. 317: „The State’s policy must include, inter alia, strategies, appropriate measures and the earmarking of the resources needed so that children awaiting or standing trial can be housed separately from those already convicted, and for the establishment of education programs and full medical and psychological services for all children deprived of their liberty.“
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of juvenile delinquency through effective programs and services that encourage the integral development of children and adolescents.“372
III. Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Staatsbeamte und andere Personengruppen Eine weitere ständige Praxis im Rahmen der guarantees of non-repetition ist die Anordnung von verpflichtenden Menschenrechtskursen oder -ausbildungsprogrammen für Staatsbeamte.373 Wie bei der Anordnung institutioneller Reformen trifft der Gerichtshof diese Anordnungen, wenn bei der Rechtsverletzung im Einzelfall strukturelle Defizite sichtbar geworden sind, insbesondere eine mangelnde Sensibilität für menschenrechtliche Gewährleistungen auf Seiten der handelnden Beamten sowie mangelnde Kenntnisse um den Gewährleistungsgehalt bestimmter Rechte oder der Rechtsprechung des IAGMR. Der Gerichtshof hat in diesem Sinne erstmals in Caracazo v. Venezuela Aus- und Fortbildungsmaßahmen angeordnet. Der IAGMR hatte hier über die Tötung, Verwundung und das Verschwinden von insgesamt 44 Personen während der Unruhen in der Hauptstadt Venezuelas im Frühjahr 1989 zu urteilen. Er stellte fest, dass der Fall allgemein die Unfähigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte aufgezeigt habe, öffentlichen Unruhen mit verhältnismäßigen Mitteln zu begegnen374 und verurteilte Venezuela im Urteilstenor u. a. dazu, „to take all necessary steps to avoid recurrence of the circumstances and facts of the instant case“, wobei er bestimmte Ausbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte zum Schusswaffengebrauch anordnete: „[…] take all necessary steps to educate and train all members of its armed forces and its security agencies regarding principles and provisions on protection of human rights and the limits to which the use of weapons by law enforcement officials is subject, even under a state of emergency“375 372 IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, op. Rn. 20, näher bestimmt in Rn. 325 mit Verweis auf den General Comment Nr. 10 des Committee on the Rights of the Child (Children’s rights in juvenile justice): „Thus, Argentina must, among other matters, disseminate information on the international standards concerning the rights of the child, and provide support to the most vulnerable children and adolescents, and also their families.“ 373 Vgl. quantitativ Londoño Lázaro/Hurtado, Las Garantías de no repetición en la práctica judicial interamericana y su potencial impacto en la creación del derecho nacional, Boletín Mexicano de Derecho Comparado 149 (2017), 725 (747); Londoño Lázaro, Las Garantías de no Repetición en la Jurisprudencia Interamericana, 2014, S. 187. 374 IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95, Rn. 127: „The characteristics of the facts in the instant case reveal that the armed forces and security agencies of the State were not prepared to face public order disturbances by applying means and methods that respect human rights. It is necessary to avoid by all means any repetition of the circumstances described.“ 375 Ibid., op. Rn. 4 (a); wiederholt in IAGMR, Case of Blanco Romero et al v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2005, Series C No. 138, op. Rn. 11.
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Seither hat der Gerichtshof in einer Vielzahl von Fällen die Einrichtung und Finanzierung verpflichtender Aus- und Fortbildungsprogramme für Beamte jener staatlichen Institutionen angeordnet, denen die Menschenrechtsverletzungen im Einzelfall zuzurechnen waren: Armeeangehörige376, Grenz- und Immigrationsbeamte377, Staatsanwälte und/oder Richter378, Polizisten bestimmter Provinzen379, Gefängnisbeamte380, Beamte im Gesundheitssektor381, Beamte mit Zuständigkeit für 376 IAGMR, Case of Quispialaya Vilcapoma v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2015, Series C No. 308, op. Rn. 8; IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Vélez Restrepo and family v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 03. 09. 2012, Series C No. 248, op. Rn. 5; IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, op. Rn. 17; IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, op. Rn. 14; IAGMR, Case of the „Mapiripán Massacre“ v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 134, op. Rn. 13; IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, op. Rn. 10. 377 IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, op. Rn. 7; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, op. Rn. 16. 378 IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, op. Rn. 7; IAGMR, Case of Fornerón and Daughter v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 242, op. Rn. 5; IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, op. Rn. 5; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, op. Rn. 15. 379 IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, op. Rn. 18; IAGMR, Case of Espinoza Gonzáles v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2014, Series C No. 289, op. Rn. 14; IAGMR, Case of the Barrios Family v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2011, Series C No. 237, op. Rn. 8; IAGMR, Case of Torres Millacura et al. v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 08. 2011, Series C No. 229, op. Rn. 4. 380 IAGMR, Case of Chinchilla Sandoval et al v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 02. 2016, Series C No. 312, op. Rn. 6; IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, op. Rn. 23; IAGMR, Case of the Miguel Castro Castro Prison v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2006, Series C No. 160, op. Rn. 15; IAGMR, Case of López Álvarez v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 02. 2006, Series C No. 141, op. Rn. 9; IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, op. Rn. 4; IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114, op. Rn. 13. 381 IAGMR, Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298, op. Rn. 16; IAGMR, Case of Ximenes Lopes v. Brazil. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2006, Series C No. 149, op. Rn. 8.
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die Belange indigener Völkern382 und sogar private Ärzte383. Die Fortbildungsmaßnahmen sollten teilweise in bereits bestehende Kurse und Ausbildungen integriert werden384, teilweise sollten auch neue Kurse oder Programme385 zur institutionellen Stärkung der Gewährleistung der Konventionsrechte geschaffen werden. Der Inhalt der verpflichtenden Fortbildungen reicht von allgemeinen Unterrichtungen über die menschenrechtlichen Verpflichtungen und die Rechtsprechung des IAGMR in einem Bereich bis hin zu ganz konkreten Kursinhalten. Ein Beispiel ist der Fall Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic, der den unverhältnismäßigen Schusswaffengebrauch von Grenzbeamten an der Grenze zu Haiti thematisierte. Hier bestimmte der Gerichtshof die einzelnen Inhalte des Kurses näher, mit Verweis auf die im Rahmen der Merits präzisierten Standards der AMRK: „Within these programs, the State must refer to the Court’s case law on the matter and, especially, to the criteria established in this Judgment, including the applicable international instruments to which the Dominican Republic is a party. The training, as appropriate to each authority, should include the following topics: (a) the use of force by law enforcement agents, in accordance with the principles of legality, proportionality, necessity and exceptionality, as well as the criteria of progressive and differentiated use of force. Also, on preventive measures adopted by the State, and actions during and following an incident; (b) the principle of equality and non-discrimination applied, in particular, to migrants, and (c) due process in the detention and deportation of irregular migrants, according to the standards established in this Judgment. Additionally, in order to comply with these objectives and since this refers to a system of continuing education, the said courses must be offered
382 IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309, op. Rn. 17; IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, op. Rn. 5. 383 IAGMR, Case of Albán Cornejo et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2007, Series C No. 171, Rn. 164: „The Court also deems it necessary that, within a reasonable time, the State implement an education and training program for justice operators and health care professionals about the laws enacted by Ecuador in relation to patients’ rights and to the punishment for violating them.“; vgl. auch IAGMR, Case of I.V. v. Bolivia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 329, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349, Rn. 236; IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359, Rn. 227. 384 Vgl. IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 271, op. Rn. 5; IAGMR, Case of Vélez Restrepo and family v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 03. 09. 2012, Series C No. 248, op. Rn. 5. 385 IAGMR, Case of Torres Millacura et al. v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 08. 2011, Series C No. 229, op. Rn. 4; IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, op. Rn. 7.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
permanently. In this regard, the State must present an annual report for three consecutive years indicating the measures it has taken to this end.“386
IV. Menschenrechtsbildungs- und Sensibilisierungskampagnen Schließlich hat der Gerichtshof unter dem Titel der guarantees of non-repetition in einer Reihe von Urteilen Menschenrechts- und Informationskampagnen für die Bevölkerung in einer bestimmten Region oder im gesamten Staat angeordnet. Diese Anordnungen ergingen, wenn, allgemein gesprochen, die Rechtsverletzungen im Einzelfall die Vulnerabilität und Ausgrenzung bestimmter Personengruppen im verurteilten Staat aufgezeigt hatten bzw. wenn hinter den diskriminierenden Handlungen von Staatsbeamten in der Gesellschaft verankerte Vorurteile und kulturelle Normen standen.387 Der Gerichtshof ordnete in diesem Sinne erstmals in Servellón García v. Honduras eine Öffentlichkeitskampagne im Bezug auf die Rechte von Mitgliedern krimineller Jugendbanden (sog. Maras) an. Der Fall betraf exzessive Polizeigewalt gegenüber einer Gruppe von Straßenkindern und die Straflosigkeit der handelnden Beamten, wobei der Gerichtshof den Fall in einen Kontext von Folter, Hinrichtungen, Inhaftierungen und Straflosigkeit sowie der strukturellen Diskriminierung von armen Jugendlichen in Honduras einordnete. Mit Bezug auf die besondere Situation von Vulnerabilität und Diskriminierung ordnete der Gerichtshof an, dass der Staat eine Öffentlichkeitskampagne zur Sensibilisierung der Bevölkerung durchführen müsse und dabei zudem eine Briefmarke zum Gedenken an die ermordeten Kinder zu veröffentlichen habe: „It was established in the present case that the State tends to identify the children and youngsters in situations of risk with the increase of criminality. In reason of this, the State must carry out, within a reasonable period of time, a campaign with the purpose of creating awareness in the Honduran society regarding the importance of the protection of children and youngsters, inform it of the specific duties for their protection that correspond to the family, society, and the State, and make the population see that children and youngsters in situations of social risk are not identified with delinquency […]. Within the framework of this campaign, the State must issue, within a one- year period as of the date of the notification of the present Judgment, a postal stamp allusive to the protection due by the State and society to children and youngsters in risky situations, in order to prevent them from becoming victims of violence.“388 386 IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, Rn. 270. 387 Vgl. Nash Rojas, El Sistema Interamericano de Derechos Humanos en acción: aciertos y desafíos, 2009, S. 109. 388 IAGMR, Case of Servellón García et al. v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 09. 2006, Series C No. 152, op. Rn. 13, zum Kontext Rn. 79 ff. Die Anregung zur Anordnung der Veröffentlichung einer Briefmarke kam von den Repräsentanten der Opfer, Rn. 167 (c, i).
§ 1 Begriff und Typologie der guarantees of non-repetition
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Diese Anordnung wiederholte der Gerichtshof einige Jahre später in Fällen von geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen. Im o.g. Fall González et al. ordnete er angesichts des Ausmaßes sowie der kulturellen und sozialen Wurzeln der Frauenmorde in Ciudad Juárez Bildungsprogramme für die Bevölkerung im gesamten Bundesstaat Chihuahua an. In der Anordnung hob der Gerichtshof den Kontext struktureller Diskriminierung von Frauen hervor, der seitens der mexikanischen Regierung bestätigt worden war: „[…] taking into account the situation of discrimination against women acknowledged by the State, the State must offer a program of education for the general public of the State of Chihuahua, in order to overcome this situation.“389
Dementsprechend hat der Gerichtshof seither öffentliche Informations- und Sensibilisierungskampagnen über die Arbeit und Bedeutung von Menschenrechtsund Umweltverteidigern in Honduras390, die Kultur der indigenen Bevölkerung Guatemalas391, die Rechte von Menschen mit HIV-Infektion in Guatemala392 oder die Rechte der aus Haiti stammenden Bevölkerung in der Dominikanischen Republik angeordnet. So bestimmte der IAGMR im Fall Nadege Dorzema eine Medienkampagne gegen die Diskriminierung von Migranten aus Haiti: „Since it has been proved that the State was responsible for a pattern of discrimination against migrants in Dominican Republic, the Court finds it relevant that the State organize a media campaign on the rights of regular and irregular migrants on Dominican territory in the 389
IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, op. Rn. 23, Rn. 543; vgl. ebenso IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216, op. Rn. 23: „The Court must continue to implement the campaign to raise awareness and to sensitize the population regarding the prohibition and effects of violence and discrimination against indigenous women […].“; IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 13.González, op. Rn. 23, Rn. 543. 390 IAGMR, Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 04. 2009, Series C No. 196, op. Rn. 14: „The State shall have a period of two years to carry out a national awareness and sensitivity campaign regarding the importance of the work performed by environmentalists in Honduras and their contribution to the defense of human rights […].“ 391 IAGMR, Case of the Members of the village of Chichupac and neighboring communities of the Municipality of Rabinal v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 328, op. Rn. 25, Rn. 319: „[…] un programa de educación cuyo contenido refleje la naturaleza pluricultural y multilingüe de la sociedad guatemalteca, impulsando el respeto y el conocimiento de las diversas culturas indígenas, incluyendo sus cosmovisiones, historias, lenguas, conocimientos, valores, culturas, prácticas y formas de vida. Dicho programa deberá hacer énfasis en la necesidad de erradicar la discriminación racial étnica, los estereotipos raciales y étnicos, y la violencia contra los pueblos indígenas, a la luz de la normativa internacional en la materia y la jurisprudencia de este Tribunal.“ 392 IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359, Rn. 229.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
terms of this Judgment. To this end, the State must submit an annual report for three consecutive years, indicating the measures it has taken to this end.“393
In Abwandlung der Anordnung von Informations- und Sensibilisierungskampagnen für die gesamte Bevölkerung hat der IAGMR in seiner jüngeren Rechtsprechung auch Informationsmaßnahmen für bestimmte Personengruppen angeordnet. Beispielhaft ist der Fall Chinchilla Sandoval v. Guatemala, der die Zustände in einem Frauengefängnis betraf und in dem der Gerichtshof Informationskampagnen für die Insassinnen anordnete: „[…] debe llevar a cabo una serie de jornadas de información y orientación en materia de derechos humanos a favor de las personas que se encuentran privadas de libertad en el Centro de Orientación Femenina.“394
Ähnliche Anordnungen traf der Gerichtshof schließlich mit Bezug auf die Rechte von (Krankenhaus-) Patienten395, Wehrdienstleistenden396 und Behinderten397.
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition Die Voraussetzungen, unter denen die guarantees of non-repetition ergehen, spiegeln deren Doppelnatur im Verständnis des IAGMR wider, einerseits als Maßnahmen der Wiedergutmachung und andererseits als Maßnahmen zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte in einem Vertragsstaat. Ihre Voraussetzung ist deshalb zum einen die Existenz erheblicher (immaterieller) Beeinträchtigungen aufseiten der Opfer der festgestellten Rechtsverletzung, welche die Anordnung genereller Maßnahmen nach der Idee der reparación integral als Formen des Aus393
IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, op. Rn. 8, Rn. 272. 394 IAGMR, Case of Chinchilla Sandoval et al v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 02. 2016, Series C No. 312, op. Rn. 6 395 IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359, Rn. 228; IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349, Rn. 240; IAGMR, Case of I.V. v. Bolivia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 329, op. Rn. 11; IAGMR, Case of Albán Cornejo et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2007, Series C No. 171, op. Rn. 6. (6) 396 IAGMR, Case of Quispialaya Vilcapoma v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2015, Series C No. 308, op. Rn. 9: „El Estado debe asegurarse que todo el personal que se incorpore voluntariamente al servicio militar reciba la ,Cartilla de deberes y derechos del personal del servicio militar‘, así como información sobre los mecanismos para presentar sus quejas o denuncias ante la Oficina de Asistencia al Personal del Servicio Militar Voluntario y la Fiscalía Penal ordinaria, a través del Subsistema Especializado integrado […].“ 397 IAGMR, Case of Furlan and Family v. Argentina. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2012, Series C No. 246, op. Rn. 5.
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition
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gleichs und der Genugtuung angezeigt sein lassen. Daneben kommt es in der Praxis des IAGMR aber auch darauf an, dass der entschiedene Einzelfall das Bestehen struktureller Defizite des Menschenrechtsschutzes im betroffenen Staat aufgezeigt hat, die durch entsprechende Reformen behoben werden sollen. Hinter der Anordnung von guarantees of non-repetition steht deshalb zum anderen auch eine objektivrechtliche Begründung, da derartige strukturelle Defizite des Menschenrechtsschutzes eine Verletzung der in Art. 2 AMRK aufgeführten Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte bedeuten. Diese objektiv-rechtliche Begründung der guarantees of non-repetititon wird in den Urteilen des IAGMR, der eine opferzentrierte Terminologie pflegt, zwar nicht immer ganz deutlich, doch bleibt sie im Hintergrund erkennbar. Die Pflicht nach Art. 2 AMRK, den Konventionsrechten „durch Gesetze oder sonstige Maßnahmen“ zu effektiver Wirksamkeit zu verhelfen, soll durch die guarantees of non-repetition gewährleistet werden. Die guarantees of non-repetition bedeuten somit auch nicht eine beliebige Maßnahme der Prävention, sondern sie finden ihre Grundlage in den materiell-rechtlichen Verpflichtungen des Art. 2 AMRK. Darüber hinaus macht die nähere Analyse der Praxis des IAGMR deutlich, dass eine dogmatische Stringenz der Anordnungen nicht immer gegeben ist. Die einzelnen Anordnungen unter dem Begriff der guarantees of non-repetition folgen uneinheitlichen und teilweise wechselnden materiellen und prozessualen Voraussetzungen. Während der Gerichtshof etwa die Neuregelung oder Beseitigung von Gesetzen in der Regel automatisch und ohne einen entsprechenden Antrag der Parteien nach der Feststellung einer fortdauernd konventionswidrigen Gesetzeslage anordnet, behält er sich bei der Anordnung von Reformen von staatlichen Institutionen oder Verwaltungsverfahren eine Ermessensentscheidung vor und sieht die Kommission bzw. die Beschwerdeführer häufig in der Pflicht, das Fortbestehen struktureller Defizite und die Notwendigkeit bestimmter Reformen darzulegen und zu beweisen. Im Folgenden sollen, soweit möglich, Ansätze einer Dogmatik der guarantees of non-repetition herausgearbeitet und im Übrigen die wesentlichen Determinanten der Praxis des IAGMR dargelegt werden.
A. Vorliegen von irreparablen Beeinträchtigungen der Opfer im konkreten Fall Die Anordnung von guarantees of non-repetition dient nach dem Konzept der reparación integral dem Ausgleich und der Genugtuung der Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen vor dem IAGMR. Wie die symbolischen Maßnahmen der satisfaction, sollen die strukturellen Anordnungen die finanzielle Entschädigung durch den verurteilten Staat ergänzen, die aus Perspektive der Opfer als eine ungenügende und ambivalente Form der Wiedergutmachung erscheinen
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
kann.398 Die Reformanordnungen zielen so auf die erlittenen immateriellen Nachteile, insbesondere auf die verletzte Würde der Opfer und ihrer Angehörigen, auf das zerstörte individuelle Vertrauen in den Staat und seine Repräsentanten.399 Diese Beeinträchtigungen lassen nach Ansicht des IAGMR neben einer finanziellen Entschädigung auch die Anordnung von generellen, präventiven Maßnahmen erforderlich erscheinen, um vollständige Wiedergutmachung zu erreichen. Die individuelle Genugtuung für erlittene Schäden erlaube auch Maßnahmen mit überwiegend generellen Auswirkungen: „Since it is not possible to allocate a precise monetary equivalent to non-pecuniary damage, it can only be compensated in two ways in order to make integral reparation to the victims. First, by the payment of a sum of money that the Court decides by the reasonable exercise of judicial discretion and in terms of fairness. Second, by performing acts or implementing projects with public recognition or repercussion, such as broadcasting a message that officially condemns the human rights violations in question and makes a commitment to efforts designed to ensure that it does not happen again.“400
398 Der Wunsch, dass andere Personen nicht dasselbe Schicksal erleiden sollen, ist ein wesentlicher Antrieb der Opfer und Beschwerdeführer vor dem IAGMR, Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 373. Vgl. aus der Studie Beristains etwa folgendes Zitat: „[…] ¿qué hacemos todos los familiares de los desaparecidos y estas ONG? Estamos reviviendo esa historia para que nunca más se vuelvan a repetir esas cosas. No es para crear más odio, ni venganza, ni resentimiento; es para que no se vuelvan a repetir.“ ibid., 376; vgl. in diesem Sinne auch IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73, Rn. 25: „[…] the Court correctly determines that, in the circumstances of the cas d’espèce, the modifications in the domestic legal order required to harmonize this latter with the norms of protection of the American Convention constitute a form of non-pecuniary reparation under the Convention […]. And in a case like the present one, pertaining to the safeguard of the right to freedom of thought and of expression, such non-pecuniary reparation is considerably more important than an indemnization.“ 399 Maßnahmen die, wie die guarantees of non-repetiton, Vertrauen in die Funktionsfähigkeit und Motive des Staates sowie in die eigene Wirksamkeit und Bedeutung als Bürger wiederherstellen, können als eine wichtige Form der Genugtuung in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen verstanden werden, während sie zugleich zur Entwicklung von guter Regierungsführung und funktionsfähigen Institutionen beitragen. Näher zu diesem Verständnis der guarantees of non-repetition als Widergutmachung unten S. 248 ff. 400 IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211, Rn. 255; IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 53; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 84; Schönsteiner, Dissuasive Measures and the „Society as a Whole“: A Working Theory of Reparations in the InterAmerican Court of Human Rights, American University International Law Review 23 (2007), 127 (144 ff.).
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition
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Wenn insoweit die guarantees of non-repetition dem Ausgleich und der Genugtuung der Opfer im Einzelfall dienen, so hängt deren Anordnung im Wesentlichen von der Existenz und vom Ausmaß der durch die Rechtsverletzung verursachten immateriellen Schäden ab.401 Die Aussagen des IAGMR lassen kaum Zweifel daran, dass zumindest der Gerichtshof die Verursachung eines Schadens als Grundlage für die Anordnung von guarantees of non-repetition versteht.402 Der IAGMR nennt die Voraussetzung eines Schadens zum einen regelmäßig und ohne Einschränkung als eine allgemeine Voraussetzung sämtlicher Anordnungen der Wiedergutmachung: „It is a principle of International Law that any violation of an international obligation that has caused damage entails the duty to provide adequate reparation.“403 Zum anderen bekräftigt der IAGMR, dass auch die unter dem Titel der guarantees of nonrepetition enthaltenen Anordnungen als Wiedergutmachung für erlittene Schäden der Opfer im konkreten Fall dienen sollen. So stellte er etwa im eingangs geschilderten Fall der Kichwa Indigenous Community fest: „Considering the circumstances of the case sub judice, and based on the damage caused to the Sarayaku People and the pecuniary and non-pecuniary consequences of the violations of the American Convention declared to their detriment, the Court finds it appropriate to establish measures of restitution and satisfaction and guarantees of non-repetition.“404
401 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 279. 402 Dies entgegen den ARSIWA, welche die Anordnung von guarantees of non-repetition nicht an die Existenz eines Schadens knüpfen, sondern hierfür allein die objektive Rechtsverletzung ausreichen lassen, siehe dazu unten S. 231 ff. 403 IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 283; IAGMR, Case of Pacheco Teruel et al v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 241, Rn. 76; IAGMR, Case of the Xákmok Kásek Indigenous Community. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 08. 2010, Series C No. 214, Rn. 276; IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, Rn. 65; IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 70; IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 25. Hervorhebung hinzugefügt. 404 IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, Rn. 285; oder IAGMR, Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298, Rn. 342: „[…] Therefore, the Court has found it necessary to award different measures of reparation in order to redress the damage fully, so that, in addition to pecuniary compensation, measures of restitution, rehabilitation and satisfaction, and guarantees of non-repetition, have special relevance to the harm caused.“ Hervorhebungen hinzugefügt; vgl. auch IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349, Rn. 236, Rn. 237.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
B. Verletzung der Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte im innerstaatlichen Rechtsraum (Art. 2 AMRK) Die vorstehende subjektive Begründung bildet trotz der anderslautenden Erläuterungen des Gerichtshofs nur einen Teil der rechtlichen Voraussetzungen der guarantees of non-repetition ab. Tatsächlich ordnet der Gerichtshof strukturelle Reformen nicht immer bereits dann an, wenn die physischen oder psychischen Beeinträchtigungen der Opfer der festgestellten Rechtsverletzungen derartige Maßnahmen als geboten erscheinen lassen könnten.405 Guarantees of non-repetition reagieren in der Praxis des IAGMR vielmehr auf das Vorliegen andauernder struktureller Defizite bei der Achtung und Gewährleistung der Konventionsrechte im betroffenen Staat. Diese strukturellen Defizite stellen ihrerseits Verletzungen der Verpflichtung der Staaten nach Art. 2 AMRK dar, die Konventionsrechte im innerstaatlichen Rechtsraum effektiv zu gewährleisten. Die Verletzung der objektivrechtlichen Verpflichtung des Art. 2 AMRK stellt damit neben der Existenz eines Schadens die zweite Voraussetzung der guarantees of non-repetition dar, wenngleich der IAGMR in seiner Praxis eine Verletzung von Art. 2 AMRK nicht vor jeder strukturellen Anordnung feststellt. Im Folgenden soll zunächst die Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit der Pflicht nach Art. 2 AMRK aufgezeigt werden (I.), bevor entsprechenden Nachweisen in der Rechtsprechung des IAGMR nachgegangen wird (II.).
I. Die Verknüpfung zwischen den guarantees of non-repetition und Art. 2 AMRK 1. Strukturelle Defizite des Menschenrechtsschutzes als Verletzung des Art. 2 AMRK Guarantees of non-repetition ergehen in der Praxis des IAGMR, wenn aus den Fakten des Falls und/oder den festgestellten Rechtsverletzungen ersichtlich ist, dass die Konventionsrechte im betroffenen Staat über den Einzelfall hinaus nicht effektiv gewährleistet sind, wobei es hierbei nicht allein auf das Bestehen einer konventionskonformen Rechtslage ankommt, sondern auch auf die Funktionsfähigkeit 405
Vgl. etwa die Forderung der Angehörigen und der Kommission in Vera Vera v. Ecuador. Der Fall betraf den Tod von Pedro Miguel Vera Vera, der bei seiner Aufnahme in Untersuchungshaft trotz einer Schusswunde nicht ausreichend medizinisch untersucht und versorgt worden war. Auf Ebene der Rechtsfolgen lehnte es der Gerichtshof ab, als guarantee of nonrepetition, die Verbesserung der medizinischen Versorgung in den Gefängnissen Ecuadors anzuordnen, da nicht festgestanden habe, dass der Fall exemplarisch für die allgemeine Gefängnissituation in Ecuador stand, IAGMR, Case of Vera Vera et al. v. Ecuador. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 19. 05. 2011, Series C No. 226, Rn. 139; vgl. auch IAGMR, Case of Garibaldi v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 09. 2009, Series C No. 203, Rn. 173.
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition
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staatlicher Institutionen und die gesellschaftliche Verankerung der Menschenrechte im Sinne einer Kultur der Menschenrechte. Die Anordnungen reagieren mithin auf das Vorliegen struktureller Defizite bei der Achtung und Gewährleistung der Konventionsrechte in einem Staat. In einigen Urteilen hat der Gerichtshof diese Verknüpfung der guarantees of nonrepetition mit dem Bestehen struktureller Defizite des Menschenrechtsschutzes explizit gemacht, beispielsweise im Fall Pacheco Teruel et al v. Honduras, der den Tod von 107 mutmaßlichen Mitgliedern von sog. Maras in einem Feuer in einem überbelegten Gefängnis in der Stadt San Pedro Sula betraf. Die Kommission hatte in ihrer Einführung in den Fall auf dessen Kontext aufmerksam gemacht: „[…] the Commission indicated that the facts of this case ,are ultimately a consequence of the structural deficiencies of the Honduran prison system, which have been documented extensively.‘ Also, the case ,forms part of the overall context of public security policies and prison policies aimed at combating the criminal organizations known as maras [gangs]. As such, the situations described in the complaints […] are common in other Central American States.‘“406
Auch der Gerichtshof verwies im Rahmen seiner Sachverhaltsdarstellung auf die strukturellen Hintergründe des Falls: „[a]ccording to various national and international reports, at the time of the events the prison system in Honduras suffered from structural weaknesses.“407 Im Rahmen der Merits stellte der IAGMR u. a. Verletzungen der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Gefangenen fest „as a result of a series of omissions by the authorities“ und „because the said inmates suffered many of the detention conditions characterized as cruel, inhuman and degrading treatment, and also because of the way in which these inmates died“408. Im Rahmen der Reparations erörterte er sodann, dass in Fällen, die auf ein strukturelles Defizit bei der Gewährleistung der Konventionsrechte hinwiesen, guarantees of nonrepetition von besonderer Relevanz seien: „In cases such as this one, in which there has been a recurring pattern of disasters in the Honduran prison system […], guarantees of non-repetition are of greater relevance as a measure of reparation, so that similar incidents do not recur and to help prevent them.“409 406 IAGMR, Case of Pacheco Teruel et al v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 241, Rn. 2. 407 Ibid., Rn. 25. 408 Ibid., Rn. 60. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der Staat seine Verantwortlichkeit für die verursachten Konventionsverletzungen erklärt, der Gerichtshof war dennoch in seinem Urteil mit der Überprüfung des Rechtsverletzungen im Rahmen der Merits fortgefahren: „Despite the State’s full acknowledgment of responsibility in relation to the violations of the rights that were described in the Commission’s Report on Merits, the Court, based on its jurisdiction and having assessed the significance and enormity of the facts, deems it necessary to include the following considerations with regard to the State’s obligation of prevention with regard to prison conditions, and with regard to the next of kin of the deceased.“ 409 Ibid., Rn. 92, wobei in den Fußnoten auf die guarantees of non-repetition in den UNGrundprinzipien verwiesen wurde; vgl auch IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
Der Verweis auf das Bestehen struktureller Defizite führt seinerseits zur objektivrechtlichen Voraussetzung der guarantees of non-repetition. Hinter der Feststellung von strukturellen Defiziten sowie der Notwendigkeit von Reformen in einem Staat steht in rechtlicher Hinsicht nämlich die Feststellung einer Verletzung der Verpflichtung nach Art. 2 AMRK, den Konventionsrechten „durch Gesetze oder sonstige Maßnahmen“ zu effektiver Wirksamkeit zu verhelfen („such legislative or other measures as may be necessary to give effect to those rights or freedoms“). Die Anordnung von guarantees of non-repetition beinhaltet letztlich nichts anderes, als Maßnahmen zur Umsetzung dieser allgemeinen Verpflichtung zu ergreifen, denn die Anordnungen zielen darauf, die Konventionsrechte im verurteilten Staat praktisch wirksam zu machen. Der Gerichtshof ordnet im Rahmen der guarantees of nonrepetition genau genommen die Umsetzung dessen an, was der betroffene Staat im Rahmen seiner Verpflichtung nach Art. 2 AMRK bereits zu tun verpflichtet war, bislang aber unterlassen hat, wie etwa die Neuregelung von Gesetzen, institutionelle Reformen oder die Auflage von Aus- und Fortbildungsprogrammen für bestimmte Staatsbeamte. Neben dem Vorliegen eines Schadens aufseiten der Opfer oder der Beschwerdeführer ist deshalb die weitere Voraussetzung der Anordnung von guarantees of non-repetition eine Verletzung der Verpflichtung aus Art. 2 AMRK.410 Der IAGMR hat die Verknüpfung einer Verletzung von Art. 2 AMRK mit den guarantees of non-repetition nicht immer ausdrücklich deutlich gemacht (siehe dazu unten II.). Im zweiten Teil des obigen Zitats aus dem Fall Pacheco Teruel et al. v. Honduras verwies er jedoch bei der Anordnung der guarantees of non-repetition auch auf den Verpflichtungsgehalt von Art. 1 Abs. 1 und 2 AMRK: „In cases such as this one, in which there has been a recurring pattern of disasters in the Honduran prison system […], guarantees of non-repetition are of greater relevance as a measure of reparation, so that similar incidents do not recur and to help prevent them. In this Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309, Rn. 300; IAGMR, Case of Quispialaya Vilcapoma v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2015, Series C No. 308, Rn. 274; IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, Rn. 461. 410 Wie hier zur Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit Art. 2 AMRK Burgorgue-Larsen, The Added Value of the Inter-American Human Rights System: Comparative Thoughts, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 377 (387); Attanasio, Extraordinary Reparations, Legitimacy, and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 37 (2016), 814 (846); Eduardo Ferrer Mac-Gregor/Carlos María Pelayo Moller, Artículo 2. Deber de Adoptar Disposiciones de Derecho Interno, in: Steiner/ Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 31; Ministerio Público Fiscal de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires, Diálogos: El impacto del Sistema Interamericano en el ordenamiento interno de los Estados, Buenos Aires 2013, S. 42; Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 299 ff.; Schönsteiner, Dissuasive Measures and the „Society as a Whole“: A Working Theory of Reparations in the InterAmerican Court of Human Rights, American University International Law Review 23 (2007), 127 (145).
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regard, the Court recalls that the State must prevent the recurrence of human rights violations such as those described in this case and, to that end, adopt all the legal, administrative and other measures required to ensure that the inmates can exercise their rights, in keeping with the obligations of respect and guarantee established in Articles 1(1) and 2 of the Convention.411
2. Guarantees of non-repetition als nachholende Erfüllung der Pflichten aus Art. 2 AMRK Die Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit der Pflicht aus Art. 2 AMRK zeigt sich am deutlichsten, wenn man sich die Verpflichtungsgehalte dieser Bestimmung vor Augen führt, die sich mit den Inhalten der guarantees of non-repetition decken. Art. 2 AMRK enthält die Verpflichtung der Konventionsstaaten, soweit noch nicht geschehen und im Einklang mit den jeweiligen Verfassungen, alle erforderlichen Gesetze zu erlassen oder sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um die in der Konvention garantierten Rechte effektiv zu gewährleisten: „Where the exercise of any of the rights or freedoms referred to in Article 1 is not already ensured by legislative or other provisions, the States Parties undertake to adopt, in accordance with their constitutional processes and the provisions of this Convention, such legislative or other measures as may be necessary to give effect to those rights or freedoms.“
Der IAGMR betont, dass Art. 2 AMRK eine Verpflichtung des allgemeinen Völkervertragsrechts wiedergibt, für die effektive Umsetzung eingeganger Bindungen im innerstaatlichen Rechtsraum zu sorgen.412 Dieser Regel entsprechend bedeute die Verpflichtung aus Art. 2 AMRK zweierlei, zum einen das Unterlassen bzw. die Beseitigung von Regelungen oder Maßnahmen, welche die Konventions-
411 IAGMR, Case of Pacheco Teruel et al v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 241, Rn. 92. Hervorhebung hinzugefügt. 412 Vgl. etwa IAGMR, Case of Durand and Ugarte v. Peru. Merits, Urt. v. 16. 08. 2000, Series C No. 68, Rn. 136: „[…] a customary rule prescribes that a State, which has entered into an international agreement, must introduce in its national law the necessary assumed modifications to ensure the execution of obligations assumed. […] In this sequence of ideas, the American Convention states the obligation of every State Party to adapt its national law to dispositions of said Convention, to guarantee the rights recognized therein.“ Vgl. zur Entstehungsgeschichte Buergenthal, Menschenrechtsschutz im Inter-Amerikanischen System, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 11 (1984), 169 (171 ff.), der auf die Sichtweise der USA hinweist, wonach die AMRK aufgrund von Art. 2 AMRK im US-Amerikanischen Recht nicht als unmittelbar anwendbar angesehen werden könne. Die Delegation Chiles hatte Art. 2 AMRK auf der Konferenz von San José hingegen lediglich eingebracht, um klarzustellen, dass die Staaten ggf. besondere Maßnahmen zur Gewährleistung bestimmter AMRK-Rechte zu ergreifen hatten; vgl. näher IAGMR, Enforceability of the Right to Reply or Correction (Artt. 14(1), 1(1) and 2 American Convention on Human Rights). Separate Opinion of Judge Hector Gros-Espiell, Gutachten v. 29. 08. 1986, Series A No. 7, Rn. 6; Cecilia Medina Quiroga, La Convención Americana: Teoría y Jurisprudencia, San José 2003, S. 21 ff.
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rechte verletzen und zum anderen die Vornahme von Regelungen oder Maßnahmen, die zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte notwendig sind: „The general duty under Article 2 of the American Convention implies the adoption of measures of two kinds: on the one hand, elimination of any norms and practices that in any way violate the guarantees provided under the Convention; on the other hand, the promulgation of norms and the development of practices conducive to effective observance of those guarantees.“413
Dabei beschränkt sich die Pflicht zur Anpassung des Rechtsrahmens nicht auf die Anpassung der formellen Gesetzeslage oder der Verfassung. Die Reformen müssen auch untergesetzliche Regelungen umfassen sowie die staatlichen Strukturen und Institutionen bis hin zur Verbesserung der Situation besonders vulnerabler Gruppen und der Menschenrechtskultur in einem Staat.414 Ausdruck letzterer Verpflichtung sind etwa die Anordnungen des Gerichtshofs zur Sensibilisierung und Menschenrechtsbildung der Bevölkerung, bspw. in Servellon García v. Honduras die Kampagne zur Bekämpfung der sozialen Stigmatisierung bestimmter Gruppen von Jugendlichen.415 Es handelt sich bei Art. 2 AMRK um einen Verweis auf den effet utile-Grundsatz, d. h. um eine Verpflichtung, innerstaatliche Regelungen, Prozeduren und Zustände dahingehend zu entwickeln, dass den Konventionsrechten für alle Personen im Staat zu effektiver Wirksamkeit verholfen werden kann.416 Im Verhältnis zu Art. 1 Abs. 1 413
IAGMR, Case of Chocrón – Chocrón v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 07. 2011, Series C No. 227, Rn. 140; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 118; IAGMR, Case of Cantoral-Benavides v. Peru. Merits, Urt. v. 18. 08. 2000, Series C No. 69, Rn. 178; IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52, Rn. 207. 414 Vgl. IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 252: „[…] all those measures of a legal, political, administrative and cultural nature that ensure the safeguard of human rights, and that any possible violation of these rights is considered and treated as an unlawful act, which, as such, may result in the punishment of the person who commits it, as well as the obligation to compensate the victims for the harmful consequences.“; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 286; Sergio García Ramírez, El control judicial interno de convencionalidad, Revista IUS 5 (2011), 123 (145): „[…] medidas de amplio espectro: del Estado hacia si mismo: orden jurídico y estructura, atribuciones y prácticas; y del Estado hacia la sociedad: impulso a cambios que modifiquen las condiciones estructurales de las violaciones.“ 415 IAGMR, Case of Servellón García et al. v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 09. 2006, Series C No. 152, Rn. 201; García Ramírez, El control judicial interno de convencionalidad, Revista IUS 5 (2011), 123 (145). 416 Vgl. IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39, Rn. 69: „This obligation of the State Party implies that the domestic legal measures must be effective. This means the State must adopt all measures necessary so that provisions contained in the Convention have full force and effect within its domestic legal system. Those measures are effective when the community, in general, adapts its conduct to conform to the principles of the Convention and when, if those principles are
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AMRK buchstabiert Art. 2 AMRK einen wesentlichen Aspekt der dort niedergelegten allgemeinen Verpflichtungen näher aus.417 Nach Art. 1 Abs. 1 AMRK haben die Staaten die Konventionsrechte ohne Diskriminierung zu achten und zu garantieren:418 Während erstere Pflicht (respect) zur Unterlassung rechtswidriger Einschränkungen der Menschenrechte zwingt, beinhaltet die zweite Pflicht (ensure) positive Handlungspflichten. Demnach muss der Staat allgemein seine Institutionen und Strukturen auf die effektive Gewährleistung der Menschenrechte ausrichten, woraus sich, abhängig von den jeweiligen Konventionsgarantien, im Einzelfall weitergehende Schutz- und Leistungsgehalte ergeben können.419 Art. 2 AMRK konkretisiert diese Pflichten hinsichtlich der Anpassung der innerstaatlichen Rechtslage, der staatlichen Institutionen und Strukturen.
breached, the penalties provided for therein are effectively applied.“; IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125, Rn. 101; Ferrer Mac-Gregor/Pelayo Moller, Artículo 2. Deber de Adoptar Disposiciones de Derecho Interno, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 80; vgl. allg. Riccardo Pisillo Mazzeschi, Responsabilité de l’état pour violation des obligations positives relatives aux droits de l’homme, Recueil des Cours 333 (2008), 175 (311 ff.). 417 IAGMR, Case of Cesti Hurtado v. Peru. Merits, Urt. v. 29. 09. 1999, Series C No. 56, Rn. 166; IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Cançado Trindade Urt. v. 29. 01. 1997, Series C No. 31, Rn. 9; Ferrer Mac-Gregor/Pelayo Moller, Artículo 1. Obligación de Respetar los Derechos, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 14; Medina Quiroga, La Convención Americana: Teoría y Jurisprudencia, 2003, S. 21 ff. 418 Art. 1 Abs. 1 AMRK: „The States Parties to this Convention undertake to respect the rights and freedoms recognized herein and to ensure to all persons subject to their jurisdiction the free and full exercise of those rights and freedoms, without any discrimination for reasons of race, color, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, economic status, birth, or any other social condition.“ 419 IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4, Rn. 166: „[…] organize the governmental apparatus and, in general, all the structures through which public power is exercised, so that they are capable of judicially ensuring the free and full enjoyment of human rights.“ So ergibt sich etwa aus dem Recht auf Leben (Art. 4 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK) die Verpflichtung, im Einzelfall absehbare schwere Rechtsverletzungen durch Dritte abzuwenden oder die Garantie eines Leben in Würde, was ein Mindestmaß an Ernährung, Gesundheitsschutz und Bildung beinhaltet. Eine allgemeine Verpflichtung gilt in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, wonach die Staaten gem. Art. 1 Abs. 1 AMRK verpflichtet sind, von Amts wegen unabhängige und effektive Untersuchungen und Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten sowie Opfer und Angehörige zu entschädigen, ibid., Rn. 177; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146, Rn. 155; IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125, Rn. 162; Franz Christian Ebert/Romina Sijniensky, Preventing Violations of the Right to Life in the European and the Inter-American Human Rights Systems: From the Osman Test to a Coherent Doctrine on Risk Prevention?, Human Righs Law Review 15 (2015), 343; Laurens Lavrysen, Positive Obligations in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, Inter-American and European Human Rights Journal 7 (2014), 94 (96, 110).
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
Art. 2 AMRK, zu dem kein Äquivalent im europäischen Menschenrechtsschutz existiert, hat in der Praxis des IAGMR eine erhebliche Bedeutung erlangt.420 Für den Gerichtshof ist die Norm ein Instrument, um innerstaatliche Regelungen und Zustände am Maßstab der AMRK zu messen, um generelle Maßnahmen zur Gewährleistung des effet utile der Konventionsrechte zu verlangen – und um solche Maßnahmen als guarantee of non-repetition selbst anzuordnen.421 Zum Schutz des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit verlangt Art. 2 AMRK etwa den Erlass von strafrechtlichen Bestimmungen422, die Stärkung von Strafverfolgungsinstitutionen423 oder die effektive Regulierung von Gesundheitsdienstleistungen424. Art. 2 AMRK stützt darüber hinaus diverse Regelungsaufträge, etwa die legislative Anerkennung des indigenen Gemeinschaftseigentums als Verwirklichung von Art. 21 AMRK425 oder den rechtlichen Schutz der richterlichen Unabhängigkeit gem.
420 Burgorgue-Larsen, The Added Value of the Inter-American Human Rights System: Comparative Thoughts, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 377 (385); Héctor Gros Espiell, La convention américaine et la convention européenne des droits de l’homme : analyse comparative, Recueil des Cours 218 (1989), 167 (233 ff., 237). Art. 2 ist auch die Grundlage der conventionality control-Doktrin: Für den Fall, dass der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen aus Art. 2 AMRK zur Anpassung seiner Rechtslage nicht nachkommen sollte, bleibt die Pflicht der Gerichte zur Konventionskontrolle und ggf. Außerachtlassung konventionswidriger Normen. 421 Der IAGMR betont regelmäßig, dass die AMRK keine theoretischen oder illusorischen Bestimmungen, sondern praktisch wirksame Rechte gewährleisten müsse (effet utile). Die Konvention müsse so ausgelegt werden, dass sie sich auf die Lebensumstände der Rechteinhaber praktisch auswirken und die mit ihr verknüpften Ziele tatsächlich verwirklichen könne, IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 78, 100; IAGMR, Case of Herrera Ulloa v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 07. 2004, Series C No. 107, Rn. 161; IAGMR, Case of Yatama v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 06. 2005, Series C No. 127, Rn. 170; IAGMR, Case of the „Mapiripán Massacre“ v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 134, Rn. 105; zum Grundsatz vgl. Bas¸ak C¸alı, Specialized Rules of Treaty Interpretation: Human Rights, in: Duncan B. Hollis (Hrsg.), The Oxford Guide to Treaties, Oxford 2012, S. 538. 422 IAGMR, Case of Fornerón and Daughter v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 242, Rn. 139 f.; IAGMR, Case of Albán Cornejo et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2007, Series C No. 171, Rn. 135. 423 IAGMR, Case of Gonzalez Medina and family v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2012, Series C No. 240, Rn. 244; IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 283 ff., 388. 424 IAGMR, Case of Suárez Peralta v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 05. 2013, Series C No. 261, Rn. 132. 425 IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309, Rn. 129; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146, Rn. 120; IAGMR, Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2001, Series C No. 79, Rn. 153, 164.
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Art. 8 AMRK426. Art. 2 AMRK enthält in der jüngeren Rechtsprechung des IAGMR schließlich allgemeine Verpflichtungen der Prävention und Transformation zum Schutz besonders vulnerabler Personengruppen, wonach die Staaten über legislative Maßnahmen hinaus auch soziale und kulturelle Hürden zur effektiven Gewährleistung der Konventionsgarantien abzubauen und eine Kultur der Menschenrechte zu fördern haben.427 All diese Verpflichtungen spiegeln sich in den guarantees of nonrepetition des IAGMR wider, die letztlich nichts anderers beinhalten als Maßnahmen zur (nachholenden) Erfüllung der Pflicht aus Art. 2 AMRK. Zur Herleitung und Konkretisierung von positiven Verpflichtungen nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 AMRK greift der Gerichtshof mitunter auf spezielle Konventionen des Inter-Amerikanischen Systems zurück, die seiner Zuständigkeit ratione materiae unterliegen. So stellte der Gerichtshof im Fall González et al. v. Mexico auch Verletzungen von Art. 7 (b) und (c) der Convention of Belém do Pará fest, die bestimmte allgemeine Verpflichtungen zur Prävention, Schutz und Aufklärung von Gewalt gegen Frauen etablieren.428 Ebenso orientiert sich der Gerichtshof, um die Wirksamkeit der Rechte in der Menschenrechtswirklichkeit der Vertragsstaaten zu gewährleisten, an den realen Umständen der Schutzbedürftigen und verpflichtet die Staaten auf die „best interests“429 der betroffenen Gruppen. Diesem Ansatz folgend hat der IAGMR spezielle Leistungs- und Schutzrechte gegenüber solchen Personengruppen anerkannt, denen gegenüber den Staaten Fürsorgepflichten obliegen („special guarantor“). Dies sind zum einen Kinder, die bereits nach dem Wortlaut von Art. 19 AMRK ein Recht auf besonderen Schutz haben.430 In Verbindung mit Art. 19 426 IAGMR, Case of Chocrón – Chocrón v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 07. 2011, Series C No. 227, Rn. 142; IAGMR, Reverón Trujillo v. Venezuela, Urt. v. 30. 06. 2009, Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Series C 197, Rn. 121, 127. 427 Die Förderung einer Kultur der Menschenrechte verlangt etwa die Stärkung der Meinungsfreiheit und die Bekämpfung der gesellschaftlichen Diskriminierung von Homosexuellen, IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 119; IAGMR, Case of Perozo et al. v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 28. 01. 2009, Series C No. 195; Medina Quiroga, La Convención Americana: Teoría y Jurisprudencia, 2003, S. 20; Ferrer MacGregor/Pelayo Moller, Artículo 1. Obligación de Respetar los Derechos, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 44. 428 IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 284 f.; ebenso greift der Gerichtshof regelmäßig auf die Inter-American Convention to Prevent and Punish Torture und die Inter-American Convention on Forced Disappearance of Persons zurück, um positive Verpflichtungen zum Schutz und zur Aufklärung dieser Rechtsverletzungen zu begründen, IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagran-Morales et al.) v. Guatemala. Merits, Urt. v. 19. 11. 1999, Series C No. 63, Rn. 244 ff.; IAGMR, Case of Gómez Palomino v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 136, Rn. 95. 429 Ludovic Hennebel, The Inter-American Court of Human Rights: The Ambassador of Universalism, Quebec Journal of International Law (Special Edition) (2011), 57 (64). 430 Art. 19 (Rights of the child) bestimmt: „Every minor child has the right to the measures of protection required by his condition as a minor on the part of his family, society, and the
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
AMRK hat der IAGMR etwa besondere Schutz- und Leistungsgehalte in den Rechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 4 und 5 AMRK) sowie in den Rechten der Familie (Art. 17 AMRK) und im Recht auf einen Namen (Art. 18 AMRK) entwickelt.431 Zum anderen entwickelte der IAGMR auf Grundlage von Art. 5 Abs. 2 AMRK besondere Schutz- und Leistungspflichten gegenüber Gefangenen, denen gegenüber sich der Staat in einer Garantenstellung befinde.432 In Anbetracht der katastrophalen Gefängnisbedingungen in der Region verpflichtete der IAGMR gestützt auf Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 AMRK zur Einhaltung internationaler Mindeststandards.433
state.“ Der Gerichtshof interpretiert den materiellen Gehalt von Art. 19 im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention, IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagran-Morales et al.) v. Guatemala. Merits, Urt. v. 19. 11. 1999, Series C No. 63, Rn. 194. 431 IAGMR, Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2004, Series C No. 112, Rn. 176, hier folgerte der IAGMR aus Art. 4 und 5 AMRK bestimmte Schutz- und Leistungspflichten gegenüber minderjährigen Gefangenen; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 122; IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232, Rn. 111 ff., hier begründete der Gerichtshof in Bezug auf Kinder, die im Verlauf des bewaffneten Konflikts El Salvadors entführt und unter Verschleierung ihrer Identität von den Familien von Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte adoptiert worden waren die Verpflichtung, diese Kinder mit ihren tatsächlichen Familien zusammenzuführen und Änderungen in den Personendaten der Kinder vorzunehmen. 432 IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Separate Concurring Opinion of Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114, Rn. 13: „[…] the Inter-American Court has asserted the specific role of the State as guarantor regarding the rights of those deprived of or restricted in their liberty in State institutions and under the responsibility of agents of the State.“; die Praxis des IAGMR betrifft insbesondere die Gefängnisbedingungen von Kindern, Frauen und Indigenen, IAGMR, Case of López Álvarez v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 02. 2006, Series C No. 141, Rn. 112; IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 187 ff.; Burgorgue-Larsen, The Rights of Detainees, in: Burgogue-Larsen/Úbeda de Torres (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Case Law and Commentary, 2011, S. 469 (493 f.); Valeska David/Julie Fraser, Juvenile Criminal Justice before the Inter-American Court of Human Rights, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 547 (560 ff.). 433 Art. 5 Abs. 2 S. 2 AMRK bestimmt: „All persons deprived of their liberty shall be treated with respect for the inherent dignity of the human person.“ Der Gerichtshof verweist zur Ausfüllung dieses Standards auf die Rechtsprechung des EGMR und auf UN Resolutionen wie die United Nations Rules for the Protection of Juveniles deprived of their Liberty, GA Res. 45/ 113 v. 14. 12. 1990, IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 189; IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, Rn. 90, 98. Finanzielle Gründe können die Unterschreitung dieser Standards nicht rechtfertigen, ibid., Rn. 85: „the States cannot invoke economic hardships to justify imprisonment conditions that do not respect the inherent dignity of human beings.“
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In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der Gerichtshof generelle Schutz- und Leistungspflichten ferner auf Grundlage des Konzepts der Vulnerabilität ausgebaut.434 Die Fälle des IAGMR betreffen überwiegend Personen oder Personengruppen, deren Rechte aufgrund persönlicher und/oder sozialer Charakteristika durch staatliche oder private Akteure besonders gefährdet sind.435 Der IAGMR hat in diesem Kontext etwa die besondere Vulnerabilität der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrheit von Minderjährigen in Haft436 und in bewaffneten Konflikten437 sowie der Rechte auf einen Namen und Identität von Kindern in Migration438 betont. Ebenso sieht der IAGMR die Rechte von Frauen und Mädchen auf Freiheit von Folter und unmenschlicher Behandlung, worunter der Gerichtshof sexuelle Gewalt zählt, sowie auf effektiven Rechtsschutz als besonders gefährdet an, etwa im Kontext von Armut und struktureller Diskriminierung.439 Ferner stellte der Ge434
Rosmerlin Estupiñan-Silva, La vulnerabilidad en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos: Esbozo de una tipología, in: Laurence Burgorgue-Larsen/ Antonio Maués/Beatriz Eugenia Sánchez Mojica (Hrsg.), Derechos Humanos y Politicas Públicas: Manual, Barcelona 2014, S. 193 ff.; Lavrysen, Positive Obligations in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, Inter-American and European Human Rights Journal 7 (2014), 94 (113). 435 Estupiñan-Silva, La vulnerabilidad en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos: Esbozo de una tipología, in: Burgorgue-Larsen/Maués/Sánchez Mojica (Hrsg.), Derechos Humanos y Politicas Públicas: Manual, 2014, S. 193 (215 ff). Bei der gemeinsamen Thematik der Fälle des IAGMR wirkt sich erneut die „Filterfunktion“ der Kommission aus, die in ihrer Arbeit ihrerseits einen Fokus auf besonders vulnerable Personen oder Personengruppen gelegt hat. Dies lässt sich etwa an der Einrichtung von IAKMR-Sonderberichterstattern belegen, welche die Rechte von indigenen Gemeinschaften (1990), Frauen (1994), Migranten (1996), Kindern (1998), Menschenrechtsverteidigern (2001), Gefangenen (2004), Afroamerikanische Minderheiten und Rassismus (2005) und LSBTI-Rechte (2011) betreffen, siehe auch ibid., 193 (227). 436 IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 189; IAGMR, Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2004, Series C No. 112, Rn. 160, 163; IAGMR, Case of the Gómez Paquiyauri Brothers v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 07. 2004, Series C No. 110, Rn. 170; IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100, Rn. 135. 437 IAGMR, Case of the Santo Domingo Massacre v. Colombia. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 30. 11. 2012, Series C No. 259, Rn. 239; IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211, Rn. 184; IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148, Rn. 246. 438 IAGMR, Case of the Girls Yean and Bosico v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 09. 2005, Series C No. 130, Rn. 109.1, 134, 141. 439 IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216, Rn. 103, 185; IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211, Rn. 139; IAGMR, Case of González et al. („Cotton
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
richtshof etwa die besondere Gefährdung der Rechte auf Leben, Meinungsfreiheit (Art. 13 AMRK) und Vereinigungsfreiheit (Art. 16 AMRK) von Oppositionellen, Gewerkschaftern, Menschenrechtsverteidigern und Journalisten insbesondere im Kontext des Umweltschutzes gegen private Bau- und Investitionsprojekte440 oder in bewaffneten Konflikten441 fest. Die Folgen der Feststellung besonderer Vulnerabilität sind zum einen die Anerkennung von generellen Schutzpflichten unter Art. 2 AMRK und zum anderen die Anordnung struktureller Reformen durch den IAGMR unter dem Begriff der guarantees of non-repetition. In Ximenes-Lopes v. Brazil, der die Misshandlung und den Tod eines Patienten einer dem öffentlichen Gesundheitssystem zuzuordnenden psychatrischen Klinik betraf, stellte der IAGMR als Folge der Vulnerabilität eine allgemeine Schutzpflicht fest („any person that is in a vulnerable position is entitled to special protection“) und leitete hieraus die Pflicht des Staates ab, positive Maßnahmen zum Schutz der Würde und der körperlichen Unversehrtheit von Patienten zu ergreifen.442 Dem sachlichen Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit von Politikern und Menschenrechtsverteidigern entnahm der Gerichtshof i.V.m. Art. 2 AMRK besondere Verpflichtungen zum Schutz und zur Aufklärung von gewaltsamen Übergriffen, zu deren Erfüllung der IAGMR dann unter dem Begriff der guarantees of non-repetition strukturelle Anordnungen traf.443 II. Die Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit Art. 2 AMRK in der Praxis des IAGMR Der IAGMR macht die dargelegte Verknüpfung zwischen einer Verletzung der Pflicht zur effektiven Gewährung der Konventionsrechte nach Art. 2 AMRK und der Anordnung der nachholenden Erfüllung dieser Verpflichtung in Form der guarantees of non-repetition nicht immer deutlich. Bei der Anordnung der Neuregelung oder Aufhebung von Gesetzen bezieht sich der Gerichtshof in der Regel auf entsprechende Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 282. 440 IAGMR, Case of Luna López v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2013, Series C No. 269, Rn. 123; IAGMR, Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 04. 2009, Series C No. 196, Rn. 149. 441 IAGMR, Case of Vélez Restrepo and family v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 03. 09. 2012, Series C No. 248, Rn. 189; IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213, Rn. 86; IAGMR, Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2008, Series C No. 192, Rn. 81. 442 IAGMR, Case of Ximenes Lopes v. Brazil. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2006, Series C No. 149, Rn. 103. 443 IAGMR, Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 04. 2009, Series C No. 196, Rn. 150; IAGMR, Case of Cantoral Huamaní and García Santa Cruz v. Peru. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 07. 2007, Series C No. 167, Rn. 146.
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition
139
Feststellungen einer Verletzung von Art. 2 AMRK in den Merits des Urteils. Bei anderen Anordnungen unter dem Oberbegriff der guarantees of non-repetition wird deren Verknüpfung mit einer Verletzung von Art. 2 AMRK indes nicht immer offengelegt. Mitunter verweist der IAGMR bei der Anordnung struktureller Reformen allein auf die Umstände der Rechtsverletzung im Einzelfall oder den „context of the case“, ohne die Verpflichtung der Staaten unter Art. 2 AMRK zu nennen. Tatsächlich handelt es sich aber auch bei diesen Äußerungen implizit um Feststellungen der Verletzung von Art. 2 AMRK und bei den Anordnungen struktureller Reformen um Maßnahmen der nachholenden Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 2 AMRK. Die guarantees of non-repetition bedeuten somit auch in solchen Fällen nicht eine beliebige Maßnahme der Prävention, sondern finden ihre Grundlage ihrerseits in den materiell-rechtlichen Verpflichtungen des Art. 2 AMRK. 1. Anknüpfung an Art. 2 AMRK bei der Anpassung der Rechtslage an die Konvention Der IAGMR macht die Verbindung von Art. 2 AMRK und der Anordnung von guarantees of non-repetition bei der Anordnung der Neuregelung oder Aufhebung von Gesetzen in der Regel explizit. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung444 des IAGMR setzt die Anordnung legislativer Reformen im Urteilstenor die Feststellung einer Verletzung von Art. 2 AMRK durch ein Gesetz oder wegen gesetzgeberischen Unterlassens in den Merits voraus.445 Bei der Überprüfung der Rechts444 In der älteren Rechtsprechung finden sich Urteile, in denen der Gerichtshof legislative Reformen anordnet, ohne eine entsprechende Verletzung von Art. 2 AMRK festgestellt zu haben. Hierbei scheint sich noch die oben referierte Rechtsansicht Cançado Trindades durchgesetzt zu haben, wonach die guarantees of non-repetition einer allgemeinen „duty of prevention“ Ausdruck verleihen und keine entsprechende Rechtsverletzung im Einzelfall voraussetzen, vgl. etwa IAGMR, Case of Vargas Areco v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2005, Series C No. 155, op. Rn. 14. Der Gerichtshof ordnete hier die Reform der Rechtslage hinsichtlich der Wehrpflicht von Minderjährigen an, hatte aber die entsprechenden Gesetze im betreffenden Einzelfall nicht am Maßstab der AMRK untersucht. Allerdings konnte die Anordnung auf eine bereits vorliegende Gesetzesinitiative zurückgreifen: Paraguay gab vor, dass es beabsichtige, im Zuge der Ratifikation eines Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention die Rechtslage zu ändern, ibid., Rn. 163; vgl. auch IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77, Rn. 98. 445 Vgl. etwa die Verknüpfung der Anordnung legislativer Reformen mit entsprechenden Feststellungen der Verletzung von Art. 2 AMRK in IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 238, op. Rn. 19; IAGMR, Case of Maldonado Ordóñez v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 05. 2016, Series C No. 311, Rn. 120, op. Rn. 10; IAGMR, Case of Tenorio Roca et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 06. 2016, Series C No. 314, Rn. 248, op. Rn. 14; IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, Rn. 85, 273, op. Rn. 9; IAGMR, Case of Cabrera García and MontielFlores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, Rn. 204, op. Rn. 15.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
lage geht der IAGMR dabei in der Regel im Wege einer inzidenten Normenkontrolle am Maßstab des Einzelfalls vor, der den tatsächlichen Rahmen der Zuständigkeit des IAGMR bildet. Voraussetzung der Feststellung einer Verletzung von Art. 2 AMRK ist also grundsätzlich, dass sich die angegriffenen Gesetze oder das geltendgemachte legislative Unterlassen im Einzelfall ausgewirkt haben.446 Die weitreichendere Ansicht Cançado Trindades, wonach der IAGMR Gesetze auch ohne jegliche Auswirkung im Beschwerdefall überprüfen dürfe, hat sich hingegen nicht durchsetzen können.447 Anträge auf den Erlass von legislativen guarantees of non-repetition, die in diesem Sinne keine Abhilfe festgestellter Verletzungen darstellen, werden vom IAGMR regelmäßig abgelehnt.448 In der Praxis des Gerichtshofs hat diese Festlegung der guarantees of non-repetition als eine Form der Abhilfe von Verletzungen von Art. 2 AMRK ihre Beschreibung unter dem Schlagwort des „Ursachenzusammenhangs“ („nexo causal“) gefunden. Regelmäßig betont der Gerichtshof, dass die Maßnahmen der Wiedergutmachung über einen „Ursachenzusammenhang“ mit den Fakten des Falls, den festgestellten Verletzungen und den nachgewiesenen Schäden der Opfer verbunden sein müssen: „This Court has established that reparations must have a causal link with the facts of the case, the declared violations, the proven damages and the measures requested to repair the
446
Diese Beschränkung der eigenen Kompetenzen hat der IAGMR erstmals in einem Gutachten aus dem Jahr 1994 zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Staaten für konventionswidrige Gesetze festgestellt. Demnach betrifft die sachliche Reichweite der eigenen streitigen Gerichtsbarkeit konkrete Rechtsverletzungen von Individuen, nicht aber die vom konkreten Einzelfall losgelöste Überprüfung der Vereinbarkeit staatlicher Gesetze mit der AMRK. Das bedeutet, dass im Einzelfall nur bei Rechtsverletzungen aufgrund von Gesetz oder bei unmittelbar anwendbaren Gesetzen die Verletzungen von Art. 2 AMRK festgestellt werden können, nicht aber bei Gesetzen, die noch weitere Vollzugsakte voraussetzten, IAGMR, International Responsibility for the Promulgation and Enforcement of Laws in Violation of the Convention (Artt. 1 and 2 of the American Convention on Human Rights). Gutachten v. 09. 12. 1994, Series A No.14, Rn. 49; IAGMR, Case of López Lone et al. v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 10. 2015, Series C No. 302, Rn. 307. Siehe hierzu näher unten S. 199 ff. 447 Siehe oben S. 90 ff. 448 Vgl. etwa IAGMR, Case of Andrade Salmón v. Bolivia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 12. 2016, Series C No. 330, Rn. 201: „Este Tribunal resalta que ni la Comisión ni los representantes alegaron o aportaron información de la cual se desprenda que la regulación del sistema penal boliviano presentara deficiencias normativas en relación con las controversias del caso. Por lo tanto, no corresponde ordenar una medida de reparación en este sentido.“; IAGMR, Case of Chinchilla Sandoval et al v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 02. 2016, Series C No. 312, Rn. 286; IAGMR, Case of Duque v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 02. 2016, Series C No. 310, Rn. 207; IAGMR, Case of the Kuna Indigenous People of Madungandí and the Emberá Indigenous People of Bayano and their members v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 10. 2014, Series C No. 284, Rn. 224.
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition
141
consequences of those damages. Therefore, the Court must adhere to this premise in order to rule properly and according to law.“449
Dieser „Ursachenzusammenhang“ wirkt sich bei legislativen Reformen dahingehend aus, dass Anträge auf guarantees of non-repetition, die keine Abhife festgestellter Verletzungen von Art. 2 AMRK beinhalten, vom Gerichtshof abgelehnt werden.450 2. Uneinheitliche Praxis bei institutionell ausgerichteten guarantees of non-repetition Weniger deutlich wird die Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit einer Verletzung von Art. 2 AMRK in der Praxis des IAGMR hingegen bei der Anordnung von institutionellen Reformen, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Staatsbeamte und Sensibilisierungs- und Menschenrechtsbildungskampagnen für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Obgleich Art. 2 AMRK eben diese Maßnahmen verlangen kann, um die effektive Gewährleistung der Konventionsrechte zu garantieren (siehe oben I.), weist der IAGMR eine Verletzung von Art. 2 AMRK vor Anordnung entsprechender guarantees of non-repetition nur ausnahmsweise in den Merits seines Urteils nach. Vielmehr stellt er oftmals allein im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung, in obiter dicta oder auf Ebene der Rechtsfolgen fest, dass den festgestellten Rechtsverletzungen strukturelle Defizite zugrunde liegen, was allein implizit die Feststellung einer Verletzung von Art. 2 AMRK bedeutet. a) Teilweise Verknüpfung mit der Feststellung einer Verletzung von Art. 2 AMRK Ein Beispiel für eine ausdrückliche Verknüpfung der Feststellung einer Verletzung von Art. 2 AMRK und der Anordnung institutionell ausgerichteter guarantees of non-repetition findet sich im Vorgehen des IAGMR im Fall González et al. v. 449 IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 285; IAGMR, Case of Andrade Salmón v. Bolivia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 12. 2016, Series C No. 330, Rn. 188; IAGMR, Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2008, Series C No. 191, Rn. 110; Calderón Gamboa, La Evolución de la „reparación integral“ en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, 2013, S. 92 f. 450 Vgl. auch IAGMR, Case of Peasant Community of Santa Barbara v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 299, Rn. 326: „En el presente caso, la Corte no declaró una violación del artículo 2 de la Convención Americana ni del artículo III de la Convención Interamericana sobre Desaparición Forzada de Personas en relación con la presunta aplicación del artíulo 320 del Código Penal, por lo que no existe un nexo causal entre las violaciones declaradas en esta Sentencia y la medida de reparación solicitada.“; IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304, Rn. 343.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
Mexiko.451 Der Gerichtshof verwob hier auf der Ebene der Merits die Untersuchung von Rechtsverletzungen im konkreten Fall mit Verletzungen der AMRK und der CdBP durch die allgemeine Situation in Ciudad Juárez. Er untersuchte die Erfüllung allgemeiner Präventionspflichten452 und führte die Verletzung von Schutzpflichten sowie die Straflosigkeit in den Fällen der drei ermordeten Frauen453 auf bestimmte institutionelle Defizite zurück, die ihrerseits eine Verletzung der Verpflichtungen unter Art. 2 AMRK und Art. 7 lit. c CdBP454 darstellten. Mexiko habe es im Fall der Frauenmorde unterlassen, einen adäquaten rechtlichen und administrativen Rege451 Vgl. auch das Vorgehen des Gerichtshofs in IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, Rn. 133, 266, op. Rn. 17; IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, Rn. 82, 269, op. Rn. 7. 452 Der IAGMR erörterte, dass auf Grundlage von Art. 7 lit. c CdBP sowie Art. 2 AMRK die Staaten spezielle Regelungen, Präventionsprogramme und Institutionen zur Prävention geschlechtsbezogener Gewalt zu schaffen haben. Da der Staat, trotz der Kenntnis massiver geschlechtsbezogener Gewalt, keine effektiven Maßnahmen getroffen hatte, die dem Phänomen hätten wirksam vorbeugen konnten, habe Mexiko diesen generellen Präventionspflichten nicht genügt. Gleichwohl unterließ es der Gerichtshof, eine Verletzung von Art. 2 AMRK oder von Art. 7 lit. c CdBP wegen Verletzung allgemeiner Präventionspflichten auch ausdrücklich festzustellen, IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 279 ff. Richter Ferrer Mac-Gregor kritisierte dieses Unterlassen in seinem Sondervotum in einem anderen Urteil: Wenn der Gerichtshof, richtigerweise, einen Kontext struktureller Gewalt beschreibe und die Verletzung allgemeiner Präventionspflicht überprüfe, dann müsse er auch, im Falle deren Verletzung, diese Wertung im Urteilstenor festhalten, IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Voto razonado del juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, Rn. 57. 453 Hinsichtlich der Verletzung konkreter Schutzpflichten im Falle der entführten und ermordeten Opfer stellte der IAGMR fest, dass Mexiko aufgrund des Kontexts geschlechtsbezogener Gewalt in Ciudad Juárez Kenntnis von einer konkreten Gefahr für Leib und Leben gehabt, konkrete Handlungsmöglichkeiten aber nicht genutzt hatte. Da die Behörden in allen Fällen faktisch untätig geblieben waren, stellte der Gerichtshof, wie bereits von Mexiko eingestanden, Verletzungen von Art. 4, 5 und 7 i.V.m. Art. 1 AMRK sowie Art. 7 lit. b CdBP fest, IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 284, 286. 454 Die CdBP enthält die drei wesentlichen positiven Verpflichtungen der Staaten im Umgang mit Gewalt gegen Frauen: Schutz in konkreten Gewaltfällen, Strafverfolgung der Täter und Prävention. Der Gerichtshof hat auf diese positiven Verpflichtungen unter Art. 7 CdBP zusammen mit der Verpflichtung unter Art. 2 AMRK verwiesen, um von den Staaten nicht allein die Schaffung entsprechender Strafgesetze, sondern allgemein, die Vornahme von Präventionspolitiken sowie die Stärkung der Polizei- und Strafverfolgungsbehörden zu verlangen, vgl. IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Voto razonado del juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, Rn. 7 ff.; Tiroch, Violence against Women by Private Actors: The Inter-American Court’s Judgment in the Case of Gonzalez et al. („Cotton Field“) v. Mexico, Max Planck Yearbook of United Nations Law 14 (2010), 371; Inter-American Commission of Women, Guide to the application of the Inter-American Convention on the Prevention, Punishment and Eradication of Violence against Women (Belém do Pará Convention), 2014.
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition
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lungsrahmen zu schaffen und Beamte entsprechend auszubilden und zu sensibilisieren, um eine effektive Ausübung der Schutzverpflichtung zu gewährleisten: „In addition, the Tribunal finds that the State did not prove that it had adopted norms or implemented the necessary measures, pursuant to Article 2 of the American Convention and Article 7(c) of the Convention of Belém do Pará, that would have allowed the authorities to provide an immediate and effective response to the reports of disappearance and to adequately prevent the violence against women. Furthermore, it did not prove that it had adopted norms or taken measures to ensure that the officials in charge of receiving the missing reports had the capacity and the sensitivity to understand the seriousness of the phenomenon of violence against women and the willingness to act immediately.“455
Auf diese Feststellungen bezogen ordnete der IAGMR, im Rahmen der guarantees of non-repetition, die Neufassung oder Überarbeitung eines Protokoll zur Suche nach verschwundenen Frauen an.456 Zwar habe bereits ein Protokoll zur Suche nach verschwundenen Frauen in Ciudad Juárez („Alba-Protocol“) bestanden, doch seien dessen Voraussetzungen, wie der Gerichtshof auf Rechtsfolgenebene ausführte, unklar und möglicherweise diskriminierend ausgestaltet.457 Der Gerichtshof ordnete deshalb die Reform des Protokolls oder die Schaffung eines neuen Mechanismus an und gab hierzu detaillierte Vorgaben, wonach etwa ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen waren und die verschwundene Person mit einer ebenfalls zu schaffenden Datenbank458 abgeglichen werden müsse. Grundlage dieser Anordnung im Urteil war also ausdrücklich die festgestellte Verletzung von Art. 2 AMRK und Art. 7 lit c CdBP auf Ebene der Merits, da sich nicht nur im Einzelfall gravierende Defizite der institutionellen Koordination bei der Suche nach den Opfern gezeigt hatten, sondern nach Ansicht des IAGMR das Verfahren allgemein nicht effektiv geregelt worden war. Die Beschwerdeführer hatten diese Maßnahme gefordert, die der Gerichtshof in seinem Urteil aufgriff und näher präzisierte.459 455 IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 285. 456 Ibid., op. Rn. 19, Rn. 506. 457 Ibid., Rn. 505. 458 Der Gerichtshof ordnete in dem Urteil als guarantee of non-repetition auch die Schaffung einer biometrischen Datenbank zur Unterstützung der Suche nach in ganz Mexiko verschwundenen Frauen und Mädchen an. Der Gerichtshof verwies hierbei allerdings nicht auf Feststellungen auf Ebene der Merits, sondern allein auf bereits bestehende, unvollständige Datenbanken, und darauf, dass durch den Abgleich der Daten die Möglichkeiten der Suche nach den Verschwundenen vergrößert würden. Er ordnete an: „(i) the creation or updating of a database with the personal information available on disappeared women and girls at the national level; (ii) the creation or updating of a database with the necessary personal information, principally DNA and tissue samples, of the next of kin of the disappeared who consent to this – or that is ordered by a judge – so that the State can store this personal information with the sole purpose of locating a disappeared person, and (iii) the creation or updating of a database with the genetic information and tissue samples from the body of any unidentified woman or girl deprived of life in the State of Chihuahua.“ ibid., op. Rn. 21, Rn. 512. 459 Ibid., Rn. 506.
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
Daneben führte der IAGMR auch die Verletzung der Verpflichtung zur Aufklärung und Strafverfolgung der drei Frauenmorde460 auf strukturelle Defizite zurück, die ihrerseits eine Verletzung der allgemeinen Verpflichtungen gemäß Art. 2 AMRK und Art. 7 lit. c CdBP darstellten: „The State did not prove that it had adopted the necessary norms or implemented the required measures, in accordance with Article 2 of the American Convention and Article 7(c) of the Convention of Belém do Pará, that would have permitted the authorities to conduct an investigation with due diligence. This judicial ineffectiveness when dealing with individual cases of violence against women encourages an environment of impunity that facilitates and promotes the repetition of acts of violence in general and sends a message that violence against women is tolerated and accepted as part of daily life.“461
Im Rahmen der guarantees of non-repetition ordnete der IAGMR sodann hierauf bezugnehmend die Überarbeitung der einschlägigen Protokolle und Verwaltungsanweisungen zur Untersuchung geschlechtsbezogener Gewalt, forensischer Analysen und der Strafverfolgung in Einklang mit internationalen Standards an: „The Tribunal considers that, in this case, the State must, within a reasonable time, continue harmonizing all its protocols, manuals, judicial investigation criteria, expert services and delivery of justice used to investigate all crimes concerning the disappearance, sexual abuse and murder of women with the Istanbul Protocol, the United Nations Manual on the Effective Prevention and Investigation of Extralegal, Arbitrary and Summary Executions, and the international standards for searching for disappeared people, based on a gender perspective.“462
Zum anderen bestimmte der IAGMR die Durchführung und Fortführung von Fortbildungsprogrammen für Strafverfolgungsbeamte: „The State shall continue implementing permanent education and training programs and courses for public officials on human rights and gender, and on a gender perspective to ensure due diligence in conducting preliminary inquiries and judicial proceedings concerning gender-based discrimination, abuse and murder of women, and to overcome stereotyping about the role of women in society […].“463
Grundlage dieser Anordnungen war die Feststellung, dass die defizitäre Ausbildung der Strafverfolgungsbeamten als solche eine Verletzung von Art. 2 AMRK und Art. 7 lit. c CdBP darstelle. Insoweit wurde die Anordnung struktureller Reformen auch hier ausdrücklich mit der Feststellung einer Verletzung der generellen Verpflichtungen unter Art. 2 AMRK und und Art. 7 lit. c CdBP verknüpft.
460 Die Untersuchungen waren von Unzulänglichkeiten und Unregelmäßigkeiten bei der forensischen Untersuchung der Leichen und beim Umgang mit Beweisen geprägt gewesen, ferner hatten sich die Sicherheitsbehörden in ihren Handlungen von Stereotypen leiten lassen, ibid., Rn. 400. 461 Ibid., Rn. 388. 462 Ibid., Rn. 502. 463 Ibid., op. Rn. 22; Rn. 542.
§ 2 Die Voraussetzungen der guarantees of non-repetition
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b) Überwiegend bloße Verweise auf einen Kontext struktureller Defizite Die ausdrückliche Bezugnahme auf Verletzungen von Art. 2 AMRK bei der Anordnung von guarantees of non-repetition auf institutioneller Ebene stellt in der Praxis des IAGMR indes die Ausnahme dar. In González et al. ordnete der IAGMR als weitere Maßnahme etwa die Schaffung einer nationalen biometrischen Datenbank zur Unterstützung der Suche nach in ganz Mexiko verschwundenen Frauen und Mädchen an464, verwies dabei jedoch nicht auf entsprechende Feststellungen einer Verletzung von Art. 2 AMRK. Vielmehr richtete sich der IAGMR bei dieser Anordnung eher allgemein am Kontext der Beschwerden aus, nämlich der durch ineffiziente staatliche Institutionen begründeten Vulnerabilität von Frauen gegenüber geschlechtsbezogener Gewalt in Mexiko.465 Eine Untersuchung der Praxis des IAGMR zeigt, dass die institutionell ausgerichteten guarantees of non-repetition in der Regel nicht ausdrücklich mit einer festgestellten Verletzung von Art. 2 AMRK in Verbindung stehen, sondern eher allgemein auf die Rechtsverletzungen im Einzelfall und einen Kontext struktureller Defizite bei der Gewährleistung der Konventionsrechte reagieren.466 Dass diese strukturellen Defizite, etwa die allgemein unzureichende Ausbildung von Grenzbeamten im Umgang mit Schusswaffen467 oder die gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung von Homosexuellen468, selbst Verletzungen von Art 2 AMRK 464
Ibid. Rn, 512, op. Rn. 21. Siehe oben Fn. 458. Vgl. auch die Anordnung in Veliz Franco und Velásquez Paiz v. Guatemala zur finanziellen und organisatorischen Stärkung des nationalen kriminalforensischen Instituts (INACIF), das zur Aufklärung von Fällen geschlechtsbezogener Gewalt unverzichtbare Arbeit leiste, nach Informationen einer Sachverständigen zum Zeitpunkt des Urteils aber nicht im ganzen Land tätig war. Die Anordnung des IAGMR ging hier nicht auf die Feststellung einer Verletzung von Art. 2 AMRK zurück, sondern auf die Empfehlung der Sachverständigen, IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, Rn. 255. 466 So auch, ohne weitergehende Untersuchung, Ferrer Mac-Gregor/Pelayo Moller, Artículo 2. Deber de Adoptar Disposiciones de Derecho Interno, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 80 f.: „Al respecto, habría que destacar que estas medidas de no repetición no siempre se han derivado en su concepción de un incumplimiento directo al artículo 28 de la Convención; sin embargo, las mismas siempre han tenido un grado de conexión relevante con las violaciones principales del caso y se han encontrado justificadas.“ 467 IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, Rn. 82. 468 IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 119: „While it is true that certain societies can be intolerant toward a person because of their race, gender, nationality, or sexual orientation, States cannot use this as justification to perpetuate discriminatory treatments. States are internationally compelled to adopt the measures necessary ,to make effective‘ the rights established in the Convention, as stipulated in Article 2 of said Inter-American instrument, and therefore must be inclined, precisely, to confront intolerant and discriminatory expressions in order to prevent exclusion or the denial of a specific status.“ 465
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darstellen, hebt der Gerichtshof auf der Ebene der Merits nicht immer explizit hervor. Im Gegenteil, nur implizit, in der Anordnung von guarantees of non-repetition zeigt sich in den meisten Fällen, dass der Staat neben der Verletzung der Rechte der Opfer im Einzelfall auch seinen generellen Verpflichtungen aus Art. 2 AMRK nicht nachgekommen ist, denn die guarantees of non-repetition bedeuten letztlich nichts anderes als die Anordnung der nachholenden Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 2 AMRK.469 Ein klares Muster hinsichtlich der Feststellung eines Kontexts struktureller Defizite und der Anordnung von guarantees of non-repetition ist in der Praxis des IAGMR gleichwohl ebenfalls nicht erkennbar. In einigen jüngeren Urteilen hat der Gerichtshof in das Kapitel über die Darstellung der Fakten einen besonderen Abschnitt über die Hintergründe des Falls („context“ oder „background of the facts of the case“) eingefügt, in dem er den sozialen, historischen und politischen Kontext des Falls darlegte, auf den er dann bei der Anordnung struktureller Reformen verwies.470 Ein Beispiel hierfür ist etwa das Urteil in Favela Nova Brasília v. Brazil, in dem der IAGMR eingangs feststellte, dass die untersuchten Fälle von außergerichtlichen Tötungen von Jugendlichen aus Armenvierteln Rio de Janeiros ein strukturelles Problem in Brasilien repräsentierten und die Straflosigkeit von Polizisten u. a. auf die internen Untersuchungsberichte zurückzuführen seien, die es erleichterten, außergerichtliche Tötungen als Selbstverteidigung darzustellen: „Según la información de órganos estatales, la violencia policial representa un problema de derechos humanos en Brasil, en particular en Río de Janeiro. No hay datos disponibles sobre muertes ocurridas durante operativos policiacos en los años 1994 y 1995. A partir de 1998 la Secretaría de Seguridad Pública de Río de Janeiro empezó a recopilar esas estadísticas. En 1998, 397 personas murieron por acción de la policía en ese Estado; en 2007 la cifra llegó a 1,330. En 2014, hubo 584 víctimas letales de intervenciones policiales y en 2015 ese número aumentó a 645. […] Un elemento que dificulta las investigaciones son los formularios de 469 Vgl. in diesem Sinne etwa die Begründung der Anordnung der Schaffung eines Gefangenenregisters in Guatemala im Fall Paniagua Morales et al.: „Although, in its judgment on merits, the Court did not decide that Guatemala had violated Article 2 of the Convention – […] [t]his Court considers that, should it not exist already, a register of detainees should be established, such as the one proposed by the Commission.“ IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, Rn. 203. 470 In Fällen struktureller Rechtsverletzungen dienen die Feststellungen zum Kontext nach Ansicht des Gerichtshofs dem besseren Verständnis der jeweiligen Rechtsverletzungen und der Überprüfung der Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen der Wiedergutmachung, IAGMR, Case of the Members of the village of Chichupac and neighboring communities of the Municipality of Rabinal v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 328, Rn. 81; IAGMR, Case of Espinoza Gonzáles v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2014, Series C No. 289, Rn. 49; IAGMR, Case of Human Rights Defender et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 283, Rn. 73; IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, Rn. 154.
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,resistencia al arresto‘, los cuales son emitidos antes de abrirse la investigación relativa a un homicidio cometido por un agente policial. Antes de investigar y corroborar la conducta policial, en muchas de las investigaciones se realiza una investigación respecto del perfil de la víctima fallecida y se cierra la investigación por considerar que era un posible delincuente […].“471
In den untersuchten Beschwerden führte der IAGMR die Straflosigkeit der Polizisten für Morde an insgesamt 26 Jugendlichen u. a. auch auf die Registrierung der Polizeimaßnahmen als „Selbstverteidigung“ mit Todesfolge („autos de resistencia“) zurück.472 In den Rechtsfolgen ordnete der IAGMR, als guarantee of non-repetition, aufgrund der festgestellten Rechtsverletzungen im Einzelfall und des strukturellen Kontexts eine bessere Dokumentation von Fällen von Polizeigewalt in Brasilien an: „El Estado debe adoptar las medidas necesarias para uniformar la expresión ,lesión corporal u homicidio derivada de intervención policial‘ en los reportes e investigaciones realizadas por la policía o el Ministerio Público en casos de muertes o lesiones provocadas por la actuación policial. El concepto de ,oposición‘ o ,resistencia‘ a la actuación policial debe ser abolido […].“473
Darauf, dass die polizeiliche Praxis materiell-rechtlich selbst eine Verletzung von Art. 2 AMRK darstellen könnte, ging der IAGMR indes nicht ein, sondern ordnete die guarantees of non-repetition allein aufgrund des festgestellten Kontexts und der Rechtsverletzungen im Einzelfall an. In anderen Urteilen stellte der IAGMR das Bestehen eines Kontexts mit Bezug zum Einzelfall allein in kurzen obiter dicta fest und begründete die Anordnung struktureller Reformen allenfalls implizit. In Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago stellte der Gerichtshof etwa mit Verweis auf die Aussagen der Sachverständigen im Rahmen der Merits fest, dass die unmenschlichen und erniedrigenden Haftbedingungen der Opfer im Einzelfall auf die Situation im ganzen Land hinwiesen („are in fact indicative of the general conditions in Trinidad and Tobago’s prison system“)474, bevor er auf der Ebene der Rechtsfolgen die generelle Verbesserung der Gefängnisbedingungen anordnete („to bring its prison conditions into compliance with the relevant international human rights norms on the matter“)475. In Yvon Neptune v. Haiti bemerkte er im Rahmen der Überprüfung der Verletzung des Einzelfalls: „The Court also finds that it has been proved and not disputed that, during the time Yvon Neptune was detained in the National Penitentiary and subsequently in the Annex, there was a general context of serious shortcomings in prison conditions in Haiti, as well as a lack of 471
IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 102, 107. 472 Ibid., Rn. 193. 473 Ibid., op. Rn. 20. 474 IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, Rn. 170. 475 Ibid., Rn. 217.
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security in almost all the country’s detention centers; this was pointed out by several international organizations and agencies.“476
Entsprechende obiter dicta bezüglich des Zustands der Gefängnisse im gesamten Staat finden sich auch in weiteren Fällen, in denen der IAGMR Gefängnisreformen anordnete.477 Auf ähnliche Weise ging der IAGMR im Fall La Rochela Massacre v. Colombia vor, der ein Massaker an fünfzehn kolumbianischen Justizbeamten betraf. Hier stellte der Gerichtshof im Rahmen der Reparations fest, dass der Fall stellvertretend für ein strukturelles Defizit des Menschenrechtsschutzes stehe („the events analyzed in this Judgment demonstrate the danger which judiciary officials confront due to the nature of their work“) und ordnete deshalb die Schaffung eines allgemeinen Schutzprogramms für Justizangehörige an.478 In Atala Riffo ordnete der IAGMR Fortbildungskurse hinsichtlich der Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transgenderpersonen an, insbesondere für Justizbeamte, da, wie er im Rahmen der Reparations erwähnte, der entschiedene Fall auf die fortwährende Existenz von Stereotypen und Diskriminierungen gegen diese Personengruppen hingewiesen habe: „The Court emphasizes that some discriminatory acts analyzed in the previous chapters relate to the perpetuation of stereotypes that are associated with the structural and historical discrimination suffered by sexual minorities […], particularly in matters concerning access to justice and the application of domestic law. Therefore, some reparations must have a transformative purpose, in order to produce both a restorative and corrective effect and promote structural changes, dismantling certain stereotypes and practices that perpetuate discrimination against LGBT groups.“479
Wiederum in anderen Fällen referierte der IAGMR allein entsprechende Feststellungen der Kommission oder von Beschwerdeführern.480 Mitunter gab der Ge476 IAGMR, Case of Yvon Neptune v. Haiti. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 05. 2008, Series C No. 180, Rn. 137. 477 IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, Rn. 43, Fn. 31; IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, Rn. 54, Fn. 71. 478 IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163, Rn. 296 f. 479 Der Fall Atala Riffo and Daughters v. Chile betraf als erster Fall des IAGMR LSBTIRechte. Nach einem durch mehrere Instanzen geführten Sorgerechtsstreit hatte der chilenische Oberste Gerichtshof dem Ex-Mann und Vater der drei Kinder des Opfers das Sorgerecht zugesprochen, da er die Kinder bei der lesbischen Mutter in einer „situation of risk“ wähnte, IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 267. 480 So etwa in Velez Loor: Hier ordnete der IAGMR die Schaffung spezieller Gefängnisse für Migranten an, deren Fehlen im Einzelfall eine Verletzung von Art. 5 AMRK dargestellt hatte. Dass das Problem ein Allgemeines darstellte, ergab sich allein aus Hinweisen der Repräsentanten: „The representatives pointed out that current Panamanian legislation provides that undocumented migrants who are detained shall be placed in ,short-stay, preventive shelters.‘ However, such shelters only exist in Panama City and therefore, irregular migrants who are
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richtshof in seinen Urteilen bei der Anordnung von guarantees of non-repetition aber auch überhaupt keine Hinweise auf die Existenz stuktureller Defizite und schien hierfür die entsprechenden Forderungen der Kommission als ausreichend erscheinen zu lassen.481 Ein einheitliches Begründungsmuster für die meisten strukturellen Anordnungen lässt sich der Praxis des IAGMR nach alledem also nicht entnehmen. Die rechtliche Verbindung der Anordnung mit Art. 2 AMRK wird vom IAGMR nicht durchgängig offengelegt.
C. Andauern struktureller Defizite bis zur Entscheidung des IAGMR Die Anordnung struktureller Reformen durch den IAGMR setzt in der Regel weiter voraus, dass die der Beschwerde zugrunde liegenden strukturellen Defizite – und die damit verbundene Verletzung von Art. 2 AMRK – auch noch bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofs fortbestehen und der betroffene Staat noch keine wesentlichen Maßnahmen zur Abhilfe ergriffen hat. Dies ist häufig nicht der Fall, da zwischen den Urteilen des IAGMR und den verhandelten Sachverhalten oftmals viele Jahre auseinanderliegen und zwischenzeitlich gewisse legislative oder administrative Reformen eingeleitet worden sind. Die Überprüfung einer neuen Rechtslage aus Anlass der Beschwerde lehnt der IAGMR indes grundsätzlich ab, da sich diese Gesetze nicht im Kontext des vorgelegten Einzelfalls ausgewirkt haben können und damit kein „Ursachenzusammenhang“ mit der vorgelegten Beschwerde besteht.482 arrested in other areas are detained in prisons along with inmates accused and convicted for criminal offenses.“ IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 271; ähnlich IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304, Rn. 201. 481 Vgl. etwa folgende Anordnungen von guarantees of non-repetition, in denen der Gerichtshof nicht ausdrücklich auf die struktruelle Natur der festgestellten Rechtsverletzungen einging und allein auf die Forderung der Kommission verwies, IAGMR, Case of Chinchilla Sandoval et al v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 02. 2016, Series C No. 312, Rn. 273 ff. (Aus- und Fortbildungsprogramme für Strafvollzugsbeamte, Information von Gefangenen über ihre Rechte); IAGMR, Case of Granier et al. (Radio Caracas Television) v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), Urt. v. 22. 06. 2015, Series C No. 293, Rn. 394 (Reform der Vergabe von Rundfunklizenzen); IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 333 (Aus- und Fortbildungsprogramme für Strafvollzugsbeamte); IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, Rn. 302 (Aus- und Fortbildungsprogramme für Staatsbeamte im Umgang mit indigenen Gemeinschaften). 482 Vgl. etwa das Vorgehen im Fall der Community Garifuna Triunfo de la Cruz, eine afroindigene Gemeinschaft in Honduras. Der IAGMR stellte hier, aufgrund von Sachverhalten aus den 1990er und frühen 2000er Jahren, Verletzungen der Konsultationspflicht (Art. 21 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK) fest, da die Gemeinschaft bezüglich sie betreffender Bauprojekte, der
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Auf der Rechtsfolgenebene haben diese Festlegungen zum einen zur Folge, dass es der IAGMR ablehnt, die Reform eines nicht mehr geltenden konventionswidrigen Gesetzes anzuordnen, da für diese Anordnung nunmehr kein Anlass mehr bestehe.483 Beispielhaft kann für dieses Vorgehen das Urteil in Liakat Ali Alibux v. Suriname angeführt werden, betreffend die Verurteilung eines ehemaligen Ministers wegen Urkundenfälschung auf Grundlage eines „Political Office Holders Act“, wogegen zum Zeitpunkt der Verurteilung keine Berufungsmöglichkeit bestand. Erst später und nachdem das Opfer aufgrund einer Amnestie entlassen worden war, wurde ein solches Rechtsmittel in das Gesetz eingefügt. Der IAGMR stellte aufgrund der Rechtslage zum Zeitpunkt der Verurteilung eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie gem. Art. 8 (2) (h) i.V.m. Art. 2 AMRK fest. Auf Rechtsfolgenebene lehnte es der IAGMR, entgegen der Forderung der Kommission, indes ab, weitere legislative Reformen anzuordnen, da solche bereits vorgenommen worden waren: „The Court takes note of and values the adoption of the foregoing amendment and, as such, does not deem it appropriate to order any measure of reparation in this regard.“484
Zum anderen lehnt es der Gerichtshof grundsätzlich aber auch ab, Anordnungen zur Reform jener Gesetze zu treffen, die nach den Geschehnissen des Einzelfalls als Reform der ursprünglich angewendeten – konventionswidrigen – Gesetze verabschiedet worden sind.485 Für den IAGMR ergibt sich die Unzulässigkeit derartiger Einrichtung eines Naturschutzgebiets, sowie hinsichtlich des Verkaufs von Land auf ihrem Gebiet nicht angehört worden war. Hinsichtlich der Verletzung von Art. 2 AMRK differenzierte der IAGMR: Vor dem Jahr 2004 habe auch eine Verletzung von Art. 2 AMRK vorgelegen, da die Rechte indigener Gemeinschaften nicht effektiv geregelt gewesen seien. Im Jahr 2004 sei sodann ein Gesetz zur Regelung der Beteiligung indigener Gemeinschaften verabschiedet worden, das aber im konkreten Fall nicht angewandt worden war, weswegen der Gerichtshof es ablehnte, über dessen Vereinbarkeit mit Art. 2 AMRK zu befinden und folglich auch die Anordnung gesetzlicher Reformen ablehnte, IAGMR, Case of the Community Garifuna Triunfo de la Cruz & its members v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 305, Rn. 199. 483 IAGMR, Case of Alvarado Espinoza et al. v. México. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2018, Series C No. 370, Rn. 315, Rn. 321; IAGMR, Case of I.V. v. Bolivia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 329, Rn. 340 (hier ordnete der IAGMR gleichwohl eine Informationskampagne über die neue Rechtslage an); IAGMR, Case of López Lone et al. v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 10. 2015, Series C No. 302, Rn. 307; IAGMR, Case of the Kuna Indigenous People of Madungandí and the Emberá Indigenous People of Bayano and their members v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 10. 2014, Series C No. 284, Rn. 223. 484 IAGMR, Case of Liakat Ali Alibux v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 01. 2014, Series C No. 276, Rn. 150. 485 Vgl. etwa IAGMR, Case of Torres Millacura et al. v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 08. 2011, Series C No. 229, Rn. 178; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 281 ff.; anders jedoch IAGMR, Case of Gorigoitía v. Argentina. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2019, Series C No. 382, Rn. 72, da die Rechtslage trotz geänderter Gesetze im Kern unverändert geblieben war.
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Anordnungen schon als Konsequenz daraus, dass die Vereinbarkeit dieser neuen Rechtslage mangels „Ursachenzusammenhangs“ mit dem vorgelegten Fall nicht im Rahmen der Merits überprüft werden konnte. Dieses enge Verständnis der Zulässigkeit der Anordnung von legislativen Reformen ist zwar letztlich Ausdruck der Beschränkungen des Streitgegenstands einer Beschwerde, doch lässt sich zur Sicherung der Effektivität der streitigen Gerichtsbarkeit des IAGMR durchaus begründen, dass der IAGMR in derartigen Fällen auch die Reformgesetzgebung einer Überprüfung unterziehen und hierauf bezogene strukturelle Anordnungen treffen kann.486 Auch hinsichtlich der Anordnung von institutionellen Reformen gilt, dass der vorgelegte Fall nicht nur für strukturelle Probleme zum Zeitpunkt des Einzelfalls stehen muss, sondern auch, dass dieser defizitäre Zustand bis zum Urteil des IAGMR noch fortbesteht, der Staat also zwischenzeitlich keine oder zumindest nur offensichtlich unzureichenden Maßnahmen ergriffen hat, um dem Problem abzuhelfen. In diesem Sinne lehnte der Gerichtshof in einigen Fällen die Anordnung von guarantees of non-repetition ab, wenn der Staat nachweisen konnte, dass dem strukturellen Problem zwischenzeitlich tatsächlich abgeholfen oder zumindest hierfür geeignete Maßnahmen ergriffen worden waren.487 Ein Beispiel hierfür ist etwa das Urteil in Gonzales Lluy et al. v. Ecuador: Der Fall betraf die Verantwortlichkeit Ecuadors für die im Jahr 1998 erfolgte HIV-Infektion der damals minderjährigen Talía Gabriela Gonzales Lluy in einer vom ecuadorianischen Roten Kreuz betriebenen Blutbank und den späteren Ausschluss des Mädchens von einer staatlichen Schule aufgrund der Infektion. Der Gerichtshof stellte im Jahr 2015 aufgrund der damals mangelhaften staatlichen Aufsicht über die betreffende Blutbank eine Verletzung der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 4 und 5 Abs. 1 AMRK i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK) und aufgrund des diskriminierenden und unverhältnismäßigen Ausschlusses von der Schule eine Verletzung des Rechts auf Bildung (Art. 13 des Zusatzprotokolls von San Salvador) fest.488 Auf der Ebene der Rechtsfolgen forderte die Kommission als guarantee of non-repetition die Anordnung von Reformen bezüglich der Aufsicht und Kontrolle sämtlicher Blutbanken in Ecuador („implementation of serious and effective mechanisms for the periodic supervision and monitoring of the functioning and record systems of both the public and the private blood banks that operate in Ecuador“). Der Gerichtshof stellte in seinem Urteil indes eine Reihe von Maßnahmen fest, die Ecuador zwischenzeitlich ergriffen hatte, um 486
Siehe hierzu S. 204 ff. IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318, Rn. 470; vgl. auch näher die Erläuterung in IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Voto razonado del Juez Ferrer Mac-Gregor Poisot, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318, Fn. 118; IAGMR, Case of the Santo Domingo Massacre v. Colombia. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 30. 11. 2012, Series C No. 259, Rn. 320. 488 IAGMR, Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298, Rn. 191, 291. 487
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Blutbanken stärker zu kontrollieren, weshalb er schloss, dass eine Anordnung von guarantees of non-repetition in dieser Hinsicht nicht mehr angezeigt sei: „the Court does not find it necessary to order a measure of reparation in this regard.“489 Ebenso lehnte es der IAGMR nach einer Übersicht über die staatlichen Maßnahmen in diesem Bereich ab, eine landesweite Kampagne zur Sensibilisierung der Bevölkerung, der Polizei und der Gerichte über die Gleichberechtigung von Menschen mit HIV-Infektion anzuordnen, da die Beschwerdeführer und die Kommission keine konkreten Unzulänglichkeiten der aktuell bestehenden Maßnahmen aufgezeigt hatten: „The Court notes that, in this case, the State violated Talía’s right to education, because she was expelled from school owing to her condition and because the State had not adapted the education system to her situation […]. However, the Court appreciates the efforts made by the State in order to guarantee non-discrimination in the educational sector. In view of the fact that the representatives did not present specific and concrete arguments on the insufficiency of these public policies, or on any problems in their implementation, the Court does not find it appropriate to order a specific reparation in this regard.“490
Bemerkt sei allerdings, dass diese Aussagen nicht dahin verstanden werden dürfen, dass der Gerichtshof die Kommission oder die Beschwerdeführer generell in der Pflicht sieht, die Unzulänglichkeit zwischenzeitlich ergriffener Reformmaßnahmen darzulegen. Vielmehr lassen sich der Praxis des IAGMR auch einige Fälle entnehmen, in denen der Gerichtshof aufgrund eigener Nachforschungen festgestellt hat, dass einem identifizierten strukturellen Problem des Menschenrechtsschutzes noch nicht abgeholfen worden ist, etwa mit Verweis auf die Anhörung eines Sachverständigen oder auf gerichtsbekannte Tatsachen.491 Eine eindeutige Verteilung der Darlegungslasten hinsichtlich des Nachweises des Andauerns eines strukturellen Problems besteht in der Praxis des IAGMR daher nicht.
D. Weitere Entscheidungskriterien im Einzelfall Die Verursachung von immateriellen Schäden bei den Opfern der vorgelegten Beschwerde sowie das Bestehen andauernder struktureller Defizite beim Men489
Ibid., Rn. 387. Ibid., Rn. 395. 491 Vgl. etwa IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359, Rn. 224, betreffend die Anordnung umfangreicher Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Menschen mit HIV-Infektion. Der Gerichtshof ging hier nicht näher auf die Darlegung Guatemalas ein, dass zwischenzeitlich umfangreiche Schutzmaßnahmen ergriffen worden seien und verwies lediglich auf die eingegangenen Verpflichtungen Guatemalas nach der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung; vgl. auch IAGMR, Case of Azul Rojas Marín et al. v. Peru, Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 03. 2020, Series C No. 402; IAGMR, Case of the Barrios Family v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2011, Series C No. 237, Rn. 340. 490
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schenrechtsschutz im verurteilten Staat stellt in der Praxis des IAGMR schließlich, zumindest in manchen Fällen, nicht die allein hinreichende Voraussetzung für die Anordnung von guarantees of non-repetition dar. Die Praxis ist uneinheitlich und intransparent. Während der Gerichtshof die Neuregelung oder Beseitigung von Gesetzen in der Regel automatisch und ohne entsprechenden Antrag der Parteien nach der Feststellung einer fortdauernd konventionswidrigen Gesetzeslage anordnet, behält er sich bei der Anordnung von Reformen von staatlichen Institutionen oder Verwaltungsverfahren, Aus- und Fortbildungsprogrammen und Sensibilisierungskampagnen darüber hinaus noch eine Ermessensentscheidung vor.492 Für die Ausübung des Ermessens lassen sich der Rechtsprechung des IAGMR nur wenige feste Kriterien entnehmen. Als maßgeblich und sich gegenseitig verstärkend erscheinen im Wesentlichen drei Punkte: die politische Opportunität von Reformanordnungen (I.), die Schwere der Rechtsverletzung (II.) und die dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen über konkrete Reformmöglichkeiten (III.).493 I. Die politische Opportunität von Reformanordnungen In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Anordnungen des IAGMR auf die Herbeiführung struktureller Reformen in einem Staat beziehen, kann der IAGMR bei seinen Anordnungen nicht als völlig frei von politischen Erwägungen angesehen werden. Tatsächlich scheint bei der Anordnung von institutionellen Reformen deren politische Opportunität eine wichtige Rolle in der Entscheidungsfindung des IAGMR zu spielen. Dabei lassen unterschiedliche politische Konstellationen die Anordnung von guarantees of non-repetition angezeigt erscheinen: Wo die grundsätzliche Bereitschaft der relevanten politischen Akteure besteht und u. U. allein technische Anweisungen seitens des IAGMR vonnöten sind, muss die Anordnung von strukturellen Reformen – und deren spätere Überwachung – für den Gerichtshof 492 Vgl. die Anordnung institutioneller Reformen oder ihre Ablehnung mit dem Hinweis auf deren „Angemessenheit“ oder „Geeignetheit“, IAGMR, Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298, Rn. 395 („the Court does not find it appropriate to order a specific reparation in this regard“); IAGMR, Case of Barreto Leiva v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 11. 2009, Series C No. 206, Rn. 134 („deems appropriate“); IAGMR, Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 04. 2009, Series C No. 196, Rn. 241 („finds it appropriate“); IAGMR, Case of Heliodoro-Portugal v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 12. 08. 2008, Series C No. 186, Rn. 259 („the Court considers it appropriate“); IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, Rn. 149 („the Court deems it appropriate“). 493 Calabria nennt als weitere Punkte die Zusammensetzung des Gerichtshofs und den Stand der Beziehungen zwischen IAGMR und dem betroffenen Staat, weist aber auch darauf hin, dass letztlich alle Konventionsstaaten bereits Adressat struktureller Anordnungen geworden sind, was gegen den selektiven Charakter der Praxis des IAGMR spreche, Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1300).
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als eine wenig ressourcenintensive und gleichzeitig erfolgversprechende Maßnahme erscheinen. Aber auch die Situation der politischen Blockade spricht nicht per se gegen die Anordnung von Reformen. Wo politische Kräfte blockiert sind, kann die gerichtliche Intervention „von außen“ gerade angezeigt sein, um die Reformagenda bestimmter Institutionen zu stärken und ihrem Anliegen zusätzliches Gewicht zu verleihen. Wie erläutert, ist gerade dieses Spiel „über Bande“ das Ziel der vor dem Gerichtshof erscheinenden NGOs. Maßgeblich zum Verständnis der Anordnungen des IAGMR ist daher immer auch der Blick durch den Staat „hindurch“ und auf die konkreten politischen Kräfteverhältnisse.494 Die vorstehenden Erwägungen über die politische Opportunität der Anordnung institutioneller Reformen spiegeln sich deutlich in der Praxis des IAGMR wider.495 Eine Vielzahl von Anordnungen des IAGMR bezieht sich auf bereits bestehende staatliche Reformvorhaben, beinhaltet deren konsequente Umsetzung oder fügt diesen allein weitere Aspekte hinzu.496 Ein Beispiel hierfür ist eine Anordnung im Fall Quispialaya Vilcapoma v. Peru, der die Folter und Misshandlung eines Rekruten in der peruanischen Armee betraf. Der Gerichtshof griff in diesem Fall auf die vom Staat dargelegten Reformmaßnahmen zurück und ordnete die konsequente Unterstützung und Finanzierung eines Mechanismus zur Folterprävention an, der bereits von peruanischen Kongress verabschiedet worden war: „El Estado debe poner en funcionamiento el Mecanismo Nacional de Prevención de la Tortura y otros Tratos o Penas Crueles, Inhumanos o Degradantes, ya aprobado por el Congreso Nacional peruano. Asimismo, el Perú deberá asegurarse que dicho mecanismo disponga de todos los recursos logísticos y científicos necesarios para recabar pruebas y documentar denuncias y, en particular, tenga facultades para acceder a la documentación e información pertinentes para investigar los hechos denunciados y llevar a cabo con prontitud 494 Dieser transnationale Ansatz erscheint auch am besten geeignet, um die Umsetzung der Anordnungen des IAGMR zu erklären, vgl. Ibid., 1286 (1304); Oscar Parra Vera, El impacto de las decisiones interamericanas. Notas sobre la producción académica y una propuesta de investigación en torno al „empoderamiento institucional“, in: Armin von Bogdandy/Héctor FixFierro/Mariela Morales Antoniazzi (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune en América Latina. Rasgos, Potencialidades y Desafíos, Mexiko-Stadt 2014, S. 383; Cavallaro/Brewer, Reevaluating Regional Human Rights Litigation in the Twenty-First Century: The Case of the InterAmerican Court, American Journal of International Law 102 (2008), 768 (788). 495 Vgl. bereits Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 374. 496 Vgl. etwa IAGMR, Case of López Soto et al. v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2018, Series C No. 362, Rn. 320 ff.; IAGMR, Case of Ramírez Escobar et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 09. 03. 2018, Series C No. 351, 408; IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 317; IAGMR, Case of Luna López v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2013, Series C No. 269, Rn. 243: „[…] in view of the fact that some of the policies referred to by the State are still pending approval, and in the interest of ensuring that such policies are implemented in an effective and permanent manner, the State must implement these in a reasonable time period, taking into account the aforementioned criteria […].“; IAGMR, Case of Vélez Restrepo and family v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 03. 09. 2012, Series C No. 248, op. Rn. 5.
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aquellas actuaciones y averiguaciones esenciales para esclarecer lo sucedido. Los miembros del Mecanismo Nacional deben contar con las debidas garantías de seguridad […].“497
Andere Urteile beziehen sich auf laufende politische Debatten und versuchen ersichtlich, bereits existierende Reforminitiativen zu stärken.498 Ein Beispiel hierfür liefert Velásquez Paiz v. Guatemala. Der Fall betraf die unzureichende staatliche Reaktion auf die Anzeige des Verschwindens der Studentin Claudina Isabel Velásquez Paiz, die kurz darauf ermordet aufgefunden worden war, sowie die von technischen Fehlern und Gender-Stereotypen geprägte Untersuchung der Tat in einem Kontext wachsender Zahlen von Frauenmorden in Guatemala. Der IAGMR ordnete hier die Schaffung eines Mechanismus oder Programms zur Suche nach entführten Frauen an, das in Zukunft eine prompte und unbürokratische Reaktion auf Vermisstenanzeigen ermöglichen solle: „[…] la Corte considera pertinente ordenar al Estado que adopte una estrategia, sistema, mecanismo o programa nacional, a través de medidas legislativas o de otro carácter, a efectos de lograr la búsqueda eficaz e inmediata de mujeres desaparecidas. Asimismo, que permita asegurar que en casos de denuncias de esta naturaleza, las autoridades correspondientes las reciban inmediatamente y sin necesidad de ninguna formalidad y, al mismo tiempo, que inicien las acciones que permitan localizar y prevenir la violación de los derechos a la vida e integridad personal de las posibles víctimas. Lo anterior, en un plazo razonable y con la respectiva disposición presupuestaria e institucional.“499
In seiner Begründung verwies der IAGMR u. a. auf entsprechende politische Initiativen auf nationaler Ebene. Hintergrund der Anordnung war ein Gesetzesvorhaben im guatemaltekischen Kongress („Iniciativa de Ley de Búsqueda Inmediata de Mujeres Desaparecidas“), das dort allerdings gescheitert war. Ausdrücklich aufgrund dieses politischen Kontexts („teniendo en cuenta que se ha identificado la necesidad de regular la búsqueda de mujeres desaparecidas en Guatemala“500) ordnete der IAGMR die Schaffung dieses Programms an und gab hierfür spezifische Inhalte vor. II. Die Schwere der Konventionsverletzungen Eine bedeutsame Rolle in der Entscheidungsfindung des IAGMR spielt daneben die Schwere der festgestellten Konventionsverletzungen. In Fällen, die massive Verletzungen der Kerngewährleistungen der Rechte auf Leben, körperliche Unversehrheit und Freiheit betreffen, scheint der Gerichtshof viel eher dazu geneigt, zum 497
IAGMR, Case of Quispialaya Vilcapoma v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2015, Series C No. 308, op. Rn. 11. 498 IAGMR, Case of García and family members v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2012, Series C No. 258, Rn. 222, op. Rn. 10: „The State must promote the approval of the bill for the creation of the National Commission for the Search for Victims of Forced Disappearance and other Forms of Disappearance […].“ 499 IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 17, Rn. 266. 500 Ibid., Rn. 266.
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Mittel der guarantees of non-repetition zu greifen als in Fällen, die weniger zentrale Gewährleistungen zum Gegenstand haben. Dies gilt etwa für die Anordnung von Aus- und Fortbildungsprogrammen für staatliche Sicherheitskräfte. Der IAGMR ordnete in sämtlichen Fällen, die massive Menschenrechtsverletzungen durch die Armee im kolumbianischen, salvadorianischen oder guatemaltekischen bewaffneten Konflikt betrafen, die Einführung von Menschenrechtskursen bei der Ausbildung von Soldaten an, selbst wenn die untersuchten Sachverhalte bereits Jahrzehnte zurücklagen und die Beschwerdeführer keine aktuellen Informationen über die Geeignetheit der aktuellen Kurse in dieser Hinsicht vorgebracht hatten.501 Regelmäßig wiederholt der Gerichtshof, dass die Aus- und Fortbildung der staatlichen Sicherheitskräfte zur Prävention ähnlicher Verletzungen notwendig sei („la Corte estima pertinente recordar que la eficacia e impacto de la implementación de los programas de educación en derechos humanos en el seno de las fuerzas de seguridad es crucial para generar garantías de no repetición de hechos como los del presente caso“502). Ebenso ordnete der IAGMR, ohne nähere Auseinandersetzung mit den existierenden Kursen, Aus- und Fortbildungsprogramme in sämtlichen Fällen von exzessiver Polizeigewalt an.503 Hingegen lehnte er etwa in Salvador Chiriboga (Verletzung von Eigentumsrechten) oder Mejía Ídrovo
501 IAGMR, Case of the Members of the village of Chichupac and neighboring communities of the Municipality of Rabinal v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 328, Rn. 312 ff.; IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Rn. 368; IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232, op. Rn. 10; IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211, op. Rn. 17; IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148, op. Rn. 21, Rn. 409; IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163, op. Rn. 12, Rn. 303; IAGMR, Case of the „Mapiripán Massacre“ v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 134, op. Rn. 13, Rn. 316. 502 IAGMR, Case of the Members of the village of Chichupac and neighboring communities of the Municipality of Rabinal v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 328, Rn. 312; IAGMR, Case of Peasant Community of Santa Barbara v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 299, Rn. 315; IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Rn. 368. 503 IAGMR, Case of the Barrios Family v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2011, Series C No. 237, Rn. 341; IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, Rn. 270; IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, op. Rn. 11; IAGMR, Case of Blanco Romero et al v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2005, Series C No. 138, op. Rn. 11; IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95, op. Rn. 4 (a).
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v. Ecuador (willkürliche Entlassung eines Soldaten aus der Armee) die Anordnung von Aus- und Fortbildungskampagnen ab.504 Ähnliche Erwägungen scheinen der Anordnung von landesweiten Aufklärungsund Sensibilisierungskampagnen zugrunde zu liegen. Diese Anordnungen ergingen bislang allein in Fällen, die besonders flagrante Verletzungen des Rechts auf Leben zum Gegenstand hatten und darüber hinaus auf diskriminierende Einstellungen und gesellschaftliche Normen hinwiesen, welche die besondere Vulnerabilität der Opfer begründet hatten. So ordnete der Gerichtshof Sensibilisierungskampagnen im Fall der Members of the village of Chichupac and neighboring communities of the Municipality of Rabinal an, der massive und systematische Menschenrechtsverletzungen an Mitgliedern einer indigenen Volksgruppe während des guatemaltekischen Bürgerkriegs in den 1980er Jahren sowie die andauernde völlige Straflosigkeit der Täter thematisierte: „La Corte dispone, como garantía de no repetición y dados los gravísimos hechos contra indígenas maya achí descritos en la presente Sentencia, y ante la posibilidad de que persistan en la sociedad actitudes y sentimientos discriminatorios, que en un plazo razonable, el Estado perfeccione y refuerce la lucha contra toda forma de discriminación y, en particular, contra la discriminación racial y étnica, fortaleciendo los organismos existentes o los que vaya a crear con ese objetivo.“505
Weitere Anordnungen dieser Art traf der Gerichtshof in Fällen von Frauenmorden506, Gewalt gegen haitianische Migranten in der Dominikanischen Republik507 und der Tötung von Straßenkindern und Mitgliedern von Jugendbanden in Honduras508. Hingegen lehnte der Gerichtshof einen in diese Richtung weisenden Antrag der Kommission im Fall Atala Riffo ab, der die sexuelle Diskriminierung des Opfers in einem Sorgerechtstreit betraf.509
504
IAGMR, Case of Mejía Idrovo v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 05. 07. 2011, Series C No. 228, Rn. 144; IAGMR, Case of Salvador-Chiriboga v. Ecuador. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 03. 2011, Series C No. 222, Rn. 131. 505 IAGMR, Case of the Members of the village of Chichupac and neighboring communities of the Municipality of Rabinal v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 328, Rn. 320. Hervorhebung hinzugefügt. 506 IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, op. Rn. 23, Rn. 543; IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, Rn. 248. 507 IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, op. Rn. 8. 508 IAGMR, Case of Servellón García et al. v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 09. 2006, Series C No. 152, op. Rn. 13. 509 IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 273.
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III. Der Informationsstand des Gerichtshofs Maßgeblich erscheint schließlich der Kenntnisstand des IAGMR über die Wurzeln der Verletzung im Einzelfall sowie über konkrete Möglichkeiten der Reform.510 Dabei ist an dieser Stelle noch einmal hervorzuheben, dass der IAGMR seine Anordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK nicht zwingend an entsprechende Anträge und Darlegungen der Verfahrensparteien gebunden sieht. Regelmäßig ordnet der Gerichtshof Aus- und Fortbildungskampagnen oder institutionelle Reformen an, ohne dass die Inter-Amerikanische Kommission oder die Beschwerdeführer eine entsprechende Maßnahme überhaupt gefordert hätten.511 Jedoch kann die Vorlage aktueller und umfassender Informationen als ein Faktor angesehen werden, der die Anordnung struktureller Reformen durch den IAGMR wahrscheinlicher macht.512 In Fällen, in denen der betreffende Staat selbst die Notwendigkeit von Reformen vor dem IAGMR einstand und konkrete Reformprojekte benennen konnte, ordnete der Gerichtshof zudem beinahe immer die Umsetzung eben dieser Maßnahmen an, zumal in diesen Fällen auch die politische Opportunität für die Anordnungen sprach (siehe oben I.). Ebenso stützte sich der IAGMR bei einer Reihe von Anordnungen von institutionellen Reformen auf Vorschläge von Sachverständigen, die in der mündlichen Verhandlung zu einem bestimmten Thema angehört worden waren.513 510 Siehe in diesem Sinne auch Neumann, Bi-Level Remedies for Human Rights Violations, Harvard Journal of International Law 55 (2014), 323 (331): „The need for additional information and the need to consider the interests of third parties may be magnified if the tribunal shifts its attention from a remedy benefitting the particular victim to a systemic reform of the laws or institutions that brought about the violation.“ 511 So ordnete der IAGMR in González et al. etwa ein Menschenrechtsbildungs- und Sensibilisierungsprogramm für die Bewohner des Staates Chihuahua an, ohne dass entsprechende Maßnahmen von den Parteien beantragt worden waren, IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, op. Rn. 23, Rn. 543; die Praxis ist allerdings uneinheitlich, in manchen Fällen lehnte der IAGMR die Anordnung von Reformen ab, da sie nicht zum richtigen Verfahrenszeitpunkt beantragt worden waren, IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 298; Guarnizo Peralta, Guarantees of Non-repetition and the Right to Health: Review of the Law and Evolving Practice of Judicial and Semi-judicial Bodies at Global and Regional Levels, 2016, S. 181. 512 Vgl. IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349, Rn. 236: „En vista de los hechos y violaciones acreditadas; a la luz de la información remitida, la Corte estima pertinente dictar las siguientes medidas como garantías de no repetición […].“ Hervorhebung hinzugefügt; vgl. auch Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1299). 513 Vgl. die Verweise auf die Sachverständigen in IAGMR, Case of Azul Rojas Marín et al. v. Peru, Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 03. 2020, Series C No. 402, Rn. 241; IAGMR, Case of Ramírez Escobar et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 09. 03. 2018, Series C No. 351, Rn. 405; IAGMR, Case of the Barrios Family v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2011, Series C No. 237, Rn. 340; IAGMR, Case of Anzualdo-Castro v. Peru. Preliminary Objection, Merits, Reparations and
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Hingegen lehnte der Gerichtshof oftmals die Anordnung von guarantees of nonrepetition ab, wenn er die von der Kommission oder den Beschwerdeführern vorgelegten Informationen über die Notwendigkeit bestimmter Reformprojekte als zu unbestimmt ansah oder seiner Ansicht nach nicht ausreichend deutlich wurde, weshalb die vom Staat vorgebrachten Maßnahmen nicht zur Behebung des strukturellen Problems genügten.514 Ein Beispiel hierfür findet sich in González et al. v. Mexico: Kommission und Vertreter hatten den Gerichtshof hier aufgefordert, ein umfassendes Reformprogramm zur Verhinderung und Verfolgung von Gewalthandlungen gegen Frauen anzuordnen („[to] order the State to adopt an integral and coordinated policy, backed with sufficient resources, to guarantee that cases of violence against women are adequately prevented, investigated and punished, and that their victims receive reparations“515). Der Gerichtshof führte daraufhin die von Mexiko genannten Programme und Institutionen auf, die seit dem Jahr 2001 im Kontext der Frauenmorde in Ciudad Juárez geschaffen worden waren und stellte fest, dass die Vertreter und die Kommission den Gerichtshof nicht mit „sufficient arguments“ ausgestattet hatten, um die unzureichende Natur der staatlichen Reaktion zu begründen.516 Er lehnte es deshalb ab, derart weitreichende präventive Anordnungen zu treffen, und führte aus, dass die Vertreter der Opfer und die Kommission ihre Forderungen umfassend begründen müssten. Die Begründungspflicht sei bei derart umfassenden und allgemein gehaltenen Forderungen wie den Vorstehenden nicht erfüllt worden („not fulfilled by general requests with no factual or legal arguments or evidence that would allow the Tribunal to examine their purpose, reasonableness, and scope“517). Ferner verfüge der Gerichtshof selbst nicht über die relevanten Informationen, um die staatlichen Maßnahmen zu evaluieren.518 costs, Urt. v. 22. 09. 2009, Series C No. 202, Rn. 188; IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108, Rn. 90. 514 IAGMR, Case of Dismissed Employees of Petroperú et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2017, Series C No. 344, Rn. 232; IAGMR, Case of Chinchilla Sandoval et al v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 02. 2016, Series C No. 312, Rn. 286; IAGMR, Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298, Rn. 395. 515 IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, Rn. 474. 516 Ibid., Rn. 493. 517 Ibid. 518 Ibid. Ähnlich lehnte der IAGMR in Veliz Franco die allgemein gehaltene Forderung ab, ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Prävention und Verfolgung geschlechtsbezogener Gewalt anzuordnen. Mangels umfassender und aktueller Informationen könne der Gerichtshof nicht die Defizite der bislang getroffenen Maßnahmen untersuchen: „[…] the Court does not have sufficient and recent information to be able to assess the possible insufficiency of the said laws, institutions and policies. In particular, the Court is unable to rule on the existence of a comprehensive policy to overcome the situation of violence against women, discrimination and impunity, without information on the possible structural deficiencies of these policies, the potential problems in their implementation and, where applicable, their results on the effective enjoyment of rights by the victims of such violence.“ Aus diesen Grund sei er auch nicht zur
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Dabei bleibt es gleichwohl unklar, welcher Grad an Sicherheit auf Seiten des IAGMR vonnöten ist, um die Existenz eines strukturellen Defizits zu bejahen und Anträgen auf bestimmte Reformen zu entsprechen bzw. solche Anordnungen aus eigenem Antrieb zu treffen. So legten die Kommission und Beschwerdeführer im Fall der Barrios Family v. Venezuela detaillierte Statistiken der nationalen Ombudsperson bezüglich der Polizeigewalt in Venezuela vor, die der Gerichtshof jedoch als unzureichend zurückwies.519 Gleichwohl erkannte er in Uzcátegui und im Fall der Landaeta Mejías Brothers et al. v. Venezuela auf Grundlage ähnlicher Informationen die Existenz eines strukturellen Defizits an.520
§ 3 Die Bestimmtheit und die Konkretisierung der guarantees of non-repetition Der IAGMR ordnet im Urteilstenor mitunter nicht allein die bloße Reform dieses oder jenen Gesetzes oder bestimmter staatlicher Institutionen an, sondern schreibt die zu treffenden Maßnahmen im Einzelfall auch detailliert vor. Auf diese Weise verengt sich der Umsetzungsspielraum der betroffenen Staaten. Gleichzeitig erweitern sich die Möglichkeiten des IAGMR, die effektive Umsetzung der Reformen zu kontrollieren (siehe dazu § 4). Eine Analyse der Praxis zeigt darüber hinaus die verschiedenen Wege auf, die der IAGMR zur Konkretisierung seiner strukturellen Anordnungen nutzt: den Verweis auf den Gewährleistungsgehalt des verletzten Rechts, Einzelhinweise zur Umsetzung auf Ebene des Rechtsfolgenausspruchs und schließlich die Anordnung ganz konkreter Reformvorhaben, welche den Umsetzungsspielraum des betroffenen Staates gänzlich reduzieren.
Anordnung umfassender guarantees of non-repetition in der Lage: „[…] this lack of information on the different measures adopted by the State prevents the Court from ruling on the need for different or supplementary norms, actions or public policies in order to ensure the nonrepetition of the facts of this case.“ IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, Rn. 265 f. 519 IAGMR, Case of the Barrios Family v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2011, Series C No. 237, Rn. 43 f. 520 IAGMR, Case of Landaeta Mejías Brothers et al. v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 2014, Series C No. 281, Rn. 55; IAGMR, Case of Uzcátegui et al. v. Venezuela. Merits and reparations, Urt. v. 03. 09. 2012, Series C No. 249, Rn. 35; Guarnizo Peralta, Guarantees of Non-repetition and the Right to Health: Review of the Law and Evolving Practice of Judicial and Semi-judicial Bodies at Global and Regional Levels, 2016, S. 192.
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A. Bestimmtheit der guarantees of non-repetition Der Detailgrad der Anordnungen des IAGMR ist in der Regel eher niedrig. Dem verurteilten Staat bleiben grundsätzlich weite Entscheidungsspielräume, wie etwa die Beseitigung oder Neuregelung eines Gesetzes, institutionelle Reformen oder Aus- und Fortbildungskampagnen umgesetzt werden sollen. Insoweit spiegelt sich hier die Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit Art. 2 AMRK wider: Diese Norm enthält eine Ergebnisverpflichtung, überlässt aber den Staaten, abhängig von den jeweiligen Umständen vor Ort, grundsätzlich den Weg der Umsetzung.521 Der Gerichtshof gibt dementsprechend hinsichtlich der Anpassung der Rechtslage oftmals allein das Ziel der zu ergreifenden Reformen vor, um die Verpflichtung aus Art. 2 AMRK zu erfüllen, präzisiert aber nicht näher, welche spezifischen Maßnahmen der verurteilte Staat zu ergreifen hat oder welche staatlichen Stellen hierzu tätig werden müssen.522 Beispielhaft ist etwa das Vorgehen im Fall der Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Wie bereits erläutert, stellte der IAGMR in diesem Fall fest, dass die unterlassene Beteiligung der indigenen Gemeinschaft bei dem Ressourcenprojekt in Sarayaku u. a. auf einer unzureichenden einfachgesetzlichen Rechtslage beruht hatte (Verletzung von Art. 2 AMRK). Zwar sah die ecuadorianische Verfassung von 2008 das Konsultationsrecht indigener Völker vor, doch bestanden keine einfachgesetzlichen Regelungen und Verfahren zur Umsetzung und Ausgestaltung dieser Verpflichtung.523 Auf Ebene der Rechtsfolgen ordnete der IAGMR in allgemeinen Worten Maßnahmen zur Schaffung eines Konsultationsmechanismus für indigene Gemeinschaften in Umsetzung des Verfassungsauftrags an: „Regarding domestic laws that recognize the right to prior, free and informed consultation, the Court has already observed that, in the evolution of the international corpus juris, the 2008 Ecuadorian Constitution is one of the most advanced in the world in this area. However, the Court has also noted that the right to prior consultation has not been sufficiently and adequately regulated through appropriate norms for its practical implementation. Thus, under Article 2 of the American Convention, the State must adopt, within a reasonable time, any legislative, administrative or other type of measures that may be necessary to implement 521 IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 172: „Certainly, Article 2 of the Convention fails to define which measures are appropriate to adjust the domestic law to it; obviously, this is so because it depends on the nature of the rule requiring adjustment and the circumstances of each specific case.“ Siehe dazu unten S. 272 ff. 522 Vgl. IAGMR, Case of Maldonado Ordóñez v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 05. 2016, Series C No. 311, Rn. 133; IAGMR, Case of Gonzalez Medina and family v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2012, Series C No. 240, Rn. 306; IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73, Rn. 103 (4); Adelina Loianno, Evolución de la doctrina de la Corte Interamericana de Derechos Humanos en materia de reparaciones, Revista iberoamericana de derecho procesal constitucional (2007), 389 (394). 523 Ibid., Rn. 222, 227.
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effectively the right to prior consultation of the indigenous and tribal peoples and communities, and amend those measures that prevent its full and free exercise and, to this end, the State must ensure the participation of the communities themselves.“524
Die Art und Weise, wie das Recht auf Konsultation umgesetzt werden sollte, durch gesetzliche, administrative oder andere Art und Weise überließ der IAGMR dem verurteilten Staat, der, neben der notwendigen Beteiligung der indigenen Gemeinschaften, primär auf einen Erfolg verpflichtet wurde: die effektive Gewährleistung des Konsultationsrechts. Auch der Detailgrad der Anordnungen auf administrativ-institutioneller Ebene fällt in der Regel eher gering aus. In vielen Urteilen hat der Gerichtshof allein den Bereich der zu treffenden Reformen identifiziert. So ordnete der Gerichtshof bei der Anordnung von Verbesserungen der Gefängnisbedingungen oftmals allein an, dass der verurteilte Staat verpflichtet sei, „to bring its prison conditions into compliance with the relevant international human rights norms on the matter“525, ohne die hierfür notwendigen Maßnahmen näher zu bestimmen. Im Fall Granier et al. (Radio Caracas Television) v. Venezuela, der die Verweigerung der Neukonzessionierung eines regierungskritischen Fernsehsenders betraf (Verletzung der Meinungsfreiheit, Art. 13 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK)526, ordnete der IAGMR auf Ebene der Rechtsfolgen in allgemeinen Worten die Reform der Vergabe der Rundfunklizenzen an, die insbesondere in transparenter Art und Weise zu verfolgen habe, machte aber sonst keine weiteren Vorgaben zum Inhalt der Reformen: „El Estado debe tomar las medidas necesarias a fin de garantizar que todos los futuros procesos de asignación y renovación de frecuencias de radio y televisión que se lleven a cabo, sean conducidos de manera abierta, independiente y transparente […].“527
Inhaltlich weitgehend offen sind auch die Anordnungen zur Aus- und Fortbildung von Staatsbeamten, in denen der Gerichtshof grundsätzlich nur die Gruppe der 524
Ibid., op. Rn. 4, Rn. 301. Hervorhebung hinzugefügt. IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, Rn. 217, op. Rn. 14; IAGMR, Case of Lori Berenson Mejía v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2004, Series C No. 119, Rn. 241, op. Rn. 4; vgl. hingegen aber auch IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, Rn. 146, op. Rn. 10; IAGMR, Case of Yvon Neptune v. Haiti. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 05. 2008, Series C No. 180, Rn. 136. 526 Der IAGMR verwies zudem auf einen Kontext von Einschüchterungen und Übergriffen auf private Medien nach dem Putschversuch gegen Hugo Chávez im Jahr 2002, IAGMR, Case of Granier et al. (Radio Caracas Television) v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), Urt. v. 22. 06. 2015, Series C No. 293, Rn. 61. 527 Ibid., op. Rn. 18. Im Urteil gab der Gerichtshof nur wenige weitere Hinweise zur Umsetzung dieser Reform: „[…] Todos estos procesos deberán conducirse sin que existan criterios discriminatorios que busquen limitar el otorgamiento de concesiones, y deberán estar encaminados a fortalecer el pluralismo informativo y el respeto a las garantías judiciales.“ ibid., Rn. 394. 525
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Beamten und die Themen der durchzuführenden Programme bestimmt, daneben aber offen lässt, in welchem Umfang, Zeitraum und mit welchen konkreten Inhalten die Kurse stattzufinden haben und wie der Erfolg der Maßnahmen ggf. zu evaluieren ist.528
B. Konkretisierung der guarantees of non-repetition durch den IAGMR Die Konkretisierung struktureller Anordnungen stellt sich für internationale Menschenrechtsgerichtshöfe in der Regel als ein Abwägungsvorgang dar. Eher allgemein gefasste Anordnungen lassen dem verurteilten Staat zwar die nötige Flexibilität, die geeignete Form der Umsetzung im innerstaatlichen Rechtsraum zu finden, doch laufen sie Gefahr, als bloße Handlungsaufrufe ohne konkrete juristische oder praktische Relevanz zu enden. Zu allgemein gefasste Anordnungen können zudem zu Unsicherheiten und Streit darüber führen, welche konkreten Schritte vom Staat verlangt sind, um dem festgestellten strukturellen Problem abzuhelfen. Dies zeigt sich etwa, wenn der verurteilte Staat in der Phase der Urteilsüberwachung versucht, Maßnahmen als Umsetzung des Urteils zu präsentieren, die dem Sinn der ausgesprochenen Anordnung nicht entsprechen. Umgekehrt stellt sich für internationale Gerichte das Problem des mangelnden Wissens um die konkreten Umstände und Möglichkeiten von Reformvorhaben im betreffenden Staat, sodass dem Detailgrad struktureller Anordnungen von vorneherein Grenzen gesetzt sind.529 Der richtige Detailgrad der guarantees of non-repetition ist auch vor dem IAGMR ein ambivalentes Thema und der Gerichtshof hat verschiedene Wege eingeschlagen, um die vom Staat geforderten strukturellen Reformen näher zu bestimmen. Er verweist hierfür etwa auf den Schutzbereich des verletzten Konventionsrechts, was bereits bestehende Verpflichtungen letztlich nur explizit macht (I.), ferner gibt er in seinem Urteil mitunter auf Grundlage von Sachverständigeninformationen nähere Hinweise zu Umsetzung (II.). Teilweise ordnet der IAGMR aber auch ganz bestimmte Maßnahmen zur Urteilsumsetzung an, bei denen sich der Umsetzungs528 Vgl. etwa IAGMR, Case of Flor Freire v. Ecuador. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2016, Series C No. 315, op. Rn. 13; IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309, op. Rn. 17; IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 16; IAGMR, Case of Fornerón and Daughter v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 242, op. Rn. 5. 529 Jeffrey K. Staton/Alexia Romero, Clarity and Compliance in the Inter-American Human Rights System, Conference Paper, International Political Science Association, São Paulo 2011, S. 6 ff.; Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 379, 381 ff.; Neumann, Bi-Level Remedies for Human Rights Violations, Harvard Journal of International Law 55 (2014), 323 (348), der auf die Gefahren zu großer Bestimmtheit von Anordnungen hinweist.
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spielraum des Staates gänzlich reduziert (III.). Ein einheitliches Vorgehen bei der inhaltlichen Bestimmung der guarantees of non-repetition existiert in der Praxis des IAGMR deshalb nicht, wenngleich die an das Urteil anschließende Phase der Urteilsüberwachung (siehe dazu § 4) dem Gerichtshof noch einmal Gelegenheit gibt, auf die in seinen Augen notwendigen Schritte hinzuweisen. I. Inhaltsbestimmung durch Verweis auf den Schutzbereich des verletzten Rechts In der Regel verweist der IAGMR für die Inhalte seiner strukturellen Anordnungen auf den Gewährleistungsgehalt jener Konventionsrechte, welche durch die zu treffenden Maßnahmen effektiver gewährleistet werden sollen. Beispielhaft für dieses Vorgehen im Rahmen der Anordnung von legislativen Reformen sind etwa eine Reihe von Urteilen gegenüber Mexiko, welche die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für Straftaten aktiver Soldaten thematisierten, allen voran das Urteil in Radilla Pacheco v. Mexico.530 Der Fall betraf das gewaltsame Verschwindenlassen von Rosendo Radilla-Pacheco durch das mexikanische Militär im Staat Guerrero im Jahr 1974 und die seither andauernde Straflosigkeit der Täter. Der Gerichtshof stellte aufgrund der unterbliebenen Aufklärung und Strafverfolgung der Täter Verletzungen der Angehörigen in ihren Rechten aus Art. 5, 8 und 25 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 AMRK fest.531 Darüber hinaus untersuchte er die in Art. 57 der mexikanischen Militärgerichtsordnung geregelte Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für „crimes against military discipline“, welche sämtliche Straftaten nach Bundesstrafrecht beinhalteten. Der Gerichtshof stellte fest, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit jenseits eines Kernbereichs militärspezifischer Vergehen mit den Rechten der Opfer auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar sei und gegen Art. 8, 25 i.V.m. Art. 2 AMRK verstoße.532 Das bloße Vorhandensein von Rechtsmitteln vor ordentlichen Bundesgerichten stelle keine ausreichende Garantie dieser Rechte dar.533 Im Urteilstenor ordnete er die Reform der betreffenden Regel an, wobei er hinsichtlich des Inhalts dieser Reformen auf seine Ausführungen im Rahmen der Merits zur Unvereinbarkeit der Militärgerichtsbarkeit mit Art. 8, 25 i.V.m. Art. 2 AMRK verwies: 530 Siehe ferner IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, Kap. IX des Urteils; IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215, Kap. IX; dazu Eric Tardiff, The Radilla Pacheco v. Mexico Case: A Paradigmatical Shift Towards Conventionality Control in Mexico, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The InterAmerican Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 677. 531 IAGMR, Case of Radilla Pacheco v. Mexico. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2009, Series C No. 209, Rn. 392 (4), (5). 532 Ibid., Rn. 275, 289. 533 Ibid., Rn. 281.
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„Therefore, the State shall adopt, within a reasonable period of time, the appropriate legislative reforms in order to make the mentioned provision compatible with the international standards of the field and of the Convention, pursuant with paragraphs 272 through 277 of this Judgment.“534
Der inhaltliche Maßstab der angeordneten Reform war so der Schutzbereich des verletzten Rechts, wie ihn der IAGMR im Rahmen der Merits des Urteils selbst näher präzisiert hatte.535 An dieser Stelle zeigt sich erneut der Zusammenhang der guarantees of non-repetition mit dem Gewährleistungsgehalt des verletzen Rechts und Art. 2 AMRK: Der Gerichtshof erschafft durch die guarantees of non-repetition in der Regel keine neuen Verpflichtungen, sondern bekräftigt allein das, wozu der verurteilte Staat zuvor bereits verpflichtet war. Der Verweis auf den Gewährleistungsgehalt des verletzten Rechts verringert in diesem Sinne auch nicht den Umsetzungsspielraum des betroffenen Staates, da die Staaten bei Reformvorhaben immer an die Konventionsrechte gebunden sind. Die Anordnung durch den IAGMR bedeutet für die Opfer der Rechtsverletzung jedoch eine Form der Genugtuung und erlaubt dem Gerichtshof, die Umsetzung der Verpflichtungen nun näher zu überwachen. Der inhaltliche Maßstab der guarantees of non-repetition entspricht insoweit auch im Rahmen von administrativ-institutionellen Anordnungen oftmals genau dem, was der verurteilte Staat nach Auffassung des IAGMR bereits auf Grund der AMRK hätte umsetzen müssen. Beispielhaft kann hierfür das Urteil in Espinoza González v. Peru angeführt werden. Der Fall betraf die sexuelle Misshandlung und Folter des Opfers Gladys Carol Espinoza González als Gefangene peruanischer Anti-Terrorinstitutionen im peruanischen bewaffneten Konflikt in den 1990er Jahren sowie die bis zum Zeitpunkt des IAGMR-Urteils nur unzureichende Untersuchung dieser Tatsachen. Der Gerichtshof stellte Verletzungen von Art. 8 und 25 i.V.m. Art. 1 AMRK, von Art. 1, 6 und 8 der Inter-Amerikanischen Anti-Folterkonvention sowie von Art. 7 lit. b CdBP fest, wobei er die in seiner Rechtsprechung entwickelten Standards für die Untersuchung und Strafverfolgung sexueller Gewalt wiederholte. Auf Ebene der Rechtsfolgen ordnete er, wegen der paradigmatischen Natur der vorgelegten Beschwerde536, die Schaffung entsprechender Protokolle und Handlungsanweisungen 534
Ibid., Rn. 342, op. Rn. 10. Ähnlich das Vorgehen in IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 329; IAGMR, Case of Tenorio Roca et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 06. 2016, Series C No. 314, Rn. 303 f.; IAGMR, Case of Norín Catrimán et al. (Leaders, members and activist of the Mapuche Indigenous People) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 05. 2014, Series C No. 279, op. Rn. 20. 536 Der Gerichtshof stellte die strukturelle Natur der festgestellten Konventionsverletzungen fest, mit Relevanz für die Anordnung der guarantees of non-repetition: „This context permits the Court to analyze the facts alleged in this case taking into account the existence of a generalized and systematic practice of torture and sexual violence against women in Peru, rather than in an isolated manner, in order to understand the evidence and establish the facts. Likewise, this context will be taken into account, when appropriate, to establish measures of reparation, 535
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für Strafverfolgungsbeamte in Peru an und verwies zu deren inhaltlicher Bestimmung auf die Ebene der Merits, in der er den Gewährleistungsgehalt der o.g. Normen näher präzisiert hatte: „Peruvian investigation protocols should include the standards established in this Judgment. Consequently, the Court orders the State of Peru, within a reasonable time, to draw up investigation protocols to ensure that cases of torture, rape and other forms of sexual violence are duly investigated and prosecuted pursuant to the standards indicated in paragraphs 248, 249, 251, 252, 255 and 256 of this Judgment, which relate to the collection of evidence in cases of torture and sexual violence and, in particular, to the reception of statements, and the execution of medical and psychological assessments.“537
Der inhaltliche Maßstab der guarantees of non-repetition war so der Inhalt des verletzten Rechts. Insoweit erklärt sich die inhaltliche Bestimmtheit der Rechtsfolgenanordnungen des IAGMR aus der Bestimmtheit der Pflichten auf der Primärebene. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Anordnung von Aus- und Fortbildungsprogrammen für Staatsbeamte. Der Inhalt der durchzuführenden Aus- und Fortbildungsprogramme orientiert sich in der Regel an der Rechtsprechung des IAGMR zum Gewährleistungsgehalt des verletzten Rechts. So ordnet der Gerichtshof bei der Verletzung der Standards zum Schusswaffengebrauch staatlicher Sicherheitskräfte regelmäßig die Schaffung von Ausbildungsprogrammen an, welche die positiven Verpflichtungen der Staaten zum Schutz der Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 4 und 5 AMRK) zu thematisieren haben.538 Wie bei den legislativen und institutionell-administrativen Reformen erklärt der Gerichtshof so auch hier die eigene Rechtsprechung auf Ebene der Rechtsfolgen erneut für verbindlich und ermöglicht sich selbst, die Umsetzung dieser Verpflichtungen durch den verurteilten Staat näher zu überwachen. Da der Gerichtshof bei der Bestimmung der postiven Verpflichtungen unter der AMRK häufig auf soft-law-Standards zurückgreift,539 werden letztlich diese Standards als Gegenstand der Ausbildung von Staatsbeamten angeordnet.
specifically with regard to guarantees of non-repetition. […].“ IAGMR, Case of Espinoza Gonzáles v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2014, Series C No. 289, Rn. 68. 537 Ibid., op. Rn. 13, Rn. 322. 538 IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, Rn. 269 f.; IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, op. Rn. 11, Rn. 147. 539 Der IAGMR rezipiert zur Auslegung der Konventionsrechte häufig Regeln und Standards, die nicht Teil des Inter-Amerikanischen Systems und nicht unmittelbar verbindlich für die Vertragsstaaten sind, siehe hierzu S. 286 ff.
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II. Einzelhinweise zur Umsetzung der Anordnungen Eine etwas engere Führung des verurteilten Staats ergibt sich bei Anordnungen, zu deren Umsetzung der Gerichtshof nähere Hinweise gibt, die über den Gewährleistungsgehalt des verletzten Rechts hinausgehen. Für die Anordnung legislativer Reformen ist hier etwa das Urteil im Fall der Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic beispielhaft. Der Fall betraf die Festnahme und kollektive Ausweisung von fünf Familien haitianischer Abstammung in einem Kontext massenhafter kollektiver Ausweisungen und der Vorenthaltung von Geburtsurkunden gegenüber Kindern haitianischer Einwanderer durch staatliche Behörden der Dominikanischen Republik.540 Der Gerichtshof fasste den Kontext wie folgt zusammen: „[T]he Court observes that, at the time of the events of this case, a situation existed in the Dominican Republic in which Haitians and persons born in Dominican territory of Haitian descent, who were usually undocumented and living in poverty, frequently suffered abuse or discrimination, including from the authorities, which exacerbated their situation of vulnerability. This was also linked to the difficulty of the members of the Haitian population or those of Haitian descent to obtain personal identification documents. The Court also notes the existence in the Dominican Republic at the time of the events of this case, during the 1990s, of a systematic pattern of expulsions of Haitians and persons of Haitian descent, including through collective actions or procedures that did not involve an individualized analysis, that were based on a discriminatory concept.“541
Der IAGMR untersuchte die Vorenthaltung von Ausweispapieren gegenüber drei Kindern, die in der Dominikanischen Republik geboren worden waren, und setzte sich dabei mit der diskriminierenden Rechtslage542 in der Dominikanischen Republik 540 Die Entwicklungen in der dominikanischen Republik sind Teil eines komplexen „Ausschlussregimes“, durch das die Einwanderung aus dem benachbarten Krisenstaat eingedämmt werden sollte. Haitianer wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts zwar als Arbeitskräfte („braceros“) angeworben, ihr aufenthaltsrechtlicher Status wurde nach den geltenden Einwanderungsgesetzen und Anwerbeabkommen aber als vorübergehend definiert und an einen konkreten Arbeitsplatz geknüpft. Gleichwohl entwickelten sich die Unterbringungen der Arbeiter im Verlauf der Jahre zu dauerhaften Siedlungen, in denen mehrere Generationen von Familien aus Haiti sesshaft wurden. Der aufenthaltsrechtliche Status der haitianischen Migranten blieb dabei weiterhin prekär. In Massenabschiebungen seit den 1990er Jahren wurden mehrere zehntausend Haitianer und Menschen haitianischer Abstammung ohne Möglichkeiten des Rechtsschutzes „repatriiert“, IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, Rn. 155 ff.; Tobias Schwarz, Staatliche Definition nationaler Zugehörigkeit und ausschließende Verwaltungspraxis in der Dominikanischen Republik, in: Jens Adam/Asta Vonderau (Hrsg.), Formationen des Politischen: Anthropologie politischer Felder, Bielefeld 2014, S. 123. 541 IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, Rn. 171. 542 Die auf Abgrenzung und Ausschluss zielende aufenthaltsrechtliche Situation haitianischer Migranten setzte sich im Staatsangehörigkeitsrecht fort: Zwar enthielten sämtliche Verfassungen der Dominikanischen Republik das Prinzip des jus soli, doch verweigerten die Behörden seit Ende der 1980er Jahre vielerorts die Ausstellung von Geburtsurkunden für die
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auseinander. Dabei wiederholte er seine bereits im Urteil Yean and Bosico geäußerte Rechtsansicht, dass der Migrationsstatus der Eltern keinen Einfluss auf das in der Dominikanischen Republik geltende jus soli haben könne. Alles andere stelle eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung mit Blick auf die Staatsangehörigkeit dar und berge ferner das Risiko massenhafter Staatenlosigkeit.543 Die Vorenthaltung der Staatsangehörigkeit verletzte die Rechte der Kinder aus Art. 20, 18 und 3 AMRK i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 AMRK.544 Die geltende Rechtslage zum Staatsangehörigkeitsrecht wertete der IAGMR als eine Verletzung dieser Rechte i.V.m. Art. 2 AMRK und ordnete die Aufhebung und Neuregelung der betreffenden Gesetze im Rahmen der guarantees of non-repetition an: „[I]n order to avoid a repetition of facts such as those of this case, the Court finds it pertinent to establish that the State must adopt, within a reasonable time, the legislative and even, if necessary, constitutional, administrative or any other type of measures required to regulate a simple and accessible procedure to register births, to ensure that all those born on its territory may be registered immediately after birth, regardless of their descent or origin, and the migratory situation of their parents.“545
Den Inhalt der notwendigen Reformen präzisierte der IAGMR dabei näher durch einen Verweis auf Ausführungen aus dem Reparations-Abschnitt aus dem Urteil der Girls Yean and Bosico v. Dominican Republic: „In this regard, paragraph 240 establishes that ,[t]his Court considers that the State, when establishing the requirements for the late registration of births, should take into account the particularly vulnerable situation of Dominican children of Haitian descent. The requirements should not represent an obstacle to obtain Dominican nationality and should be only those that are essential to establish that the birth took place in the Dominican Republic. In this regard, the identification of the father or the mother of the child should not be restricted to the presentation of the identity and electoral card, but, to this end, the State should accept any other appropriate public document, because the said identity card is exclusive to Dominican citizens. Also, the requirements must be standard and clearly established, so that the Kinder haitianischer Einwanderer. Im Jahr 2004 wurde diese zunehmend systematische Praxis durch ein neues Migrationsgesetz legalisiert. Im Jahr 2010 änderte die Dominikanische Republik ferner ihre Verfassung, wonach Kinder illegaler Migranten nicht die Staatsangehörigkeit der Dominikanischen Republik erwerben können, sodass der prekäre aufenthaltsrechtliche Status haitianischer Migranten auch an die nächste Generation weitergegeben wird. Im Jahr 2013 folgte schließlich der Höhepunkt dieser Entwicklungen mit dem Urteil des Verfassungsgerichts der Dominikanischen Republik, das rückwirkend für alle Verfassungen seit 1929 bestimmte, dass der jus soli-Grundsatz nicht für Kinder von Personen gelte, die sich in einer irregulären aufenthaltsrechtlichen Situation befanden. Die bis dahin nach dem jus soliGrundsatz erworbene Staatsbürgerschaft von mehr als 220,000 Personen mit Wurzeln in Haiti wurde hierdurch rückwirkend beseitigt, ibid., Rn. 177 ff. 543 Ibid., Rn. 297, 298; IAGMR, Case of the Girls Yean and Bosico v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 09. 2005, Series C No. 130, Rn. 174. 544 IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, Rn. 301. 545 Ibid., Rn. 470, op. Rn. 20.
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application is not subject to the discretion of State officials, thus ensuring the legal certainty of those who use this procedure, and in order to effectively ensure the rights established in the American Convention, pursuant to Article 1(1) of the Convention.‘“546
Der IAGMR präzisierte den Inhalt der nötigen Reformen also nicht allein durch Verweis auf den Gewährleistungsgehalt der AMRK-Rechte, sondern gab im Urteil zusätzlich konkrete Hinweise zum Inhalt der notwendigen Reformen.547 Entsprechende detaillierte Umsetzungshinweise finden sich auch bei der Anordnung von institutionellen Reformen oder von Aus- und Fortbildungsprogrammen für Staatsbeamte. Im Fall der Serrano Cruz Sisters v. El Salvador etwa, der das ungeklärte Schicksal von Kindern betraf, die während des bewaffneten Konflikts in den 1980er Jahren entführt worden waren, machte der Gerichtshof detaillierte Vorgaben für die künftigen staatlichen Suchaktivitäten. El Salvador hatte vor dem IAGMR die Gründung einer nationalen Suchkommission für verschwundene Kinder in Aussicht gestellt. Der Gerichtshof stellte für diese Kommission in seinem Urteil eine Reihe von Anforderungen auf („The Court will now make some observations on the parameters that a national commission to trace young people who disappeared when they were children during the armed conflict should comply with, and how it should function.“548). So gab er etwa vor, dass die Suchkommission nicht allein auf die Zusammenarbeit mit bereits existierenden staatlichen Stellen beschränkt sein dürfe, sondern selbst die Initiative zur Suche der Kinder ergreifen können müsse.549 Darüber hinaus ordnete der IAGMR die Schaltung einer Webseite und Aufbau einer Gendatenbank zur Suche nach vermissten Kindern an, für deren Umsetzung er ebenfalls eine Vielzahl von Hinweisen in sein Urteil aufnahm.550 Auch hier ging der 546
Ibid., Rn. 470, Fn. 496. Vgl. in diesem Sinne auch das Vorgehen in IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 2006, Series C No. 151, Rn. 163; IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, Rn. 132; IAGMR, Case of Yatama v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 06. 2005, Series C No. 127, Rn. 259; IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126, Rn. 130 (b). 548 IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 184. 549 Ferner stellte der IAGMR Anforderungen bezüglich der Kooperation anderer Stellen mit der Suchkommission und zur Unabhängigkeit ihrer Mitglieder auf, ibid., Rn. 185 ff.; der größere Detailgrad der Anordnungen half nach Ansicht der Beschwerdeführer bei der Umsetzung des Urteils, Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 382; näher zur Perspektive der Opfer in diesem Fall Jeffrey Davis/Micaela Perez Ferrero, Building Truth and Moving Justice. The Inter-American Court and the Forcible disappearance of Children, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/ Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 403. 550 Vgl. etwa IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 190: „The web page should include the addresses and telephone numbers of several State institutions (such as, the Attorney General’s 547
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IAGMR bei der inhaltlichen Bestimmung seiner strukturellen Anordnungen also über das hinaus, was nach dem Gewährleistungsgehalt der verletzten Rechte vom verurteilten Staat zunächst gefordert gewesen war. Der Umsetzungsspielraum des Staates wurde durch die Anordnung des IAGMR folglich verkürzt. Im Rahmen der Anordnung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen lässt sich als Beispiel für dieses Vorgehen etwa das Urteil im Fall Gutierrez Soler v. Colombia anführen, der die willkürliche Verhaftung, Inhaftierung und Folter des gleichnamigen Opfers durch kolumbianische Polizeibeamte betraf. Der Gerichtshof bestimmte hier für Polizisten die Schaffung eines menschenrechtlichen Fortbildungsprogramms („program aimed at analyzing the Inter-American System for Human Rights Protection precedents“551), wobei er als Gegenstand dieses Kurses auch den gerade entschiedenen Fall vorschrieb („[…] Along these lines, the Court considers that the State must include Mr. Wilson Gutie´rrez-Soler’s case in the program mentioned in paragraph 106, as a teaching aid to contribute towards preventing this sort of events from happening again“552). III. Verbindlicherklärung konkreter Reformvorhaben Schließlich verringert sich der Umsetzungsspielraum der Staaten gänzlich „auf null“ in Fällen, in denen der Gerichtshof ganz konkrete Reformmaßnahmen anordnet und das Auswahlermessen des Staates auf eine konkrete Maßnahme reduziert. Der Gerichtshof verfährt häufig auf diese Weise, wenn der verurteilte Staat selbst auf bestimmte Reformvorhaben hingewiesen hat oder die Umsetzung bestimmter konkreter Reformvorhaben in Aussicht stellt.553 Ein Beispiel hierfür bietet das Urteil in Favela Nova Brasília, in der Brasilien dazu verpflichtet wurde, in Zukunft jährlich einen Bericht über die Zahl der bei Polizeieinsätzen im gesamten Land getöteten Personen sowie den Stand der Ermittlungen in diesen Sachverhalten zu veröffentlichen: „El Estado debe publicar anualmente un informe oficial con los datos relativos a las muertes producidas durante operativos de la policía en todos los estados del país. Dicho informe debe
Office, the Ombudsman’s Office, the National Civil Police, the Immigration Department, the Ministry of Foreign Affairs, Embassies and Consulates of El Salvador, the Chalatenango Trial Court, and State institutions for the protection of children, youth and the family), the national tracing commission […], and non-governmental organizations such as Pro-Búsqueda […].“ 551 IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132, op. Rn. 4. 552 Ibid., Rn. 107; siehe auch IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 271 f.; IAGMR, Case of López Soto et al. v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2018, Series C No. 362, Rn. 345. 553 Auf den Rückgriff auf staatliche Reformvorhaben ist u. a. bereits im Blick auf das Urteil Quispialaya Vilcapoma v. Peru eingegangen worden, siehe oben m.w.N. S. 154.
§ 4 Verbindlichkeit der guarantees of non-repetition und ihre Überwachung
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también contener información actualizada anualmente sobre las investigaciones realizadas respecto a cada incidente resultante en la muerte de un civil o de un policía […].“554
Der Gerichtshof ordnete so eine ganz konkrete Maßnahme an, die in dieser Bestimmtheit nicht bereits im Vorhinein vom Gewährleistungsgehalt der verletzten Rechte vorgeschrieben war und die dem verurteilten Staat zudem kaum Umsetzungsspielräume beließ. Zur Begründung seiner Anordnung führte der IAGMR bereits bestehende Informationsangebote auf föderaler Ebene an sowie die Haltung der brasilianischen Regierung, die im Rahmen der mündlichen Verhandlung ihre Zustimmung signalisiert hatte: „La Corte considera importante la obligatoriedad de divulgación de informes anuales […] La Corte toma nota de los datos divulgados por el Instituto de Seguridad Pública de Río de Janeiro […]. Considera también la existencia del Sistema Nacional de Informaciones de Seguridad Pública (SINESP), creado por la Ley No. 12.681/2012, […] Sin embargo, ese Sistema no divulga de manera amplia y clara los datos de seguridad pública en Brasil. […] Considerando también que el Estado no se opone a la medida y, en efecto, sugiere que dicha medida estaría ya contemplada en el Plan Plurianual 2012 – 2015 y las atribuciones del Sistema Nacional de Informaciones de Seguridad Pública, Carcelaria y sobre Drogas, la Corte ordena al Estado que publique anualmente un informe oficial con los datos relativos a las muertes producidas durante operativos de la policía en todos los estados del país.“555
§ 4 Die Verbindlichkeit der guarantees of non-repetition und ihre Überwachung durch den IAGMR Die Anordnung der guarantees of non-repetition lässt sich ohne die große Rolle, die der IAGMR bei der Überwachung seiner Urteile spielt, nicht denken. Wie erläutert ist es ein wesentlicher Beweggrund des Gerichtshofs, durch die Anordnung struktureller Reformen, die rechtlich gesehen häufig nichts anderes beinhalten als die Wiederholung und Konkretisierung bereits bestehender Verpflichtungen, einen Zugriff auf die Umsetzung dieser Verpflichtungen durch die Staaten zu erlangen, diese anzuleiten und zu steuern.556 Die Praxis der guarantees of non-repetition des IAGMR beinhaltet im Wesentlichen die nähere Bestimmung und die Kontrolle der Umsetzung bereits bestehender Verpflichtungen der Konventionsstaaten mit dem Ziel, strukturellen Rechtsverletzungen abzuhelfen. Im Folgenden soll nun zunächst näher auf die Verbindlichkeit der Anordnungen und das Verfahren zur Überwachung der Urteilsumsetzung eingegangen werden. 554 IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, op. Rn. 15.; ähnliche Anordnungen in IAGMR, Case of López Soto et al. v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2018, Series C No. 362, Rn. 348 ff. 555 Ibid., Rn. 316 f. 556 Siehe oben S. 56 ff.
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Hinsichtlich der faktischen Umsetzung der guarantees of non-repetition ergibt sich sodann ein gemischtes Bild: Wenngleich die vollständige Umsetzung der Anordnungen die Ausnahme ist, bleiben diese doch auch nicht ohne Konsequenzen in den Vertragsstaaten, sondern setzen Reformprozesse in Gang und stärken reformorientierte Akteure innerhalb der Staaten.
A. Verbindlichkeit aus Sicht des IAGMR und des Rechts der Konventionsstaaten I. Die Verbindlichkeit aus Sicht des IAGMR Die strukturellen Anordnungen sind für die verurteilten Staaten völkerrechtlich verbindlich, denn gem. Art. 68 Abs. 1 AMRK verpflichten sich die Konventionsstaaten, das gegen sie ergangenene Urteil des IAGMR zu befolgen: „The States Parties to the Convention undertake to comply with the judgment of the Court in any case to which they are parties“. Die Befolgungspflicht der Staaten nach Art. 68 AMRK bezieht sich notwendigerweise auf die Anordnungen des Gerichtshof nach Art. 63 Abs. 1 AMRK und damit auch auf die im Urteil ausgesprochenen guarantees of non-repetition.557 Inhaltlich verbindlich sind zunächst die Anordnungen im Tenor der Entscheidungen („Decides…“). In seinen Urteilen verweist der IAGMR zudem im Tenor auf Erwägungen unter bestimmten Randnummern in der Urteilsbegründung. Die Begründung nimmt hierdurch an der Bindungswirkung teil und konkretisiert die Verpflichtungen des betroffenen Staates.558 Die Befolgungspflicht trifft gem. Art. 68 Abs. 1 AMRK zunächst den verurteilten Staat als Ganzen und folgt so dem dualistischen Modell.559 Wichtige Einschrän557
Siehe oben S. 42. IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia, Beschl. v. 20. 03. 2013, Rn. 62, 102. Darüber hinaus sieht der Gerichtshof das Urteil auch als Ganzes als verbindlich an. Das bedeutet, dass der Tenor des Urteils im Lichte der Feststellungen in der Urteilsbegründung und den Fakten des Falls zu verstehen ist, ibid. Schließlich hat der Gerichtshof in einer seiner ersten Entscheidungen auch Verpflichtungen, die allein im Urteilstext festgelegt wurden, Rechtskraft zugemessen, IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 35. Ob letzteres auch in der heutigen Praxis der Fall ist, ist indes fraglich, vgl. IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia, Beschl. v. 20. 03. 2013, Rn. 102. Der IAGMR verweist nunmehr in ständiger Praxis im Tenor seiner Entscheidung lediglich auf bestimmte Urteilsteile. Einzelne Maßnahmen, die nicht im Tenor angedeutet wurden, werden auch im Rahmen des Verfahrens zur Urteilsumsetzung nicht überprüft. Daraus ergibt sich, dass nach aktuellem Verständnis des IAGMR die Verpflichtungen, die ohne Anknüpfung an den Tenor im Urteilstext zu finden sind, nicht als solche an der Rechtskraft des Urteils teilhaben. A.A. Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 146. 559 Eine Ausnahme hierzu sieht Art. 68 Abs. 2 AMRK vor, wonach die Verpflichtung zum Schadensersatz einen vollstreckbaren Titel im innerstaatlichen Rechtsraum darstellen kann: 558
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kungen der indirekten Wirkung der Urteile ergeben sich indes aus der Sichtweise des IAGMR, der eher einem monistischen Verständnis zur Stellung der AMRK im Verhältnis zum staatlichen Recht folgt.560 So richtet der IAGMR seine Anordnungen zwar grundsätzlich an den verurteilten Staat als solchen, er präzisiert aber mitunter ausdrücklich, welche staatliche Stellen, mitunter auch noch in einem bestimmten Teil des verurteilten Staates, tätig werden müssen. Ein Beispiel hierfür sind etwa die Anordnungen zur Vornahme von Aus- und Fortbildungsprogrammen, bei denen der Gerichtshof mitunter ausdrücklich vorschreibt, welche staatliche Institution bzw. welche Gruppe von Beamten verpflichtet ist.561 Hinsichtlich des Inhalts der Umsetzungspflicht ist der jeweilige Urteilstenor maßgeblich. Soweit der IAGMR konkrete Inhalte für die durchzuführenden Reformen vorschreibt, ist der verurteilte Staat zur Durchführung genau dieser Maßnahmen verpflichtet. Soweit der Gerichtshof die Art und Weise der Umsetzung seiner Anordnungen offen lässt, gilt der Grundsatz der Effektivität.562 So akzeptiert der „That part of a judgment that stipulates compensatory damages may be executed in the country concerned in accordance with domestic procedure governing the execution of judgments against the state.“Allerdings bestehen nur in wenigen Staaten die gesetzlichen Voraussetzungen für die unmittelbare Durchsetzung der Schadensersatzurteile des IAGMR. 560 Die direkte Inanspruchnahme staatlicher Stellen durch die Verpflichtung zur conventionality control, die gezielten Anordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK sowie die Nichtigerklärung nationaler Rechtsakte zeigen, dass der IAGMR über ein dualistisch gedachtes Verhältnis zum innerstaatlichen Rechtsraum hinausgeht und der AMRK sowie den eigenen Urteilen Wirksamkeit und Verbindlichkeit im Binnenbereich der Konventionsstaaten zumisst. Der Rang der AMRK und der eigenen Urteile wird dabei über dem nationalen (Verfassungs-)Recht angesiedelt, da der IAGMR auch Verfassungsbestimmungen am Maßstab der AMRK misst. Der IAGMR geht also von einem monistischen Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht aus, mit der AMRK und der eigenen Urteile an der Spitze, vgl. Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, 2020, S. 66 ff.; Ariel Dulitzky, The Constitutionalization of International Law in Latin America: An Alternative Approach to the Conventionality Control Doctrine, AJIL Unbound 109 (2015), 100 (101); Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 62. 561 Ferner stellte der IAGMR etwa in Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, fest, dass der Staat durch das „Advisory Committee on the Power of Pardon“ zur Begnadigung der festgestellten Opfer tätig werden müsse, op. Rn. 10, Rn. 214; ähnlich IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, op. Rn. 8; ebenso legt der IAGMR grundsätzlich näher fest, welche staatliche Stellen zur Anerkennung der Rechtsverletzung und zur Entschuldigung gegenüber Opfer und Angehörigen verpflichtet sind, IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101, Rn. 278; vgl näher Huneeus, Courts Resisting Courts: Lessons From the Inter-American Court’s Struggle to Enforce Human Rights, Cornell International Law Journal 44 (2011), 493 ff., wonach die Auswahl bestimmter staatlicher Stellen die Befolgungsrate der Urteile des IAGMR erhöhen könne. 562 In Bezug auf die Konsequenzen eines Urteils in einem konkreten Fall wandelt sich die Berücksichtigungspflicht der Urteile des IAGMR im Rahmen der conventionality controlDoktrin in eine Befolgungspflicht um, die keinen Freiraum staatlicher Stellen zulässt. Alle staatlichen Stellen müssen den Anordnungen des IAGMR und der Interpretation der AMRK-
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IAGMR etwa als Umsetzung der Anordnung der Beseitigung oder Neuregelung von Gesetzen auch eine Änderung der Rechtsprechung der höchsten Gerichte eines Vertragsstaates, sofern diese ausreichend bestimmt ist und genügend Rechtssicherheit bietet. Ein Beispiel hierfür ist etwa das Vorgehen im Fall Maldonado Vargas et al. v. Chile: Hier hatte der IAGMR festgestellt, dass Personen, die während der chilenischen Militärdiktatur wegen mangelnder Loyalität gegenüber dem Regime verurteilt worden waren, entgegen Art. 25 AMRK i.V.m. Art. 2 AMRK (der Rechtsschutzgarantie) kein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, um diese Urteile aufzuheben.563 Als guarantee of non-repetition ordnete der IAGMR an, dass Chile innerhalb eines Jahres einen schnellen und effektiven Mechanismus („un mecanismo que sea efectivo y rápido“) durch Maßnahmen legislativer, administrativer oder anderer Art einrichten müsse („medidas legislativas, administrativas o de cualquier otra índole“), damit den Opfern in Zukunft ein solcher Rechtsbehelf zur Verfügung stehe und dieser Rechtsbehelf auch allen anderen Opfern vergleichbarer Urteile zugänglich gemacht werde.564 Im Rahmen der compliance-Phase stellte der IAGMR zwei Jahre später fest, dass das Urteil gegenüber den zwölf in der Beschwerde benannten Personen zwischenzeitlich durch ein Urteil einer Kammer des Obersten Gerichtshofs Chiles aufgehoben worden war, und er zeigte sich aufgrund der Urteilsbegründung überzeugt, dass vergleichbare Urteile in Zukunft auf ähnlichem Wege aufgehoben werden könnten, weshalb die Anordnung als umgesetzt angesehen wurde.565 II. Die Verbindlichkeit nach dem Recht der Konventionsstaaten – ein Überblick Das monistische Verständnis des IAGMR zur Stellung der AMRK und der eigenen Urteile im nationalen Recht findet, wenn auch mit teilweise erheblichen Unterschieden, seine Entsprechung im Verfassungsrecht der meisten Konventionsstaaten. Seit den 1980er Jahren wurden in vielen Verfassungen der Konventionsstaaten den internationalen Menschenrechten im staatlichen Binnenbereich zusammen mit nationalen Grundrechten Verfassungsrang verliehen (bloque de constitucionalidad)566, was überwiegend auch die innerstaatliche Verbindlichkeit der Rechte für den konkreten Fall Geltung zu verschaffen, IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia, Beschl. v. 20. 03. 2013, Rn. 68; IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia. Voto Razonado del Juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, Beschl. v. 20. 03. 2013, Rn. 28. 563 IAGMR, Case of Maldonado Vargas et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2015, Series C No. 300, Rn. 118 ff., Declara Rn. 2. 564 Ibid., Rn. 170, op. Rn. 9. 565 IAGMR, Case of Maldonado Vargas et al. v. Chile. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 30. 08. 2017, Rn. 36 ff.; vgl. auch IAGMR, Case of Órdenes Guerra et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2018, Series C No. 372, Rn. 130 ff. 566 Lateinamerika wird als Teil der sog. „dritten Welle“ der Konstitutionalisierung angesehen, die seit Mitte der 1980er Jahre, beginnend mit der neuen Verfassung Brasiliens von 1988,
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Entscheidungen des IAGMR zur Folge hatte567. Die Konstitutionalisierung internationaler Menschenrechte wurde etwa in Argentinien durch eine Verfassungsreform betrieben. Nach Art. 75 Abs. 22 der argentinischen Verfassung von 1994 nehmen bestimmte Menschenrechtsverträge Verfassungsrang ein.568 In den allermeisten Staaten der Region569 war hingegen die Rechtsprechung der dortigen obersten Gerichte und Verfassungsgerichte der Motor der Entwicklung.570 Der bloque de conssämtliche Staaten der Region erfasst hat. Bestandteile des „neuen“ lateinamerikanischen Konstitutionalismus sind zum einen die Annahme von umfangreichen Grundrechtskatalogen, insb. sozialer und kultureller Rechte, zum anderen die Öffnung der Rechtsordnungen für den internationalen Menschenrechtsschutz und die Einrichtung spezieller Mechanismen des Grundrechtsschutzes wie einer spezialisierten Verfassungsgerichtsbarkeit. Siehe hierzu ausführlich Manuel Eduardo Góngora Mera, La difusión del bloque de constitucionalidad en la jurisprudencia latinoamericana y su potencial en la construcción del ius constitutionale commune latinoamericano, in: Armin von Bogdandy/Héctor Fix-Fierro/Mariela Morales Antoniazzi (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune en América Latina. Rasgos, Potencialidades y Desafíos, Mexiko-Stadt 2014, S. 301 ff.; Roberto Gargarella, Latin American Constitutionalism, 1810 – 2010: The Engine Room of the Constitution, Oxford 2013, S. 168 ff.; Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 65 ff.; Rodrigo Uprimny Yepes, The Recent Transformation of Constitutional Law in Latin America: Trends and Challenges, Texas Law Review 89 (2011), 1587 (1592). 567 Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, Berlin 2020, S. 187 ff.; Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 84 ff., 90 ff., 93 ff., 115 ff. 568 Dazu Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, Berlin 2020, S. 120; Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 214 ff. Siehe ebenso Art. 13 Abs. 4 der Verfassung Boliviens (2009) und Art. 1 der Verfassung Mexikos (2011), abrufbar unter: https://www.constituteproject.org/. 569 Ein eher restriktives Verständnis der Rezeption von Menschenrechtsverträgen findet sich hingegen in Chile. Der Rang dieser Verträge ist in der Verfassung von 1989 nicht eindeutig geregelt und chilenische Gerichte sind hinsichtlich der Berücksichtigung der AMRK oder der Rechtsprechung des IAGMR lange zurückhaltend geblieben, José Luiz Guzmán Dalbora, El Caso de Chile, in: Kai Ambos/Ezequiel Malarino (Hrsg.), Sistema interamericano de protección de los derechos humanos y derecho penal internacional, Montevideo 2013, S. 135 (139 ff.). Eine ähnlich restriktive Haltung nimmt das Oberste Bundesgericht Brasiliens (STF) ein, wonach die AMRK einen Rang oberhalb der einfachen Gesetze, aber unterhalb der Verfassung einnimmt. Das STF hat ausdrücklich der Befolgung der Amnestie-Rechtsprechung des IAGMR widersprochen, IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, Rn. 177; Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 147 ff. Ganz ablehnend ist schließlich die Haltung des venezolanischen Obersten Gerichtshofs, trotz weitreichender Bestimmungen in der venezolanischen Verfassung von 1999, die Menschenrechtsverträgen grundsätzlich Verfassungsrang zumaß, vgl. Huneeus, Constitutional Lawyers and the InterAmerican Court’s Varied Authority, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 179 (197 ff.); Juan Luis Modolell González, Valor de los tratados y convenios internacionales sobre derechos humanos suscritos por Venezuela en el ordenamiento jurídico venezolano, in: Kai Ambos/ Ezequiel Malarino (Hrsg.), Sistema interamericano de protección de los derechos humanos y derecho penal internacional, Montevideo 2013, S. 445 (446 ff.). 570 Durch die Auslegung von Öffnungsklauseln in den nationalen Verfassungen haben die Verfassungsgerichte verschiedener Staaten den Menschenrechtsabkommen Verfassungsrang
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titucionalidad bedeutet, dass die internationalen Menschenrechte als Bestandteil einer „erweiterten“ oder „zusammengesetzten“ Verfassung verstanden werden und in den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab der obersten Gerichte und/oder der Instanzgerichte integriert werden.571 Sie stehen im Rang über einfachem Recht und können im Rahmen der verfassungsmäßigen Überprüfung von Gesetzen oder als Maßstab des amparo-Verfahrens (außerordentlicher Rechtsbehelf gegen Grundrechtsverletzungen durch Beamte oder Behörden) angewandt werden. Im Verhältnis zu nationalen Grundrechten gilt der sog. pro homine-Grundsatz, wonach stets das schutzintensivste Recht anzuwenden ist.572 Trotz dieser positiven verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen bestehen hinsichtlich der konkreten Regelungen zur Umsetzung der Urteile des IAGMR erhebliche Regelungsunterschiede zwischen den Staaten, welche den hohen verfassungsrechtlichen Anspruch des bloque de constitucionalidad konterkarieren und Probleme bei der Befolgung der Urteile des IAGMR hervorrufen können. In einigen Staaten ist die Urteilsumsetzung gesetzlich geregelt.573 Dies ist etwa der Fall in Kolumbien und Peru, die etwa Regelungen zur Wiederaufnahme von Verfahren und zur Untersuchung und Strafverfolgung bestimmter Personen getroffen haben.574 In vielen anderen Staaten existieren zur Umsetzung der Urteile des IAGMR hingegen keine gesetzlichen Regelungen. Die hierdurch entstandene Unklarheit eröffnet innerstaatlichen Gerichten zwar Spielräume, im Sinne des verfassungsrechtlichen Rahmens zu urteilen, doch war dies nicht immer der Fall.575 Darüber hinaus hat sich zugesprochen. Maßgeblich waren insbesondere die Urteile des Verfassungsgerichtshofs Kolumbiens, der erstmals im Jahr 1995 dem Art. 93 der kolumbianischen Verfassung die Doktrin vom bloque de constitucionalidad und den Vorrang internationaler Menschenrechtsverträge entnommen hat, Corte Constitucional (Colombia), C-225/1995, Urt. v. 18. 05. 1995; Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, Berlin 2020, S. 118 ff.; Góngora Mera, InterAmerican Judicial Constitutionalism, 2011, S. 102 ff. 571 Vgl. etwa zur Rechtslage in Mexiko, Tardiff, The Radilla Pacheco v. Mexico Case: A Paradigmatical Shift Towards Conventionality Control in Mexico, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/ Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 677 (688 ff.); Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 162, 196 f. 572 Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 198. 573 Vgl. den Überblick über die Länderberichte, María Laura Böhm, Informe sobre el IX encuentro del grupo latinoamericano de estudios sobre derecho penal internacional in: Kai Ambos/Ezequiel Malarino (Hrsg.), Sistema interamericano de protección de los derechos humanos y derecho penal internacional, Montevideo 2013, S. 463 ff. 574 Vgl. Dino Carlos Caro Coria, La influencia de las decisiones del sistema interamericano de derechos humanos en el derecho penal peruano, in: Kai Ambos/Ezequiel Malarino (Hrsg.), Sistema interamericano de protección de los derechos humanos y derecho penal internacional, Montevideo 2013, S. 349 ff.; im gleichen Band auch Alejandro Aponte, Sistema interamericano y derecho público interno: ampliación de los efectos de la acción de revisión en el caso de violaciones a los derechos humanos y al derecho internacional humanitario, S. 165 ff. 575 Huneeus, Courts Resisting Courts: Lessons From the Inter-American Court’s Struggle to Enforce Human Rights, Cornell International Law Journal 44 (2011), 493 (512); Viviana
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gezeigt, dass allein der normative Anspruch der Verbindlichkeit im innerstaatlichen Rechtsraum die effektive Umsetzung der Anordnungen des IAGMR nicht garantiert.576
B. Überwachung der Urteilsumsetzung durch den IAGMR (Compliance-Phase) I. Hintergrund und Entwicklung der Compliance-Phase Die AMRK trifft keine klaren Regelungen über die Überwachung der Umsetzung der Urteile des IAGMR.577 Ein förmliches Verfahren, vergleichbar mit der Überwachung der Umsetzung der Urteile des EGMR durch das Ministerkommittee nach Art. 46 Abs. 2 EMRK, ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Nach Art. 69 AMRK werden die Urteile des IAGMR allen anderen Konventionsstaaten lediglich mitgeteilt, was theoretisch die Möglichkeit politischer Einflussnahme ermöglicht aber tatsächlich nicht geschieht. Art. 65 AMRK sieht ferner vor, dass der Gerichtshof in seinem jährlichen Bericht an die OAS-Generalversammlung Fälle der Nichtbefolgung seiner Urteile nennen und Handlungsempfehlungen aussprechen soll: „To each regular session of the General Assembly of the Organization of American States the Court shall submit, for the Assembly’s consideration, a report on its work during the previous year. It shall specify, in particular, the cases in which a state has not complied with its judgments, making any pertinent recommendations.“
Die daran anschließende Rolle der OAS-Generalversammlung wird von der AMRK allerdings offen gelassen. Eine Handlungspflicht der Generalversammlung in Fällen der Nichtumsetzung von Urteilen besteht nicht.578 Die GeneralversammKrsticevic, Implementación de las decisiones del Sistema Interamericano de Derechos Humanos: Aportes para los procesos legislativos, Buenos Aires 2009, S. 9 ff. 576 Siehe zu den Determinanten der Praxis innerstaatlicher Gerichte eingehend Kunz, Richter über internationale Gerichte? Die Rolle innerstaatlicher Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen von EGMR und IAGMR, 2020, S. 184 ff.; ferner Huneeus, Constitutional Lawyers and the Inter-American Court’s Varied Authority, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 179. 577 Im Entstehungsprozess der Konvention gab es keine Diskussion über die Einführung eines formalisierten Umsetzungsverfahrens, sondern allein über die Vorlage von Urteilen an die Organe der OAS und die weiteren Konventionsstaaten. Das Fehlen eines politischen Kontrollverfahrens kann möglicherweise auf das Fehlen eines dem Europarat-Ministerrat vergleichbaren Organs in der OAS zurückgeführt werden, vgl. IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 88 f.; Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and InterAmerican Human Rights Systems, 2015, S. 197; Verónica Gómez, The Interaction between the Political Actors of the OAS, the Commission and the Court, in: David J. Harris/David Livingstone (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, Oxford 1998, S. 173. 578 Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 184; Thomas Buergenthal, The
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lung hat auch selbst keine entsprechende Praxis entwickelt und die vom IAGMR übermittelten Fälle der Nichtumsetzung nicht näher thematisiert.579 Der IAGMR nutzt die Möglichkeit des Art. 65 AMRK deshalb in der Regel nicht.580 Die unklare Regelung in der AMRK und die passive Rolle der OAS-Generalversammlung haben dazu geführt, dass der IAGMR seit dem Beginn seiner streitigen Gerichtsbarkeit die Überwachung der Umsetzung seiner Urteile in eigene Hände genommen hat. In seinen ersten Urteilen in den sog. Honduras Disappearances Cases kündigte der Gerichtshof an, die Auszahlung der angeordneten Entschädigung zu kontrollieren und den Fall erst nach Erfüllung der Anordnung zu schließen („supervise the indemnification ordered and […] close the file only when the compensation has been paid“581). Als Honduras nicht innerhalb der vorgegebenen Frist zahlte, ordnete der IAGMR mit Verweis auf seine Kompetenz zur Urteilsüberwachung an, dass Honduras auch den zwischenzeitlich eingetretenen WertInter-American Court of Human Rights, American Journal of International Law 76 (1982), 231 (241). 579 Im Hintergrund steht dabei die Bedeutung des Prinzips der Nicht-Intervention in der OAS (siehe Fn. 43) und die Besetzung der politischen Organe der OAS, deren Mitglieder nicht sämtlich auch Vertragsstaaten der AMRK und der Gerichtsbarkeit des IAGMR unterworfen sind. So sind im Committee on Judicial and Political Affairs des Ständigen Rats der OAS, das die Resolution der OAS-Generalversammlung über die Befolgung der Urteile des IAGMR vorbereitet, auch die USA vertreten, welche die AMRK nicht ratifiziert haben. Resolutionen kommen dort ferner nur einstimmig, d. h. im Konsens mit dem betroffenen Staat zustande, was insgesamt einer effektiven Überwachung im Wege steht; siehe näher mit Lösungsvorschlägen, Jan Schneider, Implementation of Judgments: Should Supervision Be Unlinked from the General Assembly of the Organization of American States?, Inter-American and European Human Rights Journal 5 (2012), 197 (212 f.); Gómez, The Interaction between the Political Actors of the OAS, the Commission and the Court, in: Livingstone (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, 1998, S. 173 (191). 580 Der IAGMR hat die OAS-Generalversammlung wegen der Nichtumsetzung seiner Urteile bislang allein in drei Situationen von veritabler Gegenwehr gegen das Inter-Amerikanische System der Menschenrechte angerufen, ohne dabei jedoch auf politische Unterstützung gestoßen zu sein: Zunächst im Jahr 1998, nachdem Trinidad und Tobago sich geweigert hatte, einstweilige Anordnungen des IAGMR zum Schutz von Gefangenen gegen die Todesstrafe zu befolgen, sodann im Jahr 1999 nach der Weigerung Perus sich Urteilen des IAGMR zu (angeblichen) Anti-Terrormaßnahmen zu beugen und schließlich im Jahr 2013, im Falle Venezuelas, wegen Nichtumsetzung der Urteile Apitz Barbera et al., siehe IAGMR, Case of ApitzBarbera et al. („First court of Administrative disputes“) v. Venezuela. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 23. 11. 2012, op. Rn. 1; Soley/Steininger, Parting Ways or Lashing Back? Withdrawals, Backlash and the Inter-American Court of Human Rights, Max Planck Institute for Comparative Public Law & International Law Research Paper 1/2018, S. 4 ff.; Cassel, Regional Human Rights Regimes and State Pushback: the Case of the Inter-American Human Rights System (2011 – 2013), Human Rights Law Journal 33 (2013), 1; Brian D. Tittemore, The Mandatory Death Penalty in the Commonwealth Caribbean and the Inter-American Human Rights System: An Evolution in the Development and Implementation of International Human Rights Protections, William and Mary Bill of Rights Journal 13 (2004), 445. 581 IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 60; vgl. auch IAGMR, Case of Godínez-Cruz v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 8, Rn. 54.
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verlust der nationalen Währung ersetzen müsse.582 In Caballero Delgado and Santana v. Colombia ordnete der Gerichtshof erstmals die Strafverfolgung der für das gewaltsame Verschwindenlassen der beiden Opfer verantwortlichen Personen im Urteilstenor an und bestimmte, dass der Fall erst geschlossen werde, wenn die Täter zur Rechenschaft gezogen seien.583 Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Fujimori-Regime Perus thematisierte der Gerichtshof die mangelnde Befolgung seiner Anordnungen in einer Reihe von Compliance-Urteilen584 und verpflichtete Peru zur Abgabe von regelmäßigen Berichten über die Befolgung der Urteile in Barrios Altos, Durand and Ugarte und Cantoral Benavides v. Peru.585 Dieses Vorgehen übernahm der Gerichtshof sodann seit dem Jahr 2002 in seine ständige Praxis, indem er in seinen Reparations-Urteilen bestimmte Fristen zur Umsetzung, in der Regel sechs Monate (später ein Jahr), sowie entsprechende Berichtspflichten vorgab.586 Im Jahr 2007 hielt der Gerichtshof die erste nicht-öffentliche Anhörung im Rahmen der Urteilsüberwachung ab, die der Information des IAGMR dienen und Gelegenheit für eine gütliche Einigung über die Umsetzung geben sollte.587 582 Der Gerichtshof war ursprünglich von der IAKMR nach Art. 67 AMRK zur Interpretation seines Urteils angerufen worden, IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Interpretation of the Judgment of Reparations and Costs, Urt. v. 17. 08. 1990, Series C No. 9, Rn. 37: „Nevertheless, since in the judgment the Court assumed the supervision of the payment of the damages fixed and indicated that the case would be deemed closed only after full payment was made […], it retains jurisdiction over the instant case and is empowered to decide on the consequences of the Government’s delay in paying the assessed damages.“; IAGMR, Case of Godínez-Cruz v. Honduras. Interpretation of the Judgment of Reparations and Costs, Urt. v. 17. 08. 1990, Series C No. 10, op. Rn. 4. 583 IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Merits, Urt. v. 08. 12. 1995, Series C No. 22, op. Rn. 5, 7; IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 01. 1997, Series C No. 31, op. Rn. 5. 584 IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 11. 1999 Series C No. 59, op. Rn. 1; IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 11. 1999, Series C No. 60, op. Rn. 1; siehe dazu Anne-Catherine Fortas, La surveillance de l’exécution des arrêts et décisions des cours européenne et interaméricaine des droits de l’homme, Paris 2015, S. 152 f. 585 IAGMR, Case of Durand and Ugarte v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 89, Rn. 45; IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 99; IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2001, Series C No. 87, Rn. 50; vgl. aber auch bereits IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 01. 1999, Series C No. 48, op. Rn. 1. 586 IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94, op. Rn. 16; IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92, op. Rn. 12; IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91, op. Rn. 8, 10; David C. Baluarte, Strategizing For Compliance: The Evolution of a Compliance Phase of Inter-American Court Litigation and the Strategic Imperative For Victims’ Representatives, American University International Law Review 27 (2012), 264 (277). 587 IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 27. 11. 2007, Rn. 11; Schneider, Reparation and Enforcement of Judg-
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Die aktive Rolle bei der Urteilsüberwachung wurde im Jahr 2009 in der Verfahrensordnung des IAGMR formalisiert. Sie wird von der OAS-Generalversammlung grundsätzlich gutgeheißen588, wenngleich einzelne Staaten in der Vergangenheit die Kompetenz des IAGMR in Zweifel gezogen haben. Insbesondere warf Panama im Fall Baena-Ricardo dem Gerichtshof ultra vires-Handeln vor, da die Urteilsüberwachung zeitlich dem Urteil nachgelagert („post-judgment“) und nicht in der AMRK geregelt sei („is not included in the norms that regulate the jurisdiction and the procedure of the Court“589). Der Gerichtshof wies diese Einwände zurück und verwies dabei auf seine Berichtspflicht nach Art. 65 AMRK, weshalb der Stand der Umsetzung seiner Urteile überprüft werden müsse.590 Ferner argumentierte er, dass erst die Überwachung der Urteile die Wirksamkeit des streitigen Verfahrens garantieren könne: „To maintain otherwise, would mean affirming that the judgments delivered by the Court are merely declaratory and not effective. Compliance with the reparations ordered by the Court in its decisions is the materialization of justice for the specific case and, ultimately, of jurisdiction; to the contrary, the raison d’être for the functioning of the Court would be imperiled.“591
Das Verfahren der Überwachung der Urteilsumsetzung hat sich seither, neben den streitigen Verfahren und den einstweiligen Anordnungen, zu einem der wichtigsten Tätigkeitsbereiche des IAGMR entwickelt.592 Zum Ende des Jahres 2019 überwachte der Gerichtshof die Umsetzung von 223 Urteilen bzw. insgesamt 1153 Anordnungen zur Wiedergutmachung.593 Nur 35 Urteile des IAGMR waren zu diesem Zeitpunkt überhaupt vollständig umgesetzt worden.594 Die Überwachung der Urteilsumsetzung ments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 210. 588 IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 110 ff.; Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 209; Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 304, Fn. 42. 589 IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 26. 590 Ibid., Rn. 90, 134; siehe näher die Referate bei Fortas, La surveillance de l’exécution des arrêts et décisions des cours européenne et interaméricaine des droits de l’homme, 2015, S. 155 ff.; Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 206 ff. 591 IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 72. 592 IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020, S. 61; Antkowiak/Gonza, The American Convention on Human Rights: Essential Rights, 2017, S. 310. 593 IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020, S. 61, 85; näher zur Entwicklung Jorge Francisco Calderón Gamboa, Fortalecimiento del rol de la CIDH en el proceso de supervisión de cumplimiento de sentencias y planteamiento de reparaciones ante la Corte IDH, Anuario de derechos humanos 10 (2014), 105 (106 ff.). 594 IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020, S. 85.
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bedeutet die dauerhafte Befassung des IAGMR mit den vorgebrachten Fällen, was die knappen Kapazitäten des Gerichtshofs weiter bindet.595 Die streitige Gerichtsbarkeit des IAGMR endet in der Regel also nicht mit dem Urteil, sondern erstreckt sich über Jahre, teilweise Jahrzehnte, in denen der IAGMR eng mit den Verfahrensparteien zusammenarbeitet, ein ständiges Forum bietet und den Druck auf die Konventionsstaaten aufrechterhält. II. Das Verfahren in der Compliance-Phase Art. 69 der VerfO-IAGMR aus dem Jahr 2009 enthält das in der Praxis gewachsene Verfahren der Urteilsüberwachung, das aus Berichten der Verfahrensbeteiligten, Anhörungen, Vor-Ort-Besuchen und Anordnungen des IAGMR besteht. Die Überwachung der Urteilsumsetzung beginnt mit der Anordnung im Urteil des IAGMR an den verurteilten Staat, innerhalb eines Jahres einen ersten Bericht über die Umsetzung des Urteils zu erstatten und diesbezügliche Nachweise vorzulegen (Art. 69 Abs. 1 S. 1 VerfO-IAGMR).596 Die Beschwerdeführer sowie die Kommission können zu diesem Bericht Stellungnahmen abgeben, wobei letztere zudem die Stellungnahme der Beschwerdeführer kommentieren kann (Abs. 1 S. 1, 2).597 Der Gerichtshof kann den Staat hierzu wiederum zur Stellungnahme auffordern und darüber hinaus Sachverständige und sonstige Quellen, etwa Vertreter bestimmter staatlicher Institutionen, zur Information über den Stand der Umsetzung heranziehen (Abs. 2). So befragte der IAGMR im Jahr 2017 etwa die nationale Ombudsperson für Menschenrechte in Panama zum Stand der Umsetzung der Anordnung im Fall Velez Loor, spezielle Einrichtungen zur Abschiebehaft einzurichten.598 595
Im Jahr 2015 wurde eine eigene Abteilung im Sekretariat des Gerichtshofs mit der Aufgabe der Urteilsüberwachung betraut (Unit for Monitoring Compliance with Judgments), welche die Berichte der Verfahrensparteien auswertet und die Entscheidungen über die Urteilsumsetzung vorbereitet, ibid., S. 61. 596 Vgl. dazu IAGMR Case of Suárez Rosero v. Ecuador. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 10. 07. 2007, Considering Rn. 5: „The reporting obligation is twofold in nature and effective compliance requires the formal presentation of a document within the allotted time and with specific, true, current and detailed information on the issues to which this obligation refers.“; Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 303 f. 597 In der Praxis kommt die Kommission ihren Aufgaben bei der Urteilsüberwachung aufgrund ihrer geringen Ressourcen allerdings oftmals nicht nach, sodass es dem Gerichtshof an einer wichtigen Informationsquelle fehlt, Calderón Gamboa, Fortalecimiento del rol de la CIDH en el proceso de supervisión de cumplimiento de sentencias y planteamiento de reparaciones ante la Corte IDH, Anuario de derechos humanos 10 (2014), 105 (110 ff.). 598 Der IAGMR macht seit dem Jahr 2015 von dieser Befugnis Gebrauch. Im Jahr 2017 forderte er ferner im Rahmen einer Anhörung über die Umsetzung von Urteilen durch Guatemala einen Bericht des guatemaltekischen Generalstaatsanwalts über weiterhin existierende Hürden bei der effektiven Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit des bewaffneten Konflikts an. Ferner befragte der IAGMR den Präsidenten der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter in Paraguay über den Stand der Umsetzung eines Maß-
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Nach dem schriftlichen Verfahren kann der Gerichtshof nach seinem Ermessen Anhörungen über den Stand der Urteilsumsetzung ansetzen (Abs. 3). Diese Treffen können öffentlich oder nicht-öffentlich sein, eine Regelung existiert hierzu nicht.599 Sie können ein bestimmtes Urteil oder mehrere Urteile gegen einen Staat betreffen, denen vergleichbare Umsetzungsprobleme zugrundeliegen (Art. 30 Abs. 5 VerfOIAGMR), etwa die in drei Urteilen angeordnete Rückgabe von Land an indigene Gemeinschaften in Paraguay.600 Die Anhörungen dienen der Information des Gerichtshofs, darüber hinaus bieten sie aber auch ein Forum, in dem die Verfahrensparteien und der Gerichtshof Fortschritte und Schwierigkeiten bei der Urteilsumsetzung thematisieren und Kompromisse finden können.601 Ferner führt der Gerichtshof Vor-Ort Besuche durch, um sich über den Stand der Umsetzung näher zu informieren und einen Dialog und Abmachungen zwischen dem Staat und den Beschwerdeführern zu ermöglichen.602 Auf Grundlage der erlangten Informationen erlässt der Gerichtshof einen Beschluss (order on monitoring compliance).603 Hierin wiederholt der IAGMR zunächst die Anordnungen im Urteil und hält die Ansichten der Verfahrensparteien über den Stand der Erfüllung der Anordnungen fest. Sofern der Staat nach der Überzeugung des Gerichtshofs alle Anordnungen umgesetzt hat, stellt der IAGMR sodann die Urteilsumsetzung fest und beschließt die Einstellung des Verfahrens.604 Andernfalls stellt er fest, dass der Staat aufgrund von Art. 68 AMRK weiterhin zur Urteilsumsetzung verpflichtet ist. Er ordnet zudem die Vorlage bestimmter Informationen über die Urteilsumsetzung an oder trifft ggf. detaillierte Bestimmungen zur Art und Weise der zukünftigen Umsetzung. Die Anordnung schließt mit einer Frist für Berichte des Staates, woraufhin das Verfahren von Neuem beginnt (Abs. 4). Im Beschluss über die Umsetzung einer Reihe von Urteilen gegenüber Honduras setzte sich der IAGMR nahmenpakets zur Jugendkriminalität, IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2017, 2018, S. 82 f. 599 Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 211. 600 Im Jahr 2017 hielt der Gerichtshof sieben Anhörungen ab, in denen die Umsetzung von insgesamt 22 Urteilen überwacht wurden, IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2017, 2018, S. 67. 601 IAGMR, Case of Zambrano Vélez et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2007, Series C No. 166, Rn. 73; Pasqualucci, The Practice and Procedure of the InterAmerican Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 304. 602 Im Jahr 2015 besuchte er zu diesem Zweck Panama und Honduras, im Jahr 2016 Mexiko und im Jahr 2017 Guatemala, Panama und Paraguay. Der Gerichtshof hebt die Vorzüge der VorOrt-Untersuchung hervor: „[…] this type of visit permits direct and immediate communication between the victims and senior state officials so that the latter can commit, then and there, to taking specific actions to advance compliance with the measures, and the victims’ opinions can be heard on the progress and shortcomings they have identified.“ IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2017, 2018, S. 74 f. 603 Abrufbar unter www.corteidh.or.cr/supervision_de_cumplimiento.cfm. 604 Vgl. etwa IAGMR, Case of Maldonado Ordóñez v. Guatemala. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 30. 08. 2017, op. Rn. 1, 2.
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bspw. detailliert mit den eingeleiteten Gesetzesreformen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger und Umweltaktivisten auseinander. Der Gerichtshof stellte u. a. fest, dass etwa mit Blick auf die Meldung von solchen Gewalttaten Fortschritte zu verzeichnen waren, es aber weiterer Maßnahmen zur Bekämpfung der Straflosigkeit in diesen Fällen bedürfe, über deren Umsetzung der Staat zu berichten habe.605 Aufgrund der engen Steuerung durch den IAGMR geht das Verfahren der Urteilsüberwachung weit über die bloße Feststellung der Befolgung oder Nichtbefolgung durch die Vertragsstaaten hinaus.606 Der Gerichtshof wirkt selbst aktiv bei der Umsetzung seiner Urteile mit. Er zieht Informationen von den Parteien und weiteren Akteuren heran, fördert Kompromisse oder bestimmt selbst, welche weiteren konkreten Schritte der Staat zur Umsetzung einzuleiten verpflichtet ist. Das Verfahren ist also auch für den Inhalt der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten von Relevanz.607 Ebenso wie die Anordnung von guarantees of non-repetition im Urteil wirft die enge Steuerung der Staaten durch das Verfahren der Urteilsüberwachung, für die keine ausdrückliche Grundlage in der AMRK besteht, Fragen nach den Befugnissen des IAGMR auf (dazu Teil 3).
605 IAGMR, Case of Kawas Fernández and Case Luna López v. Honduras. Monitoring Compliance with Judgments, Beschl. v. 30. 08. 2017, Rn. 25 ff., op. Rn. 3 – 6. 606 Siehe auch die Schilderung der Involvierung des IAGMR im Verfahren der Urteilsumsetzung im Fall der Moiwana Community v. Suriname bei Huneeus, Reforming the State from Afar: Structural Reform Litigation at the Human Rights Courts, The Yale Journal of International Law 40 (2015), 1 (28 ff.). 607 In Einzelfällen hat der Gerichtshof für sich sogar die Befugnis in Anspruch genommen, in seinen Beschlüssen die im Urteil getroffenen Anordnungen zu modifizieren, wenn sich herausgestellt hat, dass deren Umsetzung unmöglich geworden ist, sie mit dem Zeitablauf an Bedeutung verloren oder sich sonst erledigt haben. Im Fall des Mapiripán Massacre v. Colombia, bei dem sich herausgestellt hatte, dass einige der vom IAGMR benannten Berechtigten in Wahrheit keine Opfer des Massakers gewesen waren, modifizierte er die Anordnungen zum Schadensersatz entsprechend in seinem Beschluss über die Urteilsumsetzung, IAGMR, Case of the Mapiripán Massacre v. Colombia. Monitoring compliance with Judgment, Beschl. v. 23. 11. 2012, Considerando, Rn. 2. Vgl. dagegen das Vorgehen im Fall des Castro Castro Prison v. Peru. Hier erlaubte es der IAGMR im Interpretation-Urteil gem. Art. 67 AMRK, dass Peru die Anordnung, die Namen von getöteten Gefangenen in ein Monument für die Opfer des bewaffneten Konflikts aufzunehmen, mit einer alternativen Maßnahme ersetzen könne. Da einige der getöteten Personen als Terroristen angesehen wurden, hatte die ursprüngliche Anordnung öffentliche Kritik hervorgerufen, IAGMR, Case of the Miguel Castro Castro Prison v. Peru. Interpretation of the Judgment on Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 08. 2008, Series C No. 181, Rn. 57; siehe näher Säuberli, Revision Procedures: Revisiting the Case of Mapiripán Massacre v. Colombia, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 51.
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C. Die Umsetzung und die Wirksamkeit der guarantees of non-repetition Zuletzt soll nun auf die Umsetzung der guarantees of non-repetition eingegangen werden, d. h. auf die tatsächliche Vornahme der angeordneten Maßnahmen durch die verurteilten Staaten. Dabei ist vorab noch einmal hervorzuheben, dass es sich bei den guarantees of non-repetition um komplexe Anordnungen handelt, die oftmals verschiedene staatliche Institutionen betreffen und deshalb weitaus schwieriger umzusetzen sind als die Zahlung einer finanziellen Entschädigung oder die Publikation des Urteils.608 Der IAGMR kann in dieser Hinsicht auf einige Erfolge verweisen.609 So befolgte etwa Chile die Anordnung von legislativen Reformen im Urteil „Last Temptation of Christ“ (Olmedo Bustos and Others), indem es die Regelung über die Zensur von Filmen aus der Verfassung strich und ein neues System zur Bewertung von Filmen einführte, das der IAMGR als vereinbar mit der Meinungsfreiheit ansah.610 In Umsetzung der Anordnungen des Urteils Claude Reyes erließ Chile auch ein Gesetz zur Gewährleistung der Informationsfreiheit und schuf zudem eine spezielle Behörde, die den effektiven Zugang der Bürger zu staatlichen Informationen garantieren soll.611 Mexiko schränkte in Umsetzung der Urteile Radilla Pacheco, Fernandez Ortega et al., Rosendo Cantú et al. und Cabrera García and Montiel Flores die sachliche Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit ein612 und führte in Umsetzung 608
Die Umsetzung von Urteilen internationaler Gerichte ist umso wahrscheinlicher, desto weniger staatliche Stellen hierbei eingebunden sind, Huneeus, Courts Resisting Courts: Lessons From the Inter-American Court’s Struggle to Enforce Human Rights, Cornell International Law Journal 44 (2011), 493 (507 ff.); Neomi Rao, Public Choice and International Law Compliance: The Executive Branch Is a „They“, Not an „It“, Minnesota Law Review 96 (2011), 194 (211); zur Schwierigkeit der Umsetzung der guarantees of non-repetition auch Novak, The System of Reparations in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, Recueil des Cours 392 (2018), 1 (174 ff.). 609 Siehe auch die Aufstellung in IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020, S. 76 ff. betreffend die Umsetzung von guarantees of non-repetition; ferner Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1320 ff.). 610 IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo Bustos and Others) v. Chile, Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 28. 11. 2003, op. Rn. 1. 611 IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 24. 11. 2008, Rn. 14; allerdings ist streitig, inwiefern die Anordnung des IAGMR tatsächlich für die Reform ausschlaggebend war, vgl. Mariela Morales Antoniazzi/Pablo Saavedra-Alessandri, Inter-Americanization: Its Legal Bases and Political Impact, in: Armin von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, Oxford 2017, S. 255 (274 f.); Leiry Cornejo Chavez, The Claude-Reyes Case of the Inter-American Court of Human Rights – Strengthening Chilean Democracy?, Nordic Journal of Human Rights 31 (2013), 513. 612 IAGMR, Cases of Radilla Pacheco, Fernández Ortega et al., and Rosendo Cantú and other v. Mexico. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 04. 2015, Rn. 6; Tardiff, The Radilla Pacheco v. Mexico Case: A Paradigmatical Shift Towards Conventionality Control
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des Urteils González et al. neue Anweisungen für Ermittlungen in Fällen von geschlechtsbezogener Gewalt ein, die von einer Reihe von Bundesstaaten übernommen wurden.613 Nicaragua führte als Umsetzung der Anordnungen im Fall der Mayagna Awas Tingni Community Regelungen und spezielle Institutionen zur Abgrenzung und Anerkennung von Gemeinschaftsland indigener Völker ein und erkannte die Rechte der betroffenen Gemeinschaft zumindest formal an.614 Ferner muss die Auswirkung der Rechtsprechung des IAGMR auf die ursprünglich in beinahe allen Konventionsstaaten bestehenden Amnestieregelungen für Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit der Militärdiktaturen bzw. bewaffneten Konflikte hervorgehoben werden.615 So wurden etwa in Peru u. a. aufgrund der Feststellungen des IAGMR unter Außerachtlassung der geltenden Amnestieregelung Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Menschenrechtsverletzungen eingeleitet, was im Jahr 2008 zur Verurteilung Alberto Fujimoris wegen dessen Verantwortlichkeit für außergerichtliche Tötungen im Fall Barrios Altos und La Cantuta führte.616 Zu nennen ist auch die Feststellung der Nichtigkeit der Amnestieregelungen durch das Verfassungsgericht in El Salvador, u. a. aufgrund des Urteils des IAGMR im Fall El Mozote.617 Eine nähere Untersuchung der Umsetzung der Urteile des IAGMR ergibt gleichwohl ein gemischtes Bild. Auf Basis der Beschlüsse im Compliance-Vefahren sind einige quantitative Studien zur Umsetzung bzw. Nichtumsetzung der Urteile des IAGMR entstanden.618 Im Blick auf die guarantees of non-repetition hat sich gezeigt, in Mexico, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 677. 613 IAGMR, Case of González et al. („Campo Algodonero“) v. Mexico. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 21. 05. 2013, Rn. 80 f. 614 IAGMR, Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 03. 04. 2009, Considerando Rn. 10. 615 Siehe oben S. 105 ff., insb. Titze, Transitional Justice in Lateinamerika: Die Arbeit regionaler Instanzen bei der Aufarbeitung von Systemunrecht, in: Mihr/Pickel/Pickel (Hrsg.), Handbuch Transitional Justice, 2018, S. 409; Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015; Sersale di Cerisano, Justicia transicional en las Américas: El Impacto del Sistema Interamericano, Revista Instituto Interamericano de Derechos Humanos 57 (2013), 115. 616 IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Monitoring compliance with Judgment, Beschl. v. 07. 09. 2012, Rn. 14 ff.; Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015, S. 335 ff.; vgl. aber auch Jo-Marie Burt/Casey Cagley, Access to Information, Access to Justice: The Challenges to Accountability in Peru, SUR-International Journal on Human Rights 10 (2013), 18, 75. 617 IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and neighboring places v. El Salvador. Monitoring compliance with judgment, Beschl. v. 31. 08. 2017, Rn. 11 ff. 618 Hillebrecht, Domestic Politics and International Human Rights Tribunals: The Problem of Compliance, Cambridge 2016, S. 44; Damián A. González-Salzberg, Do States comply with the compulsory judgments of the Inter-American Court of Human Rights? An empirical study
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dass diese Anordnungen mehrheitlich nicht befolgt worden sind, wobei große Unterschiede zwischen den Staaten und Themen der Rechtsprechung bestehen.619 Basch et al. werteten etwa im Jahr 2010 die Umsetzung der Urteile des IAGMR aus den Jahren 2001 bis 2006 aus und stellten fest, dass die Anordnungen zur Aus- und Fortbildung von Staatsbeamten nur zu 43 % befolgt worden waren. Bezüglich der Anordnung von legislativen Reformen stellten sie fest, dass ganze 92 % dieser Anordnungen nicht befolgt worden waren. Bei institutionellen Reformen stellten sie nur bei 16 % eine teilweise Umsetzung fest, im Übrigen waren diese Anordnungen folgenlos geblieben.620 González Salzberg stellte im Jahr 2013 leicht verbesserte Zahlen fest, wonach bis Mitte 2013 der IAGMR die Anordnung von legislativen Reformen in 31 % der Fälle als befolgt angesehen hatte, während diese Maßnahmen in 18 % der Fälle als nur teilweise und in 51 % als nicht befolgt bezeichnet wurden.621 Aktuellere Studien speziell zu den guarantees of non-repetition liegen nicht vor, doch zeigt ein Blick in die Jahresberichte des IAGMR von 2015 bis 2019, dass die vollständige Umsetzung der strukturellen Anordnungen durch die Vertragsstaaten
of the compliance with 330 measures of reparation, Revisto do Instituto Brasileiro de Direitos Humanos 13 (2013), 93; Damián A. González-Salzberg, La implementación de las Sentencias de la Corte Interamericana de Derechos Humanos en Argentina: un análisis de los vaivenes jurisprudenciales de la Corte Suprema de la Nación, Sur-Revista Internacional de Derechos Humanos 8 (2011), 15, 117; Huneeus, Courts Resisting Courts: Lessons From the InterAmerican Court’s Struggle to Enforce Human Rights, Cornell International Law Journal 44 (2011), 493 (509 ff.); Fernando Felipe Basch/Leonardo Filippini/Ana Laya/Mariano Nino/ Felicitas Rossi/Bárbara Schreiber, La efectividad del Sistema Interamericano de Protección de Derechos Humanos. Un enfoque cuantitativo sobre su funcionamiento y sobre el cumplimiento de sus decisiones, SUR – Revista Internacional de Derechos Humanos 7 (2010), 12, 9; Hawkins/ Jacoby, Partial Compliance: A Comparison of the European- and the Inter-American Courts of Human Rights, Journal of International Law and International Relations 6 (2010), 35. 619 Insgesamt ist hinsichtlich der Befolgung der Urteile des IAGMR zu differenzieren. Während die Anordnungen zur finanziellen Entschädigung und symbolischen Genugtuung die höchsten Umsetzungsraten verzeichnen, stehen die guarantees of non-repetition zusammen mit den Anordnungen zur Untersuchung und Strafverfolgung individueller Täter am Ende der Ranglisten, siehe den Überblick über die Studien bei Sabrina Vannuccini, Member States’ Compliance with the Inter-American Court of Human Rights’ Judgments and Orders Requiring Non-Pecuniary Reparations, Inter-American and European Human Rights Journal 7 (2014), 225 (237 ff.). 620 Basch u. a., La efectividad del Sistema Interamericano de Protección de Derechos Humanos. Un enfoque cuantitativo sobre su funcionamiento y sobre el cumplimiento de sus decisiones, SUR – Revista Internacional de Derechos Humanos 7 (2010), 9 (21); vgl. dazu auch Open Society Justice Initiative, From Judgment to Justice: Implementing International and Regional Human Rights Decisions, Washington D.C. 2010, S. 69 ff. 621 González-Salzberg, Do States comply with the compulsory judgments of the InterAmerican Court of Human Rights? An empirical study of the compliance with 330 measures of reparation, Revisto do Instituto Brasileiro de Direitos Humanos 13 (2013), 93 (105); vgl. zuvor bereits González-Salzberg, La implementación de las Sentencias de la Corte Interamericana de Derechos Humanos en Argentina: un análisis de los vaivenes jurisprudenciales de la Corte Suprema de la Nación, Sur-Revista Internacional de Derechos Humanos 8 (2011), 117 ff.
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eher als eine Ausnahme bezeichnet werden muss.622 So ist etwa eine der bekanntesten Rechtsprechungslinien des IAGMR, die Feststellung der Nichtigkeit von Amnestiegesetzen, bislang gegenüber der Haltung der obersten Gerichte Brasiliens und Uruguays weitgehend folgenlos geblieben.623 Dabei ist jedoch auch zu beachten, dass die Feststellung der Umsetzung bzw. Nichtumsetzung nur ein Indikator für die Wirksamkeit der Anordnungen des IAGMR ist. Der Blick auf die Compliance lässt außer Acht, dass es verschiedene Formen faktischer oder normativer Auswirkungen von Urteilen internationaler Gerichte auf staatlicher Ebene geben kann. Ferner bleiben bei rein quantitativen Studien die Umstände der Urteilsumsetzung im Dunkeln.624 In Anlehnung an Calabria können verschiedene Urteilsauswirkungen unterschieden werden, die von aktivem Widerstand, Passivität, teilweiser Umsetzung bis vollständiger Beseitigung des identifizierten strukturellen Problems reichen können.625 So blieb etwa die Anordnung von Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts in der Dominikanischen Republik im Urteil der Expelled Dominican Migrants nicht nur folgenlos – sie führte sogar zu heftigen Gegenreaktionen des Verfassungsgerichts der Dominikanischen Republik, das in einem Beschluss aus dem Jahr 2014 den Akt zur Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IAGMR als formell verfassungswidrig bezeichnete.626 Die Re622 Vgl. die wenigen Berichte über die Schließung von Verfahren aufgrund von Urteilsumsetzung hinsichtlich der guarantees of non-repetition, IAGMR, Annual Report of the InterAmerican Court of Human Rights 2019, 2020, S. 76 ff.; IAGMR, Annual Report of the InterAmerican Court of Human Rights 2018, 2019, S. 75 ff.; IAGMR, Annual Report of the InterAmerican Court of Human Rights 2017, 2018, S. 85; IAGMR, Annual Report of the InterAmerican Court of Human Rights 2016, 2017, S. 85 ff.; IAGMR, Annual Report of the InterAmerican Court of Human Rights 2015, 2016, S. 65 ff. 623 IAGMR, Case of Herzog et al. v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 03. 2018, Series C No. 353, Rn. 136 ff.; Huneeus, The institutional limits of Inter-American constitutionalism, in: Dixon/Ginsburg (Hrsg.), Comparative Constitutional Law in Latin America, 2017, S. 300 (320). 624 In der Literatur hat sich deswegen eine Differenzierung zwischen der Untersuchung von Compliance mit den Urteilen internationaler Gerichte und deren allgemeiner Effectiveness entwickelt, vgl. zum IAGMR Engstrom, Reconceptualising the Impact of the Inter-American Human Rights System, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1250 (1255 ff.); Schönsteiner/Couso, La implementación de las decisiones de los órganos del Sistema Interamericano de Derechos Humanos en Chile: Ensayo de un balance, Revista de Derecho de la Universidad Católica del Norte 22 (2015), 315 (321 ff.); allg. Yuval Shany, Assessing the Effectiveness of International Courts, Oxford 2014, S. 13 ff.; Alexandra Huneeus, Compliance with Judgments and Decisions, in: Cesare Romano/Karen J. Alter/Yuval Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, Oxford 2014, S. 438; Lisa Martin, Against Compliance, in: Jeffrey L. Dunoff/ Mark A. Pollack (Hrsg.), Interdisciplinary Perspectives on International Law and International Relations: The State of the Art, Cambridge 2012, S. 591. 625 Vgl. die Systematisierung der unterschiedlichen Grade der Urteilsumsetzung bei Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1319). 626 Tribunal Constitucional (Dominikanische Republik), Relativo a la acción directa de inconstitucionalidad incoada en fecha veinticinco (25) de noviembre de dos mil cinco (2005) contra el Instrumento de Aceptación de la Competencia de la Corte Interamericana de Dere-
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Teil 2: Die guarantees of non-repetition des IAGMR
gierung der Dominikanischen Republik hat die AMRK bislang nicht formell gekündigt, erscheint aber nicht mehr vor dem IAGMR und äußert sich nicht mehr im Compliance-Verfahren.627 Hingegen war die Nichtumsetzung der Anordnungen von legislativen Reformen zur Garantie des indigenenen Gemeinschaftseigentums in Paraguay nicht Ausdruck eines generellen Widerstands gegen den IAGMR, weshalb sich der Gerichtshof im Jahr 2017 zu einem Vor-Ort Besuch entschloss, um mit den Akteuren Lösungswege zu erarbeiten.628 Die Feststellung der Nichtumsetzung bedeutet in vielen Fällen darüber hinaus nicht etwa, dass keinerlei Maßnahmen eingeleitet worden seien. Vielmehr haben die Anordnungen auf staatlicher Ebene mitunter Prozesse und Debatten in Gang gesetzt, Gerichtsurteile motiviert und Akteure gestärkt, die für strukturelle Reformen einstehen.629 Blickt man auf die Faktoren, welche die Schwierigkeiten der Umsetzung der guarantees of non-repetition begründen, so wird schnell deutlich, dass es zentral auf den Willen der relevanten politischen Akteure ankommt, der häufig nicht besteht und erst über viele Jahre der Einflussnahme nationaler und internationaler Stellen, darunter des IAGMR, aufgebaut werden kann. Der faktische Einfluss des IAGMR ist dabei keineswegs deckungsgleich mit dem (hohen) formalen Rang der AMRK in den Verfassungen der meisten Vertragsstaaten.630 Anders als bei der Auszahlung einer finanziellen Entschädigung braucht es für die Umsetzung der strukturellen Anordnungen des IAGMR zudem regelmäßig die Zustimmung verschiedener Parteien auf nationaler und/oder lokaler Ebene.631 Die Komplexität der strukturellen Anordchos Humanos, Urt. v. 04. 11. 2014, TC/0256/14, 51; vgl. dazu Dinah Shelton/Alexandra Huneeus, In re Direct Action of Unconstitutionality Initiated Against the Declaration of Acceptance of the Jurisdiction of the Inter-American Court of Human Rights, American Journal of International Law 109 (2015), 866. 627 IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020, S. 80; Soley/Steininger, Parting Ways or Lashing Back? Withdrawals, Backlash and the Inter-American Court of Human Rights, Max Planck Institute for Comparative Public Law & International Law Research Paper 1/2018, S. 15, zu den Gegenreaktionen Perus, Trinidad und Tobagos und Venezuelas gegen den IAGMR, ibid. S. 9 ff. 628 Vgl. zur schleppenden Kooperation des Staates mit dem IAGMR, Cases of the Yakye Axa, Sawhoyamaxa and Xákmok Kásek Indigenous communities v. Paraguay. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 01. 09. 2016, Rn. 14; zum Bericht über den Besuch, IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2017, 2018, S. 76 f. 629 Vgl. eingehend Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1331 ff.). 630 Zu weiteren Determinanten vgl. etwa aus der politikwissenschaftlichen Literatur Huneeus, Constitutional Lawyers and the Inter-American Court’s Varied Authority, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 179; Mathias Poertner, Institutional Capacity for Compliance: Latin American States and the Inter-American Court of Human Rights, APSA Annual Meeting Paper 2012; Staton/Romero, Clarity and Compliance in the Inter-American Human Rights System, Conference Paper, International Political Science Association, São Paulo 2011, S. 6 ff. 631 Relativierend zum Einfluss des IAGMR in diesem Sinne auch Tom Gerald Daly, The Alchemists: Questioning our Faith in Courts as Democracy-Builders, Cambridge 2017,
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nungen des IAGMR ist insoweit eine weitere wesentliche Erklärung für die nur unterdurchschnittlichen Umsetzungraten in diesem Bereich, ebenso wie für die intensive Einbindung des IAGMR in der Compliance-Phase.632 Besonders unpopuläre Entscheidungen, etwa die Stärkung der Rechte von Gefangenen oder von Migranten, haben es schließlich besonders schwer, umgesetzt zu werden. Hier kann die Anordnung des IAGMR nur als einer unter vielen Faktoren gesehen werden, die zugunsten eines Reformprozesses auf staatlicher Ebene wirken.633 Eine vertiefte Untersuchung der tatsächlichen Faktoren der Umsetzung oder Nichtumsetzung der guarantees of non-repetition muss im Übrigen einer anderen Arbeit vorbehalten bleiben. Es bleibt an dieser Stelle indes festzuhalten, dass die guarantees of non-repetition nicht nur völkerrechtliche Verpflichtungen für die Staaten bedeuten, sondern auch mit gewissen Effekten innerhalb der Vertragsstaaten einhergehen. Auch deshalb ist nunmehr die Befugnis des IAGMR zur Anordnung der guarantees of non-repetition zu untersuchen.
S. 123 ff.; Huneeus, The institutional limits of Inter-American constitutionalism, in: Dixon/ Ginsburg (Hrsg.), Comparative Constitutional Law in Latin America, 2017, S. 300 (315 ff.). 632 Siehe oben Fn. 608. 633 So auch Calabria, Alterações normativas, transformações sociojurídicas: analisando a eficácia da Corte Interamericana de Direitos Humanos, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1286 (1327); Schönsteiner/Couso, La implementación de las decisiones de los órganos del Sistema Interamericano de Derechos Humanos en Chile: Ensayo de un balance, Revista de Derecho de la Universidad Católica del Norte 22 (2015), 315 (327); Vannuccini, Member States’ Compliance with the Inter-American Court of Human Rights’ Judgments and Orders Requiring Non-Pecuniary Reparations, Inter-American and European Human Rights Journal 7 (2014), 225 (241 f.); Parra Vera, El impacto de las decisiones interamericanas. Notas sobre la producción académica y una propuesta de investigación en torno al „empoderamiento institucional“, in: von Bogdandy/Fix-Fierro/Antoniazzi (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune en América Latina. Rasgos, Potencialidades y Desafíos, 2014, S. 383 (384); Bárbara Ivanschitz, Un estudio sobre el cumplimiento y ejecución de las sentencias de la Corte Interamericana de Derechos Humanos por el estado de Chile, Estudios Constitucionales 11 (2013), 275 (324); Cavallaro/Brewer, Reevaluating Regional Human Rights Litigation in the Twenty-First Century: The Case of the Inter-American Court, American Journal of International Law 102 (2008), 768 (788); María Carmelina Londoño Lázaro, El cumplimiento de las sentencias de la Corte Interamericana: dilemas y retos, in: Comisión Andina de Juristas (Hrsg.), El Sistema Interamericano de Protección de Derechos Humanos y los Países Andinos. Ensayos del VI Curso Regional Andino de Derechos Humanos para Profesores de Derecho, Profesionales de Organizaciones No Gubernamentales y Abogados Defensores de Derechos Humanos, Lima 2006, S. 111.
Teil 3
Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR § 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit des IAGMR Wie im vorangegangenen Teil der Untersuchung gezeigt wurde, zielen die guarantees of non-repetition des IAGMR auf die Beseitigung struktureller, d. h. über die Konventionsverletzungen im konkreten Fall hinausreichender Defizite bei der Gewährleistung der Menschenrechte in einem Vertragsstaat der AMRK. Die Anordnungen beruhen dabei ihrerseits, in der Regel, auf der Thematisierung und Feststellung solcher Defizite im Rahmen der Untersuchung der vorgelegten Beschwerde durch den IAGMR, wodurch der Gerichtshof die Notwendigkeit und das Ausmaß der angeordneten strukturellen Reformen begründet. Die Beschwerde zum Gerichtshof, die sich nach dem Wortlaut der AMRK primär auf die Feststellung von Rechtsverletzungen bestimmter Personen bezieht634, erfährt auf diese Weise eine Erweiterung hin zur Thematisierung und Feststellung von strukturellen Defiziten des Menschenrechtsschutzes in einem Staat. Die Thematisierung und Feststellung struktureller Defizite hat in der Praxis des IAGMR verschiedene Formen angenommen. Sie erfolgt überwiegend in Form der Inzidentkontrolle von staatlichen (Verfassungs-)Gesetzen und generellen Verwaltungspraktiken, soweit sich diese im Rahmen des Einzelfalls ausgewirkt haben.635 Die Untersuchung der Rechtsverletzung im Einzelfall schließt hier die Überprüfung genereller Defizite bei der Gewährleistung der Konventionsrechte ein.636 Eine 634
Siehe oben Fn. 35. Siehe oben S. 139 ff. 636 Vgl. zum Begriff der inzidenten Normenkontrolle Lothar Michael, Normenkontrollen – Teil 1: Funktionen und Systematisierung, Zeitschrift für das Juristische Studium (2012), 765 (760); zur inzidenten Normenkontrolle im Beschwerdeverfahren zum EGMR vgl. Marten Breuer, Wirkungen von Urteilen des EGMR nach 60 Jahren: noch klassisches Völkerrecht oder schon Teil eines „ordre constitutionnel européen“?, in: Andreas Zimmermann (Hrsg.), 60 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention: Die Konvention als „living instrument“, Berlin 2014, S. 51 (59 ff.); Marten Breuer, Das Recht auf Individualbeschwerde zum EGMR im Spannungsfeld zwischen Subsidiarität und Einzelfallgerechtigkeit. Zum Fortgang des ersten Piloturteilsverfahrens in den Sachen Wolkenberg und Witkowska-Tobola, Europäische Grundrechte-Zeitschrift (2008), 121 (123). 635
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit 191
weitere Ausprägung liegt in der Überprüfung der Rechtslage oder generellen Verwaltungspraktiken, wenngleich sich diese Umstände noch nicht oder erst nach den Geschehnissen, die der Beschwerde zugrunde liegen, ausgewirkt haben. Der IAGMR löst sich mitunter in zeitlicher Hinsicht vom untersuchten Einzelfall und lenkt die Überprüfung auf strukturelle Defizite, die zu einem anderen Zeitpunkt für den vorgebrachten Sachverhalt von Relevanz geworden sind und nun mituntersucht werden. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die Überprüfung eines Urteils des Verfassungsgerichts der Dominikanischen Republik aus dem Jahr 2013 und von Migrationsgesetzen aus dem Jahr 2014 im Fall Expelled Dominicans et al. v. Dominican Republic, wengleich sich die Beschwerde auf Geschehnisse im Jahr 2000 bezog.637 Eine dritte, seltenere und weitgehend abstrakte Form der Thematisierung struktureller Defizite findet sich schließlich in Urteilen, in denen der Gerichtshof im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung („context“ oder „background of the facts of the case“) oder an anderen Stellen im Urteil ein generelles Problem bei der Konventionsumsetzung in einem Staat darlegt, das zwar in einem näheren sachlichen Zusammenhang zum untersuchten Fall steht, sich aber nicht unmittelbar oder vollständig im vorgelegten Einzelfall ausgewirkt haben muss.638 Der Gerichtshof nimmt hier den Einzelfall zum Ausgangspunkt für weitreichende zusätzliche Feststellungen zum sozialen, historischen und politischen Kontext des Falls, die über den Einzelfall hinaus zu einer Vielzahl vergleichbarer Konventionsverletzungen geführt haben. Allen Varianten gemein ist, dass die vorgelegte Individualbeschwerde, über die Rechtsverletzungen im konkreten Fall hinaus, zum Anlass der Thematisierung und Feststellung abstrakt-genereller Probleme des Menschenrechtsschutzes wird. Es ist nicht eindeutig, ob und inwieweit der Gerichtshof zu derartigen generellen Feststellungen im Rahmen seiner streitigen Gerichtsbarkeit überhaupt befugt ist. Die Überprüfung und ggf. Feststellung struktureller Defizite bei der Gewährleistung der Konventionsrechte in einem Staat wirft die Frage nach entsprechenden Kompetenzen des IAGMR auf.639 Da internationale Gerichte nach dem herkömmlichen Verständnis nur über abgeleitete Befugnisse verfügen, ist für Handlungen, welche Pflichten der Vertragsstaaten begründen, grundsätzlich eine entsprechende Übertragung von Befugnissen seitens der Vertragsstaaten notwendig.640 Dies gilt auch für die Aus637
Siehe oben Fn. 540. Siehe für Beispiele S. 145, ferner IAGMR, Case of Vargas Areco v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2005, Series C No. 155, Rn. 114 ff. 639 Wie hier für den EGMR Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 117. 640 Chester Brown, Inherent Powers in International Adjudication, in: Cesare Romano/ Karen J. Alter/Yuval Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, Oxford 2014, S. 829 (830 f.); allerdings wird die traditionelle Sichtweise, welche die Spruchtätigkeit internationaler Gerichte primär mit dem Konsens der sie tragenden Staaten rechtfertigt, „[a]ngesichts der Autonomisierung einiger Gerichte sowie der Breite gesellschaftlich umstrittener Themen, über die internationale Gerichte inzwischen judizieren“, als unzureichend kritisiert, Armin von Bogdandy/Ingo Venzke, Zur Herrschaft internationaler Gerichte: Eine Untersuchung internationaler o¨ ffentlicher Gewalt und ihrer demokratischen 638
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
übung der gerichtlichen Zuständigkeit (jurisdiction), die als die Ausübung delegierter Entscheidungsgewalt verstanden werden kann und daher grundsätzlich nur soweit reicht, wie sie von den Vertragsstaaten übertragen worden ist.641 Bereits die rein darstellende Thematisierung struktureller Defizite im Rahmen der Urteilsbegründung ist zudem seitens einiger Staaten kritisiert worden: Im Fall Cabrera García and Montiel Flores wandte sich etwa Mexiko gegen die Berücksichtigung des Kontexts des Falls durch den Gerichtshof (eine Vielzahl von Vorwürfen von Folter und Straflosigkeit von Militärangehörigen im Bundesstaat Guerrero): „The State denied any link between this case with the context mentioned and pointed out that the latter is not part of the object of this case. It requested that the Court base its decisions solely on the case file of the criminal proceedings against the alleged victims for the purpose of determining what happened to Messrs. Cabrera and Montiel. It indicated that ,any other characterization‘ of what occurred ,is nothing more than an improper attempt to introduce into the litigation issues unrelated to the facts of the case.‘642
Tatsächlich ist angesichts der Öffentlichkeitswirkung der Verfahren des IAGMR zu bedenken, dass bereits die Thematisierung struktureller Defizite durch den Gerichtshof die Frage nach dessen Rechtfertigung und entsprechenden Befugnissen aufwirft.643 Umgekehrt ist aber auch die Weigerung des IAGMR, in einigen Fällen über den Einzelfall hinausgehende Defizite am Maßstab der AMRK zu prüfen in der Literatur angegriffen worden. Nach Ansicht von Guarnizo etwa könnte der IAGMR durch eine stärker objektive Prüfung der Einhaltung der Konventionsverpflichtungen die Effektivität seiner Gerichtsbarkeit steigern.644 Andere wiederum bekräftigen die Rechtfertigung, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 70 (2010), 1 (26); von Bogdandy/Venzke, In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens, 2014, S. 185 ff.; vgl. zu einer Untersuchung der demokratischen Legitimation des IAGMR Soley, The Transformative Dimension of Inter-American Jurisprudence, in: von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Transformative Constitutionalism in Latin America, 2017, S. 337. 641 Yuval Shany, Questions of Jurisdiction and Admissibility before International Courts, Cambridge 2015, S. 22 ff.; Hugh Thirlway, The Law and Procedure of the International Court of Justice 1960 – 1989: Part Nine, British Yearbook of International Law 69 (1998), 1 (5). 642 IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, Rn. 62; vgl. auch IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213, Rn. 48: „[T]he State insisted that the Court declare that the global phenomenon of paramilitarism, the paramilitaries’ demobilization process, the implementation of the Justice and Peace Law, and the possible application of Law 1312 of 2009, exceed the purpose of this case.“; IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163, Rn. 11, 31, 70. 643 Vgl. von Bogdandy/Venzke, In wessen Namen? Internationale Gerichte in Zeiten globalen Regierens, 2014, S. 150 ff.; von Bogdandy/Venzke, Zur Herrschaft internationaler Gerichte: Eine Untersuchung internationaler o¨ ffentlicher Gewalt und ihrer demokratischen Rechtfertigung, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 70 (2010), 1 (16 ff.). 644 Guarnizo Peralta, Guarantees of Non-repetition and the Right to Health: Review of the Law and Evolving Practice of Judicial and Semi-judicial Bodies at Global and Regional Levels, 2016, S. 184.
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit 193
Begrenzung der streitigen Gerichtsbarkeit des IAGMR, der primär zum subjektiven Rechtsschutz berufen sei.645 Die Bestimmung des Umfangs der Gerichtsbarkeit des IAGMR – und seiner Kompetenzen zur Thematisierung und Feststellung struktureller Defizite in einem Staat – ist dabei der Überprüfung einer Kompetenz zur Anordnung und Überwachung der guarantees of non-repetition notwendigerweise vorangestellt.
A. Der Maßstab der Gerichtsbarkeit ratione materiae des IAGMR (Art. 62 AMRK) Die Überprüfung struktureller Probleme des Menschenrechtsschutzes in einem Staat wirft Fragen nach der Reichweite der Entscheidungsgewalt des IAGMR in sachlicher Hinsicht auf (im Völkerrecht als sachliche Zuständigkeit oder jurisdiction ratione materiae bezeichnet), denn die Zuständigkeit ratione materiae umgrenzt die Entscheidungsmacht eines Gerichts mit Blick auf bestimmte rechtliche und tatsächliche Fragen.646 Die Grundlagen der sachlichen Zuständigkeit des IAGMR finden sich in Art. 33 und Art. 62 AMRK. Art. 33 AMRK definiert allgemein die Funktionen des IAGMR, der neben der Kommission zur Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen der Vertragsstaaten berufen ist („competence with respect to matters relating to the fulfillment of the commitments made by the States Parties to this Convention“). Die Zuständigkeiten des IAGMR, welche die Ausübung dieser Funktion steuern, sind in Art. 61 ff. AMRK geregelt. Art. 62 Abs. 3 AMRK überträgt dem IAGMR die allgemeine Zuständigkeit betreffend die Auslegung und Anwendung der Konvention in streitigen Verfahren, die ihm von der Kommission oder einem Vertragsstaat vorgelegt worden sind („all cases concerning the interpretation and application of the provi645 Raúl Canosa Usera, ¿Es posible el control pleno de convencionalidad en España?, in: Miguel Carbonell u. a. (Hrsg.), Estado constitucional, derechos humanos, justicia y vida universitaria. Estudios en homenaje a Jorge Carpizo, Mexiko-Stadt 2015, S. 237 (251): „El proceso contencioso que ante elle se sustancia tiene en princípio naturaleza de amparo, no de control normativo.“ 646 Teilweise wird die hier untersuchte Frage auch unter die Zuständigkeit ratione personae gefasst, vgl. etwa Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 133 („Jurisdiction Ratione Personae to Consider Concrete Cases“). Es erscheint jedoch zutreffender, die Frage als Teil der sachlichen Zuständigkeit zu verstehen, da die inhaltliche Reichweite der gerichtlichen Prüfung betroffen ist, während die Zuständigkeit ratione personae sich auf den Kreis der klageberechtigten Personen bezieht. Für den IGH ist nach der sog. dispute-Voraussetzung bspw. die streitige Gerichtskeitsbarkeit in sachlicher Hinsicht auf die Prüfung von Rechtsfragen aus dem Zusammenhang mit einem konkreten Sachverhalt begrenzt, vgl. Shany, Questions of Jurisdiction and Admissibility before International Courts, 2015, S. 69 f.; Robert Kolb, The International Court of Justice, Oxford 2013, S. 298, 305; vgl. ebenfalls für die Einordnung dieser Frage als ein Problem der Zuständigkeit ratione materiae, Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 118, Fn. 67.
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sions of this Convention that are submitted to it“). Dies können Individualbeschwerden oder Staatenbeschwerden sein, deren Gegenstand und Zulässigkeit in den Regelungen über die Kommission (Art. 44 f. AMRK) näher bestimmt wird. Eine enge Begrenzung der sachlichen Zuständigkeit auf die Entscheidung des Einzelfalls lässt sich dem Wortlaut des Art. 62 Abs. 3 AMRK dabei nicht entnehmen. Zwar ist die Voraussetzung der streitigen Zuständigkeit des IAGMR die Vorlage eines „case“, d. h. eines konkreten Streitfalls, der den unmittelbaren Gegenstand der Untersuchung bildet, doch ist die Reichweite der gerichtlichen Untersuchung im Rahmen dieses Streitfalls zumindest nicht ausdrücklich auf die Rechtsverletzung im Einzelfall begrenzt.647 Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit können sich daneben aus den Unterwerfungserklärungen der Vertragsparteien gem. Art. 62 Abs. 2 AMRK ergeben. Wie erläutert, ist die Gerichtsbarkeit des IAGMR für die Vertragsstaaten, anders als im europäischen System, fakultativ. Gem. Art. 62 Abs. 1 AMRK können sich die Vertragsstaaten der Gerichtsbarkeit des IAGMR unterwerfen. Dabei können sie ihre Unterwerfungserklärung zudem an bestimmte Bedingungen knüpfen, welche ihrerseits die Reichweite der Gerichtsbarkeit des IAGMR modifizieren (Art. 62 Abs. 2 AMRK), wovon einige Staaten Gebrauch gemacht haben.648 Von Relevanz sind bislang indes allein Einschränkungen der Zuständigkeit ratione temporis geworden, die, wie etwa im Falle El Salvadors, darauf zielen, der Gerichtsbarkeit des IAGMR Handlungen aus einem bestimmten Zeitraum, hier der Zeit des salvadorianischen bewaffneten Konflikts, zu entziehen.649 Keine der Unterwerfungserklärungen zum 647 So auch zum EGMR Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 119. 648 Die Unterwerfungserklärung kann unter der Bedingung der Gegenseitigkeit auf einen bestimmten Zeitraum oder auf bestimmte Rechtsverletzungen begrenzt abgegeben werden. Die allein fakultative Gerichtsbarkeit des IAGMR war bei seiner Entstehung niemals in Frage gestellt worden und war wohl für die autoritären Regime in der Mehrzahl der ursprünglichen AMRK-Staaten ein Grund, die Konvention überhaupt erst zu unterzeichnen. Die AMRK stellte mangels effektiver Überwachungsorgane ein rein deklaratorisches Regime dar, „a little window dressing for propaganda purposes“, Buergenthal, Foreword, in: Pasqualucci (Hrsg.), The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. xv; Amaya Úbeda de Torres, The optional contentious jurisdiction of the Court, in: Laurence Burgogue-Larsen/Amaya Úbeda de Torres (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Case Law and Commentary, Oxford 2011, S. 7. Von heute 23 Vertragsstaaten der AMRK haben zwanzig Staaten eine Erklärung nach Art. 62 Abs. 2 AMRK abgegeben, wobei zehn hiervon mit Einschränkungen zu bestimmten Aspekten, in zeitlicher oder inhaltlicher Hinsicht versehen sind. Nur für zehn Vertragsstaaten der AMRK gilt die Zuständigkeit des Gerichtshofs also unbegrenzt. Siehe näher www.oas.org/dil/treaties_B-32_American_Conven tion_on_Human_Rights_sign.htm. 649 Vgl. die Erklärung El Salvadors vom 06. 06. 1995: „[…] The Government of El Salvador, in recognizing that competence, expressed that its recognition is for an indefinite period and on condition of reciprocity, and that it retains the right to include exclusively subsequent deeds or juridical acts or deeds or juridical acts began subsequent to the date of deposit of this declaration of acceptance, by reserving the right to withdraw its recognition of competence whenever it may deem it advisable to do so.“ Der Gerichtshof hat die Einschränkung seiner Zuständigkeit ratione
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit 195
IAGMR betrifft hingegen einen Ausschluss der Überprüfung genereller Defizite im Rahmen der Überprüfung eines Einzelfalls. Folglich kommt es zur Bestimmung der Gerichtsbarkeit in dieser Hinsicht allein auf die Auslegung der Bestimmungen der AMRK selbst an.
B. Die funktionale Bestimmung der Gerichtsbarkeit Zur Auslegung der Zuständigkeitsregelung in Art. 62 AMRK ist zunächst Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention heranzuziehen.650 Auch bei der Auslegung von Zuständigkeitsnormen ist der Wortlaut der Regelungen im Lichte ihres rechtlichen Kontexts und Sinn und Zwecks maßgeblich651, und auch der IAGMR geht hiervon temporis in seiner Praxis allerdings stark relativiert. Im Fall Blake v. Guatemala, der das gewaltsame Verschwindenlassen eines US-amerikanischen Journalisten zwei Jahre vor Abgabe der Unterwerfungserklärung durch Guatemala betraf, stellte der IAGMR im Jahr 1998 erstmals fest, dass ein vor der Ratifikation und Unterwerfung liegender Sachverhalt Anknüpfungspunkt andauernder positiver Verpflichtungen sein und seiner Zuständigkeit unterfallen könnte, wenn diese Verpflichtungen nach Unterzeichnung und Unterwerfung nicht erfüllt werden. Der Gerichtshof hat so gegenüber den meisten Vertragsstaaten mittelbar die Verbrechen der vordemokratischen Vergangenheit zum Verfahrensgegenstand gemacht; vgl. IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Merits, Urt. v. 24. 01. 1998, Series C No. 36, Rn. 97; IAGMR, Case of Radilla Pacheco v. Mexico. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2009, Series C No. 209, Rn. 44 ff.; Gabriella Citroni, The Contribution of the Inter-American Court of Human Rights and other International Human Rights Bodies to the Struggle against Enforced Disappearances, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 379 (386 ff.); Claudia Martin, Catching Up with the Past: Recent Decisions of the Inter-American Court of Human Rights Addressing Gross Human Rights Violations Perpetrated During the 1970 – 1980s, Human Rights Law Review 7 (2007), 774 (779 ff.). 650 Vgl. allg. zur Auslegung von Menschenrechtsverträgen und zum Streit über die Anwendung der Wiener Vertragsrechtskonvention C¸alı, Specialized Rules of Treaty Interpretation: Human Rights, in: Hollis (Hrsg.), The Oxford Guide to Treaties, 2012, S. 525 (526 ff.); Vanneste, General International Law Before Human Rights Courts, 2010, S. 213 ff. Im Rahmen der AMRK ist diese Problematik etwas entschärft, da in Art. 29 AMRK Auslegungsregeln zur Verfügung stehen, die leges speciales zu Art. 31 WVK sind. Die WVK ist auf die AMRK im Übrigen nicht direkt anwendbar, da die WVK nach der AMRK in Kraft getreten ist (vgl. Art. 4 WVK), doch geben die Art. 31 ff. WVK Völkergewohnheitsrecht wieder, das, modifiziert durch Art. 29 AMRK, auch bei Anwendung der AMRK zu berücksichtigen ist, vgl. Oliver Dörr, Article 31. General Rule of Interpretation, in: Oliver Dörr/Kirsten Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties: a commentary, Berlin 2012, Rn. 6; Mark E. Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Leiden 2009, Art. 31, Rn. 37; Florian Reindel, Auslegung menschenrechtlicher Verträge am Beispiel der Spruchpraxis des UN-Menschenrechtsausschusses, des Europäischen und des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, München 1995, S. 130 ff.; María Angélica Benavides Casals, Die Auslegungsmethoden bei Menschenrechtsverträgen: Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Baden-Baden 2010, S. 79 ff. 651 Chittharanjan Felix Amerasinghe, Jurisdiction of international tribunals, Den Haag 2003, S. 101.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
aus652. Eine besonders restriktive Auslegung gerichtlicher Zuständigkeitsregelungen ist ferner bereits dem allgemeinen Völkerrecht nicht zu entnehmen.653 Im internationalen Menschenrechtsschutz wird zudem, als Fortsetzung der allgemeinen Rechtsschutzgarantie, die Gerichtsbarkeit am Maßstab effektiver Wirksamkeit zu messen sein.654 Die spezielle Auslegungsregel des Art. 29 AMRK, der vier Beschränkungen der Auslegung aufstellt, hilft indes nicht weiter, da sich die Norm ausweislich ihres Wortlauts und Standorts allein auf die Auslegung der materiellen Gewährleistungen der AMRK bezieht.655 Besondere Bedeutung bei der Auslegung der Zuständigkeitsregelungen erlangt zudem eine Perspektive, die sich an den spezifischen Funktionen des jeweiligen internationalen Gerichts, hier also der Funktionen des IAGMR, orientiert. Wie etwa 652 IAGMR, „Other treaties“ subject to the consultative jurisdiction of the Court (Art. 64 American Convention on Human Rights), Gutachten v. 24. 09. 1982, OC-1/82, Series A No. 1, Rn. 33; IAGMR, Case of Ivcher Bronstein v. Peru. Competence, Urt. v. 24. 09. 1999, Series C No. 54, Rn. 37 f.; IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Interpretation of the Judgment of Reparations and Costs, Urt. v. 01. 10. 1999, Series C No. 57, Rn. 21. 653 Amerasinghe, Jurisdiction of international tribunals, 2003, S. 105 ff. 654 Vgl. etwa IAGMR, Case of the „Mapiripán Massacre“ v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 134, Rn. 105, zum effet utile-Grundsatz: „This principle applies not only to the substantive provisions of the human rights treaties (that is, those provisions that state the rights protected), but also to procedural rules.“; IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Preliminary Objections, Urt. v. 26. 06. 1987, Series C No. 1, Rn. 30; vgl. zum EGMR Hans-Joachim Cremer, Kapitel 4: Regeln der Konventionsinterpretation, in: Oliver Dörr/Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG: Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl., Tübingen 2013. 655 Nach Art. 29 AMRK (Restrictions Regarding Intepretation) ist jede Auslegung verboten, welche die Konventionsrechte unterdrückt oder stärker beschränkt als von der Konvention selbst gestattet ist (lit. a), welche Rechte und Freiheiten einschränkt, die durch innerstaatliches Recht auch nur einer Vertragspartei oder andere Verträge gewährleistet werden, zu denen zumindest ein AMRK-Staat Vertragspartei ist (lit. b), sowie welche Rechte oder Garantien ausschließt „that are inherent in the human personality or derived from representative democracy as a form of government“ (lit. c). Art. 29 lit. c steht in enger Verbindung zur Präambel der AMRK, wonach es Ziel der Vertragsparteien ist „to consolidate in this hemisphere, within the framework of democratic institutions, a system of personal liberty and social justice based on respect for the essential rights of man“. Schließlich verweist Art. 29 lit. d auf die Amerikanische Erklärung der Rechte und Pflichten des Menschen und andere „vergleichbare internationaler Rechtsakte“, deren Wirkungen durch die Auslegung der AMRK nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden dürfen. Art. 29 AMRK betont insgesamt, weitaus stärker als Art. 31 WVK, die Auslegung zur effektiven Gewährleitung der Menschenrechte und der Demokratie und leitet die Auslegung hin zur systematischen Einbindung der AMRK in nationale, regionale und universelle Menschenrechtsstandards. Vgl. zu Art. 29 AMRK IAGMR, Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 08. 2008, Series C No. 182, Rn. 217 ff.; Burgorgue-Larsen, El contexto, las técnicas y las consequencias de la interpretación de la Convención Americana de los Derechos Humanos, Estudios Constitucionales 12 (2014), 105 (108); Gabriela Rodríguez, Artículo 29. Normas de interpretación, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 7 ff.; Medina Quiroga, La Convención Americana: Teoría y Jurisprudencia, 2003, S. 6.
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit 197
Shany erläutert, sind die Regelungen über die gerichtliche Zuständigkeit letztlich funktionaler Natur, da sie die Befugnisse definieren, die ein internationales Gericht zur Erfüllung seiner jeweiligen Aufgaben einsetzen kann. Die Schaffung streitiger Gerichtsbarkeit und ihre Nutzung in konkreten Fällen dient der Realisierung der jeweiligen Funktion eines internationalen Gerichts.656 Daraus folgt für die Auslegung, dass die Reichweite der gerichtlichen Zuständigkeit insbesondere im Lichte der Funktionen bemessen werden muss, die das betreffende internationale Gericht erfüllen soll. Die Auslegung der gerichtlichen Zuständigkeit muss insbesondere die effektive Wahrnehmung der jeweiligen gerichtlichen Funktionen ermöglichen. Auch andere Stimmen betonen in diesem Sinne die Bedeutung einer funktionalen Sichtweise für die Auslegung der Kompetenzen internationaler Gerichte.657 Die Funktionen eines internationalen Gerichts ergeben sich dabei teilweise explizit aus dem gerichtlichen Mandat, teilweise aber auch implizit aus dem anwendbaren Recht und den institutionellen Arrangements des jeweiligen Gerichts.658 Besondere Bedeutung kommt daneben auch der Fortbildung und Konkretisierung der Funktionen durch das jeweilige Gericht selbst zu.659 Wesentlich sind dabei dessen 656
S. 7 ff.
Shany, Questions of Jurisdiction and Admissibility before International Courts, 2015,
657 Vgl. José E. Alvarez, What are International Judges for? The Main Functions of International Adjudication, in: Cesare Romano/Karen J. Alter/Yuval Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, Oxford 2014, S. 159, Karen J. Alter, The Multiple Roles of International Courts and Tribunals: Enforcement, Dispute Settlement, Constitutional and Administrative Review, Northwestern Law & Econ Research Paper 12 – 002/2012, S. 16; Dinah Shelton, Form, Function, and the Powers of International Courts, Chicago Journal of International Law 9 (2009), 537 (557): „The express and implied powers of each court vary with the type of function conferred upon it.“; zu den Grenzen der funktionalen Interpretation hingegen Andreas Paulus, International Adjudication, in: Samantha Besson/John Tasioulas (Hrsg.), The Philosophy of International Law, Oxford 2010, S. 207 (215); die funktionale Auslegung lässt sich auch als eine besondere Form der objektiven Auslegung nach Art. 31 lit. a WVK verstehen, Vanneste, General International Law Before Human Rights Courts, 2010, S. 342. 658 Vgl. zur Herleitung der Funktionen Yuval Shany, Assessing the Effectiveness of International Courts: A Goal-Based Approach, American Journal of International Law 106 (2012), 225 (240 ff.), er unterscheidet zwischen Funktionen, die extern oder intern gesetzt werden, übergeordneten und intermediären Funktionen sowie expliziten und impliziten Funktionen; maßgeblich sei zunächst die Formulierung des Mandats durch die Vertragsstaaten, die auch im Verlauf der Gerichtsbarkeit durch Kritik oder Akzeptanz Einfluss nehmen könnten; ähnlich Samantha Besson, International Judges as Dispute-Settlers and Law-Enforcers: From International Law Without Courts to International Courts Without Law, Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Review 34 (2011), 33 (46); Yaël Ronen, Functions and access, in: William A. Schabas/Shannonbrooke Murphy (Hrsg.), Research Handbook on International Courts and Tribunals, Cheltenham 2017, S. 463. 659 In diesem Sinne auch Alter, The New Terrain of International Law: Courts, Politics, Rights, 2014, S. 32 ff., die internationale Gerichte als Akteure konzipiert, die in einem Raum eigenverantwortlicher und drittnütziger Entscheidungsgewalt agieren und in diesem Rahmen das Recht und auch ihr Mandat fortbilden; Karen J. Alter, Agents or Trustees? International Courts in their Political Context, European Journal of International Relations 14 (2008), 33;
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
strategische Erwägungen über die effektive Erfüllung des Mandats, die Ausrichtung an bestimmten Interessengruppen und die Legitimität der eigenen Entscheidungen in den Augen der Öffentlichkeit.660 Für den IAGMR gilt insofern, dass sich dessen Funktionen maßgeblich aus der besonderen Natur der AMRK als regionaler ordre public, den Besonderheiten der Zusammenarbeit mit der Inter-Amerikanischen Kommission sowie aus dem Kontext der vor den Gerichtshof gebrachten Fälle ergeben. Sie umfassen neben dem Schutz subjektiver Rechte auch die objektive Fortentwicklung und Wahrung der Konventionsrechte sowie die narrative Aufarbeitung des Kontexts der vorgelegten Fälle (siehe sogleich im Einzelnen C.). Das Verhältnis zwischen den Funktionen des IAGMR und der Bestimmung seiner Gerichtsbarkeit lässt sich auch in der Praxis des Gerichtshofs, nämlich am Streit über die Möglichkeit der Kündigung der Unterwerfungserklärung nach Art. 62 Abs. 3 AMRK aufzeigen. Im Jahr 1999 hatte Peru als Protest gegen das Urteil des IAGMR im Fall Castillo Petruzzi, in dem der Gerichtshof Verletzungen der Verfahrensrechte dreier wegen Terrorismus und Hochverrat beschuldigter Personen festgestellt hatte, eine solche Kündigung erklärt.661 Der IAGMR lehnte indes die Möglichkeit einer solchen Kündigung ab und betonte die Notwendigkeit, bei der Auslegung der Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit die besondere Natur von Menschenrechtsverträgen und deren kollektiver Durchsetzung („the special nature of human rights treaties and their collective implementation“) zu berücksichtigen.662 Die effektive Ausübung seiner Funktionen im Rahmen dieses Systems stünde weitreichenden letztlich spiegelt sich hierin auch die Erkenntnis, dass die Regelungen über die Zuständigkeit eine Vielzahl an Auslegungen zulassen, die ihrerseits das Ergebnis unterschiedlicher strategischer und politischer Erwägungen sein können; allg. zur Indeterminacy-Problematik im Völkerrecht Martti Koskenniemi, From Apology to Utopia: The Structure of International Legal Argument, Cambridge 2006, S. 48 ff. 660 Shany, Questions of Jurisdiction and Admissibility before International Courts, 2015, S. 54; vgl. für den EGMR Angelika Nußberger, The Concept of ,Jurisdiction‘ in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, Current Legal Problems 65 (2012), 241 (254). 661 Zum Hintergrund Soley/Steininger, Parting Ways or Lashing Back? Withdrawals, Backlash and the Inter-American Court of Human Rights, Max Planck Institute for Comparative Public Law & International Law Research Paper 1/2018, S. 15 ff.; Susana Mosquera Monelos, Perú ante el sistema interamericano de protección de los derechos humanos. La difícil combinación entre la defensa de los intereses del Estado y los estándares internacionales de protección de los derechos humanos, in: Paola Andrea Acosta Alvarado/Manuel Núñez Poblete (Hrsg.), El margen de apreciación en el sistema interamericano de derechos humanos: Proyecciones Regionales y Nacionales, Mexiko-Stadt 2012, S. 319; Ana Salado Osuna, Las sentencias de fondo de la Corte Interamericana de Derechos Humanos en los casos peruanos, Revista IIDH 37 (2003), 135 (138 ff.). 662 IAGMR, Case of Ivcher Bronstein v. Peru. Competence, Urt. v. 24. 09. 1999, Series C No. 54, Rn. 47 ff.; IAGMR, Case of the Constitutional Court v. Peru. Competence, Urt. v. 24. 09. 1999, Series C No. 55, Rn. 46 ff.; Jorge Cardona LLorens, La función contenciosa de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, in: Corte Interamericana de Derechos Humanos (Hrsg.), El Sistema Interamericano de Protección de los Derechos Humanos en el Umbral del Siglo XXI. Memoria del Seminario de Noviembre de 1999, San José 2001, S. 313 (332, 335 ff.).
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit 199
Möglichkeiten der Einschränkung seiner Gerichtsbarkeit entgegen, weswegen die peruanische Kündigungserklärung unwirksam sei.663
C. Die Überprüfung struktureller Menschenrechtsverletzungen als Teil der Funktionen der Gerichtsbarkeit des IAGMR I. Die subjektive Rechtsschutzfunktion Zweifel an der Kompetenz des IAGMR zur Feststellung und Thematisierung genereller Defizite könnten sich primär aus einer strikten Ausrichtung der streitigen Gerichtsbarkeit auf den subjektiven Rechtsschutz ergeben. Tatsächlich ist der Schutz der subjektiven Rechte der Beschwerdeführer bzw. der von ihnen als Opfer von Konventionsverletzungen benannten Personen eine wesentliche Funktion des streitigen Verfahrens vor dem IAGMR. Bis heute ist der IAGMR für viele Personen die letzte Hoffnung eines unabhängigen und effektiven Schutzes ihrer Rechte.664 Die subjektive Rechtsschutzfunktion ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der AMRK. Art. 63 Abs. 1 AMRK sieht vor, dass der Gerichtshof Verletzungen der AMRK feststellt („If the Court finds that there has been a violation of a right or freedom protected by th[e] Convention“), wobei sich diese Feststellung zunächst allein auf die Verletzung von Rechten konkreter Personen bezieht, und nicht auf generelle Defizite bei der Umsetzung der Konvention in einem Verstragsstaat („the Court shall rule that the injured party be ensured the enjoyment of his right or freedom that was violated.“).665 Sie ergibt sich ferner aus dem systematischen Zusammenhang der 663 Ibid., vgl. auch IAGMR, Case of the Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Preliminary Objections, Urt. v. 23. 11. 2004, Series C No. 118, Rn. 69: „As in other cases, the Court also reiterates that the clause on recognition of the Court’s jurisdiction is essential to the effectiveness of the international protection mechanism and must be interpreted and applied so that the guarantee it establishes is truly practical and effective, bearing in mind the special nature of human rights treaties and their collective implementation.“ Insoweit bestehen Parallelen zum Vorgehen des EGMR im Fall von ratione loci-Beschränkungen der streitigen Gerichtsbarkeit in EGMR (GK), Loizidou v. Turkey (Preliminary Objections), Urt. v. 23. 03. 1995, Nr. 15318/89, Rn. 83 ff.; Hans-Konrad Ress, Die Zulässigkeit territorialer Beschränkungen bei der Anerkennung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Anmerkung zum Fall Loizidou gegen die Türkei vom 23. März 1995, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 56 (1996), 427 (432 ff.). 664 Zum Gerichtshof als „last resort“ siehe die Wiedergabe von Interviews mit Opfern und Angehörigen vor dem IAGMR bei Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 22 ff.; ferner Lea Shaver, The InterAmerican Human Rights System: An Effective Institution for Regional Rights Protection?, Washington University Global Studies Law Review 9 (2010), 640 (647); Abramovich, From Massive Violations to Structural Patterns: New Approaches and Classic Tensions in the InterAmerican Human Rights System, SUR-International Journal on Human Rights 6 (2009), 7 (9). 665 Ronen, Functions and access, in: Schabas/Murphy (Hrsg.), Research Handbook on International Courts and Tribunals, 2017, S. 463 (467); vgl. zum EGMR Haider, The PilotJudgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 110.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
streitigen Gerichtsbarkeit des IAGMR mit dem Beschwerdeverfahren zur Kommission. Dieses Verfahren kommt durch eine Beschwerde einer natürlichen Person, einer Gruppe oder einer NGO zur IAKMR in Gang (Art. 44 AMRK), die dann dem Gerichtshof vorgelegt werden kann. Wenngleich dabei keine Selbstbetroffenheit nachgewiesen werden muss, so muss sich die Beschwerde doch auf die Verletzung von Rechten bestimmter Individuen beziehen (victim requirement).666 Die Kommission behandelt solche Beschwerden als unzulässig, die sich auf rein abstrakte Probleme beziehen.667 Eine Grundlage hierfür findet sich in der Notwendigkeit der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs gem. Art. 46 AMRK.668 Die Natur der streitigen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ist durch diese subjektive Ausrichtung des Beschwerdeverfahrens zur IAKMR vorgeprägt und mit dieser kongruent.669 Die Ausrichtung des Verfahrens auf den subjektiven Rechtsschutz sagt indes als solches nichts darüber aus, ob in dessen Rahmen nicht auch generelle Defizite Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sein können. Im Einklang mit dem allgemeinen Recht der Staatenverantwortlichkeit kann grundsätzlich jede dem Staat zurechenbare Handlung oder Unterlassung, d. h. also auch abstrakt-generelle Ge666
Siehe oben S. 38 ff., ferner Liliana Tojo/Pilar Elizalde, Artículos 44 – 47. Competencia de la Comisión Interamericana de Derechos Humanos, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 33; Pinzón, The victim requirement, the fourth instance formula and the notion of person in the individual complaint procedure of the Inter-American Human Rights System, ILSA Journal of International & Comparative Law 7 (2001), 369. 667 IAKMR, María Eugenia Morales de Sierra v. Guatemala, Beschl. v. 19. 01. 2001, Report No. 4/01. Case 11.625, Rn. 30; IAKMR, Emérita Montoya González v. Costa Rica. On Admissibility, Beschl. v. 16. 10. 1996, Report No. 48/96. Case 11.553, Rn. 28; Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, 2. Aufl., 2013, S. 133 f. 668 Tojo/Elizalde, Artículos 44 – 47. Competencia de la Comisión Interamericana de Derechos Humanos, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 33, 43 ff.; die IAKMR verweist ferner auf den sprachlichen Unterschied von Art. 44 AMRK zur Regelung der Staatenbeschwerde in Art. 45 AMRK, durch die auch rein abstrakte Verletzungen der Konvention geltend gemacht werden können: „The Commission observes that the fact that for petitions presented pursuant to Article 44 the Convention refers to ,denunciations or complaints of violation of this Convention‘, whereas for communications presented under Article 45 the Convention refers to allegations concerning ,a violation of a human right set forth in this Convention‘, suggests an intention that states should be able to bring to the attention of the IACHR not only situations that have affected individual or identifiable victims but also generalized situations of widespread or systematic violation of human rights.“ IAKMR, Nicaragua v. Costa Rica, Beschl. v. 08. 03. 2007, Report No. 11/07, Rn. 195 f. 669 Gemäß Art. 61 Abs. 2 AMRK ist es eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Verfahrens vor dem Gerichtshof, dass zuvor sämtliche notwendigen Verfahrensschritte vor der Kommission durchgeführt wurden. Eine unzulässige Beschwerde zur Kommission, welche etwa rein abstrakte Verletzungen der AMRK zum Gegenstand hat, kann so nicht ihrerseits vor dem Gerichtshof zulässig sein. Der Gerichtshof ließ in einem seiner ersten Urteile eine entsprechende preliminary objection Nicaraguas gegen die Vorlage der Kommission zu, da diese die rein abstrakte Vereinbarkeit eines Gesetzes mit der AMRK betroffen habe, das im Einzelfall nicht angewandt worden sei, IAGMR, Case of Genie Lacayo v. Nicaragua. Preliminary Objections, Urt. v. 27. 01. 1995, Series C No. 21, Rn. 50.
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setze oder allgemeine Verwaltungspraktiken, die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates zur Folge haben.670 Art. 2 AMRK führt sogar ausdrücklich die Verpflichtungen der Legislative und Exekutive eines Staates auf, abstrakt-generelle Gesetze und Verwaltungspraktiken zu verabschieden oder aufzuheben, welche die effektive Gewährleistung der Rechte garantieren bzw. behindern. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung bedeutet in der Dogmatik der AMRK eine Verletzung eines substantiellen Rechts i.V.m. Art. 2 AMRK.671 Die subjektive Rechtsschutzfunktion bedeutet in diesem Kontext grundsätzlich allein, dass die in der Beschwerde als Opfer bezeichneten Personen von dem generellen Beschwerdegegenstand betroffen und beschwert sein müssen. An dieser Stelle unterscheidet sich auch das Beschwerdeverfahren zum IAGMR von einer echten Popularbeschwerde.672 Entsprechend hält auch der IAGMR grundsätzlich daran fest, dass sich ein in der Beschwerde angegriffenes Gesetz, das geltendgemachte legislative Unterlassen oder bestimmte institutionelle Missstände im Einzelfall ausgewirkt haben müssen.673 Bei einem abstrakt-generellen Gesetz kann die persönliche Beschwer zum einen dann vorliegen, wenn ein Vollzugsakt wie ein Urteil oder Verwaltungsakt vorliegt, der auf einem Gesetz oder auf gesetzgeberischem Unterlassen beruht. Wenn in diesen Fällen nicht der Vollzugsakt, sondern letztlich das Gesetz die Verletzung subjektiver Rechte verursacht, etwa weil der Vollzugsakt nach innerstaatlichem Recht rechtmäßig ist, verlangt das Gebot effektiven Rechtsschutzes die inzidente Kontrolle der generellen Maßnahme. Die inzidente Kontrolle eines generellen Defizits ist in diesen Fällen unumgänglich. Sie kann letztlich als ein Reflex der subjektiven Rechtsschutzfunktion angesehen werden.674 Zum anderen ist neben der inzidenten Kontrolle in bestimmten Konstellationen auch eine abstraktgenerelle Kontrolle von Gesetzen oder generellen Defiziten schon mit der Idee effektiven subjektiven Rechtsschutzes vereinbar. Eine individuelle Betroffenheit wird nämlich auch dann angenommen werden müssen, wenn bereits die durch die angegriffenen Bestimmungen geschaffene Rechtslage den Beschwerdeführer bzw. das benannte Opfer in einer konventionsrechtlich geschützten Position beeinträchtigt
670 Vgl. in dieser Hinsicht bereits IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4, Rn. 169 f.; zum Beschwerdegegenstand vor dem EGMR Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München 2016, § 9 Rn. 2. 2. 671 Siehe oben S. 131 ff. 672 Medina Quiroga/Nash Rojas, Sistema interamericano de derechos humanos: introducción a sus mecanismos de protección, 2011, S. 55 f. 673 Siehe oben Fn. 446 und betr. Text. 674 Canosa Usera, ¿Es posible el control pleno de convencionalidad en España?, in: Carbonell u. a. (Hrsg.), Estado constitucional, derechos humanos, justicia y vida universitaria. Estudios en homenaje a Jorge Carpizo, 2015, S. 237 (242); Breuer, Das Recht auf Individualbeschwerde zum EGMR im Spannungsfeld zwischen Subsidiarität und Einzelfallgerechtigkeit. Zum Fortgang des ersten Piloturteilsverfahrens in den Sachen Wolkenberg und Witkowska-Tobola, Europäische Grundrechte-Zeitschrift (2008), 121 (123).
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
oder zu beeinträchtigen droht.675 Er oder sie muss nicht auf eine Vollzugsmaßnahme, z. B. einen Verwaltungsakt oder ein Strafurteil warten, wenn eine unmittelbare Betroffenheit durch das Gesetz vorliegt, oder eine Verhaltensänderung notwendig ist.676 Von der streitigen Gerichtsbarkeit (im Sinne der subjektiven Rechtsschutzfunktion) gedeckt sind insoweit etwa bereits die Urteile des IAGMR, in denen Strafgesetze, auf denen die angegriffenen Verurteilungen im Einzelfall beruhten, am Maßstab des Art. 2 AMRK überprüft wurden677 oder die Überprüfung der unzureichenden Regelung des indigenen Gemeinschaftseigentums, die etwa im Fall der paraguayanischen indigenen Völker die Restitution verlorenen Landes unmöglich machte.678 Der Umstand, dass sich die betreffenden Einzelakte nach staatlichem Recht als rechtmäßig herausstellten, lenkte die Überprüfung zutreffend auf die abstrakt-generelle Ebene hin zur Kontrolle der zugrunde liegenden Rechtslage. Entsprechend folgerichtig verneinte der Gerichtshof umgekehrt die Kontrolle der generellen Rechtslage in Fällen, in denen der Vollzugsakt, nicht aber das Gesetz konventionswidrig war, der Einzelakt also nicht auf einem konventionswidrigen Gesetz beruhte. Dann war die inzidente Überprüfung der generellen Maßnahme nicht zum subjektiven Rechtsschutz angezeigt. Letzteres war etwa im Fall der Kuna Indigenous People of Madungandí and the Emberá Indigenous People of Bayano and their members v. Panama gegeben. Hier stellte der Gerichtshof im konkreten Fall die Verletzung der staatlichen Verpflichtung zum Schutz des Territoriums indigener Völker fest, die auch die Pflicht zur Beseitigung von Landnahmen durch Dritte umfasst.679 Die Überprüfung eines Falls gesetzgeberischen Unterlassens lehnte der Gerichtshof – im Sinne der subjektiven Rechtsschutzfunktion folgerichtig – ab, weil
675
Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 2016, § 13, Rn. 19. Jens Meyer-Ladewig/Andreas Kulick, Artikel 34 EMRK, Individualbeschwerden, in: Meyer-Ladewig u. a. (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention Kommentar, 4. Aufl., 2017, Rn. 28. 677 Siehe oben S. 98 ff., insb. IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260, Rn. 293; IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52, Rn. 119 ff.; IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Merits, Urt. v. 17. 09. 1997, Series C No. 33, Rn. 68. 678 IAGMR, Case of the Xákmok Kásek Indigenous Community. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 08. 2010, Series C No. 214, Rn. 154; IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146, Rn. 143 f.; IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125, Rn. 155 f. 679 IAGMR, Case of the Kuna Indigenous People of Madungandí and the Emberá Indigenous People of Bayano and their members v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 10. 2014, Series C No. 284, Rn. 146; vgl. auch IAGMR, Case of Fontevecchia and D‘Amico v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2011, Series C No. 238, Rn. 96. 676
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die Fakten für ein unzureichendes Vorgehen der staatlichen Stellen im Einzelfall sprachen, nicht aber für eine unzureichende gesetzliche Ausgestaltung des Schutzes: „[…] el Tribunal constata que los representantes y la Comisión no indicaron con precisión de qué forma la falta de una autoridad competente para atender la problemática de invasión de colonos configuró una afectación a los derechos de las comunidades en el presente caso. Por el contrario, los alegatos presentados indican que fueron presentadas acciones a nivel interno, y que sería la falta de debida diligencia de las autoridades que habría redundado en la inefectividad de las mismas y no el diseño de la normatividad.“680
Ferner begegnen etwa die Urteile des IAGMR in Hilaire et al., in denen der Gerichtshof das Gesetz über die Todes- und Körperstrafe überprüfte, obwohl die verurteilten Personen noch nicht dieser Strafe zugeführt worden waren, keinerlei Bedenken mit Blick auf die Reichweite der streitigen Gerichtsbarkeit, da die Personen durch das Gesetz bereits in ihren Rechten beeinträchtigt waren bzw. eine solche Beeinträchtigung drohte.681 Auch die abstrakt-generelle Überprüfung des Staatsangehörigkeitsrechts der Dominikanischen Republik im Fall der Expelled Dominicans and Haitians war mit der subjektiven Rechtsschutzfunktion vereinbar, weil durch die Auslegung des Verfassungsgerichts im Jahr 2013 den Beschwerdeführern bzw. den vor den IAGMR als Opfer bezeichneten Personen rückwirkend ihre Staatsangehörigkeit entzogen worden war.682 Sowohl die inzidente Überprüfung von Gesetzen am Maßstab des Art. 2 AMRK in Fällen, in denen diese Gesetze angewendet wurden, als auch die abstrakt-generelle Überprüfung bestimmter Gesetze lassen sich so bereits mit der Reichweite der Gerichtsbarkeit ratione materiae in der Funktion des subjektiven Rechtsschutzes vereinbaren. Daneben erscheint aber auch die Thematisierung genereller Zustände im Rahmen der Merits oder der Sachverhaltsdarstellung mit der subjektiven Rechtsschutzfunktion des IAGMR vereinbar. Art. 62 Abs. 3 AMRK überträgt dem IAGMR die Kompetenz zur Überprüfung der vorgelegten Beschwerde am Maßstab der AMRK. Im Rahmen der Individualbeschwerde bedeutet dies, dass der Gerichtshof zuständig ist, sämtliche Aspekte eines Falls zu untersuchen, die zu einer Verletzung von Rechten geführt haben könnten – unter anderem also auch abstrakt-generelle Zustände.683 Gem. Art. 66 Abs. 1 AMRK soll der IAGMR ferner seine Urteile begründen („Reasons shall be given for the judgment of the Court“). Welche Schritte der Gerichtshof bei der Untersuchung und Begründung einer Konventionsverletzung im Einzelfall unternehmen darf wird hierdurch nicht geregelt, sondern ist in das 680 IAGMR, Case of the Kuna Indigenous People of Madungandí and the Emberá Indigenous People of Bayano and their members v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 10. 2014, Series C No. 284, Rn. 197. Hervorhebung hinzugefügt. 681 Siehe oben Fn. 352. 682 Siehe oben Fn. 540. 683 Vgl. Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 119.
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Ermessen des Gerichtshofs gestellt.684 Dem Gerichtshof muss es im Rahmen seiner Überprüfung daher freistehen, eine Verletzung im Einzelfall, etwa die unmenschliche und erniedrigende Behandlung eines Gefangenen, mit den generellen Zuständen in einem Gefängnis zu begründen oder allgemein auf die katastrophale Situation der Gefangenen im ganzen Staat hinzuweisen. Der IAGMR hat die Reichweite seiner Kompetenzen im Sinne der subjektiven Rechtsschutzfunktion insoweit bereits in einem Gutachten aus dem Jahr 1994 zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Staaten für konventionswidrige Gesetze dargelegt. Er stellte im Einklang mit der subjektiven Rechtsschutzfunktion fest, dass die eigene Gerichtsbarkeit primär die Rechtsverletzung bestimmter Personen betreffe und dass eine rein abstrakte Prüfung von Gesetzen ohne subjektive Beschwer nicht Gegenstand der streitigen Gerichtsbarkeit sein könne: „The contentious jurisdiction of the Court is intended to protect the rights and freedoms of specific individuals, not to resolve abstract questions. There is no provision in the Convention authorizing the Court, under its contentious jurisdiction, to determine whether a law that has not yet affected the guaranteed rights and freedoms of specific individuals is in violation of the Convention.“685
Allerdings hat der Gerichtshof die Überprüfung von Gesetzen, die im Einzelfall angewendet wurden sowie von Gesetzen, die keiner weiteren Vollzugshandlung bedürfen, weil sie bereits als solche die Konventionsrechte beeinträchtigen, in seinem Gutachten von seiner streitigen Gerichtsbarkeit gedeckt angesehen: „If a law is non-self-executing and has not yet been applied to a concrete case, the Commission may not appear before the Court to present a case against the state merely on the grounds that the law has been promulgated. Non-self-executing laws simply empower the authorities to adopt measures pursuant to them. They do not of themselves constitute a violation of human rights. […] In the case of self-executing laws, as defined above, the violation of human rights, whether individual or collective, occurs upon their promulgation. Hence, a norm that deprives a portion of the population of some of its rights – for example, because of race – automatically injures all the members of that race.“686
II. Die objektiv-rechtlichen Funktionen Wenngleich die streitige Gerichtsbarkeit des IAGMR nach dem Vorstehenden bereits im Rahmen ihrer subjektiven Rechtsschutzfunktion Raum zur Thematisierung und Feststellung struktureller Defizite lässt, so kann die Praxis des IAGMR ihre Rechtfertigung doch im Wesentlichen in den über den Individualrechtsschutz hin684 Mit dem gleichen Argument zu Art. 62 Abs. 2 AMRK, IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Preliminary Objections, Urt. v. 26. 06. 1987, Series C No. 1, Rn. 29. 685 IAGMR, International Responsibility for the Promulgation and Enforcement of Laws in Violation of the Convention (Artt. 1 and 2 of the American Convention on Human Rights). Gutachten v. 09. 12. 1994, Series A No.14, Rn. 49. 686 Ibid., Rn. 42 f.
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit 205
ausreichenden objektiv-rechtlichen Funktionen der Beschwerde zum Gerichtshof finden. Die wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Anknüpfungspunkte dieser Funktion wurden im ersten Teil der Untersuchung bereits dargelegt, namentlich der Verzicht der AMRK auf die Voraussetzung der Beschwerdebefugnis, das Ermessen der IAKMR bei Vorlage einer Beschwerde, die Praxis der strategic litigation der im Inter-Amerikanischen System maßgeblichen NGOs, die begrenzten Ressourcen des IAGMR und nicht zuletzt die institutionelle Entwicklung des IAGMR im Kontext paradigmatischer Beschwerdeverfahren.687 Dass die Vorlage eines Falls zum IAGMR hiernach Funktionen mit Blick auf den Menschenrechtsschutz im betroffenen Staat und in der Region als Ganzes erfüllt, kann – im Einklang mit der Sichtweise des IAGMR688 und der insoweit einhelligen Meinung in der Literatur689 – nicht in Frage gestellt werden. Das Urteil des IAGMR dient in diesem Sinne immer auch der verbindlichen Fortbildung der Konventionsgarantien („law-making function“) über den konkreten Fall hinaus, weshalb es richtig ist, dass der Gerichtshof auch Rechtsverletzungen prüft, die von keiner der Parteien geltend gemacht worden sind und der IAGMR die 687
Siehe oben S. 23 ff. Zur Sichtweise des IAGMR und den weiteren Ausprägungen der objektiv-rechtlichen Funktion siehe oben S. 198 f. 689 In der Literatur zum IAGMR wird die objektiv-rechtliche Funktion des IAGMR beinahe einhellig vorausgesetzt; die Diskussion dreht sich viel mehr darüber hinausgehend um die (quasi-)konstitutionelle Natur des Gerichtshofs. Nach Ansicht vieler Autoren führt der IAGMR die Schaffung eines regionalen Verfassungsrechts an, wobei als Beleg auf die Konstitutionalisierung der AMRK „von oben“ durch die conventionality control-Lehre sowie auf die Konstitutionalisierung „von unten“ durch den bloque de constitucionalidad in den Verfassungen vieler Konventionsstaaten verwiesen wird. Inwieweit die verfassungsrechtliche Analogie auf den IAGMR zutrifft, soll in dieser Arbeit nicht näher vertieft werden. Für die hier durchgeführte Analyse reicht insoweit der Verweis auf die objektiv-rechtliche Funktion der Gerichtsbarkeit des IAGMR aus. Siehe zur Debatte Johann Justus Vasel, Regionaler Menschenrechtsschutz als Emanzipationsprozess: Grundlagen, Strukturen und Eigenarten des europäischen und interamerikanischen Menschenrechtsschutzsystems, Berlin 2017, S. 171 ff., 182 ff.; Ariel Dulitzky, An Inter-American Constitutional Court? The Invention of the Conventionality Control by the Inter-American Court of Human Rights, Texas International Law Journal 50 (2015), 46; Laurence Burgorgue-Larsen, La Corte Interamericana de Derechos Humanos como tribunal constitucional, in: Armin von Bogdandy/Héctor Fix-Fierro/Mariela Morales Antoniazzi (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune en América Latina. Rasgos, Potencialidades y Desafíos, Mexiko-Stadt 2014, S. 421; Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011. Siehe ferner die Publikationen und Veranstaltungen der Arbeitsgruppe Ius Constitutionale Commune en América Latina. Abrufbar unter: www.mpil.de/en/pub/research/areas/comparati ve-public-law/ius-constitutionale-commune.cfm, die mit der Stärkung eines Dialogs der Gerichte in Lateinamerika, mit dem IAGMR an der Spitze, auch ein politisches Anliegen verfolgen, vgl. Armin von Bogdandy/Eduardo Ferrer-Mac Gregor/Mariela Morales Antoniazzi/ Flavia Piovesán/Ximena Soley, Ius Constitutionale Commune En América Latina: A Regional Approach to Transformative Constitutionalism, Max Planck Institute for Comparative Public Law & International Law Research Paper 21/2016, S. 4: „[…] changing political and social realities of Latin America in order to create the general framework for the full realization of democracy, the rule of law, and human rights […].“ 688
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Vertragsstaaten im Rahmen der conventionality control-Doktrin generell zur Berücksichtigung seiner Rechtsprechung anhält.690 Daneben kann das streitige Verfahren vor dem IAGMR durchaus auch der Thematisierung und Beurteilung genereller Defizite und struktureller Probleme dienen, sofern dies für den Schutz des objektiven Konventionsrechts erforderlich erscheint. Wie die Beschwerde zu einigen Verfassungsgerichten in Lateinamerika oder die Individualbeschwerde zum EGMR, ist auch die Vorlage von Beschwerden zum IAGMR immer zugleich als ein Mittel zu verstehen, mit dem generelle Defizite bei der Gewährleistung der Konventionsrechte in einem Staat thematisiert und auf ihre Korrektur hingewirkt werden kann.691 Shelton hat diese eigenständige Funktion der Beschwerde als „compliance-assessment“ bezeichnet692 und was Ronen mit Blick auf die Individualbeschwerde zum EGMR schreibt, gilt im Ergebnis auch für die Vorlage von Beschwerden zum IAGMR:
690 Siehe zur conventionality control-Doktrin oben S. 44 ff.; allg. zur Rechtssetzung durch internationale Gerichte Samantha Besson, Legal Philosophical Issues of International Adjudication: Getting over the amour impossible between International Law and Adjudication, in: Cesare Romano/Karen J. Alter/Yuval Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, Oxford 2014, S. 414 (420 ff.); Armin von Bogdandy/Ingo Venzke, Beyond Dispute: International Judicial Institutions as Lawmakers, German Law Journal 12 (2011), 979 (986 ff.); speziell zum IAGMR Binder, Auf dem Weg zum lateinamerikanischen Verfassungsgericht? Die Rechtsprechung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs im Bereich der Amnestien, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 71 (2011), 1. 691 Der Ansatz des IAGMR findet sein Vorbild bei einigen Verfassungsgerichten in der Region, die ebenfalls eine Praxis struktureller Anordnungen entwickelt haben. Siehe etwa die acción de tutela nach Art. 86 der kolumbianischen Verfassung (1991). Jedermann kann hiernach gegen das Tun oder Unterlassen von staatlichen Behörden oder bestimmte private Handlungen eine formlose Verfassungsklage vor dem ortsnächsten amtierenden Richter erheben, der innerhalb von zehn Tagen entscheiden muss. Die Anordnungen können durch das Kolumbianische Verfassungsgericht ex officio überprüft werden, das auf eine einheitliche Rechtsprechung hinwirkt und in Fällen struktureller Rechtsverletzungen weitreichende Anordnungen trifft, vgl. Rodolfo Arango, Das kolumbianische Verfassungsgericht und die sozialen Rechte, Verfassung und Recht in Übersee 42 (2009), 576 (578). Eine Art Verfassungsbeschwerde findet sich im amparo-Rechtsbehelf zur costaricanischen Sala IV nach Art. 48 der costaricanischen Verfassung, siehe näher Bruce M. Wilson, Institutional Reform and Rights Revolutions in Latin America: The Cases of Cost Rica and Colombia, Journal of Politics in Latin America 1 (2009), 59 (74 ff.); zur objektiven Funktion der Verfassungsbeschwerde in Deutschland siehe Rüdiger Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl., München 2017, Rn. 73 ff.; Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht: Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 10. Aufl., München 2015, Rn. 272; zum EGMR siehe Steven Greer/Luzius Wildhaber, Revisiting the Debate about „Constitutionalising“ the European Court of Human Rights, Human Righs Law Review (2012), 655 (664 ff.). 692 Dinah Shelton, Inherent and Implied Powers of Regional Human Rights Tribunals, in: Carla M. Buckley/Alice Donald/Philip Leach (Hrsg.), Towards convergence in international human rights law: approaches of regional and international systems, Leiden 2017, S. 454 (474 ff.); vgl. auch Shelton, Form, Function, and the Powers of International Courts, Chicago Journal of International Law 9 (2009), 537 (564).
§ 1 Strukturelle Menschenrechtsverletzungen als Gegenstand der Gerichtsbarkeit 207 „The international human rights mechanism […] is often referred to as a ,constitutional‘ mechanism by which individual applications are the means by which defects in national protection of human rights are detected with a view to correcting them; thereby raising the general standard of protection of human rights, both in the state concerned and in the Convention community of states as a whole.“693
Aus der objektiv-rechtlichen Funktion des IAGMR folgt an dieser Stelle, dass der IAGMR im Rahmen seiner streitigen Gerichtsbarkeit nicht immer strikt an den Sachverhalt des Einzelfalls gebunden angesehen werden kann, sondern, soweit dies für die Gewährleistung der effektiven Wirksamkeit der Konventionsrechte in einem Staat als notwendig erscheint, zusätzlich auf verwandte strukturelle Defizite eingehen können muss.694 Auch angesichts der langen Verfahrensdauer im InterAmerikanischen System695 erscheint es notwendig, den IAGMR nicht strikt auf den Sachverhalt der Beschwerde festgelegt zu sehen, um die Wirksamkeit des Schutzsystems zu gewährleisten. Solange der Gerichtshof die Beschwerde im Einzelfall prüft, erscheint es zulässig, den Fall zudem in einem weiten Fokus zu begutachten, dessen Kontext aufzuzeigen und die relevante Rechtslage sowie allgemein das Handeln bestimmter Institutionen am Maßstab der AMRK zu messen.696 Als zulässig erscheint dabei insbesondere die Überprüfung von Gesetzen und generellen Defiziten in einem Staat selbst dann, wenn eine individuelle Betroffenheit nicht mehr vorhanden sein sollte. Beispielsweise erscheint aus diesem Grund die über den zeitlichen und sachlichen Rahmen des Einzelfalls hinausgehende Thematisierung des Problems geschlechtsbezogener Gewalt in Guatemala im Fall Velásquez Paiz697, als gerechtfertigt, obwohl kein kausaler Zusammenhang mehr zu den Rechtsverletzungen im Einzelfall bestand. Hier zeigte sich vielmehr die objektiv-rechtliche Dimension der Gerichtsbarkeit des IAGMR. Umgekehrt hätte der Gerichtshof seine Überprüfung in einer Reihe von Urteilen nicht derart eng zu ziehen brauchen und etwa, anders als entschieden, auf die Vereinbarkeit von Gesetzen mit der AMRK eingehen können, wenngleich diese nach den Geschehnissen des Einzelfalls als 693 Ronen, Functions and access, in: Schabas/Murphy (Hrsg.), Research Handbook on International Courts and Tribunals, 2017, S. 463 (469). 694 Vgl. Shelton, Form, Function, and the Powers of International Courts, Chicago Journal of International Law 9 (2009), 537 (564). 695 Beschwerdeführer müssen zunächst den innerstaatlichen Rechtsweg beschreiten. Anschließend braucht ein Fall durchschnittlich sieben Jahre bis zu einem Urteil des IAGMR (davon fünf Jahre vor der IAKMR, zwei Jahre vor dem Gerichtshof), siehe Huneeus, The institutional limits of Inter-American constitutionalism, in: Dixon/Ginsburg (Hrsg.), Comparative Constitutional Law in Latin America, 2017, S. 300 (318); Ariel Dulitzky, Too Little, Too Late: The Pace of Adjudication of the Inter-American Commission on Human Rights, Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Review 35 (2013), 131. 696 Wie hier Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 124. 697 IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, Rn. 43 ff.; vgl. auch IAGMR, Case of Ramírez Escobar et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 09. 03. 2018, Series C No. 351, Rn. 408.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Reform der ursprünglich angewendeten Gesetze verabschiedet worden waren.698 Die Gerichtsbarkeit des IAGMR nach Art. 62 AMRK, bestimmt im Sinne ihrer objektivrechtlichen Funktionen, hätte dem Gerichtshof hier eine umfassendere Prüfung ermöglicht. III. Die narrative Funktion Die Praxis des IAGMR, im Urteil den „Context of the case“ zu thematisieren, d. h. neben den Fakten des Einzelfalls auch umfangreiche Feststellungen zum sozialen, historischen und politischen Kontext zu treffen und strukturelle Probleme des Menschenrechtsschutzes zu identifizieren, kann darüber hinaus ihre Grundlage in der narrativen Funktion des Gerichtshofs finden. Diese Funktion ist bislang überwiegend für internationale Strafgerichte herangezogen worden.699 Neben der Bestrafung der Täter gehören hiernach auch die Wiedergabe und Verbreitung einer bestimmten Erzählung über die „historische Wahrheit“ des zugrunde liegenden Konflikts zu den wesentlichen Aufgaben der internationalen Strafgerichtsbarkeit. Durch die Anklage bestimmter Taten und die gerichtlichen Feststellungen im Urteil soll ein autoritatives Narrativ der historischen Wahrheit etabliert und kommuniziert werden, welche die dem Konflikt zugrunde liegenden Erzählungen deligitimieren und Versöhnung ermöglichen soll.700 Die Erzählung des Sachverhalts im Urteil, als eine Sequenz von zeitlich und logisch miteinander zusammenhängenden Ereignis698
Siehe die Beispiele oben auf S. 149 ff., ferner etwa IAGMR, Case of Torres Millacura et al. v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 08. 2011, Series C No. 229, Rn. 178; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 281 ff.; in die Richtung einer Überprüfung der Reformgesetzgebung IAGMR, Case of Alvarado Espinoza et al. v. México. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2018, Series C No. 370, Rn. 323; IGMR, Case of Gorigoitía v. Argentina. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2019, Series C No. 382, Rn. 72. 699 Vgl. etwa den Bericht des UN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat, der „establishing a record of past events“ als eine der Funktionen der ad hoc-Strafgerichte bezeichnete, Security Council, The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies: Report of the Secretary General, 23. 08. 2004, S/2004/616, Rn. 38; ferner Marina Aksenova, The Role of International Criminal Tribunals in Shaping the Historical Accounts of Genocide, in: Uladzislau Belavusau/Aleksandra Gliszczyn´ska-Grabias (Hrsg.), Law and Memory: Towards Legal Governance of History, Cambridge 2017, S. 48 (54); Ronen Steinke, The Politics of International Criminal Justice: German Perspectives from Nuremberg to The Hague, Oxford 2012, S. 9 f.; Teitel, Transitional Justice, 2000, S. 69 (72 ff.). 700 Vgl. die Äußerung von Madeleine Albright, damals UN-Botschafterin der USA, im Rahmen der Sitzung des UN-Sicherheitsrats, die zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) führte: „[I]t is only the truth that can cleanse the ethnic and religious hatreds and begin a healing process.“ Zit. nach Steinke, The Politics of International Criminal Justice: German Perspectives from Nuremberg to The Hague, 2012, S. 11; kritisch, angesichts der mangelnden Evidenz nach mehr als zwanzig Jahren der Spruchtätigkeit des ICTY, Marco Milanovic, The Impact of the ICTYon the Former Yugoslavia: An Anticipatory Postmortem, American Journal of International Law 110 (2017), 233.
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sen, wiedergegeben durch einen besonderen Erzähler, das Gericht, kann in diesem Sinne als ein Narrativ nicht nur im literatur-, sondern auch im sozialwissenschaftlichen Sinn verstanden werden.701 Die narrative Funktion kommt auch für den IAGMR in Betracht. Während bei internationalen Strafgerichten hierfür deren friedensfördernde Rolle herangezogen werden kann, ist es für die narrative Funktion des IAGMR das sog. Recht auf Wahrheit, das nicht zuletzt durch den IAGMR selbst fortgebildet worden ist.702 Das Recht auf Wahrheit entstand als normative Begründung der Forderungen von Angehörigen und Menschenrechtsinitiativen in den Militärdiktaturen Südamerikas, die vom Staat Information über das Schicksal derjenigen Personen verlangten, die seit ihrer Verhaftung durch staatliche Sicherheitskräfte „verschwunden“ waren. Nach dem Ende der Diktaturen richteten sich diese Forderungen gegen die nunmehr demokratischen Regierungen, welche die Wahrheit über die verübten Verbrechen verbreiten und Archive öffnen sollten.703 In der Gegenwart ist das Recht auf Wahrheit nicht mehr allein auf den Transitional Justice-Kontext und auf Fälle erzwungenen Verschwindenlassens beschränkt, sondern formuliert, teilweise als „Recht auf Wissen“ bezeichnet, einen allgemeinen Anspruch auf eine „wie auch immer geartete historische Wahrheit über staatliche Gewaltverbrechen“704. Das Recht auf Wahrheit hat dabei eine doppelte Dimension: Aus individueller Perspektive soll die Aufdeckung der Wahrheit die Ungewissheit von Angehörigen über das Schicksal ihrer Nächsten beseitigen und eine „gelungene“ Trauer ermöglichen.705 Aus kollektiver 701
Zur Narrativität von (Völkerrechts-)Geschichtsschreibung Andreas von Arnauld, Völkerrechtsgeschichte(n). Einleitende Überlegungen, in: Andreas von Arnauld (Hrsg.), Völkerrechtsgeschichte(n), Berlin 2017, S. 9; zur Narration durch internationale Strafgerichte im hier gemeinten Sinne Hannah Birkenkötter, Explaining Srebrenica: Establishing a Narrative through Criminal Trials, Die Friedens-Warte 88 (2013), 3, 177 (180); zu Wahrheitskommissionen vgl. Susanne Buckley-Zistel, Narrative Truths: On the construction of the past in truth commissions, in: Susanne Buckley-Zistel u. a. (Hrsg.), Transitional Justice Theories, Abingdon 2013, S. 142. 702 Siehe oben S. 79 ff. 703 José Brunner, Menschenrecht und Menschenbild: Zur Psychologie des Rechts auf Wahrheit, in: José Brunner/Daniel Stahl (Hrsg.), Recht auf Wahrheit: Zur Genese eines neuen Menschenrechts, Göttingen 2016, S. 67 (71 ff.); Jan Eckel, Fortdauerndes Verbrechen. Verschwundene und Menschenrechte in Chile, in: José Brunner/Daniel Stahl (Hrsg.), Recht auf Wahrheit: Zur Genese eines neuen Menschenrechts, Göttingen 2016, S. 80; Veit Straßner, Die offenen Wunden Lateinamerikas: Vergangenheitspolitik im postautoritären Argentinien, Uruguay und Chile, Wiesbaden 2007, S. 73 ff. 704 Brunner, Einleitung, in: Brunner/Stahl (Hrsg.), Recht auf Wahrheit: Zur Genese eines neuen Menschenrechts, 2016, S. 9 (10); vgl. die Nennung des „right to the truth“ im Zusammenhang mit der Aufklärung der Zusammenarbeit Polens mit der CIA im sog. Extraordinary Rendition Program, EGMR, Husayn (Abu Zubaydah) v. Poland, Urt. v. 24. 07. 2014, Nr. 7511/ 13, Rn. 489. 705 Vgl. zu den psychologischen Annahmen, die das Recht auf Wahrheit rezipiert, Brunner, Menschenrecht und Menschenbild: Zur Psychologie des Rechts auf Wahrheit, in: Brunner/Stahl (Hrsg.), Recht auf Wahrheit: Zur Genese eines neuen Menschenrechts, 2016, S. 67 (75); Schotsmans, Victims’ Expectations, Needs and Perspectives after Gross and Systematic Human
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Perspektive soll die autoritative Erzählung der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie dienen: Sie soll das vom Staat begangene Unrecht benennen, die Strafverfolgung von unerkannt gebliebenen Tätern ermöglichen und die Reformbedürftigkeit staatlicher Institutionen aufdecken.706 Das Recht auf Wahrheit, als ein individueller und gesamtgesellschaftlicher Anspruch, richtet sich zunächst gegen den Staat. Es beinhaltet Ansprüche auf die Suche nach den sterblichen Überresten von Verschwundenen, die Öffnung von Archiven, die Durchführung von Gerichtsverfahren, von Gedenkmaßnahmen sowie die Etablierung von außergerichtlichen Institutionen wie Wahrheits- oder Historikerkommissionen.707 Es erscheint jedoch zudem als konsequent, auch den IAGMR als einen Akteur im Rahmen der Verwirklichung des Rechts auf Wahrheit zu begreifen und so dessen narrative Funktion zu begründen. Die Aufklärung des Sachverhalts durch den IAGMR und dessen Einordnung in einen sozialen, historischen und politischen Kontext ist aus Perspektive der Angehörigen von großer Bedeutung, vermag aufgrund ihrer Öffentlichkeitswirkung aber auch in gesamtgesellschaftlicher Perspektive katalysatorisch wirken. Zudem dient die umfassende Aufklärung der Wahrheit dem Interesse des Inter-Amerikanischen Schutzsystems an der Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Transparenz in den Vertragsstaten. Da der IAGMR selbst das Recht auf Wahrheit als ein Menschenrecht entwickelt hat, erscheint es zumindest konsequent, den IAGMR verpflichtet zu sehen, an dessen Umsetzung im Rahmen
Rights Violations, in: De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, 2005, S. 105 (120 ff.); am Beispiel der Eltern entführter Kinder in El Salvador, Davis/Perez Ferrero, Building truth and Moving Justice. The Inter-American Court and the Forcible disappearance of Children, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/ Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 403. 706 Als einer der ersten formulierte diese Vorstellung José Zalaquett, Confronting Human Rights Violations Committed by Former Governments: Applicable Principles and Political Constraints, Hamline Law Review 13 (1990), 623 (629 ff.); José Zalaquett, Balancing Ethical Imperatives and Political Constraints: The Dilemma of New Democracies Confronting Past Human Rights Violations, Hastings Law Journal 43 (1992), 1425 (1433); Teitel, Transitional Justice, 2000, S. 69; näher zur Abgrenzung der Aufarbeitung der Vergangenheit im Kontext der Transitional Justice von weiter zurück reichenden Formen historischer Wahrheitsfindung Unfried, Vergangenes Unrecht: Entschädigung und Restitution in einer globalen Perspektive, 2014, S. 100 ff.; zur Schwierigkeit der empirischen Verifizierung oder Falsifizierung Audrey Chapman, Truth Finding in the Transitional Justice Process, in: Hugo van der Merwe/Victoria Baxter/Audrey R. Chapman (Hrsg.), Assessing the Impact of Transitional Justice: Challenges for Empirical Research, Washington D.C., 91. 707 Vgl. aus der Rechtsprechung des IAGMR, Case of Gudiel Álvarez et al. („Diario Militar“) v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2012, Series C No. 253, Rn. 300 f.; IAGMR, Case of Zambrano Vélez et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2007, Series C No. 166, Rn. 128 ff.; IAGMR, Case of Rodríguez Vera et al. (The Disappeared from the Palace of Justice) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge Ferrer Mac-Gregor Poisot Urt. v. 14. 11. 2014, Series C No. 287, Rn. 7 ff.
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seiner Zuständigkeiten mitzuwirken.708 Es entspricht bereits dem vom IAGMR entwickelten Rollenverständnis, zur Umsetzung des Rechts auf Wahrheit nicht allein auf den Staat zu verweisen, sondern diese Aufgabe im Rahmen der eigenen Zuständigkeiten auch selbst wahrzunehmen. Der IAGMR ist nach dem eigenen Selbstverständnis längst zu einem transnationalen Akteur geworden, der durch den Staat hindurch direkt mit verschiedenen Akteuren auf staatlicher Ebene interagiert und innerhalb der Staaten seine Relevanz zu entfalten sucht. Die Nichtigerklärung von Amnestiegesetzen709 ist hierfür nur das augenfälligste Beispiel. Dass der IAGMR für sich bereits die narrative Funktion in Anspruch genommen hat, zeigen etwa die öffentlichen Anhörungen, die Opfern umfangreiche Gelegenheit zur Stellungnahme geben sowie die Verbreitung dieser Verfahren im Internet.710 Die folgenden Aussagen des ehemaligen Präsidenten García Ramírez über die Funktion des IAGMR können insofern als eine für den gesamten IAGMR repräsentative Inanspruchnahme der narrativen Funktion gesehen werden, welche die Thematisierung des Kontexts des Falls zu tragen vermag: „[…] court decisions on human rights seek to ,set an example‘ and ,be instructive‘. They contribute to the ,uncovering of the truth‘ and ,political and social rectification‘. Put differently, they are not limited to or satisfied by a brief decision on the specific dispute – which, by the way, has already come to an end–, but seek to instruct on the factors that breach fundamental rights, breaching practices, the suffering of victims, the requirements of a reparation that extends beyond compensation or monetary redress, the general knowledge of the violations committed. In this sense, it has a more pronounced social, historical, moral, and pedagogic nature than other expressions of public justice.“711
Diese selbstbewusste Aufgabenbeschreibung weckt in abschließender Betrachtung gleichwohl auch Zweifel, ob ein internationales Gericht tatsächlich als der richtige Ort und ein Rechtsstreit als das richtige Verfahren angesehen werden kann, um die „Wahrheit“ aufzudecken, zumal über die Wurzeln struktureller Menschenrechtsverletzungen. Die narrative Funktion von (internationalen) Strafgerichten ist 708 Dies soll nicht eine rechtliche Bindung des IAGMR an das Recht auf Wahrheit bedeuten. Zwar lässt sich allgemein eine Bindung internationaler Gerichte an gewohnheitsrechtliche Menschenrechtsstandards begründen, doch richtet sich das Recht auf Wahrheit nach seinem Inhalt an den jeweils handelnden Staat. Hier geht es um eine Ausgestaltung der Funktionen des IAGMR, die sich konsequenterweise auch an der Spruchtätigkeit des Gerichtshofs selbst ausrichten muss, vgl. zur Bindung internationaler Gerichte an die Menschenrechte Krit Zeegers, International Criminal Tribunals and Human Rights Law: Adherence and Contextualization, Den Haag 2016, S. 9 ff.; Cornelia Janik, Die Bindung internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards: eine rechtsquellentheoretische Untersuchung am Beispiel der Vereinten Nationen, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, Tübingen 2012, S. 424 ff. 709 Siehe oben S. 105 ff. 710 Hennebel nennt das Vorgehen des IAGMR deshalb „edukatorisch“, ders., The InterAmerican Court of Human Rights: The Ambassador of Universalism, Quebec Journal of International Law (Special Edition) (2011), 57 (83 ff., 87). 711 IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge García Ramírez, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 20.
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vielfach angegriffen worden. Weder könnten solche Gerichte die historische Wahrheit ermitteln, da die Wahrheitssuche etwa durch die untersuchten Tatbestände und das angewandte Prozessrecht verzerrt werde, noch sollten sie sich auf die Suche nach etwas anderem als der Schuld des Angeklagten begeben, um nicht die Rechte des Angeklagten zu verletzen und dem Recht selbst Schaden zuzufügen.712 Da der IAGMR als Gericht im Kern seiner Aufgabenbeschreibung zur neutralen Entscheidung von Rechtsfragen verpflichtet ist, ließen sich zumindest letztere Einwände auch an den IAGMR richten. Sie erscheinen gleichwohl nicht derart durchgreifend, um die narrative Funktion des IAGMR grundsätzlich abzulehnen. So kann der IAGMR zur Aufklärung von Sachverhalt und Hintergründen in gewisser Hinsicht als besonders geeignet angesehen werden, da ihn als überstaatliche Instanz jene Limitationen in weitaus geringerem Ausmaß treffen, die staatliche Gerichte als Aufklärungsinstanz in vielen Staaten der Region ausscheiden lassen – etwa die Bedrohung mit Gewalt, Korruption und mangelnde Unabhängigkeit gegenüber den Herrschenden.713 Die vor dem IAGMR verhandelten Menschenrechtsverletzungen, namentlich das erzwungene Verschwindenlassen, können es darüber hinaus geradezu notwendig machen, nicht allein auf den Sachverhalt im Einzelnen, sondern auch auf die Hintergründe der Tat einzugehen, um Beweisprobleme zu überbrücken und die Rechtsverletzung in ihrer vollen Dimension zu ermessen.714 Schließlich ist in gewisser Weise bereits durch die Vorlage eines Falls zum IAGMR, der in der Regel über paradigmatische Fälle von verbreiteten Menschenrechtsverletzungen urteilt, ein bestimmtes Narrativ über die strukturelle Dimension der Beschwerde kommunziert worden, bevor der IAGMR sein Urteil überhaupt gefällt hat.715 Die narrative Funktion des IAGMR wohnt insoweit bereits der Funktionsweise des Inter-Amerikanischen Systems inne und stützt mithin die Thematisierung und Feststellung struktureller Defizite aus Anlass der vorgelegten Beschwerde. 712
So die Kritik Hannah Arendts an der Anklage im Eichmann-Prozess und deren vergangenheitspolitischen Nebenabsichten: „Dadurch war aber der Gerichtshof überfordert, der nur zu einem einzigen Zweck zusammentritt, nämlich dem, Recht zu sprechen: alle anderen Ziele, auch wenn sie an sich legitim sind […] können hiervon nur ablenken; sie werden zudem unweigerlich das eigentliche Rechtsverfahren […] in zweifelhaften Licht erscheinen lassen.“ Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 7. Aufl., München 2013, S. 372; ferner Martti Koskenniemi, Between Impunity and Show Trials, Max Planck Yearbook of United Nations Law 6 (2002), 1; zur Gegenansicht Richard Ashby Wilson, Judging History: The Historical Record of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, Human Rights Quarterly 27 (2005), 908. 713 Vgl. Wilson, Judging History: The Historical Record of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, Human Rights Quarterly 27 (2005), 908 (922). 714 So etwa bereits im Velásquez Rodríguez-Fall, in dem der Gerichtshof aufgrund des historischen Kontexts des gewaltsamen Verschwindenlassens in Honduras auf die Verantwortlichkeit im Fall des entführten Studenten Manfredo Velásquez schloss, IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4, Rn. 119, 147 f. 715 Siehe oben S. 24 ff. Vgl. insoweit die Parallele zur Anklage vor internationalen Strafgerichten, Steinke, The Politics of International Criminal Justice: German Perspectives from Nuremberg to The Hague, 2012, S. 12 ff.
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen Nach der Untersuchung der Reichweite der sachlichen Zuständigkeit des IAGMR zur Thematisierung und Feststellung struktureller Defizite des Menschenrechtsschutzes schließt sich nun die Überprüfung der Befugnis des IAGMR an, Anordnungen zur Beseitigung dieser Defizite zu treffen. Diese Kompetenz ist nicht zweifelsfrei gegeben, denn die Anordnungen des IAGMR reichen nach ihrem Gegenstand und ihren Auswirkungen weit über den entschiedenen Einzelfall hinaus716, wohingegen Art. 63 Abs. 1 AMRK nach seiner Entstehungsgeschichte und seinem Wortlaut zunächst auf den subjektiven Rechtsschutz beschränkt erscheint. Wie erläutert, sollte der Gerichtshof in Art. 63 Abs. 1 AMRK mit robusten Befugnissen zum Schutz der Rechte des verletzten Beteiligten ausgestattet werden717 und blickt man auf die Formulierung des Art. 63 Abs. 1 AMRK, so könnten sich hieraus Begrenzungen der Anordnungsbefugnisse des IAGMR ergeben.718 Ausdrücklich spricht die Norm nur von dem „verletzten Beteiligten“, der „injured party“ oder „parte lesionada“, demgegenüber der ungestörte Genuß des verletzten Rechts durch die Anordnung des IAGMR garantiert werden soll und demgegenüber der Gerichtshof eine angemessene Entschädigung zusprechen kann: „If the Court finds that there has been a violation of a right or freedom protected by this Convention, the Court shall rule that the injured party be ensured the enjoyment of his right or freedom that was violated. It shall also rule, if appropriate, that the consequences of the measure or situation that constituted the breach of such right or freedom be remedied and that fair compensation be paid to the injured party.“
Nach seinen Begrifflichkeiten scheint Art. 63 Abs. 1 AMRK also primär Befugnisse im Rahmen des subjektiven Rechtsschutzes zu verleihen, zumindest jedoch ermächtigt die Norm den IAGMR nicht ausdrücklich auch zur Anordnung struktureller Reformen.719 Die Frage der Anordnungsbefugnisse des IAGMR ist aufgeworfen, weil der Gerichtshof die völkerrechtliche Verbindlichkeit seiner Anordnungen gem. Art. 68 Abs. 1 AMRK in Anspruch nimmt und die Umsetzung der Anordnungen überwacht („The States Parties to the Convention undertake to comply with the judgment of the Court in any case to which they are parties“). Die Verbindlichkeit nach Art. 68 Abs. 1 AMRK setzt allerdings ihrerseits voraus, dass der IAGMR über entsprechende Anordnungskompetenzen verfügt. Es kann nicht angenommen werden, dass die 716
Siehe oben S. 88 ff. Siehe oben S. 47 ff. 718 So, im Vergleich zum EGMR, Amerasinghe, Jurisdiction of international tribunals, 2003, S. 391: „Article 63(1) of the American Convention gives the IACHR a somewhat broader jurisdiction but still a limited jurisdiction.“ 719 Nash Rojas, Las Reparaciones ante la Corte Interamericana de Derechos Humanos (1988 – 2007), 2. Aufl., 2009, S. 85. 717
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Vertragsstaaten sich verpflichten wollten, jeglichen Anordnungen zu folgen. Maßgeblich ist insoweit die Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR.720 Im Folgenden soll nun zunächst die Sichtweise des IAGMR auf seine Kompetenzen dargestellt und evaluiert werden, bevor dessen Anordnungsbefugnisse auf Grundlage der Bestimmungen des Art. 63 Abs. 1 AMRK neu entfaltet werden.
A. Der Ansatz des IAGMR: Rückgriff auf das völkerrechtliche Institut der guarantees of non-repetition I. Art. 63 Abs. 1 AMRK als Verweis auf das allgemeine Völkerrecht Wie bereits näher dargelegt wurde, hat der IAGMR die möglichen Begrenzungen des Wortlauts des Art. 63 Abs. 1 AMRK durch eine extensive völkerrechtssystematische Interpretation überwunden, wonach die Norm als ein Verweis auf das – wiederum weit interpretierte – völkerrechtliche Prinzip vollständiger Wiedergutmachung zu verstehen sei.721 Regelmäßig betont der IAGMR: „Under the provisions of Article 63(1) of the American Convention, the Court has indicated that any violation of an international obligation that has caused harm entails the obligation to make satisfactory reparation, and that this provision reflects a customary norm that constitutes one of the fundamental principles of contemporary international law on State responsibility.“722
Die eigene Kompetenz, Rechtsfolgen anzuordnen, ist nach dem Verständnis des IAGMR mit der völkerrechtlichen Wiedergutmachungspflicht der Konventions720
Siehe dazu auch bereits oben S. 42 ff.: Art. 68 Abs. 1 AMRK ist keine Befugnisnorm, sondern verweist inhaltlich auf die Anordnungskompetenz nach Art. 63 Abs. 1 AMRK. Offensichtlich außerhalb der Kompetenzen des IAGMR liegende Anordnungen können daher als nichtig betrachtet werden, vgl. Markus Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Online Edition 2007, Rn. 41; Walter Michael Reisman/Dirk Pulkowski, Nullity in International Law, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Law, Online Edition 2006, Rn. 19 ff.; wie hier zum EGMR Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 139 ff.; Marten Breuer, Zur Anordnung konkreter Abhilfemaßnahmen durch den EGMR. Der Gerichtshof betritt neue Wege im Fall Asanidse gegen Georgien, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 31 (2004), 257 (259). 721 Siehe oben S. 49 ff. und ferner Lucius Caflisch/Antônio Augusto Cançado Trindade, Les Conventions Américaine et Européenne des droits de l’homme et le droit international général, Revue générale de droit international public 105 (2004), 5 (40 ff.). 722 IAGMR, Case of Lagos del Campo v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2017, Series C No. 340, Rn. 192; IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309, Rn. 269; IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304, Rn. 313. Hervorhebung hinzugefügt.
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staaten nach Feststellung einer Konventionsverletzung inhaltlich verknüpft.723 Dies bedeutet eine denkbar weitreichende Konzeption der eigenen Anordnungsbefugnisse, denn so weit die völkerrechtliche Pflicht zur Wiedergutmachung reicht, so weit reichen nach dem Verständnis des IAGMR auch die eigenen Befugnisse, verbindliche Anordnungen auf der Rechtsfolgenebene zu treffen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum EGMR, der sich grundsätzlich allein dazu berechtigt ansieht, Feststellungsurteile zu treffen und nach Art. 41 EMRK finanzielle Entschädigung anzuordnen.724 Die EMRK-Vertragsstaaten haben, vorbehaltlich der Überwachung durch das Ministerkomitee, im Übrigen einen Ermessensspielraum, wie die Pflichten aus dem Urteil erfüllt werden sollen.725 Nur ausnahmsweise sieht sich der EGMR als berechtigt an, weitere individuelle oder generelle Maßnahmen im Urteilstenor anzuordnen.726 723 Der IAGMR betont in diesem Sinne auch die Autonomie der Wiedergutmachungspflicht gegenüber dem Recht der Vertragsstaaten: „The obligation to repair is governed by international law in all of its aspects such as its scope, characteristics, type, and determination of the beneficiaries, none of which shall be subject to modification by the respondent State through invocation of provisions of its own domestic law.“ IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 62; IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76, Rn. 77; IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 01. 1997, Series C No. 31, Rn. 16; IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Reparations and Costs, Urt. v. 10. 09. 1993, Series C No. 15, Rn. 44. 724 Vgl. zur Kompetenz des EGMR zur Anordnung genereller oder individueller Maßnahmen Cremer, Prescriptive Orders in the Operative Provisions of Judgments by the European Court of Human Rights: Beyond res judicanda?, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 39; Sicilianos, The Role of the European Court of Human Rights in the Execution of its own Judgments: Reflections on Article 46 ECHR, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 285; Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 162 ff.; Breuer, Zur Anordnung konkreter Abhilfemaßnahmen durch den EGMR. Der Gerichtshof betritt neue Wege im Fall Asanidse gegen Georgien, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 31 (2004), 257. 725 EGMR (GK), Kuric´ et al. v. Slovenia, Urt. v. 26. 06. 2012, Nr. 26828/06, Rn. 406; EGMR (GK), Marckx v. Belgium, Urt. v. 13. 06. 1979, App Nr. 6833/74, Ser. A Nr. 31, Rn. 58; Schneider, Reparation and Enforcement of Judgments: A Comparative Analysis of the European and Inter-American Human Rights Systems, 2015, S. 72 ff.; Elisabeth Lambert Abdelgawad, L’exécution des décisions des juridictions internationales des droits de l’homme: vers une harmonisation des systèmes régionaux, Anuario Colombiano de Derecho Internacional 3 (2010), 9 (24 ff.); Elisabeth Steiner, Just Satisfaction under Art. 41 ECHR: A Compromise in 1950 – Problematic Now, in: Attila Fenyves u. a. (Hrsg.), Tort Law in the Jurisprudence of the European Court of Human Rights, Berlin 2009, Rn. 42; Jörg Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europa¨ ischen Gerichtshofs fu¨ r Menschenrechte, Berlin 1993, S. 51 ff. 726 Vgl. etwa EGMR, Assanidze v. Georgia, Urt. v. 08. 04. 2004, Nr. 71503/01, op. Rn. 14 (a); EGMR, McCaughey and others v. The United Kingdom, Urt. v. 16. 07. 2013, Nr. 43098/09, op. Rn. 4 (c); EGMR (GK), Broniowski v. Poland, Urt. v. 28. 09. 2005, App Nr. 31443/96, op. Rn. 4; Jannika Jahn, Ruling (In)directly through individual measures? Effect and Legitimacy of the ECtHR’s new Remedial Power, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 74 (2014), 1; Keller/Marti, Reconceptualizing Implementation: The Judicialization of
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Der Verweis auf das allgemeine Völkerrecht erlaubt es dem IAGMR, über die möglichen Begrenzungen im Wortlaut des Art. 63 Abs. 1 AMRK hinauszugehen und auf die flexiblen Regeln der völkerrechtlichen Wiedergutmachungspflicht zurückzugreifen. Insbesondere wird auf diese Weise ein Rückgriff auf das allgemein völkerrechtliche Institut der guarantees of non-repetition möglich, das vom IAGMR als Teil der Widergutmachungspflicht verstanden wird und das dem Rechtsverletzer unter bestimmten Umständen die Pflicht auferlegt, generelle Maßnahmen zu ergreifen, um vergleichbare Rechtsverletzungen in der Zukunft zu verhindern. Es ist der Rückgriff auf die völkerrechtliche Pflicht zur Vornahme von guarantees of nonrepetition, der es aus Sicht des IAGMR ermöglicht, strukturelle Anordnungen zu treffen und über den untersuchten Einzelfall hinaus zu greifen. Der Gerichtshof beruft sich bei der Anordnung von guarantees of non-repetition auf die Regeln der Staatenverantwortlichkeit, wie sie von der International Law Commission im Jahr 2001 kodifiziert worden sind.727 Gem. Art. 30 lit. b ARSIWA beinhaltet die völkerrechtliche Verantwortlichkeit die Pflicht, wenn die „Umstände dies geboten erscheinen lassen“, „angemessene Zusicherungen oder Garantien der Nicht-Wiederholung“ anzubieten, worunter nach dem Kommentar der ILC unter Umständen generelle Maßnahmen wie legislative und institutionelle Reformen sowie Anweisungen an Staatsbeamte fallen können: „Article 30 Cessation and non-repetition The State responsible for the internationally wrongful act is under an obligation: […] (b) to offer appropriate assurances and guarantees of non-repetition, if circumstances so require.“
Daneben greift der IAGMR bei seinen Anordnungen mitunter ausdrücklich728 aber auch auf die bereits benannten Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law (UNGrundprinzipien) zurück, welche die guarantees of non-repetition der ARSIWA für den menschenrechtlichen Bereich aufgreifen und unter dem gleichen Begriff einige der generellen Anordnungen des IAGMR ausdrücklich wiedergeben: „23. Guarantees of non-repetition should include, where applicable, any or all of the following measures, which will also contribute to prevention: (a) Ensuring effective civilian control of military and security forces; (b) Ensuring that all civilian and military proceedings abide by international standards of due process, fairness and impartiality; the Execution of the European Court of Human Rights Judgments, European Journal of International Law 4 (2015), 829 (834 ff.). 727 Siehe oben Fn. 141. 728 IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, Rn. 461; IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, Rn. 260; IAGMR, Case of Pacheco Teruel et al v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 241, Rn. 92.
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(c) Strengthening the independence of the judiciary; (d) Protecting persons in the legal, medical and health-care professions, the media and other related professions, and human rights defenders; (e) Providing, on a priority and continued basis, human rights and international humanitarian law education to all sectors of society and training for law enforcement officials as well as military and security forces; (f) Promoting the observance of codes of conduct and ethical norms, in particular international standards, by public servants, including law enforcement, correctional, media, medical, psychological, social service and military personnel, as well as by economic enterprises; (g) Promoting mechanisms for preventing and monitoring social conflicts and their resolution; (h) Reviewing and reforming laws contributing to or allowing gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law.“
Der Rückgriff auf diese Regelungen bei der Anordnung genereller Maßnahmen ist naheliegend.729 Wie erläutert, handelt es sich in bei den Beschwerden zum IAGMR in der Regel um paradigmatische Fälle, die beispielhaft für eine Vielzahl vergleichbarer Rechtsbrüche stehen und die ihre Wurzeln etwa in einer konventionswidrigen Rechtslage oder in der Praxis staatlicher Institutionen haben, die immer wieder gleichgelagerte Konventionsverletzungen verursachen. Aufgrund der Vielzahl gleichartiger Verstöße und des Unwillens oder der Unfähigkeit der Staaten, etwas an den Wurzeln der Konventionsverletzungen zu ändern, könnte nach völkerrechtlichen Maßstäben durchaus von einer Pflicht der vom IAGMR verurteilten Staaten zur Vornahme von guarantees of non-repetition ausgegangen werden, die der IAGMR in seinen Rechtsfolgenanordnungen allein aufgreift. Darüber hinaus ist der Bezug auf das allgemeine Völkerrecht auch in institutioneller Perspektive verständlich, da sich der IAGMR durch seinen Rückgriff auf universelle Prinzipien in gewisser Hinsicht gegenüber der Kritik an seinen Anordnungen zu immunisieren vermag. Und doch ist der Ansatz des IAGMR – wie im Folgenden dargelegt wird – in rechtlicher Perspektive zweifelhaft, denn es erscheint mehr als fraglich, ob das Völkerrecht tatsächlich eine Pflicht der betroffenen Staaten zur Vornahme von guarantees of non-repetition enthält, wie sie der IAGMR anordnet. Eine nähere Untersuchung der Rechtslage muss hier zum Ergebnis haben, dass die guarantees of non-repetition im allgemeinen Völkerrecht bestenfalls rudimentär verankert sind, 729 Auch im europäischen System wird eine Pflicht verurteilter Staaten zur Vornahme genereller Maßnahmen von einigen Stimmen „aus dem allgemeinen Recht der Staatenverantwortung, das ein Wiederholungsverbot statuiert“ abgeleitet, womit die guarantees of nonrepetition angesprochen sind, vgl. Anne Peters/Tilmann Altwicker, § 13: Die Verfahren beim EGMR, in: Stefan Leible/Jörg Philipp Terhechte (Hrsg.), Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht, Baden-Baden 2014, S. 403, Rn. 56; ferner Sicilianos, The Role of the European Court of Human Rights in the Execution of its own Judgments: Reflections on Article 46 ECHR, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 285 (306).
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ihre Übertragung vom zwischenstaatlichen auf den menschenrechtlichen Bereich auf wackligen Beinen steht und der IAGMR in seiner Praxis jedenfalls über dasjenige hinausgeht, was im Völkerrecht unter diesem Institut anerkannt ist. II. Guarantees of non-repetition im allgemeinen Recht der Staatenverantwortlichkeit 1. Entwicklung als Projekt der ILC – rudimentäre positiv-rechtliche Anerkennung heute Das allgemein-völkerrechtliche Institut der guarantees of non-repetition, auf das der IAGMR in seinen Anordnungen Bezug nimmt, hat seine Grundlage in den jahrzehntelangen Arbeiten der ILC zur Kodifkation des Rechts der Staatenverantwortlichkeit, die erst im Jahr 2001 ihr vorläufiges Ende gefunden haben.730 Eine Pflicht des Verletzerstaates zu Versicherungen der Nichtwiederholung und ggf. zur Garantie bestimmter Präventionsmaßnahmen findet sich seit den 1960er Jahren, mit unterschiedlichen Begründungen, in den Vorschlägen sämtlicher zuständiger Sonderberichterstatter zu diesem Thema.731 Der Schwerpunkt der Kodifikationsarbeit 730
Das Recht der Staatenverantwortlichkeit ist seit den 1920er Jahren Objekt von Kodifikationsbemühungen gewesen. Die ILC konnte insoweit auch auf Vorarbeiten aus der Vorkriegszeit zurückgreifen, die sich allerdings beinahe gänzlich mit dem speziellen Problem der Verantwortlichkeit für Schäden von Angehörigen anderer Staaten und deren Eigentum auf eigenem Staatsterritorium befasst hatten, vgl. ILC, Report on International Responsibility by Mr. F. V. Garcia Amador, Special Rapporteur, 20. 01. 1956, A/CN.4/96, Yearbook of the International Law Commission 1956, vol. II, S. 176 ff.; ILC, First report on State responsibility by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur – Review of previous work on codification of the topic of the international responsibility of States, 07. 05. 1969, A/CN.4/217, Corr.1 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1969, vol. II, S. 126 ff. 731 Die erste Nennung findet sich im Jahr 1961 in Art. 27 Abs. 2 („Measures to prevent the repetition of the injurious act‘“) des Kodifikationsentwurfs des ersten Sonderberichterstatters Francisco V. García-Amador, der sich allerdings auf die Haftung im völkerrechtlichen Fremdenrecht beschränkte. Der Vorschlag sah vor: „[…] the State of nationality shall have the right, without prejudice to the reparation due in respect of the injury sustained by the alien, to demand that the respondent State take the necessary steps to prevent the repetition of events of the nature of those imputed to that State.“ Im Jahr 1962 konzipierte die ILC, angestoßen vom späteren Sonderberichterstatter Roberto Ago, ihr Arbeitsprogramm im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit neu, das nun nicht mehr einen Teilaspekt sondern vielmehr die allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit umfassen solle. Der dritte Sonderberichterstatter, Willem Riphagen, der einen Entwurf über Teil 2 („the content, forms and degrees of international responsibility“) vorlegte, schlug in seinem zweiten Bericht vor, dass ein verantwortlicher Staat als Teil der Pflicht zur Genugtuung des verletzten Staates auch Garantien für die Zukunft abgeben müsse: „[…] provide satisfaction to the injured State in the form of an apology and of appropriate guarantees against repetition of the breach.“ Im Jahr 1987 übernahm Gaetano Arangio-Ruiz den Posten des Sonderberichterstatters und schlug ebenfalls in seinem zweiten Bericht Garantien für die Zukunft als Teil der geschuldeten Genugtuung vor (Art. 10 „Satisfaction and Guarantees of non-repetition“):
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lag hierbei indes zunächst stärker auf der planvollen Gestaltung der Rechtsmaterie (progressive development), als auf der Wiedergabe einer bislang ungeschriebenen Regel des Völkerrechts.732 Denn die Forderung nach oder die Abgabe von Zusicherungen und Garantien für die Zukunft hatte in der völkerrechtlichen Praxis des 19. und 20. Jahrhunderts allenfalls eine marginale Rolle gespielt: Beispiele waren etwa der Dogger Bank-Zwischenfall im Jahr 1904, betreffend den ungerechtfertigten Beschuss britischer Fischerboote durch die russische Ostseeflotte, woraufhin Großbritannien solche Garantien verlangte, die Forderungen der USA nach dem Doane-Fall aus dem Jahr 1886, betreffend die Festnahme und Deportation eines USamerikanischen Missionars durch Spanien auf den Philippinen, ferner die Hand„In the measure in which an internationally wrongful act has caused to the injured State a moral or legal injury not susceptible of remedy by restitution in kind or pecuniary compensation, the State which has committed the wrongful act is under an obligation to provide the injured State with adequate satisfaction in the form of apologies, nominal or punitive damages, punishment of the responsible individuals or assurances or safeguards against repetition, or any combination thereof.“ Im Jahr 1998 begann die ILC unter Sonderberichterstatter James Crawford mit der Überarbeitung der Artikel in zweiter Lesung. Crawford trat für die Herauslösung der Zusicherungen und Garantien für die Zukunft aus dem Konzept der Wiedergutmachung ein, da solche Maßnahmen stärker die fortdauernde Integrität der zugrundeliegenden Primärverpflichtung betonten, statt auf den Ausgleich von Verletzungsfolgen zu zielen. Er schlug in Art. 36bis („Cessation“) eine Regelung vor, die im Wesentlichen der Endfassung entspricht: „The State responsible for the internationally wrongful act is under an obligation: […] (b) to offer appropriate assurances and guarantees of non-repetition.“ Vgl. ILC, International responsibility: Sixth report by F. V. García Amador, Special Rapporteur, 26. 01. 1961, A/CN.4/134 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1961, vol. II, S. 2 (49), Art. 27; ILC, Second Report on the content, forms and degrees of international responsibility by Mr. Willem Riphagen, Special Rapporteur, 05. 05. 1981, A/CN.4/ 344, Yearbook of the International Law Commission, vol. II (Part One), S. 79 (101), Art. 6; ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 1 (56), Art. 10; ILC, Third report on State responsibility, by Mr. James Crawford, Special Rapporteur, 15. 03. 2000, A/CN.4/507 and Add.–4, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2000 (Part Two), S. 3 (39), Art. 36bis. 732 Es gehört allerdings allgemein zum Wesen von Kodifikationsarbeiten im Völkerrecht, dass hierbei, über die systematische Feststellung ungeschriebener Regeln hinaus, eine Rechtsmaterie planvoll gestaltet wird. Die Grenze zwischen der Wiedergabe geltenden Rechts und deren progressive development ist in der Regel fließend. Vgl. in diesem Sinne bereits Art. 13 Abs. 1 lit. a der UN-Charta, welche „progressive development“ und „codification“ in einem Zusammenhang nennt. Eine mögliche Unterscheidung der Begriffe scheint hingegen Art. 15 des ILC-Statuts nahezulegen, Statute of the International Law Commission, 17. 11. 1947, UN General Assembly Resolution 174 (II); so auch Sir Arthur Watts, Codification and Progressive Development of International Law, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of International Law, Online Edition 2006, Rn. 2; dagegen Alan Boyle/Christine Chinkin, The making of international law, Oxford 2007, S. 174; vgl. ferner bereits ILC, Survey of International Law in Relation to the Work of Codification of the International Law Commission, 10. 02. 1949, A/CN.4/1/Rev. 1, Rn. 13: „To that extent all codification contains significant elements of progressive development and law reform, and the real question is how far it is politic or prudent to go.“; ferner Ramaa Prasad Dhokalia, The Codification of Public International Law, Manchester 1970, S. 338.
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lungen Deutschlands nach dem Vracaritch-Fall im Jahr 1961, betreffend die Festnahme eines jugoslawischen Handelsdirektors in München wegen des Vorwurfs der Tötung zweier deutscher Soldaten während des Zweiten Weltkriegs, woraufhin der deutsche Justizminister gegenüber Jugoslawien zusagte, dass Maßnahmen ergriffen worden seien, um solche Zwischenfälle in Zukunft zu verhindern, oder die Trail Smelter-Entscheidung aus dem Jahr 1941, in der Maßnahmen angeordnet wurden, um in Zukunft grenzüberschreitende Luftverschmutzung zu vermeiden.733 Zudem ist weder bekannt, ob der Mehrheit solcher Forderungen überhaupt entsprochen wurde, noch ob in den Fällen, in denen solche Zusicherungen und Garantien tatsächlich abgegeben wurden, dies aufgrund einer gefühlten Rechtspflicht (opinio juris) oder eher als Ausdruck der comitas gentium geschah.734 Die Unsicherheit über die gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Zusicherungen und Garantien entsprach in einem weiteren Kontext der allgemeinen Sichtweise in der Völkerrechtswissenschaft, dass hinsichtlich des Umfangs und des Inhalts der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates nur wenige verbindliche Regeln existierten. Bereits vor den Kodifikationsbemühungen der ILC hatten namhafte Autoren wie Anzilotti, Oppenheim oder Strupp darauf hingewiesen, dass sich allgemeine gewohnheitsrechtliche Regeln über den Inhalt der völkerrechtlich geschuldeten Wiedergutmachung kaum formulieren ließen.735 Daran scheint sich bis 733 Siehe für Nachweise und weitere Beispiele ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 1 (44 ff.), Rn. 155 – 158; Pierre André Bissonnette, La satisfaction comme mode de réparation en droit international, Annemasse 1952, S. 121 ff. 734 Im Fall der Trail-Smelter Entscheidung entsprach die zukunftsgerichtete Anordnung der dem Schiedsgericht vorgelegten Frage („(3) In the light of the answer to the preceding question, what measures or regime, if any, should be adopted or maintained by the Trail Smelter?“); wie hier Sandrine Barbier, Assurances and Guarantees of Non-Repetition, in: James Crawford/ Alain Pellet/Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 39, Oxford 2010, S. 551 (553). 735 Vgl. Lassa Oppenheim, International Law, 8. Aufl., Band 1, London 1967, S. 352 f.: „The merits and the conditions of the special cases are, however, so different, that it is impossible for the Law of Nations to prescribe once and for all what legal consequences an international deliquency should have.“; Dionisio Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Band 1: Einführung-Allgemeine Lehren, Berlin 1929, S. 407: „[…] so muß vor allem gesagt werden, dass es keine präzisen Regeln gibt, die verbindlich festsetzten, was der verletzte Staat als Wiedergutmachung beanspruchen kann.“ Dann aber auf S. 408: „Es lassen sich nichtsdestoweniger gewisse Tendenzen und auch Regeln nachweisen, die, ohne noch einen verbindlichen Charakter angenommen zu haben, allgemein beobachtet werden und auch als Beweis dafür gelten können, daß, wenigstens in gewissen Fällen, bei Vorliegen einer unerlaubten Handlung gewisse Ansprüche als berechtigt angesehen werden.“; Karl Strupp, Die völkerrechtliche Haftung des Staates, insbesondere bei Handlungen Privater, Kiel 1927, S. 29: „Aber – um es erneut zu betonen – es fehlt an einer festen Regel im Völkerrecht, was ein Staat im Falle eines völkerrechtlichen Delikts fordern darf.“; vgl. zu dieser Frage auch Ladislas Reitzer, La réparation comme conséquence de l’acte illicite en droit international, Liège 1938, S. 112 ff.; a.A. Rudolf Laïs, Die Rechtsfolgen völkerrechtlicher Delikte, Berlin 1932, S. 16; Ian Brownlie, System of the law of nations, Band 1 (State Responsibility), Oxford 1983, S. 234.
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heute wenig geändert zu haben.736 Die Unsicherheit über die Rechtsfolgen einer Völkerrechtsverletzung im Recht der Staatenverantwortlichkeit resultiert vor allem aus den unterschiedlichen Foren der Streitbeilegung, in denen Ansichten über die Folgen eines Völkerrechtsbruchs formuliert und bewertet werden. Sofern diese Folgen diplomatischen Verhandlungen überlassen sind, bestimmen die politischen Interessen und Machtasymmetrien maßgeblich den Inhalt der Verantwortlichkeit.737 Sofern der Streit einem Gericht oder Schiedsrichter unterworfen ist, werden die Konsequenzen in Anbetracht der Begrenzungen der gerichtlichen Zuständigkeit, der Verpflichtung zu einer Regel- oder einer interessengeleiteten Kalkulation, den Forderungen der verletzten Partei, der Beweislage und auch abhängig vom institutionellen Selbstbewusstsein der entscheidenden Richter festgelegt werden.738 Dass die guarantees of non-repetition nach alledem nur als eine Form der progressiven Gestaltung des Völkerrechts verstanden werden könnten, machte der Sonderberichterstatter Arangio-Ruiz noch zu Beginn der 1990er Jahre in den Diskussionen der ILC geltend, als er dort mit Zweifeln an der gewohnheitsrechtlichen Geltung einer solchen Verpflichtung konfrontiert wurde. Er verwies darauf, dass die Zusicherungen und Garantien zumindest aus völkerrechtspolitischen Gründen im Entwurf verbleiben sollten: „[…] unfortunately he [Arangio-Ruiz, d. Verf.] was not able at that point to produce modern examples of guarantees of non-repetition, but would remind the Commission that it was not only codifying but also progressively developing international law. Guarantees of nonrepetition were important within the framework of the draft on State responsibility and he would therefore suggest that the Commission should move ahead without looking back unduly into history.“739
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Vgl. von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 189 f. (Rn. 432); Gray, Remedies, in: Romano/Alter/Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, 2014, S. 871 (896); Christine Gray, Judicial Remedies in International Law, Oxford 1990. 737 So bereits Paul Schoen, Die völkerrechtliche Haftung der Staaten aus unerlaubten Handlungen, Breslau 1917, S. 122 f.; ferner Reitzer, La réparation comme conséquence de l’acte illicite en droit international, 1938, S. 26 ff.; 133 ff. 738 Vgl. bereits Reitzer, La réparation comme conséquence de l’acte illicite en droit international, 1938, S. 29 ff., der deshalb zwischen den unterschiedlichen Formen der Streitbeilegung unterscheidet, S. 158 ff.; aus jüngerer Zeit Patrick Daillier, The Development of the Law of State Responsibility through the Case Law, in: James Crawford/Alain Pellet/Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, Oxford 2010, S. 44; internationale Gerichte haben allerdings seit jeher die Zuständigkeit für sich in Anspruch genommen, auch über die Konsequenzen einer festgestellten Rechtsverletzung zu urteilen, Chester Brown, A common law of international adjudication, Oxford 2007, S. 187 ff.; F. A. Mann, The Consequences of an International Wrong in International and Municipal Law, British Yearbook of International Law 48 (1976 – 1977), 1 (13). 739 ILC, Summary records of the meetings of the forty-fifth session 3 May-23 July 1993, A/ CN.4/SER.A/1993, Yearbook of the International Law Commission, vol. I (1993), S. 164, Rn. 29.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Auch andere Mitglieder der ILC haben im Verlauf der Kodifikationsarbeit den rechtspolitischen Hintergrund der Norm betont740, wenngleich sich in der endgültigen Fassung des ILC-Kommentars hierzu kein Hinweis findet. Die rechtspolitische Bedeutung, die den Zusicherungen und Garantien unabhängig ihrer gewohnheitsrechtlichen Geltung zugemessen wurde, erklärt sich aus dem Grundanliegen der Kodifikationsbemühungen der ILC, die das Recht der Staatenverantwortlichkeit zu einem Regelwerk der Garantie grundlegender internationaler Verpflichtungen fortentwickeln wollte. Während das klassische Recht der Staatenverantwortlichkeit unter dem Einfluss Anzilottis die zentrale Verpflichtung für den Rechtsverletzer in der Wiedergutmachung rechtswidrig verursachter Schäden erblickte und Verantwortungsbeziehungen nur im Verhältnis gegenüber einem anderen, geschädigten, Staat und nicht gegenüber Dritten zog741, enthielten die ILC-Artikel seit der Neuausrichtung durch Roberto Ago eine „objektive“ und „multilaterale“ Konzeption der Verantwortlichkeit. Nach Art. 1 des Entwurfs Agos begründete allein der Rechtsbruch die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates („Every internationally wrongful act of a State entails the international responsibility of that State“742). Der verursachte Schaden stellte hingegen keine Voraussetzung mehr für Verantwortlichkeit dar, ebensowenig das Element des Verschuldens.743 Damit verschob sich der Fokus der Staatenverantwortlichkeit von der Beseitigung von Schäden hin zur Einhaltung völkerrechtli-
740 Yearbook of the International Law Comission, vol. I (2001), 239, Rn. 65 (Gaja): „[…] In the end, the Committee had decided to retain article 30, subparagraph (b), and article 48, paragraph 2 (a), on the grounds that the provisions were drafted with great flexibility and introduced a useful policy […].“; siehe näher Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 470 ff. 741 Dionisio Anzilotti, Teoria Generale della responsabilità dello Stato nel diritto internazionale, Florenz 1902, S. 84 ff.; siehe auch Schoen, Die völkerrechtliche Haftung der Staaten aus unerlaubten Handlungen, 1917, S. 22 f.; Strupp, Das völkerrechtliche Delikt, 1920, S. 217; Laïs, Die Rechtsfolgen völkerrechtlicher Delikte, 1932, S. 19 f.; Adolf Schüle, Delikt, Völkerrechtliches, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Berlin 1960, 337; vgl. zum bilateralen Verständnis auch Georg Nolte, From Dionisio Anzilotti to Roberto Ago: The Classical International Law of State Responsibility and the Traditional Primacy of a Bilateral Conception of Inter-State Relations, European Journal of International Law 13 (2002), 1083. 742 ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur, 20. 04. 1970, A/CN.4/233, Yearbook of the International Law Commission 1970, vol. II, S. 187, Rn. 30; angenommen in der heutigen Formulierung in ILC, Report of the International Law Commission on the work of its Thirty-second session, 1980, A/35/10, Yearbook of the International Law Commission 1980, vol. II (Part Two), S. 30. 743 Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 49, 54 ff., 60 ff.; Brigitte Stern, The Elements of an Internationally Wrongful Act, in: James Crawford/Alain Pellet/ Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 17, Oxford 2010, S. 193 (194); Paul Reuter, Le dommage comme condition de la responsabilité internationale, in: Adolfo Miaja de la Muela (Hrsg.), Estudios de derecho internacional in homenage al professor Miaja de la Muela, Madrid 1979, S. 837 (844).
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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cher Verpflichtungen.744 Im Rahmen der Rechtsfolgen trat neben die Pflicht zur Wiedergutmachung eine autonome Pflicht zur Beendigung von Rechtsverletzungen, deren eigenständige Bedeutung darin gesehen wurde, dass sie das Interesse an der Integrität völkerrechtlicher Verpflichtungen gegenüber der Beseitigung von Verletzungsfolgen betonte.745 Die Geltendmachung der Beendigung des Rechtsbruchs war nach den Artikeln ferner nicht an eine „subjektive“ Beeinträchtigung geknüpft, sondern bezog bei bestimmten schwerwiegenden Rechtsverletzungen auch dritte Staaten oder zentrale Institutionen, insbesondere den UN-Sicherheitsrat, mit ein (vgl. nunmehr Art. 48 ARSIWA). Die ILC-Artikel sollten so wesentliche Entwicklungen des Völkerrechts in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts nachvollziehen, namentlich die Anerkennung von erga omnes- und ius cogens-Normen sowie die Entwicklung des Völkerrechts zu einer echten Rechtsordnung statt eines Geflechts bilateraler Verpflichtungen.746 Die Kodifikation der guarantees of non-repetition in den ILC-Artikeln muss im Kontext dieser übergeordneten Zielsetzungen gesehen werden. Schon nach klassischem Verständnis kam der Wiedergutmachung zwar nicht nur eine Ausgleichssondern auch eine Präventionsfunktion zu. Nach der im Jahr 1844 formulierten Ansicht August Wilhelm Heffters etwa konnten Staaten, sofern eine erneute Verletzung ihrer Rechte zu befürchten war, als Teil der Genugtuungspflicht „beruhigende Erklärungen, Rechtsanerkennungen und Garantien für die Zukunft“747 744
Vgl. Alain Pellet, Remarques sur une révolution inachevée, le projet d’articles de la Commission du Droit international sur la responsabilité des Etats, Annuaire français de droit international 42 (1996), 7 (10): „[…] ,objectivisée‘ en ce sens que, d’une approche purement inter-étatique, on est passé à une vision plus ,communautaire‘ ou ,sociétale‘: la responsabilité existe ,en soi‘, indépendamment de ses effets.“; Bernhard Graefrath, Responsibility and Damages Caused: Relationship between Responsibility and Damages, Recueil des Cours 185 (1984), II, 9. 745 ILC, Preliminary Report on State Responsibility, Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 18. 05. 1988, A/CN.4/416 & Corr.1 & 2 and Add.1 & Corr.2, Yearbook of the International Law Commission 1988, vol. II (Part Two), S. 20, Rn. 57. 746 Mit Verweis auf die „kürzlich erfolgte“ Anerkennung von jus cogens, die Entwicklung des Völkerstrafrechts und den Schutz bestimmter Gemeinschaftsinteressen durch die UNCharta, ILC, Fifth Report on State responsibility, by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur, 22. 03. 1976, A/CN.4/291 and Add.1 & 2 and Corr.1, Yearbook of the International Law Commission 1976, vol. II (Part One), S. 31 ff., Rn. 98 ff.; ferner die Abwägung der Möglichkeiten der Berücksichtigung in den ARSIWA, ILC, First report on State responsibility, by Mr. James Crawford, Special Rapporteur, 24. 04. 1998, A/CN.4/490 and Add. 1 – 7, S. 18 ff.; und die Debatte in ILC, Report of the International Law Commission on the work of its fiftieth session, 1998, A/53/10, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 1998 (Part Two), S. 67 ff.; vgl. ferner zur Entwicklung der Debatte in der ILC Marina Spinedi, From One Codification to Another: Bilateralism and Multilateralism in the Genesis of the Codification of the Law of Treaties and the Law of State Responsibility, European Journal of International Law 13 (2002), 1099, (1112 ff.). 747 August Wilhelm Heffter, Das europäische Völkerrecht der Gegenwart, Berlin 1844, Rn. 101, Fn. 2; zu den Besonderheiten der Geltendmachung der Genugtuung Jean Personnaz, La réparation du préjudice en droit international public, Paris 1939, S. 20.
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verlangen.748 Das Institut ist also keine völlig neue Schöpfung.749 Die ILC hat den Garantien und Zusicherungen jedoch eine eigenständige Bedeutung und Sichtbarkeit verliehen, die sie zuvor weder in der Staatenpraxis noch in der völkerrechtlichen Doktrin hatten. Die ILC betonte durch die Kodifikation das Interesse an der zukünftigen Integrität der Völkerrechtsordnung und stärkte zugleich die Rolle internationaler Gerichte, die mit dem Instrument der guarantees of non-repetition auf die zukünftige Einhaltung von Normen einwirken könnten.750 Ferner unterwarf die ILC die Zusicherungen und Garantien der Multilateralisierung der Verantwortlichkeitsbeziehungen im modernen Völkerrecht: Auch Dritte sollen nach den ILC-Artikeln die zukünftige Einhaltung von erga omnes (partes)-Verpflichtungen einfordern können (Art. 48 Abs. 2 lit. (a) ARSIWA). Ob die guarantees of non-repetition der ARSIWA sodann bei ihrer Annahme im Jahr 2001 als Teil des geltenden Völkerrechts angesehen werden konnten, ist im Wesentlichen davon abhängig, welche Anforderungen an die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht gestellt werden müssen. Legt man das traditionelle Verständnis zugrunde, d. h. Völkergewohnheitsrecht als eine „quasi-universelle“ Staatenpraxis von einiger Dauer (consuetudo), getragen von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung (opinio iuris)751, bestehen zumindest Zweifel, dass in den 1980er Jahren, als Riphagen und Arangio-Ruiz die Aufnahme dieser Regel vorschlugen, von Völkergewohnheitsrecht gesprochen werden konnte.752 Zu weit zurückliegend, zu 748 Siehe dazu auch Schoen, Die völkerrechtliche Haftung der Staaten aus unerlaubten Handlungen, 1917, S. 135; ferner den Überblick über die Literatur in: ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/ 425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 1 (42), Rn. 148. 749 Vgl. auch den Überblick über die konzeptionellen Grundlagen bei Langer, Les assurances et garanties de non-répétition: Entre rupture et continuité, in: Alland u. a. (Hrsg.), Unité et diversité du droit international/Unity and Diversity of International Law. Ecrits en l’honneur du Professeur Pierre-Marie Dupuy/Essays in Honour of Professor Pierre-Marie Dupuy, 2014, S. 539 (542 ff.). 750 Die Bedeutung der internationalen Gerichtsbarkeit für die guarantees of non-repetition – und vice versa – betonen auch ibid., 539 (547 f.); Giuseppe Palmisano, Les garanties de nonrépétition entre codification et réalisation jurisdictionnelle du droit: à propos de l’affaire LaGrand, Revue Générale de Droit International Public 106 (2002), 753 (786 ff.); kritisch dagegen Higgins, Overview of Part Two of the Articles on State Responsibility, in: Crawford/Pellet/ Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 2010, S. 534 (543 f.). 751 Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut; IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), Urt. v. 03. 02. 2012, ICJ Reports 2012, S. 99, Rn. 55; IGH, North Sea Continental Shelf Urt. v. 20. 02. 1969, ICJ Reports 1969, S. 3, Rn. 77; von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 107 ff. (Rn. 250 ff.); ILC, Second report on identification of customary international law by Michael Wood, Special Rapporteur, 22. 05. 2014, A/CN.4/672, Rn. 21 ff. 752 So auch Langer, Les assurances et garanties de non-répétition: Entre rupture et continuité, in: Alland u. a. (Hrsg.), Unité et diversité du droit international/Unity and Diversity of International Law. Ecrits en l’honneur du Professeur Pierre-Marie Dupuy/Essays in Honour of Professor Pierre-Marie Dupuy, 2014, S. 539 (550); Higgins, Overview of Part Two of the Articles on State Responsibility, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International
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unergiebig erscheinen die Fälle, auf die die Berichterstatter verwiesen und auch in der gerichtlichen Praxis fand sich vor den 1990er Jahren kaum ein Hinweis auf dieses Institut. Seit ihrer Diskussion im Rahmen der ILC in den 1980er Jahren mehrten sich jedoch die Indizien, die auf eine gewohnheitsrechtliche Geltung dieses Instituts hinweisen konnten. Die Entwicklung ist insoweit beispielhaft dafür, wie im Zusammenspiel aus ILC, Völkerrechtswissenschaft und IGH bestimmten Rechtsüberzeugungen im Völkerrecht positiv-rechtliche Wirkung verliehen werden kann.753 Nach der Diskussion im Rahmen der ILC fanden sich erste Anträge auf assurances and guarantees of non-repetition in Klageschriften vor dem IGH. So forderte Portugal im East-Timor-Fall als Teil der geschuldeten Genugtuung (satisfaction), der IGH solle Australien verurteilen, in Zukunft Rechtshandlungen, die den Rechtsstatus Ost-Timors gefährden könnten, zu unterlassen.754 In seiner Klageschrift verwies Portugal auf den Bericht Arangio-Ruiz’, wobei hier unterschlagen wurde, dass der Berichterstatter selbst von der progessiven Fortentwicklung des Rechts durch die Garantien und Zusicherungen ausging: „On remarquera à cet égard que, dans son deuxième rapport sur la responsabilité des Etats, présenté dans le cadre de la seconde partie du projet de la Commission du droit international, le professeur Gaetano Arangio-Ruiz, faisant ici oeuvre de codification et non de développement progressif du droit, insiste sur les liens logiques existant entre la satisfaction du dommage moral proprement dit et la garantie de non-répétition des faits qui ont été à son origine. II a du reste formalisé le résultat de ses réflexions à l’article 10 du projet qu’il a soumis à la Commission.“755
Ähnliche Anträge finden sich in den Fällen Gabcˇ íkovo-Nagymaros Project (Ungarn/Slowakei), Fisheries Jurisdiction (Spanien v. Kanada) und Vienna Convention on Consular Relations (Paraguay v. USA).756 Allerdings ging der IGH in Responsibility, 2010, S. 537 (542); Barbier, Assurances and Guarantees of Non-Repetition, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 39, 2010, S. 551 (553); Scott M. Sullivan, Changing the Premise of International Legal Remedies: The Unfounded Adoption of Assurances and Guarantees of Non-Repetition, UCLA Journal of International Law and Foreign Affairs 7 (2002), 265 (268 ff.). 753 Gerade in Bezug auf die Kodifikation des Rechts der Staatenverantwortlichkeit ist oft die Beobachtung gemacht worden, dass bereits während des langen Verlaufs der Kodifikationsarbeit Wechselwirkungen mit dem zu kodifizierenden Recht entstanden sind, wodurch nicht allein das Recht die Kodifikation, sondern auch die Kodifikation die Rechtsentwicklung beinflusst hat. Vgl. allg. Boyle/Chinkin, The making of international law, 2007, S. 185; Daniel M. Bodansky/John R. Crook, Symposium on the ILC’s State Responsibility Articles: Introduction and Overview, American Journal Of International Law 96 (2002), 788, im Bezug auf die Regeln über den Notstand: „some of the articles have a bootstrapping quality, helping to shape the law to match the draft“. 754 IGH, East Timor (Portugal v. Australia), Memorial of the Government of the Portuguese Republic, 18. 11. 1991, S. 236 f., Antrag Nr. 5 lit. a. 755 Ibid., S. 232, Rn. 9.09. 756 IGH, Vienna Convention on Consular Relations (Paraguay v. United States of America), Application instituting proceedings, 03. 04. 1998, Rn. 25 Conclusions (3); IGH, Gabcˇ íkovo-
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keinem der Fälle auf diese Forderungen ein, und mit keinem Wort wurde die Geltung oder der Inhalt des Rechtsinstituts besprochen. Gegen Ende der 1990er Jahre fanden die Garantien und Zusicherungen ihre erneute Besprechung im Rahmen der 2. Lesung der ILC-Artikel, wobei die Mehrheit der Staaten sich weder gegen dieses Institut aussprach noch diese ausdrücklich annahm.757 Deutschland unterstützte ausdrücklich den Artikel, wies jedoch darauf hin, dass Garantien und Zusicherungen nur unter besonderen Umständen gefordert werden dürften.758 Das ILC-Drafting Committee beschloss, mit der weiteren Arbeit an den guarantees of non-repetition bis zum Urteil des IGH im Fall LaGrand zu warten, dessen Entscheidung in Kürze anstand.759 Der Fall LaGrand, auf den aufgrund seiner Bedeutung für das Institut der guarantees of non-repetition nun näher eingegangen werden soll, betraf die Verletzung der Belehrungspflicht über konsularischen Beistand nach Art. 36 WÜK durch US-amerikanische Behörden im Fall der Brüder Walter und Karl-Heinz LaGrand. Die beiden deutschen Staatsbürger, die seit ihrer Kindheit in den USA lebten, hatten im Jahr 1982 eine Bank überfallen und dabei einen Mann getötet. Sie waren deshalb u. a. wegen Mordes zum Tode verurteilt worden, wobei sie allerdings zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens über ihre Rechte auf konsularischen Beistand hingewiesen worden waren. Eine nachträglich erhobene habeas corpusBeschwerde wegen Verletzung dieser Pflicht war wegen Verstoß gegen die sog. procedural default rule als präkludiert zurückgewiesen worden. Im Frühjahr 1999 wurden die Brüder – trotz einstweiliger Anordnung des IGH im Falle Walter LaGrands – hingerichtet.760 Deutschland forderte nach der Exekution Walter LaGrands neben der Feststellung der Völkerrechtsverletzungen nunmehr die in die Zukunft gerichtete Feststellung: „(4) that the United States shall provide Germany a guarantee that it will not repeat its illegal acts and ensure that, in any future cases of detention of or criminal proceedings against German nationals, United States domestic law and practice will not constitute a bar to the
Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), Urt. v. 25. 09. 1997, ICJ Reports 1997, S. 7, Rn. 127, 129; IGH, Fisheries Jurisdiction (Spain v. Canada), Application instituting proceedings, 28. 03. 1995, Rn. 5 lit. b der Anträge. 757 Vgl. die Reaktionen der Staaten in ILC, State responsibility, Comments and observations received from Governments, 25. 03. 1998, A/CN.4/488, S. 150; dazu ILC, Third report on State responsibility, by Mr. James Crawford, Special Rapporteur, 15. 03. 2000, A/CN.4/507 and Add.–4, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2000 (Part Two), Rn. 56. 758 ILC, State responsibility, Comments and observations received from Governments, 25. 03. 1998, A/CN.4/488, S. 145. 759 Barbier, Assurances and Guarantees of Non-Repetition, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 39, 2010, S. 551 (553). 760 IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Urt. v. 27. 06. 2001, ICJ Reports 2001, S. 466, 474 ff.; IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Provisional Measures, Beschl. v. 03. 03. 1999, ICJ Reports 1999, S. 9, 16.
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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effective exercise of the rights under Article 36 of the Vienna Convention on Consular Relations.“761
Zur Begründung seines Antrags berief sich Deutschland auf die Anerkennung einer Pflicht zur Abgabe von assurances and guarantees of non-repetition in Art. 46 der ILC-Artikel aus erster Lesung.762 Aufgrund der Hinrichtung der Brüder LaGrand kämen ausgleichende oder wiederherstellende Formen der Wiedergutmachung nicht mehr in Betracht, während den Zusicherungen und Garantien nunmehr besondere Relevanz zukomme. Ferner seien aufgrund der Vielzahl vergleichbarer Fälle von Verletzungen des Art. 36 WÜK sowie der bewussten Außerachtlassung der einstweiligen Anordnung des IGH durch die USA die Voraussetzungen der Wiederholungsgefahr und einer besonders schweren Verletzung immaterieller Interessen des Staates erfüllt.763 Die von den USA geschuldeten Garantien und Zusicherungen umfassten auch konkrete Reformen im US-amerikanischen Recht, doch beschränke sich Deutschland auf die Geltendmachung seines Rechts auf eine bloße formelle Zusicherung der Nicht-Wiederholung.764 Die USA wehrten sich gegen den Antrag u. a. mit Verweis auf die inexistente gewohnheitsrechtliche Grundlage der assurances and guarantees, weshalb es dem IGH verwehrt sei eine solche zusätzliche Verpflichtung festzustellen.765 Der IGH bestätigte in seinem Urteil seine Befugnis, bei Verstößen gegen die WÜK die Rechtsfolgen des allgemeinen Rechts der Staatenverantwortlichkeit auszusprechen766 und entsprach in seinem Urteil, in abgewandelter Form, zudem dem Antrag Deutschlands: „Takes note of the commitment undertaken by the United States of America to ensure implementation of the specific measures adopted in performance of its obligations under Article 36, paragraph 1 (b) , of the Convention; and finds that this commitment must be regarded as meeting the Federal Republic of Germany’s request for a general assurance of non-repetition; […] 761 IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Memorial of the Federal Republic of Germany, 16. 09. 1999, Rn. 7.02; siehe dag. IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Request for the indication of Provisional Measures of Protection, 02. 03. 1999, Rn. 7, hier hatte Deutschland, vor der Exekution Walter LaGrands, als Rechtsschutzziel noch „restoration of the status quo ante“ genannt. 762 IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Memorial of the Federal Republic of Germany, 16. 09. 1999, Rn. 6.61. 763 Ibid., Rn. 6.72 ff. 764 Ibid., Rn. 6.70 f. 765 IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Counter-Memorial of the United States of America, 27. 03. 2000, Rn. 171, 173. 766 Die USA hatten eingewandt, dass, weil die Zuständigkeit des IGH auf der WÜK beruhe, der IGH nicht befugt sei die Rechtsfolgen aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit auszusprechen. Der IGH wies dies zurück: „Where jurisdiction exists over a dispute on a particular matter, no separate basis for jurisdiction is required by the Court to consider the remedies a party has requested for the breach of the obligation […].“ IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Urt. v. 27. 06. 2001, ICJ Reports 2001, S. 466, 485, Rn. 48.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Finds that should nationals of the Federal Republic of Germany nonetheless be sentenced to severe penalties, without their rights under Article 36, paragraph 1 (b) , of the Convention having been respected, the United States of America, by means of its own choosing, shall allow the review and reconsideration of the conviction and sentence by taking account of the violation of the rights set forth in that Convention.“767
Der IGH teilte dabei den Antrag Deutschlands in zwei Teile: Zum einen habe Deutschland eine generelle Zusicherung der Nicht-Wiederholung gefordert, dass solche Fälle sich nicht wiederholten, wobei die Art und Weise der Umsetzung den USA überlassen sei.768 Diesbezüglich stellte der IGH zunächst fest, dass die von den USA auf Bundesebene bereits eingeleiteten Maßnahmen, etwa die Veröffentlichung eines Leitfadens und die Durchführung von Aus- und Fortbildungsprogrammen, als ausreichend im Sinne des Antrags Deutschlands angesehen werden müssten: „The United States has presented an apology to Germany for this breach. The Court considers however that an apology is not sufficient in this case, as it would not be in other cases where foreign nationals have not been advised without delay of their rights under Article 36, paragraph 1, of the Vienna Convention and have been subjected to prolonged detention or sentenced to severe penalties. In this respect, the Court has taken note of the fact that the United States repeated in all phases of these proceedings that it is carrying out a vast and detailed programme in order to ensure compliance by its competent authorities at the federal as well as at the state and local levels with its obligation under Article 36 of the Vienna Convention. […] The Court considers that the commitment expressed by the United States to ensure implementation of the specific measures adopted in performance of its obligations under Article 36, paragraph 1 (b), must be regarded as meeting Germany’s request for a general assurance of non-repetition.“769
Zum anderen habe Deutschland die spezielle Zusicherung gefordert, dass in zukünftigen Fällen von Verletzungen der Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK die Überprüfung des Urteils und des Strafmaßes nach Recht und Praxis der USA möglich sein müsse. Der IGH wies darauf hin, dass eine Verletzung des Art. 36 WÜK durch oder aufgrund eines Gesetzes, namentlich der procedural default rule, nicht festgestellt worden war, sondern sich die Verletzung aus der Art und Weise der Anwendung dieser Regel ergeben habe. Sollten die USA aber erneut gegen Art. 36 WÜK verstoßen, so würden in Fällen langer Haft oder schweren Strafen bloße Entschuldigungen nicht ausreichen, sondern die Überprüfung der Verurteilung notwendig sein. Wie diese Überprüfung ermöglicht werden solle, bleibe jedoch den USA überlassen.770 Inwiefern der IGH damit den guarantees of non-repetition zur Anerkennung verholfen hatte, wurde anschließend kontrovers diskutiert.771 Bedeutsam ist, dass der 767
Ibid., 516, Rn. 128 (6) und (7). Ibid., 510 f., Rn. 125. 769 Ibid., 512 f., Rn. 123, 124. 770 Ibid., 513 f., Rn. 125. 771 Siehe zur Debatte im Rahmen der ILC Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 471 f.; ferner Christian Tams, Recognizing guarantees and assurances of non-repeti768
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IGH in seinem Urteil weder auf die Arbeit der ILC noch auf die völkerrechtliche Grundlage dieser Verpflichtung näher eingegangen war. Gleichwohl wandte der IGH die von der ILC identifizierten Voraussetzungen der guarantees of non-repetition implizit an (dazu sogleich). Maßgeblich für die Anordnung waren die Wiederholungsgefahr von Verletzungen der WÜK, ferner die Schwere des verursachten Schadens in Form der Todesurteile und Hinrichtungen der Brüder LaGrand sowie die Feststellung, dass andere Formen der Wiedergutmachung wie Entschuldigungen in diesem Fall als unzureichende Genugtuung angesehen werden mussten – was möglicherweise auch als ein Hinweis auf die Rechtsnatur dieses Instituts angesehen werden konnte.772 Der Inhalt der vom IGH ausgesprochenen Zusicherungen und Garantien blieb hinter dem Antrag Deutschlands zurück, da den USA ganz die Art und Weise der Umsetzung überlassen blieb und der IGH insbesondere nicht die Pflicht zu legislativen Reformen aussprach. Für die ILC stellte die Anordnung des IGH in LaGrand trotz dessen Zurückhaltung gleichwohl einen wichtigen Grund dar, die Garantien und Zusicherungen letztlich als eine eigenständige Verpflichtung in die ARSIWA aufzunehmen.773 Umgekehrt wurde mit Verweis auf die ILC-Artikel seither in einer Reihe von Fällen vor dem IGH die Anordnung von Garantien und Zusicherungen beantragt.774 Der IGH hat grundsätzlich die Zulässigkeit solcher Anträge bestätigt.775 Allerdings hat er bislang in keiner Entscheidung Zusicherungen und Garantien angeordnet und hat sich auch sonst weiterhin jeglicher Ausführungen zur Geltung der Regel enthalten, da tion: La Grand and the law of state responsibility, The Yale journal of International Law 27 (2002), 441 (443); Sullivan, Changing the Premise of International Legal Remedies: The Unfounded Adoption of Assurances and Guarantees of Non-Repetition, UCLA Journal of International Law and Foreign Affairs 7 (2002), 265 (289). 772 Barbier, Assurances and Guarantees of Non-Repetition, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 39, 2010, S. 551 (558). 773 Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 472. 774 IGH, Certain Activities Carried Out by Nicaragua in the Border Area (Costa Rica v. Nicaragua) and Construction of a Road in Costa Rica along the San Juan River (Nicaragua v. Costa Rica), Urt. v. 16. 12. 2015, ICJ Reports 2015, S. 665, Rn. 141; IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), Urt. v. 03. 02. 2012, ICJ Reports 2012, S. 99, Rn. 138; IGH, Pulp Mills on the River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Urt. v. 20. 04. 2010, ICJ Reports 2010, S. 14, Rn. 278; IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica v. Nicaragua), Urt. v. 13. 07. 2009, ICJ Reports 2009, S. 213, Rn. 150; IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Urt. v. 26. 02. 2007, ICJ Reports 2007, S. 43, Rn. 466; IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Urt. v. 19. 12. 2005, ICJ Reports 2005, S. 168, Rn. 255 ff.; IGH, Avena and Other Mexican Nationals (Mexico v. United Slates of America), Urt. v. 31. 03. 2004, ICJ Reports 2004, S. 12, Rn. 149 f.; IGH, Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria: Equatorial Guinea intervening), Urt. v. 10. 10. 2002, ICJ Reports 2002, S. 303, Rn. 318. 775 IGH, Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria: Equatorial Guinea intervening), Urt. v. 10. 10. 2002, ICJ Reports 2002, S. 303, Rn. 318: „Such submissions are undoubtedly admissible.“
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in den jeweiligen Fällen entweder bereits ausreichende Zusicherungen gegeben worden seien oder vom guten Willen des verurteilten Staates auszugehen sei, in Zukunft die verletzte Regel einzuhalten.776 Allgemein betont der IGH: „[…] as a general rule, there is no reason to suppose that a State whose act or conduct has been declared wrongful by the Court will repeat that act or conduct in the future, since its good faith must be presumed. Accordingly, while the Court may order the State responsible for an internationally wrongful act to offer assurances of non-repetition to the injured State, or to take specific measures to ensure that the wrongful act is not repeated, it may only do so when there are special circumstances which justify this, which the Court must assess on a case-by-case basis.“777
Der unterbliebene Einspruch von Staaten gegen die Bestimmung der ILC-Artikel und die in den letzten beiden Jahrzehnten erhobenen Anträge vor dem IGH legen es nach der überwiegenden Ansicht in der Völkerrechtswissenschaft nahe, heute nunmehr von einer gewohnheitsrechtlichen Geltung der Zusicherungen und Garantien auszugehen.778 Dem kann zwar im Grundsatz zugestimmt werden, da die Genese der Norm nicht anders verlief als die vieler anderer Regeln des modernen Völkerrechts, die im Zusammenspiel unterschiedlicher internationaler Institutionen, der Völkerrechtswissenschaft und bestimmter Staaten als sog. Norm-Entrepreneure entstanden sind.779 Auch kann für das Entstehen einer Norm des Völkergewohn776 So etwa im Armed Activities-Fall: Hier forderte der Kongo von Uganda „,a solemn declaration that it will in future refrain from pursuing a policy that violates the sovereignty of the Democratic Republic of the Congo and the rights of its population‘; in addition, it ,demands that specific instructions to that effect be given by the Ugandan authorities to their agents‘“. Der IGH verwies hingegen auf ein zwischenzeitlich geschlossenes Abkommen, das ausreichende Garantien für die Sicherheit Kongos beinhalte: „In the Court’s view, the commitments assumed by Uganda under the Tripartite Agreement must be regarded as meeting the DRC’s request for specific guarantees and assurances of non-repetition. The Court expects and demands that the Parties will respect and adhere to their obligations under that Agreement and under general international law.“ IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Urt. v. 19. 12. 2005, ICJ Reports 2005, S. 168, Rn. 257. 777 IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), Urt. v. 03. 02. 2012, ICJ Reports 2012, S. 99, Rn. 138; IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica v. Nicaragua), Urt. v. 13. 07. 2009, ICJ Reports 2009, S. 213, Rn. 150. 778 Langer, Les assurances et garanties de non-répétition: Entre rupture et continuité, in: Alland u. a. (Hrsg.), Unité et diversité du droit international/Unity and Diversity of International Law. Ecrits en l’honneur du Professeur Pierre-Marie Dupuy/Essays in Honour of Professor Pierre-Marie Dupuy, 2014, S. 539 (556); Barbier, Assurances and Guarantees of Non-Repetition, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 39, 2010, S. 551 (555); Palmisano, Les garanties de non-répétition entre codification et réalisation jurisdictionnelle du droit: à propos de l’affaire LaGrand, Revue Générale de Droit International Public 106 (2002), 753 (781); Brigitte Stern, Et si on utilisait la notion de préjudice juridique? Retour sur une notion délaissée à l’occasion de la fin des travaux de la C.D.L sur la responsabilité des États, Annuaire français de droit international 47 (2001), 1, 3 (32). 779 Vgl. allg. Hillary Charlesworth, Law-making and sources, in: James Crawford/Martti Koskenniemi (Hrsg.), The Cambridge Companion to International Law, Cambridge 2012, S. 187; Boyle/Chinkin, The making of international law, 2007, S. 41 ff.
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heitsrechts keine konkrete Zahl an Jahren gefordert werden, in der eine als Recht verstandene Praxis zu existieren hat.780 Die dargelegte Genese des Instituts der guarantees of non-repetition im Kontext der Kodifikation der ARSIWA sowie der Umstand, dass der IGH, bis auf ein einziges Urteil, noch kaum Gebrauch von der Regel gemacht hat, machen aber deutlich, dass bislang nur von einer allmählichen und zudem nur in Grundzügen vorhandenen Verankerung des Instituts im geltenden Völkerrecht gesprochen werden kann. Den weitreichenden Anordnungen des IAGMR können sie daher – allenfalls – nur eine schwache Grundlage bieten. 2. Fragmentarische Ausgestaltung in den ARSIWA Mit den vorstehenden Zweifeln an der Tragfähigkeit des allgemein-völkerrechtlichen Instituts der guarantees of non-repetition verwandt sind die bislang nur rudimentär beantworteten Fragen nach der Rechtsnatur sowie nach dessen Voraussetzungen und Inhalten. In den ARSIWA stellen guarantees of non-repetition eine zusätzliche Verpflichtung des Rechtsverletzers dar, neben der Beendigung andauernder Verletzungen des Völkerrechts, der Wiedergutmachung von Schäden und der fortdauernd wirksamen substantiellen Rechtspflicht. Die Garantien und Zusicherungen treten als völkerrechtliche „Sekundärpflicht“ neben die verletzte „Primärpflicht“ (vgl. Art. 28 und Art. 29 ARSIWA).781 Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den guarantees of non-repetition des IAGMR, die mit den Verpflichtungen der Vertragsstaaten unter Art. 2 AMRK identisch sind.782
780 Auch binnen einer kurzen Zeitspanne kann sich Gewohnheitsrecht bilden, vgl., IGH, North Sea Continental Shelf, Urt. v. 20. 02. 1969, ICJ Reports 1969, S. 3, Rn. 74: „Although the passage of only a short period of time is not necessarily, or of itself, a bar to the formation of a new rule of customary international law […] an indispensable requirement would be that within the period in question, short though it might be, State practice, including that of States whose interests are specially affected, should have been both extensive and virtually uniform in the sense of the provision invoked;- and should moreover have occurred in such a way as to show a general recognition that a rule of law or legal obligation is involved.“; von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 107 (Rn. 252). 781 Der Begriff des Sekundärrechts bezeichnet hier die allgemeinen Regeln des Völkerrechts über die Voraussetzungen und Konsequenzen der Verantwortlichkeit eines Staates und grenzt sich ab von den substantiellen Verhaltenspflichten des Völkerrechts („Primärnormen“), deren Verletzung die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates auslösen kann. Siehe hierzu nur ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur, 20. 04. 1970, A/CN.4/233, Yearbook of the International Law Commission 1970, vol. II, S. 177 (178), Rn. 7; dieses „Sekundärrecht“ ist nicht mit den Sekundärnormen in der Rechtstheorie HLA Harts zu verwechseln, Pellet, The ILC’s Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts and Related Texts, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 2010, S. 76; Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 64 ff.; Eric David, Primary and Secondary Rules, in: James Crawford/Alain Pellet/ Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, Oxford 2010, S. 27. 782 Siehe oben S. 128 ff.
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Anders als der IAGMR rechnen die ARSIWA die guarantees of non-repetition auch nicht den Maßnahmen der geschuldeten Wiedergutmachung zu. Nach der Vorstellung der ILC besteht der Hauptgrund für guarantees of non-repetition in der Bestätigung und Sicherung der fortdauernden Integrität der Primärverpflichtung. Durch verbale Zusicherungen oder konkrete Präventionsmaßnahmen soll die Geltung der betroffenen Regel bekräftigt und zur Prävention zukünftiger Verletzungen beigetragen werden.783 Ihre Funktion liegt also in der Gewährleistung der zukünftigen Einhaltung der Verpflichtung und der Prävention zukünftiger Verletzungen. Durch ihre in die Zukunft gerichtete Dimension und ihren Fokus auf die verletzte Verpflichtung sollen sich die Garantien und Zusicherungen in einem wesentlichen Aspekt von den verschiedenen Formen der Wiedergutmachung unterscheiden, welche die ILC primär als Instrument zum Ausgleich von Nachteilen und zur Befriedigung verletzter Interessen versteht.784 Ganz trennscharf ist die Einordnung der guarantees of non-repetition allerdings auch in den ARSIWA nicht. Ihren Anlass und ihre Berechtigung ziehen Forderungen nach guarantees of non-repetition aus der erlittenen Rechtsverletzung. Sie dienen auch der Wiederherstellung von in der Vergangenheit verlorenen gegangenem Vertrauen.785 Diese doppelte Zwecksetzung hatte auch bei der ILC Schwierigkeiten bei der rechtlichen Einordnung zur Folge gehabt: Handelt es sich um eine Form der Genugtuung, wie dies die klassische Lehre verstand?786 Oder handelt es sich um eine „autonome“ Konsequenz der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit? Im Verlauf der Kodifikation wurden unterschiedliche Aspekte hervorgehoben: Riphagen und Arangio-Ruiz sahen Garantien und Zusicherungen als Formen der Genugtuung an.787 Der Artikelentwurf nach der ersten Lesung sah eine eigenständige Verpflichtung vor, da Zusicherungen und Garantien eine abgrenzbare und eigenständige Funktion erfüllten. Doch führte der Entwurf diese Maßnahmen weiter als Formen der Wie783 ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. 31 (89), Art. 30 Rn. 9, 12 f. 784 Vgl. Art. 31 der ARSIWA, wonach sich die Pflicht zur Wiedergutmachung auf die durch die Verletzung verursachten Nachteile bezieht. 785 ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. 31 (89), Art. 30 Rn. 9, 12 f. 786 Mit einer Übersicht über die Praxis, ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 42 ff.; Yann Kerbrat, Interaction Between the Forms of Reparation, in: James Crawford/Alain Pellet/Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 41, Oxford 2010, S. 573 f. 787 ILC, Second Report on the content, forms and degrees of international responsibility by Mr. Willem Riphagen, Special Rapporteur, 05. 05. 1981, A/CN.4/344, Yearbook of the International Law Commission, vol. II (Part One), S. 79 (101); ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 1 (43).
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dergutmachung auf.788 Unter dem Einfluss Crawfords wurde die Rechtsfolge weiter „autonomisiert“ und neben die Pflicht zur Beendigung eingeordnet (Art. 30 ARSIWA). Beiden Pflichten sei die Betonung der Integrität der Primärverpflichtung gemeinsam, was eine gemeinsame Behandlung in Abgrenzung zur Wiedergutmachung rechtfertige.789 Während die Beendigung das ursprüngliche Rechtsverhältnis wiederherstellen solle, helfe die Abgabe von Zusicherungen und Garantien, in der Zukunft Verletzungen zu verhindern. Eine scharfe Abgrenzung nimmt allerdings auch die ILC nicht vor. Der Kommentar der ILC gesteht zu: „Assurances or guarantees of non-repetition may be sought by way of satisfaction (e. g. the repeal of the legislation which allowed the breach to occur) and there is thus some overlap between the two in practice).“790 Gänzlich irrelevant ist die dogmatische Einordnung in den ARSIWA nicht, da sich das Verständnis der Rechtsnatur im Rahmen der Voraussetzungen und Inhalte der guarantees of non-repetition niederschlagen kann. Handelt es sich um eine Form der Genugtuung statt um eine autonome Rechtsfolge des Völkerrechts, so wären nach den ILC-Artikeln Zusicherungen und Garantien nicht geschuldet, wenn Restitution oder Schadensersatz zur Schadensbeseitigung ausreichten (Art. 37 Abs. 1 ARSIWA). Auch Drittstaaten hätten in diesem Fall kein Recht, im kollektiven Interesse solche Maßnahmen einzufordern (Art. 48 Abs. 2 ARSIWA).791 Die hiermit angesprochenen Voraussetzungen der guarantees of non-repetition sind in der Arbeit der ILC überdies vage geblieben: „Angemessene“ Zusicherungen und Garantien sind abzugeben, „wenn die Umstände dies erfordern“ (Art. 30 lit. b 788 ILC, Draft articles on State responsibility provisionally adopted by the Commission on first reading, 1996, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 1996 (Part Two), S. 58 (63), Art. 46. 789 ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. Art. 30, Rn. 11; ILC, Third report on State responsibility, by Mr. James Crawford, Special Rapporteur, 15. 03. 2000, A/CN.4/507 and Add.–4, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2000 (Part Two), S. 23, Rn. 57. 790 ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), Art. 31, Rn. 11; im Rahmen der geschuldeten Genugtuung (satisfaction) sind seit jeher die Pflicht zur Bestrafung verantwortlicher Personen und auch Geldzahlungen anerkannt, die nicht allein die Schädigung finanzieller Interessen widerspiegeln müssen. Siehe zu den überlappenden Funktionen der völkerrechtlichen Unrechtsfolgen bereits Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Band 1: Einführung-Allgemeine Lehren, 1929, S. 408: „In [allen Formen der Reaktionen gegen das Unrecht] findet sich das Element der Sühne und das Element der Wiedergutmachung, der Gedanke der Bestrafung und der Wiedergutmachung der erlittenen Unbill; nur wechselt von Fall zu Fall das Verhältnis in welchem Maße diese Elemente beteiligt sind.“; Personnaz, La réparation du préjudice en droit international public, 1939, S. 312, 327 ff.; Reitzer, La réparation comme conséquence de l’acte illicite en droit international, 1938, S. 210 ff. 791 Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 476; Barbier, Assurances and Guarantees of Non-Repetition, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 39, 2010, S. 551 (557).
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ARSIWA). Wann dies der Fall ist, wird am ehesten durch ein internationales Gericht geklärt werden können, weswegen die guarantees of non-repetition der ARSIWA für die internationale Gerichtsbarkeit von besonderer Relevanz sein sollen.792 Anleitung könnte in gewisser Hinsicht ihre Funktion geben, die zukünftige Einhaltung von verletzten Normen des Völkerrechts besonders zu sichern, insbesondere solcher Regeln mit Relevanz für die internationale Staatengemeinschaft als Ganzes. Eine solche besondere Sicherung der Nicht-Wiederholung erscheint nur dann geboten, wenn ein echtes Risiko der Wiederholung des Rechtsbruchs erkennbar oder wenn die verletzte Norm von besonderer Bedeutung ist. Ansonsten muss grundsätzlich der gute Wille eines Staates unterstellt werden, in Zukunft keinen weiteren Völkerrechtsbruch zu begehen. Anders als Beendigung und Wiedergutmachung können die Zusicherungen und Garantien für die Zukunft folglich keine automatische Folge eines Völkerrechtsbruchs oder der Verursachung von Nachteilen darstellen.793 Der Kommentar der ILC enthält nur wenige Erläuterungen zu den Voraussetzungen der Garantien und Zusicherungen für die Zukunft. In der Zusammenfassung der Debatte der ARSIWA vor dem Rechtsausschuss der UN-Generalversammlung wurden mit der Wiederholungsgefahr, der Schwere des Rechtsbruchs und der Natur der verletzten Regel des Völkerrechts die gerade genannten drei Faktoren aufgeführt, die kumulativ oder für sich allein die Verpflichtung auslösen sollten: „The obligation to offer appropriate assurances and guarantees of non-repetition was understood to arise as a function of the risk of repetition, the gravity of the wrongful act and the nature of the obligation breached. It was also felt that assurances of non-repetition were required not only where there was a pattern of repetition of the wrongful act, but also where there was a risk of repetition or, alternatively, where the breach was particularly grave, even if the risk of repetition was minimal. The addition of the words ,if circumstances so require‘ was said to clarify the dependence of the concept on the particular context.“794
Der IGH hat in Entsprechung zu diesen Erläuterungen den Ausnahmecharakter der Zusicherungen und Garantien in seiner Rechtsprechung bestätigt. Wie dargelegt lehnte er in einer Reihe von Urteilen auf guarantees of non-repetition gerichtete Anträge ab, in denen er die bloße Feststellung der Rechtspflicht mit Blick auf den 792 Langer, Les assurances et garanties de non-répétition: Entre rupture et continuité, in: Alland u. a. (Hrsg.), Unité et diversité du droit international/Unity and Diversity of International Law. Ecrits en l’honneur du Professeur Pierre-Marie Dupuy/Essays in Honour of Professor Pierre-Marie Dupuy, 2014, S. 539 (547 f.); Palmisano, Les garanties de non-répétition entre codification et réalisation jurisdictionnelle du droit: à propos de l’affaire LaGrand, Revue Générale de Droit International Public 106 (2002), 753 (786 ff.). 793 So auch Crawford, State Responsibility: The General Part, 2013, S. 476; Barbier, Assurances and Guarantees of Non-Repetition, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 39, 2010, S. 551 (557). 794 ILC, Report of the International Law Commission on the work of its fifty-second session (2000). Topical summary of the discussion held in the Sixth Committee of the General Assembly during its fifty-fifth session prepared by the Secretariat, 15. 02. 2001, A/CN.4/513, S. 15, Rn. 57. Die Bedeutung dieser Faktoren wurde oben auch für die Praxis des IAGMR nachgewiesen, S. 152 ff.
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good faith der Staaten als ausreichend für die zukünftige Einhaltung der verletzten Verpflichtung ansah. Nur vage Hinweise bestehen ferner hinsichtlich der Inhalte der Zusicherungen und Garantien, die seitens des Verletzerstaates abzugeben sind. Der Kommentar der ILC stellt fest, dass Zusicherungen üblicherweise in Worten gegeben werden, während Garantien in der Regel darüber hinausgehende Maßnahmen erforderten bspw. präventive Maßnahmen, um die Wiederholung des Rechtsbruchs zu verhindern.795 Hinsichtlich der gebotenen Präventionsmaßnahmen sei die Staatenpraxis uneinheitlich. Maßgeblich seien die Umstände des Einzelfalls. Es könne allgemein zwischen der Geltendmachung allgemeiner und spezieller Garantien unterschieden werden, wobei der verletzte Staat entweder die vorzunehmenden Maßnahmen dem Ermessen des Verletzerstaats überlasse (Erfolgsverpflichtung) oder bestimmte Maßnahmen fordere (Handlungspflicht).796 Hinsichtlich spezieller Garantien hatte Arangio-Ruiz in seinem Bericht aus der Staatenpraxis des 19. Jahrhunderts die Forderung nach bestimmten Anweisungen an Staatsbeamte oder die Aufhebung von Gesetzen, welche die Verletzung verursacht hatten, genannt, weshalb die Praxis des IAGMR hier tatsächlich gewisse Anknüpfungspunkte finden kann, im Übrigen jedoch weit über den völkerrechtlichen acquis hinausgeht.797 3. Zwischenergebnis mit Blick auf die Anordnungsbefugnisse des IAGMR Es kann bilanziert werden, dass das Institut der guarantees of non-repetition der ARSIWA in Ansätzen im allgemeinen Recht der Staatenverantwortlichkeit verankert ist, wobei jedoch die Voraussetzungen und Inhalte der hierunter gefassten Handlungspflichten bislang nur rudimentär ausgestaltet sind. Von bestimmten völkergewohnheitsrechtlichen Pflichten verantwortlicher Staaten zur Vornahme genereller Maßnahmen und zur Prävention zukünftiger Verletzungen, die der IAGMR lediglich aufgreifen könnte, kann nach dem aktuellen Stand des Völkerrechts keine Rede sein. Die guarantees of non-repetition des Rechts der Staatenverantwortlichkeit bieten dem IAGMR daher nur eine schwache Grundlage für seine weitreichende und detaillierte Praxis. Die Praxis des IAGMR unter diesem Titel dürfte zudem über dasjenige hinausgehen, was sich die ILC selbst vorgestellt hatte, als sie guarantees of non-repetition konzipierte. Zum einen sind die guarantees of non-repetition von der ILC zunächst 795 ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. Art. 31, Rn. 12. 796 Ibid., 31 (90 f.), Art. 30 Rn. 13; ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 1 (44 f.), Rn. 154, 158. 797 ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 1 (45), Rn. 158.
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allein für den zwischenstaatlichen Verkehr verfasst worden.798 Art. 33 Abs. 2 ARSIWA lässt ausdrücklich offen, ob die Inhalte der Staatenverantwortlichkeit, darunter die Pflicht zu Zusicherungen und Garantien, auch in Menschenrechtsbeschwerden geltend gemacht werden können („This Part [d. h. Part Two: The content of the international responsibility of state, d.Verf.] is without prejudice to any right, arising from the international responsibility of a State, which may accrue directly to any person or entity other than a State.“).799 Zum anderen sind die guarantees of nonrepetition nach ihren Voraussetzungen und Inhalten erkennbar als Ausnahmefall konzipiert. Die Tatsache, dass der IAGMR in beinahe jedem Urteil, und auch bei weniger schwerwiegenden Rechtsverletzungen, auf generelle Anordnungen gegenüber dem betroffenen Konventionsstaat zurückgreift, zeigt hingegen, dass sich die Anordnungen des IAGMR zum Regelinstrument entwickelt haben.
798 Die Artikel erkennen die Möglichkeit der Geltendmachung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit durch nicht-staatliche Akteure an, etwa durch Individualbeschwerdeverfahren, treffen aber keine Aussage darüber, ob und inwieweit die festgelegten Regeln mit dem niedergelegten Inhalt auch im Verhältnis zu ihnen gelten, vgl. ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), Art. 33 Rn. 4: „The articles do not deal with the possibility of the invocation of responsibility by persons or entities other than States, and paragraph 2 makes this clear. It will be a matter for the particular primary rule to determine whether and to what extent persons or entities other than States are entitled to invoke responsibility on their own account. Paragraph 2 merely recognizes the possibility: hence the phrase ,which may accrue directly to any person or entity other than a State‘.“ 799 Die prinzipielle Natur der von der ILC aufgeführten Rechtsfolgen legt es allerdings nahe, sie nicht nur als Inhalt der zwischenstaatlichen Verantwortlichkeit, sondern auch als allgemeine völkerrechtliche Grundsätze anzuerkennen. Mit Blick auf internationale Organisationen erscheint die Geltung dieser grundlegenden Regeln heute ebenfalls anerkannt. Problematischer bleibt hingegen die Stellung des Individuums im Recht der Staatenverantwortlichkeit. Wenngleich eine vollständige Mediatisierung des Individuums dem heutigen Völkerrecht nicht mehr entnommen werden kann, ist es doch fraglich, ob die Rechtssubjektivität des Individuums auch die Inhaberschaft von Ansprüchen zur Wiedergutmachung bei Rechtsverletzungen notwendigerweise einschließt. Nach überwiegender Ansicht ist dies wohl nur dann der Fall, wenn dem Individuum völkerrechtliche Wege zur Verfügung gestellt werden, innerhalb derer die erlittenen Rechtsverletzungen geltend gemacht werden können. Jedenfalls in dieser Situation muss angenommen werden, dass nicht nur die axiomatische Pflicht der Beendigung, sondern grundsätzlich auch die Pflicht zur Wiedergutmachung gegenüber dem Individuum aus einer Verletzung von völkerrechtlichen Individualrechten folgen muss. Fraglich ist jedoch in dieser Situation, ob die Rechtsfolgen der Verletzung die gleichen sind, wie wenn sie von einem anderen Staat geltend gemacht würden. Das von der ILC vertretene Modell der Trennung von Sekundärverpflichtung einerseits (Teil 2) und Geltendmachung andererseits (Teil 3) legt nahe, dass sich die Rechtsfolgen grundsätzlich nicht ändern, je nachdem welches Völkerrechtssubjekt berechtigt ist, die Verantwortlichkeit geltend zu machen. Siehe näher zu dieser Frage von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 189 f. (Rn. 432); Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 172 ff.; Michael Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, Münster 2005, S. 197 ff.; Christian Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations: The Position under General International Law, in: Christian Randelzhofer Albrecht Tomuschat (Hrsg.), State Responsibility and the Individual – Reparation in Instances of Grave Violation of Human Rights, Den Haag 1999, S. 1.
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III. Guarantees of non-repetition in den UN-Grundprinzipien Eine Grundlage der guarantees of non-repetition des IAGMR könnte sich daneben aus den benannten UN-Grundprinzipien und Richtlinien über das Recht auf Abhilfe und Wiedergutmachung für Opfer schwerer Verletzungen internationaler Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts ergeben, die eine wesentliche Inspirationsquelle für die Anordnungen des IAGMR darstellen.800 In den Prinzipien Nr. 18 und 23 führen die UN-Grundprinzipien ausdrücklich die Pflicht der Staaten zur Abgabe bzw. Vornahme von guarantees of non-repetition auf. Es ist jedoch mit Blick auf die Entwicklung der Grundprinzipien, ihre Geltung und ihren Anwendungsbereich zweifelhaft, ob damit eine taugliche Grundlage für die gesamte Praxis des IAGMR geschaffen worden ist. 1. Entwicklung der UN-Grundprinzipien im Transitional Justice-Kontext Die Ausarbeitung der UN-Grundprinzipien begann im Zeitraum der sog. dritten Welle der Demokratisierung in der Mitte der 1980er Jahre und im Zusammenhang mit der Debatte über die Aufarbeitung vergangenen schwerwiegenden und massenhaften Unrechts, insbesondere der Frage der Entschädigung der Opfer.801 Im Jahr 800
Siehe oben S. 58 ff. Ein weiterer Referenzpunkt sind die Prinzipien Nr. 35 ff. der im Jahr 2005 überarbeiteten UN-Grundprinzipien zur Bekämpfung der Straflosigkeit (Updated Set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity). Neben einem right to know und einem right to justice werden guarantees of non-recurrence hier als eine weitere Verpflichtung der Staaten zur Bekämpfung der Straflosigkeit aufgeführt. Nr. 35 der Prinzipien sieht vor: „States shall ensure that victims do not again have to endure violations of their rights. To this end, States must undertake institutional reforms and other measures necessary to ensure respect for the rule of law, foster and sustain a culture of respect for human rights, and restore or establish public trust in government institutions.“ Die Grundprinzipien zur Bekämpfung der Straflosigkeit rezipieren mit Blick auf die guarantees of non-repetition allerdings im Wesentlichen die UN-Grundprinzipien über Abhilfe und Wiedergutmachung, sodass sie hier nicht gesondert behandelt werden sollen. Vgl. näher Commission on Human Rights, Updated Set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity, 08. 02. 2005, A/RES/60/147; Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Question of the impunity of perpetrators of human rights violations (civil and political). Final report prepared by Mr. Joinet pursuant to Sub-Commission decision 1996/119, 26. 06. 1997, E/CN.4/Sub.2/1997/20; Roger Duthie/Alexander MayerRiekh, Principle 35: General Principles, in: Frank Haldemann/Thomas Unger (Hrsg.), The United Nations Principles to Combat Impunity: A Commentary, Oxford 2018, S. 383; Alexander Mayer-Riekh, Guarantees of Non-Recurrence: An Approximation, Human Rights Quarterly 39 (2017), 416 (421). 801 Siehe in der grundlegenden Resolution der Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Compensation for victims of gross violations of human rights, Resolution 1988/11 v. 01. 09. 1988, E/CN.4/Sub.2/1988/45: „Deeply concerned over the substantial damages and acute sufferings caused to individuals, groups and communities as a result of gross violations of human rights and fundamental freedoms, […]“; näher zum Hintergrund Van Boven, Victim’s Rights to a Remedy and Reparation: The New United Nations Principles and Guidelines, in: Ferstman/Goetz/Stephens (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes Against Humanity: Systems in Place and Systems in the
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
1989 beauftragte der Unterausschuss der UN-Menschenrechtskommission zur Verhinderung von Diskriminierungen und Schutz von Minderheiten (Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities) den Sonderberichterstatter Theo van Boven mit der Ausarbeitung einer Studie über die Rechte von Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen zu Restitution, Entschädigung und Rehabilitation („the right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of gross violations of human rights and fundamental freedoms“) mit dem Ziel, entsprechende internationale Leitlinien und Standards zu entwickeln.802 Van Boven legte seinen endgültigen Bericht im Jahr 1993 vor, der einen Vorschlag für entsprechende Prinzipien enthielt.803 Der Vorschlag van Bovens beinhaltete eine umfassende Konzeption der Wiedergutmachung, die sich maßgeblich an den Interessen der Opfer ausrichten sollte, ausgleichende und präventive Aspekte beinhaltete und die Wiedergutmachungsformen des Rechts der Staatenverantwortlichkeit auf dem Stand der ILC Artikel der ersten Lesung rezipierte. Insbesondere umfasste der Vorschlag die Pflicht zur Vornahme von guarantees of non-repetition.804 Hierunter fasste van Boven Maßnahmen, die sich, im Einklang mit den Erfahrungen in Lateinamerika und den Erkenntnissen der Transitionsforschung, an den Umständen des Übergangs von einer Diktatur zur Demokratie ausrichteten und namentlich Maßnahmen zur Kontrolle des Militärs beinhalteten, ferner die Beschränkung der Militärgerichtsbarkeit, Stärkung der Unabhängigkeit der Gerichte, sowie Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Menschenrechtsbildungskurse für alle Teile der Gesellschaft, insbesondere aber für die Sicherheitskräfte.805 Making, 2009, S. 27 f.; mit detaillierter Entstehungsgeschichte Theo van Boven, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Audiovisual Library of International Law 2016. 802 Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Compensation for victims of gross violations of human rights, Resolution 1989/13 v. 31. 08. 1989, E/ CN.4/1990/2. 803 Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Study Concerning the Right to Restitution, Compensation and Rehabilitation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Fundamental Freedoms, Final report submitted by Mr. Theo van Boven, Special Rapporteur, 02. 07. 1993, UN Doc E/CN. 4/Sub.2/1993/8. 804 Ibid., S. 56: „3. Reparation for human rights violations has the purpose of relieving the suffering of and affording justice to victims by removing or redressing to the extent possible the consequences of the wrongful acts and by preventing and deterring violations. 4. Reparation should respond to the needs and wishes of the victims. It shall be proportionate to the gravity of the violations and the resulting harm and shall include: restitution, compensation, rehabilitation, satisfaction and guarantees of non-repetition.“ 805 Ibid., S. 58; zum Vorschlag van Bovens vgl. Shelton, The United Nations Principles and Guidelines on Reparations: Context and Contents, in: De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, 2005, S. 15 ff. Zum Einfluss der Transitionsforschung Brigitte Weiffen, Transitional Justice: Eine konzeptionelle Auseinandersetzung, in: Anja Mihr/Gert Pickel/Susanne Pickel (Hrsg.), Handbuch Transitional Justice, Wiesbaden 2018, S. 83 (85 f.); Paige Arthur, How „Transitions“ Reshaped Human Rights: A Conceptual History of Transitional Justice, Human Righs Quarterly 31 (2009), 321 (337 ff.).
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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Von 1993 bis 1997 legte van Boven verschiedene überarbeitete Versionen der Grundprinzipien vor, bis im Jahr 1998 Cherif Bassiouni als unabhängiger Experte zur Überarbeitung der Grundprinzipien berufen wurde.806 Im Jahr 2000 legte Bassiouni eine überarbeitete und harmonisierte Version vor, welche deren Reichweite auf schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts erweiterte und so den Fokus auch auf die Bewältigung der Folgen bewaffneter Konflikte richtete.807 Mit Blick auf die guarantees of non-repetition ergaben sich keine wesentlichen Änderungen zum Bericht van Bovens.808 Zwischen den Jahren 2000 und 2005 wurden die Prinzipien Gegenstand von Beratungen auf der intergouvernementalen Ebene und weiteren Überarbeitungen durch den vorsitzenden Berichterstatter der UN-Menschenrechtskommission, Alejandro Salinas aus Chile, bevor sie am 19. April 2005, mit 43 JaStimmen und fünf Enthaltungen, darunter Deutschland, von der UN-Menschenrechtskommission angenommen wurden.809 Am 25. Juli 2005 folgte die Abstimmung im Wirtschafts- und Sozialausschuss, am 16. Dezember 2005 nahm die UNGeneralversammlung die Grundprinzipien im Konsens an.810 2. Fokus auf schwere Rechtsverletzungen und Transitionsprozesse Die UN-Grundprinzipien beziehen sich schon ausweislich ihres Titels auf „gravierende“ Verletzungen der Menschenrechte und „schwerwiegende“ Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht („Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“), wodurch ihr Anwendungsbereich eingeschränkt wird. Diese Einschränkung war nicht immer eindeutig, denn die ursprüngliche Studie van Bovens bezog sich nach der Resolution der Unterkommission aus dem Jahr 1989 allgemein auf „gross violations of human rights 806
Siehe die endgültige überarbeitete Version, Commission on Human Rights, Note prepared by the former Special Rapporteur of the Sub Commission, Mr. Theo van Boven, in accordance with paragraph 2 of Sub Commission resolution 1996/28, 13. 01. 1997, E/CN.4/1997/ 104, Annex; Commission on Human Rights, The right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of grave violations of human rights and fundamental freedoms, Resolution 1998/43 v. 17. 04. 1998, E/CN.4/1998/177. 807 Commission on Human Rights, The right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of gross violations of human rights and fundamental freedoms. Final report of the Special Rapporteur, Mr. M. Cherif Bassiouni, submitted in accordance with Commission resolution 1999/33, 18. 01. 2000, E/CN.4/2000/62. 808 Ibid., S. 11. 809 Commission on Human Rights, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution 2005/35 v. 19. 04. 2005, E/CN.4/2005/135; siehe näher zur Entstehungsgeschichte zwischen 2000 und 2005 Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles: An Appraisal, Netherlands Quarterly of Human Rights 24 (2006), 641 (643 ff.). 810 Economic and Social Council, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution 2005/30 v. 19. 04. 2005.
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and fundamental freedoms“, unter die von van Boven u. a. mit Blick auf den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen von 1949 folgende Handlungen fasste: „[…] gross violations of human rights and fundamental freedoms which include at least the following: genocide; slavery and slavery-like practices; summary or arbitrary executions; torture and cruel, inhuman or degrading treatment or punishment; enforced disappearance; arbitrary and prolonged detention; deportation or forcible transfer of population; and systematic discrimination, in particular based on race or gender.“811
Im letzten Entwurf van Bovens aus dem Jahr 1997 fand sich eine solche Definition nicht mehr, ferner wurde nach Diskussionen in der Unterkommission die Konzentration auf „gross violations“ in Klammern gesetzt.812 Debatten um die Ausrichtung der Prinzipien folgten im Verlauf der Anhörungen in den Jahren 2003 und 2004. Für die Ausrichtung der Prinzipien auf schwere und massive Rechtsverletzungen sprach, dass etwa im Internationalen Strafgerichtshof und dem sog. 1503-Verfahren vor dem UN-Wirtschafts- und Sozialausschuss spezielle Institutionen existierten, deren Aufgaben sich auf derartige Rechtsverletzungen bezogen.813 Die Begriffe der „gross violations of human rights law“ und „serious violations of international humanitarian law“ werden in der endgültigen Fassung der Grundprinzipien nicht definiert und auch sonst findet sich im Völkerrecht keine autoritative Begriffsklärung. Nach dem Bericht van Bovens hatten die Autoren der Grundprinzipien insbesondere völkerstrafrechtlich relevante Verbrechen vor Augen.814 Maßgeblich sei die besondere Bedeutung des verletzten Rechts, namentlich also schwere Verletzungen der „core rights“, d. h. der Rechte auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit.815 Liegen solche schwerwiegenden Verletzungen vor, so entsteht nach den UN-Grundprinzipien die Pflicht zur Vornahme von guarantees of non811 Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Study Concerning the Right to Restitution, Compensation and Rehabilitation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Fundamental Freedoms, Final report submitted by Mr. Theo van Boven, Special Rapporteur, 02. 07. 1993, UN Doc E/CN. 4/Sub.2/1993/8, S. 7 (Rn. 13). 812 Commission on Human Rights, Note prepared by the former Special Rapporteur of the Sub Commission, Mr. Theo van Boven, in accordance with paragraph 2 of Sub Commission resolution 1996/28, 13. 01. 1997, E/CN.4/1997/104, Annex; Commission on Human Rights, The right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of grave violations of human rights and fundamental freedoms, Resolution 1998/43 v. 17. 04. 1998, E/CN.4/1998/177. 813 Vgl. Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles: An Appraisal, Netherlands Quarterly of Human Rights 24 (2006), 641 (649). 814 Van Boven, Victim’s Rights to a Remedy and Reparation: The New United Nations Principles and Guidelines, in: Ferstman/Goetz/Stephens (Hrsg.), Reparations for Victims of Genocide, War Crimes and Crimes Against Humanity: Systems in Place and Systems in the Making, 2009, S. 19 (33): „[…] the view prevailed that the focus of the Basic Principles and Guidelines should be on the worst violations. The authors had in mind the violations of international humanitarian law constituting international crimes under the Rome Statute of the International Criminal Court.“ 815 Ibid., 19 (33 f.).
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repetition automatisch als Teil der Wiedergutmachungsverpflichtung des verantwortlichen Staates. Hierin liegt ein Unterschied zu den ARSIWA, welche die guarantees of non-repetition als eigenständige Rechtsfolge konzipieren und zudem nur dann vorsehen, wenn die Umstände der Rechtsverletzung diese Folge geboten erscheinen lassen.816 Da sich die UN-Grundprinzipien nicht auf Verletzungen jenseits der Kerngewährleistungen beziehen, wären strukturelle Anordnungen des IAGMR etwa in Fällen der Verletzung von Eigentumsrechten (Art. 21 AMRK) nicht von den UN-Grundprinzipien umfasst. Ein Blick auf die Inhalte der guarantees of non-repetition in den UN-Grundprinzipien zeigt die Ausrichtung der Grundprinzipien auf schwere und massive Verletzungen in einem Kontext der Aufarbeitung vergangenen Unrechts und des demokratischen Übergangs. Als Maßnahmen der Prävention werden in Einklang mit den Vorschlägen van Bovens insbesondere die zivile Kontrolle über das Militär, die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz, Schutzmaßnahmen für gefährdete Personen, Ausbildungsmaßnahmen für staatliche Sicherheitskräfte sowie schließlich die Überarbeitung von Gesetzen, welche zu den schweren Rechtsverletzungen beigetragen haben, genannt. Die UN-Grundprinzipien sehen so Maßnahmen vor, die der Stärkung rechtsstaatlicher Institutionen dienen und eine Wiederholung von schweren Rechtsverletzungen verhindern sollen817 – eine allgemeine Verpflichtung zur Verhinderung künftiger Rechtsverletzungen enthalten sie indes nicht. 3. Unsichere positiv-rechtliche Geltung jenseits des Transitional Justice-Kontexts Geben die UN-Grundprinzipien geltendes Völkerrecht wieder, auf das der IAGMR in seinen Anordnungen zurückgreifen kann? Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich bei den UN-Grundprinzipien um eine unverbindliche Resolution der UNGeneralversammlung und damit um keine Rechtsquelle des Völkerrechts iSd Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut. Die Prinzipien können jedoch auf eine entsprechende opinio iuris jener Staaten hinweisen, welche die Resolution angenommen haben.818 Nach ihrer Präambel sollen die UN-Grundprinzipien keine neuen Verpflichtungen enthalten, 816 Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles: An Appraisal, Netherlands Quarterly of Human Rights 24 (2006), 641 (664). 817 Vgl. Mayer-Riekh, Guarantees of Non-Recurrence: An Approximation, Human Rights Quarterly 39 (2017), 416 (428, 431); Shelton, The United Nations Principles and Guidelines on Reparations: Context and Contents, in: De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, 2005, S. 11 (23). 818 Fin-Jasper Langmack, The Normative Value of the Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 78 (2018), 569; Clara Sandoval, The Legal Standing and Significance of the Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 78 (2018), 565; Zwanenburg, The Van Boven/ Bassiouni Principles: An Appraisal, Netherlands Quarterly of Human Rights 24 (2006), 641 (652).
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
sondern bereits existierende Mechanismen und Instrumente über die Rechtsfolgen schwerer und massiver Rechtsverletzungen insbesondere im Transitional JusticeKontext festschreiben.819 Sie sollen den menschenrechtlichen acquis über die Rechtsfolgen schwerer und massiver Menschenrechtsverletzungen wiedergeben, namentlich über den Inhalt und Umfang der Wiedergutmachung individueller Opfer. Widerhall finden die UN-Grundprinzipien etwa in den Berichten des UN-Special Rapporteur on the promotion of truth, justice, reparation and guarantees of nonrecurrence, der in einem Bericht im Jahr 2015 guarantees of non-repetition als Teil der Transitional Justice-Strategien nach massiven Menschenrechtsverletzungen fortentwickelte.820 Seiner Ansicht nach beziehen sich die guarantees of non-repetition auf Fälle systematischer, staatlicherseits also in gewisser Hinsicht organisierte Menschenrechtsverletzungen: „The ,object‘ is not the prevention of isolated violations, but of gross human rights violations and serious violations of international humanitarian law. Such violations presuppose systemic abuses of (State) power that have a specific pattern and rest on a degree of organizational set-up.“821
Eine echte Grundlage in der Staatenpraxis finden die guarantees of non-repetition der UN-Grundprinzipien ferner in der Praxis von Wahrheitskommissionen, die im staatlichen Auftrag nach Beendigung eines bewaffneten Konflikts oder eines Regimewechsels die „Wahrheit“ über begangene Rechtsverletzungen ermitteln und mitunter darüber hinaus Vorschläge zur Reform und Prävention machen, deren Inhalt sich auch in den UN-Grundprinzipien widerspiegelt.822 Auch diese Basis in der Staatenpraxis weist indes auf den begrenzten Anwendungsbereich der guarantees of non-repetition in den UN-Grundprinzipien hin. Eine umfassende Grundlage für den IAGMR, dessen Praxis sich gerade in den letzten Jahren über den Kontext schwerer und massiver Rechtsverletzungen aus der Zeit der Militärdiktaturen oder bewaff-
819 General Assembly, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution 60/147 v. 16. 12. 2005, A/RES/60/ 147.: „[…] Emphasizing that the Basic Principles and Guidelines contained herein do not entail new international or domestic legal obligations but identify mechanisms, modalities, procedures and methods for the implementation of existing legal obligations under international human rights law and international humanitarian law which are complementary though different as to their norms […].“ 820 Human Rights Council, Report of the Special Rapporteur on the promotion of truth, justice, reparation and guarantees of non-recurrence, Pablo de Greiff, 07. 09. 2015, A/HRC/30/ 42, Rn. 14 ff. 821 Ibid., Rn. 25. 822 Mit einem Überblick u. a. über die Vorschläge der Kommissionen in Chile, El Salvador, Guatemala und Peru siehe Naomi Roht-Arriaza, Measures of Non-Repetition in Transitional Justice: The Missing Link?, UC Hastings Research Paper 171/2016, S. 27 ff.; Hayner, Unspeakable Truths: Transitional Justice and the Challenge of Truth Commissions, 2011, S. 32 ff., 35 ff., 49 ff., 60 ff.
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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neten Konflikte der Vergangenheit hinaus entwickelt hat, bieten die UN-Grundprinzipien daher nicht. 4. Zwischenergebnis mit Blick auf die Anordnungsbefugnisse des IAGMR Mit Blick auf ihre Genese, ihre Voraussetzungen und Inhalte liegt es nahe, das Instrument der guarantees of non-repetition in den UN-Grundprinzipien primär auf schwere und massive Menschenrechtsverletzungen im Transitional Justice-Kontext, d. h. auf die Folgen von Regimeunrecht oder bewaffneten Konflikten ausgerichtet anzusehen, sodass dieses Institut allenfalls ein Anknüpfungspunkt für einige, nicht aber für alle Anordnungen des IAGMR sein kann.823 Eine Grundlage für die gesamte Praxis des IAGMR, der guarantees of non-repetition allgemein als ein Instrument zur Abhilfe struktureller Menschenrechtsverletzungen versteht824, bieten sie hingegen nicht.
B. Die Grundlage der guarantees of non-repetition in Art. 63 Abs. 1 AMRK Die Untersuchung im vorangegangenen Abschnitt hat gezeigt, dass die vom IAGMR favorisierte Anknüpfung an ein völkerrechtliches Institut der guarantees of non-repetition den strukturellen Anordnungen des Gerichtshofs in Wirklichkeit nur eine schwache Grundlage bieten kann. Für die Auslegung des Gerichtshofs sprechen nach alledem primär die benannten strategischen Gründe: So erlaubt dieses Verständnis dem IAGMR, seine Anordnungen als Teil des allgemeinen Wiedergutmachungsprinzips des Völkerrechts zu rechtfertigen und sie als eine bereits bestehende sekundärrechtliche Verpflichtung der Staaten darzustellen, die lediglich aufgegriffen wird. Gleichwohl setzt sich der IAGMR dem Vorwurf des ultra vires-Handeln aus, wenn bei näherer Betrachtung die in Anspruch genommene völkerrechtliche Verpflichtung eines verurteilten Staates so tatsächlich nicht besteht. Im Folgenden soll daher versucht werden, die Anordnungen des IAGMR auf die Kompetenz in Art. 63 Abs. 1 AMRK zurückzuführen und zugleich im Ganzen handhabbarer und berechenbarer zu machen. Eine Schwierigkeit liegt dabei in der Einordnung der strukturellen Anordnungen. In Betracht kommen im Wesentlichen zwei verschiedene Verständnisse, nämlich zum einen die Einordnung als Teil der Wiedergutmachung für die festgestellte Rechtsverletzung und zum anderen die Einordung als Verpflichtung zur (nachholenden) Erfüllung der bereits bestehenden Pflicht aus Art. 2 AMRK. Der IAGMR geht von einem „sowohl als auch“ aus, da er 823
Für eine Ausweitung der Transitional Justice-Agenda und des Anwendungsbereichs der guarantees of non-repetition siehe aber Roht-Arriaza, Measures of Non-Repetition in Transitional Justice: The Missing Link?, UC Hastings Research Paper 171/2016. 824 Vgl. insoweit noch einmal oben S. 96 und Fn. 276.
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die strukturellen Anordnungen zwar unter dem Titel der „Reparations“ trifft, er im Rahmen seiner Begründung aber mitunter auch auf deren präventiven Zweck und die zugrunde liegenden Verpflichtungen der Staaten nach Art. 2 AMRK hinweist. Ferner setzen die Anordnungen in der Praxis des IAGMR einerseits das Entstehen eines Schadens auf Seiten der Opfer der untersuchten Rechtsverletzung voraus, andererseits aber auch die Verletzung der Pflicht nach Art. 2 AMRK.825 Einige Stimmen in der Literatur präferieren hingegen mitunter allein eine der verschiedenen Sichtweisen.826 Bevor auf diese Einordnungsfragen eingegangen werden kann, muss allerdings vorab noch näher dargelegt werden, weshalb Art. 63 Abs. 1 AMRK – und nicht allein sein völkerrechtssystematischer Kontext – den Einstieg in die Bestimmung der Kompetenzen und Befugnisse des Gerichtshofs bilden muss. Richtig verstanden handelt es sich bei Art. 63 Abs. 1 AMRK um eine spezielle Befugnisnorm, die als lex specialis den allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit vorgeht und daher den vom IAGMR favorisierten Rückgriff auf das allgemeine Völkerecht schon grundsätzlich ausschließt. I. Art. 63 Abs. 1 AMRK als lex specialis für die Anordnungsbefugnisse des IAGMR Der IAGMR geht wie dargelegt davon aus, dass sich seine Kompetenz zur Anordnung struktureller Reformen aus dem Rückgriff auf das völkerrechtliche Institut der guarantees of non-repetition ergibt, da hiernach ein völkerrechtlich verantwortlicher Staat bei einer Vielzahl gleichartiger Völkerrechtsverstöße und insbesondere bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen zur Vornahme genereller Präventionsmaßnahmen verpflichtet sei. Wenn insoweit jedoch bereits Zweifel an der Geltung und Bestimmtheit dieser angeführten völkerrechtlichen Pflicht formuliert wurden, so ist noch nichts davon gesagt, ob der IAGMR überhaupt befugt ist, auf diese allgemein-völkerrechtlichen Verpflichtungen zurückzugreifen. Betrachtet man Art. 63 Abs. 1 AMRK näher, so ist es vielmehr naheliegend diese Norm schon nicht als einen Verweis auf das allgemeine Völkerrecht, sondern im Gegenteil als lex specialis zu verstehen, die den Rückgriff auf allgemeine Regeln gerade ausschließt. 825
Siehe oben S. 124 ff. Vgl. etwa für eine Einordnung als Maßnahme der Wiedergutmachung zugunsten der Opfer im Einzelfall Antkowiak, An Emerging Mandate For International Courts: VictimCentered Remedies and Restorative Justice, Stanford Journal of International Law 47 (2011), 270; Schönsteiner, Dissuasive Measures and the „Society as a Whole“: A Working Theory of Reparations in the Inter-American Court of Human Rights, American University International Law Review 23 (2007), 127; Antkowiak, Remedial Approaches to Human Rights Violations: The Inter-American Court and Beyond, Columbia Journal of Transnational Law 46 (2008), 351; stärker in die Richtung einer objektiv-rechtlichen Garantie Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013; Attanasio, Extraordinary Reparations, Legitimacy, and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 37 (2016), 814. 826
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Überhaupt muss die Frage, welche Verpflichtungen der Staaten nach einem Urteil des IAGMR bestehen, von der Frage nach den Kompetenzen des Gerichtshofs, diese Verpflichtungen im Urteilstenor aufzunehmen und zu konkretisieren, unterschieden werden.827 Zur Einordnung des Art. 63 Abs. 1 AMRK erscheint ein Vergleich zum IGHStatut hilfreich, denn der Ansatz des IAGMR im Hinblick auf seine Rechtsfolgenkompetenz ähnelt im Ergebnis dem des Internationalen Gerichtshofs.828 Der IGH nimmt für sich nicht allein die Kompetenz in Anspruch, im Rahmen seiner streitigen Gerichtsbarkeit festzustellen, dass ein Völkerrechtsbruch stattgefunden hat, sondern er sieht sich auch als befugt an, selbst wenn die Basis seiner Zuständigkeit hierüber schweigt, über die Konsequenzen dieses Rechtsbruchs zu befinden.829 Die Zuständigkeit über einen Völkerrechtsbruch zu urteilen, umfasst nach Ansicht des IGH auch, als sog. inhärente Befugnis, die Bestimmung von Rechtsfolgen.830 Der Umfang der möglichen Rechtsfolgen vor dem IGH bezieht dabei sämtliche Rechtsfolgen des Rechts der Staatenverantwortlichkeit mit ein. Der IGH sieht sich grundsätzlich als berechtigt an, sämtliche Inhalte der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates aufzugreifen und anzuordnen, d. h. also neben Restitution, Entschädigung und Genugtuung auch Garantien und Zusicherungen für die Zukunft, wenngleich der IGH im konkreten Umgang mit diesen Prinzipien eher zurückhaltend umgeht.831 Der IAGMR kommt in seiner Auslegung des Art. 63 Abs. 1 AMRK zu einem ähnlichen Ergebnis. Er begreift die Norm als einen Verweis auf das völkerrechtliche 827
Vgl. Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 163; Breuer, Zur Fortentwicklung der Piloturteilstechnik durch den EGMR, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 39 (2012), 1 (2). 828 Siehe bereits Mónica Pinto, La réparation dans le système interaméricain des droits de l’homme. A propos de l’arrêt Aloeboetoe, Annuaire français de droit international 42 (1996), 733 (738). 829 So namentlich in IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Urt. v. 27. 06. 2001, ICJ Reports 2001, S. 466, 485, Rn. 48; der Ansatz des IGH reicht zurück auf das Dictum des StIGH: StIGH, Factory at Chorzów, Jurisdiction, Urt. v. 26. 07. 1927, Series A No. 9, S. 23: „The decision whether there has been a breach of an engagement involves no doubt a more important jurisdiction than a decision as to the nature or extent of reparation due for a breach of an international engagement the existence of which is already established.“ 830 Zu Rechtsfolgenkompetenzen als inhärente Befugnis internationaler Gerichte siehe Chittharanjan Felix Amerasinghe, Jurisdiction of specific international tribunals, Leiden 2009, S. 168 ff.; Chester Brown, The Inherent Powers of International Courts and Tribunals, British Yearbook of International Law 76 (2005), 195 (221 f.). 831 Vgl. die Übersicht über die vom IGH angeordneten Rechtsfolgen bei Gray, Remedies, in: Romano/Alter/Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, 2014, S. 871 (875 ff.); Geir Ulfstein, Awarding Compensation in a Fragmented Legal System: The Diallo Case, Journal of International Dispute Settlement 4 (2013), 477; Arnaud Tournier, De Brunsbüttel à Kinshasa: le droit de la réparation dans la jurisprudence des cours mondiales à l’aune de l’arrêt Diallo, Annuaire français de droit international 58 (2012), 205; Amerasinghe, Jurisdiction of specific international tribunals, 2009, S. 174 ff.; zum Umgang des IGH mit seiner Kompetenz vgl. auch Marcus Schnetter, Remedies at the International Court of Justice: A new analytical approach, Bucerius Law Journal (2017), 84.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Prinzip vollständiger Wiedergutmachung, sodass sämtliche Inhalte der völkerrechtlich geschuldeten Wiedergutmachung der Anordnungskompetenz des IAGMR unterfallen („Article 63(1) of the American Convention codifies a rule of customary law that is one of the fundamental principles of contemporary international law on State responsibility“832). Diese Auslegung hat für den IAGMR den Vorteil, zum einen auf etablierte Prinzipien des Völkerrechts zurückgreifen zu können und so seinen Anordnungen Gewicht und Legitimität zu verleihen, zum anderen aber auch selbst zur Fortentwicklung der Inhalte des Rechts der Staatenverantwortlichkeit im internationalen Menschenrechtsschutz beizutragen.833 Ferner bieten die nur rudimentär entwickelten Prinzipien der Staatenverantwortlichkeit dem Gerichtshof weitreichende Flexibilität, um im Rahmen seiner Praxis passende Anordnungen zu entwickeln.834 Problematisch ist an dem Ansatz des IAGMR indes, dass der IAGMR, im Gegensatz zum IGH, in Art. 63 Abs. 1 AMRK über eine Befugnisnorm zur Anordnung der Rechtsfolgen einer Konventionsverletzung verfügt. Eine spezielle Befugnis auf Ebene der Rechtsfolgen kann die Reichweite der ansonsten inhärent vorhandenen Befugnisse eines internationalen Gerichts zur Anordnung von Rechtsfolgen inhaltlich modifizieren, ändern oder abbedingen.835 Es liegt dann eine lex specialis vor, die den Rückgriff auf allgemeine Regelungen des Rechts der Staatenverantwortlichkeit sperrt. Aus Sicht der Staatenverantwortlichkeit ist der Vorrang spezieller 832
IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92, Rn. 60; IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7, Rn. 26; IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Reparations and Costs, Urt. v. 10. 09. 1993, Series C No. 15, Rn. 43; IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88, Rn. 40. 833 Vgl. in diesem Sinne programmatisch IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs. Joint Concurring Opinion of Judges A. A. Cançado Trindade and A. Abreu Burelli, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, Rn. 9; siehe zum Verhältnis der Anordnungen des IAGMR zum allgemeinen Recht der Staatenverantwortlichkeit Silvina S. González Napolitano, La responsabilidad internacional del estado por violación de los derechos humanos: sus particularidades frente al derecho internacional general, Avellaneda 2013, S. 83 ff.; Julio José Rojas Báez, La jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos en materia de reparaciones y los criterios del proyecto de artículos sobre responsabilidad del Estado por hechos internacionalmente ilícitos, American University International Law Review 23 (2007), 91 (99 ff.). 834 Raphaële Rivier, Responsibility for Violations of Human Rights Obligations: InterAmerican Mechanisms, in: James Crawford/Alain Pellet/Simon Olleson (Hrsg.), The law of international responsibility, Oxford 2010, S. 739 (741). 835 Amerasinghe, Jurisdiction of international tribunals, 2003, S. 386: „[…] the agreement of the parties may alter, modify or derogate from jurisdictional authority which would otherwise flow as inherent from the judicial character of a tribunal.“; Amerasinghe, Jurisdiction of specific international tribunals, 2009; ferner allg. Shelton, Form, Function, and the Powers of International Courts, Chicago Journal of International Law 9 (2009), 537 (543); Brown, The Inherent Powers of International Courts and Tribunals, British Yearbook of International Law 76 (2005), 195 (200 ff.).
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Regelungen in Art. 55 ARSIWA niedergelegt, wonach die allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit keine Anwendung finden, „where and to the extent that […] the content or implementation of the international responsibility of a State are governed by special rules of international law.“836 Als eine spezielle Regel fasst die ILC etwa die Anordnungsbefugnisse des EGMR nach Art. 41 EMRK auf, der das Prinzip vollständiger Wiedergutmachung gegenüber der Anordnung von just satisfaction ausschließt, wenn das Recht des betroffenen Staates keine vollständige Wiedergutmachung gewährleistet.837 Auch im Fall des IAGMR ist eine abschließende Regelung der Kompetenzen des IAGMR auf Ebene der Rechtsfolgen naheliegend. Dies ergibt sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, da die Vertragsparteien auf der Konferenz von San José den IAGMR in Art. 63 Abs. 1 AMRK mit umfassenden Kompetenzen zugunsten der verletzten Partei ausstatten wollten.838 Dies ist auch tatsächlich geschehen, da Art. 63 Abs. 1 AMRK den IAGMR berechtigt anzuordnen, dass zum einen die Ausübung der verletzten Rechte zugunsten der verletzten Partei gewährleistet („that the injured party be ensured the enjoyment of his right or freedom that was violated“) und zum anderen die Folgen der Rechtsverletzung beseitigt sowie eine angemessene Entschädigung an die verletzten Partei gezahlt wird („that the consequences […] be remedied and that fair compensation be paid to the injured party“). Insoweit lässt sich Art. 63 Abs. 1 AMRK bereits eine nähere Bestimmung der denkbaren Rechtsfolgen entnehmen, die auf einen Rechtsbruch folgen können. Der unmittelbare Rückgriff auf das gewohnheitsrechtliche Prinzip der Wiedergutmachung ist angesichts dieser speziellen Bestimmungen hingegen ausgeschlossen. Die Bestimmungen des Art. 63 Abs. 1 AMRK – und nicht allein sein völkerrechtssystematischer Kontext – müssen daher den Einstieg in die Festlegung der Kompetenzen und Befugnisse des Gerichtshofs darstellen.
836 Die ARSIWA kodifizieren in diesem Sinne also ein „allgemeines“ Rechtsfolgenregime des Völkerrechts. Gleichzeitig gelten sie nachrangig, wenn und und soweit speziellere Regelungen existieren, vgl. ILC, Third report on State responsibility, by Mr. James Crawford, Special Rapporteur, 15. 03. 2000, A/CN.4/507 and Add.–4, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2000 (Part Two), S. 25, Rn. 65; dagegen noch ILC, Third Report on the content, forms and degrees of international responsibility (part 2 of the articles), by Mr. Willem Riphagen, Special Rapporteur, 12. 03. 1982, A/CN.4/354 and Add.1 and 2, Yearbook of the International Law Commission, vol. II (Part One), S. 22 (30), Rn. 54, der die Staatenverantwortlichkeit nicht als allgemeine Regel, sondern beschränkt auf und bestimmt durch unterschiedliche Subsysteme des Völkerrechts auffasste; vgl. dazu Bruno Simma/Dirk Pulkowski, Leges Speciales and Self-Contained Regimes, in: James Crawford/Alain Pellet/Simon Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, Oxford 2010, S. 144. 837 ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. Art. 33, Rn. 2 und Art. 55, Rn. 3; siehe dazu auch Vanneste, General International Law Before Human Rights Courts, 2010, S. 511 ff. 838 Siehe oben S. 47 ff.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
II. Die Rechtsnatur der guarantees of non-repetition Wenn die Bestimmungen des Art. 63 Abs. 1 AMRK also den Einstieg in die Festlegung der Kompetenzen und Befugnisse des Gerichtshofs bilden müssen, so bleibt doch noch fraglich, auf Grundlage welchen Verständnisses der guarantees of non-repetition die Befugnisse nach Art. 63 Abs. 1 AMRK zu untersuchen sind. Die Natur der guarantees of non-repetition ist ambivalent, da sie einerseits als eine Form der Wiedergutmachung im konkreten Fall und andererseits als Maßnahmen der Garantie des objektiven Konventionsrechts verstanden werden können. Für die Bestimmungen des Art. 63 Abs. 1 AMRK ist diese Einordnung von Relevanz, da sich Art. 63 Abs. 1 AMRK, wie dargelegt, zunächst allein als eine Befugnis im Rahmen des subjektiven Rechtsschutzes darstellt. Auf Basis welcher Rechtsnatur der strukturellen Anordnungen die Befugnisse des IAGMR untersucht werden müssen soll daher im Folgenden näher analysisiert werden, bevor im einem zweiten Schritt Art 63 Abs. 1 AMRK selbst in den Blick genommen werden kann. 1. Strukturelle Anordnungen als Form der Wiedergutmachung Der IAGMR hat, wie im ersten Teil bereits erläutert wurde, ein weitreichendes Verständnis des Begriffs der Wiedergutmachung (reparations, reparaciones) entwickelt. Er versteht Wiedergutmachung nicht als eine Praxis, die sich in der Wiederherstellung des Zustands ex-ante bzw. alternativ in finanzieller Entschädigung erschöpft und allein dem Ideal ausgleichender Gerechtigkeit dient. Vielmehr kann sie eine Vielzahl von Handlungen umfassen und Funktionen erfüllen, darunter die Verhinderung zukünftiger Rechtsverletzungen und Wahrung der Konventionsrechte im betroffenen Staat. Die Anordnung struktureller Reformen unter dem Titel der Wiedergutmachung ist Ausdruck dieses weitreichenden Verständnisses. Der ehemalige Präsident des IAGMR García Ramírez hob die Besonderheiten des Verständnisses des IAGMR in seinem Votum in La Cantuta hervor: „The case law of the Inter-American Court has been particularly dynamic and highly evolving on the subject of reparations. The development of Inter-American case law on this subject becomes obvious when reflecting upon the distance between a reparations scheme revolving around monetary compensation – which is most certainly indispensable and relevant – and another one which, in addition to compensation, makes provision for broadscope measures aimed at securing moral satisfaction for the victims and preventing new violations: for instance, through constitutional reforms, the enactment of laws, the repealing of general-scope provisions, the annulment of proceedings and judgments, political or judicial reforms, and so on. All of this applies to the entire public structure and concerns society as a whole, in addition to benefiting a given person or group of persons whose legitimate interests and proven rights are sought to be enforced.“839
839 IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge García Ramírez, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 24.
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In der Literatur ist der Ansatz des IAGMR allerdings auf Kritik gestoßen.840 Für Maria Londoño Lázaro etwa, die eine erste monographische Untersuchung der guarantees of non-repetition des IAGMR vorgelegt hat, sind Wiedergutmachung und Prävention zwei verschiedene Konzepte. Maßnahmen der „Wiedergutmachung“ seien strikt auf die Beseitigung der in der Vergangenheit entstandenen Schäden bezogen, während sich die guarantees of non-repetition des IAGMR primär auf die zukünftige Verhinderung von Rechtsverletzungen richteten: „La reparación está esencialmente ligada al pasado, en el sentido de que está diseñada para borrar las secuelas que una violación dejó en las víctimas. La vía que ha adoptado la CorteIDH en su jurisprudencia con el uso de la noción de garantías de no repetición, por el contrario, está orientada hacia el futuro. El esfuerzo del tribunal no ha quedado sólo en el restablecimiento de los derechos de las víctimas sino que se ha volcado con la misma fuerza en la configuración de condiciones que a futuro puedan prevenir nuevas violaciones. ¿Caben ambas cosas dentro del concepto de reparación? A lo largo de este libro se intentará poner de manifiesto que se impone una respuesta negativa a esta pregunta. Ni por la función, ni por la naturaleza (que determina esa función), ni por los fundamentos, ni por los efectos que se producen, pueden asociarse como equivalentes las dos figuras. Por tanto, el artículo 63 no ofrece una razón para respaldar la legitimidad de tal práctica.“841
Auch bei Piacentini de Andrade oder Attanasio spiegelt sich ein primär vergangenheitsbezogenes Verständnis von Wiedergutmachung.842 Diese beinhalte allein Maßnahmen, welche auf die Beseitigung oder den Ausgleich von materiellen oder immateriellen Nachteilen zielten, die eine Rechtsverletzung in der Vergangenheit verursacht habe. Wiedergutmachung sei in Anknüpfung an ihre moralische Rechtfertigung das Instrument einer vergangenheitsbezogenen und wiederherstellenden Gerechtigkeit, nicht aber einer distributiven Gerechtigkeit, die sich auf die gerechte Verteilung ökonomischer oder anderer Ressourcen in der Gegenwart bezieht.843 Wiedergutmachung finde ihre Rechtfertigung in der Verantwortung des Rechts-
840
Attanasio, Extraordinary Reparations, Legitimacy, and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 37 (2016), 814 (832 ff.); Londoño Lázaro, Las Garantías de no Repetición en la Jurisprudencia Interamericana, 2014; Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 193 f.; Malarino, Judicial Activism, Punitivism and Supranationalisation: Illiberal and Antidemocratic Tendencies of the Inter-American Court of Human Rights, International Criminal Law Review 12 (2012), 665 (684); Bartolini, Riparazione per violazione dei diritti umani e ordinamento internazionale, 2009, S. 296 f. 841 Londoño Lázaro, Las Garantías de no Repetición en la Jurisprudencia Interamericana, 2014, S. 23. 842 Attanasio, Extraordinary Reparations, Legitimacy, and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 37 (2016), 814 (832); Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 89 ff., 191 ff., 276 ff. 843 Attanasio, Extraordinary Reparations, Legitimacy, and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 37 (2016), 814 (832).
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verletzers für den Rechtsbruch und die hieraus entstandenen Schäden.844 Hieraus folgert etwa Attanasio bestimmte Anforderungen an die Inhalte der Wiedergutmachung, die der IAGMR zusprechen könne. „Echte“ Wiedergutmachung müsse erstens die in der Vergangenheit erfolgte Verletzung zum Dreh- und Angelpunkt haben und dürfe sich nicht auf die Gegenwart oder Zukunft beziehen („Genuine reparations cannot be present- or future-oriented, making the past human rights violations irrelevant to the reparatory obligation.“845). Zweitens dürfe sich Wiedergutmachung allein auf jene Personen beziehen, denen aufgrund der Rechtsverletzung ein Nachteil entstanden sei, d. h. also auf die Opfer der konkreten Rechtsverletzung. Ein Konzept der Wiedergutmachung, das auch die Beseitigung der Wurzeln der Rechtsverletzung mit erga omnes-Effekt erlaube, überschreite die konzeptionellen Grenzen der Wiedergutmachung. Diese Maßnahmen erfolgten allein gelegentlich der Beseitigung der Schäden im Einzelfall, aber nicht eigentlich zu deren Zweck: „[…] a theory of reparations where there are measures to eliminate the abusive paradigms that made possible or were otherwise ,at the core of‘ the systematic violations of human rights is not actually a theory of reparations at all. Such a view lacks a sufficient connection to what the victim suffered and its consequences, and instead simply uses the opportunity to order reparations to improve problematic aspects of a society, where the victim (and the past violation) are largely irrelevant. Reparations must not only be backward-looking but also victim-centered.“846
Folglich stellten die strukturellen Anordnungen des IAGMR, die sich weder auf die Vergangenheit noch auf die Opfer der Rechtsverletzung bezögen, keine eigentlichen Maßnahmen der Wiedergutmachung dar: „The problem for the legitimacy of guarantees of non-repetition is that they are apparently neither backwards-looking, justified in terms of the past human rights violation, nor victimcentered, benefiting the victim in some sense. Guarantees of non-repetition in the jurisprudence of the Inter-American Court have included orders to change laws or public policy, to provide human rights training for officials, and to reform prison conditions. These measures are not obviously backwards-looking because they seemingly aim to prevent future recurrences of the same sort of human rights violations that occurred in the past. […] They are also not obviously aimed at the victim because the victim will often not be expected to benefit from the measures, so they do not really ensure the rights or freedoms of the victim in particular.“847
Drei Einwände erscheinen notwendig: So ist es zunächst problematisch, dass Attanasio et al. das Konzept der Wiedergutmachung mit dem Prinzip ausgleichender Gerechtigkeit gleichsetzen. Sie definieren „Wiedergutmachung“ anhand jener 844
Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 26 ff. 845 Attanasio, Extraordinary Reparations, Legitimacy, and the Inter-American Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 37 (2016), 814 (835). 846 Ibid., 814 (837). 847 Ibid., 814 (841).
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Norm, welche die Praxis der Wiedergutmachung selbst rechtfertigen soll.848 Eine solche Vorgehensweise macht aber eine Debatte um die Rechtfertigung von Praktiken der Wiedergutmachung unmöglich, da sie nur bestimmte Handlungen als Wiedergutmachung definiert. Der Begriff der Wiedergutmachung sollte deshalb von den Zielen, denen die Wiedergutmachung legitimerweise dienen sollte, getrennt werden.849 Der Begriff der „Reparaciones“, „Reparations“ oder eben der „Wiedergutmachung“ hat darüber hinaus gerade keinen festen Inhalt, sondern ist geprägt vom Kontext, in dem er verwendet wird. Der deutsche Begriff der „Wiedergutmachung“ hat etwa eine ganz eigenständige Bedeutung im Kontext der Aufarbeitung des Holocausts erfahren und bezeichnet dort „den ganz weiten Komplex von Maßnahmen der materiellen und im weiteren Sinne auch immateriellen Entschädigung für die Judenverfolgung im NS-Regime durch die BRD als Rechtsnachfolgerin des NSStaats.“850 Mit Blick auf die Werte, welche Praktiken der Wiedergutmachung rechtfertigen können, erscheint zweitens die Verengung auf das Prinzip ausgleichender Gerechtigkeit nicht überzeugend. Schon im allgemeinen Völkerrecht dienen Handlungen, die als Wiedergutmachung verstanden werden, nicht allein dem Ausgleich für in der Vergangenheit rechtswidrig verursachten Schäden. Die ARSIWA umfassen unter dem Begriff „Reparations“ namentlich die Maßnahmen der Genugtuung (Satisfaction, Art. 37), welche die Befriedigung des verletzten Staats für den erlittenen Rechtsbruch, aber auch die Prävention erneuter Verletzungen anstreben.851 Mit Blick 848 Vgl. allg. zu Inhalten und Funktionen der Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen Shelton, Remedies in international human rights law, 3. Aufl., 2015, S. 19 ff.; Walker, Moral Repair: Reconstructing Moral Relations after Wrongdoing, 2006; oder Torpey, Making whole what has been smashed: On Reparations Politics, 2006; John Torpey, Victims and Citizens: The Discourse of Reparation(s) at the Dawn of the New Millennium, in: Koen De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, Antwerpen 2005, S. 35. 849 Vgl. insoweit die Anforderungen an die Definition des Begriffs der Strafe: „Defining the concept of punishment must be kept distinct from justifying punishment. A definition of punishment is, or ought to be, value-neutral, at least to the extent of not incorporating any norms or principles that surreptitiously tend to justify whatever falls under the definition itself. To put this another way, punishment is not supposed to be justified, or even partly justified, by packing its definition in a manner that virtually guarantees that whatever counts as punishment is automatically justified. (Conversely, its definition ought not to preclude its justification.)“ Hugo Adam Bedau/Erin Kelly, Punishment, in: Edward N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, online, 2015. 850 Unfried, Vergangenes Unrecht: Entschädigung und Restitution in einer globalen Perspektive, 2014, S. 39; zu den Regelungen Hans Günter Hockerts, Wiedergutmachung in Deutschland 1945 – 1990 – Ein Überblick, Aus Politik und Zeitgeschichte 63 (25 – 26/2013), 15. 851 Der StIGH nannte in Chorzów Factory die Genugtuung indes nicht als eine Form der Wiedergutmachung und tatsächlich ist die Genugtuung überwiegend der Streitbeilegung durch diplomatische Mittel vorbehalten geblieben, siehe näher ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 31, Rn. 106 ff.; Bissonnette, La satisfaction comme mode de réparation en droit international, 1952.
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auf die Folgen von (schweren) Menschenrechtsverletzungen wird zudem, insbesondere in Lateinamerika, von vielen Stimmen ein Konzept der Wiedergutmachung vertreten, das sich nicht auf unbedingte, auf die Vergangenheit bezogene moralische Verpflichtungen gründet, sondern vielmehr einer konsequenzialistischen Ethik folgt und den Blick auf das Ziel rechtlicher, politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Enwicklung richtet.852 Diese Vorstellung von Wiedergutmachung sieht es etwa als gerechtfertigt an, u. U. das Prinzip der Naturalrestitution zugunsten des einzelnen Opfers einzuschränken, wenn diese die finanzielle Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens übersteigt.853 Ferner können an die Stelle von finanzieller Entschädigung in diesem Verständnis von Wiedergutmachung symbolische Handlungen und Praktiken treten, die sowohl als Ausgleich zugunsten der Opfer als auch als Maßnahme zur Schaffung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verstanden werden können.854 In moralphilosphischer Perspektive werden so neben das Prinzip ausgleichender Gerechtigkeit, welche die Wiedergutmachung unter „normalen“ Umständen, etwa im Zivilrecht, legitimiert und determiniert, die Ideen der Anerkennung und der Entwicklung gestellt, welche die Wiedergutmachung von schweren Menschenrechtsverletzungen in schwachen Staaten kennzeichnen können.855 „Wiedergutmachung“ bezieht sich nach dem Verständnis vieler Autoren und Institutionen in dieser Situation weder allein auf die Vergangenheit, noch eng auf die Interessen der unmittelbaren Opfer der Rechtsverletzung, sondern richtet seinen Blick durchaus in die Zukunft und auf den Staat und die Gesellschaft als Ganzes.856 Der IAGMR steht mit seiner Vorstellung von Wiedergutmachung mithin nicht allein. 852 Siehe dazu bereits S. 58 ff. und José Zalaquett, Transitional Justice and the Victims: A Special Focus on the Case of Chile, in: Inge Vanfraechem/Antony Pemberton/Felix Mukwiza Ndahinda (Hrsg.), Justice for Victims: Perspectives on rights, transition and reconciliation, Abingdon 2014, S. 228 (239 f.); Rodrigo Uprimny Yepes, Transformative Reparations of Massive Gross Human Rights Violations: between Corrective and Distributive Justice, Netherlands Quarterly of Human Rights 27 (2009), 625; Catalina Díaz Gómez/Nelson Camilo Sánchez/Rodrigo Uprimny, Introducción, in: Catalina Díaz Gómez/Nelson Camilo Sánchez/ Rodrigo Uprimny Yepes (Hrsg.), Reparar en Colombia: los dilemas en contexto de conflicto, pobreza y exclusión, Bogotá 2009, S. 17. 853 Vgl. in diesem Sinne auch Tomuschat, Reparation for Victims of Grave Human Rights Violations, Tulane Journal of International and Comparative Law 10 (2002), 157 (174 ff.); Reisman, Compensation for Human Rights Violations: The Practice of the Past Decade in the Americas, in: Tomuschat/Randelzhofer (Hrsg.), State Responsibility and the Individual – Reparation in Instances of Grave Violation of Human Rights, 1999, S. 63 (67 ff.). 854 Conor McCarthy, Reparations and Victim Support in the International Criminal Court, Cambridge 2014, S. 56 ff.; Álvaro Alfonso Patiño Yepes, Las reparaciones simbólicas en escenarios de justicia transicional, Revista latinoamericana de derechos humanos 21 (2010), 51. 855 Siehe oben die Nachweise in Fn. 179; zum Verhältnis von Wiedergutmachung und Entwicklung vgl. Unfried, Vergangenes Unrecht: Entschädigung und Restitution in einer globalen Perspektive, 2014, S. 47 f.; Roger Duthie, Toward a Development-sensitive Approach to Transitional Justice, International Journal of Transitional Justice 2 (2008), 292. 856 Ebendies wird im Übrigen bereits für das deutsche Staatshaftungsrecht vertreten. Die Möglichkeit der Aufrechnung gegen den Anspruch eines Strafgefangenen auf Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen verneinte der BGH u. a. wegen der
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Schließlich und drittens ist einzuwenden, dass jedenfalls aus Sicht der Opfer schwerer Rechtsverletzungen die generellen Anordnungen als annähernder Ausgleich verstanden werden können – und damit als Maßnahmen die selbst ein eng verstandenes Prinzip der Wiedergutmachung umfassen kann.857 Aus viktimologischer und psychologischer Perspektive wird die therapeutische Bedeutung der Erkenntnis von Opfern hervorgehoben, dass die eigenen Unrechtserfahrungen zur Prävention ähnlicher Verletzungen beitragen.858 Dass die Interessen des IAGMR an einer Stärkung der Beachtung der Konventionsrechte in einem Staat mit den Interessen der Opfer zusammenlaufen859, spricht nicht gegen die Anordnung genereller Maßnahmen als Wiedergutmachung. Im Gegenteil: Die Bezeichnung und Einordnung der Präventionsmaßnahmen als Wiedergutmachung nutzt die charismatische Autorität, die Opfern von Menschenrechtsverletzungen heutzutage zugemessen wird. Sie greift auf die rhetorische Bedeutung der Opferperspektive zurück, die öffentliche Aufmerksamkeit verspricht und die Pflicht zur Wiedergutmachung moralisch legitimiert.860 Der Rückgriff auf die Interessen der Opfer hilft dem IAGMR Genugtuungs-, Sanktions- und Präventivfunktion der Staatshaftung, BGHZ 207, 365, Rn. 13: „Der Anspruch auf Geldentschädigung gründet auf dem Schutzauftrag der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und dient zum einen der Genugtuung des Verletzten, zum anderen der wirksamen Sanktion und Prävention; letzteres verstanden in dem Sinn, dass der Staat dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen von vornherein zu vermeiden oder aber (mindestens) alsbald zu beseitigen. Damit diese Funktionen wirksam werden können, muss der Geldentschädigungsanspruch für den ersatzpflichtigen Staat spürbare Auswirkungen haben. Daran würde es vielfach fehlen, wenn die Erfüllung des Anspruchs im Wege der Aufrechnung mit einer Gegenforderung auf Erstattung der offenen – und vom Häftling meist nicht beizutreibenden – Strafverfahrenskosten herbeigeführt werden könnte. Insoweit liegt die Besorgnis nicht fern, dass der ersatzpflichtige Staat aufgetretene menschenunwürdige Haftbedingungen nicht so zügig wie geboten beseitigt, sondern aus fiskalischen Gründen längere Zeit hinnimmt und hierdurch nicht nur die Genugtuungs- und Sanktionsfunktion, sondern auch die Präventivfunktion des Anspruchs beeinträchtigt wird.“ 857 Vgl. zu den Interessen der Opfer vor dem IAGMR die Nachweise in Fn. 153. 858 Amissi M. Manirabona/Jo-Anne M. Wemmers, It doesn’t go away with time: victims’ need for reparation following crimes against humanity, in: Jo-Anne M. Wemmers (Hrsg.), Reparations for Victims of Crimes against Humanity: The Healing Role of Reparations, Abingdon 2014, S. 71; Beristain, Diálogos sobre la reparación: Experiencas en el sistema interamericano de derechos humanos, 2008, S. 373 ff. 859 Siehe oben S. 56 ff. 860 In der Wahrnehmung von staatlich verursachten Gewalterfahrungen hat sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte ein besonderes Verständnis der Figur des „Opfers“ entwickelt. Als „Opfer“ wird eine Person bezeichnet, die unverschuldet und entgegen ihrer Rechte verletzt und beschädigt wurde und deren Anliegen aufgrund ihres Opferstatus als moralisch legitimiert angesehen werden. Das „passive“ Opfer ist somit nicht zwingend schwach, sondern sein Wort hat moralisches Gewicht und verspricht öffentliche Aufmerksamkeit. Handlungen, die der Gesellschaft als Ganzes dienen, werden insbesondere im Transitional Justice-Diskurs so oftmals als Maßnahmen zugunsten „der Opfer“ begründet, deren „Heilung“ nicht allein individuelle Bedeutung habe, sondern zur „Heilung“ der gesamten Gesellschaft beitrage. Dieses Verständnis spiegelte sich etwa in der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission wider, deren Arbeit als individual- und gesellschaftstherapeutische Maßnahme gerechtfertigt wurde oder zuletzt im kolumbianischen Friedensprozess, in dem den Rechten „der
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letztlich dabei, seine Aufgaben effektiv zu erfüllen – wenngleich hier auch die Gefahr einer Instrumentalisierung der Opfer nicht unberücksichtigt bleiben darf. Mit dem IAGMR kann die Anordnung genereller Maßnahmen aus diesen Gründen durchaus unter den Begriff der Wiedergutmachung (reparations, reparaciones) gefasst werden. Neben diesen begrifflichen Einwänden gegen die Einordnung struktureller Anordnungen als Wiedergutmachung werden zudem rechtsdogmatische Bedenken erhoben, die allerdings im Ergebnis ebenso wenig überzeugen. Nach den ARSIWA bezeichnet die Wiedergutmachung rechtlich jenes Bündel von Verpflichtungen, das nach einer Rechtsverletzung und zusätzlich zu den bereits bestehenden Verpflichtungen des Rechtsverletzers entsteht („Sekundärpflichten“).861 Wie erläutert, ist im Inter-Amerikanischen System die Pflicht der Staaten zur Vornahme struktureller Reformmaßnahmen und zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen jedoch bereits Teil der allgemeinen Verpflichtung zur Gewährleistung der Konventionrechte (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 AMRK).862 Art. 2 AMRK fordert von den Konventionsstaaten bereits als Teil ihrer Primärpflicht die Aufhebung und Neuregelung konventionswidriger Gesetze, den Erlass von Gesetzen, wo Konventionsrechte unzureichend geschützt sind, die Entwicklung von administrativen Praktiken und Institutionen, die den Schutz der Konventionsrechte gewährleisten, sowie die Ausarbeitung und Durchführung von Bildungs- und Sensibilisierungskampagnen, um die kulturellen Wurzeln von Diskriminierungen bestimmter Bevölkerungsgruppen zu heben. Art. 2 AMRK enthält zudem nicht allein eine allgemeine Präventionsverpflichtung, sondern verpflichtet auch zur Verhinderung der Wiederholung bereits geschehener Rechtsverletzungen.863 Bei den generellen Maßnahmen, die der IAGMR im
Opfer“ eine zentrale Stellung beigemessen wurde, siehe hierzu allg. Svenja Goltermann, Opfer: Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne, Frankfurt a. M. 2017, S. 13 f.; Thorsten Bonacker, Globale Opferschaft: Zum Charisma des Opfers in Transitional JusticeProzessen, Zeitschrift für Internationale Beziehungen 19 (2012), 1, 5 (8, 17); Pierre Hazan, Juger la guerre, juger l’histoire, Paris 2008, S. 49 ff.; Makau W. Mutua, Savages, Victims, and Saviors: The Metaphor of Human Rights, Harvard International Law Journal 42 (2002), 202 (227 ff.). 861 In diesem Sinne ausdrücklich Art. 29 ARSIWA, vgl. ferner ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), Art. 29, Rn. 2: „As a result of the internationally wrongful act, a new set of legal relations is established between the responsible State and the State or States to whom the international obligation is owed.“; von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 165 (Rn. 379). 862 Vgl. insoweit zur EMRK, bei der sich eine solche generelle Verpflichtung aus Art. 1 EMRK folgern lässt, Meyer-Ladewig/Brunozzi, Artikel 46 EMRK, Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile, in: Meyer-Ladewig u. a. (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention Kommentar, 4. Aufl., 2017, Rn. 31; Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 55 f. 863 Vgl. in diesem Sinne zu Art. 2 IPbpR Mayer-Riekh, Guarantees of Non-Recurrence: An Approximation, Human Rights Quarterly 39 (2017), 416 (422).
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Rechtsfolgentenor ausspricht, handelt es sich letztlich um Maßnahmen, welche die Pflicht der Staaten nach Art. 2 AMRK allein aufgreifen und konkretisieren. Von den Vertretern eines engen Konzepts der Wiedergutmachung wird daher eingewandt, dass die Pflicht zur Vornahme genereller Maßnahmen als Teil der Primärverpflichtungen nicht zugleich als eine Pflicht der Wiedergutmachung verstanden werden könne, da diese immer nur zusätzlich zu bereits bestehenden Verpflichtungen und erst nach einem Völkerrechtsbruch entstehe.864 Die Verpflichtung zur Vornahme genereller Maßnahmen bestehe allein als Teil der ursprünglichen Pflicht aus Art. 2 AMRK und könne schon nicht durch Anknüpfung an das Prinzip der Wiedergutmachung begründet werden.865 So hält etwa Piacentini de Andrade dem Verständnis des Konzepts der guarantees of non-repetition als Teil der geschuldeten Wiedergutmachung entgegen: „La prévention de nouvelles violations, objectif annoncé des assurances et garanties de non-répétition, ne ressort pas en effet comme une obligation autonome et différente de la norme primaire, du moins pas dans le domaine du droit international des droits de l’homme. Dans ce domaine, en effet, les mesures visant à prévenir la répétition de l’illicite relèvent, par la force de l’obligation de garantir l’exercice effectif des droits qui comprend aussi une obligation de prévention, de l’exécution de l’obligation conventionnelle tout simplement.“866
Diese Ansicht hat für sich, dass der Rückgriff auf das Prinzip der Wiedergutmachung zur Anordnung struktureller Maßnahmen letztlich zu einer Verdopplung der menschenrechtlichen Verpflichtungen der Konventionsstaaten führen kann.867 Die Pflicht zur Vornahme genereller Maßnahmen bestünde so einerseits bereits auf 864 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 284 f.; Lisa J. Laplante, Bringing effective remedies home: The Inter-American Human Rights System, and the Duty of Prevention, Netherlands Quarterly of Human Rights 22 (2004), 347 (359). Vgl. in diese Richtung bereits Michael Traßl, Die Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen im Völkerrecht, Berlin 1994, S. 42 ff., 46 ff.; a.A. Mayer-Riekh, Guarantees of Non-Recurrence: An Approximation, Human Rights Quarterly 39 (2017), 416 (422 ff.). 865 Deshalb auch ablehnend zur Präzedenzwirkung der Anordnungen des IAGMR für das Institut der guarantees of non-repetition im allgemeinen Völkerrecht, Gray, Remedies, in: Romano/Alter/Shany (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Adjudication, 2014, S. 871 (880): „Similarly, the ECtHR and the IACtHR have not specifically ordered guarantees of non-repetition, but they have given remedies designed to secure implementation of the obligations of states parties.“; Higgins, Overview of Part Two of the Articles on State Responsibility, in: Crawford/Pellet/Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 2010, S. 537 (543). 866 Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 284 f. Fn. entfernt. 867 Kritisch insoweit auch zum analogen Problem bei der Anordnung der Untersuchung und Strafverfolgung individuell verantwortlicher Personen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK, da es hier zu einer verwirrenden Verdopplung von Pflichten komme und nicht zwischen Primär- und Sekundärverpflichtung getrennt werde ibid., 291; ähnlich Seibert-Fohr, Prosecuting serious human rights violations, 2009, S. 82.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Grund des Art. 2 AMRK und andererseits auf Grund der Pflicht zur Wiedergutmachung für den verursachten Rechtsbruch. Gleichwohl ist auch hier einzuwenden, dass eine scharfe Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärebene im Bereich der Prävention kaum möglich sein wird. Die Prävention zukünftiger Rechtsverletzung ist immer auch ein (Neben-)zweck von Wiedergutmachung, insbesondere im Bereich der Genugtuung. Eine gewisse Überlappung von völkerrechtlicher Primär- und Sekundärebene im Bereich der Prävention erscheint daher unvermeidlich. Es ist auch kein triftiger Grund ersichtlich, weshalb sämtliche Handlungen, für die bereits eine rechtliche Verpflichtung besteht, von vorneherein aus dem Konzept der Wiedergutmachung ausscheiden sollten. Problematisch wäre insbesondere die Anknüpfung von Präventionspflichten an das Prinzip der Wiedergutmachung nur dann, wenn damit ausgedrückt würde, dass, wenn es keine Opfer gegeben hätte, es auch keine Pflicht gäbe, die innerstaatliche Rechtslage an die Konvention anzupassen und ähnliche Verletzungen in Zukunft zu verhinden – oder wenn die Einordnung als Wiedergutmachung bedeuten würde, dass die Opfer im Einzelfall auf diese Maßnahmen verzichten könnten.868 Das aber ist nicht der Fall, da die zugrunde liegende Verpflichtung als Teil der Primärverpflichtung nach Art. 2 AMRK in jedem Fall fortbesteht. Weder in konzeptioneller Hinsicht, noch aus rechtsdogmatischer Perspektive sprechen daher durchgreifende Gründe gegen die Anknüpfung der guarantees of non-repetition an das Prinzip der Wiedergutmachung. 2. Strukturelle Anordnungen als nachholende Erfüllung von Art. 2 AMRK Wenngleich mit dem IAGMR die Anordnung struktureller Reformen nach alledem durchaus als eine Maßnahme der Wiedergutmachung zugunsten der Opfer im Einzelfall bezeichnet werden kann, so ist doch eindeutig, dass hiermit ihre rechtliche Einordnung noch nicht abgeschlossen ist. Da die Anordnungen des IAGMR eine Verpflichtung der Staaten nach Art. 2 AMRK aufgreifen und konkretisieren, könnte es naheliegen, sie zudem als Maßnahmen zur Umsetzung einer eigenständigen Sekundärpflicht zur Beendigung eines andauernden Bruchs von Art. 2 AMRK zu verstehen.869 Die ILC hat die Pflicht zur Beendigung eines andauernden Völkerrechtsbruchs neben der Wiedergutmachung als einen der beiden wesentlichen Inhalte des neuen sekundären Rechtsverhältnisses konzipiert (Art. 30 (a) ARSIWA: „The State responsible for the internationally wrongful act is under an obligation: (a) to 868
Vgl. insoweit kritisch zur Einordnung der Pflicht zur Beendigung einer Menschenrechtsverletzung unter die Pflichten der Genugtuung (satisfaction) in den UN-Grundprinzipien, die vergleichbaren Einwänden begegnet, Shelton, The United Nations Principles and Guidelines on Reparations: Context and Contents, in: De Feyter u. a. (Hrsg.), Out of the Ashes: Reparation for Victims of Gross and Systematic Human Rights Violations, 2005, S. 11 (22). 869 In diesem Sinne Attanasio, Extraordinary Reparations, Legitimacy, and the InterAmerican Court, University of Pennsylvania Journal of International Law 37 (2016), 814 (842); Piacentini de Andrade, La réparation dans la jurisprudence de la Cour Interaméricaine des Droits de l’Homme, 2013, S. 285.
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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cease that act, if it is continuing […].“) Die Pflicht zur Beendigung stellt nach der ILC die „negative“ Seite der fortdauernden „primären“ Handlungspflicht dar, was sich schon darin zeige, dass sie nur solange gefordert werden kann, wie die primäre Verpflichtung besteht. Insoweit ist sie Ergebnis eines rechtslogischen Schlusses von der „primären“ zur „sekundären“ Ebene und erhält ihre eigenständige Berechtigung aus dem ihr innewohnenden Appell, die fortwirkende Integrität der primären Verhaltenspflicht zu beachten.870 Gegen die Sichtweise der ILC mit Blick auf die Pflicht zur Beendigung spricht allerdings, dass eine Regel des Völkerrechts auch nach ihrer Verletzung grundsätzlich fortbesteht. Wie Art. 29 ARSIWA zutreffend wiedergibt, schränkt eine Völkerrechtsverletzung die Bindung der betreffenden Norm nicht ein („The legal consequences of an internationally wrongful act […] do not affect the continued duty of the responsible State to perform the obligation breached.“) Zu bemerken ist ferner, dass der Inhalt der Pflicht zur Beendigung einer andauernden Rechtsverletzung identisch ist mit dem Inhalt der betroffenen Regel selbst. Die andauernde Verletzung der Pflicht zur gesetzlichen Anerkennung des Gemeinschaftseigentums indigener Völker etwa871, eine Verletzung des Art. 2 i.V.m. Art. 21 AMRK durch Unterlassen, wird dadurch „beendet“, indem diese Pflicht nachholend erfüllt wird. Zwischen der Beendigung der Rechtsverletzung und der Erfüllung der weiterhin andauernden Pflicht besteht kein Unterschied. Dann aber gibt es keinen Grund, die Beendigung der Rechtsverletzung zu einer zusätzlichen Verpflichtung neben der Erfüllung der betroffenen Primärverpflichtung zu erheben. Die Beendigung eines andauernden Rechtsverstoßes, oder mit anderen Worten deren nachholende Erfüllung, ist bereits Inhalt der verletzten Primärpflicht selbst.872 Eine zusätzliche Anknüpfung im völkerrechtlichen Sekundärrecht bedarf es folglich nicht.873 Für die Anordnung struk870 Die Eigenständigkeit der Beendigung im heutigen Recht der Staatenverantwortlichkeit deckt sich allgemein mit dem insbesondere von Ago vorangetriebenen Verständnis der Staatenverantwortlichkeit als ein Instrument der Kontrolle der Integrität des Völkerrechts, statt allein als ein Instrument der Wiedergutmachung, vgl. ILC, Preliminary Report on State Responsibility, Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 18. 05. 1988, A/CN.4/416 & Corr.1 & 2 and Add.1 & Corr.2, Yearbook of the International Law Commission 1988, vol. II (Part Two), S. 17 ff., 21, Rn. 61; ferner ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), Art. 30, Rn. 4 ff. 871 Siehe oben Fn. 425 872 von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 165 (Rn. 379); vgl. zu dieser Frage bereits Dietrich Rauschning, Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidriges Verhalten, in: Dietrich Rauschning/Albrecht Randelzhofer (Hrsg.), Staatenverantwortlichkeit, Heidelberg 1984, S. 7. 873 Die besondere Kodifikation der Beendigungspflicht in den ARSIWA dürfte ferner im Wesentlichen daher rühren, dass die Beendigung gravierender Völkerrechtsverletzungen nach den Artikeln im rechtlich geschützten Interesse anderer Völkerrechtssubjekte als allein des Gläubigerstaats liegen kann: Drittstaaten können die Beendigung der Verletzung von erga omnes und erga omnes partes-Verpflichtungen einfordern, selbst wenn diese Verpflichtungen nicht gegenüber ihnen verletzt worden sind (Art. 48 Abs. 2 (a) ARSIWA).
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
tureller Reformen bedeutet das, dass sie neben der Einordnung als Maßnahmen der Wiedergutmachung gleichzeitig Anordnungen zur nachholenden Erfüllung der eingegangenen Primärverpflichtung darstellen, namentlich der Pflicht aus Art. 2 AMRK zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte. 3. Zwischenergebnis: Die Doppelnatur der guarantees of non-repetition Es spricht nach alledem nichts dagegen, die Anordnung struktureller Reformen im Einklang mit der Praxis des IAGMR sowohl als Maßnahme der Wiedergutmachung als auch der Umsetzung der bereits bestehenden Verpflichtung aus Art. 2 AMRK anzusehen. Die Prävention zukünftiger Verletzungen durch legislative, administrative oder institutionelle Reformen kann begrifflich und rechtsdogmatisch sowohl aus der allgemeinen Verpflichtung zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte (Art. 2 AMRK) als auch aus der Pflicht zur Wiedergutmachung nach einer Völkerrechtsverletzung folgen.874 Tatsächlich spricht auch einiges dafür, beide Verständnisse nebeneinander beizubehalten. Einerseits wird auf diese Weise betont, dass die Staaten bereits aufgrund ihrer allgemeinen Verpflichtungen nach Art. 2 AMRK zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte verpflichtet sind, unabhängig davon, ob sie wegen einer Rechtsverletzung auch Wiedergutmachung leisten müssen.875 Andererseits sichert die Einordnung der strukturellen Maßnahmen als Form der Wiedergutmachung ihre Einklagbarkeit vor dem IAGMR. Denn die Beschwerdeführer können vor dem IAGMR allein die Forderung nach Wiedergutmachung erheben (vgl. Art. 40 Abs. 2 lit. d VerfO-IAGMR). Hingegen können sie nicht die rein-abstrakte Umsetzung der Pflicht zur effektiven Umsetzung der Konventionsrechte in einem Staat einfordern.876 Das Verständnis als Wiedergutmachung sichert so die Justiziabilität der Forderung nach strukturellen Anordnungen.877 Auf Basis dieser Doppelnatur soll nun im Folgenden die Befugnis nach Art. 63 Abs. 1 AMRK näher untersucht werden.
874 So auch Mayer-Riekh, Guarantees of Non-Recurrence: An Approximation, Human Rights Quarterly 39 (2017), 416 (423). 875 Ibid. 876 Tojo/Elizalde, Artículos 44 – 47. Competencia de la Comisión Interamericana de Derechos Humanos, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 33; Pinzón, The victim requirement, the fourth instance formula and the notion of person in the individual complaint procedure of the Inter-American Human Rights System, ILSA Journal of International & Comparative Law 7 (2001), 369. 877 Mayer-Riekh, Guarantees of Non-Recurrence: An Approximation, Human Rights Quarterly 39 (2017), 416 (423).
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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III. Strukturelle Anordnungen als Teil der Befugnisse nach Art. 63 Abs. 1 AMRK 1. Strukturelle Anordnungen als Teil der subjektiven Rechtsschutzfunktion Oben wurde bereits hervorgehoben, dass Art. 63 Abs. 1 AMRK nach seinem Wortlaut und seiner Entstehungsgeschichte zu umfassenden Anordnungen gegenüber den Opfern der festgestellten Rechtsverletzungen berechtigt. Art. 63 Abs. 1 AMRK enthält in Satz 1 und Satz 2 in dieser Hinsicht zwei unterschiedliche Befugnisse, nämlich zum einen die Befugnis und die Verpflichtung anzuordnen, dass dem Beteiligten „der ungestörte Genuss des verletzten Rechts“ gewährleistet werde (Satz 1), und zum anderen die Befugnis, geeignetenfalls die Beseitigung der Folgen der Rechtsverletzung und eine angemessene Entschädigung anzuordnen (Satz 2): „If the Court finds that there has been a violation of a right or freedom protected by this Convention, the Court shall rule that the injured party be ensured the enjoyment of his right or freedom that was violated. It shall also rule, if appropriate, that the consequences of the measure or situation that constituted the breach of such right or freedom be remedied and that fair compensation be paid to the injured party.“
Satz 1 bezieht sich nach seinem Wortlaut auf die nachholende Erfüllung des verletzten Rechts sowie auf die Prävention zukünftiger Verletzungen zugunsten der verletzten Beteiligten, während sich Satz 2 auf die retrospektive Beseitigung von Schäden im konkreten Fall richtet.878 Insgesamt sind so von Art. 63 Abs. 1 AMRK umfassend die denkbaren Konsequenzen einer Rechtsverletzung zugunsten der verletzten Beteiligten abgedeckt. Der IAGMR kann selbst sämtliche Konsequenzen der Rechtsverletzung mit Blick auf die verletzten Beteiligten bestimmen. a) Nachholende Erfüllung eines verletzten Rechts, Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK Wenngleich Art. 63 Abs. 1 AMRK nicht ausdrücklich zur Anordnung struktureller Reformen berechtigt, erscheint es doch durchaus denkbar, unter die Anordnungen zugunsten der Opfer im Einzelfall auch strukturelle Anordnungen zu fassen. Als denkbarer Anknüpfungspunkt kommt zunächst Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK in Betracht. Die hierin niedergelegte Befugnis, Maßnahmen zur Gewährleistung des „ungestörten Genusses des verletzten Rechts“ anzuordnen, kann allgemein so ver878 Allgemein zur Auslegung des Art. 63 Abs. 1 AMRK Correa, Artículo 63. Reparaciones y medidas provisionales, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 9 ff.; García Ramírez, La Jurisprudencia de la Corte interamericana de derechos humanos en materia de reparaciones, in: Corte Interamericana de Derechos Humanos (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos: Un Cuarto de Siglo: 1979 – 2004, 2005, S. 1 (11 ff.); Asdrúbal Aguiar, Derechos humanos y responsabilidad internacional del Estado, Caracas 1997, S. 234 ff.; Pasquale Pirrone, Sui poteri della Corte Interamericana in materia di responsabilità per violazione dei diritti dell’uomo, Rivista di Diritto Internazionale (1995), 940.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
standen werden, dass der IAGMR hierunter Maßnahmen zur nachholenden Erfüllung des verletzten Rechts zugunsten der verletzten Partei bestimmen kann. Unter solche Maßnahmen können Anordnungen fallen, die nur den Einzelfall betreffen, etwa die Anordnung, die betroffene Person aus dem Gefängnis freizulassen, da so die Rechtsverletzung im Einzelfall beendet und das betroffene Freiheitsrecht erfüllt wird. Auf Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK können aber durchaus auch Anordnungen gegründet werden, die zumindest mittelbar auch generelle Auswirkungen haben, indem sie darauf zielen, eine Rechtsverletzung durch Maßnahmen mit genereller Tragweite zu beenden oder, zur effektiven Gewährleistung eines Rechts der verletzten Person, die strukturellen Wurzeln einer Rechtsverletzung im konkreten Fall zu heben. Anordnungen zur Gewährleistung der Rechte der verletzten Person können damit durchaus auch auf Parallelfälle ausstrahlen, sodass zumindest ein Teil der generellen Anordnungen des IAGMR vom Wortlaut des Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK gedeckt erscheint. Im Einzelnen: Strukturelle Anordnungen können erstens als Maßnahme der Beendigung einer andauernden Rechtsverletzung bzw. der nachholenden Erfüllung der verletzten Pflicht verstanden werden, nämlich dann, wenn die Rechtsverletzung unmittelbar durch eine abstrakt-generelle Gesetzesnorm oder einen Fall legislativen Unterlassens verursacht wurde. Wenn die (fehlende) gesetzliche Regelung nach den Feststellungen des IAGMR die Partei unmittelbar in ihren Rechten verletzt, kann der Gerichtshof zur nachholenden Erfüllung der Verpflichtung im Einzelfall deren Aufhebung bzw. deren Schaffung anordnen.879 Diese Anordnung begünstigt dann aber nicht nur die Partei vor dem IAGMR, sondern mittelbar auch alle durch die Norm belasteten Personen und hat so generelle Wirkung.880 Die Anordnung von Gesetzesreformen etwa bei konventionswidrigen Strafgesetzen oder der unzureichenden gesetzlichen Gewährleistung des Gemeinschaftseigentums indigener Völker, als solche ein Verstoß gegen die AMRK, kann so ihre Grundlage in Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK finden. Generelle Maßnahmen wie Gesetzesreformen, institutionelle Reformen, Ausund Fortbildungsprogramme etc. können zweitens als Maßnahmen zur effektiven Gewährleistung der Rechte der verletzten Partei angesehen werden. Dies ist der Fall, wenn die Rechtsverletzung im Einzelfall strukturelle Wurzeln hat – was angesichts der paradigmatischen Natur der Beschwerden zum IAGMR die Regel ist. Wenn die Verletzung im Einzelfall in der Anwendung eines konventionswidrigen Gesetzes besteht, wird die Aufhebung dieser Norm als Maßnahme zum Schutz gegen die Wiederholung der Rechtsverletzung verstanden werden können, da bei fortbestehender Rechtslage die Gefahr besteht, dass die verletzte Partei in Vollzug des Gesetzes erneut Opfer einer Rechtsverletzung wird. In diesem Fall hat dann die An879
Siehe zu solchen Anordnungen des IAGMR oben S. 98 ff. Vgl. Hans-Joachim Cremer, Entscheidung und Entscheidungswirkung, in: Oliver Dörr/ Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG – Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl., Tübingen 2013, Rn. 113. 880
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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ordnung im Einzelfall zwangsläufig überschießende Auswirkungen auf Parallelfälle.881 Ebenso lassen sich generelle Anordnungen zur Reform staatlicher Institutionen oder zur Aus- und Fortbildung von Staatsbeamten nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK rechtfertigen, wenn begründet werden kann, dass ansonsten die Wiederholung der Rechtsverletzung für das Opfer im Einzelfall droht. Beispiele hierfür sind etwa die Anordnungen des IAGMR zur Verbesserung von Gefängnisbedingungen in Peru im Fall Lori Berenson882, da das Opfer zum Zeitpunkt des Urteils des IAGMR noch Gefangene war, oder die Anordnungen zur Fortbildung von Staatsbeamten im Umgang mit indigenen Gemeinschaften im Sarayaku-Fall, da die Gefahr der Erdölexploration im Gebiet der indigenen Gemeinde noch nicht abgeschlossen war883. Die (weit verstandene) Garantie der Rechte der verletzten Partei zeitigt so auch zwangsläufig generelle Wirkungen. Wenn insoweit bereits viele generelle Anordnungen des IAGMR als kompetenzgemäße Ausübung des Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK verstanden werden können, so muss doch ebenfalls konstatiert werden, dass ein großer Teil der Anordnungen nicht sinnvollerweise als nachholende Erfüllung der Rechte oder als Prävention der Verletzung im Einzelfall angesehen werden kann. Dies ist zum einen der Fall, wenn das Opfer vor dem IAGMR nicht (mehr) als der eigentliche Adressat genereller Anordnungen verstanden werden kann, weil eine erneute Rechtsverletzung dieser Partei rechtlich oder faktisch ausgeschlossen ist. Zum anderen ist dies der Fall, wenn sich die Anordnungen bereits nicht nur auf die Beseitigung der Wurzeln der Rechtsverletzung im Einzelfall beziehen, sondern auf Umstände, die allein den erweiterten Kontext der Rechtsverletzung gebildet haben. Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK, verstanden als Befugnis zum subjektiven Rechtsschutz, trägt diese Anordnungen nicht, da sie nicht dem Rechtsschutz des „verletzten Beteiligten“ dienen, sondern rein objektiv auf die Einhaltung der Konventionsrechte zielen. b) Wiedergutmachung zugunsten der Opfer im Einzelfall, Art. 63 Abs. 1 S. 2 AMRK Generelle Anordnungen könnten sich zum anderen auch auf Art. 63 Abs. 1 S. 2 AMRK gründen, wenn man sie als Maßnahmen versteht, durch die „die Folgen der Handlungen oder Zustände, welche die Rechtsverletzungen verursacht haben“ beseitigt werden. So könnte der Ansatz des IAGMR verstanden werden, der strukturelle Anordnungen als Teil der reparación intergral entwickelt hat.884 Weil sie für die 881
Vgl. Ibid., Rn. 114. IAGMR, Case of Lori Berenson Mejía v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2004, Series C No. 119, op. Rn. 6. 883 IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245, op. Rn. 5. 884 Vgl. nunmehr auch den ausdrücklichen Hinweis in IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349, Rn. 236, Fn. 310: „De conformidad con el artículo 63.1, las garantías de no repetición tradicionalmente 882
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Opfer der Rechtsverletzung Ausgleich und Genugtuung bedeuten können, stellen generelle Anordnungen für den IAGMR taugliche Maßnahmen der Wiedergutmachung im Einzelfall dar. Wie erläutert, dehnt der IAGMR auf diese Weise zwar das konventionelle Verständnis des Begriffs der Wiedergutmachung weit aus, doch spricht auch einiges dafür, strukturelle Anordnungen als Teil einer Wiedergutmachung für Rechtsverletzungen anzusehen, die strukturelle Wurzeln haben und eine Vielzahl von Personen betreffen. Die Mehrzahl der Anordnungen des IAGMR ließe sich so auf diesem Weg auf Art. 63 Abs. 1 S. 2 AMRK zurückführen, zumal die verletzten Parteien selbst in der Regel weitreichende Wiedergutmachung vor dem IAGMR einfordern. Einige Anordnungen in der Praxis des IAGMR lassen sich gleichwohl nur schwerlich als Wiedergutmachung charakterisieren. Das ist der Fall, wenn der IAGMR strukturelle Reformen anordnet, die von den verletzten Parteien nicht gefordert worden sind bzw. es unklar ist, ob sie von diesen als Wiedergutmachung aufgefasst werden.885 Die Einordnung genereller Maßnahmen als Wiedergutmachung macht diese abhängig von der Sichtweise der Opfer. Es kommt nach der subjektiven Begründung der Anordnungen maßgeblich darauf an, dass generelle Maßnahmen tatsächlich als annähernder Ausgleich und als Genugtuung für die erlittene Rechtsverletzung angesehen werden.886 Wenn der IAGMR generelle Anordnungen selbständig und ohne entsprechende Anträge der Parteien trifft bzw. in seinem Urteil keine Informationen darüber gibt, wie die Opfer der festgestellten Rechtsverletzung zu einer bestimmten Maßnahme stehen, dann erscheint es auch mit dem weitreichenden Verständnis des IAGMR nur schwerlich möglich, diese als Wiedergutmachung im Einzelfall zu verstehen. 2. Strukturelle Anordnungen als Teil der objektiv-rechtlichen Funktionen von Art. 63 Abs. 1 AMRK Wenn insoweit die strukturellen Anordnungen bereits zu einem gewissen Teil auf die geschriebenen Kompetenzen unter Art. 63 Abs. 1 AMRK zurückgeführt werden können, so kann die Praxis des IAGMR aufgrund der genannten Einschränkungen nicht in Gänze als subjektiver Rechtsschutz gerechtfertigt werden. Ferner dehnen die weitreichenden Anordnungen des IAGMR die auf den subjektiven Rechtsschutz orientierten Regeln des Art. 63 Abs. 1 AMRK weit aus, sodass zumindest zusätzlich nach einer Abstützung gesucht werden sollte. Denn, wie erläutert, dienen die generellen Anordnungen des IAGMR nicht primär dazu, die Wiederholung der Rechtsverletzung gegenüber den Opfern im entschiedenen Fall zu verhindern oder ihnen Ausgleich und Genugtuung zu verschaffen, sondern ihr wesentlicher Zweck han estado destinadas a ,reparar las consecuencias de la medidas o situación que ha configurado la vulneración de esos derechos‘.“ 885 Siehe oben S. 158 und Fn. 511. 886 Vgl. in diesem Sinne zur Ausrichtung der reparación integral auf die Interessen der Opfer oben S. 53 ff.
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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liegt in der Prävention ähnlicher Rechtsverletzungen gegenüber anderen Personen oder Gruppen sowie der Beseitigung struktureller Defizite bei der Konventionsgewährleistung in einem Staat. In dieser Situation erscheint ein Begründungsansatz tragfähig, der Art. 63 Abs. 1 AMRK im Lichte jener Funktionen der streitigen Gerichtsbarkeit interpretiert, die sich auf die objektive Gewährleistung der Konventionsrechte in den Vertragsstaaten beziehen.887 Wie mehrfach erläutert, dient die streitige Gerichtsbarkeit des IAGMR gerade nicht allein dazu, Rechtsschutz im Einzelfall zu leisten. Der IAGMR dient gem. Art. 33 AMRK vielmehr ganz allgemein der Einhaltung der Konventionsrechte in den Konventionsstaaten („competence with respect to matters relating to the fulfillment of the commitments made by the States Parties to this Convention“). Diese Aufgabenbeschreibung wirkt sich im Rahmen der streitigen Gerichtsbarkeit gem. Art. 62 AMRK dahingehend aus, dass dort auch die objektiv-rechtliche Fortbildung des Konventionsrechts sowie der generelle Stand der Umsetzung der Konventionsrechte in einem Staat zum Gegenstand gemacht werden können („compliance control“)888. Im Einklang mit dieser Aufgabe erscheint es zudem zulässig, dass der IAGMR unter bestimmten Voraussetzungen diese Probleme nicht allein thematisieren, sondern auf Rechtsfolgenebene auch strukturelle Anordnungen zur Abhilfe dieser Probleme treffen kann. Die Reichweite der sachlichen Zuständigkeit nach Art. 62 AMRK wirkt sich mithin auf die Reichweite der Anordnungsbefugnisse nach Art. 63 Abs. 1 AMRK aus. Die Anordnungsbefugnisse nach Art. 63 Abs. 1 AMRK müssen ebenso wie die sachliche Zuständigkeit im Lichte der objektivrechtlichen Funktionen des IAGMR verstanden werden. Nichts anderes ergibt sich, wenn dem funktionalen Ansatz folgend die Regeln der implied powers herangezogen werden, die besagen, dass ein internationales Gericht über jene ungeschriebenen Kompetenzen verfügt, die als essentiell verstanden werden können, um die eigenen Aufgaben und Funktionen wirksam erfüllen zu können.889 Es kommt dabei auch auf die Fortbildung und Konkretisierung der Aufgaben und Funktionen durch das jeweilige Gericht selbst an, dem so, in gewissen
887 Vgl. insoweit den Ansatz zu Art. 19 EMRK von Cremer, Prescriptive Orders in the Operative Provisions of Judgments by the European Court of Human Rights: Beyond res judicanda?, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 39 (52 ff.); Sicilianos, The Role of the European Court of Human Rights in the Execution of its own Judgments: Reflections on Article 46 ECHR, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 285 (307); Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 181 ff. 888 Siehe oben S. 204 ff. 889 Vgl. allg. IGH, Reparation for Injuries suffered in the Service of the United Nations, Gutachten v. 11. 04. 1949, ICJ Reports, S. 174, 182; von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 53 (Rn. 124); zu Unterschieden zwischen „implied“ und „inherent“ powers Jan Klabbers, An Introduction to International Institutional Law, Cambridge 2002, S. 75 ff.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Grenzen, die Bestimmung der eigenen implied powers überlassen ist.890 In Anwendung der implied powers-Regel erscheint es insoweit richtig, dass die Aufgabe des IAGMR, im Rahmen der streitigen Gerichtsbarkeit auch auf die Wahrung der Konventionsrechte in den Vertragsstaaten hinzuwirken nur effektiv erfüllt werden kann, wenn auch generelle Maßnahmen zur Beseitigung struktureller Probleme angeordnet werden können, die mit dem Fall in Verbindung standen.891 Denn allein durch Rechtsfolgenanordnungen im Einzelfall wird der IAGMR seine Aufgaben nicht annähernd erfüllen können, so beschränkt sind seine Ressourcen, so zahlreich und vielfältig stellen sich die Konventionsverletzungen in den Staaten dar.892 Zudem hat sich gezeigt, dass die Staaten ihrer Verpflichtung zur Anpassung der innerstaatlichen Rechtslage an die Konvention gerade nicht selbstständig nachkommen und die Anleitung durch den IAGMR mitunter sogar selbst einfordern.893 Wenngleich diese Argumente für sich eine Begründung der Kompetenzen über implied powers stützen können, so soll doch hier im Einklang mit dem bereits verfolgten Ansatz eine Auslegung des Art. 63 Abs. 1 AMRK im Lichte des Art. 62 AMRK und dessen objektiv-rechtlichen Funktionen verfolgt werden. Die Formulierung des Art. 63 Abs. 1 AMRK steht insoweit einer Befugnis des IAGMR, strukturelle Anordnungen mit Wirkungen über den Einzelfall hinaus zu treffen nicht entgegen. Wenngleich der Wortlaut des Art. 63 Abs. 1 AMRK vom subjektiven Rechtsschutz des verletzten Beteiligten ausgeht, bleiben Auslegungsspielräume, zumal auch die Entstehungsgeschichte zeigt, dass die Vertragsstaaten auf der Konferenz von San José im Grunde keine Einschränkungen der Anordnungskompetenzen des IAGMR beabsichtigten und sie insbesondere nicht die Anordnung struktureller Reformen ausschließen wollten.894 In diesem Sinne bietet insbesondere Art. 63 Abs. 1 Satz 1 AMRK, wonach der Gerichtshof nach der Feststellung einer Rechtsverletzung anordnet, „dass dem verletzten Beteiligten der ungestörte Genuss des verletzten Rechts garantiert wird“ Raum dafür, strukturelle Anordnungen mit Breitenwirkung zu legitimieren. Maßgeblich erscheint insoweit 890 Vgl. von Arnauld, Völkerrecht, 4. Aufl., 2019, S. 54 (Rn. 125); eher restriktiv zu implied powers Cremer, Prescriptive Orders in the Operative Provisions of Judgments by the European Court of Human Rights: Beyond res judicanda?, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 39 (52); Klabbers, An Introduction to International Institutional Law, 2002, S. 67 ff. 891 Vgl. Cavallaro/Brewer, Reevaluating Regional Human Rights Litigation in the TwentyFirst Century: The Case of the Inter-American Court, American Journal of International Law 102 (2008), 768 (770): „[…] should view individual cases that are emblematic of persistent or sturctural human rights problems as opportunities to stimulate broader change.“ 892 Siehe oben S. 32 ff. Vgl. insoweit die Feststellung von García Ramírez, dass die Funktion des IAGMR nicht am besten durch eine Wiederholung derselben Feststellungen in einer Vielzahl von Fällen erfüllt wird, IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Separate Concurring Opinion of Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114, Rn. 5 f.; ähnl. EGMR, Manushaqe Puto and Others v. Albania, Urt. v. 31. 07. 2012, Nr. 604/07, 43628/07, 46684/07 und 34770/09, Rn. 105. 893 Siehe oben S. 153. 894 Siehe oben S. 47 f.
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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erneut die Verknüpfung der strukturellen Anordnungen mit einer Verletzung des Art. 2 AMRK, da strukturelle Defizite des Menschenrechtsschutzes eine Verletzung der hierin niedergelegten Pflicht zu effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte darstellen.895 Sofern der IAGMR eine Verletzung des Art. 2 AMRK festgestellt hat, was in der Praxis des IAGMR allerdings nicht immer erfolgt, kann Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK durchaus dahin verstanden werden, dass es dem Gerichtshof auch erlaubt sein muss, Maßnahmen zur nachholenden Erfüllung dieser Pflicht anzuordnen, unabhängig davon, ob sie den Opfern im konkreten Fall (noch) nützen. Der Grund hierfür liegt in der Struktur des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 AMRK, der im Kern eine Berechtigung des IAGMR enthält, die nachholende Erfüllung eines als verletzt festgestellten Rechts anzuordnen. Die besondere Bezugnahme auf den verletzten Beteiligten im Wortlaut des Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK muss insoweit nicht als eine Beschränkung der Anordnungskompetenzen des IAGMR verstanden werden, sondern ist allein ein Ausdruck eines subjektiven Verständnisses der Rechte der AMRK. Soweit es dem IAGMR im Rahmen seiner streitigen Gerichtsbarkeit nach Art. 62 AMRK indes erlaubt ist, Verletzungen der objektiv-rechtlichen Pflicht des Art. 2 AMRK festzustellen896, ergibt sich in diesem Lichte aus Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK auch die Berechtigung des IAGMR, hierauf bezogene strukturelle Anordnungen zu treffen. Eine primär objektiv-rechtliche Befugnis des IAGMR, strukturelle Anordnungen zur nachträglichen Erfüllung der Verpflichtungen aus Art. 2 AMRK zu treffen, d. h. also strukturelle Defizite zu beseitigen, greift auch nicht in die Rechte anderer Institutionen des Inter-Amerikanischen Systems ein. Anders als etwa der EGMR muss der IAGMR bei seinen strukturellen Anordnungen keine Rücksicht auf die Kompetenzen anderer Institutionen nehmen. Während derartige Anordnungen des EGMR mit den Kompetenzen des Ministerrats in Konflikt geraten können, besteht eine solche Gefahr für den IAGMR nicht, da sich die OAS-Generalversammlung nicht mit der Umsetzung der Konventionspflichten ihrer Mitgliedstaaten befasst.897 Ein zusätzliches Argument für die Befugnisse des IAGMR zur Anordnung struktureller Maßnahmen folgt daneben noch aus der Architektur des Inter-Amerikanischen Systems bei der Überwachung der Urteilsumsetzung: Im Inter-Amerikanischen System existiert kein besonderes politisches Organ, das die Umsetzung der Urteile des IAGMR überwacht. Diese Aufgabe wird vielmehr durch den IAGMR selbst übernommen.898 Um erneute Beschwerden in ähnlichen Fällen zu vermeiden, hat der IAGMR ein Interesse daran, im Rahmen der Überwachung der Urteilsum895
Siehe oben S. 128 ff. Dazu oben S. 204 ff. 897 Vgl. zum EGMR Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 225 ff.; Leach, No longer offering fine mantras to a parched child? The European Court’s developing approach to remedies, in: Føllesdal/Peters/Ulfstein (Hrsg.), Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, S. 142 (175 f.). 898 Siehe oben S. 177 ff. 896
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
setzung nicht nur die Vornahme individueller Maßnahmen zugunsten der Opfer der Rechtsverletzung im Einzelfall zu überprüfen, sondern auch sicherzustellen, dass strukturelle Defizite, die sich im untersuchten Einzelfall ausgewirkt haben, vom Staat behoben werden. Daran hat im Übrigen auch der verurteilte Staat ein Interesse, da so erneute Verurteilungen durch den IAGMR vermieden werden können.899 Da sich im Inter-Amerikanischen System die Pflicht zur Urteilsumsetzung nach Art. 68 AMRK allein auf die Anordnungen im Urteilstenor bezieht900, muss der IAGMR die Vornahme bestimmter genereller Maßnahmen verbindlich anordnen, damit deren Umsetzung im Verfahren der Urteilsüberwachung überwacht werden kann. Schließlich greifen die Anordnungen als solche auch nicht in die Rechte der Konventionsstaaten ein, da der IAGMR grundsätzlich allein eine bereits bestehende Verpflichtung nach Art. 2 AMRK aufgreift. Inwieweit der IAGMR zudem zur inhaltlichen Konkretisierung dieser Verpflichtungen berechtigt ist, ist eine Frage des „wie“ der Anordnung struktureller Reformen, die im nächsten Teil näher untersucht werden soll. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass die Anordnung struktureller Reformen als nachholende Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 2 AMRK ihre Grundlage in Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK finden kann. In diesem Kontext kann schließlich hervorgehoben werden, dass sich die Konventionsstaaten, soweit ersichtlich, bislang nicht prinzipiell gegen die Anordnung genereller Maßnahmen durch den IAGMR ausgesprochen haben. Im Gegenteil: Einige Staaten haben dem Gerichtshof selbst Maßnahmen vorschlagen, die er als guarantees of non-repetition anordnen könnte. In dieser Praxis zeigt sich, dass die Konventionsstaaten mit der objektiv-rechtlichen Ausrichtung der streitigen Gerichtsbarkeit des IAGMR – auch auf Ebene der Rechtsfolgen – grundsätzlich einverstanden sind, was die Kompetenz des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen stützt.901
899 Vgl. Meyer-Ladewig/Brunozzi, Artikel 46 EMRK, Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile, in: Meyer-Ladwig u. a. (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention Kommentar, 4. Aufl., 2017, Rn. 31. 900 Siehe oben S. 42 ff. 901 Der Umgang der Staaten mit den Anordnungen des IAGMR kann als eine nachvertragliche Praxis gem. Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK verstanden werden, wonach es für die Auslegung eines Vertrags auch darauf ankommt, wie sich die Parteien in Anwendung des Vertrags verhalten haben. Insbesondere kann die nachvertragliche Praxis die möglichen Ergebnisse der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags nachträglich erweitern. Die Regel ist auch auf Gründungsverträge internationaler Organisationen anwendbar (Art. 5 WVK), sodass auch die Bestimmung der Kompetenzen des IAGMR der Regel des Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK zugänglich ist, vgl. ILC, Second report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties by Georg Nolte, Special Rapporteur, 26. 03. 2014, A/CN.4/671, Rn. 20 ff., 35 ff.; ILC, Third report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties by Georg Nolte, Special Rapporteur, 07. 04. 2015, A/CN.4/ 683, Rn. 24 ff.; Richard Gardiner, Treaty Interpretation, 2. Aufl., Oxford 2015, S. 280 ff.; Sicilianos, The Role of the European Court of Human Rights in the Execution of its own Judgments: Reflections on Article 46 ECHR, in: Seibert-Fohr/Villiger (Hrsg.), Judgments of The European Court of Human Rights – Effects and Implementation, 2014, S. 285 (312).
§ 2 Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen
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C. Anforderungen an die Anordnung struktureller Reformen durch den IAGMR Eine wesentliche Schwierigkeit bei der Befassung mit den strukturellen Anordnungen des IAGMR liegt neben der Bestimmung der Kompetenzgrundlage darin, dass ihre Voraussetzungen in den Urteilen des IAGMR kaum deutlich werden. Oben wurden aus der Praxis des IAGMR im Wesentlichen drei Voraussetzungen herausgearbeitet: Dies ist erstens in subjektiver Hinsicht die Feststellung einer Rechtsverletzung der vor dem Gerichtshof erschienenen Partei sowie das Entstehen eines (immateriellen) Schadens; zweitens, die Existenz eines strukturellen Problems bei der Gewährleistung der Konventionsrechte in einem Vertragsstaat (gleichbedeutend mit der Verletzung des Art. 2 AMRK) und drittens, zumindest bei institutionell ausgerichteten Anordnungen, eine Sachlage, die nach dem Ermessen des IAGMR die Anordnung von generellen Maßnahmen angezeigt erscheinen lässt, wobei hier die besondere Opportunität von Reformanordnungen, eine besonders schwere Rechtsverletzung oder ein guter Informationsstand des Gerichtshofs über die Wurzeln der Rechtsverletzung als relevante Umstände ermittelt worden sind.902 In den Voraussetzungen, die der IAGMR in seiner Praxis an die Anordnung struktureller Reformen genknüpft hat, spiegelt sich deren doppelte Einordnung, einerseits als Maßnahme des subjektiven Rechtsschutzes (erste Voraussetzung), andererseits als Ausprägung der objektiv-rechtlichen Funktionen des IAGMR (zweite und dritte Voraussetzung). Auch in der vorliegenden Untersuchung wird eine solche doppelte Anknüpfung vertreten, sodass sich die Voraussetzungen der Anordnungen nach hier vertretener Ansicht nicht wesentlich von der Praxis des IAGMR unterscheiden. Im Folgenden sollen daher allein zwei Vorschläge gemacht werden, wie die Praxis des IAGMR in Zukunft handhabbarer und vor allem transparenter gestaltet werden könnte. I. Ausdrückliche Anknüpfung struktureller Anordnungen an Art. 2 AMRK Die Verknüpfung der guarantees of non-repetition mit der Pflicht der Staaten unter Art. 2 AMRK zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte und zur Prävention von Rechtsverletzungen ist bereits mehrfach erläutert worden.903 Wie dargelegt, stellt die Grundlage der guarantees of non-repetition in Art. 2 AMRK auch eine Möglichkeit dar, Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK als Kompetenzgrundlage fruchtbar zu machen, sofern der IAGMR im Einzelfall zur Feststellung einer Verletzung des Art. 2 AMRK gelangt. Die Verknüpfung der strukturellen Anordnungen mit Art. 2 AMRK wird in der Praxis des IAGMR indes nur im Rahmen der Anordnung legislativer Reformen deutlich, nicht aber bei allen weiteren Anordnungen. Der 902 903
Siehe oben S. 124 ff. Siehe oben S. 128 ff.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
IAGMR stellt zum einen weder durchgängig auf Ebene der Merits fest, dass bestimmte strukturelle Probleme bei der Gewährleistung der Konventionsrechte selbst eine Verletzung der Verpflichtung nach Art. 2 AMRK darstellen, noch macht er deutlich, dass die eigenen Anordnungen hierzu, etwa die Anordnung von Bildungskampagnen904, letztlich eine Umsetzung der Verpflichtung unter Art. 2 AMRK darstellen.905 Der IAGMR sollte in seiner Praxis dazu übergehen, die Verknüpfung seiner strukturellen Anordnungen mit der Pflicht aus Art. 2 AMRK deutlich offen zu legen, nämlich zum einen durch Feststellungen einer entsprechenden Verletzung von Art. 2 AMRK im Rahmen der Merits und zum anderen durch die Anknüpfung an diese Verpflichtung auf Ebene der Rechtsfolgen. Nach dem aktuellen Stand der Praxis könnte der Eindruck entstehen, dass eine Pflicht zur Prävention und effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte nicht bereits aus den allgemeinen Verpflichtungen nach der AMRK folgt, sondern erst aufgrund der Pflicht zur Wiedergutmachung. Die Verknüpfung von Art. 2 AMRK und den generellen Anordnungen betont hingegen deren Grundlage in den allgemeinen Verpflichtungen der Konventionsstaaten und erlaubt den Rückgriff auf die Kompetenz nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 AMRK. Die ausdrückliche Verknüpfung mit Art. 2 AMRK würde insbesondere deutlich machen, dass der IAGMR letztlich allein die nachholende Erfüllung der bereits bestehenden Verpflichtung aus Art 2 AMRK aus Anlass einer festgestellten Völkerrechtsverletzung anordnet und die allgemeinen Verpflichtungen der Staaten aufgreift. II. Größere Transparenz bei der Ermessensausübung Ferner sollte der Gerichtshof dazu übergehen, die Ermessensgründe deutlich zu machen, auf denen die Anordnung genereller Maßnahmen in einem Fall letztlich beruht. Dies würde die Praxis für alle Verfahrensbeteiligten berechenbarer machen und so letztlich die Rechtssicherheit im Inter-Amerikanischen System erhöhen. Mit Blick auf die dargelegte Verknüpfung der strukturellen Anordnungen mit dem Verfahren der Urteilsüberwachung kann schließlich angemerkt werden, dass die Anordnungen vor allem dann gerechtfertigt erscheinen, wenn zu befürchten ist, dass der betroffene Staat nicht willens oder fähig sein wird, die einer Rechtsverletzung 904 IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, op. Rn. 23, Rn. 543; IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216, op. Rn. 23; IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 13. 905 Siehe oben S. 138 ff. und in dieser Hinsicht etwa zur Untersuchung der strukturellen Ursachen geschlechtsbezogener Gewalt die Kritik bei IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Voto razonado del juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot., Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, Rn. 57.
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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zugrunde liegenden strukturellen Probleme selbst zu beseitigen und daher der Überwachung durch den IAGMR bedarf. Die Vorlage eines Falls durch die IAKMR stellt hierfür freilich bereits ein Indiz dar.906 Im Übrigen soll die Frage, wie weit sich der IAGMR in die Erfüllung der Verpflichtung nach Art. 2 AMRK einmischen darf, im nächsten Teil näher untersucht werden.
D. Zusammenfassung Es wurde die Frage untersucht, „ob“ der IAGMR berechtigt ist, gegenüber den Konventionsstaaten strukturelle Anordnungen zu treffen, die auf die effektive Umsetzung der Konventionspflichten im betroffenen Staat und die Prävention vergleichbarer Rechtsverletzungen zielen. Die Ansicht des IAGMR, der für seine Befugnis auf das Institut der guarantees of non-repetition im allgemeinen Völkerrecht bzw. im internationalen Menschenrechtsschutz verweist, ist mit Blick auf die unsichere völkerrechtliche Geltung und die unklaren Inhalte dieses Instituts sowie auf die abschließende Natur der Berechtigung unter Art. 63 Abs. 1 AMRK zurückgewiesen worden. Für eine solche Konstruktion besteht im Übrigen auch kein Bedarf, da sich die Befugnis zu strukturellen Anordnungen jedenfalls dem Grunde nach aus Art. 63 Abs. 1 AMRK selbst ergibt, nämlich zum einen in seiner Ausprägung als Befugnis zum Schutz der Rechte der verletzten Partei und zum anderen in der Einbettung des Art. 63 Abs. 1 AMRK in die objektiv-rechtlichen Funktionen des IAGMR. Auf dieser Grundlage kann der IAGMR strukturelle Reformen anordnen, wobei er aus den dargelegten Gründen noch transparenter die zugrunde liegende Verpflichtung aus Art. 2 AMRK sowie die Kriterien darlegen sollte, die zu den strukturellen Anordnungen in einem Fall geführt haben.
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR Wenn nach den Ergebnissen der vorangegangenen Kapitel der IAGMR als berechtigt angesehen werden kann, im Rahmen der streitigen Gerichtsbarkeit auch strukturelle Defizite bei der Gewährleistung der Konventionsrechte in einem Staat zu thematisieren (§ 1) und generelle Maßnahmen zur Abhilfe dieser Probleme anzuordnen (§ 2), so ist doch noch nichts darüber gesagt, wie inhaltlich bestimmt diese Anordnungen ausfallen dürfen. Blickt man auf die Praxis des IAGMR so entsteht der Eindruck, dass sich dieser mitunter als berechtigt ansieht, mit großem Detailgrad sämtliche Maßnahmen anzuordnen, die zur effektiven Umsetzung der Konventionsrechte geeignet erscheinen mögen. Einen Beurteilungsspielraum der Staaten, wie ein strukturelles Problem bei der Gewährleistung der Konventionsrechte am besten 906
Siehe oben S. 35 ff.
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
beseitigt werden könnte, legt der IAGMR seinen Anordnungen weder ausnahmslos zu Grunde, noch scheint er einen solchen Umsetzungsspielraum als Grenze der eigenen Anordnungen zu betrachten. Tatsächlich hat der Gerichtshof sein weites Ermessen im Rahmen seiner Anordnungen nach Art. 63 Abs. 1 AMRK ausdrücklich hervorgehoben907 und er belässt es auch im Rahmen der guarantees of non-repetition nicht immer bei einer bloßen Wiederholung der allgemeinen Verpflichtung der Staaten zur effektiven Gewährleistung der Konvention, sondern ordnet mitunter sehr spezielle Maßnahmen an und gibt sehr konkrete Handlungsanweisungen, wie der betroffene Staat bestimmten strukturellen Defiziten abzuhelfen hat.908 So lässt sich etwa beobachten, dass sich der IAGMR bisweilen nicht an den betroffenen Staat als Ganzes richtet, sondern bestimmte Adressaten innerhalb des Staates auswählt, die tätig werden müssen, sodass sich Handlungsspielräume der Staaten in organisatorischer Hinsicht verringern. Dies ist etwa bei Anordnungen zur Anpassung der Rechtslage der Fall: Während der Gerichtshof grundsätzlich den Staat als solches zur Anpassung der Rechtslage verpflichtet909, ordnete er in einer Reihe von Fällen hingegen ausdrücklich gesetzgeberische Reformen an und erachtete im Rahmen der Urteilsüberwachung eine bloße Änderung der Rechtsprechung als nicht ausreichend, um eine Umsetzung des Urteils festzustellen.910 Bei der Anordnung institutioneller Reformen greift der
907
IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 64: „This norm grants the Inter-American Court a wide margin of judicial discretion to determine the measures that all the consequences of the violation to be repaired.“ 908 Siehe dazu bereits oben S. 161. 909 IAGMR, Case of Maldonado Vargas et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2015, Series C No. 300, op. Rn. 9; IAGMR, Case of Maldonado Vargas et al. v. Chile. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 30. 08. 2017, Rn. 36 ff.; IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318, op. Rn. 11. 910 Vgl die Anordnung in Cabrera García and Montiel Flores v. Mexico: „The State shall introduce, within a reasonable time, the appropriate legislative reforms in order to bring Article 57 of the Code of Military Justice into line with international standards on the matter and with the American Convention on Human Rights, and adopt the pertinent legislative reforms so that individuals subject to intervention by the military courts have an effective remedy to challenge their jurisdiction, under the terms of paragraph 235 of this Judgment.“ (Hervorhebung hinzugefügt). IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220, op. Rn. 15. Im Verfahren der Urteilsüberwachung ging der Gerichtshof hinsichtlich der ersten Anordnung nicht auf eine von Mexiko vorgebrachte Änderung der ständigen Rechtsprechung ein und stellte die Umsetzung der zweiten Anordnung aufgrund der erfolgten Verfassungsreformen in Mexiko fest, wenngleich zuvor bereits eine Änderung der Rechtslage eingesetzt hatte, IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel Flores v. Mexico. Monitoring of Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 04. 2015, Rn. 6, 23, 32; vgl. ferner IAGMR, Case of Radilla Pacheco v. Mexico. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2009, Series C No. 209, op. Rn. 10; IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215, op. Rn. 13.
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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IAGMR teilweise auf bestimmte territoriale Einheiten innerhalb des Staates zu911 oder verpflichtet bestimmte Behörden912 zum Tätigwerden, sodass der betroffene Staat nicht auf andere Art und Weise tätig werden durfte. Weiter verpflichtet der IAGMR den betroffenen Staat nicht immer allein auf die Herstellung eines konventionskonformen Ergebnisses, sondern gibt mitunter detaillierte Verfahrensanweisungen aus, über deren Einhaltung der Staat dem Gerichtshof berichten muss. Dies war bei der Anordnung von inhaltlich noch unbestimmten Reformprogrammen zur Prävention von Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger in Zentralamerika der Fall, für deren Umsetzung der IAGMR u. a. die Beteiligung bestimmter Personenkreise, die Priorisierung bestimmter Fragen, die Ermittlung bestimmter Tatsachen und eine ausreichende Finanzierung anordnete.913 Beinahe gänzlich schränkt sich der Handlungsspielraum der Staaten sodann ein, wenn der Gerichtshof für die Anpassung der Rechtslage zusätzlich ganz bestimmte Inhalte vorgibt914 oder unter vielen denkbaren institutionellen Reformen eine ganz konkrete Maßnahme herausgreift und verbindlich anordnet, weil sie zur Prävention vergleichbarer Rechtsverletzungen beitragen könnte. Beispiele hierfür ist die Anordnung der Stärkung eines bestimmten forensischen Instituts im Kampf gegen die Straflosigkeit915, die Schaltung einer Webseite mit bestimmten Inhalten, um die Suche nach entführten Kindern voranzutreiben916 oder die Publikation bestimmter Daten, um Polizeigewalt einzudäm911 IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, op. Rn. 17 (Mittelbare Verpflichtung des Bundesstaates Rio de Janeiro): „El Estado debe adoptar las medidas necesarias para que el Estado de Río de Janeiro establezca metas y políticas de reducción de la letalidad y la violencia policial.“; IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215, op. Rn. 18. 912 IAGMR, Case of I.V. v. Bolivia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 329, Rn. 341; IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215, op. Rn. 24. 913 IAGMR, Case of Acosta et al. v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 03. 2017, Series C No. 334, op. Rn. 11; IAGMR, Case of Human Rights Defender et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 283, op. Rn. 14; IAGMR, Case of Luna López v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2013, Series C No. 269, op. Rn. 10; auch IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, op. Rn. 19. 914 IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, op. Rn. 20, Rn. 470; IAGMR, Case of Raxcacó Reyes v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 133, Rn. 132. 915 IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 14; IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, op. Rn. 10. 916 IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211, op. Rn. 17; IAGMR, Case
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
men917. Eine zeitliche Verringerung des Spielraums der Staaten ergibt sich aus der Anordnung bestimmter Fristen, innerhalb derer eine Reform zu erfolgen hat.918 Vollends aufgehoben ist ein möglicher Umsetzungsspielraum der betroffenen Staaten schließlich, wenn der IAGMR im Fall der Amnestiegesetze für schwere Menschenrechtsverletzungen nicht allein deren Aufhebung, sondern bereits deren Nichtigkeit im innerstaatlichen Rechtsraum feststellt, womit bereits das Ergebnis der staatlichen Handlungen vorweggenommen ist. Ob der IAGMR grundsätzlich als frei angesehen werden kann, die Inhalte seiner Anordnungen derart weitreichend zu bestimmen oder inwieweit er in Ausübung seiner Befugnisse zur Berücksichtigung eines Umsetzungsspielraums der Staaten verpflichtet ist, soll im Folgenden untersucht werden. Denn es ist gerade die große inhaltliche Bestimmtheit einiger Anordnungen des IAGMR, die Kritik an seiner Praxis hervorrufen, andererseits aber auch die guarantees of non-repetition zu einem wirksamen Instrument werden lassen kann. Als ein Prinzip, das die Ausübung der Kompetenzen internationaler Gerichte regelt und so auch auf die Ausübung der Anordnungsbefugnisse des IAGMR Anwendung finden kann, kommt das Subsidiaritätsprinzip in Betracht, auf dessen Anwendbarkeit und Ausgestaltung im InterAmerikanischen System zunächst näher eingegangen wird, bevor in einem letzten Schritt einige Parameter der Praxis des IAGMR am Maßstab des Subsidiaritätsprinzips untersucht werden.
A. Die Anordnungskompetenzen des IAGMR und der Umsetzungsspielraum der Konventionsstaaten I. Grundlage und Grenzen des Umsetzungsspielraums der Konventionsstaaten Der Ausgangspunkt einer Bestimmung der inhaltlichen Reichweite der Anordnungskompetenzen des IAGMR muss die Feststellung sein, dass die Staaten grundsätzlich über einen Umsetzungsspielraum hinsichtlich der Anpassung der innerstaatlichen Rechtslage an die Konvention verfügen. Dieser Spielraum erlischt auch nicht, wenn der IAGMR feststellt, dass strukturelle Defizite bei der Gewährleistung der Konvention bestehen. Grundlage des Umsetzungsspielraums ist Art. 2 AMRK, der gleichzeitig den Bezugspunkt der generellen Anordnungen des IAGMR of the Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Preliminary Objections, Urt. v. 23. 11. 2004, Series C No. 118, op. Rn. 17. 917 IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, op. Rn. 15. 918 Vgl. etwa die Fristsetzung von einem Jahr zum Erlass einer Regelung zur Garantie der richterlichen Unabhängigkeit, IAGMR, Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 08. 2008, Series C No. 182, op. Rn. 19.
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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darstellt.919 Die Verpflichtung aus Art. 2 AMRK ist ihrer Natur nach zunächst einmal eine Verpflichtung auf ein bestimmtes Ergebnis, nicht auf eine bestimmte Handlung oder Vorgehensweise. Art. 2 AMRK verlangt von den Staaten zunächst allein, dass die Konventionsrechte im Staat geachtet und effektiv gewährleistet werden. Wie dieses Ergebnis erreicht wird, bleibt den Staaten zunächst selbst überlassen.920 Auch nach ständiger Rechtsprechung des IAGMR gehen mit Art. 2 AMRK keine speziellen Handlungspflichten einher: Art. 2 AMRK verlangt zwar die „Beseitigung von Regelungen oder generellen Zuständen, welche zur Verletzung von Konventionsrechten führen können, zum anderen die Vornahme von Regelungen oder genereller Maßnahmen, die zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte notwendig erscheinen“921 – doch sind die Handlungspflichten der Staaten damit nur ganz abstrakt umschrieben. Welche genauen Maßnahmen zur Anpassung der Rechtslage erforderlich erscheinen – gesetzliche Reformen oder die Änderung ständiger Rechtsprechung – bleibt auch hiernach grundsätzlich dem jeweiligen Staat über919 Eine Pflicht verurteilter Staaten zur Vornahme genereller Präventionsmaßnahmen – und ein entsprechender Umsetzungsspielraum – ergibt sich hingegen nicht bereits aus der Feststellung einer Rechtsverletzung durch den IAGMR. Die sich aus einem Urteil des IAGMR ergebenden Pflichten bleiben nach Art. 68 Abs. 1 AMRK in den Grenzen der persönlichen und sachlichen Rechtskraft des Urteils. Eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung kommt den Urteilen des IAGMR nach Art. 68 Abs. 1 AMRK nicht zu. Eine Pflicht zur Verhinderung gleichartiger Konventionsverletzungen kann deshalb allenfalls inter partes, d. h. im Verhältnis zwischen erfolgreichem Beschwerdeführer und dem Verletzerstaat entstehen, auf das die Rechtskraft in persönlicher Hinsicht begrenzt ist. Die Befolgungspflicht nach Art. 68 Abs. 1 AMRK entspricht so der nach Art. 46 EMRK, vgl. dazu Cremer, Entscheidung und Entscheidungswirkung, in: Dörr/Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG – Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl., 2013, Rn. 111, 113 ff.; Eckart Klein, § 150: Der Schutz der Grund- und Menschenrechte durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Heidelberg 2010, Rn. 117, 121. Hinzu kommt, zumindest nach der Praxis IAGMR, dass sich aus der bloßen Feststellung einer Konventionsverletzung keine Rechtsfolgen ergeben, sondern der IAGMR selbst die Maßnahmen bestimmt, die als Konsequenz der Rechtsverletzung vorgenommen werden sollen, siehe dazu oben S. 42 ff.. 920 Vgl. IAGMR, Case of Caesar v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 03. 2005, Series C No. 123, Rn. 93; IAGMR, Case of Herrera Ulloa v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 07. 2004, Series C No. 107, Rn. 161; Ferrer Mac-Gregor/Pelayo Moller, Artículo 2. Deber de Adoptar Disposiciones de Derecho Interno, in: Steiner/Fuchs (Hrsg.), Convención Americana sobre Derechos Humanos comentada, 2019, S. 12. 921 „The general duty under Article 2 of the American Convention implies the adoption of measures of two kinds: on the one hand, elimination of any norms and practices that in any way violate the guarantees provided under the Convention; on the other hand, the promulgation of norms and the development of practices conducive to effective observance of those guarantees.“ IAGMR, Case of Chocrón – Chocrón v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 07. 2011, Series C No. 227, Rn. 140; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 118; IAGMR, Case of Cantoral-Benavides v. Peru. Merits, Urt. v. 18. 08. 2000, Series C No. 69, Rn. 178; IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52, Rn. 207.
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lassen, solange im Ergebnis die Konventionsrechte geachtet werden.922 Welche genauen institutionellen Maßnahmen zur Bewältigung spezieller Gefahren, wie etwa der Polizeigewalt, getroffen werden müssen, bleibt zunächst offen. Hier sind eine Vielzahl von Maßnahmen denkbar, etwa die Schaffung spezieller Kontrollinstanzen, bessere Ausstattung für Polizisten, Verbesserung der Ausbildung, Steigerung der Transparenz interner Untersuchung, die Auflösung bestimmter Einheiten, härtere Strafen etc.923 – es bleibt grundsätzlich dem Staat überlassen, hierüber zu befinden. Die Einordnung des Art. 2 AMRK als Ergebnisverpflichtung bedeutet, dass die Staaten als primär zuständig angesehen werden müssen, jene Maßnahmen auszuwählen, die zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte erforderlich erscheinen.924 Art. 2 AMRK spiegelt letztlich ein Prinzip aus dem Urbestand des Völkerrechts wider: Wie bereits der Ständige Internationale Gerichtshof festgestellt hat, ist es ein „offensichtliches“ Prinzip des Völkerrechts, dass die Staaten zur Vornahme all jener Maßnahmen legislativer, administrativer oder sonstiger Art verpflichtet sind, um die effektive Umsetzung des Völkerrechts zu gewährleisten.925 Welche Maßnahmen dies sind, bleibt indes zunächst dem jeweiligen Staat überlassen. Es ist ihm lediglich verwehrt, auf seine internen Strukturen zu verweisen, um einen Völkerrechtsbruch zu rechtfertigen (vgl. Art. 27 WVK). Wenn die Staaten nach Art. 2 AMRK über einen Spielraum bei der Umsetzung der Konvention verfügen, so ist doch ebenso eindeutig, dass dieser Spielraum durch den Grundsatz der Effektvität eingeschränkt ist. Es handelt sich, wie bereits erläutert, bei 922 IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 172: „Certainly, Article 2 of the Convention fails to define which measures are appropriate to adjust the domestic law to it; obviously, this is so because it depends on the nature of the rule requiring adjustment and the circumstances of each specific case.“ 923 Vgl. etwa IAGMR Case of Favela Nova Brasília v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 02. 2017, Series C No. 333, Rn. 309 ff.; IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150, Rn. 144. 924 Vgl. IAGMR, Case of Duque v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 02. 2016, Series C No. 310, Rn. 127; IAGMR, Case of Las Palmeras v. Colombia. Merits, Urt. v. 06. 12. 2001, Series C No. 90, Rn. 33; Samantha Besson, Subsidiarity in International Human Rights Law – What is Subsidiary about Human Rights?, The American Journal of Jurisprudence 61 (2016), 69 (84); Yota Negishi, The Subsidiarity Principle’s Role in Allocating Competences between Human Rights Courts and States Parties: The Hybrid Model of Centralized and Diffused Conventionality Control of Domestic Law, in: Armin von Bogdandy/Mariela Morales Antoniazzi/Flavia Piovesán (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune na América Latina – Volume III – Diálogos Jurisdicionais e Controle de Convencionalidade, Curitiba 2016, S. 125 (130); Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 201 f. 925 StIGH, Exchange of Greek and Turkish Populations, Gutachten v. 21. 02. 1925, Series B No. 10, S. 20: „[…] a principle which is self-evident, according to which a State which has contracted valid international obligations is bound to make in its legislation such modifications as may be necessary to ensure the fulfilment of the obligations undertaken.“; Gerald Fitzmaurice, The general principles of international law considered from the standpoint of the rule of law, Recueil des Cours 92 (1957), 1 (89 f.).
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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Art. 2 AMRK um einen Verweis auf den effet utile-Grundsatz.926 Art. 2 AMRK verlangt vom Staat die Vornahme genereller Maßnahmen, um den Konventionsrechten für alle Personen im Staat zu effektiver Wirksamkeit zu verhelfen. Der Maßstab ist dabei die Menschenrechtswirklichkeit in einem Staat, sodass es nicht reicht, entsprechende Regelungen zu treffen, sondern es darauf ankommt, dass diese Regeln von den staatlichen Handlungsträgern auch beachtet werden. Ferner kann die Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konventionsrechte bedeuten, dass der Staat verpflichtet ist, Maßnahmen zu ergreifen, um die kulturellen Faktoren, welche die Rechtsverletzungen bestimmter Personengruppen durch staatliche oder private Akteure erlauben, zu überwinden.927 Der Grundsatz der Effektivität kann den Umsetzungsspielraum der Staaten unter Art. 2 AMRK dabei bis hin auf bestimmte konkrete Maßnahmen einschränken. II. Strukturelle Anordnungen als Eingriff in den Umsetzungsspielraum Der IAGMR greift im Rahmen seiner Anordnungen struktureller Reformen immer dann in den Umsetzungsspielraum der Staaten nach Art. 2 AMRK ein, wenn eine Vielzahl an Auswahlentscheidungen besteht, wie die Konventionsrechte in einer bestimmten Situation effektiv gewährleistet werden könnten und der IAGMR eine dieser Handlungen autoritativ anordnet.928 Das ist bei den komplexen Problemen, die den Anordnungen des IAGMR zugrundeliegen zwar häufig, aber nicht immer der Fall. Die Pflicht zur effektiven Gewährleistung der Konvention kann sich auch auf eine einzige Maßnahme reduzieren, etwa auf die formelle Aufhebung eines konventionswidrigen Gesetzes, wenn nach allen denkbaren Auslegungsmöglichkeiten eine konventionskonforme Interpretation durch Gerichte nicht möglich ist.929 Die Anordnung gesetzgeberischer Reformen durch den IAGMR greift in dieser Situation schon nicht in die Rechte des betroffenen Staates ein. 926
Siehe oben S. 131 ff. Ausdrücklich IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39, Rn. 69: „This obligation of the State Party implies that the domestic legal measures must be effective. This means the State must adopt all measures necessary so that provisions contained in the Convention have full force and effect within its domestic legal system. Those measures are effective when the community, in general, adapts its conduct to conform to the principles of the Convention and when, if those principles are breached, the penalties provided for therein are effectively applied.“ 928 Vgl. zum EGMR Breuer, Zur Fortentwicklung der Piloturteilstechnik durch den EGMR, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 39 (2012), 1 (5). 929 Ob dies etwa im bereits zitierten Fall Cabrera García and Montiel Flores v. Mexico der Fall war (siehe oben Fn. 910), ist zweifelhaft. Es ging sachlich um die in Art. 57 der mexikanischen Militärgerichtsordnung geregelte Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für „crimes against military discipline“, die nach Ansicht des IAGMR über den Kernbereich militärspezifischer Vergehen hinausreichte und deshalb gegen Art. 8 und 25 AMRK verstieß. Tatsächlich hatte der Oberste Gerichtshof Mexikos später eine konventionskonforme Interpretation des Artikels vorgenommen, siehe IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel Flores v. Mexico. Monitoring of Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 04. 2015, Rn. 31. 927
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Ferner können sich relativ bestimmte generelle Handlungspflichten aus dem Schutzbereich eines Konventionsrechts und den Feststellungen des IAGMR auf Ebene der Merits in einem Urteil ergeben: Wenn etwa festgestellt wird, dass die Verletzung der Rechte der Opfer geschlechtsbezogener Gewalt und ihrer Angehörigen (Art. 8 und 25 i.V.m. Art. 1 AMRK) auf ein allgemeines Problem der Geschlechterdiskriminierung durch die Strafverfolgungsbehörden in einem Staat zurückzuführen ist, so ergibt sich eine Pflicht aus Art. 2 AMRK etwas gegen genau dieses Problem zu tun und Beamte entsprechend zu schulen und zu sensibilisieren.930 Wenn sich die Straflosigkeit für Gewaltverbrechen allgemein auf die unzureichenden Kapazitäten forensischer Institute im Land zurückführen lässt, so verpflichtet Art. 2 AMRK dazu, etwas gegen dieses Problem zu tun und entsprechende Institute zu schaffen oder organisatorisch und finanziell zu stärken.931 Folglich können die Umsetzungsspielräume der Staaten auch hinsichtlich der Vornahme struktureller Reformen eingeschränkt sein.932 Gleichwohl ist auch in diesen Fällen nicht ausgemacht, dass die Anordnung des IAGMR die einzig denkbare Maßnahme darstellt, da gerade zur Beseitigung struktureller Probleme eine Vielzahl von Handlungsalternativen in Betracht kommen. Ein Eingriff in den Umsetzungsspielraum des Staates liegt also immer dann vor, wenn der IAGMR in seinen Anordnungen über die bloße Wiedergabe der bereits existierenden Verpflichtung der Staaten nach Art 2 AMRK hinausgeht. Das ist nicht bei allen Anordnungen der Fall, da der IAGMR, wie erläutert, oftmals allein allgemein auf die Pflicht nach Art. 2 AMRK i.V.m. den substantiellen Verpflichtungen im Schutzbereich eines speziellen Konventionsrechts verweist.933 Aber jedenfalls in den eingangs dargelegten Fällen detaillierter Anordnungen greift der IAGMR in den Umsetzungsspielraum der Staaten ein, sodass sich die Frage stellt, welchen Bindungen der IAGMR mit Blick auf die Inhaltsbestimmung unterliegt.
930
IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 16; IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, op. Rn. 12; IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 16. 11. 2009, Series C No. 205, op. Rn. 22; IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215, op. Rn. 19. 931 IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, op. Rn. 14; IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, op. Rn. 10. 932 Vgl. zum EGMR Haider, The Pilot-Judgment Procedure of the European Court of Human Rights, 2013, S. 208 ff. 933 Siehe oben S. 161 ff.
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B. Die Steuerung der Anordnungsbefugnisse durch das Subsidiaritätsprinzip I. Das Subsidiaritätsprinzip im internationalen Menschenrechtsschutz Eine mit Art. 2 AMRK korrespondierende Pflicht zur Achtung des Umsetzungsspielraums der Konventionsstaaten – und gleichzeitig eine Rechtfertigung dafür, in bestimmten Fällen konkretisierende Anordnungen zu treffen – könnte sich für den IAGMR aus dem Prinzip der Subsidiarität ergeben. Das Subsidiaritätsprinzip ist ein allgemeines rechtliches Strukturprinzip in Mehrebenenverhältnissen und findet auch auf die Aufgabenverteilung zwischen internationaler und staatlicher Ebene im internationalen Menschenrechtsschutz Anwendung.934 Es enthält eine Präferenz für die Aufgabenerledigung auf staatlicher Ebene, rechtfertigt aber bereits nach seinem Begriff (von lat. subsidium = Hilfe, Reserve) Hilfsmaßnahmen und Interventionen durch die internationale Ebene, wenn und soweit im Einzelfall die größere Effektivität der Aufgabenerfüllung die Einbuße an Autonomie der niedrigeren Stufe überwiegt. Seine Rechtfertigung findet das Subsidiaritätsprinzip im Schutz der Werte der Autonomie und demokratischen Selbstbestimmung auf lokaler Ebene und im Prinzip der Solidarität, das die höhere Organisationseinheit gegenüber der niedrigeren zur Unterstützung verpflichtet.935 Die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips rührt so im Kern an die Legitimität eines internationalen Gerichts, worunter hier allgemein ein moralischer Anspruch auf Gefolgschaft verstanden 934 Allg. zum Hintergrund und der Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes im internationalen Menschenrechtsschutz Besson, Subsidiarity in International Human Rights Law – What is Subsidiary about Human Rights?, The American Journal of Jurisprudence 61 (2016), 69; Christian Tomuschat, Human Rights: Between Idealism and Realism, 3. Aufl., Oxford 2014, S. 103 f.; Gerald L Neuman, Subsidiarity, in: Dinah Shelton (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Human Rights Law, Oxford 2013, S. 360; Dinah Shelton, Subsidiarity and human rights law, Human Rights Law Review 27 (2006), 4; Paolo G. Carozza, Subsidiarity as a Structural Principle of International Human Rights Law, American Journal of International Law 97 (2003), 38. 935 In seiner allgemeinen Begründung als ethisches Prinzip findet das Prinzip der Subsidiarität seine Begründung im Schutz und in der Affirmation der Autonomie und Eigenverantwortung der einzelnen Person und kleiner Gemeinschaften – Werte, die auch in den substantiellen Gewährleistungen des internationalen Menschenrechtsschutzes, etwa beim Schutz der Familie, Niederschlag gefunden haben. Ob diese Begründung auch das Prinzip der Subsidiarität in politischen Mehrebenensystemen trägt, sodass von einem einheitlichen Prinzip der Subsidiarität gesprochen werden kann, ist allerdings umstritten, da auf dieser Ebene stärker die Werte demokratischer Selbstbestimmung, kultureller Identität, Souveränität und Effektivität im Vordergrund stehen, vgl. etwa die Begründungen bei Vasel, Regionaler Menschenrechtsschutz als Emanzipationsprozess: Grundlagen, Strukturen und Eigenarten des europäischen und interamerikanischen Menschenrechtsschutzsystems, 2017, S. 217 ff.; Andreas Follesdal, The principle of subsidiarity as a constitutional principle in international law, Global Constitutionalism 2 (2013), 37 (41 ff.); Carozza, Subsidiarity as a Structural Principle of International Human Rights Law, American Journal of International Law 97 (2003), 38 (44 ff.); Ken Endo, The Principle of Subsidiarity: From Johannes Althusius to Jacques Delors, Hokudai 46 (1994), 1965 (2044 ff.).
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werden soll.936 Neben der richterlichen Unabhängigkeit und transparenten, inklusiven Verfahren wird die angemessene Berücksichtigung des Prinzips der Subsidiarität – was das genau bedeutet, wird allerdings unterschiedlich gesehen – heute deshalb als eine zentrale legitimatorische Anforderung an internationale Gerichte angesehen, die, wie der IAGMR, zunehmend über Fragen von Relevanz für die demokratische Selbstbestimmung befinden.937 Die Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips bedeutet dabei allerdings nicht eine allgemeine Vermutung gegen die Legitimität der Entscheidung auf internationaler Ebene. Sie weist diesem vielmehr einen Platz an der Seite der Staaten zu, dann und soweit einzugreifen, wie dies zum effektiven Schutz der Menschenrechte angemessen erscheint.938 Das Subsidiaritätsprinzip kann die Ausübung der Aufgaben internationaler Institutionen anleiten und strukturieren.939 Insbesondere kann es mit Blick auf bestimmte substantielle Verpflichtungen eine eingeschränkte Kontrolldichte („normative subsidiarity“940) und bei der Ausübung von Rechtsfolgenkompetenzen eine 936 Vgl. näher Mattias Kumm, The Legitimacy of International Law: A Constitutionalist Framework of Analysis, European Journal of International Law 15 (2004), 907 (908); ähnl. Marisa Iglesias Villa, Subsidiariedad y tribunales internacionales de derechos humanos: ¿deferencia hacia los estados o división cooperativa del trabajo?, Derecho PUCP 79 (2017), 191 (196). 937 Siehe insb. Andreas von Staden, The democratic legitimacy of judicial review beyond the state: Normative subsidiarity and judicial standards of review, International Journal of Constitutional Law 10 (2012), 1023 (1026 ff.); Andreas Follesdal, Subsidiarity and International Human-Rights Courts: Respecting Self-Governance and Protecting Human Rights – Or Neither?, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 147; Kumm, The Legitimacy of International Law: A Constitutionalist Framework of Analysis, European Journal of International Law 15 (2004), 907 (920 ff.); ferner Iglesias Villa, Subsidiariedad y tribunales internacionales de derechos humanos: ¿deferencia hacia los estados o división cooperativa del trabajo?, Derecho PUCP 79 (2017), 191 (197 ff.); Roberto Gargarella, Tribunales internacionales y democracia: enfoques deferentes o de interferencia, Revista Latinoamericana de Derecho Internacional 4/ 2016, S. 1; auf das verwandte Prinzip der Komplementarität zurückgreifend Simon Hentrei, Generalising the Principle of Complementarity: Framing International Judicial Authority, Transnational Legal Theory 4 (2013), 419. 938 von Staden, The democratic legitimacy of judicial review beyond the state: Normative subsidiarity and judicial standards of review, International Journal of Constitutional Law 10 (2012), 1023 (1026 f.); Iglesias Villa, Subsidiariedad y tribunales internacionales de derechos humanos: ¿deferencia hacia los estados o división cooperativa del trabajo?, Derecho PUCP 79 (2017), 191 (200); Mauricio Iván del Toro Huerta, El principio de subsidiariedad en el Derecho internacional de los Derechos Humanos con especial referencia al sistema interamericano, in: Manuel Becerra Ramírez (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos a veinticinco años de su funcionamiento, Mexiko-Stadt 2007, S. 23 (26). 939 Isabel Feichtner, Subsidiarity, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Online Edition 2007, Rn. 27. 940 Im europäischen Schutzsystem wird diesbezüglich der Begriff der „margin of appreciation“ verwendet. Der EGMR hat den Konventionsstaaten in seiner Praxis Beurteilungsspielräume hinsichtlich der Eröffnung des Schutzbereichs bestimmter Rechte, der Maßnahmen zur Erfüllung von Schutzpflichten und bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen der Konventionsrechte eingeräumt, EGMR, Handyside v. United Kingdom, Urt. v. 07. 12. 1976, Nr. 5493/72, Rn. 48; EGMR, Ireland v. United Kingdom, Urt. v. 18. 01.
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eher zurückhaltende Rolle („remedial subsidiarity“) verlangen, sodass den Staaten im Ergebnis Spielräume verbleiben, um für die spezifischen lokalen Umstände selbst die für die Achtung und Gewährleistung der Menschenrechte notwendigen Maßnahmen zu treffen.941 Umgekehrt kann das Prinzip der Subsidiarität aber auch eine zunehmend enge Kontrolle staatlicher Verpflichtungen und die Ausfüllung staatlicher Beurteilungsräume durch die internationale Ebene rechtfertigen, wo dieser Eingriff in die staatliche Autonomie zur Sicherung der Effektivität des Menschenrechtsschutzes in einem Staat verhältnismäßig erscheint (teilweise als „positive Subsidiarität“942 bezeichnet).943
1978, Nr. 5310/71, Rn. 207; EGMR (GK), Vo v. France, Urt. v. 08. 07. 2004, Nr. 53924/00, Rn. 82; Dirk Ehlers, Allgemeine Lehren der EMRK, in: Dirk Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl., Berlin 2014, S. 25 (71, 86 ff.). Es handelt sich um ein Instrument zur Variation der Kontrolldichte des EGMR und gründet sich nach dessen Ansicht im subsidiären Charakter der Konvention, wonach insbesondere in gesellschaftspolitischen und moralischen Wertungsfragen den Mitgliedstaaten Freiräume überlassen bleiben, EGMR, Handyside v. United Kingdom, Urt. v. 07. 12. 1976, Nr. 5493/72, Rn. 48. Der EGMR übt dagegen keine richterliche Zurückhaltung, wenn Kerngewährleistungen (Art. 2, 3, 5 EMRK) betroffen oder politische Freiheitsrechte intensiv berührt werden. Ferner ist der Beurteilungsspielraum eingeschränkt, wenn ein europäischer Konsens über „die relative Bedeutung der betroffenen Interessen oder in Bezug auf den besten Weg, diese zu schu¨ tzen“ besteht, EGMR, Stubing v. Germany, Urt. v. 12. 04. 2012, Nr. 43547/08, Rn. 60; siehe ferner Josephine Asche, Die Margin of Appreciation: Entwurf einer Dogmatik monokausaler richterlicher Zurückhaltung für den europäischen Menschenrechtsschutz, Berlin 2017, S. 23 ff.; Ehlers, Allgemeine Lehren der EMRK, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl., 2014, S. 87. 941 Besson, Subsidiarity in International Human Rights Law – What is Subsidiary about Human Rights?, The American Journal of Jurisprudence 61 (2016), 69 (80 ff., 83 ff.); Neuman, Subsidiarity, in: Shelton (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Human Rights Law, 2013, S. 360 (371 ff., 375 ff.); Toro Huerta, El principio de subsidiariedad en el Derecho internacional de los Derechos Humanos con especial referencia al sistema interamericano, in: Becerra Ramírez (Hrsg.), La Corte Interamericana de Derechos Humanos a veinticinco años de su funcionamiento, 2007, S. 23 (28 ff.). 942 Endo unterscheidet zwischen einer „negativen“ Subsidiarität, die eine Begrenzung der Kompetenzen der übergeordneten Organisation beinhalte und einer „positiven“ Subsidiarität, welche die Möglichkeit oder Pflicht zur Hilfeleistung bis hin zur Intervention durch die übergeordnete Ebene bezeichne, Endo, The Principle of Subsidiarity: From Johannes Althusius to Jacques Delors, Hokudai 46 (1994), 1965 (2054). 943 Vgl. zur Auswirkung des Subsidiaritätsprinzips auf die Rechtsfolgenanordnungen des EGMR Philip Leach: „[…] subsidiarity means an obligation on states to ,fully secure‘ Convention rights at the national level – and the importance of effective national implementation was reiterated by the Brighton Declaration. […] There is also no suggestion that where states fail to do so, the Court should not be more prescriptive in defining remedial measures.“ Leach, No longer offering fine mantras to a parched child? The European Court’s developing approach to remedies, in: Føllesdal/Peters/Ulfstein (Hrsg.), Constituting Europe: The European Court of Human Rights in a National, European and Global Context, 2013, S. 142 (178).
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Im Kern enthält das Subsidiaritätsprinzip ein Abwägungsgesetz944, das grundsätzlich auch als Maßstab für die Bestimmung der strukturellen Anordnungen des IAGMR geeignet erscheint, wenngleich die genaue Funktionsweise des Subsidiaritätsprinzips noch näher zu bestimmen ist. Der Gerichtshof wäre hiernach nicht generell berechtigt, die Umsetzung der Konvention durch die Vertragsstaaten bis ins letzte Detail zu steuern, sondern nur soweit, wie dies mit Blick auf die Effektivität der Konventionsrechte geboten ist.945 Um zu bestimmen, ob und inwieweit die Konkretisierung struktureller Reformen durch den IAGMR zulässig ist, wäre nach dem Subsidiaritätsprinzip also eine Abwägung vorzunehmen zwischen einer womöglich größeren Effektivität des Schutzes durch stärkere Involvierung des IAGMR einerseits und der Achtung von Autonomie und Selbstbestimmung der Konventionsstaaten andererseits. Im Ergebnis stünde so eine subsidiäre Rolle des IAGMR, welche die generellen Anordnungen einer Rechtfertigungslast unterwirft und im Einzelfall verlangen kann, die Anweisungen auf wenige Hinweise zu beschränken.946 II. Das Subsidiaritätsprinzip in der AMRK und in der Praxis des IAGMR Für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zur Steuerung der Anordnungsbefugnisse des IAGMR spricht neben den bereits genannten legitimatorischen Aspekten bereits der Text der AMRK selbst. Anknüpfungspunkte des Subsidiaritätsprinzips finden sich schon in der Präambel der AMRK, die – anders als die EMRK, die einen solchen Verweis erst durch das 15. Zusatzprotokoll einführen soll947 – das 944 Follesdal, Subsidiarity and International Human-Rights Courts: Respecting SelfGovernance and Protecting Human Rights – Or Neither?, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 147 (148 f.); Feichtner, Subsidiarity, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2007, Rn. 4; Kumm, The Legitimacy of International Law: A Constitutionalist Framework of Analysis, European Journal of International Law 15 (2004), 907 (921); Endo, The Principle of Subsidiarity: From Johannes Althusius to Jacques Delors, Hokudai 46 (1994), 1965 (2054). 945 Vgl. Pablo González Domínguez, La Doctrina del Control de Convencionalidad a la luz del Principio de Subsidiariedad, Estudios Constitucionales 15 (2017), 55 (86): „La subsidiariedad reconoce que los Estados tienen la libertad para decidir la mejor manera de implementar la Convención Americana a nivel nacional, de conformidad con las decisiones de sus instancias democráticas y su derecho nacional; pero también que la Corte Interamericana, cuando es necesario y justificable, en atención a las circunstancias de un caso, y a las condiciones particulares de un Estado, puede –y debe– ordenar la adopción de medidas con un alto grado de especificidad para corregir las causas de las violaciones analizadas, para evitar futuras violaciones, y para incrementar la efectividad de la Convención Americana.“ 946 Vgl. bezüglich der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Blick auf die Anordnung konkreter Maßnahmen durch den EGMR, Jahn, Ruling (In)directly through individual measures? Effect and Legitimacy of the ECtHR’s new Remedial Power, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 74 (2014), 1 (28): „By allowing a ,scale of interventionism‘, it also responds to the criticism of a too rigid ,either-or‘ subsidiarity concept.“ 947 Das Protokoll ist noch nicht in Kraft getreten (Stand Juni 2020), es sieht folgenden zusätzlichen Abschnitt in der Präambel vor: „Affirming that the High Contracting Parties, in
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Prinzip ausdrücklich umschreibt. Die Präambel spricht wörtlich von einer „komplementären“ Rolle der AMRK, was inhaltlich dem Subsidiaritätsprinzip entspricht948 : „Recognizing that the essential rights of man are not derived from one’s being a national of a certain state, but are based upon attributes of the human personality, and that they therefore justify international protection in the form of a convention reinforcing or complementing the protection provided by the domestic law of the American states.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Zum anderen findet sich ein Anknüpfungspunkt für das Subsidiaritätsprinzip in Art. 2 AMRK, da den Konventionsstaaten hierdurch einerseits Umsetzungsspielräume belassen bleiben, sie aber andererseits zur Vornahme genereller Maßnahmen verpflichtet sind, die den Konventionsrechten für alle Personen zu effektiver Wirksamkeit verhelfen. Die subsidiäre Funktion des AMRK lässt sich auf die genannten Umsetzungsspielräume und die Ausgestaltung als obligation of result stützen; gleichzeitig vermag der in Art. 2 AMRK enthaltene effet utile-Grundsatz auch verstärkte Interventionskompetenzen im Rahmen des Prinzips „positiver Subsidiarität“ tragen. Ein Rückgriff auf ein derart verstandenes Prinzip der Subsidiarität bzw. der Komplementarität des IAGMR findet sich auch, wie im Folgenden näher gezeigt wird, in der Praxis des IAGMR, wenngleich dieser bislang nur eher zögernd dem EGMR auf dessen Pfad in das „Zeitalter der Subsidiarität“949 gefolgt ist. Während die Realitäten des internationalen Menschenrechtsschutzes in Lateinamerika einem accordance with the principle of subsidiarity, have the primary responsibility to secure the rights and freedoms defined in this Convention and the Protocols thereto, and that in doing so they enjoy a margin of appreciation, subject to the supervisory jurisdiction of the European Court of Human Rights established by this Convention.“ Dazu David Milner, Protocols no. 15 and 16 to the European Convention on Human Rights in the context of the perennial process of reform: a long and winding road, Zeitschrift für europarechtliche Studien 17 (2014), 19. 948 Der IAGMR sieht beide Begriffe als gleichbedeutend an, vgl. IAGMR, Case of Dismissed Employees of Petroperú et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2017, Series C No. 344, Rn. 207: „[…] carácter complementario (subsidiario) de la jurisdicción internacional […]“; für ein eigenständiges „Komplementaritätprinzip“, hingegen Vasel, Regionaler Menschenrechtsschutz als Emanzipationsprozess: Grundlagen, Strukturen und Eigenarten des europäischen und interamerikanischen Menschenrechtsschutzsystems, 2017, S. 324 ff.; ebenso Hentrei, Generalising the Principle of Complementarity: Framing International Judicial Authority, Transnational Legal Theory 4 (2013), 419. Doch dürfte die damit hervorgehobene „Ergänzungsfunktion“ der internationalen Ebene bereits im Prinzip der Subsidiarität des internationalen Menschenrechtsschutzes enthalten sein, da es sich hier nicht um eine „konkurrierende“ Subsidiarität handelt, wie etwa in Art. 72 GG, sondern die Funktionen der internationalen Ebene im Menschenrechtsschutz sich im Wesentlichen auf den Rechtsschutz beschränken, also ergänzend sind, sodass auch von komplementärer Subsidiarität gesprochen werden kann, siehe Besson, Subsidiarity in International Human Rights Law – What is Subsidiary about Human Rights?, The American Journal of Jurisprudence 61 (2016), 69 (93). Im Folgenden soll daher an dem Begriff der Subsidiarität festgehalten werden. 949 Robert Spano, Universality or Diversity of Human Rights?: Strasbourg in the Age of Subsidiarity, Human Rights Law Review 14 (2014), 487.
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derartigen Ansatz bislang entgegenstanden, zeigt gerade die jüngere Praxis des IAGMR, dass der Gerichtshof das Subsidiaritätsprinzip und die Idee richterlicher Zurückhaltung zumindest nicht kategorisch ablehnt, sondern den Konventionsstaaten zunehmend Vertrauen entgegenbringt, festgestellte Probleme des Menschenrechtsschutzes auch selbst zu bewältigen. Umgekehrt zeigt sich der IAGMR bis heute dazu gewillt, im Sinne positiver Subsidiarität dort auch gegen den Willen der Konventionsstaaten zu handeln, wo dies für die Effektivität des Schutzes der Konvention erforderlich erscheint. 1. Grundsätzlich geringe Bedeutung des Subsidaritätsprinzips Analysiert man die bisherige Rechtsprechung des IAGMR, so könnte zunächst daran gezweifelt werden, ob nach Ansicht des Gerichtshofs das Subsidiaritätsprinzip im Inter-Amerikanischen System überhaupt Anwendung finden kann. Der Fokus des Gerichtshofs liegt seit seinen ersten Entscheidungen in den Honduras Disappearance Cases primär auf der Gewährleistung der Wirksamkeit der AMRK-Rechte in der Region, wohingegen die Überzeugungen der Staaten hinsichtlich der notwendigen Mittel und Wege des Menschenrechtsschutzes oftmals nur von marginaler Bedeutung gewesen sind. Der IAGMR verfolgt entsprechend einen Auslegungsansatz bezüglich der Konventionsrechte, aber auch der eigenen Kompetenzen, der sich primär an der effektiven Verwirklichung der Konvention im Rahmen der vorherrschenden politischen und sozialen Umstände orientiert: „[The] special nature of [Human Rights] treaties and their collective implementation mechanism entail the need to apply and interpret their provisions in accordance with their object and purpose, so as to ensure that the States Party guarantee compliance with them and their effet utile in their respective domestic legal systems. This principle applies not only to the substantive provisions of the human rights treaties (that is, those provisions that state the rights protected), but also to procedural rules.“950
Gestützt auf das Prinzip der Effektivität hat der Gerichtshof den AMRK-Rechten so zum einen weitreichende positive Verpflichtungen der Staaten entnommen, wodurch die staatlichen Maßnahmen, derer es bedarf, um den Genuss der Konventionsrechte abzusichern oder überhaupt erst zu gewährleisten, bereits weitgehend konkretisiert werden.951 Zu nennen sind etwa die positiven Schutz- und Leistungs950
IAGMR, Case of the „Mapiripán Massacre“ v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 09. 2005, Series C No. 134, Rn. 105 (Fn. im Text entfernt); ferner IAGMR, Case of Yatama v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 06. 2005, Series C No. 127, Rn. 170; IAGMR, Case of Herrera Ulloa v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 07. 2004, Series C No. 107, Rn. 161; IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104, Rn. 78, 100; zum Grundsatz siehe C¸alı, Specialized Rules of Treaty Interpretation: Human Rights, in: Hollis (Hrsg.), The Oxford Guide to Treaties, 2012, S. 525 (538). Hervorhebung hinzugefügt. 951 Während negative Verpflichtungen eine bestimmte Handlung verbieten, folgen aus positiven Verpflichtungen Handlungspflichten, die zur praktischen Verwirklichung der Kon-
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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gehalte im Kontext der Rechte indigener Völker: Hier stellte der IAGMR u. a. fest, dass das Recht auf Leben (Art. 4 AMRK) Ansprüche auf Ernährung, Gesundheit und Bildung gegenüber dem Staat beinhalte, die Meinungsfreiheit (Art. 13 AMRK) das Recht umfasse, in der eigenen Muttersprache zu kommunizieren und Informationen zu erhalten, das traditionelle Gemeinschaftseigentum staatlich anzuerkennendes und positiv auszugestaltendes „Eigentum“ i.S.v. Art. 21 AMRK darstelle, sowie schließlich, dass die Rechte auf politische Teilhabe und Gleichberechtigung (Art. 23 und 24 AMRK) die Anerkennung indigener Wahlbündnisse erforderlich machten, die sich außerhalb der traditionellen Parteienlandschaft bewegten.952 Zum anderen verfolgt der IAGMR, gestützt auf den effet utile-Grundsatz, primär einen universalistischen Ansatz bei der Auslegung der AMRK953 und greift, im Gegensatz zum EGMR, weitaus seltener auf den Konsens der Vertragsstaaten zurück.954 In stärkerem Maße als der EGMR955 hat der IAGMR so Regeln und Standards ventionsgarantien erforderlich sein können, vgl. allg. zu positiven Verpflichtungen in der AMRK Martín Nicolas Montoya Céspedes, The Inter-American Court of Human Rights’ Positive Obligations Doctrine, in: Yves Haeck/Oswaldo Ruiz-Chiriboga/Clara Burbano Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, Cambridge 2015, S. 765; Lavrysen, Positive Obligations in the Jurisprudence of the Inter-American Court of Human Rights, Inter-American and European Human Rights Journal 7 (2014), 94; Estupiñan-Silva, La vulnerabilidad en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos: Esbozo de una tipología, in: Burgorgue-Larsen/Maués/Sánchez Mojica (Hrsg.), Derechos Humanos y Politicas Públicas: Manual, 2014, S. 193. 952 IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125, Rn. 162; IAGMR, Case of López Álvarez v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 02. 2006, Series C No. 141, Rn. 171; IAGMR, Case of Yatama v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 06. 2005, Series C No. 127, Rn. 215; Burgorgue-Larsen, El contexto, las técnicas y las consequencias de la interpretación de la Convención Americana de los Derechos Humanos, Estudios Constitucionales 12 (2014), 124. 953 Siehe bereits IAGMR, „Other treaties“ subject to the consultative jurisdiction of the Court (Art. 64 American Convention on Human Rights), Gutachten v. 24. 09. 1982, Series A No. 1, Rn. 40; María Angélica Benavides Casals, El consenso y el margen de apreciación en la protección de los derechos humanos, Ius et Praxis 15 (2009), 295 (308). 954 Gleichwohl lassen sich auch Fälle finden, in denen der IAGMR zur Begründung und näheren Bestimmung seiner Auslegung auf vorhandene rechtliche Standards und Überzeugungen innerhalb der Mitgliedstaaten und des Inter-Amerikanischen Systems zurückgegriffen hat. So begründete der Gerichtshof etwa in den Fällen Gomes Lund, Gelman und El Mozote die Unvereinbarkeit von Amnestien für schwere Menschenrechtsverletzungen und die Verpflichtung zur Untersuchung und Strafverfolgung mit dem gewachsenen Konsens in einer Reihe von Mitgliedstaaten und der Rechtsprechung oberster Gerichte, welche die Grundrechts- und Völkerrechtswidrigkeit dieser Gesetze festgestellt hatten. Im Fall Claude Reyes v. Chile, der die Vorenthaltung von Informationen über ein Abholzungsprojekt durch die staatliche Investitionskammer Chiles betraf, legte der IAGMR die Informationsfreiheit nach Art. 13 AMRK unter Verweis auf Resolutionen der OAS und der Inter-American Democratic Charter aus und in Duque v. Colombia ging der IAGMR auf die Gleichstellung Homosexueller in anderen Staaten der Region ein, IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219, Rn. 137, 163 ff.; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
rezipiert, die nicht Teil des Inter-Amerikanischen Systems und nicht unmittelbar verbindlich für die Vertragsstaaten sind.956 Der IAGMR berücksichtigte etwa Regelungen in universellen und anderen regionalen und speziellen Menschenrechtsverträgen957, ferner die Entscheidungen anderer internationaler Gerichte958, insbesondere des EGMR, die Praxis von UN-Vertragsorganen959, UN-Resolutionen, Resolutionen anderer internationaler Organisationen und sogar best-practice Standards960. Der Gerichtshof verwies ferner auf externe Quellen unabhängig von der vermeintlichen politischen Sensibilität des jeweiligen Falls. So stellte er im Fall Atala Riffo and Daughters v. Chile nach umfangreicher Rechtsvergleichung fest, dass C No. 221, Rn. 215 ff.; IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Rn. 283; IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 2006, Series C No. 151, Rn. 78 ff.; IAGMR, Case of Duque v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 02. 2016, Series C No. 310, Rn. 112 ff. 955 Vgl. EGMR, Tyrer v. United Kingdom, Urt. v. 25. 04. 1978, Nr. 5856/72, Rn. 31; EGMR, Demir and Baykara v. Turkey, Urt. v. 12. 11. 2008, No. 34503/97, Rn. 76. 956 De Pauw, The Inter-American Court of Human Rights and the Interpretative Method of External Referencing, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 10; Magnus Killander, Interpreting Regional Human Rights Treaties, SUR-International Journal on Human Rights 7 (2010), 13, 145 (151); Neuman, Import, Export and Regional Consent in the Inter-American Court of Human Rights, European Journal of International Law 19 (2008), 101. 957 IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 2006, Series C No. 151, Rn. 76 (IPbpR) und Rn. 81 (UN-Antikorruptionskonvention); IAGMR, Case of Maritza Urrutia v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2003, Series C No. 103, Rn. 90 (UN-Antifolterkonvention); IAGMR, Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2004, Series C No. 112, Rn. 148 (UN-Kinderrechtekonvention); IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagran-Morales et al.) v. Guatemala. Merits, Urt. v. 19. 11. 1999, Series C No. 63, Rn. 188 (UN-Kinderrechtekonvention). 958 IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 214 (African Commission of Human and Peoples’ Rights); IAGMR, Case of Caesar v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 03. 2005, Series C No. 123, Rn. 68 (IStGH); IAGMR, Case of the Girls Yean and Bosico v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 09. 2005, Series C No. 130, Rn. 136 (IGH). 959 Insb. des UN-Menschenrechtausschusses, IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 87 ff.; IAGMR, Case of Caesar v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 03. 2005, Series C No. 123, Rn. 61; IAGMR, Case of the Miguel Castro Castro Prison v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2006, Series C No. 160, Rn. 303; IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagran-Morales et al.) v. Guatemala. Merits, Urt. v. 19. 11. 1999, Series C No. 63, Rn. 145; IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 154. 960 IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148, Rn. 209 (UN Guiding Principles on Internal Displacement); IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120, Rn. 103 (UN Res 58/157 v. 22. 12. 2003).
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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das Diskriminierungsverbot in Art. 1 Abs. 1 AMRK („without any discrimination for reasons of […] any other social condition“) den Schutz vor Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung umfasse und verurteilte Chile wegen sexueller Diskriminierung einer lesbischen Mutter in einem Sorgerechtsstreit.961 Aus der Perspektive des IAGMR ist die Anknüpfung an außerhalb des Inter-Amerikanischen Systems liegende Standards bislang naheliegend gewesen, da dies dem Gerichtshof erlaubt, sich als Sprachrohr global geteilter Werte zu positionieren und so seine institutionelle Legitimität zu erhöhen.962 Eine Anknüpfung allein an regionale Standards, wie sie der EGMR verfolgt, ist für den IAGMR hingegen aufgrund der oftmals prekären rechtsstaatlichen Situation in vielen Konventionsstaaten kaum ausreichend gewesen, um Auslegungsentscheidungen zu treffen, welche die effektive Gewährleistung der Konvention garantieren.963 Der IAGMR hat den Staaten bei der Auslegung der Konventionsrechte schließlich bislang nur geringe Beurteilungs-, Ermessens- oder Einschätzungsspielräume bei der Beachtung der Konventionsrechte eingeräumt und deshalb eine vergleichsweise dichte Kontrolle ausgeübt. Eine Doktrin vom Beurteilungsspielraum (margin of appreciation), wie sie der EGMR in seiner Praxis entwickelt hat964, existiert vor dem IAGMR nur in Ansätzen.965 Der Gerichtshof stellt die Fakten des Falls grundsätzlich umfassend selbst fest und verweist nicht auf die Feststellungen innerstaatlicher 961 Der Gerichtshof verwies auf Urteile des EGMR, Empfehlungen und General Comments des UN-Menschenrechtsausschusses, des IPwskR-Ausschusses, Kinderrechtsausschusses, UNAnti-Folterausschusses, CERD-Ausschusses, Resolutionen der UN-Generalversammlung sowie der OAS-Generalversammlung und Berichte von UN-Sonderberichterstattern, IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 83 ff. 962 Hennebel, The Inter-American Court of Human Rights: The Ambassador of Universalism, Quebec Journal of International Law (Special Edition) (2011), 57; De Pauw, The InterAmerican Court of Human Rights and the Interpretative Method of External Referencing, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 3 (17). 963 De Pauw, The Inter-American Court of Human Rights and the Interpretative Method of External Referencing, in: Haeck/Ruiz-Chiriboga/Herrera (Hrsg.), The Inter-American Court of Human Rights: Theory and Practice, Present and Future, 2015, S. 3 (21); Burgorgue-Larsen, El contexto, las técnicas y las consequencias de la interpretación de la Convención Americana de los Derechos Humanos, Estudios Constitucionales 12 (2014), 105; Vanneste, General International Law Before Human Rights Courts, 2010, S. 240; Neuman, Import, Export and Regional Consent in the Inter-American Court of Human Rights, European Journal of International Law 19 (2008), 101 (107). 964 Siehe oben Fn. 940. 965 Vgl. die unterschiedlichen Deutungen bei Claudio Nash Rojas, La doctrina del margen de apreciación y su nula recepción en la jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, Anuario Colombiano de Derecho Internacional 11 (2018), 71; Manuel Núñez Poblete, Sobre la doctrina del margen de apreciación nacional. La experiencia latinoamericana confrontada y el thelos constitucional de una técnica de adjudicación del derecho internacional de los derechos humanos, in: Acosta Alvarado/Núñez Poblete (Hrsg.), El margen de apreciación en el sistema interamericano de derechos humanos: Proyecciones Regionales y Nacionales, 2012, S. 3 (22 ff.).
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Gerichte.966 Der IAGMR bestimmt ferner den sachlichen Schutzbereich der Konventionsrechte grundsätzlich ohne Verweis auf nationale Beurteilungsspielräume und präzisiert die staatlichen Schutz- und Leistungspflichten oftmals unter Verweis auf soft-law-Standards. Der Spielraum der Staaten, über die Art und Weise der Erfüllung ihrer positiven Verpflichtungen zu entscheiden, wird so erheblich eingeschränkt.967 Geringe Freiräume bestehen zudem auf der Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der Gerichtshof legt hier zwar ähnliche Kriterien wie der EGMR an, wonach Eingriffe in Konventionsrechte einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, ein legitimes Ziel verfolgen und erforderlich und angemessen sein müssen.968 Dabei stellt er indes fest, dass gem. Art. 30 AMRK nur formelle Gesetze, d. h. Parlamentsgesetze, eine ausreichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen enthalten.969 Bei der Verletzung der Kerngewährleistungen wie Leben, Körper und Freiheit, die er als jus-cogens-Verletzungen wertet, stellt der Gerichtshof grundsätzlich keine Überprüfung der Verhältnismäßigkeit an.970 In Bezug auf die Verletzungen sonstiger Rechte nimmt der IAGMR eine dichte Prüfung der Angemessenheit vor.971 Auch im Rahmen der Überprüfung von Einschränkungen der Meinungs966
Die Urteile des Gerichtshofs sind üblicherweise sehr umfangreich, einige davon mehrere hundert Seiten lang, was auf die umfangreiche Tatsachenfeststellung zurückzuführen ist. Insb. in Fällen schwerer und massiver Rechtsverletzungen liegt die Funktion des Gerichtshofs stärker im unabhängigen Fact-Finding als in der, weitgehend unproblematischen, juristischen Bewertung der Fakten, Jorge Contesse, Contestation and Deference in the Inter-American Human Rights System, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 123 (142 f.). Siehe ferner oben S. 208 ff. 967 Dies betrifft insb. die Erfüllung der Verpflichtungen zur Untersuchung, Strafverfolgung und Wiedergutmachung, die der Gerichtshof detailliert geregelt hat, darüber hinaus aber auch die Art und Weise des Schutzes vulnerabler Gruppen, Bernard Duhaime, Subsidiarity in the Americas: What Room is there for Deference in the Inter-American System?, in: Lukas Gruszczynksi/Wouter Werner (Hrsg.), Deference in International Courts and Tribunals, Oxford 2014, S. 296 ff.; Pablo Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison Between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 71. 968 IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, Rn. 273; IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 2006, Series C No. 151, Rn. 89 ff. 969 IAGMR, The Word „Laws“ in Article 30 of the American Convention on Human Rights, Gutachten v. 09. 05. 1986, Series A No. 6, Rn. 27; IAGMR, Case of Tristán Donoso v. Panama. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 01. 2009, Series C No. 193, Rn. 77. 970 IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153, Rn. 61; IAGMR, Case of the Gómez Paquiyauri Brothers v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 07. 2004, Series C No. 110, Rn. 112; IAGMR, Case of Maritza Urrutia v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2003, Series C No. 103, Rn. 92. 971 Vgl. etwa die Prüfung in IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012,
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freiheit stellt der IAGMR eine strikte Erforderlichkeitsprüfung an: Einschränkungen müssten darauf beschränkt sein „to what is strictly necessary“, um das betreffende Gemeinwohlziel zu erreichen.972 Beispielhaft für die weitgehende Ablehnung staatlicher Beurteilungsspielräume ist das Urteil im Fall Artavia Murillo et al. v. Costa Rica, der die rechtspolitisch umstrittene Frage betraf, ob das ausnahmslose Verbot der in vitro-Fertilisation in Costa Rica mit der AMRK vereinbar ist. Der Schwerpunkt des Falls lag auf der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Schutzbereiche der Rechte auf Privatleben (Art. 11 Abs. 2 AMRK) und Familie (Art. 17 Abs. 2 AMRK) zugunsten des Schutzes des Rechts auf Lebens (Art. 4 Abs. 1 AMRK).973 Fraglich war hierbei insbesondere, ob Art. 4 Abs. 1 AMRK Embryonen vor der Einsetzung in die Gebärmutter schützt.974 Costa Rica verwies auf das Fehlen eines regionalen Konsenses und forderte ausdrücklich einen Beurteilungsspielraum (margin of appreciation) über den Beginn des Rechts auf Leben und über die zu dessen Schutz notwendigen Maßnahmen.975 Der Gerichtshof wies, anders als der EGMR in ähnlichen Fällen976, die Einräumung eines Beurteilungsspielraums ausdrücklich zurück.977 Er stellte fest, Series C No. 257, Rn. 276 ff.; ferner IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 164; IAGMR, Case of Tristán Donoso v. Panama. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 01. 2009, Series C No. 193, Rn. 56; siehe ferner die Nachweise in Pablo Contreras, Control de Convencionalidad, Deferencia Internacional y Discreción Nacional en la Jurisprudencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, Revista Ius et Praxis 20 (2014), Fn. 47 ff. 972 IAGMR, Case of Herrera Ulloa v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 07. 2004, Series C No. 107, Rn. 123; IAGMR, Case of Ricardo Canese v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2004, Series C No. 111, Rn. 96; IAGMR, Case of Usón Ramírez v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2009, Series C No. 207, Rn. 49; IAGMR, Case of Kimel v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 05. 2008, Series C No. 177, Rn. 58; Seidl, Meinungsfreiheit in der Rechtsprechungspraxis des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 2014, S. 174 ff., 192, wonach die strikte Erforderlichkeitsprüfung des IAGMR über die Dichte der Prüfung des EGMR hinausgeht. 973 IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, Rn. 272 ff. 974 Ibid., Rn. 174 ff. Siehe Art. 4 Abs. 1 S. 2 AMRK: „This right shall be protected by law and, in general, from the moment of conception.“ 975 Ibid., Rn. 170. 976 Der EGMR hat die Frage, ob der Nasciturus unter den persönlichen Schutzbereich des Art. 2 EMRK fällt sowie bei der Regelung der in vitro-Fertilisation auf einen staatlichen Beurteilungsspielraum verwiesen, EGMR (GK), Vo v. France, Urt. v. 08. 07. 2004, Nr. 53924/00, Rn. 82; EGMR, S.H. and others v. Austria, Urt. v. 03. 11. 2011, Nr. 57813/00, Rn. 96 f.; Chia/ Contreras, Análisis de la Sentencia Artavia Murillo y Otros (Fecundación in vitro) vs. Costa Rica de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, Estudios Constitucionales 12 (2014), 567 (572 ff.). 977 IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, Rn. 316: „[…] the Court does not consider it pertinent to rule on the State’s argument that it has a
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dass vor Einsetzung in die Gebärmutter der Embryo nicht dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 AMRK unterfalle978 und dass der absolute Embryonenschutz unverhältnismäßig in die Rechte der Betroffenen eingegriffen habe.979 Auf Ebene der Rechtsfolgen ordnete der IAGMR u. a. die Aufhebung des Verbots und eine Regelung der IVF an, zu welcher der Gerichtshof detaillierte Vorgaben machte.980 Die tiefe Skepsis gegenüber staatlichen Beurteilungsspielräumen zieht sich nach alledem wie ein roter Faden durch die bisherige Praxis des IAGMR und ist mit dessem institutionellen Selbstverständnis als letzte und mitunter einzige Instanz unabhängigen Menschenrechtsschutzes in der Region verknüpft. Der Ansatz des IAGMR entwickelte sich in dessen frühen Fällen, die vor allem schwerste Rechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Freiheitsentziehungen durch das autoritäre Regime Alberto Fujimoris in Peru betrafen – d. h. also Rechtsverletzungen, an deren Konventionswidrigkeit grundsätzlich kein Zweifel bestand und deren Urheber sich einer Zusammenarbeit mit dem Inter-Amerikanischen System verweigerten.981 Die enge Prüfungsdichte lockerte der Gerichtshof in der Folge indes auch nicht wesentlich im Hinblick auf Handlungen und Unterlassungen, die nunmehr den demokratischen Regierungen der Konventionsstaaten zuzurechnen waren. Den Verzicht auf staatliche Beurteilungsspielräume mit Blick auf den Umfang der Transitional Justice in diesen Staaten rechtfertigte der Gerichtshof etwa mit der jus cogens-Natur des Anspruchs der Opfer auf Strafverfolgung.982 Auch eine direktdemokratische Legitimation von Amnestieregelungen sei margin of appreciation to establish prohibtions such as the one established by the Constitutional Chamber.“; auch die abweichende Meinung kritisiert i.E. nicht die fehlende Einräumung eines Beurteilungsspielraums, IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Eduardo Vio Grossi, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, 21. 978 IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, Rn. 264. 979 Ibid., Rn. 314. 980 Ibid., Rn. 334 ff. 981 Der IAGMR stellte etwa ohne Einräumung von Beurteilungsspielräumen die Rechtswidrigkeit der peruanischen Anti-Terror-Gesetze fest und ordnete deren Rücknahme an, IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52, Rn. 207, vgl. zum Ansatz des IAGMR gegenüber Peru auch Rn. 204: „As this Court has pointed out, there can be no doubt that the State has the right and the duty to guarantee its own security. Nor is there any question that violations of the law occur in every society. But no matter how terrible certain actions may be and regardless of how guilty those in custody on suspicion of having committed certain crimes may be, the State does not have a license to exercise unbridled power or to use any means to achieve its ends, without regard for law or morals. The primacy of human rights is widely recognized. It is a primacy that the State can neither ignore nor abridge.“; vgl. ferner die Anordnung zur Reform der Gesetze in IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42, op. Rn. 5. 982 Vgl. IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153, Rn. 131: „Access to justice is a peremptory norm of interna-
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hiergegen unschädlich.983 Den dichten Prüfungsansatz übertrug der Gerichtshof sodann auf Rechtsverletzungen, die nicht die Kerngewährleistungen betrafen, namentlich die Überprüfung von Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit und bei der Etablierung positiver Verpflichtungen zum Schutz von Minderheiten und vulnerablen Gruppen.984 Der Gerichtshof veränderte seinen Ansatz schließlich auch nicht in Bezug auf vermeintlich moralisch sensible Fragen wie etwa die Gleichstellung Homosexueller.985 2. Ansätze zur Subsidiarität in der jüngeren Praxis des IAGMR Wenn nach diesem Überblick Zweifel aufkommen können, ob das Subsidiaritätsprinzip im Inter-Amerikanischen System überhaupt Anwendung finden kann, so lässt sich dem entgegenhalten, dass die überwiegende Praxis des IAGMR auch als Ausdruck des Prinzips der positiven Subsidiarität verstanden werden kann, wonach Interventionen der internationale Ebene dort gerechtfertigt sind, wo dieser Eingriff in die staatliche Autonomie mit Blick auf die Sicherung der Effektivität des Men-
tional law and, as such, gives rise to obligations erga omnes for the States to adopt all necessary measures to ensure that such violations do not remain unpunished, either by exercising their jurisdiction to apply their domestic law and international law to prosecute and, when applicable, punish those responsible, or by collaborating with other States that do so or attempt to do so.“ 983 IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 238: „The fact that the Expiry Law of the State has been approved in a democratic regime and yet ratified or supported by the public, on two occasions, namely, through the exercise of direct democracy, does not automatically or by itself grant legitimacy under International Law.“ 984 Duhaime, Subsidiarity in the Americas: What Room is there for Deference in the InterAmerican System?, in: Gruszczynksi/Werner (Hrsg.), Deference in International Courts and Tribunals, 2014, S. 309 ff.; Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison Between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 74 ff., 77 ff.; Francisco R. Barbosa Delgado, Los límites a la doctrina del margen nacional de apreciación en el Tribunal Europeo y la Corte Interamericana de Derechos Humanos: intervención judicial en torno a ciertos derechos de las minorías étnicas y culturales, Revista de Derecho del Estado 26 (2011), 107 (126 ff.). 985 So etwa im Fall Atala Riffo and daughters v. Chile, der die Diskriminierung einer lesbischen Mutter in Bezug auf ihr Sorgerecht betraf. Der IAGMR ging hier nicht auf den vergleichsweise restriktiven regionalen Konsens ein und urteilte, nach umfangreicher Abwägung anhand der Fakten, gegen den chilenischen Staat, IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239, Rn. 146, insb. Rn. 92: „The fact that this is a controversial issue in some sectors and countries, and that it is not necessarily a matter of consensus, cannot lead this Court to abstain from issuing a decision, since in doing so it must refer solely and exclusively to the stipulations of the international obligations arising from a sovereign decision by the States to adhere to the American Convention.“; ähnl. IAGMR, Case of Duque v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 02. 2016, Series C No. 310, Rn. 90 ff.
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schenrechtsschutzes verhältnismäßig erscheint.986 Umgekehrt lassen sich – teilweise bereits schon in der älteren Praxis des IAGMR987 – auch Hinweise auf die Berücksichtigung staatlicher Interessenabwägungen und die grundsätzliche Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips finden. So hat der Gerichtshof insbesondere in einer Reihe von Urteilen jüngeren Datums die subsidiäre bzw. komplementäre Natur des Inter-Amerikanischen Systems und der eigenen Gerichtsbarkeit ausdrücklich betont: „[…] la Corte recuerda que el carácter complementario (subsidiario) de la jurisdicción internacional significa que el sistema de protección instaurado por la Convención Americana sobre Derechos Humanos no sustituye a las jurisdicciones nacionales, sino que las complementa. De tal manera, el Estado es el principal garante de los derechos humanos de la personas, por lo que, si se produce un acto violatorio de dichos derechos, es él el que debe de resolver el asunto a nivel interno y de ser el caso reparar, antes de tener que responder ante instancias internacionales. De lo anterior se desprende que, en el Sistema Interamericano, existe un control dinámico y complementario de las obligaciones convencionales de los Estados de respetar y garantizar derechos humanos, conjuntamente entre las autoridades internas (primariamente obligadas) y las instancias internacionales (en forma complementaria), de modo que los criterios de decisión, y los mecanismos de protección y reparación, tanto los nacionales como los internacionales, puedan ser conformados y adecuados entre sí.“988 986 So auch Negishi, The Subsidiarity Principle’s Role in Allocating Competences between Human Rights Courts and States Parties: The Hybrid Model of Centralized and Diffused Conventionality Control of Domestic Law, in: von Bogdandy/Morales Antoniazzi/Piovesán (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune na América Latina – Volume III – Diálogos Jurisdicionais e Controle de Convencionalidade, 2016, S. 125. 987 Aus der älteren Praxis vgl. etwa das Gutachten über Änderungen der Einbürgerungsregelung in der Verfassung Costa Ricas, wobei der IAGMR zu diesem Zeitpunkt noch kein Urteil im Rahmen seiner streitigen Gerichtsbarkeit gefällt hatte, sodass richterliche Zurückhaltung hier bereits aus strategischen Gründen wohl ratsam erschien, IAGMR, Proposed Amendments of the Naturalization Provisions of the Constitution of Costa Rica, Gutachten v. 19. 01. 1984, Series A No. 4, Rn. 58; in seinem ersten Urteil zur Einschränkung der Meinungsfreiheit verwies der IAGMR auf einen „reduced margin“ staatlicher Stellen und verwies auf die Rechtsprechung des EGMR bezüglich der Einschränkung des Beurteilungsspielraums bei Beschränkung wichtiger Freiheitsrechte, ohne jedoch dabei das Konzept des Beurteilungsspielraums zu übernehmen, IAGMR, Case of Herrera Ulloa v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 07. 2004, Series C No. 107, Rn. 161; IAGMR, Case of Barreto Leiva v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 11. 2009, Series C No. 206, Rn. 90; siehe zum Beurteilungsspielraum im Rahmen der Meinungsfreiheit Seidl, Meinungsfreiheit in der Rechtsprechungspraxis des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 2014, S. 189 ff.; echten Spielraum ließ der Gerichtshof bei der Bestimmung des Wahlsystems unter Art. 23 AMRK, IAGMR, Case of Castañeda Gutman v. México. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 06. 08. 2008, Series C No. 184, Rn. 204; vgl. allgemein Contreras, National Discretion and International Deference in the Restriction of Human Rights: A Comparison Between the Jurisprudence of the European and the Inter-American Court of Human Rights, Northwestern Journal of International Human Rights 11 (2012), 28 (57 ff., 79 ff.). 988 IAGMR, Case of Dismissed Employees of Petroperú et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2017, Series C No. 344, Rn. 207; IAGMR, Case of Duque v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs,
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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Jenseits der prozeduralen Ausprägungen des Subsidiaritätsprinzips (d. h. der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs und der sog. fourth-instance-Formula, wonach der IAGMR nur die Verletzung der AMRK, nicht aber nationalen Rechts prüft) scheint der Gedanke der Subsidiarität im Gerichtshof insbesondere mit Blick auf die Auslegung der Konventionsrechte und der eigenen Kompetenzen Platz zu greifen. So lehnte der IAGMR es im Fall der Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil ab anzuordnen, dass Brasilien die Strafbarkeit für Sklaverei nicht weiter einschränken dürfe, da die Festsetzung von Strafen allein Sache der Staaten und kein regionaler Konsens in dieser Frage ersichtlich sei: „[…] determinar cuál es la pena adecuada para este delito no es una tarea propia de un Tribunal internacional. En este sentido, la Corte nota que la legislación comparada de los Estados de la región no ofrece una referencia clara respecto a la pena que debe establecerse en estos casos. Los Estados que sí tienen un delito específico de trabajo esclavo no son sustancialmente coincidentes en cuanto a la duración mínima y máxima de las penas. De esta manera, la Corte estima que es facultad del Estado determinar la pena mínima para esa conducta en su legislación penal; y que corresponde a la esfera de competencia del Estado la definición del quantum de las penas, por estar este mejor situado para definirlo.“989
Ferner häufen sich die Urteile, in denen der IAGMR staatliche Wiedergutmachungsregelungen berücksichtigt und feststellt, dass in Anbetracht der nachgewiesenen Bemühungen auf staatlicher Ebene und der Subsidiarität des eigenen Rechtsschutzes keine Wiedergutmachung nach Art. 63 Abs. 1 AMRK mehr in Betracht komme, soweit es auf staatlicher Ebene bereits zu effektiven Maßnahmen der Wiedergutmachung gekommen sei.990 Wichtig ist in diesem Sinne schließlich die conventionality control-Doktrin, welche die prinzipielle Verantwortlichkeit staatliUrt. v. 26. 02. 2016, Series C No. 310, Rn. 120; IAGMR, Case of Peasant Community of Santa Barbara v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 299, Rn. 159; IAGMR, Case of the Santo Domingo Massacre v. Colombia. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 30. 11. 2012, Series C No. 259, Rn. 142. Hervorhebungen hinzugefügt. 989 IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318, Rn. 462. Hervorhebung hinzugefügt. 990 IAGMR, Case of the Afro-descendant communities displaced from the Cacarica River Basin (Operation Genesis) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 13. 11. 2013, Series C No. 270, Rn. 474: „[…] the principle of the complementarity of international law cannot be disregarded. This is recognized in the Preamble to the American Convention and has been taken into account by the Court in other cases to acknowledge the compensation granted at the domestic level and to abstain from ordering reparations in this regard, when this is pertinent.“; IAGMR, Case of Vereda La Esperanza v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2017, Series C No. 341, Rn. 265; IAGMR, Case of Dismissed Employees of Petroperú et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2017, Series C No. 344, Rn. 209; IAGMR, Case of the Santo Domingo Massacre v. Colombia. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 30. 11. 2012, Series C No. 259, Rn. 336; IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213, Rn. 246.
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cher Stellen zur Anwendung der AMRK betont und den IAGMR in einer subsidiären Rolle konzipiert.991 Gerade die jüngere Praxis des IAGMR zeigt daher, dass der Gerichtshof – im Einklang mit der AMRK – das Subsidiaritätsprinzip und die Idee richterlicher Zurückhaltung zumindest nicht kategorisch ablehnt, sondern den Konventionsstaaten zunehmend Vertrauen entgegenbringt, festgestellte Probleme des Menschenrechtsschutzes auch selbst zu bewältigen. Die Praxis des IAGMR lässt sich folglich durchaus mit dem Subsidiaritätsprinzip strukturieren und steht einer Anwendbarkeit mit Blick auf die Anordnungen struktureller Reformen nicht entgegen. III. Die Maßstäbe des Subsidiaritätsprinzips für die Anordnungen des IAGMR Wenn so auf einer konzeptionellen Ebene das Subsidiaritätsprinzip als ein Maßstab für die Anordnungen des IAGMR herangezogen werden kann, so stellt sich bei näherer Betrachtung doch die Frage, wie der Subsidiaritätsgrundsatz im InterAmerikanischen Menschenrechtssystem angewendet werden müsste. Das rechte Maß richterlicher Intervention durch den IAGMR ist in den letzten Jahren zum Gegenstand einer Debatte geworden, hinter der letztlich unterschiedliche Ansichten über den Stand der Demokratie in Lateinamerika und die angemessene Rolle des Inter-Amerikanischen Systems ca. dreißig Jahre nach dem Ende der Militärdiktaturen und der (meisten) bewaffneten Konflikte der Region stehen. Die dabei vorgebrachten Argumente lassen es klärungsbedürftig erscheinen, nach welchen Parametern das Subsidiaritätsprinzip vor dem IAGMR überhaupt Anwendung finden kann.992 Die Unterwerfung des IAGMR unter das Subsidiaritätsprinzip wird von einigen Autoren, insbesondere dem ehemaligen Präsidenten des IAGMR Cançado Trindade mit Blick auf die durchweg schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen vor dem Gerichtshof grundsätzlich abgelehnt. Über die Rechtswidrigkeit und notwendigen Konsequenzen schwerster Menschenrechtsverletzungen dürften keinerlei staatliche Beurteilungsspielräume bestehen.993 Verwiesen wird zudem auf die defizitären rechtsstaatlichen Institutionen in den meisten Konventionsstaaten, die den Staat als 991 Siehe oben S. 44 ff. und González Domínguez, La Doctrina del Control de Convencionalidad a la luz del Principio de Subsidiariedad, Estudios Constitucionales 15 (2017), 55 (85 f.). 992 Vgl. etwa zu einer Unterscheidung zwischen „schwacher“ und „starker“ Subsidiariät Markus Jachtenfuchs/Nico Krisch, Subsidiarity in Global Governance, Law and Contemporary Problems 79 (2016), 1 (8). 993 Núñez Poblete, Sobre la doctrina del margen de apreciación nacional. La experiencia latinoamericana confrontada y el thelos constitucional de una técnica de adjudicación del derecho internacional de los derechos humanos, in: Paola Andrea Acosta Alvarado/Manuel Núñez Poblete (Hrsg.), El margen de apreciación en el sistema interamericano de derechos humanos: Proyecciones Regionales y Nacionales, Mexiko-Stadt 2012, S. 3 (34).
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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Instanz zur Achtung und Garantie der Menschenrechte weitgehend ausfallen ließen.994 Der IAGMR müsse sich in dieser Situation auf der Seite der Opfer und des Rechts wiederfinden, statt auf die Interessen der Staaten einzugehen. Es sei das Mandat des Gerichtshofs, für einen effektiven Schutz der Menschenrechte einzutreten (vgl. Art. 33 AMRK „[…] competence with respect to matters relating to the fulfillment of the commitments made by the States Parties“). Dem IAGMR dürften bei der Ausübung seiner Befugnisse insoweit keinerlei Beschränkungen entgegengehalten werden. Cançado Trindade spricht sich aus diesen Gründen vehement gegen Subsidiaritätserwägungen und die Übernahme einer margin of appreciation-Doktrin aus: „How could we apply [the margin-of-appreciation doctrine] in the context of a regional human rights system where many countries’ judges are subject to intimidation and pressure? How could we apply it in a region where the judicial function does not distinguish between military jurisdiction and ordinary jurisdiction? How could we apply it in the context of national legal systems that are heavily questioned for the failure to combat impunity? We have no alternative but to strengthen the international mechanisms for protection.“995
Andere Autoren sind in den letzten Jahren hingegen für eine stärker subsidiäre Rolle des IAGMR eingetreten. Angesichts einer zunehmend konsolidierten Demokratie in den meisten Konventionsstaaten fordern sie vom IAGMR grundsätzlich richterliche Zurückhaltung ein. Contesse etwa kritisiert die Haltung Cançados als zu undifferenziert: „One could understand such a statement from an Inter-American Court’s judge in the late 1980s, but after two decades of case law and significant political and legal developments in the region, one might expect a more nuanced approach to the relationship between the Court and state parties.“996
994 Vgl. in dieser Hinsicht bereits Eyal Benvenisti, Margin of Appreciation, Consensus, and Universal Standards, New York University Journal of International Law and Politics 31 (1999), 843 (853 f.): „[…] where national procedures are notoriously prone to failure, most evident when minority rights and interests are involved, no margin and no consensus should be tolerated. Anything less than the assumption of full responsibility would amount to a breach of duty by the international human rights organs.“; Follesdal, Subsidiarity and International Human-Rights Courts: Respecting Self-Governance and Protecting Human Rights – Or Neither?, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 147 (153). 995 Antônio Augusto Cançado Trindade, El derecho internacional de los derechos humanos en el siglo XXI, 2. Aufl., Santiago 2006, S. 390; übersetzt nach Andreas Follesdal, Exporting the margin of appreciation: Lessons for the Inter-American Court of Human Rights, International Journal of Constitutional Law 15 (2017), 359 (362). Die Haltung Cançado Trindades ist beispielhaft für dessen Sichtweise auf die internationale Gerichtsbarkeit, deren Grundlage nicht der Staatenwille, sondern die materielle Gerechtigkeit sei, siehe Antônio Augusto Cançado Trindade, Os tribunais Internacionais e a realização da justiça, Brasília 2015, S. 49: „[…] a postura basica de um tribunal internacional só pode ser principista, sem fazer concessões indebidas ao voluntarismo estatal.“ 996 Contesse, Contestation and Deference in the Inter-American Human Rights System, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 123 (134).
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Nach Ansicht Contesses habe sich die Funktion des Inter-Amerikanischen Systems in den vergangenen Jahrzehnten verändert: In den 1970er Jahren habe das System legitimerweise die Rolle eines aktiven Widerparts gegen die autoritären Regime der Region eingenommen, da die politischen und rechtlichen Räume auf nationaler Ebene vollkommen verschlossen gewesen seien. In den 1980er und -90er Jahren hätten sich die nunmehr demokratischen Staaten der AMRK und der Gerichtsbarkeit des IAGMR unterworfen, um einen Schutz gegen die noch drohende Rückkehr des Autoritarismus und des Militärs zu installieren und die Wiederholung systematischer und massiver Rechtsverletzungen zu verhindern. Heute stünden dem IAGMR hingegen vergleichsweise konsolidierte Demokratien gegenüber und massive und systematische Rechtsverletzungen stünden nicht mehr im Zentrum der Agenda des Inter-Amerikanischen Systems. Das mit Blick auf die autoritären Regime der Vergangenheit und die Transitionszeit eingeübte aktivistische Rollenverständnis des IAGMR („Velásquez Rodríguez-ethos“997), wonach die Staaten primär als Bedrohung und nicht auch als Garanten der Menschenrechte zu betrachten sind, müsse daher angepasst werden. Dies könne sowohl die Legitimität des IAGMR selbst stärken, als auch eine größere Verantwortung der Konventionsstaaten bei der Gewährleistung der Rechte ermöglichen.998 In diesem Sinne verlangt Contesse insbesondere eine größere richterliche Zurückhaltung bei der Ausübung der Rechtsfolgenkompetenz des Art. 63 Abs. 1 AMRK, die sich grundsätzlich auf die Anordnung einer finanziellen Entschädigung zu beschränken habe.999 Ebenso haben sich in der jüngeren Vergangenheit einige Vertragsstaaten der AMRK für eine stärker subsidiäre Rolle des Inter-Amerikanischen Systems, und damit auch des IAGMR, ausgesprochen. In einer gemeinsamen Deklaration vom 11. April 2019 unterstrichen die Vertreter von Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien und Paraguay bei der OAS die Bedeutung der Subsidiarität als prozessuales Prinzip im Beschwerdeverfahren und forderten u. a., dass die Anordnungen der Wiedergutmachung „die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Realitäten der Vertragsstaaten berücksichtigen“ und „verhältnismäßig“ sein müssten: „[…] Con el ánimo de perfeccionar la operatividad, funcionalidad y eficacia del Sistema Interamericano de Derechos Humanos, manifiestan lo siguiente: 1. Subrayan que el principio de subsidiariedad, que da sustento a los presupuestos jurídicos de admisibilidad de una petición, tiene una doble dimensión. Por un lado, supone que el 997
Ibid., 123 (129). Ibid., 123 (127 ff., 141 ff.); in diese Richtung auch Duhaime, Subsidiarity in the Americas: What Room is there for Deference in the Inter-American System?, in: Gruszczynksi/ Werner (Hrsg.), Deference in International Courts and Tribunals, S. 289 (314); stärker differenzierend Gargarella, Tribunales internacionales y democracia: enfoques deferentes o de interferencia, Revista Latinoamericana de Derecho Internacional 4/2016, S. 8 ff., der zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf die Qualität der demokratischen Entscheidung abstellen will, mit einer Präferenz für die direkte Demokratie. 999 Contesse, Contestation and Deference in the Inter-American Human Rights System, Law & Contemporary Problems 79 (2016), 123 (143 f.). 998
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Estado concernido tiene la obligación de investigar toda violación a la Convención que acontezca en su territorio, y, por el otro, que dicho Estado tiene el derecho de que su propio sistema jurisdiccional resuelva la situación antes de verse sometido a una instancia internacional. […] 5. Enfatizan la importancia del debido conocimiento y consideración de las realidades políticas, económicas y sociales de los Estados por parte de los órganos del sistema interamericano de derechos humanos. En este marco, resaltan la necesidad de que las formas de reparación guarden una debida proporcionalidad y respeten tanto los ordenamientos constitucionales y jurídicos de los Estados, como las exigencias propias del Estado de Derecho. […]“1000
Ein Eingriff in den Beurteilungsspielraum der Staaten nach Art. 2 AMRK im Rahmen der guarantees of non-repetition wäre nach dieser Forderung nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. 1. Die Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips Es soll zunächst noch einmal festgehalten werden, dass das Prinzip der Subsidiarität und das oben formulierte Abwägungsgesetz mit Blick auf die Anordnung von guarantees of non-repetition durch den IAGMR grundsätzlich angewendet werden sollte – trotz der demokratischen und rechtsstaatlichen Defizite in den Vertragsstaaten der AMRK. Für die Anwendbarkeit des Prinzips sprechen die oben dargelegten Erwägungen hinsichtlich der notwendigen Beachtung der staatlichen Autonomie, aber auch der epistemischen Notwendigkeit, zur Lösung struktureller Probleme mit den betroffenen Staaten zusammenzuarbeiten. Die Staaten befinden sich zur Beantwortung der Frage, wie bestimmte strukturelle Probleme des Menschenrechtsschutzes angegangen werden könnten grundsätzlich in einer besseren Position als der IAGMR in San José, der die Situation vor Ort oftmals nicht näher kennt. Die rechtsstaatlichen und demokratischen Defizite in den Konventionsstaaten können zwar nicht bestritten werden.1001 Doch ist gleichzeitig zu bemerken, dass 1000
Declaración sobre el Sistema Interamericano de Derechos Humanos, 11. April 2019, abrufbar unter: https://www.mre.gov.py/index.php/noticias-de-embajadas-y-consulados/gobier nos-de-argentina-brasil-chile-colombia-y-paraguay-se-manifiestan-sobre-el-sistema-interame ricano-de-derechos-humanos; allerdings haben die Staaten in ihrer Deklaration die Anordnungen des IAGMR auch nicht rundweg abgelehnt, Armin von Bogdandy, El mandato transformador del Sistema Interamericano de Derechos Humanos. Legalidad y legitimidad de un proceso iurisgenerativo extraordinario, in: Armin von Bogdandy u. a. (Hrsg.), Cumplimiento e impacto de las sentencias de la Corte Interamericana y el Tribunal Europeo de Derechos Humanos. Transformando realidades, Querétaro 2019, S. 25 (44); Paula Baldini Miranda da Cruz, Trackers and Trailblazers: Dynamic Interactions and Institutional Design in the InterAmerican Court of Human Rights, Journal of International Dispute Settlement 11 (2020), 69 (87). 1001 Sämtliche Vertragsstaaten der AMRK sind, wenngleich in unterschiedlichem Maße, geprägt von Problemen sozialer Ungleichheiten und Armut zu denen schwache (Rechts-) Staatlichkeit und eine sich konsolidierende demokratische Ordnung treten, Flávia Piovesan, Direitos humanos e justiça internacional: um estudo comparativo dos sistemas regionais eu-
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große Unterschiede zwischen den Konventionsstaaten bestehen, beispielsweise zwischen Chile und Honduras, und die Staaten aufgrund der schwachen politischen und wirtschaftlichen Integration der Region weiter auseinanderdriften.1002 In dieser Situation erscheint die Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch den IAGMR als ein geeignetes und flexibles Instrument, um allen Konventionsstaaten gerecht zu werden und einen legitimen Umgang mit allen Staaten zu finden.1003 Im Übrigen kommt es auf die genaue Ausgestaltung und Gewichtung im Rahmen der Abwägung zwischen der „Effektivität“ des Menschenrechtsschutzes und der „Autonomie“ der Staaten im Einzelfall an, da mit dem pauschalen Verweis auf „die Subsidiarität“ des IAGMR noch wenig gesagt ist. Hier scheinen im Inter-Amerikanischen System einige Einschränkungen notwendig, auf die nunmehr eingegangen werden soll. 2. Berücksichtigung der Realitäten des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzes Wie sollte im Inter-Amerikanischen System die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ausgestaltet werden? Besteht in Anbetracht rechtsstaatlicher und demokratischer Defizite in den meisten Konventionsstaaten eine generelle Vermutung zugunsten des Eingreifens des IAGMR? Oder müssen die Interventionen des IAGMR wegen der relativen Stabilität der staatlichen Institutionen heutzutage die Ausnahme bleiben? Grundsätzlich gilt, dass bei der Übertragung der von Europa ausgehenden Diskussion über Autonomie und Subsidiarität Vorsicht geboten ist, da diese Konzepte nicht anhand der spezifischen Umstände des Menschenrechtsschutzes in La-
ropeu, interamericano e africano, São Paolo 2014, S. 85; siehe zur Menschenrechtslage in der Region die Jahres-, Länder- und Themenberichte der IAKMR, abrufbar unter: www.oas.org/en/ iachr/reports/thematic.asp; zur Entwicklung der Einkommensungleichheit die Informationen der Economic Commission for Latin America (ECLA), abrufbar auf www.ecla.org; ferner die Berichte des desiguALdades-Forschungsnetzwerks, abrufbar unter: www.desigualdades.net, vgl. etwa Göran Therborn, Inequalities and Latin America: From the Enlightenment to the 21st Century, desiguALdades.net Working Paper 1/2011, S. 25 ff.; Manuel Eduardo Góngora Mera, Transnational Articulations of Law and Race in Latin America: A Legal Genealogy of Inequality, desiguALdades.net Working Paper 18/2012. 1002 Michael Krennerich, Menschenrechte unter autoritären und demokratischen Vorzeichen in Lateinamerika, in: Eva Kalny/Heike Wagner (Hrsg.), Menschenrechte in Lateinamerika, Baden-Baden 2019, S. 46; Andrés Malamud, El contexto del diálogo jurídico interamericano: fragmentación y diferenciación en sociedades más prósperas, in: Armin von Bogdandy/ Héctor Fix-Fierro/Mariela Morales Antoniazzi (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune en América Latina. Rasgos, Potencialidades y Desafíos, Mexiko-Stadt 2014, S. 107; historisch zu den Bemühungen regionaler Integration, Rainer Grote, Los esfuerzos integradores en el contexto histórico suramericano, in: Armin von Bogdandy/César Landa Arroyo/Mariela Morales Antoniazzi (Hrsg.), ¿Integración suramericana a través del Derecho? Un análisis interdisciplinario y multifocal, Madrid 2009, S. 3. 1003 Follesdal, Exporting the margin of appreciation: Lessons for the Inter-American Court of Human Rights, International Journal of Constitutional Law 15 (2017), 359 (360, 369).
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teinamerika entwickelt worden sind.1004 Angesichts der besonderen Entwicklung, die das Inter-Amerikanische System genommen hat, müssen in diesem Sinne bereits die der Debatte zugrunde liegende Ideen einer „Intervention“ der „internationalen“ Ebene gegenüber „dem Staat“ relativiert werden. Víctor Abramovich hat in diesem Zusammenhang etwa auf den Umstand der strukturellen Diskriminierung ganzer Bevölkerungsteile hingewiesen, deren Anliegen und Interessen im politischen Prozess in den meisten Staaten keine Berücksichtigung finden.1005 Die Sprach- und Wehrlosigkeit dieser Gruppen im aktuellen politischen System sei durchaus mit den verschlossenen Räumen politischer Aktion in den Zeiten der Diktaturen vergleichbar. Die Rolle des Inter-Amerikanischen Systems sei es in dieser Situation, diesen Personengruppen eine Stimme und ihren Anliegen Gewicht zu verleihen, sodass eine „Intervention“ von Seiten des IAGMR gerade auch als eine Förderung der demokratischen Selbstbestimmung angesehen werden könne: „[La] función del [Sistema Interamericano de Derechos Humanos, SIDH] consiste precisamente en dar más voz a los sectores más débiles de la población, aquellos que están fuera del sistema de representación social o política, que no logran acceder con fuerza a la esfera pública, que no alcanzan los sistemas de protección social y judicial del Estado, y que sienten que las reglas del juego político en los Estados nacionales no ofrece salidas y conducen a la reproducción de las injusticias sociales.“1006
Ebenso gibt er zu bedenken, dass sich die IAKMR und der IAGMR im Verlauf der letzten Jahrzehnte zu einem Forum entwickelt haben, in dem Vertreter der Zivilgesellschaft und der betroffene Staat einen Dialog auf Augenhöhe führen können. Die überwiegend von NGOs angestrengten Urteile des IAGMR dienten in transnationaler Perspektive als ein Impuls zur Lösung politischer Blockaden, selbst wenn sie nicht wortgetreu umgesetzt werden.1007 Ein Gegensatz zwischen internationaler 1004 Ibid., 359; Gabriela Kletzel/Pétalla Timo/Edurne Cárdenas/Gastón Chillier, Democracia y subsidiariedad, in: Camila Barretto Maia u. a. (Hrsg.), Desafíos del sistema interamericano de derechos humanos: Nuevos tiempos, viejos retos, Bogotá 2015, S. 190 (203). 1005 Víctor Abramovich, Autonomía y subsidiaridad. El Sistema Interamericano de Derechos Humanos frente a los sistemas de justicia nacionales, in: César Rodríguez Garavito (Hrsg.), El derecho en América Latina: un mapa para el pensamiento jurídico del siglo XXI, Buenos Aires 2011, S. 211 (212, 217). Er verweist auf die Rechte von Frauen, indigenen Völkern, Straßenkindern, landlosen Bauern und illegalen Migranten, siehe auch Abramovich, From Massive Violations to Structural Patterns: New Approaches and Classic Tensions in the Inter-American Human Rights System, SUR-International Journal on Human Rights 6 (2009), 7 (17 ff.); in diese Richtung auch Marie-Christine Fuchs/Arne Bardelle, Der regionale Menschenrechtsschutz in Lateinamerika – Der Interamerikanische Gerichtshof fu¨ r Menschenrechte im Spannungsfeld zwischen Recht und Politik, in: Eva Kalny/Heike Wagner (Hrsg.), Menschenrechte in Lateinamerika, Baden-Baden 2019, S. 55 (70 ff.). 1006 Abramovich, Autonomía y subsidiaridad. El Sistema Interamericano de Derechos Humanos frente a los sistemas de justicia nacionales, in: Garavito (Hrsg.), El derecho en América Latina: un mapa para el pensamiento jurídico del siglo XXI, 2011, S. 211 (222). 1007 Ibid., 211 (216); ferner Engstrom, Reconceptualising the Impact of the Inter-American Human Rights System, Revista Direito & Práxis 8 (2017), 1250 (1258 f.); vgl. auch Jahn, Ruling (In)directly through individual measures? Effect and Legitimacy of the ECtHR’s new
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Ebene und staatlicher Ebene besteht hier nur eingeschränkt. Zudem kann in den vielen Fällen, in denen die Staaten mit den Inter-Amerikanischen Institutionen kooperiert haben, von einem Aktivismus des IAGMR gegen die Konventionsstaaten keine Rede sein.1008 Angesichts dieser Besonderheiten schlägt Abramovich mit Blick auf das Verhältnis des Inter-Amerikanischen Systems zu den Demokratien der Region zwar vor, neben einer rigorosen Beachtung der notwendigen Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs auch die Anwendung des Subsidiaritätsgedankens vorzunehmen, doch müssten hierbei die rechtsstaatlichen und demokratischen Defizite in den betroffenen Staaten im Blick bleiben. Je besser die rechtsstaatlichen und demokratischen Institutionen in einem Staat zum Menschenrechtsschutz gerüstet seien, desto mehr Spielraum habe das Inter-Amerikanische System zuzubilligen. Je weniger hingegen einem Staat in diesem Sinne zugetraut werden könne, konventionsgemäße Zustände zu schaffen, desto weitreichender könnte so der Zugriff des IAGMR ausfallen: „[…] se fija una regla general que conduce a modular la intervención del SIDH en función del grado de desarrollo de la institucionalidad en cada Estado. Así, cuanto mayor es el grado de desarrollo de la institucionalidad doméstica, mayor es el margen de autonomía que se reconoce al Estado y menor el alcance de la intervención del sistema. El SIDH interviene exclusivamente cuando el Estado no logra asegurar un mecanismo idóneo y efectivo para garantizar los derechos en el ámbito interno. Lo cierto es que, precisamente, uno de los grandes déficits de las democracias latinoamericanas es la ineficacia e inequidad de sus sistemas judiciales, que no logran remediar la afectación de derechos fundamentales e incluso llegan a transformarse en un factor de vulneración de derechos.“1009
Richtig am Ansatz Abramovichs erscheint, dass sich die Interventionsdichte des IAGMR nicht pauschal bestimmen sollte, sondern sich diese an den spezifischen Problemen des Menschenrechtsschutzes in einem Staat ausrichten muss. Gleichwohl erscheint es zweifelhaft, dass sich der Grad der Intervention des Inter-Amerikanischen Systems allgemein an der Funktionsfähigkeit der rechtsstaatlichen Institutionen des betroffenen Staates orientieren sollte. Es dürfte schon nicht einfach sein zu definieren, wann ein Staat allgemein als „nicht fähig“ oder „nicht willens“ angesehen werden kann, seine Verpflichtungen aus Art. 2 AMRK umzusetzen.1010 Darüber Remedial Power, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 74 (2014), 1 (25). Siehe auch oben S. 184 ff. 1008 Vgl. Kai Ambos/María Laura Böhm, Tribunal Europeo de Derechos Humanos y Corte Interamericana de Derechos Humanos. ¿Tribunal tímido vs. Tribunal audaz?, in: Eduardo Ferrer Mac-Gregor/Alfonso Herrera García (Hrsg.), Diálogo Jurisprudencial en Derechos Humanos entre Tribunales Constitucionales y Cortes Internacionales, Mexiko-Stadt, 2013, S. 1057 (1060). 1009 Abramovich, Autonomía y subsidiaridad. El Sistema Interamericano de Derechos Humanos frente a los sistemas de justicia nacionales, in: Garavito (Hrsg.), El derecho en América Latina: un mapa para el pensamiento jurídico del siglo XXI, 2011, S. 211 (226). 1010 Die Anknüpfung an die mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft eines Staates geht mit den gleichen Problemen einher wie die unter dem gleichen Begriffspaar debattierte Kategorie der Zurechnung bzw. der Rechtfertigung bewaffneter Angriffe bei Terrorattacken aus einem so
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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hinaus besteht die Gefahr, dass ein solcher Ansatz das Prinzip der Subsidiarität mit Blick auf Staaten mit rechtsstaatlichen oder demokratischen Defiziten gänzlich umkehrt und zu einer Kategorisierung von Staaten gelangt, die dem IAGMR nicht zustünde.1011 Es erscheint daher besser, im Einzelfall zu untersuchen, ob und inwieweit der betroffene Staat zwischenzeitlich Anstrengungen unternommen hat, um dem jeweiligen Problem Herr zu werden und ggf. bereits Abwägungsentscheidungen hinsichtlich bestimmter Lösungsschritte getroffen wurden.1012 Hierzu erscheint es richtig, den betroffenen Staat als darlegungsbelastet anzusehen, welche Maßnahmen bereits getroffen worden sind.1013 Hinter diese Entscheidungen sollte der IAGMR dann nicht zurückgehen, sondern sie soweit möglich aufgreifen und konkretisieren. Nur dort, wo der betroffene Staat gänzlich inaktiv geblieben ist oder sich die bisherigen Anstrengungen als ungeeignet erwiesen haben, um dem jeweiligen Problem abzuhelfen, kann der IAGMR im Sinne des Subsidiaritätsprinzips als berechtigt angesehen werden, bestimmte Maßnahmen neu vorzuschreiben. Bei der Anwendung des so bestimmten Subsidiaritätsprinzips sollte zudem dem besonderen institutionellen Gepräge des Beschwerdeverfahrens vor dem IAGMR Rechnung getragen werden. Dies ist namentlich die paradigmatische und strategische Natur des Rechtsschutzes vor dem IAGMR. Wie erläutert, werden die wenigen vor den Gerichtshof gebrachten Fälle von der Kommission in der Regel gezielt ausgewählt und stehen für gravierende Missstände und verbreitete Rechtsverletzungen, die bereits im Verfahren vor der Kommission vom Staat nicht beseitigt werden konnten. Die Anforderungen an den IAGMR zur Begründung seiner Intervention sollten daher nicht zu hoch angesetzt werden, da sich der betroffene Staat in der Regel bereits unwillig oder unfähig erwiesen hat, das zugrunde liegende Problem zu beseitigen. Daneben erscheint es für den IAGMR ohne weiteres zulässig, in den staatlichen Beurteilungsspielraum bei der Anordnung genereller Maßnahmen einzugreifen, wenn die Staaten auf diesen Spielraum vor dem IAGMR verzichtet haben. Wie erwähnt, nutzen die Regierungen den Gerichtshof mitunter strategisch, indem sie ihre Verantwortlichkeit anerkennen und Urteile nutzen, um Widerstände auf natio-
bezeichneten Staat, siehe Paulina Starski, Right to Self-Defense, Attribution and the Non-State Actor – Birth of the „Unable or Unwilling“ Standard?-, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 75 (2015), 455. 1011 Vgl. Jahn, Ruling (In)directly through individual measures? Effect and Legitimacy of the ECtHR’s new Remedial Power, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 74 (2014), 1 (21). 1012 Vgl. Follesdal, Exporting the margin of appreciation: Lessons for the Inter-American Court of Human Rights, International Journal of Constitutional Law 15 (2017), 359 (369). 1013 Vgl. in diese Richtung IAGMR, Case of Vereda La Esperanza v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2017, Series C No. 341, Rn. 265; IAGMR, Case of Dismissed Employees of Petroperú et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2017, Series C No. 344, Rn. 209.
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naler Ebene, etwa durch die obersten Gerichte1014, zu überwinden. Ein Beispiel hierfür war das Handeln der Übergangsregierung in Peru, die nach dem Sturz Fujimoris im November 2000 aktiv mit dem IAGMR zusammenarbeitete und in Barrios Altos v. Peru den IAGMR implizit dazu aufforderte, die Amnestiedekrete Fujimoris für unwirksam zu erklären.1015 Wenn die Vornahme ganz konkreter Maßnahmen im Konsens mit den Staaten erfolgt, so spricht von Seiten des Subsidiaritätsprinzips nichts gegen die Anordnungen des IAGMR. IV. Zwischenfazit Es konnte gezeigt werden, dass der IAGMR nicht als gänzlich frei angesehen werden kann, die Inhalte seiner Anordnungen auf Grundlage des Art. 63 Abs. 1 AMRK zu bestimmen, sondern dass aufgrund des Umsetzungsspielraums der Staaten aus Art. 2 AMRK und des damit zusammenhängenden Subsidiaritätsprinzips grundsätzlich eine Pflicht zur Zurückhaltung besteht. In Anwendung des Subsidiaritätsprinzips kann die Ausfüllung staatlicher Beurteilungsräume durch den IAGMR gleichwohl dort als gerechtfertigt angesehen werden, wo dieser Eingriff in die staatliche Autonomie zur Sicherung der Effektivität des Menschenrechtsschutzes in einem Staat als verhältnismäßig erscheint. Mit Blick auf das besondere institutionelle Gefüge und die Entwicklung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzes wurde vorgeschlagen, an die Widerlegung der „Vermutung für die lokale Ebene“ durch den IAGMR allerdings nur geringe Anforderungen zu stellen.
C. Die guarantees of non-repetition im Lichte des Subsidiaritätsprinzips I. Vereinbarkeit der wesentlichen Parameter mit dem Subsidiaritätsprinzip Im letzten Abschnitt sollen nun die strukturellen Anordnungen des IAGMR mit Blick auf das vorstehend konturierte Subsidiaritätsprinzip untersucht werden, wobei wegen der Vielgestaltigkeit der Fälle hier nun nicht die gesamte Praxis untersucht werden soll, sondern allein deren wesentliche Parameter.
1014 So etwa im Fall Chiles, siehe Cristián Delpiano Lira/Jorge Antonio Qundimil López, La protección de los derechos humanos en Chile y el margen de apreciación nacional: fundamentos jurídicos desde la consolidación democrática, in: Paola Andrea Acosta Alvarado/Manuel Núñez Poblete (Hrsg.), El margen de apreciación en el sistema interamericano de derechos humanos: Proyecciones Regionales y Nacionales, Mexiko-Stadt 2012, S. 169. 1015 IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, Rn. 31; IAGMR, Case of Durand and Ugarte v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 89, Rn. 14.
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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Wie erläutert, knüpfen die Anordnungen an das Bestehen struktureller Defizite bei der Gewährleistung der Konventionsrechte in einem Staat an, die sich im untersuchten Fall ausgewirkt haben oder jedenfalls mit diesem in Verbindung stehen. Der IAGMR ordnet jedoch grundsätzlich nicht unbesehen der zwischenzeitlich erfolgten staatlichen Bemühungen bestimmte generelle Maßnahmen zur Beseitigung dieser Probleme an. Eine Analyse der Rechtsprechung ergibt vielmehr, dass der IAGMR in der Regel nur dann besonders konkrete Maßnahmen anordnet, wenn die betroffenen Staaten nachweislich keine adäquaten Maßnahmen ergriffen haben, um dem Problem abzuhelfen oder wenn sie sich sogar ausdrücklich gegen die Vornahme solcher Maßnahmen ausgesprochen haben. So lehnt der IAGMR die Anordnung von guarantees of non-repetition ab, wenn von der Kommission oder den Beschwerdeführern nicht ausreichend dargelegt wurde, dass zwischenzeitlich ergriffene Maßnahmen nicht zur Behebung des festgestellten strukturellen Problems genügten oder wenn der Gerichtshof selbst derartige Feststellungen nicht treffen konnte.1016 Umgekehrt ordnete er sehr spezielle Maßnahmen überwiegend in solchen Fällen an, in denen sich der betreffende Staat ausdrücklich gegen Reformen ausgesprochen oder die bislang ergriffenen Maßnahmen das identifizierte Problem nachweislich nicht ausreichend adressiert hatten. Beispielhaft für letztere Beobachtung ist zum einen das Vorgehen des IAGMR in den drei Beschwerdeverfahren gegen die Dominikanische Republik, die sich gegen die prekäre aufenthalts- und staatsangehörigkeitsrechtliche Situation haitianischer Migranten und ihren Nachkommen richteten.1017 Die in diesen Fällen angeordneten guarantees of non-repetition bestanden aus teilweise sehr bestimmten Anordnungen zur Aufhebung und Neuregelung von Gesetzen, der Auflage von Ausbildungsprogrammen für Grenzbeamte sowie der Durchführung einer Medienkampagne in der Öffentlichkeit, um die Bevölkerung für die Rechte von Menschen haitianischer Abkunft zu sensibilisieren. Die starke Intervention des IAGMR rechtfertigte sich hier mit Blick auf die systematische Errichtung eines „Ausschlussregimes“ gegenüber haitianischen Migranten in der Dominikanischen Republik.1018 In Anbetracht der 1016 Vgl. etwa IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318, Rn. 470; IAGMR, Case of Chinchilla Sandoval et al v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 02. 2016, Series C No. 312, Rn. 286; IAGMR, Case of García Ibarra et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 11. 2015, Series C No. 306, Rn. 285; IAGMR, Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298, Rn. 395; IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, Rn. 266. 1017 IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282, op. Rn. 17 ff.; IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251, Rn. 269 f.; IAGMR, Case of the Girls Yean and Bosico v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 09. 2005, Series C No. 130, op. Rn. 8, Rn. 242. 1018 Siehe zum Hintergrund der Fälle oben Fn. 540 und 542.
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Tatsache, dass der Staat das Problem der Staatenlosigkeit von Dominikanern haitianischer Abstammung und die strukturelle Diskriminierung von Menschen haitianischer Herkunft zuletzt bewusst verstärkt hatte, war es eindeutig, dass der IAGMR dem Staat keine Beurteilungsspielräume hinsichtlich der Beseitigung dieses Problems einräumen konnte, sondern es hier vielmehr geboten war, geeignete Maßnahmen vorzuschreiben. Beispielhaft ist zum anderen etwa die Anordnung in Velásquez Paiz et al. v. Guatemala, durch die der Staat verpflichtet wurde, in die schulischen Lehrpläne das Problem der geschlechtsbezogenen Gewalt und der strukturellen Diskriminierung von Frauen aufzunehmen. Der IAGMR hob hervor, dass die Tatsachen des Falls in einen Kontext stetig wachsender geschlechtsbezogener Gewalt fielen und dass der Staat zwar auf Progamme im Bildungssektor verwiesen habe, sich aber nur eines dieser Programme auf die Prävention von Gewalt gegen Frauen bezogen hatte und ferner keine Informationen über den Stand der Umsetzung dieser Maßnahmen vorgebracht worden waren, sodass nunmehr die Anordnung einer solchen Maßnahme durch den IAGMR geboten erscheine: „Si bien Guatemala ha indicado que ya cuenta con programas educativos dirigidos a promover el respeto de los derechos de las mujeres, la Corte nota que, de los programas descritos por Guatemala, solo uno estaría dirigido a la prevención de la violencia contra la mujer […] Sin embargo, el Estado no proporcionó información alguna respecto del contenido, alcance o implementación de dicha ,estrategia‘. En consecuencia, teniendo en cuenta la situación de discriminación y violencia en contra de la mujer constatada, la Corte ordena al Estado, en un plazo razonable, incorporar al currículo del Sistema Educativo Nacional, en todos los niveles educativos, un programa de educación permanente sobre la necesidad de erradicar la discriminación de género, los estereotipos de género y la violencia contra la mujer en Guatemala, a la luz de la normativa internacional en la materia y la jurisprudencia de este Tribunal.“1019
Als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips kann ferner die Praxis des IAGMR angesehen werden, staatliche Initiativen aufzugreifen und allein deren konsequente Umsetzung zu bestimmen.1020 Der IAGMR nimmt bei diesen sehr konkreten Anordnungen allein den Staat „beim Wort“ und vertraut grundsätzlich darauf, dass die ergriffene Maßnahme dem identifizierten strukturellen Problem abhelfen wird. Die Autonomie des Staates bezogen auf die Auswahl der geeigneten Maßnahme bleibt hier bestehen. In diese Richtung passen auch Anordnungen, in denen der Gerichtshof allein die Umsetzung bereits verabschiedeter Gesetze anordnet, etwa in Veliz Franco v. Guatemala: Hier ordnete der IAGMR die Schaffung von Sonderzuständigkeiten in der Justiz und Staatsanwaltschaft für geschlechtsbezogene Gewalt an, die bereits gesetzlich vorgesehen, bislang aber nicht umgesetzt worden waren: 1019 IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307, Rn. 248; siehe auch IAGMR, Case of Flor Freire v. Ecuador. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2016, Series C No. 315, Rn. 237; ähnlich bereits IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257, Rn. 341. 1020 Siehe oben S. 153.
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„[…] taking into account the provisions of the Law against Femicide, the Court finds it pertinent to order the State, within a reasonable time, to implement the full functioning of the ,specialized jurisdictional organs […] throughout the Republic,‘ as well as of the special prosecutor’s office indicated in this law.“1021
Mit Blick auf die Funktion der Anordnungen des IAGMR, Impulse zur Bewältigung politischer Blockaden zu setzen, können schließlich solche Anordnungen als vereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip angesehen werden, in denen der Gerichtshof Maßnahmen aufgreift, die bislang allein im politischen Prozess debattiert, aber noch nicht umgesetzt worden sind. Die Anordnung des IAGMR rechtfertigt sich in dieser Situation noch daraus, dass so den Anliegen bestimmter Bevölkerungsgruppen, die in den Demokratien der Konventionsstaaten nur wenig Gewicht haben, größere Sichtbarkeit und Nachdruck verliehen werden kann. Insoweit erscheint etwa die Anordnung des IAGMR im Fall Velásquez Paiz v. Guatemala, eine Strategie oder ein System zur effektiven und schnellen Suche nach entführten Frauen zu entwickeln, mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar, weil sie sich auf eine entsprechende Forderung der (staatlichen) guatemaltekischen Menschenrechtskommission und einen Vorschlag im guatemaltekischen Kongress stützen konnte, der bislang allerdings noch nicht angenommen war.1022 II. Die Grenzen des Subsidiaritätsprinzips und des IAGMR Wenn die Praxis des IAGMR so überwiegend mit dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang steht – sodass der Vorwurf des „Aktivismus“ nicht zutrifft1023 – so lassen sich doch auch eine Reihe von Urteilen finden, in denen der Gerichtshof seine Anordnungen nicht mit dem generellen Unwillen des betroffenen Staates rechtfertigt oder auf die (Un-)Geeignetheit der staatlicherseits vorgebrachten Maßnahmen eingeht. Oftmals fehlt es gänzlich an einer Auseinandersetzung mit bereits eingeleiteten Reformmaßnahmen, und der Gerichtshof trifft strukturelle Anordnungen, wie etwa Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für bestimmte Gruppen von Staatsbeamten, allein weil sie allgemein zur Behebung des jeweiligen strukturellen Problems geeignet erscheinen.1024 Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip sollte sich der IAGMR 1021 IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277, Rn. 270; analog hierzu IAGMR, Case of López Soto et al. v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2018, Series C No. 362, Rn. 319 ff. 1022 Siehe oben S. 153 ff. 1023 Siehe allg. Malarino, Judicial Activism, Punitivism and Supranationalisation: Illiberal and Antidemocratic Tendencies of the Inter-American Court of Human Rights, International Criminal Law Review 12 (2012), 665; Ambos/Böhm, Tribunal Europeo de Derechos Humanos y Corte Interamericana de Derechos Humanos. ¿Tribunal tímido vs. Tribunal audaz?, in: Ferrer Mac-Gregor/Herrera García (Hrsg.), Diálogo Jurisprudencial en Derechos Humanos entre Tribunales Constitucionales y Cortes Internacionales, 2013, S. 1057. 1024 IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304,
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aber mit den Initiativen und Programmen des jeweiligen Staates auseinandersetzen und etwa primär die konsequente Umsetzung dieser Maßnahmen anordnen, statt eigenständig Präventionsmaßnahmen oder Programme zu kreieren. Nur dort, wo der betroffene Staat gänzlich inaktiv geblieben ist oder sich die bisherigen Anstrengungen als ungeeignet erwiesen haben, erscheint es geboten, konkrete Reformmaßnahmen oder Programme eigenständig vorzuschreiben. Unvereinbar mit der Subsidiarität – mehr noch: ganz allgemein mit den Befugnissen des IAGMR – erscheint schließlich eine besonders weitreichende Rechtsprechungslinie des IAGMR, die bereits oben hervorgehoben wurde: Die Feststellung der Nichtigkeit von Amnestiegesetzen oder -dekreten für schwere und massive Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit.1025 Wie erläutert, ordnet der IAGMR seit seinem wegweisenden Urteil in Barrios Altos v. Peru nicht erst die Aufhebung von für konventionswidrig erachteten Amnestieregelungen an, sondern stellt gleich deren Nichtigkeit fest: „To find that Amnesty Laws No. 26479 and No. 26492 are incompatible with the American Convention on Human Rights and, consequently, lack legal effect.“1026
Der Gerichtshof machte in Interpretationsentscheidungen und in der Folgerechtsprechung deutlich, dass er tatsächlich von der Nichtigkeit der betreffenden Rechtsakte im innerstaatlichen Rechtsraum ausgeht, sodass ein innerstaatlicher Akt zur Beseitigung des Konventionsverstoßes auf legislativer Ebene, wie ihn der Gerichtshof sonst anordnet, nicht erforderlich ist.1027 Die AMRK sieht eine Ermächtigung des Gerichtshofs zur Erklärung der Nichtigkeit innerstaatlicher Gesetze nicht vor und der Gerichtshof hat selbst keine Aussagen über seine Kompetenzen in dieser Hinsicht getroffen seit er in Barrios Altos erstmals die Nichtigkeit der peruanischen Generalamnestie apodiktisch feststellte.1028 Dies mag sich dadurch erklären, dass der Gerichtshof davon ausgeht, dass derartige Amnestien wegen eines offenkundigen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen (Art. 8 und 25 i.V.m. Art. 1 und 2 AMRK) bereits unwirksam sind: In Barrios Altos verwies der Gerichtshof zur Begründung der Nichtigkeit der Amnestie in einem ersten Schritt auf den jus cogens-Charakter der verletzten Menschenrechte und die Verpflichtung zur Rn. 201; IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218, Rn. 278; IAGMR, Case of the Miguel Castro Castro Prison v. Peru. Interpretation of the Judgment on Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 08. 2008, Series C No. 181, Rn. 442. 1025 Siehe oben S. 105 ff. 1026 IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, op. Rn. 4. 1027 Siehe oben Fn. 347 und 351. 1028 In den travaux préparatoires der Konferenz von San José finden sich ebenfalls keinerlei Diskussionen darüber, dass der IAGMR zur Aufhebung innerstaatlicher Rechtsakte berechtigt sein sollte, siehe zu den Vorbereitungen zu Art. 63 Abs. 1 AMRK oben S. 47.
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Strafverfolgung und Bekämpfung der Straflosigkeit aus Art. 8, 25 i.V.m. Art. 1 und 2 AMRK.1029 Die Nichtigkeit folgte in einem zweiten Schritt aus der Offenkundigkeit der Verletzung der Konvention („Owing to the manifest incompatibility“), da SelbstAmnestien Straflosigkeit verfestigten und die Opfer wehrlos machten.1030 Eine etwas andere Erklärung fand sich im Sondervotum Cançado Trindades in Almonacid. Hiernach stellten Amnestiegesetze jus cogens-Verletzungen dar, was ihnen, in Kombination mit einer freien Anknüpfung an die Radbruch’sche Formel, die Gesetzesnatur iSd Art. 30 AMRK absprach: „In evoking G. Radbruch’s philosophy toward the end of his life, I shall allow myself to add that self-amnesties are, in my view, the very negation of Law. They overtly violate general principles of law, such as the right of access to justice (which, in my opinion, falls within the scope of jus cogens), the principle of equality before the law, and the right to be tried by a competent court (juez natural), among others. In some cases, they have even covered up crimes against humanity and genocide. To the extent that they obstruct the administration of justice for such heinous crimes, self-amnesties are contrary to jus cogens.“1031
Im weiteren Verlauf der Rechtsprechung stellte der IAGMR zur Begründung der Nichtigkeit neben einer besonders schweren Verletzung der Pflicht zur Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen überwiegend auf die „Offenkundigkeit“ dieser Konventionsverletzung ab („given its express non-compatibility“).1032 1029 IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75, Rn. 42 f. 1030 Ibid., Rn. 44. 1031 IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge A. A. Cançado Trindade, Urt. v. 26. 09. 2006, Series C No. 154, Rn. 10; Selbst-Amnestien für schwere Menschenrechtsverletzungen sollten ferner die „aggravated liability“ des Staates zur Folge haben: „Such denial of justice is accompanied by aggravating circumstances, with their ensuing legal consequences, insofar as it implies a deliberate cover-up of violations of fundamental rights through a systematic pattern of illegal or arbitrary detention, kidnapping, torture, and forced disappearance of persons, which are absolutely prohibited under jus cogens. Consequently, the aforesaid self- amnesties bring upon the State aggravated international liability.“ Welche Konsequenzen die „aggravated liability“ habe, blieb allerdings offen; siehe dazu Scott Doucet, The Inter-American Court of Human Rights and Aggravated State Responsibility: Operationalizing the Concept of State Crime, in: Carsten Stahn/Larissa van den Herik (Hrsg.), Future Perspectives on International Criminal Justice, Den Haag 2010, S. 317. 1032 Im Fall El Mozote ging der Gerichtshof nicht mehr auf den jus cogens-Charakter der Strafverfolgungspflicht ein. Das Amnestiegesetz und seine Anwendung stelle „a serious violation of the State’s international obligation to investigate and punish the grave human rights violations relating to the massacres of El Mozote and nearby places“ aus Art. 8 und 25 AMRK dar. Ebenso verstoße die aufgrund der Amnestiegesetzgebung bestehende Situation der Straflosigkeit gegen Art. 1 AMRK. Aufgrund ihrer „evident incompatibility with the American Convention“ seien die Normen des Amnestiegesetzes, die einer Strafverfolgung im Wege stünden, nichtig. Vgl. die Begründungen in IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252, Rn. 295 f.; IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221, Rn. 231 f.; IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No
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Nicht die Entscheidung des Gerichtshofs, sondern die manifeste Konventionswidrigkeit führt nach den Begründungen des IAGMR also zur Nichtigkeit der Regelungen. Die Entscheidung des IAGMR soll nur feststellenden, deklaratorischen Charakter haben, nicht aber rechtsgestaltend sein. Dieses Verständnis zeigt sich zudem im Wortlaut des Urteils in Barrios Altos („to find“/„declarar“) sowie darin, dass die Nichtigkeit der Regelung in Almonacid Arellano v. Chile und in Gomes Lund v. Brazil im Feststellungsteil der operativen Paragraphen zu finden ist („DECLARES“/„DECLARA“), nicht aber im Anordnungsteil („DECIDES“ oder „RULES“/ „DISPONE“). Weil es sich aus Sicht des IAGMR um ein Feststellungsurteil handelt, zieht der Gerichtshof zur Begründung seiner Kompetenz auch nicht seine Rechtsfolgenkompetenzen aus Art. 63 Abs. 1 AMRK heran. Die Einordnung als Feststellungsentscheidung verschiebt allerdings nur das Problem, denn es stellt sich die Frage, ob der IAGMR zu solchen Feststellungen berechtigt ist. Kann der IAGMR die Nichtigkeit eines innerstaatlichen Rechtsakts erklären? Der IAGMR nimmt hier für sich Kompetenzen in Anspruch, wie sie staatlichen Verfassungsgerichten oder dem EuGH ausdrücklich übertragen worden sind.1033 Eine Ermächtigung des IAGMR, als quasi-Verfassungsgericht zu urteilen, könnte sich aus dem formalen Vorrang der AMRK in der innerstaatlichen Rechtsordnung einiger Konventionsstaaten ergeben.1034 Die in der Literatur viel diskutierte quasi-verfassungsgerichtliche Stellung des IAGMR knüpft an die bereits beschriebene Öffnung der Verfassungen vieler Staaten Lateinamerikas für den internationalen Menschenrechtsschutz an.1035 Auch könnte das Urteil des IAGMR in La Cantuta v. Peru eine solche Begründung nahelegen, da der Gerichtshof die Nichtigkeit der peruanischen Amnestieregelungen durch eine Untersuchung der rechtlichen Wirkung internationaler Entscheidungen in der innerstaatlichen Rechtsordnung Perus belegte.1036 Allerdings ist einzuwenden, dass der IAGMR in allen anderen Nichtigkeitsentscheidungen gerade nicht auf das Verhältnis des jeweiligen nationalen Rechts zum Völkerrecht eingegangen ist. Er prüfte also gerade nicht, ob etwa auch im chilenischen, brasilianischen, uruguayischen oder salvadorianischen Recht die eigene Entscheidung verbindliche Wirkung mit Gesetzeskraft hat – was sie etwa
219, Rn. 174; IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Rn. 119. 1033 Vgl. etwa § 78 BVerfGG oder Art. 263 AEUV, ferner Binder, Auf dem Weg zum lateinamerikanischen Verfassungsgericht? Die Rechtsprechung des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs im Bereich der Amnestien, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 71 (2011), 1; Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 54. 1034 Siehe oben S. 174 ff. 1035 Siehe oben Fn. 689 m.w.N.. 1036 IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162, Rn. 183 ff.; Góngora Mera, Inter-American Judicial Constitutionalism, 2011, S. 54.
§ 3 Die inhaltliche Reichweite der Anordnungsbefugnisse des IAGMR
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aus Sicht der brasilianischen Rechtsordnung im Übrigen nicht hat.1037 Ob die eigene Entscheidung auch nach nationalem Recht zur Nichtigkeit des Amnestiegesetzes führen kann, stellt für den IAGMR folglich keine besondere Voraussetzung dar, um die Nichtigkeit dieser Gesetze zu erklären. Kann sich aus dem Prinzip der Subsidiarität eine Berechtigung des IAGMR zur Feststellung der Nichtigkeit innerstaatlicher Rechtsakte ergeben? Manche Deutungen des Subsidiaritätsprinzips in der Literatur könnten dies nahelegen. Hiernach dürfe die internationale Ebene in Anwendung des Subsidiaritätsgedankens „an die Stelle“ der staatlichen Ebene treten, wenn und soweit dies zur effektiven Gewährleistung der Menschenrechte unbedingt geboten erscheine.1038 Nach dieser Logik könnte der IAGMR offenkundig konventionswidrige Rechtsakte wie die betreffenden Amnestieregelungen aufheben bzw. für nichtig erklären, wenn die Konventionsstaaten ihrer Verpflichtung zur Aufhebung von konventionswidrigen Gesetzen nach Art. 2 AMRK selbst nicht nachkommen. Ein solch weitreichendes Verständnis von positiver Subsidiarität stößt indes auf Bedenken. Richtig verstanden reguliert das Prinzip der Subsidiarität allein die Ausübung von Kompetenzen, verteilt sie aber nicht bereits.1039 Ob dem IAGMR die Kompetenz zur Aufhebung innerstaatlicher Rechtsakte zukommt, ist also keine Frage „positiver“ Subsidiarität, sondern allein davon abhängig, ob dem Gerichtshof eine solche Kompetenz überhaupt übertragen wurde – wofür keinerlei Anhaltspunkte bestehen. In dieser Arbeit wurde im vorangegangenen Abschnitt die Kompetenz des IAGMR zur Anordnung genereller Maßnahmen mit Blick auf die Kompetenzen des IAGMR nach Art. 62, Art. 63 Abs. 1 AMRK und Art. 33 AMRK begründet. Das Prinzip der Subsidiarität betrifft allein die Ausübung dieser Kompetenzen, begründet sie aber nicht selbst. Ebensowenig kann das Prinzip der Subsidiarität zur Begründung einer Kompetenz des IAGMR herangezogen werden, die Nichtigkeit staatlicher Rechtsakte im innerstaatlichen Rechtsraum festzustellen.
1037 Das Oberste Bundesgericht Brasiliens hat der Umsetzung der Entscheidung des IAGMR im Fall Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia) deshalb ausdrücklich die Umsetzung versagt, vgl. IAGMR, Case of Herzog et al. v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 03. 2018, Series C No. 353, Rn. 136 ff.; 311 f.; Marcos Zilli/Fabiola Girão Monteconrado/Maria Thereza Rocha de Assis Moura, O Brasil e a execução das decisões proferidas no contexto do Sistema Interamericano de Direitos Humanos, in: Kai Ambos/Ezequiel Malarino (Hrsg.), Sistema interamericano de protección de los derechos humanos y derecho penal internacional, Montevideo 2013, S. 83. 1038 In diese Richtung Negishi, The Subsidiarity Principle’s Role in Allocating Competences between Human Rights Courts and States Parties: The Hybrid Model of Centralized and Diffused Conventionality Control of Domestic Law, in: von Bogdandy/Morales Antoniazzi/ Piovesán (Hrsg.), Ius Constitutionale Commune na América Latina – Volume III – Diálogos Jurisdicionais e Controle de Convencionalidade, 2016, S. 125. 1039 Feichtner, Subsidiarity, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2007, Rn. 27: „Once international institutions have been endowed with competences, subsidiarity can guide the decision on whether and how these competences are exercised.“
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Teil 3: Guarantees of non-repetition und die Befugnisse des IAGMR
Die Feststellung der Nichtigkeit von Amnestiegesetzen durch den IAGMR sollte nicht zu bereitwillig als ein Indiz für eine generelle Verschiebung der Grenzen zwischen internationaler und staatlicher Ebene im Inter-Amerikanischen System angesehen werden.1040 Sie muss zum einen im Kontext des Barrios Altos-Verfahrens gesehen werden, in dem die Übergangsregierung Perus den IAGMR implizit zu dieser Feststellung aufforderte.1041 Zum anderen ist die Nichtigkeitsentscheidung mit dem Gegenstand der Amnestiegesetze und -dekrete verknüpft, da die Feststellung der Nichtigkeit eine Lösung für das im Transitional Justice-Kontext auftretende Problem des Rückwirkungsverbots liefert.1042 Durch die Nichtigkeit des Amnestiegesetzes ex tunc sollten Strafverfolgungsmaßnahmen ermöglicht werden, die bei einer Aufhebung der Gesetze ex nunc mit dem Rückwirkungsverbot in Konflikt geraten wären. Nichts deutet darauf hin, dass der IAGMR auch mit Blick auf die anderen Rechtsmaterien zum Instrument der Nichtigerklärung greifen würde. Die „Nichtigerklärung“ der Amnestiegesetze und -dekrete muss schließlich im Zusammenhang mit der rhetorischen Dimension der Urteile und Anordnungen des IAGMR gesehen werden, auf die eine überwiegend dogmatisch-deskriptiv ausgerichtete Analyse, wie sie in dieser Arbeit vorgenommen worden ist, allein hinweisen kann. Die Anordnungen des IAGMR sind immer mehr als bloße Rechtsakte. Sie sollen ihre Adressaten, die Regierungen, insbesondere aber auch innerstaatliche Gerichte überzeugen, bestimmte Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Die Erklärung der „Nichtigkeit“, mit Pathos begründet, nämlich mit der Offenkundigkeit der Verletzung der Rechte der Opfer, muss auch als ein rhetorisches Mittel angesehen werden. Der IAGMR bedient sich dieses Stilmittels insbesondere, um innerstaatliche Stellen, aber auch Aktivisten und NGOs, in der innerstaatlichen Debatte zu legitimieren, wenn sie die konsequente Strafverfolgung vergangenen Unrechts einfordern. Wenngleich die Nichtigerklärung der Amnestiegesetze insoweit in einer moralischen und politischen Hinsicht richtig erscheint, so ist gleichwohl festzuhalten, dass mit Blick auf die begrenzten Befugnisse des IAGMR eine rechtliche Grundlage nicht besteht.
1040
Siehe auch die Deutung von Micus, The inter-American human rights system as a safeguard for justice in national transitions: from amnesty laws to accountability in Argentina, Chile and Peru, 2015, S. 158 ff. 1041 Siehe oben Fn. 1015. 1042 Siehe oben Fn. 349.
Schlussbetrachtung Die vorliegende Arbeit hat die Anordnung struktureller Reformen durch den Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte untersucht, ihren rechtlichen Kontext, ihre Inhalte und materiellen und prozessualen Voraussetzungen, ihre Umsetzung durch die Vertragsstaaten sowie ihre rechtlichen Grundlagen in der AMRK. Neben der Analyse der Praxis des IAGMR lag das Erkenntnisinteresse dabei auf der Beantwortung von Fragen, die sich allgemein aus einer Entwicklung der internationalen Menschenrechtsgerichtsbarkeit hin zur Anordnung und Überwachung struktureller Reformen ergeben haben.
A. Der Hintergrund der guarantees of non-repetition Mit Blick auf die eingangs formulierten Leitfragen erscheint es zunächst notwendig, noch einmal den Kontext hervorzuheben, in dem sich die strukturellen Anordnungen des IAGMR entwickelt haben. Es handelt sich hierbei nicht um eine Praxis, die in der Rechtsfolgenkompetenz des IAGMR, Art. 63 Abs. 1 AMRK, angelegt ist. Diese Norm hält für den IAGMR zwar vergleichsweise weitreichende Befugnisse bereit, die Anordnung von strukturellen Reformen sieht sie aber nicht vor. Diese Maßnahmen haben sich vielmehr erst im Verlauf der Rechtsprechung des IAGMR entwickelt. Schritt für Schritt, im Zusammenhang mit der Ausweitung der Rechtsfolgenanordnungen und der Entwicklung der Compliance-Phase, ist der Gerichtshof seit der Jahrtausendwende dazu übergegangen, neben der finanziellen Entschädigung im Einzelfall auch eine Vielzahl nicht-finanzieller Maßnahmen anzuordnen, die nicht primär ausgleichende oder wiederherstelle Funktionen erfüllen, sondern (general-)präventiver Natur sind. Die guarantees of non-repetition waren dabei zunächst Teil sämtlicher „other forms of reparation“. Im vergangenen Jahrzehnt haben sie sich zu einem autonomen Rechtsfolgenausspruch des IAGMR entwickelt. Im Hintergrund der guarantees of non-repetition stehen einige Aspekte, die für das Inter-Amerikanische System spezifisch erscheinen. Dies ist zum einen der institutionelle Kontext des IAGMR, der keine Individualbeschwerde zulässt. Die vor den Gerichtshof gebrachten Fälle sind in der Regel paradigmatische Beschwerden und weisen auf eine Vielzahl vergleichbarer Rechtsverletzungen im betroffenen Staat oder in der ganzen Region hin. Sie werden oftmals durch NGOs in strategischer Absicht vor das Inter-Amerikanische Menschenrechtssystem gebracht und, ebenfalls mit strategischer Absicht, durch die IAKMR zum Gerichtshof weitergeleitet. Anders
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Schlussbetrachtung
als im europäischen System ist die generelle Dimension der Fälle daher schon im institutionellen Kontext des IAGMR angelegt. In diesem Zusammenhang müssen auch die geringen Ressourcen des IAGMR hervorgehoben werden. Es handelt sich beim IAGMR um ein nicht-ständiges Gericht mit ca. vierzig Mitarbeitern, das jährlich über knapp zwanzig Beschwerden entscheidet – und dessen streitige Gerichtsbarkeit sich auf zwanzig Staaten Lateinamerikas mit insgesamt mehreren hundert Millionen Einwohnern bezieht, in einer Region, in der rechtsstaatliche Institutionen fragil sind und die Demokratie bestimmte Bevölkerungsteile faktisch ohne Stimme lässt. In einer solchen Situation erscheint es naheliegend, dass der IAGMR einen vorlegten Fall nicht „ungenutzt“ lässt, sondern über den Einzelfall hinaus auf die Wahrung der Menschenrechte im betroffenen Staat Einfluss zu nehmen versucht, wobei im Inter-Amerikanischen System eine spezielle Institution zur Überwachung der Urteilsumsetzung nicht existiert und der Gerichtshof selbst die Konsequenzen aus den festgestellten Rechtsverletzungen überwachen muss. Zum anderen ist auf besondere normative Entwicklungen hinzuweisen, die hinter den guarantees of non-repetition stehen. Dies ist zunächst einmal Art. 2 AMRK, der die allgemeinen Verpflichtungen der Staaten zur Anpassung der Rechtslage und der Gewährleistung der effektiven Wirksamkeit der Konventionsrechte explizit macht. Der IAGMR greift bei der Anordnung von guarantees of non-repetition auf die Verpflichtung nach Art. 2 AMRK zurück, zu dem im europäischen Menschenrechtsschutz kein ausdrückliches Äquivalent besteht. Daneben ist auf die Idee der Opferrechte auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung (verdad, justícia y reparación) hinzuweisen, wie sie sich in Lateinamerika nach dem Ende der Militärdiktaturen und der bewaffneten Konflikte in den 1990er Jahren – auch unter Einfluss des IAGMR – entwickelt haben. Das darin enthaltene Konzept der Wiedergutmachung für schwere Menschenrechtsverletzungen reicht über Wiederherstellung und Ausgleich im Einzelfall hinaus. Es ist eine Praxis, die der Gesellschaft als Ganze dienen kann, indem sie einerseits Einschränkungen des Prinzips der Naturalrestitution erlaubt, andererseits aber auch nicht-finanzielle, präventiv ausgerichtete Maßnahmen mit einbezieht. In diesem Zusammenhang muss auch auf die Ähnlichkeit des IAGMR zur Praxis der Wahrheitskommissionen hingewiesen werden, die in den vergangenen Jahrzehnten beinahe in sämtlichen Staaten der Region tätig waren. Wie bei diesen Kommissionen lässt auch der IAGMR die Opfer von Rechtsverletzungen prominent zu Wort kommen, gibt ihre Geschichte in Form einer autoritativen Erzählung wieder und schließt mit generellen Handlungsanweisungen, die aus der Perspektive der Opfer – aber auch im Interesse der rechtsstaatlichen Entwicklung im betroffenen Staat – geboten erscheinen. Es ist der Rückgriff auf derartige Ideen aus dem Transitional Justice-Kontext, auf die normativierten Interessen der Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen und die besondere moralische Autorität, die Opfern beigemessen wird, die den Ansatz des IAGMR kennzeichnen. Neben diesen Besonderheiten stehen im Hintergrund der guarantees of non-repetition aber auch Umstände, die ebenso für die strukturellen Anordnungen anderer
Schlussbetrachtung
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Institutionen, allen voran des EGMR, entscheidend sind. Dies sind namentlich die strukturellen Defizite bei der Umsetzung und der Garantie der Konventionsrechte in den Konventionsstaaten, die für das regionale Schutzsystem zu dem Problem einer Vielzahl vergleichbarer Beschwerden geführt haben. Anders als vor dem EMGR gelangen diese Beschwerden zwar nicht vor den Gerichtshof selbst, doch führen sie vor der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission zu einer Verfahrensflut, die der Gerichtshof durch seine strukturellen Anordnungen und seine starke Involvierung in die Urteilsumsetzung abzuhelfen versucht.
B. Inhalte, Voraussetzungen und Verfahren Die guarantees of non-repetition bezeichnen in der Praxis des IAGMR generelle Maßnahmen im Urteilstenor, die den gesetzlichen, institutionellen oder kulturellen, d. h. den strukturellen Wurzeln der festgestellten Rechtsverletzungen abhelfen und die Wahrung der Konventionsrechte im verurteilten Staat verbessern sollen. Sie umfassen die Anordnung zur Aufhebung und/oder Neuregelung von Gesetzen, institutionelle Reformen, Aus- und Fortbildungsprogramme für Staatsbeamte und andere Personengruppen sowie Sensbilisierungs- und Menschenrechtsbildungskampagnen für die Bevölkerung im gesamten Staat oder einem bestimmten Gebiet. Wie verfährt der IAGMR bei der Anordnung von guarantees of non-repetition? Hervorzuheben ist zunächst noch einmal, dass der IAGMR keine besondere Verfahrensart für die strukturellen Anordnungen entwickelt hat. Guarantees of nonrepetition beruhen auf der Thematisierung und Feststellung struktureller Defizite im Rahmen der Untersuchung einer vorgelegten Beschwerde. Die Einbettung des entschiedenen Falls in den Kontext eines bestimmten strukturellen Defizits beruht in der Regel auf den Darstellungen der IAKMR. Die Kommission macht die paradigmatische Natur der vorgelegten Beschwerde im Rahmen ihres Antrags sowie in der mündlichen Verhandlung deutlich und verknüpft diese Feststellungen mit der Forderung nach strukturellen Reformanordnungen durch den IAGMR. Der IAGMR greift bei seinen Feststellungen überwiegend auf die Berichte der IAKMR zurück, befragt ferner aber auch Sachverständige im Rahmen der mündlichen Verhandlungen oder nutzt Informationen, die von den Beschwerdeführern oder vom Staat selbst zur Verfügung gestellt werden. Ein besonderer Beweismaßstab für das Bestehen eines strukturellen Defizits ist nicht ersichtlich. Das Vorliegen struktureller Defizite taucht sodann an unterschiedlichen Stellen des Urteils auf, teilweise im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung („context of the case“), teilweise im Rahmen der Merits, wenn der IAGMR eine Rechtsverletzung im Einzelfall auf das Bestehen struktureller Defizite – meist legislativer Natur – zurückführt und diese Defizite als Verletzung von Art. 2 AMRK wertet und teilweise erst im Rahmen der Reparations bei der Erörterung von guarantees of non-repetition. Hier könnte eine einheitliche Praxis helfen, um die Anordnungen des IAGMR transparenter zu machen.
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Schlussbetrachtung
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu bemerken, dass die Anordnung von guarantees of non-repetition nicht an entsprechende Anträge der Verfahrensparteien geknüpft ist. Oftmals trifft der IAGMR diese Anordnungen aus eigenem Antrieb. Als eine wesentliche Voraussetzung der Anordnungen hat sich gezeigt, dass die strukturellen Defizite, die zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung bestanden, zum Zeitpunkt des Urteils weiterhin bestehen müssen und der Staat nach der Überzeugung des IAGMR keine geeigneten Maßnahmen zur Abhilfe dieser Probleme ergriffen hat. Hinsichtlich des Fortbestehens der strukturellen Probleme und der Geeignetheit der zwischenzeitlich ergriffenen Reformen lässt sich aus der Praxis des IAGMR allerdings nicht eindeutig entnehmen, welcher Grad an Sicherheit auf Seiten des Gerichtshofs vonnöten ist. Die Anordnung und Inhaltsbestimmung der guarantees of non-repetition beruht sodann grundsätzlich auf einer Ermessensentscheidung des IAGMR. Hier konnten aus der Praxis des IAGMR mit der politischen Opportunität von Reformanordnungen, der Schwere der Rechtsverletzungen und dem Informationsstand des IAGMR drei Determinanten herausgearbeitet werden. Hinsichtlich der Tenorierung der guarantees of non-repetition kann festgestellt werden, dass deren Detailgrad überwiegend niedrig ist und regelmäßig allein die bereits bestehenden Verpflichtungen der Staaten nach der AMRK wiederholt. In einigen Urteilen hat der IAGMR das Auswahlermessen des betroffenen Staates allerdings stark eingeschränkt, indem er verbindliche Anordnungen zur Umsetzung der Reformen traf oder ganz konkrete Reformmaßnahmen vorschrieb. Die Compliance-Phase ist im Inter-Amerikanischen System nicht einem „politischen“ Organ der OAS überantwortet, sondern wird vom IAGMR selbst gesteuert. Der IAGMR ist in die Umsetzung der guarantees of non-repetition stark involviert. Er gibt Fristen zur Umsetzung vor, holt Stellungnahmen des Staates und der Verfahrensparteien ein und hält Anhörungen ab, bei denen die Fortschritte bei der Urteilsumsetzung untersucht werden und die gleichzeitig ein Forum für den Dialog der Parteien bieten. In seinen Beschlüssen zur Urteilsumsetzung stellt der IAGMR die Befolgung seiner Anordnungen förmlich fest oder fordert den betroffenen Staat ggf. zur Vornahme zusätzlicher Maßnahmen oder zur Bereitstellung weiterer Informationen auf. Insgesamt ergibt sich aus der Praxis des IAGMR eine sehr aktive Rolle des Gerichtshofs im Rahmen der guarantees of non-repetition, die von der eigenständigen Ermittlung von Informationen über zugrundeliegende strukturelle Probleme bis hin zur engen (und ressourcenintensiven) Überwachung der Umsetzung der eigenen Anordnungen reicht.
C. Die Befugnisse des IAGMR Die Praxis des IAGMR bei der Anordnung und Überwachung der guarantees of non-repetition überschreitet die Grenzen dessen, was herkömmlicherweise als Aufgabe eines Gerichts verstanden wird. Die Befassung mit einer vorgelegten In-
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dividualbeschwerde wird vor dem IAGMR zum Ausgangspunkt einer Thematisierung und Reform struktureller Probleme des Menschenrechtsschutzes in einem Staat. Insbesondere in Verknüpfung mit der engen Führung im Compliance-Verfahren, d. h. der Anordnung von Berichtspflichten und der teilweise über viele Jahre andauernden Involvierung bei der Überwachung der Umsetzung der angeordneten Maßnahmen, geht die Praxis des IAGMR über die Funktionen einer Institution der Streitbeilegung weit hinaus. Der IAGMR weist hier Charakteristika eines Compliance-Regimes auf. Dies sind Verfahren, die systematisch auf eine objektive Kontrolle der Einhaltung internationaler Verpflichtungen angelegt sind. Statt auf der Beilegung eines Streits über Rechtsverletzungen der Vergangenheit liegt der Fokus von Compliance-Regimen auf der Unterstützung der zukünftigen Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch technische Hilfestellung und politischen Druck.1043 Mit Blick auf die Kompetenzen des IAGMR kann zunächst festgehalten werden, dass die Thematisierung und Feststellung struktureller Defizite im Rahmen des Beschwerdeverfahrens mit der Reichweite der streitigen Gerichtsbarkeit ratione materiae gem. Art. 62 AMRK vereinbar erscheint. Dies nicht zuletzt, weil begründet werden kann, dass der IAGMR in funktionaler Hinsicht gerade nicht allein auf den subjektiven Rechtsschutz beschränkt ist, sondern auch objektiv-rechtliche Funktionen mit Blick auf die Wahrung der Konvention als Ganze erfüllt. Hinsichtlich der Befugnisse zur Anordnung struktureller Reformen wurde zunächst auf den Ansatz des IAGMR hingewiesen, der auf das Institut der guarantees of non-repetition zurückgreift, wie es die ILC im Rahmen der Kodifikation des Rechts der Staatenverantwortlichkeit entwickelt hat. Die guarantees of non-repetition liefern dem IAGMR ein Instrument, um auf der Ebene der Rechtsfolgen die Grenzen des entschiedenen Falls zu überschreiten. Sie sind das Mittel, mit dem der IAGMR das primär auf den subjektiven Rechtsschutz ausgerichtete Beschwerdeverfahren zu einem Instrument struktureller Reformen ausgebaut hat. Dieser Ansatz geht gleichwohl, wie dargelegt worden ist, mit einer Reihe von Problemen und Inkohärenzen einher. Hervorgehoben wurde insbesondere die unsichere völkerrechtliche Geltung der guarantees of non-repetition. Darüber hinaus wurden Zweifel formuliert, ob der IAGMR überhaupt jenseits von Art. 63 Abs. 1 AMRK auf das Recht der Staatenverantwortlichkeit zugreifen kann. Aufgrund der Schwierigkeiten, die mit der Anknüpfung der Anordnung struktureller Reformen an einen Konventionsverstoß im Einzelfall einhergehen, wurden alternative Begründungen untersucht, die den objektiv-rechtlichen Charakter der Anordnungen des IAGMR offen anerkennen. In diesem Zusammenhang wurde dargelegt, dass die Aufgaben, die der IAGMR bei der Wahrung der Konventionsrechte in einem Staat erfüllt, auch als Grundlage für die Anordnung struktureller 1043 Siehe hierzu Andreas Zimmermann, Dispute resolution, compliance control and enforcement in human rights law, in: Geir Ulfstein/Thilo Marauhn/Andreas Zimmermann (Hrsg.), Making Treaties Work: Human Rights, Environment and Arms Control, Cambridge 2007, S. 15.
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Reformen herangezogen werden können. Die Befugnis des IAGMR zur Anordnung struktureller Reformen ergibt sich insbesondere aus einer Auslegung des Art. 63 Abs. 1 AMRK im Lichte der objektiven Funktionen der streitigen Gerichtsbarkeit des IAGMR. Daneben wurde auf die Rolle des IAGMR bei der Überwachung der Urteilsumsetzung sowie auf den Konsens der Vertragsstaaten hingewiesen. Schließlich wurden die Frage thematisiert, wie inhaltlich bestimmt die Anordnungen des IAGMR ausfallen dürfen und wie sich der teils große Detailgrad der Anordnungen des IAGMR rechtfertigen lässt. Dabei wurde das Subsidiaritätsprinzip herangezogen, das die Ausübung der Anordnungsbefugnsse des IAGMR zu steuern vermag. Das Subsidiaritätsprinzip ist auf den IAGMR zwar anwendbar, doch ist es – im Blick auf die besonderen Herausforderungen der Gewährleistung der Menschenrechte in den Konventionsstaaten – gewissen Modifikationen unterworfen. In Anwendung des Subsidiaritätsprinzips konnte gezeigt werden, dass, mit Ausnahme der Nichtigerklärung innerstaatlicher Gesetze, die Anordnungen des IAGMR grundsätzlich vereinbar sind mit der Rolle, die der IAGMR im Gefüge des InterAmerikanischen Menschenrechtsschutzes spielt.
D. Fazit Der IAGMR steht mit der Anordnung von guarantees of non-repetition beispielhaft für die eingangs skizzierte Hinwendung der internationalen Menschenrechtsgerichtsbarkeit zu Aufgaben, die mit der zukünftigen Einhaltung der Konventionsrechte in einem Vertragsstaat zu tun haben. Zwar dürfen die Besonderheiten im Hintergrund der Praxis des IAGMR und der Art und Weise ihrer Umsetzung nicht übersehen werden, doch liefert der IAGMR ein wichtiges Beispiel dafür, wie solche strukturellen Anordnungen verfahrensmäßig bewältigt und völkerrechtlich begründet werden können. Gleichzeitig zeigt die Praxis des IAGMR aber auch die Grenzen auf, die für strukturelle Reformanordnungen internationaler Gerichte bestehen. Diese liegen zum einen in dem immer nur unzureichenden Wissen der internationalen Ebene mit Blick auf die konkret notwendigen Maßnahmen, um einem bestimmten strukturellen Problem abzuhelfen. Zum anderen liegen die Grenzen in der Legitimität eines internationalen Gerichtshofs, da bei immer weitreichenderen Anordnungen die Begründungslasten im Rahmen des dargelegten Subsidiaritätsprinzips steigen. Und schließlich ist auf die Probleme bei der Umsetzung der Anordnungen hinzuweisen. Für den IAGMR konnte gezeigt werden, dass dessen Anordnungen oftmals nicht oder nur in abgeschwächter Form in den Staaten Wirkung entfalten. Wenngleich also aus völkerrechtsdogmatischer Sicht die Anordnung struktureller Reformen begründet werden kann, so ist damit allenfalls ein kleiner Schritt bei der Bewältigung struktureller Probleme des Menschenrechtsschutzes getan.
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Statute of the Inter-American Court of Human Rights, 01. 10. 1979, OAS General Assembly Resolution 448 (IX-0/79). Abrufbar unter: http://www.oas.org/en/iachr/mandate/basic_docu ments.asp. Rules of Procedure of the Inter-American Court of Human Rights, angenommen durch den IAGMR in seiner 85. Sitzungsperiode vom 16. bis 28. 11. 2009. Abrufbar unter: http://www. oas.org/en/iachr/mandate/basic_documents.asp. Rules of Procedure of the Inter-American Commission on Human Rights, angenommen durch die IAKMR in ihrer 137. Sitzungsperiode vom 28. bis 13. 11. 2009, geändert am 02. 09. 2011 und während der 147. Sitzungsperiode von 8. bis 22. 03. 2013. Abrufbar unter: http://www. oas.org/en/iachr/mandate/basic_documents.asp. IAKMR, Annual Report 1985 – 1986, 1987. Abrufbar unter: http://www.oas.org/en/iachr/re ports/annual.asp. IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2010, 2011. Abrufbar unter: http://www.oas.org/en/iachr/reports/annual.asp. Inter-American Commission of Women, Guide to the application of the Inter-American Convention on the Prevention, Punishment and Eradication of Violence against Women (Belém do Pará Convention), 2014, OEA/Ser.L/II.6.14. IAKMR, Report on the Situation of Human Rights in the Dominican Republic, 2015, OEA/ Ser.L/V/I., Doc. 45/15. IAKMR, Indigenous Peoples, Afro-Descendent Communities, and Natural Resources: Human Rights Protection in the Context of Extraction, Exploitation, and Development Activities, 2015, OEA/Ser.L/V/II., Doc. 47/15. IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2015, 2016. Abrufbar unter: http://www.corteidh.or.cr/sitios/informes/docs/ENG/eng_2015.pdf. IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2016, 2017. Abrufbar unter: http://www.corteidh.or.cr/sitios/informes/docs/ENG/eng_2016.pdf. IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2017, 2018. Abrufbar unter: http://www.corteidh.or.cr/sitios/informes/docs/ENG/eng_2017.pdf. IAKMR, Situation of Human Rights of the Indigenous and Tribal Peoples of the Pan-Amazon Region, 2019, OAS/Ser.L/V/II., Doc. 176. IAGMR, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 2019, 2020. Abrufbar unter: http://www.corteidh.or.cr/tablas/informe2019/ingles.pdf.
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Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Compensation for victims of gross violations of human rights, Resolution 1989/13 v. 31. 08. 1989, E/CN.4/ 1990/2. Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Study Concerning the Right to Restitution, Compensation and Rehabilitation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Fundamental Freedoms, Final report submitted by Mr. Theo van Boven, Special Rapporteur, 02. 07. 1993, UN Doc E/CN. 4/Sub.2/1993/8. Commission on Human Rights, Note prepared by the former Special Rapporteur of the Sub Commission, Mr. Theo van Boven, in accordance with paragraph 2 of Sub Commission resolution 1996/28, 13. 01. 1997, E/CN.4/1997/104, Annex. Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Question of the impunity of perpetrators of human rights violations (civil and political). Final report prepared by Mr. Joinet pursuant to Sub-Commission decision 1996/119, 26. 06. 1997, E/CN.4/Sub.2/ 1997/20. Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Question of the impunity of perpetrators of human rights violations (civil and political), Revised final report prepared by Mr. Joinet pursuant to Sub-Commission decision 1996/119, 2. 10. 1997, E/CN.4/ Sub.2/1997/20/Rev.1. Commission on Human Rights, The right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of grave violations of human rights and fundamental freedoms, Resolution 1998/43 v. 17. 04. 1998, E/CN.4/1998/177. Commission on Human Rights, The right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of gross violations of human rights and fundamental freedoms. Final report of the Special Rapporteur, Mr. M. Cherif Bassiouni, submitted in accordance with Commission resolution 1999/33, 18. 01. 2000, E/CN.4/2000/62. Human Rights Committee, Nature of the General Legal Obligation on States Parties to the Covenant, General Comment 31, 29. 03. 2004, CCPR/C/21/Rev.1/Add.13. General Assembly, Responsibility of States for internationally wrongful acts, Resolution v. 12. 12. 2001, A/RES/56/83.Security Council, The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies: Report of the Secretary General, 23. 08. 2004, S/2004/ 616. Commission on Human Rights, Updated Set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity, 08. 02. 2005, A/RES/60/147. Economic and Social Council, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution 2005/30 v. 19. 04. 2005. Commission on Human Rights, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution 2005/35 v. 19. 04. 2005, E/CN.4/ 2005/135. General Assembly, Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution 60/147 v. 16. 12. 2005, A/RES/60/147.
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Human Rights Council, Report of the Special Rapporteur on the promotion of truth, justice, reparation and guarantees of non-recurrence, Pablo de Greiff, 07. 09. 2015, A/HRC/30/42. Human Rights Committee, Guidelines on measures of reparation under the Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights, 30. 11. 2016, CCPR/C/158.
III. ILC ILC, Survey of International Law in Relation to the Work of Codification of the International Law Commission, 10. 02. 1949, A/CN.4/1/Rev. 1. ILC, Report on International Responsibility by Mr. F.V. Garcia Amador, Special Rapporteur, 20. 01. 1956, A/CN.4/96, Yearbook of the International Law Commission 1956, vol. II, S. 174 – 231. ILC, International responsibility: Sixth report by F. V. García Amador, Special Rapporteur, 26. 01. 1961, A/CN.4/134 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1961, vol. II, S. 2 – 54. ILC, First report on State responsibility by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur – Review of previous work on codification of the topic of the international responsibility of States, 07. 05. 1969, A/CN.4/217, Corr.1 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1969, vol. II, S. 126 – 156. ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur, 20. 04. 1970, A/CN.4/233, Yearbook of the International Law Commission 1970, vol. II, S. 177 – 197. ILC, Fifth Report on State responsibility, by Mr. Roberto Ago, Special Rapporteur, 22. 03. 1976, A/CN.4/291 and Add.1 & 2 and Corr.1, Yearbook of the International Law Commission 1976, vol. II (Part One), S. 3 – 54. ILC, Report of the International Law Commission on the work of its Thirty-second session, 1980, A/35/10, Yearbook of the International Law Commission 1980, vol. II (Part Two), S. 4 – 173. ILC, Second Report on the content, forms and degrees of international responsibility by Mr. Willem Riphagen, Special Rapporteur, 05. 05. 1981, A/CN.4/344, Yearbook of the International Law Commission, vol. II (Part One), S. 79 – 102. ILC, Third Report on the content, forms and degrees of international responsibility (part 2 of the articles), by Mr. Willem Riphagen, Special Rapporteur, 12. 03. 1982, A/CN.4/354 and Add.1 and 2, Yearbook of the International Law Commission, vol. II (Part One), S. 22 – 50. ILC, Preliminary Report on State Responsibility, Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 18. 05. 1988, A/CN.4/416 & Corr.1 & 2 and Add.1 & Corr.2, Yearbook of the International Law Commission 1988, vol. II (Part Two), S. 6 – 42. ILC, Second report on State responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 09. 06. 1989, A/CN.4/425 and Add.1, Yearbook of the International Law Commission 1989, vol. II (Part One), S. 1 – 58.
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ILC, Draft articles on State responsibility provisionally adopted by the Commission on first reading, 1996, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 1996 (Part Two), S. 58 – 65. ILC, State responsibility, Comments and observations received from Governments, 25. 03. 1998, A/CN.4/488. ILC, First report on State responsibility, by Mr. James Crawford, Special Rapporteur, 24. 04. 1998, A/CN.4/490 and Add. 1 – 7, S. 3 – 80. ILC, Report of the International Law Commission on the work of its fiftieth session, 1998, A/53/ 10, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 1998 (Part Two), S. 6 – 113. ILC, Third report on State responsibility, by Mr. James Crawford, Special Rapporteur, 15. 03. 2000, A/CN.4/507 and Add.–4, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2000 (Part Two), S. 3 – 111. ILC, Report of the International Law Commission on the work of its fifty-second session (2000). Topical summary of the discussion held in the Sixth Committee of the General Assembly during its fifty-fifth session prepared by the Secretariat, 15. 02. 2001, A/CN.4/513. ILC, Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. 26 – 30. ILC, Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session, 2001, A/ 56/10, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. 20 – 143. ILC, Responsibility of States for internationally wrongful acts, General Commentary, 2001, Yearbook of the International Law Commission, vol. II 2001 (Part Two), S. 31 – 143. ILC, Second report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties by Georg Nolte, Special Rapporteur, 26. 03. 2014, A/CN.4/671. ILC, Second report on identification of customary international law by Michael Wood, Special Rapporteur, 22. 05. 2014, A/CN.4/672. ILC, Third report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties by Georg Nolte, Special Rapporteur, 07. 04. 2015, A/CN.4/683.
C. Urteile und Beschlüsse internationaler Gerichte I. Urteile des IAGMR, inkl. Sondervoten IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Preliminary Objections, Urt. v. 26. 06. 1987, Series C No. 1. IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Merits, Urt. v. 29. 07. 1988, Series C No. 4. IAGMR, Case of Godínez Cruz v. Honduras. Merits, Urt. v. 20. 01. 1989, Series C No. 5. IAGMR, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 7. IAGMR, Case of Godínez-Cruz v. Honduras. Reparations and Costs, Urt. v. 21. 07. 1989, Series C No. 8.
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IAGMR, Case of Velásquez Rodríguez v. Honduras. Interpretation of the Judgment of Reparations and Costs, Urt. v. 17. 08. 1990, Series C No. 9. IAGMR, Case of Godínez-Cruz v. Honduras. Interpretation of the Judgment of Reparations and Costs, Urt. v. 17. 08. 1990, Series C No. 10. IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Merits, Urt. v. 04. 12. 1991, Series C No. 11. IAGMR, Case of Aloeboetoe et al. v. Suriname. Reparations and Costs, Urt. v. 10. 09. 1993, Series C No. 15. IAGMR, Case of Gangaram Panday v. Suriname. Merits, Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judges Picado-Sotela, Aguiar-Aranguren and Cançado Trindade Urt. v. 21. 01. 1994, Series C No. 16. IAGMR, Case of Genie Lacayo v. Nicaragua. Preliminary Objections, Urt. v. 27. 01. 1995, Series C No. 21. IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Merits, Urt. v. 08. 12. 1995, Series C No. 22. IAGMR, Case of Neira Alegría et al. v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 1996, Series C No. 29. IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 01. 1997, Series C No. 31. IAGMR, Case of Caballero Delgado and Santana v. Colombia. Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Cançado Trindade Urt. v. 29. 01. 1997, Series C No. 31. IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Merits, Urt. v. 17. 09. 1997, Series C No. 33. IAGMR, Case of Castillo Páez v. Peru. Merits, Urt. v. 03. 11. 1997, Series C No. 34. IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Merits, Urt. v. 24. 01. 1998, Series C No. 36. IAGMR, Case of Benavides Cevallos v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 06. 1998, Series C No. 38. IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 1998, Series C No. 39. IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42. IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs. Joint Concurring Opinion of Judges A.A. Cançado Trindade and A. Abreu Burelli, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42. IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Reparations and Costs. Separate Concurring Opinion of Judge Jackman, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 42. IAGMR, Case of Castillo Páez v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 1998, Series C No. 43. IAGMR, Case of Sua´rez-Rosero v. Ecuador. Reparations and Costs, Urt. v. 20. 01. 1999, Series C No. 44. IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 01. 1999, Series C No. 48.
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IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 05. 1999, Series C No. 52. IAGMR, Case of Ivcher Bronstein v. Peru. Competence, Urt. v. 24. 09. 1999, Series C No. 54. IAGMR, Case of the Constitutional Court v. Peru. Competence., Urt. v. 24. 09. 1999, Series C No. 55. IAGMR, Case of Cesti Hurtado v. Peru. Merits, Urt. v. 29. 09. 1999, Series C No. 56. IAGMR, Case of Blake v. Guatemala. Interpretation of the Judgment of Reparations and Costs, Urt. v. 01. 10. 1999, Series C No. 57. IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagran-Morales et al.) v. Guatemala. Merits, Urt. v. 19. 11. 1999, Series C No. 63. IAGMR, Case of Durand and Ugarte v. Peru. Merits, Urt. v. 16. 08. 2000, Series C No. 68. IAGMR, Case of Cantoral-Benavides v. Peru. Merits, Urt. v. 18. 08. 2000, Series C No. 69. IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Merits, Urt. v. 25. 09. 2000, Series C No. 70. IAGMR, Case of the Constitutional Court v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 01. 2001, Series C No. 71. IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 02. 2001, Series C No. 72. IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73. IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo-Bustos et al.) v. Chile. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade Urt. v. 05. 02. 2001, Series C No. 73. IAGMR, Case of Ivcher Bronstein v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2001, Series C No. 74. IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75. IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits. Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75. IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Merits. Concurring Opinion of Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 14. 03. 2001, Series C No. 75. IAGMR, Case of the „White Van“ (Paniagua Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 25. 05. 2001, Series C No. 76. IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77. IAGMR, Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala. Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge A.A. Cançado Trindade, Urt. v. 26. 05. 2001, Series C No. 77. IAGMR, Case of Cesti Hurtado v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 31. 05. 2001, Series C No. 78.
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IAGMR, Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2001, Series C No. 79. IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2001, Series C No. 87. IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88. IAGMR, Case of Cantoral Benavides v. Peru. Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 88. IAGMR, Case of Durand and Ugarte v. Peru. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 12. 2001, Series C No. 89. IAGMR, Case of Las Palmeras v. Colombia. Merits, Urt. v. 06. 12. 2001, Series C No. 90. IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91. IAGMR, Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala. Reparations and Costs. Concurring Opinion of the Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 22. 02. 2002, Series C No. 91. IAGMR, Case of Trujillo Oroza v. Bolivia. Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2002, Series C No. 92. IAGMR, Case of Hilaire, Constantine and Benjamin et al. v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 06. 2002, Series C No. 94. IAGMR, Case of the Caracazo v. Venezuela. Reparations and Costs, Urt. v. 29. 08. 2002, Series C No. 95. IAGMR, Case of Juan Humberto Sánchez v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 06. 2003, Series C No. 99. IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100. IAGMR, Case of Bulacio v. Argentina. Merits, Reparations and Costs. Reasoned Opinion of Judge A.A. Cançado Trindade, Urt. v. 18. 09. 2003, Series C No. 100. IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101. IAGMR, Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs. Reasoned Opinion of Judge A.A. Cançado Trindade, Urt. v. 25. 11. 2003, Series C No. 101. IAGMR, Case of Maritza Urrutia v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2003, Series C No. 103. IAGMR, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama. Competence, Urt. v. 28. 11. 2003, Series C No. 104. IAGMR, Case of Herrera Ulloa v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 07. 2004, Series C No. 107. IAGMR, Case of Molina Theissen v. Guatemala. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 07. 2004, Series C No. 108.
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IAGMR, Case of the 19 Merchants v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2004, Series C No. 109. IAGMR, Case of the Gómez Paquiyauri Brothers v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 07. 2004, Series C No. 110. IAGMR, Case of Ricardo Canese v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2004, Series C No. 111. IAGMR, Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2004, Series C No. 112. IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114. IAGMR, Case of Tibi v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Separate Concurring Opinion of Judge Sergio García Ramírez, Urt. v. 07. 09. 2004, Series C No. 114. IAGMR, Case of De la Cruz Flores v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 18. 11. 2004, Series C No. 115. IAGMR, Case of the Plan de Sánchez Massacre v. Guatemala. Reparations, Urt. v. 19. 11. 2004, Series C No. 116. IAGMR, Case of Carpio Nicolle et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2004, Series C No. 117. IAGMR, Case of the Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Preliminary Objections, Urt. v. 23. 11. 2004, Series C No. 118. IAGMR, Case of Lori Berenson Mejía v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2004, Series C No. 119. IAGMR, Case of Serrano Cruz Sisters v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 03. 2005, Series C No. 120. IAGMR, Case of Caesar v. Trinidad and Tobago. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 03. 2005, Series C No. 123. IAGMR, Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 06. 2005, Series C No. 125. IAGMR, Case of Fermín Ramírez v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 06. 2005, Series C No. 126. IAGMR, Case of Yatama v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 06. 2005, Series C No. 127. IAGMR, Case of the Girls Yean and Bosico v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 09. 2005, Series C No. 130. IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132. IAGMR, Case of Gutiérrez Soler v. Colombia. Merits, Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge S. García Ramírez, Urt. v. 12. 09. 2005, Series C No. 132.
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IAGMR, Case of Palamara Iribarne v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 135. IAGMR, Case of Gómez Palomino v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2005, Series C No. 136. IAGMR, Case of Blanco Romero et al v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2005, Series C No. 138. IAGMR, Case of the Pueblo Bello Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 01. 2006, Series C No. 140. IAGMR, Case of López Álvarez v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 02. 2006, Series C No. 141. IAGMR, Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 03. 2006, Series C No. 146. IAGMR, Case of the Ituango Massacres v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 07. 2006, Series C No. 148. IAGMR, Case of Ximenes Lopes v. Brazil. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2006, Series C No. 149. IAGMR, Case of Montero Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 07. 2006, Series C No. 150. IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 09. 2006, Series C No. 151. IAGMR, Case of Servellón García et al. v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 09. 2006, Series C No. 152. IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153. IAGMR, Case of Goiburú et al. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs. Separate Opinion of Judge A.A. Cançado Trindade, Urt. v. 22. 09. 2006, Series C No. 153. IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2006, Series C No. 154. IAGMR, Case of Almonacid Arellano et al. v. Chile. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge A.A. Cançado Trindade, Urt. v. 26. 09. 2006, Series C No. 154. IAGMR, Case of Vargas Areco v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2005, Series C No. 155. IAGMR, Dismissed Congressional Employees (Aguado Alfaro et al.) v. Peru.Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2006, Series C No. 158. IAGMR, Case of the Miguel Castro Castro Prison v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2006, Series C No. 160. IAGMR, Case of Nogueira de Carvalho et al. v. Brazil. Preliminary Objections and Merits, Urt. v. 28. 11. 2006, Series C No. 161.
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IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162. IAGMR, Case of La Cantuta v. Peru. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge García Ramírez, Urt. v. 29. 11. 2006, Series C No. 162. IAGMR, Case of the Rochela Massacre v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 11. 05. 2007, Series C No. 163. IAGMR, Case of Zambrano Vélez et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 04. 07. 2007, Series C No. 166. IAGMR, Case of Cantoral Huamaní and García Santa Cruz v. Peru. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 07. 2007, Series C No. 167. IAGMR, Case of Boyce et al. v. Barbados. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2007, Series C No. 169. IAGMR, Case of Albán Cornejo et al. v. Ecuador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 11. 2007, Series C No. 171. IAGMR, Case of the Saramaka People. v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 28. 11. 2007, Series C No. 172. IAGMR, Case of Kimel v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 05. 2008, Series C No. 177. IAGMR, Case of Yvon Neptune v. Haiti. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 05. 2008, Series C No. 180. IAGMR, Case of the Miguel Castro Castro Prison v. Peru. Interpretation of the Judgment on Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 08. 2008, Series C No. 181. IAGMR, Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 08. 2008, Series C No. 182. IAGMR, Case of Castañeda Gutman v. México. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 06. 08. 2008, Series C No. 184. IAGMR, Case of Heliodoro-Portugal v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 12. 08. 2008, Series C No. 186. IAGMR, Case of Tiu Tojín v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs., Urt. v. 26. 11. 2008, Series C No. 190. IAGMR, Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2008, Series C No. 191. IAGMR, Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 11. 2008, Series C No. 192. IAGMR, Case of Tristán Donoso v. Panama. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 01. 2009, Series C No. 193. IAGMR, Case of Perozo et al. v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 28. 01. 2009, Series C No. 195. IAGMR, Case of Kawas Fernández v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 04. 2009, Series C No. 196.
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IAGMR, Reverón Trujillo v. Venezuela, Urt. v. 30. 06. 2009, Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Series C No. 197. IAGMR, Case of Anzualdo-Castro v. Peru. Preliminary Objection, Merits, Reparations and costs, Urt. v. 22. 09. 2009, Series C No. 202. IAGMR, Case of Garibaldi v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 09. 2009, Series C No. 203. IAGMR, Case of Dacosta Cadogan v. Barbados. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 24. 09. 2009, Series C No. 204. IAGMR, Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, 16. 09. 2009, Series C No. 205. IAGMR, Case of Barreto Leiva v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 11. 2009, Series C No. 206. IAGMR, Case of Usón Ramírez v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2009, Series C No. 207. IAGMR, Case of Radilla Pacheco v. Mexico. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2009, Series C No. 209. IAGMR, Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2009, Series C No. 211. IAGMR, Case of Chitay Nech et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 25. 05. 2010, Series C No. 212. IAGMR, Case of Manuel Cepeda Vargas v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 05. 2010, Series C No. 213. IAGMR, Case of the Xákmok Kásek Indigenous Community. v. Paraguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 08. 2010, Series C No. 214. IAGMR, Case of Fernández Ortega et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 30. 08. 2010, Series C No. 215. IAGMR, Case of Rosendo-Cantú et al. v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 31. 08. 2010, Series C No. 216. IAGMR, Case of Vélez Loor v. Panama. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2010, Series C No. 218. IAGMR, Case of Gomes Lund et al. v. Brasil (Guerillha do Araguaia). Preliminary Objections, Merits and Reparations Urt. v. 24. 11. 2010, Series C No 219. IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220. IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel-Flores v. Mexico. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs. Concurring Opinion of Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, ad hoc Judge, Urt. v. 26. 11. 2010, Series C No. 220. IAGMR, Case Gelman v. Uruguay. Merits and Reparations, Urt. v. 24. 02. 2011, Series C No. 221.
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IAGMR, Case of Salvador-Chiriboga v. Ecuador. Reparations and Costs, Urt. v. 03. 03. 2011, Series C No. 222. IAGMR, Case of Vera Vera et al. v. Ecuador. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 19. 05. 2011, Series C No. 226. IAGMR, Case of Chocrón – Chocrón v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 07. 2011, Series C No. 227. IAGMR, Case of Mejía Idrovo v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 05. 07. 2011, Series C No. 228. IAGMR, Case of Torres Millacura et al. v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 08. 2011, Series C No. 229. IAGMR, Case of Contreras et al. v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2011, Series C No. 232. IAGMR, Case of Barbani Duarte et al. v. Uruguay. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 13. 10. 2011, Series C No. 234. IAGMR, Case of Lysias Fleury et al. v. Haiti. Merits and Reparations, Urt. v. 23. 11. 2011, Series C No. 236. IAGMR, Case of the Barrios Family v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 11. 2011, Series C No. 237. IAGMR, Case of Fontevecchia and D‘Amico v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2011, Series C No. 238. IAGMR, Case of Atala Riffo and daughters v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 02. 2012, Series C No. 239. IAGMR, Case of Gonzalez Medina and family v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 02. 2012, Series C No. 240. IAGMR, Case of Pacheco Teruel et al v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 241. IAGMR, Case of Fornerón and Daughter v. Argentina. Merits, Reparations and Costs., Urt. v. 27. 04. 2012, Series C No. 242. IAGMR, Case of Díaz-Peña v. Venezuela. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 26. 06. 2012, Series C No. 244. IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Merits and Reparations, Urt. v. 27. 06. 2012, Series C No. 245. IAGMR, Case of Furlan and Family v. Argentina. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2012, Series C No. 246. IAGMR, Case of Vélez Restrepo and family v. Colombia. Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 03. 09. 2012, Series C No. 248. IAGMR, Case of Uzcátegui et al. v. Venezuela. Merits and reparations, Urt. v. 03. 09. 2012, Series C No. 249. IAGMR, Case of Nadege Dorzema et al. v. Dominican Republic. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 24. 10. 2012, Series C No. 251.
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IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252. IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and nearby places v. El Salvador. Merits, Reparations and Costs. Concurring Opinion of Judge García-Sayán., Urt. v. 25. 10. 2012, Series C No. 252. IAGMR, Case of Gudiel Álvarez et al. („Diario Militar“) v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2012, Series C No. 253. IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257. IAGMR, Case of Artavia Murillo et al. („In vitro fertilization“) v. Costa Rica. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Eduardo Vio Grossi, Urt. v. 28. 11. 2012, Series C No. 257. IAGMR, Case of the Santo Domingo Massacre v. Colombia. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 30. 11. 2012, Series C No. 259. IAGMR, Case of García and family members v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2012, Series C No. 258. IAGMR, Case of Mendoza et al. v. Argentina. Preliminary Objections, Merits and Reparations, Urt. v. 14. 05. 2013, Series C No. 260. IAGMR, Case of Suárez Peralta v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 21. 05. 2013, Series C No. 261. IAGMR, Case of Luna López v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2013, Series C No. 269. IAGMR, Case of the Afro-descendant communities displaced from the Cacarica River Basin (Operation Genesis) v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 13. 11. 2013, Series C No. 270. IAGMR, Case of Osorio Rivera and Family members v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 11. 2013, Series C No. 274. IAGMR, Case of Liakat Ali Alibux v. Suriname. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 01. 2014, Series C No. 276. IAGMR, Case of Veliz Franco et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 05. 2014, Series C No. 277. IAGMR, Case of Norín Catrimán et al. (Leaders, members and activist of the Mapuche Indigenous People) v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 05. 2014, Series C No. 279. IAGMR, Case of Landaeta Mejías Brothers et al. v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 27. 08. 2014, Series C No. 281. IAGMR, Case of Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 282. IAGMR, Case of Human Rights Defender et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 08. 2014, Series C No. 283. IAGMR, Case of Espinoza Gonzáles v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2014, Series C No. 289.
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IAGMR, Case of Cruz Sánchez et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 04. 2015, Series C No. 292. IAGMR, Case of Granier et al. (Radio Caracas Television) v. Venezuela. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), Urt. v. 22. 06. 2015, Series C No. 293. IAGMR, Case of Gonzales Lluy et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 298. IAGMR, Case of Peasant Community of Santa Barbara v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs, Urt. v. 01. 09. 2015, Series C No. 299. IAGMR, Case of Maldonado Vargas et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2015, Series C No. 300. IAGMR, Case of López Lone et al. v. Honduras. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 05. 10. 2015, Series C No. 302. IAGMR, Case of Garífuna Punta Piedra Community and its members v. Honduras. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 304. IAGMR, Case of the Community Garifuna Triunfo de la Cruz & its members v. Honduras. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 10. 2015, Series C No. 305. IAGMR, Case of García Ibarra et al. v. Ecuador. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 17. 11. 2015, Series C No. 306. IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307. IAGMR, Case of Velásquez Paiz et al. v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Voto razonado del juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot., Urt. v. 19. 11. 2015, Series C No. 307. IAGMR, Case of Quispialaya Vilcapoma v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2015, Series C No. 308. IAGMR, Case of the Kaliña and Lokono Peoples v. Suriname. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 11. 2015, Series C No. 309. IAGMR, Case of Duque v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 02. 2016, Series C No. 310. IAGMR, Case of Maldonado Ordóñez v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 03. 05. 2016, Series C No. 311. IAGMR, Case of Chinchilla Sandoval et al v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 02. 2016, Series C No. 312. IAGMR, Case of Tenorio Roca et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 06. 2016, Series C No. 314. IAGMR, Case of Flor Freire v. Ecuador. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2016, Series C No. 315. IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318.
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IAGMR, Case of the Hacienda Brasil Verde Workers v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs. Voto razonado del Juez Ferrer Mac-Gregor Poisot, Urt. v. 20. 10. 2016, Series C No. 318. IAGMR, Case of the Members of the village of Chichupac and neighboring communities of the Municipality of Rabinal v. Guatemala. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 328. IAGMR, Case of I.V. v. Bolivia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 30. 11. 2016, Series C No. 329. IAGMR, Case of Andrade Salmón v. Bolivia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 01. 12. 2016, Series C No. 330. IAGMR, Case of Acosta et al. v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 25. 03. 2017, Series C No. 334. IAGMR, Case of Lagos del Campo v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2017, Series C No. 340. IAGMR, Case of Vereda La Esperanza v. Colombia. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 31. 08. 2017, Series C No. 341. IAGMR, Case of Pacheco León et al. v. Honduras, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 11. 2017, Series C No. 342. IAGMR, Case of Dismissed Employees of Petroperú et al. v. Peru. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 11. 2017, Series C No. 344. IAGMR, Case of Poblete Vilches et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 349. IAGMR, Case of V.R.P., V.P.C. et al. v. Nicaragua. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 08. 03. 2018, Series C No. 350. IAGMR, Case of Ramírez Escobar et al. v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 09. 03. 2018, Series C No. 351. IAGMR, Case of Herzog et al. v. Brazil. Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 15. 03. 2018, Series C No. 353. IAGMR, Case of Coc Max et al. (Massacre of Xamán) v. Guatemala. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 22. 08. 2018, Series C No. 356. IAGMR, Case of Cuscul Pivaral et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 23. 08. 2018, Series C No. 359. IAGMR, Case of López Soto et al. v. Venezuela. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 26. 09. 2018, Series C No. 362. IAGMR, Case of Isaza Uribe et al. v. Colombia. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 20. 11. 2018, Series C No. 363. IAGMR, Case of Alvarado Espinoza et al. v. México. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 28. 11. 2018, Series C No. 370. IAGMR, Case of Órdenes Guerra et al. v. Chile. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 29. 11. 2018, Series C No. 372.
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IGMR, Case of Gorigoitía v. Argentina. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 02. 09. 2019, Series C No. 382. IAGMR, Case of Ruiz Fuentes et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 10. 10. 2019, Series C No. 385. IAGMR Case of Rodríguez Revolorio et al. v. Guatemala. Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 14. 10. 2019, Series C No. 387. IAGMR, Case of the Indigenous Communities of the Lhaka Honhat Association (Our Land) v. Argentina. Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 06. 02. 2020, Series C No. 400. IAGMR, Case of Azul Rojas Marín et al. v. Peru, Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs, Urt. v. 12. 03. 2020, Series C No. 402.
II. Gutachten des IAGMR IAGMR, „Other treaties“ subject to the consultative jurisdiction of the Court (Art. 64 American Convention on Human Rights), Gutachten v. 24. 09. 1982, Series A No. 1. IAGMR, Restrictions to the Death Penalty (Arts. 4(2) and 4(4) American Convention on Human Rights), Gutachten v. 08. 09. 1983, Series A No. 3. IAGMR, Proposed Amendments of the Naturalization Provisions of the Constitution of Costa Rica, Gutachten v. 19. 01. 1984, Series A No. 4. IAGMR, Compulsory Membership in an Association Prescribed by Law for the Practice of Journalism (Arts. 13 and 29 American Convention on Human Rights), Gutachten v. 13. 11. 1985, Series A No. 5. IAGMR, The Word „Laws“ in Article 30 of the American Convention on Human Rights, Gutachten v. 09. 05. 1986, Series A No. 6. IAGMR, Enforceability of the Right to Reply or Correction (Arts. 14(1), 1(1) and 2 American Convention on Human Rights). Separate Opinion of Judge Hector Gros-Espiell, Gutachten v. 29. 08. 1986, Series A No. 7. IAGMR, Habeas corpus in Emergency Situations (Arts. 27(2), 25(1) and 7(6) American Convention on Human Rights), Gutachten v. 30. 01. 1987, Series A No. 8. IAGMR, Judicial Guarantees in States of Emergency (Arts. 27(2), 25 and (8) American Convention on Human Rights), Gutachten v. 06. 10. 1987, Series A No. 9. IAGMR, Certain Attributes of the Inter-American Commission on Human Rights (Arts. 41, 42, 44, 46, 47, 50 and 51 of the American Convention on Human Rights), 16. Juli 1993, Series A No. 13. IAGMR, International Responsibility for the Promulgation and Enforcement of Laws in Violation of the Convention (Arts. 1 and 2 of the American Convention on Human Rights). Gutachten v. 09. 12. 1994, Series A No. 14. IAGMR, Article 55 of the American Convention on Human Rights, Gutachten v. 29. 09. 2009, Series A No. 20.
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III. Beschlüsse des IAGMR IAGMR, In the matter of Viviana Gallardo et al., Beschl. v. 15. 07. 1981, Series A No. 101. IAGMR, Case of Genie Lacayo v. Nicaragua. Application for Judicial Review of the Judgment of Merits, Reparations and Costs. Dissenting Opinion of Judge Cançado Trindade, Beschl. v. 13. 09. 1997, Series C No. 45. IAGMR, Case of Castillo Petruzzi et al. v. Peru. Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 11. 1999 Series C No. 59. IAGMR, Case of Loayza Tamayo v. Peru. Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 11. 1999, Series C No. 60. IAGMR, Case of „The Last Temptation of Christ“ (Olmedo Bustos and Others) v. Chile, Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 28. 11. 2003. IAGMR, Case of Suárez Rosero v. Ecuador. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 10. 07. 2007. IAGMR, Case of Claude Reyes et al. v. Chile. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 24. 11. 2008. IAGMR, Case of Garrido and Baigorria v. Argentina. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 27. 11. 2007. IAGMR, Case of the Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 03. 04. 2009. IAGMR, Case of Barrios Altos v. Peru. Monitoring compliance with Judgment, Beschl. v. 07. 09. 2012. IAGMR, Case of Apitz-Barbera et al. („First court of Administrative disputes“) v. Venezuela. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 23. 11. 2012. IAGMR, Case of the Mapiripán Massacre v. Colombia. Monitoring compliance with Judgment, Beschl. v. 23. 11. 2012. IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia, Beschl. v. 20. 03. 2013. IAGMR, Caso Gelman v. Uruguay. Supervisión de Cumplimiento de Sentencia. Voto Razonado del Juez Eduardo Ferrer Mac-Gregor Poisot, Beschl. v. 20. 03. 2013. IAGMR, Case of González et al. („Campo Algodonero“) v. Mexico. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 21. 05. 2013. IAGMR, Case of Cabrera García and Montiel Flores v. Mexico. Monitoring of Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 04. 2015. IAGMR, Cases of Radilla Pacheco, Fernández Ortega et al., and Rosendo Cantú and other v. Mexico. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 17. 04. 2015. IAGMR, Case of Kichwa Indigenous People of Sarayaku v. Ecuador. Monitoring Compliance with Judgment., Beschl. v. 22. 06. 2016. IAGMR, Cases of the Yakye Axa, Sawhoyamaxa and Xákmok Kásek Indigenous communities v. Paraguay. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 01. 09. 2016.
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IAGMR, Case of Kawas Fernández and Case Luna López v. Honduras. Monitoring Compliance with Judgments, Beschl. v. 30. 08. 2017. IAGMR, Case of Maldonado Ordóñez v. Guatemala. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 30. 08. 2017. IAGMR, Case of Maldonado Vargas et al. v. Chile. Monitoring Compliance with Judgment, Beschl. v. 30. 08. 2017. IAGMR, Case of the Massacres of El Mozote and neighboring places v. El Salvador. Monitoring compliance with judgment, Beschl. v. 31. 08. 2017.
IV. Urteile/Beschlüsse/Verfahrenshandlungen des IGH und StIGH StIGH, Factory at Chorzów, Jurisdiction, Urt. v. 26. 07. 1927, Series A No. 9. StIGH, Exchange of Greek and Turkish Populations, Gutachten v. 21. 02. 1925, Series B No. 10. StIGH, Factory at Chorzów (Merits), Urt. v. 13. 07. 1928, Series A No. 17. IGH, Reparation for Injuries suffered in the Service of the United Nations, Gutachten v. 11. 04. 1949, ICJ Reports, S. 174. IGH, North Sea Continental Shelf Urt. v. 20. 02. 1969, ICJ Reports 1969, S. 3. IGH, East Timor (Portugal v. Australia), Memorial of the Government of the Portuguese Republic, 18. 11. 1991. IGH, Fisheries Jurisdiction (Spain v. Canada), Application instituting proceedings, 28. 03. 1995. IGH, Gabcˇ íkovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), Urt. v. 25. 09. 1997, ICJ Reports 1997, S. 7. IGH, Vienna Convention on Consular Relations (Paraguay v. United States of America), Application instituting proceedings, 03. 04. 1998. IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Request for the indication of Provisional Measures of Protection, 02. 03. 1999. IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Provisional Measures, Beschl. v. 03. 03. 1999, ICJ Reports 1999, S. 9. IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Counter-Memorial of the United States of America, 27. 03. 2000. IGH, LaGrand (Germany v. United States of America), Urt. v. 27. 06. 2001, ICJ Reports 2001, S. 466. IGH, Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria: Equatorial Guinea intervening), Urt. v. 10. 10. 2002, ICJ Reports 2002, S. 303. IGH, Avena and Other Mexican Nationals (Mexico v. United Slates of America), Urt. v. 31. 03. 2004, ICJ Reports 2004, S. 12. IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Urt. v. 19. 12. 2005, ICJ Reports 2005, S. 168.
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IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Urt. v. 26. 02. 2007, ICJ Reports 2007, S. 43. IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica v. Nicaragua), Urt. v. 13. 07. 2009, ICJ Reports 2009, S. 213. IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), Urt. v. 03. 02. 2012, ICJ Reports 2012, S. 99. IGH, Pulp Mills on the River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Urt. v. 20. 04. 2010, ICJ Reports 2010, S. 14. IGH, Certain Activities Carried Out by Nicaragua in the Border Area (Costa Rica v. Nicaragua) and Construction of a Road in Costa Rica along the San Juan River (Nicaragua v. Costa Rica), Urt. v. 16. 12. 2015, ICJ Reports 2015, S. 665.
V. EGMR EGMR, Handyside v. United Kingdom, Urt. v. 07. 12. 1976, Nr. 5493/72. EGMR, Ireland v. United Kingdom, Urt. v. 18. 01. 1978, Nr. 5310/71. EGMR, Tyrer v. United Kingdom, Urt. v. 25. 04. 1978, Nr. 5856/72. EGMR (GK), Marckx v. Belgium, Urt. v. 13. 06. 1979, Nr. 6833/74. EGMR (GK), Loizidou v. Turkey (Preliminary Objections), Urt. v. 23. 03. 1995, Nr. 15318/89. EGMR (GK), Scozzari and Giunta v. Italy, Urt. v. 20. 07. 2000, Nr. 39221/98 & 41963/98. EGMR, Assanidze v. Georgia, Urt. v. 08. 04. 2004, Nr. 71503/01. EGMR (GK), Broniowski v. Poland, Urt. v. 22. 06. 2004, Nr. 31443/96. EGMR (GK), Vo v. France, Urt. v. 08. 07. 2004, Nr. 53924/00. EGMR (GK), Broniowski v. Poland, Urt. v. 28. 09. 2005, App Nr. 31443/96. EGMR, Demir and Baykara v. Turkey, Urt. v. 12. 11. 2008, No. 34503/97. EGMR, S.H. and others v. Austria, Urt. v. 03. 11. 2011, Nr. 57813/00. EGMR, Stubing v. Germany, Urt. v. 12. 04. 2012, Nr. 43547/08. EGMR (GK), Kuricˇ et al. v. Slovenia, Urt. v. 26. 06. 2012, Nr. 26828/06. EGMR, Manushaqe Puto and Others v. Albania, Urt. v. 31. 07. 2012, Nr. 604/07, 43628/07, 46684/07 und 34770/09. EGMR, McCaughey and others v. The United Kingdom, Urt. v. 16. 07. 2013, Nr. 43098/09. EGMR, Husayn (Abu Zubaydah) v. Poland, Urt. v. 24. 07. 2014, Nr. 7511/13.
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VI. Sonstige Gerichte/Institutionen Bundesgerichtshof, BGHZ 207, 365. Corte Constitucional (Kolumbien), C-225/1995, Urt. v. 18. 05. 1995. AfCHPR, Tanganyika Law Society and Legal and Human Rights Centre and Reverend Christopher R. Mtikila v. United Republic of Tanzania, Urt. v. 14. 06. 2013, Nrn. 009&011/ 2011. CRPD-Committee, Liliane Gröninger/Germany, Beschl. v. 04. 04. 2014, Nr. 2/2010. Tribunal Constitucional (Dominikanische Republik), Relativo a la acción directa de inconstitucionalidad incoada en fecha veinticinco (25) de noviembre de dos mil cinco (2005) contra el Instrumento de Aceptación de la Competencia de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, Urt. v. 04. 11. 2014, TC/0256/14. CEDAW-Committee, M. W./Denmark, Beschl. v. 22. 02. 2016, Nr. 46/2012. CRPD-Committee, Marlon James Noble/Australia, Beschl. v. 02. 09. 2016, Nr. 7/2012. Sämtliche zitierte Internetquellen wurden zuletzt abgerufen am 28. 06. 2020.
Stichwortverzeichnis Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker 15 Aktivismus 32, 294, 298, 303 Amerikanische Menschenrechtskonvention – Beschwerdeverfahren 24 ff., 32, 35 ff., 64, 181 ff., 258 – Kündigung 23, 32, 99, 198 f. – Präambel 196, 280 f. – Ratifikationen 25, 27, 35, 178 – Rechtsnatur 91 f., 205 f., – Zusatzprotokolle 27, 115, 142 ff., 151 Amici Curiae 41 f. Amnestien 31, 44, 105 ff., 185, 187, 211, 289, 304 ff. Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts 50 f., 216, 218 ff. Ausbildungsprogramme 95, 119 ff., 141 ff., 156, 166 Auslegungsmethode – effektivitätssichernde 132, 134, 196, 275, 281, 283 – funktionale 195 ff., 263 ff. – universalistische 217, 283 f. – völkerrechtssystematische 49 f., 196, 200, 214 ff. Autonomie 277, 279 f., 289 ff., 295 ff. Barrios Altos v. Peru 107, 109, 185, 300, 304 ff. Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law 58 ff., 70, 85, 89, 216, 237 ff. Bloque de constitucionalidad 174 ff., 205 Compliance – Begriff 187
– Empirie 184 ff. – Überwachungsverfahren 20, 37, 56 ff., 177 ff., 206, 263, 312 f. Conventionality Control-Doktrin 44 ff., 105, 110, 134, 205 f., 291 Defensor Público 39 f., 181 Demokratie 27, 61, 82, 106, 209 f., 277 f., 288 f., 292 ff., 296 ff., 310 EGMR 14 ff., 24, 33, 43 f., 48, 74, 177, 206 f., 215, 247, 265, 278 f., 283, 286 Entschädigung 60 f., 62 ff., 69 ff., 91, 184, 250 Entwicklung 57, 250 Erga Omnes 45, 109, 223 f., 250, 257 Erinnerung 76 ff., 208 ff. Expelled Dominicans and Haitians v. Dominican Republic 64 f., 123, 167 f., 187 f., 191, 203, 301 Factory at Chorzów 49 f., 245, 251 Femicidios 114 f., 123, 142 ff., 155, 159, 302 Fourth Instance Formula 200, 291 Genugtuung 53 ff., 76 ff., 126, 223 f., 232 ff., 251 ff. Gerechtigkeit 60 f., 249 ff. Gesetzesreformen 92, 97 ff., 103 ff., 139 ff., 150 f., 164 ff., 186, 201 Global Governance 14 IAGMR – Anordnungsbefugnisse 18, 47 ff., 91 ff., 213 ff. – Finanzen 32 f. – Funktionen 23 ff., 199 ff. – Gutachten 26, 41, 111, 140, 204, 290 – Richter 32 f.
Stichwortverzeichnis – Unterwerfungserklärungen 26, 27, 187 f., 194 f., 198 – Verfahrensrecht 24 ff., 32, 35 ff., 64, 181 ff., 258 IAKMR 26 ff. 35 ff., 40 ff., 200, 205, 269, 311 Implied Powers 263 f. In vitro-Fertilisation 100, 287 f. Indigene Völker 18 ff., 63 f., 75 f., 101 f., 157, 161 f., 182 f., 202 f., 283, 297 Inter-American Convention on the Prevention, Punishment an Eradication of Violence against Women („Convención de Belém do Pará“) 27, 115, 142 ff. International Law Commission 50 f., 216, 218 ff. Internationaler Gerichtshof 225 ff., 245 f. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 254, 284 Inzidente Normenkontrolle 99, 140, 201 ff. Jus Cogens
223, 286, 288, 304 f.
Komplementarität 108, 278, 281 Konstitutionalisierung 46, 174 ff., 204 ff. LaGrand (Germany v. United States of America) 226 ff. Legitimität 246, 277 ff., 285, 294 Loayza Tamayo v. Peru 66 ff., 93, 98 Local Remedies Rule 23, 200, 291, 298 Maras 122, 129 Margin of Appreciation 278 f., 285 f., 287, 292 ff. Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua 101 f., 185 Militärgerichtsbarkeit 25, 84 f., 164 f., 184, 225 Monismus 173 f. NGOs
38 ff., 205, 297
OAS 25 f., 32 f., 35 f., 177 ff., 265 Opinio Iuris 224, 241 Opportunität 153 ff. Ordre Public 198
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Paradigma 24 ff., 37, 74, 205, 212, 299 Popularbeschwerde 38, 201 Positive Verpflichtungen 102, 135, 282 f. Pro homine-Grundsatz 176 Progressive Development 218 ff. Proyecto de vida 66 ff., 71 Radbruch’sche Formel 305 Rechtskraft 43 Rehabilitation 70 ff. Res interpretata 46 Restitution 68 ff., 202 Rhetorik 308 Soft-law 166, 286 Straflosigkeit 53, 65, 78 f., 83 ff., 105 ff., 114 f., 142, 146 f., 237, 276, 304 f. Strategic Litigation 38 ff., 205 Strukturelle Menschenrechtsverletzung 13 ff., 88 f., 301 Subjektiver Rechtsschutz 23, 199 ff. Subsidiarität 277 ff. Transitional Justice 58 ff., 107 ff.., 208 ff., 237 ff., 253 f., 288 f., 308 Transnationalität 211, 297 f. Transparenz 268 ff. Ultra vires 180, 243 Umsetzungsspielraum 160 ff., 272 ff. UN-Wirtschafts- und Sozialausschuss 240 Ursachenzusammenhang 140 f., 149 Velásquez-Rodríguez v. Honduras 27 f., 53, 56 f., 62 f., 71 f., 86, 134, 179, 201, 204, 212, 294 Verhältnismäßigkeit 280, 286 f., 289 ff. Verschwindenlassen 24 f., 28, 31, 63, 70 f., 74, 78, 81, 91, 102 f., 209, 212, 288 Victim Requirement 200, 258 Viktimologie 54, 253 f. Vulnerabilität 122, 132, 135, 137 f., 145, 157, 286, 289 Wahrheit – Recht auf ~ 81 f., 95, 209 ff. – Wahrheitskommissionen 59, 106, 209, 242 f., 310
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Stichwortverzeichnis
Wiedergutmachung – Berechtigte 63 f., 183 – Ersetzbare Schäden 64 ff. – Ethik 58 ff., 248 ff. – Funktionen 49 ff., 79 ff., 88 f., 248 ff.
– Symbolik 60, 76 ff., 208 ff. – Zivilrechtliches Verständnis 55, 61, 67, 252 Zusatzprotokoll von San Salvador
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