Grundfragen der Gesetzgebungslehre: Aktualisierte Vorträge eines Seminars zur Gesetzgebungslehre (1996) an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428503896, 9783428103898

Die Anpassung des Rechts an sich wandelnde Verhältnisse hat zunehmend Fragen der Wirkungsforschung, der Akzeptanz und de

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German Pages 161 Year 2000

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Grundfragen der Gesetzgebungslehre: Aktualisierte Vorträge eines Seminars zur Gesetzgebungslehre (1996) an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428503896, 9783428103898

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Grundfragen der Gesetzgebungslehre

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 138

Grundfragen der Gesetzgebungslehre Aktualisierte Vorträge eines Seminars zur Gesetzgebungslehre (1996) an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Waldemar Schreckenherger

und Detlef Merten

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Grundfragen der Gesetzgebungslehre : aktualisierte Vorträge eines Seminars zur Gesetzgebungslehre ( 1996) an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer I Hrsg.: Waldemar Schreckenherger ; Detlef Merten. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 138) ISBN 3-428-10389-0

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gerrnany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-10389-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ulrich Karpen Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft in Europa

II

Wolfgang Zeh Impulse und Initiativen zur Gesetzgebung

33

Vollcer Busse Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung -Politik und Planung

47

Klaus Mudersbach Methoden zur Herstellung von Gesetzestexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Heino Garrn Das Problem der Gesetzesbestimmtheit und die Bedeutung einer allgemeinen juristischen Begrtindungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Wolfgang Bayer Probleme der Gesetzesanwendung mit Beispielen aus der verwaltungsrichterlichen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Carl Böhret Gesetzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I31 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Vorwort der Herausgeber Die Gesetzgebung gehört zu den maßgeblichen Entscheidungsformen des demokratischen Rechtsstaats. Sie ist ein äußerst komplexer Prozess, der die Praxis vor schwerwiegende Probleme stellt. Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer hat sich unter interdisziplinären Aspekten die Aufgabe gestellt, zur Lösung grundsätzlicher Fragen der Gesetzgebung beizutragen. Diesem Ziel diente auch das Symposium vom April 1996. Der breit angelegte Themenrahmen machte deutlich, dass auch seit Jahren diskutierte Fragen nach wie vor von hoher Aktualität sind, wenngleich das Erscheinungsbild sich rasch zu ändern schien. Dies gilt vor allem im Blick auf das Verhältnis von Öffentlichkeit und Gesetzgebung, von Gesetz und Sprache oder Gesetzgebung und Planung, aber auch für prinzipielle Fragen der Gesetzesanwendung. Alle Vorträge sind vor der Drucklegung in Blick auf die heutige Lage nochmals überprüft und, soweit erforderlich, aktualisiert worden. Zu den einzelnen Beiträgen: Ulrich Karpen, Hamburg, berichtet programmatisch in 12 Thesen "Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft in Europa". Nach einem ideengeschichtlichen Rückblick erörtert die Arbeit das vorherrschende Problem der "Gesetzesflut" und die Lösungsansätze, die heute für den "schlanken Staat" angeboten werden. Sie setzt sich vor allem mit den Grenzen der Leistungsfähigkeit des Staates und den demokratischen Anforderungen an den Staat als Institution auseinander. Eine Reihe von Thesen befasst sich mit inhaltlichen Verbesserungen der Gesetze und mit der Problematik einer verständlichen Gesetzessprache. Ein eigenes Kapitel, Gesetzgebungsverfahren und Gesetzesstil, gewährt neben Fragen der Wirkungsforschung einen aufschlussreichen Vergleich mit der Rechtssetzung in mehreren europäischen Ländern, der unterschiedliche Typen von Gesetzgebung, aber auch eine Konvergenz von Gesetzesstilen offen legt. Schlussergebnis: Gesetzgebungslehre ist nötig und möglich. Wolfgang Zeh, Berlin, "Impulse und Initiativen zur Gesetzgebung", erörtert als sachverständiger Beobachter aus der Binnensicht der Bundestagsverwaltung den komplizierten Gang der Gesetzgebung. Er vermittelt ein anschauliches Bild von den zahlreichen politischen, sozialen und administrativen Faktoren, die auf das Verfahren und den Inhalt von Gesetzen Einfluss nehmen. Den Einfluss im einzelnen müsste eine spezielle Wirkungsforschung ermitteln. Dem Vortragenden geht es aber darum, das schwer durchschaubare Zusammenspiel von Personen, Verbänden und Organisationen, von Regierung und Administration und parlamentarischen

8

Vorwort der Herausgeber

Gremien zu erhellen, die am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind oder versuchen, auf den Inhalt von Gesetzen Einfluss zu nehmen. Seine Untersuchung gipfelt schließlich in der kritischen Frage: Wer ist eigentlich der Gesetzgeber? Er sucht die Antwort in den verfassungsrechtlichen Normen für die Gesetzgebung und in den klar geregelten Verfahrensvorschriften. Er zeigt damit die Grenzen an, die dem politischen Kräftespiel gesetzt sind, wenn der demokratische Rechtsstaat nicht Schaden nehmen soll. Volker Busse, Berlin, "Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung -Politik und Planung -", erörtert die Gesetzgebung aus Sicht der Bundesregierung. Er vergegenwärtigt die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten der Bundesregierung, ihre Mitwirkungsmöglichkeiten in jedem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens und deren praktische Handhabung. Er verweist auf die verstärkten Regelungsbemühungen, Gesetzesvorlagen durch einen allgemeinen Prüfkatalog zu verbessern und den Gesetzgebungsverlauf datenmäßig zu erfassen. Im Vordergrund steht das legislatorische Bezugsnetz der Bundesregierung, sei es im Verhältnis zum Bundestag, zu den Ländern, zu Europäischen Rechtssetzungsorganen oder auch zu Verbänden. Die Erörterung von Koalitionsvereinbarungen, die stark die Regierungspraxis bestimmen, zeigt die Vorzüge aber auch die Grenzen an, die der Einflussnahme von Parteiabsprachen gesetzt sind. Den Hintergrund aller Erörterungen bildet die Frage von Gesetzgebung und politischer Planung. Ein kurzer historischer Abriss legt die unterschiedlichen Bewertungen von globalen Planungen im Verständnis der Bundesregierung offen. Nach Darlegung wichtiger Planungselemente und Planungsformen kommt der Verfasser eher zu einer skeptischen Einschätzung langfristiger Zielplanungen; maßgeblich seien Koordination, Kooperation und Konsenssuche auf einer fundierten Basis. Klaus Mudersbach, Heidelberg, stellt aus linguistischer Sicht ,,Methoden zur Herstellung von Gesetzestexten" vor. Sie können sich auf Arbeiten am Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung bei der Hochschule stützen. Ausgangslage ist eine interdisziplinäre Arbeitsweise, die juristischen Textgebrauch mit linguistischem Textverständnis verbindet. Sie dient dem Ziel, auf einer nachprüfbaren linguistischen Grundlage Kriterien für leichter verständliche Rechtstexte aufzustellen. Die Arbeit geht von einem ganzheitlichen (holistischen) Textgebrauch aus, der die von Juristen bevorzugten fachlichen, nur begrenzt verständlichen Differenzierungen typischen Textteilen zuordnet. Dies erleichtert die Verständigung, da solche Texteile den Ganzheitsvorstellungen der Alltagssprache folgen. Grundlage ist letztlich ein rhetorisches Verständnis des Rechts, das Rechtsregeln stets im Kontext sozialer Kommunikation begreift. Die vorgelegte Methode hat nach Auffassung des Verfassers überdies den Vorteil, dass sie auch computerfähig ist. Die zunächst ungewohnte Sprechweise der Darlegungen ist der Preis für eine Forschung, die Neuland betritt.

Vorwort der Herausgeber

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Heino Garm, Koblenz, ,,Das Problem der Gesetzesbestimmtheit und die Bedeutung einer allgemeinen juristischen Begründungstheorie", befasst sich mit grundlegenden Fragen nach dem methodischem Zusammenhang der generellen Regelungsstruktur von Gesetzen und ihrer individuellen Fallanwendung. Der Verfasser erörtert die Frage zunächst anband von Rechtsprechung und Rechtslehre zur rechtsstaatliehen Forderung der Gesetzesbestimmtheit, aber auch im Blick auf die Forderung nach "flexibler Offenheit" der Gesetze. Für die rationalen Kriterien der gebotenen Bestimmtheit schlägt der Verfasser ein rhetorisches Grundlagenmodell vor, das er gegenüber ontologischen Denktraditionen, die Recht in notwendigen Seiensvorgaben suchen, abgrenzt. Er sieht in der inventorischen Funktion der modernen Rhetorik und Rhetoriktheorie (grundlegend Tbcodor Viehweg) ein verlässliches Instrument, den Inhalt von Regeln und deren Begründung in einer allgemein akzeptablen Weise zu ermitteln. Der Vortrag wendet diese Methode, die auf gemeinsames, sprachlich vermitteltes "Sinnerleben" zielt, auch auf die Begründung von sozialen Zwecken, Werten und schließlich auch auf juristische Grundannahmen an. Sie entspricht dem modernen Denken, grundlegende soziale Entscheidungen im diskursiven Konsens zu suchen. Wolfgang Bayer, Koblenz, "Probleme der Gesetzesanwendung mit Beispielen aus der verwaltungsrichterlichen Praxis", weist die Probleme der Gesetzesanwendung als Teil der Gesetzgebungslehre aus. Er beschreibt aus der Sicht des Richters die bei der Gesetzesanwendung auftretenden Fragen und teilt sie in unterschiedliche methodische Problemfelder ein, die vom Auffinden der Norm bis zur Entscheidungsbegründung reichen. Er untersucht die Schwierigkeiten der einzelnen Schritte und die Fehlermöglichkeiten anband schwieriger Fälle der Praxis. Der Verfasser macht gleichsam in Ergänzung zur Abhandlung von Heino Garm auf die Subsumtionsschwierigkeiten bei unbestimmten Rechtsbegriffen oder ungeschriebenen Rechtsinstituten des Verwaltungsrechts aufmerksam. Er setzt sich ebenfalls für eine rhetorische Argumentationslehre der Gesetzesanwendung ein und führt die einzelnen Problemfelder auf Suchformeln nach dem Muster der antiken Rhetorik, dem Ursprung aller europäischen Argumentationstheorien, zurück. Diese Formeln findet er in der Rechtsdogmatik aber auch in allgemein anerkannten Topoi. Kontrollinstanz bleibt letztlich die verständige Diskutierbarkeit einer Lösung in der Fachwelt. Carl Böhret, Speyer, "Gesctzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich?", verbirgt hinter der vorsichtigen Fragestellung eine umfassende methodische Abhandlung der Wirkungsforschung. Sie erörtert für verschiedene Handlungsebenen und für mehrere Formen der Folgenermittlung Verfahrens- und Entscheidungsmuster. Die Prüfkriterien und -faktoren werden jeweils in übersichtlichen Schaubildern dargestellt. Sie empfehlen sich als lehrreiche Hilfsmittel für die jeweiligen politischen oder administrativen Entscheidungsinstanzen. Die Methode versteht sich ausdrücklich als ,,Analyse" von relevanten möglichen oder tatsächlichen Wirkungen. Sie beugt damit im Blick auf die begrenzte wissenschaftliche Prognosefahigkeit weitergehenden Planabsichten vor. Die Modelle werden

Vorwort der Herausgeber

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anhand zahlreicher Untersuchungen in der Praxis näher erläutert. Sie gehen durchweg von einer pragmatischen Handlungstheorie aus, welche die Praxis als ein höchst komplexes Wahrnehmungs- und Entscheidungsgefüge vorstellt. Im Für und Wider der politischen Planung empfiehlt der Verfasser die Gesetzesfolgenabschätzung als ein Zukunftsinstrument Den Abschluss bildet eine Reihe von Literaturhinweisen. Waldemar Schreckenherger

Detlef Merten

Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft in Europa Von Ulrich Karpen

12 Thesen I. Zur Diagnose: Der soziale und demokratische Rechtsstaat als Gesetzgebungsstaat These 1:

Die Gesetzgebungswissenschaft vor den Forderungen nach Liberalisierung, Deregulierung und mehr Wettbewerb.

These 2:

Was erwarten wir vom Gesetzgeber? - Hobbes, J.St. Mill und der soziale und demokratische Rechtsstaat - Vom historisch-konventionellen Gesetzesbegriff zur Wesentlichkeilstheorie

These 3:

Ausweitung des Gesetzesbegriffs: Vom Ständestaat zum demokratischen Staat

II. Zur Therapie: Der "schlanke Staat" These 4:

Wieviele Gesetze braucht ein "schlanker Staat"? - Eiserner Bestand und Entbehrliches - Vom Zauberwon "Subsidiarität" - Vom bürokratischen Regelungs- zum marktorientierten Yenragsstaat

These 5:

Überschätzt der Gesetzgeber seine Leistungskraft? - Die "Normenflut" - Das Gesetz im System der Staatsfunktionen - Der kybernetische Regelkreis

These 6:

Der "aktive Bürger" und das Gesetz - Der principal-agent-Ansatz - Direkte Demokratie: mehr oder weniger Gesetze? - Bürgerbewegungen und St. Florians-Prinzip

111. Vorschläge zur Verbesserung der Gesetzesqualität These 7:

Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den Inhalt von Gesetzen? - Gesetze auf Probe - Review-Ciauses - Sunset- und sunrise-Gesetze

Ulrich Karpen

12 These 8:

Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den Inhalt von Gesetzen? - Verfassungsvorgaben und -schranken - Staatszielbestimmungen, soziale Grundrechte und magische Vierecke - Verschuldensgrenze und flat tax?

These 9:

Von der Kunst, Gesetze zu schreiben - Kochbücher und Richtlinien - Gesetze über Gesetzgebung - Begründungslast - Nonnenprüfstelle

IV. Gesetzgebungsverfahren und Gesetzesstil These 10:

Ein .,Gesetz über die Gesetzgebung"?

These II:

Vom Stil des Gesetzes - England, Frankreich, Deutschland, Schweden - Konvergenzen der Stile in Europa - Typologie europäischer Gesetzgebung

These 12:

Von der (Ohn-)Macht des Gesetzgebers - Rechtsgehorsam - Markt bricht Gesetz - Moral bricht Gesetz - Oberflächliches zu Gesetz und menschlicher Natur

Die gemeinsame Klage "zu viele und zu schlechte Gesetze" Die Klage, es gäbe zu viele und zu schlechte Gesetze, ist ebenso alt wie weitverbreitet, in Deutschland wie eigentlich in allen Ländern Europas. Franz Schlegelberger, der frühere Staatssekretär im Reichsjustizministerium, schreibt 1959 im Vorwort der 3. Auflage 1 seines in erster Auflage 1929 erschienenen Buches .,Zur Rationalisierung der Gesetzgebung": "Als ich vor 30 Jahren zur Rationalisierung der Gesetzgebung aufrief, sprach ich aus eigenem täglichen Erleben. Heute sehe ich die Dinge von außen, fern vom Geschehen, reich an Lebenserfahrung. Das Bild, das mir die Gesetzgebung bietet, ist das gleiche geblieben. Das Volk wird pausenlos mit Massen von Gesetzen überschüttet, die es zum größten Teil nicht verstehen kann. Die Gesetzgebung kann das Volk nicht mehr erreichen." Auch die Qualität des Gesetzes ist sehr umstritten. Das Recht ist oft. weder notwendig noch geistig beherrschbar, weder systematisch noch wirklich bekannt. War die Rechtskenntnis jedes Bürgers bisher noch als Hypothese akzeptierbar, so ist sie heute eine blanke Fiktion.

I

Berlin und Frankfurt (Vahlen) 1959, S. 3.

Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft in Europa

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I. Zur Diagnose: Der soziale und demokratische Rechtsstaat als Gesetzgebungsstaat These 1: Liberalisierung, Deregulierung, mehr Wettbewerb

Die Gesetzesflut hat in allen Ländern Europas mit der Entwicklung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu tun. Die Marktwirtschaft hat sich immer mehr zur sozialen Marktwirtschaft entwickelt. Die Geschichte hat in diesen Jahren eine ordnungspolitische Entscheidung getroffen. Es hat eine wirklich historische Paradigmenentscheidung in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik gegeben. Von den rivalisierenden Wirtschaftsordnungen, der gelenkten Marktwirtschaft und der sozialen Marktwirtschaft, ist allein die soziale Marktwirtschaft übriggeblieben. Im Kampf zwischen der Marktwirtschaft und Planwirtschaft, zwischen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der gelenkten Demokratie blieb die demokratisch rechtsstaatlich verfaßte soziale Marktwirtschaft übrig. Aber was heißt in diesem Zusammenhang "soziale Marktwirtschaft"? Friedrich A. Hayek hat in seiner 1979 erschienenen kleinen Schrift "Wissenschaft und Sozialismus"2 geschrieben, "sozial" sei ein Wieselwort Das kleine Raubtier sei ja dafür bekannt, daß es aus einem Ei den Inhalt so heraussaugen könne, daß nur die leere Schale übrigbleibe, ohne daß man es dem Ei ansehen könne, daß es leer sei. Hayek meint, Wieselwörter seien solche Wörter, die, wenn man sie einem Wort hinzufüge, dieses Wort jedes Inhalts und jeder Bedeutung beraubten. Das Wieselwort par excellence sei "sozial". Was es heiße, wisse eigentlich niemand, wahr sei nur, daß eine soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat und eine soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit sei. Und er fürchte auch, die soziale Demokratie sei keine Demokratie. Gewiß ist das apen;uhaft zugespitzt. Die Marktwirtschaft hat bekanntermaßen einige wichtige gesellschaftliche Voraussetzungen, von denen hier nur die wichtigsten sieben genannt seien: - Rechtsstaat - Geldwertstabilität - Wettbewerb - Eigentum - Offenheit der Märkte - Soziale Sicherungssystem - Relativ wenige staatliche Eingriffe in die Wirtschaft Es ist eine Frage, ob das unsere Rechtswirklichkeit ist. In der vollentwickelten Marktwirtschaft handelt der Staat an der Nahtstelle zwischen Markt und sozialem Ausgleich. Der Sozialstaat aktiviert den Gesetzgeber. 2

Walter Eucken Institut, Vorträge und Aufsätze, Heft 71, Tübingen 1979, S. 16.

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Ulrich Karpen

- Der Rechtsstaat ist in seiner geschichtlichen Entwicklung primär ein Rechtssicherheitsstaat; der soziale Rechtsstaat bringt neue Aufgaben mit sich. - Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sind vielfaltig, der Gesetzgeber reguliert. Subventionen bewirken eine Anpassung von Unternehmen an die Wirtschaftslage oder verhindem sie. - Für den Umfang des Leistungsstaates gibt es strikte Regeln. - Für die Durchsetzung der verwalteten Gerechtigkeit sind genaue Verfahrensregeln erforderlich. - Das grundrechtliche Netz wird dichter und dichter. Es kommt also auf den Gesetzgeber an. Die Marktwirtschaft bedarf relativ weniger Gesetze. Je mehr soziale Marktwirtschaft es gibt, desto mehr Gesetze sind erforderlich. Man hat es mit einem motorisierten Gesetzgeber zu tun. Aber ein Klimawechsel deutet sich an. Die Forderung nach Deregulierung, Liberalisierung und mehr Wettbewerb wird lauter. Gefragt ist auch die Gesetzgebungslehre, die erklären soll, wie das zu bewerkstelligen sei. Liberalisierung meint den Schritt von der staatlichen Wirtschaft zu einer stärker privaten Wirtschaft. Der Frankfurter Wirtschaftsrechtier Franz Böhm hat einmal gesagt, den Unterschied zwischen einer Planwirtschaft und der Marktwirtschaft könne man letztlich am Aufbau eines Landgerichtes ablesen. In der Planwirtschaft seien von vier Kammern eines Landgerichtes drei Strafkammern und eine die Zivilkammer, in einer marktwirtschaftliehen Ordnung eine die Strafkammer und drei Zivilkammern. Deregulierung bedeutet Aufhebung staatlicher Regulierung. Regulierung ist die traditionelle Form staatlicher Steuerung von wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen: Verkehrsmärkte, Versicherungsmärkte, Wohnungsmärkte. Die öffentliche Regulierung bedient sich der - Investitionskontrolle, - Preisregulierung, - Mengenfestlegung, - Standardisierung, - Qualitätsvorgaben. Deregulierung bedeutet den Abbau staatlicher Eingriffe in Märkte und Unternehmen. Deregulierung will den Wettbewerb fördern, die Märkte für Mitspieler öffnen. Liberalisierung, Deregulierung sowie Wettbewerb sind Stufen der Befreiung von Märkten und Unternehmen von staatlicher Steuerung. Die drei Stufen werden deutlich am Beispiel der Umgestaltung der Telecom. Zunächst wurde liberalisiert, die Post wurde in drei entstaatlichte Unternehmenseinheiten umgeformt. Sie wurden

Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft in Europa

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Aktiengesellschaften, die zu 100% in Staatseigentum waren. Sie besaßen das Eigentum an den Ressourcen und den Unternehmerischen Funktionen. Die privatisierten Unternehmen traten zunächst noch marktbeherrschend in den Wettbewerb ein. Das ist eine Wettbewerbsverfälschung. Der nächste Schritt war die Deregulierung. Der Staat zog sich aus der Telecom zurück, die Anteile wurden verkauft. Zunächst blieb der Monopolcharakter erhalten. Eine wirkliche Marktöffnung wurde erst 1998 erreicht. Der Wettbewerb ist seitdem in vollem Umfang entbrannt und brachte unerwartet große Preisenkungen mit sich. Auf dem Weg von der Liberalisierung über Deregulierung zur Wettbewerbsverwaltung erhofft man sich eine Entlastung des Gesetzgebers. Man kann also festhalten, daß die Entwicklung des Sozialstaates eine Hauptursache der Überlastung des Gesetzgebers ist. Aber nicht die einzige. Die Vollendung des demokratischen Rechtsstaates bietet weitere Erklärungen.

These 2: Was erwarten wir vom Gesetzgeber?

Wie beim Sozialstaat gibt es im Rechtsstaat und in der Demokratie Spannungen. Im Rechtsstaat liberalen Verständnisses möchten die Bürger vom Gesetzgeber möglichst wenig behelligt werden. Andererseits erwarten sie die rechtlich verbindliche Gewährung staatlicher Leistungen. Sie möchten die Erfüllung der Staatsaufgaben mit Rechtssicherheit einklagen können. Auch die Demokratie ist spannungsreich. Die Bürger möchten immer mehr selbst entscheiden, Partizipation ist Trumpf. Auf der anderen Seite soll das Parlament als der Repräsentant der Bürger alle "wesentlichen Entscheidungen" treffen. Zunächst zum Rechtsstaat. Der Rechtsstaat wird von den Bürgern weitgehend als Gesetzesstaat verstanden. Das Rechtsstaatsverständnis wird vielfach eher von Hobbes als von John Stuart Mill geprägt. Es gibt nämlich zwei Grundanschauungen von dem, wozu ein Gesetz notwendig ist, eine eher etatistische (Hobbes) und eine eher liberale (John Stuart Mill). Das Recht und das Gesetz ist nach Thomas Hobbes - obrigkeitlich, etatistisch verstanden - der erzwingbare Befehl des obersten Machthabers, der das Gemeinwohl vor-gibt, der die gute Ordnung schafft. Recht in Sinne der liberalen Staats- und Wirtschaftsauffassung (John Stuart Mill) bedeutet etwas anderes. Wirtschaft und Gesellschaft geben sich selbst gewisse Regeln, die dann irgendwann einmal, wenn nötig, Gesetz werden. Für John Stuart Mill ist das Recht ein Mittel der Koordination gesellschaftlichen Handelns, das Recht, das nach dem Äquivalenzprinzip, letztlich dem Tauschprinzip, dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit geformt ist. Gesellschaft und Marktwirtschaft bewegen sich überwiegend im "rechtsfreien Raum". Hobbes würde sagen: "Lassen wir den Leuten doch ihre harmlosen Freiheiten!".

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Ulrich Karpen

Die kontinentale Gesetzesauffassung folgt eher Hobbes. Daraus entwickelt sich das Kodifikationsprinzip. Der Gesetzgeber schafft nach Möglichkeit umfassende Gesetzeswerke und gestaltet die Dinge und gesellschaftlichen Ordnungen durch das Recht. Die angelsächsische Rechts- und Gesetzesauffassung folgt eher John Stuart Mi!!. Das Gesetz bildet rechtliche Inseln in einem Meer der mehr durch ethische Gebote und Gewohnheiten geordneten Gesellschaft. Es liegt auf der Hand, daß es mehr kontinentale Gesetze als angelsächsische statutes gibt. These 3: Ausweitung des Gesetzesbegriffes

Wenn von der Gesetzesflut im demokratischen Rechtsstaat die Rede ist, sind einige Anmerkungen zur Entwicklung der Demokratie erforderlich. Die Gesetzesflut ist nämlich ganz wesentlich mitverursacht durch das Verständnis der Demokratie in Europa und - muß hinzugefügt werden - durch die Entwicklung der Wissenschaft von der Demokratie. Die Entwicklung ging vom historisch-konventionellen zum demokratischen Gesetzesbegriff, vom Ständestaat über den Konstitutionalismus des 19. Jhds. zum demokratischen Staat des 20. Jhds. 3 Im Ständestaat bezeichnete das Gesetz das Maß, in dem sich die Gesellschaft den Staat eroberte und ihn dirigieren konnte. Die Kompetenz der Stände kennzeichnet das "Gesetz". Das Gesetz war eine generell abstrakte Norm. Da die Volksvertretung auch an der Haushaltsverabschiedung und an Vertragsschlüssen mit ausländischen Staaten beteiligt war (und ist), ergab sich die Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Gesetzesbegriff, der auch der heutigen Rechtswissenschaft noch bekannt ist. Das 19. Jahrhundert war in Deutschland und Europa bestimmt durch die Entwicklung der Gewaltenteilung zwischen Monarch und Parlament und die Entwicklung der Grundrechte. Es war der Eingriff in Freiheit und Eigentum, der das (materielle) Gesetz bestimmte. Im 20. Jahrhundert, in der voll entwickelten Demokratie, ist das Gesetz jede generell abstrakte Norm. Was in ein Gesetz gehört, wird durch die "Wesentlichkeitstheorie" bestimmt. Formale Begriffe wie ,,Maßnahmegesetz", "Einzelfallgesetz" haben weitgehend an Bedeutung verloren. Die Gesetzgebungslehre muß sich mit all diesen Aspekten der Funktion des Gesetzes im demokratischen Rechtsund Sozialstaat beschäftigen. Man kann heute im wesentlichen von fünf Arbeitsbereichen der Gesetzgebungslehre4 sprechen. 3 Dazu Ulrich Karpen, Entwicklung des Gesetzesbegriffs in Deutschland, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, hrsg. von Peter Selmer und lngo von Münch, Berlin 1987, S. 137-152 (139ff.). 4 Dazu U1rich Karpen, Zum Stand der Gesetzgebungslehre in der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, Heft I I 1986, S. 5-32 (34 f.); Georg Müller,

Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft in Europa

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1. Die Gesetzesanalytik beschäftigt sich mit dem Gesetz als Rechtsquelle. Als Gesetz wird verstanden sowohl das Verfassungsgesetz wie auch Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, Satzungen, schließlich Richterrecht, denn oft hat es "Gesetzeskraft". 2. Die Gesetzestaktik beschäftigt sich mit dem äußeren Gesetzgebungsverfahren. 3. Die Gesetzesmethodik hat es mit dem inneren Gesetzgebungsverfahren zu tun, dem Inhalt der gesetzlichen Anordnung. 4. Die Gesetzestechnik beschäftigt sich mit den formalen Regeln des Gesetzgebens, der Verweisung, der Anwendung der Sprache, der Gliederung und Systematik des Gesetzgebungsproduktes usf. 5. Mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat die Wirkungsforschung, die die Akzeptanz eines Gesetzes untersucht. Mit all diesen Aspekten der Gesetzgebung beschäftigen sich die Deutsche Gesellschaft für Gesetzgebung5 und die Europäische Gesellschaft ftir Gesetzgebung (European Association ofLegislation)6 . II. Zur Therapie: Der "schlanke Staat"

These 4: Wieviele Gesetze braucht der Staat? Die genannten Facetten der Gesetzgebung zu analysieren und theoretisch zu durchdringen, ist Aufgabe der Gesetzgebungslehre. Dabei kann sie aber nicht stehenbleiben. Sie ist auch praktische Wissenschaft. Sie kritisiert, gibt Handlungsanleitungen, schlägt vor. Einige praktische Hinweise gelten der Entwicklung des Sozialstaates, des Rechtsstaates und der Demokratie. Zunächst leistet die Gesetzgebungslehre einen Beitrag auch zur Staatsaufgabenkritik. Wieviele Gesetze braucht ein Staat? Je weniger Staatsaufgaben ein Staat erfüllt, desto weniger Gesetze muß er erlassen. Aber wieviele Aufgaben soll und kann der Staat übernehmen? Natürlich scheiden sich an dieser Frage die (politischen) Geister einer expansiven und kontraktiven Aufgabenpolitik. Dabei ist man sich einig, daß das Ende der Planungseuphorie gekommen ist, das Haushaltskonsolidierung und Personalabbau die Aufgaben der Zeit sind, daß viele Aufgaben Elemente einer Rechtsetzungslehre, Zürich (Schulthess), 1999, S. I ff., dort auch ein Literaturverzeichnis zur Gesetzgebungslehre nach neuestem Stand (1999), S. XV -XXII; s. a. Ulrich Karpen (Hrsg.), Zum gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland- Zehn Jahre "Deutsche Gesellschaft für Gesetzgebung", zehn Jahre ,,Zeitschrift für Gesetzgebung", Heidelberg (C. F. Müller), 1998. s Ulrich Karpen (Hrsg.), Deutsche Gesellschaft für Gesetzgebung e.V. (DGG), Materialien, 62 S., Harnburg 1994. 6 Ulrich Karpen (ed.), The European Association of Legislation. Statutes, Texts, Materials, 71 pp., Harnburg 1995. 2 Schreckenberger/Merten

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Ulrich Karpen

des Staates privatisiert werden müssen: Gas, Wasser, Müllabfuhr, staatliche Hilfsbetriebe (Gärtnereien, Wäschereien, Reinigungsuntemehmen). Es gibt einen eisernen Bestand an Staatsaufgaben, ein originäres Hausgut des Staates. Dazu gehören Polizei, Justiz, die Steuerverwaltung, das Arbeits- und Sozialrecht, die Förderung von Wissenschaft und Forschung zur Zukunftssicherung. Anderes kann aus der Hand gegeben werden: Außer Bahn und Post möglicherweise ein Teil des Schulwesens (Privatschulen). Es ist heute an der Zeit, alle Staatsaufgaben in Blick auf Entbürokratisierung, Deregulierung einen "schlanken Staat" zu überprüfen. Als Maßstab für diese Prüfung dient das Zauberwort "Subsidiarität". In der Staatslehre gibt es gewisse Moden. Modem waren in der Vergangenheit große Einheiten, nicht nur im Staat, sondern auch in der Wirtschaft: think big war die · Devise. Heute ist Subsidiarität Trumpf. Small is beautiful. - Globalhaushalte für Hochschulen und Kliniken, - Neue Steuerungssysteme, - Ziel-Mittel-Produktbeschreibungen in der Verwaltung, - Leistungsvergleich nach Kennziffern: Studenten pro Kurs, Länge des Studiums, Einserexamen pro hundert Absolventen. Gefordert wird eine Verstärkung des Wettbewerbs zwischen politischen Einheiten: - new public management - lean administration - total quality management Anstelle des bürokratisch-hierarchischen Staates soll ein marktorientierter Vertragsstaat treten. Das sollte eine bedeutende Entlastung des Gesetzgebers mit sich bringen. These 5: Überschätzt der Gesetzgeber seine Leistungskraft?

An die Gesetzgebungslehre wird auch die Frage gestellt, ob der Gesetzgeber unter rechtsstaatliehen Gesichtspunkten an der Ent-Regelung von Wirtschaft und Gesellschaft mitwirken kann. Kann der Staat deregulieren, ist eine Vereinfachung des staatlichen Regelwerkes möglich? Sie muß möglich sein. Gegenwärtig gibt es in der Bundesrepublik Deutschland überschlägig 5.000 Gesetze und Verordnungen mit überschlägig 60.000 Paragraphen. Eine solche Rechtsmasse ist unüberschaubar. Es ist aber die Frage, wo man mit der Ent-Regelung anfangen kann. Die Frage ist beispielsweise: Wie soll der Gesetzgeber ein zehnbändiges Sozialgesetzbuch vereinfachen, ohne auf gerechte Regelungen für bestimmte Einzelfälle zu verzichten?

Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft in Europa

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Der Gesetzgeber hätte - ein anderes Beispiel - kurz und grob entscheiden können, daß von der DDR enteignete Grundstücke zurückzugeben seien, soweit praktisch möglich. Dann wurden aber Ausnahmen gemacht: In der DDR erworbene Nutzungsrechte haben Bestand; Vorfahrt von Investitionen: ,,Investition vor Rückgabe". Sowie man aber bei dem einen die Vorfahrt von Investitionen einführt, bei dem anderen die Bedingung der Redlichkeit, kommt man zu dem, was geschehen ist: Einem aus immer neuen Änderungsgesetzen gewundenen Paragraphenkranz. Wer die Gesetzesflut eindämmen will, muß der Verwaltung mehr Einzelentscheidungen nach Ermessen überlassen. Aber da Verwaltungsentscheidungen gerichtlich überprüfbar sind, spüren die Richter immer mehr Gerechtigkeitsdefizite zwischen den Ritzen der gesetzlichen Regelungen auf und verlangen nach neuer gesetzlicher Regelung. Es stellt sich jedoch die Frage, ob man wirklich immer ein Gesetz braucht. Welches ist der eigentliche Auftrag des Gesetzes im System der Staatsfunktionen. Die staatlichen Anordnungen von der Verfassung bis zum Verwaltungsakt und zur Gerichtsentscheidung bilden einen kybernetischen Regelkreis. Gesetz ist ein - aber auch nur eines!- wichtiges Steuerungsmittel, hervorgehoben durch seine demokratische Legitimation. Das Gesetz ist der rocher de bronce des demokratischen Rechtsstaates. Das Gesetz hat spezifische Aufgaben, aber nicht alles bedarf der gesetzlichen Regelung. Das Gesetz hat vorwiegend drei Aufgaben: - Das Gesetz hat eine Ordnungs- und Garantie-, eine Schutzfunktion, - es hat eine Änderungs- und Verbesserungsfunktion, - letztlich eine Planungs- und Verfassungsfunktion, es integriert den Staat. Das Gesetz hat eine regulative, integrative, rationalisierende und antizipierende Funktion. Die Gesetzesausftihrung und -anwendung im kybernetischen Regelkreis ist die Aufgabe von Verwaltung und Justiz. Die Verwaltung arbeitet das Gesetz klein, detailliert es. Die Leitentscheidungen der Gerichte konkretisieren die Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe des Gesetzes. In auf- und absteigender Linie sind die Regelungsinstrumente des Staates miteinander verbunden. - Der Staat regelt absteigend detaillierend von der Verfassung über das Gesetz bis zur richterlichen Entscheidung. - Aufsteigend konkretisierend prägen die Leitentscheidungen der Gerichte das Gesetz und fUhren nicht selten zur Novellierung. Gerade diese alles durchdringende Wirkung des Gesetzes führt zu Entlastungsforderungen. - Nicht mehr gesetzesstaatliche Aufforstung, sondern Entfeinerung, Ausdünnung, Deregulation ist die Aufgabe. 2*

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Ulrich Karpen

- Die Integration in die europäische Gesetzesordnung läßt eine Zurückhaltung des nationalen Gesetzgebers möglich erscheinen.

These 6: Der "aktive" Bürger Schließlich gibt es eine demokratische Alezelleration der Gesetzgebung. Der aktive, zugleich abhängige und selbstbewußte Bürger macht dem Gesetzgeber Beine. Hier kann der neue Ansatz der Regierungs- und Verwaltungswissenschaft für die Gesetzgebung fruchtbar gemacht werden: der principal-agent-approach. Der Bürger ist der Auftraggeber, der principal. Er ist der ,,Boss". Das Parlament ist Beauftragter (agent) des principal. Der Gesetzgeber bündelt das Gemeinwohl. Die Wähler haben ihre Interessen, sie setzen sie als Angehörige von Interessengruppen durch. Die Interessengruppen nehmen Einfluß auf die Konkretisierung des Gemeinwohls durch das Parlament. Der "aktive" Bürger drückt auf die Gesetzgebung. Er ist zugleich abhängig und selbstbewußt Zunächst ist er abhängig vom Gesetzgeber. Er ist stärker als je auf die Gesellschaft, das Soziale angewiesen. Die gemeinschaftlichen Angelegenheiten sind für den Bürger wichtiger geworden als je zuvor. - Das Soziale ist entindividualisiert. Der Einzelne kommt nicht vor. Was zählt, sind die Gruppen. - Sozialisierung der individuellen Bedürfnisse ist die Regel. Das ist die Kehrseite des Individualismus, der Auflösung der Beziehungen in kleinen Gruppen. - Das Soziale ist korporiert. Gewerkschaften, Beamtenbünde, Arbeitgebervereinigungen kümmern sich um den Einzelnen. Die Überlegungen zu einem ,,Bündnis für Arbeit" beleuchten diese Entwicklung zum Korporatismus. - Staat und gesellschaftliche Großverbände übernehmen immer mehr Aufgaben im Auftrag des Einzelnen und der Interessengruppen. - Und der Staat und die Interessengruppen bedürfen zur Verwirklichung des Sozialen eben des Gesetzgebers. Zugleich bäumt sich der aktive Bürger gegen die schleichende Entmündigung auf, er wird selbstbewußter. Die Bemühungen um eine direkte Demokratie und Partizipation, die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid: Das bedeutet zunächst neue gesetzliche Regelungen. Es ist das Zeitalter der Bürgerbewegungen: Die Politik wird großteiliger, die Demokratie kleinteiliger. Die Ostseeautobahn von Rostock über Lübeck bis zur Elbquerung westlich Hamburgs ist ein Beispiel, die Bemühungen um eine Reform der Hamburger Bezirksorganisation ein anderes. Es gilt das St.-Fiorians-Prinzip: Industrieansiedlungen ja, aber bitte nicht hier. Beund Entwässerung ja, aber bitte nicht hier. Die Gesetzgebung wird immer schwieriger und langwieriger. Die Ostseeautobahn wird letztlich nur über das Bundes-

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planungsbeschleunigungsgesetz fertiggestellt werden können. Der Hamburger Neue Hafen in Altenwerder wird nur gesetzlich für den Ausbau freigegeben werden können. Wenn man mit der Forderung nach Deregulierung und Entfeinerung der Gesetzgebung ernst macht, wenn man einen drahtigeren Staat will, ist dreierlei nötig. 1. Die Bürger müssen davon ablassen, allzu viel des Guten vom Staat zu erwarten, insgesamt also weniger. 2. Der Staat muß darauf verzichten, in alle Richtungen Interessenwünsche zu erfüllen, was gegen den interessenverpflichteten Parteienstaat ginge. 3. Parteien, die den Bürgerwillen in die staatlichen Organe transportieren, müßten von den Bürgern belehrt werden, daß sie sich nicht mehr auf die angeblichen Erwartungen an den Staat berufen können.

lU. Vorschläge zur Verbesserung der Gesetzesqualität

These 7: Zur inhaltlichen Qualität der Gesetze Neben den Klagen über die übergroße Quantität der Gesetze tritt die Sorge über die zunehmend mangelnde Qualität der Gesetzesprodukte. Es gibt in der Gesetzgebungslehre einige aussichtsreiche Ansätze zur Verbesserung der Gesetzesqualität Ein durchaus beachtenswerter Vorschlag ist es, die Geltungsdauer von Gesetzen flexibel zu halten. - Man sieht die Gesetzgebungsprodukte heute nüchterner. - Der Blick wandert von der Beständigkeit der Gerechtigkeit zur dynamischen Entwicklung der Wirklichkeit. - Nicht jedes Gesetz ist es wert, in Stein gehauen zu werden, wie Harnmurabis Gesetz. - Gelten Gesetze auf Ewigkeit oder auf Zeit? Zunächst wird das Instrument der Gesetze auf Probe zunehmend eingesetzt. Traditionell sind Gesetze Besitzstände, verfestigte Größen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessenauseinandersetzung. Das Ladenschlußgesetz ist ein Beispiel dafür. Gesetze sollten aber ihre Überprüfbarkeil von Anfang an mit einbauen, und periodische Überprüfung tut meistens not. Diesen Vorschlag nehmen die "Gesetze auf Probe" auf. Die Änderung des Richtergesetzes zur Erprobung der einstufigen Juristenausbildung ist ein gutes Beispiel. Da sich das Modell der neuen der Juristenausbildung nicht bewährt hat, wurde es einfach aus dem Gesetz gestrichen. In ausländischen Gesetzesordnungen gibt es mehr und mehr review-clauses. In englischen Gesetzen findet man etwa die Schlußbestimmung: "The minister shall

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carry out a review of the operation and effectivness of the Act as soon as it is practical after the expiration offive years from its commencement and, in the course of that review, the minister shall consider and have regard to - the effectivness - the need for continuation of the functions of the law - such other matter as appear to the minister to be relevant The minister shall prepare a report based on the review and shall as soon as practicable cause the report tobe law before Parliament." Drittens gibt es in Großbritannien aber auch in den USA in Gesetzen sunsetclauses. Viele Gesetze enden mit Ablauf der Legislaturperiode, es sei denn, sie wurden neu beschlossen. Ein neues gesetzgeberisches Mittel ist die Einführung von sunrise-clauses. Bei der Verfassungsgebung in Südafrika ist es angewandt worden. Die endgültige Verfassung der Republik Südafrika bedurfte einer langen mehrjährigen Vorbereitung, Die Verfassungsgesetzgebung in einzelnen Provinzen- etwa in KwaZulu Natalwurde schneller beendet. Da zu Anfang noch nicht endgültig sicher schien, wie weit die Kompetenzen des Gesamtstaates gehen würden, haben einige Provinzen ihre voraussichtlichen Kompetenzen weit ausgelegt, aber auf eine mögliche Einschränkung dieser Kompetenzen durch die nationale Verfassung Rücksicht genommen. Einige Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen etwa im Bereich von Sicherheit und Wirtschaft sind zunächst als Provinzkompetenzen eingerichtet worden, aber im Blick auf eine mögliche Begrenzung durch die nationale Verfassung. Das geschieht durch eine sunrise-clause: ,,Any provision of this constitution subject to subsection two including the allocation of powers and functions which is not consistent with the constitution of the republic shall have no force and effect. The chapter shall remain in force until such time as the constitution is replaced by a constitution as envisaged."

These 8: Veifassungsrechtliche Maßstäbe für den Gesetzesinhalt?

In der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in anderen Ländern wird gefragt, wie weit die Verfassung auch Maßstäbe für den Inhalt der Gesetzgebung umfaßt. Es gibt einen Argwohn, daß die Verfassung als Maßstab für den Inhalt der Gesetzgebung überstrapaziert wird. Diese Überbeanspruchung des Grundgesetzes als Maßstab für die Gesetzgebung ist in der Bundesrepublik nicht zuletzt Folge des Umstandes, daß das Bundesverfassungsgericht wiederholt als Ersatzgesetzgeber in Anspruch genommen worden ist: erwähnt sei die Rechtsprechung zu Art. 3 GG, zu § 218 StGB und zur Steuergesetzgebung.7 7 Ulrich Karpen (Hrsg.), Der Richter als Ersatzgesetzgeber, Protokoll der 14. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung e.V. in Zusammenarbeit mit der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Harnburg am 2. Mai 1994, Harnburg 1995.

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Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen8 aus der Verfassung Pflichten für ein optimales Gesetzgebungsverfahren herausgelesen: - Die Pflicht zur Tatsachenfeststellung, - eine Prognosepflicht, - eine Abwägungspflicht, - eine Beobachtungspflicht im Hinblick auf die Auswirkung, - eine Nachbesserungspflicht Dagegen regt sich Widerstand. Klaus Schiaich hat in seinem Staatsrechtslehrervortrag9 gesagt: "Der Gesetzgeber schuldet gar nichts anderes als das Gesetz. Die gegenwärtig umlaufende Parole von der "optimalen Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht" will es anders. Sie will dem Gesetzgeber eine nachprüfbare Rationalität des Prozesses seiner Entscheidungstindung auferlegen. Eine solche Pflicht ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. Es gibt nicht "den Gesetzgeber" von dem sich sagen ließe, er habe sich sachkundig gemacht, "die verfügbaren empirischen Daten und Erfahrungssätze in ernstzunehmender Weise verwertet", die erforderlichen Abwägungen vorgenommen. Und daran änderte sich nichts, selbst wenn das Parlament die Begründung zum Gesetz ausdrücklich mitbeschließen würde. Gesetzgebung ist nicht Verwaltung, der gewählte Mandatsträger auf Zeit nicht ein Beamter: weder in seinem Auftrag noch in seiner Bindung an das Gesetz noch in seiner Verantwortung. Die Normenkontrolle darf den Gesetzgeber nicht einspannen in ein von Literatur und Rechtsprechung ersonnenes Gesetzgebungsverwaltungsverfahrensgesetz. 10 Schiaich nimmt sodann Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Mitbestimmungsgesetz und zu § 218 StGB und fährt fort: "Ergibt sich aus diesen beiden Beispielen nicht der Rat an den Gesetzgeber - in Karikatur -, bei komplexen Vorhaben den Abgeordneten Schweigen anzuraten und eine Sachverständigenkommission einzusetzen?''. Neue Maßstäbe für den Gesetzgeber enthalten die Staatszielbestimmungen zum Umweltschutz, zur faktischen Gleichstellung der Frau sowie die vielen Staatszielbestimmungen in den Verfassungen der neuen Bundesländer. Auch die sozialen Grundrechte in den Verfassungen der neuen Bundesländer werden, wenn die Landesverfassungsgerichte sich ihrer erst einmal annehmen, in Gesetzgebungsaufträge umgemünzt werden. Vergleichbares gilt für das "magische Viereck". Es wird auch die Frage aufgeworfen, ob es nicht auch Verfassungsschranken für den Gesetzgeber geben sollte: etwa die Verschuldensgrenze, die Pflicht zum Auss Vgl. nur VerfGE 77, 109. Klaus Schlaich, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, in: VVDSTRL, Heft 39 (1981),5. 109. IO Im Ergebnis ebenso Kar! Mattbias Meessen, NJW 1979, 836. 9

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gleich des Haushaltes und ein Maßstab etwa für die Steuerreform, z. B. für die Einführung der flat tax als Einheitssteuer.

These 9: Von der Kunst, Gesetze zu schreiben Von der Kunst, Gesetze zu schreiben, ist in den letzten Jahrzehnten viel die Rede gewesen. In fast allen Ländern Europas gibt es heute Gesetzgebungshandreichungen, .,Kochbücher", Richtlinien und Checklisten, von Österreich über die Schweiz, von Deutschland bis nach Schweden. Der schweizerische Leitfaden für die Ausarbeitung von Erlassen des Bundes, herausgegeben 1995 vom Bundesamt für Justiz, umfaßt über 500 Seiten. Die Koopmanns-Arbeitsgruppe der Europäischen Union hat Richtlinien für die europäische Gesetzgebung wie die in den Mitgliedsstaaten ausgearbeitet, Richtlinien für die Kommission, für den Rat und das Europäische Parlament. Diese Richtlinien sehen eine unabhängige Evaluierung der Gesetzesentwürfe vor. Auch über die Gesetzessprache ist viel geschrieben worden. Die technische Sprache, die sich nicht an jedermann richtet, wie etwa in den Atomgesetzen, ist sehr detailliert. Umgangssprachliche Formen werden bei bürgernahen Gesetzen gewählt, wie etwa im Familienrecht Diskutiert worden ist die Frage, ob ein Gesetz in zwei Sprachen veröffentlicht werden sollte, in einer Fachversion für den Rechtsstab und einer Volksversion, sozusagen ein .,Volksgesetzbuch". Es gibt Vorbehalte. In Großbritannien gibt es eine Gesetzentwurfsabteilung, das Office of the Parliamentary Draftsmen. Sir William Dale 11 hat am englischen Copyright-Law erläutert, wie dieses Office arbeitet. In der Bundesrepublik Deutschland wird überlegt, ob eine Normenprüfstelle eingerichtet werden sollte, die die Gesetzesentwürfe aus den Ministerien darauf anzuschauen hätte, ob sie würdig seien, vom Kabinett auf den Gesetzgebungsweg gebracht zu werden. Gewiß ist eine solche Stelle schwer in das jetzige Verfassungsgefüge einzubauen, ihre Arbeit bedeutet eine Einschränkung des Art. 65 Abs. 2 11 Sir William Dale, Legislative Drafting, A NewApproach. A Comparative Study of Methods in France, Germany, Sweden and the United Kingdom. London 1977, S. 11 ff.; vgl. auch ders., The Drafting of the Norm, in: Ulrich Karpen/Paul Delnoy (eds.), Contributions to the Methodology of the Creation of Written Law. Proceedings of the First Congress of the European Association of Legislation in Liege (Belgium), September 9- 11 , 1993, EAL Publications no. 2, Baden-Baden 1996, pp. 35 et seq.; Rodolfo Pagano, Legislative Drafting Directives - Towards a Common Model of Legislative Techniques?, in: Ulrich Karpen/Edgar Michael Wenz (eds.), National Legislation in the European Framework, Proceedings of the Second Congress of the European Association of Legislation (EAL) in Rome, March 24-29, 1995, EAL-Publications No. 4, Baden-Baden (Nomos) 1998, p. 203 et seq.; Horst Risse, The Bundesrat in the Legislative Process of the Federal Republic of Germany, in: Ulrich Karpen (ed.), RoJe and Function of the Second Chamber, Proceedings of Third Congress of the European Association of Legislative (EAL) in Munich, October 9-10, 1997, EAL-Publications No. 5, Baden-Baden (Nomos) 1999, p. 115 et seq.; Robert Bergeron (ed.), Rules of Legislative Drafting, Letters to Ukrainian Drafters, Ottawa, 1999.

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GG, wonach innerhalb der Richtlinien des Bundeskanzlers jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich in eigener Verantwortung leitet. Ein Vorschlag geht dahin, dem Gesetzgeber eine Begründungslast aufzuerlegen, wenn er neue Staatsaufgaben festlegen will. Er sollte die Folgen seines Tuns abschätzen. 12 Dazu reicht es nicht aus, auf dem Vorblatt vieler Gesetzentwürfe zu vermerken: Kosten: keine. Es ist bekannt, daß die gesellschaftlichen Kosten der Gesetzgebung hoch sind. Über die weiß man häufig wenig. In Harnburg ist festgestellt worden, daß die mittelständische Wirtschaft bei der Ausführung von Wirtschaftsgesetzen bis zu 30% Bürokratiekosten einsetzen muß: für die Einholung von Genehmigungen, die Erfüllung der Berichtspflichten, die Beantragung von staatlichen Mitteln und Subventionen. Die "Unabhängige Kommission für Rechtsund Verwaltungsvereinfachung" (Waffenschmidt-Kommission) hat 1994 einen Aufruf zur Mitarbeit "Überprüfung von administrativen Pflichten für Unternehmen" herausgegeben: - Welche gesetzlichen Pflichten gibt es für Unternehmen: Anzeigepflichten, Aufbewahrungspflichten, Meldepflichten. - Welchen tatsächlichen Aufwand erfordert die Erfüllung dieser Pflichten. - Welche Folgen würden eintreten, wenn auf diese Pflichten verzichtet würde. - Gibt es einfachere Alternativen, mit denen derselbe Zweck erreicht würde. - Gibt es Vereinfachungsmöglichkeiten durch Harrnonisierung mehrerer Pflichten.

IV. Gesetzgebungsverfahren und Gesetzesstil These 10: Gesetzgebungsverfahrensgesetz?

Einige Länder haben Ansätze gemacht oder tun dies, diese komplexen Fragen der Gesetzgebung nach Inhalt und Verfahren in einem "Gesetz über die Gesetzgebung" zusammenzufassen. So gibt es etwa das bulgarische Gesetz über Normativakte von 1973. Dieses Gesetz hat die Aufgabe, die Ausarbeitung, den Erlaß und die Anwendung von Normativakten zu vervollkommnen. Zunächst ist bestimmt, welche Akte der Normenhierarchie unter dieses Gesetz fallen: Gesetze, Verordnungen, Durchführungsbestimmungen. Sodann sind Vorschriften über das lokrafttreten und Außerkrafttreten enthalten, über Rückwirkung, über die Planung von Gesetzen, die Ausarbeitung und Verkündung, schließlich Auslegungsrichtlinien (durch den Staatsrat), das Vorlagerecht gegenüber Gerichten etc. In Polen wird seit 1975 ein Gesetzentwurf über Gesetzgebung diskutiert: über die Ausarbeitung, Abgleichung, Verkündung, Kontrolle von Gesetzen, Dekreten, 12 Siehe Ulrich Karpen, Fn. 4; ders., Gesetzesfolgenabschätzung in der Europäischen Union, AöR 124 (1999), S. 400 - 422.

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Verordnung, Verwaltungsvorschriften. Das Projekt wurde wiederholt abgebrochen und wiederaufgenommen - gegenwärtig ist ein Rohentwurf in Arbeit. Die Camera dei Deputati Rom hat eigens für die Kontrolle von Gesetzgebungsakten einen Ausschuß eingerichtet (Comitato per Ia legislazione). Rechtsgrundlage seiner Arbeit ist eine Geschäftsordnungsbestimmung, kein förmliches Gesetz. Als Ziele der Gesetzgebung sind genannt: "Der Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit und der Gleichheit vor dem Gesetz sind die Grundlagen für die rechtssetzende Tätigkeit der Republik Polen". Ferner sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen, der Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes aufgenommen. Art. 12 des Entwurfes enthält eine Notwendigkeitsregelung: ,,Ein Rechtsetzungsakt kann nur dann erlassen werden, wenn geltende Vorschriften nicht ausreichen und wenn Gründe für die Annahme bestehen, daß die neuen Vorschriften die gesellschaftlich beabsichtigte Wirkung zeitigen werden". Es muß sich um eine grundsätzliche Regelung handeln: ,,Ein Rechtsetzungsakt sollte vor allem dann erlassen werden, wenn Gründe für die Annahme bestehen, daß die darin enthaltenen Regelungen für längere Zeit das richtige Mittel sein werden, rechtlich auf das gesellschaftliche Leben einzuwirken. Er sollte außerdem möglichst erschöpfend den gesamten Aufgabenkreis eines bestimmten Zweiges des gesellschaftlichen Lebens regeln". Sodann sind Grundsätze für die Rechtsformulierung enthalten: - Rechtssubjekt - Berechtigung und Verpflichtung - Nichtigkeit - Definition - Beteiligung an Rechtsakten - Haupt und Nebenziele usw. Geregelt sind auch Fragen des Verhältnisses der Rechtssätze zueinander, etwa die Ermächtigung, Delegation, der Erlaß von Verwaltungsvorschriften. Ferner Grundsätze der Rechtsgeltung, Rückwirkung, Interpretationsregeln. Schließlich sind die einzelnen Schritte des Rechtsetzungsverfahrens im einzelnen geregelt. So sind etwa die Verkündungsregeln in 17 von insgesamt 76 Artikeln sehr detailliert normiert. These 11: Vom Stil des Gesetzes

Die European Association of Legislation (EAL) fördert zur Zeit ein Projekt, welches die lmplementation von EU-Richtlinien in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten untersucht. Das Common Law ist ursprünglich ein case-law, Richterrecht von Fall zu Fall mit der Entwicklung von "stare decises" (ständige

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Rechtsprechung) als Präjudizien. Statutes sind mehr oder weniger sporadische Gelegenheitsgesetze. Sie sind Recht zweiten Ranges. Ausnahmen sind folglich detailliert, eng auszulegen, nach den Maßstäben der Wortauslegung. In den Civil-Law-Countries herrschen die Maßstäbe des Römischen Rechts. Es ist ein dogmatisches Recht. Die Begrifflichkeil ist stark betont, man geht aus von dem Kodifikationsgrundsatz, es herrscht relative Auslegungsfreiheit mit teleologischen Auslegungsmethoden und Analogien. Der englische Gesetzgebungswissenschaftler Sir William Dale 13 hat das englische mit dem kontinentalen Recht verglichen. Er meint: - Englische Gesetze seien lang und dunkel. - Es gäbe lange Sätze und Absätze. - Es gäbe viele Details, wenige Grundsätze. - Der Gesetzgeber bemühe sich um eine indirekte Annäherung an den Gegenstand. - Er wende die Subtraktionsmethode an: "Subject to .. .", "provided that . .." - Es gäbe eine gewisse Entscheidungsscheu. Der Gesetzgeber handele zentrifugal. Er flüchte von der zentralen Regelung zur Definitions- und Interpretationsbestimmung. Das Gesetz sei durch armselige Stoffgliederung gekennzeichnet. - Es gäbe zu viele und zu lange Kataloge. - Es herrschten Verweisungen. - Viele Gesetze kopierten europäische Richtlinien ("copy out"). - Auf dem europäischen Kontinent gäbe es hingegen: - klare Gesetzesfassung, - eine prinzipielle Regelungsmethode, - einen breiten Ansatz, Konzeptdenken, - eine klare Begrifflichkeil beim ersten Erscheinen des Begriffes. Nach Ländern differenziert, meint Sir William Dale, sei das französische Recht prinzipienklar, die Formen und sprachlichen Mittel seien deutlich. Das Gesetz sei durch logische Entwicklung gekennzeichnet, durch die Ökonomie des Ausdrucks und die Kürze. Wie Mitterand einmal gesagt hat, die Franzosen möchten, daß die Dinge klar gesagt und getan werden auf der Grundlage eines umfassenden Konzepts. Die schwedischen Gesetze seien durch eine laienverständliche Sprache gekennzeichnet. Technische Begriff erschienen in Materialien und im Vorspruch, nicht 13 Fn. II; vgl. auch die 25 Länderbeiträge in: Ulrich Karpen (ed.), Legislation in European Countries, European Association of Legislation (EAL), Publications no. I, Baden-Baden 1996.

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im Gesetzestext. Generell sei die "Politik des Gesetzes" in verständlicher Sprache geregelt, die Einzelheiten überlasse man den Spezialgerichten in dem entsprechenden sozialen Feld, etwa den Arbeits- und Sozialgerichten. Die deutsche Gesetzgebung stelle, meint Sir William Dale, das Prinzip an die Spitze, dann würden die Einzelheiten mit großer Präzision geregelt. Die Gesetze seien häufig lang, aber systematisch. Allerdings enthielten sie zum Teil sehr lange Schachtelsätze. Die Gesetze seien sehr detailliert, zum Teil regelten sie Materien, die in England in einer Verordnung oder Verwaltungsvorschrift enthalten seien. Was den Vergleich des französischen Gesetzgebungsstils mit dem deutschen angeht, so mag ein Hinweis auf Heinrich Heine angezeigt sein. In seiner satirischen und karikaturistischen Sammlung von Auslandskorrespondenzen "Lutezia" (1854) hat er geschrieben, "daß die Klarheit und Leichtigkeit, womit der Franzose seine Gedanken ordnet und abhandelt, aus einer dürren Einseitigkeit und mechanischen Beschränkung hervorgeht, die weit mißlicher ist als die blühende Konfusion und unbeholfene Überfülle des deutschen Journalisten". Ob dieses Diktum zutrifft und sich auf juristische Schriftstellerei übertragen läßt, mögen andere entscheiden. Jedenfalls sollte Gesetzgebung nach Kräften danach streben, sowohl der französischen Klarheit und Leichtigkeit nachzueifern wie auch die blühende Konfusion und unbeholfene Überfülle der deutschen Gesetze nach Möglichkeit zu meiden. Im übrigen gibt es eine Konvergenz der Gesetzgebungsstile. In England ist eine Entlastung des Gesetzgebers durch die Rechtsprechung zu beobachten. Ob man wenn man etwa die Neufassung des Art. 23 und Art. 16 des Grundgesetzes ins Auge faßt - in Deutschland noch von klarem Aufbau und von Begriffsschärfe reden kann, ist zumindest eine Frage wert. Auch in Schweden hält die Unterscheidung zwischen technischer und Umgangssprache Einzug. Die Probleme der Kernenergie und des Umweltschutzes lassen auch das schwedische Recht nicht unberührt. Für die Entwicklung der europäischen Rechtsprechung stellt sich jetzt für viele Länder die Frage, die durch die neuen Bundesländer bei ihrer Gesetzgebung beachtet werden mußte. Welches Gesetzgebungsverfahren sollte man wählen: 1. Das Verfahren der "Rezeption" von Gesetzen alter Bundesländer? Bei der Beamtengesetzgebung haben viele neuen Bundesländer so legiferiert. 2. Soll man "das Rad neu erfinden"? Im Umweltrecht sind einige Länder so vorgegangen. 3. Soll man schließlich nach der "Steinbruchmethode" verfahren? Die Gesetzgebung aller Länder prüfen und das Beste auswählen? In der Hochschulgesetzgebung des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist dieses Verfahren gewählt worden. Was die europäische Rechtsetzung angeht, gibt es verschiedene Verfahren. 1. Das Prinzip des "kleinsten gemeinsamen Nenners". Die Transitrichtlinie für Gasleitungen im Jahre 1990 ist nach dieser Methode vorgegangen.

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2 Das Prinzip "sklavischer Nachahmung" nationaler Gesetzgebung. In der Gesetzgebung zur Verhinderung unlauteren Wettbewerbes hat man dieses Verfahren gewählt. 3. Die Methode des "Husarenritts". Die Produkthaftungsrichtlinie löst sich von allen nationalen Erfahrungen. These 12: Von der (Ohn-)Macht des Gesetzgebers

Das beste Gesetz, inhaltlich und formal perfekt, in einem ordentlichen Verfahren zustande gekommen, nützt nichts, wenn es nicht befolgt wird. Es wird dann überhaupt nicht wirksam. Deshalb ist die Akzeptanz von Normen und ihre Untersuchung, die Untersuchung von Fragen - altertümlich gesprochen - zum Rechtsgehorsam zunehmend in den Vordergrund der Gesetzgebungslehre gerückt. Johannes von Kirehrnano hat einmal gesagt: "Die Jurisprudenz hat es wie jede andere Wissenschaft mit einem Gegenstände zu tun, der selbständig, frei und unhabhängig in sich besteht. Dieser Gegenstand ist das Recht, wie es in dem Volke lebt und von jedem einzelnen in seinem Kreise verwirklicht wird." 14 Recht muß in der Tat lebendiges Recht sein, law in action im Sinne eines nach außen wahrnehmbaren Rechtsverhaltens der Rechtsadressaten. Recht in seiner sozialen Dimension ist Bestandteil der objektiven Wirklichkeit. Diese empirische Wirklichkeit zu quantifizieren, ist u. a. Aufgabe der Demoskopie. Die Wirkungsforschung interessiert nicht so sehr, warum die Leute gehorchen, sondern daß, wie und in welchem Umfang sie gehorchen. Sie folgen dem Gesetz, wenn sie im großen und ganzen die Rechtsregeln beachten. Sie folgen nicht, wenn berichtet wird über Korruptionsaffairen, Hausbesetzungen, Transitroutenblockaden, Drogengesetzmißachtung, Gewalttaten im Zusammenhang mit der Startbahn West und ähnliches. Die Gründe und Motive für die Beachtung des Gesetzes (auf der Mikroebene) sind unter anderem - Rechtsgesinnung, Rechtswillen - Rechtsgefühl, Rechtsethos - Rechtsbewußtsein, Rechtsgläubigkeit - Rechtsgewißheit, Gerechtigkeitsgefühl - Rechtsgewissen und Moral Gründe für die Nichtbeachtung (vorwiegend auf der Makroebene) sind u. a. - Legitimationsprobleme - Probleme externer Effekte 14 Nachweise in: Johannes W. Piehier I Karin J. Guse, Rechtsakzeptanz, Schriften zur Rechtspolitik, Band 6, Wien, Köln 1993, S. 13.

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- Internalisierungsprobleme - Implementationsprobleme - Kommunikationsprobleme - Rechtseffizienzprobleme. Einige Grundregeln für die Einschätzung des Gesetzesgehorsams sollten wieder gelernt werden: I. Man gehorcht nur, wenn das Gesetz gerecht ist und Rechtssicherheit verbürgt. ~.

Die Unüberschaubarkeit der Gesetze beschädigt beides.

3. Der motorisierte Gesetzgeber beschädigt die Rechtssicherheit 4. Tests und Planspiele u. a. prüfen die Akzeptanz vorab. Mehr und mehr geachtet werden muß auf die Rückmeldung der Gesetzeswirksamkeit, die Erforschung ihrer Akzeptanz. Hierzu sind Berichte nicht nur der Justizministerien erforderlich, sondern vor allem der Gerichte und der Rechtsanwälte. Einiges von der "Ohnmacht des Gesetzgebers" muß wieder gelernt werden. Der Gesetzgeber beschädigt die Rechtswirksamkeit selbst, wenn er einige wichtige Schranken unbeachtet läßt. l. ,,Markt bricht Gesetz". Beispiele sind der Schmuggel, gleichgültig ob Whiskey oder Zigaretten geschmuggelt werden. Teilzeitarbeit und Überstunden: Billigerer Markt bricht teures Recht. Weitere Beispiele: Strafmaßnahmen gegen Schwarzarbeit und gegen Überstunden werden kaum wirksam, ebensowenig wie die Sanktionierung des Brötchenbackens und -verkaufs am Sonntag morgen auf Dauer wirksam sein wird.

2. "Gesellschaftliche Moral bricht Gesetz". Ein Beispiel dafür ist der § 218. Ein weiteres Beispiel ist der Umstand, das Eigentums- und Vermögensdelikte zunehmen, nicht zuletzt als Ergebnis der öffentlichen Erziehung in den letzten Jahrzehnten. 3. Man darf Recht nicht gegen die menschliche Natur durchsetzen wollen. Der Sozialismus war ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Fehler. Das ist ein Argument für ein humanes Naturrecht. Der immer einsatzfreudige, hilfsbereite altruistische Mensch existiert nicht. Eine enteignende Steuer wird nicht bezahlt. Der Bürger reagiert auf erdrosselnde Steuern mit Kapitalflucht. Der Mensch läßt sich nicht ausbeuten. Eine Gesetzgebung, die die soziale Hilfe zu dicht an den Arbeitslohn heranrückt, führt zum Mißbrauch des Sozialstaates: Der Mensch ist von Natur aus faul.

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Die bescheidene Erkenntnis: Möglichkeiten und Grenzen einer Gesetzgebungslehre

I. Eine Gesetzgebungslehre ist unentbehrlich. 15 Es wird und muß weiter geregelt werden. Die Vorstellung vom "einfachen Gesetz" ist ein Traum. "Aussteigerturn" ist nicht erlaubt. Eine Reduzierung der Vielzahl von Gesetzen und Gesetzesänderungen, eine Verbesserung der Gesetzesqualität, eine Rückgewinnung der "normativen Distanz" wird zu einer stärkeren Konsilidierung des Rechtsstaates führen. Dazu kann Gesetzgebungsforschung beitragen. 2. Ziel der Gesetzgebungslehre ist die Verbesserung der Gesetze und ihrer Wirkung. Dieses Ziel hat sie noch nicht erreicht. Immerhin hat die Technik einen guten Stand erreicht, und in der Methodik deutet sich in der Synthese von bereits vorhandener Vorabkontrolle von Entwürfen und verwaltungswissenschaftlicher Nachkontrolle der Gesetzeswirkung eine erfolgversprechende praxisorientierte Weiterentwicklung der Gesetzgebungslehre an. 3. Dabei muß bewußt bleiben, daß gesetzgebungswissenschaftliche Bemühungen immer an Grenzen stoßen. Gesetzgebungslehre kann nicht totale Rationalität erreichen: das ist wissenschaftstheoretisch unmöglich; Politik ist nicht abschaffbar; auch sind nicht alle Wirkungsfaktoren der Gesetze überschaubar; der Mensch wird sich nie einer umfassenden Planung fügen. Gesetzgebungslehre soll auch nicht totale Rationalität erreichen: Die vollständige Kontrolle der Wirkungsfaktoren der Gesetzgebung, die integrierte Gestaltung und Steuerung des gesellschaftlichen Lebens durch Gesetze bedeutet einen freiheitsvernichtenden und daher verfassungswidrigen totalen Zugriff. 4. Dennoch ist eine Verbesserung der Gesetzgebung durch Gesetzgebungslehre möglich. Die Produktion "absolut guter und effektiver" Gesetze ist nicht möglich, aber es läßt sich sehr wohl rechtfertigen und ist auch nicht aussichtslos, dem Ziel "relativ guter" Gesetze, besserer Gesetze, näherzukommen. Eine Gesetzgebungslehre, die gerade auch ihre faktischen und normativen Grenzen mitreflektiert, ist die Aufgabe der Zukunft.

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Ulrich Karpen (Fn. 4) 1. Titel, S. 32.

Impulse und Initiativen zur Gesetzgebung Von Wolfgang Zeh

1. Das Seminar verführt zu der Erwartung, dass es neuartige Probleme der Gesetzgebungslehre zu identifizieren gilt, die auch abzuheben wären von lange bekannten, gewissermaßen Standardproblemen dieses Gebiets. Fragt man nach heutigen Beschwernissen und prüft man die Kritik, so zeigt sich schnell, dass die meisten aktuellen Probleme jedenfalls in der Gesetzgebung die bekannten zu sein scheinen: - Gesetzesflut, also zu viele Gesetze zu schnell hintereinander; - Gesetzesdickicht, also zu viele eng verflochtene Gesetze im Bestand; - Gesetzeswirrwarr, also unabgestimmte, widersprüchliche und unverständliche Gesetze; - Schnellschüsse, also kurzfristig auf politische Pressionen reagierende, unausgegorene Detailregelungen; - Hängepartien, also lähmendes Gerangel zwischen gegensätzlichen Interessen und mangelnde Entscheidungsfahigkeit; - Schaufenstergesetze, also politische Deklarationen ohne Regelungsgehalt und Steuerungskraft; - Gesetzesperfektionismus, also Komplettierung und Überregulierung zu Lasten von Einzelinitiative und Einzelfallgerechtigkeit und so weiter, und so fort, und für alles Jassen sich hinreichend Beispiele finden. Diese aktuelle Agenda ist zugleich die altbekannte. Nichts hat sich auch daran geändert, dass jedermann diesen gehäuften Beschwerden im allgemeinen zustimmt, nur nicht im besonderen. Die Misere kommt immer von anderen Gesetzen und anderen Akteuren; das eine Gesetz, welches man gerade selbst fordert oder an welchem man gerade mitwirkt, ist schon nötig und im großen und ganzen nicht schlecht geraten. Wir Jemen daraus, dass Gesetzgebung als ganze es niemandem recht machen kann, so wenig wie das Parlament, die Politik oder die Verwaltung. Doch kann Gesetzgebungslehre sich nicht damit begnügen, solches zu beobachten und zugleich immer wieder herauszuarbeiten, wie rational, intelligent und befriedigend die Arbeit an den Gesetzen eigentlich sein könnte, wenn es die Übeltäter aus Politik und Parteien, Verbänden und Interessengruppen, Behörden und 3 Schreckenherger I Merten

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Gerichten, Zeitungsredaktionen und Fernsehanstalten nicht gäbe. "Das Gesetz", so die schöne Sentenz von Antoine de Rivarol, "ist die Vereinigung von Einsicht und Macht", und hochherzig fährt er fort: ,,Das Volk gibt die Macht, die Regierung die Einsicht". Da leuchtet der doppelte Glaube der französischen Revolution an die Vernunft und an das Volk, und ein wenig davon dürfte ja heute noch glimmen in der Vorstellung, die Gesetzgebung sei in erster Linie Sache der Volksvertretung, und sie lasse sich leiten durch aufgeklärte Prinzipien von Raison und Rationalität. Nicht zufällig ist die Gesetzgebungslehre in ihren historischen Wurzeln so alt wie die Aufklärung, und es ist nahezu unmöglich, nicht aus Montesquieus "Vorn Geist der Gesetze", 1748, zu zitieren. Indessen ist der Glaube an die Vernunft der Regierung und an die Macht der gesetzgebenden Volksvertretung in der aktuellen politischen Situation schweren Anfechtungen ausgesetzt. Je intensiver die Erwartungen oder Befürchtungen tiefgreifender Um-, Ab- oder Neubauarbeiten in entscheidenden Bereichen von Sozialsystern, Steuerrecht, Wirtschaftsordnung und Staatsbürokratie werden, desto bedrängender werden auch die Zweifel, ob das damit verbundene gewaltige Normänderungs- und Gesetzgebungsprogramm mit den gewohnten Mechanismen überhaupt zu bewältigen ist. Und vor diesem Hintergrund zeichnet sich langsam ab, dass die in Jahrzehnten gewachsene Auffassung und Handhabung der politischparlamentarischen Rechtsetzung eine Problernstruktur mit erzeugt haben könnte, zu deren Auflösung sie, die so beschaffene Rechtsetzung selbst, nun den wesentlichen Beitrag sollleisten können. Ich will mich deshalb auf einen Ausschnitt des Themas konzentrieren, nämlich auf die Frage, woher der dauernde Drang zu Gesetzen, und besonders zu Gesetzen der Art, wie wir sie beklagen, eigentlich gekommen ist. Wenn das Parlament, jedenfalls formal betrachtet, der Gesetzgeber oder Gesetzesflutgeber, also der Täter ist, wer und wo sind die Anstifter? Oder ist das Parlament gar nicht verantwortlicher Täter, sondern eher Werkzeug, dessen die eigentlichen Täter sich bedienen das Delikt .,Gesetzesflut und Gesetzeswirrwarr" in mittelbarer Täterschaft? Die eklatanten .,Fehler", die die praktische Gesetzgebung aus der Sicht der Gesetzgebungslehre hartnäckig und offenbar unbelehrbar ständig wiederholt und noch steigert, können vernünftigerweise nicht einfach Bildungs- und Charaktermängeln der Akteure zugeschrieben werden. Die Gründe und die einflussreichen Bedingungen dürften woanders liegen. Vielleicht lohnt deshalb eine Betrachtung der Quellen, aus denen unablässig neue Regelungsmaterie sprudelt. 2. Die fonnellen Initianten der Gesetzgebung (beschränkt auf die Bundesebene) sind schnell erkannt, weil Artikel 76 Absatz l Grundgesetz sie nennt und limitiert: Es sind nur die Bundesregierung, die ,,Mitte des Bundestages" und der Bundesrat. Sie dürfen Gesetzesvorlagen beim Bundestage .,einbringen", das heißt veranlassen, dass das formelle Gesetzgebungsverfahren begonnen wird, seinen Fortgang gemäß

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den Regeln nimmt und auch zu einer Entscheidung des Bundestages (und dann des Bundesrates) führt. Die ,,Mitte des Bundestages" bedeutet nicht ein Initiativrecht jedes einzelnen Abgeordneten, vielmehr können Gesetzesvorlagen gemäß § 76 Abs. 1 GOBT nur von einer Fraktion oder von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder eingebracht werden. Bis hierher scheint der Kreis der Verdächtigen überschaubar. Der auf Gesetzeserzeugung gerichtete Vorsatz verteilt sich im Durchschnitt der Legislaturperioden ungleichmäßig: Gut 75 % der Gesetzesvorlagen kommen von der Bundesregierung, etwa 10% vom Bundesrat, und die restlichen etwa 15% stammen aus der Mitte des Bundestages und dort überwiegend von oppositionellen Fraktionen (wobei diesen dann höchstens ein Dolus eventualis angelastet werden kann, wissen sie doch, dass ihre Entwürfe so gut wie nie eine Mehrheit im Bundestag finden). Ist die Bundesregierung also Hauptverursacher aller quantitativen und qualitativen Probleme der Gesetzgebung? Hier ist, vor den weiteren Ermittlungen, eine grundsätzliche Bemerkung zur Natur unseres Regierungssystems zu machen, die sich immer wieder als notwendig erweist, zwar keineswegs nur, aber eben auch für die Einschätzung solcher Gegebenheiten, die von der Gesetzgebungslehre wahrgenommen werden sollten. Das Grundgesetz erzeugt und erzwingt, in erster Linie durch seine Artikel 63 und 67, ein parlamentarisches Regierungssystem der zugespitzten Art. Unabhängig davon, dass Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 GG die herkömmlichen drei "Gewalten" nennt, konstituiert unsere Verfassung in den entscheidenden Vorschriften eine Regierung, die nicht nur des Vertrauens des Parlamentes bedarf, sondern vom Parlament erzeugt, personell besetzt und im Amt gehalten wird - oder aber ohne Umstände innerhalb von 48 Stunden durch eine andere ersetzt werden kann: Politisch ist die Regierung Exekutivausschuss der Parlamentsmehrheit Ihre Mitglieder, Kanzler und Minister, sind in aller Regel und bleiben gewählte Abgeordnete. Regierungsamt und Bundestagsmandat sind nicht etwa inkompatibel, sondern im Gegenteil erwünschtermaßen verknüpft im Sinne der Verwurzelung der Regierung in der allgemeinen Wahl und ihrem sich in der Parlamentszusammensetzung widerspiegelnden Ergebnis. Die Regierung ist Fleisch vom Fleische des Parlaments und bleibt es, andernfalls verschwindet sie: entweder als ganze im Wege des konstruktiven Misstrauensvotums, oder einzelne ihrer Mitglieder wegen nicht erreichter oder abhanden gekommener Einwurzelung in der die Regierung tragenden (Koalitions-) Mehrheit. Die Abhängigkeit von Parlament und Regierung ist gegenseitig, tief und unauflösbar. Die Regierung braucht die sie tragende Parlamentsmehrheit für ihren möglichen Erfolg, und ihr Erfolg wird benötigt von der sie tragenden Mehrheit, weil deren Abgeordnete und Parteien bei Wahlen für sie geradezustehen haben. Dies bedeutet für die Frage nach der Initiative zur Gesetzgebung im politischen Sinne, dass zwischen dem Parlament in der Formation, die später zum Gesetzesbeschluss in der Lage sein wird, nämlich der Mehrheit, und der förmlich initiieren3•

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den Regierung nicht wirklich unterschieden werden kann. Schon jetzt ist daher festzuhalten: Bereits in die politisch-fachliche Impulsgebung, Vorbereitung und Entwurfserarbeitung fließen über die Verknüpfung mit der Parlamentsmehrheit zahlreiche politische Interessen, Gesichtspunkte und Konflikte ein, und zwar durch Vermittlung von Abgeordneten, die auch in dieser Phase das gesamte Netzwerk ihrer politischen Beziehungen- zu Parteien und Parteigremien, zu Verbänden, zu landesbezogenen, regionalen und lokalen Interessen usw.- einsetzen wollen und müssen. 3. Damit ist zunächst nur ein wichtiger Querschnittsfaktor angegeben, der das Politische in der Gesetzesproduktion verdeutlichen soll. Dieses Politische wirkt permanent dynamisch. Es gibt keinen Abschnitt in der Gesetzgebung, der davon frei wäre, auch wenn es gewisse Unterschiede der Intensität oder der Unmittelbarkeit geben mag. Dieses Politische ist gleichsam der Faktor, der vor der Klammer all dessen steht, was im Detail der Gesetzgebung geschieht. Was aber steht in der Klammer? In der Klammer steht ein äußerst komplizierter Ausdruck aus teils mehr formalverfahrenstechnischen, teils mehr inhaltlich-willensgerichteten Beiträgen und Teilschritten. Der verfahrensmäßige Komplex besteht aus festgelegten Regelungen von Verfassung, Gesetzen und Geschäftsordnungen über den Kreis der Mitwirkungsbefugten und über Ausmaß, Zeitpunkt und Bindungskraft ihrer Beiträge sowie deren gegenseitiger Zuordnung. Dabei lagert sich, wie immer, um die festgelegten Regeln ein weiterer Ring von informellen, von den festgelegten Regeln zwar abgeleiteten, über sie aber hinausreichenden Einwirkungspotentialen. Diese verweisen auf den zweiten Komplex, den politisch-inhaltlichen. Er wird gebildet von den Interessen, Forderungen, politischen Absichten, aber auch Wahrnehmungen, Bewertungen und Fähigkeiten all der Akteure, die befugt oder verpflichtet sind, Teilbeiträge in der Gesetzgebung zu leisten, einschließlich zusätzlicher Einflussfaktoren, welche jene Wahrnehmungen und Wertungen beteiligter Akteure wiederum beeinflussen. Das Bild ist komplex, aber natürlich bei weitem nicht so komplex wie die Wirklichkeit. Festzuhalten ist zunächst, dass die Erzeugung von Gesetzen nicht nur selbstverständlich prozesshaft ist, dass vielmehr dieser Prozess gekennzeichnet ist durch Nicht-Linearität, Nicht-Kontinuität, zahlreiche verflochtene Feed-backSchleifen sowie Vor- und Rückwirkungen. Es trifft nur für die Verfahrensstationen zu, dass ein Schritt dem anderen folgt. In der Sache, also hinsichtlich der Erzeugung des politischen Gehalts gesetzlicher Regelungen, treten Faktoren wiederholt auf, oder parallel, oder gehäuft, oder an nicht vorgesehenen Stellen im Verfahrensablauf. 4. Die Komplexität wird schnell deutlich beim Versuch, die wichtigsten Impulse zur Erzeugung von Rechtsnormen aufzulisten, seien es anfängliche Anstöße, die dann zu formellen Initiativen führen, seien es Einwirkungen in bereits begonnene oder anstehende Vorhaben.

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4.1 Wenn wir, im Bemühen um Systematik, mit dem Beginn einer neuen Legislaturperiode nach stattgehabten Wahlen anfangen, fallt zunächst die Regierungserklärung ins Auge, mit der ein neugewählter Bundeskanzler sein Regierungsprogramm für die anlaufende 4-Jahres-Periode vor dem Bundestag der Öffentlichkeit vorstellt. Diese "großen" Regierungserklärungen - im Gegensatz zu den in den letzten Jahren immer zahlreicher gewordenen "kleinen" zu aktuellen Anlässen, Ergebnissen oder Entwicklungen - umfassen ein mehr oder weniger detailliertes Gesetzgebungsprogramm für die beginnende Legislaturperiode. Es werden politische Ziele und Absichten verkündet, für die - neben Maßnahmen der Außenpolitik, der Baushaltsführung und der Veränderung administrativ-technischer Nonnen - insbesondere neue Gesetze und die Änderung oder Neukombination vorhandener gesetzlicher Vorschriften benötigt werden. Politik im Sinne verbindlicher Gestaltung geschieht im Rechtsstaat in hohem Maße durch Gesetzgebung und muss auch so geschehen. Jede Ankündigung in dieser Regierungserklärung ist, wenn sie vorgetragen wird, schon relativ genau darauf abgeklopft und eingeschätzt, welche Gesetze dafür wann in welchem Umfang und bis zu welcher Tiefe verändert, fortentwickelt, ersetzt werden müssen. Teilweise liegen schon Vorentwürfe "in den Schubladen", teilweise liegen ökonomische oder andere quantitative Daten als Zielgrößen vor. 4.2 Dieser Umstand verweist auf die nächste Schicht von Impulsgebern hinter der bereits stark zusammengefassten Regierungserklärung, nämlich die Ministerien und die Ministerialbürokratie. Regierungserklärungen werden bezüglich des gesetzgebungspflichtigen Gehalts arbeitsteilig in Ministerien geschrieben, nicht in Parteizentralen oder gar in einem "Küchenkabinett" des Kanzlers. Die sogenannten "Häuser" liefern zu. Die Ressorts gelten als verpflichtet und ringen geradezu um eine möglichst weitgehende Verpflichtung, für ihren Zuständigkeitsbereich die Fakten, Regelungsmöglichkeiten und Entwürfe beizusteuern - selbstverständlich im Rahmen der politischen Vorgaben. 4.3 Das wirft die Frage auf, wem zugeliefert wird und von wo die politischen Vorgaben kommen. In aller Regel ist das ein Koalitionskreis. Von einer Ausnahme abgesehen, ist es nach keiner Bundestagswahl einer Partei alleine gelungen, die Mehrheit im Bundestag stellen und damit alleine eine Bundesregierung bilden zu können. Sobald die insbesondere auch für die Gesetzgebung erforderliche Mehrheit aber nur von mindestens zwei Parteien -im Bundestag Fraktionen -beschafft werden kann, ist auch klar, dass das für die Wahlperiode anzukündigende Gesetzgebungsprogramm mit allen Partnern abgestimmt sein muss, die im Zweifel die erforderliche Gesetzgebungsmehrheit herstellen sollen. Damit ist die Koalitionsabsprache oder der Koalitionsvertrag als weiterer Impulsgeber identifiziert. Das können politische Zielsetzungen im Sinne von Vorgaben sein, aber auch Limitierungen gegenüber Regelungszielen aus der Sicht der zuliefemden Ministerien. Diese operieren aus der Sicht ihres fachlichen Interesses und ihrer ressortspezi-

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fischen Vorstellungen im Rahmen derjenigen politischen Vorgaben, die sie entweder direkt empfangen oder aus politischen Äußerungen entnommen oder auch in politische Äußerungen hineininterpretiert haben. Die Einpassung ressortspezifischer Zielvorstellungen in einen politischen Gesamtrahmen, ihre gegenseitige politische Abstimmung und ihre Formulierung im Sinne der "corporate identity" einer Regierung ist dann Sache der Koalitionsgespräche und zuletzt Aufgabe der Feinformulierung der vorzutragenden Regierungserklärung. Den Koalitionsvereinbarungen kommt eine außerordentlich große Bedeutung zu. Interessanterweise - das ist ein Gegenstand, der einer eigenen Untersuchung wert wäre - werden die Koalitionsverträge nicht von den Fraktionsvorsitzenden unterzeichnet, wie man es erwarten könnte, da es ja die Fraktionen sind, welche die zur Kanzlerwahl und zur Gesetzgebung notwendige Mehrheit bilden sollen und wollen; vielmehr stehen die Unterschriften der Vorsitzenden der entsprechenden Parteien unter der Vereinbarung. 4.4 Das verweist auf eine weitere Schicht der lmpulsgebung für Gesetzesvorhaben hinter den Koalitionsvereinbarungen, nämlich auf die Programmatik der Parteien besonders während des vorausgegangenen Wahlkampfes. Schon hier sind, natürlich in höchst unterschiedlichem Detaillierungsgrad, Absichten und politische Ziele dargestellt worden, um derentwillen, also um deren gesetzgebenscher Verwirklichung willen, die jeweilige Partei um Stimmen geworben hat. Ob als Regierungspartei oder bisherige Oppositionspartei: Wer nach der Wahl die Möglichkeit erhält, die Mehrheit im Bundestag und eine Regierung zu bilden, muss nun mindestens wesentliche Teile der programmatischen Ankündigungen in die Koalitionsverhandlungen übernehmen und möglichst viel davon in die Regierungserklärung und damit in das zukünftige Gesetzgebungsprogramm überführen. Dabei kommt nicht viel darauf an, ob es sich bei den Programmaussagen der Parteien um gewissermaßen autonom, etwa auf Parteitagen, gebildeten Parteiwillen handelt oder um Reaktionen auf sich entwickelnde Debatten, auf Forderungen anderer oder auf Aussagen politischer Gegner. Meist handelt es sich nicht um einen originären Startzeitpunkt, gleichsam die Stunde Null und die ursprüngliche Wurzel gesetzgeberischen Wollens, sondern oft um Zwischenschritte, Stadien und Gerinnungszustände der politischen Willensbildung. Bis hierher erscheint das Bild noch einigermaßen statisch, weil wir zunächst die Phase vom Wahlkampf über die Koalitionsbildung bis zur Regierungserklärung ins Auge gefasst haben. Das Grundmuster bleibt aber für die weitere Zukunft erhalten. Was weiterhin an politischen Vorgaben im Sinne der Programmatik dieser Regierung und dieser Parlamentsmehrheit ins Spiel gebracht werden soll, muss erzeugt werden - oder wird verhindert - auf der Linie Parteien - Koalitionsgespräche Kanzler I Kabinett. 5. Ein Stück komplexer werden die Prozesse, die sich anschließen, also die Erzeugung der Regelungsvorhaben und Gesetzgebungsinitiativen im einzelnen. Nun treten neue Akteure hinzu, und es treten Akteure in neuen oder veränderten

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Rollen hervor, die bei der allgemeinen politischen Zielbildung bereits mitgewirkt haben. Im Rahmen des grundsätzlich festgelegten politischen Rasters geht es jetzt darum, was genau gemacht wird, wie viel davon, und wann. In die nun vorzubereitenden Gesetzesinitiativen - bei Regierungsvorlagen im Wege des sogenannten Referentenentwurfs - wirken die folgenden Impulsgeber und Impulse ein: 5.1 Vorschläge und Forderungen von Verbänden und Organisationen, präsentiert als Materialien, Gutachten, Studien, Argumentationspapiere, bis hin zu Formulierungsvorschlägen für einzelne Paragraphen oder ganze Gesetzesabschnitte. 5.2 Unterlagen und Erkenntnisse aus der Umsetzung und Anwendung einschlägiger bisheriger Rechtsvorschriften, zur Verfügung gestellt entweder aus eigenem Antrieb oder aufgrund Berichtsersuchen von Ministerien des Bundes und der Länder, Mittelbehörden, kommunalen Spitzenverbänden in der Form von Berichten, Stellungnahmen, Forderungen, Presseerklärungen, Fachpublikationen, Tagungsergebnissen, Resolutionen u. a.m. 5.3 Ergebnisse und Tendenzen der Rechtsprechung, besonders des Bundesverfassungsgerichts und der obersten Gerichtshöfe des Bundes, aber auch gehäufter Urteile von Instanzgerichten, aus denen Streitigkeiten, Anwendungsprobleme oder Regelungsdefizite erkennbar werden, zur Verfügung gestellt und gesammelt in der Form von Urteilen, Urteilsanmerkungen, Fachpublikationen und Kommentaren. 5.4 Verlautbarungen einzelner oder aller Bundesländer über bestimmte Erwartungen hinsichtlich Zielrichtung und Umfang von in Rede stehenden Neuregelungen, gegebenenfalls verknüpft mit Bedingungen und mit Ankündigungen der Zustimmung oder Ablehnung im Bundesrat. 5.5 Problemaufrisse, Modellentwürfe, Sitzungsprotokolle, Arbeitsgruppenergebnisse u. a. aus dem Bereich der Fachministerkonferenzen der Länder und ihres Unterbaus aus Arbeitskreisen und Kommissionen. 5.6 Stellungnahmen und Meinungsäußerungen von auf dem betreffenden Gebiet einflussreichen Politikern (Minister, Ausschussvorsitzende, Fachsprecher von Parteien und Fraktionen) sowie von Sachverständigen und ,,Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens" mit hoher Kompetenz oder Reputation für das betreffende Thema. 5.7 Meinungsbildende Beiträge in Printmedien, Fernsehen und Rundfunk in der Form von Kommentaren, Berichtsschwerpunkten, Diskussionsrunden, Interviews u.s.w. 5.8 Daten, Materialien, Statistiken, Prognosen, Schätzungen und Analysen aus Sachverständigenräten, Beiräten, Gutachterausschüssen, nachgeordneten Bundesbehörden und beauftragten Instituten. Das ließe sich für die einzelnen Fälle der Gesetzesvorbereitung fast endlos weiter ausdifferenzieren, besonders wenn man das Feld der sogenannten Verbände näher aufschlüsseln und in seiner Verflochtenheit mit dem jeweiligen institutiona-

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lisierten Sachverstand genauer beleuchten würde. Dafür ist hier kein Raum; aber es ist wichtig, alle diese Impulse in ihrer Parallelität, Überlagerung und Verflechtung zu begreifen. Die impulsgebenden und impulsempfangenden Akteure reagieren aufeinander nicht nur, sondern nehmen gegenseitig unterstellte Interessenrichtungen und Aktivitäten sogar vorweg, antizipieren sie in ihren eigenen Festlegungen und Äußerungen, reagieren mithin auf noch gar nicht angekommenes Agieren mit der Vorstellung, dieses dadurch vorweg zu kompensieren, häufig aber auch mit dem Ergebnis, es erst zu provozieren. Dadurch können sich Interferenzen ergeben, wie bei akustischen Nachhall- und Überlagerungseffekten, denen das bekannte Phänomen übertriebener Themenkarrieren und aus der Sache kaum noch erklärbarer Aufgeregtheilen ebenso zuzuschreiben ist wie vor allem der Umstand, dass der Prozess der Normerzeugung im Hinblick auf das politisch eigentlich Gewollte nur sehr schwer zu steuern ist. Auch damit hängt es zusammen, dass das politische Spitzenpersonal zunehmend dringlicher aufgefordert wird, Machtworte zu sprechen, eine Angelegenheit zur Chefsache zu erklären oder mit der Faust auf den Tisch zu hauen. 6. Mit dem Steuerungsproblem ist die eigentliche Crux für die Gesetzgebungslehre angesprochen. Wer soll und wer kann die Postulate von Gesetzgebungskritik und Gesetzgebungslehre beisteuern oder einsteuern in einen Prozess, der schon in seinen politischen Zielen und Abläufen höchstens partiell und oft nur mit politischer Brachialgewalt steuerbar ist? Wo steckt der "Gesetzgeber", den die Gesetzgebungslehre unproblematisiert unterstellt und an den sich die Postulate von Systematik, Sachrationalität, Widerspruchsfreiheit, Vollzugsicherheit u.s. w. richten? 6.1 Auf dem bisher nur skizzierten Komplexitätsniveau ließen sich noch einige Antworten versuchen. So könnte angenommen oder gefordert werden, alle an der Rechtserzeugung -gleichgültig mit welchen Textbeiträgen- Beteiligten seien verpflichtet oder könnten verpflichtet werden, diese Beiträge unter Beachtung von anerkannten gesetzgebungsmethodischen Prämissen und Kunstregeln zu liefern. Das würde freilich voraussetzen, dass die Möglichkeit gegeben sein müsste, insoweit regelwidrige Beiträge zurückzuweisen. Oder es könnte dem Parlament als dem letztverantwortlichen Autor der Gesetze die Pflicht zugeschrieben werden, die zu verabschiedenden Rechtsnormen auf das Qualitätsniveau entsprechend bestimmten gesetzgebungsmethodischen Standards zu bringen oder bringen zu lassen und sie andernfalls nicht zu verabschieden. 6.2 Bekanntlich existiert diese Erwartung an das Parlament, und zwar nicht nur gesetzgebungstheoretisch, sondern auch praktisch. Die Parlamente zeigen Bemühungen von freilich unterschiedlicher Entschlossenheit, dieser Erwartung gerecht zu werden. Der Bundestag hat die Sorge um Gesetzgebungsmethodik und Gesetzgebungstechnik seit seinem Bestehen delegiert - oder erst gar nicht an sich gezogen -, er lässt sie als eine gleichsam technisch, jedenfalls unpolitisch gedachte Serviceleistung von der Bundesregierung erbringen. Im Schwerpunkt ist es das

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Justizministerium, das im Wege der sogenannten Rechtsförmlichkeitsprüfung- die allerdings bis zur Einschätzung der Vereinbarkeil mit Verfassungsrecht reicht - die Regierungsentwürfe entsprechend in Form bringt, bevor sie Bundesrat und Bundestag zugehen. Auch während der Beratung in den Ausschüssen des Bundestages wirkt die Regierung durch die sogenannte Formulierungshilfe auf die gesetzestechnische Einpassung von politisch gewollten Änderungen, Ergänzungen oder Alternativen hin. Schließlich ist die Redaktion des Bundesgesetzblattes ebenfalls Sache des Justizministeriums, auch auf dieser Stufe können noch redaktionelle Fehler beseitigt werden. 6.3 Interessant als Kontrast ist die Lage in zahlreichen Staaten Mittel- und Osteuropas nach dem Übergang zu demokratisch-parlamentarischen Verfassungen. Hier sind in vielen Parlamenten besondere Ausschüsse für Gesetzgebung eingerichtet worden, in denen die Verfassungsmäßigkeit, Rechtsförmlichkeit, Widerspruchsfreiheit, Anwendbarkeit und Kontrollierbarkeit der Parlamentsgesetze durch Abgeordnete geprüft und gesichert werden soll. Das geschah zum Teil wie selbstverständlich, weil man dies als eine ureigene Aufgabe der Gesetzgebung und damit des Parlaments betrachtete. Zum Teil steht aber auch ein sehr konkretes Misstrauen gegenüber den gouvernementalen oder präsidialen Exekutiven dahinter, denen man insoweit kein Vertrauen schenkt, vielmehr unterstellt, sie würden im Gewande der Rechtsförmlichkeit politisch vom Parlament nicht gewollte Inhalte einschmuggeln. Gesetzgebungstheoretisch wie verfassungstheoretisch gleichermaßen interessant und problematisch ist die in Mazedonien gefundene Variante: Dort ist ein "Rat für Gesetzgebung" nicht im Parlament, sondern beim Parlament eingerichtet, der externe Experten, sogenannte unabhängige Persönlichkeiten, umfasst, denen eine relativ autonom gedachte Schlussprüfung der Gesetze übertragen ist - von rechtstechnischen Details bis zur Einschätzung der Verfassungsmäßigkeit Die Frage an alle Vorkehrungen und Überlegungen dieser Art ist immer dieselbe, und es ist eine sehr grundsätzliche. Als Frage innerhalb der Gesetzgebungslehre könnte sie etwa folgendermaßen lauten: Gibt es tatsächlich bei Rechtsnormen den Unterschied zwischen Inhalt und Form, der vorausgesetzt werden muss, wenn eine gleichsam neutrale Gesetzgebungsmethodik ohne Ansehen politischer Inhalte auf die Gesetzgebung generell anwendbar sein soll? Als mehr praktische Frage von außen an die Gesetzgebungslehre gerichtet, könnte sie lauten: Liegen die in der Gesetzgebungslehre diagnostizierten Probleme der Gesetzgebung überhaupt in ihrer eigenen Reichweite, kann die Gesetzgebungslehre ein methodisch-therapeutisches Angebot machen? 7. Dieneuere und neueste Entwicklung der Gesetzgebung in Deutschland, vermutlich aber auch in vergleichbaren Ländern, wirft schwere Zweifel auf, ob diese Fragen bejaht werden können. Es gibt nämlich Anzeichen dafür, dass der Gesetzgebungslehre ihr Substrat, die Gesetzgebung, in ihrem hergebrachten Verständnis tendenziell abhanden kommt oder sich politisch-gesellschaftlich so zu wandeln

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beginnt, dass sie mit den Instrumenten hergebrachter Vorstellungen von Rechtsnormen nicht mehr zu fassen ist. Anhaltspunkte dafür drängen sich massiv auf, sollen aber ausdrücklich nicht als eine Beschreibung des Gesamtzustandes heutiger Gesetzgebung, sondern als Tendenzbeschreibung, als Trendermittlung verstanden werden. 7.1 Der bedeutendste Trend ist die wachsende Ununterscheidbarkeit zwischen gegebenen, entworfenen und gewünschten Rechtsnormen. Was als "Gesetz" oder "Gesetztes" gesellschaftlich wirkt, bestimmt sich nicht mehr danach, ob es im Gesetzblatt steht. Ein Teil dieses Phänomens ist schon früher unter dem Stichwort "Vorwirkung von Gesetzen" beschrieben worden, aber die Entwicklung ist schon weiter. Die allgegenwärtige Dauerkommunikation über politische Absichten und politische Kontroversen in der Mediengesellschaft hat begonnen, die institutionelle Urheberschaft und Zurechenbarkeit, die Kompetenzzuschreibungen, die Gültigkeitsvoraussetzungen und die Legitimation für Allgemeinverbindlichkeit in der Gesetzgebung aufzulösen. Das steht in einem nur scheinbaren Widerspruch zu der offenbar guten politischen Informiertheil der Bevölkerung. Tatsächlich richtet sich diese Information, vermittelt durch ihrerseits institutionell nicht sehr interessierte und informierte Medien, auf sogenannte Inhalte, also auf Interessen, Forderungen, programmatische Positionen, Wertkonzepte, Lebensentwürfe bis hin zu LifestyleOrientierungen, wobei das Interesse an persönlichen Motiven, Machtrollen und charismatischen Bindungsfahigkeiten in genau dem Maße zunimmt, in dem die Abnahme von Orientierungswissen über Institutionen und Prozeduren Gefühle der Unübersichtlichkeit und Hilflosigkeit auslöst. Für das, was mit Gesetzen bewirkt werden soll, bedeutet dies, drastisch gesagt, dass es zunehmend egal ist, ob es das Gesetz zu dem betreffenden Streitthema schon gibt, noch nicht gibt, vielleicht später oder eines Tages ganz anders geben wird. Nichtwirksame Gesetze werden durch wirksame Nichtgesetze überboten. Das Neue daran ist folgendes: Das gilt nicht (mehr) nur für eine wenig informierte und wenig interessierte "breite Masse", sondern für nahezu jedermann außerhalb gerade seines Spezialgebiets oder seines Spezialinteresses. Nur im letzteren weiß er genau, und vielleicht genauer als früher, was im Detail rechtlich von ihm gemacht werden muss und was er vermeiden kann, worauf er Anspruch hat und worauf nicht. In der weit überwiegenden Menge des politischen Streitstoffs und der durch Gesetz zu entscheidenden politischen Gegenstände, in der gesamten Einschätzung dessen, was in der Gesellschaft und für die Gesellschaft gültig und bindend sein soll, trifft aber das Gefühl der Distanz oder der Nichtrelevanz.der irgendwann vielleicht einmal beschlossenen sogenannten juristischen Details für nahezu jedermann zu. 7.2 Wenn wir in der Zeitung lesen und im Radio hören, die Bundesregierung habe ein neues Gesetz beschlossen, tritt freilich die Regierung dem keineswegs entgegen mit dem Hinweis, man werde dies vielmehr dem Parlament zur Beschlussfassung vorschlagen. Das gleiche gilt, wenn davon gesprochen wird, dass

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"die Koalition" eine Regelung beschlossen habe; die politischen Akteure benutzen die Unwissenheit über institutionelle Befugnisse, um Öffentlichkeit und Betroffene zu mobilisieren, einzubinden, vorzubereiten und zufriedenzustellen. Der wahre Politiker soll bekanntlich "handeln", und das beweist er mit eben diesem Verhalten. Die Ausformulierung irgendwelcher Details kann man dann getrost untergeordneten juristischen Erfüllungsgehilfen überlassen: Die eigentliche Gesetzgebung wird zum Vollzug des kraftvoll Entschiedenen. Besonders bezeichnend ist es, wenn der Gesetzesinhalt schon öffentlich im Detail zur Verfügung steht, obwohl es noch nicht einmal die Einleitung einer Gesetzesinitiative gibt. Man erkennt daran, dass auch die mit der Gesetzeserarbeitung Beauftragten so sicher sind, dass die Gesetzgebung politisch getroffene Entscheidungen unverändert vollziehen wird, dass es offenbar kein Risiko bedeutet, den Inhalt bereits publizistisch zu verwerten. Vielleicht wäre es zweckmäßig, in Zukunft auch Gesetzeskommentare immer zuerst vorzulegen und das kommentierte Gesetz später beschließen zu lassen. Freilich würde damit noch weiter Abstand genommen von dem hergebrachten Grundsatz der älteren Banner Ministerialbürokratie, welcher stolz-bescheiden lautete: "Der feine Mann publiziert nur im Bundesgesetzblatt." 7.3 Das, was an der Gesetzgebung eigentlich wirksam und bindend ist, nämlich die Festlegung der Ziele und der wichtigsten Mittel sowie die breit wahrnehmbare Verkündung und Erläuterung, mithin die Schaffung der Geltungsüberzeugung über Normen, scheint sich also tendenziell von der Institution wegzuverlagern, die wir als Gesetzgebungsorgan bezeichnen und für die erlassenen Gesetze politisch verantwortlich machen. Nun könnte man das alles unter den Bedingungen des parlamentarischen Regierungssystems für unproblematisch halten. Schließlich bleibt die Verantwortung ja immer noch beim Parlament insofern, als dessen Mehrheit geschehen lässt, was geschieht, die Verkündigungen von Koalitionsrunden, Kanzlern und Kabinetten sanktioniert und, was die Inhalte betrifft, so gesehen noch immer Gesetzgebung sozusagen im Auftrag erarbeiten lässt. Die Parlamentsmehrheit ist rechtlich jederzeit in der Lage, eine im oben skizzierten Sinne normsetzend wirkende Entwicklung zu stoppen, zu konterkarieren oder durch das schließlich folgende eigentliche Parlamentsgesetz mit erheblich verändertem Inhalt zu korrigieren. Volenti non fit iniuria, ließe sich jeder Klage über Macht-, Kompetenz- oder Bedeutungsverluste von Parlament und Parlamentariern entgegenhalten. Eine nicht zu verachtende moderne Deutung des parlamentarischen Regierungssystems hebt gerade darauf ab, dass die entscheidende Machtausübung nicht im Beraten und Beschließen von Gesetzen liege, sondern in der Bestellung und laufenden Mitsteuerung der Regierung, was jedenfalls der für die Gesetzgebung verantwortlichen Mehrheit des Parlaments politisch-praktisch beachtliche Einflussund Gestaltungsmöglichkeiten im Zuge jener informellen Erzeugung normativer Bindungen für die Gesellschaft einräume. Der parlamentarischen Opposition kommt dabei die Aufgabe zu, die Inhalte jener informell-internen Vorbereitungsund Entscheidungsprozesse immer wieder an die Öffentlichkeit zu bringen, die

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Mehrheit und ihre Regierung zur Darlegung und Auseinandersetzung zu zwingen sowie Alternativen aufzuzeigen. 7.4 Das lässt sich ganz schlüssig vertreten, solange man nicht genauer in Betracht zieht, welche Rolle die Massenmedien dabei haben. Sie bewirken nämlich aufgrund von Eigengesetzlichkeilen ihrer Funktionsweise, dass die Mitsteuerungschancen des parlamentarischen Prozesses blockiert werden. Eine von "der Koalition" oder gar vom Kabinett mit Verbindlichkeitsanschein "verabschiedete" Neuregelung kann von der grundsätzlich noch entscheidungsbefugten Parlamentsmehrheit eben nicht mehr angehalten, wieder eingesammelt oder durch etwas wesentIich anderes ersetzt werden, nachdem und weil diese Neuregelung mit der Autorität des Regierungschefs verkündet, in Pressekonferenzen erläutert, in Pressekommentaren begrüßt oder verdammt, in Politiker-Journalisten-Fernsehrunden durchgearbeitet und durch Auskünfte und Materialien zuständiger Ministerien substantiiert wurde, auf die wiederum publizistisch reagiert wird. Die Mitglieder des Gesetzgebungsorgans finden sich plötzlich in fast derselben Rolle wie das allgemeine Publikum: Etwas ist geschehen, man hat sich darauf einzustellen, möglicherweise haben die für das jeweilige Fachgebiet zuständigen Kollegen nicht aufgepasst, vielleicht aber auch intensiv mitgewirkt; vor allem scheint die Sache aber "vom Tisch" oder "die Kuh vom Eis", wer jedenfalls als Mehrheitsabgeordneter daran noch herumnörgelt, erweist sich als Bedenkenträger oder Störenfried und nicht als nach vorne blickender gestaltungswilliger Politiker. Dies funktioniert so, weil in der Medienlogik des parlamentarischen Regierungssystems die Desavouierung eines öffentlich durchgekämpften Vorhabens der Regierung durch ihre Parlamentsmehrheit politisch als Misstrauensvotum gilt. Sie wird in den Medien dargestellt als Anfang vom Ende einer mehrheitsfähigen Regierung oder regierungsfähigen Mehrheit. Aller Augen werden darauf gelenkt, ob die Regierung "ihre" Mehrheit hinter sich bringt oder ob es etwa Dissidenten, Abweichler oder - wozu lebhaft animiert wird - aufrechte, um ihr Gewissen ringende Abgeordnete gibt unter einem Fraktionszwang, der einerseits der Regierung abgefordert und andererseits als undemokratisch verdammt wird. Unter diesen Bedingungen politischer Öffentlichkeit bleibt nichts anderes übrig, als alles das, was man als Politiker oder Interessent in einem Gesetzesvorhaben verwirklicht sehen möchte, vorher, nämlich vor dem vorgezogenen "Verkündungstennin" seitens Koalition oder Regierung, unterzubringen. Das verschärft natürlich die nicht selten hektische Interaktion von politischen und fachlichen Impulsen in der Vorbereitungsphase. In der Informations- und Aufmerksamkeitskonkurrenz der Mediengesellschaft wird Gesetzgebung zur Kunst nicht der vollendeten Nonnfassung, sondern der Besetzung von Wahrnehmungsfähigkeit für politisch Gewolltes. 8. Daraus ließe sich ein etwas zynischer Schluss ziehen: Gesetzesflut und Normwirrwarr sind gar nichts Schlimmes, weil sie ja doch nur vom systematisch vorgehenden Betrachter überhaupt wahrgenommen werden können. Für den politisch interessierten und agierenden Mitbürger spielt sich lediglich politische Aus-

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einandersetzung auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Verfestigungsgraden und verschiedenen Bindungs- und Geltungsansprüchen ab. Was da im einzelnen richtig und was nur behauptet ist, ist nicht so wichtig, morgen sieht man weiter und kämpft man weiter. Gegen diese Möglichkeit einer mehr achselzuckenden Betrachtungsweise sprechen zwei gewichtige Einwände. Der eine ergibt sich aus dem bisher nicht bezifferten und vielleicht gesellschaftspolitisch eines Tages nicht mehr bezahlbaren Verlust an Folgebereitschaft und Bindungszuerkennung gegenüber dem Recht. Auch das ist heute nicht volle Wirklichkeit, aber unübersehbare Tendenz. Die Vorstellung, das gesetzte Recht sei mehr etwas für den braven, aber auch ein wenig tumben Mitbürger, der nicht clever und hart genug ist, sich anders zu helfen, sollte eigentlich nicht zum Bildungsziel des staatsbürgerlichen Curriculums werden. Der andere Einwand ergibt sich aus dem Paradox, dass diese scheinbare politische Vitalität und Handlungsorientierung in bezug auf die Rechtsetzung in Wahrheit zum politischen Immobilismus tendiert. Die zunehmende Unmöglichkeit, das Normengeflecht zu übersehen und novellierende Eingriffe in ihren Wirkungen zu steuern oder wenigstens einschätzbar zu machen, begrenzt von vornherein die Chance politischer Reformansätze. Es mögen ja darin auch Aspekte von Stabilität und Kontinuität liegen, Reform oder Veränderung sind keine Werte an sich. Aber ein Blick auf das Abgabenrecht, das Umweltrecht oder die genehmigungs-und damit investitionsbedingenden Vorschriften auf dem Feld von Produktions-, Dienstleistungs- und Sicherheitsstandards machen klar, dass in der regulativen Durchgearbeitetheil jedes einzelnen Feldes Probleme für die politische Zugänglichkeil des Ganzen liegen. Das zeigt auch recht gut die aktuelle Diskussion um den sogenannten schlanken Staat. Sie greift offensichtlich zu kurz, wenn sie an der Reduzierung des Personals und an der Hoffnung ansetzt, durch flottere Arbeitsorganisation und Ausschöpfung motivationaler Ressourcen brauche an Umfang und Tiefe der Dienstleistungen nichts wesentliches geändert zu werden. In Wahrheit kann der Staat nur schlanker werden, wenn er sich substantiell von Aufgaben und Aktivitäten trennt, die bisher insbesondere durch Gesetzgebung der öffentlichen Verwaltung aufgetragen sind. Genau an dieser Stelle pflegte die politische Diskussion bisher meist zu enden, und damit schließt sich der Kreis zu jenen politisch-interessenorientierten Impulsgebern der Normierungsprozesse: Impulse und Initiativen zu Neuregelungen werden überlagert von Verfestigungsimpulsen, vulgo Besitzstandswahrung. Sind diese aktuellen Probleme der Gesetzgebung auch solche der Gesetzgebungslehre? Sie sollten es sein, sofern Gesetzgebungslehre sich dem Ansinnen öffnen kann, die skizzierten Elemente der Analyse des politisch-administrativen Systems bezüglich der Normerzeugung in sich aufzunehmen. Damit würde ihr eine verwaltungswissenschaftliche Dimension zuwachsen in jenem grundlegenden Sinne, in dem danach zu fragen ist, wie ein Land verwaltet wird: Dafür bleibt Gesetzgebung eines der wesentlichen Elemente.

Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung Politik und Planung* Von Volker Busse

I. Überblick zur Gesetzgebung des Bundes

Die Zahl der dem Deutschen Bundestag vorgelegten Gesetzentwürfe steigt: In der 12. Legislaturperiode (1990-1994) wurden 895 beim Bundesrat oder Bundestag eingebracht, darunter 419 Regierungsvorlagen. 800 davon wurden im Bundestag eingebracht, darunter 407 Regierungsvorlagen. - In der 13. Legislaturperiode (1994-1998) wurden 1013 Gesetzentwürfe eingebracht, darunter 449 Regierungsvorlagen; beim Bundestag wurden 923 eingebracht, darunter 443 Regierungsvorlagen 1•

* Der Beitrag ist im wesentlichen vor dem Regierungswechsel 1998 erstellt (VerwArch. 1996, 445}, aber aktualisiert worden. Insbesondere sind seine Analysen auch gegenwärtig gültig. Auf zwei neuere Entwicklungen sei ergänzend hingewiesen: Fragen der Organisation der Bundesregierung und der Bedeutung von Koalitionsvereinbarungen sind nach dem Regierungswechsel 1998 neu in die Diskussion gelangt. Dazu sei verwiesen auf Volker Busse, Regierungsbildung aus organisatorischer Sicht - tatsächliche und rechtliche Betrachtungen am Beispiel des Regierungswechsels 1998, DÖV 1999, S. 313ff. Die in dem Beitrag angeschnittene Diskussion um verstärkte Normprüfung war vor dem Regierungswechsel unter dem Stichwort ,.Schlanker Staat" geführt worden (vgl. dazu Volker Busse, Regierungs- und Verwaltungsreform auf Bundesebene: Veränderungen auf dem Weg zum .,Schlanken Staat", in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1997, S. 401 ff); sie erhält seitdem unter dem Stichwort .,Aktivierender Staat" neue Akzente, die im einzelnen noch ausgeformt werden. Der Bundesminister des Innern hat hierzu das Programm ,,Moderner Staat- Modeme Verwaltung, Leitbild und Programm der Bundesregierung" entwickelt; diesem hat die Bundesregierung durch Kabinettbeschluss vom I. Dezember 1999 zugestimmt. 1 Zahlenangaben überwiegend zitiert aus: Stand der Gesetzgebung des Bundes, Abschlußbände 12. Wahlperiode (S. XXV) und 13. Wahlperiode (S. XXVII), herausgegeben von Bundestag und Bundesrat, Baden-Baden 1995 und 1999, und: Peter Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, Band 1949 bis 1982 (Bonn 1983}, S. 681; Band 1983 bis 1991 (Baden-Baden 1994}, S. 821. Wesentlich geringer war die Zahl eingebrachter Gesetzentwürfe (nämlich 242) lediglich in der verkürzten 9. Wahlperiode (1980 bis 1983}, höher dagegen verständlicherweise in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland (I. Wahlperiode: 805; 2. Wahlperiode: 877).

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- In der 3. bis II. Legislaturperiode lag die Zahl eingebrachter Gesetzentwürfe dagegen jeweils zumeist noch zwischen knapp 500 und gut 600, davon wiederum die Hälfte bis zwei Drittel Regierungsvorlagen. Rund zwei Drittel der eingebrachten Entwürfe erlangten Gesetzeskraft. Gesetzgebungsarbeit leistet die Bundesregierung in der Praxis nicht nur dadurch, daß sie die Gesetzentwürfe erarbeitet, die sie selbst einbringt. Vielmehr begleitet sie auch die Gesetzentwürfe, die von anderen initiiert worden sind; zudem hat sie bei der Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen von der Verfassung2 und dem Geschäftsordnungsrecht3 ausdrücklich zugewiesene Mitwirkungsbefugnisse. Überdies haben die Bundesregierung oder sachkundige Mitarbeiter einzelner Ressorts nicht selten auch wesentlichen Einfluß auf die Erarbeitung von Gesetzentwürfen, welche letztlich nicht als Initiative der Bundesregierung, sondern als solche aus der Mitte des Bundestages eingebracht werden. Fraktionen und auch einzelne Abgeordnete sind natürlich rechtlich frei, auf wessen Rat sie bei der Ausarbeitung von eigenen Gesetzentwürfen zurückgreifen. Die Gewährung solcher sog. "Formulierungshilfen" von seiten der Bundesregierung für Parlamentsinitiativen sind in der Praxis nicht selten, schon wegen des hier vorhandenen gesetzgebensehen Sachverstandes, oft aber auch deshalb, weil der Bundesregierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit daran liegt, daß der gemeinsame politische Wille auch in der Fassung des Gesetzentwurfs zum Ausdruck kommt. Der verfahrensmäßige Vorteil einer Fraktions- statt einer Regierungsinitiative liegt darin, daß Gesetzesvorlagen aus der Mitte des Bundestages nicht zuvor den Bundesrat durchlaufen müssen, sondern sogleich im Bundestag beraten werden können, während Regierungsvorlagen zunächst ein mehrwöchiges Verfahren der Stellungnahme durch den Bundesrat und der Gegenäußerung durch die Bundesregierung durchlaufen müssen (Art. 76 GG; sog. I. Durchgang im Bundesrat). Dieser zeitliche Vorteil für Parlamentsinitiativen ergibt nicht selten ein politisches Argument dafür, ihr den Vorzug zu geben. Allerdings ist der Bundesrat darauf bedacht, daß dieses Verfahren die Ausnahme bleibt, weil er sonst nicht Gelegenheit zur frühzeitigen Stellungnahme erhält und so etwaige Konflikte zwischen der Mehrheit des Bundestages einerseits und der Mehrheit des Bundesrates andererseits häufiger als notwendig erst nach dem Gesetzesbeschluß des Bundestages, also im 2. Durchgang im Bundesrat, zutage treten und dann im Vermittlungsausschuß ausgetragen werden müssen. Deshalb hat sich die Staatspraxis herausgebildet, daß dann, wenn die wesentliche gesetzgebensehe Vorarbeit innerhalb der Bundesregierung und nicht innerhalb des Parlaments geleistet worden ist, grundsätzlich nicht der Weg der Parlamentsinitiative gewählt wird. Gelegentlich wird auch der Weg der sog. "Paralleleinbringung" gewählt, um einerseits den Beschleunigungseffekt der Parlamentsinitiative zu erreichen, zugleich aber schon möglichst 2

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Art. 59 GG zur Gegenzeichnung. §§57 -62 GGO II.

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früh eine Stellungnahme des Bundesrats herbeizuführen. Dazu wird in der Praxis häufig zwischen der Seite des Bundes und der der Länder informell verabredet, daß mit den entscheidenden inhaltlichen Beratungen im Bundestag gewartet wird, bis die Stellungnahme des Bundesrates (u.U. auch die Gegenäußerung der Bundesregierung dazu) vorliegt. Von den Wegen, auf denen es zu solchen informellen Absprachen kommt, soll später die Rede sein. Hier kommt es zunächst nur darauf an, zu verdeutlichen, welchen quantitativen Anteil die Bundesregierung und ihre Mitarbeiter an der gesamten Gesetzgebungsarbeit des Bundes haben, und bereits anzudeuten, wie verflochten das Zusammenwirken der Beteiligten ist. Bei der Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung stellen sich aber natürlich nicht nur quantitative Fragen, wie sie vielfach unter dem- allerdings vereinfachenden, die Vielschichtigkeit des Problems bei weitem nicht ausschöpfenden - Stichwort "Normenflut" diskutiert werden4 und auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Vielmehr soll im folgenden insbesondere von qualitativen Fragen der Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung die Rede sein. Ich will hier nur ein paar Bemerkungen zum Thema Normprüfungsstelle und verstärkte Notwendigkeitsprüfung machen, weil dazu gestern in einem der Vorträge die Rede war: - Eine verstärkte Notwendigkeitsprüfung bei der Schaffung neuer Normen ist wichtig. Deshalb hat die Bundesregierung dazu bereits durch Kabinettbeschluß vom 11. Dezember 1984 die sog. "Blauen Prüffragen" entwickelt. Auf dieser Grundlage finden bereits jetzt innerhalb der Bundesregierung derartige Prüfungen statt: Durch das federführende Ressort, durch das Bundesministerium der Justiz im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung, durch das Bundesministerium des Innem im Rahmen seiner Verwaltungsförmlichkeitsprüfung, durch das der Finanzen unter finanziellen Gesichtspunkten und schließlich durch das Bundeskanzleramt unter grundsätzlichen und politischen Gesichtspunkten, insbesondere bei der Prüfung der Kabinettreife. - Es gilt, diese Notwendigkeitsprüfung zusätzlich verstärkt ins Bewußtsein aller Beteiligten zu rufen. Deshalb hat die Bundesregierung durch Kabinettbeschluß vom 19. März 1996 eine dahingehende Ergänzung der GGO II durch Schaffung eines neuen § 22a unter ausdrücklicher Aufnahme der "Blauen Prüffragen" in 4 Aus dem Blickwinkel der Bundesregierung soll hier nur beigetragen werden, daß die kritische Prüfung der Notwendigkeit von Rechtsnonnen bereits seit Jahren wichtiges Element der Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung ist. Sie hat deshalb durch Kabinettbeschluß vom II. Dezember 1984 die sog. ,Blauen Prüffragen zur Notwendigkeit, Wirksamkeit und Verständlichkeit von Rechtssetzungsvorhaben des Bundes' beschlossen (dokumentiert z. B. in: Handbuch der Rechtsfönnlichkeit, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, Köln 1991, S. 27ff.) und überdies am 20. Dezember 1989 Beschluß gefaßt über Maßnahmen zur besseren Vorbereitung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften (dokumentiert in einer dazu vom Bundesministerium des Innern 1992 herausgegebenen Schrift).

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die GGO IT beschlossen4 a>. Dies wird innerhalb der Bundesregierung umgesetzt; dies bedarf der Sensibilisierung, nicht der Schaffung zusätzlicher Institutionalisierung. - Sind Rechtssetzungsvorhaben auf politischer Ebene in Regierung oder Koalition vereinbart, so obliegt es dieser, die hier relevanten Gesichtspunkte einzubeziehen; es kann nicht Sache bestehender oder neuer administrativer Institutionen sein, hier eine zusätzliche Notwendigkeitsprüfung anzustellen oder gar gegenläufige Entscheidungen zu treffen. Wie kann diese Gesetzgebungsarbeit sachgerecht gesteuert, in ihren vielfältigen fachpolitischen Facetten sinnvoll koordiniert, insgesamt vernünftig organisiert werden? Damit ist ein breites Themenspektrum angerissen. Aus diesem Spektrum soll hier nicht der im Geschäftsordnungsrecht vorgezeichnete, "gewissermaßen alltägliche" Gang der Gesetzgebungsarbeit behandelt werden. Vielmehr soll hier vor allem von Schwierigkeiten und Gefahren sowie von gleichwohl bestehenden Wegen und Chancen auf den Ebenen von Politik und Administration die Rede sein. Daraus sollen einige Aspekte herausgegriffen, und dabei soll auch die Frage in den Vordergrund gestellt werden, welchen Stellenwert insoweit "Planung" hat.

II. Stellenwert von Planung rtir Politik - heute und im Rückblick Politik und Planung - ein Begriffspaar voll Spannung und Reiz, nicht erst seit Thomas Eilweins gleichnamigem Buch5 ! Das Erscheinungsjahr dieses Buches markiert einen Höhepunkt oder - vielleicht besser - einen Ausgangspunkt für einen Höhenflug bei der Einschätzung dessen, was Planung für Politik bedeutet. "Werden die Politiker von den Experten entmachtet?" "Werden politische Entscheidungen durch wissenschaftliche Gutachten ersetzt?" "Wird die Regierung von Planem und nicht mehr vom Parlament kontrolliert?" ,,Ist die Gesellschaft den Computern ausgeliefert?" All dies sind zugespitzte Fragen6 , in denen die damalige Hochschätzung, ja Euphorie, aber zugleich Sorge und Beklemmung im Blick auf den Einfluß von Planung auf die Politik zum Ausdruck kam. In der Tat war damals- Ende der 60iger I Anfang der 70iger Jahre -der Stellenwert von Planung für die Politik sehr hoch. Dies galt für die Wissenschaft7 , aber 4a) Vgl. dazu mit Quellenangaben: Volker Busse, Verfahrenswege zu einem "Schlankeren Staat", DÖV 1996, S. 389 s Politik und Planung, Stuttgart 1968. 6 Entnommen aus ,,Die Zeit" Nr. 15 vom 9. Aprill971, S. 8. 7 Hervorgehoben seien mehrere der in den Jahren 1978 und '79 veröffentlichten Habilitationsschriften; weitgehend insbesondere die Arbeit von Thornas Würtenberger, Staatsrechtliche Problerne politischer Planung, Berlin 1979, der Planung als ,,Problernlösungsstrategie" entfaltet und explizit Planung- unter Ablehnung engerer Planungsbegriffe - als Vorgabe verbindlicher Handlungs- und Entscheidungsrahmen versteht. Zurückhaltender, vornehmlich mit Blick auf das Parlament: Wolfgang Graf Vizthurn, Parlament und Planung, Baden-Baden

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schließlich auch für die praktische Politik. So wurde nach dem Regierungswechsel im Jahre 1969 z. B. im Bundeskanzleramt eine eigene Planungsabteilung eingerichtet, und jedes Ressort hatte einen Planungsbeauftragten zu bestellen. Ein vom Bundeskanzleramt verfaßtes Papier regelte Aufgaben und Arbeitsweise der Planungsbeauftragten. Der damalige Leiter der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes veröffentlichte im amtlichen Bulletin der Bundesregierung einen mehrseitigen Aufsatz ,,Zum Aufbau und Ausbau des integrierten Aufgabenplanungssystems und Koordinierungssystems der Bundesregierung" 8 . In der Enquete-Kommission Verfassungsrefonn des Bundestages wurde die Schaffung mehrerer Grundrechtsartikel vorgeschlagen, durch welche die Möglichkeit (nach ursprünglichen Vorschlägen sogar die Pflicht) zur Erstellung gemeinsamer Planung von Bund und Ländern geregelt werden sollte9 . Und heute? Es ist stiller geworden um Politik und Planung oder "politische Planung". Das Begriffspaar kommt weiterhin im wissenschaftlichen Schrifttum, kaum aber in der breiteren politischen Diskussion vor. Und in der wissenschaftlichen Diskussion ist die Durchdringung von Planungsproblemen und die Erkenntnis über Grenzen der Planbarkeit zunehmend in den Vordergrund getreten 10• Zur Situation in der Bundesregierung heute: Planungsbeauftragte gibt es weiterhin in den Bundesministerien; auch im Bundeskanzleramt gibt es für Planungsaufgaben zuständige Mitarbeiter, aber seit 1982 nicht mehr eine breit angelegte Planungsabteilung 11 • Woran liegt dies? Hat Planung heute einfach nicht mehr die Bedeutung wie in jener Phase vor zwei bis drei Jahrzehnten? Oder ist gar der Begriff der Planung durch das Scheitern der sozialistischen Planwirtschaft so sehr in Mißkredit geraten, daß er an Existenzberechtigung verloren hat? Oder vollzieht sich Planung heute anders? Der nachfolgende Beitrag soll einige Gedanken zu diesen Fragen beitragen. Dabei soll er sich - schon wegen des vom Verfasser mitgebrachten Erfahrungshintergrundes - auf den Bundesbereich und hier weniger auf fachpolitische Einzelaspekte, sondern vorwiegend auf Gesamtzusammenhänge und -Wirkungsweisen konzentrieren und auf die damit zusammenhängenden Probleme eingehen. 1978.- Vgl. auch Christian Brünner, Politische Planung im parlamentarischen Regierungssystem, Wien I New York 1978, der u. a. die Gesichtspunkte der politischen Rationalität und Koordination als Elemente der Planung herausarbeitet, S. 131 ff. - Insbesondere unter verfassungsrechtlichen Aspekten hervorhebenswert die Arbeit von Fritz Ossenbühl, Gutachten zum 50. Deutschen Juristentag, München 1974. s Raimut Jochimsen, Bulletin Nr. 97 vom 16. Juli 1970, S. 949. 9 Schlußbericht, BT-Drs. 7/5924, Kapitel II Abschn. 1.1 (Sache 2177, S. 98); Zwischenbericht, Zur Sache I /73, S. 74 f.; dazu Klaus Stern, Staatsrecht, Band II, 1980, S. 713 f. 10 Vgl. nur Stern a. a. 0. (Fn. 9), S. 700 f. m. w. N. 11 Zur Organisation des Bundeskanzleramtes in Gegenwart und Vergangenheit: Volker Busse, Bundeskanzleramt und Bundesregierung, 2. Aufl. Heidelberg 1997, S. 113, 119, 128; vgl. auch Klaus König, Vom Umgang mit Komplexität in Organisationen: Das Bundeskanzleramt; in: Der Staat 1989 S. 49. 4*

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111. Grundlagen und Gegenstand von sowie Verantwortung für Planung in der Politik 1. Zum Begriff der Planung in der Politik

Der Begriff der Planung begegnet uns in ganz unterschiedlichen Ausprägungen und auf verschiedenen Ebenen: z. B. als politische und verwaltungsrechtliche Planung, als Ziel- und Ressourcenplanung, als Programm- und Maßnahmenplanung, als indikative und imperative Planung, als solche auf der Ebene von Regierungen oder Kommunen 12 . Gemeinsame Elemente von Planungen sind - die Absicht, künftiges Geschehen zu beeinflussen (Zukunftsbezogenheit), - dies zu einem vorgefaßten Ziel zu tun (Zielorientiertheit), - dabei sich bestimmter Mittel zu bedienen (Methodik des Vorgehens) und - dies innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens (Zeithorizont) 13 . Planung ist also kurz gesagt - im Gegensatz zur ad-hoc-Reaktion -das bewußte zukunfts- und zielorientierte methodische Handeln. Im Folgenden soll die Rede sein von Planung, soweit sie im Bereich der Politik geschieht, insbesondere im Bereich der Bundesregierung und in deren Gesetzgebungsarbeit Im Kern trifft dies Böckenforde 14 , indem er politische Planung umschreibt als "die im Vorfeld der Gesetzgebung sich vollziehende, mittel- und längerfristige, in der Regel auf der Stufe der Rahmenplanung sich haltende Zielund Programmplanung, die sektorale Fachplanungen zu einer Gesamtplanung abstimmt und integriert und von daher Entscheidungsvorgaben (im Hinblick auf Umfang, zeitliche Priorität, Koordinationsnotwendigkeit) für sich entwickelt". Allerdings erscheint die Begrenzung auf das Stadium vor Beginn der Gesetzgebung zu eng. Politische Planung ist ein fließender, in die Umsetzung hineinreichender Prozeß. 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen

Ehe der Frage nachzugehen ist, ob und wie politische Planung in diesem Sinne stattfindet, ist auf die rechtlichen -jedenfalls die verfassungsrechtlichen - Grund12 Vgl. dazu nur Wemer Hoppe in: Jsensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band JJI 1988, § 71. S. 655 m. w. N. 13 Stern a. a. 0. (Fn. 9). S. 704. 14 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Planung zwischen Regierung und Parlament, Der Staat, 1972. S. 429, 437; allerdings scheint seine Definition von politischer Planung als diejenige .Zwischen Regierung und Parlament" als zu eng; auch innerhalb von Regierung und Parlament, nicht nur in der Beziehung zueinander findet politische Planung statt. Zur politischen Planung vgl. bereits grundlegend aus sozialwissenschaftlicher Sicht: Niklas Luhmann, Politische Planung, Opladen 1971, insbesondere S. 66; Überblick aus neuerer Zeit gebend insbesondere: Hoppe a. a. 0 . (Fn. 12), S. 663.

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lagen von Regierungsplanung einzugehen. Planung hat natürlich nicht nur, aber eben auch eine rechtliche Dimension 15 • a) Ausdrückliche Regelungen im Grundgesetz Das Grundgesetz befaßt sich ausdrücklich mit Planung oder Plänen in folgenden Zusammenhängen: Im Finanzverfassungsrecht schreibt Art. 106 Abs. 3 Nr. 1 GG die ,,Berücksichtigung einer mehrjährigen Finanzplanung" zur Ermittlung der notwendigen Ausgaben vor, auf deren Deckung der Bund und die Länder im Rahmen der laufenden Einnahmen dahingehend Anspruch haben, daß die gesetzliche Verteilung der Umsatzsteuer davon abhängt. Art. 109 Abs. 3 GG geht ebenfalls von einer "mehrjährigen Finanzplanung" aus, ftir die durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz gemeinsame Haushaltsgrundsätze für Bund und Länder festgelegt werden können. Durch das Haushaltsgrundsätzegesetz sowie das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist dies geschehen. Gemäß § 50 Abs. I des zuerst genannten Gesetzes legen Bund und Länder je für sich einen ftinfjährigen Finanzplan zugrunde. Die mehrjährige Finanzplanung findet auch Eingang in die Aufstellung des - im Bund üblicherweise jährlichen - Haushaltsplans, den Art. 110 GG vorschreibt und den die Bundesregierung als Gesetzesvorlage in die gesetzgebenden Körperschaften einbringt. Planung erwähnt das Grundgesetz überdies in Art. 53 a Abs. 2 Satz 1 GG; danach hat die Bundesregierung im Gemeinsamen Ausschuß von Bundestag und Bundesrat über ihre Planungen für den Verteidigungsfall zu unterrichten. Schließlich regelt Art. 91 a Abs. 3 GG, daß eine gemeinsame Rahmenplanung von Bund und Ländern wesentliches Element bei der Durchführung von Gemeinschaftsaufgaben ist, und Art. 91 b GG die Befugnis von Bund und Ländern, bei der Bildungsplanung zusammenzuwirken. Die soeben genannten Regeln sind gewiß Beispiele auch für politische Planung. Von großer praktisch-politischer Bedeutung sind insbesondere die mehrjährige Finanzplanung und die möglichst planenden Konzepten folgende Aufstellung des Haushaltsgesetzentwurfs. Die anderen Beispiele sind demgegenüber von eher geringer gewordener politischer Bedeutung - die Planung für den Verteidigungsfall wegen der günstigen außenpolitischen Entwicklung, die Rahmenplanung für Gemeinschaftsaufgaben, weil solche Gemeinschaftsaufgaben im Interesse einer klareren Verantwortungsabgrenzung von Bund und Ländern allmählich zurückgeführt werden. ts Zum Verhältnis von Rechtsnorm und Planung vgl. Gerd Roellecke, DÖV 1994, 1024, dessen Aussage, der Plan solle "Risiken minimieren," angesichts der in der Regel weit gespannten - auf Optimierung gerichteten - Zielsetzung allerdings als zu eng erscheint. - Vgl. dazu auch Johannes Dreier, Die normative Steuerung der planerischen Abwägung, Berlin 1995.

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b) Sonstige verfassungsrechtliche Wurzeln Rechtliche Wurzeln für politische Planung liegen aber nicht nur in den dies ausdrücklich erwähnenden Vorschriften des Grundgesetzes, sondern insbesondere in den Normen, die sich mit den Kompetenzen der Verfassungsorgane des Bundes sowie mit der Kompetenzabgrenzung von Bund und Ländern befassen. Wirkungsvolle politische Planung setzt nicht nur die Möglichkeit zum konzeptionellen Denken, sondern auch die Einflußnahme auf aktives politisches Handeln voraus. Im Idealfall mag sie bestimmender Faktor oder Grundlage für solches Handeln sein; mindestens aber sollte sie ihm beratend zuarbeiten. Daraus folgt, daß politische Planung sich nur dort wirkungsvoll entfalten kann, wo sie einem politischen Entscheidungsträger zugeordnet ist- mag dies (auf der Ebene des Bundes) die Bundesregierung, der Bundestag mit seinen Fraktionen und Gruppen und den dahinterstehenden Parteien, vielleicht auch der Bundesrat mit den darin vertretenen Ländern sein. Die Kompetenznormen des Grundgesetzes für diese Verfassungsorgane sowie für deren Zusammenwirken ergeben also letztlich auch verfassungsrechtliche Wurzeln für politische Planung. c) Verhältnis Bundesregierung/Bundestag Dabei ist klar, daß unter den genannten Verfassungsorganen Bundesregierung und Bundestag eine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Wie aber die Kompetenzen von Bundesregierung und Bundestag in ihrer Verantwortung für die politische Planung und damit letztlich für die Staatsleitung abzugrenzen und wie sie zu gewichten sind, ist bis in die jüngste Zeit immer wieder Gegenstand der Diskussion gewesen. Für diese Diskussion bestimmend war lange Zeit die von Ernst Friesenhahn im Jahre 1958 geprägte Formel, die Staatsleitung stehe Regierung und Parlament "gewissermaßen zur gesamten Hand" zu 16 . Bei einer Reihe von Konfliktfällen zwischen Parlament und Regierung hat dann das Bundesverfassungsgericht mit Recht die besondere Stellung der Bundesregierung herausgearbeitet. Die Regierung müsse Befugnisse haben, die erforderlich sind, damit sie selbständig und in eigener Verantwortung gegenüber Volk und Parlament ihre "Regierungs-"Funktion erfüllen kann; sie habe die Aufgabe, "in Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung und von ihr getragen der gesamten Staatstätigkeit eine bestimmende Richtung zu geben" 17 • In die gleiche Richtung geht die sog. Nachrüstungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der- mit Blick auf die Zuordnung der Außenpolitik zum Kompetenzbereich der Exekutive - ausgeführt wird, daß "institutionell und 16 Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, in: VVDStRL Band 16 (1958), S. 9, 37f. Dazu mit weiterem Schrifttumsüberblick: Hoppe a. a. 0. (Fn. 12), S. 678. 17 BVerfGE 9, 268,281 in Anknüpfung an Erich Kaufmann, VVDStRL 1952,7.

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auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren" 18 • Bei einer Gesamtbetrachtung von Rechtsprechung und Schrifttum zu den Aufgabenhereichen von Parlament und Regierung kann man davon ausgehen, daß gerade auf dem Gebiet konzeptioneller Zukunftsgestaltung der Regierung eine herausragende Verantwortung zukommt und ihre Anstoß- und Initiativfunktion weit über die verfassungsrechtlichen Verfahrensregeln (etwa Art. 76 Abs. I, 110 Abs. 3, 59 Abs. 3 GG) hinausreicht. Klaus Stem 19 spricht davon, daß das "Gravitationszentrum" politischer Gestaltung und Leitung in der Regel bei der Regierung liege; sie sei die ,Jnitiativgewalt" des Staates, die durch parlamentarische Mitregierung nicht gelähmt werden dürfe. Roman Herzog sagt einfach, politische Planung sei "zunächst einmal Sache der Regierung"20• Dieser Einschätzung gegenüber steht die Sorge um eine "Entmachtung" des Parlaments und die Forderung nach der Stärkung seiner rechtlichen und faktischen Stellung21 • Eine gewissen Akzentveränderung zur rechtlichen Gewichtsverteilung zwischen Parlament und Regierung hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Auslandseinsalz der Bundeswem22 gebracht. Dort hat es nach der inzwischen allgemein anerkannten - und in Recht und Politik Frieden schaffenden - Bejahung der grundgesetzliehen Ennächtigung für diese bis dahin verfassungsrechtlich umstrittenen Bundeswehreinsätze einen Parlamentsvorbehalt konstatiert und diesen aus einer verfassungsrechtlichen und -geschichtlichen Gesamtschau einschlägiger Verfassungsvorschriften entwickelt. Wie ist nun diese Kompetenz- oder Gewichtsverteilung zwischen Parlament und Regierung zu bewerten? Sicher ist, daß es sich hier weder um eine scharfe KompeBVerfGE 68, I, 68 f. Staatsrecht, Band I, 2. Auflage 1984, § 22 In 6, S. 1007, 1009. 20 In: Maunz-Dürig, GG, Art. 65, Rn. 83. In diese Richtung auch: Meinhard Sehröder in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band II 1987, §50, Rn. 27, S. 598 f.: Vorausschau und Planung seien zunächst einmal Sache der Regierung; von ihr erwarte man die Aufstellung und Verwirklichung z. B. eines ,,Aktionsprogramms" und die Vorsorge für unerwartete Fälle als Teil politischer Führung. - Zur Kompetenzabgrenzung von Regierung und Parlament zur Planung vgl. insbesondere Ossenbühl a. a. 0. (Fn. 7), B 59ff., insbesondere B 79 ff., der Planung als "Kombinierte Gewalt" zwischen Regierung und Parlament bezeichnet, die Initiativverantwortung der Regierung hervorhebt und zugleich die Notwendigkeit der Parlamentsbeteiligung herausarbeitet. 21 Der Bundestag hat in diesem Zusammenhang wiederholt über Vorschläge zur Verbesserung seiner Struktur, die Darstellung seiner Arbeit und die Rechtsstellung der Abgeordneten beraten und beschlossen, so zuletzt auf der Grundlage eines Kommissionsberichts vom 16. Juni 1995 (BT-Drs. 13/1803 vom 26. Juni 1995) und der Ausschußempfehlung vom 19. September 1995 (BT-Drs. 13/2342) in seiner Beratung am 21. September 1995, zum neuen Abgeordentengesetz schließlich noch am l. und 8. Dezember 1995. 22 BVerfGE 90, 286, 383 ff. 18

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tenzabgrenzung noch gar um eine Bedeutungsabstufung von Regierung zu Parlament handeln kann. Letztlich hat alle wesentlichen Entscheidungen das vom Volk gewählte Parlament zu treffen; es wird deshalb zu Recht als "Erste Gewalt" bezeichnet. Es geht vielmehr darum, welche staatliche Gewalt die Primärverantwortung für die Entwicklung von entscheidungsfähigen Konzepten hat. Dabei kommt nach meinem Dafürhalten der Regierung eine Verantwortungsprärogative zu. Gerade damit das Parlament seine kontrollierende und letztentscheidende Funktion ausfüllen kann und Freiraum zur Erörterung der damit verbundenen Grundsatzfragen hat, braucht es ein Gegenüber mit eher vorbereitenden, planenden, initiierenden, konkret gestaltenden Funktionen. Hier liegt vornehmlich die Aufgabe der Regierung. Die Regierung hat dafür auch den ihrer verfassungsrechtlichen Stellung und Aufgabe entsprechenden Apparat. Selbst wenn ihre politischen Spitzen, die Mitglieder der Bundesregierung, nur ein Mandat auf Zeit haben, ist die Bundesregierung als Verfassungsorgan auf Dauer angelegt; ihre Mitarbeiter sind grundsätzlich auf Dauer beschäftigt und haben deshalb eine über die Legislaturperiode hinwegreichende Verantwortung. Dies sollte sie bevorzugt in die Lage versetzen, auch langfristige und über den tagespolitischen Streit hinausgehende Konzepte zu entwickeln als Parlamentarier und deren Mitarbeiter, bei denen das Eingebundensein in eine Legislaturperiode und die parteipolitische Akzentsetzung naturgemäß mehr im Vordergrund stehen. Das Verfassungsorgan Bundesregierung hat eine kontinuierliche, das Verfassungsorgan Bundestag eine mehr den Perioden der Legislaturperiode zugeordnete Verantwortung. Erst dieses Gegenüber von Parlament und Regierung und deren unterschiedliche Aufgabe und Verantwortung ergeben aus staatsorganisatorischer Sicht die erforderlichen Grundlagen für hinreichend fundierte Entscheidungen. Es ist deshalb richtig, die relative und institutionelle Verselbständigung der Regierung gegenüber dem Parlament und ihre Eigenverantwortung zu betonen und - um mit Badura23 zu sprechen - davor zu warnen, daß sie zu einem Ausschuß des Bundestages degenerieren könnte.

IV. Probleme praktischer Politikverwirklichung Der oben24 skizzierte Planungsbegriff geht von einem zielgerichteten Handeln und damit von einem Planungsverantwortlichen aus. Wer aber ist dieser Planungsverantwortliche? Wie kommt er zur Entwicklung seiner Ziele? Welche Instrumente hat er zu deren Durchsetzung? Hier darf es keine eindimensionale Betrachtung geben. Diejenigen, die an der Entwicklung und Durchsetzung von Politik beteiligt sind, und die Kräftefelder, die 23 Peter Badura, Verfassungsrechtliche und politische Grundlagen parlamentarischer Regierung in Deutschland. In: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1995/ I, München 1995, S. 29, 31, zugleich kritisch zu dem oben (Fn. 22) zitierten Urteil des BVerfG. 24 Abschnitt III I .

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dabei einwirken, sind außerordentlich vielgestaltig 25 • Auch wenn man - wie oben26 befürwortet - hier insgesamt eine Verantwortungsprärogative der Bundesregierung annimmt und wenn man weiter davon ausgeht, daß die Bundesregierung ein Verfassungsorgan ist, das sich eine einheitliche Meinung bildet und diese auch nach außen hin geschlossen zu vertreten hat - so wie dies das Geschäftsordnungsrecht nicht zuletzt im Blick auf den Bundestag vorschreibt27 , so sind doch die Prozesse schon innerhalb der Bundesregierung sehr komplex. Erst recht gilt das, wenn andere Faktoren dazutreten.

1. Zielfindung

a) Zieltindung als multidimensionaler Vorgang Bereits die Findung politischer Ziele ist ein multidimensionaler Vorgang. Die Erarbeitung politischer Ziele - und die ihr in der Regel vorangehende Analyse von Mängeln und Defiziten - ist naturgemäß wichtige Aufgabe der Bundesregierung. Eine zunehmend größer werdende Bedeutung bei dieser Zieltindung kommt aber den politischen Parteien zu. Kraft ihres verfassungsrechtlichen Auftrags28 , bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, - konkurrierend miteinander - um den richtigen politischen Weg zu ringen und für Mehrheiten zu werben, sind sie in hervorragendem Maße dazu berufen, unterscheidbare, ja kontroverse politische Positionen zu beziehen und entsprechende Ziele und Umsetzungsstrategien zu entwickeln. Welche dieser Ziele dann zum Gegenstand der Gesetzgebungsarbeit der dazu berufenen Verfassungsorgane gemacht werden, hängt entscheidend von den politischen Mehrheitsverhältnissen, insbesondere von sich bildenden Koalitionen ab. Der Administration, dem "Gesetzgebungsapparat" innerhalb der Bundesregierung also, kommt hier keine führende, sondern -je nach konkretem politischen Auftrag - allenfalls eine begleitende, helfende Rolle zu: Von hier werden insbesondere Analysen, Entwicklung von Optionen, mitunter Fonnulierungsvorschläge für die politisch definierten Ziele und deren Umsetzung, aber u. U. auch Ausführungen zu dagegen zu erhebenden Bedenken beizutragen sein. Bei diesem Vorgang der Zieltindung sind naturgemäß auch Zielkonflikte zu lösen - solche, die sich aus den unterschiedlichen Grundsatzpositionen der Parteien ergeben, oder - ganz konkret - solche, die aus verschiedenen Möglichkeiten fachpolitischer Schwerpunktsetzung folgen. 25 Zu derartiger ,,Mehrdimensionalität" vgl. bereits Hermann Hili, Einführung in die Gesetzgebungslehre, Heidelberg 1982, S. 53. 26 Abschnitt III 2 c). 27 § 28 GOBReg, § 44 GGO II. 28 Vgl. z. B. BVerfGE47, 130, l40f.; 91,262, 267f.

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Dabei handelt es sich nicht nur um Zielkonflikte im - gewissermaßen - "klassischen Sinn" wie z. B. zwischen Ökologie und Ökonomie oder zwischen Fachpolitik und Finanzpolitik, sondern zunehmend um Antworten, die auf übergreifende Fragen in einer sich wandelnden Gesellschaft mit ihren Auswirkungen vor allem auf Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, auf soziale Sicherungssysteme, aber auch im Bereich der Innen- und Rechtspolitik gefunden werden müssen. Solche Fragen stellen sich nicht nur im nationalen Rahmen. Durch das Zusammenwachsen innerhalb der EU erhalten sie immer mehr auch eine europäische Dimension. Schließlich wird in zunehmenden Maße die Entwicklung von Lösungsansätzen zu weltweit wirkenden Problemfeldern erforderlich: Weltweite Wirtschaftsverflechtungen, Krisenherde in vielen Teilen der Welt, international wirkende Umweltprobleme, Iänder- und kontinentübergreifende Flüchtlings- und Wanderbewegungen sind nur einige Stichworte für hier notwendige Gesamtbetrachtungen, welche von vielen neuerdings mit dem Begriff "Globalisierung" umgriffen werden29. Eine wichtige politische Aufgabe ist es, aus Analysen solcher Probleme Ansätze für konkretes politische Handeln, insbesondere ftir - soweit dafür geeignet gesetzgeberisches Handeln zu entwickeln. b) Regierung und Koalitionsvereinbarungen Zu diesen und den meisten anderen politischen Fragen gibt es keine - im absoluten Sinne - "richtigen" - oder "planbaren" - Antworten. Welche Antworten auf kontroverse politische Fragen zum Gegenstand der Politik von Bundesregierung und Bundestagsmehrheit gemacht werden, hängt vielmehr entscheidend von den politischen Verabredungen zu Beginn einer Legislaturperiode ab. Maßgeblichen und förmlichen Ausdruck finden diese Verabredungen in der Regierungserklärung, in welcher der Bundeskanzler traditionsgemäß zu Beginn einer Legislaturperiode für deren gesamten Zeitraum die geplante gemeinsame Regierungsarbeit dem Parlament vorstellt. Dieser Regierungserklärung zugrunde liegt in aller Regel eine mehr oder minder detailliert ausformulierte Koalitionsvereinbarung. Solche Koalitionsvereinbarungen und die ihnen zugrundeliegenden Verhandlungen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmende Bedeutung gewonnen; die dabei gefundenen Ergeh29 All dies stellt die Politik und zugleich auch die Verwaltung vor neue Herausforderungen. Zur daraus folgenden Aufgabenstellung der "Postindustriellen Verwaltung" und der heutigen Verwaltungspolitik insbesondere auch zu den internationalen Ansätzen: Klaus König, Zur Kritik eines neuen öffentlichen Managements, Forschungsinstitut der Hochschule Speyer 1995; Teile davon auch in DÖV 1995, S. 349.- Über die übergreifende Verantwortung für politische Führung, Verwaltung und externe Sachverständige vgl. insbesondere Carl Böhret, Neuartige Folgen - eine "andere" Verwaltung, Verw.Arch. 1989, 13 ff. - Zur Einbeziehung externen Rats vgl. insbes. Winfried Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: Handbuch des Staatsrechts a. a. 0. (Fn. 12}, § 36, S. 207 ff.

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nisse, die früher oft vertraulich gehalten wurden, haben in neuerer Zeit einen zunehmend offiziellen Charakter erhalten. Die Bedeutung von Koalitionsgesprächen und -Vereinbarungen, zumal angesichts ihrer gewachsenen politischen Bedeutung, ist wiederholt verfassungsrechtlich und -politisch analysiert worden 30. Vor ihren Gefahren im Blick auf die verfassungsrechtlich verankerte Kompetenzordnung der staatlichen Gewalten ist gewarnt worden; die Rechtsnatur solcher Vereinbarungen ist unterschiedlich gewertet worden: Teilweise sind sie als verfassungsrechtliche Verträge angesehen worden, die allerdings nicht einklagbar seien31 • Meines Erachtens kann der These vom verfassungsrechtlichen Vertrag nicht ohne weiteres gefolgt werden. Koalitionsvereinbarungen sollen gemeinsame politische Vorhaben festhalten; sie sollen und können aber nicht rechtlich die verfassungsrechtlich verankerten Kompetenzen der Amtsträger in Regierung und Parlament überspielen, schon deshalb nicht, weil das Verfassungsorgan Bundesregierung in der Regel im Stadium der Koalitionsvereinbarung nicht mit dem Gegenstand befaßt worden ist und deshalb seine Verantwortung hat noch nicht wahrnehmen können. Schon deshalb, aber auch angesichts der oft wenig formalisierten inhaltlichen und personellen Strukturen von Koalitionsgesprächen, dürfte es in der Regel zumindest am rechtsgeschäftliehen Bindungswillen fehlen. Der politische Gehalt von den Koalitionsvereinbarungen liegt weniger im Rechtlichen, sondern vor allem im Politischen; insofern ist er allerdings außerordentlich hoch. Die politische Wirkkraft solcher Vereinbarungen ist nicht selten unverhältnismäßig höher als die eines Gesetzes. Hält ein Koalitionspartner eine Koalitionsvereinbarung nicht ein, so riskiert er schwerwiegende politische Nachteile; ein dadurch bewirkter Vertrauensverlust kann bis zum Scheitern einer Koalition führen. Auf der anderen Seite können neue Entwicklungen oder Einschätzungen der Koalitionspartner auch dazu führen, daß - im ausdrücklichen oder unausgesprochenen Einvernehmen - von einer Umsetzung von Teilen der Koalitionsvereinbarung abgesehen wird. So verstanden, sind gegen Koalitionsvereinbarungen nicht von vomherein prinzipielle Bedenken zu erheben, weder verfassungsrechtlich noch verfassungspolitisch. Vielmehr spricht eine Reihe verfassungspolitischer Gründe für sie: Stabile Regierungen setzen klare parlamentarische Mehrheiten voraus. Solche parlamentarischen Mehrheiten mußten sich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher (mit einer kurzen Ausnahme Ende der 50iger Jahre) immer aus Koalitionen zusammensetzen. Koalitionen können letztlich nur funktionieren, wenn 30 Dazu näher und Gefahren aufzeigend: Waldemar Schreckenberger, Koalitionsgespräche und Koalitionsrunden, ZParl. 1994, S. 329; ders. Veränderungen im parlamentarischen Regierungssystem, in: Festschrift für Rudolf Morsey, 1992, S. 133, 141 ff.; Hartmut Maurer in: Festschrift für Wemer Thieme, 1993, S. 123, 129ff.; Ingo von Münch, Rechtliche und politische Probleme von Koalitionsregierungen, Berlin 1993, insbesondere S. 22 ff. 31 Ingo v. Münch a. a. 0 . (Fn. 30), S. 30.

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Majorisierung des kleineren durch den größeren Partner und auch ein punktuelles Zusammengehen eines Koalitionspartners mit einer Oppositionsfraktion -, grundsätzlich unterbleibt, also - politisch gesprochen - "wechselnde Mehrheiten" vermieden werden. Dies alles aber setzt verläßliche Verabredungen voraus. Bei diesen Verabredungen muß naturgemäß auch ein "Geben" und ,,Nehmen" stattfinden, denn alle Koalitionspartner müssen "ihre Handschrift" in der gemeinsamen Regierungsarbeit wiederfinden - dies freilich nicht überproportional, sondern nur entsprechend der ihnen vom Wähler zugesprochenen parlamentarischen Stärke. Im wohlverstandenen Sinne dienen also Koalitionsvereinbarungen der Stabilität des parlamentarischen Regierungssystems für die Dauer der Legislaturperiode. Dies ist um so wichtiger in Zeiten knapper politischer Mehrheiten. Bedenken mögen gegen Koalitionsvereinbarungen allerdings dann erhoben werden, wenn an ihnen nicht die fachpolitisch verantwortlichen Entscheidungsträger beteiligt sind, wenn und obwohl sie zu zu konkreten Festlegungen in fachpolitischen Angelegenheiten führen oder wenn sie ohne hinreichende fachliche Rückkoppelung erfolgen32 • Auch der Einwand, daß politische Diskussionprozesse, die an sich dem Parlament vorbehalten sind, angesichts von Festlegungen in der Koalition verkürzt oder praktisch "abgeschnitten" würden - gar dann, wenn dort sog. "politische Pakete" geschnürt worden sind -, ist ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite muß aber betont werden, daß übergreifende politische Themen besonderer Bedeutung mitunter - insbesondere wenn sie dringlich geworden sind - nur zur Entscheidung geführt werden können, wenn es auf der politischen Spitze zu Verabredungen kommt und dort auch Gesamtzusammenhänge in die Entscheidung einbezogen werden. Das Risiko, daß solche Verabredungen dann der Diskussion im Parlament nicht standhalten, bleibt; und es hat sich auch gelegentlich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland realisiert. Sollen Koalitionsgespräche Aussicht auf erfolgreiche Vereinbarungen haben, so erfordern sie eine Atmosphäre besonderer Vertraulichkeit, weil anderenfalls die in solchen Gesprächen geforderte Bereitschaft, auch Positionen im Interesse des Kompromisses aufzugeben, schwer erreichbar ist. Vermieden werden aber muß, daß es dort zu Absprachen kommt, die bei näherer politischer oder fachlicher Prüfung nicht realisierbar sind, so daß beim weiteren Gang der Dinge neben legitimen sachlichen und politischen Argumenten auch Prestige-Gesichtspunkte einflössen.

2. Zieldurchsetzung Sind die politischen Ziele der Bundesregierung festgelegt, so gilt es, sie in geeigneter Weise umzusetzen. Das bedeutet in aller Regel die Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzentwurfs. Dabei ergeben sich Probleme auf verschiedenen Ebenen. 32 Peter Badura (oben Fn. 23), S. 29, 31 scheint dies zu meinen, wenn er von der Gefahr der Politik in "Hinterzimmern" spricht.

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a) Innerhalb der Bundesregierung Innerhalb der Bundesregierung geht es insbesondere um den richtigen Weg zur Verwirklichung der festgelegten politischen Ziele. Jedes fachlich betroffene Ressort hat bei der Erarbeitung der Entwürfe mitzuwirken. Ein Ressort, nämlich das, bei dem die überwiegende Zuständigkeit liegt, ist federführend; es hat die Aufgabe, nicht nur seinen eigenen Sachverstand einzubringen, sondern auch die Beiträge der anderen Ressorts zu verwerten, die erforderlichen Beteiligungen z. B. von Ländern und Verbänden herbeizuführen und letztlich einen von allen Ressorts mitgetragenen einvernehmlichen Entwurf auszuarbeiten, der dann vom Kabinett beschlossen werden kann. Daß diese Ressortabstimmung nicht konfliktfrei verläuft, liegt auf der Hand. Es ist gerade die Pflicht einzelner Ressorts, auch divergierende Auffassungen einzubringen, damit der Entwurf die Gesamtheit der Problematik erfassen kann. Zielkonflikte, wie sie vorhin global angedeutet wurden, treten dabei in mannigfacher Weise bis ins Detail hinein auf. Oft aber geht es auch nur um die Suche nach der besten Gesetzesformulierung. Letztlich aber muß ein von der gesamten Bundesregierung gebilligtes Konzept gefunden werden, das auch nach außen geschlossen vertreten wird. Die Einzelheiten dieses Meinungsbildungsprozesses sind im Geschäftsordnungsrecht der Bundesregierung geregelt, auch die herausgehobene Rolle einzelner Ressorts (z. B. die suspensiven Veto-Rechte der Bundesministerien des Innern und der Justiz in rechtlichen sowie des Bundesministeriums der Finanzen in finanziellen Angelegenheiten) 33 , vor allem aber die besondere Stellung des Bundeskanzleramtes sowie die Mechanismen der Konfliktlösung. Vornehmliehe Aufgaben des Bundeskanzleramtes sind es dabei, darauf zu achten, daß die Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers eingehalten werden und daß letztlich eine abgestimmte - "kabinettreife" -Haltung gefunden wird34 . Dies erfordert Unterrichtung des Bundeskanzleramtes schon in einem sehr frühen Entwurfsstadium (vorgeschrieben durch§ 22 GGO II). Verfassungsrechtliche Grundlage der dabei wirkenden Mechanismen sind die in Art. 65 GG geregelten Organisationsprinzipien der Bundesregierung: Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, die im Ressortprinzip ausgedrückte Eigenverantwortung des Fachministers und das Kollegialprinzip, infolgedessen die Bundesregierung alle wichtigen Entscheidungen letztlich gemeinsam zu treffen hat. Systematisch sind diese Prinzipien zwar zu unterscheiden, in ihrer praktischen Entfaltung stehen sie aber nicht mit scharfen Konturen isoliert nebeneinander, sondern verzahnen sich in vielfältiger Weise und bilden so das flexible verfas§ 26 GOBReg. Zur Arbeitsweise in einer Regierungszentrale vgl. außer den bereits oben (Fn. II) erwähnten Schriften m. w. N. auch Klaus König, Staatskanzleien, Opladen 1993; Waldemar Schreckenberger, Der Regierungschef zwischen Politik und Administration, in: Festschrift für Bernhard Vogel zum 60. Geburtstag, Paderborn, München, Wien, Zürich 1992, S. 603; Klaus-Eckart Gebauer, Zur Optimierung von Koordination und Planung in einer Regierungszentrale, Verw.Arch. 1994, S. 485; ders., Ministerialverwaltung und Wissenschaft, in: Murswieck (Hrsg.), Regierung und Politikberatung, Opladen 1994, S. 131 . 33

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sungsrechtliche Gerüst für eine effektive Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung35. b) Im Verhältnis zum Bundestag Durchsetzung der politischen Ziele der Bundesregierung erfordert insbesondere Vergewisserung oder Sicherung der politischen Mehrheit im Bundestag. Zwar stehen sich - wie dargelegt - Bundesregierung und Bundestag als Verfassungsorgane mit ihren jeweils eigenen Verantwortlichkeiten gegenüber. In der politischen Praxis allerdings, zumal in den Medien, würde die generelle oder auch nur wesentliche Teile eines Gesetzentwurfs betreffende Ablehnung eines Regierungsentwurfs durch den Bundestag nicht als "normale" Form des ,,Dialogs" zwischen eigenständigen Verfassungsorganen, sondern als erhebliche Erschütterung des für eine Regierung erforderlichen Vertrauens des Parlaments gewertet werden. Im Interesse der Stabilität einer Regierung ist also eine enge Zusammenarbeit mit dem Parlament geboten. Dies gilt nicht erst für das Stadium der parlamentarischen Beratung eines Gesetzentwurfs, sondern bereits zuvor. Dementsprechend ist durch Geschäftsordnungsrecht die Zuleitung von Gesetzentwürfen an die Fraktionen des Bundestages zeitgleich mit der Versendung an Fachkreise und Verbände vorgeschrieben 36. In der Praxis ist naturgemäß besonders eng die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den sie tragenden Fraktionen. Über die förmliche Unterrichtung der Parlamentsfraktionen hinaus finden regelmäßige Kontakte zwischen Regierungsvertretern und Experten der Koalitionsfraktionen auch schon im Stadium der Entwurfserarbeitung statt. Zu Fragen, welche wichtige Elemente der Politik eines Koalitionspartners berühren, werden Koalitionsgespräche geführt, nicht nur - wie bereits geschildert - zur Zielfindung zu Beginn einer Legislaturperiode, sondern auch während der laufenden Gesetzgebungsarbeit, und zwar je nach Bedeutung der Themen auf der Ebene der Partei- und Fraktionsvorsitzenden oder auf der Ebene der Ressortminister und der Fraktionsexperten. Gelegentlich werden auch Arbeitsgruppen aus Regierungs- und Fraktionsvertretern gebildet, um gemeinsame Grundlinien für einen noch auszuformulierenden Gesetzentwurf zu entwickeln. c) Im Bund-Länder-Verhältnis Umsetzungsprobleme bei der Verwirklichung politischer Ziele gibt es natürlich auch im Bund-Länder-Verhältnis. Die Länder wirken durch den Bundesrat bei der Gesetzgebung des Bundes mit (Art. 50 GG). Jeder Gesetzentwurf der Bundesregierung durchläuft den Bundesrat in zwei Durchgängen. Am Schluß des Gesetz35 36

Vgl. dazu näher Busse a. a. 0. (Fn. II), S. 49ff. § 27 Abs. 2 GGO I!.

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gebungsverfahrens hat der Bundesrat jeden Gesetzesbeschluß des Bundestages zu beraten und über die Einlegung eines Einspruchs oder darüber zu befinden, ob er seine Zustimmung erteilt oder versagt. Nach langjähriger Statistik erfordert etwa die Hälfte aller Gesetze kraft der entsprechenden Vorschriften des Grundgesetzes die Zustimmung des Bundesrates37 . Die Länder bringen abweichende Vorstellungen zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung aus den verschiedenen Gründen vor. Häufig handelt es sich um fachliche oder länderspezifische Erwägungen, nicht selten um solche, die allgemein-politisch geprägt sind, und sehr häufig um solche, bei denen ein nichtauflösbares Motivbündel vorliegt. Dies führt gerade in der gegenwärtigen politischen Situation zu besonderen Problemen beim Abschluß von Gesetzgebungsverfahren aus folgenden Gründen: 38 - Die Mehrzahl der Regierungschefs der Länder (nämlich 10 von 16) gehört der Partei an, die im Bundestag in der Opposition ist. - Die politischen Konstellationen in den einzelnen Ländern sind höchst unterschiedlich: Es gibt zwar sechs Regierungen, die sich jeweils auf eine Fraktion mit absoluter Mehrheit stützen können, darüber hinaus aber drei Regierungen, die von großen Koalitionen gebildet sind, und schließlich eine Reihe von sog. kleinen Koalitionen mit unterschiedlichen Zusammensetzungen, darunter auch eine, die eine Minderheitsregierung trägt. Die vielfaltigsten politischen Motive, die so in die Gesetzgebungsarbeit einfließen, können mit diesen Hinweisen nur angedeutet werden. - Die Sitzverteilung im Vermittlungsausschuß ist gegenwärtig nicht so, daß eine dort nur mit Mehrheit zustande gekommene Empfehlung große Aussicht auf Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften hätte. Auch wenn die Mitglieder dieses Ausschusses nicht an Weisungen gebunden sind, und zwar auch die Mitglieder des Bundesrats (Art. 77 Abs. 2 GG), die sonst- im Bundesratsplenum nur länderweise einheitlich abstimmen können (Art. 51 Abs. 3 GG), so bleibt doch in der Praxis nicht verborgen, daß die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Land oder einer bestimmten Partei nicht ohne Einfluß auf das Stimmverhalten ist. Geht man von der Parteizugehörigkeit der Mitglieder des Vermittlungsausschusses aus, so haben z. Z. diejenigen die Mehrheit, die der Partei angehören, die im Bundestag die größte Oppositionsfraktion stellt. Die Schwierigkeiten gesetzgebenscher Entscheidungstindung erhöhen sich, wenn - wie in jüngerer Zeit verschiedentlich vorgekommen - der Bundesrat die Ablehnung von Gesetzentwürfen oder die Anrufung des Vermittlungsausschusses 37 Vgl. Handbuch des Bundesrates 1995196, S. 294. In der Mehrzahl der Fälle wird die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst durch Vorschriften, die das Verwaltungsverfahren regeln (Art. 84 Abs. I, 85 Abs. I GG). 38 Alle Zahlen beziehen sich auf den Stand 23. März 1996. Von den 32 Mitgliedern des Vermittlungsausschusses stellen die SPD-geführten Bundesländer und die Abgeordneten von SPD und Bündnis90 I Die Grünen 17; auf die CDU I CSV geführten Länder und Abgeordneten und die Abgeordneten von CDU ICSU und F.D.P. entfallen 15.

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relativ pauschal formuliert, so daß eine sachorientierte Auseinandersetzung erschwert wird. Von Einfluß auf die Handlungsmöglichkeiten des Bundestages gegenüber den Ländern waren auch die Verfassungsänderungen, die aufgrund der Arbeiten der Gemeinsamen Verfassungskommission geschaffen wurden und im Herbst 1994 in Kraft getreten sind. Dabei wurden langjährige Forderungen der Länder nach Verstärkung ihrer Rechte aufgegriffen. Durch die Verfassungsänderungen wurden einige Kompetenzen zugunsten der Länder, aber auch einige zugunsten des Bundes verlagert und Neuregelungen im Gesetzgebungsverfahren geschaffen. Insgesamt läßt sich sagen, daß die Länder in ihren Rechten eher gestärkt als der Bund aus dieser Verfassungsreform hervorgegangen sind39, nicht zuletzt wegen der inhaltlich verschärften und justitiabei gemachten Kompetenzabgrenzungsregelung des Art. 72 Abs. 2 GG. Angesichts der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern und der dadurch entstehenden gegenseitigem Abhängigkeiten hat sich in der Praxis neben den im Grundgesetz und im Geschäftsordnungsrecht vorgeschriebenen Formen der Zusammenarbeit ein relativ dichtes zusätzliches Kooperationsgeflecht herausgebildet. Erwähnt seien hier nur die regelmäßigen Konferenzen des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder, Fachministerkonferenzen der Länder mit den entsprechenden Bundesministern; Gespräche des Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder und zahlreiche nicht von vomherein näher festgelegte Gesprächskreise; darüber hinaus gibt es neben diesen Bund/Länder- bzw. parteiübergreifenden Gremien auch solche der einzelnen Parteien, z. B. regelmäßige Konferenzen ihrer Fraktionsvorsitzenden aus Bund und Ländem40. d) Bund I Länder-Verhältnis im europäischen Zusammenhang Der föderalistische Staatsaufbau Deutschlands erfordert ein enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern auch in europäischen Angelegenheiten. Die Intensivierung dieser Zusammenarbeit in der Praxis, aber auch in den rechtlich festgelegten Formen, ist von den Ländern in den letzten Jahren im zunehmenden Maße eingefordert worden. Dies gilt insbesondere angesichts des Grundsatzes der Subsidiarität, der inzwischen durch den Maastrichter Vertrag in Art. 3 b Abs. 2 des EU-Vertrages auch EU-rechtlich verankert ist. Die Länder konnten dazu bei den 39 Vgl. dazu näher Volker Busse, Der Bund und das Grundgesetz heute - Herausforderungen und Perspektiven auf staatsorganisatorischem Gebiet, In: Bitburger Gespräche 1995/1, München 1995. S. 45; Rüdiger Sannwald, Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen und des Gesetzgebungsverfahrens im Bundesstaat, Köln 1996; zurückhaltende Bewertung dagegen offenbar bei Ulrich Karpen gern. Tagungsbericht in ZRP 1996, 67 f. 40 Vgl. dazu näher: Klaus-Eckart Gebauer, Interessenregelung im föderalistischen System, in: Festschrift für Ernst Benda 1995, S. 67.

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Verfassungsänderungen infolge des Maastrichter Vertrages die Schaffung eines neuen Europa-Art. 23 GG erreichen, der unter Berücksichtigung der Verteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern die Rechte der Länder in der Binnenmitwirkung wie auch in der Außenvertretung, stärkt und festschreibt 41 .

V. Wege zur Erleichterung der Politikverwirklichung und Planung Die bisherige Darstellung sollte veranschaulichen, wie verflochten, kompliziert und von Abhängigkeiten durchsetzt die Findung und Durchsetzung von politischen Zielen der Bundesregierung ist. Praktische Politik darf vor diesen Schwierigkeiten nicht zurückweichen, wenn es nicht zu Stagnation oder Blockaden kommen soll. Bei einer Gesamtbetrachtung praktischen Regierungshandeins in der Bundesrepublik Deutschland kann festgestellt werden, daß das parlamentarische Regierungssystem seit Schaffung des Grundgesetzes sich als sehr stabil erwiesen hat. Angesichts dessen ist zu fragen: Welche Wege sind gefunden worden, solchen Schwierigkeiten zu begegnen, sie vielleicht zu überwinden? Wie sind sie zu bewerten? Reichen sie aus? Dazu sollen im Folgenden drei Aspekte angeschnitten werden, die freilich völlig unterschiedlich gelagert sind und auf verschiedenen Ebenen liegen: 1. Bedeutung des Informellen in der Politik

Die in Gesetzen und Geschäftsordnungen festgeschriebenen Kompetenzen von staatlichen Organen und die für ihre Zusammenarbeit vorgesehenen Verfahrensregelungen helfen nicht weiter, wenn Zustimmungserfordernisse bestehen und Kompromißbereitschaft fehlt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat sich in der praktischen Gesetzgebungsarbeit eine Ausbreitung informeller Kommunikation ergeben, d. h. des Austausches von Informationen und Meinungen, ohne im Rechtssinne daran gebunden zu sein. In der Praxis wird häufig davon Gebrauch gemacht, sei es, daß die informelle - also noch nicht verbindliche - Äußerung an die Stelle einer förmlichen tritt, sei es, daß der förmlichen Beteiligung des anderen eine informelle Phase vorgeschaltet wird, in der vorsondiert wird, wie der andere sich auf die förmliche Frage äußern werde. Diese informellen Kontakte bestehen überall dort, wo Zusammenarbeit geboten oder sachdienlich ist, und zwar innerhalb der jewei41 Auf Einzelheiten kann hier nicht näher eingegangen werden. Sie sind in Ausführungsgesetzen zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern (wie auch zwischen Bundesregierung und Bundestag) sowie in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern näher geregelt. Aus dem Schrifttum vgl. nur Rupert Scholz, Europäische Union und deutscher Bundesstaat, NVwZ 1993, 817; Georg-Berndt Oschatz/Horst Risse, Die Bundesregierung an der Kette der Länder? DÖV 1995, 437.

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Iigen Verfassungsorgane, zwischen ihnen sowie im Verhältnis staatlicher Organe des Bundes zu Ländern, Verbänden, Parteien - und dies auf allen in Betracht kommenden Ebenen. Der Nachteil dieser Handhabung mag darin gesehen werden, daß an Transparenz des Informationsaustausches und an Klarheit der Verantwortlichkeit einiges verloren geht. Der wesentliche Vorteil aber liegt darin, daß es nicht in einem zu frühen Stadium zu der mit dem förmlichen Informations- und Meinungsaustausch verbundenen Festlegung kommt, die eine Veränderung ohne Eintritt neuer Umstände kaum möglich macht, wenn nicht "Gesichtsverlust' eintreten soll. Auf informellem Wege kann so viel zwangloser ,ausgelotet' werden, ob ein bestimmter politischer Weg mit einem anderen Partner gangbar ist, sei es in der zunächst geplanten oder einer modifizierten Weise oder evtl. dann, wenn dem anderen Konzessionen auf einem verwandten oder gar einem anderen Gebiet gemacht werden. Die gesamte Thematik des Informellen in der Politik kann hier nicht entfaltet werden42 . Sicher ist aber, daß die informelle Kommunikation in der Politik - gerade bei komplizierter werdenden Abstimmungsvorgängen - ein wertvolles und letztlich unverzichtbares Mittel der Entscheidungsgewinnung ist. Freilich ist maßvolle Dosierung angebracht, wenn die Konturen der Verantwortlichkeiten nicht zu sehr verschwimmen sollen. Wird dies beachtet, mag man bei uns sogar von einer politischen Kultur des Informellen sprechen.

2. Partei- und politikübergreifende Kooperationen

Mit Fragen der informellen Kommunikation verwandt sind Fragen der parteioder politikübergreifenden Kooperation. Als z. B. erstmals am 12. Februar 1996 in einem Gespräch beim Bundeskanzler Vertreter von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften politische Eckpunkte zum Thema Frühverrentung vereinbarten, gab es in einigen Medien verfassungspolitische Kritik. Eine Zeitung fragte unter der Überschrift "Wer bestimmt?" nach der Einhaltung von Grundsätzen wie Gewaltenteilung und Tarifautonomie43 . Eine andere stellte ihren Artikel gar unter die Überschrift "Der Rentenbeschluß der Kanzlerrunde mißachtet Rechte und Aufgaben des Parlaments"44• Solche Einwände kehren von Zeit zu Zeit wieder. Sie richten sich gegen übergreifende Kooperation verschiedener Art, sei es von Koalition und Opposition im Bundestag, sei es von Bund und Ländern, sei es - wie jetzt von Bundesregierung und Tarifpartnern. Der sog. ,,Asylkompromiß" der Jahre 1992/ 93 war ein Beispiel für besonders schwierige, aber schon wegen der Not42 Für die verwandte -wenn auch auf andere Ebene liegende -Thematik des kooperativen Verwaltungsverfahrens vgl. zuletzt Jens-Peter Schneider, Verw.Arch. 1996, 38, insbesondere S. 45 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Vgl. bereits früher: Ernst-Hasso Ritter, Der kooperative Staat, AÖR 1979, 389 ff. 43 FAZ vom 14. Februar 1996. 44 Tagesspiegel vom 16. Februar 1996.

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wendigkeit einer Verfassungsänderung erforderlich gewordene parteiübergreifende Kooperation. Lebhaft diskutiert wurde die Zulässigkeit solcher Kooperation vor Jahren, als auf terroristische Morde und Geiselnahmen hin die Partei- und Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien und die Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer in gemeinsamen Sitzungen (sog. "Krisenstäben") die Antwortlinie abstimmten45 . Gegen solche partei- oder politikübergreifende Kooperation können bei näherer Betrachtung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwände erhoben werden. Der oft gemachte Hinweis darauf, daß darüber nichts im Grundgesetz geschrieben stehe, besagt nur, daß sie nicht vorgeschrieben, nicht aber, daß sie untersagt ist. Verfassungspolitisch kann auch hier - ähnlich wie bereits im Zusammenhang mit der informellen Kommunikation - eingewandt werden, daß Transparenz von Entscheidungstindung und Klarheit von demokratischen Verantwortlichkeiten leiden könnten. Auf der anderen Seite aber muß man sich Umstände und Ziele derartiger übergreifender Kooperation vor Augen halten: - Hätten es die Bürger terroristischer und mörderischer Erpressungen gegen Spitzenrepräsentanten aus Politik und Wirtschaft verstanden, wenn über die Frage des Nachgebens ein parteipolitischer Streit entstanden wäre? - Würden es die Bürger heute verstehen, wenn die Bundesregierung zum Thema Arbeitslosigkeit und Renten zumal angesichts der sich abzeichnenden Zuspitzung zu beiden Themen Vorschläge unterbreiten würde, deren Umsetzung später wegen abweichender Vorstellungen der Tarifpartner scheitert? Es gibt Situationen, in denen die viel zitierte "Gemeinsamkeit der Demokraten" gefordert ist, wenn besonders wichtige und schwierige politische Fragen einer Entscheidung zugeführt werden sollen, zumal wenn diese dringlich sind. Gerade der sog. "Asylkompromiß" war ein Beispiel dafür, daß ein immer stärker zunehmendes Problem mit wachsenden innenpolitischen Erschütterungen einschließlich außenpolitischer Ausstrahlungen die ungeduldige Frage vieler Bürger immer lauter werden ließ, wann der Phase der intensiven kontroversen Diskussion die Phase der Entscheidungen folgen werde. Übergreifende Kooperation der geschilderten Art wird allerdings den angedeuteten verfassungspolitischen Einwänden nur überzeugend begegnen können, wenn zwei Voraussetzungen beachtet werden: - Zum einen: Die zur Entscheidung anstehende Thematik muß von erheblicher allgemein-politischer Dimension sein. Die Rollenverteilung der geregelten demokratischen Strukturen, insbesondere auch das Gegenüber von Regierung 45 Über die damaligen Abläufe unterrichtet die Dokumentation zur Entführung von Hanns Martin Schleyer, herausgegeben vom Presse und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn 1977. Vgl. dort S. 19 f. zur Rolle der politischen Beratungsgremien.

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und Parlamentsmehrheit einerseits und Opposition andererseits, darf - populär gesprochen -nicht mit "zu kleiner Münze" überspielt werden. - Zum anderen: Bei derartiger Kooperation gibt es keine verbindlichen Beschlüsse im Rechtssinne. Vielmehr behält jeder Teilnehmer solcher Runden die aus seinem Amt erwachsende rechtliche Verantwortung. Er bringt diese in die gemeinsamen Gespräche ein und sagt zu, sich für die gefundene Vereinbarung in den Gremien einzusetzen, denen er Rechenschaft schuldig ist und von deren Zustimmung die Durchsetzung der Vereinbarung abhängig ist. Es kommt also nicht zu einer rechtlichen, sondern nur einer politischen Bindungswirkung, die freilich sehr einschneidend sein kann, weil derjenige, auf dessen Zustimmung es noch ankommt, bei Änderungswünschen u.U. die Verantwortung für das Scheitern der getroffenen Vereinbarung insgesamt auf sich "laden" würde.

3. Bedeutung von Planung heute Welche Bedeutung hat nun Planung heute bei der Durchsetzung von Politik? Ein politischer Planungsbegriff, der von der Vorstellung einer zielführenden Steuerung auf ein bestimmtes Ergebnis hin ausginge, wäre nach alledem nicht realistisch und auch nicht treffend. Aber ist Politikverwirklichung wirklich nur ein kaum durchschaubares Kräftespiel, dessen Ergebnis schwer vorhersehbar und wenig von Planungserkenntnissen geprägt ist? Ein solcher Eindruck wäre falsch, auch wenn der Einfluß von Planung nach dem Vorhergesagten nicht überschätzt werden darf. a) Gegenstand von Planung in der Politik heute eher Koordinierung als Steuerung Richtig und wichtig ist vielmehr, gerade angesichts der geschilderten politischen Abläufe zu betonen, daß Politik eines Höchstmaßes an sachlicher Fundiertheil und an Rationalität bedarf, wenn sie ihrer Verantwortung gerecht werden und zukunftsorientiert sein soll. Dies ist heutzutage um so wichtiger, als zunehmend irrationale Einflüsse in die Politik drängen: - Ist eine Materie (was ja nicht selten vorkommt) so komplex, daß sie sich in ihrer Vielschichtigkeit dem schnellen Konsumenten von Tagespolitik nicht erschließt, so neigen Medien dazu, die Kernaussagen eines Gesetzgebungsvorhabens auf wenige oft zugespitzt formulierte Leitgedanken zu reduzieren. - Die Fülle von Wahlen in oft kurzer Folge und deren bundespolitische Wirkung auch dann, wenn es sich "nur" um Landtags- oder gar Kommunalwahlen handelt, kann dazu verleiten, Gesetzesvorhaben unter dem Blickwinkel ihrer Wählerwirksamkeit eine gelegentlich überproportionale Gewichtung zu geben. Demoskopie gewinnt deshalb erhöhte Bedeutung.

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Solche Erfahrungen können dazu führen, daß dann, wenn es schwierig ist, die Vielschichtigkeit eines Gesetzgebungsvorhabens in all seiner Differenziertheit der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, Fragen der vordergründigen ,,Akzeptanz" - also der einfachen Vennittelbarkeit für den Wähler - eine unverhältnismäßige Bedeutung gewinnen. Vor diesem Hintergrund ist es um so wichtiger, daß das genannte "Spiel der politischen Kräfte" fachlich solide erarbeitete Rahmenbedingungen erhält, innerhalb deren es sich entfalten mag. Fachliche Substanz und komplizierte Sachgegebenheiten dürfen nicht vorschnell derartiger Vereinfachung oder Irrationalität preisgegeben werden. Entscheidend ist vielmehr, auf solcher Basis politische Führung zielgerichtet einzusetzen. Versteht man Planung in diesem Sinn als ein "Instrument der Rationalität", als ein "Phänomen der Analyse, Prognose, Ziel- und Entscheidungsfindung"46, so ist sie ein unverzichtbares Instrument verantwortungsvoller Politik. In diesem Sinne mag auch das Bundesverfassungsgericht zu verstehen sein, wenn es - im Zusammenhang mit der Volkszählung - von der "Staatsaufgabe Planung" gesprochen hat47 . Angesichts der angedeuteten Schwierigkeiten und Grenzen dürfte allerdings in der politischen Planung heute weniger das Element der Steuerung dominieren. Mehr in den Vordergrund getreten sind Elemente wie Koordinierung (im Sinne von Zusammenführung und BündeJung von Gesichtspunkten) und Moderation; oft geht es dabei weniger um strikte Zieldurchsetzung, sondern um den Ausgleich von Zielen und Mitteln im Sinne von Abwägung zwischen Alternativen48 und um Optimierung. Sinkende Steuerfähigkeit - sei es durch Recht oder durch Politik - läßt statt des Begriffs der Planung mehr den der politischen Führung in das Blickfeld rücken49. Sind solche Elemente in den Begriff der politischen Planung mit einbezogen, so geht es konkret um folgende Aufgaben: - Solide Informationsbasis für das zu lösende Problem, - zuverlässige Feststellungen über gegenwärtige und künftige Ressourcen, insbesondere auf finanziellem Gebiet, - Analyse der gegebenen Problemsituation, - fundierte Prognosen zukünftiger Entwicklung, 46 Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 703, 707. Reinhold Zippelius, in: Maunz-Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Auflage, München 1994, S. 340. Klaus König, Verw.Arch. 1971, I, 13 nennt Planung und Koordination "Schlüssel begriffe" heutiger sozialer Organisation. 47 BVerfGE 65,1 , 51.

48 Vgl. dazu Ernst Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 17, S. 719ff., Rn 192ff. 49 V gl. dazu näher Gunnar Folke Schuppen, Regierung und Verwaltung, in: Handbuch des Verfassungsrechts a. a. 0 . (Fu 48), § 31, S. 1499 ff., Rn 17 ff., Dieter Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerfahigkeit des Rechts, 1990.

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- sorgfaltige Abwägung von Interessen in den verschiedenen Bereichen von Staat, Gesellschaft und Einzelpersonen, - Herausarbeitung von Handlungsalternativen oder Optionen zur Lösung einer gegenwärtigen oder sich abzeichnenden Problemlage, - sorgfältige und erforderlichenfalls breit angelegte Folgenabschätzung zu jeder der so entwickelten Alternativen, - Prioritätensetzung angesichts begrenzter Ressourcen, - Frühzeitige Einsicht in die Umsetzungsprobleme, die sich bei der Verwirklichung eines Vorhabens ergeben und Herausarbeitung von Abhilfemöglichkeiten. Von entscheidender Bedeutung insgesamt aber ist die Zusammenführung aller übergreifender Aspekte dieser Arbeiten zu einem möglichst integrierten und koordinierten System der Hilfe zur politischen Zieltindung und Vorhabendurchsetzung. Wichtig sind dabei vor allem die die einzelnen Fachpolitiken übergreifenden Gesamtbetrachtungen der Probleme. So verstandene Planung vermag der Politik zwar nicht die ihr obliegende Führungsrolle abzunehmen, aber sie ist ihr ein unentbehrliches Hilfsinstrument. b) Erscheinungsformen von Planung in der Politik aa) Vorhabenplanung

Politische Planung ist in Deutschland nicht nur eine Sache des Staates; vielfach wird sie auch geleistet oder jedenfalls wird ihr zugearbeitet durch externe Wissenschaftler oder entsprechende Sachverständigenräte. So besteht z. B. auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik ein pluralistisches System von Wirtschaftsforschungsinstituten, Sachverständigenrat, Zusammenarbeit mit Sozialpartnern, Konjunkturrat der öffentlichen Hand und mittelfristiger Finanzplanung. Innerhalb der Bundesregierung ist Planung in dem hier umschriebenen Sinn grundsätzlich Angelegenheit jedes Ressorts entsprechend dem in Art. 65 GG verankerten Ressortprinzip. Danach ist jedes Bundesministerium für die Ausformung von Politik grundsätzlich eigenverantwortlich. Die fachpolitische - im obigen Sinn: planende - Aufbereitung einer Regelungsmaterie ist dort im Prinzip Sache der fachlich zuständigen Arbeitseinheiten. Allerdings verfügen zahlreiche Ressorts zusätzlich über Arbeitseinheiten für Planung oder - heute häufiger breiter definiert für Grundsatzangelegenheiten für ihren jeweiligen Geschäftsbereich. Dort werden in der Regel personelle und finanzielle Kapazitäten vorgehalten, um über die bereits erwähnte aktuelle Gesetzgebungsarbeit hinaus sich abzeichnenden oder möglichen Zukunftsproblemen nachzugehen und frühzeitig etwa erforderliche Initiativen zu ergreifen oder anzuregen. Gerade der frühzeitige Blick auf solche künftigen Entwicklungen und die daraus folgende Erkenntnis von politischem Handlungsbedarf ist die wohl vornehmlichste Aufgabe moderner politischer Planung.

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Dies gilt ebenso und in erhöhtem Maße für das Bundeskanzleramt. Dieses ist zwar als oberste Bundesbehörde zur Unterstützung des Bundeskanzlers und des Bundeskabinetts im Unterschied zu den Bundesministerien grundsätzlich ressortfrei. Es hat die Arbeit der Ressorts zu begleiten und im Blick auf die richtigen Entscheidungen des Bundeskanzlers und die Kabinettentscheidungen an der Koordinierung mitzuwirken 50. Darüber hinaus hat es aber insbesondere die ressortübergreifenden und gesamtpolitischen Aufgaben im Auge zu behalten und Anstöße zur Klärung oder Lösung solcher Zukunftsfragen zu geben oder selbst zu entwickeln, die nicht bereits in Ressorts aufgegriffen worden sind. bb) Mittel von Planung aufpolitischer Ebene Ein ambitioniertes "integriertes" Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollsystem nach dem Muster früher angestrebter "Gesamtkonzepte" gibt es heute weder im Bundeskanzleramt noch in den Regierungszentralen der Lände~ 1• Die Mittel und Wege des Nachdenkens und des Aufarbeitens von ressortübergreifenden und gesamtpolitischen Problemen sind vielmehr nicht systematisch festgelegt, sondern werden flexibel gehandhabt. Hat sich aufgrund politischer Vorüberlegungen oder fachlicher Vorarbeit in einem Ressort oder im Bundeskanzleramt dahingehend Klärungsbedarf ergeben, so werden heutzutage frühzeitig Gespräche auf politischer Ebene zwischen den beteiligten Ressorts geführt, in denen die Strukturen für die weitere Arbeit durch die entsprechenden Fachleute vorgegeben werden. Solche Gespräche können stattfinden im Kabinett, einem Kabinettausschuß52, in Koalitionsgesprächen, häufiger aber in ad hoc zusammengesetzten Gesprächskreisen, deren Teilnehmerkreis und Arbeitsweise nicht vorgeschrieben ist, so daß problemangepaßte flexible Handhabung möglich ist. Mitunter geben die wöchentlich zur Vorbereitung von Kabi-. nettsitzungen stattfindenden Besprechungen der beamteten Staatssekretäre unter Vorsitz des Chefs des Bundeskanzleramtes Anstoß dazu. Hier werden häufig Verabredungen darüber getroffen, auf welcher Ebene und mit welchen Teilnehmern ressortübergreifende Themen besprochen werden sollen, ehe sie für eine Behandlung im Kabinett hinreichend aufbereitet sind. Solche politischen Gespräche werden dann auf fachlicher Ebene begleitet, ausgefüllt oder ausgeführt. In diesem Sinne Mittel politischer Planung auf oberster Ebene waren in den letzten Jahren übergreifende politische Gesprächskreise beim Bundeskanzler zu verschiedenen Themenkomplexen. Außer den bereits erwähnten regelmäßigen Geso Vgl. dazu näher Busse a. a. 0. (Fn. ll) S. 49ff., 54ff. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Ressortfreiheit gilt nur flir Aufsichtsaufgaben bzgl. des Bundesnachrichtendienstes wegen dessen besonderer nach außen gerichteter nachrichtendienstlicher Aufgabe. 51 Dazu und zur Regierungspraxis insbesondere in den Ländern näher Gebauer a. a. 0 . (Fn. 34) Verw.Arch. 1994,485 ff., 509ff. 52 Deren praktische Bedeutung freilich nicht überschätzt werden darf; vgl. dazu Volker Busse, DVBI1993, 413.

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sprächen der Regierungschefs von Bund und Ländern sind vor allem hervorzuheben die Konferenzen mit Wirtschaft und Gewerkschaften, sei es zu bundesweiten Themen oder seies-gerade in den ersten Jahren nach Schaffung der deutschen Einheit - insbesondere zu wirtschaftlichen Problemen der neuen Länder. cc) Mittel von Planung aufadministrativer Ebene Von größter praktischer Bedeutung ist Planung auf dem Gebiet des Finanzwesens. Die Einpassung von Ausgaben und Einnahmen in das gesamtwirtschaftliche Leistungsvermögen der Volkswirtschaft ist unverzichtbar. Voraussetzung hierfür ist, daß der Planung eine mittelfristige gesamtwirtschaftliche Zielprojektion der wichtigsten makro-ökonomischen Daten zugrunde liegt. In Deutschland hat sich dazu mittelfristige Finanzplanung über einen Fünf-JahresZeitraum als zweckmäßig erwiesen. Mittelfristige Finanzplanung ist erforderlich, um die jährlichen Haushaltsentscheidungen in Kenntnis längerfristiger Entwicklungen treffen zu können, um hinsichtlich neuer Vorhaben finanzielle Spielräume erkennen zu können und um längerfristigen finanziellen Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenwirken zu können. Selbstverständlich ist, daß auf diesem Gebiet wie auf vielen anderen das koordinierte Informationssystem der amtlichen Statistik ganz wesentliche Erkenntnis- und Entscheidungsgrundlage ist. Die Finanzplanung mag hier nur als ein Beispiel für ein in der federführenden Verantwortung eines Ressorts, nämlich des Bundesministeriums der Finanzen, geführtes Planungsinstrument von herausragender Bedeutung stehen. Für die ressortübergreifende Zusammenarbeit der Bundesregierung insgesamt von Bedeutung ist die im Bundeskanzleramt bestehende Aufgabenplanung. Hierfür existiert das folgende Informations- und Planungssystem: - In einem Datenblattverfahren ist festgelegt, daß zu jedem Vorhaben eines Ressorts der dort zuständige Bearbeiter des Bundeskanzleramtes über den Beginn und den Fortgang der Arbeiten an dem Vorhaben, über dessen politisch wichtige Besonderheiten sowie über die weiteren Plantermine laufend unterrichtet. Die Unterrichtung geschieht über ein standardisiertes Datenblatt, das mit Hilfe von EDV ausgewertet wird. Der Datenbestand umfaßt erfahrungsgemäß pro Legislaturperiode ungefähr 2.500 bis 3.000 Vorhaben, wobei monatliche Änderungsmeldungen zu etwa 250 Vorhaben zu verarbeiten sind. Die Unterrichtungspflicht der Ressorts fußt auf Art. 65 GG und Zusammenarbeitsvorschriften des Geschäftsordnungsrechts53. Die auf diesem Wege gelieferten Daten stehen nicht nur dem Bundeskanzleramt zur Verfügung, sondern zugleich allen anderen Ressorts, so daß ein allseitiger Anreiz zur Bedienung des Systems besteht. Dieses System wurde Anfang der 70iger Jahre auf Vorschlag der Projektgruppe "Regierungs- und Verwaltungsreform" eingeführt. Es hat sich - auch nach Modifikationen im Detail - bewährt. 53 § 3 GOBReg, § 22 GGO II.

Gesetzgebungsarbeit der Bundesregierung- Politik und Planung

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- Die über das Datenblattverfahren gemeldeten Vorhaben dienen dazu, im Bundeskanzleramt ein Legislaturperiodenprogramm der Bundesregierung über besonders bedeutsam Vorhaben zu erstellen. Darin werden die Vorhaben aufgenommen, die in Ausfüllung von Regierungserklärung oder Koalitionsvereinbarung vom Beginn der Legislaturperiode erarbeitet werden oder aus anderen Gründen besonders wichtig sind, z. B. weil sie im Gesetzgebungsverfahren besondere Schwierigkeiten erwarten lassen oder größere finanzielle Auswirkungen haben. Von jedem dieser Vorhaben werden neben einer kurzen inhaltlichen Umschreibung aufgenommen: Der erreichte Sachstand und die weiteren Plantermine von Regierung, Bundestag und Bundesrat, Bemerkungen über besondere Probleme des Vorhabens (z. B. finanzielle Auswirkungen, Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat). Das Legislaturperiodenprogramm wird monatlich aktualisiert und dabei zuvor mit den Informationssystemen des Bundestages und des Bundesrates abgeglichen. Das Programm wird im Bundeskanzleramt erstellt, es steht aber allen Ressorts zur Verfügung. - Daneben wird wöchentlich zur Vorbereitung der bereits erwähnten Staatssekretärsbesprechungen jeweils eine Kabinettzeitplanung erstellt. In diese werden entsprechend den Meldungen der Ressorts die Vorhaben aufgenommen, die innerhalb der folgenden drei Monate zur Kabinettbehandlung anstehen, und zwar gegliedert nach solchen Vorhaben, die auf die ordentliche Tagesordnung gesetzt werden sollen, und solchen, die auf die sog. "TOP 1-Liste" gesetzt werden sollen (das sind solche Vorhaben, über die im Kabinett ohne Aussprache entschieden wird). Die Kabinettzeitplanung dient insbesondere dazu,

= sich über den Stand der Vorbereitung, d. h. rechtzeitige Erzielung von Kabinettreife, auszutauschen,

:: sich über Prioritätensetzung zu verständigen, :: Klarheit darüber zu gewinnen, ob für die Kabinettsitzungen Vorhaben entsprechend inhaltlichen Zusammenhängen oder zeitlichen Gegebenheiten anstehen. Weiter werden in periodischen Abständen Aufzeichnungen mit Auflistungen erstellt, in denen die Vorhaben der näheren oder mittleren Zukunft aufgeführt sind, zu denen sich besonderer politischer Entscheidungsbedarf ergeben kann oder von denen besondere politische Auswirkungen erwartet werden. In der Regel werden solche Aufzeichnungen zu Zeitpunkten vorgelegt, zu denen nach einer parlamentarischen Pause (Sommer, Weihnachten oder Ostern) die politische Arbeit wieder aufgenommen wird. Zu den Aufzeichnungen, die von einer Arbeitseinheit im Bundeskanzleramt gefertigt werden, tragen alle Fachabteilungen des Amtes, in der Regel nach Fühlungnahme mit den Ressorts, bei. Die Aufzeichnungen bleiben intern und dienen den Spitzen von Regierung und Koalition insbesondere dazu, die politischen Prioritäten der Regierungsarbeit der nächsten Monate zu setzen.

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dd) Ablaufplanung und Bilanzierung

Zu Beginn einer jeden Legislaturperiode wird im Bundeskanzleramt eine Auflistung aller Vorhaben erstellt, die in der Regierungserklärung angekündigt oder in der Koalitionsvereinbarung verabredet worden sind. Im Laufe der Legislaturperiode wird zu jedem Vorhaben verzeichnet, was zur Umsetzung geschehen ist. In bestimmten Abständen erwachsen dann Bilanzen über das bis dahin Erreichte. Am Ende der Legislaturperiode muß zu jedem geplanten Vorhaben festgestellt werden können, ob es ausgeführt worden ist oder - falls dies ausnahmsweise nicht zutrifft - warum dies unterblieben ist. In der Zwischenzeit tragen diese Auflistungen dazu bei, die Vorhaben herauszufiltem, zu denen es im Rahmen der Vorhabenplanung weiterer politische Anstöße für eine Umsetzung bedarf. Bei alledem sind naturgemäß die genannten EDV-gestützten Systeme wesentliche Hilfsmittel. ee) Personalplanung

Ein Sonderaspekt betrifft die Personalplanung, deren Probleme allerdings mit denen der politischen Planung kaum vergleichbar sind und auf die hier deshalb nicht näher eingegangen werden soll. Hier sein nur so viel bemerkt: Das Personalsystem der Bundesregierung ist geprägt vom Prinzip der Ressorthoheit Es gibt also kein alle Ressorts übergreifendes System der Personalsteuerung; vielmehr sind die Personalkörper der Ressorts grundsätzlich getrennt. Dies wird - abgesehen von den dienstrechtlichen Regelungen über Versetzung und Abordnung - allerdings für das Bundeskanzleramt flexibilisiert durch den sog. Rotationsbeschluß der Bundesregierung, der am 14. Mai 1995 neu gefaßt worden ist; durch diesen werden die Ressorts in näher geregelter Weise zum Personalwechsel mit dem Bundeskanzleramt verpflichtet. Vor besondere Herausforderungen wurde das Personalsystem der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Umzug nach Berlin gestellt. Hier ist ein personalwirtschaftliches Gesamtkonzept maßgeblich, das Aspekte der behördlichen Funktionsfähigkeit einerseits und der Sozialverträglichkeit andererseits zum Ausgleich bringt. Die Grundstruktur dieses Konzepts hat die Bundesregierung am 29. Juni 1995 beschlossen. VI. Zusammenfassende Thesen und Ausblick

Nach dieser Darstellung soll versucht werden, thesenartig Resümee zu ziehen. Folgende Thesen seien genannt: 1. Politikverwirklichung ist in einem komplizierter gewordenen Geflecht einerseits von übergreifenden Problemen und andererseits von rechtlichen und politischen Beteiligungs- und Abstimmungserfordernissen zunehmend schwieriger geworden. 2. Diese Schwierigkeiten und die sich daraus ergebenden Herausforderungen tragen dazu bei, daß Politik nicht von wenigen Entscheidungsträgem dekretiert

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werden kann, sondern in breit gefächerten diskursiven Diskussionsprozessen erarbeitet und durchgesetzt werden muß. Die dadurch sich ergebende "Bändigung" und "Ausbalancierung" von politischer Macht birgt positive Elemente moderner Gewaltenteilung, wie sie z. B. auch der Kompetenzverteilung im Bund-Länder-Verhältnis zugesprochen wird54 . 3. Um so mehr gilt es, politische Handlungsfähigkeit zu erhalten und zu fördern. In der Demokratie darf es nicht zu Stagnationen kommen, sondern es müssen einerseits politische Entscheidungen getroffen und andererseits Alternativen entwickelt werden, damit der Bürger als Wähler Grundlagen für seine Entscheidung hat. 4. Unser parlamentarisches Regierungssystem seit Schaffung des Grundgesetzes hat sich bisher als handlungsfähig und stabil erwiesen, 5. Angesichts der allerdings nicht zu kritisierenden unvollständigen rechtlichen Strukturen über Zusammenarbeit bei der Vorbereitung von Gesetzen haben sich informelle Kommunikation und parteiübergreifende Kooperation als taugliche Formen politischen Handeins herausgestellt, wenn den damit verbundenen Gefahren begegnet wird. 6. Gerade im Blick auf das sich dabei entfaltende "politische Kräftespiel" ist Planung als Instrument der Schaffung rationaler Grundlagen, der Analyse und Prognose zur sachlichen Fundierung politischer Entscheidungen und zur frühzeitigen Herausarbeitung von Zukunftsfragen und möglichen Antworten auch und gerade heute unerläßlich. Zu Recht verloren hat Planung ihre Bedeutung dagegen als politische Entscheidungsabläufe dominierendes Steuerungsinstrument 7. Praktische handlungsfähige Politik ist heutzutage weniger denn je zielführende Steuerung oder eindimensionale Durchsetzung planeciseher Vorstellungen, sondern eine Koordinierung von Zielen und Interessen zum Zwecke möglichst optimaler Zielverwirklichung. 8. Dabei hat Planung eine wichtige, aber eher dienende, dem Primat der Politik zugeordnete Funktion. 9. Alle diese Faktoren zusammengenommen mögen der Grund dafür sein, daß heute weniger von politischer Planung die Rede ist. Das, worauf es heute ankommt, ist vielmehr eher durch Koordination, Kooperation und Konsenssuche auf möglichst fachlich fundierter Basis mit dem notwendigen Blick auch für künftige Entwicklungen gekennzeichnet. 10. Wird Planung so verstanden, gilt es, deren Bedeutung hervorzuheben und zu stärken; denn die Zukunft unseres demokratischen Rechtsstaats hängt nicht zuletzt davon ab, daß heutige Entscheidungen auf möglichst solider Grundlage getroffen und Zukunftsfragen möglichst früh erkannt und einer Lösung zugeführt werden. 54 Vgl. zu diesem Verständnis von Gewaltenteilung z. B. Zippelius, Deutsches Staatsrecht (a. a. 0., Fn. 45), S. 90, 109, 114; Stern, Staatsrecht II (Fn 20), S. 519,530, 534.

Methoden zur Herstellung von Gesetzestexten Von Klaus Mudersbach

I. Einleitung Eine Juristische Vorschrift soll den doppelten Zweck erfüllen: sowohl dem praktizierenden Juristen und Verwaltungsfachmann als Handlungsgrundlage zu dienen als auch den Bürger über seine Rechte und Pflichten zu informieren. (Mit dem Begriff ,,Juristische Vorschrift" sollen im folgenden Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsrichtlinien und andere Texte, die der Rechtsstrukturierung dienen, zusammengefaßt werden.) Aus diesem doppelten Zweck ergeben sich in linguistischer Hinsicht die folgenden drei Fragen: Fl. Kann eine Juristische Vorschrift beiden Zwecken zugleich gerecht werden? F2. Wie kann man erreichen, daß eine Juristische Vorschrift für beide Adresssaten verständlich ist und von ihnen effizient genutzt werden kann? F3. Gibt es Methoden zur Erstellung solcher Vorschriften und zur Überarbeitung schon vorhandener Vorschriften? Anm. 1: .. Verständlich für den Adressaten A" heißt, daß der Text die Sprach- und Sachkenntnis des Adressaten berücksichtigt. Anm. 2: Unter "effizienter Nutzung" sei hier verstanden, daß der Fachmann bzw. der Bürger die Informationen, die er braucht, gezielt im Vorschriftstext suchen und schnell finden kann. Die Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: Ausgehend von der Frage F2 wird als Grundgedanke der Antwort das Prinzip der gestaltorientierten (holistischen) Denkweise dargestellt (cf. li., 2.). Dieser Grundgedanke wird angewandt auf den Aufbau einer Vorschrift als gedanklichen Konzepts sowie auf den Aufbau eines Vorschriftstextes als holistischen Texttyps (cf. II., 3.). Mit diesen Vorgaben läßt sich dann die Frage Fl beantworten (cf. II., 4. und VII., siehe auch These Tl). In V. und VI. werden dann auch Methoden für die beiden Aufgaben in F3 erstellen.

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1. Grundthesen

Die Grundgedanken der Argumentation seien in den folgenden vier Thesen zusammengefaßt: Tl. These 1: Eine Juristische Vorschrift und der Text, in dem sie formuliert wird, kann einheitlich und effizient aufgebaut werden, wenn man dem universal anwendbaren Prinzip der holistischen Denkweise folgt (cf. ll., 1.). Dies gilt auch für die Umarbeitung eines schon vorhandenen, aber nicht einheitlich aufgebauten Textes (cf. VI.). T2. These 2: Der Text einer Juristischen Vorschrift ist dann verständlich für einen bestimmten Adressatentyp (juristischer bzw. nicht-juristischer Fachmann, Bürger als juristischer Laie}, wenn er von der Kenntnislage des Adressaten ausgeht, d. h. - von dessen Sachkenntnis (Fachwissen bzw. Alltagswissen) und - dessen Sprachkenntnis (fachliche Terminologie bzw. Alltagssprache). T3. These 3 : Da Fachleute und Bürger sich in allen Bereichen unterscheiden, kann eine Vorschrift nur für einen Zweck d. h. für einen Adressatentyp formuliert werden: - entweder für den Zweck, den juristischen Fachmann zu informieren. Dabei ist vorausgesetzt, daß der Anwender die juristische Fachterminologie kennt - oder für den Zweck, den Bürger, d. h. den juristischen Laien, zu informieren (cf. Vll.). T4. These 4: Unter Berücksichtigung der Resultate der Thesen Tl.- T3. läßt sich eine Methode der Konstruktion von Juristischen Vorschriften formulieren, sodaß verschiedene Juristische Vorschriften einheitlich und effizient aufgebaut werden können. Dazu ist es erforderlich, - daß man den Aufbau der Juristischen Vorschrift und des Juristischen Vorschriftstextes getrennt behandelt und - daß man das zu erstellende Holon adressatenspezifisch plant.

II. Wie erreicht man die Einheitlichkeit und EtTazienz einer Juristischen Vorschrift? 1. Holistische Gestalt (Holon) und Texttyp

Wenn wir bestimmte Informationen, die wir benötigen, in einem Fachtext nachschlagen wollen, finden wir sie am schnellsten, wenn wir schon wissen, an welcher Stelle eines Textes wir sie suchen sollen. Dies geht aber nur dann, wenn wir die zu

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suchenden Informationen nach bestimmten Inhaltstypen klassifizieren können und die Information eines bestimmten Typs dann an einer dafür vorgesehenen Stelle im Textaufbau vorfinden. Dazu brauchen wir die Vorstellung eines generellen Schemas für die verschiedenen Informationstypen, ein Schema, das von jedem Text, der diese Informationen enthält, eingehalten wird. Ein solches Informationsschema liegt dem Gedanken des Texttyps bzw. des Fachttexttyps zugrunde. Zu fragen ist also, nach welchen Gesichtspunkten man eine solche Strukturierung von "Texttypen", "Textfunktionen" oder Textsorten beschreiben kann? Wie diese Frage in der bisherigen linguistischen Literatur beantwortet worden ist, darüber gibt Busse (1992, S. 93) Auskunft: .Jst schon die Diskussion um "Textfunktionen" innerhalb der Textlinguistik auf einem rudimentären Stand, so haben die Versuche der Bestimmung von "Textsorten" in den zwanzig Jahren seit Entstehen der Textlinguistik, wie alle Jahre wieder festgestellt wird, kaum Fortschritte aufzuweisen."

Die Linguistik hat neuerdings auch ein Konzept der Künstlichen Intelligenz, das mit den englischen Fachtermini ,,Frame" oder "Script" bezeichnet wird, für semantische Zwecke entdeckt. In der Literatur dazu werden zwar Strukturierungen für bestimmte Zwecke vorgestellt, es werden aber die Prinzipien diese Strukturen und damit auch die Bedingungen, nach denen neue Strukturen zu formulieren sind, nicht reflektiert oder explizit gemacht. Sie ergeben daher keine Anhaltspunkte zu der Frage, wie man für ein Phänomen eine gezielt holistische Beschreibung angeben kann und was sie dann von einer atomistischen unterscheidet (cf. Konerding 1993, s. 8, 42 f.). Der Lösungsansatz der hier vorgeschlagen wird, ist: ein solches Informationsschema als einen Spezialfall des allgemeinen Prinzips des gestaltorientierten (holistischen) Denkens anzusetzen. Denn wir erkennen dann Objekte leichter, wenn wir ihnen eine bestimmte, uns schon bekannte Gestalt zuordnen können (Gestalthypothese). Mit der Gestalt (Holon) ist eine bestimmte Anordnung der Gestaltteile (Holeme) und deren Funktionen verbunden. Durch die Gestalthypothese können wir die am Objekt erkennbaren Eigenschaften aufteilen in solche, die wir mit der allgemeinen Gestalt des Objektes verbinden und solche, die charakteristisch sind für das spezifische Objekt. Dies gilt nun auch für einen Fachtext: wenn wir ihm eine Textgestalt ( Fachtexttyp) zuordnen können, so können wir auch erkennen, welche Informationen in einem Text die allgemeine Textgestalt (Textholon) betreffen und welche die spezifische Ausprägung dieses Textes ausmachen. Wenn wir also eine bestimmte Information in einem Text suchen und den Texttyp schon kennen, also wissen, an welcher Stelle des Textes wir welchen Informationstyp suchen müssen, können wir in einem oder mehreren Texten desselben Texttyps jeweils an derselben "funktionalen Stelle" (Textholem) nachschauen. Auf diese Weise kann die Effizienzforderung (in 1., F2.) erfüllt werden.

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Zu fragen ist also zunächst, wie man aus dem holistischen Denkprinzip zu dem Gestaltschema von Fachtexten, d. h. zu ,,Fachtexttypen", kommen kann. Danach ist dies auf den Spezialfall des Juristischen Vorschriftstextes anzuwenden. Vorteil des Gestaltwissens ist auch, daß die Strukturierung unabhängig von der Länge des Textes ist. Relevant ist nur die relative Reihenfolge der Textteile. Daran orientieren wir .uns beim holistischen Suchen: Wir suchen nicht nach einer bestimmten Seite oder Zeile in einem Text (räumliche Situierung), sondern gestaltorientiert nach dem Zusammenhang, in dem eine bestimmte Textfunktion in der jeweiligen Text-Umgebung steht (funktionale Situierung). (Vgl. dazu weiter Ausführungen in: Mudersbach 1983, 1991, 1996, 1997, 1999). Eine Juristische Vorschrift sollte daher vom Vorschriftsgeber nach dem holistischen Denkprinzip konzipiert und strukturiert werden. Er muß also zuerst das gedankliche Konzept der Vorschrift nach dem holistischen Prinzip entwerfen und dieses danach in eine holistische Textform (Fachtexttyp) bringen. Im folgenden wird der Ausdruck "(Fach-)Texttyp" für das zu beschreibende Phänomen reserviert, während die Beschreibung dieses Phänomens im Rahmen des vorgestellten holistischen Grundmodells damit dem Terminus "(Fach-)Text-Holon" bezeichnet wird.

2. Das Ho/on und seine Eigenschaften Zunächst soll ganz allgemein angegeben werden, welche Eigenschaften ein Gedankenkomplex haben muß, um als ein konzeptuelles Ho/on gelten zu können. Daraus ergeben sich dann bei Anwendung auf der Textebene die Bedingungen für ein Textholon. Ein bestimmter Gedankenkomplex HL bildet ein (konzeptuelles) Holon (d. h. eine Gestalt, ein Ganzes), wenn Hl.- H4. erfüllt sind: H1. dem HL ist ein bestimmter Zweck Z(HL) in einem höheren Ganzen zugeordnet, H2. HL ist aufgebaut aus funktionalen Teilen (Holemen), von denen jedes eine bestimmte Rolle im Ganzen HL spielt (d. h. einen bestimmten Teilzweck im Gesamtzweck Z des Ganzen übernimmt), H3. bei einer intendierten raum-zeitlichen Strukturierung von HL (z. B. einem Texttyp) oder bei einem raumzeitlich schon strukturierten HL (z. B. ein Gesicht) ist jeder Funktion eine bestimmte invariante .,funktionale Stelle" in dieser Struktur zugeordnet. H4. Zu einem solchen gedanklichen Muster (Schema, Gestalt) HL können Realisierungen in Form von konkreten Gebilden erzeugt werden, in denen das Muster in einer spezifischen Ausprägung (.,Exemplar" oder .,Token") vorliegt.

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Die Realisierung eines Holons kann auch gestuft erfolgen: Ein Holon wird als strukturierte Anforderung (als Muster bzw. Kriterienkatalog) an eine Realisierung verstanden. Eine Realisierung für einen bestimmten spezifischen Zweck kann nun darin bestehen, selbst ein spezifischeres Muster als Anforderung für eine weitere Realisierungsstufe (unter Vorgabe einer weiteren Zweckspezifikation) anzugeben. Dieser Realisierungsprozeß läßt sich solange fortsetzen, bis eine Realisierung die Anforderungen erfüllt, ohne selbst weitere Anforderungen zu stellen. Aus Hl.- H4. ergibt sich umgekehrt: H5. Eine konkrete Struktur S wird dann als Realisierung des Holons HL erkannt, wenn die Gestalthypothese ("diese Struktur hat vermutlich die Gestalt HL") an den einzelnen Teilen von S verifiziert werden kann und wenn die Struktur S insgesamt den Zweck der Gestalt erfüllt. Für den Umgang mit Realisierungen der Gestalt ergibt sich außerdem: H6. Kompetente Kenner der Gestalt können die Qualität einer Realisierung beurteilen: ob sie typisch ist, bzw. gut oder weniger gut die betreffende Gestalt realisiert. a) Beispiel eines Holons: das Gesicht Als Beispiel einer alltäglichen Gestalt sei das Gesicht eines Menschen kurz angeführt. Wir erkennen ein Gesicht daran, daß bestimmte Teile in einer bestimmten Anordnung auftreten (Hl, H2.): die Augen, die Nase, der Mund befinden sich an bestimmten Stellen des Gesichts. Wir können diesem Gebilde auch einen Zweck zuordnen (H3.): die Zusammenfassung der meisten Sinne des Menschen in einer beweglichen Einheit (dies als kurze Erläuterung aus dem Alltagwissen). Selbst in einem "verunstalteten" Gesicht, also einer weniger guten Realisierung der Gestalt (H4.), wie z. B. in einem von Picasso gemalten Gesicht, können wir noch ein Gesicht erkennen (H5.) und angeben, welche Teile nicht an der richtigen Stelle sitzen. D. h., aufgrund der Gestalthypothese sind wir imstande, auch innerhalb eines gewissen Variationsfeldes etwas noch als ein Gesicht zu erkennen und wir sind auch in der Lage zu beurteilen, wie gut die Realisierung des Holons gelungen ist (H6.). (Hier ist natürlich nur die Gestaltqualität gemeint, nicht die künstlerische Qualität). 3. Der Fachtexttyp als Textholon

Aus der allgemeinen Holonstruktur läßt sich nun für unsere Zwecke der Spezialfall des Textholons und daraus der weitere Spezialfall des Fachtexttyps (FachtextHolon) gewinnen (er wurde oben schon erwähnt). Die Vorstellung des Fachtexthoions soll hier durch das Beispiel des Geschäftsbriefs verdeutlicht werden. 6 Schreckeoberger I Merlen

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a) Beispiel eines Fachttexttyps: der Geschäftsbrief Sein Zweck innerhalb eines übergeordneten Handlungsbereichs (Hl.) ist der, einem Geschäftspartner eine schriftlich dokumentierte geschäftliche Nachricht (Angebot, Bestellung, Aufforderung, Kostenerstellung etc.) zu übermitteln. Aus dem Zweck des Holons "Geschäftsbrief' ergeben sich die Teilzwecke der TextHofeme (H2.) wie z. B. Angabe des Absenders, des Adressaten, des Ortes und des Datums der Nachricht, die Nachricht selbst und die Unterschrift nebst Datum, die den Inhalt verbindlich macht. Die Reihenfolge, in der diese Textholeme in einem konkreten Geschäftsbrief auftreten, ist zwar von Kultur zu Kultur evtl. verschieden, innerhalb einer Kultur aber konstant (H3.). Jedes Text-Holern kann selbst wieder eine Binnenstruktur haben mit Unterzwekken innerhalb dieses Holems. So hat zum Beispiel das HOLEM "Absenderangabe" (als relatives Ganzes gesehen mit dem Zweck, den Schreiber des Briefes kenntlich zu machen) eine Binnenstruktur, die selbst wieder Teile (Subholeme) relativ zum Ganzen des Holems ,,Absenderangabe" sind: Titel, Vorname, Name, Firmenname, Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Stadt. Statt einer allgemeinen Definition des Textholons zu geben (siehe dazu Mudersbach 1998) soll diese Vorstellung sogleich für den hier interessierenden Spezialfall dargestellt werden.

4. Die Juristische Vorschriftstext als Fachtext-Ho/on

Das Textholon zu dem Fachtext-Typ .,Juristischer Vorschriftstext" (im folgenden abgekürzt mit "JV-TYP") läßt sich nach H4. als eine Realisierung der 3. Stufe des allgemeinen Holon-Konzepts H I.- H4. ansehen. Die erste Realisierungsstufe ist das Anforderungsmuster, das sich für textuelle Gestalten ergibt: das Textholon, das Phänomen der Texttypen beschreiben soll. Als weiteres Anforderungsmuster wird daraus für den Bereich der Fachtexte das Fachtext-Ho/on gewonnen (zweite Realisierungstufe). Schließlich wird der Zweck der Fachtexttypen noch einmal spezifiziert zum .,Juristischen Vorschriftstext" (JV-TYP, cf. II., 4., a). Ein Vorschriftstext, der für einen bestimmten Zweck zu entwerfen ist, kann dann als eine Realisierung dieses Holons ,,JV-TYP" angesehen werden d. h. als eine Realisierung der vierten Stufe des allgemeinen Holonkonzepts. - Die Anwendung einer bestimmten Vorschrift auf einen konkreten Einzelfall ist endlich die abschließende Realisierungsstufe, weil damit kein weiteres Anforderungsmuster verbunden ist, sondern der Vollzug konkreter Entscheidungen, die Anforderungen der Vorschrift erfüllen sollen.

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a) Holistische Anforderungen an den Texttyp "Juristischer Vorschriftstext" Aus dem allgemeinen Fachtexthalon ergeben sich die folgenden Anforderungen Jl. - 16. an den Texttyp ,,Juristischer Vorschriftstext" (JV-TYP). Diese Anforderungen werden dann in li., 3. bzw. IV., 2. durch spezifische Angaben erfüllt. Jl. Zweck: Der Fachtext-Typ JV-TYP dient dem Zweck, im größeren Ganzen der Fachkommunikation, ein bestimmtes Vorschriftskonzept nebst allen Zusätzen den ausführenden Stellen mitzuteilen. 12. Textholeme: Der Fachtext-Typ JV-TYP besteht ausfunktionalen Teilen (Textholemen), denen als Funktion Teilzwecke im Hinblick auf den Gesamtzweck des Text-Hoions zukommen. Sie bilden eine invariante kognitive Struktur, in der jedes Holern (Vorschriftsteil) durch die Relation, die sich aus seiner Funktion ergibt, die es mit dem Ganzen des Vorschriftskonzepts verbindet. Jedes Text-Holern des Fachtext-Typs JV-TYP wird beschrieben: - durch die Angabe einer Abschnittsnummer, - durch die Charakterisierung seiner Funktion im Text-Hoion (meist durch Kapitelüberschrift) - durch die Darstellung des Inhalts dieses Textholeros und seiner Funktion im Ganzen, möglichst in einer operativen Form, damit die Anwendung effizient geleistet werden kann, - fakultativ: durch die Spezifikation weitere funktionaler Teile (Sub-Holemen). die sich in Aufbau und Funktion zum Bezugs-Holern genauso verhalten wie die Ho lerne gegenüber dem Holon. 13. Manifest-Struktur: Der Fachtext-Typ JV-TYP hat eine ihm eigene räumlichzeitliche Manifest-Struktur. Sie ist eine (kulturabhängige) Abbildung der kognitiven Struktur (dem holistischen Vorschriftskonzept) auf die jeweiligen materiellen Verhältnisse des Darstellungsmediums (Text in einer bestimmten Veröffentlichungsform oder als File im Computer etc.). Diese Struktur bleibt bei allen vorkommenden Realisierungen der Holeme in einem konkreten Text konstant. Die Einhaltung und die Deutlichkeit der Struktur des JV-TYPS sind Beurteilungskriterien für die formale Qualität von realisierten Vorschriften (cf. II., 2. H6.). 14. Realisierung: Der Fachtext-Typ JV-TYP kann bei der Gesetzgebung (Anwendungssituation) dadurch "realisiert" werden, daß zu jedem Text-Holern in der konkret zu erstellenden Vorschrift die relevanten Informationen angegeben werden, die für den Zweck der jeweiligen Vorschrift geeignet sind. 16. Kem-Holeme: Da das Konzept der juristischen Vorschrift sowohl das Verfahren für den normalen Ablauf als auch die sich daraus ergebendenen Zusatzbestimmungen für Sonderfalle, Strafmaßnahmen sowie weitere für das Verständnis wichtige Zusatzinformationen (cf. ll., 2. f.) enthalten muß, wird in 6•

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der Darstellung ein Textholern speziell für die Darstellung des Normalfalles d. h. des konzeptuellen Kerns der Vorschrift vorgesehen. Dieser Kern hat eine in sich geschlossene Gestalt, ist also ein konzeptuelles Ganzes (Kemholon) mit dem Zweck, das Verfahren unter ,,normalen" Bedingungen anzugeben. das Kernholen ist innerhalb des Textes ein Textholem. Seine Teile (sozusagen Sub-Holerne des Textholems) seien Kem-Holeme genannt. Sie enthalten die Teil-Funktionen, die mit einem normalverlaufenden Verfahren verbunden sind (siehe das Beispiel in li., 3.).

111. Der Kern der Juristischen Vorschrift Die Anforderungen aus II., 4. werden durch die nachfolgende Spezifikation des Zwecks und der Struktur des Kernholons (III., l.) bzw. des Textholen (IV., 2.) erfüllt. Betrachten wir zunächst die konkrete Formulierung des Vorschriftskerns, d. h. der konzeptuellen Normal-Vorschrift (Kernholon) und ihres Zwecks.

I. Zweck der Vorschrift

Wie läßt sich der Zweck einer Juristischen Vorschrift möglichst allgemein und umfassend formulieren? Dafür wird folgendes vorgeschlagen: Der Zweck einer Juristischen Vorschrift ist, einen Ist-Zustand IZ einer Person oder eines Objekts, der für eine Instanz A unbefriedigend ist, in einen Soll-Zustand SZ zu überführen, der für A zufriedenstellender ist. Die Juristische Vorschrift soll garantieren, daß die Überführung reglementiert und kontrollierbar vollzogen wird. Die unzufriedene Instanz A kann der Bürger sein oder eine regierende Instanz in einem Unternehmen oder einem Staat. Als einen besonderen Anwendungsfall ist der Fall anzusehen, bei dem der IstZustand als der zufriedenstellende Normal-Zustand angesehen wird und deswegen die Abweichung von diesem Normalzustand als nicht wünschenswert sanktioniert wird (z. B. Sanktionen bei Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr). In diesem Fall wird eine Abweichungen vom Ist-Zustand von einer bestimmten Instanz (z. B. der Strafgesetzgebung) als "weniger befriedigend" angesehen wird. Dies scheint ein Gegenbeispiel gegen die allgemeine Zweckvorgabe oben zu sein. Aber auch dieser Fall läßt sich in das hier dargestellte Konzept des Übergangs in einen zufriedenstelienderen Soll-Zustand integrieren, wenn man als "unzufriedene Instanz" den Strafgesetzgeber ansieht, der die Abweichung vom Normal-Zustand als den für ihn maßgebenden Ist-Zustand ansieht, der ihn durch Verbote und strafende Maßnahmen in den Soll-Zustand (also den ,,Normal-Zustand") zurückführen will.

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2. Forderungen an den holistischen Aufbau des Kernholans Aus dem Gesamtzweck der Juristischen Vorschrift ergeben sich die Teile und ihr Teilzwecke und damit der funktionale Aufbau des Kernholons. Eine Juristische Vorschrift bestimmt das normal ablaufenden Verfahren (Kernhalon) und hat daher aus folgenden Teilen zu bestehen: - Angabe der Personen und Objekte, die betroffen sind, sowie deren Ist-Zustand (cf. K.HMO.), - Angabe des Zweck der Vorschrift (d. h. des zu erreichenden Soll-Zustand), - das Verfahren zur Erreichung des Soll-Zustands, - und den Angaben zu den einzelnen Phasen der Ausführung: - Einleitungsbedingungen (zusammen mit Kriterien für die Entscheidung und evtl. Schemata für Fragebögen) - Durchführungsbestimmungen und Kontrolmaßnahmen und - Abschlußkriterien.

3. Der Vorschriftskern (das Kernholon) Diese Forderungen an die Teile der Kernvorschrift lassen sich mit den folgenden neun Kernholemen erfüllen: KHMO. BEZUGSPARAMETER und ZWECKANGABE: Der von der Vorschrift intendierte Parameter (Personenkreis oder Sachverhalte) P, dessen Definition, dessen Istzustand IZ(P), dessen angestrebter Sollzustand SZ(P) und der daraus resultierende Zweck der Vorschrift. KHMl. VERFAHREN UND MITTEL, die zum Erreichen des Sollzustandes SZ(P) angewandt werden sollen (unter Bezugnahme auf den unter den Voraussetzungen und in K.HMO. eingeführten Istzustand von P). Spezifizierung der Parameter des Verfahrens bzw. der Objekte und Mittel. KHM2. PERSONENUMFELD: Wenn in dem Verfahren aufgrund von KHMl. weitere Personen Q beteiligt sind, dann ist deren Charakteristik anzugeben. Dazu gehören wiederum Angabe des Istzustandes IZ(Q) und Angabe der Interessenlage IZ(Q). Diese enthält die Angabe der Handlungstendenz dieses Personenkreises (vgl.Anm.). K.HM3. OBJEKTUMFELD: Wenn in dem Verfahren weitere Objekte beteiligt sind, dann ist deren Charakteristik anzugeben (Definition, Art, Umfang, Qualität, usw.) und deren Istzustand. K.HM4. MODUS des Verfahrens zur Erreichung des Sollzustandes (z. B. durch Fragebogen, cf. THM8.).

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KHM5. ENTSCHEIDUNGSKRITERIEN: Die Eingangsbedingungen, die der Istzustand im konkreten Fall erfüllen muss, damit das Verfahren darauf angewandt werden kann. KHM6. ENTSCHEIDUNGSMITTEILUNG: Festlegung, in welcher Form die betroffene Person über das Ergebnis der Entscheidung informiert wird und welche Rechtsmittel ihr zur Verfügung gestellt werden. KHM7. DURCHFÜHRUNGSBEDINGUNGEN: Wenn das Verfahren mit einer zeitlichen Dauer verbunden ist, dann werden die Anfangsbedingungen und Durchführungsbedingungen festgelegt. KHM8. BEENDIGUNGSBEDINGUNGEN: Das Verfahren wird nach bestimmten Kriterien beendet. Dazu gehört auch die Angabe, wie die Qualität des erreichten Zustandes relativ zum Sollzustand zu beurteilen ist. Dies ist der holistische Aufbau des gedanklichen Konzepts der Vorschrift für den Normalverlauf (Vorschriftskern). Als nächstes soll nun der Aufbau des gesamten Vorschriftstextes als Fachtexthalon angegeben werden.

IV. Der Juristische Vorschriftstext 1. Vorgaben Es wird hier unterschieden zwischen dem Kernteil des Textes, der die Vorschrift für den Normalfall enthält (II., 3) und den Textholemen, die zusätzliche Angaben enthalten. Diese zusätzlichen Angaben können erst festgelegt werden, wenn die Kernvorschrift vorliegt. Sie werden aus bestimmten Gründen, die hier nicht ausführlich dargestellt werden können, nicht als gedankliches Konzept aufgebaut, sondern als holistische Teile des Vorschriftstextes (zu den Gründen: siehe Mudersbach 1996, s. 45 f.). Zum Konzept der Kern-Vorschrift kommen in der textuellen Gestalt noch die Teile hinzu, in denen Ergänzungen zur Vorschrift zu formulieren sind bzw. Textteile, die in einem Vorschriftstext "flankierend" erwähnt werden müssen. Für diese Textholeme wird im folgenden eine bestimmte Reihenfolge vorgeschlagen (siehe dazu auch vn .. 1.).

2. Aufbau des Fachtexthalons "Juristischer Vorschriftstext" Das Kernhalon (III., 3.) und die zusätzlichen Angaben können insgesamt im Textaufbau des Fachtexthalons ,Juristischer Vorschriftstext" wie folgt zu einem Textganzen zuammengefügt werden:

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THMI. TITEL-HOLEM: Funktion der Kennzeichnung des Textinhaltes (hier durch Angabe des Vorschriftstyps, evtl. des LEBENSBEREICH und des Zweckes der VORSCHRIFT). Der Zweck des Vorschriftstextes ist konstant und muß daher nicht explizit angegeben werden (cf. II., 4., a) Jl.). THM2. PARAMETER-HOLEM: Angabe der Parameter, das heißt, der Personen, Objekte und Begriffe, die im Text zentral verwendet werden. Zu den Parametern istjeweils der vorausgesetzte Ist-Zustand mitanzugeben. THM3. VORSCHRIFTSKERN: die textuelle Darstellung des intendierten Normalverlaufs der Vorschriftsanwendung (cf. KHMO.-KMH8.). THM4. SONDER-HOLEM: Sonderbestimmungen (Ausnahmeregelungen, Spezialfalle). THM5. ERLÄliTERUNGS-HOLEM: Begriffsbestimmungen, Erläuterungen zu den einzelnen Teilen. THM6. STRAF-HOLEM: Abbruchs-, Ersatz- und Straf-Bestimmungen. Sie können jeden Teil des Vorschriftskerns betreffen, sind jedoch erst wirksam, wenn die Voraussetzung erfüllt ist: daß der Normalverlauf unterbrochen wurde. THM7. GELTUNGS-HOLEM: Holern der Gültigkeitsbestimmung. Dieses Holern enthält immer eine Metavorschrift: die Geltungsbestimmungen, die Vorschrift selbst betreffen, wie ,,Inkraftsetzung", ,,Außerkraftsetzung", "rechtliche Basis", Inbezugsetzung zu anderen Maßnahmen, die vorhanden sind oder die gefordert werden. THM8. FORMULAR-HOLEM: Hilfsmittelbestimmungen (Fragebogen, Meßgeräte, Helfer). THM9. ERFAHRUNGS-HOLEM (bei Kommentartexten zu Vorschriften): die Erfahrung, die aufgrund der Anwendung und der Häufigkeit bestimmter Fälle, in einer "zweiten Auflage" des Vorschriftstextes eingebracht wird. Dies ist der holistische Aufbau des Juristischen Vorschriftstextes, in dem für die Aspekte (Funktionen im Holon), die für eine Vorschrift relevant sind, ein Platz vorgesehen ist. Je nach spezifischer Ausrichtung einer Vorschrift läßt sich dieser Rahmen ergänzen bzw. subspezifizieren (cf. II., 2. H4.) ohne daß der Rahmen verlassen werden muß.

V. Methode der holistischen Konstruktion eines Vorschriftstextes Mit dem hier angegebenen holistischen Aufbau des Konzeptes und des Textes einer Vorschrift ist es nun möglich, die Frage F3. nach möglichen Methoden zur Erstellung von Vorschriften nach einem einheitlichen Verfahren anzugehen. Die

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Angabe einer solchen Konstruktions-Methode ist deswegen wichtig, weil dadurch sichergestellt wird, daß ein Vorschriftstext nicht nur die holistischen Aufbaubedingungen erfüllt, sondern daß er auch von verschiedenen Vorschriftsherstellern (Gesetzgeber etc.) auf eine einheitliche Weise erstellt wird. Neuerungen und Erfahrungen bei Erstellen von Vorschriften lassen sich somit auch einheitlich und effizienter mitteilen. Das Benutzen von vorausgehend reflektierten Methoden ist eine basale Voraussetzung für das erfolgreiche und effiziente Arbeiten sowohl in der Forschung als auch in der Praxis. Was in den Naturwissenschaften und Technikfachern zu immensen Fortschritten geführt hat, sollte daher auch in sozialwissenschaftliehen Bereichen nicht länger unbeachtet bleiben. Fragt man nach den bisher vorhandenen bzw. verwendeten Methoden zur Herstellung von Juristischen Vorschriften, so sei hier Kaufmann I Hassmer (1994, S. 133) zitiert: "Die herkömmmliche Methodenlehre bis zum heutigen Tag hat immer nur das Verfahren der Gewinnung konkreter Rechtsentscheidungen aus dem Gesetz behandelt. Über die Methode, mit der man zu richtigen Gesetzen kommt, wurde und wird kein Wort gesagt. ... und mehr bricht sich die Einsicht Bahn, daß auch die Gesetzgebung wissenschaftlichen Methoden unterliegt."

Im folgenden wird eine Methode angegeben, nach der zu einem gegebenen gedanklichen Vorschriftskonzept ein Text erstellt werden kann. Da hierbei die Frage, für welchen Adressaten der Text bestimmt ist (juristischer Fachmann oder Bürger bzw. nicht-juristischer Fachmann) einbezogen werden soll, sind die Angaben über das "Adressatenprofil" in die Vorgaben mitaufzunehmen. - Juristisch gesehen kommt der Wahl des juristischen Adressaten jedoch Vorrang zu, da nur derjenige Text, der für den juristischen Adressaten verfaßt wird, zu einer rechtsgültigen Vorschrift deklariert werden und für die Rechtsanwendung maßgebend sein kann. Ein Text, der zur Information der Bürger erstellt wird (Informationsbroschüre) soll zwar dem Bürger die Möglichkeit geben, sich kundig zu machen, ob eine Vorschrift auf ihn im Prinzip zutrifft, sie kann aber nicht die Grundlage für rechtsverbindliche Schlußfolgerungen sein. Der Bürger muß sich daher für entscheidende Rechtsfragen immer an den juristischen Fachmann wenden. (Das ist er auch von anderen Bereichen, die ein Spezialwissen und spezielle Techniken erfordern, gewohnt). Daher wird in der anzugebenden Methode zuerst der rechtsverbindliche Text erstellt und aus ihm der "sekundäre" informierende Text für den Bürger oder nicht juristischen Fachmann (Techniker etc.) gewonnen.

Methode der holistischen Konstruktion eines Vorschriftstextes für den Juristen bzw. einer Informationsbroschüre für den Bürger (KOVOX).

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1. Vorgaben zur Methode KOVOX:

a) Das Holon zum juristischen Vorschriftskern (cf. III., 3.), b) Das Holon zum juristischen Vorschriftstext (cf. IV., 2.), c) Die verschiedenen Adressatentypen und deren Kenntnisstand bzgl. (Fach-) Sprache und Sachwissen; außerdem deren spezifische Interessenlage bzw. lnformationsbedürfnis.

2. Die Methode KOVOX besteht in denfolgenden sieben Schritten:

MKl.

Konzipierung einer Juristischen Vorschrift

Das Konzept einer Vorschrift ist eine heuristische Tätigkeit. Es kann nicht durch einen methodischen Schritt "erzeugt" werden. Wohl aber kann aufgrund der holistischen Strukturierung des Konzeptes die Heuristik "methodisch flankiert" werden. D.h., nach einem ersten intuitiven Konzept zu einem Verfahren, nach dem ein Ist-Zustand in einen Soll-Zustand überführt werden kann (1. Schritt), wird dieser Ansatz holistisch strukturiert (2. Schritt). MKl.l Der von der Vorschrift betroffene Personenkreis (oder Objekt-Typ) wird eingeführt, dessen Ist-Zustand wird beschrieben, und zwar unter Berücksichtigung des Aspektes, was an diesem Zustand unbefriedigend ist (und für wen). Außerdem werden die Gründe, warum für den Vorschriftengeber VG ein Handlungsbedürfnis besteht, angegeben. MK1.2 Der zu erreichende Soll-Zustand des betreffenden Personenkreises wird angegeben, zusammen mit den Gründen, warum dieser vom Vorschriftengeber VG als zufriedenstellender angesehen wird. Daraus ergibt sich der Zweck der zu erstellenden Vorschrift. MK1.3 Das Verfahren, das zum Erreichen des Soll-Zustandes konzipiert wird, wird dargelegt, und zwar nur für den Normalvorgang (d. h. also der Vorschriftskem (cf. Ill., 3. KHMO.- KHM8.)). MK1.4 Notwendige Ergänzungen (Zusatzbestimmungen, Begriffsfestlegungen Erläuterungen, Strafbestimmungen usw.) werden in die Planung der Vorschrift aufgenommen (cf. IV., 2. THM.l- THM9.). MK2.

Einfügung der Konzeption in den holistischen Rahmen

Die Informationseinheiten des gedanklichen Vorschriftskonzept werden in die geeigneten Kemholemen bzw. Textholeme eingeordnet. Alle Informationen werden dabei in Form von Relationen in eine Datenbank eingegeben und mit den verschiedenen Holernnummern versehen. Im einzelnen ist dabei zu bestimmen:

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MK2.1 Einfügung der Vorschriften für den Normalvorgang in das Holon "Vorschriftskern", das oben vorgegeben ist. MK2.2 Einfügung der Zusatzbestimmungen usw. in das Holon zum Texttyp ,,Juristischer Vorschriftstext". Anm: Die Einfügung kann bei Zugrundelegung der in I. erstellten Datenbank dadurch geschehen, daß den einzelnen Informationsteilen eine Dezimalzahl zugeordnet wird, die sich aus der Reihenfolge der Holeme des Vorschriftskern bzw. des Textholons ergibt. Wie dies im einzelnen unter Zuhilfenahme von Datenbank-Operationen vorgenommen werden kann, ist in Mudersbach 1996, S. 101 f. angegeben. MK3.

Erstellung des holistischen Formulierungsplans für den juristischen Adressaten.

Die den Textholemen zugeordneten Informationseinheiten werden in die von der Holonstruktur des Juristischen Vorschriftstextes (cf. VI., 2.) vorgegebenen Reihenfolge gebracht (Juristischer Formulierungsplan). Hier sind in Abhängigkeit der jeweiligen "Vorgeschichte" der Vorschrift für den spezifischen Kontext des juristischen Anwender Erläuterungsteile in Erwägung zu ziehen, die als begleitende Informationen mit nicht-offiziellem Charakter betrachtet werden können. (Zum Teil werden Informationen zu MKI.l und MK1.2 auch darunter gerechnet und in einen Präambelteil verschoben.) MK4.

Vertextung des Formulierungsplanes: der Formulierungsplan von MK3. wird in eine Textstruktur überführt, in der die Kapitelüberschriften die Textholeme bzw. Kernholeme und deren Abfolge angeben.

Damit ist eine spezifische Juristische Vorschrift nach der holistischen Methode als holistischer Vorschriftstext formuliert. Unter Vorgabe einer so vorgegebenen oder eventuell schon holistisch vorliegenden Vorschrift, sowie der Informationen, die dieser Vorschrift zugrundeliegen (nach Schritt MKI.), kann nun eine adressatenspezifische Informationsbroschüre erstellt werden. MK5.

Adressatenspezifische Erstellung des holistischen Fonnulierungsplans:

MK5.1 Man wähle einen Adressatentyp und dessen Profil aus den Vorgaben. Dazu gehört auch eine holistische Gliederung des Informationsbedürfnisses des Adressaten unter den folgenden Aspekten: - was betrifft seine Vergangenheit, - seine Gegenwart, - seine Zukunft? - Was kann er ändern zugunsten seines Interesses? - Worauf muß er achten, damit nicht gegen sein Interesse agiert wird.

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MK5.2 Man ordne die einzelnen Informationen der Interessenlage des Adressaten zu. MK5.3 Man ergänze die Informationen anhand des vorgegebenen Kenntnisstandes des Adressaten, sofern erforderlich. MK6.

Man ordne die zugeordneten Informationseinheiten in der Reihenfolge der holistischen Struktur des Informationsbedürfnisses (MK5.1) um. Damit hat man den Formulierungsplan für die Informationsbroschüre erreicht.

MK7.

Dieser Forrmulierungsplan wird in eine Textstruktur überführt. Die Kapitelüberschriften der Textholeme folgen den "Fragen", die sich aus dem Informatiosnbedürfnis ergeben haben.

Resultat dieser Methode ist dann im ersten Teil eine Vorschrift, zu dem im Titelholern angegebenen Thema und Zweck. Sie weist sowohl die innere Struktur der zu behandelnden Sache (dem Konzept des Kernholons im ,,JV-TYP") auf als auch die text-holistische Struktur, die sich aus dem Fachtext-Typ ,,JV-TYP" ergibt. Aus dem zweiten Teil der Methode ergibt sich als Resultat eine Informationsbroschüre, die den adressatenspezifischen Bedürfnissen nach Information über diese Vorschrift gerecht werden soll.

VI. Die Methode der holistischen Rekonstruktion eines vorhandenen Vorschriftstextes (REVOX) Die Methode der holistischen Rekonstruktion dient dem Zweck, vorhandene Vorschriftstexte in eine einheitliche Form zu bringen, um deren Verständlichkeit und Effizienz zu erhöhen. Während bei der holistischen Konstruktion von dem gedanklichen Konzept einer zu erstellenden Vorschrift ausgegangen wird, liegt in diesem Fall die Vorschrift schon in Textform vor. Das gedankliche Konzept muß daher aus dem Text erst gewonnen werden, um dann in die holistische Gestalt "übersetzt" werden zu können. D. h. der zweite Teil entspricht im Prinzip der Methode der Konstruktion (cf. V., 2.). Der erste Teil der Methode dient dazu, hierfür die Informationen aus dem vorhandenen Text zu extrahieren.

1. Vorgaben zur Rekonstruktionsmethode REVOX:

a) Das Holon zum juristischen Vorschriftskern (cf. V., 1. a). b) Das Holon zumjuristischen Vorschriftstext (cf. V., 1. b). c) Der konkrete Vorschriftstext VT, der holistisch rekonstruiert werden soll. d) Eventuell weitere Zusatzinformationen zu der Vorschrift.

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2. Die Methode REVOX besteht in folgenden fünf Schritten:

MRI.

Man ordne den Text VT unter einen bestimmte Vorschriftstyp ein und gebe die dazugehörige Spezialisierung des Textholons (VI., 1. b) vor. Dann suche man im gegebenen Vorschriftstext VT die Formulierung des spezifischen Gesamtzwecks des Vorschriftskerns. (Die Formulierung des spezifischen Gesamtzwecks des Vorschriftstextes wird üblicherweise nicht explizit gemacht, aber aus Traditionsgründen wird hier meist der doppelte Zweck intendiert, der zur Frage Fl. in I. geführt hat).

MR2.

Man bilde die Textteile auf Funktionen im Textganzen ab (TextholemZuordnung). Hierbei soll die Textholern-Struktur (cf. IV., 2.) als Schema an den Text angelegt werden. Bei jeder Textstelle wird gefragt, welche holistische Funktion in ihr zum Ausdruck kommt. Dazu wird die folgende dreispaltige Tabelle (bzw. ein entsprechendes Datenbankprogramm) ausgefüllt:

Tabelle zu den Textholemen: Nummer des Textabschnitts

Holemangabe

Anmerkungen dazu.

Der Text wird Satz für Satz nach diesem Schema durchlaufen. Wenn man sicher gehen will, daß man alle Informationen des gegebenen Vorschriftstextes in der Rekonstruktion berücksichtigt hat, muß man einer Textstelle eventuell mehrere Holemangaben zuordnen bzw. den Text zuerst mittels der Methode RELATEX in eine Informationsstruktur umsetzen und an dieser die Holernzuordnung vornehmen. Einzelheiten zur Methode Relatex finden sich in Schönherr /Mudersbach 1992 und Mudersbach 1991. Die Anwendung auf die Rekonstruktion juristischer Vorschriften findet sich in Mudersbach 1996, S. 69 f. und 205 ff. MR3.

Man bilde die Textteile, die Informationen zum Vorschriftskern enthalten, auf die Holemen des Holons "Vorschriftskerns" ab (Kernholem-Zuordnung). Hierbei soll die Kernholern-Struktur (cf. III., 3.) als Schema an den Text angelegt werden. Bei jeder entsprechenden Textstelle wird gefragt, welche kern-holistische Funktion in ihr zum Ausdruck kommt. Dazu wird die folgende dreispaltige Tabelle (bzw. ein entsprechendes Datenbankprogramm) ausgefüllt:

Tabelle zu den Textstellen mit Kernholem-Angaben: Nummer des Textabschnitts

I . Kern-Holemangabe

Anmerkungen dazu.

Methoden zur Herstellung von Gesetzestexten MR4.

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Anlegen weiterer textrelevanter holistischer Systeme

Für weitere im Text erwähnte Sachverhalte, Gegenstände, Institutionen, Betriebsanlagen usw., deren Verständnis die Kenntnis einer holistischen Struktur voraussetzt, wird folgendermaßen verfahren: MR4.1 Das betreffende Holon wird explizit benannt. MR4.2 Seine holistische Struktur wird soweit explizit gemacht, wie sie zur Einordnung des Textes relevant ist. MR4.3 Die betreffenden Textteile werden der so vorgegebenen holistischens TeilStruktur zugeordnet. Die Schritte MR4.1-4.3. sind für alle holistischen Strukturen, die im Text vorkommen, nacheinander getrennt zu wiederholen (cf. Methode HOLONTEX in Mudersbach 1991). MR5.

Die Informationen aus den Tabellen zu den einzelnen Holemen (Textbzw. Kemholeme) werden nach der vorgegebenen Holenstruktur für Vorschriftskem bzw. Vorschriftstext umgeordnet und ähnlich wie in MK3. und 4. in einen holistisch aufgebauten Text überführt.

Das Ergebnis dieses 5. Schrittes ist die vollständige holistische Darstellung des vorgegebenen Vorschriftstextes. Damit ist die Darstellung der Methode REVOX abgeschlossen. Bei einer Anwendung der Methode der holistischen Rekonstruktion auf eine vorgegebene Vorschrift besteht das konkrete Ergebnis insgesamt in einem holistischen ,,Befund": nämlich der expliziten holistischen Struktur des Vorschriftstextes und der darin enthaltenen Vorschrift (cf. die ausführlicher Darstellung zusammen mit Anwendungsbeispielen in Mudersbach 1996, S. 69 f. , 161 ff., 203 f.).

VII. Zur Frage, ob eine Juristische Vorschrift beiden Adressaten, Jurist und Bürger, zugleich gerecht werden kann? Auf die in I. Fl . gestellte Frage ergibt sich aus dem bisher Gesagten nun folgende Antwort. Der juristische Adressat hat sich das juristische Fachwissen und die dazugehörige Terminologie im Studium angeeignet, um möglichst effizient die Vorgänge benennen zu können, die das Handeln in seinem Fachbereich bestimmen. Die Fachterminologie ist für den Juristen ein holistisches Begriffsnetz, in dem es nicht auf die klassischen Definitionen der Begriffe durch Unterordnung unter einen Oberbegriff ankommt, sondern auf die Begriffsoppostionen und auf die mit dem Begriff zusammenhängenden Möglichkeiten der Spezifizierung sowie den in der juristischen Praxis gegebenen Gebrauch der Begriffe. Dies gilt für den Juristen wie für

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jeden Fachmann eines anderen Gebietes. Daher versteht der Jurist die Darstellung einer Vorschrift am besten, wenn sie ihm in dieser Fachsprache übermittelt wird. Wie jede Fachsprache ist auch die juristische anfällig für Ungenauigkeiten, die mit einer nicht fachgerechten Verwendung der Begrifflichkeit verbunden sind, weil damit beim Adressaten Unsicherheiten in der Interpretation, d. h. der Wahl verschiedener möglicher Alternativen der Präzisierung verbunden sind. Zugleich ist ein Fachsprache jedoch "robust" in dem Sinn, daß der Fachkenner Ungenauigkeiten in Bereichen, in denen es klar ist, welcher Vorgang gemeint ist, aufgrund seiner Kenntnis des Vorgangs desambiguieren kann (diese Phänomen wird ausführlich in Gerzymisch-Arbogast 1996 behandelt). Der juristische Laie hat weder die relevanten terminologischen Unterscheidungen noch die Differenzierung im Sachwissen zur Verfügung, um einen in juristischer Fachsprache abgefaßten Text verstehen zu können. Ihm ist auch nicht damit gedient, wenn einzelne Fachtermini in seine Laiensprache übersetzt werden, weil das holistische Verständnis des Begriffsnetzes auf diese Weise nicht erzeugt werden kann. Hinzu kommt noch, daß es eine Eigentümlichkeit der deutschen Rechtssprache ist, Wörter der Alltagssprache als juristische Fachtermini zu verwenden. Damit entsteht beim Laien der falsche Eindruck, daß er sein Alltagswissen über die verständlich erscheinenden Begriffe in sein Verstehen eines juristischen Textes einbringen und aufgrund dieser Kenntnis juristisch relevante Schlüsse ziehen könnte. Man kann daher sagen: gerade weil die juristische Fachsprache nicht wie andere Fachsprachen Fremdwörter oder Neologismen benutzt, fehlen dem Laien die sonst übliche Warnsignale, die unbekannte Termini für ihn darstellen, nämlich Signale, die ihn daran hindem zu glauben einen Text verstehen zu können. Es ergibt sich daher: Da die juristische Fachsprache keine künstliche Fachsprache ist, wie z. B. die der Medizin oder die eines naturwissenschaftichen oder technischen Faches, müssen die Juristen um so mehr darauf achten, nicht bürgernah formulieren zu wollen, damit sie vom Laien nicht falsch verstanden werden. Sie sollen sich endlich das Recht auf die fachspezifische Kommunikation mittels ihrer Fachsprache zugestehen, ohne falsche Zugeständnisse an das Laienverständnis machen zu wollen. Diese "Souveränität" nimmt heutzutage jede spezialisierte Wissenschaft für sich in Anspruch. Die oben dargelegte Argumentation zum fachspezifischen holistischen Aufbau von Vorschriften (II., 4. ff.) sowie die methodischen Schritte, in denen das juristische Fachwissensprofil als Grundlage für die Formulierung von Texten angesetzt wird (cf. V. und VI.), deren Adressaten juristische Fachleute sind, zeigt doch gerade: Wenn man die methodische Genauigkeit ernst nimmt, um zu effizienten Fachtexten zu gelangen, dann ist dies inkompatibel mit dem zweiten Anspruch, für den juristischen Laien (und dessen Wissensprofil) verständlich zu sein. Diese sprachliche und wissensmäßige Distanz läßt sich nicht durch vordergründige sprachliche Konzessionen und Verwässerungen der Begrifflichkeil überbrücken. Im Gegenteil: Sie schafft nur Raum für die falsche Erwartung oder Kritik des

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Laien, daß ein juristischer Text für ihn verständlich sein müsse (als ob er diesen Anspruch je an einen medizinischen oder physikalisch-technischen Fachartikel stellen würde!) Der berechtigte Anspruch des Bürgers, über die für ihn geltenden Vorschriften und Gesetze informiert zu werden, läßt sich nicht in einem einzigen (juristisch orientierten) Text berücksichtigen. Stattdessen muß ein eigenständiger Informationstext für den Bürger erstellt werden, wie dies aus den methodischen Schritten MK3. -4. versus MK5. in V. klar geworden ist: der Kenntnisstand, das Wissensprofil und das Interesse des Bürgers kann erst bei der Umsetzung der Juristischen Vorschrift in einem für den Bürger maßgeschneiderten Informationsbroschüre berücksichtigt werden. Auf einem anderen Blatt stehen dagegen schlecht formulierte Fachtexte, die auch für den juristischen Fachmann nicht verständlich und effizient benutzbar sind. Diese werden aber durch eine bürgernahe Umformulierung erst recht nicht besser, sondern verschleiern nur die fehlende Kompetenz, juristisch präzis darzustellen (cf. dazu den nicht ganz ernst gemeinten umständlichen Verwaltungstext "Der Wertsack" und dessen methodische Bearbeitung in Mudersbach 1996, S. 203 ff.). Ein besonderer Fall ist der eines Fachmannes auf einem nicht juristischen z. B. technischen Gebiet, den die Juristische Vorschrift in seinem Fachgebiet betrifft. Er beherrscht die Fachsprache seines Fachgebietes, aber nicht die juristische Fachsprache. Wenn die Vorschrift die technische Praxis des betreffenden betrifft, dann muß ihm die Vorschrift in der ihm bekannten technischen Fachsprache geboten werden, und zwar aus denselben Gründen, die oben für die effiziente Fachkommunikation des Juristen genannt wurden. Eine bürgerfreundliche Formulierung interessiert in diesem Falle den Alltags-Bürger nicht und dem Techniker nützt sie nichts, da er die entscheidenden fachlichen Unterscheidungen nicht dargestellt findet.

VIII. Zur Frage der Einheitlichkeit der Texterstellung und der vorgestellten Methoden Wenn man danach fragt, ob die hier vorgestellte Abfolge von Textholemen (bzw. die Abfolge der methodischen Schritte) die einzig mögliche ist, so ist folgendes darauf zu antworten.

1. Zur Abfolge der Textholeme

Das holistische Prinzip kann zwar den Zweck einer Ganzheit (Holon) in Teilfunktionen zerlegen (Holeme), die voneinander unterscheidbar sind und ihren unmittelbaren Beitrag zur Gesamtzweck liefern, sie kann aber nur in eingeschränk-

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tem Maß eine Aussage über die Reihenfolge der Holeme machen. Diese Reihenfolge der räumlichen oder zeitlichen Anordnung hängt von Bedingungen in der Realität ab (wie z. B. die Anordnung bei einem Gesicht) oder von kulturellen Bedingungen (Geschäftsbrief) oder spezifisch fachlichen Konventionen. Die letzteren können dabei durchaus einer Kritik unterzogen werden und zugunsten einer sinnvolleren Konvention abgeändert werden, wenn man holistisch valable Gründe dafür ins Feld führen kann. Es gibt bestimmte logisch-rationale Gesichtspunkte, die eher für eine bestimmte Abfolge als für eine andere sprechen. So ist es z. B. unter dem Gesichtspunkt der Vermittlung des benötigten Wissens sinnvoller, Begriffsbestimmungen (cf. IV., 2. THM5.) an den Anfang zu stellen, da sie ja für das Verständnis der nachfolgenden Vorschrift notwendig sind. Unter dem Gesichtspunkt der Benutzung der Vorschrift bei einem fortgeschrittenen Wissensstand läßt sich dagegen die Begriffsbestimmung als bekannt voraussetzen, sie ist daher der systematischen Vollständigkeit halber zwar aufzunehmen, kann dann aber auf eine Position nach der Darstellung der Vorschrift verschoben werden (wie in IV., 2. vorgeschlagen wird). Welchen Mitteilungszweck man hier also präferiert, den der Erstmitteilung oder den der täglichen Gebrauchssituation, entscheidet über die Reihenfolge und darüber, wie die Effizienz am besten erreicht wird bzw. am wenigsten behindert wird. Dazu wird im Ausblick noch ein Ausweg angegeben, der sich aus der Benutzung neuer Medien (wie Hypertext) ergibt.

2. Zur Abfolge der methodischen Schritte. Hier ist der Gesichtspunkt zugrunde zu legen: welche Informationen bzw. welche Entscheidungen vorliegen müssen, um darauf einen nächsten Schritt aufbauen zu können. Dabei sind zwar unterschiedliche Vorgehensweisen im Prinzip nicht ausschließbar, der Vorteil der Formulierung einer methodischen Schrittabfolge liegt aber auch gerade darin, daß man sich klar machen kann, ob das Vorgehen in der Sache nicht ein bestimmtes "sachlogisches" Procedere quasi erzwingt. Im Einzelfall sollten Alternativ-Vorschläge unter solchen Gesichtspunkten diskutiert werden. Dabei kann dem Argument zugunsten einer kulturellen oder fachlichen Tradition, das meist mit dem Anspruch auf Respekt oder dem Bonus der Bekanntheit und Gewohnheit vorgetragen wird, gerade durch gute sachbezogene Alternativargumente der Boden entzogen werden. Eine solche Situation liegt gerade bei der Argumentation in V.II. zugunsten der eigenständigen Informationstexte für den Bürger vor.

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IX. Zusammenfassung und Ausblick auf neue Computertechniken Auf die drei Fragen nach Zweck und Effizienz eines Juristischen Vorschriftstextes und nach den Methoden der Konstruktion und Rekonstruktion ergab sich: A 1. Der allgemeine Zweck einer Juristischen Vorschrift ist die kontrollierbare Überführung eines Ist-Zustandes in einen Soll-Zustand. A2. Ein Vorschriftstext kann nur für einen Adressattyp formuliert werden, hier also zunächst in der rechtsverbindlichen Form für den juristischen Anwender. Am effizientesten geschieht dies mit Texten die nach einem Texttyp d. h. einer Textgestalt aufgebaut sind, damit sichergestellt ist, daß der Fachmann, der den Texttyp kennt, die von ihm gesuchte Information an der dafür vorgesehenen Stelle finden kann. Ähnliches gilt auch für die nicht rechtsverbindliche Informationsbroschüre, die für den Bürger erstellt wird, damit er seinen Interessen gemäß informiert wird. A3. Zur Rekonstruktion und Konstruktion von Juristischen Vorschriftstexten wurden operationalisierte Methoden angegeben.

Ausblick Gesetze sollten in Zukunft nicht nur nach einem solchen einheitlichen Schema formuliert werden. Sie sollten auch in einer Datenbank gespeichert werden und zwar so, daß die Holeme und ihre Funktionen (die Textteile) in einer bestimmten Datenbank-Schablone abgelegt werden können. Wenn also die Informationen zu den einzelnen Holemen an einer bestimmten Stelle in der Datenbank gespeichert sind, kann man diese sowohl als Ausgangsbasis für die Formulierung einer Vorschrift für den juristischen Fachmann (oder die Verwaltungsbehörde) nehmen, als auch aus diesem "Information-Topf' durch adressatenspezifische Umstellung der Informationen die Informationsbroschüre für den Bürger oder Techniker produzieren. So lassen sich Gesetze leichter miteinander vergleichen und ähnliche Vorschriften leichter nach einem einheitlichen Muster erstellen. Für den Anwender bietet das den Vorteil daß er nur einmal ein Textschema lernen muß, wenn er per Computer die relevanten Stellen finden will. Mit der neueren Computertechnik der Hypertextprogrammierung wird die Darstellung von Vorschriften noch verbessert: Man kann die einzelnen Holernfunktion auf verschiedene ,,Blätter" verteilen und kann sich dadurch die Informationen zusammenstellen, die man für eine Bearbeitung braucht, und andere, die man schon kennt oder die momentan irrelevant sind, ausblenden.

7 SchreckenhergerI Merten

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Das Problem der Gesetzesbestimmtheit und die Bedeutung einer allgemeinen juristischen Begründungstheorie Von Heino Garen

Die Frage nach der Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen markiert einen Problemhereich des Rechts, der sich in der bisherigen Diskussion in mehrfacher Hinsicht als überaus schwierig und weiterhin klärungsbedürftig erwiesen hat. Im Vordergrund stehen dabei naturgemäß zunächst die Probleme, die sich bei der rechtspraktischen Handhabung des Bestimmtheitsgebots im Hinblick auf einzelne gesetzliche Regelungen ergeben. Andererseits läßt eine nähere Beschäftigung mit der Bestimmtheitsproblematik schnell erkennen, daß diese in einem unübersehbaren Zusammenhang mit einem vielschichtigen Feld allgemeiner grundlagentheoretischer Problembezüge steht, die neben der sprachtheoretischen Frage, was die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen und einzelner in ihnen verwendeter Begriffe letztlich überhaupt zu verbürgen vermag, vor allem auch die Einbindung der Bestimmtheitsproblematik in den Gesamtkontext rechtlichen Begründungsdenkens betreffen. Die hier vorzutragenden Überlegungen beziehen sich vorrangig auf diese allgemeineren grundlagentheoretischen Problembezüge und bemühen sich um eine Klärung derselben mit dem Ziel, dadurch ein praxisgerechtes Bestimmtheitsverständnis zu fördern. Um dies zu verdeutlichen, empfiehlt es sich, zunächst in einem kurzen Überblick einige zentrale Aspekte der bisherigenDiskussion 1 zur Bestimmtheitsproblematik in Erinnerung zu rufen.

• Vgl. dazu u. a. Roland Geitmann, Bundesverfassungsgericht und "offene" Normen - Zur Bindung des Gesetzgebers an Bestimmtsheitserfordemisse, Berlin 1971; Mattbias Krahl, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimrntheitsgrundsatz im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG), Frankfurt a.M./Bem/New York 1986; Paul J(jrchhof. Bestimmtheit und Offenheit in der Rechtssprache, Berlin I New York 1987; Hans Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl., Heidelberg 1991, Rdnr. 66 ff.; Ulrich Schroth, Präzision im Strafrecht - Zur Bedeutung des Bestimrntheitsgebots, in: Günther Grewendorf (Hrsg.), Rechtskultur und Sprachkultur - Zur forensischen Funktion der Sprachanalyse, Frankfurt a.M. 1992, S. 93 ff.; Ulrich M. Gassner, Gesetzgebung und Bestimrntheitsgrundsatz, ZG 1996, S. 37 ff. 7•

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I. Zur bisherigen Diskussion Bezugspunkte der Diskussion zur Bestimmtheilsproblematik sind bekanntlich zum einen die speziellen Bestimmtheitsgebote, wie sie im Grundgesetz insbesondere in Art. 80 Abs. I S. 2 für die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen und in Art. I 03 Abs. 2 für den Bereich des Strafrechts ihren Niederschlag gefunden haben? Daneben wird das Gebot der Gesetzesbestimmtheit aber auch als allgemeines Postulat für den Gesamtbereich der Gesetzgebung vorausgesetzt. Dabei ergibt sich diese Voraussetzung zwangsläufig bereits aus dem generellen normativen Geltungsanspruch des Rechts.3 Denn dieser normative Geltungsanspruch schließt ja ein, daß zwischen Recht und Unrecht irgendwie klar unterschieden werden und demgemäß auch der Bereich des rechtlich Geltenden im Interesse der Sicherheit rechtlicher Erwartungen bestimmt werden kann. Es erscheint deshalb auch einleuchtend, wenn die Grundlage des Bestimmtheilsgebots bereits im Rechtsstaatsprinzip, insbesondere aber im Prinzip der Rechtssicherheit gesehen wird. 4 Von zentraler Bedeutung für die praktische Handhabung des Bestimmtheilsgebots ist natürlich vor allem die Frage, welche Erwartungen mit der gebotenen Bestimmtheit verbunden werden können. Insofern aber besteht ein immerhin grundsätzliches Einvernehmen dahin, daß man sich angesichts der Interpretationsfähigkeit und Interpretationsbedürftigkeit der meisten in gesetzlichen Regelungen verwendeten Rechtsbegriffe regelmäßig mit einer eingeschränkteren Bestimmtheit begnügen muß. Dies kommt insbesondere auch in der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Gesetzesbestimmtheit zum Ausdruck. Gefordert wird deshalb durchweg nur eine "hinreichende" Bestimmtheit bzw. ein ,,Mindestmaß" an Bestimmtheit, 5 was umgekehrt bedeutet, daß oft eine mehr.oder weniger große Unbestimmtheit gesetzlicher Regelungen als unvermeidbar hinzunehmen ist. Dementsprechend wird grundsätzlich auch die Verwendung sogenannter unbestimmter Rechtsbegriffe als mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar angesehen.6 Tatsächlich ist damit auch nicht etwas Widersprüchliches gesagt, wenn man im Auge behält, daß man es stets nur mit graduell abgestuften Formen der Bestimmtheit bzw. Unbestimmtheit zu tun hat und daß die insoweit nicht gerade glückliche Bezeichnung als "unbestimmte Rechtsbegriffe" Zu den sonstigen besonderen Bestimmtheilsgeboten vgl. Geitmann (Fn. 1), S. 65 ff. Vgl. Kirchhof(Fn. 1), S. 14. 4 Vgl. Theodor Maunz/Reinhold Zippe1ius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl., München 1998, S. 97; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., München 1984, S. 829 f.; zu weiteren Begründungsmöglichkeiten vgl. Gassner (Fn. 1), S. 47 ff.; im Hinblick auf An. 103 Abs. 2 GG vgl. Schroth (Fn. 1), S. 93 ff. 5 Vgl. BVerfG 55, 207 ff., 226; 62, 203 ff., 210; Geitmann (Fn. 1). S. 25; Schneider (Fn. I). Rdnr. 66; Gassner (Fn. 1), S. 56; Schroth (Fn. 1), der (a. a. 0 ., S. 98 ff.) von einer "normalen" Unbestimmtheit von Straftatbeständen spricht. 6 Vgl. BVerfG 8, 275ff., 326; 13, 153ff., 161; 48, 210ff., 222; 49, 168ff., 181 ; 56, I ff., 12; 87. 234 ff., 263 f. 2

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nur ein höheres Maß an Unbestimmtheit signalisiert und nicht im Sinne einer zu starken Gegenüberstellung der Ausdrücke "bestimmt I unbestimmt" mißverstanden werden darf. Im übrigen ist allseits anerkannt, daß die partielle Unbestimmtheit oder Offenheit gesetzlicher Regelungen nicht stets und unbedingt nur etwas Hinzunehmendes ist, sondern, wie nicht zuletzt die Verwendung von Generalklauseln in den Polizeiund Ordnungsgesetzen belegt, zum Teil durchaus geboten sein kann.7 Insoweit kann man deshalb ebenso wie von einem Bestimmtheilsgebot auch von einem Offenheilsgebot sprechen. Mit gutem Grund werden deshalb die Gebote der Bestimmtheit und der Offenheit gesetzlicher Regelungen in einem entsprechenden Ausgleichsverhältnis und damit unter dem Gesichtspunkt einer sinnvollen AufgabenleiJung zwischen gesetzgebenscher Rechtssetzung und administrativer bzw. richterlicher Rechtshandhabung gesehen. 8 Dabei spielt neben Zweckmäßigkeitsüberlegungen wie der, daß die jeweiligen gesetzlichen Regelungen bei zu großer Detailliertheil auch zu umfangreich würden, vor allem auch der Gedanke der Einzelfallgerechtigkeit eine erhebliche Rolle. Denn es leuchtet ohne weiteres ein, daß sich so etwas wie Einzelfallgerechtigkeit nur in dem Maße verwirklichen läßt, in dem die betreffenden gesetzlichen Regelungen einen entsprechenden Freiraum dafür eröffnen. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß das Verlangen nach möglichst detaillierten und bestimmten gesetzlichen Regelungen trotz einer zum Teil erwarteten zunehmenden flexiblen Offenheit des Gesetzesrechts 9 dennoch vielfach sehr ausgeprägt bleibt. Ebenso ist klar, daß das Problem der Gesetzesbestimmtheit durch die erwähnte generelle Einsicht in die Unvermeidbarkeil oder Erwünschtheil einer partiellen Unbestimmtheit bzw. Offenheit gesetzlicher Regelungen noch keineswegs gelöst ist. Denn die ftir die Praxis entscheidende Frage bleibt natürlich immer, welches Maß an Bestimmtheit für die einzelnen gesetzlichen Regelungen konkret anzustreben ist. Als problemhaltig erweist sich diese Frage vor allem im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Bestimmtheilsgebots im Strafrecht, was unter anderem in der kontroversen Diskussion zur hinreichenden Bestimmtheit des § 240 STGB zutage getreten ist. 10 Unter diesem Gesichtspunkt überrascht es deshalb auch nicht, wenn man von strafrechtlicher Seite zum Teil nähere Auskunft darüber erwartet, .,wann nun genau Strafgesetze gegen das Bestimmtheilsgebot verstoßen". 11 7 Vgl. BVerfG 8, 275ff., 326; 13, 153ff., 164; 45, 363ff., 371; 48, 48ff., 56; 48, 210ff., 222; 56, I ff., 12; 59, 104ff., ll4f.; Geitmann (Fn. 1), S. 79; Kirchhof(Fn. 1), S. 23; Gassner (Fn. 1), S. 41. s Vgl. Geitmann (Fn. 1), S. 23 ff.; Gassner (Fn. 1), S. 38 f.; BVerfG 49, 89 ff., 138. 9 Vgl. dazu Hermann Hili, Gesetzgebung in der postindustriellen Gesellschaft, ZG 1995, s. 82ff. IO Vgl. dazu A1bin Eser in: Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch-Kommentar, 25. Aufl. (1997), § 240, Rdnr. 1 b u. 1 c mit weiteren Hinweisen. u Schroth (Fn. 1), S. 95, Fn. 12.

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Das Bundesverfassungsgericht hat indessen mehrfach betont, daß sich das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit nicht generell festlegen läßt. 12 Tatsächlich dürfte sich eine detailliertere Festlegung generell geltender Kriterien für das jeweils erforderliche Maß an Bestimmtheit kaum als möglich erweisen. Ebenso wie bei vergleichbaren anderen Rechtsbegriffen wird man sich deshalb auch bei dem Begriff der Gesetzesbestimmtheit selbst mit einer nicht unbedingt geringen Unbestimmtheit desselben abfinden müssen. Möglich ist immerhin, einige allgemeinere Gesichtspunkte anzugeben, an denen sich die jeweiligen Bestimmtheilsüberlegungen orientieren können. Solche Gesichtspunkte sind deshalb auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheilsgebot zu entnehmen. So wird im Grundsatz anerkannt, daß höhere Anforderungen an die Bestimmtheit unter dem Gesichtspunkt der Erkennbarkeil und Voraussehbarkeit rechtlicher Sanktionen insbesondere für den Bereich des Strafrechts zu stellen sind. Dabei soll der Grad der erforderlichen Bestimmtheit vor allem auch von der Schwere der vorgesehenen Strafe abhängig gemacht werden. 13 Im übrigen soll für das Ausmaß der erforderlichen Bestimmtheit generell entscheidend sein, inwieweit die Grundrechte betroffen sind. Für den Bereich des Verwaltungsrechts soll es deshalb darauf ankommen, ob es sich um belastende oder begünstigende Verwaltungsakte handelt, und auf die Art und die Intensität des Verhaltens abgehoben werden, zu dem die Verwaltung ermächtigt wird. 14 Unabhängig davon, inwieweit man die erwähnten Gesichtspunkte als geeignete Kritierien ansieht oder nicht 15 , erscheint indessen einleuchtend, daß die Orientierungskapazität jener allgemeineren Gesichtspunkte begrenzt ist. Erforderlich ist deshalb stets, daß man sich anhand weiterer konkreterer Gesichtspunkte, die vor allem auch auf die sonstige Eigenart des geregelten Sachbereichs Bezug nehmen, über das Gewicht im Klaren wird, das dem Bestimmtheilsgebot und dem hierfür vor allem zu beachtenden Wert der Rechtssicherheit zukommen soll. Eine andere Frage als die, in welchem Umfang einzelne gesetzliche Regelungen bestimmt sein müssen und inwieweit dabei zum Zwecke der Erfassung oder Ausklammerung einzelner Fallgruppen ggf. präzisere Begriffe zu verwenden sind, ist dagegen die Frage, was die Bestimmtheit der in gesetzlichen Regelungen tatsächlich verwendeten Begriffe überhaupt verbürgt. In der bisherigen Diskussion ist diese Frage leider zu wenig berücksichtigt worden, obwohl sie doch die immer mitzudenkende grundlagentheoretische Vorfrage für alle weiteren rechtspraktischen Bestimmtheitsüberlegungen darstellt. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage ist nicht zuletzt auch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem Gebot Vgi.BVerfG41,315ff.,320;48,210ff.,221f.;49, 168ff., 181;56, lff., 13. Vgl. BVerfG 14, 174ff., 185; 41 , 315ff., 320; 49, 168ff., 181; 75, 329ff., 341 f.; 87, 209ff., 224. 14 Vgi.BVerfG48,210ff.,222;56,1ff.,13; 58,257ff.,278;83, 130ff., 145. 1s Kritisch dazu Schneider (Fn. 1), Rdnr. 71; Krahl (Fn. 1), S. 317. 12

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der Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen und deren Interpretation erforderlich. Von Interesse ist dabei insbesondere die Frage, inwieweit die Interpretation gesetzlicher Begriffe als für deren hinreichende Bestimmtheit konstitutiv angesehen werden kann oder sich in einem darüber hinausgehenden Feld sonstiger kreativer, wenn auch möglicherweise begründbarer Rechtsfindung bewegt. 16 Eine Stellungnahme dazu aber ist ersichtlich nur möglich, wenn man sich vorher darüber Klarheit verschafft, worauf sich die Feststellung der tatsächlichen Bestimmtheit einer gesetzlichen Regelung überhaupt stützen läßt. Im folgenden wird es allerdings nicht nur um den Versuch einer sachgerechten Anwort auf diese Frage gehen, sondern, wie bereits eingangs angedeutet, auch darum, wie sich rechtliche Entscheidungen angesichts der geschilderten weitgehend unvermeidbaren und nicht selten sogar gebotenen Offenheit ihrer gesetzessprachlichen Vorprogrammierung auf sonstige Gründe stützen lassen und welche Bestimmtheitserwartungen man im Hinblick auf diese sonstigen Gründe haben darf. Geht man nämlich davon aus, daß die Möglichkeiten, das jeweils rechtlich Geltende in gesetzlichen Regelungen sprachlich zu fixieren, in einem noch näher zu erläuternden Sinne begrenzt sind, so ergibt sich als zwangsläufige Folge die Frage, auf welche sonstigen Gründe man bei der Begründung rechtlicher Einzelfallentscheidungen zurückgreifen kann und wie es mit der Bestimmtheit dieser sonstigen Gründe bestellt ist. Wegweisend soll nun bei der Erörterung des dargelegten Fragenzusammenhangs die These sein, daß vor allem die rhetorischen Grundlagen rechtlicher Bestimmtheitsfeststellungen und rechtlichen Begründungsdenkens zu beachten sind. Auf den ersten Blick mag sich eine solche These für viele als überraschend und vielleicht sogar als befremdlich darstellen, da mit der Bezeichnung ,,rhetorisch" oft einseitig abwertende Vorstellungen verbunden werden, die eine rhetoriktheoretische Betrachtung der vorerwähnten Fragenbereiche als nicht unbedingt angemessen erscheinen lassen. Eine andere Perspektive ergibt sich indessen, wenn man jenes einseitig abwertende Vorverständnis von Rhetorik beiseite läßt und sich die vielfältigen Zusammenhänge von Recht und Sprache bzw. von Recht und Rede 17 vor Augen führt. Die anvisierte rhetoriktheoretische Betrachtungsweise erweist sich dann nämlich nicht nur als geeigneter, sondern sogar als der letztlich überzeugendste Weg, um zu einem realitäts- und praxisgerechten Verständnis rechtlicher Bestimmtheits- und Begründungserwartungen zu gelangen. Ehe damit begonnen werden kann, dieses rhetorische Verständnis rechtlicher Bestimmtheits- und Begründungserwartungen näher zu erläutern, muß man sich allerdings vorher die generelle Bedeutung der hier vorgeschlagenen rhetoriktheoretischen Betrachtungst6 Vgl. dazu die kritischen Amerkungen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Geitmann (Fn. 1), S. 29ff. der dem Bundesverfassungsgericht vorwirft, daß es den Unterschied zwischen einer schöpferischen und einer nicht-schöpferischen Auslegung nicht gebührend berücksichtigt. 17 Vgl. dazu auch Kirchhof(Fn. 1), S. 21.

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weise in der Gegenüberstellung zu einer antirhetorischen Denkhaltung vor Augen fUhren, zumal letztere gerade auch das überkommeneVerlangen nach rechtlicher Bestimmtheit und Sicherheit nicht unerheblich beeinflußt hat. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich, zunächst in einem kleinen Exkurs die geistesgeschichtlichen Grundlagen überkommenen rechtlichen Bestimmtheits- und Sicherheitsverlangens und dessen antirhetorische Prägung ins Blickfeld zu rücken, um vor diesem Hintergrund sodann die Möglichkeiten eines rhetoriktheoretischen Verständnisses rechtlicher Bestimmtheit und Sicherheit verdeutlichen zu können.

ß. Ontologische Sicherheitserwartungen Vorab darf darauf hingewiesen werden, daß das hier in Rede stehende Verlangen nach rechtlicher Sicherheit und Bestimmtheit im Zusammenhang mit einem allgemeinen, auch in anderen Lebensbereichen anzutreffenden Sicherheits- und Gewißheilsverlangen zu sehen ist, das seine Erklärungsgrundlage vermutlich in einem aus den Daseinsbedingungen menschlicher Existenz resultierenden Sicherheitsbedürfnis findet. Sodann dürfte einleuchtend sein, daß ein solches Sicherheits- und Gewißheilsverlangen in den unterschiedlichen Kulturen und den einzelnen Epochen kultureller Entwicklung jeweils unterschiedliche Formen der Ausprägung erfahren kann. Für den abendländischen Kulturkreis, auf den sich die hier anzustellenden Überlegungen beschränken, sind dabei vor allem zwei Gesichtspunkte hervorzuheben. Der erste dieser Gesichtspunkte besteht in dem Bemühen, die Begründungsgrundlagen unseres Denkens als seinsmäßig vorgegeben und in diesem Sinne als sicher und gewiß festhalten zu können. In der abendländischen Geistesgeschichte findet dieses Bemühen seinen Niederschlag vor allem in philosophischen Reflexionen über das wahre Sein, die seit den Anfängen antiken Denkens zunehmende Bedeutung in einer bis in unsere Zeit fortwirkenden ontologischen Denktradition gewonnen haben und dabei überwiegend in der Gegenüberstellung zu einer bloß meinungsmäßigen Rhetorik von dem so gesehen antirhetorischen Bestreben 18 geleitet sind, das wahre Sein in der Form theoretischer Erkenntnis sicher ermitteln zu können. 19 18 Vgl. dazu Chalm Perelman, L'empire rhetorique- Rhetorique et Argumentation, Paris 1977, deutsch: Das Reich der Rhetorik - Rhetorik und Argumentation, München 1980, S. 4 ff., 13 ff.; Theodor Viehweg, Rechtsphilosophie und Rhetorische Rechtstheorie - Gesammelte kleine Schriften, Baden-Baden 1995, S. 201,208, 210f., 218ff. 19 Einschränkend zu derartigen Erkenntnisansprüchen insbesondere der scholastischen und rationalistischen Ontologie dagegen Nicolai Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 5. Auf!., Berlin 1965, S. 6f., 182ff., der (a. a. 0., S. 186ff.) unter diesem Gesichtspunkt zwischen einer dogmatisch-konstruktiven und einer kritisch-analytischen Ontologie unterscheidet. Vgl. auch derselbe, Zur Grundlegung der Ontologie, 4. Auf!., Berlin 1965, sowie Derselbe, Neue Wege der Ontologie, 5. Auf!., Stuttgart 1968.

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Dabei versteht es sich von selbst, daß solche ontologischen Reflexionen als zweiten hier zu erwähnenden Gesichtspunkt zwangsläufig immer auch das Streben nach einer sicheren Methode zur Erlangung wahrer Seinserkenntnis aufkommen lassen müssen. Es gewinnt im neuzeitlichen Denken, getragen von einem verstärkten Vertrauen in die Leistungsfähigkeit menschlichen Vemunftgebrauchs, insbesondere durch die Philosophie Rene Descartes', zunehmende Bedeutung. Zum Vorbild der erwünschten Methodensicherheit und einer entsprechend demonstrierbaren Rationalität werden dabei die Klarheit und Stringenz mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens20, die man deshalb auch auf die Theorie der Moral, der Politik und des Rechts möglichst weitgehend zu übertragen bemüht war. Für den Bereich des Rechts zeigt sich dies vor allem in den bekannten Vemunftrechtskonzeptionen von Thomas Hobbes, Samuel Pufendorf und Christian Wolff und schließlich in dem Einfluß, den das neue Denken auf die großen kontinentaleuropäischen Kodifikationengewonnen hat. 21 Wesentlich für die hier erörterte Bestimmtheitsproblematik, deren Bedeutung für die Gesetzgebung fortan zunehmend betont wird,22 erscheinen auf der Grundlage dieser Entwicklung insbesondere folgende Strukturmerkmale modernen Rechtsdenkens: Grundlegend ist zunächst das Bestreben, das Recht vor allem durch gedankliche Anstrengung, also im Sinne einer entsprechenden lntellektualisierung, und das heißt hier im Wege begrifflich-systematischer Konstruktion zu erfassen und unter Kontrolle zu bringen. Für die Verwirklichung dieses Vorhabens aber gewinnen vorrangig zwei Techniken Bedeutung. Die eine dieser Techniken besteht darin, das Problemfeld des Rechtlichen durch Problemteilung23 einer begrifflichen Differenzierung zuzuführen, wie sie uns heute unter anderem in Gestalt der Aufteilung in verfahrensrechtliche und materiellrechtliche Teilfragen und deren fortgesetzte begrifflich-differenzierende Aufteilung in weitere, zum Teil sehr spezielle Teilund Unterteilprobleme vertraut ist. Zugleich erscheint einleuchtend, daß eine solche begrifflich-differenzierende Problemteilung immer auch von der parallelen zweiten Technik begleitet sein muß, die jeweiligen Teilproblemaspekte bzw. Teilbegriffe in umfassenderen und meistens hierarchisch konzipierten BegriffssysteVgl. Descartes, Discours de Ia methode, I, 10; II, 13; Regulae ad directionem ingenii, 2. Vgl. dazu Waldemar Schreckenberger, Die Gesetzgebung der Aufklärung und die europäische Kodifikationsidee, in: Detlef Merten u. Waldemar Schreckeoberger (Hrsg.), Kodifikation gestern und heute - Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, Berlin 1995, S. 87 ff., 91 ff. 22 V gl. die Hinweise bei Hans Hattenhauer, Zur Geschichte der deutschen Rechts- und Gesetzessprache, Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius- Gesellschaft der Wissenschaften, Jg. 5, Harnburg 1987, S. 37 ff., 47 ff., 57 ff. sowie § 8 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794, hrsg. u. eingeleitet von H. Hattenhauer mit einer Bibliographie von G. Bemet, 3. Auf!., Neuwied/ Kriftel/ Berlin 1996. 23 V gl. dazu näher Heino Garrn, Zur Rationalität rechtlicher Entscheidungen, Stuttgart, 1986, s. 63 ff. 2o 21

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men zusammenzufassen, eine Technik, die dem zeitgenössischen Juristen ebenfalls allseits vertraut und deren Kenntnis für das Verständnis moderner Gesetzgebungswerke ersichtlich unverzichtbar ist. Dabei liegt die besondere Bedeutung, die den Techniken der begrifflich-differenzierenden Problemteilung und der Systembildung für die Bestimmtheit des Rechts beigemessen wird, auf der Hand. Das sonst als Recht nur sehr allgemein Erwartbare und in dieser Allgemeinheit so nicht unbedingt Faßbare soll nämlich durch teilproblemspezifische begriffliche Differenzierung eine greifbare Bestimmtheit erhalten, und zwar dergestalt, daß die angestrebte Bestimmtheit durch definitive Präzisierung der geschaffenen Begriffe in ihrem systematischen Verhältnis zueinander hergestellt wird?4 Sprachtheoretisch gesehen geht es also vor allem um semantische und syntaktische Bemühungen mit dem Ziel der konstruierenden Entwicklung einer eigenen, vom situativ-pragmatischen Kontext konkreter Rechtsprobleme abstrahierenden und in sich spielenden Begriffswelt 25 Und zu deren Funktion, Bestimmtheit zu verbürgen, gehört ebenso die Vorstellung, daß den jeweiligen abstrakten Rechtsbegriffen im Sinne der geschilderten ontologischen Denktradition ein ontisch weitestgehend feststehender Bedeutungsgehalt zukommt, sie demgemäß also als Begriffsentitäten verstanden werden können26, wie die damit verbundene Folgeannahme, unter dieser Voraussetzung auch die Beziehung der jeweiligen Rechtsbegriffe durch ihre Einfügung in ein aufeinander abgestimmtes normatives Regelungsgefüge als systemlogisch entsprechend feststehend begreifen zu können. Abgesehen von generellen sprachtheoretischen Bedenken gegen die Annahme eines ontologisch feststehenden Bedeutungsgehalts von Rechtsbegriffen27 sprechen indessen auch alle Erfahrungen der Rechtspraxis gegen eine solche Vorstellung. Wirklich durchhaltbar wäre diese nämlich nur dann, wenn man es bei gesetzlichen Regelungssystemen mit nicht interpretationsfähigen und -bedürftigen logischen Systemen im strengen Sinne einer formalen Logik zu tun hätte mit der Folge, daß alle in konkreten Fällen zu treffenden Entscheidungen ohne weiteres subsumtionslogisch aus den jeweiligen gesetzlichen Regelungen ableitbar wären. Daß dies nicht der Fall ist, i-:;t aber allseits bekannt. Schon aufgrund des zeitlichen 24 Zur Bedeutung dieser Bemühungen in der Pandektistik und in der sogenannten Begriffsjurisprudenz vgl. die Hinweise bei Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., Göttingen 1967, S. 430 ff. sowie Kar! Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 1991, S. 19ff. 25 Vgl. Viehweg (Fn. 18), S. 201 f., 210ff., 218ff. 26 Dazu, daß diese begriffsontologischen Vorstellungen auch in der zeitgenössischen Jurisprudenz kemeswegs als überwunden anzusehen sind, vgl. die Hinweise bei Ulfried Neumann, Rechtsontologie und juristische Argumentation -Zu den ontologischen Implikationen juristischen Argumentierens, Heidelberg I Harnburg 1979, S. 78 ff. 27 Vgl. Josef Simon, Sprachphilosophische Alternative, in: Theodor Viehweg u. Frank Rotter (Hrsg.), Recht und Sprache, ARSP-Beiheft Nr. 9, Wiesbaden 1977, S. 1 ff. ; Dietrich Busse, Juristische Semantik- Grundfragen der juristischen Interpretationstheorie in sprachwissenschaftlicher Sicht, Berlin 1993, u. a. S. 38,255,258, 270ff.

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Wandels der zu entscheidenden Rechtsfälle sieht man sich nämlich in der Rechtsanwendungspraxis immer wieder mit offenen Wertungsfragen konfrontiert, weshalb rechtliche Normensysteme heute denn auch überwiegend als wertungsoffene, bewegliche und topische Systeme verstanden werden.Z 8 Und dem trägt, wie wir gesehen haben, auch das oben dargelegte und insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck kommende Verständnis des Bestimmtheitsgebots Rechnung, indem es sich regelmäßig mit einer bloß hinreichenden Bestimmtheit begnügt und zum Teil Offenheit sogar als systemnotwendig erachtet. Die Annahme eines ontisch feststehenden Bedeutungsgehalts der in gesetzlichen Regelungen verwendeten Rechtsbegriffe erweist sich mithin als nicht haltbar. In der rechtstheoretischen Literatur ist allerdings geltend gemacht worden, daß ein rechtliches Begründungsdenken notwendigerweise auf die Annahme eines normativen Seins und insbesondere auf einen ontologisch zu ermittelnden Bedeutungsgehalt der in Gesetzen benutzten Rechtsbegriffe zurückgreifen müsse, wenn es auf die Idee einer verbindlichen Rechtsordnung nicht überhaupt verzichten wolle. 29 Doch handelt es sich dabei, wie sich zeigen läßt, um eine theoretisch überzogene Alternative, die der Praxis rechtlichen Begründungsdenkens so nicht gerecht wird. Für diese geht es nämlich nicht darum, Geltungs-, Sicherheits- und Bestimmtheitserwartungen entweder in der dargelegten Weise eines ontologischen Begründungsdenkens zu erfüllen oder aber im Sinne gänzlicher Beliebigkeit aufzugeben, sondern darum, praktikablen Geltungs- und Bestimmtheitserwartungen jenseits der erwähnten Alternativen in bestmöglicher Weise zu genügen. Nicht zu leugnen ist allerdings, daß gerade für rechtliche Entscheidungen angesichts ihrer gesetzlich verankerten Begründungspflichtigkeit30 die Frage, wie die jeweiligen Begründungsansprüche letztlich eingelöst werden sollen, in besonderer Weise unausweichlich ist. Unstreitig dürfte aber auch sein, daß von einer wirklichen Entscheidungsbegründung nur dann gesprochen werden kann, wenn diese ihre Grundlage in einer entsprechend überzeugenden Begründungsbasis findet. Dazu aber gehört insbesondere auch, daß bei dem begründungsmäßigen Bezug auf geltende gesetzliche Entscheidungsregeln deren Bedeutungsgehalt mit der erforderlichen Überzeugungskraft als immerhin teilweise vorgegeben und hinreichend bestimmt behauptet werden kann. Aber dies bedeutet eben nicht, daß solche Behauptungen zwangsläufig auch den Anspruch einer ontologischen Erkenntnisgewißheit einschließen müssen. Denn der Sinn dieses Anspruchs könnte ja nur darin bestehen, auf eine gegenüber meinungsmäßig fundierten Überzeugungen höhere, 28 V gl. Walter Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, Graz 1950; Theodor Viehweg (Fn. 18), S. 97 ff., 106; Larenz (Fn. 24), S. 486 ff. ; Hans-Martin Pawlowski, Methodenlehre flir Juristen, 2. Aufl., Heidelberg 1991, Rdnr. 228 ff.; Heino Garrn, Rechtsproblem und Rechtssystem, Bielefeld 1973, u. a. S. 15 ff. 29 So ausdrücklich Neumann (Fn. 26), S. I ff., 84ff. 30 Vgl. dazu Jörg Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, Berlin 1971; Jörg Lücke, Begründungszwang und Verfassung, Tübingen 1987.

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absolut geltende, und das heißt unabhängig von solchen Überzeugungen und ggf. auch gegen diese zu behauptende Begründungsgrundlage für die Richtigkeit der betreffenden Entscheidungen verweisen zu können. Abgesehen davon, daß derartige verabsolutierende Erkenntnisansprüche immer fragwürdig erscheinen, kann man indessen sagen, daß die Jurisprudenz, wie ihre Orientierung an sogenannten "herrschenden Meinungen" belegt, sich jedenfalls in dem bescheideneren Rahmen eines meinungsmäßigen Begründungsdenkens bewegt und deshalb Fragen ontologischer Erkenntnisgewißheit mit guten Gründen beiseite läßt, da es für sie allein darum geht, ob die angeführten Gründe in dem jeweiligen rechtlichen Argumentationskontext als haltbar zu überzeugen vermögen. Für eine praxisadäquate Rechtstheorie stellt sich deshalb die Aufgabe zu klären, was mit der für solche rechtlichen Begründungen erforderlichen Begründungsbasis jenseits ihres ontologischen Verständnisses sinnvollerweise gemeint sein kann und wo sie begründungstheoretisch anzusiedeln ist.Dazu aber wird hier, wie bereits angekündigt, die These vertreten, daß die gesuchten Begründungsgrundlagen nur unter Berücksichtigung ihrer rhetorischen Bedingtheit zutreffend verstanden werden können. Im folgenden soll diese These nunmehr im Anschluß an einige allgemeinere Vorbemerkungen zum Anliegen der hier vorgestellten rhetorischen Argumentationstheorie auf der Basis eines Gesamtkonzepts der rhetorischen Begründungsstruktur rechtlichen Begründungsdenkens entwickelt werden.

UI. Rhetoriktheoretische Perspektiven Eine neuerliche Hinwendung zu rhetorischen Argumentationstheorien ist im europäischen Denken in Anknüpfung an die antike Rhetoriktheorie seit Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten. 31 Dabei überrascht es nicht, daß entscheidende Anstöße für ein rhetorisches Verständnis argumentativer Prozesse vor allem auch im Rahmen einer philosophischen Reflexion juristischer Entscheidungs- und Argumentationspraxis ausgelöst wurden. Inzwischen ist eine Wiederanknüpfung an die antike Rhetoriktheorie in einer Vielzahl von Wissensund Forschungsgebieten fesLzustellen. 32 Zugleich melden sich allerdings auch Vorbehalte, insbesondere auch gegen eine rhetoriktheoretische Rechtsbetrachtung. 33 31 Vgl. Cha"im Pere1man, Rhethorique et Philosophie, Paris 1952; Derselbe u. Lucien Olbrechts-Tyteca, Traite de I' Argumentation - Ia nouvelle rhetorique, 2• edition, Bruxelles 1970; Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl., München 1974; Derselbe (Fn. 18), S. 189ff.. . 32 Vgl. dazu den Überblick bei Gerd Ueding/Bernd Steinbrink, Grundriß der Rhetorik, 3. Aufl., Stuttgart und Weimar 1994, S. 157 ff. 33 Vgl. u. a. Uwe Diederichsen, Rechtswissenschaft und Rhetorik, in: Carl Joachim Classen u. Heinz-Joachim Müllenbrock·(Hrsg.), Die Macht des Wortes- Aspekte gegenwärtiger Rhetorikforschung, Marburg 1992, S. 205 ff., Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1991, S. 39ff., sowie Friedrich Müller, Juristische Methodik, 6. Aufl., Berlin 1995, S. 92 ff., 184 f.

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Sie beruhen nicht nur auf dem bereits angesprochenen allgemein verbreiteten abwertenden Vorverständnis von Rhetorik, sondern, soweit es um die Jurisprudenz geht, insbesondere auch auf der Befürchtung, daß eine rhetorische Rechtsbetrachtung dem Prinzip der Gesetzesgebundenheit und damit auch den hier diskutierten Geboten der Sicherheit und Bestimmtheit des Rechts nicht hinreichend gerecht werden könne und zu sehr die Vorstellung einer relativ freien Rechtsfindung begünstige. Eine Theorie der juristischen Rhetorik ist deshalb gehalten, ihre Position vor allem auch im Blick auf solche und ähnliche Befürchtungen zu erläutern. Die Frage nach dem Verhältnis von Bestimmtheit und Offenheit rechtlicher Begriffe und Sinngehalte erweist sich dafür als besonders geeigneter Themenbereich, und zwar einmal deshalb, weil es sich um einen Themenbereich handelt, dessen spezifische Problematik, wie die vorangehenden Überlegungen gezeigt haben, auch für die Rechtsdogmatik einen gleichsam gesteigerten Anlaß bietet, sich mit seinen sprach- und rhetoriktheoretischen Problembezügen auseinanderzusetzen, und zum anderen deshalb, weil sich gerade auch an diesem Themenbereich zeigen läßt, wie ein realitäts- und praxisgerechtes Verständnis juristischer Argumentation durch eine juristische Rhetoriktheorie gefördert werden kann. Um dies deutlich zu machen, darf vorweg daran erinnert werden, daß gerade auch die rhetoriktheoretische Einsicht in die Interessenbedingtheit menschlicher Rede 34 die Notwendigkeit begründet, insbesondere auch für den Bereich des Rechts nach Möglichkeiten einer interessenausgleichenden Kontrolle zu suchen und die juristische Argumentation nicht, wie der juristischen Rhetorik- und Topiktheorie bisweilen fälschlich unterstellt wird, der Beliebigkeil zu überantworten. Wesentlich für eine solche Kontrolle aber ist aus rhetoriktheoretischer Sicht vor allem die gegenseitige kritische Überwachung der jeweils vorgebrachten Behauptungen und Argumente und die Möglichkeit der Einforderung ihrer weiteren Begründung durch die Argumentationsbeteiligten. Dabei kommt der Einsicht in die erwähnte Interessenbedingtheit menschlicher Rede und deren affektive und manipulative Wirkungsmöglichkeiten vor allem auch insofern eine erhebliche Bedeutung zu, als diese Einsicht die Basis einer skeptischen Grundhaltung bildet und damit wesentlich dazu beiträgt, daß sich eine rhetorische Argumentation unter dem Gesichtspunkt einer argumentativen Gewaltenteilung35 in der Konfrontation von Rede und Gegenrede überhaupt in angemessener Weise entfalten kann. Mit gutem Grund findet diese argumentative Gewaltenteilung deshalb ihren Niederschlag in einer entsprechenden Ausgestaltung rechtlicher Verfahren, da durch die prozedurale Ermöglichung der Gegenüberstellung von Meinungen und Argumenten die Chancen für inhaltlich angemessene Entscheidungen ersichtlich verbessert werden. Zugleich erscheint allerdings ohne weiteres einleuchtend, daß sich die erforderliche Kontrolle juristischer Argumentation nicht in den geschilderten prozeduralen Vgl. Ueding/Steinbrink (Fn. 32), S. 4, 5, 233. Vgl. Odo Marquard, Skeptiker, in: Derselbe, Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1986, S. 6ff., 7. 34 35

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rhetorischen Mechanismen und der Orientierung an entsprechenden Normen rhetorischer Argumentation erschöpfen kann. Vielmehr gehört es zu den unverzichtbaren Voraussetzungen rechtspraktischer Rhetorik, daß diese für sich in Anspruch nimmt, zugleich auch durch eine Orientierung an inhaltlichen Begründungsvorgaben kontrollierbar zu sein. Die nunmehr weiter zu verfolgende Frage muß deshalb lauten, welches Begründungs- und Bestimmtheitspotential dafür aus rhetoriktheoretischer Sicht tatsächlich zur Verfügung steht. Dabei wird davon ausgegangen, daß sich rechtliche Begründungen einerseits aus Regelbegründungen sowie aus Zweck- und Wertbegründungen zusammensetzen, sich andererseits aber vor allem auch auf selbstverständliche Grundannahmen stützen. Die Frage, in welcher Weise rechtlichen Sicherheits- und Bestimmtheilserwartungen durch ein rhetorisch verstandenes rechtliches Begründungsdenken entsprochen werden kann, ist deshalb im folgenden jeweils getrennt für die einzelnen Ebenen rechtlichen Begründungsdenkens, also zunächst im Hinblick auf gesetzliche Entscheidungsregeln, sodann im Hinblick auf Zwecke und Werte und schließlich im Hinblick auf selbstverständliche Grundannahmen als Entscheidungsgründe zu erörtern. 1. Zum Begründungs- und Bestimmtheitspotential gesetzlicher Entscheidungsregeln

Das Begründungspotential gesetzlicher Entscheidungsregeln erscheint unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesgebundenheit einerseits als hoch, ist aber andererseits insofern gering, als die gesetzliche Regelfestlegung nur Ausdruck einer gesetzgebensehen Entscheidung ist, die für sich genommen jedenfalls nichts Abschließendes über ihre eigene Begründetheil besagt und somit die für die jeweiligen rechtsanwendenden Entscheidungen erforderliche Begründung auf der Ebene einer Begründungsentscheidung beläßt. Dabei soll mit der Bezeichnung "Begründungsentscheidung" deutlich gemacht werden, daß Gründe, die für eine Entscheidung angeführt werden, ihrerseits entscheidungsbedingt sein können. Dies gilt insbesondere für gesetzliche Entscheidungsregeln als Gründe für rechtsanwendende Entscheidungen. Denn der begründungsmäßige Verweis auf die betreffenden gesetzlichen Regelungen bezieht sich ja zunächst allein auf das Vorliegen einer gesetzgebensehen Vorentscheidung. Im Hinblick auf deren eigene inhaltliche Begründetheil ist deshalb der Rückgriff auf sonstige Gründe erforderlich, worauf alsbald zurückzukommen sein wird. Die besondere Bedeutung gesetzlicher Entscheidungsregeln beruht denn auch abgesehen von der Verbindlichkeit der ihnen zugrunde liegenden gesetzgebensehen Entscheidung vor allem darauf, daß ihnen nicht zuletzt aufgrund ihrer konditionalen Struktur als Wenn-dann-Sätzen 36 , bestehend aus begrifflich differenzie36

Vgl. Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 227 ff.

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renden tatbestandliehen Voraussetzungen und Rechtsfolgen, für die Identifizierung des rechtsnormativ Erwarteten ein erhöhtes Bestimmtheitspotential zuerkannt wird. Tatsächlich ist dieses jedoch, wie bereits deutlich wurde, im Hinblick auf die Vielzahl problematisch und streitig bleibender Fälle begrenzt. Aus dem Blickwinkel der juristischen Topiktheorie beruht dies darauf, daß die jeweiligen gesetzlichen Entscheidungsregeln auch in der fachsprachlich geprägten und durch Legaldefinitionen präzisierten textlichen Festlegung ihrer tatbestandliehen Voraussetzungen weitestgehend ein Gefüge von Topoi, das heißt von leitenden Gesichtspunkten bleiben 37 , und zwar in dem Sinne, daß diese Topoi, wie zum Beispiel der Begriff der "unmittelbaren Rechtswirkung nach außen" in § 35 S. I VwVfG oder der Begriff der grob fahrlässigen Unkenntnis in § 932 Abs. 2 BGB zwar spezifische Frageperspektiven für die Fallprüfung eröffnen, nicht indessen stets auch schon fertige Antworten für alle in der Praxis auftretenden Problemlagen enthalten. Der Norminhalt, der der zu treffenden Entscheidung zugrunde zu legen ist, ist insoweit also in jedenfalls vielen Fällen immer erst unter Berücksichtigung der situativen Besonderheiten des Falles im Rückgriff auf weiter differenzierende Topoi zu ermitteln, über deren Entwicklung in der Rechtsprechung und in der rechtswissenschaftliehen Diskussion eine oft recht umfangreiche Kommentarliteratur Auskunft gibt. Vor diesem Hintergrund kann es also in der Tat regelmäßig nur darum gehen, inwieweit der Sinngehalt gesetzlicher Entscheidungsregeln bei ihrer interpretativen Handhabung nicht wenigstens teilweise als vorgegeben vorausgesetzt werden und unter diesem Gesichtspunkt von einer immerhin teilweisen Bestimmtheit gesprochen werden kann. Dazu wird hier die These vertreten, daß ein solcher wenigstens partiell vorgegebener und bestimmter Sinngehalt gesetzlicher Entscheidungsregeln nur bezüglich der allerdings oft nicht geringen Zahl relativ unproblematischer Fälle und damit insoweit angenommen werden kann, als sich die jeweiligen rechtlichen Begriffe von selbst verstehen, ihre weitgehend fraglose Verstehensgrundlage also in einem intersubjektiv selbstverständlichen Sinnerleben in der betreffenden Rechtsgemeinschaft finden .38 Was damit gemeint ist, bedarf unter mehreren Gesichtspunkten näherer Erläuterung. Zunächst erscheint einleuchtend, daß jedenfalls ein Mindestmaß an solchem intersubjektiv selbstverständlichen Sinnerleben die unverzichtbare Basis für jedes Sprechen und Verstehen ist. Denn letzteres wäre ersichtlich unmöglich, wenn dabei nicht wenigstens ein Teil des Gesprochenen und zu Verstehenden in dem Sinne als feststehend vorausgesetzt werden könnte, daß Anschlußmöglichkeiten für weiteres Sprechen und Verstehen gegeben sind. Dies gilt in besonderer Weise für das VerVgl. Viehweg (Fn. 31), insbesondere S. 104. Ähnlich Geitmann (Fn. I), S. 30, der meint, daß die Grenze für eine bestimmtheitskonstitutive Auslegung gesetzlicher Regelungen dort liegen dürfte, "wo die Auslegung aufhört, zwingend zu sein". Zur sonstigen Bedeutung selbstverständlicher Grundannahmen als Gesamtbasis für rechtliche Entscheidungsbegründungen vgl. unter III, 2 und die in Fn. 49 angegebene Literatur. 37 38

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stehen von Rechtstexten im Bereich juristischer Argumentation, nicht zuletzt aber auch für die Bedeutung, die den bekannten Auslegungstopoi des Wortlauts der Norm, ihres Bedeutungs- und Entstehungszusammenhangs, des gesetzgebensehen Willens und des Gesetzeszwecks für die Interpretation gesetzlicher Bestimmungen zukommt. Denn gerade auch deren argumentative Gewichtung und deren Fähigkeit, den Bedeutungsgehalt der betreffenden Rechtsbegriffe zu bestimmen, hängen ersichtlich davon ab, inwieweit sie sich auf ein als selbstverständlich vorausgesetztes Sinnerleben stützen können. Anknüpfungspunkt für ein solches selbstverständliches Sinnerleben aber ist der umgangssprachlich fundierte, wenn auch zum Teil fachsprachlich verfeinerte bzw. modifizierte Sprachgebrauch in der betreffenden Rechtsgemeinschaft 39, und es erscheint einleuchtend, daß hierfür der Umstand, inwieweit eine Rechtsgemeinschaft auf einer gemeinsamen muttersprachlichen Sprachgemeinschaft beruht, von nicht unerheblicher Bedeutung ist.40 Dabei läßt diese Anknüpfung an den Sprachgebrauch zugleich erkennen, daß es sich bei dem hier gemeinten selbstverständlichen Sinnerleben nicht um eine ontologisch zu sichernde Evidenz handelt. Gemeint ist vielmehr eine rhetorisch bedingte Evidenz, die ihren Geltungsanspruch vor allem aus den bewährten und verfestigten und eben deshalb als selbstverständlich vorausgesetzten Ablagerungen rechtlicher Rede- und Argumentationspraxis bezieht. Zu diesen Ablagerungen aber gehören in erster Linie die Fälle bzw. Fallgruppen, die mit entsprechender Selbstverständlichkeit den jeweiligen gesetzlichen Entscheidungsregeln und den in ihnen enthaltenen Begriffen zugeordnet werden können. Für die bei der praktischen Handhabung gesetzlicher Entscheidungsregeln vorausgesetzte Vorstellung einer immerhin teilweisen Bestimmtheit ihrer Regelungsinhalte ist denn auch die Anknüpfung an solche selbstverständlichen Fallzuordnungen durchaus ausreichend, während die vorerwähnte Annahme davon abgehobener und erkenntnismäßig zu sichernder Begriffsentitäten entbehrlich erscheint. Ausgehend von der dargelegten Bedeutung selbstverständlichen Sinnerlebens für die Bestimmtheit gesetzlicher Entscheidungsregeln lassen sich mithin zunächst drei Bereiche unterscheiden: nämlich neben dem bereits erwähnten ersten Bereich der Fälle, die der betreffenden gesetzlichen Entscheidungsregel mit entsprechender Selbstverständlichkeit zugeordnet werden können, als zweiter Bereich jene Fälle, bei denen die Zuordnung mit eben solcher Selbstverständlichkeit verneint werden kann, und als dritter Bereich schließlich jene Fälle, bei denen sich die Zuordnung oder deren Verneinung nicht als selbstverständlich, sondern als zweifelhaft darstellt. Doch sind dabei natürlich weitere graduelle Abstufungen zu beachten. Inso39 Vgl. Kirchhof (Fn. I), S. I f.; zum Verhältnis von Umgangsprache und juristischer Fachsprache vgl. im übrigen Eis Oksaar, Alltagssprache, Fachsprache, Rechtssprache, ZG 1989, S. 210ff. sowie Vifried Neumann, Juristische Fachsprache und Umgangssprache, in: Grewendorf(Fn. 1), S. IIOff. 40 V gl. Kirchhof (Fn. 1). S. 9 f.

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fern nämlich, als sich auch im Bereich jenes selbstverständlichen Sinnerlebens regelmäßig nicht eine unbedingt vollständige Evidenz, sondern nur eine weitestgehende bzw. mehr oder weniger deutlich überwiegende behaupten läßt und demgemäß auch die Übergänge zwischen dem Noch-Selbstverständlichen sowie dem weniger Selbstverständlichen und dem Nicht-Selbstverständlichen, somit also auch die sogenannte Wortlautgrenze als Grenze zulässiger Interpretation, fließend erscheinen. Letzteres aber bedeutet, daß die aus rhetoriktheoretischer Sicht allein verfügbare Basis für die Bestimmtheitserwartungen, die mit gesetzlichen Regelungen verbunden werden, ihrerseits eine gewisse Unbestimmtheit aufweist. Doch berechtigt dies nicht dazu, die vorerwähnten Unterschiede gänzlich zu verwischen. An deren grundsätzlicher Bedeutung ist vielmehr festzuhalten, insbesondere auch im Hinblick auf die im Vorhergehenden aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis zwischen der Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen und deren Interpretation. Als bestimmtheitskonstitutiv kann danach eine Interpretation gesetzlicher Regelungen nur angesehen werden, soweit sie sich auf ein noch selbstverständliches Verstehen ihres Bedeutungsgehalts zu stützen vermag. Jede darüber hinausgehende Interpretation bewegt sich dagegen, auch wenn sie die erwähnte Wortlautgrenze nicht überschreitet, in einem Feld sonstiger normkonkretisierender Rechtsfindung. Doch darf damit nicht sogleich der Schluß verbunden werden, daß es sich hierbei zwangsläufig auch um ein Feld freier Rechtsfindung handelt. Denn wenn dieser Bereich der Rechtsfindung seine Grundlage auch nicht in einem als vorgegeben und bestimmt voraussetzbaren gesetzlichen Regelungsinhalt findet, so kann er sich doch möglicherweise entsprechend der in Art. 20 Abs. 3 GG vorgesehenen Gebundenheit an Gesetz und Recht auf sonstige rechtliche Gründe stützen. Es ist deshalb zu fragen, welche sonstigen Gründe dafür in welchem Umfang generell zur Verfügung stehen. Dabei versteht sich von selbst, daß diese sonstigen rechtlichen Gründe nicht nur als normkonkretisierende Interpretationshilfsmittel, sondern auch für die Begründung der betreffenden gesetzgebensehen Entscheidungen von Bedeutung sind, unter anderem auch insoweit, als sich die gesetzgebensehen Entscheidungen auf das Ausmaß an Gesetzesbestimmtheit beziehen, das im Rahmen der vorerwähnten tatsächlichen Möglichkeiten als normativ geboten anzusehen ist. Im übrigen erscheint, wie bereits im Vorhergehenden angedeutet, einleuchtend, daß nicht nur das Begründungspotential jener sonstigen Gründe, sondern auch die Frage nach deren Bestimmtheitspotential Beachtung verdient. Der Umstand, daß die hier gemeinten sonstigen rechtlichen Gründe sich in einem Begründungsfeld jenseits der Bestimmtheit der anzuwendenden gesetzlichen Regelungen bewegen, besagt nämlich nicht, daß sie nicht auch ihrerseits eine gewisse, wenn auch ganz andere Bestimmtheit aufweisen können.

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2. Zum Begründungs- und Bestimmtheitspotential von Zwecken und Werten Unter den sonstigen Entscheidungsgründen verdienen zunächst Entscheidungszwecke Beachtung.Sie spielen bekanntlich insbesondere bei einer teleologischen Gesetzesinterpretation eine erhebliche Rolle, können hierbei indessen, wie wir gesehen haben, als konstitutiv für die Bestimmtheit der betreffenden gesetzlichen Entscheidungsregeln nur herangezogen werden, soweit sich deren so ausgerichtete Interpretation auf ein noch selbstverständliches Sinnerleben im angegebenen Sinne zu stützen vermag. Jenseits dieser Möglichkeit fungieren Entscheidungszwecke dagegen als sonstige Gründe für die Ausfüllung verbleibender Interpretations- und Wertungsspielräume. Bedeutung gewinnen sie bei alledem nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt einer situativen Berücksichtigung der Folgen rechtsanwendender Entscheidungen. Fragt man nun nach dem Begründungs- und Bestimmtheitspotential von Zweckgründen, so ist zwar bezogen auf deren Bestimmtheitspotential nicht zu bestreiten, daß dies, soweit es sich jedenfalls um konkretere Zwecke handelt, relativ hoch ist. Dagegen ist das Begründungspotential von Zwecken insofern gering, als Zweckbegründungen für sich genommen angesichts divergierender Interessenlagen und alternativer Zwecksetzungsmöglichkeiten regelmäßig auf die Entscheidung für einen bestimmten Zweck hinauslaufen und damit die Begründung in der bereits dargelegten Weise auf der Ebene einer bloßen Begründungsentscheidung belassen. Im Hinblick darauf sind Zweckbegründungen deshalb auf eine Ergänzung durch weitere Gründe angewiesen. Demgegenüber scheint das Begründungspotential von Werten insoweit größer zu sein, als diese als allgemeinere und von konkreteren Zwecksetzungen und Interessen abgehobene Gesichtspunkte der Vorziehungswürdigkeit mit hohen Konsenschancen angesehen werden.41 Es überrascht deshalb auch nicht, daß in der rechtsphilosophischen und rechtsmethodologischen Diskussion42 sowie insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts43 die Bedeutung von Werten als Grundlage rechtlichen Begründungsdenkens betont worden ist. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß Werten wegen ihrer größeren Allgemeinheit auch ein nicht geringes Maß an Unbestimmtheit eigen ist. Dieser Umstand muß sich aber zwangsläufig auch auf das Begründungspotential von Werten bei konkreten gesetzgebensehen und rechtsanwendenden Entscheidungen auswirken. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß man es bei den betreffenden Wertargumentationen immer wieder mit alternativen und streitigen Wertpräferenzen zu tun hat. Dies gilt unter anderem Vgl. Luhmann (Fn. 36), S. 88. Vgl. insbesondere Helmut Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. Aufl., Berlin 1993, S. 109 ff.; Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl., München 1977, S. 321 ff.; Heinrich Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, Berlin 1977, S. 1 ff., 103 ff.; Larenz (Fn. 24), S. 119ff. 43 Vgl. BVerfG 7, 198ff., 205; 35, 79ff., 114; 49, 89ff., 141 f. 41

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auch für jene Entscheidungen, die sich auf das nonnativ gebotene Maß an Gesetzesbestimmtheit beziehen und dabei eine Abwägung zwischen den insoweit belangvollen Werten der Rechtssicherheit und der Einzelfallgerechtigkeit erforderlich machen. Unter diesem Gesichtspunkt gilt deshalb auch für Wertbegründungen, daß sie auf eine Entscheidung für bestimmte Werte bzw. Wertgewichtungen hinauslaufen und deshalb für sich genommen die betreffenden rechtlichen Begründungen ebenfalls auf der Ebene einer bloßen Begründungsentscheidung belassen. Die geschilderte Problematik von Wertbegründungen, auf die ebenso wie in der allgemeinen philosophischen Diskussion auch in der rechtsphilosophischen Diskussion zunehmend hingewiesen worden ist,44 darf indessen nicht zu dem Fehlschluß verleiten, Werten jegliche Bedeutung für rechtliche Entscheidungsbegründungen abzusprechen. Denn nicht zu bestreiten ist ja, daß die Orientierung an Werten dennoch ein wichtiges Strukturmerkmal rechtlichen Begründungsdenkens ist. Um dies zu verdeutlichen, empfiehlt es sich auch hier, sich von ontologisierenden Erkenntnisansprüchen zu lösen und sich anstatt von einem ontologischen von einem rhetorischen Wertverständnis leiten zu lassen.45 Auf der Grundlage eines solchen rhetorischen Wertverständnisses kann nämlich gezeigt werden, daß Werte vor allem als zentrale Topoi eines rechtlichen Problemdenkens fungieren 46 und so verstanden für ein rechtliches Begründungsdenken in der Tat unverzichtbar sind. Festzuhalten bleibt indessen zunächst, daß eine Orientierung an Werten ebenso wie eine Orientierung an Zwecken für sich genommen abschließenden Begründungserwartungen nicht unbedingt zu genügen vermag, sondern im Hinblick auf die in ihnen zum Ausdruck kommenden Begründungsentscheidungen ihrerseits auf eine weitere und abschließende Begründungsbasis angewiesen sind. Deshalb ist zu fragen, worin eine solche abschließende Begründungsbasis gefunden werden kann.

3. Zum Begründungs- und Bestimmtheitspotential selbstverständlicher Grundannahmen

Behält man im Auge, daß Entscheidungsgründe, die den Begründungsprozeß zu einem Abschluß bringen sollen, immer nur solche sein können, die über bloße Entscheidungen bzw. Begründungsentscheidungen hinausführen, so wird man entsprechende Basisgründe auch nicht ohne weiteres im Konsens oder in der Konsens44 Vgl. dazu u. a. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP-Beiheft Nr. 37, Stuttgart 1990, S. 33 ff. mit weiteren Hinweisen. 45 Vgl. dazu Aristoteles, Rhetorik, übersetzt von Franz G. Sieveke, München 1980, I, 5-7 (1360b- 1365b); Topik, übersetzt von Eugen Rolfes, Harnburg 1968, III, 1-4 (116a- 119a); Perelman (Fn. 18), S. 34ff.; Derselbe u. Olbrechts-Tyteca (Fn. 31), S. 99ff. 46 Vgl. Heino Garrn, Wertproblematik und Begründungsstruktur im Recht, in: Karl-Otto Apell Mattbias Kettner (Hrsg.), Mythos Wertfreiheit? - Neue Beiträge in den Human- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 1994, S. 213 ff., 220 f.

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fahigkeit finden können. Denn damit wird letztlich auf nichts anderes als kollektive Entscheidungen und die verfahrensmäßigen Bedingungen ihres Zustandekoromens als Begründungskriterium verwiesen. Man bleibt also wiederum im Bereich bloßen Entscheidens, wobei man sich nicht nur dem Vorwurf eines "Positivismus von Tageswertungen"47 aussetzt, sondern auch der unzutreffende Eindruck erweckt wird, daß eine angeblich "vollständig prozeduralisierte Vernunft"48 auf eine weitere inhaltliche Begründungsbasis verzichten könne, obwohl dies, wie alle Erfahrung zeigt, tatsächlich nicht möglich ist. Inhaltliche Basisgründe, die über bloße Entscheidungen bzw. Begründungsentscheidungen hinausführen, können deshalb letztlich nur in dem gefunden werden, was man als selbstverständliche Grundannahmen bezeichnen kann, bezogen auf das Recht also in dem, was sich in einer Rechtsgemeinschaft oder in einem Kulturkreis als den insoweit maßgeblichen Auditorien im bereits dargelegten Sinne einer rhetorischen Evidenz aufgrund bewährter und deshalb verfestigter Ablagerungen rechtlicher Begründungspraxis von selbst versteht. 49 Dabei wird das selbstverständliche Sinnerleben hier allerdings anders als oben (unter III, 1) angegeben, nicht als bloße Verslehensbasis im Hinblick auf den Bedeutungsgehalt gesetzlicher Regelungen, sondern in einem davon zu unterscheidenden Sinne als tragende Begründungsgrundlage rechtlichen Begründungsdenkens in seiner Gesamtheit herangezogen. Es bildet demgemäß nicht nur für die Rechtsanwendung bei der Ausfüllung gesetzlicher Interpretationsspielräume, sondern vor allem auch für die Begründung gesetzgebenscher Entscheidungen die maßgebliche Begründungsbasis. Denn erst in solchen selbstverständlichen Grundannahmen können die vorerwähnten Zweckund Wertbegründungen und die in ihnen zum Ausdruck kommenden Begründungsentscheidungen letztlich einen abschließenden Begründungshalt finden. Die prinzipielle Fähigkeit selbstverständlicher Grundannahmen, einen solchen abschließenden Begründungshalt zu bieten, aber beruht darauf, daß sie selbst aufgrund ihrer fraglosen Hinnahme einer Begründung nicht bedürfen. Folglich kann für sie insoweit auch eine Begründungspflicht nicht bestehen. Im übrigen entspricht es der Selbstverständlichkeit der betreffenden Grundannahmen, daß diese deshalb vielfach auch überhaupt nicht eigens erwähnt werden. Doch ändert dies nichts daran, daß sie als Begründungsbasis aller in den betreffenden rechtlichen Begründungen angeführten Begründungstopoi dennoch in jedem Fall mitzudenken sind. Vgl. Böckenförde (Fn. 44), S. 46. So Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung - Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a.M. 1992, S. 228 f. 49 Vgl. zu dieser argumentativen Bedeutung des Selbstverständlichen Viehweg (Fn. 31 ), S. 42 f.; Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, Frankfurt a.M. 1972, S. 171 ff.; Garrn (Fn 23), S. 31 ff.; Derselbe, Zur rechtspraktischen Bedeutung einer Theorie der juristischen Rhetorik, in: Robert Alexy, Ralf Dreier u. Vifried Neumann (Hrsg.), Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, ARSP-Beiheft Nr. 44, Stuttgart 1991, S. 96ff., 104ff. mit näheren Erläuterungen zu der hier nicht weiter thematisierten Frage des maßgeblichen Auditoriums. 47

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Damit ist natürlich noch nicht gesagt, inwieweit die in rechtlichen Entscheidungsbegründungen vorausgesetzten selbstverständlichen Grundannahmen auch als in der betreffenden Rechtsgemeinschaft bzw. in dem betreffenden Kulturkreis tatsächlich vorhanden vorausgesetzt werden können. Doch soll vor einer Stellungnahme zu dieser Frage zunächst nach dem Bestimmtheitspotential selbstverständlicher Grundannahmen gefragt werden. Auf den ersten Blick scheint dieses gemessen an der begrifflichen Spezifizierung gesetzlicher Entscheidungsregeln eher gering zu sein. Andererseits wird man es auch nicht ohne weiteres unterschätzen dürfen. Fehlerhaft wäre, wie bereits zum Ausdruck gebracht, jedenfalls die Annahme, daß es jenseits einer durch gesetzliche Entscheidungsregeln verbürgten Bestimmtheit eine rechtliche Erwartungssicherheit letztlich überhaupt nicht geben kann. Ein möglicher und durchaus beachtenswerter Anknüpfungspunkt für das Bestimmtheilspotential jener selbstverständlichen Grundannahmen ist nämlich, daß sich das dabei zum Tragen kommende intersubjektive selbstverständliche Sinnerleben an konkreten Fallkonstellationen orientiert und in dieser situativen Fallbezogenheil zugleich eine hinreichende Kontinuität aufweist. Die entscheidende Frage ist deshalb, inwieweit eine derartige Kontinuität selbstverständlichen Sinnerlebens tatsächlich vorausgesetzt werden kann. Daß es aber eine solche Kontinuität auch in unserer Zeit im Hinblick auf viele Fallsituationen gibt, wird man kaum leugnen können. Andererseits ist ebenso wenig zu leugnen, daß das hier gemeinte selbstverständliche Sinnerleben beständigen Wandlungen unterliegt. Je nach der Art des betreffenden rechtlichen Entscheidungsbereichs kann deshalb zum Teil nur von einer sehr eingeschränkten Kontinuität jenes selbstverständlichen Sinnerlebens und demgemäß auch nur von einer entsprechend begrenzten Bestimmtheit der jeweiligen selbstverständlichen Grundannahmen gesprochen werden. Dabei liegt auf der Hand, daß die erwähnten Wandlungen, denen das selbstverständliche Sinnerleben in den einzelnen Rechtsgemeinschaften und Kulturkreisen unterliegt, auch für das Begründungspotential an selbstverständlichen Grundannahmen von Bedeutung sind. Allerdings müssen diese Wandlungen nicht zwangsläufig auch zu einem quantitativen Verlust an selbstverständlichem Sinnerleben führen. Vielfach führen sie nämlich nur dazu, daß alte Selbstverständlichkeiten durch neue ersetzt werden und der "Begründungshaushalt" der jeweiligen Rechtsgesellschaften insoweit in quantitativer Hinsicht unverändert bleibt. Trotzdem ist natürlich nicht zu übersehen, daß es in den zeitgenössischen Rechtsgesellschaften nicht selten auch zu einem quantitativen Verlust an selbstverständlichem Sinnerleben kommt mit der Folge, daß das Begründungspotential an selbstverständlichen Grundannahmen dann im Hinblick auf viele rechtliche Entscheidungen als nicht mehr hinreichend anzusehen ist. Letzteres aber bedeutet, daß diejenigen, die rechtsanwendende und gesetzgeberische Entscheidungen zu begründen haben, gegebenenfalls das verfügbare "Begründungskonto" durch die Inanspruchnahme vermeintlich, aber nicht unbedingt

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wirklich selbstverständlicher Grundannahmen "überziehen" müssen. Und vor diesem Hintergrund stellt sich dann natürlich die Frage, wie eine Rechtsordnung mit den jeweils verbleibenden Begründungsdefiziten leben kann. Tatsächlich belegt die Praxis bestehender Rechtsordnungen, daß dies prinzipiell möglich ist. Voraussetzung ist dafür allerdings, daß es gelingt, diese Begründungsdefizite zu kompensieren. Ein institutionell überaus bedeutsames Mittel dafür ist, daß der erwähnte Mangel an inhaltlichen Selbstverständlichkeiten durch verfahrensrechtliche Selbstverständlichkeiten ausgeglichen wird, nämlich dadurch, daß die in rechtlichen Verfahren letztlich getroffenen Entscheidungen trotz jener Begründungsdefizite in der Regel mit einer entsprechenden Selbstverständlichkeit als dennoch verbindlich hingenommen werden. Dies gilt für gesetzgebefische Entscheidungen, soweit diese ordnungsgemäß zustande gekommen sind und die jeweiligen gesetzlichen Regelungen nicht vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden, und für rechtsanwendende Entscheidungen, soweit diese rechtskräftig bzw. bestandskräftig sind. Die geschilderte Kompensationswirkung hängt allerdings ihrerseits von mehreren Faktoren ab.Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, daß die erwähnten Begründungsdefizite begrenzt bleiben, daß es also immer noch ein Mindestmaß an selbstverständlichem Sinnerleben in der betreffenden Rechtsgesellschaft gibt, da andernfalls ein sinnvolles Begründen rechtlicher Entscheidungen überhaupt unmöglich wird. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist das Ansehen der beteiligten Entscheidungsinstanzen und das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird. Dazu gehört als rhetoriktheoretisch bedeutsamer Aspekt vor allem die Glaubwürdigkeit ernsthaften Bemühens, zu bestmöglichen Entscheidungen und Begründungen zu gelangen. Eine solche Glaubwürdigkeit aber muß immer auch getragen sein von einer in der Rechtsgemeinschaft zu vermittelnden realitätsgerechten Einschätzung dessen, was ein rechtliches Begründungsdenken überhaupt zu leisten vermag. Die hier vorgestellte Rhetoriktheorie soll dazu beitragen.

Probleme der Gesetzesanwendung mit Beispielen aus der verwaltungsrichterlichen Praxis Von Wolfgang Bayer

Die ,,Nagelprobe" für die Qualität eines Gesetzes ist die Bewährung in der Praxis. Die praktische Bewährung hängt u. a. davon ab, wie sich das Gesetz anwenden läßt. Eine Darstellung der Gesetzgebungslehre wäre deshalb unvollständig, wenn die Gesetze nicht auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Anwendung untersucht würden. Im folgenden sollen daher Probleme der Gesetzesanwendung - beschränkt auf verwaltungsgerichtliche Beispiele - erörtert werden. Dabei wird auch darauf einzugehen sein, wie es möglich ist, daß Judikative und Exekutive, bzw. die gerichtlichen Instanzen untereinander, bei Anwendung derselben Gesetze zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Insoweit wäre es von vomherein zu kurz gegriffen, wenn sofort auf das individuelle Vorverständnis oder resignierend gar auf Willkürjustiz verwiesen würde. Auch wenn sich das individuelle Vorverständnis oder das institutionelle Rollendenken oder in gewissem Umfang auch blanker Dezisionismus nicht völlig wegdiskutieren Jassen, so tauchen diese Gesichtspunkte in der Praxis glücklicherweise nur in beschränktem Umfang auf. Interessanterweise besteht im Gegenteil doch in sehr breitem Umfang eine tragfähige Übereinstimmung zwischen Judikative und Exekutive im Bereich der Gesetzesanwendung. Wenn es gleichwohl zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, so ist zu vermuten, daß es insoweit um tieferliegende, strukturelle Probleme der Gesetzesanwendung geht. Es soll nun versucht werden, diese Probleme aufzuzeigen. Die juristische Grundaporie lautet stets: Wie ist dieser Fall gerecht zu entscheiden? Da es in Kontinentaleuropa Tradition ist, den Gesetzen zu entnehmen, was gerecht ist, besteht das Grundproblem darin, die abstrakt-generellen Rechtsnormen auf einen konkreten Lebenssachverhalt anzuwenden. Bei näherem Hinsehen läßt sich diese Grundproblematik in mindestens 4 Problemfelder aufteilen: I. das Auffinden der Norm 2. die Aufklärung des Sachverhaltes 3. die Subsumtion/Entscheidungstindung 4. die Entscheidungsbegründung. Zwischen den einzelnen Problemfeldern gibt es fließende Grenzen. Berühmt ist das Wort Kar! Engischs vom "Hin- und Herwandern des Blicks" zwischen Norm

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und Sachverhalt (Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Auflage, 1963, S. 15). Die einschlägige Norm kann nur in Hinblick auf den vorläufigen Akteninhalt ermittelt werden, und die weitere Aufklärung des Sachverhalts erfolgt nur nach Maßgabe der jeweiligen Nonn. Auf diese Weise wird die prinzipiell "unendliche" Situation auf ein gewisses Mindestmaß begrenzt. Gleichzeitig werden bestimmte Einzelheiten des Sachverhaltes besonders hervorgehoben, die zunächst vielleicht unbeachtet geblieben sind. Erst durch dieses Hin- und Herwandern des Blicks wird die konkrete Lebenswirklichkeit zu einem entscheidbaren Rechtsfall. - Ähnliche Zusammenhänge gibt es auch zwischen der Entscheidungstindung und der Entscheidungsbegründung. Schon bei der Subsumtion fragt man sich, welches Ergebnis sich besser begründen läßt und spätestens bei der Abfassung der Entscheidungsgründe merkt man, ob die Entscheidung dogmatisch "richtig" ist. Die dogmatische "Richtigkeit" erschließt sich in erster Linie dem Fachmann, d. h. demjenigen, der das jeweilige Rechtsgebiet mit seinen Gesetzen, Verordnungen, Kommentaren und Rechtsprechungsbeispielen beherrscht. Der juristische Laie bewertet die Entscheidung oft nach anderen Kriterien. Innerhalb der aufgezeigten Problemfelder lassen sich noch folgende Unterscheidungen treffen: 1. Auffinden der Norm

a) prozessuale und materielle Nonnen b) zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich

2. Sachverhaltsermittlung a) maßgebender Zeitpunkt b) Beweiserhebung c) Beweiswürdigung

3. Subsumtion/Entscheidungstindung a) Auslegungsmethoden b) Tatbestandsmäßigkeit

4. Entscheidungsbegründung a) Überzeugung des Gerichtes b) Überzeugung der Parteien.

Probleme der Gesetzesanwendung in der verwaltungsrichterlichen Praxis

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Inhaltlich geht es bei der Auftindung der einschlägigen Norm nicht nur darum, die zur Entscheidung des Falles benötigten prozessualen und materiellen Rechtsvorschriften zu bestimmen. In vielen verwaltungsrechtlichen Fällen geht es auch darum, die sachliche und zeitliche Anwendbarkeit der Norm zu prüfen. In sachlicher Hinsicht tauchen dabei oft Konkurrenzprobleme auf (Stichwort: Iex specialis) und es stellt sich gelegentlich auch die Frage nach der Normgeltung {Stichworte: Verstoß gegen höherrangiges Recht, Verfassungswidrigkeit, Verwerfungskompetenz). In zeitlicher Hinsicht geht es bisweilen um schwierige Fragen des Überleitungsrechts (Stichworte: Fortgeltung des alten Rechts, Rückwirkung bzw. Rückanknüpfung des neuen Rechts); außerdem sind hier die prozessualen Folgen von Änderungen des Sach- und Streitstands zu prüfen (Stichwort: Nachschieben von Gründen, Erledigung etc.). Als praktisches Beispiel für die Problematik des Überleitungsrechts sei § 20 des rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetzes vom 20. Juni 1995, (GVBI S. 175) zitiert: ,,Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1996 in Kraft. Gleichzeitig treten außer Kraft: I. das Kommunalabgabengesetz vom 5. Mai 1986, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 1993 (GVBI S. 592), 2. die Kommunalabgabenverordnung vom 24. Juli 1986 (GVBI S. 199)". Hier scheint zunächst eines sicher zu sein: Das neue KAG hat keine Rückwirkung. Es wurde im Jahre 1995 verkündet und trat erst am I. Januar 1996, also mit Wirkung für die Zukunft, in Kraft. Daraus folgt, daß Beitragsbescheide, die nach altem Recht ergangen sind, auch heute noch nach altem Recht zu beurteilen sind. Wenn sie nach altem Recht rechtswidrig waren, dann sind sie heute auch noch rechtswidrig. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß viele Bescheide nach altem KAG schon deshalb rechtswidrig waren bzw. sind, weil die damals zwingend vorgeschriebene Veröffentlichung des Beitragssatzes (d. h. DM-Betrag pro Quadratmeter gewichteter Grundstücksfläche) aus verschiedenen Gründen fehlerhaft war. Das neue KAG verlangt nun nicht mehr die vorherige Veröffentlichung des Beitragssatzes. Das kann aber nicht bedeuten, daß ein rechtswidriger alter Bescheid allein durch das Inkrafttreten des neuen KAG automatisch rechtmäßig würde. Denn das würde voraussetzen, daß das neue KAG an Sachverhalte vor seinem lnkrafttreten anknüpfte (sogenannte Rückanknüpfung oder unechte Rückwirkung). Dies tut es aber gerade nicht. Sicher scheint auch zu sein, daß das neue KAG keine Übergangsregelung hat. Es fehlt also insbesondere eine Fortgeltungsregelung des alten Rechts für die Fälle, in denen der Beitragsanspruch nach altem Recht entstanden ist. Eine derartige Regelung wurde in das Straßenausbaubeitragsrecht des KAG 1986, welches seinerseits das KAG 1977 ablöste, in § 42 Abs. 3 ausdrücklich aufgenommen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob ein Bescheid, der nach altem Recht rechtswidrig ist, heute noch geheilt werden kann. Denn die Besonderheit des rheinland-pfälzischen Straßenausbaubeitragsrechts besteht darin, daß der Beitrag zwar ohne Satzung entsteht, daß er aber nicht ohne Satzung festgesetzt werden kann. Und diese Satzung (sei es die Beitragserhebungs-Satzung oder die Beitragssatz-Satzung) muß entweder bereits im Zeitpunkt der Beitragsentstehung existiert haben und gültig gewesen sein, oder sie muß nachträglich in zulässiger Weise rückwirkend in Kraft gesetzt werden. War die alte Satzung ungültig, dann besteht das Problem nun darin, ob es eine Rechtsgrundlage für den Erlaß einer rückwirkenden Satzung gibt. Denn das KAG 1986 trat mit Ablauf des 31. Dezember 1995 außer Kraft; deshalb kann eine altrechtliche Sat-

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zung, gestützt auf das alte KAG, heute nicht mehr erlassen werden. Und eine neue Satzung, gestützt auf das neue KAG, könnte nur bis zum I. Januar 1996, aber nicht noch weiter zurückwirken. Das würde bedeuten, daß der Zeitpunkt der Beitragsentstehung nicht mehr von einer Satzung erfaßt werden könnte. Die Maßnahme müßte beitragsfrei bleiben, da sie nicht mehr innerhalb der Festsetzungsverjährung festgesetzt werden könnte. Dieses Ergebnis hat der Gesetzgeber ganz sicher nicht gewollt. Und wie soll man entscheiden, wenn der Beitragsanspruch 1995 entstanden, aber erst 1996 festgesetzt worden ist (unterstellt, daß sonst alles rechtmäßig ist)? Kann das neue KAG, das z. T. sogar andere Voraussetzungen für die Beitragsentstehung hat, überhaupt Rechtsgrundlage für die Festsetzung von altrechtlichen Beiträgen sein? Dann hätte es im Ergebnis doch unechte Rückwirkung~ Das soll es nach § 20 KAG n. F. jedoch nicht haben. Dieses Beispiel macht wohl hinreichend deutlich, daß ein Nachfolgegesetz ohne ÜbergangsregeJung nur unnötig Probleme schafft. Der Gesetzgeber könnte dieses Problem sehr einfach durch eine Übergangsregelung- ähnlich wie in § 42 Abs. 3 KAG 1986- lösen; die Rechtsprechung kann lediglich die Probleme aufzeigen und ist darauf beschränkt, gegebenenfalls die fehlerhaften Bescheide aufzuheben. 1

Bei der Sachaufklärung ist zunächst der maßgebende Zeitpunkt oder Zeitraum herauszuarbeiten, für den der Sachverhalt ermittelt werden soll, z. B. ob es auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung oder auf die letzte gerichtliche Tatsacheninstanz ankommt, ob es um eine Retrospektive geht (wie bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes) oder um eine Zukunftsprognose (wie bei dem Begriff der polizeilichen Gefahr oder der politischen Verfolgung). Sodann kommt es darauf an, wie die Sachverhaltsaspekte in das Verfahren eingeführt werden (Stichwort: Beweisverfahren) und vor allem: wie der Sachverhalt zu würdigen ist (Stichworte: Beweiswürdigung, Beweislastregeln). Ein besonderes und wohl bis heute nicht hinreichend untersuchtes Problem stellt in diesem Zusammenhang die fehlerhafte Sachverhaltsermittlung dar. Es kommt vor, daß der Entscheidung ein unvollständiger oder unzureichend gewürdigter Sachverhalt zugrunde gelegt wird, sei es, weil die Parteien unvollständig vortragen oder weil das Verwaltungsgericht seine Amtsermittlungspflicht fehlerhaft ausübt. Soweit dies auf bloßer Unaufmerksamkeit beruht, kann man sicher nicht von Sachverhaltsmanipulation sprechen. Soweit dies im Hinblick auf ein bestimmtes Ergebnis geschieht, läßt sich auch nicht in jedem Fall der Vorwurf einer bewußten Manipulation ("Sachverhaltsquetsche") erheben. Denn es ist denkbar, daß der Rechtsanwender gar nicht bemerkt, daß er bestimmte Tatsachen übersieht oder falsch deutet. Das Denken "vom Ergebnis her" (ex consequentibus) kann nicht von vomherein als illegitim abqualifiziert werden; es wäre im Gegenteil schlimm, wenn die Gerichte nicht über die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nachdenken würden. Die Frage ist deshalb lediglich, wo die Grenze zwischen einer auch ergebnisorienI Anmerkung: Nach Fertigstellung des Manuskripts hat das OVG Rheinland-Pfalzjedoch nachträgliche Beitragsbescheide und nachträgliche, rückwirkende Satzungsänderungen, jeweils gestützt auf das außer Kraft getretenene alte Recht, für rechtmäßig erachtet (Urt. v. II. 3. 1997-6 A 10700/97 -und v. 4. 11. 1997 - 6A 12238/97 - ).

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tierten und einer nur ergebnisorientierten Rechtsanwendung zu ziehen ist. Letztere verleitet allzu sehr zu bewußten oder unbewußten Veränderungen am Sachverhalt. Soweit ersichtlich, hat die Rechtstheorie bis heute noch keine nachprüfbaren Kriterien für das Vorhandensein der einen oder anderen Kategorie entwickelt. Folgendes Beispiel möge die genannten Zusammenhänge verdeutlichen, wobei offen bleiben soll, welche Kategorie der fehlerhaften Sachverhaltsermittlung hier vorliegt: In einem Erschließungsbeitragsfall hatte das VG Koblenz (Urteil. v. 3. April 1995- 8 K 1395/93 KO -) einen Satzungsfehler entdeckt und hierzu entsprechende Ausführungen im Urteil gemacht. Es ging darum, daß der Verteilungsmaßstab der Satzung bei unbeplanten und unbebauten Grundstücken auf diejenige Bebauung abstellte, die "auf den benachbarten Grundstücken des Abrechnungsgebiets überwiegend vorhanden" war. Nach Auffassung des Gerichts war dieser Verteilungsmaßstab ungültig. Im Anschluß an die diesbezüglichen Rechtsausführungen wurde dann ein bestimmtes Grundstück des Abrechnungsgebiets herausgegriffen, um die Unanwendbarkeit des Verteilungsmaßstabes exemplarisch zu verdeutlichen. Im Urteil heißt es: ,,Auf den konkreten Fall übertragen ist völlig unklar, wie die unbeplante und unbebaute Parzelle Nr. 248/17 veranlagt werden soll. Es handelt sich hier um ein Eckgrundstück am Ende des Abrechnungsgebiets und dieses Grundstück hat keine unmittelbar benachbarten Grundstücke, die bebaut sind. Es gibt mithin keine überwiegende Bebauung auf den benachbarten Grundstücken, denn die Parz. 248/16 liegt außerhalb des Abrechnungsgebietes und ist ebenfalls unbebaut; die anderen Parzellen des Abrechnungsgebietes sind alle durch die Elisabethstraße bzw. durch die Privatstraße 248/31 von der Parz. 248/17 getrennt". Die Beklagte ging in die Berufung und das OVG Rheinland-Pfalz hob das Urteil der Vorinstanz mit folgender Begründung auf (Ureil. v. 19. Dezember 1995 - 6 A 11770/95 OVG -): "Dem Verwaltungsgericht ist zwar zuzugeben, daß dieser Verteilungsmaßstab in Ausnahmefällen auch ein unbilliges Ergebnis zur Folge haben könnte ... Von einer solchen theoretisch möglichen Ausnahmesituation kann aber die Frage der Rechtmäßigkeit des Verteilungsmaßstabs nicht abhängig gemacht werden, zumal völlig offen ist, ob es solche unbebauten Grundstücke im unbeplanten Innenbereich der Ortsgemeinde R. .. überhaupt gibt und ob - bejahendenfalls - dies jemals bei der Anwendung der Erschließungsbeitragssatzung eine Rolle spielen könnte". Anstelle eines Kommentars sei hier lediglich auf das verwiesen, was das BVerwG, wenn auch in anderem Zusammenhang (Urteil vom 5. Juli 1994, NVwZ 95, 175, 177), gesagt hat: ,,Das Gebot der freien Beweiswürdigung (§ 108 I I VwGO) verlangt, daß das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Das Gericht darf also nicht in der Weise verfahren, daß es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht. Danach liegt ein Verstoß gegen dieses Gebot vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen .. . In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für eine Überprüfung seiner Entscheidung daraufhin, ob die Grenzen einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist."

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Das zitierte Urteil des BVerwG ist zum Asylrecht ergangen. Gleichwohl hat das BVerwG in einem anderen Asylurteil selbst gegen diese Grundsätze verstoßen. Mit Urteil v. 13. Mai 93, NVwZ 93, 788 hat es nämlich entschieden, daß ein Angehöriger der AhmadiyyaGlaubensgemeinschaft in Pakistan, der in seinem Heimatland wegen Benutzung des mohammedanischen Gebetsrufs (Azan) zu 9 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, politisch verfolgt ist i. S. d. Art. 16a GG. In den Gründen wird ausdrücklich gesagt: "Die Straftat nach Sektion 298 C des pakistanischen Strafgesetzbuchs ... ist mit langjähriger Freiheitsstrafe bedroht; die nach der Strafvorschrift vorgesehene und dann auch verhängte Strafe soll den Kläger wegen ... einer Betätigung seines Glaubens treffen". Zu dieser Festeilung gelangte das Gericht auf Grund der bloßen Fotokopie eines in englischer Sprache abgefaßten Urteils eines pakistanischen Gerichts. Die Fotokopie erwies sich später als Fälschung. Dies hat eine vom VG Koblenz eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes ergeben. Das BVerwG hätte die Unechtheit selbst ohne weiteres erkennen können, wenn es den ihm aus zahlreichen anderen Verfahren bekannten deutschen Wortlaut des § 298 C beachtet hätte. Diese Vorschrift enthält nämlich nur eine Höchststrafe von 3 Jahren. Das angebliche pakistanische Urteil nennt auch nicht nur den § 298 C, sondern noch eine Reihe anderer Paragraphen, die zum Teil nicht einmal Straftatbestände, sondern bloße Legaldefinitionen enthalten. Sodann wirft das pakistanische Urteil für jeden angeblichen Gesetzesverstoß Einzelstrafen aus, die so im Gesetz ebenfalls nicht vorgesehen sind. Schließlich addiert es die Einzelstrafen rein rechnerisch zu einer Gesamtstrafe von 9 Jahren, ohne die auch in Pakistan geltenden Konkurrenzvorschriften zu erörtern. Hätte das BVerwG das von ihm selbst aufgestellte "Gebot der erschöpfenden Aufarbeitung des eingeführten Tatsachenmaterials" beachtet, dann wäre es auch als Revisionsgericht nicht gehindert gewesen, "die Denkgesetze sowie die allgemeinen Erfahrungssätze" anzuwenden und das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, weil es gegen die "Pflicht zur vollständigen Auswertung von Erkenntnismitteln" verstoßen hat. Statt dessen verkündet das BVerwG ein Leitsatzurteil zur politischen Verfolgung, das auf erkennbar gefälschten Unterlagen beruht.

Die Subsumtion arbeitet bekanntlich mit den klassischen Auslegungsmethoden, die seit Savigny zum aUgemein anerkannten und unverzichtbaren juristischen Instrumentarium gehören: wörtliche, systematische, historische und teleologische Methode. Auf weitergehende Unterscheidungen (z. B. verfassungskonforme, extensive, analoge usw. Auslegung) kann hier nicht eingegangen werden. Insoweit muß auf die einschlägigen Lehrbücher, insbesondere auf Kar! Larenz, Methodenlehre, verwiesen werden. Es sei aber noch erwähnt, daß das Auslegungsergebnis auch von Bedeutung ftir die Sachverhaltswürdigung ist. Denn nur wenn feststeht, was unter einem bestimmten Tatbestandsmerkmal zu verstehen ist, kann entschieden werden, ob ein bestimmter Sachverhalt darunter zu subsumieren ist (Tatbestandsmäßigkeit). In der Praxis entstehen die größten Auslegungsprobleme bei den sog. unbestimmten Rechtsbegriffen und bei den ungeschriebenen Rechtsinstituten des allgemeinen Verwaltungsrechts (Unterlassungs-, Beseitigungs-, Widerrufsansprüche, usw.). Je offener eine Rechtsnorm ausgestaltet ist, desto schwieriger ist es, ihren Anwendungsbereich zu ermitteln. Es ist auffallend, wie sehr gerade hier auf außerjuristische Gesichtspunkte wie Praktikabilität, Sozialadäquanz, gesellschaftliche Notwendigkeit etc. zurückgegriffen wird, oder wie hier einfach autoritativ "durchentschieden" wird.

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Als Beispiel für die Problematik eines unbestimmten Rechtsbegriffs diene der Begriff des Abrundens in § 5 Abs. I Bundesjagdgesetz. Die Vorschrift lautet: ,,Jagdbezirke können durch Abtrennung, Angliederung oder Austausch von Grundflächen abgerundet werden, wenn dies aus Erfordernissen der Jagdpflege und der Jagdausübung notwendig ist". Das OVG Rheinland-Pfalzhat hierzu entschieden (Ureil. v. 17. Januar 1990- 8 A 36/89 -), daß eine Verfügung, mit der eine Grundfläche von rund 20 ha an einen Jagdbezirk angegliedert wurde, nicht von § 5 Abs. I BJG gedeckt sei. Der Flächenumfang einer derartigen Angliederung gehe bei weitem über das hinaus, was als ,Abrundung' angesehen werden könne. Zwar lasse sich aus der genannten Vorschrift keine allgemeine feste Obergrenze für die betroffene Fläche herleiten, die unabhängig von der einzelnen Fallgestaltung zu beachten wäre. Jedoch folge schon aus dem Begriff der Abrundung als einer Grenzkorrektur, daß es sich bei den in § 5 Abs. I BJG zugelassenen Gestaltungsmöglichkeiten nur um geringfügige Flächenveränderungen handeln dürfe. Außerdem sei § 5 Abs. 1 BJG eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 8 Abs I BJG, wonach alle zusammenhängenden Flächen einer Gemeinde zu einem gemeinsamen Jagdbezirk gehörten. Auch daraus folge, daß Abrundungen von Jagdbezirken als Ausnahmeregelungen nur geringfügige Grundflächen zum Gegenstand haben dürften. Im vorliegenden Fall gehe der Flächenumfang der verfügten Angliederung über das zulässige Ausmaß einer Abrundung hinaus. M. E. läßt sich die 20-ha-Grenze weder aus dem Begriff der Abrundung noch aus dem systematischen Zusammenhang mit § 8 Abs. I BJG begründen. Plausibler erscheint die von Mitzschke I Schäfer in ihrem Kommentar zum Bundesjagdgesetz (BJG, 4. Auf!. § 5, Rdn. 16) unter Hinweis auf den HessVGH (Urteil v. 8. Juli 1966, DJV-Nachr, 5, 1969) vertretene Obergrenze von 75 ha zu sein. Denn nach den Vorgaben des BJG kann bei 75 ha bereits ein Eigenjagdbezirk vorliegen, sofern die Länder nicht noch größere Mindestflächen normiert haben. Von einer Abrundung kann man wohl nicht mehr sprechen, wenn die Arrondierungsfläche bereits kraft Gesetzes als potentieller Eigenjagdbezirk betrachtet werden müßte. Damit ist aber noch nicht geklärt, wann unterhalb dieser Obergrenze von 75 ha eine Abrundung i. S. d. Gesetzes vorliegt. M.E. gilt hier dasselbe wie bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen: Es ist zunächst von dem vagen Wortkern auszugehen und dann einzelfallbezogen zu prüfen, ob die Kernbedeutung des Wortes bei der gegebenen Fallkonstellation noch gewahrt ist, ggfs unter Zuhilfenahme von weiteren Auslegungsmethoden, insbesondere unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung. Es geht also nicht syntaktisch um eine akribische Verwendung vorgegebener Wörter. Deshalb ist es auch erlaubt, anstelle der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale Synonyme und Oberbegriffe zu verwenden. Im vorliegenden Fall würde wohl niemand das Partizip "abgerundet" verwenden, statt dessen spricht man von der Abrundung oder von der Jagdbezirksveränderung. Es geht auch nicht in erster Linie um die semantische (ontologische) Bedeutung des Begriffs an sich. Kein Gericht würde jemals eine Abhandlung über "die Abrundung als solche" verfassen. Sondern es geht ganz pragmatisch darum, den Gesetzesbegriff operabel zu machen, um ihn einzelfallbezogen anwenden zu können. Der Begriff wird also mit andem Worten funktionell "im Sinne des Gesetzes" gebraucht. Er kann in einem anderen Gesetz oder in einem anderen Zusammenhang eine ganz andere Bedeutung haben. Im Sinne des § 5 Abs. I BJG bedeutet der Wortkern "abrunden", daß spitze, schmale, schlauchförmige oder sonst irgendwie unförmige Jagdbezirke in der Weise abgeändert werden, daß nunmehr keine bizarren, sondern relativ gleichmäßig geformte Jagdbezirke entstehen. Dabei kommt es unterhalb der o.g. Obergrenze von 75 ha nicht so sehr auf die

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absolute Größe der Arrondierungsfläche, sondern darauf an, ob der neue Grenzverlauf den Erfordernissen der Jagdpflege und -ausübung eher gerecht wird als der alte Zustand. Letzteres ist nicht zu verwechseln mit der logisch vorrangigen Frage, ob eine Veränderung des Jagdbezirks aus Gründen der Jagdpflege und -ausübung überhaupt notwendig ist. Denn nur wenn das ,ob' feststeht, stellt sich die Frage nach dem ,wie', und das darf eben nur eine Abrundung i. S. d. Gesetzes sein).

Für die Entscheidungstindung ist die rechtliche und tatsächliche Überzeugung des Gerichts maßgebend(§ 108 VwGO, § 286 ZPO, § 261 StPO). Die Überzeugung des Gerichts ist in den Entscheidungsgründen wiederzugeben, und zwar so, daß sie die Parteien und nach Möglichkeit auch die nächste Instanz überzeugen. In der Rechtstheorie ist umstritten, ob die Entscheidungstindung und -begründung in erster Linie logisch (so z. B. Ota Weinberger, Rechtslogik, Wien /New York, 1970) oder topisch erfolgt (so grundlegend Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl., München 1974, und mit ihm die sog. ,,Mainzer Schule"). Dies hängt ganz davon ab, welchen rechtstheoretischen Standpunkt man vertritt. Die Anhänger der analytischen Richtung werfen den Vertretern der rhetorischen Rechtstheorie vor, die Rechtsanwendung verflüchtige sich ins Beliebige, wenn nur auf irgendwelche Topoi abgestellt werde. Sie befürchten, die Rechtsanwendung sei nicht mehr nachvollziehbar, wenn auf formallogische Relationen verzichtet werde. Dahinter verbirgt sich - bewußt oder unbewußt - ein schwerwiegendes Mißverständnis: die rhetorische Argumentationstheorie verzichtet nicht auf Logik, sie geht darüber hinaus! Ein unlogisches Urteil kann sicher nicht überzeugen, aber ein logisch einwandfreies Urteil ist nur eine notwendige und keine hinreichende Bedingung für dessen Akzeptanz. Dies beruht darauf, daß die Logik - egal in welcher Form immer nur die extensionalen Beziehungen zum Gegenstand hat, während die intensionalen und vor allem die funktionalen Dimensionen von ihr nicht erfaßt werden. Eine Entscheidung, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Wertungen enthält, und die diese auch begründen muß, kann sich aber nicht auf die formallogische Ableitung der Normsätze und der Aussagensätze beschränken. Nach hier vertretener Auffassung wird die juristische Problemlösung nicht in erster Linie logisch, sondern topisch, d. h. rhetorisch gesteuert. Die Gesetzesanwendung beruht nicht auf der Theorie des logischen Syllogismus, sondern auf der Argumentationstheorie, und diese stammt aus der klassischen Rhetorik. Die Argumentationstheorie beschreibt, wie argumentiert wird. Sie erläutert die Zusammenhänge zwischen den allgemeinen Topoi, den jeweiligen Rechtfertigungsregeln und den konkret benutzten Argumenten. Sie ist deshalb auch ein vorzügliches Analyseinstrument Die Kenntnis der Argumentationstheorie verhilft dazu, die Stärken und Schwächen einer Begründung besser zu erkennen. Sie verhilft ferner dazu, die eigene Meinung überzeugend zu begründen und tatsächliche oder erdachte Gegenargumente zu widerlegen. (Zum Ganzen vgl. Bayer, Modeme Rechtsanwendung und antike Rhetorik, Rechtstheorie, 25. Band, 1994, 219). Das obige Schema wäre demnach wie folgt zu ergänzen:

Probleme der Gesetzesanwendung in der verwaltungsrichterlichen Praxis

1. Auffinden der Norm a) prozessuale und materielle Normen b) zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich

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Topik inventio Suchformeln

2. Sachverhaltsermittlung a) maßgebender Zeitpunkt b) Beweiserhebung c) Beweiswürdigung

Relationstechnik Status-Lehre Topoi

3. Subsumtion/Entscheidungsfindung a) Auslegungsmethoden b) Tatbestandsmäßigkeit

Status-Lehre

4. Entscheidungsbegründung a) Überzeugung des Gerichts b) Überzeugung der Parteien

Argumentationstheorie juristische Topoi außerjuristische Topoi

Selbst die Gegner der rhetorischen Rechtstheorie geben zu, daß das Auffinden der Nonn (lateinisch: inventio = Teildisziplin der klassischen Rhetorik) von der juristischen Dogmatik gesteuert wird. Was bedeutet das aber? Die juristische Dogmatik enthält ganz im Geiste der antiken Rhetorik Suchfonnein und Aufbauschemata, die eine erste, tentative Annäherung an die Frage ennöglichen, wie ein konkreter Fall gerecht zu entscheiden ist. Solche Suchfonnein sind z. B: Wer kann was von wem woraus verlangen? Oder: Zuständigkeit, Fonn, Verfahren, Ennächtigungsgrundlage, höherrangiges Recht, Ennessen. In prozessualer Hinsicht werden Zulässigkeitskataloge bereitgehalten, die sich um das Gericht, die Parteien und den Streitgegenstand ranken. Oder man denke etwa an die Zulässigkeilsvoraussetzungen des Widerspruchs oder an die Vorausssetzungen einer Vollstreckungsmaßnahme usw. Wenn im Einzelfall keine speziellen Suchfonnein vorhanden sind, greift man auf den allgemeinen Topos ,,res iudicata" zurück und versucht, sich dem Problem mit Hilfe von bereits entschiedenen Fällen zu näheren. Dabei werden wiederum allgemeine Topoi zu Hilfe genommen, wie Ähnlichkeit, Gegenteil, mehr oder weniger, erst recht usw. Hat man den oder die streitentscheidende(n) prozessuale(n) oder materielle(n) Nonn(en) gefunden, entscheidet zunächst wiederum die juristische Dogmatik darüber, welcher Beurteilungszeitpunkt maßgebend ist. Ob dann der Sachverhalt für den maßgebenden Zeitpunkt oder Zeitraum noch weiter aufzuklären ist, hängt einerseits von der aufgefundenen Nonn und andererseits vom bisher festgestellten Sachverhalt ab. Methodisch hilft hier die Relationstechnik weiter (referre, rettuli, relatum = berichten, vortragen = Vortragstechnik als Teildisziplin der Rhetorik!). Die Relationstechnik und nicht die Logik gibt Auskunft darüber, ob und was im Einzelfall noch zu ennitteln ist. Das Ergebnis der Ennittlungen ist sodann auf seine Glaubhaftigkeit zu überprüfen (Beweiswürdigung). Auch wenn insoweit das persönliche Judiz und die Erfahrung nützliche Eigenschaften sind, so ändert dies nichts daran, daß auch die Beweiswürdigung von der Rhetorik her detenniniert ist

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(Statuslehre und Topoikataloge). Auch das oben erwähnte Beispiel einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung ist nur rhetorisch, nicht logisch zu erklären (Vgl. insbesondere Schopenhauer, Eristische Dialektik, Kunstgriff 33, und Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, 174a, 174b). Daß schließlich auch die Entscheidungstindung und -begründung methodisch von der Status-Lehre und der Argumentationstheorie gesteuert wird, versteht sich nach hier vertretener Auffassung von selbst. Auch wenn die Urteilsbegründung streckenweise syllogistisch aufgebaut ist, muß sie gleichwohl je nach Bedarf rechtfertigen, weshalb eine bestimmte Norm einschlägig ist, wie sie auszulegen ist, ob der Sachverhalt feststeht und ob er unter die Norm subsumiert werden kann. Dies gelingt nur, wenn sich die Argumentation soweit wie möglich auf anerkannte juristische oder ggfs. sogar auf außeijuristische Topoi stützen kann. Diese Topoi können. auch logische Axiome beinhalten. So beruht beispielsweise der Alibi-Beweis auf dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten: entweder war der Angeklagte zur Tatzeit am Tatort oder er war es nicht, tertium non datur. Aus der Natur der Topoi folgt jedoch, daß es sich ·dabei nur um ,,Denkgewohnheiten" oder "Erfahrungssätze" handelt, die nach Aristoteles allen oder den meisten oder den Weisen gewöhnlich, in der Regel, als wahrscheinlich oder glaubhaft erscheinen - aber nicht immer! Deshalb kommt es vor, daß ein Argument nicht überzeugt, weil der jeweilige Leser I Hörer den zugrundeliegenden Topos oder die daraus abgeleitete Regel oder das konkret benutzte Argument entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in diesem besonderen Fall akzeptiert. Es bleibt daher immer Raum für Gegenargumente (auch wenn es demjenigen, der von seiner Sache überzeugt ist, unverständlich erscheinen mag). Das darf bei dem eingangs angesprochenen Verhältnis von Judikative und Exekutive nicht vergessen werden. Es liegt folglich an der topischen Struktur der juristischen Argumentation, und nicht am "bösen Willen" oder an der "Unfähigkeit" der jeweiligen Gegenseite, daß das, was für den einen überzeugend ist, für den andem völlig inakzeptabel erscheinen kann. Gravierend wird es dann, wenn die Gegenargumente deshalb nicht überzeugen, weil es sich um Scheinargumente handelt. Fallen dem Gesetzesanwender keine juristischen oder außerjuristischen Topoi mehr ein, dann kommt nur noch "heiße Luft" in Form von rhetorischen Figuren oder eristischen Kunstgriffen. Es wird dann autoritativ behauptet, das sei zweifellos so, oder man sucht Zuflucht bei Verallgemeinerungen oder Übertreibungen. Wenn rhetorische Figuren oder eristische Kunstgriffe anstelle von Argumenten auftreten, ist normalerweise stets größte Vorsicht geboten, aber auch hier gibt es Ausnahmen. Zusammenfassend läßt sich folgendes festhalten: Die Gesetzesanwendung ist ein komplexes Verfahren. Auf jeder der oben genannten vier Ebenen können spezifische Probleme auftreten. Eine sorgfältige Formulierung der Gesetze entspricht nicht nur dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot, sie ist auch vom Standpunkt der Gesetzesanwendung aus zu begrüßen. Aber selbst die präziseste gesetzliche Vorgabe bietet keine Gewähr dafür, daß es im Einzelfall nicht doch einmal zu

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Anwendungsschwierigkeiten kommen kann. Auch solche Fälle müssen in der Praxis gerecht entschieden und überzeugend begründet werden, ohne sich den Vorwurf des Dezisionismus oder der Willkür einzuhandeln. Es hat den Anschein, als könne dies nur mit Hilfe einer topisch gesteuerten Problemlösung gelingen. Die Topik ist nicht anti-logisch, sondern sie geht über die formale Logik hinaus. Eine topische Argumentation läßt auch stets Raum ftir Gegenargumente. Deshalb bleibt - um ein Wort von Theodor Viehweg aufzugreifen - die Diskussion offenbar die einzige Kontrollinstanz.

9 Schreckenherger!Menen

Gesetzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich? Von Carl Böhret ,,Auch leiden zum Teil die Gesetze selbst wegen der neuen Vergehungen der Folgezeiten an nicht geringer Unzulänglichkeit. Darum fiel es uns zu, notwendige Heilmittel zu ersinnen, wie wir den Rost der alten Verordnungen mit der Feile unserer Pflege fortputzen und mit Rates Fülle das Unzulängliche ergänzen könnten." (Kaiser Friedrich li., 1244).

... .,daß die rein und nur ministerielle Prüfung von (Gesetz-)Entwürfen nicht der richtige Weg ist, um die Gefahr zu vermeiden, daß unpraktische, schädliche und gefährliche Vorlagen in sprachlich unvollkommener Fassung ihren Weg... bis in die Gesetzessammlung finden und dann bis zu etwaiger Abhilfe einen Theil der Last bilden, die sich wie eine Krankheit schleichend fortschleppt." (0. v. Bismarck, 1898)

I. Hintergründe: Warum "GFA"? Die Sammlung vergleichbarer Aussagen ließe sich leicht erweitern. Es ist die bis heute übliche Kritik an Mängeln der Gesetze und der Gesetzgebung, aber auch die immer neue Suche nach Hilfen, mit denen die Wirkungsoptimalität der Rechtsvorschriften erreicht werden könnte. Die Kritik an Menge und Qualität der Rechtsnormen, wie die Forderung, .,man" möge endlich weniger und (dafür) bessere Gesetze produzieren, ist ganz alt, und sie folgt konjunkturellen Bewegungen. So gab es in jüngerer Zeit um 1980 einen Höhepunkt (Gesetzentwürfe sollten vor Inkrafttreten getestet werden) und jetzt - Mitte der 90er Jahre - wird ein neuer Gipfel erreicht und erhält seinen Namen: wir brauchen Gesetzesfolgenabschätzungen, wir brauchen gar prälegislative Forschung, um jene optimalen Rechtsvorschriften zu erreichen. Eigentlich wollen alle solche Forderungen erfüllen: die Produzenten der Rechtsvorschriften wie die Normadressaten (Bürger, Wirtschaft, vollziehende Verwaltung), aber auch Wissenschaft und Rechtsprechung. Dennoch gibt es bei Produzenten und Betroffenen in allen Bereichen eine Menge kritischer Anmerkungen, ja sogar Ablehnungen. So möchte die Wirtschaft keine ungebührlichen Belastungen und wünscht Planungssicherheit Die Politik möchte Nachbesserongen wegen vorher nicht erfasster Folgen vermeiden und die politischen Ziele so gut wie möglich erreichen. Die sonstigen Normadressaten möchten verstehen, warum eine Regelung ftir sie gut sein soll oder warum sie belastet werden sollen (z. B. Steuergesetze, aber auch .,Tempo 30").

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Deshalb wohl werden derzeit die Nutzen von Gesetzesfolgenabschätzungen und des Tests von Rechtsvorschriften auf neue Weise wahrgenommen oder gefordert. Dabei werden vier Aspekte verknüpft: - Folgenorientierung: zukünftige Wirkungen einer Rechtsvorschrift (output), bei den Normadressaten (impact) und in der Gesellschaft überhaupt (outcome); - Dynamisches Abschätzungsproblem: Es geht um den Umgang mit Risiko und Wahrscheinlichkeit in einem sensitiven "weiten Feld", das sich in der (Lauf-) Zeit selbst verändern kann. Deshalb darf keine Exaktheit im einzelnen erwartet werden (auch nicht bei den Kosten), sondern nur grobe Entwicklungen und Effekte ("im Korridor nach x"); aber immerhin das! - Verteilungsbezug: Wer wird - wie lange und wie sehr - belastet oder entlastet? Wie werden unvermeidbare Beeinträchtigungen optimal verteilt ("Zurechnung"), damit intendierte Effekte erreicht oder vermieden werden ("zeitbezogene Umverteilung"). - Befolgbarkeit: Mit der doppelten Ausrichtung: sind die Rechtsvorschriften (von der Verwaltung) problemlos vollziehbar und können die Normadressaten die Regelungen akzeptieren bzw. ihr Verhalten intentionsgerecht verändern? Freilich, auch bisher wurden Gesetze gemacht, und sie wirkten wie erstrebt oder gelegentlich auch überraschend anders. Die Produzenten der Normen hatten gedanklich und erfahrungsbezogen Wirkungsabschätzungen vorgenommen und im Gesetzgebungs"prozeß" wurden vielfältige Hinweise, auch solche der Normadressaten, beachtet. Dennoch zeigt sich auch, daß die Qualität vieler Produkte abnahm, das gesamte Wirkungsfeld erwies sich als immer weniger durchschaubar (Dickicht) und prognostizierbar (Kontext und Folgen). Deshalb hat die Reanimation wie die Neuentwicklung von Methodik und Verfahren der "experimentellen Rechtsetzung" eine neue Chance. Nochmals: Es soll und kann nicht auf den Fachverstand der Normerzeuger und ihrer Helfer "in der Sache" verzichtet werden. Vielmehr soll nur die Herstellung neuer Vorschriften (oder deren begründete Vermeidung) methodisch und instrumentell unterstützt werden, wozu auch neue Formen der Kooperation erschlossen werden, wobei - zumindest temporär- die Zusammenarbeit von Politik, vorschriftenentwickelender Verwaltung und externen Instanzen in einem .,Innovationsbündnis GFA" ratsam ist und bisher erfolgreich war (vgl. Abb. I). II. Was ist die "neue GFA"? Verstehen wir nun alle das gleiche unter diesem modischen Begriff der "Gesetzesfolgenabschätzung"? Was ist das und was könnte an hilfreicher Unterstützung geboten werden? Es ist wahrscheinlich, daß demnächst die GFA zumindest in die Gemeinsamen Geschäftsordnungen der Ministerien (GGO) einiger Länder aufgenommen wird (der Versuch, sie in Verfassungsrang zu erheben, scheiterte vor kurzem in NRW).

Gesetzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich?

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Politische Führung (Regierung, Parlament)

~

Fachressorts (Entwürfe, Prüfungen)

GFA-Methodiker und ,,Laiensachverständige..

Abb. I: GFA-Innovationsbündnis auf Zeit

Das könnte dann etwa so aussehen (womit auch schon eine Kurz-Beschreibung des Verfahrens geliefert wird): §XYderGGO: Gesetzesfolgenabschiitzung (1) Eine Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) ist vorzunehmen bei allen Rechtsvorschriften mit vermutlich großer Wirkungsbreite und I oder beachtlichen Auswirkungen. Wird in solchen Fällen keine GFA durchgeführt, ist dies zu begründen. (2) Gesetzesfolgenabschätzungen sind Verfahren - zur Ermittlung von Notwendigkeit, Dringlichkeit und Folgenbedeutsamkeit alternativer Regelungsvorhaben, - für Prüfung und Test von Entwürfen oder von Entwurfsteilen, - zur Bewährungsprüfung inkraftgetretener Vorschriften. (3) Anleitungen zur Durchführung von GFA im Anhang. Die allgemeine Definition der mehrstufigen GFA lautet dann auch so: Gesetzesfolgenabschiitzungen (GFA) sind spezielle Verfahren der Folgenanalytik • Zur expertengestützten Ermittlung und vergleichenden Beurteilung zukunftsorientierter Regelungsvorhaben • zur begründeten Auswahl günstiger Optionen in Bezug - auf politische Ziele - auf (wahrscheinliche) gesellschaftliche Entwicklungen - auf Belastungen I Entlastungen der Normadressaten • zur Überprüfung und zum Test rechtsförmiger (Referenten-)Entwürfe nach bestimmten Kriterien (z. B. Vollziehbarkeit, Verständlichkeit, Kosten/Wirksamkeit)

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Carl Böhret

• Bewährungsprüfung bereits in Kraft gesetzter Rechtsvorschriften ("Evaluation G.-Controlling"). Wissenschaft und Praxis haben sich denn auch darauf verständigt, die GFA in drei Module zu gliedern, die drei Phasen im Gesetzgebungsprozeß zugeordnet werden können (vgl. Abb. 2); auch die Basismethodik läßt sich entsprechend zuteilen.

Modul/ Ausrichtung

Phase

Merkmal

Methodik

prospektive GFA (ex ante)

Regelungsintention

schöpferisch, antizipierend

futurologische M., Abschätzungs-Verf.

begleitende GFA (uno actu)

Regelungsentwuif

prüfend, testend, analysierend

praxeologische Verfahren, Tests

retrospektive GFA (ex post)

Rechtsvorschrift in Kraft

evaluierend, anstoßend

Bewährungsprüfung, G. Controlling

Abb. 2: GFA: drei Module/drei Phasen

Diese kategorialen Zuordnungen sind erfahrungsgestützt Die bisherigen GFAVersuche lassen sich den Modulen zuordnen, und so kann man sich leichter verständigen, in welchem Stadium der Gesetzgebung was und wie abgeschätzt, getestet und revidiert werden soll. Das GFA-Verfahren entspricht auch durchaus der Vorgehensweise bei der Entwicklung eines neuen Produktes und der Überprüfung seines ,,Markterfolges" etwa eines Automobils (vgl. Abb. 3).

GFA-Module

Entwicklung/ Automobil

pGFA (prospektiv)

Marktanalysen, Konstruktion (,,Reißbrett), Prototypen

bGFA (begleitend)

(,,Elch"-)Tests u. Verbesserungen (bis Serienreife)

rGFA (retrospektiv)

Marktannahme des Produkts Nachbesserungen (ggf. ,,Rückruf")

Abb. 3: Analogie GFA/Entwicklung Automobil

In Zeiten knapper Kassen (Staat) und Belastungen (Bürger, Wirtschaft) oder bei verstärktem internationalen Wettbewerb (Wirtschaft) ist auch besonders auf die Kostenoptimierung zu achten. Deshalb wird dieser Aspekt innerhalb des Gesamtverfahrens GFA derzeit besonders hoch gewichtet. Abb. 4 systematisiert die modularen Kostenuntersuchungen.

Gesetzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich?

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Gelegentlich treten Kostenfolgenuntersuchungen aber so in den Mittelpunkt, daß sie schon als die eigentliche GFA betrachtet werden. Immer aber ist auch zu ermitteln, welche Effekte I Nutzen I Vorteile erreicht werden und bei wem ("Verteilung")1. Modul/ Phase

KFU-Typ

Methodische Ausrichtung

pGFA

Grobe Kostenabrchätzung (zu erwartende Bereiche, Anen)

Abschätzungsverfahren (wo, wie sehr? = kontrollierte Exp.urteile); EKA-Methode (mit Effekten)

bGFA

Kostenanalysen (Zweck-, Vollzugs-K.): Be- und Entlastungen (konkretisiert)

div. Kostenbestimmungen (ökon., gesellschaftl.); Pers. Aufwand, KNA (mit t) etc.

rGFA

Kostenüberprüfung (Realisierungsgrad oder Intentionen)

Kosten-Controlling (laufend, punktuell); Abweichungsprüfung

Abb. 4: GFA: Kostenfolgenuntersuchungen (KFU) für die drei Module

111. GFA-Erfahrungen

1. Überblick Es gibt bisher wenige, aber praxisrelevante und richtungsweisende Erfahrungen zu den 3 GFA-Modulen. Alle erfolgreichen Versuche wurden in Kooperation von Wissenschaft und Praxis (Politik, Verwaltung) durchgeführt; alle Beispiele erforderten die Weiterentwicklung der Methodik wie eine Aufgeschlossenheit für die oft "andere" Denk- und Vorgehensweise der jeweiligen Partner. Die ersten Experimente mit der GFA ereigneten sich bei der "begleitenden GFA": beim Test von Referentenentwürfen. Erst Mitte der 90er Jahre wurde die "prospektive GFA" entwickelt und erprobt. Die Einbeziehung der "retrospektiven GFA" blieb sporadisch, von Ergebnissen der Rechtstatsachenforschung abgesehen. Mit dem neuen Modul (pGFA) wurden auch die anderen Bereiche reanimiert. Abb. 5 gibt einen Überblick über praxisrelevante Abschätzungen und Tests.

I So entstehen etwa bei Vollzug der Heinunindestbauverordnung (HeirnMindBauV 1978) bei den Trägern der Heime jeweils Neubau- oder Umbaukosten. Gleichzeitig entstehen erhebliche Einnahmen beim Baugewerbe und den Ausstattungsfirmen. Und (mittelfristig) ergeben sich Nutzen für die Heimbewohner sowie "Minder"kosten beim PflegepersonaL Eine bloße Kostenanalyse erlaubt keine "folgenrichtigen" Ergebnisse.

Carl Söhret

136

Modul

Durchf"tihrung

(p)GFA (Regelungsvorhaben)

(b)GFA (Ref. Entwurf) Test I Überprüfungen

(r)GFA (Evaluierung I Controlling)

Gentherapie (G) Zeugenschutz (G) Wald (G) Jugendhilfe G (Praxistest) Bau-GB (PraxistestiPlanspiel) UVPG I Verw.Vorschriften (Planspiel) LandesWaldG (div. Prüfmethoden) KrebsregisterG (Finanzfolgen) PflegeVers.G. (in Bearbeitung) BetrVG (Kostenprüfung) NachtbackverbotG KreislaufWirtsch.G

Abb. 5: ,,Erfahrungen" mit GFA (Überblick)

2. Ausgewählte Beispiele a) Zur prospektiven GFA aa) Regelungsintention "Gentherapie ": Das Leitprojekt ist das gemeinsam vom Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und dem Forschungszentrum Karlsruhe Mitte 1994 initiierte und durchgeführte Projekt "GFA zu Regelungsalternativen für die somatische Gentherapie" 2. In diesem Projekt wurden erstmals Konzept und Methodik einer prospektiven GFA entwickelt und getestet. Die Abschätzungen erfolgten anhand potentieller Regelungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der individuellen und gesellschaftlichen Betroffenheiten sowie unter der Annahme differenter gesellschaftlicher Entwicklungen. Es konnten folgenbewertete Empfehlungen für eine potentielle gesetzliche Regelung gefunden werden; die von drei gesellschaftlichen Entwicklungsszenarien und von drei Grundmodellen ausging: Standesrechtliche Regelung, klinische Arzneimittelprüfung und eigenständiges Gentherapiegesetz. Abb. 6 zeigt das für die Folgenabschätzungen einbezogene Wirkungsfeld, Abb. 7 gibt eine Chancen/Risiken-Analyse wieder, die für die Folgenidentifizierung relevant war. In Abb. 8 wird exemplarisch demonstriert, wie differenzierte Folgenabschätzungen verlaufen können. Es ergab sich beispielsweise, das Regelungsmodell 3 (vgl. Abb. 8) dann zu empfehlen, wenn eine "gefährdende" Technikentwicklung (ähn2 Das hier praktizierte Verfahren konnte außerdem etwas vereinfacht angewandt werden auf den potentiellen Entwurf eines Zeugenschutzgesetzes und hat sich auch dabei bewährt. Im Zusammenwirken von Landtagsverwaltung Rheinland-Pfalz und DHV Speyer konnte unter Mitwirkung mehrerer Experten -eine praxisrelevante Studie angefertigt werden.

137

Gesetzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich?

lieh dem Szenario 3) sich ergeben würde. Dann wäre der Gesetzgeber aufgrund seiner Schutz- und Fürsorgepflicht zum Handeln aufgefordert. Modell 3 könnte dann als Basis für eine Regelung dienen, die ggf. verstärkt Mitspracherechte der Bevölkerung enthalten sollte.

Forschunp- und Wissenschaftssystem Ökonomisches System

GESETZES-

Ökosystem

Politisclaes System

Werte- und Sozialsystem

Rechtlichadministratives System

Abb. 6: Wirkungsfeld GFA "Gentherapie"

Ebenen

FolgenidentirlZierung (Beispiel) Chancen

Risiken

Individuelle Ebene (Forscher Arzt, Patient, Dritte)

- neue sanfte Behandlungsmethoden

- Schädigung Dritter (insbes. Nachkommen)

Gesellschaftliche Ebene (Gesundheitssystem, Ökonomie, etc.)

- Kostenreduzierung durch Vermeidung chron. Krankheit - positive Effekte einer Zukunftstechnologie

- Kostensteigerung bei Therapie wegen Fehlschlägen - Substitutionsprozesse

Abb. 7: Folgenidentifizierung nach Chancen und Risiken (Ausschnitt)

Sz~nario ~

-

Verhinderung von NebenwirJ.-ungenl R1sikoabsicherong

Dritte

Prodllkrionsfretheit/ Produknonskostenl Absatzm(Jg/ichkeitenl Ris1koabs1cherung

Produzent

J

Szenario 2 Bew.

I

w•

J"fSzenario 3

.......

Stichworte

Verlust der Ther.p/efrelhe/t, OberliDu/ger Zeitverlust, hohe •/nteme• Venwanungskosten

keine Effekte

0

-2

-----

keine Effekte

Sehr hohe Kosten und großer Zeltverlust im int. Wettbewerb, wenig Absatzchancen

Zeitverlust reduziert Hel/ungschancen,hoher Aufwand, gesetzliche Abs/cherung

Verlust der Ther.plefre/helt, aehr hoher Aufwand, Rechtss/cherhelt, wenig Fiille

Reduktion der Mittel durch ·o/skrlmln/erung• der Genther.ple, sehr hoher Autw.nd

Stichworte

0

-1

-1

-1

-2

Abb. 8: pGFA Gentherapie (exemplarisch, Ausschnitt)

Sehr hohe Kosten und großer Zeltverlust Im lnt. Wettbewerb, wenig Absatzchancen

-2

-2

-2

Bew.

Hohes Schutzn/veau, Schadensersetz wg. Geflihrdungshaftung leicht durchsetzbar

Wenig Aktivltiiten, staatI/ehe M/tver.ntwortung Im Entscheidungsprozeß, Haftungsbeschr.inkung

Wenig Fi//e, hohes Schutzn/veau, Schadensers.tz wg. Geflhrdungshaftung leicht durchsetzbar

Wenig AktivltMten, st. .tliche M/tv.r.ntwortung im Entscheldungsprozeß

Wenig Aktivtaten, st. .tl/che Mltv.r.ntwortung Im Entsche/dungsprozeß

SHchworte

2

1

2

1

1

Bew.

~~!!!l~ng g~ Einf!_us~ ~~."~~~'!_gsm~defl 3 vor,~!!'l Hinterq~~d_!s~n•rlos -~ -·

Reduktion der Mittel durch ·olskrlmlnlerung• der Genther.ple, sehr hoher Aufwand

,;,:::, "" -" •

Wenig neue Heilverfahren, Hellungschancenl überliOss/ger Zeitverlust, Kosrenns1kol Auflddrongl Verteuerung der Verfahren Ristkoabstcherung

Patient

Therapiefreiheitl Therap1ekostenl Bezahlung der Letsfungi RISikoabstcherung

Arzt

Forschungsfrelhelt/ Forschungskostenl Forschungsmittell Risllcoabsicherong

Forscher

INDIVIDUELLE EBENE

MODELL 3

I

a

o:

o::l ::r

~

()

00

"'

Gesetzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich?

139

bb) Regelungsvorhaben "neues Waldgesetz": Das Ministerium für Umwelt und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz (Staatsministerin Klaudia Martini) initiierte Mitte 1997 die erste prospektive GFA für eine durchgängige Neuregelung im Forstbereich. Damit wurde das vorher konzeptionell und methodologisch entwickelte Verfahren erstmals auf ein umfassendes Regelungsvorhaben in der politischen Praxis angewendet und dabei wesentlich weiterentwickelt und verfeinert. Das gewählte Vorgehen wird verallgemeinert in Abb. 9 skizziert und in Abb. 10 in seiner speziellen Form dargestellt. Den Kern einer prospektiven GFA bildet also die Abschätzung vorher ermittelter Regelungsalternativen im Hinblick auf ihre Folgen: hauptsächlich unter Mitarbeit von Experten und Normadressaten; wobei auch geprüft wird, ob überhaupt eine Regelung notwendig ist. Jede neue Rechtsvorschrift verursacht Kosten (es entstehen eben nicht "keine Kosten"!), bei der GFA interessieren vor allem die längerfristigen Folgekosten wiederum im Vergleich mit erreichbaren Effekten. Zu den Regelungsalternativen "Wald" wurde eine grobe Effektivitäts-KostenAbschätzung (EKA) vorgenommen (vgl. Abb. 11). Die Regelungsalternative R 1 (vgl. Abb. 10) wurde schließlich als Grundlage für die rechtsförmige Gestaltung eines Referentenentwurfs LandesWaldG empfohlen, weil sie sich am besten in die systemische Entwicklung zur transindustriellen Gesellschaft einpaßte und weil sie sich durchgängig kohärent zu den politischen Zielen verhält. Nach anfanglicher Skepsis einiger Beteiligter gegenüber der prospektiven GFA wurden die Vorteile diese Vorgehensweise letztlich von allen erkannt, denn jeder hatte durch das Verfahren systematisch gewonnene und in sich konsistente Regelungsalternativen vorliegen und eine "vertiefte" Einsicht in deren potentielle Folgen gewonnen. Es sind nicht zuletzt auch diese prozeduralen Erkenntnisse, die prospektive GFA erfolgreich machen.

I

Politik: • Problemwahrnehmung • Initiative zur Durch· führung einer GFA

t,

)IJo

Abb. 9: Allgemeines Verfahren der prospektiven GFA

. . . . . . . . .



- - -

Bewertung und Beurteilung der Regelungsalternativen durch repräsentativ ausgewählte Experten

L--·-·-·-·-·-·-·-· . . .

!( Szenario 2 Y !~

IRegelungsalternative 1j "Nullaltemative"

1j Systemanalysen

.

.:...J

j .

Politik: Auswahl einer folgenanalytisch abgeschätzten Regelungsalternative

Politik: • Zielvorgabe (Hauptziele) • Wissenstransfer (Politik- GFA)

r·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-·-· Prospektives GFA-Modul

Problemfeld xy z. B. Wald

""'"

~

[

1;0 0'

n

0

141

Gesetzesfolgenabschätzung (GFA): Modisch oder hilfreich? Prospektin Gesetzesfolgenabschätzung

Systemanalysen Komplex "Wald" (dynam. Interdependenzen) f - - - - - - - - - - - - - - i Ökologie Ökonomie • Gesellschaftliche Nutzung • Organisation

l

Waldpolitische Basisziele (Ministerium)

Entwicklung von Szenarien (als zusätzl. Bewertungshilfen)

Entwicklung und Prüfung von Programmalternativen (Regelungsoptionen)

R, Moderate staatliche Steuerung (weitgehende Selbstbestimmung plus staatliche Moderation) R2 Hierarchische staatliche Steuerung

-

L

Alternativen

R

c:

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- '2

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