Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam [2 ed.] 9783428536450, 9783428136452

Muslime wollen den Islam, ihre Religion, auch in Deutschland leben. Sie bauen Moscheen und Minarette, welche die Herrsch

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German Pages 141 Year 2011

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Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam [2 ed.]
 9783428536450, 9783428136452

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Karl Albrecht Schachtschneider

Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam

2., überarbeitete Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

KARL ALBRECHT SCHACHTSCHNEIDER

Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam

Karl Albrecht Schachtschneider

Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam

2., überarbeitete Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten # 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13645-2 (Print) ISBN 978-3-428-53645-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-83645-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 * ∞

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort zur Zweiten Auflage Diese Zweite Auflage hat vor allem dank der gründlichen Durchsicht von Wanja Dorner Mängel der Textverarbeitung beseitigt. Berlin, 13. April 2011

Karl Albrecht Schachtschneider.

Vorwort zur Ersten Auflage Die Religionsgrundrechte entfalten schicksalhafte Wirkung. Religionen beanspruchen höchste Verbindlichkeit für die Gläubigen. Sie haben die Entwicklung der Menschen und Völker tiefgreifend beeinflußt und bestimmen diese nach wie vor wesentlich. Religionen schaffen Frieden, vielfach mittels Befriedung. Sie führen aber auch zu Kriegen – Staatenkriegen, Bürgerkriegen oder Neuen Kriegen. Seit Jahrhunderten sind viele Gemeinwesen nicht religiös homogen, vor allem die des weitestgehend christlichen Westens nicht. Aus den Religionskämpfen des 16. und 17. Jahrhunderts ist der Moderne Staat erwachsen, jedenfalls in Deutschland. Dieser ist durch immer offeneren Religionspluralismus gekennzeichnet. Die Französische Revolution hat die Macht der Kirchen trotz allen Staatskirchentums und aller Sonderrechte für die Kirchen gebrochen. Die Verfassungen der Völker Europas sind jetzt säkularistisch, wenn nicht laizistisch. Das Gesetz des Staates behauptet um des inneren Friedens willen allgemeine und vorrangige Verbindlichkeit. Der Staat, mehr oder weniger religiös geprägt, respektiert die Religiosität der Menschen und deren unterschiedliche Religionen, ohne sich mit einer oder mehreren derselben identifizieren zu dürfen. Es kann aber nicht gegenläufige höchste Verbindlichkeiten geben, die des Gesetzes des Staates und die einer Heiligen Schrift. Sonst wäre die Allgemeinheit der Gesetze aufgehoben. Demgemäß muß religiöses Handeln sich die Grenzen gefallen lassen, die der Staat um des gemeinen Wohls, freiheitlich gesprochen, um des Rechts willen, zieht. Die Religionsverhältnisse sind wieder einmal im Wandel. Die Migration von Muslimen in die Staaten Europas hat den Islam zur Lebenswirklichkeit in Europa und auch in Deutschland werden lassen. Freilich kann der Islam weder in Deutschland noch sonst in einem europäischen Staat so gelebt werden wie in einem islamischen Land. Die Gesetze lassen das nicht zu. Aber die Möglichkeiten, nach den Geboten und Verboten des Islam zu leben, werden zunehmend ausgedehnt. Es werden Moscheen und Minarette gebaut, der Ruf des Muezzins ist zu hören, die Kleidung der Musliminnen genügt vielfach den islamischen Regeln und vieles mehr. All die Veränderungen werden mit einer Religionsfreiheit gerechtfertigt, ohne daß der politische Impetus dieser religiösen Unternehmungen gewichtet wird. Der Islam anerkennt die Säkularität von Re-

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Vorwort zur Zweiten Auflage

ligion und Politik/Staat nicht, wenn auch etwa in der Türkei, in der ganz überwiegend Muslime leben und aus der die meisten Muslime in Deutschland unmittelbar oder mittelbar stammen, der Laizismus im Verfassungsgesetz verankert ist. Viele Menschen in Europa und Deutschland, nicht nur Christen, Juden und Atheisten, sondern auch Muslime, fürchten eine Islamisierung der Lebensverhältnisse. Diese Sorge hat aufgeregte Erörterungen im privaten und öffentlichen Bereich ausgelöst, deren Grundlage meist ein überdehnter Begriff von Religionsfreiheit ist. Eine Lebensordnung, wie sie der Islam vorschreibt, wäre mit der im Prinzip aufklärerischen Verfassungsordnung jedenfalls des Grundgesetzes, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Deutschlands, schwerlich vereinbar. Die Lage drängt, die religionsverfassungsrechtliche Grundfrage nach den religionsfreiheitlichen Rechten neu zu bedenken, die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung nicht nur weit ausgedehnt, sondern auch, orientiert am Christentum, in einen denkbar hohen Rang gehoben hat. Allein schon die Zusammenfassung der Religionsgrundrechte zu einem Grundrecht der Religionsfreiheit, das mit den vorbehaltlosen Grundrechten der Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses identifiziert wird und allenfalls verfassungsrangigen Prinzipien anderer Art weichen muß, löst wegen des religionspluralistischen Vorranges des Staatlichen Bedenken aus, ganz abgesehen von der in das Grundgesetz inkorporierten Religionsverfassung Weimars. Grundrechte, die es zu rechtfertigen vermögen, die Verfassungsordnung umzuwälzen, kann es schon deswegen nicht geben, weil alle Deutschen das Recht zum Widerstand gegen jeden haben, der die Ordnung, die das Grundgesetz geschaffen hat, zu beseitigen unternimmt. Die Verfassungstreue ist eine Grenze jeden Grundrechts, nicht erst Schranke von Grundrechtsausübungen. Auch die Religionsgrundrechte lassen es nicht zu, daß die Erste Welt, das Diesseits, von Vorstellungen einer Zweiten Welt, des Jenseits, beherrscht wird. Die Dogmatik der Religionsgrundrechte wirft die Fragen nach Meinen, Wissen und Glauben, nach Freiheit und Herrschaft, nach Diesseits und Jenseits, nach Grundrechten und Grundpflichten, nach Politik und Religion auf, die Frage nach dem Recht eines bürgerlichen Gemeinwesens in einem europäischen Europa, dessen fundamentales Prinzip die Einheit von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist. Professor Norbert Simon und Dr. Florian Simon haben die Studie über die Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam in ihr Verlagsprogramm aufgenommen und die Veröffentlichung in jeder Weise gefördert. Regine Schädlich hat wiederum wertvolle Hilfe geleistet. Dafür danke ich. Meine Frau hat meine dogmatischen und unvermeidlich auch politischen Überlegungen mit steten Hinweisen auf den guten Willen vieler Muslime und noch mehr Musliminnen begleitet, in der westlichen Welt so zu leben, wie es dieser auf Grund ihrer ebenso humanistischen wie christlichen vor allem aber aufklärerischen Entwicklung entspricht. Das soll auch möglich sein und bleiben. Nürnberg, 31. Oktober 2010

Karl Albrecht Schachtschneider

Inhaltsverzeichnis Das Problem Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Religionsfreiheitliche Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Religionsfreiheit in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 III. Glauben, Meinen, Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 IV. Begriff der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 V. Freiheitliche Rechtlichkeit, Vorrang des Staatlichen und Religionstoleranz . . . . . 31 VI. Neutralität/Nicht-Identifikation des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 VII. Grundrechtsschutz der pluralistischen Welt des Religiösen . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . 49 IX. Negative Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 X. Säkularisiertes Christentum – politischer Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 XI. Freiheitliche demokratische Grundordnung versus religiöse Politik . . . . . . . . . . 92 XII. Traditionsverpflichtete Kulturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 XIII. Vereinsrechtliche Aspekte politischer Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 XIV. Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Das Problem Religionsfreiheit Die Dogmatik der Religionsfreiheit hat in den sechzig Jahren der Bundesrepublik Deutschland trotz respektabler Bemühungen nicht zu einer für den realen Religionspluralismus tragfähigen Lehre gefunden. Die Problematik wurde einseitig aus der Perspektive des Christentums betrachtet, weil es lange keine existentiellen Probleme der Religionsausübung in Deutschland gab. Diese sind erst durch die Zuwanderung von Muslimen entstanden1. Die Auseinandersetzung um die Kopftücher muslimischer Lehrerinnen (BVerfGE 108, 282 ff.), um die Befreiung vom Sportunterricht (BVerwGE 94, 82 ff.) und um das Schächten (BVerwGE 112, 227 ff.; BVerfGE 104, 337 ff.) haben schon grundsätzliche Fragen aufgeworfen. Religionspluralismus wird zur existentiellen Zumutung, wenn Religionsausübung politisch wird, seit einiger Zeit auch in Deutschland. Die Dogmatik der Religionsfreiheit ist anhand vornehmlich der christlichen Religionen, namentlich der Fragen des Staatskirchenrechts, entwickelt und auf andere und andersartige Religionen angewandt worden. Die Dogmatik ist zu vertiefen, ja im Grundsätzlichen neu zu bedenken. Der Islam, der die Probleme aufwirft, ist fast allgemein als eine Weltreligion, eine der großen Weltreligionen, anerkannt2. Das sagt wenig über die Verfassungsrechtslage3, weist aber auf Artikel 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes, die sogenannte Religionsfreiheit, und auch Art. 140 GG hin, der die Religionsverfassung der Weimarer Reichsverfas-

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Ganz so St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, in: J. Isensee/W. Rees/ W. Rüfner, FS Joseph Listl, 1999, S. 239 ff.; F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, in: J. Bohnert u. a., FS A. Hollerbach, 2001, S. 149 ff. (155). 2 Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport. Die Antwort des Grundgesetzes auf eine religiöse Herausforderung, JZ 1999, 539; St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 243. 3 Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 540, hat „keinen Zweifel“ (wie viele), aus der Anerkennung des Islam als Weltreligion auf dessen Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu schießen; ebensowenig St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 243, der die religiösen Gehalte des Islam von den politischen zu unterscheiden versucht (passim), aber damit das Wesen desselben verkennt (dazu X. und XI.); ebenso St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 235 („die alte Weltreligion des Islam“ „selbstredend“ eine Religion im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG; behauptete Selbstverständlichkeiten verbergen oft Problemferne); auch A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa, 4. Aufl. 2006, S. 84 („selbstredend auch für die alte Weltreligion des Islam“, obwohl ihnen die Fragwürdigkeit des Islamismus vor allem wegen der islamischen Einheit von Religion und Staat wohl bewußt ist, S. 84 ff.).

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Das Problem Religionsfreiheit

sung weitgehend in das Grundgesetz inkorporiert hat. Der Gegenstand der Religionsfreiheit und deren Grenzen müssen erfaßt werden.

I. Religionsfreiheitliche Texte Aufschlußreich ist der Begriff der Religionsfreiheit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 (AEMR). In Art. 18 heißt es: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.“

Ähnlich, aber eher noch vorsichtiger, heißt es in Art. 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen vom 19. Dezember 1966 (IPbürgR), welcher die Menschenrechtserklärung näher entfaltet: (1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden. (2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde. (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind. (4) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.

In der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats vom 4. November 1950 (EMRK) heißt es enger in Art. 9: (1) „Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. (2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffent-

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I. Religionsfreiheitliche Texte lichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“4

Das Menschenrecht5 der Religionsfreiheit umfaßt somit außer der Freiheit, eine Religion zu haben und zu wechseln, die Freiheit, seine Religion zu „bekunden“ bzw. zu „bekennen“. Das kann allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst oder Vollziehung von Riten (und auch Bräuchen), aber auch durch Unterricht geschehen. Es bleibt aber immer nur die Freiheit, die Religion zu bekunden oder zu bekennen. Hinzu kommt das Recht, die Religion weiterzugeben, also andere, insbesondere die Kinder, in der Religion zu unterrichten. Das macht Absatz 3 von Art. 18 IPbürgR genauso deutlich wie Absatz 2 des Art. 9 EMRK; denn nur für die Freiheit, die Religion zu bekunden und zu bekennen, wird überhaupt eine Einschränkung, die nur durch Gesetz erfolgen darf, geregelt. Eine allgemeine Religionsausübungsfreiheit kennen somit die Menschenrechtstexte nicht. Auch die in Art. 18 AEMR und Art. 18 IPbürgR genannte „Ausübung“ ist lediglich eine Form der Bekundung. In Art. 9 EMRK kommt das Wort Ausübung nicht vor. Das Menschenrecht der Religionsfreiheit ist somit auf das religiöse Bekunden oder Bekennen und das Unterrichten der Religion begrenzt und umfaßt nicht das Leben und Handeln nach der Religion. Der Text des deutschen Grundrechts, das irreführend mit dem Schlagwort Religionsfreiheit belegt wird, weicht von diesen Formulierungen ab, ohne mehr Rechte einzuräumen. Art. 4 Abs. 1 GG erklärt „die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“ für „unverletzlich“.

Weniger präzise als die Texte der Menschenrechtserklärung ist Absatz 2 des Art. 4 GG, der lautet: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“.

Dieses Grundrecht schützt, wie unten zu II dargelegt wird, die Freiheit des Bekundens und Bekennens. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses ist die Freiheit, das Credo, die Confessio selbst zu bestimmen, welche das Prinzip: Cuius regio eius religio, überwunden hat. Der Text schließt an den Wortlaut des Religionsgrundrechts der Weimarer Reichsverfassung an. Art. 135 WRV lautete: „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.“ 4 Dazu Th. Traub, Der Islam im Völker- und Europarecht, in: ders., Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, 2008, S. 273 ff. (S. 278 ff.). 5 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: ders./D. Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Bd. 2. Aufl. 1994, § 14, S. 439 ff. (448).

I. Religionsfreiheitliche Texte

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Wichtig ist, daß die in diesem Grundrecht geschützte Gewissensfreiheit die tradierte religiöse Bekenntnisfreiheit ist (dazu II.). Diese Grundrechtsbestimmung wurde durch die Artikel 136 bis 141 WRV ergänzt, die außer Art. 140 WRV (Religionsausübung der Wehrmachtsangehörigen) durch Art. 140 GG in das Grundgesetz mit Verfassungsrang inkorporiert sind (BVerfGE 19, 226 (219, 236); 53, 366 (400); 70, 138 (167))6 und für die Religionsverfassung von bestimmender Relevanz sind, insbesondere Art. 136 Abs. 1 WRV, der lautet: „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“

Diese Vorschrift klärt den Vorrang der staatlichen Rechtsordnung vor der Ausübung der Religionsfreiheit. Dieses Rangverhältnis wird durch Absatz 2 des Art. 136 WRV bestätigt: „Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis“.

„Unter Religion oder Weltanschauung“ versteht das Bundesverwaltungsgericht „eine mit der Person des Menschen verbundene Gewißheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens; dabei lege die Religion eine den Menschen überschreitende und umgreifende (,transzendente) Wirklichkeit zugrunde, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche (,immanente) Bezüge beschränke“ (BVerwGE 90, 112 (115) mit Hinweis auf BVerfGE 32, 98 (108); BVerwGE 37, 344 (363); 61, 152 (154, 156))7. Diese Definition ist eine unter vielen und bedarf für die folgende religionsverfassungsrechtliche Dogmatik keiner Kritik. Eine Interpretation beider Absätze des deutschen Grundrechts ergibt, daß die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung nicht mehr Rechte gibt als die menschenrechtlichen Texte, nämlich das Recht zum religiösen Kultus, insbesondere zum Gottesdienst, das Recht, kultische Bräuche und Riten zu praktizieren, soweit das dem Glauben dient, aber auch die Religion durch Unterricht weiterzugeben, zusammengefaßt, öffentlich oder privat die Religion zu bekunden oder zu bekennen. Die Auslegung des Art. 4 GG muß mit Art. 136 WRV und im übrigen auch mit den weiteren aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz inkorporierten Artikeln übereinstimmen. Auch Art. 141 WRV handelt wiederum nur von dem „Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten“, nicht von sonstigen religiös bestimmten Handlungen. Der Gegenstand der „Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“, die Art. 4 Abs. 1 GG schützt, erschließt sich nicht ohne weiteres aus dem Wort „Bekenntnis“, das meist als das Bekennen im Sinne der Menschenrechtserklärungen (miß)verstanden wird, aber gemäß der Jahrhunderte alten „Gewissensfreyheit“ wie 6 7

St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 239 ff. (254). Zustimmend A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 55.

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I. Religionsfreiheitliche Texte

auch noch in Art. 135 S. 1 WRV die „Gewissensfreiheit“8 die Freiheit der Konfession (confessio; credo) meint (dazu II.). Das Bekennen des Glaubens ist Schutzgegenstand des Grundrechts der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG (dazu II.). Die Freiheit des Gewissens hat erst im Grundgesetz einen neuen Begriffsgehalt gefunden.

8 G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Kommentar, 14. Aufl. 1933 (WRV. Komm.), Art. 135 Anm. 3 und 4, im Anschluß an Art. 12 der preußischen Verfassungsurkunde von 1850.

II. Religionsfreiheit in der Praxis Die Praxis und herrschende Lehre in Deutschland verbinden die beiden ersten Absätze des Artikels 4 des Grundgesetzes zu einem einheitlichen Grundrecht der Glaubens- oder Religionsfreiheit (BVerfGE 24, 236 (245 f.); 32, 98 (106); 33, 23 (28); 41, 29 (49); 83, 341 (354); 93, 1 (15); 104, 337 (346 f.); 108, 282 (297); st. Rspr.; BVerwGE 94, 82 (83, 88 f., 91); 112, 207 (230))9 und dogmatisiert dieses Grundrecht nach Absatz 2 der Vorschrift, also gewissermaßen als Recht zur, nicht als Gewährleistung ungestörten/r Religionsausübung. Dieses Gesamtgrundrecht wird als Religionsfreiheit (BVerwGE 90, 112 (115 f.))10 „extensiv“11 entfaltet, „weil die Religionsfreiheit nicht mehr wie in Art. 135 WRV durch einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt eingeschränkt ist, …, nicht nach Art. 18 GG verwirkt werden kann und darüber hinaus durch verfassungsrechtliche Sonderregelungen geschützt ist (vgl. Art. 3 Abs. 3; Art. 33 Abs. 3 GG, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV; Art. 136 Abs. 4 WRV; Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG, Art. 7 Abs. 2 GG)“ (BVerfGE 24, 236 (246); 33, 23 (29); 35, 366 (376); zum Argument Art. 135 WRV auch BVerfGE 44, 37 (49); zum fehlenden Gesetzesvorbehalt auch BVerfGE 52, 223 9

Etwa J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 446 ff., 450, 452 ff.; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Komm., 5. Aufl. 2005, Bd. 1, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 10, 37 ff.; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 54 (Überschneidung von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG); dezidiert A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 50 f., 53 ff.; U. Sacksofsky, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 7 ff. (15); St. Muckel, in: de Wall/Muckel, Kirchenrecht, 2009, § 10, Rdn. 1; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311 ff.; kritisch St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 241 f.; ders./R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, in: ders., Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, 2008, S. 234 ff. (242 ff.); ders., in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 3. 10 Repräsentativ J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 440 ff., 446 f., 448 f., 452 ff.; P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, in: Benda/Maihofer/ Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 29, 1425 ff., Rdn. 7 ff., S. 1431 ff.; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311; M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven, 2001, S. 75 ff.; kritisch F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 153 ff., 157 ff. 11 Hinweise wie zu und in Fn. 9 f.; beispielhaft J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 440 ff., 452 ff.; St. Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, in: J. Isensee/ P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, Freiheitsrechte, 3. Aufl. 2009, § 161, Rdn. 1 ff., 51 ff.; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 55; F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 154, 156, 166, der empfiehlt, „nach jahrzehntelangem Expansionskurs“ zur „grundrechtsdogmatischen Normalität“ zurückzukehren.

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II. Religionsfreiheit in der Praxis

(246 f.))12. Dem (zu) weiten Schutzbereich setzt die Praxis gezwungenermaßen wenig bestimmte und damit beliebig einschränkbare oder erweiterbare Schranken entgegen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG seien vorbehaltlos, aber wegen der „Einheit der Verfassung“ nicht schrankenlos (gute Skizze BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 536/03, vom 2. Oktober 2003, Rdn. 15, DVBl 2004, 263). Die Dogmatik der Schranken oder besser Grenzen der Religionsfreiheiten wird zu VIII. erörtert. Die Aspekte, welche das Bundesverfassungsgericht für die weite Interpretation des Religionsgrundrechts anführt, zwingen im Gegenteil zur engen Interpretation der religionsgrundrechtlichen Freiheiten und zum Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen (dazu VIII.). Das Religionsgrundrecht soll das Recht schützen, so zu leben und zu handeln, wie es die Religion gebietet, d. h. sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und den inneren Glaubensüberzeugungen gemäß zu handeln (BVerfGE 24, 236 (264); 32, 98 (106); 33, 23 (28); 41, 29 (49); 93, 1 (15); 108, 282 (297))13. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Kopftuchentscheidung ausgesprochen: „Es (sc: das Grundrecht der Glaubensfreiheit) erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen“ (BVerfGE 108, 282 (297), so schon BVerfGE 32, 98 (106 f.); 33, 23 (28); 41, 29 (49))14.

Die Glaubensfreiheit stellt das Bundesverfassungsgericht (wie das Zweite Vatikanische Konzil, vgl. Nr. 73 ff. der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes vom 7. Dezember 1965 und auch Nr. 4 ff. der Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis

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Zustimmend A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 55. J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 452 ff.; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 50, 72; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 37; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/ Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 16; ders./H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 51, 57 f., 72; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 63; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm. 4. Aufl. 2007, Art. 4, Rdn. 55, 64; U. Sacksofsky, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), 15; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften. Vom Religionsprivileg des Vereinsgesetzes zum Vereinigungsverbot, 2004, S. 119; kritisch etwa F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 159; S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates. Eine liberale Interpretation der Verfassung, 2002, S. 376 ff., insb. S. 382; St. Muckel, Kirchenrecht, § 10, Rdn. 1; M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. S. 77. 14 Dem folgt, wie meist, kritiklos, ja naiv, die Literatur, etwa G. Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 231 ff. (237); Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 541; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 57; kritisch u. a. St. Muckel/R.Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 242 f. 13

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humanae) in „enge Beziehung“ zur Menschenwürde15 als „oberstem Wert“, die es ausschließe, „Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Glaubenshaltung fließen, ohne weiteres den Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten – unabhängig von seiner glaubensmäßigen Motivierung – vorsieht“ (BVerfGE 32, 98 (108); auch BVerfGE 33, 23 (29); 35, 366 (376); 52, 223 (247)). Diese Verstärkung der religiösen Freiheiten läßt sich nicht nur nicht aus der Menschenwürde herleiten, sondern widerspricht deren aufklärerischen Begriff als der Autonomie des Willens16. Sie entsprach dem starken christlichen Selbstverständnis Westdeutschlands der Nachkriegszeit17 nach dem antichristlichen Wertverfall des totalitären Nationalsozialismus. Einem wirklichen Religionspluralismus ist eine solche geradezu ideologische Überhöhung des Religiösen („erheblich verstärkte Tragweite der Glaubens- und Gewissensfreiheit“, „an der Spitze der Verfassung unmittelbar verbürgte Grundrechte“ BVerfGE 33, 23 (30 f.); BVerwGE 94, 82 (86)) nicht gewachsen. Derartige verbale Erhöhungen von Grundrechten oder sonstiger Regelungen haben keinerlei Textgrundlage. Sie sind Ergebnisse zu legitimieren bemüht, die textgebunden nicht begründbar sind. Alle Grundrechte transferieren Menschenrechte in das Verfassungsgesetz und sind gewissermaßen Materialisierung der Menschenwürde. Freilich müsse das durch die Religionsfreiheiten geschützte Verhalten (ernsthaft) von einer religiösen Überzeugung getragen und dürfe nicht anders motiviert, nicht bloß Vorwand, sein (BVerwGE 90, 112 (118); 94, 82 (87 f.); BVerfGE 83, 341 (353); 105, 279 (293))18. 15

Vgl. J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 443, 446; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 52; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 3; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 127; auch M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate, FS M. Kriele, 1997, S. 281 ff. (299); H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311 ff. (326 f., 331). 16 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, ed. Weischedel, 1968, Bd. 6, S. 59 f., 63 f.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 2007, S. 41, auch S. 19 ff. 17 St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 241. 18 W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 452 ff.; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 541, 542; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 70, 80; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 21; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 56; St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 240; referierend R. Scholz, „Neue Jugendreligionen“ und Grundrechtsschutz nach Art. 4 GG, NVwZ 1992, 1152 ff.; gegen den religionsfreiheitlichen Schutz der „Scientology-Kirche“ BAG NJW 1996, 143 (Vorwand für wirtschaftliche Zwecke); OLG Düsseldorf, NJW 1983, 2574 f. (keine Eintragung einer Scientology-Niederlassung ins Vereinsregister); anders VGH Mannheim, DVBl 2004, 523; vgl. auch BVerwGE 90, 112 (116)); H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate, FS M. Kriele, 1997, S. 321 ff. (334); richtig F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 156, 158, 166; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 40, 55; St. Muckel, Kirchenrecht, § 10, Rdn. 16; kritisch

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Ein derart weites Verständnis der religiösen Freiheiten als Religionsfreiheit begründet eine religionsbestimmte allgemeine Handlungsfreiheit19, zumal das Bundesverfassungsgericht den Religionsgemeinschaften prinzipiell (wie schon das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 in § 1 des Eilften Titels des Zweyten Teils, also der große Friedrich) das Selbstverständnis ihrer Religion zugesteht (BVerfGE 24, 236 (247 ff.); 33, 23 (29 f.); 35, 366 (375 f.); 53, 366 (399, 401); 57, 220 (243); 70, 138 (164); 83, 341 (353))20, zu Recht; denn es würde die religiöse Selbstbestimmung zutiefst verletzen, wenn der Staat vorschreiben wollte, welches der Glaube ist, den ein Mensch zu haben hat. Die Glaubensfreiheit steht gegen das ius reformandi, die Religionshoheit des Landesherrn, also dessen Recht, den Untertanen einen/den Glauben vorzuschreiben21. Sie schließt den Glaubenswechsel und die Aufgabe des Glaubens ein22. Wegen der persönlichen und gemeinschaftlichen Definitionsautonomie des Religiösen ist die wesentliche Rechtsfrage, welche Rechte der gläubige Mensch wegen

K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 158, 164 ff., 167 f., 168 ff., die sogar Scientology den Schutz des Religionsgrundrechts zuspricht (S. 170 ff.); vgl. auch dies., Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 48 f.; zum religionsfreiheitlichen Schutz wirtschaftlicher Betätigung A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 80 ff. 19 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, ErgL. Nov. 1988, Art. 4, Rdn. 105 (kritisch); dagegen auch Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 541; F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 153; nicht unkritisch J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 462 f.; kritisch auch J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 16; St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 243. 20 P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 14, S. 1438; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4, Rdn. 102; M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 299; H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 333; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 444 ff. (449 ff., 452 ff.); K.-H. Kästner, Das Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AÖR 123 (1998), S. 408 ff. (409 ff.); Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 541; St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung. Die verfassungsrechtlichen Garantien religiöser Freiheit unter geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen, 1997, S. 61 ff.; ders., Kirchenrecht, § 10, Rdn. 10, 12 ff.; St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 246; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 51. 55 f.; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 119, 121 ff., 125, 127; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 64, 69; U. Sacksofsky, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 17 f.; Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 74 ff.; eher kritisch F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 155, 157 f.; allgemein M. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993. 21 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 455; vgl. auch R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 6 (Friedrich der Große: „keine Zwangsgesetze“ über den Glauben). 22 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 455.

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seiner Gläubigkeit im staatlichen Gemeinwesen hat23. Als Prinzip der jenseitigen, transzendenten Zweiten Welt (dazu zu III. und X.) ist die Selbstverständnislehre (Bestimmung der religiösen Imperative) unausweichlich24 und für das Gemeinwesen gefahrlos; als Recht in der diesseitigen Ersten Welt ist ein Recht des Selbstverständnisses der grundrechtlich geschützten Religionsausübung, wie das Bundesverfassungsgericht die Glaubens- oder Religionsfreiheit praktiziert, untragbar25. Ernst genommen würde es das Gemeinwesen zerstören. Eine handlungsleitende selbstverstandene Religion ist in der Republik staatswidrig. Die Grenzen des Grundrechtsschutzes, zumal eines (vermeintlich) vorbehaltlosen Grundrechtsschutzes, kann (gemäß der Menschheit des Menschen und damit der Menschenrechte) nur der Staat definieren. Nur eine beliebige Schrankendogmatik26 erlaubt es, ein Selbstverständnis des geschützten religiösen Handelns hinzunehmen, solange das Bundesverfassungsgericht die religiösen Rechte in seiner funktional gesetzgebenden Judikatur27 für das Gemeinwohl erträglich zumißt. Das Gericht flüchtet sich ohne Dogmatik in abwägende Einzelfallentscheidungen28, wie auch sonst in seiner Praxis zumal die der vorbehaltlosen Grundrechte29, vor allem weil es die Republik nicht begreift, die Deutschland verfaßt hat, und noch weniger deren Grundlage, die Freiheit. Näher an der Verfassung und dem Verfassungsgesetz hat das Gericht in der frühen Rechtsprechung Religionsausübungen, welche „den Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker“ überschreiten, vom Schutz des Religionsgrundrechts ausgeschlossen (BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (246); BVerwGE 61, 152 (160); 94, 82 (87); BGHZ 38, 317 (320 f.); Kulturadäquanzformel)30. 23 Richtig F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 156, 157 f.; Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 75 f.; St. Muckel, Kirchenrecht, § 10, Rdn. 13. 24 R. Poscher, Vereinsverbote gegen Religionsgemeinschaften? – Die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz als Akt unbewußter symbolischer Gesetzgebung –, KritV 85 (2004), S. 298 ff. (305 f.). 25 R. Poscher, Vereinsverbote gegen Religionsgemeinschaften? KritV 85 (2004), S. 305 f. 26 Kritisch auch St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 242, 254; F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 156, 159 ff. 27 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi. Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre. Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, 1994, S. 858 ff. 28 Richtige Kritik bei F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 156, 160 ff.; St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 16 ff.; ders., Kirchenrecht, § 10, Rdn. 14. 29 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 522 ff. 30 So J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 452; R. Zippelius, Grundgesetz, Bonner Kommentar, Drittbearbeitung, 1989, Art. 4, Rdn. 85 (nicht geschützt sind Polygamie, Menschenopfer, Tempelunzucht, Witwenverbrennung usw.), deutlicher die Zweitbearbeitung, Art. 4, Rdn. 47, 62 ff.; referierend R. Scholz, „Neue Jugendreligionen“ und Grundrechtsschutz nach Art. 4 GG, NVwZ 1992, 1155; vgl. W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 447 ff. (kritisch); dagegen auch M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 67; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 126, 182; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundge-

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Als religiöse allgemeine Handlungsfreiheit steht die (sogenannte) Religionsfreiheit im Widerspruch zur politischen Freiheit und kann Art. 4 GG zur Grundlage einer religiösen Spaltung der Bürgerschaft werden31. Eine „schrankenlose Ausweitung der aus einem Grundrecht hergeleiteten Befugnisse muß zur Auflösung der Gesamtordnung führen“ hat der Bundesgerichtshof richtig erkannt. Nicht jede Handlung könne religiös gerechtfertigt werden (BGHZ 38, 317 (320); so auch BVerwGE 112, 207 (232), gegen das Bundesverfassungsgericht). Eine Religionsfreiheit schützt das Grundgesetz überhaupt nicht, schon gar nicht eine derart weitgehende. Es schützt die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (nicht des Bekennens32) und eben die, keinesfalls in der Glaubens- und der Bekenntnisfreiheit aufgehende (a.A. BVerfGE 24, 236 (245); 32, 98 (106); auch BVerfGE 53, 366 (387))33, ungestörte Religionsausübung34, die etwa als tätiges Christentum die diakonische oder karitative Tätigkeit umfaßt (BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (246 ff.); 30, 112 (119 f.); 42, 312 (321 f.); 46, 73 (83 ff.); 53, 366 (387 f., 391 ff.); 57, 220 (243); 70, 138 (164))35, aber auch die Missionsfreiheit36. setz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 14; St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 238 f. 31 F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 156, spricht von „theokratisch inspirierter Anarchie“; ähnlich J. Hellermann, Multikulturalität und Grundrechte – am Beispiel der Religionsfreiheit, in: Ch. Grabenwerter u. a., Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft, 1994, S. 129 ff. (135). 32 So aber St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 243, die „Bekenntnis“ und „Bekennen“ explizit identifizieren; so auch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, ErgL. Nov. 1988, Art. 4, Rdn. 6 ff., 63 ff., 81 ff., der das Religionsgrundrecht in drei Stufen ordnet, Schutz des Denkens durch die Glaubensfreiheit, des Redens (und Verkündens) durch die Bekenntnisfreiheit und des Handelns durch die Religionsausübungsfreiheit. 33 A.A. J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 456 f., 468; A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, Freiheitsrechte, 3. Aufl. 2009, § 157, Rdn. 51, 83; ders./H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 54, 65, die sogar „unmittelbare Wahlempfehlungen“ als durch die Bekenntnisfreiheit geschützt sehen; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 11 f., 36, 58; weitgehend auch R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 94 ff. 34 Für eine differenzierte Schutzbereichslehre der verschiedenen religiösen Freiheiten St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 61 ff., 125 ff.; F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 157 ff.; an sich auch H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 10 ff., 32 ff., 58 ff., der das mangels Kenntnis des Begriffs des Bekenntnisses nicht durchhält; gegen die Differenzierung der Schutzbereiche klar A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 54 („Die im Grundgesetz verwendeten Begriffe der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie der freien Religionsausübung stellen heute weitgehend Synonyme dar, die sich überlagern und überschneiden“ und: „begrifflich schwer unterscheidbare historisch bedingte Stufen des Art. 4 I GG“(?)). 35 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 440 f., 460 ff.; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 105; K. A. Schachtschneider, Aspekte der

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Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses hat das Glaubensbekenntnis der Kirche oder Glaubensgemeinschaft, die Konfession, zum Gegenstand. So ist auch der Bekenntnisbegriff in Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG37, aber auch in § 11 Abs. 1 WPflG zu verstehen, der Geistliche evangelischen und römisch-katholischen Bekenntnisses und anderer Bekenntnisse vom Wehrdienst befreit (BVerwGE 34, 291 (293 ff., 297 ff.); 61, 152 ff.)). Das Bekenntnis war in der europäischen und deutschen Geschichte wirkmächtig, beispielhaft das Nizänische Credo von 325, das Augsburgische Bekenntnis, die Confessio Augustana vom 25. Juni 1530 also, das Apostolische Credo oder eben das Bekenntnis, das Katholiken und Protestanten bis auf einen Unterschied gleichlautend bekennen und das noch heute zu Auseinandersetzungen führt38. Das Bekenntnis ist Ausdruck des Glaubens. Das Grundrecht hat seinen Ursprung in der „Gewissensfreyheit“ des Westfälischen Friedens und war darin auf die drei reichsrechtlich anerkannten Bekenntnisse beschränkt, nämlich das römisch-katholische, das evangelische und das reformierte. Diese „Gewissensfreyheit“ relativierte das „ius reformandi“ („cuius regio, eius est religio“)39 durch ein begrenztes Toleranzprinzip im Interesse der friedlichen Einheit, der von Erasmus von Rotterdam gelehrten „pax“, „tolerantia“ und „concordia“ (Eintracht), nämlich das „beneficium emigrandi“ (schon im Augsburger Religionsfrieden 1555) und dann das „ius emigrandi“ 1648. Die „Gewissensfreyheit“ gab aber auch das Recht zur privaten (nicht zur öffentlichen) Religionsausübung, zu einem einfachen Hausgottesdienst nämlich40. Keinesfalls ist die „BeInnovation in der Diakonie aus staats- und wettbewerbsrechtlicher Sicht, 2003, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005, S. 348 ff. (352 ff., 357 ff.); A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 82; St. Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, HStR, § 161, Rdn. 51 ff.; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 59 f. 36 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 457, der diese freilich unter die Bekenntnisfreiheit subsumiert; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 59. 37 H. de Wall, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen eines islamischen Religionsunterrichts, in: Deutsche Islam Konferenz, Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, 2009, S. 53 ff. (S. 55, 58 f.). 38 M. Heckel, Das Bekenntnis – ein Vexierbild des Staatskirchenrechts? in: J. Bohnert u. a., FS A. Hollerbach, 2001, S. 657 ff.; in der Literatur zu den religiösen Freiheiten ist der Begriff des Bekenntnisses so gut wie unbekannt, regelmäßig wird das Bekenntnis mit dem Bekennen verwechselt, etwa S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 173, 387 ff.; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 10 ff., 36. 39 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 458; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 4 (nicht Glaubensfreiheit, sondern Glaubenszweiheit, ab 1648, Westfälischer Frieden, galt das ius reformandi auch für den reformierten Glauben), der in Rdn. 10 darauf hinweist, daß im Gewissen der Wille Gottes zum Ausdruck kam; vgl. auch A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 11 ff. 40 Dazu G. Besier, Toleranz XI – XIII, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, 1990, S. 472 ff., insb. S. 496; W. Schulze, Pluralismus als Bedrohung. Toleranz als Lösung, in: 350 Jahre Westfälischer Frieden – Weichenstellungen und Widerhall eines europäischen Ereignisses, 1996, 1998, S. 63 ff.; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 4.

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II. Religionsfreiheit in der Praxis

kenntnisfreiheit“ (eine fragwürdige Umformulierung der „Freiheit des … Bekenntnisses“) eine „lex specialis gegenüber der nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Meinungsfreiheit“41 (in diesem Grundrecht wird „das Recht, seine Meinung … frei zu äußern und zu verbreiten“, geschützt, aber keine Meinungsfreiheit). Als Bekenntnisfreiheit wurde die Gewissensfreiheit noch in Art. 135 S. 1 WRV verstanden42. Die Unterscheidung der Bekenntnis- als Gewissensfreiheit und des Rechts zur Religionsausübung unter dem Vorrang des staatlichen Rechts hat somit in Deutschland Jahrhunderte alte Tradition. Zur bekennenden Religionsausübung gehören nicht nur „kultische Handlungen und Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozession, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens“ (BVerfGE 24, 236 (246))43. Auch Art. 136 WRV handelt nur von der „Ausübung der Religionsfreiheit“, weil die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit allein das Geistliche betreffen und darum „unverletzlich“ sind. Die Religionsausübung entfaltet sich demgegenüber auch im Weltlichen. Der säkulare Staat ist offen für die freie Entfaltung des Religiösen (vgl. BVerfGE 41, 29 (50)), wenn dieses entpolitisiert ist, aber

41 So aber St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 245; schon R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, ErgL. Nov. 1988, Art. 4, Rdn. 83; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 95 („religiöse Meinungsäußerung“); auch J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 30. 42 G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Kommentar, 14. Aufl. 1933 (WRV. Komm.), Art. 135, Anm. 3 und 4, im Anschluß an Art. 12 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, der die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und die häusliche und öffentliche Religionsausübung schützte und die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte von dem religiösen Bekenntnis anordnete, aber auch, daß durch die Religionsausübung den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten kein Abbruch geschehen dürfe, also wegweisend für die grundgesetzliche Regelung war; in diesem Sinne auch die Freiheit des Gewissens und der Religions-Übung in § 30 S. 1 der Verfassung des Hessischen Kurfürstentums vom 5. Januar 1831, die in § 30 S. 2 ebenfalls den Vorrang der gesetzlichen Verbindlichkeiten vor der Religion klargestellt hat; ähnlich bereits §§ 1 bis 3, 7 ff., 11 ff. des Eilften Titels des Zweyten Theils des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten vom 5. Februar 1794 (§ 2: „vollkommene Glaubensund Gewissensfreyheit“). 43 H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 333; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 102 ff.; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 55; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 76; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 59; zur Glaubensfreiheit näher A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 157, Rdn. 57 ff., zur Bekenntnisfreiheit Rdn. 70 ff., zur ungestörten Religionsausübung Rdn. 83 ff.; St. Muckel, in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 28 ff.; St. Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, HStR, § 161, Rdn. 5; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 36, 58 ff.

II. Religionsfreiheit in der Praxis

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nicht für religiös bestimmte Politik44. Das bundesverfassungsgerichtliche Grundrecht der Religionsfreiheit beansprucht einen weitergehenden Gehalt. Die gerichtliche Praxis und die dieser folgende Lehre haben den Begriff der Religionsausübung an der christlichen Religion und deren Praxis in den Konfessionen orientiert. Die religiösen Pflichten des Christen gehen durchaus weiter als das, was in Deutschland gelebt wird, weil die deutsche Rechtsordnung es nicht zuläßt, uneingeschränkt dem christlichen Glauben gemäß zu leben. Das gilt erst recht für den Islam und das Handeln und Leben der Muslime (dazu X. 2. und XI. 2.). Allein schon der Schutzbereich, den das Grundrecht der Religion mit seinen Texten absteckt, ist eng und schützt ein Leben und Handeln nicht in dem Umfang, welcher den heiligen Schriften entspricht. Der zu III. 1. dargelegte Begriff des Glaubens im Grundrecht der Freiheit des Glaubens macht das deutlich. Keinesfalls kann sich ein Gläubiger oder eine Glaubensgemeinschaft auf den Schutz der Religion berufen, wenn er diesen Schriften die Rechtsordnung insgesamt oder auch nur weitgehend abgewinnen will.

44 A.A. M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 285 f., der dem Religiösen gesellschaftliche und staatliche Relevanz beimißt.

III. Glauben, Meinen, Wissen 1. Der Leitbegriff des Religionsgrundrechts des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist der des Glaubens. Deswegen spricht das Bundesverfassungsgericht auch von der „Freiheit des Glaubens“ (BVerfGE 108, 282 (297)) und scheint meist eine Religionsfreiheit zu meinen. Reinhold Zippelius definiert Glauben so: „das von Gott Geoffenbarte für wahr halten“45. Der Begriff des Glaubens ist von den Begriffen des Meinens und des Wissens zu unterscheiden. Meinen, Glauben, Wissen sind im Laufe der Begriffsgeschichte sehr verschieden definiert worden. Kant versteht das „Meinen“ als „vorläufiges Urteil“, ein „Fürwahrhalten“, das „weder subjektiv noch objektiv hinreichend ist“. Das „Glauben“ als „das Führwahrhalten aus einem Grunde, der zwar objektiv unzureichend, aber subjektiv zureichend ist, bezieht sich auf Gegenstände, in Ansehung derer man nicht allein nichts wissen, sondern auch nichts meinen, ja nicht einmal Wahrscheinlichkeit vorwenden, sondern bloß gewiß sein kann, daß es nicht widersprechend ist, sich dergleichen Gegenstände zu denken, wie man sie sich denkt.“ „Sachen des Glaubens sind also keine Gegenstände des empirischen Erkenntnisses“ und „auch keine Objekte des Vernunfterkenntnisses (Erkenntnisse a priori), weder des theoretischen, z. B. in der Mathematik und Metaphysik; noch des praktischen in der Moral“ („die Rechte und Pflichten“). Der Glaube hat die „Möglichkeit des höchsten Gutes als Objekt der Willkür, mithin auch die Bedingung der Möglichkeit“ zum Gegenstand, nämlich „Gott, Freiheit und Unsterblichkeit“. „Wissen“ ist das „Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde, der sowohl objektiv als auch subjektiv zureichend ist, oder die Gewißheit ist entweder empirisch oder rational, je nachdem sie entweder auf Erfahrung – die eigene sowohl als die fremde mitgeteilte – oder auf Vernunft sich gründet. Diese Unterscheidung bezieht sich also auf die beiden Quellen, woraus unser gesamtes Erkenntnis geschöpft wird: die Erfahrung und die Vernunft“46. Die Unterscheidungen Kants sind für die grundrechtlichen Begriffe des Grundgesetzes wegweisend. Als grundrechtliche Leitbegriffe der Grundrechte in Art. 4 GG (Abs. 1 „Freiheit des Glaubens“) und Art. 5 GG (Abs. 1 S. 1 „Recht, seine Meinung … frei zu äußern und zu verbreiten“; Abs. 3 „… Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“) sind sie nicht nur dem aufklärerischen Wortlaut nach, sondern vor allem systemgerecht zu interpretieren. Danach sind sie so zu bestimmen, 45 R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 32; zum Verkünder des göttlichen Willens des Islam kritisch A. Geus, Die Krankheit des Propheten. Ein pathographischer Essay, 2011, S. 32 ff., 46 ff., durchgehend. 46 Logik (Einleitung IX D), ed. Weischedel, Bd. 5, 1968, S. 494 ff.; dazu J. Habermas, Die Grenze zwischen Glauben und Wissen. Zur Wirkungsgeschichte und aktuellen Bedeutung von Kants Religionsphilosophie, in: ders., Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, 2005, S. 216 ff.

III. Glauben, Meinen, Wissen

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daß die Grundrechte einen jeweils eigenen Regelungsbereich haben und sich nach Möglichkeit nicht überschneiden. Das ist schon den gänzlich unterschiedlichen Schrankenregelungen geschuldet. Glauben im Sinne der grundgesetzlichen Grundrechte ist somit weder Meinen noch Wissen47. Das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit ist kein Spezialgrundrecht gegenüber dem der Meinungsäußerungsfreiheit48. Meinen und Wissen beziehen sich auf Gegenstände der, wenn man die Zwei-Welten Lehre zugrunde legt, Ersten Welt, die empirisch durch Theorien erfaßbare Wirklichkeit und die dogmatisch bestimmte Praxis, also auf das Sein und Sollen, das wissenschaftlich erkannt werden kann. Die Aussage zur Wirklichkeit folgt der objektiven Erkenntnistheorie der Wahrheit, die auf der Konvergenztheorie beruht. Diese nutzt ausweislich des Kalkar-Beschlusses von 1978 auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 49, 89 (143)49. Dem Meinen und dem Wissen geht es um die Wahrheit und die Richtigkeit, um 1pist^lg und vq|vgsir, scientia und prudentia. Meinungsäußerung ist entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht schlicht die „Stellungnahme“, das „Dafürhalten, das Meinen im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung“, das irgendwie wertende Äußern (BVerfGE 65, 1 (41)), sondern der Beitrag zur Wahrheit und zur Richtigkeit50. Richtig erkennt das Bundesverfassungsgericht einen „wesentlichen Faktor“ der Meinungsäußerungsfreiheit darin, daß „es sich bei der zu beurteilenden Äußerung um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt“ (BVerfGE 7, 198 (212); 12, 113 (127); 24, 278 (282); 42, 163 (170)), weil das Grundrecht eminent politisch ist. Die Meinungsäußerungsfreiheit sieht es als „eines der vornehmsten Rechtsgüter der freiheitlichen Demokratie“ und „konstitutiv für die freiheitliche demokratische Staatsordnung“ (BVerfGE 5, 85 (134, 199, 206 f.); 7, 198 (208, 212); 20, 162 (174); st. Rspr.; BVerfGE 59, 231 (257 ff.); 69, 315 (342 ff.))51. Mitteilungen von Tatsachen sieht das 47

Richtig H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 10; ansatzweise auch St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 241; zum religiösen Wahn A. Geus, Die Krankheit des Propheten, S. 46 ff. 48 H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 335; a.A. St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 255. 49 Dazu K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“ im Atom- und Immissionsschutzrecht, 1988, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005, S. 121 ff. (141 ff.). 50 K. A. Schachtschneider, Medienmacht und Persönlichkeitsschutz, 2005, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005, S. 268 ff. (291), i.d.S. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, 1966, 10. Aufl. 1988, S. 194 f.; H. Arendt, Wahrheit und Politik, in: dies., Wahrheit und Lüge in der Politik, 2. Aufl. 1987, S. 52 f.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 439 f., der auf Fichte, Hegel und Bluntschli hinweist; K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 1968, S. 13; i.d.S. auch W. Schmitt Glaeser, Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 6 ff., 166 ff., (S. 167, eigene Meinung „Ergebnis eines rationalen Denkvorganges“, auch S. 168 f., Publizitätsprinzip dient Wahrheit und Richtigkeit). 51 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 588 f.; M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 99.

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III. Glauben, Meinen, Wissen

Gericht nicht als Äußerungen von „Meinungen“. Sie seien nur geschützt, „soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen“ seien (BVerfGE 61, 1 (8 f.); 65, 1 (4)). Die Meinungsäußerung kann richtigerweise Tatsachen oder Sollenssätze zum Gegenstand haben, Wirklichkeit oder Maximen des Handelns. An Tatsachen als Bildern von der Wirklichkeit, Theorien also, sind die Menschen eher mehr interessiert als an Sollenssätzen der Ethik, der Richtigkeit. Demgemäß sind Tatsachen und somit die Wahrheit unmittelbarer Gegenstand der Meinungsäußerungs- oder, wenn man so will, der Redefreiheit. Meinungen haben aber das Diesseits, nicht das Jenseits zum Gegenstand. Sonst wird die Äußerung zum Bekenntnis des Glaubens (oder der Weltanschauung52) und begibt sich in die Zweite, die transzendente Welt, in das „Erlebnis des Heiligen“, in den „heiligen Kosmos“53. Zum Wesen aller Religionen gehört „die Zweiteilung der Wirklichkeit in heilige und profane Sphären“54. Diese Unterscheidung liegt auch der Lehre von der doppelten Wahrheit zugrunde55. Die Wissenschaft hat keinen anderen Gegenstand als die Meinungsäußerung, aber die Lehre als die Verbreitung von Forschungsergebnissen, als die Äußerungen von (immer falsifizierbarem, kontingentem) Wissen im Sinne der Wissenschaftsfreiheit, beruht auf Erkenntnissen, die mittels anerkannter oder anerkennenswerter Methoden die Wahrheit und das Richtige ermittelt haben, „was nach Inhalt und Form als ernsthafter Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“ (BVerfGE 35, 79 (113); 47, 327 (367); 90, 1 (12))56. Die wissenschaftlichen Äußerungen sind Beiträge zur diesseitigen Wahrheit und Richtigkeit, die durch ihre Wissenschaftlichkeit ausgezeichnet sind. Glaubensbekenntnisse sind der Wissenschaftlichkeit nicht fähig. Glaubensüberzeugungen sind subjektive Gewißheiten, nicht objektives Wissen. „Dem Staat ist es verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder sie gar als ,richtig oder ,falsch zu bezeichnen“, hat das Bundesverfassungsgericht erkannt (BVerfGE 33, 23 (30)57 (dazu zu II.). Sie sind weder Theorien von der Wirklichkeit noch praktische Lehren vom Sollen, jedenfalls nicht in einem aufklärerischen Gemeinwesen. Sie gehören nicht zur Politik als der Lehre vom gemeinsamen Leben.

52 Dazu J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 452 f. („Gesamtsicht der Welt“, „Gesamthaltung zur Welt“, „Stellung des Menschen in der Welt“). 53 V. Krech, Religionssoziologie, 1999, S. 16 f., 17 ff.; vgl. M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 287; Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 66; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 19. 54 P. L. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie, 1973, S. 27. 55 Vgl. A. Brecht, Politische Theorie. Die Grundlagen politischen Denkens im 20. Jahrhundert, 1961, S. 57. 56 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 515. 57 Vgl. J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 449; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 541; i.d.S. auch M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 43.

III. Glauben, Meinen, Wissen

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Gegenstand der Politik ist die Rechtsetzung58. Diese muß wissenschaftlich begründet sein (BVerfG 1 BvL 1/09 vom 9. 2. 2010, Abs. 139, 144, 167, 169, 171, 176, 191)59. Glauben im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG hat demgegenüber einen transzendentalen Gegenstand, vor allem Gott, das ewige Leben und die Unsterblichkeit der Seele. Auf den Glauben an Gott (oder auch an Götter), das ewige Leben und die Unsterblichkeit der Seele oder sonst nicht wissenschaftlich erfaßbare Gegenstände ist somit die Freiheit des Glaubens begrenzt. Das folgt auch aus den menschenrechtlichen Ausübungsformen der Religionsfreiheit, nämlich „die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden“ (Art. 18 AEMR) oder „die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen“ (Art. 9 EMRK). Ein Recht, sein Wissen oder auch nur seine Meinung zu „wechseln“, wäre widersinnig; denn beide haben Gegenstände des Seins oder des Sollens, die nicht beliebig sind, sondern Objektivität haben60, jedenfalls bei allem Konstruktivismus Sein oder Sollen zugrundelegen. Wissen kann sich ändern. Man kann es berichtigen oder erweitern. Meinungen kann man ändern oder sich bilden. Meinungen und Wissen werden auch nicht durch Gottesdienste, Bräuche oder Riten bekundet oder bekannt. Die Formen und Institutionen der Meinungsäußerungen und der Lehre sind andere, wie Schriften, Reden und Vorträge, Medien und Hochschulen. Meinungen und Lehren bringen keinen Kultus hervor. Wenn sie es tun, sind sie ideologisiert. Freilich mißbrauchen zumal politische Meinungsäußerungen bisweilen religionshafte Formen, wie auch die Religionsausübung allgemeine menschliche Kommunikationsformen, wie Schriften und Vorträge usw., nutzt. Aber diese Übereinstimmung ist äußerlich. Heilige Schriften und Predigten sind Gottes Wort, sollten es jedenfalls als Akte der Religionsausübung sein. Der Gegenstand der Glaubensfreiheit ist somit die transzendente Zweite Welt, etwa Gott, das ewige Leben und die Unsterblichkeit der Seele. Dieser Gegenstand bestimmt und begrenzt den Begriff der grundrechtlich geschützten Religionsausübung. 2. Gegenstand des Islam als Religion ist die Lebensordnung der Muslime, der Umma, ist deren Rechtssystem, das von Gott (Allah) herabgesandt ist, also die Erste Welt, die sich von der Zweiten Welt nicht trennen läßt. Das wird zu X. 2. und XI. 2. dargelegt.

58 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 248, 593, 633; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 19 ff., 50 ff., 94 ff., 118 ff., 149 ff., 244 ff., 256 ff. 59 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi. Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre, 1994, S. 664 ff. (S. 674 f.), 984 ff.; ders., Die Universität in der Republik, 2000, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005, S. 259 ff. (260). 60 Ganz so Kant, Logik, S. 499.

IV. Begriff der Freiheit Nicht weniger wichtig und kritisch als die Begriffe Glauben, Bekenntnis und Religionsausübung in den Religionsgrundrechten, die als Religionsfreiheit zusammengefaßt zu werden pflegen, ist für die religionsrechtliche Lage des Christentums und des Islam wie jeder anderen Religion der Begriff der Freiheit61. Die rechtliche Lehre von der Freiheit ist wegen der Fundamentalität der Freiheit im modernen Staat folgenreicher als die Dogmatik jedes anderen Begriffs. Das Leben in Deutschland und Europa, aber auch in den meisten anderen Staaten ist durch ein Mißverständnis des Freiheitsbegriffs bestimmt. Der Freiheitsbegriff ist systembestimmend und muß demgemäß systemisch definiert werden. Vor allem muß er dem Wortlaut der politischen Texte gemäß gelesen, aber auch so verstanden werden, daß sein Begriff nicht das eigentliche System vergewaltigt oder dessen innere Einheit beschädigt. Das Verfassungsgesetz Deutschlands, das Grundgesetz, muß einer Verfassung der Freiheit und damit einer Verfassung der Gleichheit und der Brüderlichkeit gerecht werden, wenn es der Verfassung des Menschen und damit der Menschheit des Menschen entsprechen soll. Die Verfassung, die mit uns geboren ist, muß sich in der Rechtsdogmatik behaupten, wenn das Grundgesetz seinem Leitprinzip genügen will, nämlich der Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Diese zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Gerade darum bekennt sich das deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Eine Lehre von der Freiheit, welche mit Art. 1 GG unvereinbar ist, ist genausowenig tragfähig wie eine Grundrechtsdogmatik, die den Menschenrechten widerspricht. Das aber ist der praktizierten Freiheitsdogmatik vorzuwerfen, die Freiheit (liberalistisch) als das Recht mißversteht, nach Belieben zu handeln, als das Recht zur Willkür nämlich62, ein Recht, das jede beliebige Politik zu rechtfertigen vermag, wenn man sie durchsetzen kann. Freiheit ist nicht das Recht zur Willkür, sondern das Recht zur freien Willkür, das Recht also, Bürger unter Bürgern zu sein63. Was heißt das? . 61 Dazu umfassend K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 2007; schon ders., Res publica res populi, 1994, jeweils mit Hinweisen. 62 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 343 ff., ders., Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, 1995, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005, S. 67 ff.; ders., Republikanische Freiheit, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate, FS M. Kriele, 1997, S. 829 ff. 63 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 274 ff.

IV. Begriff der Freiheit

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Freiheit heißt nicht, man dürfe alles tun und lassen, was einem beliebt (so aber BVerfGE 6, 32 (36 ff.)), das Recht zur Willkür und damit das Recht, nach dieser oder jener Religion, deren Schriften und Geboten, zu leben und zu handeln (so aber BVerfGE 108, 282 (297); st. Rspr.). Freiheit ist vielmehr als äußere Freiheit „die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ (Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, ed. Weischedel, Bd. 7, S. 345) in Einheit mit der inneren Freiheit als der Sittlichkeit64. Das Gesetz der Sittlichkeit ist das Sittengesetz, der kategorische Imperativ, das menschheitliche Liebes- und Lebensprinzip, der Inbegriff des Gesetzes65. Freiheit ist somit das Recht zur praktischen Vernunft oder das Vernunftprinzip und berechtigt und verpflichtet zu einem Leben und Handeln nach dem Rechtsprinzip. Freiheit ist somit im kantianischen Sinne die Autonomie des Willens (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; ders., Kritik der praktischen Vernunft, ed. Weischedel, Bd. 6)66. Es gibt keinen Gegensatz von Freiheit und Gesetz, freilich nur, wenn das Gesetz dem Recht entspricht. Menschen können nur frei miteinander leben, wenn alle die Gesetzlichkeit zur Maxime ihres Handelns machen; denn alles Handeln hat Wirkung auf alle. Handeln verletzt nur dann nicht andere in deren Freiheit, wenn diese mit dem Handeln einverstanden sind. Das gewährleistet nur der „vereinigte Wille des Volkes“ (Kant, Metaphysik der Sitten, ed. Weischedel, Bd. 7, S. 432), das allgemeine Gesetz, die volont gnrale. Um der Freiheit willen kann nur der Wille aller Gesetze geben, weil der Wille (als transzendentalphilosophischer Begriff) frei ist. Zu dem allgemeinen (übereinstimmenden) Willen kann ein Gemeinwesen nur finden, wenn alle Menschen dem Sittengesetz gehorchen und nicht einer den anderen übervorteilen oder seiner Ideologie unterwerfen will67. Demgemäß gibt es kein Mehrheitsprinzip68. Vielmehr muß die Vertretung des ganzen Volkes in der Gesetzgebung so gestaltet sein, daß die Erkenntnis der Gesetze, die dem Rechtsprinzip als dem Prinzip des allgemeinen Willens genügen, bestmöglich gelingt69. Davon ist der Parteienstaat weit entfernt. Der Parteienstaat ist die Verfallserscheinung der Republik70. Das Grundgesetz folgt der kantianischen Rechtslehre nicht nur in sei64

Zur kantianischen Freiheitsphilosophie K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 34 ff., insb. S. 67 ff., 83 ff.; im Sinne des Textes M. Forschner, Gesetz und Freiheit. Zum Problem der Autonomie bei I. Kant, 1974; F. Kaulbach, Immanuel Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“. Werkinterpretation, 1988; W. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie,1984; ders., Kant über Recht, 2004; J. Timmermann, Sittengesetz und Freiheit. Untersuchungen zu Immanuel Kants Theorie des freien Willens, 2003; vgl. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 1992; ders., Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, 1996. 65 G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 323 ff. (333). 66 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 274 ff. 67 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 194 ff., 288 f., 318 ff., 418 ff., 440 ff. 68 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 150 ff. 69 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 637 ff. 70 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1045 ff.

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IV. Begriff der Freiheit

ner Definition der Freiheit in Art. 2 Abs. 1 GG71, sondern auch in seinen Strukturprinzipien des Art. 20 GG. Art. 2 Abs. 1 GG lautet: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Das demokratische Prinzip gebietet, den allgemeinen Willen bestmöglich zur Entfaltung zu bringen. Nur wenn das gelingt, ist der Staat ein Rechtsstaat. Der Mensch kann seinen Willen nicht zur Geltung bringen, wenn er nicht selbständig ist, vor allem wirtschaftlich nicht selbständig ist. Die Selbständigkeit aller Bürger ist das Gebot des Sozialprinzips72. Demgemäß bilden Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat eine untrennbare Einheit der Republik. Die Leitprinzipien der Grundrechte wie des Weltrechts, nämlich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, finden ihre Entsprechung in den Strukturprinzipien Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat. Innere Freiheit, also die Sittlichkeit oder eben die praktische Vernunft, kann niemand erzwingen. Sie setzt Moralität (Selbstzwang) voraus73, nicht etwa Moralismus. Formale Moralität74 ist einzig und allein auf die Wirklichkeit des Rechts ausgerichtet, während Moralismus materiale Prinzipien, regelmäßig besondere (meist illegitime) Interessen, verbindlich zu machen versucht75. Die Durchsetzung des Moralismus ist Despotie, welche ihre schrecklichsten Erscheinungsformen im terreur der Französischen Revolution, aber auch in anderen, ja allen Tyranneien (Diktaturen) gefunden hat. Wir befinden uns in einer Zeit der sanften Despotie, die einerseits vom Moralismus bestimmt ist, andererseits aber nur vergleichsweise milden Zwang, vor allem den der political correctness zu nutzen vermag. Das Zwangselement wird freilich zunehmend verstärkt. Mit diesem Moralismus soll die Umwälzung der Länder in Regionen der Brave New World (global governance; Weltstaat mit Weltregierung) durchgesetzt und zu diesem Zweck auch das deutsche Volk zu einer volklosen Bevölkerung Deutschlands entwickelt werden. Die eigentliche Freiheit wird in Deutschland nicht gelebt. Um die Freiheit und damit um den richtigen Freiheitsbegriff geht die Auseinandersetzung in der ganzen Welt.

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K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 256 ff.; nicht ganz falsch, aber in Verkennung der Relevanz M. Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, Freiheitsrechte, 3. Aufl. 2009, § 168, Rdn. 87. 72 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 636 ff. 73 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 83 ff., auch S. 100 ff. 74 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 264 ff., 266 ff. 75 Etwa S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 321 ff., der wegen seines Moralismus („Kern- oder Minimalmoral“, S. 321(?)) nicht zu einem kantianischen Verständnis des Verhältnisses von Recht und Moral zu finden vermag.

V. Freiheitliche Rechtlichkeit, Vorrang des Staatlichen und Religionstoleranz 1. Die fundamentale Frage ist, inwieweit man entgegen den Gesetzen der Freiheit äußerlich religiös leben, also Religion ausüben kann und darf, obwohl die innere Freiheit auf die Verwirklichung des Rechtsprinzips ausgerichtet ist. Man soll in allen Lebensbereichen in einer Weise leben, die es möglich macht und möglich sein läßt, daß alle miteinander in Frieden leben können, sei es in der Wirtschaft, sei es in den Schulen, sei es sonstwo. Der Imperativ des honeste vive, sei ein ehrbarer Mann, heißt: Lebe nach dem Prinzip des Rechts. Alles Handeln muß demgemäß von der Maxime der Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens bestimmt sein, also sich davon bestimmen lassen, ob das Prinzip des Handelns tauglich ist, als allgemeines Gesetz zu gelten, d. h. universalisierbar ist. Sonst entspricht das Handeln nicht dem Sittengesetz76. Es gibt aber, wie gesagt, keine Freiheit entgegen dem Sittengesetz. Rechte zur Vorteilsnahme sind Privilegien, nicht Freiheit. Eine derart materiale Freiheitsdoktrin wäre liberalistisch (und würde logisch Herrschaft voraussetzen), nicht aber republikanisch. Sie wäre nicht die notwendig formale Lehre der Freiheit von Bürgern. Dieser politischen Freiheit des Bürgers, die der Logik der zwingend demokratisch verfaßten Republik77 folgt, widerspricht die Dogmatik der Religionsfreiheit des Bundesverfassungsgerichts; denn ein Recht, zu leben und zu handeln, wie es die Religion gebietet, ist mit dem Sittengesetz, dem Rechtsprinzip also als dem Gesetz der inneren Freiheit in der Republik, in der Volk und Staat eine Einheit sind (Der Staat, das sind wir. Wir sind das Volk) unvereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat nie zu dem dem Grundgesetz gemäßen Freiheitsbegriff gefunden, vor allem weil es den Staat als Herrschaftssystem mißversteht (BVerfGE 2, 1 (12 f.); 83, 37 (52); 83, 60 (72); 95, 1 (15); Lissabon-Urteil vom 30. 6. 2009, BVerfGE 123, 267 (341, 343, 344, 349, 350, 356, 364, 366, 369 u. ö.)78. Die republikanische Freiheitslehre schließt es jedoch nicht aus, daß Menschen in einem von den allgemeinen Gesetzen der Privatheit überlassenen Bereich79 ihre Religion ausüben dürfen, insoweit sie andere nicht in ihrer Freiheit verletzen. Das Prinzip der Rechtlichkeit des gemeinsamen Lebens läßt nur einen schmalen Bereich von Privatheit, in dem nach Maximen gelebt werden kann, die nicht als Gesetze verallgemeinerungsfähig sind, wie weitgehend die religiösen Gebote und Verbote. Keinesfalls darf Freiheit mit Privatheit identifiziert werden. Ein freiheitliches Gemeinwesen 76 77 78 79

K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 281 ff., 455 ff., 458 ff., 612 ff. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff. Dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 115 ff. Zum Begriff der Privatheit K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 449 ff.

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läßt größtmögliche Privatheit (Privatheitsprinzip)80, aber nicht mehr, als das Gemeinwohl verträgt, das Gemeinwohl, das durch Gesetze materialisiert wird. Das Gesetz bestimmt, wieviel Zumutungen dem Einzelnen abverlangt werden, auch Zumutungen religiösen Handelns anderer Menschen. So ist die Privatheit in allen Lebensbereichen zu dogmatisieren. Beispielsweise ist der wirtschaftliche Wettbewerb für viele, wenn nicht die meisten Unternehmen, eine Zumutung; denn sie müssen sich gegen die Wettbewerber am Markt behaupten. Um der Effizienz willen veranstaltet der Staat, genauer die Europäische Union, mittels der Wettbewerbspolitik den Wettbewerb, ja erzwingt ihn geradezu (im übrigen ohne jede rechtsstaatsgemäße Begrifflichkeit)81. Die Unternehmer müssen sich eine Beeinträchtigung ihrer Unternehmungen durch andere Unternehmer um dieser Politik willen gefallen lassen, oft bis zur Insolvenz. Auch um der religiösen Freiheitsrechte willen, welche ausweislich des Grundgesetzes und im Rahmen ihres grundrechtlichen Schutzes zum Gemeinwohl Deutschlands gehören, müssen alle Menschen im Lande es hinnehmen, daß Menschen (im Rahmen des Verfassungsgesetzes und der Gesetze) ihre Religion ausüben, d. h. nach den Schriften und Geboten ihrer Religion leben und handeln, obwohl diese Maximen nicht verallgemeinerungsfähig sind. Das ist die grundrechtsgestützte Toleranz (vgl. BVerfGE 24, 236 (249); 32, 98 (108); 41, 29 (51); 41, 65 (78 f.); 52, 223 (251); 90, 112 (118 ff.); 93, 1 (22 f.); 108, 282 (297 ff.); BVerwGE 94, 82 (91, 92 f.))82 der Republik. Reinhold Zippelius sieht nicht zu Unrecht die Pflicht zur Toleranz als Grenze der eigenen Rechte aus dem Religionsgrundrecht83. Wie schon gesagt, darf sich aber die Religionsausübung nur in den engen Grenzen des (im weiteren Sinne) Kultischen bewegen, weil der Grundrechts- und auch der Menschenrechtsschutz der Religionsfreiheiten nicht weiter reichen. Es ist eine Frage des allgemeinen Willens des Volkes, also der Gesetze, wie weit der Bereich der Toleranz im Einzelnen abgesteckt wird. Dabei sind alle durch das Verfassungsgesetz geschützten Prinzipien zu berücksichtigen. Immer aber muß der Zweck des Staates verwirklicht werden, nämlich der, daß alle Menschen im Gemeinwesen ein gutes Leben in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit haben84. Das ist die Verfassung, die mit uns geboren ist, welche der Staat (als die Organisation der Bürger für die Verwirklichung des allgemeinen Wohls85) zu verwirklichen hat. Keinesfalls wäre es verfassungsgemäß, wenn eine re80

K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 465 ff. Dazu K. A. Schachtschneider, Verfassungsrecht der Europäischen Union, Teil 2, Wirtschaftsverfassung mit Welthandelsordnung, 2010, S. 294 ff. 82 Ganz so K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 254 ff., insb. S. 256; i.d.S. auch A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 195 ff., insbesondere zur katholischen Position seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, S. 162 ff., 197 ff., zum „schwierigen Dialog“ zwischen Christen und Muslimen S. 182 ff. 83 R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 86. 84 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 94 ff., 97 ff., 264; ders., Freiheit in der Republik, S. 243, 353, 481 ff. u. ö. 85 H. Heller, Staatslehre, 1934, 2. Aufl. 1961, S. 163 ff., 228 ff., 238 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 19 ff., 50 ff., 94 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 591. 81

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ligiös gebundene Mehrheit ihre Macht (der Stimmen) benutzt, also mißbraucht, um andere, die diese Religion nicht teilen, politisch durch religiös bestimmte Gesetze zu unterdrücken. Nichts berechtigt in einer Republik, die durch Freiheit definiert ist, eine Mehrheit, die Minderheit(en) zu beherrschen86. Der Staat hat nur einen Zweck, das Recht zu verwirklichen87. Das höchste Prinzip des freiheitlichen Gemeinwesens, der Republik, sagen wir: das heilige Prinzip, ist das Recht88. Nichts darf sich gegen das Recht behaupten können. Was aber das Recht ist, bestimmen, abgesehen von den menschheitlichen Grundprinzipien, der genannten Verfassung der Menschheit des Menschen also, aber auch abgesehen von den Menschenrechten, die Gesetze, einschließlich dem Verfassungsgesetz. Die Gesetze aber folgen dem ebenfalls schon angesprochenen Prinzip, daß alle gut miteinander leben können, aber in allgemeiner Freiheit. Das ist praktische Vernunft, Sittlichkeit, deren Leitprinzip/Gesetz der kategorische Imperativ ist. 2. Das entwickelte Gesetzlichkeitsprinzip der politischen Grenzen der Toleranz entspricht Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 WRV, wonach „die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden“. Politische Handlungen sind somit genauso wie das Handeln im Rahmen der sonstigen, wenn man so will, Freiheiten (besser Rechte und Pflichten) keine Einschränkung der Religionsausübung und stoßen (an sich) auch nicht auf Grenzen des äußeren Religionsgrundrechts, nämlich der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG. Diese zentrale Regelung der Religionsverfassung der Weimarer Reichsverfassung folgt der Zwei-Welten- oder Zwei-Reiche-Lehre und sagt, welche Ordnung den Bürger bindet, nämlich die Staatsordnung, also die Gesetze des Staates. Art. 136 Abs. 1 WRV ist im eigentlichen Sinne keine Grundrechtsschranke, welche Eingriffe in die Religionsausübungsfreiheit erlaubt89, sondern weist auf den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Vorrang des Staates und damit des Rechts vor den Religionsgesellschaften und den Religionen hin, den Vorrang des Politischen vor dem Religiösen. Die Vorschrift ist im eigentlichen Sinne auch kein Gesetzesvorbehalt zu Lasten der religiösen 86 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 150 ff.; a.A. etwa S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 227. 87 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 19 ff., 25 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 482. 88 H. Triepel, Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, Beiträge zur Auslegung des Art. 19 der Weimarer Reichsverfassung, FG Kahl, 1923, S. 93; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 25 ff. 89 So auch, aber mit anderer Tendenz M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Kommentar, Band 3, 2. Aufl. 2008, Art. 140 GG/Art. 136 WRV, Rdn. 19, auch Band 1, 2. Aufl. 2008, Art. 4 GG, Rdn. 112, der Art. 136 WRV (lediglich) ein Differenzierungsverbot entnimmt und Eingriffe in Art. 4 GG nur auf Grund kollidierenden Verfassungsrechts akzeptiert; das wird weder dem Wortlaut gerecht noch den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Gleichheitspostulat aller Bürger, mit dem eine Privilegierung der Religionsausübung nicht vereinbar ist; auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdn. 437, S. 188; folgend K. Groh. Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 49 f.

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Freiheiten, sondern erklärt den (im säkularen Staat selbstverständlichen) umfassenden Staatsvorrang90. Die Logik dieses Vorranges ist die aufklärerische Trennung des Säkularen vom Religiösen, die jedem Bürger als Menschen abverlangt wird. Die Gleichheit der Bürger läßt keine Privilegien aus religiösen Gründen zu91. Das Bundesverfassungsgericht sieht Art. 136 WRV/Art. 140 GG durch den vorbehaltlosen Art. 4 GG wegen der „erheblich verstärkten Tragweite der Grundrechte der Glaubens- und Gewissensfreiheit“ im Grundgesetz überlagert (BVerfGE 33, 23 (30 f.); i.d.S. auch BVerfGE 44, 37 (49 f.); 52, 223 (246 f.); dagegen ausdrücklich BVerwGE 112, 227 (231 ff.)92) und drängt damit diese wesentliche Vorschrift aus der Religionsverfassung des Grundgesetzes. „Welche staatsbürgerlichen Pflichten im Sinne des Art. 136 Abs. 1 WRV gegenüber dem Freiheitsrecht des Art. 4 Abs. 1 GG mit staatlichem Zwang durchgesetzt werden dürfen, lasse sich unter der Herrschaft des Grundgesetzes nur nach Maßgabe der in Art. 4 Abs. 1 GG getroffenen Wertentscheidung feststellen“, meint das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 33, 23 (31)) und kreiert damit sein eigenes Verfassungsgesetz. Es verkennt nicht nur das Verhältnis von Staat und Kirche (Religionsgesellschaften), Politik und Religion nach dem Grundgesetz, sondern auch den Regelungsgehalt der aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen Vorschrift. Gerhard Anschütz, der maßgebliche und die Väter des Grundgesetzes leitende Kommentator der Weimarer Reichsverfassung, hat klargestellt: „Staatsgesetz geht vor Religionsgebot. Was die Staatsgesetze als staatsgefährlich, sicherheits- oder sittenwidrig, ordnungswidrig oder aus sonst einem Grunde verbieten, wird nicht dadurch erlaubt, daß es in Ausübung einer religiösen Überzeugung geschieht“93. Das ist nach wie vor die Rechtslage; denn das Grundgesetz hat diese Regelung ausdrücklich übernommen. Karl August Bettermann hat den säkularen Rechtsstaat noch verstanden: „Also nicht die Religionsgebote gehen den weltlichen Pflichten vor, sondern umgekehrt genießen die staatlichen Gesetze den Vorrang vor den kirchlichen; denn vor den staatlichen Gesetzen sind alle gleich“. „Kein Freiheitsgrundrecht befreit von der Geltung des Gleichheitsgrundsat90

Ganz so K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 26. K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 26 f. 92 Einschränkend R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 89 („kein uneingeschränkter Gesetzesvorbehalt“, Wechselwirkungslehre); A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. VI, 1989, § 136, Rdn. 82, aber zustimmend 3. Aufl. 2009, § 157, Rdn. 111; genauso ders./H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 68; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 462 ff.; St. Muckel, Kirchenrecht, § 10, Rdn. 27; ders., in: K. H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 47; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 88; dem BVerfG folgend M. Brenner, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 290 f. (weil „seit 50 Jahren gefestigte Rechtsprechung“, !?); H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311 ff., insb. S. 325 ff. (vor allem, weil er Freiheit nicht versteht); U. Sacksofsky, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 15 f. (in, weil ungeprüft, Verkennung des Art. 136 WRV). 93 Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 135, Anm. 6, S. 621, Art. 136, Anm. 1, S. 623; so auch St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 254 f. 91

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zes. Die Grundrechte sind und gewähren keine Privilegien; und sie dürfen nicht so ausgelegt werden, daß bestimmte Gruppen oder Mächte Vorrechte genießen. Sonst verwandeln sich die Grundrechte in ständische Libertäten“94. Nichts anderes besagt das Fundamentalprinzip der Republik von der Gleichheit in der Freiheit, aus der der Vorrang des Staatlichen vor dem Religiösen zwingend folgt. Grundrechtsgemäße Religionsausübung kann mit den allgemeinen Gesetzen des Staates wegen der unterschiedlichen Ebenen der Verbindlichkeit gar nicht in Konflikt geraten. Der Staat freilich hat das Religiöse und die Religionen bei seiner allgemeinen Gesetzgebung zu vernachlässigen, wenn das Gemeinwohl bestimmte Gesetze erfordert. Nicht größtmögliche Religiosität ist verfassungsgebotenes Gemeinwohl des säkularen Gemeinwesens, sondern das gute Leben aller in Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das umfaßt alleinbestimmte Privatheit und diese die Möglichkeit und das Recht zum religiösen Leben im Rahmen der allgemeinen Gesetze. Religionen rechtfertigen, soweit nicht Sonderregelungen wie etwa Art. 139 WRV/Art. 140 GG, Sonntags- und Feiertagsruhe, eingreifen, politisch allenfalls eine gewisse Rücksichtnahme. Religionsausübung muß, soweit der Tatbestand des Art. 4 GG reicht, zumindest toleriert werden. Dem Staat ist es unbenommen, wegen der religionsfreundlichen Leitentscheidung in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, aber auch in Art. 140 GG, also wegen der objektiven Dimension (objektive Wertordnung, vgl. allgemein BVerfGE 7, 198 (205); 30, 173 (193); 32, 98 (108); 35, 79 (114); 50, 290 (337); st. Rspr.; auch BVerwGE 112, 227 (233)) dieses Grundrechts, die Religionsausübung in begrenztem Maße und gleichheitlich95 fördernd zu unterstützen (positive Kooperation, BVerfGE 108, 282 (300))96. So müssen sich Prozessionen an sich an die Straßenverkehrsordnung halten, aber es ist nicht verfassungswidrig, wenn Sonderregelungen ihre Veranstaltung im Straßenverkehr erleichtern; denn die allgemeine Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs wird dadurch nicht gemeinwohlschädlich beeinträchtigt97. Die Rückführung der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung auf die Würde des Menschen, die Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG für unantastbar erklärt, vermag dieses Grundrecht nicht entgegen dem Text des Grundgesetzes und schon gar nicht ent94

Grenzen der Grundrechte, S. 26, 28. Zum religionsrechtlichen Gleichheitsgebot für den Staat BVerfGE 19,1 (8); 19, 206 (216); 24, 236 (246); 93, 1 (17); 108, 282 (299 f.); M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 148. 96 Zum „freundlichen Nebeneinander der beiden Reiche“, der „weltlichen und der geistlichen Sphäre“ M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 42 ff., der sowohl die laizistische als auch die klerikale Position kritisiert; zu weitgehend M. Brenner, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 275 ff.; vgl. P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 11, S. 1435, der „religiöse Belange auch im säkularisierten Staat“ zu Recht als „geschütztes Rechtsgut der Verfassung“ vorstellt, auch Rdn. 16, S. 1440; St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HStR, § 159, Rdn. 72; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 8; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/ F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 140, Rdn. 38; auch J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 6, 31. 97 M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 45 f.; ders., Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 298. 95

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gegen dessen Sinn zu verstärken (a.A. BVerfGE 32, 98 (108); 33, 23 (29); 35, 366 (376); BVerfGE 28, 243 (260) für die Gewissensfreiheit). Das fundamentale Prinzip des Grundgesetzes ist die Freiheit und deren Verwirklichung ist das Postulat der Menschenwürde98. Allgemeine Freiheit ist allgemeine Rechtlichkeit, welche durch allgemeine Gesetzlichkeit verwirklicht wird, wenn die Gesetze dem Recht genügen. Eine Privilegierung ist republikwidrig, auch eine wegen einer Religiosität. Staatsbürgerliche Pflicht ist in erster Linie Gesetzesbefolgungspflicht99. Mit der Liebe zu Gott ist es wie mit der Liebe zu Menschen: Sie sind politisch, also rechtlich, bedeutungslos, obwohl sie den Menschen in seinem ganzen Sein erfassen können. Sie gehören, jedenfalls die Gottesliebe, in eine andere Welt. Das Bundesverfassungsgericht versteht die Vorbehaltlosigkeit des Religionsgrundrechts nicht, die daraus folgt, daß rechtliche Widersprüche zwischen den Gesetzen des Staates und der Religionsausübung, soweit diese sich im Rahmen des Religionsgrundrechts entfaltet, gar nicht entstehen können. Sonst wäre die Vorbehaltlosigkeit nicht hinnehmbar. 3. Der Islam dogmatisiert keinen Staat im dargelegten Sinne, sondern will trotz vieler islamischer Staaten eine Gemeinschaft der Gläubigen, die Umma, restaurieren. Er teilt die Welt in das „Haus (oder Gebiet) des Islam“ (Dar al-Islam) und das „Haus (oder Gebiet) des Krieges“ (Dar al-harb)100. Diese Zweiteilung wird als Übergangslösung auf Zeit, solange die Muslime in einem Land unterlegen sind, aber das Ziel, den Islam auf dieses Gebiet auszudehnen, nicht aus dem Auge verlieren, durch das „Haus des Vertrages“ (Dar al-ahd) relativiert101 – wohl schon Deutschland102. Wenn die islamische Solidarität es erfordert, dürfen die Muslime aus islamischer Sicht die Gesetze des Gaststaates, die sie grundsätzlich einzuhalten haben, mißachten, etwa wenn ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft verliehen wurde103. Eine rechtsetzende Gesetzgebung der Bürger als der Bürgerschaft und damit eine Republik im substantiellen Sinne des freiheitlichen demokratischen Prinzips sind dem Islam fremd. Das wird in den Kapiteln X. und XI. erörtert.

98 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 19 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 28 ff. 99 St. Muckel, in: K. H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4, Rdn. 47. 100 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 102 ff. 101 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, Eine Gefahr für den Weltfrieden? 2. Aufl. 2000, S. 38 f., 46 ff., unter Umständen können Gemeinden schon zum Dar al-Islam gehören, S. 157; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 104 ff.; ders., Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 17 f., 22 f., zum „Gebiet des Vertrages“, zu dem Europa erklärt wird, S. 23 f. Dabei gibt es unterschiedliche Positionen von Sunniten und Schiiten vor allem des Iran. 102 T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/ Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 23 f. 103 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 111 f.

VI. Neutralität/Nicht-Identifikation des Staates Wer auch immer welche Religion haben mag, er darf die Besonderheiten seiner Religion nicht zur Geltung bringen, wenn es darum geht, die für alle geltenden Gesetze zu erkennen und zu beschließen. Er würde sonst anderen Menschen seine Religion oder Maximen seiner Religion aufzwingen. Das wäre mit der Bürgerlichkeit des Bürgers unvereinbar. Kein Mensch muß religiös sein und kein Mensch muß ganz oder auch nur zum Teil religionsgebunden leben. Gesetze aber binden die Handlungen des Menschen. Der religiösen Bindung steht auch das vom Bundesverfassungsgericht, wenn auch in eine andere Dogmatik eingebettet, immer wieder betonte, aber wegen seiner Unklarheit durchaus fragwürdige staatliche Neutralitätsprinzip entgegen (BVerfGE 12, 1 (4); 19, 206 (216); 24, 236 (247 f.); 41, 29 (50); st. Rspr.; BVerfGE 93, 1 (16 ff.); 102, 370 (383); 105, 279 (294); 105, 370 (394); 108, 282 (299 ff.); auch BVerwGE 90, 112 (123 f.))104, besser: das Prinzip der Nicht-Identifikation (i.d.S. BVerfGE 30, 405 (422); 93, 1 (17); 108, 282 (299 ff.)105. Mit dem Neutralitätsprinzip ist der „Grundsatz der Parität der Kirchen (und der anderen Religionsgesellschaften) und Bekenntnisse verbunden“ (BVerfGE 104

Vgl. P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 8 ff., S. 1432 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, ErgL. Nov. 1988, Art. 4, Rdn. 71; K.-H. Kästner, Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AÖR 123 (1998), S. 442 f.; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 447, 460; M. Brenner, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 264 ff. (270 ff.); H. Steiger, Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat – Überlegungen anläßlich des Beschlusses des 1. Senats des BVerfG zu Kreuzen in staatlichen Klassenzimmern in Bayern –, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/ G. Haverkate, FS M. Kriele, 1997, S. 105 ff. (110 ff.); H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 9, 22; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/ Ch. Starck, Grundgesetz, Bd. 3, Artikel 83 bis 146, Art. 140, Rdn. 16 ff., insb. Rdn. 21 (Bündelung von Parität, Toleranz, Pluralität, Nichtidentifikation); J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 5, 31; St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, Freiheitsrechte, 3. Aufl. 2009, § 159, Rdn. 67 ff.; S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 12 ff., 93 ff., 131 ff.; umfassend K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, 1972, S. 129 ff.; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 546; Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 53 ff. (relativierend). 105 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 161, 178 ff., 247, 281 f., 388; vgl. auch P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 8, S. 1433, Rdn. 12, S. 1436; K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 236 ff., Kritik S. 239 ff.; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 147; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 140, Rdn. 34.

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19, 1 (8); 24, 236 (246, 249))106. Es „verbietet zudem die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger“ (BVerfGE 19, 202 (216); 24, 236 (246); 33, 23 (28); st. Rspr.; BVerfGE 93, 1 (17); 108, 282 (299)). „Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten“ (BVerfGE 19,1 (8); 19, 206 (216); 24, 236 (246); 93, 1 (17); 108, 282 (299 f.))107. Eine materiale Berücksichtigung der spezifischen Religionsverbote und -gebote in den Gesetzen schließt der Religionspluralismus aus. Diese Neutralität muß jeder Bürger als Gesetzgeber, also durchgehend bei allen Handlungen, beachten108. Herbert Krüger spricht von der „Allgemeinheit in qualitativem Sinne“, zu der die „Allgemeinheit in quantitativem Sinne“ wegen der „Besonderheiten und Verschiedenheiten“ nötige109. Alle Handlungen, die staatlichen und die privaten, haben Außenwirkung und müssen darum, wie gesagt, dem Rechtsprinzip genügen110. Auch privates Handeln verwirklicht das Gemeinwohl und ist darum funktional staatlich, allemal politisch111. Für das unternehmerische Handeln etwa ist das evident. Alle Handlungen müssen dem Gesetz gemäß sein, dessen Materie allgemein bestimmt ist, und sie müssen im Bereich der Privatheit alleinbestimmt der sittlichen Maxime der Rechtlichkeit genügen112. Jürgen Habermas und andere113 versuchen es zu rechtfertigen, daß religiöse Bürger ihre religiösen Maximen in die Politik einbringen. Meist wird das auf ein Mehrheits106 Dazu M. Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: J. Listl/D. Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Bd. 2. Aufl. 1994, § 20, S. 589 ff.; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 26 ff.; St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HStR, § 159, Rdn. 73 ff.; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 140, Rdn. 27 ff.; E. Hilgendorf, Staatsbürger im multikulturellen Staat. Die besonderen Rechtsinteressen der Konfessionsfreien unter dem Blickwinkel der Trennung von Staat und Kirche und der Religionsfreiheit in Deutschland, Aufklärung und Kritik 3/2010, S. 246 ff. (250). 107 St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HStR, § 159, Rdn. 74. 108 Ganz so H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 f.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 49 ff., 285 ff., 318 ff., 405 ff., 420 ff., 455 ff., 612 ff.; dazu S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 668 ff. („Pflicht zur Bürgerlichkeit“, „öffentlicher Vernunftgebrauch“ für eine liberale Ordnung), der das aber selbst nicht durchhält, etwa S. 224 ff. 109 Allgemeine Staatslehre, S. 160 ff., auch S. 247 ff. 110 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 119 ff., ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung. Exemplifiziert am Beispiel des staatlichen und kommunalen Vermessungswesens in Bayern, 2005, S. 274 ff., 284 ff., 289 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 73, 460, 634. 111 K. A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 43 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 449 ff.; richtig H. Steiger, Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat, S.119 ff. 112 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 318 ff., 449 ff., 455 ff., 458 ff. 113 Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den „öffentlichen Vernunftgebrauch“ religiöser und säkularer Bürger, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, 2005, S. 119 ff.; so auch J. Listl, Verbots- und Auflösungsmöglichkeiten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung, DÖV 1973, 183 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bun-

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prinzip gestützt114, das es in einer Republik um der allgemeinen Freiheit willen nicht geben kann115. Habermas meint, es mute den religiösen Bürgern etwas zu, was den säkularen Bürgern nicht abverlangt werde, wenn diese ihre religiösen Vorstellungen zurückdrängen sollen. „Sollen setze Können voraus“116. Mit diesem antiaufklärerischen Argument will Habermas die religiösen Menschen von ihrer säkularen Pflicht zur religionsneutralen Politik freistellen117. Damit hebt er die Pflicht zur Sittlichkeit allgemein auf; denn andere als religiöse Neigungen können den Menschen nicht weniger in seiner Persönlichkeit bestimmen. Du kannst, weil Du sollst, ist die ethische Logik. Die religiösen Beiträge würden aber auch einen Wahrheitsgehalt haben können, der im politischen Diskurs hilfreich sein könne118. Letztlich müsse sich freilich die praktische Vernunft durchsetzen. Das sei die Verantwortlichkeit der Zivilgesellschaft, zumal die der Parlamentarier. Dieses Zugeständnis an die Religionen führt in die Irre. Jedenfalls läßt sich eine solche Relativierung der bürgerlichen Sittlichkeit nicht auf die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung stützen, was Habermas auch nicht reklamiert. Der Diskurs ist das Verfahren der Sittlichkeit, also das frei-

desrepublik Deutschland, Rdn. 382, S. 167, ohne dogmatisches Argument; R. Zippelius, Grundgesetz, Bonner Kommentar, Drittbearbeitung, 1989, Art. 4, Rdn. 20 f.; H. v. Mangoldt/ F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 22; S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 93 ff., der mit dem Begriff des Bürgers auch den der Privatheit verkennt, weil er eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zugrundelegt, die in der Republik überholt ist (K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 207 ff.), anders aber S. 668 ff., 673 ff. zur „Pflicht zur Bürgerlichkeit“ und zur Unparteilichkeit; H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus: Der säkulare Rechtsstaat in der modernen Gesellschaft, in: ders./W. Heitmeyer, Politisierte Religion, 1998, S. 488, 490, der damit seinem aufklärerischen Anspruch „demokratisch verantwortlicher Bürgerinnen und Bürger“ nicht gerecht wird, wie ihm überhaupt die staatsrechtlichen Grundlagen seiner Thematik weitgehend unbekannt sind; S. Scharrer, Zum Gottesbezug in der Europäischen Verfassung, in: W. Lachmann/R. Haupt/K. Farmer (Hrsg.), Zur Zukunft Europas. Wirtschaftsethische Probleme der europäischen Union, Marktwirtschaft und Ethik, Bd. 12, 2007, S. 206 ff. (235 ff., „Christlicher Glaube als Hoffnungs- und Gestaltungsglaube“, der die „theologischen Rahmenbedingungen“ der Ökonomie zu beachten, ein „christliches Verständnis der neuen Ökonomie“, eine „christliche Ökonomie“ postuliert, die Partei für die Benachteiligten ergreift); M. Rohe, Das islamische Recht, S. 254 (fern einer konsistenten Lehre von der demokratischen Republik und deren Gesetzlichkeit). 114 Etwa S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 227. 115 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 150 ff.; ders., Res publica res populi, S. 105 ff. 116 Religion in der Öffentlichkeit, S. 132, 142. 117 Im Ergebnis nicht anders Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 56 f., der gar der „Parteilichkeit demokratischer Politik“ das Wort redet, „die sich auch auf Religionsangelegenheiten beziehen“ könne. Parteilichkeit ist das Gegenteil von Sittlichkeit, K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 45 ff., 176 ff.; ders., Res publica res populi, S. 1060 ff., 1086 ff., insb. S. 1080 ff., 1095 ff. 118 Christlich ist die Wahrheit, die „göttliche Wahrheit“ des Evangeliums, Gott, die Unsterblichkeit der Seele und das ewige Leben (vgl. M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 288 ff.), die nichts in der weltlichen Politik zu suchen hat.

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heitlicher Rechtsetzung119, freilich nur wenn er der Menschheit des Menschen, der Selbstzweckhaftigkeit jedes Menschen verpflichtet ist120. Der „zwanglose Zwang des besten Arguments“121 ist richtigerweise der Selbstzwang, nämlich die Moralität122. Diese ist Bedingung aufklärerischer Kultur. Sie kann nicht von Menschen erwartet werden, welche die politische Wahrheit in der Heiligen Schrift niedergelegt sehen, ja zu dieser Sicht um ihres Lebens willen verpflichtet sind. Das Christentum hat sich mit der aufklärerischen Trennung von Religion und Politik abgefunden, der Islam nicht123. Muslime sind durch ihre Religion verpflichtet, ihre religiösen Vorschriften, auch und insbesondere die Scharia, in die Politik einzubringen und, wenn möglich, durchzusetzen (dazu X. 1. und 3. und XI. 2.). Sie haben in diesem Sinne zu wählen und erwarten von ihren Vertretern im Parlament, daß diese die religionsgebotene Politik zum Gesetz machen. Ein Diskursbeitrag, der sich nicht mit ihrer Religion identifiziert, ist von Muslimen nicht zu erwarten, ja nicht einmal von ihnen zu verlangen, wenn man ihnen die religiös bestimmte Politik zugesteht, die ihrem Glauben entspricht. Voraussetzung des freiheitlichen (republikanischen) Diskurses ist die hinreichende aufklärerische Homogenität der Bürger124, zumal die Einsicht in die politische Irrelevanz der Religion. Habermas sucht nach einer politischen Ethik, die ohne das Homogenitätsprinzip auskommt. Das ist sein multikultureller Irrweg, für den er bereits das demokratische Prinzip durch seinen zivilgesellschaftlichen Deliberalismus125 schmerzlich relativiert hat. Freilich bleibt es jedem 119 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1975, S. 498 ff.; ders., Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 1978, S. 32 ff., 263 ff., 349 ff.; K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 32; ders., Res publica res populi, S. 584 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 427 f.; i.d.S. auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 109 ff., 151 ff., 324 ff., 516 ff.; ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 277 ff., 293 ff. 120 Substantielle Kritik an der formalistischen Diskurstheorie Jürgen Habermas und KarlOtto Apels und deren selbstzerstörerischen Auswirkungen trägt vor H. Ebeling, Multikultureller Traum. Subversion des Rechts und der Moral, 1994, S. 13 ff., der den reinen formalen Prozeduralismus „als Überhöhung des Rechts durch Diskurs“ verwirft, S. 21 ff., zu Recht, wenn der Diskurs nicht in dienender Funktion die Menschheit des Menschen, vor allem also die Menschenrechte, zu verwirklichen hilft, durchgehend kantianisch, insb. S. 48 f. 121 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 127, 133, 187 ff., 206; scharfe Kritik von H. Ebeling, Der multikulturelle Traum, S. 36 („gefährdet die Moderne nicht weniger als nackte Gewalt“). 122 Kant, Metaphysik der Sitten, Bd. 7, S. 508, 512, auch S. 338 f.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 83 ff., 206. 123 A.A. St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 241 f.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, in: St. Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, 2008, S. 158 ff. (162, 166 ff.). 124 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 1177 ff.; ders., Die Republik der Völker Europas, ARSP-Beiheft 71 (1997), S. 168 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 65. 125 Faktizität und Geltung, S. 187 ff., 349 ff.; Die Einbeziehung des Anderen, S. 277 ff., 293 ff.

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Bürger unbenommen, seine Meinung, gestützt auf die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, in die Politik einzubringen, wenn er der Meinung ist, einen Beitrag zur Wahrheit und Richtigkeit leisten zu können. Ein religiöses Bekenntnis kann einen solchen Beitrag nicht leisten. Die freiheitliche Sittlichkeit verlangt nach dem guten Willen, das Prinzip Recht zu verwirklichen. Das ist die bürgerliche Moralität126. Der Bürger ist in allen seinem Handeln Bürger und damit nicht nur privat, sondern auch staatlich. Er hat nicht das Recht zur Willkür, sondern das zur freien Willkür, ist also stets dem Rechtsprinzip verpflichtet127. Dieses läßt sich nicht multikulturell relativieren. Soweit die Gesetze die „ungestörte Religionsausübung“ gewährleisten (und gemäß dem religionsfreiheitlichen Grundrecht gewährleisten müssen), ist, um es zu wiederholen, religiöse Toleranz128, besser: Religionspluralismus129, verwirklicht, welche im Rahmen der allgemeinen Gesetze dem Gemeinwohl130 entspricht. Eine solche Materialisierung des Gemeinwohls gebietet das Menschenrecht der Glaubens126

K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 83 ff. K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 60 ff., 281 ff., 612 ff.; der Begriff des Bürgers wird meist verkannt, wenn überhaupt dogmatisiert, etwa S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 93 ff., der die Menschen als „Bürger zweier Reiche“, nämlich Staat und Gesellschaft versteht und sich damit den Weg zur Erkenntnis des Rechts der Neutralität versperrt. 128 Zum Toleranzprinzip K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 254 ff.; G. Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip. Prolegommena zu einer rechtlichen Theorie des pluralistischen Staats, 1977; P. Häberle, Verfassung des Pluralismus – Der Pluralismus in der Verfassung, in: ders., Verfassung des Pluralismus. Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 59, 61, 63; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 385 f., 608, 623 f., 1184; kritisch M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution. Warum sich die Freiheit durchsetzen wird, 1987, S. 29 ff.; ders., Einführung in die Staatslehre. Die geschichtliche Legitimationsgrundlage des demokratischen Verfassungsstaates, 4. Aufl. 1990, S. 177 ff.; zum religionspolitischen Toleranzprinzip H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 41; M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 14; ders., Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 282 ff., 299; P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 6, 8, S. 1431 f., Rdn. 12, S. 1436; A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 98, zurecht gegen ein zur „Nivellierung führendes Diktat der Minderheit“; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 459 ff.; J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 442 f. („oberstes Verfassungsprinzip“); Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 546; S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 222 ff., 234 f., der die „Tugend der Toleranz“ als Privatangelegenheit dogmatisiert und damit wiederum den Bürger entstaatlicht und den Staat entbürgerlicht. 129 Richtig H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 487, der auf Kants Schrift: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? 1783, ed. Weischedel, Bd. 9, S. 52 ff. hinweist, der Toleranz als „hochmütigen Namen“ kritisiert hat (S. 60), weil er lediglich Duldung gebiete. 130 Zur Gesetzlichkeit des Gemeinwohls K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht. Kritik der Fiskustheorie, exemplifiziert an § 1 UWG, 1986, S. 236 ff., 242 ff., 247 ff.; ders., Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 45 ff., 308 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 92 f., 486. 127

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und Bekenntnisfreiheit. Neutralität ist nicht Laizismus, wird vielfach formuliert131. Nur im Rahmen derartiger religionstoleranter Gesetze kann zugelassen werden und ist zuzulassen, daß eine Religion ihrer jeweiligen Eigenart nach ausgeübt wird. Toleranz ist das Gebot des Pluralismus heterogener, insbesondere religionspluralistischer, Bevölkerung132. Daß die Lebensverhältnisse, etwa das Ehe- und Familienrecht, nach einer Religion geordnet werden, daß also einer Heiligen Schrift Maximen entnommen werden, die sich mittels der Gesetze im alltäglichen Leben durchsetzen und (staatlich) verbindlich werden, widerspricht jedoch der Rechtslage eines freiheitlichen Gemeinwesens, einer Republik. Der Islam ist mit der skizzierten republikanischen Ethik unvereinbar, vor allem weil die Gesetze von Gott herabgesandt sind und nicht auf dem Willen der Bürger, also auf der Freiheit beruhen. Das wird in den Kapiteln X. und XI. dargelegt.

131 H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 8; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 140, Rdn. 20; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 459. 132 M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 282 ff., 299; auch K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 256.

VII. Grundrechtsschutz der pluralistischen Welt des Religiösen 1. Die religiösen Freiheiten sind somit kein politisches Grundrecht und können in einer Republik keines sein. Politik ist ausübende Rechtslehre (Kant, Zum ewigen Frieden, ed. Weischedel, Bd. 9, S. 229). Ihr wesentlicher Gegenstand ist die Gesetzgebung. Verwaltung ist Gesetzesvollzug, Rechtsprechung Rechtsklärung nach Gesetz und Recht. Beide sind auch politisch, wie überhaupt das gesamte gemeinsame Leben. Gesetzgebung bestimmt allgemein als der Wille aller Bürger das gemeinsame Leben133 und befriedet dieses, notfalls mittels Zwang134. Gesetzgebung soll das Rechtsprinzip verwirklichen135. Jeder andere Zweck der Gesetzgebung ist freiheitsund demokratiewidrig. Freilich gehört zum Rechtsprinzip die allgemeine Wohlfahrt gemäß dem Sozialprinzip (i.d.S. BVerfG vom 9. 2. 2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Abs. 132 ff.)136. Religiöse Maximen dürfen den Gesetzgeber nicht bestimmen, sondern allein das Prinzip Recht, also das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit137. Das folgt schon aus der Logik des Religionspluralismus. Wenn und weil Religion ihrem Begriff nach höchste Verbindlichkeit für den gläubigen Menschen beansprucht, weil sie Gottes Wort, das Wort des Allwissenden und Allmächtigen ist (vorausgesetzt die Religion ist theistisch), kann die Religionsfreiheit kein politisches Prinzip sein (dazu X.). Sonst gäbe die Religionsfreiheit das Recht, die eigene, die einzige Religion durchzusetzen, etwa gemäß dem mißverstandenen Mehrheitsprinzip auf Grund von Mehrheiten im Parlament. Mit dem Neutralitätsprinzip (dazu VI.) wäre das unvereinbar. Das pluralistische Toleranzprinzip verdrängt Religionen aus dem politischen/staatlichen Leben der Ersten Welt in das Leben in der Zweiten Welt, das sich prinzipiell nur im Bereich des Privaten entfalten darf138. Das ist geradezu die „Logik“ der Gleichberechtigung oder Parität im Religi-

133 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 94 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 67 ff., 318 ff. 134 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 100 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 55 ff. 135 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 54 f., 94 ff.; auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 154 f.; ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 277 ff., 293 ff. 136 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 22 , 97 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 636 ff. 137 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 22 ff., 167; ders., Freiheit in der Republik, S. 143 ff., 484 ff. u. ö. 138 So auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 388; a.A. P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 16, S. 1440; St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfas-

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onspluralismus, wie die Auseinandersetzungen um die „Gewissensfreyheit“ nach der Reformation (dazu II.) lehren, bei denen die Katholische Kirche mittels der katholischen Mehrheit der Landesfürsten im Reichstag in Augsburg am 25. September 1555 die Religionsparität abwehren konnte. Die Aufklärung, Grundlage des Modernen Staates139, hat dem religiösen Staat das Ende gesetzt140. Der Moderne Staat ist durch das Prinzip der religiösen Nicht-Identifikation gekennzeichnet141. Ob Gott tot ist oder nicht, ist eine Frage des Glaubens. Das Recht muß die Wahrheit zugrundelegen142, aber die Wahrheit ist die bestmögliche Theorie der Wirklichkeit143. Gott aber ist nicht theoretisierbar; denn eine religiöse Offenbarung ist nicht falsifizierbar. Die einen glauben an Gott, die anderen nicht. Das ist eine nur private (alleinbestimmte) Angelegenheit. Diese Lehre ist menschheitlich und gewissermaßen der christlichen Religion erwachsen; denn sie ist die Logik des kategorischen Imperativs, dieser aber nichts anderes als das säkularisierte christliche Liebesprinzip, das Gesetz aller Gesetze144, die (weiterentwickelte) lex aurea der Bergpredigt145. Freilich kennen alle Religionen in irgendeiner Weise das Liebesprinzip (Hans Küng, Projekt Weltethos, 1990). Es gehört (als Gegenseitigkeits- und Kooperationsprinzip146) zur Natur des Menschen. Jemanden zum Glauben oder zu einem Bekenntnis zu zwingen, ist nicht nur Despotie, sondern spezifisch der Glaubens- und der Bekenntnisfreiheit zuwider. Die Gleichheit in der Freiheit, die allgemeine politische Freiheit ist aber das politische Fundamentalprinzip einer Republik147. Die Spiritualität ist in die Privatheit verwiesen. Sie darf sich in Kulthandlungen sichtbar machen, also öffentlich wersungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 241, wohl in Verkennung des Begriffs der Privatheit; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 102 f. 139 Zum Begriff H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 5 ff., 83 ff. 140 T. Nagel, Die Legitimität der Neuzeit, in: Deutsche Islam Konferenz, Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, 2009, S. 158 ff. (S. 170 ff.). 141 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 161, 178 ff., auch S. 32 ff. 142 K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 196 ff.; W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: Benda/Maihofer/Vogel, Hdb. des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, S. 427 ff. (487 f.); K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 105 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 41, 143 f.; ders., Freiheit in der Republik, S. 94, 164 ff., 202, 207, 432. 143 Kant, Kritik der reinen Vernunft, ed. Weischedel, Bd. 4, S. 688; K. R. Popper, Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf, 4. Aufl. 1984, S. 44 ff., 332 ff.; K. A. Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, S. 100 ff., 105 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 144. 144 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Bd. 6, S. 25 f.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, Bd. 6, S. 205 f.; ders., Metaphysik der Sitten, Bd. 7, S. 533 ff., 584 ff. 145 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik., S. 24, 183 ff. 146 Dazu der Neurobiologe J. Bauer, Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren, 3. Aufl. 2007, der insb. Darwins „war of nature“ als „Prinzip der Unmenschlichkeit“ kritisiert, S. 95 ff., von der die Wettbewerbsideologie besessen ist. 147 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 22 ff., ders., Freiheit in der Republik, S. 405 ff.

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den148. Privatheit ist mehr als das forum internum149. Sie entfaltet sich als Alleinbestimmung auch in der Öffentlichkeit und auch im Staat150, im Rahmen der Gesetze in alleinbestimmter Sittlichkeit151. Das gesteht die Religionsausübungsfreiheit zu, mehr nicht. Eine Republik, welche die gleiche Freiheit und somit die Autonomie des Willens aller Bürger verfaßt, in der die Bürger die Gesetzgeber sind, vertreten durch die Vertreter des Volkes in den Organen des Staates152, die aber zugleich religiöse Freiheiten gewährleistet und somit eine für die Menschen wesentliche Heterogenität hinnimmt und um der Menschenrechte willen hinnehmen muß, kann die Religiosität nicht in die Politik eindringen lassen, weil das die Republikanität des Gemeinwesens ausschlösse. Eine Republik, die einen Religionspluralismus verfaßt, kann Religionen nur insoweit zur Wirkung kommen lassen, als diese soweit als möglich unpolitisch sind. Das leistet nur die Zwei-Welten-Lehre. Den Bürgern wird um der allgemeinen Freiheit willen abverlangt, daß sie sich politisch verallgemeinern153. Das ist ihre Sittlichkeit, die auch sonst von den Bürgern erwartet wird; denn sie müssen sich als Bürger und Politiker von ihren besonderen Interessen (Neigungen: Habsucht, Ehrsucht, Machtsucht) lösen, um der allgemeinen Gesetzgebung fähig zu sein154. Eine andere Freiheit, jedenfalls politische Freiheit, haben sie ausweislich des Art. 2 Abs. 1 GG nicht, der die Freiheit (u. a.) durch die Bindung an das Sittengesetz, den kategorischen Imperativ, definiert155. Folglich muß der Religionsbegriff des Grundgesetzes republikanisch und pluralistisch definiert werden. Religionen also, welche die Trennung des Religiösen vom Politischen, des Geistlichen vom Weltlichen nicht leisten (dazu X. 3. und XI. 2.), finden keinen Schutz in dem Religionsgrundrecht des Grundgesetzes. Der Staat ist nicht befähigt und nicht berechtigt, eine Religion daraufhin zu differenzieren, welche ihrer Materien des grundrechtlichen Schutzes fähig sind und welche nicht. Nur der religiöse Mensch und die Religionsgemeinschaft können ihre Maximen als Religion definieren. Das religiöse Selbstverständnis ist unausweichlich156. Eine 148

St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 246. 149 H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4, Rdn. 11, 34 zur Gedankenfreiheit (forum internum); i.d.S. P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 16, S. 1440, dessen Begriff des „Privatbereichs“ unklar ist. 150 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 449 ff., 627 ff., so auch H. Steiger, Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat, S. 119 ff., auch S. 114 ff., 116 ff.; i.d.S. mit unklarer Dogmatik A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 11 ff. 151 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 458 ff. 152 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S.275 ff., 560 ff., 637 ff., 707 ff.; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 28 ff., 50 ff. ( 52 f.), 94 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 203 ff., 274 ff., 440 ff. 153 Ganz so H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 160 ff. u. ö. 154 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 83 ff. 155 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 256 ff., 318 ff., 405 ff. 156 Hinweise zu und in Fn. 20.

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Religion, die den Religionspluralismus und die Republikanität des Gemeinwesens nicht zur eigenen Maxime macht, kann keinen Schutz des Religionsgrundrechts in Anspruch nehmen157. Zu dieser Dogmatik gibt es Parallelen. So können Parteien, welche „nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“, sich nicht auf die (sogenannte) Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG berufen. Sie sind vielmehr nach Absatz 2 dieser Vorschrift verfassungswidrig. Vereinigungen, die sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“, also die freiheitliche demokratische Grundordnung, richten, sind durch Art. 9 Abs. 2 GG verboten. Zur verfassungsmäßigen Ordnung dieser Vorschrift gehören die Menschenrechte und damit auch die religiösen Freiheiten. Vereinigungen, welche die religiösen Freiheiten anderer, also den Religionspluralismus, nicht akzeptieren, fallen unter dieses Verbot, auch religiöse Vereinigungen, die aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht etwa entgegen den Verboten des Art. 9 Abs. 2 GG das Privileg herleiten können, die religiösen Freiheiten Dritter zu bekämpfen oder auch nur in Frage zu stellen. Auch für religiöse Vereinigungen gilt Art. 9 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 2 S. 1 WRV, wenn dessen Tatbestand verwirklicht wird, nicht Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (a.A. BVerfGE 83, 341 (354 f.))158. „Die Freiheit zur Vereinigung in Religionsgesellschaften gewährleistet“ Art. 137 Abs. 2 S. 1 WRV als Spezialvorschrift zu Art. 9 Abs. 1 GG. Demgemäß ist diese Freiheit entgegen der allgemeinen Vereinigungsfreiheit nicht auf Deutsche begrenzt. Diese Spezialität stellt aber nicht von den Verboten des Art. 9 Abs. 2 GG (§ 3 Abs. 1 VereinsG) frei (BVerwGE 37, 344 (363 ff.); 105, 117 (121))159. Das folgt bereits aus Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 1 WRV, der den Vorrang 157

I.d.S. Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 67, 72. J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 465; ders., Verbots- und Auflösungsmöglichkeiten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung, DÖV 1973, 182, 185 ff.; H. v. Mangoldt/F. Klein/ Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 49, unklar; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 129 ff.; dies., Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S.46 f., die der Verfassungsnormkonkurrenz keine prozessualen oder materiellrechtlichen Konsequenzen entnimmt; St. Muckel, in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 40; a.A. A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 18, 213 (Art. 137 Abs. 2 S. 1 WRV wiederholt nur Art. 4 Abs. 2 GG); R. Poscher, Vereinsverbote gegen Religionsgemeinschaften? – Die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz als Akt unbewußter symbolischer Gesetzgebung –, KritV 85 (2004), S. 298 ff. (299 ff.). 159 H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 49, 93; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 114 (Verbote des Art. 9 Abs. 2 GG sind grundrechtsimmanente Schranken); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, ErgL. Nov. 1988, Art. 4, Rdn. 97; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 208 ff., will (nach mühsamen Umwegen auf dogmatischen Irrwegen) Art. 9 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage eines Verbots von Religionsvereinigungen nur in verfassungskonformer Interpretation zulassen, wenn nämlich die verfassungswidrigen Ziele mit physischer Gewalt verfolgt werden, S. 455 f., 464; A. von Campenhausen, in: H. v. Man158

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des Staatlichen und damit aller staatlichen Gesetze vor der Freiheit der Religionsausübung klarstellt (dazu VIII.). Die Vereinigung in einer Religionsgesellschaft ist aber (typische) Religionsausübung. Die Bindung der Religionsgesellschaften an die „für alle geltenden Gesetze“ stellt zudem Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV für deren Tätigkeit klar160. Eine Vereinigung zu verbotener Tätigkeit kommt mit dieser „Schranke“ von „Angelegenheiten“ von Religionsgesellschaften in Konflikt. Im übrigen sind die Verbote des Art. 9 Abs. 2 GG derart grundlegend für ein bürgerliches Gemeinwesen, eine Republik also, daß eine Privilegierung irgendwelcher Handlungen abwegig wäre. Die Verbote des Art. 9 Abs. 2 GG gehören nicht nur zu den allgemeinen Gesetzen, die nach überwiegender Lehre auch die Religionsfreiheiten einschränken (BVerwGE 37, 344 (363 f.))161, sondern sind ordre public Deutschlands, jedenfalls die beiden letzteren Verbote und damit das Verbot, Vereinigungen zu bilden, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Das Religionsgrundrecht kann von diesem fundamentalen Verbot nicht freistellen. Das ist auch nicht Gegenstand des grundrechtlichen Schutzes der transzendentalen Zweiten Welt des Geistlichen (dazu X.). Ralf Poscher weist auf die Unterscheidung der Weimarer Reichsverfassung zwischen religiösen Vereinen und Religionsgesellschaften hin, die aus Art. 124 Abs. 1 S. 2 WRV und Art. 137 WRV folgte. Auch religiöse Vereine fanden nicht den Schutz des Art. 124 Abs. 1 WRV, wenn ihre Zwecke den Strafgesetzen zuwiderliefen. Für sie galt nichts anderes als für andere Vereine und Gesellschaften auch162. Art. 9 Abs. 2 GG ist (erweitert und verschärft) die Nachfolgevorschrift zu Art. 124 WRV. In der Sache bleibt diese Unterscheidung hilfreich. Religionsgesellschaften, welche den Schutz des Grundrechts des Art. 4 Abs. 2 GG genießen, können keine Vereinigungen sein, die durch Art. 9 Abs. 2 GG verboten sind; denn derartige Religionsgesellschaften bewegen sich nicht in den Schutzgrenzen des Grundrechts, das die ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Die Verbote des Art. 9 Abs. 2 GG wiederholen die allgemeinen Grenzen jedes freiheitsschützenden Grundrechts. Das erweist bereits die Definition der allgemeinen Freiheit in Art. 2 Abs. 1 GG, wenn man diese richtig versteht (dazu IV.). Religionen und damit Religionsgesellschaften, welche durch Art. 4 Abs. 2 GG und durch Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 2 S. 1 GG geschützt werden, setzen ihre äußere und innere Säkularität voraus. Nur für Handlungen, die im Wesentlichen der Zweiten Welt, der jenseitigen Welt des Religiösen ohne Wirkung auf die diesseitige Welt des Politischen zuzuordnen sind (dazu X.), gibt Art. 4 Abs. 2 GG Grundrechtsschutz. Diesem Grundrechtsschutz stehen einzelne Abweichungen vom Religoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 213; ders., Religionsfreiheit, HStR, 1. Aufl. 1989 Bd. VI, § 136, Rdn. 83. 160 Dazu K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 218 ff., mit wortlautgerechter Restriktion des Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV auf Ordnen und Verwalten, S. 292, aber in Verkennung der Materie und der Relevanz des Art. 136 Abs. 1 WRV, S. 294 ff. 161 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 465: weitere Hinweise in Fn. 201. 162 R. Poscher, Vereinsverbote gegen Religionsgemeinschaften? KritV 85 (2004), S. 303 ff.

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giösen in den Bereich des Politischen nicht entgegen, sondern die substantielle Politizität der Handlungen, vor allem der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (dazu XI.)163, gegen die Ordnung, welche sich die Deutschen in ihrem Grundgesetz gegeben haben (Art. 20 Abs. 4 GG), die verfassungsmäßige Ordnung. Aus materiellen Gründen also greift das Vereinsverbot des Art. 9 Abs. 2 GG gegen grundrechtsgeschützte Religionsgesellschaften nicht. Ralf Poscher spricht insofern zu Recht von einem Scheinproblem164. Vereinigungen von Muslimen, die eine politische Religion haben, die der Sache nach eine allgemeine nichtsäkulare Lebensordnung ist, sind religiöse Vereine, die unter Art. 9 GG, die Vereinigungsfreiheit subsumiert werden müssen und damit dem Verbot des Absatz 2 dieser Vorschrift unterliegen (dazu XIII.).

163 I.d.S. auch R. Poscher, Vereinsverbote gegen Religionsgemeinschaften? KritV 85 (2004), S. 306 ff., 309 f. 164 R. Poscher, Vereinsverbote gegen Religionsgemeinschaften? KritV 85 (2004), S. 303 ff.

VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt 1. Weiterhin ist die ebenso streitbare wie strittige Frage von Schranken der Religionsfreiheiten zu bedenken. Es versteht sich, daß ein weiter Begriff der Religionsfreiheit zu weiten Schranken eines solchen Grundrechts nötigt, während enge und richtige Begriffe der religiösen Freiheiten dem Text des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gemäß Schranken erübrigen165. Die Grundrechte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sind (abgesehen von der Vorrangregelung des Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 1 WRV) schrankenlos gewährleistet, was keineswegs heißt, daß sie grenzenlose Rechte verheißen. Die Freiheiten des Art. 4 Abs. 1 GG sind nicht nur dem Wortlaut des Grundrechts nach nicht einschränkbar (a.A. BVerfGE 28, 243 (260); 32, 98 (107); 33, 23 (30))166, sondern vor allem nach ihrem Gegenstand, nämlich dem Glauben, dem Gewissen und dem Bekenntnis. Das sind innere Vorgänge, welche keiner gesetzlichen Regelung fähig sind, weil im forum internum weder Verbote noch Gebote erzwungen werden können. „Recht ist mit der Befugnis zu zwingen verbunden“ (Kant, Metaphysik der Sitten, ed. Weischedel. Bd. 7, S. 338 f.)167. Darum sind die Freiheiten des Art. 4 Abs. 1 GG auch „unverletzlich“. Das Bundesverfassungsgericht zieht der (vom ihm kreierten) Religionsfreiheit wegen der „Einheit der Verfassung“168, wegen der „gesamten Wertordnung“ und wegen der „kollidierenden Grundrechte Dritter“ aus dem Grundgesetz abgeleitete, im Grundrechtstext nicht genannte verfassungsimmanente Schranken (BVerfGE 19, 206 (220); 32, 98 (107 f.); 33, 23 (30 f.); 41, 29 (50 f.); 44, 59 (67); 52, 223 (246 f.); 93, 1 (21); 108, 282 (299); auch BVerfGE 28, 243 (260 f.) für die Gewissensfreiheit; ebenso BVerwGE 49, 202 (208 f.); 90, 112

165 Vgl. M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 62, der das mißversteht. 166 Anders die herrschende Meinung, die Rechte zu äußerem Handeln aus diesem Grundrecht herleitet; etwa H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 84. 167 Dazu Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 100 ff., 110 ff. 168 Vgl. F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 160 ff.; H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 338; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 327 f.; H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, in: D. Merten/ders., Handbuch der Grundrechte (HGR), Bd. III, 2009, § 64, Rdn. 6, 18; kritisch K. Groh, Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 55 f.; zum Argument der Einheit der Verfassung berichtend K. Stern/M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 2, Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1994, S. 560 ff.

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VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt

(122); 105, 115 (122); 112, 207 (230))169 und zeigt damit, daß seine Dogmatik der sogenannten Religionsfreiheit selbst fragwürdig ist170. Richtigerweise ist die Verfassung, der Kern des Verfassungsgesetzes, grundrechtsimmanente Grenze jeden Freiheitsschutzes, nicht erst Freiheitsschranke in mehr oder weniger beliebigem Ausgleich der Werte durch die Judikative (dazu XI. 1.). Es kann keinen Grundrechtsschutz für Handlungen geben, welche sich gegen die Menschheit des Menschen, die Verfassung, die mit dem Menschen geboren ist, richten. Zudem, judiziert das Gericht, müssen diese Schranken durch „eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage“ materialisiert sein (BVerfGE 83, 130 (142); 108, 282 (297, 299, 303, 311 f.))171. Weiterhin muß der Gesetzgeber gegenläufige Grundrechte Dritter, welche durch die Religionsausübung beeinträchtigt werden (können), zu „einem möglichst schonenden Ausgleich“ bringen (Grundsatz der „praktischen Konkordanz“ „der widerstreitenden Rechtspositionen“, BVerfGE 28, 243 (260 f.); 41, 29 (50 ff.); 52, 223 (247, 251); 93, 1 (21); 108, 282 (297); auch BVerwGE 90, 112 (122); 94, 82 (83, 89, 91); 112, 207 ( 230))172.

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Berichtend zu Grundrechtsbegrenzungen durch nicht spezifisch grundrechtsbegrenzende Grundgesetzbestimmungen K. Stern/M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 2, Allgemeine Lehren der Grundrechte, S. 571 ff., zu den Strukturprinzipien S. 574 ff., zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung S. 575 f., (selbst kritisch). 170 Die Literatur folgt der fragwürdigen Schrankendogmatik, etwa J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 465 ff.; H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 335 ff., der Art. 136 Abs. 1 WRV übersieht und S. 335 ff. im Rahmen der Güterabwägung gar eine Stufenordnung der Grundrechte befürwortet, in der die vorbehaltlosen Grundrechte eine Vorrangstellung hätten (?); Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 542 f.; St. Muckel, Kirchenrecht, § 10, Rdn. 27 ff., S. 72 ff.; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 16; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 115, Bd. II, Art. 136 WRV, Rdn. 19; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311 ff. (312); A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 51, 67 ff.; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 179 ff., 306 ff., u.ö; kritisch F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 160 ff.; P. Lerche, Grundrechtsschranken, HStR Bd. 5, 1992, § 122, Rdn. 24, spricht von „Leerformel“ und macht Rdnrn. 14 ff. gemäß seiner Lehre vom Übermaßverbot Vorschläge für ausgleichende Kollisionslösungen. 171 M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 116; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 67; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 308 ff.; dies., Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 54 f. („ungeschriebener Gesetzesvorbehalt, über den kollidierendes Verfassungsrecht einfachgesetzlich konkretisiert und der Berufung auf das Grundrecht entgegengesetzt werden kann“); F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 161, kritisch. 172 H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, HGR, Bd. III, § 64, Rdn. 23 ff., 32, 37 ff.; vgl. F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 160 ff.; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 327 f., kritisch; für die widerstreitenden Religionsinteressen J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 443.

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Wesentlich ist der Verfassungssatz des Art. 136 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG, nach dem, wie schon zitiert, die „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden“. Das ist eine Klarstellung des Gegenstandes der religiösen Freiheiten dahingehend, daß das Recht zur ungestörten Ausübung der Religion (Art. 4 Abs. 2 GG) oder zur Ausübung der Religionsfreiheit (Art. 136 Abs. 1 WRV) die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten nicht schmälert. Vielmehr ist nach dieser Vorschrift der bürgerliche Status, der zugleich ein staatsbürgerlicher Status ist, gemäß der Zwei-Welten-Lehre unabhängig von der Religion und deren Ausübung173. Diese Lesweise stimmt mit der hier dargelegten Dogmatik überein. Es ist bezeichnend, daß das Bundesverfassungsgericht Art. 136 WRV trotz dessen grundgesetzlichen Ranges für seine Dogmatik der Religionsfreiheit nicht heranzieht (BVerfGE 33, 23 (31); ausdrücklich anders BVerwGE 112, 227 (231 f.); anders auch BGHZ 38, 317 (320))174. Die Widersprüchlichkeit wäre nicht zu beheben. Art. 136 WRV wird in einer ebenso geschichtsvergessenen wie philosophiefreien und damit rechtsfernen Lehre isoliert und auf ein Differenzierungsverbot reduziert175. Ein Differenzierungsverbot steht bereits in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 S. 1 GG. Art. 136 Abs. 1 WRV regelt durchaus ein Diskriminierungs-176 und Privilegierungsverbot, aber das ist nicht die gesamte Aussage der Vorschrift. Sie stand in der Weimarer Verfassung im Zusammenhang mit Art. 135 WRV, dessen Sätze 2 und 3 Klarheit schafften, nämlich: „Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.“ Diese Selbstverständlichkeit des Vorranges der allgemeinen Staatsgesetze hat das Grundgesetz nicht in seinen Text übernommen. Sie folgt nicht nur aus dem Staatsprinzip, dessen Vorrang in Art. 137 Abs. 1 WRV/Art. 140 GG: „Es besteht keine Staatskirche“177, bestätigt wird, sondern sie war ausweislich der Entstehungsgeschichte der

173 Dazu W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 444 ff. (462 ff.). 174 Hinweise zu und in Fn. 92; nicht unkritisch J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 120 ff.; kritisch W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 462 ff.; K.-H. Kästner, Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AÖR 123 (1998), S. 435; im Erg. wie hier H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 88 ff. 175 Etwa K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 302 ff., deren umfangreiche Arbeit an einem erkenntnisrelevanten Bildungsdefizit leidet; dies., Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 49 f.; nicht besser M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4 GG, Rdn. 112, Bd. 3, Art. 140 GG/Art. 136 WR , Rdn. 1, 19; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 322 ff.; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 113. 176 So K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdn. 437, S. 188. 177 Dazu A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 90 ff.

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VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt

grundgesetzlichen Religionsverfassung178 allgemeine Auffassung in den Ausschüssen, deren Mitglieder den Freiheitsbegriff des allgemeinen Freiheitsgrundrechts richtig verstanden und darum die allgemeine Gesetzlichkeit der Religionsausübung als die Bedingung der religiösen Freiheiten gesehen haben, jedenfalls überwiegend, die sie in einem religionspluralistischen Staat ist. So hieß es im Vorschlag des Redaktionskomitees des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung ist unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet“. Der allgemeine Redaktionsausschuß hat danach formuliert: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Die allgemeinen Gesetze bleiben unberührt“179. Darauf folgte eine dogmatische Debatte im Grundsatzausschuß, die in der Sache nichts geändert hat180. Mehr gibt auch Art. 4 Abs. 2 GG nicht her. Die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung relativiert schon dem Wortlaut nach nicht die Staatlichkeit des Staates. Dieser Staat ist säkularisiert, aber erlaubt die Religionsausübung, freilich nur soweit die Gesetze des Staates unberührt bleiben. Dieses Grundrecht wandelt den aufklärerischen Staat nicht in einen multireligiösen Staat, der zudem nicht durch allgemeine Gesetze materialisiert werden könnte. Art. 4 Abs. 2 GG schränkt das bürgerliche Friedensprinzip nicht ein, das Religionen wegen ihrer Pluralität nur gewähren lassen kann, wenn die staatlichen Gesetze uneingeschränkt Vorrang haben. Die inkorporierte Vorschrift (BVerfGE 19, 206 (219))181 des Art. 136 Abs. 1 WRV bestätigt oder schärfer: setzt voraus, daß die „Ausübung der Religionsfreiheit“ unter dem Gesetz steht (BVerwGE 112, 207 (231 f.), „ausdrücklicher staatsbürgerlicher Pflichtenvorbehalt“, „Gesetzesbefolgungspflicht“); denn die Gesetze regeln die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, nicht etwa nur das Grundgesetz. Es sind alle „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ erfaßt, die nun einmal Gesetze voraussetzen. Eigentlich distanzieren Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 136 Abs. 1 WRV/Art. 140 GG den Staat im Sinne der Nicht-Identifikation (oder, wenn man so will, der Neutralität182) vom Glauben und dessen Bekenntnis und gebieten grundrechtlich, die Religionen und deren Ausübung soweit zu gewährleisten, als das im Modernen Staat möglich ist. Dabei ist der bürgerliche/politische Vorrang des Staatlichen vor dem Religiösen (dazu VI.), des Weltlichen vor dem Geistlichen, der diesseitigen Ersten vor der jenseitigen Zweiten

178 Dazu an sich genau H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 316 ff., der die falschen Schlüsse zieht, weil er zum einen mit dem Bundesverfassungsgericht ein Gesamtgrundrecht der Religionsfreiheit zugrundelegt und zum anderen die Freiheit nicht versteht (dazu IV. und 2.); weitere Hinweise zur Entstehungsgeschichte in Fn. 188. 179 Deutscher Bundestag/Bundesarchiv, Der Parlamentarische Rat. Ausschuß für Grundsatzfragen, 1993, S. 109 ff.; vgl. H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311 316 ff. 180 Dazu mit anderer Beurteilung H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 316 ff. 181 H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 8. 182 H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 323.

VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt

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Welt183 die fraglose Voraussetzung der religiösen Freiheiten184. Die „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ schränken die Ausübung der Religionsfreiheit nicht eigentlich ein185, weil die Religionsausübungsfreiheit sich nicht zu Lasten, sondern nur im Rahmen dieser Rechte und Pflichten entfalten darf, also weiter gar nicht reicht. Die rechtliche Wirkung dieses Staatsvorrangs ist schärfer als die eines Gesetzesvorbehalts. Die Ausübung der Religionsfreiheit „bedingt und beschränkt“ nach Art. 136 Abs. 1 WRV nicht die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Es steht dort nicht, daß die Ausübung der Religionsfreiheit durch die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten bedingt oder beschränkt werden dürfe. Das ist ein wesentlicher Unterschied, der dogmatisch nur mit der Zwei-Welten-Lehre und den mit dieser verbundenen Vorranglehre des Staatlichen/Politischen vor dem Religiösen erfaßt werden kann. Im Ergebnis wirkt dieser Vorrang wie ein uneingeschränkter Gesetzesvorbehalt der Religionsausübungsfreiheit186, ja ein umfassender Gesetzesvorbehalt; weil äußere Rechte und Pflichten

183 Richtig M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 19; tendenziell J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 120; auch W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 464, 467, 473, 474. 184 In diesem Sine G. Anschütz, WRV. Komm. Art. 135, Anm. 6, der Art. 136 Anm. 1 richtig vom „Vorrang“ spricht. 185 So aber H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 81, 87, 88 („eindeutig“), der das „unberührt“ in Art. 135 S. 3 WRV, den G. Anschütz zu Recht zur Erläuterung des Art. 136 Abs. 1 WRV herangezogen hat (WRV. Komm. Art. 136 Anm. 1) als Schrankenregelung mißversteht, obwohl Anschütz ausdrücklich vom „Vorrang“ gesprochen hat. 186 Deutlich für einen Gesetzesvorbehalt St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 224 ff., 253 ff.; ders., Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 253 ff.; ders., Kirchenrecht, § 10, Rdn. 27 ff.; folgend K.-H. Kästner, Hypertrophie des Grundrechts der Religionsfreiheit? Über das Verhältnis der Religions- und Weltanschauungsfreiheit zum Geltungsanspruch des allgemeinen Rechts, JZ 1998, 974 ff., 982; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 462 ff., 467, 473, 474; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 538 ff. (542 f.); F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 163 ff.; i.d.S. H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Komm., 5. Aufl. 2005, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 87 ff.; im Erg. J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 122; auch D. Merten, Vereinsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, Freiheitsrechte, 3. Aufl. 2009, § 165, Rdn. 71; a.A. H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311 ff., insb. S. 322 ff.; A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HStR, Bd. VII (3. Aufl. 2009), § 157, Rdn. 111, anders noch 1. Aufl. 1989 Bd. VI, § 136, Rdn. 82; ders., in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 140, Rdn. 6; ders./H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 67 f.; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 112, in Verkennung der Entstehungsgeschichte und noch mehr des Begriffs der Gewissensfreiheit, weil diese nicht unter dem Gesetzesvorbehalt des Art. 136 Abs. 1 WRV stehe. Wie sollte das Gewissen als ethische Kategorie der Sittlichkeit und Moralität unter Gesetzesvorbehalt stehen? Es ist das „Organ“ des Selbstzwanges zur Rechtlichkeit des Handelns (vgl. K. A. Schachtschneider, Sittlichkeit und Moralität – Fundamente von Ethik und Politik in der Republik, 2004, in: ders., Freiheit – Recht – Staat, hrsg. von D. I. Siebold/A. Emmerich-Fritsche, 2005,

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VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt

des Bürgers nur durch Gesetze (oder durch Verträge, Verwaltungsakte und Richtersprüche)187 begründet werden (können). Der Gesetzesvorrang, der mit den Gesetzen des Staates verbunden ist, ist aber, entgegen der Dogmatik des Bundesverfassungsgerichtes, aber mit der Entstehungsgeschichte (Religionsausübung nur „im Rahmen der öffentlichen Ordnung“ oder nur in den Grenzen des Art. 2 Abs. 1 GG)188, Materie der religiösen Freiheiten und kommt nicht erst als Schranke derselben zur Geltung, nämlich die geschützte geistliche Materie (Glauben, Bekenntnis), die an sich mit der weltlichen nichts gemein hat. Nur die Religionsausübung kann ein äußeres Handeln sein, das in die Erste Welt dringt. Es darf sich aber nur entfalten, soweit es die staatlichen Gesetze achtet. Das Religionsgrundrecht gibt somit im Gegensatz zu den anderen Grundrechten der Gesetzgebung des Staates keine materiale Orientierung im Sinne eines verfassungsrechtlichen Leitprinzips189, welches mit den anderen Orientierungen im Sinne praktischer Konkordanz190 zum Ausgleich zu bringen wäre (so aber BVerfGE 28, 243 (260 f.); 41, 29 (50 f.); 41, 65 (78); 52, 223 (247, 251); 93, 1 (21); allgemein BVerfGE 30, 173 (193 ff.))191, sondern erlaubt lediglich Eingriffe

S. 23 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 83 ff., 615); K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 294 ff., 296 ff., 299 ff., 303. 187 Dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 94 f., 118 ff., 149 ff. 188 A. Süsterhenn, Protokoll der 24. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates vom 23. 11. 1948. Akten und Protokolle, Bd. 5/II, Boppard 1993, Dok. Nr. 31, S. 626 f.: Die Freiheit der Religionsausübung ist nach Art. 2 GG „nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Zur verfassungsmäßigen Ordnung des Gemeinwesens gehören nicht nur die Artikel der Verfassung, sondern auch die Gesetze, die in Übereinstimmung mit der Verfassung zur Ordnung des Gemeinwesens ergangen sind“, völlig richtig; denn es gibt keine Freiheit gegen die Gesetze des Rechts; i.d.S. der Berichterstatter des Hauptausschusses für das Plenum von Brentano, Parl.Rat, Drucksachen Nr. 850, 854, S. 73 f. (zitiert in BVerfGE 19, 206 (219 f.)), der zwar den Vorrang von Bestimmungen des Grundgesetzes vor denen, die aus den Weimarer Verfassungsartikeln übernommen werden, erklärt hat, aber nur, wenn beide „im Widerspruch stehen“, von einem Widerspruch kann aber im Verhältnis von Art. 4 Abs. 2 GG und Art. 136 WRV keine Rede sein; mißverstanden von H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 320 f., der das materiell mißdeutet, weil das Sittengesetz nicht versteht; vgl. St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 227 ff.; ders., Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 253 f.; ders./ R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 249; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 462 f., 469 ff.; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 543; a.A. M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 18, der die Entstehungsgeschichte nicht genau studiert hat. 189 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 819 ff. 190 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdn. 317 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 53 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 880 ff., 895 ff., 900 ff. 191 Vgl. K.-H. Kästner, Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AÖR 123 (1998), S. 408 ff. (434 ff.); folgend die herrschende (meist abschreibende) Meinung, etwa I. von Münch, in: ders./Kunig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 1992, Art. 4, Rdn. 53 ff.; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 327 f.; St. Muckel, Kirchenrecht, § 10, Rdn. 5, 30.

VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt

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des Staates in den Bereich des Geistlichen oder eben in die Zweite Welt abzuwehren. Durch das Religionsgrundrecht wird der Staat nicht in irgendeiner Weise geistlich/religiös ausgerichtet oder gebunden. Das ist in dem religionspluralistischen Modernen Staat oder eben in der Republik auch ausgeschlossen. Darum ist das Prinzip der NichtIdentifikation des Staates mit einer oder mehreren Religionen wie überhaupt mit dem Religiösen die von Herbert Krüger richtig vorgetragene Dogmatik192. Die an sich verfehlte Doktrin der negativen Glaubensfreiheit (BVerfGE 41, 29 (49); 52, 223 (246 ff.); 93, 1 (16 ff.); dazu IX.) erweist diese Undurchführbarkeit. Wie etwa sollten sowohl die positive Religionsfreiheit, also eine Religion zu haben und dieser Religion gemäß zu leben, als auch die negative Religionsfreiheit, keine Religion zu haben und nicht einer Religion anderer gemäß leben zu müssen, Leitentscheidungen für die Politik des Staates sein? Religions- und Weltanschauungspluralismus sind nur lebbar, wenn der Staat sich in keiner Weise mit dem Religiösen identifiziert und diesem (prinzipiell) keinen Einfluß auf die Politik einräumt. Demgegenüber dogmatisiert das Bundesverfassungsgericht die „Religionsfreiheit“, eigentlich die Religiosität, als ein materiales Verfassungsprinzip, das gemäß der Dogmatik der verfassungsimmanenten Schranken („Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte“) der vorbehaltlosen Grundrechte (BVerfGE 30, 173 (193 ff.); 81, 278 (292 f.); 83, 130 (139); 84, 212 (228); 93, 352 (360)) nur zugunsten anderer materialer verfassungsrangiger Gemeinschaftsinteressen oder zugunsten der Grundrechte Dritter eingeschränkt werden dürfe (BVerfGE 33, 23 (30 f.); 108, 282 (297, 299) u. ö.)193. Dadurch erlangen die religiösen Freiheiten einen denkbar hohen Rang im materiellen staatlichen Verfassungsgefüge der Ersten Welt und verläßt die Religiosität prinzipiell die Zweite Welt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Säkularisation nicht hinreichend vollzogen, wird aber mit den daraus unvermeidbar folgenden Schwierigkeiten nicht fertig. 2. Die vorgestellte Dogmatik folgt auch aus dem zu IV. dargelegten Freiheitsbegriff selbst; denn Freiheit wird durch Gesetze verwirklicht194. Das Gesetzesprinzip ist der Freiheit und jedem Schutz der Freiheit immanent195. Diese Dogmatik hebt kei192

Hinweise zu und in Fn. 105. Hinweise wie zu und in Fn. 170; H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, HGR, Bd. III, § 64, Rdn. 23 ff., 35 ff.; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 313 f.; kritisch St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 224 ff.; ders., Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 250 ff., 253 ff.; ders., Kirchenrecht, § 10, Rdn. 27 ff.; folgend K.-H. Kästner, Hypertrophie des Grundrechts der Religionsfreiheit? JZ 1998, 982; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 464 ff., 468; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 543; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 306 ff.; nicht unkritisch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, ErgL. Nov. 1988, Art. 4, Rdn. 111 ff. 194 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 22 ff., 97 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 49 ff., 288 ff. 195 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 343 ff., 384 f., 515 ff. (am Beispiel der Kunstfreiheit); ganz so im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates A. Süsterhenn, 193

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nesfalls die Freiheit auf. Aus dem Vorrang der Verfassung folgt vielmehr, daß die politische Freiheit nicht zu Lasten der politischen Leitentscheidungen der Grundrechte (deren objektiver Dimension) benutzt werden darf196. Vielmehr muß der Gesetzgeber die politischen Leitentscheidungen, wenn man so will, den Wert der Grundrechte als Menschenrechte, bestmöglich in Abwägung mit den politischen Leitentscheidungen der anderen Grundrechte zur Entfaltung bringen (i.d.S. BVerfGE 30, 173 (193 ff.); 47, 327 (369 f.); st. Rspr.; BVerfGE 83, 130 (139))197. Das führt (u. a.) zum sogenannten Toleranzprinzip des Religionspluralismus198, nicht aber zu irgendeiner politischen Relevanz bestimmter religiöser Materien. Das Bundesverfassungsgericht folgert das Gesetzlichkeitsprinzip aus der Aufgabe, die widerstreitenden Verfassungsprinzipien zum Ausgleich zu bringen, also durch Gesetz, jedenfalls „im wesentlichen“, zu materialisieren (BVerfGE 83, 130 (142); 108, 282 (297, 299, 303, 311 f.), ungeschriebener qualifizierter Gesetzesvorbehalt). Das Gericht kommt also auch nicht umhin, die Verwirklichung des vorbehaltlosen Religionsgrundrechts wegen der anderen Verfassungsprinzipien dem Gesetzgeber zu überlassen199. Das läuft wiederum auf einen Gesetzesvorbehalt hinaus; denn die Materie der Verfassungsprinzipien, zumal das Sozialprinzip, ist derart weit und offen, daß sie sich nicht vom Gemeinwohlprinzip unterscheidet. Freilich ist der Gesetzgeber, der den Gesetzesvorbehalt eines Grundrechts nutzt, an dessen seine Geltungskraft verstärkende (BVerfGE 50, 290 (337)) objektive Dimension gebunden (Wechselwirkungslehre, BVerfGE 7, 198 (208 ff.); st. Rspr.; BVerfGE 86, 1 (10 f.); 91, 125 (135 f.); auch BVerwGE 112, 207 (233))200. Der Gesetzgeber muß somit die religiösen Freiheiten in seiner Politik bestmöglich berücksichtigen, d. h. er muß hinreichende Privatheit für die Religionsausübung lassen. Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 1 WRV hat an sich einen anderen Gehalt. Er gibt den Gesetzen der Ersten Welt den uneingeZitat in Fn. 188; im Erg. so für die Religionsfreiheiten R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, ErgL. Nov. 1988, Art. 4, Rdn. 114, 116, 117 („Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG analog“); zu ungeschriebenen Grundrechtsbegrenzungen und zu Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeine Freiheitsschranke K. Stern/M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 2, Allgemeine Lehren der Grundrechte, S. 547 ff., 571 ff. (zum allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt, kritisch); richtig H. von Mangoldt/Fr. Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 1957, Vorbem. B XV, 3a, Art. 2 Anm. III 5 b, IV vor 1 (Art. 2 Abs. 1 enthält allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt, der auch Grenze vorbehaltloser Freiheitsgewährleistungen ist); dazu Hinweise auch zu und in Fn. 204, 430. 196 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 328 ff., 355 ff. 197 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 328 ff., 355 ff., 515 ff. 198 M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 283; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 459 f.; weitere Hinweise in Fn. 128 f. 199 Hinweise zu und in Fn. 171. 200 K. A. Schachtschneider, Medienmacht versus Persönlichkeitsschutz, S. 276 ff.; für die Religionsgrundrechte R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 74; für Art. 136 Abs. 1 WRV H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 89 f.; auch St. Muckel, in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 42.

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schränkten Vorrang vor der Religionsausübung. Allerdings müssen es allgemeine Gesetze, „das für alle geltende Gesetz“ (wie in Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV), sein, Gesetze, die sich nicht spezifisch gegen Religionen oder Religionsausübung richten (BVerwGE 112, 207 (231 f.))201, und diese Gesetze dürfen im Sinne der Wechselwirkungslehre202 die Religiosität nicht ersticken, sondern müssen diese bestmöglich zur Entfaltung kommen lassen („Wohlwollensgebot“)203, freilich nur eine Religiosität, welche den Schutz des Religionsgrundrechts in Anspruch nehmen kann. Das gilt auch für die Vorranglehre der Zwei-Welten, weil diese die objektive Dimension des Religionsgrundrechts nicht schmälert. Das Bundesverfassungsgericht weist eine Beschränkung der Religionsfreiheiten durch die Schranken der allgemeinen (Handlungs)Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, nämlich die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz, zurück (BVerfGE 23, 50 (55 f.); 32, 98 (107); 44,37 (49 f.); 52, 223 /246))204, lehnt also den grundrechts- und tatbestandsimmanenten Gesetzesvorbehalt ab. Das Gericht sieht die genannten Formeln als Schranken spezifisch der allgemeinen Handlungsfreiheit (BVerfGE 6, 32 (36 ff.), st. Rspr.; BVerfGE 90, 145 (171); 113, 88 (103)), welche hinter Art. 4 Abs. 1 GG als der „lex specialis“ zurücktrete (BVerfGE 32,

201 Ganz so im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates H. von Mangoldt, Protokoll der 24. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates vom 23. 11. 1948. Akten und Protokolle, Bd. 5/II, Boppard 1993, Dok. Nr. 31, S. 626 – 628: „Wegen dieser Vorschrift (sc. „die ungestörte Religionsausübung“) kann ein Spezialgesetz, das die Religionsausübung einschränkt oder gar unmöglich macht, nicht erlassen werden“; K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 26 ff.; so auch W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 472 ff.; St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 230 ff.; ders., Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 254 f.; ders./R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 250; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 192 ff., als „Schranke“ des „kirchlichen Selbstbestimmungsrechts“ des Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV (sehr restriktiv, nur „zwingende Erfordernisse für ein friedliches Zusammenleben in einem Staat“, Rdn. 193 f., 201 (?); vgl. Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 543. 202 Hinweise in Fn. 200; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 196, 201 f. 203 M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 283; St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 254 f.; H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 328 ff. 204 Folgend I. von Münch, in: ders./Ph. Kunig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, Art. 4, Rdn. 53 („kein Gemeinschaftsvorbehalt“); H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 85, in Verkennung des Grundrechts der allgemeinen Freiheit, zumal des definitorischen Sittengesetzes; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 69; H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, HGR, Bd. III, § 64, Rdn. 13 ff.; H. Maurer, Die Schranken der Religionsfreiheit, ZevKR 49 (2004), S. 311 ff.; a.A. i.S. des Textes R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4, Rdn. 114, 116, 117 („Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG analog“); zur Kritik Hinweise in Fn. 195, 206, auch zum allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt.

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98 (107); 52, 223 (246))205. Das ist das grundsätzliche Mißverständnis des Bundesverfassungsgerichts vom Freiheitsbegriff. Diese Trias nennt keine Schranken, sondern definiert die allgemeine Freiheit206. Der Freiheitsbegriff wird verkannt, wenn dessen, wenn man so will, negativen Begriffsmerkmale als Schranken dogmatisiert werden. Das führt zum Konstrukt der „Schrankenleihe“, der dann überzeugend die Spezialität der besonderen Grundrechte entgegengehalten werden kann (BVerfGE 6, 32 (47); st. Rspr.)207. Es gibt keine Freiheit zu Lasten der Rechte anderer. Es gibt keine Freiheit entgegen der verfassungsmäßigen Ordnung als der politischen Grundordnung des Gemeinwesens (nicht der „allgemeinen Rechtsordnung“, wie das das Bundesverfassungsgericht praktiziert, BVerfGE 6, 32 (37 ff.); 74, 129 (151 f.); 80, 137 (152 f.); 90, 145 (172); 113, 88 (103)). Es gibt keine Freiheit entgegen dem Sittengesetz. Sonst würde das Grundgesetz das menschheitliche Rechtsprinzip des neminem laedere verletzen. Freiheit aber heißt, man darf tun und lassen was man will, wenn man einem anderen nicht schadet, wie das die Dclaration des droits de lhomme et du citoyen von 1789 in Art. 4 und 5 definiert hat. Was ein Schaden ist, bestimmen die Gesetze, der allgemeine Wille (ebenda). Dieser Freiheitsbegriff ist der des Weltrechtsprinzips des Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nämlich: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

Eine Freiheit, sich zu Lasten anderer auszuleben, etwa andere auszunutzen, schützt das Grundgesetz genausowenig wie irgendeine andere Rechtsordnung. Freiheit ist nicht das Recht, seinen Neigungen (Habsucht, Herrschsucht und Ehrsucht) zu folgen, sondern Freiheit ist das Prinzip der praktischen Vernunft, also die Unabhängigkeit von determinierenden Kausalitäten, aber auch nötigender Willkür anderer, somit die Idee der „Kausalität der Freiheit“, erwiesen durch das „Faktum des Sollens“, wie Kant das unübertroffen gelehrt hat208. Praktische Vernunft ist Sittlichkeit, das Sittengesetz das Rechtsprinzip209. Dem folgt jedes aufgeklärte Verfassungsgesetz, das der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte genügen will, jedenfalls das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht und die diesem folgende (überwie205 M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 111; folgend auch H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 15. 206 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 288 f., auch S. 266 ff., 376 ff.; so auch K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 10 f., der allerdings das Sittengesetz als die guten Sitten (miß)versteht. 207 Hinweise in Fn. 205; so H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, HGR, Bd. III, § 64, Rdn. 13 ff. 208 Kritik der reinen Vernunft, Bd. 4, S. 324, 335 ff., 426 ff., 495 ff., 674 ff., 697; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Bd. 6, S. 82 ff., 89 ff., 94 ff., 98 f.; Kritik der praktischen Vernunft, Bd. 6, S. 107 ff., 120 f., 141 f., 155 ff.,161, 193, 218 ff., 230 ff., 265; Metaphysik der Sitten, Bd. 7, S. 326 ff., 333, 347, 361; dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 36 ff. 209 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 83 ff., 424 ff.

VIII. Vorrang des Weltlichen vor dem Geistlichen als Gesetzesvorbehalt

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gende) Lehre verstehen das nicht210. Um es zu wiederholen: Die Gesetzlichkeit ist das immanente Prinzip der Religionsausübungsfreiheit, eine Gesetzlichkeit, die dem Rechtsprinzip und damit auch dem Menschenrecht der Religionsfreiheit genügen muß211. Die Religion muß somit so, wie es die Menschenrechtstexte sagen, nämlich als Glauben und Bekenntnis gelebt sowie als Kultus, Seelsorge und Unterricht, aber auch Diakonie oder Caritas ausgeübt werden können. Sie rechtfertigt aber nicht, die bürgerliche Ordnung zu ändern, gar umzuwälzen, weil einer Heiligen Schrift Verbote und Gebote entnommen werden, welche der Rechtsordnung widersprechen. Das Recht steht neben der Religion, hat aber politisch uneingeschränkten Vorrang.

210

Das Bundesverfassungsgericht hat im Homosexuellenurteil in E 6, 389 (434 f.) das Sittengesetz im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG als rechtsverbindliche materiale Sittlichkeit dogmatisiert und sich damit die Erkenntnis der Formalität des Sittengesetzes als dem ethischen Grundprinzip des Rechtsstaates und damit der Republik versperrt. Damit hat es im übrigen die ewige Strafbarkeit der Homosexualität begründet, die wenige Jahre nach diesem Erkenntnis vom Gesetzgeber aufgehoben wurde und längst als abwegig erkannt ist. „Unsittliche Gesetze gehören nie zur verfassungsmäßigen Ordnung“ hat das Gericht ausgesprochen, richtig, wenn das Sittengesetz gemäß der Philosophie Kants als ethisches Prinzip des Rechts verstanden wird. Sonst ist der Ausspruch republikwidriger Moralismus. Dazu auch Fn. 523. 211 Ganz so der Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates, insb. A. Süsterhenn und im Ergebnis H. von Mangoldt, Hinweise in Fn. 188 und 201.

IX. Negative Religionsfreiheit Besonders fragwürdig ist die Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts von der „negativen Religionsfreiheit“ (BVerfGE 41, 29 (49 ff.); 41, 65 (78); 52, 223 (246 ff.); 93, 1 (16 ff.)), welche das Kruzifix-Urteil trägt. Eine negative Religionsfreiheit als quasi spiegelbildliches Gegenrecht zur, wenn man so will, positiven Religionsfreiheit gibt es genausowenig wie sonst eine solche negative Freiheit212. Menschen, welche in grundrechtlich geschützter Freiheit handeln, können das, nämlich dieses Handeln, auch lassen. Auf Grund des Religionsgrundrechts sind sie berechtigt, religiös oder nicht religiös zu sein, zu glauben oder nicht zu glauben (BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (245); 108, 282 (297)), dieses oder jenes Bekenntnis oder auch kein Bekenntnis anzunehmen, usw.213. Sie sind darin frei. Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV, wonach „niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren“,

212

Für die herrschende, dem BVerfG folgende, Lehre D. Merten, Handlungsgarantien als Verhaltensgrundrechte – zugleich ein Beitrag zur Funktion der Grundrechte, VerwArch 73 (1982), S. 103 ff.; ders., Zur negativen Meinungsfreiheit, DÖV 1990, 761 ff.; auch ders., Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 6, 56 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 198 ff.; auch St. Muckel, in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 19, für die negative Glaubensfreiheit; zur negativen Religionsfreiheit J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 441 f.; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 33, 99 ff., 115; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 460; kritisch K.-H. Kästner, Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AÖR 123 (1998), S. 420 ff., 428 ff.; nicht unkritisch, wenn auch begrifflich nicht recht klar A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HStR, 1. Aufl. 1989, § 136, Rdn. 93 ff., 3. Aufl. 2009, § 157, Rdn. 127 ff., der die negative Religionsfreiheit anders sieht als das BVerfG; ebenso R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4, Rdn. 119 f.; kritisch auch H. v. Mangoldt/F. Klein/ Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 28 f.; richtig I. von Münch, in: ders./Ph. Kunig, Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 1992, Art. 4, Rdn. 23 („Scheinproblem“); J. Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit? – Anmerkungen zum „Kruzifix-Beschluß“ des Bundesverfassungsgerichts –, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate, FS M. Kriele, 1997, S. 301 ff. (307 ff.); M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 64 f.; S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 176 ff.; umfassende Kritik an der Doktrin von den negativen Freiheiten M. Schumann, Negative Freiheitsrechte. Zugleich ein Beitrag zur negativen Koalitionsfreiheit, Diss. Erlangen-Nürnberg, 1997, S. 48 ff., 143 ff. 213 I.d.S. M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 13 f., 29; wohl auch P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 12 ff., S. 1436 ff., der auch von negativer und positiver Religionsfreiheit spricht; A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HStR, 1. Aufl. 1989, § 136, Rdn. 93 ff., 3. Aufl. 2009, § 157, Rdn. 127 ff.; ders./H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 59 ff.; auch H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 23 ff.; i.d.S. auch J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 28.

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ist nicht etwa eine negative Bekenntnisfreiheit214, sondern eine Regelung der Religionsausübung; denn die Freiheit des Bekenntnisses schützt die Wahl unter den Bekenntnissen. Niemand muß religiös sein oder religiös handeln. Das folgt schon aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 GG: „Freiheit des Glaubens“ und „Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses“. Auch ein atheistisches Bekenntnis ist geschützt. So verstehen viele unproblematisch die vermeintliche negative Freiheit215. Aus der Glaubens- und der Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG oder der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG ein negatives Recht herzuleiten, nicht durch den Glauben, das Bekenntnis oder die Religionsausübung anderer in seiner religiösen oder nicht religiösen Befindlichkeit gestört zu werden (Beeinflussungsfreiheit, „Kultusverhinderungsgewährleistung“216), ist nicht begründbar (i.d.S. auch BVerfGE 93, 1 (16, 18. 22 f.))217. Das Kruzifix an der Wand des Klassenzimmers oder das Kopftuch der Lehrerin beeinträchtigt die Glaubensfreiheit nicht218, weil das den Glauben weder verbietet noch unterbindet. Vom Schüler wird lediglich verlangt, daß er eine religiöse Handlung anderer hinnimmt. Erst religiöse Indoktrination beeinträchtigt die Freiheit des Glaubens219. Eine andere Frage ist, ob das Kopftuch der Lehrerin als Religionsausübung ein anderes politisches System als das des Grundgesetzes propagiert und deswegen nicht durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützt ist. Soweit die Religionsausübung in der Öffentlichkeit erlaubt ist, entweder weil das Religionsgrundrecht sie schützt oder der Gesetzgeber darüber hinaus sie erlaubt oder 214 So aber R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 99 ff.; St. Muckel, in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4, Rdn. 22. 215 R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 99, 111, 115; H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 336; W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AÖR 123 (1998), S. 460; S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 176 ff.; vgl. auch die Hinweise in Fn. 213, 216. 216 D. Merten, Der „Kruzifix-Beschluß“ des Bundesverfassungsgerichts aus grundrechtsdogmatischer Sicht, in: J. Burmeister u. a., FS K. Stern, 1997, S. 987 ff. (955). 217 M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 284, 300; J. Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit? S. 311 ff., 317 (der aber zu einer Verletzung des Neutralitätsgebots tendiert, S. 317 ff.); J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 442; K.-H. Kästner, Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AÖR 123 (1998), S. 420 ff., 428 ff.; M. Jestaedt, Grundrechtsschutz vor staatlich aufgedrängter Ansicht. Das Kopftuch der Lehrerin als Exempel, in: J. Isensee/W. Ress/W. Rüfner, FS J. Listl, 1999, S. 259 ff. (274 ff., 279): Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 77; St. Muckel/ R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 243 f.; H. Wilms, Selbstverständnistheorie und Definitionsmacht bei Grundrechten, dargestellt am Beispiel der Glaubensfreiheit, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate, FS M. Kriele, 1997, S. 341 ff.; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 62; auch R. Zippelius, GG, Bonner Kommentar, Art. 4, Rdnrn. 41, 109; S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 175 ff., 178 f., 232, 234. 218 A.A. die herrschende Meinung, etwa St. Muckel, in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 20. 219 St. Muckel, in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2003, Art. 4, Rdn. 20.

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auch nur nicht verbietet, sind alle Bewohner des Staates diese Handlungen zu dulden verpflichtet. Pflichten sind die Kehrseite der Rechte. Das schließt in den Grenzen der Gesetze und guten Sitten private Verträge über die grundrechtsgeschützten Handlungen nicht aus, weil Grundrechte (vornehmlich) die Privatheit schützen. Gegen das Grundrecht der einen gibt es aber kein Gegengrundrecht der anderen, welches das Grundrecht aufhebt oder einschränkt. Es gibt eine Art von Grundrechtskollision220, wenn ein Handeln im Rahmen eines Grundrechts in den grundrechtsgeschützten Handlungsbereich anderer einwirkt. Wenn etwa ein Graffitikünstler fremde Hauswände besprüht, kollidieren die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG und die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber muß derartige Kollisionen durch bestmögliche Verwirklichung der gleichrangigen Grundrechte im Sinne praktischer Konkordanz lösen. Das Religionsproblem kann nur in religionspolitischer Toleranz (ohne materiale staatliche Identifikation mit einer oder mehreren Religionen) mittels hinreichender Rechte zu privater Lebensgestaltung bewältigt werden (i.d.S. auch BVerfGE 41, 65 (78 f.); 93, 1 (23 f.))221. Zur Privatheit, die durch das Recht zur freien Willkür definiert ist, gehört die Pflicht der Mitmenschen und damit des Gemeinwesens, das jeweilige private Handeln zu dulden222. Das Recht, privat zu handeln, entbindet freilich nicht von der Pflicht zur Sittlichkeit223. Grundrechtsschutz sogenannter negativer Freiheiten, welche Dritte zu einem Unterlassen zu verpflichten berechtigen, hebt logisch den Grundrechtsschutz der positiven Freiheiten, die zum Handeln berechtigen, auf und gibt dem Gesetzgeber, der Verwaltung und dem Richter die Möglichkeit zur Willkür, freundlicher formuliert: zu einer Politik ohne Bindung. Freiheit ist immer in dem Sinne positiv, daß sie zur praktischen Vernunft, zur Sittlichkeit berechtigt und verpflichtet, und in dem Sinne negativ, daß sie die Selbstbestimmung des Handelns, die Bürgerlichkeit, gewährleistet, also Fremdbestimmung abweist. Die freien Handlungen sind entweder allgemeine Gesetzgebung oder alleinige, also private Maximenbildung224. Die negative Freiheit im eigentlichen Sinne ist die von Kant entwickelte äußere Freiheit als die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ (Metaphysik der Sitten, Bd. 7, S. 345)225. Dieser Definition entspricht der status negativus der grundrechtlichen Abwehrrechte226, die Unterlassungsansprüche vor allem gegen den Staat geben227, wie

220 Dazu H. Dreier, in: ders., Grundgesetz, Komm., Bd. I, 2. Aufl. 2004, Vorbemerkung, Rdn. 157. 221 So auch J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 442; H. v. Mangoldt/ F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 29, 31. 222 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 455 ff., 458 ff., insb. S. 462, S. 620 ff. 223 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 458 ff., 620 ff. 224 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 318 ff., 455 ff. 225 Dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 67 ff. 226 Dazu J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 11 ff.; K. Stern/ M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 1, Allgemeine Lehren der

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vornehmlich die religiösen Grundrechte228. In dem Recht zur Abwehr des Staates sieht das Bundesverfassungsgericht die wesentliche Funktion der Grundrechte (BVerfGE 7, 198 (204); 13, 318 (325 f.); 50, 290 (337); st. Rspr.). Der Begriff der negativen Freiheiten des Bundesverfassungsgerichts darf keinesfalls mit dem kantianischen Begriff negativer Freiheit verwechselt werden. Die negativen Freiheiten des Gerichts sind eine grundrechtsrelativierende, ja -vernichtende Erfindung, um die Handlungsmöglichkeiten der Politik zu erweitern. Das religionsrechtliche Postulat der „Konkordanz“ zwischen den gegenläufigen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern (BVerfGE 41, 29 (Ls. 3, S. 50 f.); 42, 312 (340); 93, 1 (21))229 kaschiert die Verlagerung der Politik aus dem Verfassungsgesetz in die einfache Gesetzgebung, notfalls in die der Richter durch Einzelfalljudikate (vgl. BVerfGE 47, 327 (369) für die Wissenschaftsfreiheit; BVerfGE 30, 173 (191) für die Kunstfreiheit230). 2. Außerdem entfalten die Grundrechte (u. a.) Schutzpflichten des Staates, um ein Leben zu gewährleisten, wie es den grundrechtlichen Leitentscheidungen entspricht231. Dadurch verpflichten Art. 4 Abs. 1 und 2 GG den Staat zu einer Politik, vornehmlich durch Gesetze, welche die bestmögliche Entfaltung des Glaubens auch durch Bekenntnis und Religionsausübung, aber auch der Weltanschauung sichert und fördert, freilich nicht zu Lasten des durch die allgemeinen Gesetze materialisierten Gemeinwohls. Insbesondere ist der Staat durch Art. 4 Abs. 2 GG verpflichtet, die Religionsausübung vor Störungen Dritter zu schützen232. Auch die Religionsgesellschaften dürfen wegen des allgemeinen, objektiven Rechtsgehalts (Drittwirkung) der Religionsgrundrechte die Glaubens- und ReligionsausübungsfreiGrundrechte, 1988, S. 558 ff.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 343 ff.; vgl. auch S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 105 ff. 227 J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 13 ff., 17 ff., 37 ff., 53; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 460, 474. 228 P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 18, S. 1442; H. v. Mangoldt/ F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 18, 21; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 103; M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 283, 295, 298. 229 P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgesellschaften, Rdn. 16 f., S. 1440 f.; vgl. auch J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 29, 46, nicht ganz unkritisch. 230 H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, HGR, Bd. III, § 64, Rdn. 52, allgemein Rdn. 32; kritisch K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 522 ff. 231 K. Stern/M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, 1988, S. 728 ff., 931 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 2, Allgemeine Lehren der Grundrechte, S. 1168 ff., 1769 ff., 1804 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./ P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, Allgemeine Grundrechtslehren, 1992, § 111, Rdn. 1 ff., 77 ff.; K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 355 ff.; für die Religionsfreiheiten M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 149; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 108. 232 R. Zippelius, GG, Bonner Kommentar, Drittbearbeitung, 1989, Art. 4, Rdn. 108; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 20.

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heit Außenstehender nicht beeinträchtigen233. Einer Bekehrung durch den Staat oder ähnlichen Maßnahmen steht der positive Freiheitsschutz der religiösen Grundrechte entgegen. Eine weitere „negative“ Grundrechtsfunktion ist den Grundrechten, zumal dem Religionsgrundrecht, nicht abzugewinnen. Es gibt Rechtslehrer, die sich sogar zu einer negativen Gewissensfreiheit versteigen, also ein Recht lehren, „von der Freiheit keinen Gebrauch zu machen“234, d. h. Sittlichkeit und Moralität zu negieren. Das ist der Charakter mancher Menschen, aber weder Freiheit noch Freiheitsrecht. Das Religionsgrundrecht berechtigt, wie gesagt, nicht nur das religiöse forum internum des Glaubens und des Bekenntnisses, sondern im forum externum auch zur öffentlichen Religionsausübung235. Religionsausübung kann andere Menschen beeinträchtigen, etwa das Glockenläuten die Schläfer. Wegen der Außenwirkung müssen solche Handlungen dem Sittengesetz genügen, d. h. gemeinverträglich sein. Die Gemeinverträglichkeit muß der Gesetzgeber sicherstellen. 3. Daß Schulen wegen der (vermeintlichen) negativen Religionsfreiheit nach einem laizistischen Neutralitätsprinzip zu gestalten seien, ist, abgesehen davon, daß Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG den „Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen als ordentliches Lehrfach“ vorschreibt236, deswegen fragwürdig, weil Schulen nicht allein staatlich, sondern auch funktional privat sind, wie Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 GG erweisen237. Schließlich sind „Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Das Elternrecht umfaßt auch die „Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht“ (BVerfGE 41, 29 (44, 47 f.); 93, 1 (17); BVerwGE 94, 82 (86, 92))238. Dem Staat spricht die Rechtsprechung (allein schon wegen des Wortlauts des Art. 7 Abs. 1 GG: „Das gesamte Schul233

R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 75 ff., 79. H. Bethge, Gewissensfreiheit, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. VI, 1989, § 137, Rdn. 16; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 86, die den Begriff des Gewissens verkennen; den grundgesetzlichen Begriff des Gewissens verkennen auch die Rechtsprechung und herrschende Lehre (vgl. H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 63 ff.) gänzlich. 235 A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 60 ff. 236 Zu den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 GG St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 266 ff.; Ausnahme Art. 141 GG, die sogenannte Bremer Klausel; zum Ganzen Ch. Link, „LER“, Religionsunterricht und das deutsche Staatskirchenrecht, in: J. Bohnert u. a., FS A. Hollerbach, 2001, S. 747 ff., der den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit der kirchlichen Schulgeschichte legitimiert (S. 755 f.); auch H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 148 ff.; dazu H. de Wall, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen eines islamischen Religionsunterrichts, S. 53 ff. 237 Vgl. Th. Oppermann, Schule und berufliche Ausbildung, in: Isensee /Kirchhof, HStR, Bd. VI, Freiheitsrechte, 1989, § 135, Rdn. 78 f.; H. F. Zacher, Elternrecht, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. VI, Freiheitsrechte, 1989, § 134, Rdn. 86 f.; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 28. 238 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 447 f.; M. Jestaedt, Grundrechtsschutz vor staatlich aufgedrängter Ansicht, S. 293 ff., 295 ff. 234

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wesen steht unter der Aufsicht des Staates“, fragwürdig) einen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu, der „unabhängig von den Vorstellungen der betroffenen Eltern“ Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele (einschließlich Sexualerziehung), verbunden mit allgemeiner Schulpflicht, einschließt (BVerwGE 94, 82 (84 f.), koedukativer Sportunterricht). Ausnahmen von der Teilnahmepflicht am Schul(sport)unterricht „müssen auf das für den Grundrechtsschutz (sc.: ,Glaubensfreiheit für Anhänger des Islam) unerläßliche Maß beschränkt bleiben“ (im Ergebnis wegen der islamischen Kleidervorschriften für Frauen und Mädchen in der Sure 24, 31 keine Teilnahmepflicht am gemeinsamen Sportunterricht mit Jungen, BVerwGE 94, 82 (84 ff., 92)). Wenn Schüler sich in der Schule zu ihrem Glauben bekennen wollen, ist das nur eine Verletzung der Glaubensfreiheit der anderen Schüler, wenn das ein Versuch der Schule und damit des Staates ist, letztere zu bekehren. Die Problematik ist nach dem Toleranzprinzip zu lösen, wie das auch versucht wird (BVerfGE 24, 236 (249); 32, 98 (108); 41, 29 (51); 41, 65 (78 f.); 52, 223 (251); 90, 112 (118 ff.); 93, 1 (22 f.); 108, 282 (297 ff.); BVerwGE 94, 82 (91, 92 f.)). Wenn ein Land sich durch seine Gesetze zur christlichen Gemeinschaftsschule bekannt hat, spricht alles dafür, daß das Christentum als tradierte Kultur des Landes und abendländische Geschichte, „nicht als Glaubenswahrheit“, in der Schule zur Geltung gebracht werden soll (so BVerfGE 41, 65 (78); 93, 1 (22 f.)), freilich so schonend, daß Schüler, die nicht Christen sind, nicht verletzt werden239. Eine solche Schule darf nicht missionieren und muß „Zwangselemente auf ein Minimum beschränken“ (BVerfGE 41, 65 (78); 93, 1 (22 f.))240. Die, wenn man so will, Zumutung christlicher Symbole müssen nichtchristliche Schüler allerdings in einem solchen Land ertragen (i.d.S. auch BVerfGE 108, 282 (299 ff.)). Allerdings würde der aufklärerische Staat das Neutralitätsgebot verkennen, wenn er die Schule als christliche Gemeinschaftsschule gestaltet, obwohl ein beachtlicher Teil der Schüler nicht christlich ist.

239 Dazu i.d.S. A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 58 ff. (90 ff.); J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 443; St. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 182 ff.; auch K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 95 ff. 240 S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 184.

X. Säkularisiertes Christentum – politischer Islam 1. Religionsfreiheit ist ein Schlagwort in der politischen, aber auch rechtlichen Diskussion, welches freilich nicht nur die Sprache des Grundrechts mißachtet, sondern auch dessen Dogmatik irreführt. Daß eine Religionsgemeinschaft berechtigt wäre, die politischen Verhältnisse umzuwälzen, weil das von ihrer Religion gefordert sei, läßt sich dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinesfalls abgewinnen241. Der Islam ist nicht anders als das Christentum eine Schriftreligion. Einer solchen kann eine Lebensordnung insgesamt abgewonnen werden, wie das die christliche Religion Jahrhunderte lang getan hat und wie das der Islam, jedenfalls in den theokratischen Staaten, bis in die Gegenwart und wieder in zunehmendem Maße praktiziert242 (dazu 3.). Das Christentum bestimmt die Lebensordnung der Völker Europas unterschiedlich, in den mehr katholischen Ländern stärker und in den mehr protestantischen Ländern weniger. Das herkömmlich katholische Frankreich ist im Geist der Französischen Revolution seit 1905 laizistisch geordnet und seit der Vierten Republik 1946 laizistisch verfaßt. Im gegenwärtigen Deutschland entfalten sich die christlichen Konfessionen, zumal seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die Religionsfreiheit anerkannt hat (Nr. 4 ff. der Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae)243, im Rahmen der Ordnung des Staates, jedenfalls weitestgehend, wenn auch manche Christen damit Schwierigkeiten haben244. Die religiösen Texte behaup241

W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf. Eine Untersuchung über die Verfassungsschutzbestimmung des Art. 18 GG und das Verhältnis zum einfachen Recht, insbesondere zum politischen Strafrecht, 1968, S. 203 („Der Fanatiker, der seine politischen Thesen zur „Religion“ erhebt, kann sich von vornherein nicht auf Art. 4 GG berufen, weil es bereits begrifflich an einer Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) fehlt“); i.d.S. auch St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 241, im Hinblick auf den „politischen Islam“ und den islamischen Fundamentalismus. 242 A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt. Religiöse und politische Grundfragen, 2001 S. 174; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 94; weitere Hinweise in Fn. 297. 243 Dazu A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 68 ff.; P. Mikat, Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, in: J. Listl/ D. Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Bd., 2. Aufl. 1994, § 4, S. 111 ff. (S. 135 ff.). 244 Vgl. zum Bemühen der Kirche in den 1950er Jahren, christliche Grundsätze im Staatsund politischen Leben durchzusetzen, H. Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, VVDStRL 11 (1954), S. 177 ff. (184 ff.); weitgehend damals auch W. Weber, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, VVDStRL 11 (1954), S. 153 ff. (173 ff.); zum Staatskirchentum der evangelischen Länder monarchischer Zeit kritisch M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 4 ff. (6 f.), zur „kirchlichen Freiheit“ als „Sendung und Wirkung in der Welt“ S. 15 ff.; zur kirchlichen Akzeptanz der Säkularität

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ten in den verschiedenen Staaten des Christentums wie des Islam, aber auch in Ländern anderer Religionen, unterschiedliche Bindungskraft, aber auch die einzelnen Gläubigen messen den Texten ihrer Religion unterschiedliche Verbindlichkeit zu. Die Durchsetzung der Texte hängt allemal von den Möglichkeiten diese durchzusetzen ab. Religionsfreiheitlich ist zu definieren, welcher Teil der Schriften überhaupt grundrechtlich geschützt sein kann, wenn das Religionsgrundrecht den Texten gemäß als Schutz der Glaubens-, Bekenntnis-, Kultus- und Unterrichtsfreiheit dogmatisiert wird. Grundsätzlich beansprucht eine Religion höchste Verbindlichkeit für den Menschen; denn der Glaube an den allmächtigen Gott zwingt zur Unterwerfung des Lebens und Handelns unter dessen Gebote und Verbote245, das „Gesetz Gottes“, den religiösen Nomos, zumal im Islam (dazu 3.). Auch die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils hat das „göttliche Gesetz“ als die „höchste Norm des menschlichen Lebens“, „ewig, objektiv und universal“, ausgezeichnet, „durch das Gott nach dem Ratschluß seiner Weisheit und Liebe die ganze Welt und die Wege der Menschengemeinschaft ordnet, leitet und regiert“ (Nr. 3). Das hätte auch ein islamischer Rechtsgelehrter formulieren können. „Alle Religion besteht darin, daß wir Gott für alle unsere Pflichten als den allgemein zu verehrenden Gesetzgeber ansehen“ (Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793/4, ed. Weischedel, Bd. 7, S. 763). Die höchste Verbindlichkeit des Gesetzes Gottes machen in besonderem Maße die Religionen geltend, welche ein Leben nach dem Tode verheißen, ein Leben, das nur dann das ewige Heil verspricht, wenn das Leben vor dem Tode gottgefällig war. Der Christ erwartet, daß Gott über ihn, seine Werke oder auch nur (nach Martin Luther) seinen Glauben im Jüngsten Gericht urteilen und die guten wie die bösen Taten („… jeglichem nach seinen Werken“, Matthäus 17, 27; Römer 2, 6) vergelten wird246. „Das Gottesgesetz“ ist „universale Zwangsordnung“ (Werner Elert)247. Die religiösen konkurrieren mit den weltlichen Vorschriften248. Der Christ lebt in zwei Welten oder Reichen, das Reich der Welt und das Reich Gottes/Christi249. Ohne die Zwei-Reiche-Lehre, die der Islam nicht

H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 478 ff., 489. 245 H. Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, VVDStRL 11 (1954), S.184. 246 Dazu W. Elert, Das christliche Ethos, Grundlinien der Lutherischen Ethik, 2. Aufl. 1961, S. 74 ff., insb. S. 81 f. 247 W. Elert, Das christliche Ethos, S. 82. 248 Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 66. 249 W. Elert, Das christliche Ethos, S. 148 ff., 378 ff., 503 ff., 530 ff.; G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 323 ff., insb. S. 329; M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 7 f., 10; ders., Kirche und Staat nach evangelischem Verständnis, in: J. Listl/D. Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Erster Bd., 2. Aufl. 1994, § 5, S. 157 ff. (S. 198 ff.); H. Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, VVDStRL 11 (1954), S. 178 f.; grundlegend Martin Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, 1523; wesentlich schon Augustinus Dualismus vom „Gottesstaat“ und „Weltstaat“, De Civitate Dei, Die Gottesbürgerschaft, hrsg. und eingeleitet von H. U. Balthasar,

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kennt (dazu 3.), muß das weltliche Leben den religiösen Verboten und Geboten gerecht werden. Fraglos wirkt alles menschliche Handeln politisch250, auch das religiöse, etwa der Rückzug von Menschen in das klösterliche Leben, mehr noch die diakonischen/karitativen Dienste der tätigen Nächstenliebe (vgl. BVerfGE 24, 236 (249)), welche staatliche Sozialleistungen erübrigen und wegen des Subsidiaritätsprinzips, besser: des Privatheitsprinzips251, Vorrang vor letzteren beanspruchen können252. Das ist aber nicht religiöse Politik durch religiöse Rechtserkenntnis als religiöse Gesetzgebung und religiöser Gesetzesvollzug oder gar religiöse Rechtsprechung253. Die politische Bedeutung religiöser, zumal christlicher und erst recht islamischer, „Sinngebung“ für das Leben254kann gar nicht überschätzt werden. Ohne das allgemeine, kirchlich gefestigte, Christentum gehen Einrichtungen materialer Sittlichkeit und Moralität verloren255, die schwer zu ersetzen sind. Die Dekadenz in Deutschland erweist tagtäglich das sittliche Defizit. Aber das christliche Ethos ist weitestgehend material und zu einem Moralismus verkommen. Republikanisch ist dieses Ethos nicht. Sittlichkeit und Moralität hängen nicht vom Glauben an einen Gott ab256. Eine solche Auffassung wäre nicht nur mit der Aufklärung unvereinbar, sondern widerspräche der Verfassung der Menschheit des Menschen und damit dem Grundgesetz, dessen Fundamentalprinzip die Gleichheit in der Freiheit ist, die Würde des Menschen, jedes Menschen, auch des Ungläubigen. Die Kirchen sind aber Anstalten geworden, die (im Großen und Ganzen) glaubhaft vom Imperativ des Guten getragen sind257. Das aufklärerische Ethos des kategorischen Imperativs, der Sittlichkeit des Lebens im Recht und der Moralität des guten Willens als des Willens zum Recht nach Kants Leit-

1960, S. 116 ff. (insb. XIV 1, S. 119 f.; XV 1, 8, S. 120 f.; II, 19, S. 133), 283 ff. (insb. XIV, 26) und durchgehend; weitere Hinweise in Fn. 274. 250 Zur Totalität des Politischen K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 247 ff. 251 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 465 ff. 252 St. Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, HStR, § 161, Rdn. 53. 253 Politik ist nach Kant „ausübende Rechtslehre“, Zum ewigen Frieden, ed. Weischedel, Bd. 9, S. 229; jedenfalls ist der Gegenstand der staatlichen Politik Gesetzgebung und Gesetzesvollzug zur Verwirklichung des Rechts, aber auch Rechtsprechung, K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 248, 593, 633; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 19 ff., 50 ff., 94 ff., 118 ff., 149 ff., 244 ff., 256 ff.; ders., Res publica res populi, S. 519 ff. 254 H. Steiger, Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat, S. 116 ff.; A. Brecht, Politische Theorie, S. 550 ff., für das Christentum. 255 I.d.S. BVerfGE 6, 389 (434 f.), freilich zu weitgehend. 256 N. Hoerster, Ist Gott unverzichtbar für die Moral? Aufklärung und Kritik 3/2010, S. 45 ff.; E. Hilgendorf, Staatsbürger im multikulturellen Staat. Aufklärung und Kritik 3/2010, S. 253 f.; vgl. (irritierend) S. Scharrer, Zum Gottesbezug in der Europäischen Verfassung, S. 216 ff. („Ohne Gott ist alles erlaubt?“, ein Satz, den er zwar nicht über-, aber doch ernstnimmt). 257 P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. 2, 1987, S. 33 ff., 48 ff.; W. Elert, Das christliche Ethos, S. 108 ff., 164 ff., 381 ff., 521 ff. (gegen das Böse); H. Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, S. 339.

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spruch der Moral: „Handle pflichtmäßig, aus Pflicht“258 bedarf einer glaubwürdigen Stätte. Der Staat müßte diese sein. Der Parteienstaat ist aber das Gegenteil; denn republikanisches Ethos ist die Unparteilichkeit259. Die grundgesetzliche Trennung des Weltlichen und Diesseitigen, also Politischen, vom Geistlichen und Jenseitigen, der Ersten von der Zweiten Welt, im Religionsgrundrecht ergibt sich auch aus Art. 18 GG, der die Verwirkung von Grundrechten desjenigen vorschreibt, der bestimmte Freiheiten „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht“. Die religionsgrundrechtlichen Freiheiten und Gewährleistungen sind nicht genannt, können somit auch nicht verwirkt werden. Fraglos können Religionen politisch sein und religionsbestimmte Politik kann die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen. Theokratische Herrschaft beispielsweise ist mit dieser Grundordnung unvereinbar. Wenn die Religiosität gebietet, sich für die Theokratie oder für einen von Gott geleiteten Staat einzusetzen und dafür auch illegale Maßnahmen nicht zu scheuen, also das Ziel „aktiv-kämpferisch“, mit einer gewissen „Aggressivität“, „feindlich“, zu verfolgen, ist das ein Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 5, 85 (Ls. 4, S. 141, 297 ff., 304 ff.)260. Ein islamischer Staat ist theokratisch261 (dazu 3.). Ein solcher Kampf kann schlechterdings nicht den Schutz des Religionsgrundrechts finden. Verfassungsimmanente Schranken vermöchten einen solchen Grundrechtsschutz zurückzudrängen oder ganz zu verdrängen, weil die verfassungsimmanente Schranke oder die Mißbrauchsschranke einen Grundrechtsschutz des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausschließt262. Die „Funktions258 Kant, Metaphysik der Sitten, Bd. 7, S. 521, auch S. 323 ff., 326, 517, 523; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Bd. 6, S. 26 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, Bd. 6, S. 191 ff., 203, 207, 295; dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 83 ff., 545. 259 K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 80, 205, 426; ders., Prinzipien des Rechtsstaates, S. 45 ff., 217 ff., 329 ff.; ders., Res publica res populi, S. 547 ff., 810 ff., 1060, 1084 ff.; W. Maihofer, Realität der Politik und Ethos der Republik, in: K.-O. Apel/M. Kettner, Zur Anwendung der Diskursethik in Politik, Recht und Wissenschaft, 2. Aufl. 1993, S. 84 ff. (116 ff., 121 ff.); M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution, S. 93, 99 ff.; J. Habermas u. a., Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, 1996, S. 120, 122, 297; ders., Erläuterungen zur Diskursethik, in: ders., Erläuterungen zur Diskursethik, 1991, S. 119 ff. (124 f., 138 f., 145, 155, 164); dagegen etwa (erstaunlich) S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 226 f., aber richtig S. 668 ff., 673 ff. 260 M. Brenner in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Komm., 5. Aufl. 2005, Art. 18, Rdn. 30. 261 A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 112 ff.; dazu H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 481 ff., 483 ff.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 156, 165, weitere Hinweise Fn. 311. 262 K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 20 f.; W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 128 ff., 251; ders., Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 6 ff., 166 ff. (S. 10 für die Lehrfreiheit; S. 171 für die Meinungsfreiheit); ganz i.d.S. M. Kriele, Grundrechte und demokratischer Gestaltungsspielraum, HStR Bd. V, 1992, § 110, Rdn. 68, auch Rdn. 69 ff. zu den vorbehaltlosen Grundrechten; M. Brenner, Grundrechtsschranken und Verwirkung von

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fähigkeit des grundrechtsschützenden Staates und seiner Einrichtungen“ ist ein „Leitprinzip“ der Grundrechtslehre; sie ist „verfassungsimmanente Grenze der Freiheitsbetätigung“ und deren Achtung ist „von jedem Staatsbürger mit Selbstverständlichkeit zu fordern“, lehrt Martin Kriele263. Diese materielle Grundrechtsgrenze schließt für die in Art. 18 GG genannten Freiheiten die Verwirkbarkeit der diese schützenden Grundrechte nicht aus. Die Verwirkbarkeit verändert die Materie des Grundrechts nicht264. Der Ausspruch der Verwirkung nimmt dem, der das Grundrecht zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, nach Maßgabe des Verwirkungsausspruchs des Bundesverfassungsgerichts das Recht, sich auf das Grundrecht zu berufen, ist somit ein präventiver Verfahrensschutz265. Eine Verwirkung der Glaubens- und der Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG, die unverletzlich sind, würde deren Menschenwürdegehalt mißachten. Die Verwirkung der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG ist nicht weniger abwegig. Sollte etwa der Grundrechtsschutz versagt werden, wenn einem Gläubigen der Kirchgang verweigert wird? Der Schutz politischer Aktivitäten, der mit der Grundrechtsausübung der verwirkbaren Grundrechte typisch verbunden sein kann, kommt für die Grundrechte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht in Betracht, weil diese nur dem geistlichen Leben in der Zweiten Welt oder um der Zweiten Welt willen Schutz geben, nicht aber politischen Tätigkeiten266. Dafür ist die Unverwirkbarkeit ein besonders starkes Argument. Hinzu kommt, daß die Grundrechte des Art. 4 Abs.1 und Abs. 2 GG keine Schranken kennen und das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG zwar nicht beschränkbar ist, aber unter dem Vorrang des Staatlichen der Ersten Welt steht (dazu VIII.). Die systematischen Argumente zwingen zu der dargelegten Dogmatik, daß die Religionsfreiheiten keine politischen Aktivitäten schützen, sondern nur die religiöse Entfaltung in der Zweiten Welt. Im säkularisierten Staat kann es wegen des grundrechtlich geschützten Religionspluralismus, um es zu wiederholen, kein Recht zur Politik geben, das auf das ReGrundrechten, DÖV 1995, 60 ff. (63, „von vornherein nicht umfaßt“); allgemein zur Mißbrauchsabwehr P. Lerche, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsprägung und Grundrechtseingriff, HStR Bd. V, 1992, § 121, Rdn. 51; gegen eine bürgerliche Rechtspflicht zur Verfassungstreue (aber Verfassungserwartung) J. Isensee, Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, HStR Bd. V. 1992, § 115, Rdn. 195 (unfaßbar!). 263 Grundrechte und demokratischer Gestaltungsspielraum, HStR Bd. V, § 110, Rdn. 68. 264 Richtig H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 81 f.; O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland. Geschichtliche Entwicklung und Grundpflichten unter dem Grundgesetz, 1988, S. 475 f. („Art. 18 GG ist kein individuelles Mißbrauchsprivileg“). 265 M. Brenner, Grundrechtsschranken und Verwirkung von Grundrechten, DÖV 1995, 62 ff. 266 W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 115 ff., weist zu Recht darauf hin, daß „alle der in Art. 18 GG genannten Grundrechte „politische Funktionen“ besitzen“, auch S. 203, 249 ff. Daraus folgt, daß die nicht verwirkbaren Grundrechte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht den „politischen Meinungskampf“ und somit nicht politisches Handeln schützen.

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ligionsgrundrecht gestützt wird. Vielmehr müssen Religionen, welche den Schutz des Religionsgrundrechts in Anspruch nehmen wollen, nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich entpolitisiert sein. Die Sittlichkeit als der Baustoff der Republik hängt von der Moralität der Bürger und ihrer Vertreter in den staatlichen Organen ab267. Moralität ist die Verinnerlichung des Rechtsprinzips, dessen Gesetz das Sittengesetz, der kategorische Imperativ, ist (dazu IV.). Dieses Postulat der Republik ist anspruchsvoll, aber unausweichlich. Keinesfalls kann ein Grundrecht das Recht einräumen, diese bürgerliche Grundpflicht zu konterkarieren. 2. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Jesus zu Pilatus, Johannes 18, 36)268. Das Christentum in Deutschland ist im Prinzip entpolitisiert, hat sich jedenfalls mit der Säkularität des Modernen Staates abgefunden269. Die Unterscheidung des Geistlichen und des Weltlichen, von Jenseits und Diesseits, von Glauben und Recht, von Evangelium und Gesetz, von sacerdotium und imperium, von Papst und Kaiser, von Kirche und Staat270, der iustitia civilis und der iustitia christiana, der iustitia operum und der iustitia fidei, also zweier Weisen von Rechtfertigung und zweier Arten von Gerechtigkeit271, ist äußerlich verfaßt und innerlich gefestigt. Im Protestantismus entwickelt die reformatorische Zwei-Reiche-Lehre bereits Martin Luthers Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, 1520. Die Freiheit zu Gott ist Freiheit vom Gesetz und von der Welt und der Mensch ist vor Gott allein durch den Glauben gerechtfertigt. Im Glauben und nur im Glauben findet der Mensch seinen Frieden, wie es in der Welt auch zugehe272. „Es gibt nur einen usus evangelii: den Glauben“. Jesus Christus: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Johannes 14, 6)273. Der Mensch erfährt die Gnade der Vergebung der Sünden durch den Kreuzestod Jesu Christi („iustificatio dei in homine“, „usus theologicus legis“), aber Gott gebietet den Gehorsam gegen die Obrigkeit, die Dienerin Gottes zur Erhaltung der Welt, des „Reiches Gottes zur 267 K. A. Schachtschneider, Sittlichkeit und Moralität – Fundamente von Ethik und Politik in der Republik, S. 23 ff. 268 G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 328. 269 H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 474 ff., 478 ff. 270 Wesentlich H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 32 ff., 35 ff.; M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 282 ff. („Vom christlichen Staat zum pluralistischen System“); ders., Kirche und Staat nach evangelischem Verständnis, S. 157 ff.; P. Mikat, Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, S. 111 ff.; G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 329 ff.; vgl. auch Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 70 f.; K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 28 ff.; M. Brenner, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000) S. 275 ff., 282 , 297; St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HStR, § 159, Rdn. 1 ff., 5 ff. 271 G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 325. 272 G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 324 ff., insb. S. 329. 273 G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 330, 332.

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Linken“ („usus politicus legis“)274. Die säkulare Freiheit entfaltet sich als politische Freiheit im Staat durch rechtliche Gesetzlichkeit (dazu IV.), die religiöse „als Freiheit von der Sünde, vom Gesetz und vom Tode“ in der Kirche275. „Vom Standpunkt der Reformation ist der ,Christliche Staat ein Ungedanke“ (Herbert Krüger)276. Der Katholizismus mußte nach fast zweitausendjährigem Kampf um die politische Macht der Kirche seit den Anfängen der Urkirche über Augustinus Gottesstaat, den Investiturstreit und die Reformation bis hin zum Kulturkampf gegen den „ultramontanen Katholizismus“, vor allem gegen die Jesuiten, im Preußen Bismarcks (1861 bis 1876)277 die Überwindung des „Konstantinischen Systems des Zwangskirchentums“278 hinnehmen279. Allein schon die institutionelle Unvereinbarkeit der von Rom aus regierten Weltkirche und der Territorialstaaten stehen einer politischen oder eben weltlichen Hoheit der Kirche entgegen. Erst recht läßt das Dogma vom unfehlbaren Lehramt (c. 749 § 1 und § 2 CIC), das auch Sittenlehren umfaßt280, eine po274

M. Luther, Von der weltlichen Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, 1523; dazu M. Heckel, Kirche und Staat nach evangelischem Verständnis, S. 198 ff.; ders., Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 292 f.; W. Elert, Das christliche Ethos, S. 503 ff.; H. Bornkamm, Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie, 1958, S. 78 ff.; G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 324 ff., insb. S. 327; S. Scharrer, Zum Gottesbezug in der Europäischen Verfassung, S. 230 ff.; W. Henke, Recht und Staat, Grundlagen der Jurisprudenz, 1988, S. 30 ff.; vgl. A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HStR, 3. Aufl. 2009, § 157, Rdn. 8 f.; A. Janssen, Staatskirchenrecht als Kollisionsrecht. Überlegungen zur Auslegung der Artikel 140 GG/ 137 Abs. 5 WRV, in: J. Bohnert u. a., FS A. Hollerbach, 2001, S.707 ff. (728 f.). 275 M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 289 ff., 295. 276 Allgemeine Staatslehre, S. 47; nicht anders M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 292 f.; i.d.S. auch H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 489. 277 Zur Geschichte und Geistesgeschichte der „Verweltlichung des Gemeinwesens“ und der „Trennung von Staat und Kirche“ H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 35 ff. 43 ff.; M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 286, 290 ff., 299; A. Frh. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 1 ff.; vgl. auch P. Mikat, Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, S. 131 ff.; zur geschichtlichen Entwicklung der Religionsfreiheit A. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 157, Rdn. 6 ff.; die Verfassungs- und Ideengeschichte skizziert M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Präambel, Artikel 1 – 19, 2. Aufl. 2004, Art. 4, Rdn. 1 ff.; auch H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 1 ff.; vgl. auch U. Sacksofsky, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 10 ff.; zum Kulturkampf H.-U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871 – 1918, 5. Aufl. 1983, S. 96 ff.; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 – 1918. Zweiter Band: Machtstaat vor der Demokratie, 2. Aufl. 1993, S. 364 ff.; G. Göbel, Der Kampf um die Schule. Religiöse Präsenz an staatlichen Schulen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: J. Bohnert u. a., FS A. Hollerbach, 2001, S. 773 ff. (773 f.); K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 93 ff. 278 M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 288, u. ö. 279 Vgl. E. Hilgendorf, Staatsbürger im multikulturellen Staat, Aufklärung und Kritik 3/ 2010, S. 246 ff. (249 f., 253 f.). 280 Dazu St. Muckel, Kirchenrecht, § 20, Rdn. 7 ff., S. 172 ff.

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litische Relevanz theologischer Erkenntnisse nicht zu, schon gar nicht in demokratisch verfaßten Gemeinwesen. Die Säkularisierung281 war die schwierigste, wohl auch blutigste (Dreißigjähriger Krieg), aber auch bedeutsamste Entwicklung des Abendlandes. Sie war und ist ein Kulturkampf. Jetzt ist sie die aufklärerische Grundlage der Kultur Europas. „Die Säkularität der politischen Ordnung ist für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Orientierung in einer freiheitlichen Demokratie unumgänglich“282. Sie ist zugleich die Voraussetzung der religionsfreiheitlichen Menschen- und Grundrechte283. Sie steht nicht zur Disposition. Die Weimarer Reichsverfassung hat in Art. 137 Abs. 1 entschieden: „Es besteht keine Staatskirche“284. Das Grundgesetz hat diese Trennung von Staat und Kirche in Art. 140 fortgeführt285. Trotz allem weltlichen Moralismus der Kirchen beanspruchen diese nicht die rechtliche Verbindlichkeit ihrer vielfach auch religiös begründeten Postulate, sondern verstehen ihre Äußerungen als Beiträge zum politischen Diskurs (sollten das jedenfalls), der jedem Menschen und jeder Vereinigung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG (Meinungsäußerungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit)286 zusteht und sich in die Rechtsprinzipien des Gemeinwesens ein281 Dazu H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 32 ff., auch S. 175 ff. zum Prinzip der Nicht-Identifikation; H. Peters, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, VVDStRL 11 (1954), S. 180, 181 f.; A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 62, 64; M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 284 ff., 297 ff.; St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HStR, § 159, Rdn. 61 ff.; A. Janssen, Staatskirchenrecht als Kollisionsrecht, S. 732; auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 56 ff.; kritisch zur staatsrechtlichen Relevanz der Säkularisation Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 53 ff.; näher ders., Staat als Argument, 2000, S. 214 ff.; zur gesellschaftlichen Entwicklung der Säkularisierung in der modernen Welt der Götter und Götzen einschließlich des Kapitalismus F. W. Graf, Die Wiederkehr der Götter, Religion in der modernen Kultur, 2004, insb. S. 50 ff., 179 ff. 282 H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus: Der säkulare Rechtsstaat in der modernen Gesellschaft, in: ders./W. Heitmeyer, Politisierte Religion, 1998, S. 474 ff. (Zitat S. 474), S. 486 („Säkularität des Staates“ „notwendige Kehrseite der Religionsfreiheit“), auch S. 490; i.d.S. auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 29 ff., 56 ff. 283 I.d.S. auch Ch. Möllers, Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 53 f. 284 Dazu K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 170 ff.; St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HStR, § 159, Rdn. 61 ff.; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 1 ff. 285 Zur Trennung von Staat und Kirche und deren unterschiedlicher Intensität geschichtlich H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 48 ff.; dogmatisch M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 26 ff.; A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 62; P. Mikat, Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, S. 111 ff.; K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 28 ff., 182 ff.; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 140, Rdn. 35 ff. 286 I.d.S. auch F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 159; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 153.

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fügt, jedenfalls im Großen und Ganzen. Die politischen Beiträge der evangelischen Kirchen, etwa die Denkschriften, sind nicht Verkündigung des Evangeliums und nicht Vermittlung des Glaubens287, können also nicht als Religionsausübung verstanden werden288. Protestantisch nimmt der Christ als „Weltperson“ sein „weltliches Amt des Bürgers“ wahr289. Auch die katholische Kirche sieht ihre primäre Aufgabe in der Verkündigung des Evangeliums, beansprucht aber, die sittlichen Grundsätze auch in der sozialen Ordnung wie in allen menschlichen Dingen zur Geltung zu bringen: „Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern“ (c. 747 § 2 CIC; Nr. 76 der pastoralen Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute – Gaudium et Spes vom 7. Dezember 1965; auch Nr. 4 und ff. der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae)290. Sie agiert schon wegen der Heilsbedeutung der guten Werke, vor allem aber wegen der christologisch „allumfassenden Königsherrschaft Jesu Christi“ auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, wenn auch mit zunehmender Zurückhaltung, im Grenzbereich religiös bestimmter Politik, zumal sie sich nach der Pastoralkonstitution gemeinsam mit dem Staat für das Gemeinwohl insgesamt verantwortlich sieht (Nr. 73 ff., insb. Nr. 76)291. Der Öffentlichkeitsanspruch oder gar -auftrag (gestützt auf Art. 137 Abs. 5 WRV) der Religionsgemeinschaften (BVerwGE 37, 344 (363))292 ist auf das Bekennen des 287 M. Heckel, Kirche und Staat nach evangelischem Verständnis, S. 157 ff., insb. S. 188 ff., 206; G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 323 ff. (S. 335 ff. zur Friedensdenkschrift der EKD von 1981: Frieden wahren, fördern und erneuern). 288 Zur Einheit des Geistlichen und Weltlichen will Karl Barth in seiner christologischen Staatslehre zurückfinden (Herrschaft Christi über die himmlischen und irdischen Mächte“, „Königsherrschaft Christi“), Rechtfertigung und Recht, 1938, und, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 1946; dazu (kritisch) M. Heckel, Kirche und Staat nach evangelischem Verständnis, S. 181 f. 289 M. Heckel, Kirche und Staat nach evangelischem Verständnis, S. 205 f. 290 P. Mikat, Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, S. 111 ff. (S. 135 ff., 142 ff.). 291 Vgl. P. Mikat, Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche, S. 111 ff., 127 ff., 135 ff., 142 ff.; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 542 („Religion nie apolitisch, weil ihr eine Gesamtsicht der Welt zugrunde liegt und sie sich stets auch die Stellung des Menschen in der diesseitigen Welt angelegen sein läßt, …“) dogmatisiert die Unterscheidung des Geistlichen und Weltlichen nicht konsequent; nicht recht klar auch St. Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, HStR, § 161, Rdn. 4. 292 St. Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, HStR, § 161, Rdn. 4; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 8 ff.; dazu K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 176 ff., die keine „Demarkationslinie“ zwischen Politik und Religion zu erkennen vermag und die Problematik nicht als Schutzbereichs-, sondern als Schrankenfrage zu bewältigen versucht (S. 179 ff.), vor allem, weil sie die Unterscheidung des Geistlichen und Weltlichen nicht erfaßt; empirisch zum politischen und kulturellem Handeln religiöser oder konfessioneller Akteure F. W. Graf, Die Wiederkehr der Götter, S. 50 ff.

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Glaubens und auf Religionsausübung im engeren Sinne beschränkt, erfaßt aber nicht die Politik. Gerhard Ebeling mahnt: Die Kirche „soll überhaupt äußerste Zurückhaltung üben nicht bloß gegenüber politischer Geschäftigkeit, sondern auch gegenüber politischer Geschwätzigkeit“. Sie diene der pax publica am besten, wenn sie den Frieden Gottes verkünde293. Der Lutheraner Ebeling lehrt in schöner Klarheit die Unterscheidung der zwei Welten, welche Bedingung des Grundrechtsschutzes der Religionsausübung in der säkularen Welt des Religionspluralismus ist. So empfiehlt er „den kirchlichen Amtsträgern möglichst ganz auf öffentliche politische Tätigkeit, auf Parteizugehörigkeit und auf Teilnahme an Demonstrationen zu verzichten“ und „politische Askese“ zu üben294. Wollten die christlichen Kirchen in der Ersten Welt durchsetzen, was ihre Religion aussagt oder gar, was in der Bibel steht, ihrer Heiligen Schrift, in der jedes Wort „Gott zum Urheber“ hat295, wäre das mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar und würde den Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG nicht in Anspruch nehmen können. Vor diesem Verdikt bewahrt sie, daß sie die Säkularität von Politik und Staat nicht nur anerkennen, sondern auch hinreichend und nachhaltig leben. Eric Hilgendorf: „Die Werteordnung der Grundgesetzes, Freiheit, Menschwürde und universale Menschenrechte, beruht nicht auf religiösem Glauben, auch nicht spezifisch christlichen Werten, sondern auf der europäischen Aufklärung, welche wiederum aus der Tradition des Humanismus speist“296. Dem ist allenfalls mit dem Hinweis zuzustimmen, daß das Liebesprinzip, welches Kant als den Kategorischen Imperativ, das Sittengesetz, entwickelt hat, als das Fundament der grundgesetzlichen Ordnung (dazu IV.) tief im Christentum verankert ist. 3. Der Islam (Hingabe an Gott) ist demgegenüber eine politische Religion, die das gesamte Leben regelt297. Religion und Politik oder Staat, Geistliches und Weltliches, Diesseits und Jenseits, werden nicht getrennt („Totalitätsanspruch“)298. Martin Forst293

G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 341. G. Ebeling, Usus politicus legis – usus politicus evangelii, ZschThK 79 (1982), S. 344. 295 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei Verbum“ vom 18. November 1965, 3. Kapitel, 11; vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 2003, Nr. 1961 ff.; dazu N. Hoerster, Ist Gott unverzichtbar für die Moral? S. 50. 296 E. Hilgendorf, Staatsbürger im multikulturellen Staat, Aufklärung und Kritik 3/2010, S. 254; anders etwa S. Scharrer, Zum Gottesbezug in der Europäischen Verfassung, S. 221 ff. 297 „Die Scharia ordnet jede Lebensregung des Menschen in eine der fünf Kategorien obligatorisch, empfehlenswert, statthaft, verabscheuenswert, verboten ein, T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 15 mit Fn. 32; ders., Das islamische Recht, S. 25 ff., zu den Kategorien der Beurteilung des Handelns und Unterlassens; M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 12; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus, 2007, S. 56 f., unter Hinweis auf die Suren 33 und 66; vgl. auch U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 225 ff. 298 S. P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, aus dem Amerikanischen von Holger Fliessbach, 1996, 10. Aufl. 1998, S. 334 ff. (Islam und der Westen), insb. S. 337; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 8, 93 („im Glauben 294

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ner: „Fast von Anfang an war der Islam eine politische Organisation“; „Der Staat ist eine Schöpfung Gottes und mit dem Schimmer der Heiligkeit umkleidet, er ist Träger der religiösen Idee, ist Religionsstaat“299. „Der Islam ist Glaube und Gesetz“, „Glaubenslehre und Scharia“ „dies ist schon dem Koran zu entnehmen“300. Säkularistische Bemühungen auch der Politik haben in jüngerer Zeit an Boden verloren und werden zurückgewiesen301. Säkularismus gilt (nicht nur) maßgeblichen Rechtsgelehrten als Gottlosigkeit, Atheismus, Irrglaube und Ketzerei, Verwestlichung, Kolonialismus302. Die Religion gilt nicht als Privatsache303. „Koran und Sunna allein gelten sowohl als religiös-ethische Norm als auch als politische Ideologie“. „Das religiöse Gesetz ist

wurzelnde Rechtsgenossenschaft“), 325 (zu Trennung von Religion von Politik und Recht durch Atatürk), 357 („religiös-politisch gedeutet Herrschaft“) u. ö.; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 216, 219 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik. Reflexionen zeitgenössischer Muslime zu Islam, Menschenrechten und Demokratie, 1999, S. 43 ff.; A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt. Religiöse und politische Grundfragen, 2001, S. 112, 127; St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 243 f.; A. Janssen, Staatskirchenrecht als Kollisionsrecht, S. 732 f. (islamische Vereinigungen „keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften i.S. des Artikel 137 Abs. 5 S. 2 WRV“); A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, in: Th. Meyer, Fundamentalismus in der modernen Welt, 1989, S. 83 ff., 90 ff., 94 ff.; Th. Meyer, Fundamentalismus. Die andere Dialektik der Aufklärung, S. 14 f. (zum islamischen Fundamentalismus); B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 9 ff., 87 f. (101 f.); H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 481 ff.; dazu F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? in: H. Bielefeldt/W. Heitmeyer, Politisierte Religion: Ursachen und Erscheinungsformen des modernen Fundamentalismus, 1998, S. 202 f.; vgl. mit anderer Meinung K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 74 f., aber S. 243; zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern 2000, S. 180, 182, 185, 196, 205 ff.; dazu H.-P. Raddatz, Die türkische Gefahr? S. 242 ff.; ders., Von Allah zum Terror? Der Djihad und die Deformierung des Westens, 2002, S. 245. 299 M. Forstner, Islam und Demokratie, CIBEDO-Texte Nr. 9/10 1981, S. 3, der E. Pritsch, Die islamische Staatsidee. Ein geschichtlicher Überblick, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 53 (1939) S. 33 ff., 36, zitiert und als Staat die „Gemeinschaft aller Muslime“ definiert, der auch Nichtmuslime angehören können, aber nicht Atheisten, also der Sache nach die Umma (vgl. S. 5 ff.). 300 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 37, der Mahmud Saltut, Rektor der al-Azhar in Kairo von 1958 bis 1963, zitiert, auch S. 357 („religiös-politisch gedeutete Herrschaft“) u. ö. 301 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 46 ff.; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 213 ff.; H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 481 ff., 483 ff., 485 ff. 302 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 48; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 211 ff., insb. S. 214; H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 481 ff.; vgl. auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 26 ff. (29 ff.), 55 ff. und durchgehend; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 224 ff., insb. S. 230. 303 So auch Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 542, 546; vgl. U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 162, für islamische Staaten.

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gleichzeitig auch das staatliche Gesetz“304. Ayatollah Chomeini, als Stellvertreter des zwölften Imams Mahdi305 verehrt, hat die Trennung zwischen Religion und Staat/Politik als „Erfindung der Kolonialisten und ihrer politischen Handlanger“ gegeißelt306. Der Gehorsam und die Loyalität gegenüber den „mit unfehlbarer Lehrautorität ausgestatteten“ Imamen ist die wichtigste Pflicht der Schiiten307. Die exegetischen Anstrengungen, religiöse von politischen Elementen des Islam zu sondern, sind um Akzeptanz des Westens bemüht, in dem mehr und mehr Muslime unter religionspluralistischen Verfassungsgesetzen leben und weiter leben wollen308, ohne (vorerst) die Macht zu haben, dem Islam religiös und politisch zum Durchbruch verhelfen zu können. Aber es gibt auch Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung, in denen der Islam die politischen Verhältnisse nicht verfassungsrangig bestimmt, so daß die Rechtsordnung nicht wesentlich die islamische Religion verwirklicht. Hans Ebeling warnt vor der voranschreitenden „Islamisierung Europas“, durch die sämtliche Errungenschaften der westlichen Aufklärung und Moderne gefährdet seien309. Paradigma eines aufklärungsfeindlichen Fundamentalismus ist, so Hans Ebeling, der Islam in all seinen Varianten. Die Islamisierung Europas führe in den Bürgerkrieg. Deswegen sei gegen den provinziellen Multikulturalismus um des europäischen Lebens willen moralisch und rechtlich Widerstand geboten310. Bassam Tibi reduziert die Gefahr auf die politische Ideologie des Islamismus als einem antiwestlichen ebenso universalistischen wie totalitären Fundamentalismus (Usuliyya), die „Re-Politisierung des Islam“ oder „Re-Sakralisierung der Politik“ (seit dem Juni-Krieg von 1967 mit Israel), der eine alternative entsäkularisierte Weltordnung der Gottesherrschaft (Hakimiyyat Allah) ohne europäistische Nationalstaaten zu verwirklichen sich anstrengt

304 A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 83 f.; auch A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 92 ff., 125; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 87 ff., 103 ff. 305 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 119, zur Bedeutung des Imam für den politischen Islam/Islamismus S. 74 ff.; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 226; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 62, 69; die Imame stammen aus der Nachkommenschaft Alis, des Vetters und Schwiegersohns Muhammads, auf den der Schiitismus zurückgeht, vgl. T. Nagel, Das islamische Recht, S. 352 ff. 306 M. Rohe, Das islamische Recht, Geschichte und Gegenwart, 2009, S. 246; dazu i.d.S. Th. Meyer, Fundamentalismus. Die andere Dialektik der Aufklärung, S. 14 f. („absoluter Wahrheitsanspruch der heiligen Texte und der Überlieferung“); B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 26 ff., 36 ff., 87 ff. und durchgehend zu „Entwestlichung“. 307 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie, Bd. 1, 2005, S. 856; T. Nagel, Das islamische Recht, S.354 ff.; H.-P. Raddatz, Von Allah zum Terror? S. 88 ff. 308 Zum islamischen Problem des Lebens in der Diaspora G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 45. 309 Der multikulturelle Traum, Von der Subversion des Rechts und der Moral, 1994, S. 66 ff. (69), 74 ff.; nicht anders H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 308 f. 310 H. Ebeling, Der multikulturelle Traum, S. 9 ff., 66 ff., 74 ff.; kritisch zu H. Ebeling H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 477 f.

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(Djihad, Anstrengung, Kampf)311. Udo Steinbach erörtert im gleichen Sinne warnend die „rückwärts gewandte“ „Re-Islamisierung“312. Nur ist der radikale islamische Fundamentalismus „schon dabei, Teil der Tradition zu werden“313, keine „Re-Traditionalisierung, sondern eine moderne Erfindung von Tradition“314. Der politische Islam, vor allem in seiner Radikalisierung zum Islamismus, wirft die religionsverfassungsrechtlichen Fragen auf, nicht ein unpolitischer Islam, von dem Bassam Tibi ständig spricht. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan 2008: „Es gibt keinen Islam und Islamismus. Es gibt nur einen Islam. Wer etwas anderes sagt, beleidigt den Islam“315. Ein unpolitischer Islam, den es niemals gegeben hat316 und den es mit einer beachtenswerten religiösen Wirkungsmacht auch gegenwärtig nicht gibt, müßte entweltlicht, desäkularisiert sein. Das ist nicht zu erkennen, weil die Friedfertigkeit oder auch Liberalität der Muslime, die im Westen, im Haus des Krieges oder im Haus des Vertrages, leben, schlechterdings kein Argument für deren Säkularität ist, sondern Ausdruck der politischen Machtverhältnisse317. Überzeugender sagt HansPeter Raddatz: „Das Sein des Islam besteht in der Negation des Friedens“318. Schon Max Weber hat den Islam als „Kriegerreligion“ gekennzeichnet319. Der Islam war und ist wesentlich ein Herrschaftssystem, das sich wie alle Herrschaftsformen ideologisch legitimiert320. Die religiöse Legitimation hat nicht nur die Jahrhunderte lange Tradition für sich, sondern vor allem die Unwiderlegbarkeit und damit

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B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 1 ff., 13 ff., 26 ff. (35), 36 ff. (50 ff.), 55 ff. (60 ff., 66 ff.), 73 ff., 147 ff., 156 ff., 161 ff., 172 ff. und durchgehend; ebenso U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 224 ff. (Djihad heißt „Bemühung auf dem Pfade Gottes“, S. 228); auch M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 3; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 57 f., 306, 311 f., 316 ff. 312 U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 219 ff.; kritisch zu U. Steinbach als Vertreter eines Euro-Islam H.-P. Raddatz, Die türkische Gefahr? Risiken und Chancen, 2004, S. 243 f. 313 F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 203. 314 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 19; vgl. auch M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 6. 315 s. http://www.schweizerzeit.ch/frame_aktuell.htm. 266/267. 316 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 163, räumt selbst ein, daß der „Islam ausdrücklich bereits seit seinen Anfängen eine politische Religion gewesen ist“; zu Recht stellt H.-P. Raddatz, Die türkische Gefahr? S. 258 ff. eine relevante Unterscheidbarkeit in Frage. 317 Ganz so G.-R. Puin, „Der Islam ist mehr als eine Religion“, Saarbrücker Zeitung vom 5. Oktober 2010. 318 Dazu H.-P. Raddatz, Von Allah zum Terror?, S. 84, der S. 277 auf Max Weber hinweist, der „für den Islam den unterwerfenden Krieger“ als kulturbestimmend erkannt hat (Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie, Bd. 1, 2005, S. 400 f.). 319 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 480 f. („ständisch orientierte Kriegerreligion“), auch S. 378, 400 f. 320 Kritik jedweder Herrschaft bei K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 115 ff.

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Unkritisierbarkeit der Herrschaft eines Gottes, dessen Allmacht sich in der Herrschaft des jeweils Herrschenden vollzieht321. Insbesondere die kemalistische Republik Türkei ist (an sich unabänderlich) laizistisch verfaßt (Präambel, Art. 2 in Verb. mit Art. 4, auch Art. 13 und 14 der Verfassung der Republik Türkei) und in spezifischer islamischer Weise laizistisch geordnet322. Darüber haben bisher das Verfassungsgericht (Art. 146 und Art. 148 der Verfassung) und der Nationale Sicherheitsrat gewacht, den die Armee dominiert (Art. 118 der Verfassung). Die überwiegend sunnitische Bevölkerung und die „gemäßigt islamische“ Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung AKP, die bei den Wahlen 2002 34 %, 2007 47 % der Stimmen erzielt hat, wegen der Zehn-Prozent-Klausel aber jeweils die absolute Mehrheit im Parlament erreichte und den Ministerpräsidenten und allein den Ministerrat, die Regierung, stellte und stellt, müssen das Schisma zwischen Religion und Politik aushalten (noch). Der kemalistische Kulturkampf hat Mißtrauen und Ablehnung gegen den säkularen Staat in der islamischen Welt hinterlassen323. Am 12. September 2010 hat das Volk der Türken entgegen der Empfehlung der eher laizistischen Opposition eine Verfassungsnovelle angenommen, welche den Einfluß des Parlaments und des Präsidenten, politisch also der AKP, auf die Auswahl der Verfassungsrichter gegenüber der Militärputsch-Verfassung von 1980 erheblich verstärkt. Die Schwächung des Kemalismus schafft einerseits formal mehr Demokratie, wie das die Europäische Union erwartet, andererseits stärkt sie material die weitere Entwicklung der Türkei zu einem islamischen Staat. Bedeutsam ist, daß die Türkei der AKP über ihren Beitritt zur Europäischen Union (erfolgversprechend) verhandelt und einen zwar äußerlich demokratisierteren Staat in die Union einzubringen verspricht, der aber wesentlich zur Islamisierung Europas beitragen wird. Der Erweiterungs- kommissar der Europäischen Union und der deutsche Außenminister haben die Verfassungsänderung begrüßt, nicht anders als der Großteil der Presse in Deutschland324. Die Scharia (der Weg; das von Gott Gewollte; die gerechte Ordnung, die von keinem Menschen angetastet werden darf325) hat in verschiedenen islamischen Staaten Verbindlichkeit als höchstrangiges Recht mit freilich unterschiedlicher Wirksam-

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Grundlegend H.-P. Raddatz, Von Allah zum Terror, S. 31 ff., 43 ff., 57 ff., 65 ff., 277 ff., durchgehend. 322 Vgl. U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 207 ff., 214 ff.; T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 7, Fn. 15. 323 H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 482. 324 Etwa Zeit-online vom 13. 09.2010; abgewogen NZ vom 14. 09. 2010, S. 2. 325 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 218; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 49 f., 51; T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 14 ff.; H.-P. Raddatz, Allahs Frauen, S. 73; auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 87 ff.

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keit326. Jedenfalls in Gemeinwesen, in denen Muslime die Mehrheit der Bevölkerung bilden (eine absehbare Entwicklung in Deutschland und anderen Staaten Europas) soll der Staat islamisch sein327. Ganz klar hat sich der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland (bis 2006) Nadeem Elyas erklärt: „Nur in einer islamischen Mehrheitsgesellschaft kann ein islamischer Staat als Form gewählt werden. Für islamische Minderheiten ist ein säkularer Staat aber eine akzeptierte Staatsform, solange die Religionsfreiheit gewährleistet ist“328. Wenn somit die Muslime die Mehrheit bilden, ist zu erwarten, daß sie die Verfassung Deutschlands, die Säkularität des Staates und damit das wesentliche Fundament der Menschheit des Menschen, nämlich die Freiheit als Autonomie des Willens oder eben die Gesetzgeberschaft aller Bürger, aufheben werden329. Ein islamischer Staat ist durch das Leben nach der Scharia330 (in der jeweiligen traditionsgebundenen und durchaus wandlungsfähigen, wenn nicht willkürlichen331, Praxis der Rechtsgelehrten „der Erkenntnis dessen, was die Scharia vorschreibt“, Fiqh, oder schiitisch den Aussagen des Imams332) gekennzeichnet333. Die Scharia als das Recht ist die von Allah „in seinem Schöpfungswerk“ „als 326 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 161; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, in: W. Ende/U. Steinbach, Der Islam der Gegenwart, 4. Aufl. 1996, S. 213 ff. (S. 218 f.); Th. Meyer, Fundamentalismus. Die andere Dialektik der Aufklärung, S. 14 f. 327 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S.184; M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven, Rechtliche Perspektiven, 2001, S. 88. 328 N. Elyas, Integration ist keine Einbahnstraße, Tagung des Deutschen Orient-Instituts, des Zentralrates der Juden in Deutschland, des Zentralrates der Muslime in Deutschland und der Katholischen Akademie Hamburg am 21. 01. 1999 in Hamburg, in: K. Hafez/U. Steinbach, Juden und Muslime in Deutschland, Minderheitendialog als Zukunftsaufgabe 1999, S. 16 ff. (19). 329 Nach B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 85, „weist der politische Islam unserer Zeit jede Selbstbestimmung des Menschen als Unglauben zurück“, S. 169 ff. stellt er den Subjektivismus, den Jürgen Habermas formuliert, als Ausdruck der europäischen Moderne heraus, den der Islamismus bekämpft, S. 172 ff. und durchgehend. 330 Zur Entwicklung und zum Wesen der Scharia grundlegend der wohl beste Kenner der Materie T. Nagel, Das islamische Recht. Eine Einführung, 2001, S. 3 ff., zur Geschichte S. 155 ff. 331 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 836, der das als „charismatische Justiz“, eben „Kadi-Justiz“, weil nicht gebunden, einstuft; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 311 f.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 94. 332 Dazu entwicklungsgeschichtlich T. Nagel, Das islamische Recht, S. 3 ff., 352 (Zitat), Fiqh bezeichnet „die Quellen, die Gottes Willen und Gesetzgebung bezeugen“ und die „Bewertungskriterien für die Praxis“ des Rechts geben, S. 9, 352 ff. 333 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 51 ff.; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 218 ff.; A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 85; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 160 f.; F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus?, S. 188 ff., 199; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 223, 228; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 46 ff., 59, 68, 87 ff., 103 ff. (106 f.) und durchgehend, der die Scharia S. 82, auch S. 86, 94, 96 f., 107, als „post-koranisch

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Belastung des Menschen“ gesetzte Ordnung, die ihre Materialisierung in der islamischen Praxis gefunden hat und findet334. Die Scharia ist „Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes“335. Tilman Nagel: „Stets geht es um den Menschen als ein Glied in der Schar der Knechte Gottes. Damit aus dieser Schar eine Gemeinschaft geformt wird, entfaltet die Scharia die ihr innewohnende zügelnde Wirkung“. „Gott will mit seinem Gesetz vor allem das Gemeinwohl der Menschen sicherstellen, und wie dies erfolgt, das ist der Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Erörterung“. Dafür hat Gott den Menschen den Verstand, „die Verkörperung des Gehorsams gegen ihn“, gegeben; „denn der Verstand ruft sie zur Wahrheit“336. „Bei jeder Bewertung, bei jeder schariatischen Vorschrift“ sind „die Belange Gottes im Spiel“. Das ist „eine allgemeingültige Wahrheit“337. „Die Unterwerfung unter das Gesetz ist folglich die unabdingbare Voraussetzung des Beschreitens des islamischen Heilsweges“, für das Diesseits und für das Jenseits338. Im islamischen Staat müssen Muslime die Regierungsgewalt ausüben339. In einem solchen Staat können Nichtmuslime leben, dürfen aber keine staatlichen Ämter bekleiden. Nichtmuslime sind in islamischen Staaten Muslimen unterzuordnen. Nichtmuslime haben nicht die gleichen bürgerlichen Rechte wie die Muslime340. und interpretativ“ erklärt, die nicht Teil der islamischen Offenbarung sei, aber doch bereits mit „der Bildung der vier Rechtsschulen (Hanafismus, Hanbalismus, Schafiismus und Malikismus) ein Jahrhundert danach sich entfaltet habe, und vertritt, daß der „Scharia-Islam“ als „RechtsIslam“ eine „politische Ideologie“ sei, die nicht der Religion des Islam entspreche. Daß die Scharia nicht zur religiösen Tradition des Islam gehöre, kann schlecht vertreten, wer T. Nagel, Das islamische Recht, 2001, studiert hat; zum Begriff der Scharia, die „alle religiösen und rechtlichen Normen des Islam“ umfasse, auch M. Rohe, Scharia in Deutschland? in: Deutsche Islam Konferenz, Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, 2009, S. 204 ff. 334 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 3, 6, 12, 37 u. ö.; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 218 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 51 ff., 54 ff.; A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 92 ff.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 160 f.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, insb. S. 87 ff., 207 (Glossar); dazu näher D. Zacharias, Islamisches Recht und Rechtsverständnis, in: St. Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, 2008, S. 44 ff. (S. 116 ff.); T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 16. 335 Zum Geltungsanspruch der Scharia T. Nagel, Das islamische Recht, S. 284 ff. 336 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 10 ff. (Zitat S. 13), 86 f., 246 f. (Zitat S. 246), 358 f. u. ö. 337 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 336 f. 338 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 13, 21 f., 336 f. 339 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 160, 186; A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, 2001, S. 118; zur Ungleichheit der Muslime und der „Leute des Buches“ und der Ungläubigen vgl. auch M. Forstner, Islam und Demokratie, CIBEDO-Texte Nr. 9/10 1981, S. 14 ff. 340 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 14 ff.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 186 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 162 ff. (165), 166 ff., 172 ff. („Ausschluß aus der Nation“); T. Nagel, Sachverständigengutachten in

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Keinesfalls dürfen im islamischen Staat Muslime von Nichtmuslimen beherrscht werden341. Die vorrangige Geltung und Anwendung der Scharia streben jedenfalls die Islamisten, die „in der islamischen Welt zunehmend die Oberhand gewinnen“, weltweit an342 ; denn die „islamische politische Gemeinschaft“, die Umma, bezeichnet der Koran als „die beste unter den Menschen“ (3,110 oder 111)343. Die Umma ist nach Abul Ala Maududi der „Statthalter Gottes auf Erden“, die „die Weisungen der Scharia politisch zur Geltung bringen soll“ („Theo-Demokratie“, „sakralisierte Umma-Demokratie“)344. Nach Sayyid Qutb, 1966 hingerichteter Märtyrer der ägyptischen Muslimbruderschaft, ist „wahre Freiheit nur in der bedingungslosen Unterwerfung unter das göttliche Gesetz der Scharia möglich, weil einzig die Herrschaft Gottes der Verknechtung des Menschen durch den Menschen ein Ende setzen“ könne345. Demgegenüber sieht der Islam den Menschen als Knecht seines Herren, Allahs346. Abul Ala Maududi und Sayyid Qutb sind Klassiker des Islamismus mit großem Einfluß; ihre Bücher und Broschüren sind in viele Sprachen übersetzt und liegen, subventioniert, auf vielen Büchertischen islamistischer Gruppen aus347. „Der Islam herrscht, er wird nicht beherrscht“, ist eine traditionelle Maxime, welche die „islamische Wiedererweckungsbewegung“ ausdrücklich proklamiert348. Max Weber erfaßt den Islam als „Herrenreligion“349. Die fundamentalistische Re-Islamisierung ist beder Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 18 Fn. 40. 341 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 160; vgl. H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 483. 342 A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 114, 130 f. und S. 132; M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 3 („Endziel“ des Islam „ist also eine umfassende Civitas Dei“); B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 46 ff., 59, 73 ff. (77), 87 ff. (98), 103 ff. und durchgehend; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 230 f., anders als die Muslime sonst in der Diaspora, S. 184 f. 343 A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 124, auch S. 128, 129; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 98; vgl. auch U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S.220, 232; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 57; ders., Allahs Frauen, S. 61. 344 H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus. S. 482, unter Hinweis auf en pakistanischen Autoren Abul Ala Maududi, The Islamic Law and Constitution, 3. Aufl. 1967, S. 147 f.; auch M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 4, 5 ff.; vgl. B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 46 ff.. 60 ff., 80, 87 ff.; U. Steinbach, Vom islamischwestlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 225 f. (Verpflichtung der Muslime als der Partei Gottes zur Weltreligion). 345 Zitiert aus H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 483; vgl. auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 81 f.; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 222, 226. 346 T. Nagel, Das islamische Recht, der das durchgehend anspricht, etwa S. 17, 59, 63, 336, 337, 349. 347 H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 483; zu beiden Autoritäten auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 44, 66 f., 80 f. u. ö. 348 A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 114. 349 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 481.

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müht, die „exogenen“, westlichen Werte, welche die islamische Welt insbesondere durch die Kolonialisierung, aber auch durch die westliche Liberalisierungs- und Säkularisierungspolitik (Türkei, Persien), aber auch durch gewisse Politiken des Sozialismus, des Nationalismus und auch Parlamentarismus verfremdet und zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten geführt haben, im Interesse der „Homogenität und der Integration der Wirtschaft und Gesellschaft“ befreiend zu beseitigen350. In der medinensischen Urgemeinde des Propheten Mohammed und weitestgehend auch noch in der Zeit der vier rechtgeleiteten Kalifen von 632 bis 661 soll die Einheit des Religiösen und Politischen, der Gottesstaat, bestmöglich gelebt worden sein351. Diese Gemeinde ist als communitas perfecta nach wie vor „Ideal und Ziel“ jedenfalls der fundamentalistischen Muslime352. Die Rechtsschulen353, welche die Rechtserkenntnisse dem Koran entnehmen und Rechtssätze gegebenenfalls mittels Analogieschluß, aus Traditionen des Propheten oder in anderer Weise gewinnen354, verfassen der Sache nach theologische Gutachten. Muslimische Theologen (Ulama) sind zugleich Prediger, Lehrer, Richter, Gelehrte und Kultusdiener in der Moschee355. Sie bestimmen, soweit die staatlichen Verhältnisse das erlauben, weitestgehend die Rechtspraxis. In Deutschland steht dem das Grundgesetz als tendenziell säkularistische Staatsverfassung entgegen. Im durch das Grundgesetz verfaßten Staat, entweder noch ein „Haus des Krieges“ (im Gegensatz zum „Haus des Islam“) oder schon ein „Haus des Vertrages“,356 dauerhaft zu leben ist mit der islamischen Religion nach Auffassung klassischer Rechtslehrer allenfalls vereinbar, wenn die umfassende Verbindlichkeit der Scharia zwar noch nicht durchsetzbar, aber die Erwartung nicht un-

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A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 86 ff., 90 ff., 96; eingehend B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 26 ff., 36 ff., 55 ff., 73 ff., 87 ff. und durchgehend. 351 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 172 ff.; dazu U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 228 (alle vier wurden ermordet); auch M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 3; H.-P. Raddatz, Von Allah zum Terror? S. 83. 352 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 123 f., 296; A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 85; F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 199; vgl. auch H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 483 ff.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 172 ff., der allerdings von einer „Fiktion“ einer „untrennbaren Einheit“ von Religion und Staat spricht (S. 176). 353 Zu den Rechtsschulen T. Nagel, Das islamische Recht, S. 241 ff. 354 A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 85; dazu D. Zacharias, Islamisches Recht und Rechtsverständnis, S. 73 ff., 116 ff.; M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 4; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 324, 357. 355 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 3. 356 T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/ Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 17 f., 22 f., zum „Gebiet des Vertrages“, zu dem Europa erklärt wird, S. 23 f.; vgl. auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 38 f., 46 ff.

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gerechtfertigt ist, ihren Geltungsanspruch einmal zu verwirklichen357. Jüngere Rechtslehren erlauben den Muslimen ein Leben in der Minderheit, wenn sie die fünf Säulen ihres Glaubens praktizieren können, nämlich das Glaubensbekenntnis, das Fasten im Ramadan, die täglichen Gebete, das Almosengeben und eine Pilgerfahrt358 ; denn „die Befolgung des Ritualrechts ist die Keimzelle islamischer Staatlichkeit“, das rituelle Gebet im „Gebiet des Krieges“, die wichtigste „Parole Allahs“, ist „eine Art Vorbote der künftigen islamischen Herrschaft“359. Das vermag die Religionsausübungsfreiheit nur zu gewährleisten, wenn sich der Islam von seiner Verbindlichkeit für die Politik nachhaltig lossagt. Apostaten werden nach einigen islamischen Rechtsschulen mit dem Tod bedroht360. Der Prophet soll gesagt haben: „wenn jemand seine Religion fallen läßt, so tötet ihn“361. Der Koran verurteilt jedenfalls den Abfall vom Islam (Riddah) scharf362. Nichts ist politischer als die Todesstrafe. Sie ist nach der genannten Ansicht ausschließlich religiös begründet, nämlich durch ein Handeln, das den Kern der Religionsfreiheit ausmacht: den Glauben aufzugeben oder zu wechseln. Dieses Recht ist 357 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 185; vgl. B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 77. 358 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 181 ff., insb. S. 183; M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. S. 84 ff., insb. S. 87 ff., der die Unterscheidung „zwischen Rechtsnormen der islamischen Staatswesens“, deren „Geltung auf die Staatsgebiete islamischer Staaten beschränkt“ sei, einerseits und individuellen Geboten andererseits“, übernimmt, eine Notwendigkeit für Muslime, solange sie die freiheitlichen Gemeinwesen, in denen sie leben, nicht islamisiert haben, und damit an der Taqiyya (Verstellung) mitwirkt; zu den Ritualpflichten näher T. Nagel, Das islamische Recht, S. 39 ff. 359 T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/ Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 17 ff. 360 A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 122 f.; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 96; L. Müller, Islam und Menschenrechte, Sunnitische Muslime zwischen Islamismus, Säkularismus und Modernismus, 1996, S. 142 ff., 146 ff.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 99 f.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 190 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 154; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 134 f., 266 ff., der einerseits von aktuellen Todesstrafen und Hinrichtungen wegen Apostasie, andererseits auch von Ablehnung dieser Strafpraxis berichtet – die typischen Relativierungen islamischer Menschenrechtsverstöße; vgl. auch ders., Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen, S. 47 f.; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 86. 361 Vgl. L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 145 f., der u. a. auf den Verfassungsentwurf der Azhar-Universität, Art. 71, hinweist, der die hadd-Strafen auch auf die Apostasie angewendet wissen will, zu einer restriktiven muslimischen Lehre von den Körperstrafen S. 310 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 153 f.; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 56; A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 85 f. 362 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 190 f.; A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 122 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 154; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 142 ff.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 99 f., S. 103 ff. zum Hisbah-Gesetz in Ägypten von 1996, welches der Denunziation wegen Abfalls vom Glauben Tür und Tor öffnet und vor allem zur Disziplinierung von Intellektuellen und Künstlern führt (einschließlich Zwangsscheidungen), im übrigen eine Parallele zum Zwang der political correctness im Westen, vor allem in Deutschland.

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im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG Wesensgehalt der religiösen Freiheiten und allemal Menschenrecht. Es ist Essentiale des Modernen Staates. Abgesehen davon, daß die Todesstrafe die Menschenwürde verletzt (BGHSt 41, 317 (325); i.d.S. auch BVerfGE 39, 1 (42); 45, 187 (228))363, kann schon wegen des staatlichen Zwangsvorbehalts364 allenfalls der Staat die Befugnis haben, Strafen am Körper zu vollziehen. In Deutschland sind solche Strafen ohne Einschränkung verfassungswidrig365. Eine religiös begründete Tötung gar ist eine krasse Grenzüberschreitung der Religionsausübung in den staatlichen Bereich, mißachtet somit die Trennung des Religiösen vom Politischen eklatant. Religiöse Strafen (besser: Sanktionen) müssen sich in den Grenzen der Religionsausübung halten, wie etwa der Ausschluß von den Sakramenten der Religionsgemeinschaft, wie die Exkommunikation u. a. Vergehen gegen die Rechte Allahs (Hudud), deren Strafbarkeit keine Grenzen kennt (Personalprinzip) sind u. a. weiter Diebstahl, unehelicher Geschlechtsverkehr, Rufmord, Weintrinken, Straßenraub, die jeweils menschenrechtswidrigen Strafen am Körper, wenn nicht den Tod, gegebenenfalls durch Steinigung (für außerehelichen Geschlechtsverkehr) oder durch Köpfen, Verstümmelung, Abschlagen einer Hand oder eines Fußes (für Diebstahl) zur Folge haben366. Die Hadd-Strafen (Mißachtung der von Gott gezogenen Grenzen) sind unausweichlich und lassen auch keine Begnadigung zu367. Die Kairoer Deklaration für Menschenrechte im Islam der Organisation der Islamischen Konferenz, zu der 57 muslimische Staaten gehören, vom 5. August 1990368 stellt wesentliche Menschenrechte wie das Recht auf Leben (Art. 2 lit. a) und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 lit d) unter den Vorbehalt der Scharia. Art. 6 räumt der Frau die gleiche Würde wie dem Mann ein, nicht aber die gleichen Rechte369. Die Erziehung muß mit den ethischen Werten und Grundsätzen der Scharia übereinstimmen (Art. 7 Abs. 2). Die Erziehung in allen Einrichtungen, Familien, Schulen, Universitäten und Medien, muß den Glauben an Gott stärken (Art. 9 Abs. 2). „Der Islam ist die Religion der reinen Wesensart. Es ist verboten, irgendeinen Druck auf einen Menschen auszuüben oder seine Armut und Unwissenheit auszunutzen, um ihn zu einer anderen Religion oder zum Atheismus zu bekehren“ (Art. 10). Nur innerhalb des Rahmens der Scharia hat der Mensch das Recht der Freizügigkeit und die freie Wahl des Wohnortes (Art. 12 S. 1). Das Asylrecht besteht nicht, wenn der Asylgrund 363

K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 118 f. Dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 118 ff. 365 H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, Präambel, Art. 1 – 19, 5. Aufl. 2005, Art. 2 Abs. 2, Rdn. 219; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 43 ff. 366 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 90, 94, 98 f., 100 f. 367 Zu den koranischen Strafen und ihrer Unerbittlichkeit T. Nagel, Das islamische Recht, S. 39, 84 ff., 313 f., 319, 344 u. ö.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 98 f. 368 Nicht von der Gipfelkonferenz der Islamischen Konferenz (OIC) bestätigt, vgl. G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 150. 369 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 16; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 168 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 157 ff.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 190 f. 364

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nach der Scharia ein Verbrechen darstellt (Art. 12 S. 3). Urheberrechte oder Rechte des gewerblichen Rechtsschutzes bestehen nur für Werke, die den Grundsätzen der Scharia nicht widersprechen (Art. 16). „Jeder Mensch hat das Recht, in einer sauberen Umwelt zu leben, fern von Laster und moralischer Korruption, in einer Umgebung, die seiner Entwicklung förderlich ist“ (Art. 17 a S. 1). „Über Verbrechen und Strafen wird ausschließlich nach den Bestimmungen der Scharia entschieden“ (Art. 19 d). „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, soweit er damit nicht die Grundsätze der Scharia verletzt“ (Art. 22 a). „Jeder Mensch hat das Recht, im Einklang mit den Normen der Scharia für das Recht einzutreten, das Gute zu verfechten und vor dem Unrecht und dem Bösen zu warnen“ (Art. 22 b). „Information ist lebensnotwendig für die Gesellschaft. Sie darf jedoch nicht dafür eingesetzt und mißbraucht werden, die Heiligkeit und Würde des Propheten zu verletzen, die moralischen und ethischen Werte auszuhöhlen und die Gesellschaft zu entzweien, sie zu korrumpieren, ihr zu schaden und ihren Glauben zu schwächen“ (Art. 22 c). Jeder Mensch hat das Recht, im Einklang mit den Bestimmungen der Scharia ein öffentliches Amt zu bekleiden“ (Art. 23 Abs. 2 S. 2), d. h., er muß Moslem sein. „Alle Rechte und Freiheiten, die in der Erklärung genannt sind, unterstehen der islamischen Scharia“ (Art. 24). „Die islamische Scharia ist die einzige zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung“ (Art. 25). Die Scharia ist nach den zitierten Erklärungen das Maß („der Rahmen“) der Menschenrechte370. Die Erklärung richtet sich ausweislich der Präambel und des Art. 1 an die ganze Menschheit, wonach alle Menschen eine Familie bilden, deren Mitglieder durch die Unterwerfung unter Gott („Diener Gottes“, Koran 3, 51; 6, 102; 10, 3) vereint sind371. Aber die Menschenrechte sind „Gottesgabe und Gottesgnade, die ihre Empfänger zu Gehorsam gegenüber dem Schöpfer verpflichtet“372. Rechte und Pflichten (gegenüber Gott) sind eine Einheit. Schließlich heißt Islam (jedenfalls auch) „Hingabe an Gott“373. Die islamische Rechtsordnung ist vornehmlich Pflichtenordnung374. Nur wer die Pflichten gegenüber Gott erfüllt, kann sich auf die Rechte berufen (also nur die Gläubigen)375. Die Mitglieder der Organisation betonen in der Präambel „die kulturelle und historische Rolle der islamischen Umma, die von Gott als die beste Nation geschaffen wurde und die der Menschheit eine universelle und 370 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 150 f.; K. Doehring, Islam in Deutschland. Niemand kann zwei Herren dienen, FAZ.Net vom 28. 09. 2010. 371 Vgl. L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 270, zu einer abweichenden muslimischen Auffassung vom islamischen Menschenbild, daß nämlich der Mensch im Rahmen des Koran frei sei und vernunftbegabt handeln könne, S. 286 f., 295 f.; zum islamischen Menschenbild auch G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 78, 148, 246. 372 U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 225; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 101 ff., 148, die die Problematik der religiösen Fundierung der ihrem Wesen nach aufklärerischen Menschenrechte nicht recht erfaßt. 373 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 44; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 67. 374 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 104 f. 375 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 148 f.

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wohlausgewogene Zivilisation gebracht hat, in der zwischen dem Leben hier auf Erden und dem im Jenseits Harmonie besteht und in der Wissen mit Glauben einhergeht, …“. Die Einheit von Religion und Politik kommt in dieser neuzeitlichen Menschenrechtserklärung der islamischen Staaten klar zur Sprache. Die Menschenrechte (des Westens) sind die politische Grundlage des Modernen Staates, nach Art. 1 Abs. 2 GG auch Deutschlands. Sie definieren geradezu die Menschheit des Menschen und stehen allen Menschen ohne jeden Unterschied zu. Ihre religiöse Relativierung ist eine tiefgreifende Einwirkung der Religion auf die Politik und macht die Scharia weitestgehend zum Maßstab der Politik. Die Geltung und Anwendung der Scharia ist fundamentales Prinzip des islamischen Staates. Deren Postulat ist wesentlicher Ausdruck des Islamismus376. Die Scharia behauptet sich mehr und mehr in der Umma, nicht nur im Haus des Islam, sondern zunehmend auch im Haus des Vertrages und wird sogar im Haus des Krieges angewandt, freilich strafbar. Die prinzipielle islamische Einheit von Religion und Politik (Religion und Staat – Din wa daula377) ist durch gewisse meist der Lage der Muslime in der heutigen Welt, zumal der westlichen Welt, geschuldete Einschränkungen der politischen Relevanz des Islam nicht aufgehoben. Die Vielfalt der religiösen Ansichten im Islam relativiert diese Einheit nicht substantiell, zumal erwartet werden kann und muß, daß sich die fundamentalistischen Auffassungen vor allem auf Grund der Gewaltbereitschaft ihrer Anhänger, die in aller Welt sichtbar ist, durchsetzen werden. Diese aber lassen an der medinensischen Einheit keinen Zweifel aufkommen. Die Entpolitisierung der Religion bedürfte einer aufklärerischen Säkularisierung, der Befreiung der Politik von der Religion. Richtig ist die These, der sich auch Ulf Matyssek, der um größtmögliche Beschwichtigung der politischen Gefahren des Islam bemüht ist, anschließt, daß „nicht die normative Dogmatik der Religion entscheidend für die Frage sei, ob Religion politische Herrschaft anstrebe, sondern die Geschichte“378. Jedenfalls sei der Islamismus eine machtorientierte und fundamentalistische „politische Ideologie“, die 376

Besonders klar B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 87 ff., 103 ff., 156 u. ö. T. Nagel, Das islamische Recht, S. 8, 93 („im Glauben wurzelnde Rechtsgenossenschaft“), 325 (zu Trennung von Religion von Politik und Recht durch Atatürk), 357 („religiöspolitisch gedeutet Herrschaft“) u. ö.; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 298; G.-R. Puin, „Der Islam ist mehr als eine Religion“, Saarbrücker Zeitung vom 5. Oktober 2010; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 123 ff.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 167, 191 ff., der insofern von „Islamismus“ spricht; H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 485; auch A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 86; G. Britz, Der Islam ante portas, ZRP 2003, 219; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 27, plakatiert den Islam als Religion, deren Politisierung definiert er als Islamismus, als politische Ideologie, einer Spielart des Fundamentalismus, auch S. 81 ff. und durchgehend, und die Formel Din wa daula sieht er als „neoislamisch“, S. 81, 98. Verfassungsrechtlich ist die einheitliche Wirklichkeit von Islam und Islamismus maßgeblich. 378 U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 193; die Beschwichtigungsversuche zeigen sich auch darin, daß die darum bemühten Autoren nicht nur die koranischen Aussagen möglichst abmildernde Übersetzungen wählen, sondern auch Satzteile der Verse weglassen, welche die Unerbittlichkeit der heiligen Texte ausweisen. 377

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Matyssek aber nicht anders als Bassam Tibi von der Religion des Islam unterscheiden will379. Dabei gewichten beide nicht hinreichend, daß der „Islamismus“ sich mit dem Islam als Religion legitimiert und aus dem Islam seine Kraft herleitet. Islam als Religion und kämpferischer Islamismus sind religionsverfassungsrechtlich nicht auseinanderzuhalten. Die Auseinandersetzung mit dem westlichen Postulat der Säkularität läuft nach Heiner Bielefeldt „auf die Auflösung jeder Differenz zwischen Religion und Politik hinaus, die sich gleichermaßen als totale Sakralisierung des Politischen wie als totale Säkularisierung des Religiösen beschreiben“ ließe380. Demgemäß sind die Moscheen und Minarette nicht nur Sakralbauten in einem im Grundsatz säkularisierten Gemeinwesen, das Politik und Religion, Weltliches und Geistliches trennt, sondern Sakralbauten von Vereinigungen, deren Religion die höchste politische Verbindlichkeit zu beanspruchen erwarten läßt, auch wenn das wegen der Gegebenheiten des Staates, etwa Deutschland, in dem sie errichtet werden, (vorerst) nicht verwirklicht werden kann. Diese Gebäude sind somit auch und wesentlich politische Einrichtungen der islamistischen Muslime381. Tecep Tayyip Erdogan als Bürgermeister von Istanbul: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“382. Eine Differenzierung zwischen säkularen und nichtsäkularen, islamistischen Muslimen ist allenfalls theoretisch, nicht aber praktisch möglich. Sie widerspricht dem religionsrechtlichen Selbstverständnisprinzip383. Die Praxis in aller Welt beweist das. Die Islamisten stehen für eine Politik, die fraglos mit der Verfassung und dem Verfassungsgesetz Deutschlands unvereinbar ist (vgl. XI.). Sowohl die materiellen Vorschriften 379

U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 197 f.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 13 ff. (19 f.), 26 ff., 50 f., 70, 73 ff., 87 ff., 147 und durchgehend, ohne substantielle Begründung und ohne Folgerungen, zudem betont er den antiwestlichen Impetus. 380 Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 485; so auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 51, 59 u. ö. 381 Das verkennt M. Rohe, Das islamische Recht, S. 341 f., der zudem die Religionsfreiheit der Muslime lediglich durch den ordre public eingeschränkt sieht. 382 Wikipedia Stand 5. Oktober 2010. Im April 1998 wurde Erdog˘an vom Staatssicherheitsgericht Diyarbakır wegen Mißbrauchs der Grundrechte und -freiheiten gemäß Artikel 14 der türkischen Verfassung nach Artikel 312/2 des damaligen türkischen Strafgesetzbuches (Aufstachelung zur Feindschaft auf Grund von Klasse, Rasse, Religion, Sekte oder regionalen Unterschieden) zu zehn Monaten Gefängnis und lebenslangem Politikverbot verurteilt. Anlaß war eine Rede bei einer Konferenz in der ostanatolischen Stadt Siirt, in der er aus einem religiösen Gedicht, das Ziya Gökalp zugeschrieben wurde, das Zitat vorgetragen hat. Am 24. Juli 1999 wurde Erdog˘an aus der Haft entlassen. Rückwirkend wird davon gesprochen, er habe sich seinerzeit „in einem schmerzhaften Prozeß von seinem politischen Ziehvater gelöst“. Während seiner Haftzeit habe er erkannt, daß der radikale Islamismus keine Zukunft habe und er habe sich der Demokratie zugewandt, sagt Erdog˘an heute (so Wikipedia). Die Islamisierung der Türkei hat sich demgegenüber weiterentwickelt. Deutlicher Ausdruck ist die Verfassungsreform vom 12. September 2010. 383 Dazu zu und in Fn. 20.

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der Scharia als auch deren Vollzugsregelungen sind, am Grundgesetz und den diesem gemäßen Gesetzen gemessen, weitestgehend rechtswidrig. Der politische Geltungsanspruch der Scharia aber wird nicht nur in, sondern schon durch Vereinigungsstätten der Muslime deklariert384, also eine politische Ordnung, welche mit den Grundprinzipien der demokratischen Republik und vor allem des Rechtsstaates, für Deutschland unaufgebbare Grundlagen des Gemeinwesens, unvereinbar sind. Derartige politische Manifestationen gegen den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat ist Deutschland nach dem Grundgesetz nicht zu dulden verpflichtet oder auch nur berechtigt, auch nicht, weil diese sich zugleich als Religionsausübung verstehen. Der Ruf des Muezzins propagiert jedenfalls für Islamisten den Islam als politisches System und damit Allah als höchste Autorität und Instanz des Gemeinwesens und damit auch des Staates, somit die Gottesherrschaft, die Hakimiyyat Allah. Als solcher ist der Ruf des Muezzins zwar Religionsausübung, aber eine solche, die nicht von Art. 4 Abs. 2 GG geschützt ist385. Darum schützt das Religionsgrundrecht auch den Bau von Moscheen und Minaretten nicht386. Erst wenn die Muslime, die sich vereinigen und in den Moscheen versammeln, sich von der politischen und weltlichen Verbindlichkeit ihrer Religion und insbesondere der Scharia, somit vom Islamismus, hinreichend und überzeugend, nachhaltig also, losgesagt haben, können ihre Moscheen, die jetzt nicht nur Sakralbauten, sondern Gebäude mit wesentlich politischem Zweck sind, als rein religiöse Kultstätten mit dem Grundrecht der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden. Wie die christlichen Kirchen müßten die Muslime die Säkularität ihrer Religion in der Praxis gewährleisten. Tilman Nagel: „Wer meint, er verfüge mit Gewißheit über eine von Allah selber stammende Lösung für die Probleme der Welt, wird in dem geistigen Kosmos, den wir Europa nennen, niemals heimisch werden“387. Wegen der Umma, welche die Verbindlichkeit der Scharia weltweit verantwortet, muß diese Säkularisierung weltweit in hinreichender Weise verwirklicht sein. Antiislamistische 384 Vgl. Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 542. 385 Ganz so B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 44, 101, 153, 155; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 230 (Moscheen werden von Parteigängern unter einer Geistlichkeit zu Foren islamistischer politischer Propaganda umfunktioniert); a.A. die herrschende Meinung, etwa H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 61, 104; St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 257 ff., die die Aussage des Rufes nicht in ihre Überlegungen einbeziehen, sondern lediglich umweltrechtliche und andere wie baurechtliche Schranken erwägen; genauso M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen, S. 127 und ff., der Minarette islamisch nicht für notwendig hält (S. 127 ff.) und in dem Gebetsruf keine politische Propaganda erkennt (S. 129), als wenn er nicht wüßte, was der Gebetsruf aussagt. 386 A.A. St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 247 („fällt eindeutig in den Schutzbereich“), S. 254 ff.; ebenso M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen, S. 124 ff., S. 125: „Die Moschee ist jedoch nicht anders als die Synagoge und die Kirche ein Bethaus“, mitnichten. Die Kirche ist im übrigen ein Gotteshaus. 387 T. Nagel, Die Legitimität der Neuzeit, S. 175.

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Rhetorik von Muslimen genügt keinesfalls, es sei denn die Muslime in Deutschland sagen sich überzeugend von der Umma los und praktizieren die religiöse Säkularität der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des aufgeklärten Rechtsstaates. Das ist viel verlangt, wohl zu viel, um als Muslim in Deutschland leben zu können. Es erwartet von den Muslimen, einen Wesenskern ihrer Religion, die Scharia, somit die religiöse Grundlage und Bestimmung des Rechts als ihrer Lebensordnung, aufzugeben. Aber das ist die Voraussetzung des Grundrechtsschutzes der Religionsausübung aus Art. 4 Abs. 2 GG. Derzeit sind die Moscheen und Minarette wie der Ruf des Muezzins wesentlich Demonstrationen der muslimischen Lebensordnung, des islamischen Rechtssystems, aber auch Einrichtungen der muslimischen Gemeinschaft, der Umma, der „besten Gemeinschaft unter Menschen“ oder in anderer Übersetzung: „Ihr seid das beste Volk, das je unter Menschen entstand. Ihr gebietet nur das Rechte und verbietet das Unrecht und glaubt an Allah“ (Sure 3, 110 oder 111)388. Die Trennung von Religion und Politik, Geistlichem und Weltlichem, Glauben und Handeln (Praxis) ist Voraussetzung der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung, wie sie Art. 4 Abs. 2 GG den Menschenrechten gemäß schützt (dazu VII. und VIII.). Ohne diese Säkularisierung ist der Islam keine Religion, die den Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG in Anspruch nehmen kann389. Vereinigungen und Versammlungsstätten, Einrichtungen oder Institutionen also, sind Festen von Religionen und Weltanschauungen. Sie demonstrieren deren Geltung und gewährleisten deren Bestand. In einem Land, dessen Kultur und Verfassung eine politische Religion im Kern negiert, ist die institutionelle Verfestigung einer derartigen Religion, wie das die Moscheen, Minarette und Gebetsrufe bewerkstelligen, eine Kampfansage gegen die Grundlagen des Gemeinwesens, gewissermaßen eine Landnahme. Das fundamentalistische Credo aber ist: „Der Islam ist die Lösung“, und zwar für „ein glückhaftes Diesseits“390. Dessen Ordnung hat „tendenziell totalitären Charakter“391. Dieses Problem des Islam wird freilich im staatlichen Dialog der Islamkonferenz verschleiert, vor allem durch die fragwürdige Unterscheidung eines „guten“ Islam, dem Toleranz und Friedlichkeit zugesprochen werden, und dem „bösen“ Islamismus der Ge388

T. Nagel, Die Legitimität der Neuzeit, S. 160; ders., Das islamische Recht, S. 98. Demgegenüber ohne jede literarische oder gar rechtswissenschaftliche Vertiefung M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. S. 81: „Unstreitig erfüllt der Islam den (inhaltlich nicht restlos geklärten) Begriff der „Religion“ im Sinne des Verfassungsrechts“; gänzlich unbedacht J. Oebbecke, Moscheebaukonflikte und der Beitrag des Rechts, in: Deutsche Islam Konferenz, Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, 2009, S. 228 ff. (S. 5 f.). 390 F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 202 f.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 155, 163 u. ö.; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 225, 230, 231; T. Nagel, Die Legitimität der Neuzeit, S. 164, 172, der auf die vielbändige „Muhammad. Encyclopedia of Seerah“, erschienen in den 90er-Jahren, hinweist; A. Geus, Die Krankheit des Propheten, S. 164 ff. 391 F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 208; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 13 ff., 26 ff., 73 ff. und durchgehend. 389

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walt392. Der Bundespräsident Christian Wulff hat in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 propagiert, daß „der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehöre“ wie das Christentum und das Judentum und damit Deutschland allein schon aus Gründen der Demographie eine islamische Zukunft verheißen.

392 Dazu H.-P. Raddatz, Von Allah zum Terror? S. 244 ff., 247 ff., 300 ff., insbesondere zur „proislamischen Toleranzideologie“ (S. 247), 269 ff. (S. 277, „Dialog“ „groß angelegte Veranstaltung organisierter Täuschung“), 300 ff., zur „Ordnung der Selbsttäuschung“ S. 315 ff.

XI. Freiheitliche demokratische Grundordnung versus religiöse Politik 1. Das Grundgesetz schützt seine Ordnung, nämlich die „freiheitliche demokratische Grundordnung“, abgesehen von vielfältigen Vorschriften des einfachen Rechts393, insbesondere des Strafrechts, verfassungsgesetzlich in verschiedenen Vorschriften, insbesondere durch Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 21 Abs. 2, Art. 20 Abs. 4, Art. 79 Abs. 3, Art. 91 und Art. 98 Abs. 2 GG. Die „streitbare, wehrhafte Demokratie“ hat das Bundesverfassungsgericht, gestützt auf die genannten Vorschriften, aber auch auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 GG, als eine „verfassungspolitische Grundentscheidung des Grundgesetzes“ gekennzeichnet (BVerfGE 28, 36 (48 f.); 30, 1 (19 f.); 39, 334 (349, 368 f.))394. Art. 18 GG schreibt, wie zu X. dargelegt, die Verwirkung bestimmter Grundrechte vor, wenn die geschützten Freiheiten zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht werden. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig“. Art. 9 Abs. 2 GG verbietet „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“. Der Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung“ wird mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung identifiziert (BVerwGE 47, 330 (351 f.))395. Art. 9 Abs. 2 GG ist „Ausdruck der streitbaren Demokratie“ (BVerfGE 28, 36 (48 f.); 80, 244 (253)). „Die Vereinigung muß sich kämpferisch-aggressiv gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ wenden. Kämpferisch-aggressive Handlungen sind zwar Voraussetzung des Vereinsverbots, aber wenn „aus den Zielen und der Betätigung der Vereinigung ihre Absicht, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu untergraben“, „in der Gegenwart erkennbar ist, dann ist der Zeitpunkt, in dem der angestrebte Zustand objektiv oder nach den Vorstellungen der Vereinigung eintreten kann, soll oder wird, ohne rechtliche Bedeutung“ 393 Dazu E. Denninger, „Streitbare Demokratie“ und Schutz der Verfassung, in: Benda/ Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HVerfR), 2. Aufl. 1994, § 16, S. 675 ff.; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, 1992, § 167, Rdn. 14 ff., 28. 394 W. Schmitt Glaeser, Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 8; vgl. schon ders., Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 79; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 28. 395 Hinweise zu und in Fn. 537.

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(BVerwGE 61, 218 (220); vgl. auch BVerwGE 1, 184 (189 f.); 37, 345 (358 ff.); BVerwG NJW 1981, 1796 f.)396. Für das Verbot genügt der „Wille, die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend zu untergraben“ (BVerwG NJW 1981, 1796 f.).„Das Vereinsverbot soll die Organisation wegen ihrer situationsunabhängigen, generell und permanent gefährlichen Zielsetzung und Organisation ausschalten“ (BVerwGE 55, 175 (182 f.)). Verbales Aggressionspotential genügt somit der Verbotspraxis397. Nach Art. 20 Abs. 4 GG „haben alle Deutschen gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. „Diese Ordnung“ ist im Wesentlichen wiederum die freiheitliche demokratische Grundordnung, deren wesentliche Elemente in Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG geregelt sind. Art. 91 Abs. 1 GG regelt den inneren Notstand als „Gefahr für den Bestand des Bundes oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“. Art. 98 Abs. 2 GG schützt die „Grundsätze des Grundgesetzes und die verfassungsmäßige Ordnung der Länder“ gegen Verstöße der Bundesrichter398. Das Grundgesetz verfaßt somit eine Ordnung, welche Gegner dieser Ordnung, sogenannte Verfassungsfeinde, abzuwehren aufgibt („streitbare“ oder „wehrhafte Demokratie“, BVerfGE 5, 85 (139); 13, 46 (50); 25, 88 (100); 28, 36 (48 f.); 30,1 (19 f.); 39, 334 (349); 80, 244 (253); 111, 147 (158))399. Es „erwartet von den Bürgern die Verteidigung der freiheitlichen Ordnung“ (BVerfGE 28, 36 (48))400 und „nimmt den Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen diese Ordnung nicht hin“ (BVerfGE 28, 36 (48 f.); 28, 243 (260); 30, 1 (19))401. Karl August Bettermann hat das Mißbrauchsverbot als verfassungsunmittelbare Schranke und ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz herausgestellt, aber den Mißbrauch als „rechtswidrig“, also Unrecht, bezeichnet402. Folglich ist der Mißbrauch eine immanente Grenze eines jeden Grundrechtstatbestandes, den nicht erst der Gesetzgeber grundrechtsbeschrän396

Dazu K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 427 ff. K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 434, 436 f., was ihr aber nicht genügt. 398 J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 15, 18, 61. 399 Dazu W. Schmitt Glaeser, Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 6 ff., 166 ff.; E. Denninger, „Streitbare Demokratie“ und Schutz der Verfassung, HVerfR, § 16, Rdn. 31, S. 690 f.; D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 78; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, S. 309 ff., Rdn. 4 ff. zur „Historischen Entwicklung“, insb. Rdn. 11 ff. zur Beratung im Parlamentarischen Rat, in dem Carlo Schmid den „Mut zur Intoleranz gegenüber allen Bestrebungen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen“ als „zum Begriff der Demokratie gehörig“ herausgestellt habe, Rdn. 13; kritisch K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 357 ff., „Systemwidrigkeit“. 400 J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 24. 401 Grundlegend K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 12 ff.; zustimmend H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 81. 402 Grenzen der Grundrechte, S. 11, 14, der sich auf die „Innen-“ oder „Außentheorie“ nicht einläßt; nicht anders W. Schmitt Glaeser, Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 6 ff., 170 f. 397

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kend verbieten muß oder auch nur kann. In E 13, 46 (51) hat das Bundesverfassungsgericht klargemacht, daß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BEG, der von Entschädigung (Wiedergutmachung) den ausschließt, der nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft hat, „nur die Grenzen fühlbar macht, die der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit von Verfassungs wegen gezogen sind“. Auch und insbesondere Art. 79 Abs. 3 GG schützt die Verfassung, die mit uns geboren ist, nämlich abgesehen von der Bundesstaatlichkeit die „in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze“. Das sind im Wesentlichen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung403. Die Unabänderlichkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG entzieht diese Prinzipien der verfassungsändernden Gesetzgebung, aber mittels Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auch der Verfassungsumgestaltung durch die europäische Integrationspolitik (BVerfGE 89, 155 (188 ff.))404. Die freiheitliche demokratische Grundordnung definiert das Bundesverfassungsgericht als eine Ordnung, „die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“ (BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (140); 44, 125 (145)405.

Unabhängig von den Grundrechtsverwirkungs- und den Parteiverbotsvoraussetzungen406ergeben die Verfassungsschutzregelungen ein allgemeines Grundprinzip des Grundgesetzes, nämlich die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Wahrung und Verteidigung dieser Ordnung ist Pflicht des Staates in allen seinen Einrichtungen407. Handlungen, richtigerweise auch nur Zielsetzungen408, also Politiken, 403

Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdn. 700 ff., insb. Rdn. 706, S. 292 ff.; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 16 ff.; vgl. K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 66 ff. 404 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 89 f. 405 Zum Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie das BVerfG E. Denninger, „Streitbare Demokratie“ und Schutz der Verfassung, HVerfR, § 16, Rdn. 33 ff., S. 692 ff.; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 21. 406 Dazu BVerfGE 5. 85 (141), „aktiv kämpferische Haltung“; auch BVerfGE 28, 36 ff.; 30, 1 (19 ff.); 40, 287 (291); BVerfGE 39,334 (349) spricht von „wehrhafter Demokratie“; vgl. E. Denninger, „Streitbare Demokratie“ und Schutz der Verfassung, HVerfR, § 16, Rdn. 62, S. 708 f.; ders., Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 14 ff. 407 H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 72 f., 81 f.

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welche darauf gerichtet sind, diese Ordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig. Jeder Bürger hat das Recht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen409. Das folgt in besonderer Klarheit aus dem Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG410. Wenn schon „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, alle Deutschen das Recht zum Widerstand (richtigerweise auch die sittliche Pflicht) haben, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“, muß erst recht der Staat Abhilfe gegen solche Unternehmen leisten, d. h. diese unterbinden. Umgekehrt ist es jedem Bürger und Menschen in Deutschland verboten, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen411. Kein Grundrecht vermag in der streitbaren Demokratie den Kampf gegen deren Ordnung zu rechtfertigen, auch nicht Art. 3 Abs. 3 GG, der es verbietet, jemanden (u. a.) wegen politischer Anschauungen oder wegen des Glauben zu bevorzugen oder zu benachteiligen (so BVerfGE 39, 334 (368 f.) für politische Anschauungen)412. Das folgt auch aus verschiedenen Strafvorschriften, insbesondere §§ 81 ff. StGB, welche die „verfassungsmäßige Ordnung“ des Bundes oder der Länder gegen Hochverrat schützen. Ein Unternehmen im Sinne des Art. 20 Abs. 4 GG ist nicht erst der Kampf gegen die Ordnung, sondern jede hinreichend wirksame Maßnahme. Es fängt mit der Propagierung („Verlautbarungen“) von Politiken, die gegen die Ordnung gerichtet sind, an (i.d.S. BVerwGE 55, 175 (184 f.); i.d.S. auch BVerfGE 25, 44 (57 ff., „Agitation“, „Propaganda“ für eine verbotene Partei)), jedenfalls der Propagierung von Gewaltanwendung (BVerwG NVwZ 1995, 587 f.). Diese ist bereits ein Versuch, die Verfassung zu beseitigen, nicht lediglich eine Vorbereitungshandlung (argumentum ex § 86 StGB)413. „Konkrete Gefährdung“ der Ordnung ist „weder ausreichend noch erforderlich“ (BVerwG NVwZ 1995, 587). Die derart geschützte freiheitliche demokratische Grundordnung ist das Fundament Deutschlands. Diese Ordnung ist pluralistisch414. Ihr Gemeinwohl ist im Rah408 A.A. K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 185 ff., 317 ff., 406 ff., die das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG in ihrer sonst umfassenden, wenn auch wenig tiefgehenden Dissertation gänzlich übersieht. 409 H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 81; J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969, S. 82. 410 Darauf weist auch J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 15, 66, hin. 411 Ganz so K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 21. 412 J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 31. 413 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 313, Rdn. 758; vgl. auch W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 145 ff., der „Schleichwerbung“ gegen die Grundordnung als Verwirkungstatbestand erörtert, zum Propagandaverbot S. 303 f., 305 f. 414 E. Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, 45. DJT, 1964, B 5 ff.; ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, 5. Aufl. 1973, S. 197 ff.; grundlegend W. Steffani, Pluralistische Demokratie, 1980, insb., Vom Pluralismus zum Neopluralismus, S. 13 ff.; H. H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen. Die Durchsetzungsschwäche allgemeiner Interessen in der pluralistischen Demokratie. Ein Beitrag zu verfassungsrechtlichen Grundfragen der Wirtschaftsordnung, 1977,

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men der Verfassung offen. Jeder Bürger hat das Recht und die Pflicht, an der Erkenntnis und Verwirklichung des Gemeinwohls mitzuwirken, vor allem durch freie Rede (dazu IV.). Fundamentalistische, totalitäre Ideologien sind mit dieser Ordnung unvereinbar415. Als Fundamentalismus definiert Christoph Möllers richtig die „fehlende Unterscheidbarkeit zwischen Politik und Religion“416, Bassam Tibi als totalitäre Politisierung der Religion417. Udo Steinbach spricht von „der gängigen Terminologie“ der „Vergöttlichung des Staates aus Elementen der islamischen Religion“418. Ein grundrechtlicher Schutz, die systembestimmenden Prinzipien des Grundgesetzes mit der Kraft religiöser Verpflichtung anzugreifen, ist ausgeschlossen419. Das Gebot eines Gottes hat für den gläubigen Menschen höchste Verbindlichkeit420. Diese Verbindlichkeit aber darf in einer Republik, deren Fundament die freiheitliche demokratische Grundordnung ist, nicht zur Geltung kommen. Dieses Prinzip ist nicht etwa eine Schranke des Religionsgrundrechts (so aber zum „Kalifatstaat“ BVerwG, 6 A 4.02, Urteil vom 27. November 2002, DVBl 2003, 873 ff.; bestätigt durch BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 536/03, Nichtannahmebeschluß vom 2. Oktober 2003, Rdn. 15, DVBl 2004, 263), das keine Schranken kennt, sondern materiale Grenze der geschützten Freiheiten, grundrechtsimmanente Schranke, wie meist gesagt wird (auch BVerfGE 24, 236 (249))421, besser grundrechtsimmanente S. 130 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 618 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 243 ff.; zum religionspolitischen Pluralismus, der über die bloße Toleranz hinausgehe, H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 487 ff. 415 Ganz so E. Denninger, „Streitbare Demokratie“ und Schutz der Verfassung, HVerfR, § 16, Rdn. 73, S. 715. 416 Religiöse Freiheit als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 66 f., 72; zum Begriff des Fundamentalismus i.d.S. Th. Meyer, Fundamentalismus. Die andere Dialektik der Aufklärung, in: ders., Fundamentalismus in der modernen Welt, 1989, S. 13 ff., insbesondere S. 14 f.; auch H. Bielefeldt, Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 474 ff. 417 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 13 ff., 26 ff., 73 ff., 161 ff. und durchgehend. 418 U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 225, kritisch, der richtig von „der politischen Ideologisierung und Instrumentalisierung der Religion“ und von „der Integrierung des Religiösen im Staat und des Staatlichen in der Religion“ spricht. 419 Klar K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 21; entgegengesetzt K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 405: „Die Drohung mit Legalitätsentzug wegen „bloßen“ Vertretens „verfassungswidriger“ Glaubenslehren ist mit der Verfassung damit nicht vereinbar“. 420 Vgl. M. Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, S. 288. 421 Richtig W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 129, auch S. 128 ff., 133 ff., 149 f. (Handeln ohne Recht); ders., Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 6 ff., 166, 170 f., obwohl er von „immanenter Schranke jeder Grundrechtsausübung“ spricht, aber auch vom „Handeln ohne Recht“ und von „kein Grundrechtsschutz“, also von Grenzen des Grundrechts, nicht von Schranken; richtig erkennt St. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, S. 245 f., das Gewaltverbot, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das Eigentum anderer und die Menschenwürde als „verfassungsimmanente Grenzen der Religionsfreiheit“, „des Schutzbereichs des Grundrechts“, die er freilich auf die freiheitliche demokratische Grundordnung erweitern müßte; so auch ders., Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung,

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Grenze (so auch BVerfGE 24, 236 (249))422. Im Verfassungskonvent von Herrenchiemsee ist das ausgesprochen worden und im Parlamentarischen Rat war überwiegende Auffassung, daß die sogenannte Schrankentrias, richtiger die negativen Begriffsmerkmale der allgemeinen Freiheit, welche Art. 2 Abs. 1 GG schützt, also auch die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz, als „negative Grundrechtsschranken“ von Bedeutung für den ganzen Grundrechtsteil seien423. Grundrechte vermögen nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung zu relativieren. Sie gehören zu dieser Ordnung, aber schränken sie nicht material ein. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist im eigentlichen Sinne nicht lediglich verfassungsrangiges Rechtsgut, das auch vorbehaltlose Grundrechte einzuschränken erlaubt (so BVerfGE 33, 52 (71); 77, 240 (255); 81, 278 (292 „verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen“))424, sondern immanente Grenze jedes Grundrechts (i.d.S. BVerfGE 24, 236 (249, „Grenzen des Grundrechts der Religionsfreiheit, insbesondere der ungestörten Religionsausübung in einer pluralistischen Gesellschaft“); BVerfGE 33, 52 (71 „oberste Grundwerte der Verfassung“)). Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 1 WRV stellen das klar. Nichts anderes dogmatisiert die von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht anerkannte Mißbrauchsgrenze grundrechtsgeschützter Freiheiten (BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (249); 28, 36 (48 f.); BVerwGE 90, 112 (118); auch BGHZ 39, 317 (320 ff.)), die zu dem Schlagwort verdichtet wurde: „Keine Freiheit für die Feinde

S. 196 ff.; ders., in: H. Friauf/W. Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4, Rdn. 16 f.; ders./R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 236 f.; J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 449, 453, 464 f.; ders., Verbots- und Auflösungsmöglichkeiten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung, DÖV 1973, S. 181 ff. (182 ff.); R. Poscher, Vereinsverbote gegen Religionsgemeinschaften? – Die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz als Akt unbewußter symbolischer Gesetzgebung –, KritV 2002, 298 ff. (304 ff.); auch R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 84; a.A. H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 93, der „verfassungsfeindliche Tätigkeit“ nur „ultima ratio“ verbieten lassen will, wenn diese religiös begründet ist (?). 422 Nicht recht klar R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 87, der einerseits von einer Grenze der Religionsfreiheit spricht, andererseits von einer Konkurrenz des Grundrechts zum Prinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, weil Wertentscheidungen der Verfassung zu größtmöglichen Wirkung gebracht werden müßten; entgegengesetzt K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 317 ff., 404, „freiheitlich demokratische Grundordnung als solche kein Rechtsgut mit Verfassungsrang“ – unfaßbar!, dies. auch, Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 55, die das Widerstandsrecht übersieht; richtig G. Britz, Der Islam ante portas, ZRP 2003, 219. 423 Parlamentarischer Rat, S. 506 ff. (513) zum einen, Parlamentarischer Rat, Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1948/49, S. 9, zum anderen; dazu O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland. Geschichtliche Entwicklung und Grundpflichten unter dem Grundgesetz, 1988, S. 397 ff., 423. 424 Dagegen K. Groh, Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 55 f.

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der Freiheit“425. Die „wehrhafte Demokratie“ bringt den „Gegnern der Verfassung“, die sich „aktiv kämpferisch, aggressiv“ (BVerfGE 5, 85 (141)) gegen diese stellen, keine Toleranz entgegen426. „Jedenfalls kann sich auf die Glaubensfreiheit nicht berufen, wer die Schranken übertritt, die die allgemeine Wertordnung des Grundgesetzes errichtet hat“ (BVerfGE 12, 1 (4)). Der Grundrechtsgebrauch, nicht der Grundrechtsmißbrauch zum Kampf gegen die freiheitliche Ordnung werde geschützt (kein Schutz von Gewaltakten, BVerwGE 61, 152 (161))427. Rechtsmißbrauch ist an sich „zweckfremde, funktionswidrige Ausübung eines Rechts“, der Kampf gegen die freiheitliche Ordnung ist richtigerweise „Handeln ohne Recht“428, auch wenn er sich auf ein vermeintliches Recht stützt, wie der Islam auf die Religionsfreiheit. Die „Rechtsgemeinschaft legt allgemein gültiges sittliches Werten und Wollen zugrunde“ und wehrt „wertverneinende und wertzerstörende Mächte“ („Polygamie, Diskriminierung religiös anders Denkender“, „deren Benachteiligung im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen“) ab (BGHZ 38, 317 (321)). Richtig ist, daß ein Grundrecht nicht derart materialisiert werden darf, daß es ein Recht gibt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen. Auch „Toleranz“, der moralistische Leitbegriff, unter dem die Islamisierung der Lebensverhältnisse in Deutschland abgenötigt wird429, vermag einen Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung nicht zu legitimieren, geschweige denn zu legalisieren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner früheren Rechtsprechung erkannt, daß die Grundrechte nur mit einem „Gemeinschaftsvorbehalt“ anzuwenden seien (BVerwGE 1, 48 (52); 1, 92 (94); 2, 85 (87); 2, 295 (300)). Das Bundesverfassungs425 K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 12; auch BVerfGE 13, 46 (51) wendet sich gegen die „Feinde der Freiheit“. 426 J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 40. 427 K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 12, 20; W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 75, 128 ff., 133 ff., 149 f.; ders., Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 6 ff., 166 ff., insb. S. 10, 171; H.-U. Gallwas, Der Mißbrauch von Grundrechten, 1961, S. 48 f. (zum Begriff), 117 ff., 142 ff.; H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 64, 81 ff., 89; R. Dreier, Verfassung und Ideologie, in: GS F. Klein, 1977, S. 86 ff., 98; E. Denninger, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 21; zum Grundrechtsmißbrauch berichtend K. Stern/M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 2, Allgemeine Lehren der Grundrechte, S. 544 ff. (selbst kritisch); zum Mißbrauch der Religionsfreiheiten St. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 15, 204 ff.; dazu referierend R. Scholz, „Neue Jugendreligionen“ und Grundrechtsschutz nach Art. 4 GG, NVwZ 1992, 1155; M. Brenner, Grundrechtsschranken und Verwirkung von Grundrechten, DÖV 1995, 63; gegen eine solche „grundrechtsimmanente Schranke“ oder „Mißbrauchsschranke“ der „Religionsfreiheit“ K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 120, 185 ff. (186 ff., 188 ff., 192 ff.); dies., Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 49, in Verkennung des Freiheitsbegriffs, aber kein Schutz von Gewalt, S. 56 f. 428 H.-U. Gallwas, Der Mißbrauch von Grundrechten, S. 117 f., 142 ff.; W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, S. 75, 133 ff., 149 f.; ders., Lehrfreiheit, Meinungsfreiheit und „Verfassungstreue“, DVBl 1966, 7. 429 H.-P. Raddatz, Vom Allah zum Terror?, S. 300 ff.

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gericht hat eine Relativierung der Grundrechte durch dem Gemeinwohl verpflichtete einfache Gesetze zurückgewiesen (BVerfGE 28, 243 (259 ff.); 30, 173 (193); 32, 98 (108))430. Der Gemeinschaftsvorbehalt war allzu weit, aber für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die immanente Grenze der Grundrechte richtig und anerkannt. In der „Einheit der Verfassung“ „findet die Freiheit ihr Ende“; die „Rechtstreue“ ist „verfassungsimmanente Grenze“ auch der Grundrechte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, hat das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen und wegen des Zweifels an der Rechtstreue einer Religionsgemeinschaft den beantragten Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV scheitern lassen (BVerwGE 105, 115 (121 f.), zu Recht. Um Körperschaft des öffentlichen Rechts sein zu können, müsse die Religionsgemeinschaft die Verfassungsprinzipien des Art. 79 Abs. 3 GG, die Grundrechte Dritter und die Grundrechte des Religionsund Staatskirchenrechts gewährleisten, hat auch das Bundesverfassungsgericht geklärt (BVerfGE 105, 370 (392)). Das ist nicht nur wegen der Staatsnähe der öffentlich-rechtlichen Körperschaften richtig, sondern allgemein Voraussetzung des grundrechtlichen Vereinigungsschutzes, wie Art. 9 Abs. 2 GG erweist. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Vorrang der verfassungsmäßigen Ordnung, d. h. aller geltender Gesetze, vor weltanschaulicher Betätigung klargestellt (BVerwGE 37, 344 (363 f., 366); auch BVerwGE 61, 152 (161))431. Insbesondere sind Gewaltakte vom Schutz des Religionsgrundrechts ausgeschlossen (BVerwGE 61, 152 (161); vgl. auch BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 536/03, vom 2. Oktober 2003, Rdn. 22, DVBl 2004, 263). Schon früh hat das Gericht erkannt, daß „jedes Grundrecht den Bestand der staatlichen Gemeinschaft voraussetzt, durch die es gewährleistet wird“ (BVerwGE 1, 48 (52); 2, 85 (87); 2, 295 (300)). Die Verfassungstreue der Bürger, deren „Wille zur Verfassung“ als „gemeinsamer Staatswille“432, ist ein den Grundrechten immanentes Prinzip. Das steht mit aller 430 Dagegen K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 16 ff.; H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, HGR, Bd. III, § 64, Rdn. 11 f.; Hinweise in Fn. 195. 431 J. Listl, Verbots- und Auflösungsmöglichkeiten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung, DÖV 1973, 185 (verfassungsmäßige Ordnung „Vorrang vor politischer Betätigung“). 432 H. Heller, Staatslehre, 1934, S. 250, 269; K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, 1959, S. 9 ff.; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, S. 16 f., Rdn. 41 ff. (44); K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 254; E. Denninger, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 37 (1979), S. 7 ff. (20 ff.); gegen eine Rechtspflicht zur Verfassungstreue H. H. Klein, Verfassungstreue und Schutz der Verfassung, VVDStRL 39 (1979), S. 53 ff. (80 f.), aber für ein Bürgerrecht zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; so auch J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969, S. 67; ders., Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, HStR Bd. V. 1992, § 115, Rdn. 195, gegen eine rechtliche, aber für eine sittliche Loyalitäts-/Verfassungstreuepflicht des Bürgers im Gegensatz zu den öffentlich Bediensteten; i.d.S. auch J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 40, 78 f.; O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 462, 469 ff., 477 (immerhin gegen ein Recht zu „nicht mehr erträglicher Verfassungsfeindlichkeit“, S. 476); K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesre-

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Klarheit in Art. 2 Abs. 1 GG, der die allgemeine Freiheit schützt und diese nicht nur in die Grenzen der Rechte anderer weist, sondern an die „verfassungsmäßige Ordnung“ und (sittlich und moralisch) an das „Sittengesetz“ bindet. Die Bürgerlichkeit des Bürgers ist wesentlich durch die Freiheit und damit durch die die Freiheit schützenden Grundrechte definiert. Die Grundrechte schützen in unterschiedlicher Weise die Freiheit, nicht aber ein Recht, die Freiheit zu bekämpfen, quasi eine negative Freiheit. Mit der Freiheit ist das demokratische Prinzip der Republik als deren politische Form unauflöslich verbunden. Freilich darf die Freiheit nicht als Recht zur Beliebigkeit mißverstanden werden (dazu IV.). Sie ist die politische Freiheit, der eine menschheitliche Verfassung wie das Grundgesetz nicht ein Grundrecht, das Gemeinwesen in die politische Unfreiheit zu führen, zur Seite stellt. Die Verfassungstreue ist nichts anderes als die grundlegende Friedenspflicht jedes Bürgers, die nicht auf das Gewaltverbot reduziert werden kann433, sondern in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ihre elementare und um der Menschheit des Menschen, also um der Menschenwürde willen unverrückbare Materialisierung gefunden hat434. Das Bundesverfassungsgericht differenziert die Pflicht zur Verfassungstreue der Beamten und der Bürger: „Art. 21 Abs. 2 GG läßt dagegen den Bürger (sc.: nicht den Beamten wegen dessen besonderer Treuepflicht435) die Freiheit, diese verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen und sie politisch zu bekämpfen, solange er es innerhalb einer Partei, die nicht verboten ist, mit allgemein erlaubten Mitteln tut“ (BVerfGE 39, 334 (359))436. Das ist nicht nur widersprüchlich, weil Parteien, „die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig sind“, also auch die Parteien publik Deutschland, Band III, 2, Allgemeine Lehren der Grundrechte, S. 1059 f.; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 355. 433 Enger Begriff der Friedenspflicht als bloßes Gewaltverbot bei J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders./Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, HStR, Bd. I, 1987, § 13, Rdn. 82 f.; E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, 1978, S. 12 ff.; K. Stern/M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 2, Allgemeine Lehren der Grundrechte, S. 1059 f. 1065 (Friedenspflicht Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips; verfassungsimmanente Schranke des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG; gegen allgemeinen Friedlichkeitsvorbehalt S. 537 ff.); zum Friedenszweck des Staates BVerfGE 49, 24 (56); BVerwGE 49, 202 (209); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 203 f., 714 ff.; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 545 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 100 ff.; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 406 ff., 425, 427, anerkennt die Friedenspflicht als verfassungsimmanente Grundrechtsschranke, beschränkt diese aber auf ein verengtes Verbot physischer Gewalt. 434 O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 444 ff., insb. S. 447 ff., 451, versteht das Menschenwürdeprinzip als „Nichtstörungsschranke“ und damit als allgemeine Unterlassungspflicht, die jedes Grundrecht begrenzt, richtig, S. 469 ff. 435 Dazu J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 62. 436 Folgend O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, S. 475 f. (Gleichstellung der Bürger und Beamten „abwegig“; das verkennt Republik und Demokratie völlig).

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zur Verfassungstreue verpflichtet sind, sondern unterscheidet die Bürger vom Staat und dessen Dienern. Das verkennt das Wesen der Republik als einem Gemeinwesen der Bürger im Kern. Jeder Bürger ist der Staat, nämlich Teil desselben437. Es gibt keine Trennung oder auch nur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft438. Der Verfassungstreuerelativismus des Gerichts ist dem fragwürdigen Opportunitätsprinzip („pflichtmäßiges Ermessen“ des Verbotsantrages) der Parteiverbotsverfahren (BVerfGE 5, 85 (113); 40, 287 (291))439 geschuldet. Aus der formellen Legalität nicht verbotener verfassungswidriger Parteien kann keinesfalls auf eine „Freiheit“ zu verfassungswidrigem Handeln geschlossen werden. Nur die Zwei-Welten-Lehre leistet eine tragfähige Dogmatik des Religionsgrundrechts. Eine Religion, welche sich nicht von einer Politik losgesagt hat, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist, ist somit des Schutzes durch das Religionsgrundrecht nicht fähig. Auch diese Dogmatik gebietet der Schutz der Verfassung; denn die Verfassung im eigentlichen Sinne, die mit den Menschen geboren ist, ist die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit einschließlich der Rechtlichkeit und Staatlichkeit, die zur Verwirklichung dieser Verfassung der Menschheit des Menschen notwendig sind440. Nur eine Religion, welche die Säkularität des Staates und damit den Vorrang des Staatlichen vor dem Religiösen vorbehaltlos anerkennt und lebt, genießt den Schutz des Grundrechts ungestörter Religionsausübung. Säkularität ist grundrechtsimmanente Grenze des Art. 4 Abs. 2 GG. Darüber hilft kein Gleichberechtigungsprinzip hinweg, weil es kein Recht gibt, die Rechtlichkeit des Gemeinwesens, also die freiheitliche demokratische Grundordnung, zu bekämpfen oder auch nur abzulehnen441; denn alle Bürger haben ein Recht auf Recht. Das hat der Staat als eine, die wesentliche Einrichtung der allgemeinen Freiheit zu schützen. Die staatsrechtlichen Prinzipien, die aus der allgemeinen Freiheit folgen, verkennen alle die, welche, gestützt auf das Prinzip der Gleichberechtigung, dem Islam denselben religionsrechtlichen Status, wie ihn das Christentum hat, zusprechen, meist sehr pathetisch, um die dogmatische Schwäche des Postulats zu überspielen, etwa der Theologe und Politologe Heiner Bielefeldt, der sich auf Fragen des Rechts einläßt: „Ihnen (sc.: den islamischen Gemeinden) volle Gleichberechtigung mit den christli437

Dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 606 ff. K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 207 ff. 439 J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 57. 440 K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 86; ders. (O. Gast), Sozialistische Schulden nach der Revolution. Kritik der Altschuldenpolitik. Ein Beitrag zur Lehre von Recht und Unrecht, 1996. S. 29 ff. 441 Ganz so H. de Wall, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen eines islamischen Religionsunterrichts, S. 61 f., für das Recht einer Religionsgemeinschaft, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in öffentlichen Schulen zu geben, unter Hinweis auf BVerwGE 123, 49 (73), das Religionsgemeinschaften nicht für eine Kooperation mit dem Staat für geeignet erachtet, „bei denen anzunehmen ist, daß sie ihre Befugnis zur inhaltlichen Gestaltung des Religionsunterrichts dazu nutzen werden, die teilnehmenden Schulkinder den genannten elementaren Verfassungsprinzipien (sc. die Grundsätze des Art. 1 und des Art. 20 GG) zu entfremden“. 438

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chen Kirchen zu gewährleisten wäre kein Akt der Gnade, sondern die Einlösung jener normativen Postulate, an denen die Legitimation des säkularen Rechtsstaats im Ganzen hängt“442. Die Religionen sind aber in der maßgeblichen Sicht aufklärerischer Säkularität nicht gleich, so daß sie gleichberechtigt sein könnten. Die Politik, welche Bielefeldt postuliert, wäre das baldige Ende des säkularen Rechtsstaates. 2. Der Islam ist mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar443, gebietet aber den Muslimen auch in Deutschland seine Verwirklichung. a) Zwar haben die meisten islamischen Staaten die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 angenommen, weil sie sonst nicht Mitglied der Vereinten Nationen sein können, aber sie respektieren die Menschenrechte ausweislich der zu X. zitierten Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam nur unter einem substantiellen Vorbehalt und Vorrang der Scharia. „Gehorcht Gott und gehorcht dem Propheten (oder ,seinem Gesandten) und denen unter euch, die zu befehlen haben (oder ,euren Vorgesetzten)“ (Sure 4/ 59 oder 60)444. Viele Muslime sehen die islamischen Rechtsprinzipien als bestmögliche Verwirklichung der Menschenrechte445. Der Vorrang der Scharia (Menschenrechte nur „im Rahmen des Islam“) ist allein schon wegen der Religiosität der Scharia mit der säkularen Menschenrechtserklärung unvereinbar, abgesehen von der Materie der Scharia im Einzelnen, insbesondere deren Strafbestimmungen, den Hadd (Hudud)-Strafen446. Das essentielle Menschenrecht der Religionsfreiheit respektiert diese Erklärung wie überhaupt der Islam trotz des Satzes: „Es gibt in der Religion keinen Zwang“ (Sure 2, 256), allenfalls sehr begrenzt447. Christen und Juden, Besitzer einer Schriftreligion, dürfen ihren Glauben beibehalten und sehr beschränkt, etwa in Hausandachten, ausüben448. Vor allem ist die Abkehr vom Islam vielen Muslimen eine unentschuldbare, todeswürdige Sünde, obwohl der Tatbestand der Apostasie (Riddah) gänzlich ungewiß ist (Alkohol zu trinken, kann genügen; auch ketzerische Kritik)449. Die Ungläubigen gar, also die 442

Zwischen laizistischem Kulturkampf und religiösem Integralismus, S. 487 ff., 490. K. Doehring, Islam in Deutschland. Niemand kann zwei Herren dienen, FAZ.Net vom 28. 09. 2010. 444 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 313, 342; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 106, 123; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 107 ff., auch S. 147 ff. 445 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 125 f.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 191; auch G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 147 ff., insb. S. 151. 446 Dazu (wie durchgehend) beschwichtigend M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. S. 43 ff.; richtig aber T. Nagel, Das islamische Recht, S. 39, 84 ff., 313 f., 319, 344 u. ö.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 87 ff. und durchgehend. 447 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 99. 448 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 153 f. 449 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 142 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 153 f.; A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 120 ff.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 190 f.; abwiegelnd M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen, S. 47 f., 134, der die Apostasie meint auf eine „An443

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Atheisten, sind zu bekämpfen, um den Islam weltweit zu verbreiten. „Bekämpft sie (sc. die Ungläubigen), bis alle Versuchung aufhört und die Religion Allahs allgemein verbreitet ist“ (Sure 8/40)450. Wenn Heiden Muslimen in die Hände fallen, sollen letztere sie töten451. „Tötet sie, wo ihr sie trefft, …“ (Sure 2, 192). Die Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern, ebenfalls essentielles Menschenrecht (Art. 1 und 2 AEMR; Art. 3 GG), wird ebensowenig akzeptiert, geschweige denn gelebt, auch politisch nicht (vielfach eingeschränktes passives Wahlrecht, keine oder beschränkte Amts-, eingeschränkte Zeugnisbefähigung)452. Die Schutzbefohlenen (Dhimmis), Juden und Christen, haben, gestützt auf den Koran Sure 9, 29: „Bekämpft diejenigen der Schriftbesitzer, welche nicht an Allah und den Jüngsten Tag glauben und die das nicht verbieten, was Allah und sein Gesandter verboten haben, und sich nicht zur wahren Religion bekennen, so lange, bis sie ihren Tribut in Demut entrichten (und sich unterwerfen)“, nicht die gleichen bürgerlichen Rechte wie die Muslime, auch nicht im Erbrecht und Eheschließungsrecht, vor allem aber nicht im Zugang zu öffentlichen Ämtern453. Vor Freundschaft mit und Vertrauen zu denen, „die nicht zu euerer Religion gehören“, werden die Gläubigen gewarnt, weil erstere letzteren aus Haß Übel und Verderben wollen (Sure 3/119 bis 121)454. Der Status der Dhimmis war Jahrhunderte lang nahe dem Sklaventum. Sie wurden nicht getötet, weil ihr Tribut (Schutzgeld) die muslimischen Machthaber weitgehend finanzierte455. Nach dem islamigelegenheit zwischen dem betroffenen Menschen und Gott“ herunterspielen zu können, als wenn die Angelegenheiten Gottes nicht alle Muslime angehen und zum Handeln gegen die Gottlosigkeit verpflichten; so jüngst die Todesdrohung in Ägypten gegen einen Ägypter, der vom Islam zum Christentum übergetreten ist und den sogar der eigene Vater töten will, wenn er das nicht rückgängig macht, vgl. Nürnberger Zeitung vom 19. Mai 2010, S. 2. 450 H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 56 ff. 451 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 96; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 56; ders., Allahs Frauen, S. 24, 26. 452 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 16; F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 194 („patriarchalischer Charakter des fundamentalistischen Familien- und Gesellschaftsverständnisses“); L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 168 ff., zu einer (vereinzelten) anderen muslimischen Sicht S. 272 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 157 ff., insb. S. 161; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 190; M. Rohe, Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. S. 49 ff., der trotz dieser zugestandenen Diskriminierungen der Frauen erklärt, „das Islamische Recht weise auch in seiner tradierten Form der Frau durchaus einen hohen Stellenwert zu“ (S. 49) und mit dem „Vorrang der Männer“ „verbinde sich nur eine funktionale, nicht aber wesensgemäße Überlegenheit“ (S. 51); umfassend H.-P. Raddatz, Allahs Frauen. Djihad zwischen Scharia und Demokratie, 2005. 453 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 15; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 159 ff., 166 f.; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 190; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 162 ff.; H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 64, 68, 69 ff., insb. S. 71 f.; ders., Von Allah zum Terror, S. 68 ff.,72 ff.; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 96 ff.; ders., Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 19 Fn. 42. 454 Vgl. H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 64. 455 Dazu H.-P. Raddatz, Von Allah zum Terror? S. 71.

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schen Fitra-Konzept „ist der Mensch seiner natürlichen Anlage nach ein Muslim und wird erst durch die Umgebung, in die er hineingeboren wird, zu einem Nichtmuslim, wobei er jedoch nach wie vor die Möglichkeit hat, seine muslimische Natur zu erkennen“. Da ihm diese Möglichkeit gegeben ist, steht die Diskriminierung der Nichtmuslime nach islamischer Doktrin „nicht im Widerspruch zur grundlegenden Gleichheit der Menschen in der Stellvertretung Gottes auf Erden, die der Koran mehrfach betont“456. Das Beste für Dhimmis und Ungläubige ist, zum Islam zu konvertieren. Das vermag von Nachteilen und auch Strafen zu befreien457. Die Bindung der Meinungsäußerungsfreiheit an die Scharia458, auch in der Kairoer Erklärung, ist mit dem Menschenrecht der Meinungsfreiheit und zudem mit dem demokratischen Prinzip unvereinbar. Die Praxis in den islamischen Staaten ist schon deswegen unterschiedlich, weil die Scharia sich (bisher) nicht überall in gleicher Weise behauptet hat459. Die religionsverfassungsrechtliche Frage ist aber, welche politischen Implikationen die islamische Religion, zu der wesentlich die Scharia als das islamische Rechtssystem gehört, hat. b) Die Frauen sind islamisch nicht gleichberechtigt, auch politisch nicht460. Die Sure 4, 35 (oder 34 oder 38) lautet in einer Übersetzung461: „Die Männer stehen über den Frauen (oder: Männer sollen vor Frauen bevorzugt werden), weil Gott sie (von Natur vor diesen) ausgezeichnet hat und wegen der Ausgaben, die sie von ihrem Vermögen (als Morgengabe für die Frauen?) gemacht haben. Und die rechtschaffenden Frauen sind (Gott) demütig ergeben und geben acht auf das, was (den Außenstehenden) verborgen ist, weil Gott (darauf) acht gibt“462. Nichtmuslime

456 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 161 (Verweis auf Suren 6, 165; 7, 69, 74, 142; 10, 14, 73). 457 H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 76; nach M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 480, geht es „dem heiligen Krieg weniger um das Bekehrungsinteresse als darum, daß die Anhänger der Buchreligionen in Demut den Zins zahlen“. 458 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 10; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 151 f.; auch L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 146 ff. (Meinungsäußerung kann Apostasie sein), S. 199 ff. 459 Vgl. U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 188 ff. 460 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 16; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 35; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 168 ff., 175; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 157 ff.; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 199 ff., der das durch das praktizierte Patriarchat stabilisiert, aber wegen der veränderten Verhältnisse auf lange Sicht „Chancen für eine zukünftige Gleichberechtigung“ sieht. 461 Nicht nur die Zahlen der Suren werden in der Literatur unterschiedlich angegeben, sondern vor allem weichen die Übersetzungen erheblich von einander ab. 462 Zitat bei G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 160; teilweise bei L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 169, 305; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 199; vgl. auch Sure 2, 228 (oder 229): „… und die Männer stehen eine Stufe über ihnen“, dazu M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 16.

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(Status der Duldung) und Frauen haben meist nicht die gleichen Bürgerrechte463. Vor allem sind die Rechte der Frauen im Personenstands-, Ehe-, Familien- und Erbrecht andere und mindere als die der Männer, zumal im Scheidungsrecht464. Insbesondere dürfen Musliminnen nur Muslime heiraten, Muslime aber auch Nichtmusliminnen465. Männer können bis zu vier Frauen heiraten (Recht zur Polygamie) und sich ohne Angabe von Gründen von den Frauen trennen, diese verstoßen466. Weiter werden die Männer in der Sure 4, 35 aufgefordert, Frauen, die sich auflehnen, zu vermahnen, im Ehebett zu meiden und zu schlagen (zu züchtigen)467. Das wird nach wie vor mit Aussagen des Korans, also religiös, begründet468 und die Bereitschaft, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen religiös zu fundieren, ist mehr als gering und noch weniger erfolgversprechend469. Die Gleichberechtigung gemäß Art. 3 Abs. 1 und insbesondere Abs. 2 und auch Abs. 3 GG ist ein fundamentales Rechtsprinzip Deutschlands und ausweislich Art. 21 und Art. 23 der EU-Grundrechtecharta und Art. 2 EUV (sogar „Gleichheit von Frauen und Männern“) sowie Art. 157 AEUV auch der Europäischen Union. Sie gehört zum ordre public und zu den Menschenrechten, zumal nach dem Fundamentalprinzip des Art. 1 AEMR, die als Prinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland unverrückbar sind. c) Die Elemente der Demokratie, die das Bundesverfassungsgericht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechnet, wie die Selbstbestimmung des Volkes, die Freiheit und Gleichheit, die Volkssouveränität, das Mehrheitsprinzip, das Mehrparteien- und das Oppositionsprinzip, machen ein demokratisches Prinzip aus. Das demokratische Prinzip der Bundesrepublik Deutschland ist an sich anspruchsvoller zu definieren, insbesondere weniger parteienstaatlich470. Vor allem verfaßt das Grundgesetz keine Herrschaftsordnung471, sondern eine Ordnung der Freiheit, die demokratisch sein muß, wie es in dem Begriff freiheitliche demokratische Grundordnung auch zur Sprache kommt. Wesentlich aber ist, daß dem gegen463 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 15 f.; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 175; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 161, 162 ff.; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 243 f., 254 f. 464 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 172 ff., zu einer anderen muslimischen Auffassung S. 304 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 159; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 206 ff., 287 ff., 307 f., 310 f. 465 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 15; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 164. 466 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 63 ff., insb. S. 71 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 159; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 169 f., 173 f. 467 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 171, S. 304 ff., zu Beschwichtigungsbemühungen des „modernistischen Islam“; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 159, 160, Fn. 677. 468 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 168, 172 ff.; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 310 f. für Indien, S. 327 ff. für Kanada, S. 350 ff., 378 für Deutschland. 469 I.d.S. selbst M. Rohe, Das islamische Recht, S. 383 ff., 402. 470 Dazu K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 14 ff., 637 ff., 1045 ff. 471 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 71 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 115 ff.

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wärtigen Islam, zumal in der islamistischen Wirklichkeit, die westliche Demokratie als die politische Form der allgemeinen Freiheit fremd ist472. Udo Steinbach: „Tatsächlich liegt die Demokratie, wie sie sich im Rahmen der europäischen geistigen und politischen Geschichte herausgebildet hat, außerhalb der geistigen und politischen Welt islamistischer Muslime“473. Bassam Tibi: „Fundamentalismus und Demokratie passen zueinander wie Feuer und Wasser“474. Der Islamismus bekämpft die westliche säkularistische Demokratie, welche im unüberwindlichen Gegensatz zur Gottesherrschaft, der Hakimiyyat Allah, steht475. Bassam Tibi räumt ein: „Die Demokratie konnte aber nirgendwo in der Welt des Islam Fuß fassen, und es blieb letztlich alles beim Alten“476. Das Prinzip der Shura (Sure 3, 159, auch Sure 42, 38 oder 39)477, der Beratschlagung, eine Art Deliberalismus478, ist nicht demokratisch, weil nicht alle Angehörigen des Volkes gleichheitlich einbezogen werden (können und sollen). Die Auswahl der meist auf Lebenszeit ernannten Mitglieder der Shura ist unterschiedlich (die besten Rechtsgelehrten (Ulama), politische und religiöse Elite bis hin zu allgemeinen Wahlen, aber keine Frauen, keine Atheisten, keine Nichtmuslime, keine Säkularisten, keine Kommunisten) und streitig479. Staatsoberhaupt und Staatsregierung müssen sich beraten lassen, sind aber an den Rat der Shura, der sich „im Rahmen des Islam“ halten muß, nicht gebunden (strittig), weil sie auf Gott vertrauen sollen (Sure 3, 159)480. Der Diskurs, die Erkenntnismethode der demokratischen Republik, ist hingegen (sollte sein) allgemein und öffentlich und wird im Parlament stellvertretend für das Volk zu Beschlüssen geführt481. Freilich genügt die parteienstaatliche Praxis der 472 M. Forstner, Islam und Demokratie, S 3 ff., 16; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 31, auch S. 31 ff., 73 ff., 86 u. ö.; dazu L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 127 ff., zu einer abweichenden muslimischen Auffassung S. 289; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 79 f., auch ff.; auch U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 217, 228 ff. 473 U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 229. 474 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 31. 475 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 29 ff., 36 ff., 72 ff., 80, der Abul Ala Maududi zitiert, der klargestellt hat, daß „Islam und („säkulare“) Demokratie sich diametral widersprechen“; nicht anders U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 228 ff. (algerische Front Islamique du Salut setzt Demokratie mit Atheismus gleich, S. 229). 476 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 76. 477 Dazu M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 7 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 121 ff., auch 202 f. (zur Lehre von Auda), 260 ff.; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 229. 478 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung, Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 1992, S. 109 ff., 187 ff., 329 ff., 349 ff., 516 ff., u. ö.; ders., Die Einbeziehung des Anderen, Studien zur politischen Theorie, 1996, S. 277 ff., 293 ff. 479 Vgl. M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 7 f., 10 f.; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 127 ff., 132 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 125, 261. 480 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 8; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 135 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 123 f. 481 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 584 ff., 637 ff., 707 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 427 ff., 609 ff.

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westlichen Demokratien dem in keiner Weise. Die Shura jedenfalls ist kein demokratischer Parlamentarismus482, „Shura ist Gottesdienst“, „Shura, nicht Demokratie“ (Nahwi)483. Gott ist im Islam der einzige „Souverän“, aber die Quelle der Macht oder Gewalt ist die Umma484, die islamische Gemeinschaft als die Gesamtheit der Gläubigen, nicht etwa die Nation oder das Volk als die Bürgerschaft eines Staates485. Bassam Tibi: „Nur dieser“, „der islamischen Umma als einer Solidar- bzw. Glaubensgemeinschaft“, nicht einer staatlichen Ordnung schuldet, er, „der Muslim“, „Loyalität“486. Der „Gesetzgeber“ sind „nach der traditionellen Konzeption Gott selbst und sein Prophet Muhammad, die in Koran und Sunna unveränderliche Normen gesetzt haben“487. Diese „bilden die ,Wurzeln (Usul) der Religion, ihren ,Grundstock, und sind für den Muslim der generelle Bezugspunkt der Theologie, des Rechts, der Ethik – kurz seiner religiösen Handlungsorientierung in dieser Welt sub specie der nächsten“488. „Das Gesetz ist der Ausdruck des Willens, aber auch der Weisheit Gottes“ und das „koranische Gesetz ist für den Menschen gut“489. Wesentliche islamische Staaten, wie Saudi-Arabien, der Jemen, der Sudan und der Iran, aber auch Ägypten, halten daran fest, viele sehen in der Scharia eine oder die Hauptquelle der Gesetzgebung490. Herrscher und Beherrschte (auch die Richter491) sind an das Gesetz Gottes, 482 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 7 f., 10; H.-P. Raddatz, Von Allah zum Terror? S. 246. 483 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 128, 129 ff., die diesen Buchtitel des saudiarabischen Autors Nahwi, 2. Aufl. 1985, Kairo, zitiert; vgl. auch U. Steinbach, Vom islamischwestlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 229. 484 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 129, 137, zu einer vereinzelten muslimischen Lehre von der Volkssouveränität S. 292 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 88 ff., 148 u. ö.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 77 f., 60 ff.; zum Streit um die Umma als Quelle der Staatsgewalt M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 5 ff. 485 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 101; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 60 ff. („Vom säkularen Nationalstaat zur Ordnung der islamischen Umma?“); das Verhältnis der Nationalstaaten zur Umma beurteilt anders U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 214 ff., wo er die Entwicklung nach der Abschaffung des Kalifats 1924 schildert, zur neueren islamistischen Entwicklung S. 219 ff., insb. S. 228 ff.; zur Streitfrage auch M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 5 ff., der freilich 1981 die neuere Entwicklung nicht berücksichtigen konnte. 486 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 67. 487 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 12 u. ö.; T. Nagel, Das islamische Recht, S. 343 ff. u. ö.; H.-P. Raddatz, Allahs Frauen, S. 34 ff.; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 137 ff., zur Kritik der „Scharia-Jurisprudenz“ aus muslimischer Feder S. 259 ff., 282 f.; F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 205; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 88 ff., 99 ff.; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 243, 245 f. 488 F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 198; zur Entwicklung der Scharia aus dem Koran und der Sunna ausführlich T. Nagel, Das islamische Recht, S. 155 ff. (zur Geschichte des islamischen Rechts), insb. S. 186 ff. (vom Fiqh zur Scharia). 489 A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 92 ff., Zitate S. 93, 94. 490 M. Rohe, Das islamische Recht, S. 243.

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Koran und Sunna, gebunden492. Das Staatsoberhaupt muß, weil der Islam Staatsreligion ist, Muslim sein493. Was aber das „herabgesandte“ Gesetz befiehlt, ermitteln an Hand von Koran und Sunna die Rechtsgelehrten/Theologen, die Mufti494, oder die, welche die Macht haben, sich als solche zu präsentieren; denn sie legen Gottes Gesetz, das viel „Freiraum“ läßt, aus und wachen über dessen Anwendung495. Die absolute Macht Gottes begrenzt die politische Macht496. Ziel ist die „ewige Ordnung unter der Herrschaft Gottes“497. Auch für durch den Westen inspirierte „Neuansätze“ bleibt „oberstes Gut und Anliegen die Verwirklichung der Scharia, nicht die Demokratie“498. Viele Gelehrte sollen allerdings die Auffassung vertreten, daß dem Koran verfassungspolitische Prinzipien nicht abgewonnen werden können499. Demokratische Strukturen, auch Parlamentarismus, Opposition und Gewaltenteilung sind, obwohl arabische Staaten sie in die Verfassungsgesetze aufgenommen haben, jedenfalls in islamischen Staaten außergewöhnlich, dem Islamismus sind sie wesensfremd500, wie die ebenso islamischen wie „diktatorischen“ Entwicklungen in Ägypten seit der Machtübernahme Nassers 1952 und im Iran seit der „islamischen Revolution“ 1979 unter Beweis stellen. Der Prophet hatte die gesetzgebende, rechtsprechende und Regierungsgewalt in seiner Hand501. „Opposition wird als Widerstand gegen Gesetze Gottes angesehen und verfolgt“502. Die Meinungsfreiheit ist auf die „Wahrheit“, also auf die Erkenntnis von Gottes Wort, begrenzt, um (trotz der pluralen Gliederung in Sunniten und Schiiten, soziale 491 Zum Kadi-Amt T. Nagel, Das islamische Recht, S. 112 ff.; M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 836. 492 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 118; L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 131 auch ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 261; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 78; auch U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 216. 493 M. Rohe, Das islamische Recht, S. 244. 494 Dazu näher T. Nagel, Das islamische Recht, S. 131 ff. 495 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 143 ff.; ders., Die Legitimität der Neuzeit, S. 163; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 91 ff., 115. 496 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 139, zur Kritik der „Priesterreligion“ aus muslimischer Feder S. 264 f. 497 F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 205; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 73 ff., 156, 165 und durchgehend; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 224 ff. 498 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 261. 499 M. Rohe, Das islamische Recht, S. 247 ff. 500 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 11, 11 ff.; A. Th. Khoury, Der Islam und die westliche Welt, S. 111 ff.; A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 89, 97; U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 194; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 242 f., 250; vgl. L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 125, 256 ff., 295 f., zu einer (vereinzelten) islamischen Konzeption von Demokratie und Moschee S. 268 ff.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 113 ff., auch zu den gewaltenteiligen Entwicklungen. 501 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 11 f. 502 A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 97.

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Schichten, Ethnien und sogar Muslime und Nichtmuslime) den Bestand und die Einheit der islamischen Gemeinschaft („Ideal des Gleichgewichts“), der Umma, gegen Pluralismus zu sichern503. Selbst „liberale Islamisten“ weisen den Pluralismus (auch von Parteien) in den „Rahmen des Islam“ und die Grenzen der Scharia504. Parteien (Mehrparteiensystem) werden als Spaltung der Gemeinschaft grundsätzlich zurückgewiesen und allenfalls im „Rahmen der Scharia“ hingenommen und von einer Minderheit der Autoren befürwortet505. Legitim ist nur die „Partei Gottes“ (Hizb Allah)506. „Die Vereinigung der weltlichen und religiösen Funktionen auf eine Person führt zu einer allumfassenden Diktatur, die nicht nur eine politische Erscheinung von heute ist, sondern historisch in unterschiedlicher Form und Intensität existierte“507. Auch muslimische Gelehrte warnen vor einer „faschistischen Diktatur“ der Islamisten „im Gewand der Religion“508. Vielfach wird die Wiedereinführung des Kalifats postuliert509. Bis zur Wiederkehr des rechtgeleiteten Mahdi (sunnitisch), des verborgenen zwölften Imam (schiitisch), sollen nach schiitischer Auffassung die qualifiziertesten Rechtsgelehrten die weltliche und religiöse Führung ausüben, also herrschen510. d) Mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist ein islamisches Rechtssystem vor allem wegen der Einheit von Religion und Politik nicht vereinbar, auch nicht, wenn man westlich und aufklärerisch beeinflußte und, wenn man so will, „moderne“ muslimische Lehren zugrunde legt, abgesehen davon, daß diese vereinzelt geblieben sind und keine Durchsetzungschance haben. Wesentlicher Grund ist der politische und rechtliche Vorrang des Islam, also der Religion, oder was islamistisch als Islam wirkungsmächtig ideologisiert und propagiert wird. Um den Schutz der grundgesetzlichen religiösen Freiheiten in Anspruch nehmen zu können, mangelt es diesem Islam an der Säkularität, welche die Voraussetzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes ist, zu deren Lasten es keinen Grund503 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 146 ff., insbesondere zur Diskussion des Begriffs der Apostasie (etwa auch Mißachtung des Alkoholverbots) und des Umgangs mit dieser, bis hin zur Pflicht der Muslime, jeden Apostaten zu töten; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 135 f., 139; auch M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 10. 504 L. Müller, Islam und Menschenrechte, S. 154 f.; G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 133 ff. 505 U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 229 (im Gemeinwesen der Islamisten kann es nur eine Partei geben, die „Partei Gottes“); G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 140 ff. 506 M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 9. 507 A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 97. 508 G. Krämer, Gottes Staat als Republik, S. 92 f. 509 Vgl. M. Rohe, Das islamische Recht, S. 244; zum Kalifat M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 12 ff. 510 T. Nagel, Das islamische Recht, S. 352 ff.; A. G. Ghassuy, Der islamische Fundamentalismus in der Gegenwart, S. 94; M. Rohe, Das islamische Recht, S. 246; vgl. auch F. Büttner, Islamischer Fundamentalismus: Politisierter Traditionalismus oder revolutionärer Messianismus? S. 206; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 226.

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rechtsschutz gibt und geben kann. Das islami(sti)sche System ist trotz aller Unterschiedlichkeit der Staaten und der Lehren in seinem Wesen und weitgehend in der Praxis weder demokratisch noch rechtsstaatlich. Es hat die „Gottesherrschaft“ entweder verwirklicht oder macht alle Anstrengungen, sie überall, wo Muslime leben, zu verwirklichen. Es achtet weder die politische Freiheit noch die bürgerliche Gleichheit der Menschen, zumal die der Frauen nicht. Die Meinungsäußerungsfreiheit ist religiös begrenzt. Politischer Pluralismus (Mehrparteiensystem, Oppositionsprinzip) wird zurückgedrängt.

XII. Traditionsverpflichtete Kulturpolitik 1. Der Gesetzgeber darf die Kultur des Landes hegen und pflegen (i.d.S. BVerfGE 12, 1 (4); 41, 29 (50 ff.); 41, 65 (78 f., 84 f.); 52, 223 (236 f.); auch BVerfGE 93, 1 (22 f.); 108, 282 (300 f.); BHGZ 38, 317 (320 f.))511. Deutschland ist auch Kulturstaat512, will und soll das jedenfalls sein. Die Kultur Deutschlands ist (u. a.) christlich geprägt, seit Jahrhunderten, immer weniger, aber doch immer noch in einem Maße, das christlich orientierte Politiken zu rechtfertigen vermag, soweit das Toleranzgebot des Art. 4 GG geachtet wird. Die Europäische Union „schöpft“ ausweislich der Präambel des Vertrages über die Europäische Union in der Lissabonner Fassung „aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas“ und nach Art. 167 Abs. 1 AEUV „leistet die Union einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes“513. Einen Verfassungsbegriff der Kultur oder der deutschen Kultur kennt zwar das Grundgesetz (trotz Novellierungsversuchen514) nicht, Kultur und nationale Kultur sind aber Rechtsprinzipien der deutschen Rechtsordnung, zu der das Unionsrecht (sogar mit weitgehendem Vor-

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Grundsätzlich, insb. philosophiegeschichtlich, W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HVerfR), 2. Aufl. 1994, § 25, S. 1201 ff.; U. Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 7 ff. (10, 12 ff., 27 ff., 38 ff.); D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 46 ff.; vgl. A. Uhle, Freiheitlicher Verfassungsstaat und kulturelle Identität, 2004, S. 25 ff., 353 ff.; Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 540, 546 f.; eher ablehnend Ch. Möllers, Religiöse Freiheiten als Gefahr, VVDStRL 68 (2009), S. 59 ff. 512 Zum Verfassungsrecht der Kultur W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, HVerfR, § 25, S. 1226 ff., Rdn. 50 ff.; U. Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 12 ff.; dazu auch M.-E. Geis, Kulturstaat und kulturelle Freiheit, 1990, zur Geschichte des Begriffs S. 123 ff.; auch K.-P. Sommermann, Kultur im Verfassungsstaat, VVDStRL 65 (2006), S. 12 ff.; zur Geschichte des Kulturstaates, auch mit den religiösen Aspekten D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 46 ff., 53 ff. 513 Zum Kulturföderalismus der Union W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, HVerfR, § 25, S. 1258 ff., Rdn. 112 ff., der eine „multikulturelle Gesellschaft“ der Union erwartet, aber damit eine Bürgergesellschaft von kulturell homogenen, nämlich hinreichend aufklärerischen Menschen „aus Nationalstaaten desselben Kulturkreises“, S. 1288, Rdn. 166, meint; dazu auch K.-P. Sommermann, Kultur im Verfassungsstaat, VVDStRL 65 (2006), S. 22 ff. 514 Dazu U. Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 38 ff.; D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 67 f.

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rang515) gehört. Der Freistaat Bayern definiert sich in Art. 3 Abs. 1 BV „als Rechts-, Kultur- und Sozialstaat“, der nach Absatz 2 dieser Vorschrift „die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung schützt“. Die Rechtsbegriffe Kultur und Kulturstaat können nicht wegen mangelnder Bestimmtheit beiseite geschoben werden516. Verfassungsgesetzliche und unionsvertragliche Begriffe, die funktional ebenfalls verfassungsrechtlich sind, haben typisch ein hohes Maß an Offenheit, insbesondere wenn diese politische Handlungsermächtigungen (Kompetenzen) begründen517. Der Schutz und die Förderung der nationalen Kultur durch den Staat, in welcher Materialität auch immer, ist aber eine Aufgabe der Politik und verwirklicht das Gemeinwohl, sogar rechtlich gestützt durch die Unionsverträge (Kulturvorbehalt518). Die Kulturpolitik ist bestmöglich im allgemeinen Diskurs zu entwickeln und durch Gesetze zu bestimmen. Politik ist nicht auf die Verwirklichung der Grundrechte beschränkt. Freilich darf sie die Grundrechte nicht mißachten, sondern muß diese bestmöglich entfalten. Nationale Kulturpolitik ist legitim und legal (BVerfGE 93, 1 (22))519. Sie darf und soll ihre „eigenen Maßstäbe“ entwickeln und wird daran nicht durch ein Neutralitätsprinzip gehindert. Die Neutralitätspflicht begründet kein allgemeines Politikverbot520. Kulturpolitik hat in Bund, Ländern und Gemeinden viele verfassungsgesetzliche und einfachgesetzliche Grundlagen und Ausprägungen521. Ein Gemeinwesen muß nicht wegen einer (vermeintlichen) negativen Religi515

EuGH – Rs. 26/62 (Van Gend & Loos), Slg. 1963, 1 ff.; EuGH – Rs. 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251 ff.; st. Rspr.; BVerfGE 37, 271 (279 ff.); 73, 339 (366 ff.); 89, 155 (182 ff., 190 f., 197 ff.); dazu K. A. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, S. 82 ff.; ders., Verfassungsrecht der Europäischen Union, Teil 1, Staatsverfassung, i.V, § 5. 516 Kritisch zu einem verfassungsrechtlichen Begriff der Kultur St. Huster, Kultur im Verfassungsstaat, VVDStRL 65 (2006), S. 51 ff. (75 ff.); auch K. Stern, Kulturelle Werte im deutschen Verfassungsrecht, in: K.-H. Kästner/K. W. Nörr/K. Schlaich, FS Martin Heckel (70), 1999, S. 857 ff. (862 ff.); zurückhaltend U. Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 16 f., 38 ff. (gegen eine grundgesetzliche Kulturstaatsklausel); so auch D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 67 („stellvertretend Art. 1 und 2 Abs. 1 GG“). 517 K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 819 ff., 847 ff., zum Programmcharakter offener Verfassungsbegriffe. 518 Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 540, 546 f. 519 K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 215 ff.; U. Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 27 ff.; D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 63 ff., gerade um der Verfassungsverwirklichung willen, unabhängig vom Verfassungstext, S. 65; H. Steiger, Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat, S. 111 ff.; H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 9; i.d.S. auch S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 226 f., der das allerdings auf ein irriges Mehrheitsprinzip stützt und die Bürger nicht zur Unparteilichkeit verpflichtet sieht. 520 K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 213 f., 218 f. 521 Vgl. W. Maihofer, Kulturelle Aufgaben des modernen Staates, HVerfR, § 25, S. 1226 ff., Rdn. 50 ff., zu den kulturstaatlichen Aspekten der nationalen Kultur nach Art. 35 des Einigungsvertrages vom 31. 8. 1990 S. 1250, Rdn. 98 ff.; U. Steiner, Kulturauftrag im staatlichen

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onsfreiheit seine Kirchtürme abreißen, weil Muslime ins Land kommen, muß aber auch nicht wegen der Gleichberechtigung aller Religionen jede Art von Gebäuden zulassen, wenn diese nicht auf Sakralbauten für den religionsfreiheitlich geschützten Kultus beschränkt sind. Moscheen und Minarette sind nicht wie die Kirchen Kultur Deutschlands. Der Islam gehört trotz allen Geredes über Multikulturalismus nicht zur deutschen und auch nicht zur europäischen Kultur522. Die genaue Bestimmung des Grundrechtsschutzes aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist für die Grenzen der Kulturpolitik wesentlich. Ein einstmals kirchenfreundlich gemeinter weiter religiöser Grundrechtsschutz, der keine tragfähige Grundlage im Grundgesetz hat, schadet dem Gemeinwesen, weil er die Gemeinwohlverwirklichung behindert. Moscheen und Minarette würden, wenn ihr Zweck auf Religionsausübung begrenzt wäre, den Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG genießen. Aber eine Kulturpolitik, welche sich der christlichen Tradition verpflichtet weiß, schränkt das Religionsgrundrecht nicht ein, nicht einmal materiell523. Vor allem aber steht der Vorrang der Ersten Welt vor der Zweiten Welt, der in Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 1 WRV zum Ausdruck gebracht ist, einer Behinderung der Kulturpolitik durch religiöse Freiheiten entgegen.

Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 12 ff., 17 f., 19 ff.; auch D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 63 ff. 522 H. Ebeling, Der multikulturelle Traum, S. 45 ff., 74 ff. 523 I.d.S. M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 30 f.; R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 20, der unter Berufung auf BVerfGE 6, 389 (434 f., Strafbarkeit der Homosexualität nach §§ 175 ff. StGB verfassungsgemäß, weil „gleichgeschlechtliche Betätigung“ „eindeutig“ gegen das „Sittengesetz“ in der Sicht der „sozialen Gemeinschaft“ verstößt, zumal der beiden großen christlichen Kirchen, von denen ein großer Teil des Volkes seine „Maßstäbe für das sittliche Verhalten“ hat (?)) meint, der Staat dürfe den religiösen Vorstellungen des „großen Teils des Volkes die Maßstäbe für sittliches Verhalten“ entnehmen (das geht zu weit, weil es zur materiellen Verbindlichkeit religiöser Imperative führt); S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 182 ff. u. ö.

XIII. Vereinsrechtliche Aspekte politischer Religionen Die Muslime bilden keine Kirche524. Ihre Religionsgemeinschaften sind Vereine . Religiöse Vereinigungen werden in der Praxis durch die Religionsfreiheiten des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt (BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (247); 83, 341 (Ls. 2a, S. 353, 354 ff.); 99, 100 (118); 107, 279 (293 f.))526, obwohl Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 2 S. 1 WRV „die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften“ explizit und specialiter (verfassungsbeschwerdefähig) „gewährleistet“527. Das Bundesverfassungsgericht mißt der religiösen Vereinigungsfreiheit „besonderes Gewicht“ bei, das bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedeutsam sei (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, 1 BvR 536/03, vom 2. Oktober 2003, Rdn. 19, DVBl 2004, 263 f.). „Gewicht“ ist ein Begriff, der schwerlich rechtsstaatlich zu materialisieren ist, aber derartige Metaphern prägen die Judikatur des Verfassungsgerichts. Muslimischen Vereinen wurden bisher die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 5 WRV nicht gewährt528. 525

524 St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 247. 525 Ch. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 539; dazu St. Mückl, Kirchliche Organisation, in: J. Isensee/P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VII, Freiheitsrechte, 3. Aufl. 2009, § 160, Rdn. 9 f. 526 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 463 ff.; ders., Verbots- und Auflösungsmöglichkeiten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei verfassungsfeindlicher politischer Betätigung, DÖV 1973, 182, 185 ff.; J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 74; A. von Campenhausen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/ Ch. Starck, GG Komm., Art. 137 WRV, Rdn. 18; ders./H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 52 f., die auf die Problematik aus Art. 19 Abs. 3 GG hinweisen, wonach nur inländische juristische Personen sich auf die Grundrechte berufen dürfen, soweit letztere ihrem Wesen nach auf erstere anwendbar sind. 527 Richtig F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft, S. 159 („lex specialis“); D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 71; vgl. auch J. Kokott, in: M. Sachs, Grundgesetz, Komm., Art. 4, Rdn. 74 („nur deklaratorische Wirkung“, aber in Fn. 227 mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte kritisch); St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 250 f.; vgl. auch H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 145, 157; M. Morlok, in: H. Dreier, Grundgesetz, Komm., Bd. I., Art. 4, Rdn. 78, der unklar bleibt; die Spezialität sehen an sich auch A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 52 f. 528 St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 251 ff.; dazu A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, S. 87; allgemein zu Art. 137 Abs. 5 WRV K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 177 ff.

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Die vorausgesetzte Verfassungsloyalität (klar BVerwGE 105, 117 (126); zurückhaltend BVerfGE 102, 370 (395)529) ist angesichts der Politizität des Islam auch fraglich. Die Tätigkeiten der Muslime in diesen Vereinen sind jedoch nicht nur, nicht einmal wesentlich Religionsausübung, wie die oben erörterten engen Begriffe der Religionsfreiheiten ergeben. Das zwingt, dogmatisch zwischen der Religionsausübung von muslimischen Vereinen im religionsgrundrechtlichen Sinne und deren sonstiger Betätigung zu unterscheiden530. Ganz davon abgesehen, daß dem Islam wegen seiner politischen Imperative die ungestörte Religionsausübung durch Art. 4 Abs. 2 GG nicht gewährleistet ist, wäre der grundrechtliche Schutz der Vereine und deren Mitglieder aus den religiösen Freiheiten, insbesondere der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG und der Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften auf Grund der Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 2 S. 1 WRV531, für die religiösen Betätigungen von dem Grundrechtsschutz aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG für sonstige Vereinsbetätigungen zu unterscheiden. Freilich würde der religionsfreiheitliche Grundrechtsschutz die praktische Unterscheidbarkeit muslimischen Handelns in religiöses und politisches oder sonstiges Handeln voraussetzen. Das widerspricht der allreligiösen Eigenart des Lebens unter dem Islam. Auf die Vereinigungsfreiheit können sich ausweislich Art. 9 Abs. 1 GG nur Deutsche berufen532. Viele Muslime in Deutschland sind Ausländer, viele haben aber auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Vereinigungen von Ausländern werden durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt533. Maßgeblich für die Vereine ist das Vereinsgesetz, das durch § 1 Abs. 1 jedermann die Bildung von Vereinen erlaubt. Nach § 3 VereinsG ist ein Verein als verboten zu behandeln, wenn die Verbotsbehörde festgestellt hat, „daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet.“ In der Verbotsverfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen. In der Regel sind mit dem Verbot die Beschlagnahme und die Einziehung des Vereinsvermögens zu verbinden. Diese Rege529

Dazu St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 253. 530 I.d.S. St. Muckel/R. Tillmanns, Die religionsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Islam, S. 241; auch U. Matyssek, Zum Problem der Trennung von Religion und Politik im Islam, S. 197 f.; B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 13 ff. (19 f.), 26 ff., 50 f., 70, 73 ff., 87 ff., 147 und durchgehend, ohne substantielle Begründung; viele wenig sachkundige Stellungnahmen in der Öffentlichkeit; klar S. P. Huntington, Kampf der Kulturen, S. 495 ff. (501). 531 Spezialvorschrift zu Art. 9 Abs. 1 GG, vgl. H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdn. 157. 532 D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 23 ff.; M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/ F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, Präambel, Art. 1 – 19, 5. Aufl. 2005, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 64. 533 D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 25; M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/ F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 64.

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lung entspricht Art. 9 Abs. 2 GG. Die Verbotsfälle dieser Vorschrift sind negative Tatbestandsmerkmale der Vereinigungsfreiheit534, bedürfen aber auf Grund des „indikativen Imperativs“ im Grundgesetz der Materialisierung durch Gesetz und des Gesetzesvollzugs durch Verwaltungsakt535. Vereinigungen, „deren Zwecke oder deren Tätigkeiten“ „sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten“ sind somit nicht nur verboten, sondern genießen nicht den Schutz des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit (BVerfGE 80, 244 (253), „präventiver Verfassungsschutz“; BVerwG NJW 1981, 1796)536. Die „verfassungsmäßige Ordnung“ umfaßt die „elementaren Grundsätze der Verfassung“ (BVerfGE 6, 32 (38)), „die … den Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Art. 21 Abs. 2 GG bilden“ (BVerwG NJW 1981, 1796; anders noch BVerfGE 38, 281 (298), nämlich „gesamte verfassungsgemäße Rechtsordnung“)537, also die Strukturprinzipien des Art. 20 GG, somit das Republikprinzip, das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaatsprinzip und auch das Bundesstaatsprinzip, vor allem aber die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sowie die Menschenrechte, also den Wesensgehalt der Grundrechte. Die Zielverfolgung der Vereinigung muß gemäß dem Wortlaut nicht „aggressiv-kämpferisch“ sein, aber doch entweder verbindlich genannt sein oder sich in der Wirklichkeit manifestieren (BVerwGE 37, 344 (358 f.); 61, 218 (220); BVerwG NJW 1981, 1796 („Wille, die Ordnung fortlaufend zu untergraben“)). Nach BVerfGE 5, 85 (141, KPD-Urteil) muß eine Partei, um als verfassungswidrig durch Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG verboten zu sein, eine „aktiv kämpferisch aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“ zeigen und „planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen“538.

534

D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 75; i.d.S. auch M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 69 f.; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 55 („ex constitutione verboten“). 535 D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 75 f.; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 55; i.d.S. auch (nicht recht klar) M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 69; K. Groh, Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 40 („Vorbehalt zur vereinheitlichenden einfachgesetzlichen Regelung der Modalitäten eines Eingriffs in dieses Grundrecht“). 536 D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 75; H.-J. Papier, Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte, HGR, Bd. III, § 64, Rdn. 9, 84; unklar, aber im Erg. wohl übereinstimmend M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 70. 537 D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 78; M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/ F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 76 ff. 538 D. Merten, Vereinsfreiheit, HStR, § 165, Rdn. 78; im Erg. auch M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 75; J. Becker, Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, HStR, Bd. VII, § 167, Rdn. 22; K. Groh, Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften, S. 66; dies., Das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes, KritV 85 (2004), S. 57; weitere Hinweise zu und in Fn. 396 f.

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Weniger Schutz genießen die Ausländervereine539. Diese können nicht nur wegen der in Art. 9 Abs. 2 GG genannten Gründe verboten werden, sondern auch wegen weiterer in Absatz 2 des § 14 VereinsG genannter Gründe. Dieser Absatz lautet: „Ausländervereine können verboten werden, soweit ihr Zweck oder ihre Tätigkeit 1. die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet, 2. den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderläuft, 3. Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets fördert, deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind, 4. Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange unterstützt, befürwortet oder hervorrufen soll oder 5. Vereinigungen innerhalb oder außerhalb des Bundesgebiets unterstützt, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen.“

Ausländervereine sind nach § 14 Abs. 1 S. 1 VereinsG „Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer sind“. Nicht als Ausländervereine gelten die Vereine, „deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend ausländische Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind“ (§ 14 Abs. 1 S. 2 VereinsG). In den muslimischen Vereinen sind regelmäßig sowohl Ausländer als auch Inländer, nämlich deutsche Staatsangehörige mit ausländischer Herkunft, vereinigt. Für die behördlichen Maßnahmen kommt es im Einzelfall darauf an, ob Ausländer die Mitgliedschaft des Vereins dominieren540. Für ausländische Vereine, nämlich „Vereine mit Sitz im Ausland, deren Organisation oder Tätigkeit sich auf den räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes erstreckt“, gilt § 14 VereinsG entsprechend, wie § 15 Abs. 1 S. 1 VereinsG regelt. Abgesehen von der Schwierigkeit, festzustellen, ob ein muslimischer Verein ein Ausländerverein ist, der seine Regelung in § 14 VereinsG gefunden hat, oder ein Verein, dessen Verbot sich nach den allgemeinen Bestimmungen, insbesondere nach § 3 VereinsG, richtet, ist in jedem Einzelfall einer muslimischen Vereinigung, die sich gegebenenfalls um eine Moschee herum bildet, von den zuständigen Behörden zu ermitteln, ob und inwieweit sie verfassungswidrig die politische Religion des Islam ausübt und dafür zu Unrecht die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung in Anspruch nimmt oder eine andere Tätigkeit, die dem Vereinsgesetz unterfällt, etwa einen nicht-religiösen Gemeinschafts- oder Kulturbetrieb, veranstaltet. Nicht alles, was Muslime in Vereinen tun, ist gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. Weiterhin ist festzustellen, ob die Zwecke oder die Tätigkeit des Ver539

Dazu M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 65 f. 540 M. Kemper, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Grundgesetz, Art. 9 Abs. 1, Rdn. 66.

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eins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder (insbesondere) gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. Das macht große Schwierigkeiten und setzt die Bereitschaft der Behörden voraus, das Recht Deutschlands zu verwirklichen. Im Einzelnen ist zu untersuchen, inwieweit die Zwecke oder die Tätigkeiten der Vereine gegen diese verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind, etwa gegen die fundamentale Gleichberechtigung von Mann und Frau, aber auch gegen Demokratie und Rechtsstaat oder auch gegen den Religionspluralismus, insbesondere aber gegen die politische Freiheit, weil langfristig der Islam mit der Scharia die Gesetze bestimmen soll. Nicht alle Tätigkeiten von Vereinigungen, welche Religionsausübung zu praktizieren reklamieren, sind im übrigen Religionsausübung im Sinne des Grundrechts des Art. 4 Abs. 2 GG. Ein Beispiel bildet die Scientology-Church, die in Deutschland (wohl zu Recht) als Unternehmen eingestuft wird, nicht als Religionsgesellschaft, so daß sie sich nicht auf die Religionsfreiheit berufen kann541. Wenn ein Verein verboten ist, ist in der Regel das Vereinsvermögen einzuziehen (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VereinsG). Zum Vereinsvermögen gehören auch Grundstücke mit Gebäuden. Nur soweit diese Gebäude als Gotteshäuser (reine Kultstätten) benutzt werden, können sie nicht eingezogen werden. Im Zweifel kommt es auf die überwiegende Nutzung an, soweit nicht gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durchgesetzt wird, daß die Nutzung des Gebäudes auf Religionsausübung beschränkt wird.

541 Hinweise zu und in Fn. 18; vgl. auch J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, S. 464 f., 474.

XIV. Schlußfolgerungen 1. Der Islam ist im Selbstverständnis und allgemein anerkannt eine Religion. Nicht nur als Islamismus ist er eine politische Religion. Darin ist die Politik religiös bestimmt, nämlich durch Koran und Sunna. Den höchsten rechtlichen Rang hat das islamische Recht, die Scharia, weil es das von Gott (Allah) herabgesandte Recht ist. Die vorrangige Verbindlichkeit der Scharia hat sich bislang nicht in allen Staaten der Umma behauptet, aber die Entwicklung geht in diese Richtung. Säkularistische Bemühungen um die Lösung der Politik von der Religion sind in der Rechtslehre/Theologie vereinzelt und gesellschaftlich und politisch zunehmend erfolglos. Die Säkularisation in der Türkei, die Atatürk eingeführt hat, ist mehrheitlich nicht mehr akzeptiert und in der politischen Relevanz rückläufig542. Wenn die Türkei Mitgliedstaat der Europäischen Union geworden sein wird (sollte), werden der Nationale Sicherheitsrat und das Militär, welche die säkularistische Tradition Atatürks verteidigen, entmachtet sein, weil sie den Vertragsprinzipien der Union (Art. 2 EUV) nicht genügen. Die Muslime in Europa und in Deutschland gehören zur Umma, zur Gemeinschaft der Muslime. Diese bestimmt die Entwicklung des Islam. Eine aufklärerische Entwicklungstendenz ist nicht erkennbar. Wer sich vom Islam und damit vom Primat der Scharia abwendet, ist Apostat. Hoffnungen auf einen „Euro-Islam“ sind unbegründet. Es gibt auch keine Chance der Integration der Muslime in die deutsche oder europäische Kultur; denn dafür müßten sich diese von der politischen Verbindlichkeit ihrer Religion lösen. Diese aber wird erfolgreich verteidigt. Ihre Wirksamkeit wird zunehmend erhöht. Ein Mittel ist der Dialog der Islam-Konferenzen mit den für den Djihad instrumentalisierten Vokabeln Toleranz und Frieden543. Nach Bassam Tibi heißt, den Dialog zu betreiben, entweder die islamistischen Normen zu akzeptieren oder „die Rolle des Dummen im Rahmen des Spiels ,Täuschung der Ungläubigen anzunehmen“544. Weltweit behauptet sich der Islamismus, also die fundamentalistische Position des Islam. 2. Muslime sind durch die Freiheit des Glaubens des Art. 4 Abs. 1 GG geschützt; denn keinem Menschen kann sein Glauben abgesprochen oder ein Glauben vorgeschrieben werden. Demgemäß ist die Freiheit des Glaubens unverletzlich. Der Glaube besteht aus Vorstellungen des Menschen, die sich dem staatlichen Eingriff entziehen. Das gleiche gilt für das religiöse Bekenntnis, das für Muslime zugleich ein weltan542

H.-P. Raddatz, Die türkische Gefahr? S. 128 ff. zur „Renaissance des Turkislam“, auch S. 235 ff. 543 H.-P. Raddatz, Allah und die Juden, S. 300 ff., 304 ff.; ders., Von Allah zum Terror? S. 9 ff., 168 f., 180 ff., 244 ff., 274 ff., 281 ff., 302 ff. u. ö. 544 B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 48.

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XIV. Schlußfolgerungen

schauliches Bekenntnis ist. Auch dieses schützt Art. 4 Abs. 1 GG als unverletzlich. Das Bekenntnis ist das jeweilige Credo eines Menschen, also eine regelmäßig durch die Glaubensgemeinschaft definierte Vorstellung von der Welt, von Gott und den Menschen. Glaube und Bekenntnis berechtigen zu keinerlei äußeren Handlungen, die irgendwelche Wirkungen auf andere Menschen entfalten können. Religiös bestimmte Handlungen können nur den Schutz des Grundrechts des Art. 4 Abs. 2 GG der ungestörten Religionsausübung finden. Die ungestörte Religionsausübung steht nach Art. 140 GG/Art. 136 Abs. 1 WRV unter dem Vorbehalt des Bürgerlichen und Staatlichen. Auf Grund dessen haben Gesetze des Staates Vorrang vor dem Grundrecht der ungestörten Religionsausübung. Insbesondere gibt es keinen Grundrechtsschutz für Handlungen, welche der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen. 3. Der Islam ist nicht nur eine Religion, sondern auch und wesentlich ein Rechtssystem. Als solches kann der Islam das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung nicht in Anspruch nehmen. Eine Religion beansprucht höchste Verbindlichkeit ihrer Materie, weil sie Gesetz Gottes ist. Eine nicht von der Politik distanzierte Religion beansprucht die höchste Verbindlichkeit des Gesetzes Gottes auch politisch, also in der Rechtsordnung. Eine solche Religion kann andere Religionen mit anderer Materie nicht anerkennen, jedenfalls nicht als gleichrangig. Sie ist nicht pluralismusfähig. Der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Religionspluralismus setzt die innere Säkularisation der Gläubigen voraus, also die Lösung der geschützten Religionen von der staatlichen Politik. Wer durch seine Religion politisch gebunden ist, ist jedenfalls in einer „offenen Gesellschaft“ nicht demokratiefähig. Demokratie ist die politische Form der allgemeinen Freiheit. Die politische Freiheit ist formal, d. h. nicht material bestimmt, insbesondere nicht durch eine Religion, die durch eine materiale Offenbarung und Tradition in vielerlei Verboten und Geboten festgelegt ist. Formalität besagt die freiheitliche Verbindlichkeit (Notwendigkeit und Allgemeinheit) des Sittengesetzes als des kategorischen Imperativs. Dieser ist das Rechtsprinzip, das ausschließlich durch den vereinigten Willen des Volkes materialisiert wird. Das erfordert den guten Willen aller Bürger zum Konsens, d. h. die Materien der Gesetze anzunehmen, die in der jeweiligen Lage auf der Grundlage der Wahrheit für das gute Leben aller Bürger als richtig erkannt sind. Dieses Rechtsprinzip verträgt keinerlei vorgängige gottbefohlene materiale Festlegungen, weil nicht alle Bürger durch diese gebunden sind. Solche Festlegungen sind der bürgerlichen Sittlichkeit und Moralität zuwider. Jeder Bürger muß für die richtige Politik offen sein. Diese muß er zu seiner Sache machen. Sonst ist er nicht frei. Das ist die republikanische Moralität, der Wille zur Sittlichkeit als der praktischen Vernunft. Wer vorgegebener Politik religiös verpflichtet ist, welche allein schon aus religiösen Gründen anderen nicht zumutbar ist, kann nicht zum freiheitlichen Gesetz finden, das durch seine Allgemeinheitlichkeit definiert ist. Jeder Bürger muß sich somit nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich säkularisieren, um Bürger einer Republik sein zu können, welche durch eine freiheitliche demokratische Grundordnung gekennzeichnet ist. Das gilt für alle Menschen, seien sie Christen, Juden, Muslime, anderen Glaubens oder ohne Glauben.

XIV. Schlußfolgerungen

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Sonst bleibt nur ein freiheitswidriges Mehrheitsprinzip, auf Grund dessen Mehrheiten Minderheiten unterdrücken, denen allenfalls ein Minderheitsschutz zugestanden wird545. Die bürgerliche und damit politische Säkularisation ist Voraussetzung des freiheitlichen Gemeinwesens, der Republik. Freilich muß eine Republik ihre Grundlagen, die allgemeine Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die mit diesen Prinzipien verbundenen Menschenrechte und die daraus folgenden staatlichen Strukturprinzipien Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und Föderalismus verteidigen. 4. Die politische Bindung an den Islam wird in den Moscheen und Minaretten, mit den Burkas, Niqabs und Kopftüchern, im Muezzinruf usw. nicht nur symbolisiert, sondern eingefordert. Die Moscheen und die Minarette sind Einrichtungen des Islam, welche die Herrschaft Allahs über die Muslime geradezu versteinern oder betonieren. Janbernd Oebbecke: „Die Moschee steht für dauerhafte Präsenz, ihre Zulassung für Anerkennung, Akzeptanz des Islam und der Muslime“546. In den Moscheen versammeln sich die Muslime (u. a.) zum Gebet, das Allah und die göttliche Ordnung verherrlicht und zugleich für die Hinwendung zum Islam wirbt547. Die erste Sure ist das Kurzgebet des Muslims. Es lautet: „Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen! Lob und Preis sei Allah, dem Herren aller Weltenbewohner, dem gnädigen Allerbarmer, der am Tage des Gerichtes herrscht. Dir allein wollen wir dienen, und zu dir allein flehen wir um Beistand. Führe uns den rechten Weg, den Weg derer, welche sich deiner Gnade freuen – und nicht den Pfad jener, über die du zürnst oder die in die Irre gehen!“ (Übersetzung von Ludwig Ullmann).

Die Gebete sind die stetige Unterwerfung unter den Koran und das Koranische und damit unter die Scharia548 und stellen diese über die freiheitliche demokratische Ordnung. Dazu fordert der Gebetsruf des Muezzins auf, der die Gottesherrschaft und Größe Allahs ausruft. Er lautet übersetzt:

545 So aber R. Zippelius, GG, Bonner Komm., Drittbearbeitung 1989, Art. 4, Rdn. 20 f., der Glaubensvorstellungen des „großen Teils des Volkes“ „Anteil an der Bildung des Staatswillens“ zuspricht, aber Minderheiten gegen Oktroy schützen will (wie eigentlich?). Eine solche Dogmatik macht das Gemeinwesen gegenüber einer Islamisierung schutzlos; vernunftphilosophische Kritik am Mehrheitsprinzip der Diskurstheorie H. Ebeling, Der multikulturelle Traum, S. 13 ff. (22 u. ö.); kritisch auch B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 32 unter Hinweis auf Leonard Binder, weil Demokratie an „individuelle Freiheit, Pluralismus und Trennung zwischen Religion und Politik“ gebunden sei. 546 J. Oebbecke, Moscheebaukonflikte und der Beitrag des Rechts, S. 10, der die Moscheen freilich als „Bauten zu religiösen, gottesdienstlichen Zwecken“ versteht und die politische Funktion derselben nicht in den Blick nimmt (S. 5). 547 Vgl. T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 9 ff.; H.-P. Raddatz, Allahs Frauen, S. 32 („… primär dient sie als Ort der politischen Propaganda, der Kriegsplanung und – als Waffenlager“). 548 T. Nagel, Sachverständigengutachten in der Verwaltungsstreitsache Yunus Mitschele/ Land Berlin, Az. VG 3 A 984.07, vom 10. Februar 2010, S. 16.

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XIV. Schlußfolgerungen

„Allah ist der Größte. Ich bezeuge, daß es keinen Gott außer Allah gibt. Ich bezeuge, daß Muhammad der Gesandte Allahs ist. Auf zum Gebet. Auf zum Heil. Allah ist der Größte. Es gibt keinen Gott außer Allah.“

Bei der schiitischen Variante wird den beiden Aufrufen zum Gebet und zum Heil ein dritter hinzugefügt, nämlich der „zum guten Werk“. Für die Sunniten gilt zudem eine Regel, die während des Gebetsrufs laut zu sprechen ist: „Es gibt keine Kraft und keine Macht außer Allah“. Die Muslime erbitten die Verwirklichung der koranischen und schariatischen Lebensweise. In der Sure 3, 27 (oder 26) heißt es: „Bete: Allah, der du Herr der Herrschaft bist, du gibst die Herrschaft, wem du willst, und erniedrigst, wen du willst. In deiner Hand ist alles Gute, denn du bist über alle Dinge mächtig“549. Burka und Niqab machen die untergeordnete Stellung der Frau im Islam augenfällig sichtbar. Dafür genügt aber auch das Kopftuch. All diese Bauten, Kleidungen und Handlungen sind Unternehmungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes und finden deswegen keinen Schutz im Grundrecht der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG, aber auch nicht in anderen Grundrechten. Sie propagieren und postulieren religiös ein politisches System, welches mit der Verfassung der Deutschen und dem Verfassungsgesetz Deutschlands unvereinbar ist. Derartige politische Handlungen können nicht deshalb den Schutz der grundrechtlichen Gewährleistung der Religionsausübung beanspruchen, weil sie zugleich religiös sind. Ohne hinreichende Säkularisation der Muslime ist der Islam keine des Grundrechtsschutzes aus Art. 4 Abs. 2 GG fähige Religion. Freilich würde diese Säkularisierung den Islam als politisches System beenden. 5. Vereinzelte Meinungen muslimischer Lehrer oder Politiker, meist um Anpassung an die westlichen Verfassungsgesetze bemüht, ändern an dieser Rechtslage nichts. Sie sind nicht repräsentativ für den Islam, in dem sich die Lehren der führenden Lehrer der Umma und deren politische Führer durchsetzen (und durchgesetzt werden), auch in Deutschland. Zu deren Mitteln gehört der Bau von Moscheen und Minaretten mit den Muezzinrufen, die Kleidung der Frauen usw., genauso wie die Teilnahme am vom Staat veranstalteten multikulturellen Dialog, in dem Zugeständnisse an eine religiös begründete, aber verfassungswidrige politische Praxis von Muslimen abgerungen werden. Die für die politischen Ziele förderliche Angst wissen islamische Akteure zu erzeugen. 6. Andere Grundrechte geben der religiösen Politik der Muslime ebensowenig Schutz. Die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG ist durch Absatz 2 begrenzt. Die Unternehmen der islamischen Vereinigungen richten sich gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“, also die freiheitliche demokratische Grundordnung, und sind folglich verboten. Die Meinungsäußerungsfreiheit, insbesondere die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG, ist durch die „allgemeinen Gesetze“ eingeschränkt. Zu diesen gehört die freiheitliche demokratische Grundordnung in erster Linie. Hinzu kommen die vereins- und strafrechtlichen Vorschriften, welche diese Ordnung schützen. Im übrigen finden auch Meinungsäußerungen, die gegen die freiheitliche demokra549

Vgl. M. Forstner, Islam und Demokratie, S. 5.

XIV. Schlußfolgerungen

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tische Grundordnung kämpfen, keinen Grundrechtsschutz. Das folgt aus Art. 18 GG, der die Verwirkung des Grundrechts des Art. 5 Abs. 1 GG vorschreibt, jedenfalls wenn der Kampf „aggressiv-kämpferisch“ ist. Die allgemeine Freiheit oder allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG ist ohnehin auf Handlungen im Rahmen der „verfassungsmäßigen Ordnung“ und des „Sittengesetzes“ begrenzt. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung und das Sittengesetz wird durch Unternehmen, welche diese Ordnung beseitigen wollen, mißachtet; denn es gewährleistet ethisch das freiheitliche Rechtsprinzip, die Bürgerlichkeit der Bürger, die keine religiöse Bindung in der Politik zuläßt. Ganz im Gegenteil, „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung“, also die freiheitliche demokratische Grundordnung, „zu beseitigen, haben alle Deutschen“ auf Grund des Art. 20 Abs. 4 GG „das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. Dieser Widerstand ist sittliche Pflicht, Bürgerpflicht. Ein Gemeinwesen aber ohne Freiheit und freiheitliches Recht550 ist, entgegen der Verfassung des aufgeklärten Deutschlands und Europas, Gebot des Islam, nicht nur Ziel des Islamismus.

550

B. Tibi, Fundamentalismus im Islam, S. 107 f.: „Ein Scharia-Staat ist ebenso furchterregend wie der NS-Staat oder die Diktatur Stalins, …“; U. Steinbach, Vom islamisch-westlichen Kompromiß zum Islamismus, S. 229: „In Rigorosität, Regidität und Totalitätsanspruch stehen sie (,die Ideologien des Marxismus-Leninismus und des Islamismus) einander jedoch kaum nach“.

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Stichwortverzeichnis Abwehrrechte, grundrechtliche 62 AKP 79 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 102 Allgemeinheit, qualitativ 38 Allgemeinheitlichkeit 120 Anschütz, Gerhard 34 Apostasie 102 Apostat 84, 119 Art. 9 Abs. 2 GG 46 – ordre public 47 Art. 135 WRV 51 Art. 136 WRV 51 Art. 136 Abs. 1 WRV 33 Art. 137 Abs. 1 WRV 51 Art. 137 Abs. 2 S. 1 WRV 46, 114 Atatürk 119 Aufklärung 26 – Moderner Staat 44 Augsburg, Reichstag 44 Augsburger Religionsfrieden 21 Ausgleich der Werte 50 Ausländervereine 117 Autonomie des Willens 17, 29, 45 Beeinflussungsfreiheit 61 Bekenntnis 13, 41, 49 Bekenntnisfreiheit 20, 44 – negative 61 Bielefeldt, Heiner 88, 101 Brüderlichkeit 28 Bürgerkrieg 77 Bürgerlichkeit 62 – des Bürgers 37, 100, 123 Burka 122 Chomeini 77 Christentum 40 – entpolitisiertes 66 – Moralismus 68 – Sittlichkeit 68

– tradierte Kultur 65 Credo, fundamentalistisches 90 cuius regio, eius est religio 21 Dekadenz 68 Deliberalismus, zivilgesellschaftlich Demokratie 105, 120 – säkularistische 106 – streitbare 92 – westliche 106 Denkschriften 74 Despotie 30 – sanfte 30 Diakonie 20 Dialog 119 Diesseits 26 Diesseits und Jenseits 75 Differenzierungsverbot 51 Diktatur 109 Dimension objektive 35, 56 Diskriminierungsverbot 51 Diskurs 106 – und Sittlichkeit 39 Ebeling, Gerhard 75 Ebeling, Hans 77 Einheit der Verfassung 49, 99 Einzelfalljudikate 63 Elert, Werner 67 Eltern, Erziehungsrecht 64 Erste Welt 19, 43, 113 Evangelium und Gesetz 71 Faktum des Sollens 58 Forstner, Martin 76 Forum internum 45, 49, 64 Frauen 104 Freiheit 100 – allgemeine 47 – äußere 29, 62 – Autonomie des Willens 80

40

Stichwortverzeichnis – Begriff 28 – Formalität 120 – Gesetzlichkeit 55 – innere 29 – Kausalität 58 – politische 56 – praktische Vernunft 62 – religiöse 72 – säkulare 72 – Sittlichkeit 62 – und Sittengesetz 45 Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit 101 Freiheit des Bekenntnisses 119 Freiheit des Glaubens 119 Freiheiten – religiöse 43 – religiöse Dritter 46 Freiheitliche demokratische Grundordnung 92 Freiheitsbegriff 52, 55, 58 Freiheitsrechte, religiöse 32 Frieden Gottes 75 Friedenspflicht 100 Friedensprinzip, bürgerliches 52 Fundamentalismus 77, 96 Gebet, Parole Allahs 84 Gegengrundrecht 62 Gegenseitigkeitsprinzip 44 Geistliches und Weltliches 75 Gemeinschaftsschule, christliche 65 Gemeinschaftsvorbehalt 98 Gemeinverträglichkeit 64 Gemeinwesen, säkulares 35 Gemeinwohl, offenes 95 Gerechtigkeit, zwei Arten 71 Gesetz, allgemeines 29 Gesetz aller Gesetze 44 Gesetz Gottes 67, 120 Gesetze – allgemeine 57 – Erkenntnis 29 – von Gott 42 Gesetzesbefolgungspflicht 36, 52 Gesetzesvorbehalt 49, 53 – grundrechtsimmanenter 57 – qualifizierter 56 Gesetzesvorrang 54

135

Gesetzgeberschaft aller Bürger 80 Gesetzgebung 43 Gesetzlichkeit 29 Gesetzlichkeitsprinzip 33 Gewaltakte 99 Gewaltenteilung 94, 108 Gewaltverbot 100 Gewissensfreiheit, negative 64 Gewissensfreyheit 21, 44 Glauben 23 f., 49 – protestantisch 71 Glaubensbekenntnis 21, 26 Glaubensfreiheit 16, 44 – negative 55 Gleichberechtigung 101 – Frauen und Männer 103 Gleichheit 28 Gleichheit in der Freiheit 44 Gnade 71 Gott 27 – Gesetzgeber 107 – nicht theoretisierbar 44 – Souverän 107 Gottes Gebot, höchste Verbindlichkeit 96 Gottes Wort 27, 43 Gottesgesetz 67 Gottesherrschaft 77, 89, 106, 110, 121 Gottesstaat 83 Grenze, grundrechtsimmanente 50 Grundordnung – freiheitliche demokratische 46, 69, 92, 120 – Kampf gegen 48 Grundrechte – Dritter 49 – vorbehaltlose 19 Grundrechtskollision 62 Grundrechtsmißbrauch 98 Grundrechtsschranke 33 Habermas, Jürgen 38 Handeln, alles politisch 68 Handlungen – Außenwirkung 38 – freie 62 – kämpferisch-aggressive 92 Handlungsfreiheit – allgemeine 115, 123

136

Stichwortverzeichnis

– religiöse allgemeine 18, 20 – Schranken 57 Haus des Islam 87 Haus des Krieges 78, 83, 87 Haus des Vertrages 78, 83, 87 Hausgottesdienst 21 Herrschaft – Allahs 121 – Gottes 82 – theokratische 69 Herrschaftsordnung 105 Heterogenität 45 Hochverrat 95 Homogenität, aufklärerische 40 Homogenitätsprinzip 40 Hudud 85, 102 Ideologie – politische 76 – totalitäre 96 Indoktrination, religiöse 61 Integrationspolitik, europäische Interessen, besondere 45 Islam 23 – Apostasie 84 – politische Religion 75, 119 – politischer 66 – Rechtssystem 120 Islam als Religion 27 Islam-Konferenzen 119 Islamisierung Europas 77 Islamismus 87, 119 Ius reformandi 18 Jenseits 26 Jenseits und Diesseits Jesus Christus 71 Jüngstes Gericht 67

94

71

Kairoer Deklaration für Menschenrechte 85 Kalifat 109 Kalifatstaat 96 Kant 24 Kategorischer Imperativ 29, 68, 120 – säkularisiertes Liebesprinzip 44 Katholizismus 72 Kirche, keine der Muslime 114 Kirche und Staat 71

Kirchen, Imperativ des Guten 68 Knecht Gottes 81. Königsherrschaft Jesu Christi 74 Konkordanz, praktische 50, 54, 62 Konvergenztheorie 25 Kooperation, positive 35 Kooperationsprinzip 44 Kopftuch 61, 122 Kopftuchentscheidung 16 Koran 121 Körperschaft öffentlichen Rechts 114 Kreuzestod Jesu Christi 71 Krüger, Herbert 55, 72 Kruzifix 61 Kultur, Rechtsbegriff 111 Kulturadäquanzformel 19 Kulturkampf 72 Kulturpolitik 111 – nationale 112 Kulturstaat, Deutschland 111 Kulturvorbehalt 112 Kultusverhinderungsgewährleistung 61 Küng, Hans 44 Laizismus 42 Leben – ewiges 27 – nach dem Tode 67 Lehramt, unfehlbares 72 Lehre 26 Leitentscheidungen – grundrechtliche 63 – politische 56 Leitprinzip, verfassungsrechtliches Lex aurea 44 Liebesprinzip 29, 44 Logik, ethische 39 Luther, Martin 67, 71

54

Macht, der Mehrheit 33 Matyssek, Ulf 87 Mehrheitsprinzip 29, 39, 43 – freiheitswidrig 121 Mehrparteienprinzip 94 Meinen 24 Meinungsäußerung 25 Meinungsäußerungsfreiheit 25, 104, 122 Meinungsfreiheit 108

Stichwortverzeichnis Menschenrechte 28, 94 – Gottesgabe und Gottesgnade 86 – Moderner Staat 87 – Vorbehalt der Scharia 102 Menschenwürde 17 Menschheit des Menschen 28, 50 Minarette 88, 113, 121 Minderheitsschutz 121 Mißbrauch der Grundrechte 93 Mißbrauchsgrenze von Freiheiten 97 Moderner Staat 44, 52 Möllers, Christoph 96 Moralismus 30 – Christentum 68 Moralität 40 – bürgerliche 41, 120 – Selbstzwang 30 – Verinnerlichung des Rechtsprinzips 71 Moscheen 113, 121 Muezzin 89 Multikulturalismus 40, 77, 113 Muslime 23 Nächstenliebe, Dienste 68 Nationalstaaten 77 Neminem laedere 58 Neutralität 37 Neutralitätsprinzip 37, 43, 112 – laizistisches 64 Nicht-Identifikation 52 – religiöse 44 Nicht-Identifikation des Staates 37 Nichtmuslime 81 Notstand, innerer 93 Obrigkeit 71 Öffentlichkeitsanspruch 74 Opposition 94, 108 Ordnung, verfassungsmäßige 116 Papst und Kaiser 71 Parität der Kirchen 37 Parität im Religionspluralismus Parteien 109 Parteienfreiheit 46 Parteienstaat 29, 69 Parteiverbot 92

46, 48, 92,

43

137

Parteiverbotsverfahren, Opportunitätsprinzip 101 Pastoralkonstitution 74 Political correctness 30 Politik 26 – ausübende Rechtslehre 43 – religiöse 92 Politik und Religion 34 Polygamie 98, 105 Poscher, Ralf 47 Praktische Vernunft 120 Praxis 25 Pressefreiheit 122 Preußisches Allgemeines Landrecht 18 Prinzip, demokratisches 30 Privatheit 31, 62 – alleinbestimmt 38 – für Religionsausübung 56 – Pflicht zur Sittlichkeit 62 – Recht zur freien Willkür 62 Privatheitsprinzip 32, 68 Privilegien 31 Privilegierung 36, 38, 47 Privilegierungsverbot 51 Propaganda 95 Prozession, Straßenverkehr 35 Re-Islamisierung 78 – fundamentalistische 82 Re-Politisierung des Islam 77 Re-Sakralisierung der Politik 77 Recht – Gegenstand 43 – Gesetzlichkeit 33 – und Zwang 49 – zur freien Willkür 41 Recht auf Recht 101 Rechtlichkeit 31 Rechtsgelehrte 80 Rechtsprechung, Rechtsklärung 43 Rechtsprinzip 29, 31, 41, 120 – freiheitliches 123 – Gesetzlichkeit 43 Rechtsschulen 83 Rechtsstaat 30 Rede, freie 96 Reformation 44, 72 Regierungsgewalt 81

138

Stichwortverzeichnis

Reich Christi 67 Religion – Ausübungsformen 27 – christliche 23 – höchste Verbindlichkeit 43, 67 – kein Zwang 102 – politische Irrelevanz 40 Religion oder Weltanschauung 13 Religion und Politik 40, 45, 75, 87 – Einheit 87 – Säkularisierung 87 Religion und Staat, Einheit 87 Religionen, politische, Vereinsrecht 114 Religionsausübung 9, 19, 22, 33, 54, 57, 113, 115, 117, 120, 122 – Gesetzlichkeit 52 Religionsausübung, ungestörte 15 Religionsausübungsfreiheit 12 – Gesetzlichkeit 59 Religionsfreiheit 15, 50, 66 – Dogmatik 31, 51 – negative 60, 113 – Schranken 16, 49 Religionsfreiheiten 114 – Materie 54 Religionsgemeinschaft, Körperschaft öffentlichen Rechts 99 Religionsgesellschaft 47 Religionsgrundrechte, Drittwirkung 63 Religionshoheit des Landesherrn 18 Religionspluralismus 9, 17, 38, 41, 43, 52, 70, 120 Republik 30, 42, 45, 121 – Gemeinwesen der Bürger 101 Republik Türkei 79 Richtigkeit 25 Ruf des Muezzin 121 Sakralbauten 88, 113 Säkularisation 119 Säkularisierung 73 – des Islam 89 Säkularismus – Gottlosigkeit 76 – Verwestlichung 76 Säkularität 80 – äußere und innere 47 – des Staates 101

– Moderner Staat 71 Säulen des Glaubens, fünf 84 Scharia 40, 79, 119, 121 – Vorbehalt 85 Schranken – der Religionsfreiheit 49 – Gesetzlichkeit 50 – grundrechtsimmanente 96 – verfassungsimmanente 49 Schrankenleihe 58 Schrankenregelungen 25 Schriftreligion 66, 102 Schulen 64 Schutzbürger 103 Schutzpflichten 63 Scientology-Church 118 Sein und Sollen 25 Selbständigkeit 30 Selbstverständnis 18 – religiöses 45 Selbstverständnisprinzip 88 Selbstzwang 40 Selbstzweckhaftigkeit 40 Shura 106 Sittengesetz 29, 58, 100, 120 Sittlichkeit 29 – alleinbestimmt 45 – bürgerliche 120 – Pflicht 39 Sozialprinzip 43, 56 Spiritualität 44 Sportunterricht, koedukativer 65 Staat – aufklärerischer 52 – Begriff 32 – Herrschaftssystem 31 – islamischer 80 – säkularer 22 – Zweck 32 Staat und Gesellschaft 101 Staat und Kirche 34 – Trennung 73 Staat und Religion 52 Staaten, islamische 107 Staatlichkeit des Staates 52 Staatsgesetze, allgemeine 51 Staatskirche 73 Staatsoberhaupt 108

Stichwortverzeichnis Staatsprinzip 51 Staatsvorrang 34, 53 Status – bürgerlicher 51 – staatsbürgerlicher 51 status negativus 62 Steinbach, Udo 78 Störungen Dritter 63 Strafen, religiöse 85 Strukturprinzipien 116 Subsidiaritätsprinzip 68 Symbole, christliche 65 Territorialstaaten 72 Texte, religionsfreiheitliche 11 Theokratie 69 Theorie 25 Tibi, Bassam 77, 88 Todesstrafe 85 Toleranz 21, 32, 41, 62 Toleranzprinzip 56, 65, 111 – pluralistisches 43 Totalitätsanspruch 75 Tradition 78 Traditionen des Propheten 83 Türkei, kemalistische 79 Tyrannei 30 Umma 36, 82, 86, 89, 119 Unabänderlichkeitsklausel 94 Unsterblichkeit der Seele 27 Unterlassungsansprüche 62 Verbote des Art. 9 Abs. 2 GG, ordre public 47 Vereine – muslimische 114 – religiöse 47 Vereinigungen – religiöse 46, 114 – von Muslimen 48 Vereinigungsfreiheit 115, 122 – negative Tatbestandsmerkmale 116 Vereinigungsstätten der Muslime 89 Vereinigungsverbot 115 Vereinsverbot 92 Vereinsvermögen 118 Verfassung im eigentlichen Sinne 101

139

Verfassungsfeinde 93 Verfassungsloyalität 115 Verfassungstreue 99 Vergebung der Sünden 71 Verkündigung des Evangeliums 74 Vernunft, praktische 29, 39 Vernunftprinzip 29 Vertretung des ganzen Volkes 29 Verwaltung, Gesetzesvollzug 43 Verwestlichung 76 Verwirkung 92, 123 – von Grundrechten 69 Volkssouveränität 94 Vorbehaltlosigkeit des Religionsgrundrechts 36 Vorrang – des Staates 33 – des Staatlichen 47 – des Weltlichen 49 Vorwand 17 Wahrheit 25 – doppelte 26 – Theorie der Wirklichkeit 44 Wechselwirkungslehre 56 Weltkirche 72 Weltlich und geistlich 69 Weltperson 74 Weltrechtsprinzip 58 Weltreligion 9 Weltstaat 30 Wertordnung 49 Wettbewerb, wirtschaftlicher 32 Widerstand 123 Widerstandsrecht 93 Wille des Volkes, vereinigter 29 Wille guter, zum Recht 68 Wille zur Verfassung 99 Willkür – Recht zur 28 – Recht zur freien 28 Wissen 24 Wissenschaft 26 Wohlwollensgebot 57 Würde des Menschen 28, 35 Zivilgesellschaft 39 Zwang zur Gesetzlichkeit

43

140 Zwangskirchentum 72 Zwangsvorbehalt, staatlicher Zwei-Reiche-Lehre 67, 71 Zwei Welten 67

Stichwortverzeichnis

85

Zwei-Welten-Lehre 25, 33, 45, 51, 69, 101 Zweite Welt 19, 27, 43, 47, 113 Zweites Vatikanisches Konzil 16, 67, 74 Zwölfter Imam 77