179 14 65MB
German Pages 359 [360] Year 1998
Reihe Germanistische Linguistik
203
Herausgegeben von Helmut Henne, Horst Sitta und Herbert Ernst Wiegand
Hiroyuki Takada
Grammatik und Sprachwirklichkeit von 1640-1700 Zur Rolle deutscher Grammatiker im schriftsprachlichen Ausgleichsprozeß
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998
für Harumi und Shogo
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Takada, Hiroyuki: Grammatik und Sprachwirklichkeit von 1640-1700 : zur Rolle deutscher Grammatiker im schriftsprachlichen Ausgleichsprozeß / Hiroyuki Takada. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Reihe Germanistische Linguistik ; 203) ISBN 3-484-31203-3
ISSN 0344-6778
D84 Fachbereich für Philosophie, Wirtschafts- und Sozial Wissenschaften, 1997 © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nadele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
Hinweise zur Gestalt der historischen Texte Vorwort
XI XIII
I.Einleitung 1.1. Sprachpatriotismus und -legitimation im 17. Jahrhundert 1.1.1. Notwendigkeit der Sprachkunst 1.1.2. Lobreden von der deutschen Hauptsprache 1.2. Fragestellung und Methode 1.2.1. Forschungslage und Fragestellung 1.2.2. Arbeitsverfahren
l l l 6 13 13 16
2. 2.1. 2.1.1. 2.1.2. 2.1.2.1. 2.1.2.2. 2.2. 2.2.1. 2.2.1.1. 2.2.1.2. 2.2.2. 2.2.2.1. 2.2.2.2. 2.2.3. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.5.
Sprachbetrachtung: Schottelius und sein Umfeld Regel und Gewohnheit Sprachliche Autoritätsprinzipien im 16. Jahrhundert Analogistische Ansätze Gutachten über Gueintz: 1640 Wortstruktur als Sprachgrund: 1641 Grundrichtigkeit und Sprachgebrauch Primat der Grundrichtigkeit Terminologisch-begriffliche Ergänzung: 1643-50 Stellungnahme als Analogist: 1651 Befugnis des Sprachgebrauchs Ausbau der Terminologie und Formulierung: 1663 Grundrichtigkeit und Sprachgebrauch als Normkriterien: 1663/76 Entwicklungslinie der Schotteischen Sprachauffassung Das „restituierte" Hochteutsch Verbreitung der Schotteischen Auffassung Grundrichtigkeit der Wortstruktur Überregionalität des Hochdeutschen Luther und die Grammatiker
20 20 20 22 22 24 29 29 29 32 35 35 36 40 44 49 49 54 56
3. 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.2. 3.2. l. 3.2.1.1.
Rechtschreibung: Vorschrift und Praxis 60 Entwicklung der orthographischen Prinzipien 60 Orientierung am Gebrauch: 1641/42 60 Rechtschreibung in der Diskussion: 1643-50 61 Konsequente Reform: Die 50er Jahre 68 Gemäßigte Regelung: Die 60er bis 90er Jahre 70 Entwicklung einzelner Regeln 75 Phonologische, morphologische und graphiegeschichtliche Regeln ... 75 Vokalzeichen 75
VI
3.2.1.1.1. 3.2.1.1.2. 3.2.1.1.3. 3.2.1.1.4. 3.2.1.1.5. 3.2.1.1.6. 3.2.1.2. 3.2.1.2.1. 3.2.1.2.2. 3.2.1.2.3. 3.2.1.2.4. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.2.1. 3.3.2.2. 3.3.2.3. 3.3.2.4. 3.3.3. 3.3.4. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.2.1. 3.4.2.2. 3.4.2.3. 3.4.3. 3.4.3.1. 3.4.3.2. 3.4.3.3. 3.4.4. 3.5.
und, ihn statt vnd, jhn Frau, Heu statt Fr aw, Hew bej, bei statt bey Hände statt Hende Gläubiger statt Gleubiger mier, mihr statt mir; dj, di stet die Konsonantenzeichen auf, aus statt auff, auß um, kommt statt umb, kompt slagen statt schlagen göttlich, soll statt götlich, sol Semantische Regeln: Heterographie Syntaktische Regeln: Großschreibung der Substantive Übersicht über die Entwicklung der Vorschriften Praxis der orthographischen Reform Offizielle Reformpraxis in Wolfenbüttel unter Herzog August Praxis des Braunschweiger Druckers Zilliger Schottelius-Drucke Bucholtz-Drucke Zilligersche „Hausorthographie" Überprüfung der These von William Mohr Praxis der Lüneburger Drucker Stern Reformpraxis an Druckorten in Übersicht Orthographische Änderungen bei Neuauflagen Lutherbibel im Überblick Änderungen der Vokalzeichen und, ihn statt vnd, jhn Frau, Heu statt Fraw, Hew Hände statt Hende Änderungen der Konsonantenzeichen um, kom[m]t statt umb, kompt auf, aus statt auff, auß sammle, sollt statt samle, solt Überprüfung der These von Hans Eggers Fazit
75 76 77 78 79 80 83 83 84 84 86 89 91 95 95 96 99 99 101 103 104 105 107 119 119 120 120 123 124 126 126 127 130 133 135
4. 4.1. 4.1.1. 4.1.1.1. 4.1.1.2. 4.1.1.3. 4.1.2. 4.1.2.1. 4.1.2.1.1. 4.1.2.1.2. 4.1.2.1.3.
Wortforschung'. Vorschrift und Praxis Wortbildung Wortreichtum (copia verborum) Notwendigkeit der wortbildnerischen Mittel Ein „vollständiges" Wörterbuch Wortbildnerische Befugnisse der Grammatiker Komposition , Zweigliedrigkeit des Kompositums Grund\ma Beyfügig Fugenzeichen Wider die Satznamen: Störenfried usw
137 137 137 137 139 143 144 144 144 145 146
VII
4.1.2.2. 4.1.3. 4.1.3.1. 4.1.3.2. 4.1.3.2.1. 4.1.3.2.2. 4.1.3.3. 4.1.4. 4.1.4.1. 4.1.4.2. 4.1.5. 4.1.5.1. 4.1.5.2. 4.1.5.3. 4.2. 4.2.1. 4.2.1.1. 4.2.1.2. 4.2.1.3 4.2.2. 4.2.3. 4.2.3.1. 4.2.3.2. 4.2.3.2.1. 4.2.3.2.2. 4.2.3.2.3. 4.2.3.2.4. 4.2.3.3. 4.2.4. 4.2.4.1. 4.2.4.2. 4.2.4.3. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.3.1. 4.3.3.2. 4.3.3.3. 4.3.3.4. 4.3.3.5. 4.3.3.6. 4.3.4. 4.3.4.1. 4.3.4.2. 4.3.4.3. 4.3.4.4.
Schriftliche Gestalt des Kompositums Derivation Kriterien der Hauptendung Hauptendung-lieh Unterscheidung von -lieh und -ig -lieh als Derivationsendung des Adverbs Präfixoide und Suffixoide Präfixbildung Die vierte wortanalytische Kategorie: Vorwort Vorwort: Regeln der Zusammensetzung Änderungen in der Wortbildung bei Neuauflagen Schreibung der Komposita mit und ohne Bindestrich Unterscheidung von Hauptendungen Unterscheidung von ohn- und unDeklination Einsilbigkeit der zufälligen Endung Paragoge Apokope Synkope Einsilbigkeitsprinzip als Stein des Anstoßes Explizite Kasus- und Numerus-Markierung Bestimmter Artikel im Plural: derer, denen Polyflexion des attributiven Adjektivs Flektierte und unflektierte Form der guter Mann, das gutes Ding die gute Leute gutes Weins Pluralformen Bürgere und Himmele Änderungen in der Deklination bei Neuauflagen Apokope Synkope Wechsel von der Poly- zur Monoflexion Konjugation Imperativ als Stammwort des Verbs Regelmäßige und unregelmäßige Konjugation Vorschriften zur Konjugation Schwaches Verb Präteritum des starken Verbs Präteritum des Verbums substantivum Tolerante Haltung gegenüber der Synkope Doppelformen Enklise Änderungen in der Konjugation bei Neuauflagen Apokope Synkope Enklise Exkurs: Revision der Lutherbibel durch Herzog August
148 150 150 153 153 154 155 157 157 160 163 164 166 168 168 168 168 169 171 175 179 179 181 181 183 186 188 191 195 195 198 200 201 201 204 205 205 207 208 209 210 211 212 212 214 216 216
VIII
4.4.
Fazit
5. 5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.4. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.2.1. 5.3.2.2. 5.3.2.2.1. 5.3.2.2.2. 5.3.2.2.3. 5.3.2.3. 5.3.3.
217
Wortfügung: Vorschrift und Praxis Adjektiv- und Partizipialattribut Definition der Wortfügung Voranstellung des attributiven Adjektivs Nominalrahmen: Vorangestelltes erweitertes Attribut Partizip Futur Passiv Satzrahmen Satzrahmen im Hauptsatz Satzrahmen im Nebensatz: Endstellung des Finitums Mehrgliedriger Verbalkomplex Zweigliedriger Verbalkomplex Drei- und viergliedriger Verbalkomplex in seiner Entwicklung Gegenstand und Methode der Untersuchung Historische Aspekte der Stellung der Glieder Finitum im dreigliedrigen Komplex im Nebensatz Infinitive im viergliedrigen Komplex Infinitive im dreigliedrigen Komplex Regional-dialektale Aspekte der Stellung der Glieder Drei- und viergliedriger Verbalkomplex im Lichte der Grammatiker 5.3.3.1. Komplexer Perfektausdruck: Typ l 5.3.3.1.1. Doppelte Perfektform Aktiv 5.3.3.1.2. Perfekt Passiv 5.3.3.1.3. Doppelte Perfektform Passiv 5.3.3.2. Komplexer Futurausdruck: Typ 2 (und Typ 5) 5.3.3.3. Komplex mit finitem Modalverb: Typ 3 und Typ 6 5.3.3.4. Komplex mit Ersatzinfmitiv: Typ 4 5.3.4. Änderungen der Syntax bei Neuauflagen 5.4. Fazit
251 251 251 252 254 256 259 260 261 262
6. 6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.2. 6.2.1. 6.2.2. 6.2.2.1. 6.2.2.1.1. 6.2.2.1.2. 6.2.2.2. 6.2.2.2.1. 6.2.2.2.2.
264 264 264 265 267 270 270 271 271 271 272 275 275 276
Revisionen von Grimmeishausens «Simplicissimus» Revidierte Stellung des Finitums im Verbalkomplex Editionsgeschichte des «Simplicissimus» Stellung des Finitums in der Originalausgabe (1668/69) Eingriffe durch den Korrektor von 1669 Die Grammatiker und die Textbearbeitung von 1669 Koschligs These von Gueintz als sprachlichem Vorbild Vergleich der Korrekturpraxis mit grammatischen Vorschriften Übereinstimmung mit Gueintz Entsprechung nur bei Gueintz Entsprechung auch bei anderen Grammatikern Teilweise Entsprechung bei Gueintz Teilweise Entsprechung auch bei anderen Volle Entsprechung bei anderen
219 219 219 220 222 225 228 228 231 233 233 235 235 238 238 243 245 246
IX 6.2.2.3. 6.2.2.3.1. 6.2.2.3.2. 6.2.2.4. 6.2.2.4.1. 6.2.2.4.2. 6.2.2.5. 6.3. 6.3.1. 6.3.1.1. 6.3.1.2. 6.3.2. 6.3.2.1. 6.3.2.2. 6.3.2.3. 6.3.2.4. 6.3.3.
Keine Entscheidung bei Gueintz Keine volle Entsprechung bei anderen Entscheidung bei anderen Abweichung von Gueintz Abweichung auch von anderen Entsprechung bei anderen Nicht ein einziges Vorbild Sprachliche Änderungen im «Simplicissimus» von 1668-1713 Korrektur der Rechtschreibung Eigentümlichkeiten der Ausgabe von 1669 „Verbesserungen" in den Ausgaben nach 1669 Korrektur der Wort-, Formenbildung und Syntax Wortbildung Deklination Konjugation Syntax Charakterisierung der Korrekturpraxis von 1669 und nach 1669
278 278 279 280 280 280 281 282 283 283 284 286 286 287 291 293 294
7.
Ergebnisse
296
8. 8.1. 8.1.1. 8.1.2.
8.2.
Literaturverzeichnis Quellen Theoretische Texte Korpustexte A. Korpus l B. Lutherbibel C.Korpus 2 D. Korpus 3 E. Zusätzliche Korpustexte Sekundärliteratur
300 300 300 304 304 310 312 316 318 320
9.
Register
339
Hinweise zur Gestalt der historischen Texte
In der vorliegenden Arbeit werden die historischen Texte folgendermaßen zitiert: 1. Die Umlautzeichen 4 4 " werden mit ä, ö, ü wiedergegeben. 2. Die Virgel ( / ) wird beibehalten. 3. Die Wortbeispiele in Zitaten werden kursiv wiedergegeben. 4. Abkürzungszeichen werden aufgelöst. 5. Die S p e r r u n g e n in Zitaten stammen, soweit nicht anders angegeben, vom Verfasser der vorliegenden Arbeit. 6. Die Kommentare in eckigen Klammern [
] stammen vom Verfasser.
Vorwort
An das „fruchtbringende" Oberseminar Zur Sprache des 17. Jahrhunderts, das Herr Prof. Dr. Helmut Henne im Sommersemester 1984 in Braunschweig veranstaltet hat, erinnere ich mich gem in dem Moment, da das Manuskript der vorliegenden Arbeit mich verläßt. Als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) bot sich mir die Gelegenheit, in dem Seminar ein Referat über Analogie und Sprachgebrauch bei J. G. Schottelius zu halten. Der Vortrag fand Anerkennung und wurde im darauf folgenden Jahr in überarbeiteter Form in der „Zeitschrift für germanistische Linguistik" veröffentlicht. Dies nährte die Hoffnung, daß es mir als japanischem Germanisten vielleicht doch möglich sei, später ein Buch zur Geschichte der deutschen Grammatik zu verfassen. Als ich dann 1991 vom DAAD wieder nach Braunschweig eingeladen wurde, habe ich in Absprache mit Prof. Henne begonnen, mich mit dem Thema Grammatik und Sprachwirklichkeit im 17. Jahrhundert zu beschäftigen. Die Durchführung dieses Vorhabens wurde gefördert durch Forschungszuschüsse des Japanischen Kultusministeriums (Monbusho Kagakukenkyuhi Hojokiri) für 1993/94 sowie 1995/97, durch ein Forschungsstipendium der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel für 1993 und ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung für 1996/97. Im Sommersemester 1997 schließlich wurde die Arbeit abgeschlossen. Leicht überarbeitet wird sie hier publiziert. Für Hinweise und Kritik sowie für fortwährende Unterstützung danke ich im besonderen Herrn Prof. Dr. Helmut Henne. Danken möchte ich diesem wie auch Herrn Prof. Dr. Dieter Cherubim (Göttingen) für gutachterliche Stellungnahmen und den Braunschweiger Kollegen, Herrn Dr. Herbert Blume und Herrn Dr. Jörg Kilian, die das Manuskript gelesen und wertvolle Verbesserungsvorschläge gemacht haben. Frau Dr. Gillian Bepler, Frau Dr. Maria Munding und Herrn Dr. Dieter Merzbacher an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel danke ich für ihre Hilfe bei der Quellenbeschaffung und zudem für vielfältige und konstruktive Hinweise. Mein herzlicher Dank gilt Frau Arnhild Henne, Frau Dr. Angelika Burkhardt und Herrn Prof. Dr. Armin Burkhardt, die mich menschlich unterstützt und ermuntert, ja mir einen familiären Hintergrund geschaffen haben. Ein besonderes Dankeschön geht auch an Herrn Prof. Dr. Yoshihiko Nishimoto (Kyoto), der mich stets mit wegweisender Kritik begleitet hat. Des weiteren möchte ich den Herausgebern der RGL für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe danken. Der innigste Dank gebührt meiner Frau Harumi Takada und meinem Sohn Shogo Takada, denen dieses Buch gewidmet ist. Ohne ihr Verständnis, ihre Hilfe und ihre Geduld hätte meine Arbeit sich nie vollenden können.
Osaka, im Frühling 1998
H.T.
1. Einleitung
Im Rahmen der historischen Erforschung der deutschen Sprache ist es heute unbestritten, daß die neuhochdeutsche Schriftsprache nicht geradlinig aus einem bestimmten herrschenden Dialekt entstanden ist, sondern sich durch fortlaufende A u s g l e i c h s p r o z e s s e ausgebildet hat.' An diesem Vorgang der Normierung bzw. Selektion aus unterschiedlichen Sprachvarianten waren vielfaltige Faktoren beteiligt, wie z.B. der zunehmende Schriftverkehr („Verschriftlichung des Lebens" ), die Erfindung und Verbreitung der Buchdruckkunst, das Ansehen der Sprache Luthers, der Ruhm von bestimmten kulturellen Zentren und der Ausbau des Schulwesens. Was für eine Rolle die G r a m m a t i k e r des 17. Jahrhunderts - also gerade in der Übergangsperiode vom Frühneuhochdeutschen zum Neuhochdeutschen - in den sprachlichen Ausgleichsprozessen gespielt haben, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit: Wir beschäftigen uns deshalb mit der „Geschichte des Fnhd. [und Nhd.] unter dem Aspekt der Sprachkritik und Sprachnormenkritik." Bevor wir die bisherige Forschungslage und Fragestellung erörtern, wollen wir zunächst die sprachliche Situation in Deutschland in den Blick nehmen.
1.1. Sprachpatriotismus und -legitimation im 17. Jahrhundert
1.1.1. Notwendigkeit der Sprachkunst Im Italien des beginnenden 14. Jahrhunderts hatte die „lebendige" Muttersprache begonnen, sich von der absoluten Herrschaft des „toten" Lateinischen zu lösen. Dante Alighieri behauptete und begründete in seiner Schrift «De vulgari eloquentia» (nach 1305) theoretisch die Vortrefflichkeit der „edlen" Muttersprache. Seitdem erfuhr die Muttersprache auch in anderen europäischen Ländern allmählich hohe Wertschätzung. Im ausgehenden 15. Jahrhundert „entdeckte" man 1 2
4
Vgl. vor allem Besch 1967 und Besch 1979. Erben 1989, S. 8. Mit Bergmann (1982) soll in der vorliegenden Arbeit unter Grammatikern „die Verfasser normativer Darstellungen der Grammatik und der Orthographie" (Bergmann 1982, S. 267) verstanden werden. Auch eine Reihe von Poetikern, die sich in ihren Schriften über sprachliche Normen äußerten, werden hier deshalb als Grammatiker begriffen. Zum Einfluß der Poetiken auf die Entwicklung der deutschen Schriftsprache vgl. Henne 1966 und Schletter 1985. Henne 1974, S. 92.
endlich auch in der „vulgären" Sprache die Grammatik: Die «Grammatica de la lengua castellana» von Antonio de Nebrija erschien 1492 in Spanien als erste muttersprachliche Grammatik. Humanisten bemühten sich um historischwissenschaftliche Erfassung der „neueren" Sprachen, während sie auch die Erforschung der „heiligen" Sprachen, Hebräisch, Griechisch und Lateinisch vorantrieben. Als Johannes Gutenberg 1455 die 42zeilige Bibel druckte, kümmerten sich gebildete Deutsche „lieber und intensiver um fremde Sprachen als um ihre eigene."6 Nachdem aber die s p r a c h p a t r i o t i s c h e Strömung deutschen Boden erreicht hatte, änderte sich die Bewertung der Muttersprache auch in Deutschland. Der Begriff „Deutschland" selbst nämlich setzte im 16. und 17. Jahrhundert in erster Linie die sprachliche Zusammengehörigkeit der Deutschen voraus. Über die Muttersprache erhielten die Deutschen einen wesentlichen Teil ihrer Identität. Die Muttersprache sollte deshalb als die beste den Vorrang vor anderen Sprachen haben. Zu diesem Zweck schrieben die d e u t s c h e n H u mo a n i s t e n der „aufgestiegenen" deutschen Sprache rühmliche Eigenschaften zu. Johann Reuchlin (1455-1522) wies auf Parallelen des Deutschen mit dem Hebräischen als Ursprache der Menschen hin. Anfang des 16. Jahrhunderts behauptete der „oberrheinische Revolutionär" sogar, die deutsche Sprache sei die Ursprache der n Menschen überhaupt. Als historische Quellen zog man außer der Heiligen Schrift die Überlieferungen aus der Antike heran, vor allem die - in der Mitte des 15. Jahrhunderts wiedergefundene - Schrift «Germania» von Tacitus. Konrad Celtis (1459-1508) vertrat die Meinung, die „Druiden", die in Gallien wohnten und Griechisch lehrten, seien nach Deutschland gekommen und hätten die Verwandtschaft der Deutschen mit den Griechen begründet. Im Anschluß daran fugte Johann Aventinus (1477-1539) der Nähe des Deutschen zum Hebräischen noch die enge Verwandtschaft des Deutschen mit dem Griechischen hinzu. Aventinus wies außerdem den Deutschen einen biblischen Ahnherrn Ascenas, einen Urenkel Noahs, zu und „heiligte" damit die deutsche Herkunft. Weil für Aventinus die ganze Urgeschichte Europas in „Germania" stattgefunden hatte, seien alle europäischen Sprachen „irgendwie deutsch."12 Die Bibelübersetzung13 von Martin 5 6 7 8 9
10 11
12
Vgl. Arens 1969, S. 63. Wells 1990, S. 192. Vgl. Engels 1983, S. 13. Vgl. Henne 1968a, S. 89, Henne 1966, S. 23f., Daube 1939 und Daube 1942. Vgl. Borst 1960, S. 1051; vgl. auch Engels 1983, S. 17. Den Gedanken des „Germanischen" als Ursprache der Menschen verbreitete der Antwerper Joannes Goropius Becanus mit seiner Abhandlung «Origines Antwerpianae» (1569) weit in das germanische Sprachgebiet. Goropius Becanus wird z.B. bei Schottelius (1641, S. 35f., S. 57f.) und Zesen (1643, S. 12f.) zitiert. Vgl. Engels 1983, S. 21. Vgl. Engels 1983, S. 15 u. S.22; auch Ising 1959, Teil I, S. VIII.; Borst 1960, S. 1058f.; Bach 1970, S. 329. Engels 1983, S. 23.
Luther (1483-1546) habe dann die Fähigkeit des Deutschen zum Ausdruck der Worte Gottes aufgezeigt und damit die gleichrangige Stellung der Muttersprache mit den drei heiligen Sprachen nachgewiesen. Damit wurde die deutsche Sprache „doppelt geheiligt."14 Das Deutsche, das nunmehr als den drei heiligen Sprachen gleichrangig galt und über den Sprachen der „Romania" stand, verdiente eine grammatische Darstellung, auch um dem nationalen Stolz zu genügen. Nicht lange brauchte man bei der grammatischen Behandlung des Deutschen im Dunkeln zu tappen, weil man sich ohne weiteres nach dem Lateinischen als „Vorbild für eine Sprachkultivierung"15 richten konnte. Im «Exercitium puerorum grammaticale» (1485)16 war schon geschildert worden, wie oft bei der Übersetzung des Lateinischen ins Deutsche andere grammatische Elemente hinzugefugt werden müssen: z.B. Artikel 17 1 ft (equus currit —» ein pferd lofft ), Partikeln (est obstitricem —> ist zu ruffen ) und eine Reihe von Hilfsverben (ego vocaui -+ich hob gerufen; ego vocabor —» ich sol \Q berufen -werden ). Die Paraphrasen bewiesen, daß das Deutsche mit Hilfe dieser „signa vulgaria seu teutonicalia", wie sie in diesem «Exercitium» genannt sind, lateinische grammatische Kategorien wiedergeben kann und deshalb durchaus g r a m m a t i s c h b e s c h r e i b b a r ist. Die Notwendigkeit einer deutschen Grammatik zur Kultivierung der deutschen Sprache forderte Fabian Frangk ausdrücklich in der Vorrede seiner «Orthographia Deutsch» (1531): „Wiewols on schaden/ ja meins bedunckens/ hoch von nöten/ weer/ Das ein ganntze Grammatica hierinn beschrieben würd/ wie in Krichischer/ Lateinischer vnd anndern sprachen gescheen/ Denn so wir ansehen den emssigen vleis/ so die Latiner allein/ in jrer zungen furgewandt/ vnd vnnsern vnfleiss/ bey der vnnsern/ dagegen stellen/ solten wir billich schamrot werden/ das wir so gantz ablessig vnd sewmig sein/ Vnnser edle sprach so vnwehrt vnd verächtlich halten." (Frangk 1531, Bl. A2r) Die Grammatiker Laurentius Albertus (1573), Albertus Ölinger (1573) und Johannes Clajus (1578), die ein halbes Jahrhundert später deutsche Grammatiken mit bezug auf Orthographie, Prosodie, Etymologie (d.h. Formenlehre) und Syntax
14 15
17 18 19
Das Neue Testament im Jahr 1522; die vollständige Bibel erst 1534. Engels 1983, S. 30. Cherubim 1995, S. 127. «Exercitium puerorum grammaticale per dietas distributum», abgedruckt in: Müller 1882, S. 17-42. Müller 1882, S. 19. Müller 1882, S. 28. Müller 1882, S. 23, S. 30. Auch Ickelsamer äußert in der «Teutschen Grammatica» (um 1535) Ähnliches: „[...] kündt man doch dise sprach so wol regulieren als die Hebräisch/ Ghriechisch [sie!] oder Lateinisch sein/ Ja billich ist es allen Teutschen ain schand vnd spott/ das sy anderer sprachen maister wollen sein/ vnd haben jre aigne an geborne muter sprach noch nye gelernet oder verstanden" (abgedruckt in: Müller 1882, S. 131).
„selbstverständlich noch in Latein als der internationalen Wissenschaftssprache"21 verfaßten, wandten grammatische Begriffe der lateinischen Sprache auf das Deutsche an, indem sie ihren Beschreibungen vor allem die lateinische Grammatik von Philipp Melanchthon (1525) zugrunde legten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts legte dann Wolfgang Ratichius (1571-1635) dem Reichstag zu Frankfurt am Main ein «Memorial» (1612) vor, in dem er empfahl, in den Schulen zuerst das Deutsche als Grundlage anderer Fremdsprachen und aller „Künste und Facultäten" zu lehren: „Nu ist der Rechte gebrauch vnd lauff der Natur, das die Liebe Jugent, zum Ersten, Jhr angeborne Muttersprache [...] schreiben vnd sprechen lerne, damit sie Jhre Lehrer 22 Jn Ändern Sprachen künfftig desto beßer verstehen vnd begreiffen können." Nach dem Willen des Reformpädagogen Ratichius sollte die Grammatik im Kleid der Muttersprache den Schülern vielen Einzelsprachen gemeinsame grammatische Kategorien bzw. allgemeine Grammatik vermitteln, damit sie anschließend leichter Fremdsprachen erlernen können. Eine deutsche Grammatik in diesem Sinne verfaßte 1618 Johannes Kromayer: «Deutsche Grammatica/ Zum newen Methodo/ der Jugend zum besten/ Zugerichtet». Trotz dieser Bemühungen herrschte damals noch allgemein die Geringschätzung der deutschen Muttersprache, wogegen Martin Opitz (1597-1639) sich 1617 in seinem «Aristarchus sive de Contemptu Linguae Teutonicae» wendet: „Sie dum effrenata quadam cupidine peregrinum idioma addiscimus, negligimus nostrum ac in contemptum adducimus. [...] Contemnimus itaque nos ipsi, & contemnimur. [...] Mulla ferme periodus est, nulla interpunctio, quae non ascititium quid redoleat. Jam a Latinis, jam Gallis, Hispanis etiam ac Italis mutuamur, qoud domi nascitur longe elegantius."23 (Opitz 1617, Bl. B3r-B4r) Allen Willen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) zum Trotz beschäftigten sich Gelehrte und Adlige als Mitglieder der „Sprachgesellschaften", vor allem der 1617 nach dem Vorbild der italienischen „Accademia della Crusca" in Weimar gegründeten „Fruchtbringenden Gesellschaft", mit der Pflege der deutschen Sprache. Die Sprachgesellschaften hielten das Interesse an der deutschen Sprache wach und schufen zudem ein Forum, auf dem theoretische und praktische Probleme der deutschen Sprache fruchtbar diskutiert wurden. Sie regten überdies zur Veröffent-
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Cherubim 1995, S. 127. «Memorial», abgedruckt in: Ising 1959, Teil I, S. 102. Die Übersetzung von Witkowski (1888) lautet: „Indem wir so mit ungezügelter Gier eine fremde Sprache erlernen, vernachlässigen wir die unsrige und machen sie verächtlich. [...] So verachten wir uns selbst und werden verachtet. [...] Es giebt beinahe keinen Abschnitt, keinen einzelnen Satz, an welchem nicht eine fremde Zuthat zu spüren ist. Jetzt entlehnen wir von den Römern, jetzt von den Franzosen, und sogar von den Spaniern und Italienern, was unser heimischer Boden viel trefflicher hervorbringt." (Witkowski 1888, S. 108f).
lichung der Schriften ihrer Mitglieder an.24 Im Interesse der Entwicklung einer an der antiken „ars poetica" zu orientierenden deutschen Literatur forderte Opitz im «Buch von der Deutschen Poeterey» (1624) eine h o c h deutsche Schriftsprache25, die im „v e r t i k a l organisierten, von oben nach unten geschichteten Übereinander"26 von Varietäten die oberste Position einnehmen sollte. Die einflußreichen Literaten fing an, „die Normen und Formen der westeuropäischen Kultursprachen und der neulateinischen Literatursprache als beispielhaft für die deutschsprachige Poesie anzusehen." Das Hochdeutsche sollte nunmehr als Statussymbol dienen, d.h. als „Kunstsprache", deren Gebrauch einen Verfasser vom „gemeinen Pöbel" unterschied, zugleich sollte es die vier Kriterien der antiken Rhetorik, „puritas", 7R „perspicuitas", „oranatus" und „decorum", erfüllen , wobei eine sichere n o r m g e b e n d e „ars grammatica" vorausgesetzt wurde. Die deutsche Grammatik in diesem Sinne, d.h. die Grammatik nicht (mehr) zur Laienbildung, sondern zur wissenschaftlichen Identifizierung des Deutschen als „Kunstsprache", fand sich in der «Teutschen Sprachkunst» (1641) von Schottelius, dem „größten deutschen 29 Grammatiker des 17. Jahrhunderts" : „Dieweil aber die grundmessige Kündigkeit einiger Sprache nicht zu erlangen ist/ es sey denn solche Sprache in eine F o r m der K u n s t gesetzet; Unsere Teutsche Sprache aber von vielen also angesehen worden/ als ob sie keine richtige Gründe/ noch gewißmessige eingeschlossene Hauptheilungen [sie!]/ nach Art einer S p r a c h k u n s t / in sich hielte/ und deßwegen als etwas rauhes fast unbegriffen geblieben: als ist/ zu schuldigem Ruhme und nötiger Rettung dieser vollkommenen Hauptsprache/ solcher unnützer Zweiffei in diesem Buche guten theils verhoffentlich auffgehoben worden." (Schottelius 1641, Bl. ):(4vf.) Die Abfassung einer deutschen „ars grammatica" gehörte also auch zur Ehrenrettung des Deutschen. In „diesen so wütenden/ so hochgefährlichen/ so drin24
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Nach der Gründung der „Fruchtbringenden Gesellschaft" wurden im 17. Jahrhundert folgende Gesellschaften ins Leben gerufen: Die „Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen" 1633 in Straßburg (Jesaias von Rompier), die „Teutschgesinnte Genossenschaft" 1642 in Hamburg (Philipp von Zesen), der „Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz" 1644 in Nürnberg (Georg Philipp Harsdörffer) und der „Elbschwanenorden" 1656/58 in Hamburg bzw. Lübeck (Johann Rist). Zu den Sprachgesellschaften vgl. Barthold (l848), Schultz(1888), Otto (l972), Stoll (1973). „Damit wir aber reine reden mögen/ sollen wir vns befleissen deme welches wir Hochdeutsch nennen besten Vermögens nach zue kommen/ vnd nicht derer örter spräche/ wo falsch geredet wird/ in vnsere schrifften vermischen" (Opitz 1624, 6. Kap., 1. ). Reichmann 1988, S. 175. Hennel968a, S. 83. Vgl. Haas 1980, S. 52, S. 57f; Härle 1996, S. 7-11, S. 141; Dyck 1969. Raumer 1870, S. 72; vgl. auch Ising 1960, S. 373; Eggers 1975, S. 199. Die Ratichianer Helwig/Jungius (1613) hatten das Vorbild der Sprach k u n s t bei den Griechen und Lateinern gesucht: „Die [= die Griechen und die Römer] haben freylich jr eigene muttersprach n it allein nach dem gebrauch/ sondern auch n a c h
genden und zwingenden Zeiten und Kriegsläufften" (Schottelius 1641 Bl. )( 5V), worin ,jhrer eigenen Sprache und jhrer selbst von jhnen [= von den Deutschen] selbst fast vergessen worden" (ibid., Bl. ):( 2V) ist, verfaßt Schottelius, patriotisch motiviert, eine deutsche Grammatik: „Die frömdgierigkeit scheinet durch ein hartes verhengniß sonderlich den Teutschen gar tieff angeboren zu seyn. Die außländer halten die Teutschen (was jhre Sprache betrifft) für grobe brummende Leute/ die mit rösterigen Worten daher grummen/ und mit harten blinden geleute von sich knarren: ja/ man meynef die Teustche Sprache hette nur ein tausend Wörter in sich derer achthundert von Griechen/ Hebraeren und Lateineren erbettelt/ und ungefehr zweyhundert grobe Teutsche Wörter daselbst verbanden weren; und helt man diese Hauptsprache/ als die nicht künne verstanden/ noch von anderen erlernet werden." (Schottelius 1641, Bl.):(3 r f.) Diese Mißachtung der deutschen Sprache nähmen die Deutschen hin, die in ihrem Vaterland sind „und doch dessen Landsprache nicht recht" (Schottelius 1641, Bl. ):( 3V) verstehen. Die Griechen, die Lateiner, die Türken, die Engländer und die Franzosen hätten aber „hierinn auß natürlicher neigung [...] die außarbeitung und werthaltung jhrer Sprachen/ denen Waffen und Siegen nebengesetzet" (ibid., Bl.):( 3V).
1.1.2. Lobreden von der deutschen Hauptsprache Sprache und Kultur betrachtet Schottelius als eine Einheit. Der Sprachgelehrte behauptet in Übereinstimmung mit Theodor Bibliander (1548), die Sprache sei „ein Band und Werckzeug Menschlicher Einigkeit" (Schottelius 1641, S. 107).31 Er erkennt den engsten Zusammenhang zwischen dem Gedeihen der Kultur und der Ausbildung der Sprache: „Kirchen und Schulen/ Recht und Gerechtigkeit/ Krieg und Friede/ Handel und Wandel/ Thun und Lassen wird bey uns erhalten/ geführet und fortgepflantzet durch die Teutsche Sprache; Wir treten dadurch zu Gott und in den Himmel/ ja/ wir erhalten dadurch Leib und Seel." (Schottelius 1641, Bl. ):(4r) Jedem Volk stehe seine Sprache seinem Wesen nach zu. So sei „ein Teutsches Gemüt also genaturet/ daß es solche teutsche Wörter leichtlich vernehmen/ und Krafft derer/ die tausenterley Verenderungen des j irdischen Wesens in seine Bildung gar vernemlich bringen kan" (Schottelius 1641, S. 20). Hier weist Schottelius auf Einsichten von Wilhelm von Humboldt und Leo Weisgerber voraus. Jede Sprache hat ihre Eigentümlichkeit: Das Deutsche „erfodert gar andere Augen sich beschawen zu lassen/ als mit welchen man das Hebräische/ Grie-
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der K u n s t g e l e r n e t / vnd derselben grund/ richtigkeit vnd zierde durch die Grammaticam vnd Rhetoricam, S p r a c h = vnd R e d e k u n s t ersuchet" (Helwig/Jungius 1613,8.29). Vgl. Weisgerber 1959, S. 183. Vgl. Hankamer 1927, S. 130.
chische oder Lateinische durchsehen hat" (ibid., S. 98). Der Grammatiker wendet sich deshalb, überzeugt von den besonderen Eigenschaften des Deutschen, gegen dessen allgemeine Geringschätzung: „[...] daß alles und jedes/ was man für Eygenschafften und Kunststücke an jrgend einer Sprache erfoderen möchte/ und bißhero von den Gelahrten sind erfodert vnd gerühmet worden/ daß solche überall in unser Hauptsprache befindlich/ja nicht allein befindlich/ sonderen noch ein mehrers und sonderbares in vielen ist/ welches man in anderen Sprachen gar nicht gewust/ noch durch die Unmöglichkeit jhrer natürlichen Eigenschafft hat/ und wird wissen können. Dessen Beweißthum in dieser Sprachkunst vielfältig und nach der länge wird zu vernehmen seyn." (Schottelius 1641, S. 8) Die Sprache ist „eine Schatzkammer der Künsten und Wissenschafften" (Schottelius 1641, S. 107). Die deutsche „Kunstsprache" hat denn auch die Aufgabe, „den Weg zu anderen Künsten und Wissenschaften"33 zu ebnen.: „Aber wie gar wenig/ wie gar sparsam- und erbärmlich die Jugend in jhrer Muttersprache angewiesen [...] werde/ [...] berdarff gar keines sagens/ sonderen nur deß beklagens. Man vermag zu keiner Kunst/ Wissenschafft und Erfahrung zu gelangen/ es muß vermittelst der frömden Sprachen geschehen/ und wird also die beste Jugendzeit nur zu erlernung solcher Sprachen angewant." (Schottelius 1641, Bl. ):(4rf.) Um die Vortrefflichkeit und Wichtigkeit des Deutschen zu behaupten und zu „beweisen", um die deutsche Muttersprache aus dem Schatten anderer Kultursprachen herauszuheben, hielt man gern in damaligen literarischen Zeugnissen „Lobreden" der deutschen Sprache. Johannes Werner z.B. schildert im ersten Kapitel seiner «Manvdvctio Orthographica» (1629) „vom vrsprung der Teutschen Sprache" (Werner 1629, S. 19-23), wie die deutsche Sprache zu Babel entstanden und von „Tuisco, welchen Noe mit seinem Weibe Araza oder Araziae nach der Sündfluth geboren" (ibid., S. 20), nach Europa bzw. „Germania" (ibid., S. 18) gebracht worden sei. Mehr als ein Viertel der Grammatik von Schottelius (1641) bilden die neun „Lobreden Von der Uhralten Hauptsprache der Teutschen."34 Noch Ende des 17. Jahrhunderts erwähnte Johannes Bödiker in der Widmung seiner «Grund=Sätze Der Deutschen Sprachen im Reden und Schreiben» (1690) gern den göttlichen Ursprung des Deutschen: „Endlich hat auch GOtt der Deutschen ihre Sprache ausgebreitet. Denn da sie bald anfangs/ nach der ersten Welt=Theilung/ fast allen Europeern gemein gewesen; Ob zwar in einer groben Einfalt; und eine Urquelle der Griechischen und Lateinischen Sprache geworden: Ist sie darnach auß ihrer Wiegen und Kindheit endlich zur Jugend [...] sich allmälig zu einer ansehnlichen Zierde und zu einem übertrefflichen Vermögen/ sonderlich in diesem Jahrhundert/ angelassen. [...]: also stehet es den Gelahrten zu/ [...] die Deutsche Sprache zu fernerem Glantz und in eine Vollkommenheit zu bringen. [...] Sintemal es ist unsere Deutsche Sprache weit/ räumig/ tieff/ rein und
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Huber 1984, S. 287. Der erste Band dieser 655seitigen Grammatik besteht aus neun Lobreden auf 155 Seiten.
herrlich/ wortreich/ mächtig und prächtig/ voller Kunst/ Geheimniß und Vermögens." (Bödiker 1690, Bl. A4vf.) Im folgenden wollen wir anhand dieser „Lobreden" von Schottelius die Grundzüge von „Sprachlegitimation"35 und Sprachpatriotismus im 17. Jahrhundert darstellen. Den Deutschen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die eine Nationalliteratur zu schaffen versuchten, fiel es leicht, die Vortrefflichkeit der Muttersprache aufgrund der G e s c h i c h t e nachzuweisen. Schottelius berief sich, gemäß der Genesis, auf an den göttlichen Ursprung der menschlichen Sprache: „Also hat GOtt gleichfalls alle Natur durch die Kunst der Sprachen umbgrentzet/ja die Sprachen sind durch alle Geheimnissen der Natur gezogen: also daß/ wer der Sprachen recht kündig wird/ zugleich dadurch die Natur durchwanderen/ die Künsten jhm recht entdecken/ und die Wissenschafften offenbaren/ mit allen berühmten Leute/ so vormals gewesen/ und annoch seyn/ ja mit GOtt selbst reden/ und sich besprechen kan." (Schottelius 1641, S. 106) Nach der von Gott gegebenen Ursprache oder „Ertzsprache" hat Adam „alle dinge/ und zwar nach jhrer rechten Eigenschafft benähmet" (Schottelius 1641, S. 61). Ursprünglich drücke die Sprache das Wesen und die Natur des Dinges aus, sei also die Harmonie zwischen dem Wort und der Bedeutung (dem Namen und Ding) eine „allervollenkommeste" (ibid., S. 61). Schottelius vertritt also die physei-Lehre, bezogen auf den physei-thesei-iNa.tür-RTauch-^Oisput des griechischen Altertums. In der «Der Teutschen Sprache Einleitung» von 1643 betont Schottelius ausdrücklich: „Es ist eine alte Streifrage/ ob die [Wörter von] N a t u r o d e r C h u r / oder/ ob sie wilkührlich [oder] natürlich weren ihrem Uhrsprunge nach. Die meisten Philosophi haben geschloßen/ was die Grichsche und Lateinische Worten betrifft/ daß selbige nicht aus einer ungefehrlichen/ sonderen aus sonderbarer Krafft und tieffer Vemunfft einer Natur entstanden weren [...]/ und Plato hat gesagt/ daß selbiges geschehen were per potentiam aliquam quae humanam superat, durch ein übermenschliches Vermögen. Wir müßen auch ein solches gleichmeßig von unserer Muttersprache halten." (Schottelius 1643, S. 73)
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Zum Begriff der „Sprachlegitimation" vgl. Blume 1978a und Blume 1978b. Vgl. Dyck, S. 82f. Coseriu (1967) meint, es sei ein Ausdruck „mangelnder Kenntnisse über die Geschichte der Linguistik", die Arbitrarität des Zeichens von de Saussure herzuleiten. Dabei weist er daraufhin, daß im Schotteischen Werk von 1663 „zum erstenmal in den modernen Sprachen das Wort willkürlich in bezug auf das Wort gebraucht ist". Doch wurde es schon 1643 erwähnt (s.o.). In der zweiten Auflage der «Sprachkunst» (1651) nimmt er gleichfalls physei und thesei auf: „Quaeri enim solitum apud philosophos sint an . In earn rem multa argumenta dicit, cur videri possint verba esse naturalia magis quäm a r b i t r a r i a " (Schottelius 1651, S. 116; ebenso Schottelius 1663, S. 59)
Eigentlich bedeute der Name das Ding rein und natürlich, nicht nach menschlicher Verabredung. Diese „Ertzsprache" sei aber zu Babel von Gott verwirrt worden. Dabei sei sie nicht verschwunden, sondern das Hebräische repräsentiere ihren Zustand: „Die Hebräische Sprache [ist] die allerälteste/ und vor der Verwirrung 38 39 allein weltkündig gewesen" (Schottelius 1641, S. 57). Das „Teutsche" gehöre zu den zu Babel geborenen „Hauptsprachen."40 Ascenas41 habe es dann nach Europa gebracht, und so habe sie sich in viele europäische Länder ausgebreitet. Sodann identifiziert Schottelius das Deutsche mit der „Keltischen" Sprache (wobei der Begriff des „Keltischen" im 17. Jahrhundert nicht mit dem der modernen Sprachwissenschaft übereinstimmt): „Nach dem nun also einige allgemeine Sprache zertrennet/ und die Menschen über die gantze Welt her zerstrewet worden/ ist Ascenas/ als ein Oberhaußvater seines Geschlechts mit seinen gantzen Geschlechte durch klein Asien in Europen gezogen/ sich daselbst niedergelassen/ die Länder außgetheilet/ dieselbe gebawet/ allerhand Ordnungen gemacht/ und ist also ein Vater aller Celtischen Völcker geworden: [...] und dieser Ascenas (wie gesagt) ist ein Altvater der Teutschen/ hat mit sich die Teutsche Sprache von Babel gebracht/ dieselbe in obgedachten Länderen Europens/ durch seine Nachkommen außgebreitet." (Schottelius 1641, S. 62f.) Wegen dessen Entstehung in zu Babel ordnet Schottelius das Keltische oder das Deutsche als die Zweitälteste Sprache nach dem Hebräischen ein; dabei übersieht er mit „patriotischer Kritiklosigkeit" die Tatsache, daß auch die übrigen zu Babel entstandenen Hauptsprachen aus demselben Grunde die Zweitältesten heißen können: „da doch [...] alles bey jhnen [= den Griechen] new/ ja als ob es gestern oder heute entstanden sey/ in gegenbetracht des Alterthums der Hebreer: Dem denn das Celtische gleichständig ist" (Schottelius 1641, S. 68). Keine Spra38
Die These von Philipp Clüver (1580-1623) gegen das „ertzalterthum der Hebräischen Sprach" (Schottelius 1641, S. 57) hat bei Schottelius (1641) „einen gnugsamen k r ä f f t i g e n Schein" (Schottelius 1641, S. 57), bei Schottelius (1651) „einen gnugsamen Schein" (Schottelius 1651, 53); sie scheint schließlich bei Schottelius (1663) „vielen nicht ungültig" (Schottelius 1663, S. 30). Bödiker (1690) meint hierzu: „Die Deutsche Sprache ist in Europa die älteste. Entweder/ daß die Askanische oder Celtische Sprache die alte Paradis= und Welt=Sprache gewesen/ so daß die Hebräische und alle andere von ihr herkommen; wie Becanus/ Cluverius/ Stierhelm u.a.m. außgegeben. (Soweit aber will ich noch nicht gehen.) Oder das Sie doch mit der Hebräischen von einer verlohrnen Paradis=Sprache herstammet/ und also ihre Schwester" (Bödiker 1690, S. 154). 39 Die Bezeichnung „Teutsch" hat bei Schottelius zwei Bedeutungen: allgemein die germanische Sprachfamilie und im besonderen die deutsche Sprache. 40 Das Wort „Hauptsprache" bedeutet, daß die Sprache zu Babel entstanden ist. Aus den „Hauptsprachen" sind die anderen „Sekundärsprachen" geboren, wie aus dem Lateinischen die italienische und französische Sprache. Vgl. dazu: Daube 1942, S. 29; Fricke 1942, S. 116; Bach 1970, S. 329. 4l Die Identifizierung von Ascenas als Urvater der Deutschen kommt von Johann Aventinus: vgl. dazu oben 1.1.1. 42 Borst 1960, S. 1144.
10 ehe sei daher außer dem Hebräischen natürlicher und ursprünglicher als das Deutsche, dessen Anfang „nicht ohn Göttliche Mitthülffe" (ibid., S. 84) ist: Im Deutschen hat „sich Gott [...] so kräfftiglich geoffenbaret, daß wir jhm nicht genugsam dafür zu dancken" (ibid., S. 30) haben und „so viel der Sprachen gründliche Bezeichung [= Bezeichnung] und Außbildung der Sachen belanget", hat „die Natur darzu auffs allereigentlichste das Teutsche verordnet" (ibid., S. 20f.). „Unter einem jeden Teutschen Buchstabe [...] ist eine tieffe Geheimniß" (ibid., S. 84), „etwas Göttliches" (ibid., S. 39), verborgen. Also drücken die deutschen Laute und Wörter eigentlich und wesentlich die Dinge aus: Die Stammwörter sind „eines eintzigen dinges einlautende anzeigungen" (ibid., S. 88). Außer dem A l t e r rühmt der Grammatiker noch die R e i n h e i t seiner Muttersprache. Nur das uralte große Deutschland ist „von frömder Macht gäntzlich unbezwungen und von frömden Sprachen unverworren geblieben" (ibid., S. 152f.). Die lexikalischen Ähnlichkeiten des Deutschen mit anderen europäischen Sprachen erklärt der Theoretiker dadurch, daß „alle Europeische Sprachen viele Würtzelen/ Wörter/ saffV Krafft und Geist aus dieser reinen uhralten Hauptsprache der Teutschen" (ibid., S. 153) erbettelt haben. Mit dieser Argumentation wendet sich Schottelius gegen die bisherige Bevorzugung des Griechischen und Lateinischen: „Wievol man sich bißhero sehr bemühet/ fast alles und jedes auß der Griechischen und Lateinischen Sprache abzuleiten und daheraus zu beweisen/ nicht anders als ob die Allgemeinheit der dinge eintzig und allein daselbst gegründet were: So soll dennoch nunmehr im gegentheil die Teutsche Sprache durch Zustimmung der Hebräischen/ den Griechen und Lateinern selbst vorleuchten/ und jhnen [...] jhren verborgenen Uhrsprung und Ankunfft entdecken." (Schottelius 1641, S. 38) Die Deutschen, deren Geschichte so mit Ruhm und Reinheit geziert ist, sollen die „gegenwärtige" sprachliche Ausländerei zurückdrängen. Die N a t ü r l i c h k e i t der Stammwörter begründet Schottelius mit den Prinzipien der „Klangmalerei" (oder Klangnachahmung) und „Lautsymbolik." Als klangmalende Wörter, d.h. „sprachliche Bildungen, deren Klang einen bestimmten K l a n g des Draußen wiedergibt" , fuhrt Schottelius die Verben der Tierstimmen an: „Laßet uns aber hierbei auch unser Teutsches in betracht nehmen/ und besinnen/ mit was kräftiger kurtzer Ausrede und lieblichem Geschalle/ nach geheiß der innersten Eigenschafft die Teutsche Sprache sich hören leßet/ als der Lew Brüllet/ der Ochse 43
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Zum Begriff des „Stammwortes" vgl. näher unten 2.2. l. Opitz hatte im «Aristarchus» (1617) Ahnliches bemerkt: „Earn tarn genorosam, tarn nobilem ac patriam suam spirantem linguam, per ita prolixam tot seculorum seriem, p u r a m nobis & ab o m n i e x t e r n a i l l u v i e m u n d a m tradiderunt" (Opitz 1617. 1. ). Vgl. Kayser 1962, S. 173 und S. 182f. Kayser 1976, S. 101.
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Bölcketl der Beer Brummet/ das Schaaf bleecket [...]/ der Sperling silcket und zircketl etc." (Schottelius 1643,8.81) Durch Onomatopöie wie plump, Coax/ Coax, mum/ mum (Schottelius 1641, S. 645) geformte Bildungen heißen bei Schottelius „Lautwörter": „Gleich wie die Teutschen Wörter auffs eigentlichste die Eigenschafft jhrer Dinge außdeuten [...]; also ist auch diese sonderbare Art in Teutscher Sprache gemein/ daß man den Tohn etwa eines falles/ Schlages/ Schusses/ Sprunges/ stosses/ stimme/ oder eines jeden anderen thuns mit einem zustimmenden L a u t w o r t e außrede." (Schottelius 1641, S. 645) Im Sinne der lautsymbolischen Bildungen, die „eine Bewegung, einen visuellen oder einen anderen E i n d r u c k des Draußen darstellen" , gibt Schottelius folgende Beispiele: „£> trennet Pantzerringe/ Er schrotet Helm und Schild mit seinem scharffen Schwert/ [...]. Hie siehet man/ wie gleichsam durch die liebliche härte deß Buchstaben R der Pantzer in der Rede zertrennet/ und durch die folge deß zischenden 5 der Blitz und Glantz deß Schwertes herzu schneide. Mit rauher Stimm' erbittert Sprache halten. Op. Psal. 2. Wer höret allhie nicht ein erzörnetes Gemüth sprechen/ durch die bewegliche härte der rr und tf?" (Schottelius 1641, S. 91 f.) Im folgenden Zitat führt Schottelius als Beweis der Natürlichkeit der Wörter sowohl die (von uns unterstrichenen) klangmalenden als auch die (kursiv geschriebenen) lautsymbolischen Bildungen an: „Wasser fliessenl gesäusel/ sanft! stille/ etc. [...]. Was kan das Geräusch des Fliessenden Wassers wesentlicher abbilden? [...]. Donner! brausen/ krachen/ Blitz/ etc. [...] was bricht mächtiger zu uns herein als das Donneren und krachen und brausen? Was fleucht mit einer mehr erschrekkenden Schnelligkeit dahin/ als der BlitzT'' (Schottelius 1663,8.59) Auch die Einsilbigkeit der Stammwörter begründet die Natürlichkeit des Deut49 sehen. Die Einsilbigkeit wird mit den ontogenetischen und phylogenetischen Argumenten begründet, daß die Kinder „in formirung der lallenden Zungen erstlich einsilbige Wörter hervorbringen lernen" (Schottelius 1641, S. 88) und daß man „einem anderen etwas sage/ gebiete/ von jhm fodere/ jhn bitte und zwar auffs kürtzeste/ mit einem Thone oder Laute" (ibid., S. 413). Nur die Deutschen könnten „durch behülff der Lippen/ Zungen/ Zähnen und Kehle unendlich viele einsilbige Wörter" (ibid., S. 88) aussprechen; im Deutschen sollen die Konso47
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In seine Stammwortliste nahm Schottelius in der «Ausführlichen Arbeit» (1663) eine Anzahl von Lautwörtern auf: „In Teutscher Sprache sind auch viele Lautwörter/ die nach einem Laute oder Thon gebildet werden/ [...] dieselbe sind auch mit eingebracht und erkläret" (Schottelius 1663, S. 1275). Zur Analyse dieser Lautwörter vgl. Neuhaus 1991, S. 167-180. Kayser 1976, S. 102. Z.B. bedeute / das Kleine, a das Große; vgl. Kayser 1962, S. 169. Vgl. Gützlaff 1989b, S. 70.
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nanten, Vokale und Diphthonge „so wol vorn/ mitten/ als hinten" stehen, also kann „eine grosse Menge einsilbiger Wörter" (ibid., S. 94) entstehen. Was den R e i c h t u m der deutschen Sprache anlangt, ist Schottelius stolz auf die große Zahl der Stammwörter. Vor Schottelius hatte der Niederländer Simon Stevin (1586) für das „Teutsche" (Niederländische) 2170 Stammwörter50, für das Lateinische 163 und für das Griechische 265 festgestellt.51 Schottelius kennt diese Zahlen (vgl. Schottelius 1641, S. 88). Die Zahl der deutschen Stammwörter erstrecke sich „auff etzliche Tausend" und steht „gewißlich keiner Sprache" (ibid., S. 93) nach. Schottelius selbst sammelt ungefähr 5000 Stammwörter (Schottelius 1663, S. 1277-1450). Im Hinblick auf die Wortbildung erwähnt Schottelius die Anzahl von Komposita, Derivata und Präfixbildungen (vgl. unten 4.1.1.): Was die Zahl der zusammengesetzten Wörter betrifft, könne „nimmermehr [...] auß einiger anderen Sprache ein gleiches/ zu geschweigen ein mehrers oder besserers hervorgebracht und überwiesen werden" (Schottelius 1641, S. 135f.). Das Griechische vermöge in der Komposition „das meiste und komt unserer Sprache am nechsten" (Schottelius 1643, S. 99). „Anderen Sprachen gantz=ungemein" (Schottelius 1641, S. 96) sei die Ableitung der Wörter. Die Menge der Präfixe ist auch „eine zimliche" und ihre „Wirckung und Krafft überreich/ und fast unvergleichlich" (Schottelius 1641, S. 483). Wie stark die bisher geschilderte Sprachauffassung noch die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts bestimmt, läßt sich z.B. aus der folgenden Darstellung von Samuel Butschky (1645), Andreas Tscherning (1659) und Daniel Georg Morhof (l 682) ableiten: „Vom alter/ ist/ unter ändern/ bey dem Schottel/ in der dritten Loob=rede/ der Uhr=alt=deutschen Haupt=Spraache/ zu lesen [...] daß die deutsche/ Ascenas (dessen Vater Gomer/ und Groß=Vater Jafet gewesen) mit sich von Babel bracht; und selbige in die Länder Europens/ durch seine Nachkommen/ außgebreitet." (Butschky 1645, S. 24f.) „diß were unser so majestätischen/ u h r a l t e n / a l l e r w o r t r e i c h s t e n und gantz v o l l k o m m e n e n Sprache vile zu nah gethan/ wann man derer ankunfft von frömbden allererst/ auf solche weise/ erbetteln wolte/ die doch in ihren gründen ihr eigen ist [...]. Wir sagen vielmehr/ daß viel C e 11 i s c h e Wörter zu den grienen/ und von ihnen folgends zu den Lateinern kommen sein/ wie solches bezeuget H. S c h o t t e l in der 3. lobrede der Sprachkunst/ p. 68. 69." (Tscherning 1659, S. 12f.) „Der Nachdruck/ die sonderliche Fähigkeit in Zusammensetzung der Wörter/ und andere Beschaffenheiten derselben/ werden gantz weitläufttig von dem Herrn Schottel in seinen Lobreden vorgestellet/ daß es eine überflüßige Sache were hievon ein mehres zu erwehnen." (Morhof 1682, S. 458)
Die Titel des l. Teils des Daniel Morhofschen Werks «Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie» (1682) übernehmen in systematischer Weise Themen aus Schottelius' Werk:
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Weil das Deutsche und das Niederländische gleichen Ursprungs waren, konnte man die Feststellung von Stevin auf das Deutsche anwenden. Vgl. Weisgerber 1949, S. 96.; Kayser 1962, S. 172.
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„I. Theil. Von der Teutschen Sprache/ Das 1. Cap. Von der V o r t r e f f l i c h k e i t und dem A l t e r t h u m der Teutschen Sprache. Das 2. Cap. Daß die Teutsche Sprache ä l t e r als die Griechische und Lateinische. Das 3. Cap. Daß viel Griechische und Lateinische Wörter von den alten Teutschen oderScythischen h e r k o m m e n . Das 4. Cap. Von den Gründen der Ableitung in Wörtern/ und zwar von dem ersten: daß eine einfältige grobe Sprache der künstlichen den Anfang gegeben. Das 5.Cap. Von dem ändern Grunde der Ableitung: daß vielsylbige Wörter von E i n s y l b i g e n müssen gezogen werden. Das 6. Cap. Von dem dritten Grunde der Ableitung: der Veränderung der Buchstaben. Das 7. Cap. G l e i c h h e i t der Griechischen und Lateinischen Wörter mit den Teutschen/ wird mit dem Exempel der Benennungen erwiesen/ die von dem Menschen und dessen Theilen genommen." (Morhof 1682, S. Iff.)
1.2. Fragestellung und Methode
1.2.1. Forschungslage und Fragestellung Über die Bedeutung der deutschen Grammatiker vom 16. bis 18. Jahrhundert für die Normierung der Sprache werden - wie Bergmann (1982) feststellt52 - in sprachgeschichtlichen Darstellungen k o n t r o v e r s e Ansichten vertreten. Während einige Forscher formulieren, daß die Grammatiker normierend und vereinheitlichend auf den Sprachgebrauch wirkten, vertreten andere die Meinung, daß die Grammatiker „auf die schriftsprachliche Entwicklung in frnhd. Zeit so gut wie keinen Einfluß" ausübten. Bei diesen widersprüchlichen Äußerungen handelt es sich aber zumeist um pauschale Bemerkungen, die konkreter empirischer Nachweise ermangeln. Wie Schmidt-Wilpert (1985) bemerkt, ist „über die Art und den Umfang" der Rolle der Grammatiker „im sprachgeschichtlichen Kräftespiel wenig bekannt." Im Anschluß daran stellt v. Polenz (1994) fest: „Noch nicht genügend geklärt ist die tatsächliche Wirkung von Grammatikern und Orthographielehrern auf die Sprachentwicklung." Die Beziehung von l e x i k o l o g i s c h e r Theorie zur Realität der Schriften der Poetiker in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat Henne (1966) aufgezeigt; Blume (1967) hat dargestellt, inwieweit Z e s e n s 52 53 54 55
Vgl. Bergmann 1982, S. 278-280. Moser 1929, S. 3. Schmidt-Wilpert 1985, S. 1557. v. Polenz 1994, S. 168. Auch Erben (1970) bemerkt: „Leider fehlen darüber noch gründliche Untersuchungen" (Erben 1970, S. 399).
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Praxis der W o r t n e u b i l d u n g dem Sprachsystem im 17. Jahrhundert gerecht wird. Den Einfluß eines O r t h o g r a p h i e l e h r e r s auf die Sprachpraxis der ersten Hälfte des 18. J a h r h u n d e r t s , und zwar den des Hieronymus Freyer (1722) auf die orthographischen Änderungen der Cannstadter Bibel von 1738, hat Heinle (1982) überzeugend nachgewiesen. Konopka (1996) hat Aussagen von Grammatikern, die sich auf syntaktische Aspekte beziehen, mit dem Sprachgebrauch im 18. Jahrhundert verglichen und „eine räumliche und zeitliche Parallelität zwischen Sprachreflexion und Sprachgebrauch"56 festgestellt. Als konkrete Hinweise zum Zusammenhang von g r a m m a t i s c h e r Theorie und Sprachgebrauch im 17. J a h r h u n d e r t haben wir bis heute im wesentlichen nur folgende verstreute Feststellungen: I.Mohr (l 966): „Even his [= Schottelius'] own printers paid little attention to his rules. [...] they were more attuned to popular usage" : Die feststellbaren orthographischen Korrespondenzen zwischen der Vorschrift des Grammatikers und der Druckpraxis „are, however, primarily examples of where usage affected the grammarian's rules."58 2. Eggers (1977): Die Modernität der Orthographie in Abraham a Sancta Claras «Geflügelter Mercurius» (Wien 1701) gegenüber Gryphius (Breslau 1657) und Grimmelshausen (Nürnberg 1668) „dürfte auf Stielers Einfluß zurückgehen, dessen Wörterbuch und [grammatische] Lehrsätze 1691 erschienen waren." 59 3. Schmidt-Wilpert (1985): Die Grammatiker Gueintz (1641) und Schottelius (1663) plädierten nicht für die generelle Substantivgroßschreibung, obwohl diese Schreibung in den damaligen Druck- und Schreibgewohnheiten weitgehend verbreitet war; in diesem Punkt seien die beiden Grammatiker „ h i n t e r der Sprachwirklichkeit zurück" geblieben. 4. Walen (l990): Was die Pronominalflexion angeht, führen die Grammatiker „in der Regel nur Formen an, die im 16. und 17. Jahrhundert auch im Gebrauch sind." Hier bestehe „- trotz einiger Eigenheiten bei den Theoretikern - eine signifikante Differenz zwischen Norm und Usus im Frühneuhochdeutschen nicht."
56 57 58 59 60 61 62
Konopka 1996, S. 234. Mohr 1966, S. 212. Mohr 1966, S. 211. Eggers 1977, S. 27. Schmidt-Wilpert 1985, S. 1560. Walch 1990, S. 86. Walch 1990, S. 88.
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5. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera(1993): Der vollständige Rahmen im Hauptsatz sei „längst die herrschende Variante, als die deutschen Grammatiker ihn erwähnten und empfahlen." Die Regeln zur Verbendstellung im Nebensatz gaben die Grammatiker erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts an, und erhoben „somit zur Norm, was längst als nahezu absolute schreibsprachliche Regel gegolten hat."64 6. Koschlig(1939): Die sprachliche Überarbeitung von Grimmelshausens «Simplicissimus Teutsch» im Jahr 1669 habe sich „an den Regeln von Gueintz" orientiert und „im Wortstand und in der Morphologie und in der Syntax" normalisiert. Hartweg/Wegera (1989) äußern mit Recht skeptisch: „Solange keine breiten und tiefgehenden Untersuchungen über die Wirkung [...] vorliegen, läßt sich nur schwerlich eine kausale Relation zwischen Grammatikern und Sprachentwicklung konstruieren." Dabei ist mit Bergmann (1982) und Henne (1968a) durchaus anzunehmen, daß die Vorschriften der Grammatiker sich „ihrerseits bereits mehr oder weniger am Gebrauch orientierten" und zugleich „einem - mehr oder wefo niger - fiktiven Ideal" anhingen. Bei den Aufgaben der damaligen Grammatiker handelt es sich auf jeden Fall um „Deskription und Normierung." Wir wollen deshalb „Grammatik u n d Sprachwirklichkeit" unter den folgenden - sich mehr oder weniger überschneidenden - drei Teilaspekten betrachten: £f\
1. Nach welchen Prinzipien und/oder mit welchen Begründungen „filtern" die Grammatiker die Sprachwirklichkeit zur Aufstellung ihrer Regeln? 2. Laufen die grammatischen Kodifizierungen parallel mit dem herrschenden Sprachgebrauch oder laufen sie ihm hinterher oder voraus? Anders formuliert: Stehen die Vorschriften der Grammatiker zeitlich hinter, vor oder in der Sprachwirklichkeit? 3. Kann man von einem Einfluß der Vorschriften der Grammatiker auf die individuell-lokale wie auch überindividuell-allgemeine Sprachpraxis sprechen? Zu diesen Teilaspekten bemerkt v. Polenz (1994) zusammenfassend: „Im allgemeinen haben die Grammatiker und Lexikographen den in sozial einflußreichen, gebildeten Kreisen und Institutionen üblichen Schreibgebrauch n u r
63 64 65 66 67 68 69
Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993, S. 436. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993, S. 435. Schmidt-Wilpert 1985, S. 1558. Hartweg/Wegera 1989, S. 60f. Bergmann 1982,8.279. Henne 1968a, S. 86. Hennel968a,S. 86.
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n a c h t r ä g l i c h kodifiziert, nach bestimmten Sprachbewertungsprinzipien systematisiert und begründet und damit zu dessen Verbreitung beigetragen." Diese Feststellung muß noch in unserer Arbeit überprüft werden.
1.2.2. Arbeitsverfahren Das Jahr 1 6 4 0 halten wir in der vorliegenden Arbeit für bedeutsam, weil nach 1640 innerhalb der „Fruchtbringenden Gesellschaft" eine wissenschaftliche Diskussion der Mitglieder (mittels Briefwechsels) über die Sprachnorm beginnt. Die folgenden Grammatiken, Orthographielehren und Poetiken nach 1640 sollen deshalb in Betracht gezogen werden71, um einen Überblick über die Entwicklung der Theorie zu gewinnen: Zesen (1640): Deutscher Helicon. Wittenberg. 1. Aufl. Gueintz(1641): Deutscher Sprachlehre Entwurf. Köthen. Schottelius (1641): Teutsche Sprachkunst. 1. Aufl. Braunschweig. Zesen (1641): Deutscher Helicon. 2. Aufl. Wittenberg. Bellin (1642): Teutsche Orthographie. o.O. Hager (1642): Formular Teütscher Missiven Oder Sände=Schreiben. 5. Aufl. Hamburg. Harsdörffer (1643): Gesprachspjele [sie!], 3. Theil. Nürnberg. Zesen (1643): Hooch=Deutsche Spraach=übung. Hamburg. Schottelius (1643): Der Teutschen Sprache Einleitung. Lüneburg. Harsdörffer (1644): Schutzschrift für Die Teutsche Spracharbeit und Derselben Beflissene. Nürnberg. Gueintz(1645): Die Deutsche Rechtschreibung. Halle. Butschky (1645): Perfertischer [sie!] Muusen Schlüssel Zur Schreibrichtigkeit der Hooch=deutschen Haupt=Spraache. Leipzig. Harsdörffer (1646): Specimen Philologiae Germanicae. Nürnberg. Harsdörffer (1647): Poetischer Trichter. 1. Teil, 1. Aufl. Nürnberg. Zesen (1649): Deutscher Helikon. 3. Aufl. Girbert (1650): Teutsche Orthographi. Mühlhausen. Harsdörffer (1650): Poetischer Trichter. 1. Teil, 2. Aufl. Nürnberg. Zesen (1651): Rosen=mänd. Hamburg. Schottelius (1651): Teutsche Sprachkunst. 2. Aufl. Braunschweig. Girbert (1653): Die Deutsche Grammatica oder Sprachkunst. Mühlhausen in Thüringen. Zesen (1656): Hoch=Deutscher Helikon. 4. Aufl. Jena. Bellin (1657): Hochdeudsche [sie!] Rechtschreibung. Lübeck. 70
v. Polenz 1994, S. 136f. Zu den genauen bibliographischen Angaben vgl. 8.1.1.: „Theoretische Texte" in unserem Literaturverzeichnis.
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Hanmann (1658): Anmerckungen In die Teutsche Prosodie. 2. Aufl. Frankfurt am Main. Tscherning (1659): Unvorgreiffliches Bedencken über etliche mißbrauche in der deutschen Schreib= und Sprach=Kunst. Lübeck. Beilin (1660): Syntaxis Praepositionum Teutonicarum. Lübeck. Buchner (1663): Kurzer Weg=Weiser zur Deutschen Tichtkunst. Jena, [geschrieben vor 1638] Schottelius (1663): Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache. Braunschweig. Zesen (1668): Hochdeutsche Helikonische Hechel. Hamburg. Pölmann (1671): Neuer hoochdeutscher Donat, zum Grund gelegt der neuen hoochdeutschen Grammatik. Berlin. Pudor (1672): Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit Und Zierlichkeit. Köln an der Spree. Schottelius (1676): Manuductio ad Orthographiam & Etymologiam. Braunschweig. Morhof (1682): Unterricht Von der Teutschen Sprache und Poesie. Kiel. Prasch (1687): Neue, kurtz= und deutliche Sprachkunst. Regensburg. Bödiker (1690): Grund=Sätze Der Deutschen Sprachen [sie!]. Köln an der Spree. Stieler (1691): Kurze Lehrschrift Von der Hochteutschen Sprachkunst. Nürnberg. Außerdem bewerten wir aufgrund der Briefsammlungen von Beilin (1647) und Krause (1855) die Äußerungen der Mitglieder der „Fruchtbringenden Gesellschaft" und „Deutschgesinnten Genossenschaft." Zum genaueren Verständnis der geschichtlichen Entwicklung der Grammatikographie sollen auch die folgenden theoretischen Werke vor 1640 bei Bedarf in Betracht gezogen werden: Albertus (1573): Teutsch Grammatick oder Sprach=Kunst. Ölinger (1573): Vnderricht der Hoch Teutschen Spraach. Clajus (1578): Grammatica Germanicae Lingvae. Ritter (1616): Grammatica Germanica Nova. Marburg Kromayer 1618): Deutsche Grammatica, Zum newen Methodo. Weimar. Brücker (1620): Teutsche Grammatic. Frankfurt. Schöpf (1625): Institvtiones in linguam Germanicam. Mainz. Werner (1629): Manvdvctio Orthographica Ad Lingvam Germanico-Latinam. Altenburg. Olearius (1630): Deutsche Sprachkunst. Halle. Wir stimmen zwar der Forderung von Schmidt-Wilpert (1985) zu, daß es „nur vor dem Hintergrund des Sprachgebrauchs einer Zeit" erkennbar ist, „ob in Grammatiken zugrunde gelegte Prinzipien und die Fixierungen im Detail real vorfindliche Ausgleichsbestrebungen in ihrer Tendenz aufgreifen und festschreiben." Den gesamten Sprachgebrauch von 1640 bis 1700 können wir in der vorliegenden Arbeit allerdings nicht berücksichtigen. Wir wollen uns deshalb auf „das Auf-
73
Zu den genauen bibliographischen Informationen vgl. 8.1.1.: „Theoretische Texte." Schmidt-Wilpert 1985, S. 1562.
18 kommen und die Verbreitung überregionaler gedruckter Normen" für den literarischen und gebildeten Gebrauch konzentrieren, und zwar vor allem auf die real durchgerührte g r a m m a t i s c h e K o r r e k t u r i n d e r D r u c k p r a x i s . Unter der Voraussetzung, daß die Praxis der professionell mit der Sprache beschäftigten Literaten die sprachliche Wirklichkeit und deren Entwicklung reflektiert , wollen wir die Ausgaben folgender Lutherbibeln vergleichen: Lutherbibel in Wittenberg: Wust (l626 [Seifisch], 1664, 1677, 1682, 1689, 1702), Nürnberg: Endter(1629, 1649, 1662, 1670, 1682, 1690, 1703, 1710), Lüneburg: Stern (1633, 1653, 1664, 1677, 1685, 1693, 1700, 1708). Zudem sollen die Veränderungen der in unserem Zeitabschnitt mehrfach aufgelegten Drucke kontrolliert werden : 1. Abele, M.: Metamorphosis telae judiciariae. (Nürnberg 1655, 1661, 1684, 1705) 2. Anton Ulrich zu Braunschweig und Lüneburg: Octavia. Römische Geschichte. Erster Theil. (Nürnberg 1677, 1685; Braunschweig 1712) 3. Arnd, J.: Paradiesgärtlein. (Goslar 1666; Braunschweig 1676; Hamburg 1685; Lüneburg 1690; Berlin 1710) 4. Becher, J. J.: Natur=Kündigung Der Metallen. (Frankfurt a.M. 1661, 1679, 1705) 5. Blumblacher, Ch.: Commentarius [...] Halsgerichts=Ordnung. (Salzburg 1670, 1677, 1694, 1704)
6. Boeckeler, G.A.: Theatrum machinarum novum. (Nürnberg 1661, 1673, 1703) 7. Böhme. J.: Morgenröthe im Auffgang. (Amsterdam 1634, 1656, 1676, 1682, 1715) 8. Bucholtz, A.H.: Des christlichen Teutschen Gross=Fürsten Herkules [...] Wunder=Geschichte. (Braunschweig 1659/60, 1666, 1679, 1693) 9. Francisci, E.: Erinnerung der Morgenröte. (Nürnberg 1672, 1676, 1699) 10. Greflinger, G.: Der Frantzösische Küchen=Gärtner. (Minden 1677; Hannover/ Wolfenbüttel 1703) 11. Grimmelshausen, H.J.Ch.v.: Simplicissimus Teutsch. (Nürnberg 1668/69; Frankfurt 1669; Nürnberg 1684, 1703, 1713) 12. Gryphius, A. : Dissertationes funebres oder LeichAbdankungen, (Leipzig 1667, 1683,1698) 13. Happel, E. W.: Historischer Kern oder kurtze Chronika. (Hamburg 1680, 1690)
74 75
77
Wells 1990, S. 192. Vgl. dazu Giesecke (1991, S. 490f.): „Wie bei jeder maschinellen Großproduktion setzt auch in den Druckereien ein Prozeß der Standardisierung ein, der die Produktion von Büchern verbilligen und Kompatibilität - z.B. bei N a c h d r u c k e n sichern soll. Man reflektiert dazu die Regeln, nach denen die Buchstaben miteinander verknüpft werden und kommt so schrittweise zu einer Normierung der Morphologie." Zu den genauen bibliographischen Angaben vgl. 8.1.2.B: „Lutherbibel." Zu den genauen bibliographischen Angaben vgl. 8.1.2.C: „Korpus 2" und 8.1.2.E: „Zusätzliche Korpustexte."
19
14. Hoburg, Ch.: Theologia Mystica. (Amsterdam 1655; Amsterdam/Frankfurt a.M. 1700) 15. Hoffmannswaldau, Ch. H. v.: Deutsche Übersetzungen und Gedichte. (Breslau 1679, 1684, 1689, 1696, 1700) 16. Lassenius, J.: Sionitische Erquick=Stunden. (Hamburg 1676, 1687, 1694, 1708) 17. Lohenstein, D.C. von: Cleopatra. (Breslau 1661, 1680, 1689, 1708) 18. Morhof, D.: Unterricht der Teutschen Sprache und Poesie. (Kiel 1682; Lübeck 1700) 19. Rachel, J.: Satyrische Gedichte. (Frankfurt a.M. 1664; London 1686; Bremen 1689, 1707) 20. Schottelius, J.G.: Eigentliche und sonderbare Vorstellung Des Jüngsten Tages. (Braunschweig 1668, 1674, 1689) 21. Seber, W./J. Gerhard: Biblisches Lust=Gärtlein. (Leipzig 1636, 1651, 1660, 1681, 1688, 1698) 22. Stegman, J.: Ernewerte Hertzen=Seufr\7er (Lüneburg 1646, 1663; Breslau 1665) 23. Weise, Ch.: Der grünenden Jugend überflüssige Gedancken. (Leipzig 1678, 1692).
Diese Werke zeigen eine landschaftliche Streuung (vor allem innerhalb der protestantischen Gebiete) - mit Amsterdam, Berlin, Braunschweig, Bremen, Breslau, Frankfurt am Main, Goslar, Hamburg, Hannover/Wolfenbüttel, Kiel, Leipzig, London, Lübeck, Lüneburg, Minden, Nürnberg, Salzburg, Wien - und zudem eine textsortenspezifische Differenzierung - mit literarischen, religiösen, geschichtsund naturwissenschaftlichen, und juristischen Schriften. Wo nötig, sind weitere 7ft Quellen herangezogen worden. Erst nachdem gemäß dem jetzt umrissenen Arbeitsverfahren sowohl den Sprachregeln der Grammatiker systematisch und in i h r e r E n t w i c k l u n g nachgegangen, als auch aufgrund empirischer Quellenzeugnisse die textuelle Sprachpraxis c h r o n o l o g i s c h erfaßt wurde, lassen sich der Zusammenhang von Grammatik und Sprachwirklichkeit sowie mögliche Wirkungen der Theorie auf die Praxis aufzeigen.
78
Vgl. 8.1.2.A: „Korpus l" und 8.I.2.D.: „Korpus 3."
2. Sprachbetrachtung: Schottelius und sein Umfeld
2.1. Regel und Gewohnheit79
2.1.1. Sprachliche Autoritätsprinzipien im 16. Jahrhundert Wer und was waren für die Orthographielehrer und Grammatiker des 16. Jahrhunderts sprachliche Vorbilder bei der Verfassung ihrer theoretischen Lehrbücher, als man noch keine einheitliche Schriftsprache besaß? Der Schlesier Fabian Frangk schildert in der «Orthographia Deutsch» (Wittenberg 1531) die Uneinheitlichkeit der in keiner Gegend rein gebrauchten „oberlendischen", d.h. hochdeutschen, Sprache folgendermaßen: „Anfenglich ist zumercken/ Das die Deutsche sprach/ hie geteilt wirdt in zwen vnnderschied/ als Ober, [sie!] vnd Niderlenndisch. Was nuh hie gehanndelt odder geschrieben/ wirdt/ von o b e r l e n n d i s c h e r verstanden. Vnd wiewol diese sprach an ir selbs rechtfertig vnd klar/ so ist sie doch in viel puncten vnd stücken/ auch bej den Hochdeutschen n i c h t e i n h e l l i g / Denn sie in keiner jegnit odder lannde/ so gantz lauter vnd rein gefurt/ nach gehalden wirdt/ das nicht weilannds ettwas strafrwirdigs/ odder mißbreuchiges darinne mitlieff/ vnd gespürt würde." (Frangk 1531.BI. A3r)
Als das beste Mittel zur Erlernung der „reinen" deutschen Sprache empfiehlt Frangk anschließend, daß man „gutter deutscher bücher vnd verbriefungen" (Frangk 1531, Bl. A3r) wahrnimmt und ihnen folgt: Als solche Vorbilder werden „ettwan/ des [...] Keiser Maximilians Cantzlej/ vnd dieser zeit/ D. Luthers schreiben/ neben des Johann Schönsbergers von Augsburg druck" (ibid., Bl. A3V) genannt. Hier nennt der Orthographielehrer, um die Terminologie von Josten (1976) zu benutzen, das „institutionale", „personale" und „soziale Autoritätsprinon zip." Frangk hofft schließlich, die deutsche Sprache werde „nach von tag zu tage jhre scheinbarer/ auch enndtlich gantz rein balirt vnnd ausgestrichen werden" (ibid., Bl. A3V). Der Verfasser spricht also „von einem idealiter einheitlichen, regionale Kennzeichen meidenden, soziologisch nur mittel- bis oberschichtig realisierbaren Deutsch."81 So wird das Überregionale „tendenziell als richtig, das Raumgebundene tendenziell als falsch hingestellt."82 79 80
81 82
Die folgenden Darstellungen in diesem Kapitel stimmen inhaltlich teilweise mit Takada (1985) und Takada (1997b) überein.
Unter diesem „sozialen Autoritätsprinzip" versteht Josten „das Vorbild von Büchern, Drucken und " (Josten 1973, S. 131). Reichmann 1988, S. 174. Reichmann 1988, S. 174. Vgl. auch Härle 1996, S. 137f.
21
Auch Albertus (1573) will das „Oberländisch" (Albertus 1573, S. 38) im Gegensatz zum „Niderlendisch/ oder Sächsisch Teutsch" (ibid., S. 38) zum 07 Gegenstand der Grammatikschreibung machen. Der „Ostrofrancus" fährt fort, mit dieser „oberländischen" Sprache, von der die in den wichtigen Druckorten gedruckten Bücher Gebrauch machen, könnten sich zukünftig alle vortrefflichen Deutschen gut verständigen: „Idioma vero, quo in his institutionibus, utemur commune et intelligibile erit omnibus superioris Germanicae populis, quo etiam scripta constant ex praecipuis typographies edita, quae sunt Ingolstadij, Norinbergae, Augustae, Baseleae, Francofurti, Witebergae." (Albertus 1573,8.39) Albertus folgt also dem „sozialen" Autoritätsprinzip. In Anlehnung an Albertus nennt der Straßburger Ölinger (1573) als die „omnibus superoris Germaniae populis" (Ölinger 1573, S. 200) gemeinsame Sprache den Sprachgebrauch in Ingolstadt, Nürnberg, Augsburg, Basel, Frankfurt, Wittenberg, Mainz („Moguntiae"), Leipzig und Straßburg („Argentinae": vgl. ibid., 200f). Die Sprache, die Ölinger in seiner Grammatik aangibt, stimmte aber praktisch mit den damaligen Straßburger Drucken überein. Der Ostmitteldeutsche Clajus (1578) stützt dagegen eindeutig - wie der Titel «Grammatica Germanicae Linguae ex bibliis Lvtheri Germanicis et aliis eius libris collecta» ausweist - das „personale" Autoritätsprinzip , d.h., er ist den Schriften Luthers und damit dem Ostmitteldeutschen verpflichtet. Einige Unterschiede der Regeln des Ostfranken Albertus, des Straßburgers Ölinger und des Ostmitteldeutschen Clajus seien zur Veranschaulichung hier dargestellt: vgl. die Tabelle auf S. 22. Für Albertus ist das unbetonte e nicht nötig, „nisi orationis grauitas requirat" (Albertus 1573, S. 98): Of
Of.
„Idque seruatur in alijs omnibus verborum temporibus et personis, et in omnibus orationis partibus: als/ vnde als er jhne eigentliche gefraget hette/ spräche vnde antworttette jener jhme hinwiderl quae ita simpliciter leguntur; vnd als erjhn eigentlich gefragt hett/ sprach vnd antwortlet jener jhm hinwiderl etc." (Albertus 1573, S. 98) Die Grammatik von Clajus, die dagegen dieses e beibehält, erobert zuerst Mittel87 88 und erst später Norddeutschland. Das sogenannte „Luthersche e" wird so „ein 83 84 85 86 87
88
Albertus nennt sich im Titelblatt „Ostrofrancum". Vgl. Scheel 1897, S. LVI. Jostenl976, S. 103. Vgl. auch Guchmann (1964, S. 170f.), Penzl (1978, S. 136) und Wells (1990, S. 238). Vgl. Jellinek 1913, S. 77. Penzl (1978, S. 143) verweist auf den Beleg dieser Bezeichnung im Zitat von Socin (1888, S. 437). Socin zitiert hier aus der Monatsschrift «Der Freimüthige» (Freiburg und Ulm 1782ff.) folgende Zeilen: „[...] Freilich haben die Katholiken aus diesen Werken viel Gift gesogen. Wenn Nichts wäre als d a s L u t h e r s c h e e, das sie sich durch Lesung derselben allmählig angewöhnten, immer schade genug! [...]."
22
Dat. Sing. Mask.
Albertus 1573
Olinger 1573
dem Gott (S. 83)
dem äug (S. 5&), Schwerd(S. 64), brief (S. 67)
Norn. PI.
die stäb, sümpff, käuff, klang, bock, kam, schwein, brück, färbe (S. 84-86) Nom. Sing. der knab, will (S. 79); die färb, tieff, wag (S. 86) 1 . Pers. Sing. ich hab (S. 98) Ind. Präs. 1 . Pers. Sing. ich merckte Ind. Prät. (S. 99) Imp. Sing. geh! (S. 93)
die stäb, koch, stück, nacht, briefe (S. 66-68)
die red, stund, das äug (S. 57f.)
Clajus 1578 dem stabe, schafe, lande, Man & Manne, Gotte & Gott, rock, buch (S. 56-67) die stehe, Hende, Heute, stedte, Schlafe, Schweine, Dinge, Thiere, Pferde, schafe, Zeugnisse (S. 59-68) die lenge, stunde (S. 63)
ich hab (S. 106)
ich habe (S. 99)
ich hörte (S. 135)
ich liebele (S. 115)
höre! (S. 135)
liebe! (S. 117)
leicht erkennbares Symbol"89 des protestantisch-ostmitteldeutschen Sprachtyps gegenüber dem im katholischen Süden. Nach Clajus wird die Bemühung um die Vereinheitlichung der deutschen Sprache „für einige Zeit zu einer protestantischen «90 Angelegenheit." Bis hin zu Schottelius (1641) entsteht „kaum noch eine Grammatik, die nicht in irgendeiner Form auf die des Clajus bezogen wäre."
2.1.2. Analogistische Ansätze 2.1.2.1. Gutachten über Gueintz: 1640 Das Konzept der Bildungs- und Schulreform von Ratichius (vgl. oben 1.1.1.) gewann in Weimar, Hessen und Köthen fürstliche Unterstützung. Als Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, das Oberhaupt der „Fruchtbringenden Gesellschaft", die Ratichianische „Lehrart" in die vom Fürsten selbst errichtete Köthener Schule einführen wollte, berief er 1618 Christian Gueintz (1592-1650) zur Mitwirkung an Ratichius' Vorhaben nach Köthen. Seitdem standen Fürst Ludwig und Gueintz in ständigem Kontakt miteinander. Am 5. November 1638 sandte Gueintz Fürst Ludwig das Manuskript eines - auf den „Befehl vnd gnädige[s] suchen" (abgedruckt in: Krause 1855, S. 243) des Fürsten verfertigten - Werks, das „Zu einer richtigen Deutschen Sprachlehr nachricht vnd anlas geben möchte" (Krause 1855, 89
Penzl 1978, S. 136. Vgl. Engels 1983, S. 41. 9l Engels 1983, S. 44. 92 Engels 1983, S. 53f. 90
23
S. 243f.). Zur Begutachtung schickte das Oberhaupt vor der Veröffentlichung das Manuskript der Gueintzschen Grammatik einigen wichtigen Mitgliedern der „Fruchtbringenden Gesellschaft" zu, wie von dem Werder, Opitz und Herzog August d.J. zu Braunschweig und Lüneburg, sowie einigen Gelehrten, wie August Buchner und Schottelius.93 Das erhaltene Manuskript „stellt eine Abschrift dar, die an vielen Stellen von Gueintz und Fürst Ludwig verbessert und vermehrt wurde."94 1619 erschien die in Köthen gedruckte «Allgemeine Sprachlehr Nach Der Lehrart Ratichii». Sie war, o h n e Erläuterung durch B e i s p i e l e , „eine p e d a n t i s c h e Aneinanderreihung von D e f i n i t i o n e n und D i v i s i o n e n , die für die Kinder eine wahre Marter sein mußten." Unter dem Einfluß dieser Publikation betrieb Gueintz in seinem Manuskript d i c h o t o m i s c h e Verfahren im Übermaß, so daß die Zweiteilungen der grammatischen Begriffe die Übersichtlichkeit der Grammatik zerstörten. Der Mangel des komplizierten Schematismus konnte den kritischen Augen Buchners nicht entgehen: Gueintzens Werk sei „fast gar Zusehre Zerlegt, und Zu genaue vertheilet. Dann ob gleich an ihm selber der fleiß Zu loben, [...] So were doch dergleichen allZu viel und genaue abtheilung der Sachen [...] alleZeit nicht so gar nötig, könndte auch wol manchem öckelen Leser verdrießlich sein, und darfur gehalten werden, ob würde hierdurch nur daß werck schwerer gemacht, und daß es nicht so leichte gefaßt werden könne." (Brief von Buchner an Fürst Ludwig vom 22. Jan. 1640; abgedruckt in: Krause 1855,8.233)
Darauf antwortet Gueintz im Brief an Fürst Ludwig vom 1. März 1640 zwar: „Gewiß ist es, daß wegen der Zertheilung [...] anfänglich dem vngelarten und Ekelen Leser es wird wunderlich vorkommen" (Krause 1855, S. 245); zur Verteidigung seiner „Zertheilung" bringt er aber weiter nichts vor, da er nicht geneigt ist, sich derartiger Dichotomien zu enthalten. Auf die Dürftigkeit der grammatischen Beschreibungen und Beispiele wurde im ausführlichen Gutachten von Schottelius im Jahr 1640 hingewiesen: „das eine reiche anZahl der fümembsten Regulen und Lehren [...] alhie nicht befindlich sind" (Krause 1855, S. 246). Schottelius war nicht der Ansicht, daß die Grammatik von Gueintz „eine vollige untergründunge, und gantz-richtige anleitunge der Teutschen Sprache" (Krause 1855, S. 246) sei: „Was daselbst von den adiectivus und deren derivation und composition gesagt wird, ist nicht der dreißigste Theil deßen was davon Zu sagen hochnötig, und ohn welcher Kündigkeit niemand sagen kan, daß er der Teutschen Sprache mächtig sei. [...] Bei dem VIII Capittel müsten die endungen der Selbstendigen (terminationes substantivorum) iede insonderheit, weitleuftiger und mit feinen deutlichen Sprüchen und exempefen erkleret [...] werden." (Krause 1855, S. 250) 93 94
95
96
Vgl. Conermann 1997, S. 13. Conermann 1997, S. 12f. Jellinek 1913, S. 92. Zu einer - eher positiven - Interpretation eines grammatischen Begriffs von Gueintz vgl. Nishimoto 1997. 1640. Abgedruckt in: Krause 1855, S. 246-253.
24
Auf diese Kritik von Schottelius erklärt Gueintz im Vorwort seiner 1641 in Köthen veröffentlichten Grammatik «Deutscher Sprachlehre Entwurf», daß er die Ausführlichkeit nicht angestrebt habe: „[...] so wird man sich erinnern daß der anfang nicht sey die volkommenheit. Warlich gewagt ist besser den unterlassen" (Gueintz 1641, Bl. )( 5V). Was die Beispiele betrifft, hatte Gueintz in der „Entgegnung"97 auf das Gutachten von Schottelius geäußert: „Da sollen auch nicht alle Wörter da sein, denn es gehöret in das Lexikon oder Wörterbuch" (Krause 1855, S. 257), nicht in die Grammatik. Der mit Gueintz unzufriedene Sprachgelehrte Schottelius publizierte seinerseits schon einige Monate nach der Veröffentlichung der Gueintzschen Grammatik rivalisierend in Braunschweig seine «Teutsche Sprachkunst». Gueintz kritisierte dieses Schotteische Werk sehr hart: „Eygensinn und vorurtheill hemmt viel gutes, verdirbt daß meiste" (Krause 1855, S. 260). 2.1.2.2. Wortstruktur als Sprachgrund: 1641 Bei der Polemik zwischen Schottelius und Gueintz handelte es sich weniger um einzelne grammatische Darstellungen, als vielmehr um Prinzipielles bei der Verfassung der Grammatik. Auf die Kritik am „mangel an den nohtwendigen r e g u l e n " (Krause 1855, S. 252) entgegnet Gueintz 1640 nämlich ausdrücklich: „Es ist nun von Anfang der Welt biß anhero mitt gewißen gründen erhärtet, daß die Sprachen [...] auß den Büchern anfangs nicht erlernet; sondern daß die g e w o h n h e i t sie gelehret, getrieben, erhalten. [...] Alles nach einer R e g e 11 machen, ist alles eines haben wollen, das doch in der Seel der Menschen nicht ist; Alles so wollen, wie man es sich einbildet, ist eine Einbildung; Sprachen können wir auch nicht machen, sie sindt schon. [...] Vnndt wenn es so seyn solle, wie man sich will einbilden, oder Neue Urtheiler (Critici) [= Schottelius] meinen, so müste kein deutscher biß anhero gewesen, oder noch sein; auch Er selbst nicht." (Krause 1855, S. 253) „Doch were gutt, daß die angegebenen R e g e l n weren heraus gegeben worden, so köndte man sehen waß richtig oder nicht; der G e b r a u c h aber doch muß den anschlag geben, vnndt nicht die Regel dem gebrauch, wieder aller Sprachen art, vorgezogen, weil die Regeln aus dem gebrauch." (Krause 1855, S. 253f.)
Gueintz richtet sich damit entschieden nach dem h i s t o r i s c h - e m p i r i s c h e n Sprachgebrauch in seinem Heimatland, nach „recht deutscher Meisnischer spräche" (Gueintz 1641, S. 28) mit der Überzeugung, daß gerade die Meißner Träger des guten Deutsch seien. Auch für Schottelius stellt der Begriff „Gebrauch" zwar eine unentbehrliche Größe bei der Auseinandersetzung mit der Sprachnorm dar; der Grammatiker betrachtet aber nur dasjenige, was dem „Hauptgesetz" oder „Grund der Sprache" gemäß ist, als „Gebrauch" oder „guten Gebrauch", sonst spricht er vom „Mißbrauch": „Derselbiger Gebrauch/ dem ein H a u p t g e s e t z / oder der G r u n d der S p r a c h e n entgegen lauffV ist kein Gebrauch/ sondern eine mißbräuchliche Verfälschung." (Schottelius 1641, S. 3)
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1640. Abgedruckt in: Krause 1855, S. 253-257.
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„Demnach wann wir Teutschen/ unsere Muttersprache also und derogestallt/ wie sie von mancherley Landarten gebraucht und von unwissenden hunderterley weise gehandhabt wird/ wolten abmessen und rechtfertigen; würden wir doch meistentheils ein Ungewisses zerrüttetes Wesen in dieser unserer Sprache auffbawen/ die doch auff den g e w i s s e s t e n G r ü n d e n festiglich beruhet/ und in die Würtzelen der Natur gepflantzt ist." (Schottelius 1641, S. 4) „[...] also müssen wir auch in einer Sprache dasselbe keine gute Gewonheit und gemeinen Gebrauch nennen/ welches in Mißbrauch und Ungewonheit an sich ist/ welches keine andere U r s a c h e hat/ als weil es ohne Ursache mißbrauchet wird." (Schottelius 1641,8.4) Das s p r a c h t h e o r e t i s c h e Merkmal ,dem Grund gemäß' unterscheidet also zwischen „(gutem) Gebrauch" und „Mißbrauch", es stellt deshalb die Richtschnur der sprachlichen Normierung dar. Jedes Bemühen um die Pflege der deutschen Muttersprache würde umsonst geleistet, wenn sie nicht von ihren „gewissesten Gründen" aus betrachtet würde. Die Vorgänger - einschließlich Gueintz - hätten zwar „innerhalb hundert und mehr Jahren unterschiedliche teutsche Grammaticen, Rhetoricen, Formulenbücher" (Schottelius 1641, S. 174) veröffentlicht, es sei ihnen aber bisher nicht gelungen, der deutschen Muttersprache eine Grammatik mit ihren „Hauptgesetzen" zu geben, weil in den Vorarbeiten „doch nur eine unordentliche Ordnung" (Schottelius 1641, S. 174) gelehrt worden sei. Da Schottelius die Wichtigkeit menschlichen Fleißes für die Pflege der Muttersprache und für die Sprachentwicklung erkennt, versucht er als tüchtiger Sprachlehrer, die e r s t e deutsche Grammatik mit allen grundlegenden Regeln und Ordnungen zu verfassen. Die lateinische Sprache ist durch „bearbeitung etzlicher gelahrter Römer zu der schön= und Vollkommenheit" (Schottelius 1641, S. 69), also zur Kultursprache, gebracht worden; eben dasselbe will Schottelius als führender Sprachgelehrter für das Deutsche leisten. Was ist dann ,der Grund der Sprache'? Schottelius sieht den „Sprachgrund" im Aufbau des Wortes: er verfügt über wortanalysierende Kategorien: „Stammwort (Stammletter)", „Hauptendung (wesentliche Letter)" d.h. Ableitungsendung und „zufällige Endung (zufallige Letter)" d.h. Flexions- und Komparationsendung: 98
Schottelius ist in der Anwendung der eigentlich hebräischen „radix"-Theorie auf die Nationalsprache „bahnbrechend" (Lockwood 1969, S. 17; vgl. auch Jellinek 1914, S. 135). Der Begriff der „radix" oder des Stammwortes wurde seit «De rudimentis hebraicis» von Reuchlin (1506) im 16. und 17. Jahrhundert aus der hebräischen Grammatik übernommen (vgl. Arens 1969, S. 66 u. Jellinek 1914, S. 138). Man versuchte, diesen Begriff auch auf die lateinische und griechische Sprache anzuwenden. In der hebräischen Sprache besteht die „radix" gewöhnlich aus drei Konsonanten. Die anderen Wortformen und Wörter werden durch den Vokalwandel und die Anfügung bestimmter Buchstaben aus dem Stammwort gebildet. Die „radix" ist keine Abstraktion, sondern eine wirklich in der Sprache existierende Wortform, „die alle gemeinsam und nichts als die gemeinsamen Buchstaben der zusammengehörigen Wörter und Wortformen enthalten sollte" (Jellinek 1914, S. 133). Die Buchstaben, aus denen das Stammwort besteht, werden „literae radicales" genannt, während man die zur radix hinzugefügten Lettern als „literae serviles" bezeichnet.
26 „Es ist mit Lust zu mercken/ daß die Teutsche Sprache durch und durch sicherlich g e g r ü n d e t und e r b a w e t s e y auff die S t a m m l e t t e r e n / auff die w es e n t l i c h e L e t t e r e n / u n d auff die z u f ä l l ige L e t t e r e n .[...] Diese der Letteren Unterscheid ist nötig zumercken/ denn daheraus/ wie folgendes wird erwiesen werden/ die G e w i ß h e i t e n v i e l e r R e g u l e n fliessen und erkant werden." (Schottelius 1641, S. 203) Jedes Element soll streng aus e i n e r S i l b e bestehen. Beim einsilbigen Wort ist nach Schottelius das ganze Wort ein „Stammwort" (Freund, reich usw.). Wenn ein Wort aus mehreren Silben besteht, z.B. bei freundlicher, muß das zentrale Element des Wortes, das Stammwort oder die „Wurtzel" (Schottelius 1641, S. 89), von den übrigen Bestandteilen oder „Sprößlingen" unterschieden werden, die Schottelius weiter in zwei Gruppen teilt: „Hauptendung" und „zufallige Endung". Zur ersten gehört bei freundlicher die Silbe lieh und zur letzten die Silbe er. Diese Wortzergliederung ist übrigens mit der heutigen strukturalistischen Morphemanalyse zu vergleichen: mit Lexem und Grammem als Wortbildungs- und Flexionsmittel. Ein mehrsilbiges Wort kann auch eine Verbindung mehrerer Stammwörter, d.h. eine „Verdoppelung", sein, wie bei Landtag. Schottelius setzt a priori voraus, daß jedes der drei Elemente einsilbig ist und jede Silbe deshalb als eine dieser Kategorien bewertet werden kann und muß: „Gleich wie aber die Teutschen Letteren oder Buchstaben alle einlautend/ uhrsprünglich und also auß jhrer Natur selbst seyn/ eben also sind die ersten Würtzelen oder die S t a m m w ö r t e r der Teutschen Sprache gleichfalls e i n s i l b i g . [...] Man nehme den anfang der Natur allhie ab an den K i n d e r e n / welche in formirung der lallenden Zungen erstlich einsilbige Wörter hervorbringen lernen [...]. Dieses ist eine rechte künstliche Eigenschafft der Sprache/ daß sie den inhalt deß Gedechtnisses außtrücke; unser G e d e c h t n i ß aber ist kurtz und schnell/ darumb ist auch die erklärung desselben die beste/ die kurtz und schnell/ rein und vernemlich daher klinget." (Schottelius 1641, S. 87f.; ebenso auch 1651, S. 122f. u. 1663, S. 61) „Gleich wie aber unsere Teutsche Letteren und die Teutsche Stammwörter alle einsilbig/ festes Grundes/ reines Uhrsprunges/ und eines lieblichen Geläutes sind: Also sind gleicher weise an diesem Sprachbaume die außgewachsene Riesere und N e b e n s p r ö ß l e i n e / die durch und durch in dem gantzen Baume von oben biß unten nebenwachsen/ nebenstehen/ [...]/ alle sage ich/ e i n s i l b i g oder einlautend." (Schottelius 1641, S. 100 ; ebenso 1651, S. 140 u. 1663, S. 68) ,Nach dem Grund' ist also mit ,nach dem Verhältnis der Wortstruktur' zu umschreiben. Bei der Aufstellung der Regeln stützt sich deshalb der Niedersachse Schottelius auf die inhärente Gesetzmäßigkeit der autonomen Wortstruktur: Er normiert das Deutsche unter Beachtung des Wortaufbaus, also der wortbildenden morphematischen Elemente, wie z.B.: „Es ist ein fester Grund in Teutscher Sprache/ daß die zufälligen/ wesentlichen und die Stammbuchstaben unter sich nicht zertrennet/ sonderen in Schreibung zusammengelassen werden müssen [...]/ als: Un=richt=ig, Ge=hor=sam=keit [...]." (Schottelius 1641, S. 192) „[...] Wobey anfangs zu wissen/ daß in Teutscher Sprache in den Verbis der Modus Imperativus das Stammwort oder die Wurtzel sey/ denn darinn die Wesentlichen
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StammLetteren bestehen/ die folgendes in den derivatis und compositis exceptis anomalis, richtig verbleiben [...]." (Schottelius 1641, S. 89) Dieses normierende Verfahren setzt zweifelsohne eine analogische Sprachauffassung dergestalt voraus, daß die Sprache regelmäßig strukturiert ist oder es zumindest sein sollte. Schottelius bezeichnet aber in seiner Grammatik von 1641 die Sprache bzw. die Wortstruktur terminologisch nicht als ,analogisch'. Nur einmal gebraucht er den Ausdruck secundum analogiam, der jedoch dem Kontext nach nicht der Normierung, sondern bloß der etymologischen Erklärung eines Wortes dient: „Scheraeus in seiner genanten Sprachschule sagt: Es heissen die Buchstabe also/ als Stäbe und Stützen deß Buches [...] Aventinus hat von dem Worte Buch noch andere Gedancken. [...] Was aber Goropius Becanus für einen wunderbar liehen Teutschen Uhrsprung der Letteren hervorsuchet/ solches meyne ich/ sey gantz contra ipsa fundamenta componendi in lingua Teutisca: Denn/ wer ein compositum oder Derivatum wil demonstriren, derselbe muß es nothwendig s e c u n d u m a n a l o g i a m compositionis aut derivationis beweisen/ sonsten sind es gemeiniglich Lufftgriffe und Fehlgedancken." (Schottelius 1641, S. 78f.) Die deutsche Bezeichnung grundrichtig kommt ebenfalls nur einmal vor: „[Ich habe] in diesem Buche [...] mein absehen dahin gerichtet/ nemlich einen jeden Teutschen/ der dieses Buch wird lesen/ [...] eine gewisse und g r u n d = r i c h t i g e Kündigkeit unserer Teutschen Sprache beyzubringen." (Schottelius 1641, S. 175f.) Aus grundrichtig an dieser Stelle können wir kaum die Bedeutung ,analogisch' herauslesen. Erstens kann die Bezeichnung ad hoc gebildet sein, weil sie nur einmal vorkommt und zudem mit Bindestrich geschrieben wird; sie ist als Augenblickskompositum zu verstehen. Da Schottelius zweitens an anderen Stellen in demselben Buch die Fügungen wie gründliche Kündigkeit oder richtige Kündigkeit gebraucht, bedeutet grundrichtige Kündigkeit im zitierten Satz sicherlich nichts anderes als gründlich richtige' oder »vollkommen richtige' Kenntnis des Deutschen. Die substantivierte Form Grundrichtigkeit begegnet uns 1641 nicht. Mit gleichheit beschreibt Schottelius die Regelmäßigkeit der Konjugation der Verben wie hör, charakterisiert aber damit nicht die Sprache oder die Wortstruktur überhaupt. Die Bezeichnung grundmäßig10 besagt nichts mehr als ,nach dem Grund der Sprache' und kunstmäßig nichts mehr als ,nach der Kunst, also wissen-
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Vgl. z.B.: „Als wenn ich sage/ hör/ lieb: alhie ist die Gebietungsweise hör das Stammwort/ oder helt in sich die Stammbuchstaben/ welche in allen Zeiten/ Weisen/ Zahlen/ Personen und abgeleiteten Wörteren verblieben/ als ich höret ich höretel ich habe gehöret/ hören/ ich liebe/ lieben/ ich liebele: Und also von allen anderen/ denn überall ein g l e i c h h e i t ist." (Schottelius 1641, S. 415). Regelmäßige Verben nennt Schottelius gleichfliessende, unregelmäßige ungleichfliessende, für die letzteren spricht er von der Ungleichheit (Schottelius 1641, S. 437). Zu diesem Wort bemerkt Grimms Wörterbuch: „anscheinend von grammatikem wie Schottel gebildet" (Grimms Deutsches Wörterbuch, 4. Bd., I. Abt., 6. Tl., Sp. 874).
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schaftlich.'101 (Zur Terminologie vgl. unten Tabelle l auf S. 40). Keine dieser Bezeichnungen fungiert deshalb als Charakterisierung der sprachlichen oder wortanalytischen Analogie. In einem Entwurf von orthographischen Regeln, den Berns (1976) auf das Jahr 1640 datiert102, spricht Schottelius gleicherweise nur von „ex ipsa natura et fundamentis linguae," ohne diese Natur und Gründe der Sprache ausdrücklich als analogisch (wie ex „ipsa analogica linguae natura"103) zu charakterisieren. Dem Grammatiker fehlt es 1640/41 folglich an Termini, welche die analogische morphematische Wortstruktur, den Maßstab der Normierung, ausdrücklich bezeichnen könnten. Grund der Sprache, grund- und kunstmäßig - das ist alles, womit er die normierende Richtschnur andeutet. Wir können also Schottelius bis 1641 noch nicht als strenger „Analogisten" bezeichnen. In der heftigen Diskussion zwischen Schottelius und Gueintz ging es zwar im Grunde genommen um das Analogie- und Anomalieprinzip; die beiden Sprachgelehrten verstanden jedoch ihren Streit als ,Regel versus Gewohnheit', ohne von .Analogie versus Anomalie' zu sprechen.104
Leser 1914, s. v. grammatisch: „Man hält sich bei den deutschen Entsprechungen an den zu ergänzenden Oberbegriff (ars), und bildet .kunstmäßig,' das über die Bedeutung .grammatisch' hinausgreift und etwa dem heutigen .wissenschaftlich' gleichzusetzen ist" (Leser 1914, S. 12). 102 Vgl. Berns 1976, S. 71. Gerade so heißt es wirklich in einer späteren „Exposition" im Jahr 1645; vgl. unten S. 31. 104 Zwar wird in dieser Diskussion das Wort anomala einige Male gebraucht, damit sind aber bloß unregelmäßige Verben gemeint. Die Angabe Lesers, Gueintz habe Analogie mit Übereinstimmung übersetzt (vgl. Leser 1914, S. 8) ist ein Irrtum, den auch Knobloch (1963) übernimmt (vgl. Knobloch 1963, S. 111). Übereinstimmung ist die Übersetzung von (grammatischer) Kongruenz. Analogie verdeutscht er stattdessen, wie im folgenden Zitat aus Gueintz 1641, mit ähnlichkeit und gleichheit: „GRos war [...] der blüende Käyser Julius wegen seiner tapferen thaten: [...] Er der Käyser selbsten ehrete seine spräche so hoch/ daß Er gewisse anleitung/ von der ä h n l i g k e i t und g l e i c h h e i t der Sprache in etlichen Büchern an tag gegeben" (Gueintz 1641, Bl. X 2rf.). In der Köthener «Allgemeinen Sprachlehre» (1619) war die deutsche Bezeichnung Ehnlichkeit für Analogie schon gebraucht worden: „Wie mancherley ist die Gemeine [Eigenschaft der Sprache]? Zweierley: Ehnlichkeit/ vnd Vnehnlichkeit. [...] Die Ehnlichkeit ist die Gleichförmigkeit einer jeden Rede in einer Sprache" («Allgemeine Sprachlehre» 1619, S. 2: Abdruck bei Ising 1959, Teil II, S. 26).
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2.2. Grundrichtigkeit und Sprachgebrauch
2.2.1. Primat der Grundrichtigkeit 2.2.1.1. Terminologisch-begriffliche Ergänzung: 1643-50 In die „Fruchtbringende Gesellschaft" wurde Gueintz 1641 nach der Veröffentlichung seiner Grammatik als „der Ordnende" (Mitgliedsnummer 361), Georg Philipp Harsdörffer 1642 als „der Spielende" (Nr. 368) und Schottelius im selben Jahr als „der Suchende" (Nr. 397) aufgenommen. Am 5. November 1642 schreibt „der Suchende" an den „Nährenden", das Oberhaupt Fürst Ludwig: „Cum omnis ars et disciplina ex suis fundamentis exsurgat, certisque regulis generalibus, rationibusque constet. [...] Lingua Germanica (quo ad conceptüs Grammaticos) naturalibus suis, a n a l o g i c i s que regulis certissimis me serote includi potest." (Krause 1855,8.281). Hier formuliert der Sprachtheoretiker deutlich, daß die Sprache analogisch strukturiert ist und sich demgemäß in analogische Regeln fassen läßt. Spätestens im Februar 1643105 ist Schottelius' sprachwissenschaftliches Werk «Der Teutschen Sprach Einleitung» fertig, das er Fürst Ludwig widmet. Der Ausdruck secundum analogiam, den Schottelius in der «Teutschen Sprachkunst» einmal gebraucht hatte, kommt auch hier vor; Schottelius benutzt diesen Ausdruck aber nunmehr als Norm für die richtige Neubildung, also für die richtige Wortform: „[...] daraus müste aber nicht folgen/ daß ein jeder/ der etwas zubeschreiben vor sich nehme/ noch andere mehr newe Wörter aufbringen und machen solte/ gleich wie das einem/ der Lateinisch was beschreiben wolte/ gar nicht würde guht geheißen werden/ s o er/ auch s e c u n d u m a n a l o g i a m d e r i v a n d i a u t c o m p o n e n d i , würde viele newe Lateinische Wörter aufbringen/ so in keinem Latino authentico authore zufinden." (Schottelius 1643, S. 139)
Der Begriff von der R e g e l m ä ß i g k e i t der Sprache läßt sich aus den folgenden Worten herauslesen: „[...] Wollan laßet uns unsere Teutsche Stammwörter alhie ein wenig auf den Probestein streichen/ und die i n n e r l i c h e G l e i c h h e i t des gleichsam natürlichen Wesens des Dinges in denselbigen recht abmercken." (Schottelius 1643, S. 83) Die Bezeichnung grundrichtig gebraucht Schottelius in diesem Werk von 1643 achtmal. Zwei verschiedene Bedeutungen müssen wir dem Wort beimessen (was Das entnimmt man einem Brief ,des Unverdrossenen' (d.h. von Carl Gustav von Hille) an Fürst Ludwig vom 8. Febr. 1643; der Fürst berichtet dann am 12. März 1643, daß er von Schottelius selbst das Werk zugeschickt bekommen habe. Vgl. Krause 1855, S. 195ff. 106 In diesem Gedicht, das mit sprachwissenschaftlichen Anmerkungen reichlich versehen ist, charakterisiert die deutsche Sprache (das ,Ich') sich selbst.
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auch für den späteren Gebrauch dieses Wortes gilt): Einmal im Sinne ,gründlich, gewiß, in seinem Grund richtig,' wie wir ihn vorher für den Gebrauch im Jahr 1641 festgestellt haben, und einmal im Sinne von ,analogisch'zur Charakterisierung der „systemkonformen" Sprache überhaupt. In den folgenden Textstellen z.B. wird das Wort im Sinne von gründlich, gewiß' gebraucht: „Mächte aber ein solches völliges g r u n d r i c h t i g e s Buch/ darin jedes Teutsches Wort eigentlich und erklärlich zufinden/ durch zuthuung gelahrter Teutschliebender Männer [...] dermaleins heraus gearbeitet werden." (Schottelius 1643, S. 113f.) „[...] gleich wie man ehe eine feste Kette aus Sande flechen als aus sothaner armseligen Pöbelkunst und Alamodereien einige g r u n d r i c h t i g e kunstmeßige Gewisheit in Teutscher Sprache aufbawen möchte/ also gleichfals ein großer Unterscheid sei Teutsch reden oder verstehen können/ und hinwieder/ der Teutschen Sprache gründlich kündig und mechtig zu sein." (Schottelius 1643, Bl. B4V) Die Bedeutung von ,analogisch' hat es dagegen z.B. in den folgenden Passagen: „Worum solte denn nicht vergönnet oder vielmehr rühmlich sein einem Teutschen den leitenden Kräften und g r u n d r i c h t i g e n vermögen seiner Muttersprache klüglich und vernunftlich nachzuforschen/ nachzufolgen/ wol darin zu schürfen/ wol zusauberen/ und die verborgene Schätze bekant zumachen helfen [...]." (Schottelius 1643,8.143) „[...] die gelahrten Grichen und Römer [haben] alsdenn einen Unterscheid gesetzet unter der altages Rede oder dem Pöbelgebrauche und unter der Sprache/ nach dero Eigenschafft und g r u n d r i c h t i g e n Vermögen/ selbst." (Schottelius 1643, Bl. B3r) 108
Die Substantivform Grundrichtigkeit, die in diesem Werk zum erstenmal innerhalb einer grammatischen Erörterung gebraucht wird (zweimal tritt sie hier auf), ist im Sinne von ,Analogie' oder Systemkonformität der Sprache zu interpretieren: „Und stehen viele in starcker Hofnung/ es werde diese unsere Muttersprache/ was die Reimkunst und Tichterei betrifft/ auch noch zum Ziel einer vollkommenen Gewisheit gerahten/ und dero hierin befindende G r u n d r i c h t i g k e i t / welche der so milder Himmel aufs gewißeste alhie eingepflantzet/ zu öffentlicher Kündigkeit hochnutzlich hervorsetzet werden." (Schottelius 1643, S. 61) 107
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Gardt 1994, S. 368. Bei Helwig/Jungius (1613) heißt es: „Die [= die Griechen und die Römer] haben freylich jr eigene muttersprach nit allein nach dem gebrauch/ sondern auch nach der Kunst gelernet/ vnd derselben g r u n d / r i c h t i g k e i t vnd zierde durch die Grammaticam vnd Rhetoricam, Sprach= vnd Redekunst ersuchet" (Helwig/ Jungius 1613, S. 29). Aufgrund dieser Textstelle bemerkt Josten, daß der Terminus Grundrichtigkeit „meines Wissens hier zuerst auftritt" (Josten 1976, S. 175). Diese Feststellung ist problematisch, weil es sich im Zitat nicht um das Kompositum Grundrichtigkeit, sondern um die beiden einfachen Wörter Grund und Richtigkeit handelt.
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Am 7. März 1643 schreibt „der Suchende" an Fürst Ludwig: „Examini atque Censurae Vestrae Serenitati sunto subiecta, quae quidem, si pro inclyto favore in linguam Patriam, clementem adsensum, limam, correctionemve adiecerit, sparabimus, et Grammaticam et Poeticam ex ipsis linguae fundamentis et a n a l o g i a exsurgentem, tandem haberi posse." (Krause 1855, S. 288)
Sowohl die Grammatik als die Poetik sollen also aus den Gründen und der Analogie der Sprache gewonnen werden (zur Häufigkeit anderer relevanter Bezeichnungen vergleiche man unten Tabelle l auf S. 40). Auf diese Weise e n t w i k k e l t d e r Grammatiker e i n e n a n a l o g i s t i s c h e n S p r a c h b e g r i f f , zudem fängt er an, die dazugehörigen Termini analogicus/analogia, grundrichtig/ Grundrichtigkeit häufig und systematisch zu gebrauchen. In der Vorrede zur «Teutschen Vers= oder Reimkunst», die schon im Januar 1645 fertig war , erörtert Schottelius die Beziehung von „usus" und „linguae cognitio vera et analogica": „Inepte prorsus & stulte non nulli dicunt, ex usu discendam linguam nostram; quasi vero u s u s ille vulgaris, miser sane & mille incertitudinibus fluctuans, idem sit cum linguae cognitione vera & a n a l o g i c a . [...] Inde oritur vera linguae cognitio, quae nunquam cum usu dissentit, sed est ipse u s u s , perfectus nimirum, verus & a n a l o g i c u s ." (Schottelius 1645, „Erudito Lectori Salutem", Bl. B8vf.)
Zwar spricht er vom Gebrauch überhaupt (wie z.B. „ex usu" oder „cum usu"), die wesentliche Behauptung ist aber, daß man sich bei der Erforschung der Sprache nicht nach dem alltäglichen unsicheren Gebrauch („usus vulgaris incertitudinibus fluctuans") richten soll, der nicht analogisch strukturiert ist.110 Im Dezember 1645 erörtert Schottelius dann in einem Schreiben an Fürst Ludwig, das Krause „Exposition" nennt, das Verhältnis von Analogie und weitgehend angenommenem Gebrauch. Hier erkennt er nunmehr den angenommenen Gebrauch als eines der beiden normativen Prinzipien an: „In asserendis, recipiendisque fundaminibus linguae Germanicae duo occurunt, nimirum r e c e p t u s h a c t e n u s u s u s , e t i p s a a n a l o g i c a l i n g u a e n a t u r a . [...] Si autem non attento fundamine linguae nee usu recepto, quilibet ad mensuram aurium, aut ad imaginatam sibi consonantiam aut ad normam huius vel illius dialectus scribat, voces formet, fundamenta struat." (Krause 1855, S. 298f.)
Diese Ansicht ist erstaunlich, wenn wir - Ergebnisse vorwegnehmend - darauf verweisen, daß er 1651, in der zweiten Auflage seiner «Sprachkunst», den absoluten Primat des Analogieprinzips verficht und dort nirgends den angenommenen Gebrauch als normgebendes Kriterium billigt. Unseres Wissens sind leider die 109
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Das entnehmen wir dem Schreiben des „Unverdrossenen" an Fürst Ludwig vom 26. Jan. 1645, das bei Krause 1855, S. 201 f. abgedruckt ist. Der letzte Satz ist, wie Jellinek 1913, S. 136 bemerkt, nicht klar. Damit gemeint ist wohl, daß der eigentliche Gebrauch, also die eigentliche Sprache, an sich selbst analogisch ist. Krause 1855, S. IX.
32 möglichen Bemerkungen des Schottelius über die Analogie und den angenommenen Gebrauch zwischen 1646 und 1650 nicht erhalten geblieben. Vermutlich erwähnt Schottelius gegenüber dem Oberhaupt der „Fruchtbringenden Gesellschaft" als Sprachgebrauch-Befürworter bzw. Anomalisten - eher einschmeichelnd - die theoretische Möglichkeit des Nebeneinanders der beiden Prinzipien. Erst nachdem die beiden einflußreichen Verfechter der anomalistischen Sprachauffassung, Fürst Ludwig und Gueintz, 1650 gestorben sind, kommt endlich 1651 die zweite Auflage der «Teutschen Sprachkunst» zur Veröffentlichung, die er seit 1643 vorbereitet hatte; nunmehr kann Schottelius ohne Zurückhaltung sein eigentliches Analogieprinzip proklamieren. 2.2.1.2. Stellungnahme als Analogist: 1651 So tritt Schottelius 1651 unverkennbarer als Analogist vor das Publikum. Bemerkungen anderer Sprachgelehrter über ,ratio' und ,consuetudo' zitiert er in der zweiten Auflage der «Teutschen Sprachkunst» zahlreich. Das besagt, daß er inzwischen fleißig die einschlägige Literatur gelesen hat. Er kennt jetzt die Analogie-Anomalie-Debatte seit der Antike und bekennt sich entschieden zur Analogietheorie: „In Latino Sermone, sicut in Graeco, alij v, alij sequendam putaverunt. A n a l o g i a est similium similis declinatio, quam quidam latine propotionem vocant. est inaequalitas declinationum, consvetudinem sequens. [...] Solche analogica linguae fundamenta, die dennoch/ im fall man den Beweistuhm der grundrichtigen vollenkommenheit und gewisheit in einiger Sprache antreten wil/ müssen gar woll beobachtet werden/ seind in unserer Teutschen Sprache fest und künstlich gepflanzet/ und mit lust zufinden." (Schottelius 1651, S. 5f.)
Hier charakterisiert der Sprachtheoretiker den Grund der Sprache eindeutig als analogisch („analogica linguae fundamenta"), was in der ersten Auflage von 1641 fehlt. Als deutschen Terminus für analogia fundamentales führt Schottelius im terminologischen Verzeichnis am Ende seiner Grammatik Grundrichtigkeit an. Grundrichtig soll da heißen: „Analogice consideratu, vel eä certitudine quid habitum, quae respicit consonantium fundamentalem." Die Grundmäßigkeit (,dem Grund gemäß') unterscheidet zwar auch 1651 zwischen „gutem Gebrauch" und „Mißbrauch": Man könne „dasselbe keine gute Gewonheit und gemeinen Gebrauch nennen/ welches an sich/ und nach g r u n d m ä s s i g k e i t der Sprache ein Miibrauch und ungewonheit ist." (Schottelius 1651, S. 5)
Die Grundmäßigkeit läßt sich aber nunmehr mit Grundrichtigkeit umschreiben, da der Grund der Sprache („linguae fundamenta"), wie oben bemerkt, „analogica", also grundrichtig., sein soll. Schottelius setzt die Sprachnorm kraft seiner „sprachwissenschaftlichen und auf soziale Distanzierung und damit sprachliche „Die Teutschen Kunstwörter oder Termini artificiales, welche in dieser Sprachkunst gebraucht."
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Einigung zielenden Einsicht."113 Auf der Grundrichtigkeit, d.h. auf der regelmäßigen Strukturiertheit eines jeden Wortes basiert die Sprache: „Unsere so wol alte als jzzige Teutsche Sprache hat allemahl geruhet/ und ruhet festiglich annoch in jhren eigenen einlautenden S t a m m w ö r t e r e n / A b l e i t u n g e n und D o p p e l u n g s = a r t e n / welche man in den allerältesten Schriften und Reimen/ und in allen Mundarten der Teutschen Sprache finden kan [...]." (Schottelius 1651,5.75) Einen mit diesem Zitat fast gleichen Text finden wir zwar auch in der ersten Auflage, wo aber die Formulierung „Ableitungen und Doppelungs=arten" fehlt; 1641 heißt es: „in jhren eigenen einlautenden Stammwörteren/ welche man [...] finden kan" (Schottelius 1641, S. 71). In dieser Weise e r g ä n z t und v e r b e s s e r t Schottelius 1651 unter genauer Berücksichtigung der Wortstruktur oft die Formulierungen der ersten «Sprachkunst». Er betont konsequenter die Notwendigkeit der wortbildnerischen Kenntnisse bei der vollständigen Beherrschung der Sprache: „Dan nicht zuleugnen/ daß mancher in Teutscher Sprache/ durch geflissene Übung/ weit gelangen/ zierlich schreiben und wol reden kan/ der dennoch nicht eines weis/ was in Teutscher Sprache ein P r i m i t i v u m , D e r i v a t u m , & C o m p o s i t u m recht sey/ auch nicht bemühet ist solches zuwissen [...]. Maassen ein solcher auch nicht einem Knaben/ welcher ex f u n d a m e n t i s l i n g u a e mit jhm reden würde/ der Gebühr zuantworten vermag/ sondern in den Schranken seiner kundigen Gewonheit sich behalten muß." (Schottelius 1651, S. 136f.) Den in der ersten Auflage nur bildlich formulierten Gedanken ändert der Grammatiker folgendermaßen: „Demnach übergehe ich die unrichtigen gewonnenen/ zutrette den stinckenden Mißbrauch/ verlachend das Kinderspiel eines hoffertigen Uhrtheilers und blinden Sternsehers." (Schottelius 1641, S. 7) „Demnach übergehet man billich die unrichtigen Gewonheiten/ welche weder ursach noch beyfal in wahrer G r u n d r i c h t i g k e i t der Sprache antreffen/ und bleibet in ausfertigung der Sprachkunst allerdings bei dem/ dem ein algemeiner guter Gebrauch/ der sich auf g r u n d m e s s i g e n Lehrsaz bezihen kan/ beistimmig ist." (Schottelius 1651, S. 8) Die beiden Bezeichnungen, Grundrichtigkeit und kunstmäßig, werden auch an anderen Stellen bewußt eingeschoben, wie z.B.: „Dieses sey kürzlich und Lehrsazweiß gesagt von der ersten Art der verdoppelten Wörter/ welches/ so es einer gründlich wird verstehen/ und bedachtlich demselben nachgehen/ wird er allgemählich/ und mit Lust dieses ersehen/ daß etwas hohes und sonderliches in der Teutschen Sprache/n a c h d e r o k u n s t m e s s i g e n Eig e n s c h a f t e n und d u r c h g e h e n d e r G r u nd r i c h t i g ke i t/verborgen stekke." (Schottelius 1651, S. 165; die gesperrten Worte fehlen 1641, S. 121)
113
Hennel968a,S.90.
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Das Adjektiv grundrichtig kommt in der zweiten Auflage vierzehnmal vor, dessen Substantivform Grundrichtigkeit siebenmal; die beiden werden auch in der Vorrede mehrfach gebraucht. Terminologisch auffallend ist der dreißigmalige Gebrauch von kunstmessig. Vereinzelt, aber neu, erscheinen die Bezeichnungen sprachkunstmessig und Gleichförmigkeit ; das letztere läßt sich als Synonym für Grundrichtigkeit interpretieren, obwohl es im „Kunstwörter"-Verzeichnis fehlt: „[...] wenn man sonst die grundmäßige G l e i c h f ö r m i g k e i t der Sprache mehr/ als den ungleichförmigen Gebrauch/ wolte durchgehende116 gelten lassen." (Schottelius 1651, S. 337). Gleichrichtigkeit wird dagegen im Verzeichnis für Analogia angegeben („Gleichrichtigkeit/ Analogia" ), kommt aber im Text nicht vor. Zu anderen Bezeichnungen vergleiche man Tabelle l (S. 40f.). Bemerkenswert ist, daß Schottelius im dritten Buch seiner «Teutschen Sprachkunst», also in der Syntax („Wortfügung"), weder von grundrichtig noch Grundrichtigkeit spricht. Dies ist eine Konsequenz des Schotteischen Grundsatzes: Das normative Prinzip auf der Grundlage der Wortzergliederung kann zwar die Richtigkeit der Form und Schreibung eines einzelnen Wortes entscheiden, aber nicht die der Verbindung mehrerer Wörter (ausgenommen der Komposition). Das analogische Verfahren der Wortanalyse, womit Schottelius die „Grundrichtigkeit" der (einzelnen) Wörter und damit der Sprache überhaupt (denn: „die Wörter machen aber ja die Sprache": Schottelius 1651 , S. 78) sucht, hat also in der S y n t a x
114
Für dieses Wort führt Leser (1914, , S. 12) ein Beispiel aus J. B. v. Antespergs an: «Des Österreichischen Lehrbüchleins zweyter Theil genannt die orthographische Kennkunst» (1747). Es wird aber schon hundert Jahre vorher bei Schottelius gebraucht, wie z.B.: „[...] dannenhero man nicht unrecht schribe/ diselbigel diserl nimandl wj/ sjl djl etc. zumahl das el in dieselbigel dieser/ niemand/ wie/ siel diel etc./ dem Worte keine Hülfe tuht/ noch der rechten Ausrede etwas gibt oder nimt/ auch keine S p r a c h k u s t m ä ß i g e uhrsache (Grammaticalis ratio) verbanden [...]" (Schottelius 1651, S. 334f.). Vorher gebraucht z.B. Helwig/Jungius (1614/15) dieses Wort: „In allen Sprachen/ Künsten vnnd Wissenschafften/ muß ein G l e i c h f ö r m i g k e i t seyn/ [...]. Als die Grammatica muß in Deutschen vbereinstimmen mit der Hebräischen/ Griechischen/ Lateinischen/ etc." (Helwig/Jungius 1614/15, S. 15). Es läßt sich auch in «Allgemeiner Sprachlehre» (1619) finden; vgl. das letzte Zitat in Anm. 104. Das Wort in Helwig (1619) wird im Sinne von grammatischer Kongruenz gebraucht: „ G l e i c h f ö r m i g k e i t . I. Ein Nännwort so etwas thut/ wird bei das wirckend Sagwort geordnet im Erstfall/ zu gleicher Zahl und Person. [...]" (Helwig 1619, S. 14). Zum Adverb durchgehends in diesem Zitat: Laut DWb scheint es „erst im anfang des 18ten Jahrhunderts aufgekommen zu sein" (DWb, 2. Bd., Sp. 1620), was jedoch z.B. durch den Beleg im zitierten Satz widerlegt wird. Interessant ist außerdem, daß in den Werken von Schottelius eine Entwicklung' dieses Wortes zu beobachten ist: 1641 kommt ausschließlich die Wortform ohne -s (also durchgehend) vor, 1651 aber erscheint die Form mit -s (also das Nebeneinander der beiden Formen), und dann 1663/76 kommt schließlich nur die Wortform mit -s vor.
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k e i n e G ü l t i g k e i t . Der Grammatiker begnügt sich hier damit, von kunstmessiger (also grammatischer) Verbindung zu reden; jedes Kapitel der „Wortfügung" heißt nämlich „Von Kunstmessiger Fügung ([z.B.] Des Vorwortes)."
2.2.2. Befugnis des Sprachgebrauchs 2.2.2.1. Ausbau der Terminologie und Formulierung: 1663 Im Jahr 1663, also zwölf Jahre nach der zweiten Auflage der «Teutschen Sprachkunst», e r g ä n z t Schottelius in der «Ausführlichen Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache», deren erste drei Bücher die dritte Auflage der «Sprachkunst» darstellen, die Erörterung der „Grundrichtigkeit": „daß er der Teutschen Sprache nach dero G r u n d r i c h t i g ^ und Verkommenheit recht und gründlich alsbald kündig/ vielweniger über die kunstmessige Anweisung/ welche nicht ohn Arbeit und Erkundigung anderer Sprachen/ die rechten Grundfeste einzurichten bemühet ist/ früzeitiger Urteihler seyn könne." (Schottelius 1663, S. 10) Vgl.: „daß er der Teutschen Sprache recht und gründlich kündig/ vielweniger darüber ein Urtheiler seyn könne." (Schottelius 1641, S. 5) „[...] daß er der Teutschen Sprache nach aller volkommenheit recht und gründlich alsbald kündig/ vielweniger über die k u n s t m e s s i g e Anweisung/ welche nicht ohn arbeit und erkundigung anderer Sprachen/ die rechten G r u n d f e s t e einzurichten/ bemühet ist/ früzeitiger Uhrteihler seyn könne." (Schottelius 1651, S. 7) Der folgenden Stelle von 1651, die der «Sprachkunst» (1641) fehlt, „In dieser Sprachkunst wird hierbei anders nichts getahn/ als durch vielfaltige Gründe und Beweißtühmer vor Augen gestellet/ daß es der Teutschen Hauptsprache an dem Vermögen und guter Bequämlichkeit dazu nicht ermangelen könne." (Schottelius 1651,8.292) läßt Schottelius 1663 sich anschließen: Jedoch erfodert dieses zureichenden fleiß und g r u n d r i c h t i g e Kundigkeit/ dessen vornehme gelahrte Leute/ so an dieses Werk Gedanken wenden/ nicht abredig seyn/ der altages Mann aber und sonst aus blindem Gebrauch geschikter/ [...] weiß keinen Löffel hierzu sonderlich zuwachsen." (Schottelius 1663, S. 148). Die folgende theoretisch wichtige Textstelle fehlt 1651 sogar ganz: „[...] daher man in den allerältesten Geschritten und Reimereien dieses wamimt/ daß nach Belieben und Einfallen die Wörter sind geendigt/ und dadurch noch bis jetzo fast unvernemlich gemachet worden/ daß nichts wenigere/ als etwas R e g u l m e s s i g e s o d e r g r u n d r i c h t i g e s darin zuerspüren: Nunmehr aber ist alle
Zum unterschiedlichen Gewicht von Wortbildung und Syntax in der deutschen Sprachtheorie des 17. Jahrhunderts vgl. Blume 1978b.
36 U n g r u n d r i c h t i g k e i t / zufoderst in der Hochteutschen Mundart aufgehoben [...]." (Schottelius 1663, S. 175) Im 1. bis 3. Buch der «Ausführlichen Arbeit» kommt grundrichtig insgesamt einundzwanzigmal, Grundrichtigkeit neunzehnmal, also viel mehr als in der zweiten Auflage vor; vgl. dazu Tabelle l (S. 40). Die Substantivform steht sogar im Titel des Werkes. Vereinzelt werden außerdem Bezeichnungen wie Grundu9 gleichheit (womit Analogie der Sprache gemeint ist), Kunslrichligkeil120 und regulmäßig gebraucht: vgl. Tabelle 1. l lO
2.2.2.2. Grundrichtigkeit und Sprachgebrauch als Normkriterien: 1663/76 Während die analogistische Argumentation in bezug auf Formulierung und Terminologie ausgebaut wird, ist hinsichtlich des Normenkriteriunis 1663 eine entscheidende Veränderung oder Verschiebung festzustellen. Schottelius stellt nämlich an e i n i g e n S t e l l e n als normgebenden Maßstab den „angenommenen Gebrauch" und die „Grundrichtigkeit" nebeneinander: „Es ist in disem ändern und dritten Buche [= in der Formenlehre und Syntax] [...] nicht allein ein Anzahl vieler tausend schöner Wörter hervorgebracht/ sondern auch so mannigfaltige Erklärung und Andeutung [...] geschehen/ daß unschwer daher zuvernünfftigen/ wie viel vornehme alte und neue Schrifften und Bücher haben müssen durchgelesen/ und was hie nötig/ gesamlet werden/ und solches hat ohn beuhrtheilung öfters nicht werkstellig seyn können/ jedoch ist der g u t e G e b r a u c h und g r u n d r i c h t i g e U h r s a c h / jedesmahl so viel möglich uhrtheilfasser gewesen." (Schottelius 1663, S. 178: 2. Buch, 1. Kapitel „Von Nohtwendigkeit der Teutschen Sprachkunst"). „[...] weil aber [...] nach der gantz Ungewissen Ausrede keine rechte durchgehende Rechtschreibung wird können aufgebracht werden/ als muß der g u t e a n g e n o m m e n e G e b r a u c h / u n d d i e G r u n d r i c h t i g k e i t d e r Sprache d e n besten Einraht geben." (Schottelius 1663, S. 187: 2. Buch, 2. Kapitel „Von der Rechtschreibung") 118
«Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache/ Worin enthalten Gemelter dieser HaubtSprache Uhrankunft/ UhraltertuhnV Reinlichkeit/ Eigenschaft/ Vermögen/ Unvergleichlichkeit/ G r u n d r i c h t i g k e i t / zumahl die SprachKunst und VersKunst Teutsch und guten theils Lateinisch völlig mit eingebracht/ wie [...]». 119 „Es gibt Herr Belinus [= Beilin] zwar Uhrsache/ warum man das gedoppelte ^hinten an ein Stammwort nicht zusetzten nötig hette/ und stimmet solches in etwas mit den Fundamentis, welche ratione literarum radicalium, essentialium & accidentalium gelegt/ [...] überein; und wan der Ausspruch und die Schreibung darnach durchgehends beliebet würde/ ist ohnzweiflich eine Richtigkeit und G r u n d g l e i c h h e i t in Teutscher Sprache/ was die Orthographiam betrift/ in vielen verbanden" (Schottelius 1663,8.343). Z.B.: „Ehe und bevor aber in einer Sprache die Grammatic gründlich aufgebracht/ und zu allgemeiner Genehmhaltung kommen/ kan in derselben Sprache kein Lexicon verfertiget/ die Termini Artium durch rechte gesamte Zutaht aufgebracht und angenommen/ noch die wahre durchgehende K u n s t r i c h t i g k e i t gepflantzet werden" (Schottelius 1663, S. 173f.). Vgl. auch Anm. 148.
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„Es ist sonst in gemein zuerinneren/ daß nicht jedwederem erlaubet sey/ diese Haubtendungen der abgeleiteten an jede Stamm= und andere Wörter nach Belieben anzuhengen/ und nach jedes Einfallen neue Derivata zumachen: Es sind zwar diese Terminationes meistenteihls schiklich und willig/ sich an viele Wörter anhengen zulassen/ aber d e r a n g e n o m m e n e g u t e G e b r a u c h m u ß sonderlich/ n e b s t dem/ in dem Worte selbst sich darbietendem klarem V e r s t a n d e / die Richtschnur verbleiben." (Schottelius 1663, S. 397: 2. Buch, 11. Kapitel „Von der Ableitung des Nennwortes")
Schottelius erkennt in den Zitaten neben dem r e i n l i n g u i s t i s c h e n (oder sprachtheoretischen) Kriterium „grundrichtig" das s o z i o l i n g u i s t i s c h e Kriterium „angenommen" an.121 Schließlich sagt der Grammatiker an einer Stelle sogar: „Den G e b r a u c h habe ich in diesem Opere zugleich gültig/ auch u n t e r w e i len g ü l t i g e r seyn lassen/ a l s eine und andere darzustellende G r u n d r i c h t i g k e i t : Mein Vorhaben/ vermittelst so vieler dran gewanten Arbeit/ gehet auf eine Haubtbeforderung der Teutschen Sprache/ dabey nach thunligkeit/ die verdechtige Neuerungslust vermitten/ und andenveite Anleitung zu dem vero linguae studio gegeben worden." (Schottelius 1663, S. 344). Der sprachwissenschaftlichen Einsicht stellt er Wortformen und -Schreibungen voran, die in öffentlichen Schriften von gelehrten Leuten seit Jahren gebraucht und verbreitet, also „angenommen" sind. Die Schotteische Tendenz zur eingeschränkten Gültigkeit der Analogie können wir auch aus der folgenden Stelle ablesen: „Solche analogica linguae fundamenta [...] müssen gar wol beobachtet werden/ sind zum ö f t e r n des guten Gebrauchs Wegzeigere [...]." (Schottelius 1663, S. 10) Die einschränkende Formulierung „zum öftern" fehlt im Jahr 1651. Schottelius tendiert nunmehr zur eingeschränkten Befugnis der Analogie. Im Titel der Syntax, wo Schottelius - wie wir oben gesehen haben - in der zweiten Auflage der «Teutschen Sprachkunst» von „kunstmessiger Fügung" spricht, steht nunmehr zugleich „hergebrachter guter Gebrauch": „Das dritte Buch/ Darin gehandelt wird von der Wortfügung/ Das ist: Von k u n s t m e s s i g e r Zusammenfügung u n d h e r g e b r a c h t e m g u t e n G e b r a u c h e Der Teutschen Wörter/ Samt unterschiedlichen Anmerkungen und Anführungen/ auch anderen das Sprachwesen mitbetreffenden Sachen." (Schottelius 1663, S. 692) Schottelius verläßt sich hier in der „Wortfügung" praktisch auf diesen „hergebrachten guten Gebrauch."
In diesem Zusammenhang prägnant ist die Formulierung Hennes, daß die Grammatiker im 17. Jahrhundert „die Normen kraft ihrer sprachwissenschaftlichen und auf soziale Distanzierung und damit sprachliche Einigung zielenden Einsicht" (Henne 1968a, S. 90) setzten.
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Die «Brevis & fundamentalis Manuductio ad Orthographiam & Etymologiam», die Schottelius 1676, also in seinem letzten Lebensjahr, veröffentlichte, stellt im Grunde genommen einen Auszug aus dem zweiten Buch seiner «Ausführlichen Arbeit» dar, der „für die Jugend in Schulen/ und sonst überall nutzlich und dienlich" (im Titel) sein soll. Diese «Manuductio» können wir deshalb als die vierte verkürzte Auflage der Rechtschreibung, Formen- und Wortbildung der «Teutschen Sprachkunst» ansehen. Hier begegnen wir wiederholt dem Nebeneinander des „angenommenen Gebrauchs" und der „Grundrichtigkeit" als normierenden Kriterien: „Erstlich/ aus den natürlichen G r ü n d e n und Würtzelen der Teutschen Sprache selbst. Zum anderen/ aus dem g u t e n d u r c h g e h e n d e a n g e n o m m e n e n G e b r a u c h e und H e r b r i n g e n . Drittens/ daß alles Uberflüßige/ Untaugliche und Mißbräuchliche werde abgeschaffet: Wan dieses wird beobachtet/ kan nicht leichtlich in dem Schreibwesen etwas irriges vorkommen [...]." (Schottelius 1676, S. 16f.) „[...] welche angemassete Freiheit/ als ein Eigendünkel sich mancher läßet zwar belieben/ ist aber ohn alle G r u n d r i c h t i g k e i t / dem a l l g e m e i n e n g u t e n G e b r a u c h e zuwider/ und findet durchgehends wenigen verständigen Beifall." (Schottelius 1676, S. 131). Was aber in unserem Zusammenhang entscheidend ist, ist folgendes: In dem „kurtzen Vorbericht an die Teutschllebenden Leser", worin Schottelius seine grundlegende Sprachauffassung erläutert und die Richtschnur seiner grammatikalischen Darstellung darlegt, wird ausdrücklich der „angenommene Gebrauch", also das soziologische Merkmal, als eines der beiden Normenkriterien erklärt: „Beides Vorhaben [=die Rechtschreibung und die Formenlehre] gründet und bezeucht sich a u f d e n g u t e n n u m e h r a n g e n o m m e n e n G e b r a u c h / w i e auch auf die fundamenta, u n l e u g b a r e L e h r S ä t z e und H a u b t R e g u l e n der Sprache selbst." (Schottelius 1676, Bl. A3V) „Nicht weniger hat es seine Zeit erfodert/ ehe und bevor auch eine vollständige Teutsche SprachKunst hat können ausgefertiget/ und in allen SprachStükken die R i c h t i g k e i t u n d ausgeübter v ö l l i g e r a n g e n o m m e n e r G e b r a u c h gebürlich vorgestellet werden." (Schottelius 1676, Bl. A5r) Diese Formulierungen, die Schottelius in der Vorrede verwendet, betrachten wir als seinen Grundsatz in dieser vierten Auflage der Grammatik. Dementsprechend benutzt der Grammatiker den Begriff ,angenommener Gebrauch' häufiger, der nunmehr positive Prädikate erhält: z.B. „der u n t a d e l h a f t e Gebrauch" (Schottelius 1676, „Vorbericht" Bl. A7r), „einen b e s t e t i g t e n g u t e n Gebrauch" (Schottelius 1676, S. 27) und „dem g u t e n durchgehehends angenommenen Gebrauch" (Schottelius 1676, S. 16). Das Wort hergebracht wird gleichfalls häufig gebraucht: „Dabey aber allemahl zubedenken/ [...] wie die Rechtschreibung auch einen h e r g e b r a c h t e n Gebrauch zum Fundament mit annimt [...]: Bey Teutscher Sprache auch der Gebrauch/ die Gewonheit und das Herkommen einen guten Grundstein in der Schreibung und der Schreiberej mit leget." (Schottelius 1676, S. 211 f.)
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Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist zu bemerken, daß Schottelius in der «Manuductio» nicht etwa jeder bisher gebräuchlichen Sprachform und Schreibung nachgibt, wie die folgenden Textstellen zeigen: „Es wird zwar das dt oft geschrieben/ und auch also h e r g e b r a c h t befunden/ als ermordtlßndtl leidt etc. Aber hier ist ein e in der letzten Silbe übergangen/ welches eben überall nicht sein soll/ aber man befindet es in alten und neuen Schriften also h e r g e b r a c h t und nicht unbräuchlich/ [...] und ist bei völliger Rechtschreibung besser/ daß auch die vorhandene völlige Silbe behalten werde." (Schottelius 1676, S. 46) „Der b i ß h e r i g e Gebrauch lasset es zwar oft zu/ daß alhier das e [wie in Hoffnunge] werde beigefügt/ nach der Sprache G r u n d r i c h t i g k e i t aber/ ist es überflüßig." (Schottelius 1676, S. 49) Gegen den „blinden ungründlichen Gebrauch" (Schottelius 1676, Bl. A5r) oder den „bisherigen Mißbrauch" (Schottelius 1676, S. 153) wendet er sich auch 1676 entschieden: „Hie [= w wie in newes] ist zwar der Misbrauch in vielen Trukkereien nicht unbekant/ aber es ist gantz der Natur der Sprache zuwider/ nach Gefallen einen consonanten enderen in einen vocalem." (Schottelius 1676, S. 63) Das Wort Grundrichtigkeit kommt 1676 sechsmal, grundrichtig achtmal vor, wie z.B. in den folgenden Textstellen: „Und eben solche grundmäßige Abmerkung/ und ordentliche untriegliche Eintheilung dieser Letteren [= der Stamm-, wesentlichen und zufalligen Lettern] verursachen die/ in Teutscher Sprache verhandene gewiß=mäßige G r u n d r i c h t i g k e i t / d i e man schon bey Caroli M. Zeiten beginnen abzumerken." (Schottelius 1676, S. 6) „Diesen modum derivandi und die terminationes derivationum recht zuverstehen/ ist kein geringer Voitheil der Teutschen Sprache g r u n d r i c h t i g mit kündig zuwerden." (Schottelius 1676, S. 105) Auffallend ist der nur einmalige Gebrauch von kunstmäßig (und niemals Kunsimäßigkeit), während die Bezeichnung grundmäßig häufiger als 1663 auftritt und es sogar die Bildung ungrundmäßig gibt.123 Kunstgründig124 kommt in der „[...] So ist albereit [...] ein unvorgreiflicher Vorschlag gethan/ wie und warum mit grundrichtiger k u n s t m ä ß i g e r Verfertigung einer solchen Arbeit/ wegen Bewandniß der Teutschen Sprache/ man Punctweis eines und anderes möchte wol zu attendiren haben [...]" (Schottelius 1676, S. 218). „[...] so hat derselbe dennoch ihm eine solche alberne/ neue/ gantz u n g r u n d m ä ß i g e Schreibung und Orthographiam darin angemasset und gebrauchen dürfen/ daß man auch etzliche Teutsche Wörter in ihrer sonst gewöhnlichen Gestalt/ fast nicht kennet" (Schottelius 1676, S. 212). 124 „Es ist unnötig mit mehren anzuführen/ wie viel Zeit/ Streit und Disputirens in der Griechschen und Lateinischen Sprache angewendet und vorgegangen/ ehe unter den Grammaticis, Oratoribus und Criticis man sich endlich einer allgemeinen K u n s t g r ü n d i g e n Gewißheit und Gebrauchs/ quo ad Orthographiam & Etymologiam
40 vierten Auflage im Text nur einmal vor. Gleichförmig wird auch zum erstenmal 125 gebraucht. Zur Terminologie vergleiche man Tabelle l (unten).
2.2.3. Entwicklungslinie der Schotteischen Sprachauffassung Die Häufigkeit der für unseren Zusammenhang relevanten Bezeichnungen in den einzelnen Werken von Schottelius läßt sich wie in Tabelle darstellen: Tabelle 1: Häufigkeit vorkommender Bezeichnungen bei Schottelius
analogia grund-richtigkeit -richtig -Mäßigkeit -mäßig -gleichheit ktmst-richtigkeit -richtig -mäßigkeit -mäßig -gründig sprachkunst-weis -mäßig gleich-richtigkeit -mäßig -förmigkeit -förmig -heit gewißmäßig rechtmäßig
1641 1 0 1 0 5 0 0 0 1 4+8***
0 0 0 0 0 0 0 4 3 2
1643 1 2 9 1 4 0 0 0 0 5 0 0 0 0 1 0 0 1 6 2
1651 7 7 14 2 7 0 0 1** 2 . 22+8***
1** 0 2 1** 2 2 0 3 3 1
1663* passim
19 21 1 8 1
2 1** 3 30+8***
1** 1 2 1** 0 2 0 4 2 1
1676 0 6 8 0 10 0 0 1** 0 1 2 0 2 1** 0 0 1 0 1 0
* Im l. bis 3. Buch des Werkes ** Das betreffende Wort kommt nur im Register vor *** Das Wort kommt im Titel jedes Kapitels der Syntax achtmal vor hat vergleichen können" (Schottelius 1676, Bl. A3vf.). Diesen Terminus hatte Schottelius 1645 benutzt: vgl. unten 2.4.1. „[...] daß man wider die/ in gantz Teutschland/ in Hohen und Niederen Cantzeleyen/ bey Gelahrten/ auch sonst in gemein gebräuchlichen/ und auch den Gründen der SprachKunst zustimmender g l e i c h f ö r m i g e r SchreibArt zuwider/ einem jeden Neulinge und Phantasien frei lasse [...]" (Schottelius 1676, S. 212).
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Obwohl losten (1976) äußert, in der Verfolgung der Entwicklung der Schotteischen Theorie nehmen „ l e d i g l i c h Intensität, Deutlichkeit und Schärfe in der Abgrenzung zu" und eine Entwicklung sei „ k a u m v o r h a n d e n e n " 1 2 , können wir doch - wie wir oben gesehen haben - eine markante Entwicklung der Sprachnormauffassung des Grammatikers feststellen. Gerade wegen dieser Wandlung hat die Forschung bis heute Schwierigkeiten gehabt, Schottelius' Sprachbegriff zureichend darzustellen. So stellte Jellinek (1913) fest: „So viel Schottelius auch über guten und schlechten Gebrauch redet, über sein Verhältnis zur Analogie ist er sich nicht klar geworden."127 Danach äußert er die Vermutung, Schottelius' Meinung hierüber sei am besten seinem Brief (1645) [= „Expositi•i ja on"] an Fürst Ludwig zu entnehmen: „In asserendis, recipiendisque fundaminibus linguae Germanicae dou occurunt, nimirum receptus hactenus usus, et ipsa analogica linguae natura." Daher folgert Jellinek: „Die Natur der Sprache (die Grundrichtigkeit, wie Schottelius auf deutsch sagt) und der Gebrauch stehen also 129 nebeneinander." Dieses N e b e n e i n a n d e r sei hier G r u n d s a t z l genannt. In der Anmerkung zitiert Jellinek, um die Unklarheit des Verhältnisses von Gebrauch und Grundrichtigkeit bei Schottelius zu demonstrieren, eine Stelle aus der Vorrede zur «Teutschen Vers= oder Reimkunst» (1645), die er folgendermaßen interpretiert: „[...] so scheint doch das der Sinn des Ganzen zu sein, daß d u r c h die B e o b a c h t u n g der A n a l o g i e derrichtigeGebrauch erst entstehen soll."130 Schottelius soll demnach andererseits der Grundrichtigkeit den Vorrang vor dem Gebrauch geben; dieser P r i m a t der G r u n d r i c h t i g k e i t sei G r u n d s a t z 2 genannt. Unter Angabe von Jellinek als Sekundärliteratur notiert das Grimmsche Wörterbuch 1932 unter dem Lemma Grundrichtigkeit den Grundsatz 1: „neben der gr. [= Grundrichtigkeit] steht der gebrauch." Plattner folgert 1967 in seiner Dissertation, daß der Gebrauch „nur dann ,gute Gewohnheit' [ist], wenn er gleichzeitig grundrichtig' ist"1 ' (= Grundsatz 2). Josten (1976) spricht vom Sprachgebrauch als ,,kein[em] Kriterium der Norm" und von der „Grundrichtigkeit als Normprinzip" (= Grundsatz 2). Barbaric bemerkt 1981, „einerseits stehen ,receptus hactenus usus' und ,ipsa analogica linguae natura' gleichberechtigt nebeneinander [= Grundsatz 1]. [...] Andererseits kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, dass [sie!] Schottelius auch ,den guten angenommenen Gebrauch' der ,analogica linguae natura' untergeordnet hat und ihm nur wenn er dazu gezwungen ist, Kompromisse - jedoch ungern - macht [= Grundsatz 2] ,"132
126
Josten 1976, S. 176. Jellinek 1913, S. 135. 178 Jellinek 1913, S. 135. 129 Jellinek 1913, S. 136. 130 Jellinek 1913, S. 136. 131 Plattner 1967, S. 45. 132 Barbaric 1981, S. 116. 127
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Während die bisherige Forschung also zu widersprüchlichen Aussagen gelangt ist, können wir die Entwicklungslinie der Schotteischen Auffassung nunmehr folgendermaßen rekonstruieren. 1641 versteht Schottelius, der terminologisch noch nicht von Analogie spricht, den Streit mit Gueintz als eine Auseinandersetzung um Regel versus Gewohnheit. Nachdem er in den 40er Jahren unter der Devise Grundrichtigkeit einen analogistischen Sprachbegriff entwickelt hat, bekennt er sich 1651 entschieden zur Analogietheorie. In dieser zweiten Auflage der Grammatik soll das Merkmal „nach der Grundrichtigkeit der Sprache" (oder „analogica linguae fundamenta"), d.h. die regelmäßige Strukturiertheit eines jeden Wortes, absolut zwischen „gutem Gebrauch" und „Mißbrauch" unterscheiden. 1663 erfährt die Schotteische Grammatik aber hinsichtlich der Normkriterien eine entscheidende Veränderung. Hier erkennt der Grammatiker stellenweise neben dem rein grammatisch-linguistischen Kriterium grundrichtig das soziale angenommen oder hergebracht an: Schottelius tendiert nunmehr zur eingeschränkten Gültigkeit der Analogie. Im Vorwort der Grammatik von 1676, also im letzten Lebensjahr des Grammatikers, wird schließlich das soziale Merkmal bezeichnenderweise ausdrücklich zu einem der beiden Normkriterien erklärt. Dementsprechend benutzt Schottelius den Begriff guter angenommener herbrachter Gebrauch häufiger, der nunmehr positive Prädikate erhält: ein „bestätigter und untadelhafter" Gebrauch. Diese Entwicklungslinie läßt sich in Tabellenform veranschaulichen: vgl. Tabelle 2, S. 43. Wie aus Tabelle 2 zu ersehen ist, ist der Normbegriff im Jahr 1663 am kompliziertesten: Es stehen nämlich z w e i G r u n d s ä t z e n e b e n e i n a n d e r : die Koexistenz der Normkriterien, des angenommenen Gebrauchs und der Grundrichtigkeit einerseits [= Grundsatz 1] und der Primat der Grundrichtigkeit andererseits [= Grundsatz 2]. Zwei unterschiedliche normgebende Systeme sind im Schotteischen Hauptwerk «Ausführliche Arbeit» entwickelt, so daß man die Schotteische Auffassung von Norm hier nur schwer durchschaut. Höchst interessant ist es auch, daß der (in einer „Exposition") 1645 konzipierte Grundsatz l nach dessen völligem Zurücktreten (1651) schließlich wieder von Schottelius ausdrücklich aufgenommen wird. Bödiker (1690) räumt am Ende des Jahrhunderts neben der Grundrichtigkeit ausdrücklich dem Gebrauch die Befugnis als Sprachnorm ein: „Dabey ist zu mercken: daß die meisten Wörter gehen nach der a n a l o g i a; viel aber auch nach der a n o m a l i a, und muß die a n a l o g i a o f t dem Geb r a u c h w e i c h e n : so daß viel bey den Alten/ und auch in täglicher Übung/ vorkommet/ so nicht kan in eine allgemeine Regel gezogen werden. Und da machet dann der Gebrauch bewehrter Scribenten selbst eine Regel, v. Varro,1.3. L. Lat." (Bödiker 1690, S. 115) „Es solten wol sonderlich die auf el und er außgehen/ in Plurali ein neues E haben: als Engel/ Engelei Bürger! Bürgere u.s.w. Aber der G e b r a u c h / der hier d i e m e i s t e n S t i m m e n hat/ lasset das E gemeinlich auß. Ihre Engel. Luth." (Bödiker 1690, S. 58)
43 Tabelle 2: Entwicklung von Schottelius' Normbegriff II. 1642-50
I. bis 1641 Noch nicht als Analogist identifizierbar
Ansätze zur eindeutigen analogischen Sprachauffassung
Primat des Grundes der Sprache /Grundsatz 2a/* Gebrauch
l
Terminologische Ergänzung -* Terminologische Durchsetzung
nach dem de\ Grund der Sprache guter Gebrauch
/Grundsatz 2a/* -> /Grundsatz II [Ausgenommen: in der (l645):/Grundsatz l/]
Mißbra, ich
Terminologischer Mangel
III. 1651
* Der Grundsatz bis 1641 sei 2a genannt, weil er eine Vorstufe des Grundsatzes 2 darstellt.
IV. 1663
Manifest als Analogist Primat der Grundrichtigkeit /Grundsatz 2l Gebrauch
\
Koexistenz von zwei verschiedenen Grundsätzen /Grundsatz 2/ und /Grundsatz l/
nach der Grundrichtigkeit guter Gebrauch
Einräumung der Befugnis des angenommen Gebrauchs
Gebrauch Mißbrauch
Terminologische Festlegung V.1676 Festlegung der Befugnis des angenommen Gebrauchs
nach der Grundrichtigkeit l guter Gebrauch
Mißbrauch
und Gebrauch
Koexistenz von zwei Kriterien /Grundsatz l/ Gebrauch
nach der mit \veitGrundrich- od. verbreiteter tigkeit . Annahme guter Gebrauch
nach der mit \veitGrundrich- od. verbreiteter tigkeit l Annahme guter Gebrauch
l
Mißbrauch
Mißbrauch
44
2.3. Das „restituierte" Hochteutsch Wir wenden uns nunmehr der Definition des „Hochteutschen" durch den Niedersachsen Schottelius zu. 1641 kommt Schottelius nur einmal auf das „Hochteutsche" zu sprechen. Hier wird es wegen seiner Verbreitung und überregionalen Gültigkeit - trotz seiner genealogischen Posteriorität - dem Niederdeutschen vorgezogen: Die deutsche Natur habe ja im Hochdeutschen ,jhre lieblichste vollenkommenheit ersehen": „Ich verstehe aber allhie die H o c h t e u t s c h e Sprache/ oder die Mundart/ welche zwar die Hochteutschen/ sonderlich aber das Teutsche Reich selbst/ in den Abschieden/ in den Cantzeleyen und Trückereyen bißhero annoch gebraucht/ und vor langen Jahren her gebraucht hat. Die N i e d e r S ä c h s i s c h e / wie auch die Niederländische Mundart körnt dem rechten Grunde/ und ursprünglichem Wesen offt näher/ als das Hochteutsche/ ist auch fast an Wörteren reicher und nicht weniger lieblich. Aber weil die Hochteutsche Mundart c o m m u n i s G e r m a n i a e M e r c u r i u s ist/ auch die beste Zier und meistbewegende Krafft hieselbst verbanden/ja die Teutsche Natur jhre lieblichste vollenkommenheit darinn ersehen/ richten wir uns numehr in gantz Teutschland darnach. Die Niederländer schreiben zierlich/ reden artlich/ fein/ süß und wol/ aber den Vortritt müssen sie doch dem Hochteutschen überlassen." (Schottelius 1641, S. 177f.)
1641 erläutert der Grammatiker nicht weiter, was das „Hochteutsche" ist. Das größte Interesse des Sprachgelehrten in diesem Jahr ist der Nachweis der Vortrefflichkeit und der grammatischen Beschreibbarkeit des Deutschen (vgl. 1.1.2.); eine eingehende Erörterung dessen, was das „Hochteutsche" sei, stellt für Schottelius eine später zu erfüllende Aufgabe dar. 1651 charakterisiert Schottelius dann das „Hochteutsche" näher, das bei der Verfassung der Grammatik ausdrücklich „zum Ziel gesetzet" (Schottelius 1651, S. 319) wird. Der Theoretiker versucht, durch Normierung in der hochdeutschen Sprache deren Grundrichtigkeit aufzuzeigen. Das „Hochteutsche" stellt nunmehr den einzigen Gegenstand dar, den zu normieren sich lohnt: „[...] gleicher massen auch in der weiten und räumigen Teutschen Hauptsprache/ die mehrgemelte Hochteutsche Mundart die jenige e i n z i g seyn wird/ kan/ und muß/ darin die G r u n d r i c h t i g k e i t gepflanzet/ kunstmeßige Ausübung gesetzet/ und alle wahre Zier/ Kunst/ Lob/ Pracht und Vollkommenheit gesuchet/ gefunden/ behalten/ und fortgepflanzet werden m u ß." (Schottelius 1651, S. 321)
Das „Hochteutsche" wird 1663 zum erstenmal eindeutig als ü b e r a l l e n D i a l e k t e n s t e h e n d e L e i t v a r i a n t e proklamiert: „Die Hochteutsche Sprache aber/ davon wir handelen und worauff dieses Buch zielet/ ist n i c h t ein D i a l e c t u s eigentlich/ sondern Lingua ipsa Germanica, sicut viri docti, sapientes & periti earn tandem receperunt & usurpant." (Schottelius 1663, S. 174)
Dieses vom alten Niederdeutschen gelöste „Hochteutsche" hat „gleichsam a l l e i n den Nahmen der Teutschen Sprache" (Schottelius 1663, S. 176)
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übernommen. Im Hochdeutschen zeige und befinde sich nunmehr die Grundrichtigkeit: „Man kann [...] warnehmen/ wie in den Reichssatzungen/ alten Land= und HofgerichtsOrdnungen etc. von Jahren zu Jahren die Hochteutsche Sprache sich algemehlich der alten Teutschen oder alten Sächsischen Mundart entrissen/ die Worte und Redarten nach Hochteutscher Mundart geformet/ biß es zu dem n u n m e h r bekanten/ angenommenen/ zierlichem [sie!] Hochteutschen/ und d a r i n s i c h b e f i n d e n d e r lieblichen G r u n d r i c h t i g k e i t gerahten."(Schottelius 1663, S. 155) „Aber weil die Hochteutsche Mundart communis Germaniae Mercurius ist/ auch n u m e h r eine d u r c h g e h e n d e K u n s t r i c h t i g k e i t d a r i n hervor b r i c h t [...]/ richten wir uns numehr in gantz Teutschland darnach." (Schottelius 1663, S. 174) „ N u n m e h r aber i s t a l l e U n g r u n d r i c h t i g k e i t / zufoderst i n d e r Hochteutschen Mundart a u f g e h o b e n / welche billich ein jedweder nach Vermögen in rechte und weitere Kunstzier einzukleiden/ bemühet seyn sol." (Schottelius 1663, S. 175) Es soll deshalb an sich schon die Norm der deutschen Sprache darstellen.1 Diese höchste Bewertung des Hochdeutschen resultiert aus dessen Anerkennung und Verbreitung in öffentlichen („in den Reichssatzungen/ alten Land= und HofgerichtsOrdnungen": Schottelius 1663, S. 155) und gelehrten Schriften (sicut viri docti, sapientes & periti earn tandem receperunt & usurpant: Schottelius 1663, S. 174). Die Herausstellung des sozialen Kriteriums „angenommen" in der dritten Auflage der Grammatik (1663) rührt daher, daß er die Grundrichtigkeit im „Hochteutschen" verwirklicht sieht. Auch in der «Manuductio» (1676) vertritt Schottelius diese Ansicht: „Wan einer nun fragen möchte/ wie dan in algemeiner Teutschen HaubtSprache man numehr endlich/ und zwar in dem HochTeutschen/ in der HochTeutschen Redens= und SchreibArt (so itzo communis Germaniae Mercurius ist) z u e i n e r G r u n d r i c h t i g k e i t sey g e r a h t e n / und woher eigentlich solche zu wege gebracht; dem dienet zu seiner Nachricht sonderlich dieses: [...]" (Schottelius 1676, „Vorbericht", Bl. A4r) Die Formulierung, das Hochdeutsche sei „Lingua ipsa Germanica, sicut viri docti, sapientes & periti earn tandem r e c e p e r u n t & usurpant." (Schottelius 1663, S.
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Gardt (1994) bemerkt, daß ihm „Takadas Behauptung (1985), Schottelius identifiziere Grundrichtigkeit und Hochdeutsch, etwas zu einseitig" (Gardt 1994, S. 385) scheint. Dabei gibt Gardt keinen Hinweis darauf, wo ich diese Feststellung gemacht haben soll, und tatsächlich habe ich nie davon gesprochen. Ich habe Nonnauffassung vielmehr folgendermaßen interpretiert: Nach Schottelius „soll 1663 die Grundrichtigkeit in dem Hochdeutschen verwirklicht sein" (Takada 1985, S. 146), „das Hochdeutsche soll also an sich schon die Norm der deutschen Sprache darstellen" (ibid., S. 147) und „Schottelius [hält] das Hochteutsche [...] für die Sprachnorm" (ibid., S. 147). Daß diese Interpretation durchaus berechtigt ist, möge der vorliegende Abschnitt zeigen.
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174), d.h. die Gelehrten134 hätten die Sprache z u r ü c k g e b r a c h t , betrifft den wesentlichen Punkt der Sprachauffassung Schottelius', der noch näher erörtert werden muß. Der Sprachtheoretiker unterscheidet zwischen „der altages Rede oder dem Pöbelgebrauche" (Schottelius 1643, Bl. B.3r) und „der Sprache selbst" (ibid., Bl. B3r): „[...] daraus unfehlbarlich folget/ daß/ gleich wie man ehe eine feste Kette aus Sande flechten als aus sothaner armseligen Pöbelkunst und Alamodereien einige grundrichtige kunstmeßige Gewisheit in Teutscher Sprache aufbawen möchte/ also gleichfals ein großer Unterscheid sei Teutsch reden oder verstehen können/ und hinwieder/ der Teutschen Sprache gründlich kündig und mechtig zu sein. D e r a l t a g e s Geb r a u c h wird von wiegen an eingeflößet und durch sich selbst erlernet; D i e S p r a c h e [selbst] aber mit n ich ten anders als durch erfoderten fleiß und Nachsinnen erlernet." (Schottelius 1643, Bl. B4V) Als „Haubtuhrsachen/ wodurch der Abgang und die Enderungen einer jeden Sprache zugeschehen pflegen" (Schottelius 1643, Bl. A6r) nennt Schottelius den „Ablauf und Hingang der Zeiten selbst" (ibid., Bl. A6r), „die Vermischung und vermengung der Völcker und Einwohner" (ibid., Bl. A6rf.) und „die befreite unacht/ und bedacht und unbetrachtete Ungewisheit der gemeinen Rede/ die [...] nach aller beliebung des Pöbels zu Enderungen kommt" (ibid., Bl. A7vf.). Von diesen drei Hauptursachen135 der sprachlichen Veränderung habe die dritte, nämlich die Unachtsamkeit der Menschen, „der Teutschen Sprache den grössesten Schaden und Widerstand" (ibid., Bl. B2V) getan, so daß sie „bishero zu keiner völligen/ festen Ehrenstaffel/ gleich anderen Haubtsprachen/ hat gelangen können" (ibid., Bl. B2V). Nachdem die Griechen und Lateiner ihre Sprachen „auszuüben/ feste Gründe darin ordnen und dieselbige in ihre kunstmeßige Gewisheit zusetzen angefangen" (ibid., Bl. B3r) hatten, sind diese Sprachen „auch gemach und gemach gestiegen/ sich sehr erweitert/ Künste und Wißenschafften darin zierlich ausgedeutet" (ibid., Bl. B3r). Schottelius glaubt - wie schon in 1.1.2. gesehen - an die Vollkommenheit der Sprache in der u r a l t e n Zeit: „Die Uhralte HaubtSprache der Teutschen" weist ihre eigentliche Natur, d.h. ihre wesenseigene Grundrichtigkeit vor. Mit der Zeit habe sich aber die vom Menschen wirklich benutzte Sprachform bzw. der Gebrauch, über dem die unwandelbare eigentliche Sprache liegt , gerade durch „Ungewisheit der gemeinen Rede" (ibid., Bl. A7r) und „nach aller beliebung des Pöbels" (ibid., Bl. A7r) verändert. Dadurch sei die Grundrichtigkeit weitgehend verhüllt worden und der Sprachgebrauch davon abgewichen. „Ein jeder [hat] nach eigener Freiheit/ die Wörter darin Die Hervorhebung der Sprache der Gebildeten nahm Schottelius wahrscheinlich der Bemerkung von Quintilian, die Schottelius 1651 und 1663 zitiert: „Und Quintilianus lib. I. cap. 12. spricht: Consuetudinem sermonis vocabo c o n s e n s u m e r u d i t o r u m" (Schottelius 1651, S. 310; ebenso 1663, S. 168). Die Faktoren der sprachlichen Veränderung erwähnten schon Bibliander (1548) und C. Duret (1613): vgl. dazu Kayser 1962, S. 173f. und S. 152ff.; auch Metcalf 1953, S. 116f. 136 Vgl. Fricke 1933, S. 120.
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geändert/ gestaltet/ geschrieben und geredt" (Schottelius 1651, S. 284) und „unhingehörende Buchstaben bei die Wörter gesetzet/ und anders/ als sie sollen/ geendiget [...] Zum Exempel aus der Rede gedachtes Mönchs Otfrieds an Keiser Ludwig/ Carolo M. Sohn: Alle ziti thio tho sin/ Kristus jo komo thag muat sin [...]" (Schottelius 1643, S. 43f.). Im Geist des „Systemdenkens" , das im 17. Jahrhundert weit verbreitet war, erkennt Schottelius hinter der ,,stets=bleibende[n] Unbeständigkeit alles j irdischen Wesens" (Schottelius 1641, S. 54) „ein abbild der unendlichen Ewigkeit" (Schottelius 1641, S. 56): „Sintemal man zu gewisser Zuversicht komt/ daß in demselben/ was die Jahre überstrebet/ und der Zeiten Gewalt durchbricht/ etwas Göttliches und e w i g w e r e n d e s müsse verborgen seyn." (Schottelius 1641, S. 56) „Lingua ipsa Germanica" habe - unabhängig von den zeitlichen und räumlichen Gesetzen und von den Menschen - stets die Regelmäßigkeit und Richtigkeit schon in sich: „[...] gleich wie das jetzige Teutschland annoch dasselbe Teutschland ist/ welches vor etzlichen tausend Jahren gewesen/ ob es schon jetzo besser bebawet/ herrlicher außgeschmückt/ [...]: Also ist gleichfalls unsere jetzige Teutsche Sprache/ eben dieselbe uhralte weltweite Teutsche Sprache/ ob sie schon durch mildesten Segen des Himmels/ zu einer mehr prechtigen Zier und außbündigen Vollkommenheit gerahten ist." (Schottelius 1641, S. 72f.) Für den Grammatiker, der gegen die gesprochene „altages Sprache" ein großes Mißtrauen hegt, wird die Sprache nicht „gesprochen", sondern „benutzt."138 Die zu gebrauchende Sprache selbst ist in ihrer Wortstruktur unveränderlich. Die Identität des Jetzigen" mit dem „uralten" Deutschen wird durch die Unveränderlichkeit der Wortstruktur „nachgewiesen": „Wer aber allhie würde gedenken/ es were ja die uhralte Teutsche Sprache gar in Abgang und auß jhr selbst gerahten/ angesehen der heutigen jezt in gemein üblichen Teutschen Sprache; derselbe wird sich erinneren lassen/ daß dem im Grunde nicht also/ und zwar darum: Unsere so wol alte als jzzige Teutsche Sprache h a t a l l e m a h l g e r u h e t / und r u h e t festiglich a n n o c h in jhren eigenen einlautenden Stammwörteren / Ableitungen und Doppelungs=arten [...]." (Schottelius 1651,8.75) „Daß unsere Teutsche Muttersprache sei g e w e s e n eben die Sprache welche die Uhralten und in Grichschen [sie!] und Lateinischen Schriften bekanten Vorfahren gebrauchet/ wird hie berührt/ und ist kürtzlich aus der Sprache selbst zuerweisen also: Welche Sprache (1) eben die Stammwörter/ (2) eben die Haubtendungen der abgeleiteten (3) eben die Doppelungsarten h a t / h e l t und v e r w a h r e t / w e l c h e vormals in der alten Teutschen Sprache bekant/ üb= und bräuchlich gewesen/ dieselbige Sprache ist und b l e i b e t ja eben eine mit voriger alten. Denn ein mehrers 137
Henne 1968a, S. 87. Vgl. Frickel933, S. 118. 1 30 Vgl. Hecht 1967, S. 9f; Fricke 1933, S. 117 und S. 120f; Jellinek 1913, S. 135.
i^a
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oder wenigere ist in keinen Werteren/ (die Wörter aber machen ja die Sprache) als die Würtzel/ Ableitung und das Doppelen." (Schottelius 1643, S. 41) Gegen die ungezügelte Einrichtung will Schottelius das Deutsche verteidigen: Er möchte die Verfälschungen in der „gemeinen Rede" beseitigen, indem er die Grundrichtigkeit oder „vera rundamenta" (Schottelius 1663, S. 174) der deutschen „uralten" Sprache durch die Analyse der Wörter vollkommen w i e d e r entdeckt und sie den Deutschen vermittelt. Insofern ist das von Schottelius festgelegte Hochdeutsch wegen seiner Grundrichtigkeit oder „durchgehende[n] Kunstrichtigkeit" (Schottelius 1663, S. 174) für ihn mit der uralten deutschen Sprache identisch. Somit faßt der Grammatiker die Entwicklung des Deutschen als eine R ü c k k e h r zur uralten eigentlichen deutschen Sprache dank der Bemühungen der gelehrten vortrefflichen Männer auf.140 Jedoch kann das Hochdeutsche, das wieder „uralt" wurde, mit bezug auf die Aussprache von der uralten eigentlichen Sprache verschieden sein und das Niederdeutsche „komt dem rechten Grunde und uhrsprünglichen Wesen offt näher/ als das Hochteutsche" (Schottelius 1641, S.177). Z.B. wird das niederdeutsche / „in das Hochteutsche 5 am meisten geendert/ als lassen! loten; das/ dat\ Wasser/ Water" (Schottelius 1663, S. 157). Nichtsdestoweniger betrachtet Schottelius aus den folgenden zwei Gründen das Hochdeutsche (die Art) als den Vertreter der deutschen Sprache (der Gattung). Zum einen stellt die Veränderung der Aussprache nur einen äußerlichen Wandel dar, und zwar einen meliorisierenden Wechsel zur Verfeinerung und Vollkommenheit (Schottelius unterscheidet zwei Veränderungen: Alles ändert sich mit der Zeit, so daß es „entweder untergehet und aufhöret/ oder zu wehrender höchster Vollkommenheit/ durch vielerhand abwechselen und Enderungen gerahten muß": Schottelius 1663, S. 40). Zum anderen ist das Hochdeutsche weit in Deutschland ausgebreitet. Also ist das Hochdeutsche „hodie superior" (Schottelius 1663, S. 149) und „das Alte [= das Niederdeutsche] muß dem Neuen [= dem Hochdeutschen] weichen" (Schottelius 1663, S. 158). Schottelius setzt folglich das Hochdeutsche mit der deutschen Sprache selbst gleich: Das Hochdeutsche hat „allein den Nahmen der Teutschen Sprache überkommen/ wie vormals die Attische in Griechenland" (Schottelius 1663, S. 176).
140 141
Vgl. Meissner 1924, S. 259f. Vgl. Metcalf 1953, S. 118, S. 123f.
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2.4. Verbreitung der Schotteischen Auffassung
2.4.1. Grundrichtigkeit der Wortstruktur Für keinen Grammatiker vor dem Niedersachen Schottelius war die logizistische Wortanalyse „der Leitstern der gesamten grammatischen Kunst gewesen."142 Die meisten bedeutenden Grammatiker nach Schottelius gehören dieser „räsonierenden, aus Prinzipien deduziereden" Richtung an. Schon früh bemerken z.B. Christoph Achatius Hager (1642) und Butschky (1645), Schottelschem Denken folgend: „Ist demnach eine äbenteüherliche Sache/ [...] keinen Verstand des rechten N a t u r g e m ä s s e n Buchstabirens zuhaben/ sondern sich bloß unnd allein/ auff den Alten=langwürigsten Gebrauch [...] beruffen/ so noch niemahlß mit rechten [sie!] Gebrauch der Sprache autorisiret/ viel weeniger g r u n d g r ü n d l i c h s t ist untersuchet worden. [...] sintemahl mein Fundament auff keiner Autorität oder langwürigsten Gebrauch/ wie gemeldet/ sondern nur auff N a t u r m ä s s i g e n Lauff/ der rechten Läß= und Schreibung/ der Edlen/ höchst löb= lieb= unnd ziehrlichen Teütschen Sprache/ g r u n d v ö l l i g s t g e g r ü n d e t ist." (Hager 1642, Bl. A2rf.) „Ferner ist bekant/ daß alle und iede Wörter/ deutscher Spraache/ dreyen Veränderungen einverleibet seyn; und derer Jedes/ entweder ein Uhrsprünglich (Primitivum) Herrührlich (Derivativum), oder zusammengesetztes (compositum) ist: Derowegen der rechte n a t u r = g e m ä ß e r e verstand/ besagter dreyer Veränderungen nohtwendig erfordert wirt." (Butschky 1645. S. 27) Als Träger der Entwicklung der Schriftsprache ziehen sich die Oberdeutschen in dieser Zeit „fast ganz zurück." So schließt sich der Nürnberger Harsdörffer sehr früh in den 40er Jahren der spekulativen „Stammworttheorie" an. Über die analogistische Sprachauffassung muß Schottelius in den 40er Jahren mit Harsdörffer brieflich erfolgreich diskutiert haben. Schon im dritten Teil seiner «Gesprach142
Jellinek 1913, S.139. Jellinek 1913,5.113. 144 Jellinek 1913, S.l 13. 145 Der Briefwechsel scheint schon vor 1643 begonnen zu haben. In einem Schreiben an Ludwig vom 8. Juni 1642 zeigt Harsdörffer sein Interesse an Schottelius: „[...] JustiGeorg Schotteis [...] Teutsche Sprachkunst [ist] alhier [= in Nürnberg] mit grosen freuden angenommen worden" (Krause 1855, S. 314). Der Briefwechsel zwischen Harsdörffer und dem Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg, in dessen Diensten Schottelius stand, förderte wahrscheinlich die Korrespondenz Harsdörffers mit Schottelius; den Beginn des Briefwechsels zwischen Harsdörffer und Herzog August setzt Blume „vor Mai 1643" (Blume 1972, S. 94) an. 146 Zu beklagen ist jedoch, daß die ganze Korrespondenz zwischen Harsdörffer und Schottelius bis auf zwei Briefe von jenem an diesen bis heute verloren ist; vgl. Berns 1978, S. 97. Bei Narciss (1928) sind die beiden Briefe (vom 15. Febr. 1647 und vom 143
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spjele» [sic!] im Jahr 1643, zu dem Schottelius eine Zuschrift gibt (vgl. Harsdörffer 1643, S. 468f), benutzt Harsdörffer das Schotteische Lieblingswort grundrichtig: „Solchermaßen kan [...] die liebliche Volkommenheit und Wollaut unserer Sprache G r u n d r i c h t i g erhalten/ und die Außländer zu Erlernung derselben aufgemuntert werden." (Harsdörffer 1643, S. 317f.) In dem Brief an Fürst Ludwig vom 19. April 1643, mit dem Harsdörffer dem Fürsten ein Exemplar dieses Buchs zuschickte, macht er wiederum von diesem Wort Gebrauch: „Die Wortschreibung betreffend, scheinet als ob selbe noch der Zeit nicht Zu g r u n d r i c h t i c h e m [sie!] Stande gelanget were; massen d e r S u c h e n d e , welcher in unserer Sprache viel nützliches und nöhtiges gefunden, seine meinung in vielen geändert, und bey wieder auflegung seiner Sprachkunst ferneres Zu thun gedenket." (Krause 1855, S. 315 f.) Dieses Schreiben besagt außerdem, daß der „Spielende" damals Schottelius schon persönlich sehr gut kennt, weil jener den Wunsch „des Suchenden" kennt, die stark veränderte Auflage seiner «Teutschen Sprachkunst» zu veröffentlichen. Daß dieser Wortgebrauch nicht zufallig ist, erweist der folgende Brief „des Spielenden" an „den Nährenden" im September oder Oktober 1643: „Es könte Zu algemeiner entschuldigung dienen, das unsre Deutsche Sprache, noch der Zeit Zu keiner volligen K u n s t r i c h t i g k e i t kommen, welche vermittelst eines grund=schicklichen Wortbuches Zu erhalten seyn würde. [...] Des Suchenden Sprachkunst ist die letzte und vollkomlichste Schrift hierinnen; hat aber noch Zur Zeit geringen beyfall, und ist erwehnter Suchender selbsten viel Zu ändern bedacht, bey verhoffter Wiederauflegung besagten buches. [...] Deutsch: Teutsch. Dieses Worts g r u n d r i c h t i g e Schreibung ist in der Sprachkunst [des Schottelius] am 66. und 67. blat umständig an= und ausgeführet." (Krause 1855, S. 320 u. S. 322) Harsdörffer spricht hier nicht nur von der grundrichtigen Schreibung, sondern auch von der Kunstrichtigkeit der Sprache, die der Schotteischen Bezeichnung Grundrichtigkeit analog gebildet ist und dieser zu entsprechen scheint. Die 18. Febr. 1653) abgedruckt (Narciss 1928, S. 18Iff. und S. 185ff.). Narciss bemerkt, daß „die beiden Männer - sicher häufiger als wir heute noch nachweisen können Briefe [wechseln]" (Narciss 1928, S. 41). Berns, der die Edition des SchotteliusBriefwechsels vorbereitete, stellte auch fest, „daß die Zahl der poetischen und sprachwissenschaftlich interessierten Gelehrten [...] wie die der gelehrten Poeten (Harsdörffer, Rist, Birken [...]) besonders groß ist. Doch ist nicht zu verschweigen, daß hier auch wohl die größten Verluste zu beklagen sind." (Berns 1978, S. 97). 147 In «Gesprachspjele» (1643) spricht er von der „kunstrichtigen Kündigkeit unser Sprache" (Harsdörffer 1643, S. 318). 148 Das meint Josten 1976, S. 315. Aber streng genommen heißt Kunstrichtigkeit eigentlich, daß die Sprache nach der Kunst, also wissenschaftlich, völlig erfaßt ist, während Grundrichtigkeit eher meint, daß die Sprache ihre eigentliche Regelmäßigkeit aufweist. Laut DWb ist das Wort Kunstrichtigkeit ,jetzt schwer mit einem wort
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Bezeichnung kunstgründig, die bei Schottelius in der «Teutschen Vers= oder Reimkunst» (1645) vorkommt , hatte Harsdörffer schon im dritten Teil seiner «Gesprachspjele» (1643) benutzt.150 Andererseits benutzt „der Spielende" auch für analogial analogicus die deutschen Bezeichnungen, von denen „der Suchende" nicht Gebrauch macht, wie z.B. gleichgründig*52, Wortähnlichkeit152, Gleichstimmung und Ebenmaß. Die beiden Sprachgelehrten nutzen also zum terminologischen Ausdruck die Wortbildungsmöglichkeiten vor allem mit grund-,
wiederzugeben" (DWb 5. Bd., Sp. 2725). Die entsprechende Adjektivform kunstrichtig gebraucht Harsdörffer auch: „ES ist nicht zu wundern/ wan man sich wegen k u n s t - r i c h t i g e r Verfassung der deutschen spräche noch der zeit nicht vergleichen kan" (Brief an Zesen vom 10. Apr. 1645, abgedruckt in: Bellin 1647, Bl. G8V); „Es ist die frage: Wie man das Deutsche Sprachwesen, in eine k u n s t r i c h t i g e , gleichgründige, und allen eigenschaften gemäße verfaßung setzen könne?" (Brief an Gueintz vom 31. Jan. 1646, abgedruckt in: Krause 1855, S. 351). Schottelius gebraucht das Substantiv Kunstrichtigkeit im Jahre 1663. Das Adjektiv gibt er 1651, 1663 und 1676 im terminologischen Verzeichnis an (,Jiunstrichtigl Certium & exquisitum juxta artis doctrinam"), im Text kommt es jedoch niemals vor: dazu vgl. Tabelle l (S. 40). 149 „[...] wie ein munters geistreiches Gemüht [...] die Teutsche Hauptsprache K u n s t g r ü n d i g und grundrichtiglich [...] anwenden/ auffsuchen und gebrauchen künne" (Schottelius 1645, S. 3). Das Wort kunstgründig gebraucht Schottelius wieder 1676 im Text nachdem er es 1651 und 1663 im terminologischen Verzeichnis so erklärt hat: kunstgründig/ Juxta artis formam fundamentale": vgl. Tabelle l. „Hier ist erstlich zu betrachten die k u n s t g r ü n d i g e Art der Rechtschreibung" (Harsdörffer 1643, S. 321). In der Lobrede für die «Teutsche Vers= oder Reimkunst» (1645) von Schottelius macht er von dieser Neubildung Gebrauch: „Teutschliebende gelahrte Gemühter werden [...] mit rechter Meisterhand und K u n s t g r ü n d i g e r Wolständigkeit das volle Kunstgebeu zu fernerem ende setzen" (Schottelius 1645, Bl. B2r). In seinem sprachwissenschaftlichen Werk «Specimen Philologiae Germanicae» (1646), das lateinisch geschrieben ist, erwähnt Harsdörffer sehr oft analogial analogicus, wie z.B.: „Philologum secundum A n a I o g i a m Linguae nostrae dici posse Einen Wortdoden [...]" (Harsdörffer 1646, S. 10); „[...] Titel/ rectius quam Titul ex A n a l o g i a Linguae; quia nulla bissyllabica vox germanica in ull sed semper in eil ut Capitell Insel [...]" (ibid., S. 355). 152 Vgl. das Zitat aus Krause 1855, S. 351 in Anm. 148. „[...] hat sich Julius Cäsar nicht gescheuet etliche Bücher von der W o r t ä h n l i c h k e i t zu fassen" (Harsdörffer 1647, S. 115). 154 „Die V. Ursache ist die durchgehende G l e i c h s t i m m u n g der Sprache" (Harsdörffer 1647, S. 115). „[...] angeborne eigenschaft [der Sprache]. Die muß erlernet und angesehen werden auß dem Gebrauch, und dan der Sprache E b e n m a ß oder Analogie [...]." (Harsdörffer ,Unvorgreiffliches wolgemeintes Bedencken' von 1648, abgedruckt in: Krause 1855, S. 389).
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kunst- sowie gleich- als Bestimmungswörter und -mäßig sowie -richtig als Grundwörter aus. Bemerkenswert ist noch, daß Johann Rist im Lobgedicht auf Schottelius am Anfang der «Teutschen Vers= oder Reimkunst» (1645) die Bezeichnung grundrichtig wahrscheinlich absichtlich benutzt: Die werthe Teutsche Sprach (O könt ichs jhm verdanken!) Hat Er [= Schottelius] zu allererst in wolgebaute Schranken Der Lehr und Kunst gesetzt; sol/ daß ein Teutscher Mann Durch jhn/ die Muttersprach g r u n d r i c h t i g schauet an. [...]" (Schottelius 1645, Lobgedicht von Rist, Bl. B3V) Dieser Gebrauch deutet auf die Durchsetzung dieses Wortes im sprachbewußten Gelehrtenkreis in der Mitte der 1640er Jahre hin. So gebraucht Philipp von Zesen z. B. das Adjektiv grundrichtig in seinem Schreiben an Johannes Bellin vom Februar oder März 1645.157 Auch der Verfechter des anomalistischen Standpunkts, Fürst Ludwig, gebraucht das Wort Grundrichtigkeit in seinem Brief an Harsdörffer vom 3 1 . Jan. 1 646, um die Schottelius-Harsdörffersche Richtung zu 158 bezeichnen. Im Vorwort vom «Sende=schreiben» (1647) gebraucht Bellin 159 grundrichtig. Die dritte Auflage von Zesens «Helikon» (1649) hat sogar in
In diesem Zusammenhang äußert Fürst Ludwig am 31. Jan. 1646 Interessantes: „Es werden auch viel neue Wörter gemacht, die nicht die besten sind, als kunstrichtig, gleichgründig, hertztraurig und dergleichen, da es an richtig, gleiches grundes und traurig genug were, den man nicht kopftraurig wird sagen können" (Krause 1855, S. 353). „Haben nuhn die Alten gesähen/ daß dergleichen Wörter [...] der noch izund üblichen und g r u n d - r i c h t i g e n aus-sprache nach mit einem ä sollen geschrieben warden/ so sollen wier [...]" (abgedruckt in: Bellin 1647, Bl. C6r). 158 „Rationem nostrae linguae müssen wir ex hodierna nostra consuetudine et pronuntione nemen [...], das haben Varro und andere Grammatici auch gethan, und ist es den alten und neuen Sprachlehrern nicht Zuwider, wol aber den neuen einbildungen. Wan die nicht ihre Mundarten wollen Zu rechte bringen, so können wir nichts thun, ihre g r u n d r i c h t i g k e i t mögen sie lassen ausgehen, und dan sehen, wie es werde geschetzet und aufgenommen werden" (In: Krause 1855, S. 353f.). Unter dem Lemma Grundrichtigkeit gibt das DWb einen Beleg dieses Wortes bei Fürst Ludwig an: „(die) gr. [= Grundrichtigkeit] der deutschen poesie zu finden LUDWIG VON ANHALT an Schotte! in: allg. dtsche biogr. 32 409" (DWb 4. Bd., I. Abt., 6. Tl., Sp. 884f.): Dieser Wortgebrauch läßt sich weder im Artikel „Justus Georg Schottelius" der «Allgemeinen Deutschen Biographie» noch in den von Krause gesammelten Briefen nachweisen. Sicherlich liegt hier ein Mißverständnis vor: Es ist nicht Fürst Ludwig im 17. Jh., sondern der Verfasser des Artikels (Max v. Waldberg) im ausgehenden 19. Jh., der von „Grundrichtigkeit der deutschen Poesie zu finden" sprach; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 1891, Bd. 32, S. 409. 159 „Dan aus so vielen unterschiedlichen Meinungen würd man ja endlich eine g r u n d r i c h t i g e träffen können/ und sich in aus-arbeitung der deutschen spräche vergleichen" (Bellin 1647, Bl. A2V).
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ihrem Titel das Wort grundrichtig, das in der ersten und zweiten Auflage (1640/41) nicht vorkommt.160 Gleicherweise steht das Wort im Titel eines Harsdörfferschen Werkes von 165l.161 Wie sich dann das Schotteische Denken mit seiner Terminologie verbreitete, davon zeugen außerdem die folgenden Formulierungen der Grammatiker der 1660er bis 1690er Jahren: „Dän wil man Latein zu Deudsch machen/ so mus man ja zufor die Deudsche spräche verstähen/ und nach jren g r u n d r i c h t i g e n L e r s ä z z e n zu reden wissen: dän sonsten oft böses Deudsch warden würde/ wän man sich an das Lateinische allenthalben wolt binden." (Bellin 1660, Bl. A9rf.) „Gleichwol mangelt noch die perpectua & sibi constans Germanismi a n a l o g i a , das ist/ die g l e i c h d u r c h g e h e n d e E i n l i c h k e i t [recte: Ehnlichkeit] der Hoochdeutschen Spraache/ [...]. Ein solches Werk zu richten/ das ist/ perpetuam Germanisimi a n a l o g i a m zu untersuchen/ habe/ nach meiner Wenigkeit/ vor dritthalb Jahren ich mich unterfangen. Und ob es wol anfangs schwer fiel/ die G r u n d = R e g e l zu finden/ hat es mir doch gelungen/ daß ich den r e c h t e n G r u n d ersunnen/ und geleget/ darauf die Neue Hoochdeutsche Grammatica vest stehen und bestehen kan." (Pölmann 1671, Bl.)(2 r f.) „Das l .Cap. Von der K u n s t r i c h t i g k e i t der Teutschen Sprache/ und deren fähigkeit zur Poeterey [...]" (Morhof 1682, S. 447) „Dann obwol eine d u r c h g e h e n d e G l e i c h h e i t [...] mehr zu wünschen/ als zu hoffen; stünde es doch fein/ und käme desto leichter an zu lernen/ wann man die meisten Wörter nach gewissen Regeln g l e i c h f ö r m i g schribe. [...] Man soll nichts thun/ was man nicht mit einer guten Ursach könte schirmen." (Prasch 1687, Bl. A3r) „Es ist ja billig/ sage ich/ daß ein jeder seines Vermögens beytrage/ damit insonderheit die Hochdeutsche itzt übliche Haupt= und Helden=Sprache in ihre k u n s t r i c h t i g e Verfassung/ in ihre g r u n d m ä ß i g e Wortschreibung/ und in ihren höchsten Ehrenstand gebracht und völlig eingerichtet werde." (Bödiker 1690, Bl. A5V) „Wann aber ein Zeitwort die Gebietweise [= den Imperativ] nicht hat [...]; So muß deren Stelle die Anzeigweise [= der Indikativ] vertreten/ [...] obschon der allzufreye Irrtum spricht: mache/ sage/ [...]; So kan doch solcher Austritt der G r u n d r i c h t i g k e i t nichts benemen." (Stieler 1691, S. 137f.) «Durch-aus vermehrter und Zum dritt- und letzten mahl in dreien teilen ausgefartigter Hoch-deutscher Helikon/ oder G r u n d - r i c h t i g e anleitung Zur hochdeutschen Dicht- und Reimkunst» (Wittenberg 1649). Die erste Auflage heißt: «Deutscher Helicon/ oder Kurtze Verfassung aller Arten der Deutschen jetzt üblichen Verse/ wie dieselben ohne richtiger Anzeiger der Deutschen gleichlautenden und einstimmigen/ so wohl Männlichen/ als Weiblichen Wörter (nach dem abc. Reimweise gesetzt) zu finden» (Wittenberg 1640). «Delitiae Mathematicae et Physicae. Der Mathematischen und Pilosophischen Erquickstunden Zweyter Theil: Bestehend in Fünffhundert nutzlichen und lustigen Kunstfragen, nachsinnigen Aufgaben und derselben g r u n d r i c h t i g e n Erklärungen [...]» (Nürnberg 1651).
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Der Titel der Grammatik von Pudor (1672) heißt sogar „Der Teutschen Sprache G r u n d r i c h t i g k e i t / Und Zierlichkeit". Die Begriffe Stammwort, Hauptendung und zufällige Endung sind nunmehr unentbehrliche Werkzeuge der Grammatiker: „[...] daß die Deutsche Spraache fast unter allen Spraachen die meisten einsylbigen Wörter hart/ welche wier dann vor d i e S t a m m = und W u r t z e l = W ö r t e r halten."(Zesen!643,S. 13)'62 „Muß derohalben allzeit auff das S t a m m = o d e r W u r t z e l = w o r t gegangen/ und im schreiben gutte achtung gegeben werden." (Butschky 1645, S. 5) „Alle Primitiva, S t a m m w ö r t e r Weibliches Geschlechts/ welche sich auffeinen Consonanten endigen/ sind im Singulari unwandelbar." (Girbert 1653, Bl. Cl r ) „Nach der Ableitung. Und also ist ein Wort entweder ein S t a m m w o r t : (primitivum) oder ein Abgeleitetes, (derivatitum.) Egr. Gott/ Göttlich. Ha u p t = E n d u n g e n / dabey man die Abgeleiteten erkennen kan/ sind nach Schottelij Anmerckung/ Ein und Zwantzig. [...]." (Pudor 1672, S. 15) „Wievil sind H a u b t e n d u n g e n ? H. Schotte! zehlet 23. so alle einsilbig [...]. Welche sind S t a m m w ö r t e r ? Haubtsächlich das Nenn= und Wirckwort. Als: Von Herr/ kommer herrlich [...]." (Prasch 1678, S. 47f.) „Wenn ein S t a m m = W o r t eine neue Sylbe und Endung krieget/ ausser Comparation, Declination und Conjugation, so zeuget es ein derivatum. [...] H a u p t = E n d u n g e n der Deutschen abgeleiteten Nenn=Wörter sind 26." (Bödiker 1690, S. 128f.) „In den Wörtern sind zu mercken: S t a m m b u c h s t a b e n / w e s e n t l i c h e B u c h s t a b e n / u n d zu f ä l l i g e B u c h s t a b e n . " (Bödiker 1690, S. 142)
2.4.2. Überregionalität des Hochdeutschen Bis in die 40er Jahre läßt sich noch bei Grammatikern das sprachlandschaftliche Prioritätsprinzip finden, daß nämlich das Meißnische die reinste und beste deutsche Sprache sei:163 Zesen, der 1640, also vor dem Erscheinen der Schotteischen «Sprachkunst» nicht von „Stammwort" gesprochen hatte, erörterte 1641 das „wurtzel=wort" (Zesen 1641, S. 44). In einem Brief an den ,Bemüheten' (zwischen 1645 und 1647) spricht er wiederholt auch von der „haupt-endung" (abgedruckt in: Bellin 1647, Bl. B8rf.). Der Anhänger des Meißnischen Philipp von Zesen schränkt 1649 die Vorbildfunktion des Meißnischen ein: „Meinen Meisnern selbst kan ich disfalls nicht gleich geben/ noch den rükken halten/ weil sie auch [...] eben so wohl als andere hoch-deutsche Völkerschaften in vielen Wörtern die selb-lauter nicht allein anders schreiben/ sondern auch aus-sprechen [...] so solte man sich dännoch so lange/ bis wier unserer spräche Wörter recht nach ihren stammen gerichtet hätten/ der Meisnischen mund-ahrt und aus-sprache/ als der mittel-tüpfel des gantzen hoch-deutschlandes üblichen und durch dem [sie!] Großen Lutern und andere erleuchtete manner am basten aus-gearbeiteten spräche billich gebrauchen" (Zesen 1649, Bl. J4rf.).
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„Die Reinligkeit sonsten des Deutschen an ihr selbst belangend/ so bestehet dieselbe vornehmblich darauff/ daß man sich guter Meisnischer/ und bey den fürnehmen Cantzeleyen bräuchlicher Worte gebraucht/ anderer aber sich enthalte." (Buchner, vor 1638 geschrieben; 1663 gedruckt, S. 63) „[...] doch geht die Meißnische/ welche die rechte hochdeutsche/ allen ändern vor/ vnd wird in ändern landen ohne bedencken gebraucht." (Zesen 1640, Bl. C5r; ebenso Zesen 1641,8.45) „[...] Alß hab ich mich mit sonderm Fleiß dahin bearbeitet/ das solches nach r e c h t e m G e b r a u c h der r e i n e n t e ü t s c h = M e i s c h n i s c h e n S p r a c h e / anderweit mögte an Tag kommen/ zu welchem End ich mich sonderlichen belieben lassen/ den Anfang von der Teütsch=teütschen Orthographia zumachen." (Hager 1642, Bl. A2r) „Derhalben es auch die jenigen/ so anderer mundarten gewohnet/ und derer sich gebrauchen/ nicht übel vermercken werden/ das diese rechtschreibung meistentheils nach dieser mundart in dem O b e r S ä c h s i s c h e n / Meisnischen/ M a g d e b ü r g i s c h e n und A n h a l t i s c h e n Ländern/ wie sie an Chur= und Fürstlichen Höfen/ auch in etzlichen fürnemen/ und wegen jhrer lieblichen ausrede berühmeten Städten gebräuchlich/ eingerichtet worden." (Gueintz 1645, S. 25)
Wie dieses Zitat schon andeutet, wird in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Idee des Hochdeutschen als eine überregional geltende Sprache bei den Grammatikern am geläufigsten: „Absonderlich auff gut achten Vornehmer Leute dahin das Absehen gehabt/ nicht die Schwäb= Schweitzer= Niederländ= auch nicht die Niedersächsische Sprache; sondern nur die/ s o C o m m u n i s G e r m a n i a e M e r c u r i u s genennet wird/ vnd die das D e u t s c h e R e i c h s e i b e s t e n in den Abschieden/ Cantzeleyen/ Consistorien/ vnd Druckereyen bißhero gebraucht hat/ [...] zubeobachten." (Girbert 1653, Bl. A2V) „Vor allen dingen muß man sich befleißigen der rein= und zierlichen mundart/ welche die Hochdeutschen/ sonderlich aber das d e u t s c h e R e i c h s e l b s t in den Abschieden und in den Kanzeleyen von langen jähren her gebraucht haben." (Tscherning 1659, S. 39f.) „Es möcht' aber alhir imand fragen/ Durch was für mittel er dän zu der gründlichen Wissenschaft oft rümlichst gedachter Deudschen spräche gelangen solle und könne/ und zwar zu derselbigen/ [...]/ welche sonst die Hochdeudsche spräche/ oder mundart genännet würd? [...] Jdoch aber weil fast ke i n o r t zu f i n d e n / da die Hochdeudsche spräche durchgehend rein geredet würd." (Bellin 1660, Bl. AI l r f.) „Die Niedersächsische Sprache [...] die am nähesten kommt der alten Sprache. Die Oberländische Sprache/ [...] an den OberSachsen/ Francken/ Schwaben/ Schweitzem/ Rheinländern/ Bäyeren/ Oesterreichern. u.s.w. Die Hochdeutsche Sprache/ die durch angewandten Fleiß d e r Gelahrten nunmehr a u ß d e n v o r i g e n A r t e n e r w a c h s e n / und welcher das gütige Verhängniß die rechte Macht und Zierde gönnet." (Bödiker 1690, Bl. A8V); „Die Hochdeutsche Sprache ist k e i n e M u n d = A r t eines einigen Volcks oder Nation der Deutschen/ sondern a u ß a l l e n durch Fleiß der Gelahrten zu solcher Zierde erwachsen/ und in g a n t z D e u t s c h l a n d üblich. Nur/ daß ihr die
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Meißner und OberSachsen am nechsten mit reinlicher Außsprache kommen." (Bödiker 1690, S. 182) „Diese hochteutsche Sprache/ welche das T e u t s c h e R e i c h auf Reichstagen/ in Kanzeleyen und Gerichten/ so wol die Geistlichkeit in der Kirche/ auf öffendlichen Kanzeln und im Beichtstul/ wie nicht weniger die Gelehrte in Schriften/ und männiglich in Briefen/ Handel und Wandel gebrauchen/ nicht ist/ noch zu einer durchgehenden Kunstrichtigkeit vor sich und besonders gelangen kan/ in dem/ wie der berümte Suchende [= Schottelius] recht urteilet. Omnibus dialectis aliquid vitiosi inest, quod locum regulae in lingva ipsa habere nequit. Dahero wir uns die teutsche Sprache allhier n i c h t / als e i n e t e u t s c h e M u n d a r t / sondern a l s e i n e d u r c h g e h e n d e R e i c h s H a u b t s p r a c h e / vorstellen/ [...]. Sintemal das Hochteutsche nunmehro in ganz Teutschland den Preis erlanget/ worinnen der Teutschen Rede Zierde/ Kunst und Vollkommenheit allein undersuchet/ erlernet und fortgepflanzet werden muß." (Stieler 1691, S. l f.)
2.5. Luther und die Grammatiker Im 17. Jahrhundert fand Fürst Ludwig in der Lutherbibel viele „Druckfehler" und viele Einzelfalle, die „wieder [sie!] die Deutsche Sprachlehre" (Brief von 1644, abgedruckt in: Krause 1855, S. 269) laufen. Nach Gueintz (1645) seien gegen die Rechtschreibung in Luthers Schriften viele Einwände zu erheben, weil die Drukker oft Fehler gemacht haben sollen: „Lutherus ist billig der Deutschen spräche in KirchenSachen Urheber/ die ReichsAbschiede in Weltlichen dingen die Haubtbücher/ Wie wol bey beyden/ [...] die S c h r e i b e r u n d D r u c k e r oftmals ge f e h l e t / noch viel erinnerungen/ was die Rechtschreibung betrifft/ zu thun seind. [...] es ist a l t / nicht mehr üblich/ nicht verständlich." (Gueintz 1645, S. 5) Harsdörffer und Schottelius, die nicht auf dem sprachhistorisch mit Luther verbundenen Meißnischen bestanden, konnten ausdrücklicher auf die grammatische Unkorrektheit bzw. Zeitbedingtheit der Luthersprache hinweisen. Harsdörffer widerlegt mit der folgenden Logik das Gebrauchsprinzip Gueintzens: Wenn man die Gewohnheit „allen richtigen Ursachen vorziehen, [...] so müßen wir alles, wie es vor 100 und mehr Jahren gewesen, behalten, und hat der Streit ein ende" (Brief von 1646, abgedruckt in: Krause 1855, S. 374). Das heißt, dann müßte Gueintz sich nach der Gewohnheit vor hundert Jahren, also nach der Orthographie Luthers, richten. In den Grammatiken wurde trotzdem die sprachliche Leistung Luthers sowie der Vorbildcharakter der Luthersprache neben den anderen Vorbildern wiederholt hervorgehoben: „Derowegen dieses zu setzen/ und also eine gewisse Richtschnur zumachen: Was bis anhero bey den Deustchen gelobet und vernünftig beliebet worden/ das sol man behalten. Kurtz: L u t h e r u s ist billig der Deutschen spräche in KirchenSachen
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urheber/ die ReichsAbschiede in Weltlichen dingen die Haubtbücher." (Gueintz 1645, S. 4f.) „Beyneben sol man ihm insonderheit Hn. L u t h e r i Schrifften/ wie schon gedacht/ angelegen sein laßen/ und dieselben fleißig lesen. [...] Zu unser Zeit sind numehr schöne herrliche bücher in unser Muttersprache/ sowol in gebundener als ungebundener rede/ albereit ans Licht kommen/ daraus man sich gleichfals genugsam kan unterrichten laßen." (Tscherning 1659, S. 39f.) „Die Rechtschreibung muß auß Lesung guter Bücher angesehen werden. Es ist aber kein besser Buch/ das die Deutschen haben/ als die heilige Deutsche Bibel/ auß Übersetzung des seligen Mannes Gottes/ Herrn L u t h e r u s . [...]/ Denn es kan dieses Buch/ [...] für ein Muster der Rechtschreibung passiren." (Bödiker 1690, S. 36) Bei Schottelius und Harsdörffer wie auch bei anderen Grammatikern blieb Luther immer noch „rechter Meister Teutscher Wolredenheit" (Schottelius 1651, S. 290). Sie nahmen in ihren sprachtheoretischen Schriften als Beispiele für eigene Vorschriften viele Wörter und Redewendungen aus der Lutherbibel auf, die ihnen als reiche Quelle des deutschen Wortschatzes galt. Die Grammatiker begründeten sogar manchmal die Richtigkeit einiger von ihnen selbst festgesetzten Regeln mit dem Hinweis, daß sich die jeweils betreffenden grammatischen Erscheinungen auch bei Luther als Autorität (auctoritas) finden ließen. Zum Beispiel rechtfertigt Harsdörffer die Imperativform des Singulars ohne das e folgendermaßen: „D. Luther schreibet laß, komm, iß, sitz, greif, nim etc. Sirach 31 und hin und wieder an anderen orten mehr." (Brief von 1646, abgedruckt in: Krause 1855, 373). In diesem Zusammenhang sei an den Hinweis von Henne (1968a) erinnert: „Der Verweis auf Luther als Vorbild im 17. Jahrhundert bedeutete n i c h t m a t e r i e l l die Übernahme seiner Grammatik und Lexik, sondern signalisierte nur die Forderung eines gehobenen Stils, einer über den Landschaften liegenden Hochspra, !64 ehe. Bei der Aufnahme von Luthers Wörtern und Redensarten spielte daher die Schreibung wie auch die Wortform, also das Materielle, der zitierten Beispiele nur eine sekundäre Rolle, weil die jeweilige „Lutherbibel" orthographisch wie auch flexonsmorphologisch an die Gepflogenheiten des Druckortes und der Zeit a ng e p a ß t und in den sprachnormierenden Werken nach den - im Verlauf der Zeit mehr oder weniger geänderten - Vorschriften der Grammatiker selbst e r n e u t k o r r i g i e r t wurden. Zum Beispiel wurden die in der ersten Auflage der Grammatik von Schottelius (1641) angegebenen Beispiele aus Luther schicken. Nahmen, plauderns, hinzuthun und heißhungrig in der zweiten Auflage Schottelius (1663) zu schikken, Namen, Plauderern, hinzutuhn und Heishungerig geändert.165 Deshalb wird Bellin (1660) nicht die Original-Bibel von Luther 164 165
Hennel968a, S. 85. schicken (Schottelius 1641, S. 648), Nahmen (ibid., S. 409), plauderns (ibid., S. 449), hinzuthun (ibid., S. 279), heißhungrig (ibid., S. 134); schikken (Schottelius 1663, S. 782), Namen (ibid., S. 545), Plauderern (ibid., S. 577), hinzutuhn (ibid., S. 297), Heishungerig (ibid., S.92).
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selbst, sondern die in dieser Zeit grammatisch revidierten Versionen der Lutherbibel meinen, wenn er schreibt: „Die richtige Ab= Zeitwandel= und Wortfügung [= die Deklination, Konjugation und Syntax] der Wörter aber [...] müssen in guten/ bewerten/ und von idermanne angenommenen Deudschen Schriften gemärket/ und aus denselbigen gelernet warden. Vnter solchen Schriften aber ist unter den basten die Deudsche Dolmetschung der heil. Schrift Hrn D. Märt. L u t e r s d i e a 11 er b äs te ." (Beilin 1660, Bl. AI .) Darauf weist Bödiker (1690) noch Ende des Jahrhunderts hin: „Es ist aber kein besser Buch/ das die Deutschen haben/ als die heilige Deutsche Bibel/ auß Übersetzung des seligen Mannes Gottes/ Herrn Lutherus. [...] Denn es kan dieses Buch/ wenn etwas weniges darinn mit der Zeit g e ä n d e r t würde; [...] für ein Muster der Rechtschreibung passiren." (Bödiker 1690, S. 36) Als Schottelius (1643) eine Einteilung der deutschen Sprachgeschichte in fünf Epochen unternahm, ließ er die vierte zwar mit Luther beginnen, der „alle Lieblichkeit, Zier/ Ungestüm und bawenden Donner in die Teutsche Sprache gepflantzet" (Schottelius 1643, S. 146) hat; diese Bestätigung und Würdigung der sprachgeschichtlichen Stellung und Leistung Luthers bedeutete aber nichts anders, als daß der Theoretiker dem Reformator nur eine historische Bedeutung beimaß, weil die ersten vier Epochen zur Vergangenheit gehören sollten. Die fünfte zukünftige Zeit des Deutschen wollte Schottelius selbst auf dem von Luther gebauten Fundament eröffnen, indem er seinen Zeitgenossen „die rechten richtigen durchgehenden Gründe und Kunstwege" (Schottelius 1643, S. 147) der deutschen Sprache zeigte. Schottelius wollte sein, was Luther im sprachlichen Bereich nicht sein konnte: die grammatische Autorität, der erste richtige deutsche Grammatiker. Die Mitwelt erkannte ihn denn auch als solchen an. Man nannte ihn einen „Teutschen Varro." Als eines der wichtigsten sprachlichen Vorbilder wurde Schottelius in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer wieder genannt: „Erstlich mus man die besten hochdeutschen bücher/ als des Großen Luters Schriften und sonderlich die Übersetzung der h. Schrift/ die Reichs-Abschiede/ die Übersetzung des Französischen Amadieses/ von den alten; von den neuen aber für allen Arnds Schriften/ und dan Buchnern und Opitzen/ darnach die zu Köthen ausgefärtigte bücher [...]. Hierneben mus er auch H. S c h o t t e i s Sprachlehre/ weil wier itzund keine bessere haben/ fleissig und mit scharfsinnigem untersuchen durchsehen [...]." (Zesenl651,S. 224f.) „In der ungebundenen Rede sollen wir erstlich lesen den Teutschen Ciceronem H.D. Luthers Bücher/ welcher das Liecht deß H.Evangelii/ gleichsam auf den Leuchter unsere Sprache gesetzet: Nachgehende kan man lesen Aventinum/ Goldast/ Lehemann/ Hordleder und sonderlich die ReichsAbschiede [...] nachgebende die Sprachlehre und dann die Reimkunst H.D.J.G. S c h o t t e l i u s / welcher am letzten und fleissigsten In den „Carmina Gratulatoria" für die «Teutsche Sprachkunst» (1651) wird Schottelius insgesamt viermal als Varro genannt: vgl. Cherubim 1995, S. 130. Vgl. auch Bergmann 1984.
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den Grund unsrer Sprache untersuchet/ und mit unsterblichen Ruhm glückseligst beleuchtet hat. [...] In gebundener Rede kan der Anfang gemachet werden/ von H.Opitzen und H.Ristens Gedichten [...]." (Harsdörffer 1653, S. 52f.) „[...] daß man nach dem gemeinen Gebrauch [...] gar wohl sagen könte: Störenfried [...] / man muß aber den Brauch von dem Mißbrauch vnterscheiden/ vnd nit darauff achten/ wie der gemeine HaufFe/ welches die meisten/ zu reden pflegen: Sondern wie es bey den verständigen vnd der Spracherfahrnen im Gebrauch. Will derowegen so lange mit Herr S c h o t t e i n bey dieser Regel [= daß der Wortbildungstyp Friedstörer richtiger ist] bleiben/ biß mir auß Herr Doct. Luthers BibelReichsAbschieden/ oder Geschichtschreibern [...] ein Exempel dargebracht wird." (Hanmann 1658, S. 188-191) „[...] Als würde nicht undinlich sein/ das man gute Grammaticos oder Sprachlerer nachslüge/ [...] Welcherlei zwar unterschidliche warden gefunden: idoch aber behält/ meines erachtens/ noch aniz unter allen/ die bisher ans tagelicht gekommen sind/ den preis die schöne arbeit/ welche HrD. S c h o t t e ! erstlich in aufsäz= und hernaach in verbässerung seiner Deudschen Sprachkunst auf sich genommen/ und glüklich geendet hat." (Bellin 1660, Bl. B2V) In diesen Werken wurden Luther als Autorität der Prosa bzw. Beredsamkeit, Opitz als Autorität der Poesie und Schottelius als Autorität der Grammatik nebeneinander gestellt. Insofern wurde die Autorität der Grammatiker mit derjenigen Luthers gleichgesetzt. „[...] Als würde nicht undinlich sein/ das man g u t e G r a m m a t i c o s oder Sprachlerer nachslüge [...]: idoch aber behält/ meines erachtens/ noch aniz unter allen/ die bisher ans tagelicht gekommen sind/ den preis die schöne arbeit/ welche Hr D. S c h o t t e ! erstlich in aufsäz= und hernach in verbässerung seiner Deudschen Sprachkunst auf sich genommen/ und glüklich geendert hat." (Bellin 1660, Bl. B2vf.) Die Formulierung „Luther als grammatisches Vorbild" im Munde der Theoretiker ist somit in der Bedeutung von „grammatisch aktualisierte Sprache Luthers" zu verstehen. Die „Lutherbibel" des 17. Jahrhunderts spielte in d i e s e m Sinne eine ganz besondere Rolle.
3. Rechtschreibung: Vorschrift und Praxis
3.1. Entwicklung der orthographischen Prinzipien In diesem Abschnitt 3.1 sowie in 3.2 können nicht alle Einzelheiten der orthographischen Diskussion dargestellt werden; stattdessen sollen exemplarisch einige bedeutsame, damals umstrittene Teile der Orthographie herausgegriffen werden.
3.1.1. Orientierung am Gebrauch: 1641/42 Gueintz (1641) läßt in seiner Orthographie prinzipielle Äußerungen vermissen, richtet sich praktisch nach dem Sprachgebrauch „recht deutscher Meisnischer spräche" (Gueintz 1641, S. 28, vgl. dazu oben 2.1.2.2.). Der Meißner schreibt z.B. vor: Thaw, Hew, (ibid., S. 19); kompt, frembde, versamlen (ibid., S. 16); kranck, gantz,frey (S. 19), quellen. Schottelius (1641), der im Kapitel über die Rechtschreibung gleichfalls keine prinzipellen Bemerkungen macht, stimmt zu Anfang der ersten „Lobrede" dem orthographischen „Lehrsatz" des Gebrauchs von Quintilian167 zu: „Quintilianus lib. I. Instit. Orat. bewilliget anderweit solchen Lehrsatz: Die Schreibekunst/ sagt er/ muß sich nach der g e w o n h e i t richten: Und nach dem bekanten Spruche ist der Gebrauch/ ein rechter Lehrmeister der Sprachen." (Schottelius 1641, S. 2)
Da auch Schottelius - was die Rechtschreibung angeht - weitgehend das GeI Aft brauchs- bzw. graphiegeschichtliche Prinzip befolgt, unterscheiden sich die
Bei der Erklärung einer Regel hatte Werner (1629) in seiner «Manvdvctio Orthographica» Quintilianus erwähnt: „Hingegen werden auch viel Wörter gefunden/ so dieser Regul zu wieder [nicht mit einem F, sondern] mit dem F. geschrieben werden, e.g. Fackel/Faden [...]. Aber allhier muß man sehen/ n i c h t auff die R e g u l : s o n d e r n auff den g e b r a u c h / wie ein jegliches wort im schreiben gebraucht. Daher sagt Q u i n t i l i a n u s lib. l. Instit. gar recht vnd wol: Orthographia consuetudini servil: Ideoque; saepe mutata est." (Werner 1629, S. 51). Auch Zesen (1643, S. 25) und Pudor (1672, S. 6) erwähnen Quintilianus. l iift In der vorliegenden Arbeit wollen wir die folgenden orthographischen Prinzipien unterscheiden: 1. phonologisches („Schreibe, wie du sprichst"), 2. graphiegeschichtliches (Beibehaltung überlieferter Schreibung), 3. morphologisch(-etymologisch)es (graphische Kennzeichnung der Verwandtschaft ), 4. semantisches (unterscheidende Schreibung der Homonyme) und 5. grammatisches Prinzip (graphische Kennzeichnung der grammatischen Status). Vgl. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera 1993, S. 2024, Piirainen 1980, S. 107-113 und Garbe 1980, S. 206f.
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Regeln der beiden Grammatiker kaum. Auch Schottelius schreibt z.B. Fraw, new, frey, gantz, kranck, darwnb vor. Die Schreibungen -aw, -e\v und -mb/-mp hält Schottelius eigentlich für mißbräuchlich; enthält sich aber b e w u ß t orthographischer Neuerungen von -au, -eu und -m, um den Konservativen einen Gefallen zu erweisen (vgl. näher 3.2.1.). Was Schottelius von Gueintz am wesentlichsten unterscheidet, ist die präzise Regel der Konsonantenverdoppelung wie voll, Schall, Mann nach dem Stammwort- bzw. morphologisch(-etymologischen Prinzip. Nur gegen den Gebrauch der Schreibung mit th wie thun, Theil wendet sich Schottelius (zugunsten von tuhn, Teihl), weil die flektierten Formen zeigen, „daß es falsch sey/ als: Guthl guthes" (Schottelius 1641, S. 196). Die Rechtschreibung von Beilin (1642) ist weitgehend an der Gewohnheit orientiert, wie z.B. Gleubiger, Freyheit, Schmach, Acker, auff, Theil, Hauß zeigen. Der Orthographielehrer Bellin, der 15 Jahre später radikale Reformen fordert, setzt sich jetzt lieber noch auf die Gewohnheit: „Ich habe nur sonderlich dahin gearbeitet/ daß die a l t e R e c h t e S c h r e i b e = K u n s t e r h a l t e n / und auff unsere Nachkommen fort gepflantzet werden möchte. [...] Solte sonst noch etwas (ich halte wenig) seyn/ in welchem ich nebenst ändern von der gemeinen Weise abschritte/ vermercke solches im Besten/ und wisse/ daß ich niemandem etwas auffzudringen/ oder an gesetzte Regeln zu binden willens bin." (Bellin 1642, „Vorrede", S. 3f.) „[...] Daß man allhie sonderlich auff den Gebrauch sehen muß: Denn Gleich wie der Pfennig gilt nach Brauch: So ist es mit den Wörtern auch. Sonst solte man schreiben: [...] Bässer/ bässern von Baß/ [...] einnähmen von Einnahme [...]. Weil aber dieses mit der gewöhnlichen Ausprache nicht wol zustimmet/ wolte ich l i e b e r d i e a l t e G e i g e s t r e i c h e n / s o wird niemand leichtlich geärgert." (Bellin 1642, S. 12) Dennoch schlägt Bellin neue Schreibungen wie mier und qv- (wie erqvickeri) vor und führt in bezug auf -mb/-mp und -aw/-ew den Gedanken von Schottelius fort, indem er die neueren Schreibweisen nimmt, bestimmt ohne -b/-p (S. 24) und -aul -eu (S. 8) aufnimmt. Auch der erst später berüchtigte Zesen gebrauchte 1640 und 1641 noch traditionelle Schreibweisen, wie z.B.: getheilet, glücklich, vngeübt, vnd, jhm, darumb (Beispiele aus der „Vorrede" von Zesen 1640); Gemüthe, hincken, stücke, anjtzt, hette, darumb (Beispiele aus der „Vorrede" von Zesen 1641).
3.1.2. Rechtschreibung in der Diskussion: 1643-50 Als Harsdörffer Ende 1641 von Fürst Ludwig die Gueintzsche Grammatik zugeschickt bekam, versprach er dem „Nährenden", „seine folgende Schrifften nach der überschickten Sprachlehre [= von Gueintz] beharrlich Zu arten" (Krause 1855, S. 309).169 Harsdörffer selbst verfaßte aber dann 1643 im dritten Teil der «Ge-
Harsdörffers Brief an Fürst Ludwig vom 26. Dezember 1641.
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sprachspjele» - als Material zur weiteren Diskussion170 - eine elfseitige Skizze der Orthographie. In dem Schreiben an Fürst Ludwig vom 19. April 1643, mit dem Harsdörffer ein Exemplar dieses Werks dem Oberhaupt schickte, bemerkte der ,Spielende', die Rechtschreibung sei „noch der Zeit nicht Zu grundrichtichem Stande gelanget" (Krause 1855, S. 315). Bei der Abfassung dieses orthographischen Konzepts richtete er sich grundsätzlich „nach des Suchenden Sprachkunst"171 (Krause 1855, S. 319). Anders als Schottelius (1641) erkennt Harsdörffer aber in seinem Entwurf neben dem morphologisch-etymologischen ausdrücklich das phonologische Prinzip an: „Die eigentlichen Buchstaben der Wörter/ werden entweder von jhren S t a m m e n / oder von derselben richtiger A u ß s p r a c h e erlernet." (Harsdörffer 1643, S. 312) Ob der jeweilige Gebrauch zu bewahren ist, wird nach den beiden Prinzipien beurteilt. Dem Gebrauch wird deshalb nur eine untergeordnete Rolle zugesprochen: „Solchermaßen kan mit mehrern die sichere Gewißheit in unserer Sprache am rechten Ende außgesucht/ und der beliebte Mißbrauch (welchem fast die Meisterschaft zugemessen werden wil) entdeket/ almächlich außgeschaffet/ d e r r e c h t e Geb r a u c h (von welchem ohne gute Vrsachen nicht abzutretten ist) bestettiget die liebliche Volkommenheit und Wollaut unserer Sprache Grundrichtig erhalten/ und die Außländer zu Erlernung derselben aufgemuntert werden." (Harsdörffer 1643, S. 317f.) Neu bei Harsdörffer ist die Schreibung mit einfachem k wie stark: „das c [...] soll dem k nicht beygesetzt werden/ weil das k für sich allein stark genug ist" (Harsdörffer 1643, S. 316). Mit den Schreibungen wie fremd (statt frembd), qwellen (S. 316) und beharrlich (Gemination: dazu vgl. 3.2.1.2.) weichen die Regeln Harsdörffers (1643) vom alten Gebrauch ab. Im gleichen Jahr formulierte Philipp von Zesen (1643) in seiner «Hooch= Deutschen Spraach=übung» seine Ansichten über die neue Rechtschreibung, dergemäß z.B. merken statt mercken (Zesen 1643, S. 66), erwekket statt erwecket (ibid., S. 44), Frau statt Fraw (ibid., S. 40), mier statt mir (ibid., S. 69), tuht statt thut (ibid., S. 47) und langsam statt langsamb (ibid., S. 49) geschrieben werden sollte. Harsdörffer und Zesen hatten „unabhängig voneinander ähnliche orthographische Reformen vorgeschlagen." Das wichtigste orthographische Prinzip von Zesen
Harsdörffer meint hier: Es sei „hoch vonnöthen/ daß ein jeder seine Meinung frey eröffne/ und auch andere darüber verneine" (Harsdörffer 1643, S. 318). So schreibt es auch Harsdörffer in einem Brief an Fürst Ludwig vom 20. Sept. 1643. Vorher hatte Harsdörffer im Schreiben an den Fürst Ludwig vom 8. Juni 1642 berichtet, daß die Schotteische „Teutsche Sprachkunst alhier mit grasen freuden angenommen worden" (Krause 1855, S. 314) sei. Jellinek 1913, S. 163. Dieser bemerkt weiter: „Harsdörffer hat bei Abfassung des 145. Gesprächspiels [= der orthographischen Skizze] die «Sprach=übung» sicher nicht gekannt; da er mit Zitaten nicht spart, ist kein Grund abzusehen, warum er den
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ist aber die „Ausspraache". Immer wieder zieht er die Aussprache und damit die „wohllautung" heran: „Die jenigen welche der Hoochdeutschen Schreib=richtigkeit nachgehen/ pflegen der w o h l l a u t u n g nicht ein geringes Teil einzureumen." (Zesen 1643, S. 32) „Das wort HO// ist allhier mit einem doppelten // geschrieben/ welches der rechten Hoochdeutschen A u s s p r a a c h e und Redens=Art gantz zu wider leufift/ drum soll es mit einem hl als/ wohl/ Wohlleben nicht HO/// wolleben geschrieben werden." (Zesen 1643, S. 66) Dabei richtete sich Zesen nach der Aussprache in seiner Heimat Meißen, wie er schon 1640 und 1641 deutlich gemacht hatte: „[...] doch geht die Meißnische/ welche die rechte hochdeutsche/ allen ändern vor" (Zesen 1640, Bl. C5r; ebenso Zesen 1641, S. 45). Neben dem phonologischen wird auch das morphologische Prinzip genannt: „[...] das einfache / oder d solte zu schwach klingen/ das doppelte («) aber allzuhart/ das were wider die Ausspraache und auch wider das S t a m m w o r t selbst/ darum muß man das dt darzu gebrauchen." (Zesen 1643, S. 35) „In dergleichen Wörter muß man sehen wie sie in ihrem wachstuhme [= Plural] und beugung ausgesprochen werden oder geschrieben werden. Als wann ich schreibe/ die bäderl wändet händel des bundesl gesundes; sehe ich und höre es auch leichtlich in der Ausspraache/ daß ich im S t a m m w o r t e und in der eintzelen Zahl kein t. sondern d gebrauchen sol/ alß/ badl wandt hand! bund/ gesund: Rahtl hatt in seinem wachstuhme/ Rähte." (Zesen 1643, S. 35f.) Nur einmal spricht er vom Gebrauch als Kriterium der Schreibung: „Seyn uns dann nicht sonderliche gesetze vorgeschrieben/ wann wier den Doppellautenden oder den selblautenden oder den selblautenden mit dem h gebrauchen sollen. Nein. Wier müssen es nur aus dem G e b r a u c h e und g e w o h n h e i t erlernen/ weil es in gewisse Regeln nicht wohl kann abgefasset werden." (Zesen 1643, S. 53)173 Die von Zesen (1643) selbst in seinem Werk praktizierten Kennzeichnungen der Vokaldehnung zeigen, daß Zesen die Schreibungen , ee, oo, uu und ie nur für solche Wörter gebraucht, die herkömmlich ohne h geschrieben worden waren: spraache, hooch, buuch, mier; aber: strahlen, annehmen, wohl, uhrsache, ihr. Einige Jahre später bemerkte Zesen in einem Brief an den ,Bemüheten' (zwischen 1645 und 1647), es sei - nach dem phonologischen Prinzip - am besten, die Vokaldehnungen sogar „mit einem gebogenen und über sich-gespiztem ober-striche" (abgedruckt in: Beilin 1647, Bl. B8r), also a, e, i, ö und ü, zu bezeichnen.
Namen des willkommenen Bundesgenossen verschwiegen haben sollte" (Jellinek 1913,5.163). Beilin (1642) bemerkt schon; „Es wird nicht allezeit das H den Vocalen nachgesetzet/ wenn sie lang außgeredet werden: Sondern nur in gewissen Wörtern/ welche man auß dem Gebrauch lernen muß" (Bellin 1642, S. 34).
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Am Harsdörfferschen Rechtschreibkonzept, vor allem an dank und beharrlich, übte Fürst Ludwig noch 1643 ausschließlich nach dem p h o n o l o g i s c h e n P r i n z i p Kritik.174 Die Ersetzung von ck durch k wird von Fürst Ludwig gemäß der vermeintlichen Aussprache abgelehnt: „Das wort Bemerckung und dergleichen Wörter mehr werden darumb mit einem ck geschrieben, weil das c an dem orte an stat eines k und das wort also gleich mit einem Zwiefachen k in Zweien Silben stehet: die aussprache es auch nicht anders giebet, inmassen in dem worte Starc=ken auch Zu sehen, und viel andere mehr. Es giebet auch die Verdoppelung, der mitlautenden eine sonderliche Zierde und liebligkeit in der spräche und keine härte [...]. Was die Holländer mit ausmusterung des c aus ihren deutschen Buchstaben gethan, kann die hochdeutsche Sprache nicht binden, oder ihr regeln geben. Caesius [= Zesen] hat viel Sachen alZu subtil und spitzig gesetzet, die sich so nicht wollen einfädeln lassen." (Krause 1855, S. 324f.) Als Harsdörffer 1644 seine «Schutzschrift/ für Die Teutsche Spracharbeit» schrieb, drückte er wiederholt sein Mißtrauen gegen die Gewohnheit aus, wie z.B.: „Die Gewonheit ist ein T y r a n n i s c h e s G e s e t z / welches nicht deswegen gut/ weil es uns von langen Jahren her aufgedrungen/ sondern dieweil es falschlich für gut gehalten worden. Das Althum des Fehlers last sich durch die Verjährung nicht rechtfertigen. Eine böse Gewonheit kan kein gutes Gesetz seyn/ dessen Seele ist die rechtmessige Vrsach/ ohne welche alle Satzung tod und Kraftlos/ in ihrer Nichtigkeit beruhet." (Harsdörffer 1644, S. 3) In dieser «Schutzschrift» unterscheidet Harsdörffer im Anschluß an Justus Lipsius zwischen einerseits „von Alters her/ nach dem Grund der Sprache" (Harsdörffer 1644, S. 31) geschriebenen „gewissen" und andererseits „Streitfragen" hervorrufenden „zweiffelhafften" Schreibungen. Zu den ersten gehören die Schreibungen Frau, Freud, und, über, ihn, fremd, körnt, um statt Fraw, Frewd, vnd, vber, jhn, frembd, kompt, umb; zu den letzten das kk und zz statt ck und tz sowie die Schreibungen wier, mier, dier statt wir, mir, dir nach der vermeintlichen „Ähnlichkeit" mit hier, Bier, Zier: vgl. Harsdörffer 1644, S. 35. In dieser rasch fortschreitenden Entwicklung war Gueintz Ende 1643 mit der Verfassung seiner geplanten «Rechtschreibung» fertig und hatte sie „anietzo ins reine" (Krause 1855, S. 262) gebracht. Dieses Manuskript des „Leibgrammaticus" des Fürsten Ludwig sollte noch - wie dieser meinte - „nach einhelliger übersehung und genommenen Schlüsse der Sprache Kundigen" (Krause 1855, S. 262) verbessert werden. Das im Historischen Museum Köthen bis heute erhaltene Manuskript ist „von Fürst Ludwig in der Wortbildung und Orthographie beinahe zu jedem Lemma eigenhändig verbessert worden." Nachdem Fürst Ludwig im Dezember 1644 die druckfertige Fassung vom »Ordnenden' zugeschickt bekommen hatte, schickte er am 4. Mai 1645 das „durch die anwesende geselschafter mit 174
Im Brief von Fürst Ludwig an Harsdörffer zwischen Sept. und Okt. 1643, abgerdruckt in: Krause 1855, S. 324-327. l75 Jellinek 1913, S. 164. 176 Conermann 1997, S. 13f.
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fleisse" (Krause 1855, S. 271) übersehene Manuskript zurück. Im beigelegten Brief hoffte ,der Nährende' angesichts der „üblen" Orthographiereformen vor allem durch Zesen, daß die Gueintzsche «Rechtschreibung» möglichst früh veröffentlicht würde: „Noch eine andere erhelligkeit, das sie bald möge herauskommen ist diese, das nicht alleine vom S p i e l e n d e n und C l a j o [= Johann Klaj] in Nürnberg und dan von dem S u c h e n d e n Zu Braunschweig unterschiedene Neue und sich übel schickende Schreibarten wollen aufgebracht, sondern auch vornemlich noch eine fremdere und ungewöhnlichere von Z ä s i o eingefuret werden, wie aus seiner Verdeutschung des Ibrahims Bassa und und der Bestendigen Isabellen wundergeschichte in diesem Jhare [sie!] Zu Amsterdam gedruckt, Zu ersehen." (Krause 1855, S. 271) Zesen hatte inzwischen in seinen Romanen von 1645, «Adriatische Rosemund» und «Ibrahim», viel radikalere orthographische Neuerungen praktiziert, z.B. die folgenden: bei, hohch, brahch, sachche, mihr/mier, vihl, lihblich, di, si, laben, \ 7K häreaus, barg, kwäl, fol, fahr, waßhen, verzükkung, sizze. Endlich, im August oder September, erschien in Halle die Gueintzsche Orthographie (1645) unter dem Titel: «Die Deutsche Rechtschreibung Auf sonderbares gut befinden Durch den Ordnenden verfasset/ Von der Fruchtbringenden Geselschaft übersehen/ und zur nachricht an den tag gegeben.» In diesem Werk wurde die „Gewohnheit" bzw. das graphiegeschichtliche Prinzip - anders als in «Deutscher Sprache Entwurf» (1641), worin Gueintz den Vorzug dieses Prinzips gefordert hatte - r e l a t i v i e r t und ausdrücklich dem morphologisch-etymologischen und phonologischen Kriterium, „Ursprung" und „Aussprache", untergeordnet: „Wan uns die Natur zwar mittel zu reden verliehen/ aber keine gewisse spräche eingepflantzet: sondern sie alle durch gewonheit und Übung erlernet werden: So seind sie derowegen beyde aller dinge Grund. [...] Jedoch m u s d i e g e w o n h e i t von denen/ so derselbigen gewisse gründe auf die Vernunft setzen/ g e p r ü f e t / und beobachtet werden." (Gueintz 1645, S. 1) „Rechtschreibung Davon wir anitzo etwas handeln wollen/ das zum 1. zu sehen auf den U r s p r u n g und S t a m m des Wortes/ woher dasselbe der Vermutung nach entstanden. Dan furs 2. auf die A u s s p r e c h u n g desselben. Welchen dan zum 3. die G e w o n h e i t / folgen sol und wil/ wo sich nicht gegen jene beyde wiedrigkeit/ oder etwas ungereimtes findet. Und weil nach diesen dreyen (dan die gewonheit/ wo sie vernünftig/ nicht auszulassen;) auch alle andere sprachen gerichtet werden." (Gueintz 1645, S. 6f.)
Schottelius gebraucht in seinen eigenen Werken vor 1647 noch keine reformierende Schreibung. Die Aussage von Fürst Ludwig im Zitat bezieht sich sicherlich auf die neue Schreibung von Schottelius im Widmungsgedicht des 3. Teils von Harsdörffers «Gesprachspjele» (1643), wo er z.B. stark, schikken schreibt. Harsdörffer berichtete im Brief an Fürst Ludwig vom 19. April 1643, daß Schottelius „seine meinung in vielen geändert" (Krause 1855, S. 316) habe. na8 Vgl. Jellinek 1913, S. 151-154 und Hamon 1994, S. 32-61.
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Die Übereinstimmung mit der orthographischen Richtlinie von Harsdörffer im dritten Teil der «Gesprachspjele» (1643) ist hier eindeutig. Der Inhalt der Gueintz170 sehen Orthographie findet aber nicht Harsdörffers Beifall. Nach Harsdördffer würden „alle Gelehrte hier [= in Nürnberg] und Zu Ulm des Suchenden seine Sprachkunst, in ihren Haubtstücken, für richtig" (Krause 1855, S. 341) achten und wolle niemand „dem Ordnenden beipflichten" (ibid., S. 341). Die Orthographielehre von Samuel Butschky «Perfertischer Muusen Schlüssel/ Zur Schreibrichtigkeit», die im selben Jahr 1645 erschien, ist im wesentlichen aus Zesens «Spraach=übung» (1643) abgeschrieben, wie dieser später in einem von Beilin herausgegebenen «Sende-schreiben» (1647) klagt.180 In einem Brief an Harsdörffer vom 8. August 1645 äußert Zesen ausdrücklich sein Mißtrauen gegen den Gebrauch als Normkriterium: „Hier mus man nicht auf den irrigen gebrauch achten/ sondern vielmehr der klugsinnigen Vernunft/ die uns in diese richtigkeit leitet/ nachgehen. Dannenher pfleg' ich meine angenommene gewohnheit/ wan ich was richtigers runde/ wie billich/ zu ändern." (abgedruckt in: Bellin 1647, Bl. H5r)
Seinen Standpunkt im 3. Teil der «Gesprachspjele» (1643) nimmt Harsdörffer in einem Brief an Gueintz vom 31. Januar 1646 zurück. Er e r k e n n t nunmehr der Aussprache die Gültigkeit als normgebendes Kriterium a b : „Wan man aber von kunstgründiger Verfassung unserer spräche handelen wil, mus man sich erstlich vergleichen, woher? wie? und mit was absehen die lehrsätze, oder regeln, sollen gestellet werden? Wan wir Zu einem grund setzen die a u s r e d e, so können wir der Sachen nimmermehr eines werden; maßen eine iede mundart etwas besonders füret. [...] Woher sol man dan eine gewisheit in verfaßung der Sprachlehre ergründen? Aus anfurung deroselben S t a m = o d e r w u r t z e l w ö r t e r , der 181 V o r = und n a c h s i l b e n [...], durch richtige anführung dieser haubtstücke, werden die lehrsätze gemachet, und ist der beste unter denselben, welcher am meisten unter sich begreift." (Krause 1855, S. 350)
In dem - nicht erhaltenen - Gueintzschen Schreiben an Harsdörffer vom 11. Januar 1646, worauf Harsdörffer mit einem Brief vom 31. Januar 1646 antwortete, muß Gueintz die Wichtigkeit des Gebrauchsprinzips hervorgehoben haben, weil ,der Spielende' in seiner Antwort bemerkt: „Die g e w o n h e i t , welche der Hr. Ordnende mit s o n d e r n s c h e i n v o r s c h ü t z e t , sagt Zwar, was Zu geschehen pfleget, darvon die frage nicht ist, sondern was geschehen sol. Niemand wird eines fehlere beschildiget, der unwißend 179
Im Brief an den ,Nährenden' vom 17. August 1645. „[...] es ist auch im 1645. jähre der verkehrte Perfertische Musen-schlüssel zu Leipzig an das licht kommen/ dessen schmid [...] wider des Fälligen [= Zesens]/ [...] seine ganze Sprach-übung/ doch mit vergessung des Zesischen Nahmens/ in lehr-sätze gebracht/ und vielmahls ganze platze von wort zu wort ausgeschieben und seiner erfundung zugeeignet hat" (Bellin 1647, Bl. A7V). 181 Als „Nachsyllben" versteht Harsdörffer sowohl die Haupt- als auch die zufälligen Endungen: vgl. Harsdörffer 1650, S. 21. ISO
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der gewonheit folget, das man aber deswegen nichts beßers forschen sol, ist daraus nicht erweislich." (Krause 1855, S. 351) Im lateinisch verfaßten «Specimen Phüologiae Germanicae», das schon im Frühjahr 1646 gedruckt worden war, äußerte Harsdörffer: „Orthographia nostra nititur r a t i o n e vel a u t o r i t a t e " (Harsdörffer 1646, S. 206), wobei Harsdörffer vorsichtig statt „consuetudo" den Terminus „autoritas" gebraucht; unter „autori182 tas" will er „consensum Classicorum Autorum" (Harsdörffer 1646, S. 219) verstehen. Der „autoritas" wird aber die sekundäre Stelle anerkannt: „Nituntur aute ornnia autoritate, de quibus nulla ratio ex superioribus dari polest" (ibid., S. 211). Dies ist der größte Meinungsunterschied gegenüber Gueintz, der in den ausführlichen „Erinnerungen" auf das «Specimen» im September 1646 die Gültigkeit der Gewohnheit als „eine Herrscherin aller Dinge" (Krause 1855, S. 371) ausdrücklich behauptet: „Die Gewonheit, die von dem meisten beliebet, da auch ein grund ist, ist gewißlich nicht Zu verwerffen, dann wer weiß nicht, daß Sie, wan die meisten gelehrten mit derselben eins sind, aller Sprachen Richtschnur sey." (Krause 1855, S. 365) Darauf antwortet Harsdörffer am 15. September 1646: „Schließlich will der Ordnende die Gewohnheit allen richtigen Ursachen vorziehen: Wan man das wil behaubten, so müßen wir alles, wie es vor 100 und mehr Jahren gewesen, behalten, und hat der Streit ein ende. Es ist aber eben die Frage: Ob die Gewohnheit so oder so Zu schreiben richtig sey?" (Krause 1855, S. 374) Im Anhang zum «Poetischen Trichter» (1647), d.h. im „Vnvorgreifflichen Bedenken Von Rechtschreibung und Schriftscheidung unserer teutschen Heldensprache" (Harsdörffer 1647, S. 109-123), nimmt Harsdörffer aber als Normkriterium die „Gewohnheit der Gebildeten", in der Umformulierung von „autoritas", an, wahrscheinlich um Gueintz zu versöhnen: „Der Grund der Rechtschreibung beruhet I. auf richtigen Uursachen [sie!]/ oder II. a u fd e r G e w o n h e i t / s o d i e G e l e h r t e n a n = u n d e i n g e f ü h r e t . Wo die Ursachen aufhören/ fanget die Gewonheit an." (Harsdörffer 1647, S. 111) Es soll sich dabei nicht um „die blinde Gewonheit des unverständigen Pövelvolks" (Harsdörffer 1647, S. 111) handeln. Auch die „Aussprache" wird - in Übereinstimmung mit Fürst Ludwig - als „Basis" der Gewohnheit mit berücksichtigt: „Wann aber ein Wort aus erstbesagten Ursachen nicht kan beurtheilet werden/ so sihet man auf die gewöhnliche Schreibung/ deren Grund ist die w o l a u s g e s p r o c h n e R e d e / oder Mundart/ welche von vielen allen Ursachen vorgezogen wird." (Harsdörffer 1647, S. 115f.)
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Vgl. Quintilian: „Consuetudinem sermonis vocabo consensum eruditorum" (zitiert bei Schottelius 1651, S. 310); vgl. auch Anm. 134.
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3.1.3. Konsequente Reform: Die 50er Jahre Der Grammatiker Schottelius gebrauchte erst 1647 eine neue Orthographie: In seinem Drama «Fruchtbringender Lustgarte» schreibt er K/KK wie gedrukt/Sakk, Z/ZZ wie kurz/izzo, SN/SL/SW/SM wie snell/geslagen/Smerze. Diese neuen Schreibungen werden dann in der stark überarbeiteten 2. Auflage der «Teutschen Sprachkunst» (1651) gerechtfertigt. Das C vor dem K soll man nicht schreiben, weil „dem Worte gar nichts damit geholfen" (Schottelius 1651, S. 357) wird: nach Konsonanten soll einfaches K: trank, stark, Wolken, blinken und nach Vokalen doppeltes KK: schikken, trükken, Unglükk geschrieben werden. Das T vor dem Z sei ebenfalls „ohn Noht und Uhrsach" (ibid., S. 373), man müsse also schreiben: troz, nuz, smaz; hier sei das Z zur Aussprache „an sich doch hart und stark genug" (ibid., S. 373). An der intervokalischen Stelle könne man „wol das z gedoppelt" (ibid., S. 373) setzen, also sezzen, schäzzen. Das SCHL-, SCHM-, SCHN- und SCHW- sollen nach der „Ausrede des Wortes" (ibid., S. 347) zu den Schreibungen SL-, SM-, SN- und SW- reduziert werden, die „bei denen Alten auch also gebräuchlich" (ibid., S. 347) waren: also slagen, smekken, sneiden, sweigen. Außerdem wurden sogar die Schreibungen wihr, mihr, wj, sj gerechtfertigt. Zur Schreibung von qu- erkennt Schottelius (1651) auch die Nebenform qw- an: „QuaallQuellen [...] Oder also QwaallQwellen^ (ibid., S. 368), lehnt aber die Zesische Schreibung kw- ab. Die radikale Rechtschreibung Zesischer Richtung vertrat in den 1650er Jahren Johann Beilin. In der von ihm selbst herausgegebenen «Sende-schreiben» (1647) hatte Bellin die Rechtschreibung von Zesen praktiziert: bei, führ, fohr-trag, angenähm, nähmen, taht, dankbarkeit, gedänket, stükken, anizt nüzlich, ganzen, tagelicht, Sinnen-frucht, hoch-geehrete (Beispiele aus dem Titel und der „Zueignungsschrift"). Bellin blickt in diesem Schreiben an Zesen (zwischen 1645 und 1647) auf seine erste mäßige «Orthographie» von 1642 zurück: „Führ ungefähr fünf Jahren hab' ich auch eine unzeitige Gebührt (Deutsche Orthographie genännet) ans Licht kommen lassen; wan ich nuhn selbige wiederum wärde zur hand nähmen (wie ich dan fast willens bin) so so) ein und das andere darinnen verändert/ und also in einer bässerer gestalt heraus gegäben warden." (abgedruckt in: Bellin 1647, BI.C3 r )
In der «Hochdeudschen Rechtschreibung» (1657) nennt Bellin zwei Normkriterien: „DEr grund/ auf welchem unsere Deudsche Rechtschreibung beruhet/ ist teils die Gewonheit oder gemeiner Gebrauch; teils sind es g r u n d r i c h t i g e U r s a c h e n . " (Bellin 1657, „Zuschrift", Bl.)( 3rf.). Zur Begründung der theoretischen Einräumung der Gewohnheit bezieht er sich auf die Äußerung von Schottelius (1651): „In erwägung dässen habe ich zwar in diser meiner Rechtschreibung [...] dem gemeinen in vilen stükken unrichtigem Gebrauche noch wollen in etlichen nachgäben/ damit der so klügelwillige a r g w o n der N e u e r u n g / so vil tunlich/ in etwas möchte besänftiget warden/ wie Hr S c h o t t e l von seiner Rechtschreibung redet [...]. Idoch aber habe ich demselben/ keine Einzelherschung
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bei mir wollen einräumen: sondern ime vilmer vernünftige Ursachen/ und grundrichtige beispile an die seite säzzen." (Bellin 1657, Bl. K 4V) Im „Vorbericht" bemerkt Beilin vorsichtigerweise, daß „mir nimals sei in sin kommen/ imanden etwas/ als einen notwendigen Lersaz/ auf zu dringen" (Beilin 1657, Bl. B3V). Bellin schreibt unter anderem folgende neue Schreibung vor: 1Ä^ kwälle, erkwikken (S. 5); buuch, grohsse, hohchmuht, mier (ibid., S. 8f); läzte (S. 18); ider, izund (S. 24); zwei, frei (S. 30); dises, v/7 (S. 31); gähen, gäben (S. 32); mänßh, waßhen [- waschen] (S. 39); lere, son, im [= ihm], ires (S. 51); Dank, Akker, schmukk(S. 55); lezte, sizzen (S. 70). Die Rechtschreibungsregeln von Johannes Girbert der «Deutschen Grammatica oder Sprachkunst» (1653) waren dagegen weitgehend traditionell. In der Vorrede nahm der Grammatiker zur orthographischen Neuerung eine vorsichtige Haltung ein: „Vnd danennhero d i e V n r e i c h s = v n d L a n d ü b l i c h e A r t e n z u schreiben/ als das offene ul im Anfang: das doppelte kk: Muht/ für Math: Hoochl für hoch: Bau für Baw: liebliechl für lieblich: wierl für wir: dihrl für dir: siecht für schlecht etc. (wiewol der Neotericorum wider den gemeinen Gebrauch angeführte vernünfftige Vrsachen nicht zuverwerffen sind) n o c h zur Z e i t z u r ü c k zu h a l t e n / vnd entzwischen zu erkundigen/ ob Käyser= König= Chur= vnd Fürstliche Schreiben/ darnach wir vns billich in Schulen richten/ solche newe Schreibart annehmen/ vnd im Rom: [sie!] Reich einhellig brauchen werden." (Girbert 1653, Bl. A2V) Hier ist vor allem die neue Rechtschreibung von Zesen (1643) und Schottelius l R^ (1651) gemeint. Nach Girbert soll man folgendermaßen schreiben: die, wie, frey, vnser, vnd, Muth, Danck, Sack, Schaw, Hew, Hartz, Nutz (vgl. Gierbert 1653, Bl.A4r-A5r), so daß Girberts Regeln sich von den Vorschriften Gueintz' (1641) fast nicht unterscheiden. Zur Schreibungen von Schaw und Hew bemerkt er denn auch folgendes: „W. wird am Ende des Worts/ vnd auch Mitten gebraucht an stat aul eul [...]. Jetzige Schreiber behalten lieber das u. dorinn aber/ wie G v e i n t z i u s p. 19. erinnert/ dem G e b r a u c h zufolgen." (Girbert 1653, Bl. A5r) Die einzige neue Schreibweise ist QV-/QW-: „qval. qvitten. oder qwal. qwitten" (Girbert 1653, Bl. A5r). Andreas Tscherning, für den die brieflichen Bemerkungen von August Buchner als sprachliche Richtschnur galten, vertrat in seinem «Unvorgreifflichen Bedencken» (1659) gleichfalls eine eher traditionelle Auffas183
Zesen hatte im «Rosen-mänd» (1651) deutlich formuliert: „Dan ich je viel besser schreiben kwällenl kwark und dergleichen/ als quellen/ quark" (Zesen 1651, S. 156f). 1650 veröffentlichte Girbert seine «Teutsche Orthographi», in der er eine knapp 40seitige Liste von Homophonen bzw. Quasi-Homophonen vorlegte. Zur Bedeutung dieses Werkleins vgl. Moulin (1986). 185 Obwohl Girbert (1653) im Titel das Schotteische Werk von 1641 angibt, benutzt er ohne Zweifel die «Sprachkunst» von 1651, weil er jedesmal die Seiten aus der «Sprachkunst» von 1651 angibt.
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sung. Am Anfang des 1. Kapitels „Von Recht=schreibung etlicher Wörter" (Tscheming 1659, S. 1-18) gibt Tscherning zwei orthographische Prinzipien an: „grund und stamm oder ja wollaute" (ibid., S. 1). Tscheming nimmt gegen „etlil Ä.Ä ehe Neulinge" (ibid., S. 3), die streichchen, weichchen schreiben , kritische Stellung. Zur Schreibung KK bemerkt er folgendes: „Was aber die buchstaben ck betrifft/ so wird an derer stat heutiges tages f a s t von den m e i s t e n / sonderlich in NiederSachsen/ ein gedoppeltes k k g e s e t z e t . Und ist die gewonheit also zu schreiben so gar weit eingerißen/ daß sie numehr übel zu endern scheinet. Ich aber/ die warheit zu bekennen/ kan zu solcher schreibens=art noch bis hieher nicht gebracht werden." (Tscherning 1659, S. 4) Neu bei Tscherning ist die Praxis des Gebrauchs von z: z.B. einzel, Danzig, genüzt, geschüzt, schanze, reizt, Herzen, eingeezet, verlezef.
3.1.4. Gemäßigte Regelung: Die 60er bis 90er Jahre In der «Ausführlichen Arbeit» (1663) schrieb Schottelius bezüglich der orthographischen Prinzipien gegenüber der «Teutschen Sprachkunst» (1651) manches neu hinzu, und zwar zugunsten der historischen Gebrauchsprinzips: „[...] und ist in diesem Opere, damit desselben Haubtzwek desto weniger durch unzeitiges Anfuhren verrükket würde/ der G e b r a u c h in der O r t h o g r a p h i e , so fern er nicht den Haubtregulen gar zuwider gewesen/ gutentheils behalten worden." (Schottelius 1663, S. 686f.) „[...] wann alle Wörter durchgehende bey jedwederem Teutschen ein gleiches Abbild/ eine gleiche Ausrede oder gleichen Ausspruch hetten/ so würde auch durchgehende die Rechtschreibung gleich seyn/ weil aber unsere Teutsche Muttersprache auf so mancherley Art Ausrede ausgesprochen wird/ und in so viele Mundarten geteihlet ist/ daß nach der gantz Ungewissen Ausrede keine rechte durchgehende R e c h t s c h r e i b u n g wird können aufgebracht werden/ als muß der g u t e a n g e n o m m e n e G e b r a u c h / und die Grundrichtigkeit der Sprache den besten Einraht geben." (Schottelius 1663, S. 187) Die Unterschiede in den Regeln von 1651 und 1663 bestehen also darin, daß der Grammatiker 1663 weniger radikale Vorschriften macht. Wie in der «Sprachkunst» (1651) schreibt Schottelius 1663 zwar ebenso vor, daß das Setzen des t in Trotz, Nutz und Schmatz „ohn Noht und uhrsach" ist, läßt aber dieser Regel die Bemerkung anschließen: „Jedoch ist der Gebrauch beliebt und kan der 11 seinen Stand vor dem z wol behalten" (Schottelius 1663, S. 221). Außerdem wird die folgende Vorschrift aus dem Jahr 1651, man solle ZZ schreiben, 1663 gänzlich weggelassen:
So schreibt Zesen nur in den Romanen «Adriatischer Rosemund» (1645) und «Ibrahim» (1645): vgl. Jellinek 1913, S. 151 und Hamon 1994, S. 25.
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„Dafem aber das Wort zumitten eine solche harte Ausrede erfoderen solte/ alsdan kan gar wol das z gedoppelt/ und der // so zu solchem Laute eigentlich nicht gehöret/ ausgelassen werden/ als sezzenl schäzzen etc." (Schottelius 1651, S. 373) Schottelius kritisiert schließlich im Vorwort seiner «Manuductio» (1676) ausdrücklich die orthographische „Neuerungslust", die zu Lasten des „untadelhaften Gebrauch[s]" (Schottelius 1676, Bl. A7r) gehe: „Worzu diese kommet/ daß die Authores und Scribenten selbst/ mit Rechtschreibung oder U n r e c h t S c h r e i b u n g der Wörter nach Belieben und blossen Einfallen öfters verfahren/ und weil keine Sprachkunstmäßige Anweisung oder Erinnerung eben verbanden/ so ist der blinde ungründliche Gebrauch hin und wieder behalten worden: Zu welcher Unrichtigkeit noch ferner sich beyeingedrungen/ daß etzliche Authores ein sonderlich Wolbehagen und eine N e u e r u n g s L u s t / der Rechtschreibung halber/ erfinden wollen nach ihrem eingebildeten Gehörmaas/ und daher vermeinen/ es auch öffentlich wagen dürfen/ also die Wörter zu schreiben/ und/ d e m b e k a n t e n g u t e n G e b r a u c h e z u w i d e r / eusserlich abzubilden." (Schottelius 1676, Bl. A5rf.) Neben dem „Grund der Sprache", also der regelmäßigen Wortanalyse, soll der „angenommene Gebrauch" die Kriterien bei der Entscheidung der Rechtschreibung abgeben: „Erstlich/ aus den natürlichen G r ü n d e n und Wurtzelen der Teutschen Sprache selbst. Zum anderen/ aus dem guten durchgeheds a n g e n o m m e n e n G e b r a u c h e und Herbringen. Drittens/ daß alles Uberflüßige/ Untaugliche und Mißbräuchliche werde abgeschaffet." (Schottelius 1676, S. 16) Zum Schluß des Werks macht Schottelius noch einmal auf die Bedeutung des angenommenen Gebrauchs und die unangemessene Neuerungslust aufmerksam: „Dabey aber allemahl zubedenken/ quod Orthographie seviat c o n s u e t u d i n i , wie die Rechtschreibung auch einen h e r g e b r a c h t e n G e b r a u c h zum F u n d a m e n t mit annimt/ davon V a r r o und Q u i n t i l i a n u s viel Dinges geschrieben: [...] Nur/ daß sich nicht ein jeder einbilde/ er dürfe nach seiner blossen Einbildung/ und angemasseten Gehörmaas/ den Thon/ den Klang/ den Laut der Wörter bilden/ [...]. Solches ist eine unzuläßige s t r a f w ü r d i g e N e u e r u n g s L u s t . Neulich hat einer etzliche Teutsche Reime herausgegeben; [...] so hat derselbe dennoch ihm eine solche alberne/ neue/ gantz ungrundmäßige Schreibung und Orthographiam darin angemasset und gebrauchen dürfen/ daß man auch etzliche Teutsche Wörter in ihrer sonst gewönlichen Gestalt/ fast nicht kennet: [...]. Es s o l t e billig die O b r i g k e i t hierzu thun/ und solche schädliche und schändliche Neuerungen den T r ü k k e r e y e n n i c h t v e r s t a t t e n / daß man wider die/ in gantz Teutschland/ in Hohen und Niederen Cantzeleyen/ bey Gelahrten/ auch sonst in gemein gebräuchlichen/ und auch den Gründen der SprachKunst zustimmender gleichförmiger SchreibArt zuwider/ einem jeden Neulinge und Phantasten lasse/ in einmahl numehr bekanter und angenommener Rechtschreibung der Teutschen Sprache also zugrübelen/ zu alfantzen/ und solche WitzDräumerey öffentlich so gar vorzuzeigen." (Schottelius 1676, S. 21 Iff.) Für die Schreibungen K und KK plädiert Schottelius zwar noch 1676, räumt aber implizit die Schreibung CK statt KK ein:
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„Weil aber der eigentliche teutsche Ausspruch ein gedoppeltes kk erfodert/ und das c für k den Ausspruch eines doppelten k nicht fuglich mitwirken kan/ so hat man die Letter k selbst deshalber gedoppelt/ [...] und die bisherige sonst gebräuchliche Schreibung des ck nicht eben durchgehende weiter beliebet; Jedoch ist hierbej zumerken/ das ck sej also etwa hergebracht und gebräuchlich: kk aber gründlicher und dem Laute zustimmiger [...] wiewol man in den Trukkerejen dennoch bej angezogenem Gebrauche meistens verbleibet." (Schottelius 1676, S. 41 f.)
Die seit 1641 konsequent von Schottelius abgelehnte Schreibung th- wird 1676 nunmehr anerkannt:187 „So schreibet man richtiger und dem SprachGrunde gemäßer: tuhnl tahtl tahll tuhm etc. als thunl that/ thai/ thum etc, wiewol doch der Gebrauch in vielen mit th a n g e n o m m e n i st/da man n u m e h r nicht unbrauchlich schreibet Theill Thonl Thier [...] und nicht eben Teihll Tohnl Tiehr [...] sonderlich in der terminatione derivationis tuhm die Schreibung mit thl thum durch angenommenen Gebrauch mit b e l i e b e t / daß man z u l ä ß i g schreibet Reichthum [...] eigentlich aber nach dem LautGrunde schreibt man: Reichtuhm [...]." (Schottelius 1676, S. 54f.)
Christian Pudor nimmt in «Der Teutschen Sprache Grundrichtigkeit und Zierlichkeit» (1672) ziemlich traditionelle Schreibungen auf, weil er sich nach der Autorität und dem allgemeinen Gebrauch richten will: „Wenn [...] ein Wortstreit nicht zu entscheiden/ so schreitet man zu der A u t o r i t ä t / und stehet/ wie vor dem berühmte und erfahrne Leute dieses oder jenes geschrieben haben: Und werden gemeinlich des Herrn Lutheri Schrifften in diesem Falle gelobt und angezogen. [...] Nechst dieses/ und anderer Gelehrten Leute Autorität/ ist allein der g e m e i n e G e b r a u c h übrig/ welcher vielmals m e h r als a l l e U r s a c h e n g i l t . Und weil ihrer viel ihrer eignen Mundart folgen/ und nach derselben ihre Rede schreiben/ kan man schwerlich eine allgemeine/ durchgehende Schreibrichtigkeit aufbringen." (Pudor 1672, S. 13f.)
So soll man schreiben z.B.: mir, dir (Pudor 1672, S. 4); Schaf, hoch statt Schaaf, hooch (ibid., S. 4f.); Hitze, setzen, obwohl „etliche brauchen für das / ein z", was „die Rede [...] sehr schwer und klotzig macht" (ibid,, S. 6); Die, wie, frey, sey (ibid., S. 9). Nicht traditionell sind die Regeln: Qval oder quellen (ibid., S. 5) und Jar oder Jahr, Ir oder Ihr (ibid., S. 2), wobei „die Meisten Gelehrten die Auslassung dessen [= des h] nicht billigen" (ibid., S. 2f.) wollen. Zur Schreibung ck beruft sich Pudor (1672) auf Buchner als Autorität: „Ihrer viel/ auch aus der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft/ lassen das c aus/ und schreiben krank/ kränkken. [,..] Ändern aber beliebet das ck: Worunter auch der Weltberühmte Buchner [...] Welcher Meinung wir (doch ohne vorgreiffliche Maasgebung) beypflichten." (Pudor 1672, S. 11)
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Zur Hauptendung -tuhm bemerkt Schottelius noch einmal: „Wegen der Schreibung ist zuerinneren/ daß es eigentlich dem rechten Laute nach/ müsse tuhml und nicht tuml oder thuml oder tuum geschrieben werden: wiewol es der Gebrauch auch gibt/ daß das h werde bej / gesetzt/ als Thuml Irrthuml Pristerthum etc." (Schottelius 1676, S. 116).
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Daniel Georg Morhof behandelt im 2. Kapitel des 3. Teils vom «Unterricht Von der Teutschen Sprache und Prosodie» (1682) die Orthographie. Hier warnt er vor den übermäßigen Reformsversuchen: „Was nun erstlich die Orthographiam anlanget/ so hat man in dieser Zeit Leute gehabt/ die alle ihre Kunst in dieser Grübeley gesuchet/ und für grosse Meister haben wollen gehalten sein/ wann sie nur etwas neues ihren t h ö r i c h t e n E i n f a l l e n nach hierin haben hervor gebracht. Ich tadele nicht/ daß man die Orthographiam außübe; aber es muß e i n e M a a ß d a r i n s e i n / und allezeit ein Auge auff den g e m e i n e n G e b r a u c h g e r i c h t e t werden." (Morhof 1682, S. 467) Morhof (1682) vertritt das historische bzw. graphiegeschichtliche Prinzip und lehnt das morphologisch-etymologische Prinzip Zesischer Prägung ab: „Dann es ist ein ungereimter Schluß: Dieses Wort kan mit solchen Buchstaben fuglicher geschrieben werden: darum muß man es auch also sein. [...] Was erhebliche Uhrsachen sein/ daß ich Mansch/ nicht Mensch schreiben soll? Man sagt weil es von Mann herkomt. [...] Es haben diese neue Critici auch diese Haupt=Regul: daß man so s c h r e i b e n s o l l e wie man r e d e . Ist wiederum ein unrichtiger Schluß: dann da sind fürs erste unterschiedliche Dialecti und Mundarten [...]. Bleibt man also lieber/ weil die Teutschen in einer art zu schreiben übereinkommen/ bey der e i n s t i m m u n g i h r e r F e d e r / als daß dem ungleichen Mundlaute folge. Thöricht ist deßhalben/ daß ich soll schreiben haben für heben/ wärffen für werffen/ laben für leben/ sänden für senden. [...] Aber deßhalben muß man nicht eben die gemeine Schreibart endem. Es sein auch etliche die die erhebung und außdehnung der vocalium mit Zusatz eines (h) oder mit Verdoppelung des vocalis außdrücken/ welches auch unnöthig ist. [...] Auß dieser ungegründeten Einbildung komt auch/ daß man Menschschen vor Menschen/ lachchen vor lachen/ Sachchen vor Sachen/ schreibt." (Morhof 1682, S. 468-471) Für Einzelheiten der Rechtschreibung verweist Morhof auf die Werke von Tscherning und Gueintz, wobei Beilin „der vornehmste" unter den „Novatores" (Morhof 1682, S. 477) sei. Auch Prasch ist mit seiner «Neuen/ kurtz= und deutlichen Sprachkunst» (1687) eher traditionell orientiert. Prasch zieht der ratio den angenommen Gebrauch vor: „Dann obwol eine d u r c h g e h e n d e G l e i c h h e i t [...] mehr zu wünschen/ als zu hoffen; stünde es doch fein/ und käme desto leichter an zu lernen/ wann man die meisten Wörter nach gewissen Regeln gleichförmig schribe. [...] Man soll nichts thun/ was man nicht mit einer guten Ursach könte schirmen. [...] Wie ich demnach kein F r e u n d d e r e i t e l s ü c h t i g e n N e u e r u n g e n / vil weniger e i n Erfinder derselben/ bin; also bleibe ich auch dißfalls gerne bey dem a l t e n o d e r a n g e n o m m e n e n G e b r a u c h e (welcher zum öfftern tyrannisirt/ und ü b e r die V e r n u n f t g e h e t ) wann er zumal nicht Verwirrung macht/ und die Haubtregeln bricht." (Prasch 1687, Bl. A3rf.) So schreibt der Grammatiker vor: Beume (Prasch 1687, S. 8f), schlagen (ibid., S. 13), Qual („Dann Qwaall oder Kwall sind seltzame Neuerungen": ibid., S. 18), frey („die Endung EY ist nun gemein": S. 20f.), Cantzley, setzen (gegen „etliche Neulinge" mit sezzen: ibid., S. 21). Die Schreibungen K und KK, die „bisdaher/ wider den uralten Gebrauch/ von wenigen angenommen worden" (ibid., S. 12) sind, hält der Grammatiker für überflüssig.
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Die orthographische Richtlinie von Johann Bödiker mit seiner «Grund=Sätzen Der Deutschen Sprachen» (1690) besteht in der 18. Regel des 1. Stückes: „Die neue Schreib=Art ist gar nicht anzunehmen" (Bödiker 1690, S. 27): „Melissas hat dieselbe fast zuerst erfunden/ B e l l i n u s / Z e s e i u s / B u t s c h k y der so genandte S a l e m i n d o n / und andere fortgesetzet. [...] Also haben sich auch etliche unterstanden/ eine gantze neue/ fremde Schreib=Art in die hochDeutsche Sprache zu bringen. [...] Soll man den Grund in Deutscher Sprache recht setzen/ so muß das untaugliche hinweg geschaffet werden [...]. Da denn wol zu wündschen wäre/ daß alle Gelahrten/ ob sie wol von unterschiedlicher Mund=Art seyn in den Deutschen Ländern/ dennoch in einer gewissen durchgehenden Schreib=Art überein kämen/ und sich daran keine Fremd=Sucht noch Neügierigkeit ließen hindern!" (Bödiker 1690, S. 28) In bezug auf die Schreibung wie tuhn zieht der Grammatiker aber ausnahmsweise dem Gebrauch die ratio vor. In den entsprechenden Schreibungen mahnen, Sohn und Muht „solle man wol schreiben: Tuhn und nicht Thun, Takt und nicht Thaf1 (Bödiker, S. 8), dies könne sich aber nicht gegen den Gebrauch durchsetzen. Bezüglich einiger neuerer Schreibungen räumt Bödiker (1690) zwar ihre theoretische Konsequenz ein, entscheidet sich aber trotzdem für die gebräuchlichen Alternativen: „Es wird auch von etlichen erinnert/ daß das C. vor dem K. nichts nütze werde/ in Wörtern/ da noch ein ander Consonans vorher gehet: In Wörtern aber/ da das K. muß verdoppelt werden/ finde das C. keinen Platz; sondern müße ein kk. gesetzet werden. Ich gestehe gern/ daß beides nicht unrecht angeführet. [...] Warum solte man das K. nicht verdoppeln? Was hätte dieser Buchstab verwircket/ daß man ihm allein das Recht nehmen wolte? Aber wie dem allem/ so will dennoch der eingeführte langwierige Gebrauch schier die Oberhand haben: und scheinet/ das C. wolle sich so vest an dem K. halten/ daß es schwerlich davon abzubringen. [...] Wecken/ für Wekken. Wie denn auch ein tz. für ein doppelt Z. als: Letzen/ für lezzen." (Bödiker 1690, S. 26f.) Kaspar Stieler nennt in seiner «Kurzen Lehrschrift Von der Hochdeutschen Sprachkunst» (1691) drei orthographische Lersätze: „[...] Kan also die erste Regel diese seyn: Daß die Schrift sich n a c h der R e d e und A u s s p r a c h e vornemlich zurichten habe. Weil mich demnach das Ohr berichtet/ daß Fahl/ helvus, lang/ Fall aber casusu, duppelt ausgesprochen werde; so setze ich in jenes billig ein h [...]; hier aber ein //. weil mir das Gehör was solches an die Hand giebet." (Stieler 1691, S. 27) „Die zweyte Regel der Ortografie ist: Daß man dem g e s u n d e n S c h r e i b g e b r a u c h nachtreten solle. Ich sage dem gesunden/ d.i. vernünftigen und guten Schreibgebrauch." (Stieler 1691, S. 28) „Die dritte allgemeine Regel ist diese: In der Schrift soll so wol auf die H e r k u n ft / als auch die Wandelungen gesehen/ und die Worte darnach geschrieben werden." (Stieler 1691, S. 29) Was die Schreibungen ck, k, kk und tz, z, zz angeht, wählt Stieler (1691) einen mittlen Weg, indem er vor den Konsonanten k und z, aber vor den Vokalen ck und tz vorschreibt:
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„Worbey zu merken/ daß ck und tz nimmermehr nach einem Mitstimmer/ es sey in der Mitte/ oder zu Ende des Worts/ folgen könne/ [...] sondern werden allein gebraucht/ wo ein Wort einen duppelten Klang hat/ als: eine Hacke/ bidens, pastinum, da hingegen Hake ist /uncus. [...] Also schreibe ich nicht Danck [...], starck [...], Harlz [...], Hertz [...], sondern Dank/ stark/ Hartzl Herz. [...] Also ist unrecht: Sezzenl ponere: indem das z. so viel als ts bedeutet; hieße also setstsen/ welches unerhört und in einem Atem nicht ausgesprochen werden mag." (Stieler 1691, S. 7) ,Ji ist ein Buchstab/ der aus dem Rachen heraus mit Gewalt gestoßen wird/ dahero er weder zwiefach geschrieben noch ausgesprochen werden kan/ und solches haben die Alte wol gewust/ [...]. Welches wann es schikken geschrieben würde/ einen Halt bey der ersten Sylbe notwendig erforderte: wie bey denen Wörtern: Trink-kanne." (Stieler 1691,8.41)
3.2. Entwicklung einzelner Regeln
3.2.1. Phonologische, morphologische und graphiegeschichtliche Regeln 3.2.1.1. Vokalzeichen 3.2.1.1.1. und, ihn statt vndjhn Auf die Unterscheidung von u und als Vokale und v und j als Konsonanten weist schon Schottelius (1641) hin: „Die Letteren u und /'/ so offt sie ein Wort anfangen/ und einen selblautenden nach sich haben/ werden sie also geschrieben/ v/ jl und nehmen also an sich eine mitlautende Wirckung" (Schottelius 1641, S. 183)
Im Anschluß daran fordert Bellin (1642) als phonetischen Gebrauch von u/v und i'f· „i und u werden offtmals Mit=lautende im Anfange einer Sylben/ wenn ein Selb=lautender darauff folget/ und wird alßdenn das i also (/' J) das u aber so (v F) geschrieben." (Bellin 1642, S. 7) „Das / wird auff zweierley Art geschrieben lang (/) und kurtz (/). Wenn es lang geschrieben wird/ ist es allezeit ein Mit=lautender [...]. Wenn es aber ein Mit=lautender ist/ muß es lang (/') geschrieben werden." (Bellin 1642, S. 15f.)
Zesen (1643, S. 61f.) argumentiert ähnlich wie Bellin. Harsdörffer (1644) gibt folgende Regeln an: „und/ überl nicht vndl vberl ihn/ ihm! nicht jhnl jhm" (Harsdörffer 1644, S. 35). Gueintz schreibt erst in seiner «Rechtschreibung» (1645) diese Differenzierung vor: „Das j. wird gefunden im anfange der Wörter/ wan ein selblautender darauf folget. [...] nicht iedermanl sondern jederman" (Gueintz 1645, S. 13f.). Schottelius (1651) will diese Unterscheidung als streng zu befolgende Regel verstanden wissen:
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„Wan ein / im Anfange der Wörter wird gefunden/ also daß ein selblautender drauf folget/ alsdan wird es alsoy geschrieben [...]/ als jährt jochl jemand etc. Dasy (j°d) muß vor einen mitlautenden n i e m a l s geschrieben werden/ also schreibt man nicht KchÜjmmer/jst/jzzo." (Schottelius 1651, S. 365; ebenso 1663, S. 213) Unter den Grammatikern nach 1642 ist Girbert (1653) der einzige, der die Verwendung von u am Anfang des Wortes nach der alten Clajusschen Regel verbietet: „u. offen/ wird [...] Niemals im Anfange gesetzt. [...] Joh. C l a j u s Gramm. Lat.p.5. Dem wiederspricht Schottelius, vnd wil/ daß so offt ein Consonans folget u. sol behalten werden/ als: unser uhrkundhilfft uns nicht." (Girbert 1653, Bl. A5r) 3.2.1.1.2. Frau, Heu statt Fraw, Hew Olearius (1630) schlägt mit der folgenden Begründung die Schreibungen -au und -eu vor: „So wird von vielen an stat des u. geschrieben w. vnd sollen diphthongi sein/ ew vnd aw. an statt eu vnd au. Dieses halte ich daher entsprungen sein/ daß das w. von vielen vor ein u. duplex, ein zwiefaches u gehalten wird/ daß also ew. aw. so viel were als euu. auu. vnd also etwas völliger lauten muste/ als eu vnd au. Weil aber dieses nicht von nöthen/ diese diphthongi ohne das grob gnug lauten/ insonderheit aber/ weil w. ein consonans ist/ vnd sonsten gantz vnbräuchlich/ daß aus einem consonante ein vocal is werde/ wird diese Art zu schreiben verworffen." (Olearius 1630, S. 19f.) Die neuen Schreibungen -au und -eu lehnt Gueintz (1641) entschieden ab: eu/ seind nicht am ende des wortes gebrauchet worden/ sondern an derselben stat aw/ ew. als Thaw/ Schawl Hew/ Wiewol die Jetzigen Schreiber es nicht in acht nehmen/ sondern wollen lieber das u. behalten: darin aber dem g e b r a u c h e zu f o l g e n . "(Gueintz 1641, S. 19) Schottelius (1641) dagegen erkennt die Gültigkeit der Schreibungen -aul-eu an, wenn seine Formulierung in Form eines Wunschsatzes auch auf den „mißbräuchlichen Gebrauch" hinweist: „[...] aw/ ew/ dafür man aber gar wol sagen k ü n t e au/ eu; w e n n man den Mißbrauch abschaffen/ und unseren Letteren jhre eigene und reinliche deutung geben/ oder doch gönnen w o l l t e." (Schottelius 1 64 1 , S. 1 85) Und weiter: „au/ eu/ ei kommen niemals zu ende deß Wortes/ sonderen man gebraucht dafür aw/ ew/ ey. Wiewol etzliche das u für w behalten/ welches auch n i c h t u n r e c h t ist/ w e n n nicht der Gebrauch ü b e r w ö g e . " (Schottelius 1641, S. 199) Beilin (1642) bemerkt, daß daß man „für das aw das au/ und für das ew das eu gebrauchen" kann" (Beilin 1642, S. 8). Gueintz ändert 1645 seine Meinung: „Au und Eu seind besser als Aw und Ew. Weil das w. ein mit= und nicht selblautender für sich/ dieses aber ein duppellautender ist" (Gueintz 1645, S. 17). Hier erscheint Girbert (1651) wieder als Mann der Tradition, der im Anschluß an Gueintz (1641 !) die neuen Schreibungen ablehnt:
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„W. wird am Ende des Worts/ vnd auch Mitten gebraucht anstat au/ ettl als: Thaw: Schaw: Hew. fur: Thau: Schau: Heu: Jetzige Schreiber behalten lieber das u. dorinn aber/ wie Gveinzius p. 19. erinnert/ dem Gebrauch zufolgen." (Girbert 1653, Bl. A5r) Außer von Girbert werden die neuen Varianten von keinem Grammatiker nach 1642 abgewiesen, z.B.: „[...] daß wir die Stimmer/ (vocales) und Mitstimmer (consonantes) nicht ohne Unterscheid vermischen/ das lange jl und das geschlossene v/ welches Mitstimmer sind/ nicht mit dem i und u/ den Stimmern wechseln/ und also schreiben jhrl jhnl jchl Awenl ewer/ schawenl für ihr/ ihm/ ich/ Auen/ ewer/ schauen etc." (Harsdörffer 1647, S. 112, §5) Stieler (1691) konstatiert schließlich Ende des 17. Jahrhunderts, daß „die alte Mitstimmer aw und e\vl nunmehr bey nahe/ und zwar billig/ ausgemustert" (Stieler 1690, S. 6) seien. 3.2.1.1.3. bej, beiy statt bey Nach der Vorschrift von Werner (1629), daß „das kleine schlechte i nicht ans ende eines wertes gesetzet" (Werner 1629, S. 49), stellt Gueintz (1641) folgende Regel auf: „Auf ein i gehet kein Deutsch wort aus/ sondern wird an desselben statt ein y gesetzt. Werner, pag. 49. als: Frey von freien/ Geschrey von schreien." (Gueintz 1641, S. 19) Auch für Schottelius (1641), Bellin (1642) und Zesen (1643) war diese Regel selbstverständlich: „Auffein selbstendiges ; gehet kein Wort aus [...]. In diesen Werteren aberfrey/ seyl etc. helt man den letzten für einen y." (Schottelius 1641, S. 189) „Der Diphthongus ey wird gesetzet /. Am Ende an Stat deß ei: Weil kein einiges Teutsches Wort auffein ei außgehet/ als: Dreyl Druckerey, Frey" (Bellin 1642, S. 17f.) „Se/7 ist gleichfalls unrecht/ dann das / [...] soll niemahls das wort endigen/ weil es kein end= oder schluß=buuchstabe ist. An dessen statt aber wird das y. gebracht/ als/ seyl zweyl dreyl mancherley." (Zesen 1643, S. 51) Nach Schottelius (1651) soll am Ende des Wortes das „ef (Schottelius 1651, S. 351), alsofrej, schrej geschrieben werden; an einer anderen Stelle wird aber vorgeschrieben: „Der Buchstab Y [...] wird [...] am ende des Wortes gebrauchet/ als [...]/ seyl Mey etc." (Schottelius 1651, S. 372f). Dagegen akzeptieren Olearius (1630) und Bellin (1657) die Schreibung -ei finden Auslaut eindeutig: „y. ist eigendlich ein Griechischer vocalis, wie bey [sie] vns u: deshalben in der Deutschen man des Griechischen y gar wol entberen könte. Daß aber in den Wörtern/ ey. frey. heydenl y. geschrieben wird/ an statt eil frei/ heidenl hat keinen grund." (Olearius 1630, S. 20) „Gleichwie das au und eul also fundet man auch in alten Schriften das ei am ende eines Wortes/ wider die gemeine regel der Sprachlerer/ das das ei am ende eines
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wertes nicht forkomme/ sondern das ey dafür geschrieben wärde. [...] Es meinen etliche/ das das ei nur allein in der mitte; das ej aber am ende das worts geschriben wärde/ [...]. Diweil aber das j ein mitlauter ist/ und fast wie ein g würd ausgesprochen/ als kan es nicht mit dem e einen zweilauter machen: sondern es mus notwendig das kurze i auch am ende bleiben." (Bellin 1657, S. 28f.) Nachdem Pudor (1672) bemerkt hat, daß die neue Schreibweise^/, bei „ohne Nachfolger" (Pudor 1672, S. 9) sei, schreibt Stieler (1691) anstatt der „unrechten" l ftÄ Schreibung -ey nun erneut die Schreibung -ei vor: „Bey [!] dem / ist nichts anders zu erinnern/ daß es mit Unrecht zu Ende der Wörter in ein y verwandelt wird. Denn warum solte ich nicht lieber bei/ apud, als beyl zwei/ duo, als zwey schreiben? Der böse Gebrauch hat es also eingeftiret/ deme/ wann man nur wolte/ leicht gesteuret werden könte." (Stieler 1691, S. 41) 3.2.1.1.4. Hände und Hende Gueintz (1641) erkennt die Notwendigkeit von ä mit Bezug auf die Flexion und Derivation an: „In Schreibung der endbuchstaben des wortes/ ist achtung auf den U r s p r u n g und die übereintzige zahl zu geben/ als/ Schwert mit dem // den man saget Schwerter [...]: Schult Schüler/ räumt einräumen/ span/ spänel handl handed (Gueintz 1641, S. 18) ,,/4 o und u werden in die nicht eigentliche doppellautende äöü verwechselt/ als Radi rädert grosl größer/ -wurmt würmer." (Gueintz 1641, S. 15) Auch Beilin (1642) weist auf die Schreibung der Derivata „nach ihrem Wurtzel=Worte" (Beilin 1642, S. 11), also nach dem morphologisch-etymologischen Prinzip hin: täglich < Tag, verändern < ander, Seeligkeit < Seele, röhtlich < roht usw. Alle Grammatiker waren darin einig, daß die konjugierten oder derivierten Formen von a nicht mit e, sondern mit ä schriftlich wiedergegeben werden müs-
sen. Bellin (1642) erkannte, daß dieses Prinzip sich noch konsequenter auf Fälle wie bässer von baß, danken von Gedanke anwenden läßt; aber in der Praxis nahm er davon Abstand: „[...] Daß man allhie sonderlich auff den Gebrauch sehen muß: [...] Ansprächen von Sprache/ [...] Außdäncken von Gedancke; Bässer/ bässern von Baß [...] Einnähmen von Einnahme, [...] Weil aber dieses mit der gewöhnlichen Ausprache nicht wol zustimmet/ wolte ich l i e b e r die a l t e G e i g e s t r e i c h e n / so wird niemand leichtlich geärgert." (Bellin 1642, S. 12) Das morphologisch-etymologische Prinzip weist aber bald in die von Bellin angegebene Richtung: „Woraus entspringen aber nun die Doppellautenden? Etliche aus den bloßen selblautenden; Alß aus dem al entspringet das äl rahll die rähte; [...] Hieher gehöret auch/ baß/ bässer/ das bäste." (Zesen 1643, S. 54)
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In der Praxis gebraucht Stieler aber fast immer -ey.
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In einem Brief an Beilin (zwischen 1645 und 1647) entwickelte Zesen seine Auffassung weiter: „I. daß alle Wörter ihren stam/ zum allerehrsten in dem werte/ welches die unfolkommen-vergangene zeit [= das Präteritum] andeutet/ als gälten/ galt/ schälten/ barg/führen/ udgl. in diesen er galt/ schalt/ bargt fuhr! als in den allereinfaltigsten/ die auch ihre spröslinge recht auslägen und vermälden/ was sie eigendlich heissen/ suchen sollen; [...] II. Damach/ wan die wurzel in dem unfolkommen-vergangenen zeit-worte nicht fünde/ so mus ich sie in der folkommen zeit [= im Perfekt] suchen/ welches mier die haubt- und mittel-lauter der Wörter straks an die hand und zu erkännen gäben: als gold [...] gülden gültig von gegolten. [...]." (abgedruckt in: Bellin 1647,Bl.C5rf.)'89 An diesem Stammbegriff übte Harsdörffer, für den das Stammwort des Verbs die einsilbige Imperativform darstellt, in einem Schreiben an Zesen vom 10. April 1645 Kritik: „Wolle man nuhn die vollkommene/ oder unvollkommene zeit zu einem stam-worte setzen/ so were es gleich/ als wan ich behaubten wolte/ die fruchte oder das laub/ were nicht von den bäumen/ sondern die bäume von den fruchten erwachsen: oder die mehrere zahl von 10 an/ weren nicht von der minderen/ sondern die mindern von den mehrern entstanden." (abgedruckt in: Bellin 1647, Bl. H2rf.) Als Grammatiker vertrat nur Bellin (1657), ein Anhänger Zesens, noch diese Meinung: „Solcher meinung ist auch Hr. Zese: dan also schreibet er in einem brife an mich: [...] gälten/ gäldf schälten/ barg/ [...]" (Bellin 1657, S. 83f.). Bödiker (1690) war sich der Gefahr eines zu weit gefaßten Stammwortprinzips bewußt: „Die Derivata (Abgeleiteten) müssen nach den Buchstaben ihrer Primitivorum (Stamm=Wörter) geschrieben werden. [...] Doch kan es in allen so g e n a u n i c h t genommen werden. Denn der Gebrauch hat es in etlichen schon e r h ä r t e t / daß man schreibet: [...] Henne/ von Hahn. Eltern von Alter, Besser von Baß [...]." (Bödiker 1690, S. 35f.) 3.2.1.1.5. Gläubiger statt Gleubiger Nach dem morphologischen Prinzip soll man nicht Heuser, sondern Häuser schreiben. Gueintz und Schottelius haben deshalb die Doppellautschreibung an oder äw: „Die lautende und doppellautenden Buchstaben werden in der mehreren zahl verwechselt/ als: Buch/ bücherl Sohn/ Söhne/ Haust Häuser." (Gueintz 1641, S. 32)
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In einem Brief an Rompier vom 8. März 1645 erklärt Zesen ähnliches: Man soll die Stammwörter suchen, „nicht zuehrst in den eingliedrigen/ sondern entweder in den Wörtern/ welche die unfolkommen-vergangene zeit/ oder in denen/ so die folkommenvergangene / bedeuten." (abgedruckt in: Bellin 1647, Bl. G7rf.)
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„Der Doppellaut ist/ [...] und sind in Teutscher Sprache folgende: aul awl aul awl eul ew/ej/ei/aj/ai." (SchotteVms 1641, S. 198)190 Zesen (1641) lehnt allerdings die Schreibweise äu mit der Begründung ab, daß es sich bei äu um einen Triphthong aeu handeln würde, der im Deutschen keine Existenzberechtigung habe: l Ql
„So kann ich nicht setzen glauben/ rauher/ mit einem (a) sondern mit einem schlechten (e) dann es were falsch wenn ich einen doppellautenden mit drey selblautenden schreiben wolte/ welche (a/ ei u) seyn." (Zesen 1641, S. 44) Bellin schließt sich dieser These von Zesen an: „Andere machen noch Achte [Diphthonge] darzu/ als: äu/ äu/ äyl eül ael oel awl ew: Aber von den vier ersten [...] ist zu wissen/ daß es falsch sey/ einen DoppeWautenden (Diphthongus) mit d r e y oder vier Selb=lautenden (Vocalen) schreiben." (Beilin 1642,8.7) „Wenn im Wurtzel=Worte der Diphthongus au ist/ wird er gemeiniglich in den Zweig=Wörtern [= in den Derivata] in eu verwandelt [...] damit nicht ein Diphthongus auß d r e y oder vier Mitlautenden bestehe." (Bellin 1642, S. 13) Diese Argumentation findet sich noch ein halbes Jahrhundert später bei Prasch (1687) und Stieler (1691) wieder: „Etliche wollen zwar dergleichen [= Dreylaute] behaubten. Zum Exempel/ ich soll schreiben/ Bäume/ [...], weil dises Wort von Baum herkommet. Andere aber fliehen und verwerfen dise neuerliche Schreibart billig. Dann I. soll ich schreiben/ wie ich rede [...]. (2) Kein Hochteutscher Mund wird können aussprechen Bäume/ oder Baeume. (3) Ist es recht ebentheuerlich [...]. (4) [...] Sonderlich verkehret sich A in El wie Schotte! selbst bekennen muß. (5) So schreibet man durchgehende/ Freihenl Keule/ Greißl Leute! Treu/ [...]." (Prasch 1687, S. 8f.) ,^4w wird in äu nimmer recht verschaltet/ sonder es hat z. e. Braut [...], in der mehrern Zahl Breute [...], nicht Bräute. Denn es hieße eigendlich Braeutel welches in der teutschen Sprache/ so keine Dreylauter/ oder Triphthonos hat/ nicht angehet/ oder ausgesprochen werden kan." (Stieler 1691, S. 7) 3.2.1.1.6. mier, mihr, statt m/r; dj, di satt die Olearius (1630) beschreibt drei Möglichkeiten der schriftlichen Kennzeichnung der langen Vokale: „1. per duplicationem. 2. per additionem e obscuri. 3. per adjectionem literae A." (Olearius 1630, S. 10) 190
In Schottelius (1651) heißt es: „Der Doppellaut ist [...] wan man in einer Sylb einen doppelten Tohn vernimt/ als ail ajl aul äu/ eil eul ejl als Waise [...] einäugig [...]" (Schottelius 1651, S. 348 [recte: 350]). 191 Vgl. auch: „Dennoch den dreyfachlautenden zuvermeiden/ muß das a seine stelle gar quittieren und dem e räum geben/ daß ich also schreiben muß/ reuberl eugleinl freu." (Zesen 1643,8.40).
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Zur Frage, welche Art am besten ist, läßt er aber „einen ieden selbst judiciren" (Olearius 1630, S. 11). Bellin (1642), der sonst auf den herkömmlichen Gebrauch achtet, schlägt aufgrund der Lehre der gleichen Schreibung bei gleicher Aussprache die Schreibweise der /-Dehnung mittels e vor, mier, dier, wier. „Die Wörter Mier/ Dierl Wier/ habe ich lieber mit dem doppeNautenden (ie) als mit=lautenden (i) schreiben wollen: Weil sie also der Außsprache am beqvemlichsten seyn/ und mit ändern Wörtern/ als Bier/ Begier/ hier/ Manier/ Sapphier/ Thier etc. die gleiches Lautes sind/i n der S c h r e i b u n g ü b e r e i n k o m m e n ." (Bellin 1642, S. 3) Harsdörffer (1647) bezeichnet dies zu Recht als eine Form der „Analogie", ohne sich dem aber anzuschließen: „Die V. Vrsach ist die d u r c h g e h e n d e G l e i c h s t i m m u n g der Sprache/ (A n a l o g i a ) [...] Aus dieser Vrsach schreiben etliche wier/ dierl mier/ weil man schreibet/ Zier/ hier/ Bier/ etc." (Harsdörffer 1647, S. 115, § 9) Schottelius (1651) behauptet dann als konsequenter Analogist, daß man die Vokaldehnung mit h markieren solle: „Das / nimt in diesen Werteren billig ein h zu sich/ wihr/ dihrl mihrl ihr/ A/Ar/ gihrl [...] / und wann man schreibet wir/ mir/ dir/ irl hir/ giri komt die rechte Ausrede mit der Schreibung nicht überein; Auch/ wenn man schreibet mier/ wier/ dierl hier! ierl giert verleurt die Ausrede gleichfals ihren natürlichen zihrlichen Tohn." (Schottelius 1651,S.365f.) Nach dem phonologischen „Lehrsaz", „daß in Teutschen Wörteren/ alle die jenige Buchstabe/ welche der Rede keine Hülffe tuhn/ und also überflüßig seyn/ sollen und müssen ausgelassen und nicht geschrieben werden" (Schottelius 1651, S. 333f.), wird in der 2. Auflage der «Teutschen Sprachkunst» die Schreibung der Wörter wie, sie, dieser mit bloßem /' odery, also wj, sj, diser, vorgeschrieben. Diese Schreibweise, in der das nicht ausgesprochene e ausgelassen ist, sei dem Grund der Sprache gemäßer, also grammatisch richtiger: „Kraft angezogenes Lehrsazzes/ würde auch weiter folgen/ dafern man sonst dabei [...] recht beständig und unaussezlich verbleiben wil/ daß in vielen Wörteren/ das/ dem / beigesezte el müste nach g r ü n d l i c h e r E i g e n s c h a f t Teutscher Sprache ungeschrieben bleiben/ dannenhero man nicht unrecht schribe/ diselbigel diser l nimandl wj/ sj/ djl etc. zumahl das el in dieselbe/ dieser/ niemand/ wie/ sie/ diel etc./ dem Worte keine Hülfe tuht/ noch der rechten Ausrede etwas gibt oder nimt/ auch keine S p r a c h k u n s t m ä ß i g e uhrsache verbanden." (Schottelius 1651, S. 334f.) Schottelius will also die Gleichheit der Aussprache jeweils „gleichförmig" bezeichnen. Die Begründung bzw. Verteidigung dieser Neuerung fuhrt Schottelius fünf Seiten lang aus: „Es werden diejenige/ so auf den Gebrauch sich allerdings stüzzen/ den Inhalt dieses Lehrsazzes für eine Neuerung halten. [...] Erkennet man den/ nach jedes Einfallen/ freien Gebrauch/ für einen Meister und rechten Grund/ wird der neuen mannigfaltigen Ungewißheiten swärlich ein Ende werden. Wan ein Lesen=lernender den Tohn dil nil wil aus disen dreien Buchstaben diel nie/ wie/ anfangs erlernen und
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annehmen muß/ kommet es etwas selzam an/ wan man Buchstaben muß dl i l e und mit Auslassung des lezten Buchstabens nur ausspreche dj. [...] Es ist aber am Tage/ daß [...] denen Wörteren/ welche lang ausgesprochen werden/ als mir/ dir/ wir etc. das e nicht pflege beigesezt zuwerden; Wiewol doch von solchen [...] die gewissesten durchgehende Regulen bei uns verbanden sind/ [...] wenn man sonst die grundmäßige G l e i c h f ö r m i g k e i t der Sprache mehr/ als den ungleichförmigen Gebrauch/ wolte durchgehends gelten lassen." (Schottelius 1651, S. 335-337) Am Schluß bemerkt er aber: „Und ist es einer groben Verleumdung nicht ungleich/ wan wolgemeinte g r u n d r i c h t i g e B e w e i s u n g und Anführung in Teutscher Sprache/ mit dem Nahmen einer Neuerung sich muß beuhrteihlen lassen. In dieser Sprachkunst ist in dem meisten/ denen Gründen und vernünftigen Uhrsachen/ was die Rechtschreibung betriff Beifall gegeben/ wiewol doch i n e z l i c h e n dem b e l i e b t e n G e b r a u c h e v i e l m e h r / a l s d e r natürlichen G l e i c h f ö r m i g k e i t d e r Sprache/ man nachgehen müssen/ damit der so klügelwillige Argwohn der Neuerung/ so viel tuhnlich/ gleichwol besänftiget werden möge." (Schottelius 1651, S. 339) Das heißt, daß Schottelius selbst in seiner «Teutschen Sprachkunst» (und zwar gegen seine eigene „grundrichtige" Vorschrift) die reduzierte Schreibung / statt ie nicht verwendete. Dies ist die einzige Stelle, an der der Grammatiker 1651 dem unvermeidlichen „beliebten Gebrauch" weicht. Sonst gibt er in der zweiten Auflage seiner Grammatik nirgends dem nicht grundrichtigen, unvernünftigen Gebrauch nach. Beilin (1657) teilt zwar im Prinzip diese Schreibung (also dises, diweil,frid), meint aber, „am ende der einsilbigen Wörter würd man das ie villeicht noch behalten müssen" (Bellin 1657, S. 31), demgemäß müsse man die schreiben. Schottelius deutet 1663 auf den radikalen Charakter der Schreibung dj, diser hin, indem er dem obigen Zitat die folgenden Zeilen hinzufügt: „Jedoch wird mit nichten gut geheissen die K l ü g e l e y und E i n b i l d u n g derjenigen die alles ungescheut/ wie es jhnen zufällt/ ohn rechte Uhrsach und Grund enderen/ und gar n e u e S c h r e i b a r t e n aufzubringen sich gelüsten lassen" (Schottelius 1663, S. 191) 1676 macht der Grammatiker schließlich die von ihm selbst vorgeschlagenen Schreibungen dj, diser sowie mihr, wihr zugunsten des „angenommenen" Gebrauchs rückgängig: „[...] also schreibet man ins gemein in dem HochTeutschen mir/ dir/ wir/ diel siel wie/ und nicht mierl dierl wier/ oder mihr/ dihrl wihr. auch nicht dil wil si oder dyl wyl syl oder dihl wihl sih: Ob sich schon einer und ander/ nach seiner MundArt mag einbilden/ der Klang und Ausspruch käme nicht mit dem geschriebenen Worte überein: So ist jedoch numehr dieser und dergleichen Wörter Schreibung und Bekleidung ü b e r a l l b e k a n t und a n g e n o m m e n . " (Schottelius 1676, S. 18) Gegen die Schreibweisen mihr, mier, die funktionell zur Homophonendifferenzierung nicht beitragen, wendet sich Prasch (1687):
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„Etliche wollen neuerlich/ man soll schreiben: M/Ar/ Wihr; oder/ Mierl Dierl etc. Ist unnötig. Das R vor dem / klinget ohne das/ als wann ein E dazwischen stünde. Wie Ran mans änderst aussprechen? Bey Ihm/ Ihn/ und folglich Ihr/ scheinet das H mehr um des U n t e r s c h i d s w i l l e n Jetziger Zeit zu stehen. Dann Im/ In/ ist das Vorsetzwörtlein (praepositio)." (Prasch 1687, S. 17f.) Auch Bödiker (1690) zieht den grundrichtigen Schreibungen die gewöhnlichen vor: Man soll „im Schreiben nach der N a t u r und K u n s t = G r u n d e der Sprache gehen. [...] Nach diesem Grunde solle ich auch schreiben: mihrl dihr; nicht/ mir/ dir. u.s.w. Doch muß man dem G e b r a u c h e auch etwas gönnen." (Bödiker 1690, S. 8f.) Aufgrund der zweiten allgemeinen Regel, daß „man dem gesunden Schreibgebrauch nachtreten" solle, werden die Schreibungen di, si, wi statt die, sie, wie von Stieler abgelehnt, (vgl. Stieler 1691, S. 27f.) 3.2.1.2. Konsonantenzeichen Nach dem phonologischen Prinzip wurde vor allem die Beseitigung der zur Aussprache nichts beitragenden Konsonantenhäufung gefordert. Bödiker (1690) nennt z.B. warumb, Erbschafft, helffen, seuffzen Bluth (richtig Blüht), und undt eine „unartige Gewohnheit." (Bödiker 1690, S. 11) 3.2.1.2.1. auf, aus statt auff, auß Nach Schottelius darf das / „nicht ohn Uhrsach gedoppelt werden" (Schottelius 1651, S. 363), sondern nur wenn die Verdoppelung wegen der Unveränderlichkeit des Stammwortes erfordert wird. Während Bellin noch 1642 die Gemination von/ und s wie auff, Kampff, qfft, kräfflig (Beilin 1642, S. 20f.) und auß, deß, alß, Hauß (ibid., S. 24f.) als Regel darstellt, erklärt er sie 1657 als unnötig: „Das/ würd am ende eines wertes: ingleichen nach dem/» [...] wie auch for dem // i z i g e m g e m e i n e n g e b r a u c h e n a c h / doppelt gesäzzet/ als: Auff [...] dämpffen [...] sofft [...]. Es ist aber solcher Verdoppelung weder am ende/ noch nach dem/»/ noch for dem t von nöten." (Bellin 1657, S. 45) Nach der Beobachtung Praschs (1687) habe man in der Praxis erst „numehr angefangen/ disen rauhen Überfluß/ [...] abzuthun/ und nur ein F zu setzen; damit die Fremden nicht zu klagen und zu lästern haben" (Prasch 1687, S. 16). Stieler (1691) gibt Ende des Jahrhunderts das morphologische Prinzip gemäß Schottelius wieder: „[...] nur ist hierbey in acht zunemen/ daß man [,..]ß vor ein einfaches kleines nicht zu Ende setzet/ denn ich schreibe unrecht: auß [...], Hauß [...], vor aus/ Haus: Hingegen/ weil fließen, gießenl genießen zur Kennletter [= dem Stammbuchstaben] ein duppelt hat/ so muß man auch fleußt geußl genieß dergleichen haben/ also/ daß auch ein anders ist/ laßt/ vor laßet [...], mißt/ vor mißet [...]." (Stieler 1691, S. 42)
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3.2.1.2.2. um, kommt statt umb, kompt Die Schreibung -mb/-mp genehmigt Gueintz (1641) wegen der Euphonie: ,JB und P nach dem M wird nicht gäntzlich ausgesprochen. Als: kompt/ frembdel bestirntl versamlen: daß aber das B und P von etlichen darzu gesetzet wird/ ist wegen des w o l l a u t e n s . Dan sonst die buchstaben sich nicht wol zusammen fugen lassen/ als m II m dl m tl kan aber beydes ausgelassen werden." (Gueintz 1641, S. 16) Schottelius (1641) räumt unwillig der beliebten, aber eigentlich mißbräuchlichen Schreibung -mb/-mp Gültigkeit ein, um der Tradition ein Opfer zu bringen: „Es sage mir einer/ warumb schreibet man/ warumb/ sampt vnndt Bischoffthumbl Lambl frombl kombtl nimbtl und derogleichen viel andere? Es kan niemand anders antworten/ als/ dieweil man so schreibet: Aber ich sage/ man schreibt nicht also. [...] Ein M i ß b r a u c h muß nimmermehr die Warheit wegreissen. [...] Es erfodert es weder der Wollaut/ noch der Verstand/ noch die Eigenschafft der Sprache/ noch das Wesen oder Wurtzel deß Wortes/ [...]. Die Gedancken einiger n e w e r u n g von mir zuverhüten/ habe ich in dieser Sprachkunst allzeit also diese Wörter annoch behalten wollen: umb/ warumb/ new/ trawl etc. da es doch n a c h dem G r u n d e recht heisset/ daruml um/ warum/ neu/ traut etc." (Schottelius 1641, S. 194f.) Die Grammatiker danach lehnen alle die Schreibung -mb, ~mp ab. Zur Schreibung kompt bemerkt Zesen: „Das p. ist in diesem worte so viel nütze als das f ü n f f t e Rad am W a g e n . " (Zesen 1643, S. 49). Prasch notiert 1687, daß die alte Schreibweise Lamb, warumb „guten Theils abgeschaffen" (Prasch 1687, S. 11) sei. 3.2.1.2.3. slagen statt schlagen Schottelius (1641) schreibt die „bestätigte" Schreibung mit schl-, schm-, sehn- und schw- vor, obwohl sie nach der Aussprache des Niedersachsen sl- usw. geschrieben werden sollte: „Man setzet auch zwischen das S und W oder zwischen S und L diese beyde Buchstaben chl als: ich schlag! schlingen! schweigen! Schwaben. Solches nun ist durch den Gebrauch allerdings bestetiget/ wiewol sonsten das Wort ohne diese Buchstaben jhren lohn und Würckung hetten/ als slag/ sweigenl swaben." (Schottelius 1641, S. 187f.) 1651 steht aber bei Schottelius als „Fünfter algemeiner Lehrsaz" die reduzierte Schreibung von sl- usw.: „Zwischen dem 5 und den Buchstaben wl II ml nl kan das ch wol ausgelassen werden/ es ist solches/ wie Aventin austrüklich zeuget/ bei denen Alten auch also gebräuchlich gewesen: Es erfodert solches weder die Buchstabirung/ noch Ausrede des Wortes/ und sind vielmehr in allen solchen Worten/ diese Buchstabe ch überflüßig." (Schottelius 1651, S. 347) Diese Regel der «Teutschen Sprachkunst» (1651) entlehnt Bellin (1657) mit Angabe der Quelle: „Das ch kan füglich und wol zwischen den buchstaben sl/ sml snl swl ausgelaßen warden/ als: Slagen/ smäkkenl snabell swan/ u.a.m. gleichwie man schreibet spoil stillen/
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straße/ on chl und nicht schpotl schlillenl schtraßel mit eh. [...] Besihe Hr Schotteis Sprachk. am 347. bl." (Bellin 1657, S. 41) Während der Niedersachse Schottelius die Schreibungen schlagen, schnabel usw. aufgrund der geschichtlichen Priorität und der Aussprache zu slagen, snabel usw. reduzieren wollte, handelte es sich bei der Vorschrift des Ostmitteldeutschen Bellin um ein a n a l o g i s c h e Anwendung des Graphems als [s] vor /p/ oder /t/ auf die Stelle vor /!/, /m/, /n/ und /w/. Der Regel der Schreibung sl-, sm-, sn- und sw- wird dann bei Schottelius (1663) die folgende Anmerkung hinzugefügt: „In diesem Buche ist der angenommener Hochteutscher Gebrauch zufoderst in obacht/ der Schreibung nach/ behalten: Dann obwol von dem alten und uhralten Teutschen Sprachwesen hin und wieder mit gehandelt wird/ [...] so betrift dennoch die Grundrichtigkeit und Haubtausschmükkung/ deshalben man bemühet ist/ nur das Hochteutsche." (Schottelius 1663, S. 197) Schottelius begründet 1663 die Beibehaltung der Schreibung in seiner eigenen Grammatik damit, daß „der Ausspruch bey den Hochteutschen änderst/ als bey den Niederteutschen sich finden möchte" (Schottelius 1663, S. 191). Für Zesen, der schon in einem Brief zwischen 1645 und 1647 für die reduzierte Schreibung Partei ergriffen hatte, galten beide Gesichtspunkte, also das phonologische und analogische Prinzip: „Also solt' ich auch schreiben slagen/ smäkken [...]/ gleich wie man stillen/ straße/ spot nicht schtillenl schtraßel schpotl ob sie schohn also ins gemein aus-gesprochen warden/ schreibet: [...] Jedoch weil es vielen in Meissen und anderen orten/ sonderlich dem Leipzischen frauen-zimmer belibet/ daß sie die obgedachte worte über ohne einiges zischen/ gahr gelind' und üblich/ als mit follem mund' und einem groben laute/ auszusprächen pflägen/ so wolt' ich auch über durchgehend [...] auch slagen/ smäkken [....] schreiben." (abgedruckt in: Bellin 1647, Bl. E3vf.) Die Schreibungen slagen, smecken, snell, steigen, die „die Pommerische und Westphälische Mundart" (Pudor 1672, S. 6) darstellen, tun dem Hochdeutschen einen „Schimpf an. Die Vorschrift sl-, sm-, sn- und sw- von 1651 und 1663 nimmt Schottelius (1676) zugunsten des „durchgehenden" Gebrauchs wieder zurück: „Der bißherige Gebrauch wil und erfodert es/ daß ch werde zwischen den Buchstab sl und die Buchstabe W rl U ml nl gesetzet/ darum schreibet man schweigen/ schreien/ schlagen [...]/ und nicht eben sweigen/ slagen [...]. Weil es aber i n dem H o c h T e u t s c h e n e i n d u r c h g e h e n d e r G e b r a u c h / auch d i e HochTeutsche Ausrede scheinet/ daß das seh zu behalten/ so nimt man es n u n m e h r / als einen bestetigten guten Gebrauch billig an." (Schottelius 1676, S. 26f.) Ende des 17. Jahrhunderts kritisieren Bödiker (1690) und Stieler (1691) Schottelius wegen seiner Vorschrift sl-, sm-, sn- und sw-: „Herr S c h o t t e l i u s / der sonst [...] sich um gantz Deutschland vortrefflich verdienet hat/ wil dismahl schier der neuen Schreib=Art den N e u k ü n s t l e r n etwas verwilligen. Denn er meynet/ daß man wol könne schreiben: Slagen/ Smeckenl
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Sneidenl Sweigen [...]. Aber man hats hie billig bey der eingeführten Schreib=Art zu lassen. [...] Daß etliche Meißner so lispelnde mögen sprechen; Snödel Smuckl kan diesen Satz nicht umstossen. [...] Denn unsere Sprache hat nun eine andere Gestalt gewonnen." (Bödiker 1690, S. 26) „Jetzt belobter S c h o 11 e l will/ nach seiner Sächsischen Ausrede/ vor /. m. n. w. das ch wie beym Lateinischen Sleidanus, smilax &c. ganz auslaßen/ und sagen slagenl smeckenl sneidenl sweigen/ geschrieben haben/ beruft sich darbey auf etliche alte teutsche Reimen/ wendet aber hernach mit allem Recht ein/ daß der Don und Ausspruch bey denen Hochteutschen anders/ als den Nieder=Sachsen oder Niederländern laute/ welches auch wahr/ und hierum keine K e t z e r e y in der Ortografie anzufangen ist." (Stieler 1691, S. 10) 3.2.1.2.4. göttlich, soll statt göttich, sol Der größte Unterschied der Regeln von Gueintz (1641) und Schottelius (1641) bestand in den Vorschriften über die Gemination. Während Gueintz' Regel ein explizites Prinzip fehlte, formulierte Schottelius nach seinem Stammwort- bzw. morphologischen Prinzip sehr präzise: „Die Mitlautenden buchstaben pflegen die Deutschen in kurtzen Wörtern am ende gemeiniglich zu Doppliren/ als: all/ schall/ voll/ vaßl auff. Das / wird allezeit gedoppelt/ welche von will und all/ herkommen [...]." (Gueintz 1641, S. 19) „Die auf ein ml nl mit einem Lautbuchtaben ausgehen/ dupplieren dieselben in der mehreren zahl/ wan eine sylbe darzu körnt/ Als: Schwant/ Schwämme/ Man/ Männer/ fluslflüsselfuslfösse." (Gueintz 1641, S. 32) „Es wird in den Stammwörteren am ende der mittlautender gedoppelt/ so offt in dem Nennworte die abfallende Zahlendungen [= die obliquen Kasus] / solche doppelung nothwendig erfoderen/ als Stimm! all/ voll/ Mannt Schall/ etc. denn man saget der Stimme! alle Leute! voller Mühe! des Mannes! des Schalles! etc. und nicht: Stimel ale/ vole/ Mane. Also gleichfalls in dem Zeitworte/ wird der letzter mittlautender verdopplelt/ wenn die anderen Zeiten solche doppelung erfoderten/ als: LauffJ denn man sagt ich lauffei und nicht ich laufe: Stoß/ denn es heisset stossen und nicht stosen. [...] Diese Regul ist sehr wol in acht zu nehmen/ und kan man daher leichtlich eine sichere Gewißheit ersehen in allen solchen Werteren: die sonst offt mißgeschrieben werden." (Schottelius 1641, S. 189f.) Schottelius formuliert 1651 das Prinzip der Unveränderlichkeit des Stammwortes prägnant: „Es ist aber dieses zu wissen/ daß in unserer Muttersprache die Stammwörter oder Wurzeln müssen nohtwendig g a n z und u n z e r b r o c h e n bleiben." (Schottelius 1651,8.342) Bellin (1642) schließt sich an die Gemination wie göttlich nach der orphologischen Gleichheit des Stammwortes an: „Die Buchstaben l m n r werden doppelt gesetzet am Ende eines Wurtzel=Wortes/ wenn in den Zweig=Wörtern oder in einem ändern Fall selbige Buchstaben doppelt kommen/ als: Schall (schallen) [...] voll [...], fromm [...] Sinn [...], Göttinn (Göttinnen) [...] Sonnt Brunn [...]. Und hergegen: Wenn im WurtzehWorte die Buchstaben l m n r doppelt stehen/ pflegen sie in den Zweig=Wörtem [=
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Ableitungen] gemeiniglich zu bleiben/ als: von Wallen Wallfahrt; von Wille Willkühr; von Himmel [...]." (Bellin 1642, S. 23f.) „Wenn im Wurtzel=Worte das tt oder dt gefunden wird/ bleibet solches auch in den Zweig=Wörtern/ als: von Gott Göttlich [...] von Stadt stadtlich; von todt (mortuus) tödtlich/ tödtenl etc." (Beilin 1642, S. 27) Harsdörffer (1643) schreibt mit seinem Lehrsatz „die Stammbuchstaben änderen 192
niemals" (Harsdörffer 1643, S. 317) bei beharrlich die Konsonantenverdoppelung vor, weil es vom Verb beharren hergeleitet ist. Dagegen beharrt Fürst Ludwig in einem Brief aufgrund der Aussprache auf der Richtigkeit der Schreibung mit einfachem Konsonanten beharlich: ,ßeharlich sol darumb mit einem r alleine geschrieben werden, weil das Zweite r für dem / nicht kan a u s g e r e d e t werden [...]. Man ist darinnen mit dem Suchenden nicht einig, das alle Stambuchstaben sonderlich in den Wörtern, da sie nichts nützen, sollen gebrauchet werden, dergleichen erhelligkeit ist bey geselschaft, herlich, Götlich auch in acht Zu nemen, Ursache das der gedoppelten Buchstaben wegen, die folgenden dritten Mitlautenden nicht können weder a u s g e s p r o c h e n noch gelesen werden." (abgedruckt in: Krause 1855, S. 325)
Nach dem Schreiben an Fürst Ludwig (vom 27. Januar 1644) wollte Gueintz eigentlich in Übereinstimmung mit Schottelius „die stammhaften Bestandteile überall gleich bezeichnen." Fürst Ludwig argumentierte aber in seiner Antwort 194 (vom 14. Februar 1644) folgendermaßen: „Den U r s p r u n g der Wörter mit etwas einem gemercke der buchstaben anzuzeigen, ist Zwar gut, sonderlich da es eine abmerckung der verenderungen ist [...] in der m i t t e aber ist es n i c h t von n ö t e n , da der Ursprung aus dem verstände doch ohne das leichte kan genommen werden." (Krause 1855, S. 264) Die Regel der Konsonantendoppelung am Wortende formuliert Gueintz (1645) in der «Deutschen Rechtschreibung» gemäß dem morphologischen Prinzip folgendermaßen: „Die mitlautenden Buchstaben pflegen die Deutschen in kurtzen oder einsylbigen Wörtern a m Ende/ s o o f t e i n d e r Ü b e r e i n t z i g e n Z a h l der Nennendung es s i c h a u s w e i s e t / zu zwiefachen/ ob man es schon nicht 192 1Q1
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Zur Begründung vgl. auch den Brief Harsdörffers an Fürst Ludwig im Sept. oder Okt. 1643: abgedruckt in Krause 1855, S. 321. Jellinek 1613, S. 165. Gueintz mußte dann im Brief vom 19. Februar 1644 Fürst Ludwig die Behutsamkeit versprechen: „Waß der Nährende, sambt denen anwesenden vornehmen Gesellschafftern dem Ordnenden wieder eingeschicket, ist willigst gelesen, vnd in eyl so viel vermercket, daß das meiste in Zusammenkunfft vnd Unterredung bestehe. [...] Unterdeß, daß mich fast Zurück helt, vnd behutsam Zu verfahren anmahnet ist: wan fast alles im schreiben solle geendert werden, würde man den alten vorschreiben müßen, wie sie hetten schreiben und reden sollen, da wir doch schreiben, reden vnd anders von ihnen erlernt." (abgedruckt in: Krause 1855, S. 267f).
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aussprechen kan/ wie auch nicht in ändern sprachen. W e i l es das S t a m w o r t e r f o d e r t : als Mann mit zweyen n n den man saget Männer. [...] Also/ schall/ voll/faß/ [...]." (Gueintz 1645, S. 16) Die Gemination in der Wortmitte mit folgendem Konsonanten wird dagegen nach der Ermahnung von Fürst Ludwig abgelehnt, und damit das morphologische Prinzip wiederum verlassen: „Hierbey ist aber zu mercken/ wan der Verstand des wertes klar ist/ und das keine zwiefache Deutung daraus zu nemen/ und man auf keinen unterscheid zusehen hat/ das als dan in der mitte die müssigen Buchstaben nicht sollen geschrieben werden/ weil man sie nit aussprechen kan: Als man spricht Aljnechtigl und nicht allmechtigl Göllich und nicht Göttlich/ Herlich und nit herrlich/ Misgunst und nit Missgunst." (Gueintz 1645, S. 11) Die Konsonantenverdoppelung nach Schottelius' Stammwortprinzip hat sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei den Grammatikern gleichwohl durchgesetzt. Vgl. z.B.: „Etliche Mitlautende werden am Ende gedoppelt gesetzt/ so oft die Abwandelungen/ und Zeitendungen solches erfordern/ [...] Mann [...] Stimm [...] Schall [...] Voll [...] all/fromm/ stumm [...] Lauff [...] wirff/ stoss/ reissl etc. Wo aber diese Zeitwandelung solches nicht erfordert/ ist es unvonnöthen." (Pudor 1672, S. 12) „Wann man zweifelt/ ob ein Wort zu Ende so oder so zu schreiben/ so ist zu sehen/ wie dasselbe Wort/ wann es in mehr Sylben wachset/ ausgesprochen und geschriben wird. Zum Exempel: [...] Soll/ Will/ etc. [...] Jedoch schreiben auch etliche Teustchgelehrte/SO// Wil." (Prasch 1687, S. 23) „Insonderheit müssen die Nomina am Ende mit einem doppelten Consonante geschrieben werden/ wenn die ändern Casus oder der pluralis solches erfodern." (Bödiker 1690, S. 9f.) Auch Stieler (1691) plädiert für diesen Mechanismus: „Weil bey dem Zeitwort wollen/ ville, das /// die Kennletter ist; so muß/ ich will/ volo, auch mit // geschrieben werden. Also soll/ debet, von sollen/ debere." (Stieler 1691,5.29) Er will aber dieses Prinzip nicht ohne Ausnahmen gelten lassen. Er nennt einige Gegenbeispiele wie kanst, Gewinst und erkennt sie wegen ihrer Gebräuchlichkeit an: „Ausgenommen/ werden die/ so von können/ posse, herkommen: Denn ich schreibe nicht: Ich kann/ du kannst/ er kann/ ich könnte [...], sondern kan/ kanstl kan/ könte. Auch richten sich die Zeit=Nennwörter selten hiernach/ denn da sage ich nicht Gewinnst/ lucrum, ob es schon von gewinnen/ herstammet/ [...] sondern/ Gewinst. Also bringt der Brauch mit sich/ daß man Edel [...] schreibet/ ob es schon von Adel/ entsprießet: Eltern [...], Nechster [...], da sich doch von alt und nahe herkommen" (Stieler 1691, S. 29) Beilin (1642!) gibt gleichfalls Ausnahmen an: „Man schreibet aber nicht von kennen/ ich kannte/ Erkänntniß; von brennen ich brannte/ Brannd etc. sondern ich kantet Erkenlniß; ich brantel Brand etc." (Beilin 1642, S. 24). Dieser Grammati-
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ker mißachtet 1657 die Unveränderlichkeit des Stammwortes und gibt demnach Got, Götter, götlich, flus, flüsse (ibid., S. 15); nüzzen, nüzlich, nüz (S. 32) an: „Es ist unmöglich/ [...] das ein gedoppelter buchstab am ende einer silben zugleich könne ausgesprochen warden: darum man auch im schreiben denselben nicht sol doppelt säzzen." (Beilin 1657, S. 57)
3.2.2. Semantische Regeln: Heterographie Das s e m a n t i s c h e P r i n z i p , d.h. die Notwendigkeit der orthographischen Unterscheidung der H o m o p h o n e , wurde von allen Grammatikern beachtet. Schon vorher sammelt z.B. Werner (1629) im 4. Kapitel „Von etlichen Wörtern/ welche in der Außsprechung einander ehnlich: im Schreiben aber/ vnd in der signification einander vngleich werden" (Werner 1629, S. 64-116) viele Beispiele von gleichlautenden und ähnlichlautenden Wörtern, also Homonymen und Paro195 nymen , z.B. man - Mann, meinen - meynen, sein - seyn, das - daß, Stadt Statt, Tod-todt, bitten - bieten, Ball - Baal. Gueintz (1641) spricht vom „das/ so es ein vornenwort/ zum unterscheide des fügewortes daß [...]" (Gueintz 1641, S. 19). Schottelius (1641) listet im 20. Kapitel des 2. Buches „Von den Gleichbenahmten [...]" (S. 543-552) einige Dutzende Paare von Homoymen und Paronymen auf, z.B. die Taube - der Taube, denn - den, daß - das, bis - biß, Seite - Seide, der Kamm - kam. Bellin (1642) spricht von „etlichen Wörtern/ die in der Außrede/ oder sonst eine Gleichheit haben/ im Schreiben aber unterschieden werden" (Bellin 1642, S. 37), also in moderner Terminologie von 196 Heterographie der Homophone, wie malen und mahlen, Meer und mehr. Außerdem sammelt Bellin in der 6. Abteilung „Wörter/ die im Schreiben unterschieden werden" (Bellin 1642, S. 37-48), also Homophone und Paronyme. Auch Harsdörffer (1644, S. 36-40), Gueintz (1645, S. 26-176), Bellin (1657, S. 117-140) und Schottelius (1651, S. 859-864; 1663, S. 680-686; 1676, S. 67-88) listen Beispiele auf. Bei Harsdörffer (1647) und Schottelius (165l/ 1663) gehört das semantische Prinzip sogar eindeutig zu den „Ursachen" oder „Lehrsätzen" der Rechtschreibung: „Die IV. U r s a c h e kan hergeführet werden von der Wörter Unterscheidung/ indem sie nemlich der Ausrede nach gleichstimmig/ der Schreibung nach unterschieden sind; das ist ein Vornennwort (Pronomen hoc) daß ist ein Fügwort (Conjunctio Ur). [...] Hiervon ist zu lesen das nutzliche Büchlein deß Ordnenden/ welcher die Rechtschreibung in eine feine Richtigkeit zu bringen/ beginnet." (Harsdörffer 1647, S. 114, §8)
„Siebender a l g e m e i n e r L e h r s a z z . Es ist zu merken der Unterscheid ezlicher einsilbiger Wörter/ die zwar der Ausrede nach/ ganz gleich/ aber in jhrer 195
19f>
Unter Paronym verstehen wir „ähnlich lautende Wörter" (Mogensen 1992, S. 69) bzw. Wörter mit „Klangähnlichkeit [...] bei partieller morphologischer Gleichheit, aber unterschiedlicher Bedeutung" (Lewandowski 1990, S. 780). Zum Begriff Heterographie vgl. Mogensen (1992), S. 65.
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Deutung ganz unterschieden sejn/ und müßen derowegen zum benötigten Unterscheide der Andeutung recht geschrieben werden." (Schottelius 1651, S. 349; ebenso 1663, S.198) Die Heterographie der Homonyme halten Tscherning (1659, S. 6) und Prasch (1687, S. 24) für „sehr wol" und „fein". Bödiker (1690) formuliert prägnant: „Die Rechtschreibung unterscheidet viel gleichlautende Wörter" (Bödiker 1690, S. 12). Für die schriftliche Unterscheidung von Stadt/Statt und todt/Tod plädieren viele Grammatiker: Harsdörffer (1644, S. 39) todt/Tod, Gueintz (1645, S. 138) Stadt/ Stat, Schottelius (1651, S. 359; 1663, S. 208; 1676, S. 46) todl/Tod (aber Stat/ Stat), Pudor (1672, S. 12) todt/Tod, von Prasch (1687, S. 14) todt/Tod und Stadt/ Statt, Bödiker (1690, S. 9) todt/Tod und Stadt/Statt. Beilin (1657) lehnt jegliche Schreibung mit dt ab (Beilin 1657, S. 43). Stieler (1691) ist gegenüber der dtSchreibung skeptisch: „Ob nun wol der Gebrauch eingerißen/ daß man schreibt Stadt/ urbs, und todtl mortuus, zum Unterscheid der Todl mors; So w o 11 e i c h doch lieber/ man schriebe Statt und tot, Wiewol hierinnen dem b e l i e b t e n G e b r a u c h in etwas nachzugeben." (Stieler 1691, S. 11) Die Unterteilung der gleich und ähnlich lautenden Wörter, die Schottelius erst 1676 machte, verdient Erwähnung. Der Grammatiker unterscheidet f ü n f K l a s s e n (Schottelius 1676, S. 27-29), und zwar Heterographie der Homonyme, drei Arten Homographie der Homonyme und Paronyme: 1. „welche dem Ausrede nach/ gleiches Lautes seyn/": z.B. daß, das; sein, sejn; Mann, Man. = Heterographie der Homonyme 2. „zweideutige Wörter/ vocabula aequivoca, welche die Rede können zweifelhaftig machen/ drum muß der articulus dabey gefugt werden": z.B. der Thor, das Thor; der Ort, das Ort. = genusspezifisch zu unterscheidende Homographie der Homonyme 3. „gleichlautende Wörter/ so durch den rechten Ausspruch/ sonderlich aber durch die rechte Schreibung müssen angemerket und kennlich werden": z.B. Wider, wieder, Widder; war, wahr, Waar. = Paronyme 4. „ZeitWörter/ die buchstäblich übereinkommen mit etzlichen NennWörteren": z.B. weisen, die Weisen; scheiden, die Scheiden. = wortartenspezifisch zu unterscheidende Homographie der Homonyme 5. „andere zweideutige Wörter/ welche weder durch den Laut und Ausspruch/ noch durch die Schreibung können unterschieden werden/ denenselben muß die RedArt/ darin sie gebrauchet werden/ durch Hülfe der vorgehenden/ oder folgenden Wörter den Verstand geben": z.B. die Seite, die Seite; das Gerichte, das Gerichte; der Raht, der Raht, der Raht. = kontextabhänig zu unterscheidende Homographie der Homonyme
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3.2.3. Syntaktische Regeln: Großschreibung der Substantive Was die Großschreibung des Wortanfangs betrifft, lassen sich in dem von uns thematisierten Zeitabschnitt 1640 bis 1700 zwei Prinzipien unterscheiden: das pragmatische und das syntaktische Großschreibungsprinzip. Bei dem ersten handelt es sich außer bei Eigennamen um den Gebrauch der Versalien zur Hervorhebung oder Ehrerbietigkeit, bei dem letzten aber um den Versaliengebrauch für Substantive.197 Gueintz (1641/1645), Harsdörffer (1647), Schottelius (1651/1663), Bellin (1657) und Stieler (1691) bekennen sich zur „pragmatischen" Versalienschreibung und Bellin (1642!), Girbert (1653), Pudor (1672) und Schottelius (1676!), Prasch (1687) und Bödiker (1690) zur Großschreibung aller Substantive. Gueintz (1641/1645) kennt zwar den Versaliengebrauch für alle Substantive in der Deutschen Bibel, lehnt ihn aber mit Hinweis auf die Bedeutsamkeit der semantisch-funktionalen Unterscheidung mittels Versalien und der Verbreitung der t no Kleinschreibung der Substantive in anderen Sprachen ab: „Alle eigene Nenwörter/ und die einen n a c h d r u c k haben/ die Tittel/ die Tauf= und Zunahmen/ die Nahmen der Länder/ [...]/ der Beambten/ der Künste/ der Tugenden/ der Laster/ der Festtage/ der Thiere [...] werden im anfange mit einem grossen Buchstaben geschrieben [...]. Sonsten findet man in der alten D e u t s c h e n B i b e l / das a l l e nahmen/ oder Selbständige Nenwörter ( S u b s t a n t i v a ) mit einem grossen buchstaben gedruckt seind zum unterscheide der zeit und anderer Wörter." (Gueintz 1641, S. 17) „Aber die ietzigen Bücher/ so am tag kommen/ zeigen es fast anders/ und das nur in diesem/ wie oberwehnet/ grosse Buchstaben sollen gemacht werden: Halten auch dafür/ das das letztere das beste/ weil in ändern sprachen dergleichen auch in acht 197
In dem ersten Lehr- und Leitfaden der Buchdruckerkunst, Honschuchs „Orthotypographia" (1608), wird zur Größschreibung folgendes bemerkt: „Insuper assvefaciendi sunt typographi, ut literä majusculä eas saltern dictiones in fronte imprimant, quarum e m p h a s i s quaedam est; & in N o m i n i b u s non o m n e s , u t quidam insulti faciunt; sed eas solummodo, quarum similes in verbis saepissime occurrunt, ut sunt: Gebet/ Liebe/ &c." (Honschuch 1608, S. 26). In der deutschen Übersetzung aus dem Jahr 1634 lautet: „Vber diß sollen die Buchdrucker gewehnet werden/ daß sie mit einem grössern Buchsraben allein die jenigen Wörter in jhrem Anfang setzen/ die da eine e m p h a s i n haben; vnd in den N o m i n i b u s n i c h t a l l e / wie etliche Vngeschickte thun/ sondern allein diese/ derer gleichen in den verbis offtermals furlauffen/ als da sind: Gebet/ Liebe/ etc." (Homschuch 1634, S. 28f.) l Qft Butschky (1645) gibt im Anschluß an Werner (1629, S. 34-41) und Gueintz (1641) eine fast gleiche Regel mit Gueintz, wobei aber der Hinweis auf die „Hervorhebung" fehlt: „Waß die großen Buuchstaben (versal) betrifft/ damit schreibet man/ die Nahmen und titel/ so Gott zu gehören; die Tauff= und Zunahmen derer Mann= und WeibesPersonen; die Nahmen der Länder/ Städte/ Dörffer/ Völker/ Beamten; der Künste/ Bücher/ Tugenden/ Laster; die Nahmen der Sonn= Fest= Werk= und woche=Tage; Die Nahmen der zahm= und wilden Tiehre/ und alle Wörter die auffeinen punkt folgen/ oder sonst was merkliches bedeuten." (Butschky 1645, S. 13).
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genommen wird/ da man unterschiedene Buchstaben gebrauchet." (Gueintz 1645, S. H) Harsdörffer (1647)199 und Schottelius (1651/1663) beobachten, wie die damaligen Drucker die Großschreibung aller Substantive praktizieren und appellieren deshalb an die Vernunft der Leser: „Es ist bißhero in den D r u c k e r e y e n / aus einem beliebten M i ß b r a u c h / bey a l l e n s e l b s t ä n d i g e n N e n n w ö r t e r n (Nominibus substantivis) e i n grosser Buchstab Anfangs gebrauchet worden/ welcher doch nur in gewissen Fällen dienen solte/ als: !.[...], II. zu den eignen Namen/ Aemtern/ Künsten/ und denen Wörtern/ so was s o n d e r l i c h e s bedeuten. [...] Doch muß man hierinnen einem jeden seine Meinung lassen; weil solches alles keine Glaubenssachen belanget/ und ein jeder nur eine Stimme in dem Capitel hat/ Ich will sagen: ein ieder kan wol zu verneinen geben/ was ihm gefallt oder mißfällt; es ist aber deßwegen seim Wahn kein richterlicher Ausspruch/ sondern er muß geschehehn lassen/ daß andere von seinem schnellen Urtheil mehr bedachtsam wieder urtheilen." (Harsdörffer 1647, S. 116f., §11) „Es befindet sich zwar/ daß die T r ü k k e r e fast alle selbständige Nennwörter pflegen mit einem grossen Buchstabe am Anfange zusezzen/ es ist aber solches eine fr eye v e r ä n d e r l i c h e G e w o n h e i t bishero gewesen/ und jedem/ wie ers hat wollen machen/ ungetadelt frey gestanden/ soll aber billig hierin eine grundmeßige Gewißheit/ inhalts angezogener Regul/ beobachtet werden." (Schottelius 1651, S. 374f.; ebenso 1663, S. 221 ) Stieler (1691) muß noch Ende des Jahrhunderts über den freien Gebrauch der Großschreibung bei Druckereien klagen: „Durch der D r u c k e r a l l z u g r o ß e F r e y h e i t werden fast alle selbständige Nennwörter/ mit einem großen Buchstabe abgefangen [...]. Recht jedoch ist es/ wenn man die Worte/ so einen N a c h d r u c k / und s o n d e r b a r e s A u f s e h e n haben/ ingleichen die Titel/ Tauf= und Zunamen/ die Namen der Länder/ Städte/ Dörfer/ Völker/ Beamten/ Feste/ Tugenden u.d.g. mit einer VersalLetter beginnet." (Stieler 1691, S. 30) Beilin (1642) schreibt - soweit wir sehen können - a l s z w e i t e r die allgemeine Großschreibung der Substantive vor: „Mit Versal Buchstaben s o l l e n 199
1643 bemerkte Harsdörffer noch: „Es dienet auch zu Behuf deß Verständniß/ wann alle selbständige Nennwörter eigene Namen Anfangs mit grossen Buchstaben geschrieben werden/ dardurch selbe von den Zeit= und ändern Wörtern zu unterscheiden/ als das Thun der Menschen/ und die Menschen thun" (Harsdörffer 1643,8.317). 200 Vor Bellin (1642) schrieb Ritter (1616) die Großschreibung aller Substantive im Deutschen vor: „Quod apud Latinos nominibus propriis evenit, ut majusculis scribantur literis, illud apud Germanos o m n i b u s n o m i n i b u s s u b s t a n t i v i s contingit: ut die Era terra, der Mann vir." (Ritter 1616, S. 8). Die Meinung Webers (1958, S.118 und S. 122) und Barbados (1981, S. 264), daß Becherer in «Synopsis grammaticae tarn Germanicae quam Latinae et Graecae» (Jena 1596) die allgemeine Substantivgroßschreibung forderte, teilen wr nicht, weil Becherer zum einen nicht
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von fom an geschrieben werden: [...] A l l e Wörter/ die man in Lateinischer Sprache S u b s t a n t i v a nennet" (Beilin 1642, S. 9). Bei Girbert (1653) heißt es dann: „Mit Versal vnd grossen Buchstaben werden geschrieben a l l e 1 . S u b s t a n t i v a : Als: Mannt Weib/ Stadtl 2. Emphatica, vnd die einen Nachdruck haben/ als: Er hell es mit den Seinigen/ vnd nicht mit den Meinigen. 3. [...]·" (Girbert 1653, Bl. A4V) Pudor (1672) formuliert die Regel der Großschreibung der substantivierten Adjektive, die noch nicht viel befolgt werde: „Diese Grosse Buchstaben werden gebraucht [...]. In allen selbständigen Wörtern/ (Nominibus Substantivis propriis & Appelativis: itemque A d j e c t i v i s S u b s t a n t i v e positis, Egr. diese Grosse.) [...]. Welches von vielen Teutschen Schreibern nicht in acht genommen wird." (Pudor 1672, S. 8) Prasch (1687) erkennt nicht nur das syntaktische Prinzip an, sondern erwähnt auch die Großschreibung der substantivierten Infinitive und spricht auch die Probleme der Klein- und Großschreibung (der Wille - willens) an: „Darnach/ wie es scheinet/ hat man nur den Dingen/ die man sonderlich ehren und bemercken wollen/ grosse Buchstaben zugeleget; bis die Buchdrucker/ welche nicht so genau unterscheiden gewust/ alle Wesenswörter (substantiva) grosser Buchstaben gewürdiget; wie dann zwar die Wesenswörter die vornehmsten sind/ und durch die grossen Buchstaben [...] von den gleichlautenden Wirckwörtern [= Verben] unterschiden werden können. Den Wesenswörtern ahmen nach dise und dergleichen Wörter: Das Klagen/ Wolthunl Wolwesenl etc. Hingegen verliehren etliche das Ansehen der Wesenswörter/ als: Um willen/ willens/ theilsl anfängst falls!'1' (Prasch 1687, S. 22f.) Bödiker (1690) wendet, zusammenfassend, das syntaktische Prinzip der Großschreibung auch auf alle substantivierten Wörter, vor allem die substantivierten Adejektive und Infinitive, an: „Alle Substantiva, u n d w a s a n d e r e n s t a t t g e b r a u c h e t w i r d / müssen mit einem großen Buchstaben geschrieben werden. Dis ist nunmehr in der Deutschen Sprache so beliebet: [...] Welches der Deutschen Sprachen eigen ist/ und keine Unzierde giebet. [...] Ja es wird auch ein N e u t r u m , wenns wie ein Substantivum gebrauchet/ und ein jeder I n f i n i t i v u s , wenn er mit einem articulo für ein Substantivum stehet [...]. Als. das Gute/ das gemeine Beste/ das Beständige. Das Lehren/ das Schreiben [...]." (Bödiker 1690, S. 28f.) Es ist nicht uninteressant zu sehen, daß Bellin und Schottelius jeweils ihre Ansichten ändern - in unterschiedliche Richtung. Bellin, der 1642 für das syntaktische Prinzip plädiert hatte, machte es 1657 rückgängig: von Großschreibung aller Substantive, sondern Großschreibung der meisten Substantive spricht und zum anderen die angegebenen Beispiele eigene Namen und der Name Gottes sind: „Initium period! et p l e r u m q u e S u b s t a n t i v a , item Adjectiva ex propriis nata majusculis litteris scribuntur ut Gott, Rom, Römisch" (Becherer 1596, zitiert aus Barbaric 1981, S. 264).
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„Es ist aber nicht nötig/ das man ein igliches selbständiges nänwort mit einem großen buchstabe am anfange schreibe/ wie eine Zeitlang von vilen geschähen/ und für einen lersaz gegäben ist/ das man alle selbständige nänwörter mit einer großen Letter am anfange schreiben solle. Dan (I) tun solches n i c h t a l l e z e i t g e l a r t e / und der Deudschen spräche wolkündige läute. (2) Man fändet es nicht allezeit in allen Schriften/ die for achzig/ neunzig/ hundert/ und mer jaren gedrukket sein. (3) Man kan k e i n e U r s a c h e gäben/ warum es geschähen müsse. Wil man den g e b r a u c h forwänden/ so sag' ich/ das es bei vilen gelarten läuten for 80. 90. 100. und mer jaren/ nicht sei gebräuchlich gewäsen/ auch aniz von vilen nicht geschähe. (4) Es tuts auch keine der ändern haubtsprachen." (Belün 1657, S. 20) Der alte Schottelius muß 1676 der Substantiv-Großschreibung allgemeine Geltung einräumen: „[...]; scheinet auch/ als ob solche oftmalige Schreibung [...] in den Teutschen Trukke eine gebräuchliche W o l a n s t ä n d l i c h k e i t mit sich daher führe: Deshalber man diese hergebrachte VorstetlungsArt in dem Getrukten n i c h t e b e n t a d e l e n / sonderen/ weil es überall bekant/ des G e b r a u c h s h a l b e r / b e h a l t e n k a n ." (Schottelius 1676,8.31) Die in unserer Einleitung erwähnte Feststellung (vgl. S. 14) von Schmidt-Wilpert (1985), daß Gueintz (1641) und Schottelius (1663) nicht für die generelle Substantivgroßschreibung plädierten und deshalb h i n t e r der Sprachwirklichkeit zurück blieben, trifft zwar zu. Dabei muß man sich aber daran erinnern, daß andere Grammatiker die Großschreibung der Substantive als Regel vorschrieben und Schottelius sich in seinen späten Lebensjahren (1676) zu diesem Prinzip bekannte. Tabelle 3: Entwicklung der orthographischen Regeln heutige Schreibung
Clajus 1578
Werner 1629
Gueintz Schottel 1641 1641
Bellin 1642
l)und 2) ihm 3) neu 4) bei 5) Väter 6) Bäume 7) mir 8) die 9) tun 10) Volk 1 1 ) schicken 12) ganz 13) setzen 14) um 15) quellen 16) schlagen
vnd jm/jhm -ew -ey -e-eumir die thun
vnd jhm -ew -ey -ä-äumir die thun -ck -ck-tz -tzvmb queschl-
und ihm -ew -ey -ä-äumir die thun
und ihm
-ck -ck-tz -tzvmb queschl-
-ck -ck-tz -tzumb queschl-
und ihm -ew -ey -ä-äumir die tuhn -ck -ck-tz -tzum [umb] queschl-
-ew/-eu -ey -ä-eumier die thun -ck -ck-tz -tzum queschl-
Harsdörffer 1643 und ihm -eu -ey -ä-äumir die thun
-k -ck-tz -tzum qweschl-
Zesen 1643
Gueintz 1645
und ihm -eu -ey -ä-
und ihm -eu -ey -ä -äumir die thun -ck -ck-tz -tzum queschl-
-eumier die tuhn
-k -kk-tz -tzum quesch-
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3.2.4. Übersicht über die Entwicklung der Vorschriften Die Entwicklung orthographischer Normen der Grammatiker läßt sich wie in Tabelle 3 (vgl. S. 94 und S. 95 unten) veranschaulichen. Neuhaus (1991) bemerkt, daß Schottelius' Orthographieregeln „keine weitgreifenden Neuerungen" aufweisen und deshalb „im Großen und Ganzen mit dem, was andere Grammatiker des 17. Jahrhunderts zur Rechtschreibung beigetragen haben"201, übereinstimmen. Daß und inwiefern diese Feststellung nicht zuftrifft, zeigen unsere bisherigen Erörterungen und Tabelle 3.
3.3. Praxis der orthographischen Reform Bevor wir die Praxis der orthographischen Reform überblicken, wollen wir zunächst exemplarisch die Praxis in Wolfenbüttel, Braunschweig und Lüneburg näher verfolgen. An diesen Orten sind gewisse Zusammenhänge mit Schottelius' Werken zu vermuten und unter Umständen Einflüsse von Schottelius, der ja als Konsistorialrat am Hofe Herzog Augusts d.J. zu Braunschweig und Lüneburg in Wolfenbüttel tätig war.
Schottel 1651
Gir- Bel- Tscher- Schottel ning bert lin 1663 1653 1657 1659
Pudor 1672
Schottel 1676
Prasch 1687
Bödi- Stieker ler 1690 1691
und ihm -eu
vnd ihm -ew -ey -ä-
und ihm -eu -ey -ä-
und ihm -eu
und ihm -eu -ey -ä-
und ihm -eu -ey -ä-
und ihm -eu -ei -ä-
-eu-
-äumir
-eu-
-ej/-ey
-ä-äumihr dj [die] tuhn -k
und im -eu -ei -ä-
und ihm -ew -ey -ä-äu- -eu- -äu mir mier mir die die die thun tun (thun) -ck -k-ck
-kk-z
-ck-
-tz
-kk-z
-72.-
-tz-
-22.-
um
vm
um
que-/qwe-
sl201
-ck-
-z -z-
(umb) que- kwe- queschl- slschl-
Neuhaus 1991, S. 188.
und ihm -eu -ej/-ey -ä-äumihr dj [die] tuhn -k -kk-z/-tz -tz-
um
-äu-
-ej/-ey -ä-äu-
mir die
mir die
mir die
thun
tuhn/thun
-ck -ck-
die
mir die
thun
tuhn
tuhn
-k
-ck
-kk-/-ck-
-ck-
-tz
-tz
-tz
-tz-
-tz-
-tz-
-ck -ck-tz -tz-
um
um
um
um
-k -ck -z -tz um
queschl-
qveschl-
que-/qwe- qve-/quesl- [schl-] schl-
que-/qwe- queschlschl-
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3.3.1. Offizielle Reformpraxis in Wolfenbüttel unter Herzog August202 Gründlichkeit und systematische Organisation zeichnen die Orthographiereform in Wolfenbüttel aus. Wichtig ist dabei zugleich, daß der erste Wolfenbütteler Druck mit neuer Orthographie kein literarisches Werk eines Dichters, sondern ein geistliches Buch für ein großes allgemeines Publikum ist: «Der Evangelischen Kirchen=Harmonien Erster Teihl». Dieses Werk hat kein anderer verfaßt als Herzog August d.J. zu Braunschweig und Lüneburg (Regierungszeit: 16351666)204, dessen Residenz sich in Wolfenbüttel befand. Aus dieser «Kirchen=Harmonie» sollen zur Illustration der neuen Orthographie einige Stellen zitiert werden: „Auf daß jhr nu/rn/ umb so viel gewisser jhn finden möget/ so habet dieses/ so ich jzzo sagen wil/ zu einem gewissen Merkzeichen." («Kirchen=Harmonie» 1644, S. 4); „[...] der sich alda zugetragen hat/ und in dem ein so tiefes Geheimnüs strekket/ und welchen der HERR selbst/ durch seinen AbgeschiAten uns jzzo geoffenbaAret hat." (ibid., S. 5); „Die demü/rtige Maria aber/ erhub sich ganz nicht hierüber in ihrem Herzen: Sie berühmte sich dessen nicht öffentliche gegen andere Leute: Sie stolzierete und prangete nicht [...] welches jhr der ErzEngel Gabriel/ vor zehen MonaÄten getaAn." (ibid., S. 6) Die „Verordnungen" des Herzog August, die die Drucker Stern und Bißmark druckten, erschienen danach a l l e in neuer Rechtschreibung. Außer den Drukken offiziell-amtlichen Charakters begegnet man der neuen Schreibung aber auch
In den folgenden Abschnitten stimmen die Darstellungen inhaltlich teilweise mit Takada (1997a) überein. 203 Wolfenbüttel 1644, 1. Edition [HAB: 508.16 Theol.]. Diese «Harmonie» erschien bis 1656 noch in 6 Ausgaben. 1646 hat Herzog August mit einem Erlaß seine «Kirchen=Harmonie" in den gottesdienstlichen Gebrauch eingeführt: vgl. dazu Otte 1982, S. 71 f. Im folgenden seien bei Bedarf die Signaturen der H e r z o g A u g u s t B i b l i o t h e k W o l f e n b ü t t e l , abgekürzt H A B, in Klammern hinzugesetzt. 204 Zu Herzog August vgl. Schinckel (1979). 205
Z.B. «TaxOrdnung» (Wolfenbüttel: Stern 1645) [HAB: L 273 Heimst. (8)]; «Edictvm, wegen des Ausfoderens/ Kaufens/ Balgens und Wexlens» (Wolfenbüttel 1646) [HAB: L 273 Heimst (9)]; «Landes=Ordnung» (Wolfenbüttel: Bismark 1647) [HAB: L 282 4° Heimst. (10)]; «SchuMDrdnung» (Wolfenbüttel 1651: Stern) [HAB: L 273 Heimst. (10)]; «Verordnung/ Wy mit Besez= und Verfassung der Cluster [...] einzurichten» (Wolfenbüttel 1655) [HAB: 102.31 Jur. 4° (1)]; «HospitalOrdnung» (Wolfenbüttel: Stern 1660) [HAB: L 282 Heimst. 4° (66)]; «Sonderbare Verordnung/ Wie dy extraordinär! Kirchen=Devation [...] anzustellen» (Wolfenbüttel 1664) [HAB: Yv 2035.8° Heimst. (l)].
97
in Hochzeitsgedichten206, Leichenpredigten207 und anderen Büchern. fenbütteler Rechtschreibreform gewinnt ständig an Gründlichkeit:
Die Wol-
seit 1644 «Kirchen=Harmonie»: Volk, Augenblikke, ganz, Gesezzes, Teihl. seit 1646 «Edictvm/ wegen des Ausfoderens [...]»: außerdem wexlen (= wechseln), Slagen, Smezen, Snarchen, gesweigen. 209
seit 1647 «LandesOrdnung»: außerdem Skreiben , beqvem. seit 1651 «Schul=Ordnung»: außerdem dy (= die), ires (= ihres), nootwendig, zwaar, nuur. Einige Zeilen aus der «Schul=Ordnung» von 1651 machen die Reform deutlich: „Nun dictiret dy Vernunft selbst/ daß zu Erhaltung solches hochnüzlichen ZweAs/ aller Menschen zeitlicher und ewiger GlüAseligkeit/ zweyerley Haupt=Mittel verordnet/ Erstlich/ daß dy Jugend fleissig/ mit grosser Behutsamkeit/ und zimlicher Strenge erzogen/ vom Bösen angehalten [...]/ Hingegen bezeuget leider dy Erhaltung meer als gitut/ welcher Gestalt bey dem Land=verderblichem verfluchtem Krigswesen/ unter ändern auch die Erz/hung der Jugend so gar verderbt [...]„ («Schulordnung» 1651, Bl. A2rf.) Auch im Briefwechsel benutzte Herzog August schon 1645 eine neue Rechtschreibung. Das ersehen wir aus seinem Brief an Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen vom I.Oktober 1645: „Meine einstimmige Evangelische Texte, werden izzo angefangen von dem Drukker alhie: so bald der erste Teyhl wird fertig seyn: So wil jhn e.l. ich schikken." (abgedruckt in: Krause 1855, S. 50) In einer Reihe von Briefen an seinen jüngsten Sohn Ferdinand Albrecht (16361687) im Jahr 1658, die im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel erhalten sind, benutzt Herzog August nachweislich seine eigene Rechtschreibung:210
206
Z.B. Julius Konrad Stockhausens Hochzeitsgedicht (Wolfenbüttel: Bismark 1645) [HAB: Db 4617 (16)]; Joachim Lütkemans Hochzeitsglückwunsch (Wolfenbüttel: Stern 1650) [HAB: Da 584 (1)]. 207 Z.B. Heinrich Wideburgs Leichenpredigt (Wolfenbüttel: Bismark 1647) [HAB: Da 584 (10)] und Laevinus Drosemarius' Leichenpredigt (Wolfenbüttel: Bismark 1658) [HAB: Da 584 (27)]. 208 Z.B. Johann Schwartzkopfs «Bericht Von dem Uursprung/ auch Erster guter und löblicher Constitution Der Stift= und Clösten) (Wolfenbüttel: Stern 1658). ?no Nach 1648 «Kirchen=Harmonie», 4. Edition [HAB: Th 2968], wird SK zu SC geändert: Scrift, Scritte. Frau Dr. Gillian Bepler (Herzog August Bibliothek) hat mich freundlicherweise auf diese Briefe mit neuer Rechtschreibung hingewiesen und sie mir zur Verfügung gestellt. Ihr sei vielmals gedankt.
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„Uns verlanget zu erfaren, wy es mit der Reise bis Strasb. abgelauffen; Euer Hofm. kan ds paroquet schreiben aus Frankreich, sttfts auf Strasb. an d. Apiculan * · · tnzzieren. «211 „Beede Müttere und Freulein, betragen sich, gestalten Sachen nach, noch zymlich: Unser Canzlar D. Swarzkopf ist n««n in den 4. wochen bettelägig: Gott helffe ym, daß er wider djnsten t««n möge. [...] so izzo a\hy mit unseren Räten consultiren
t...]."212
„Zweiffein nicht yr werdet vor empfangung d/ses, von Bekk alle unsere vorige Screiben erhalten haben [...]. Gott erhalteyn femer: Euer zu rüMe gesante bagagie ist zu Francf. ankommen."
Die Tatsache, daß nach dem Tode des Herzogs August im Jahr 1666 alle Spuren der Orthographiereform plötzlich aus den Verordnungen verschwinden, spricht dafür, daß die Rechtschreibreform in Wolfenbüttel gerade vom Herzog tatkräftig unterstützt und gefordert wurde214. Die Durchführung der Orthographiereform muß also hier mit sozialem Prestige verbunden gewesen sein. Zeitgenössische Orthographie-Theoretiker erwähnen in ihren Erörterungen die Wolfenbütteler Reform mehrfach positiv. Harsdörffer nennt schon 1646 bei der Besprechung der Buchstabendoppelung KK die Praxis in der Wolfenbütteler «Kirchen-Harmonien» (1644): „siquidem haec scriptio eximium & laudatissimum invenit Patronum Serenissimum atque Celsissimum Principem AUGUSTUM Ducem Brunsuuicens. & Luneburgens. in Harmonia sua Evangelica" (Harsdörffer 1646, S. 349). Bellin erwähnt in seiner «Hochdeudschen Rechtschreibung» (1657) wiederholt die orthographische Reformpraxis in Wolfenbüttel anhand von „Hern Augusts/ Härzogen zu Brunswig und Lüneburg Schulordnung [...] im jare Kr. 1651" v (Bellin 1657, Bl. Bll ). Der konservative Orthographielehrer Girbert fügt als Beispiel der „H e t e r o graphic" (nicht: O r t h o graphic) am Ende seiner «Teutschen Orthographi» (1650) Wörter wie z.B. Akker, Jzzo, Slqf, Taht aus der „Vortrefflichen Evangelischen Kirchen-Harmonie [= 1647, 3. Edition] zur Nachricht" bei und zitiert als Exempel eine Seite: vgl. Girbert 1650, S. 36-38. (Mit Bezug auf die Orthographie ist also die Devise „Alles mit Bedacht" für Herzog August weniger zutreffend als sein Gesellschaftsname in der Fruchtbringenden Gesellschaft: „der Befreiende".)
211
Brief vom 15. August 1658 [Signatur: I Alt 22 148 fol. 82]. Brief vom 15. September 1658 [Signatur: I Alt 22 148 fol. 84]. 213 Brief vom 22. September 1658 [Signatur: I Alt 22 148 fol. 85]. 214 In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung der spottlustigen Verwandten von Herzog August, Sophie von Calenberg, interessant: „Seine Diener haben nichts zu tun, er besorgt a l l e seine öffentlichen und häuslichen Angelegenheiten s e l b s t und tut an einem Tage mehr, als ein Dutzend Personen in acht Tagen zustande bringen würden" (Zitat nach: Heinemann 1892, S. 105). Diese «Schulordnung» wird insgesamt achtmal erwähnt: S. 28 (au/eu\ S. 31 (diser, dy\ S. 43 (slagen, skriff) , S. 52 (ser\ S. 55 (Gedanken) und S. 64 (sß). 212
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Der Grammatiker Schottelius, der von 1638 bis zu seinem Tod in Wolfenbüttel in Dienst stand, gebrauchte erst 1647 in seinem Wolfenbütteler Druck die neue Orthographie: Im «Fruchtbringenden Lustgarte» (Wolfenbüttel: Bismark 1647) mit K/KK wie gedrukt/Sakk, Z/ZZ wie kurz/izzo, SL/SM/SN/SW wie snell/geslagen/Smerze. Diese neuen Schreibungen, die Schottelius erst 1651 in die zweite Auflage seiner «Teutschen Sprachkunst» (Braunschweig: Zilliger) übernimmt, sind - wie wir gesehen haben - schon seit 1644 und 1646 in Wolfenbüttel unter Herzog August üblich. Vor allem die neue Schreibung ZZ, die Schottelius 1651 als erster Grammatiker fordert (vgl. Tabelle 3), wird in der Residenzstadt schon sieben Jahre zuvor in der «Kirchen=Harmonie» (1644) praktiziert. Es ist deshalb anzunehmen, daß die von Herzog August selbst organisierte Reformpraxis die orthographische Neuordnung in der Schotteischen Grammatik von 1651 beeinflußt hat. Dies ist insofern interessant,als hier die radikale Sprachpraxis auf die Grammatik einwirkte. Auf jeden Fall ist die Praxis in Wolfenbüttel radikaler als die Theorie des Grammatikers.
3.3.2. Praxis des Braunschweiger Druckers Zilliger 3.3.2.1. Schottelius-Drucke Wir wollen nunmehr die Rechtschreibung der bei Zilliger in Braunschweig gedruckten Grammatiken von Schottelius überprüfen. Der Drucker Christoph Friedrich Zilliger (gestorben 1693) übernahm 1647 die Leitung der Druckerei von Balthasar Gruber218, der 1645 gestorben war, und hob durch seine Tätigkeit „deren Umfang und Bedeutung [...] beträchtlich"219, bis er 1680 den Titel eines Hofbuchdruckers und Hofbuchhändlers erhielt. In der orthographischen Praxis der drei Ausgaben der Schotteischen Grammatik von 1651 («Teutsche Sprachkunst»), 1663 («Ausführliche Arbeit») und 1676 («Manuductio») wird die neue Schreibung K nach Konsonant wie in Gedanken und KK nach Kurzvokal wie in Stükk und Trükker, die der Grammatiker stets
In der «Teutschen Sprachkunst» (Braunschweig: Gruber 1641), «Der Teutschen Sprache Einleitung» (Lübeck: Johann Meyer 1643) und «Teutscher Vers= und ReimKunst» (Frankfurt am Main 1645) wird - außer der Schreibung wie tuhn traditionelle Rechtschreibung gebraucht. Die Schreibung ZZ wird in den 40er Jahren außer in Wolfenbüttel von den folgenden Verfassern benutzt: Zesen in «Ibrahim» (1645) und «Rosenmund» (1645); loach. Glasenapp (Helmstedt: H. Müller 1648) [HAB: Ts 237 (1)] mit z.B. schäzze. 218 Die erste Auflage der Schotteischen «Teutschen Sprachkunst» (1641) war bei Gruber gedruckt worden. 7 IQ Allgemeine Deutsche Biographie, 1875-1912, Bd. 45, S. 230. 220 Beim Vergleich dieser drei Ausgaben wurden die folgenden Seiten untersucht: Schottelius 1651, S. 18-49 und S. 216-248; Schottelius 1663, S. 14-27 und S. 102121; Schottelius 1676, Bl. A3r -A7V und S. 1-23.
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unverändert vorschreibt, konsequent gebraucht.221 Die folgende Druckpraxis entspricht den je nach den Editionen geänderten Vorschriften des Grammatikers (vgl. oben Tabelle 3, S. 94f.): Z/ZZ gegen TZ 1651: Vorschrift: Z, ZZ Praxis: fast ausschließlich Z/ZZ, wie Wiz, einzig, \zzo ; 1663: Vorschrift: Z/TZ, TZ Praxis: fast ausschließlich TZ, wie Witz, eintzig, itzo ; 1676: Vorschrift: TZ Praxis: ausnahmslos TZ, wie Wurtzel und setzen. SL/SM/SN/SW gegen SCHL/SCHM/SCHN/SCHW 1651: Vorschrift: ohne CH Praxis: ausnahmslos ohne CH, wie aussmükken und swär; 1663: Vorschrift: Schreibung mit CH neben ohne CH 224 Praxis: meist mit CH, wie ausschmükken und schwär ; 1676: Vorschrift: mit CH Praxis: ausnahmslos mit CH, wie schlecht und schwer. Theil, Noth gegen Teihl, Noht 1651: Vorschrift: Schreibung wie Teihl Praxis: fast ausschließlich wie Gegenteihi und Keysertuhm 1663: Vorschrift: Teihl Praxis: meistenteils meistente wie Gegenteihi und Keysertuhm ; 1676: Vorschrift: Theil neben Teihl 227 Praxis: fast ausschließlich wie Vortheil.
;
Hingegen wurden die Schreibungen dj, \vj (statt die, wie); dihr, wihr (statt dir, wir); und qw-, welche Schottelius nur in der Ausgabe von 1651 vorschreibt, auch 228 im Jahr 1651, bis auf eine Ausnahme nicht gebraucht.
Nur einmal kommt CK vor: Schottelius 1676, S. 6: mercken. Die Schreibung TZ findet sich von etwa 150 Fällen nur sechsmal, wie z.E.jetzo (S. 20) und gantze (S. 24). Die Schreibung Z findet sich von etwa 150 Fällen nur elfmal, wie z.B. ganz (S. 16) und einzig (S. 23); ZZ aber niemals. 224 Die Schreibung ohne CH findet sich von etwa 60 Fällen elfmal, wie z.B. Sluß (S. 16) und swärlich (S. 24). Die Schreibung wie Theil findet sich von etwa 80 Fällen nur fünfmal, wie z.B. Nothwendiges (S. 25). Die Schreibung wie Theil findet sich von etwa 110 Fällen nurlSmal, wie z.B. nöthen (S. 18)und/A«n(S. 105). Die Schreibung wie Teihl findet sich von etwa 30 Fällen nur fünfmal, wie z.B. Beweistuhm (Bl. A5r) und nohtwendig (S. 19).
222
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Hieran anschließend ist die orthographische Praxis in einem theologischen Werk von Schottelius zu betrachten, das bei Zilliger dreimal aufgelegt wurde: «Eigentliche und sonderbare Vorstellung des Jüngsten Tages» (1668/1674/1689). Durch Vergleich dieser Ausgaben229 können wir die orthographischen Änderungen von der Hand des Druckers überprüfen, weil die dritte Auflage nach dem Tode (1676) des Verfassers gedruckt wurde. In den folgenden Punkten haben diese drei Ausgaben mit den grammatischen Werken nach 1663 gemein: -
1668 findet man die Schreibung Christentuhm statt Chrisfenthum in der Hälfte aller Fälle; nach 1674 verschwindet sie aber vollkommen; - die Schreibweise ZZ kommt niemals vor; - Schreibung wie lezt statt letzt ist bis auf zwei Ausnahmen230 nie zu finden; - KK wie anlokken wird durchgehend beibehalten. In der letzten Ausgabe, also nach dem Tode des Verfassers, wird K in knapp zehn Prozent der Fälle zu CK geändert, z.B. bedenken, schreklich, zurük, stark zu bedencken, schrecklich, zurück, starck. Die Konsonantendoppelung wegen der Unveränderlichkeit des Wortstamms beachtet man im Lauf der Zeit immer öfter, wie z.B.:
1668 sol, nachsinlich kom, betriff, alsdan
1674 soll, nachsinnlich körn, betriß, alsdan
1689 soll, nachsinnlich, komm, betrifft, alsdann
Gleichfalls wird das Schriftzeichen E 1689 zur Kennzeichnung des Stammzusammenhangs wiederholt zu Ä geändert, wie z.B. Verhengniß, verendert, gegenwertig zu Verhängniß, verändert, gegenwärtig. Außerdem setzt sich die nach der Bedeutung unterschiedene Schreibung durch, wie z.B. 1668: Stat zu
3.3.2.2. Bucholtz-Drucke In den ebenfalls von Zilliger gedruckten Schriften des Braunschweiger Barockly911 rikers und -romanciers Andreas Heinrich Buch(h)oltz (1607-1671) lassen sich ähnliche neue Schreibungen finden. Soweit wir ermitteln konnten, weisen Bucholtz' «Geistliche teutsche Poemata», die 1651, also gerade im Jahr des Erscheinens der „reformatorischen" Grammatik von Schottelius gedruckt sind, erste orthographische Neuerungen auf: Hier steht vorwiegend die Schreibung mit K 228
Schottelius 1651, S. 366: zihrlich. Moser (1929, S. 66) bemerkt, daß bei Schottelius qv neben qu vorkommt. Diese Behauptung ist aber unzutreffend. 229 Beim orthographischen Vergleich dieser drei Ausgaben wurden die folgenden Seiten untersucht: Schottelius 1668, S. 1-50; Schottelius 1674, S. 1-51; Schottelius 1689, S. 1-51. 230 Lezt (Schottelius 1668, S. 3) und Geseufz (ebd.). Bucholtz zog 1647 nach Braunschweig, „wo er bis an sein Lebensende zunächst als Koadjutor der Kirchen u. seit 1663 als Superintendent der Kirchen u. Schulen tätig war.": Killy (1989), Bd. 2, S. 283.
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statt CK wie stark und Druk und diejenige mit Z statt TZ wie kurz und Vbersezung. Die orthographische Entwicklung der gedruckten Texte von Bucholtz läßt sich anhand der vier Versionen seines Romans «Des christlichen teutschen Gross=Fürsten Herkules [...] Wunder=Geschichte» (Zilliger: 1659/60, 1666, 1679, yij ^71 1693) sehr deutlich rekonstruieren , wobei die beiden letzten Ausgaben nach dem Tode (1671) des Verfassers veröffentlicht wurden. Die Schreibung tuhn der l. und 2. Auflage wird nach 1679 immer öfter zu thun revidiert2 4, z.B.: 1659/60 Tühr, iaht Fürslentuhm, Trähnen
1666 Tühr, taht -tuhm, Trähnen
1679 Thür, that -tuhm, Trähnen
1693 Thür, that -thum, Thronen
Anders als bei Schottelius gibt es keine Schreibung mit KK; stattdessen druckt man im Inlaut zwischen Vokalen ausschließlich CK wie schicken, verstecken. Im Auslaut und im nicht-intervokalischen Inlaut kommt die Schreibung mit K wie denken statt CK in den ersten drei Fassungen fast ausschließlich vor, fast alle davon werden aber 1693 zu CK geändert235, wie z.B.: 1659/60 gedenken Verzukter
1666 gedenken Verzukter
1679 gedenken Verzukter
1693 gedencken Verzückter
Ähnliches kann auch für die Affrikate [ts] beobachtet werden. Bei Bucholtz wird die Schreibung ZZ niemals, stattdessen im intervokalischen Inlaut konsequent TZ wie schätzen gebraucht. Sonst gibt es in den drei ersten Ausgaben meistens die Schreibung mit Z wie ganz statt herkömmlichem TZ, die aber 1693 fast ausschließlich zugunsten von TZ aufgegeben wird236, wie z.B.: 1659/60 herzlich, Schuz
1666 herzlich, Schuz
1679 1693 herzlich, Schuz hertzlich, Schutz
Die Konsonantendoppelung wegen des unveränderlichen Wortstamms bzw. nach dem morphologisch-etymologischen Prinzip wird 1693 am konsequentesten beachtet, wie z.B.: 1659/60 sol, himlisch versamlen Herschafft 232
1666
1679
sol, himlisch versamlen Herschafft
sol, himlisch versamlen Herrschafft
1693 soll, himmlisch versammlen Herrschafft
Signaturen der HAB: 1659/60: Lo 711; 1666: Lo 713; 1679: Lo 714; 1693: Lo 715. Beim orthographischen Vergleich dieser vier Versionen wurden jeweils S. 1-21 untersucht. 234 Die Schreibung wie Tuhn wird in der dritten Ausgabe zwölfmal, in der vierten Edition 25mal zur Schreibung wie Thun geändert. 1693 wird K fast 50mal zu CK geändert; hier findet sich die Schreibung K nur noch viermal. 1693 wird Z 58mal zu TZ geändert; hier findet sich die Schreibung Z nur noch elfmal.
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Der Gebrauch des ^-Umlautes zur Bezeichnung des Stammzusammenhangs vermehrt sich ständig, wie 1659: hette zu 1668/1679/1693 hätte. Außerdem wird 1693 zwischen dem Adjektiv tot und dem Substantiv Tod orthographisch konsequent unterschieden: 1659/60 Adjektiv: tod/todt Substantiv: Tod/Todt
1666 tod/todt Todt
1679 tod/todl Todt
1693 todt Tod
Neben dem hier angezeigten Werk weisen auch zahlreiche andere Zilligersche Drucke von Bucholtz eine neue Rechtschreibung auf. 3.3.2.3. Zilligersche „Hausorthographie" Außer den bisher genannten Werken von Schottelius und Bucholtz zeigen, soweit wir feststellen konnten, mehr als 20 Zilligersche Drucke in den 50er bis 80er 7^R Jahren eine neue Orthographie. Mit diesen Nachweisen soll aber nicht behauptet werden, daß die betreffenden neuen Schreibungen in der Mehrheit von Zilligers Drucken verwendet worden wären. Nach unserer Untersuchung wurden sie nur in etwa einem Zehntel aller Drucke in Gebrauch genommen. Sogar unter den bei Zilliger gedruckten Schriften von Bucholtz lassen sich auch Drucke mit einer konservativen bzw. gebräuchlicheren Orthographie finden.239 Dies weist darauf hin, daß der Braunschweiger Drucker Zilliger zweierlei „Hausorthographie" besaß, nämlich eine öfter angewandte eher traditionelle und eine neue Rechtschreibung. Damit der Wille eines Autors, der auf orthographische Erneuerung drang, in der Druckpraxis erfüllt werden konnte, war es notwendig, daß der Drucker die neuen Schreibungen duldete bzw. unterstützte. Dies wird dadurch bestätigt, daß die Werke Bucholtz, die nicht bei Zilliger gedruckt wurden, im wesentlichen keine neue Rechtschreibung vorweisen. Die «Leichenpredigt» (Braunschweig: Dunker 1663) [HAB: G 124 Helmst.40 (24)] und «Häussliche 237
Z.B. 1658: „Leichenpredigt" [HAB: G124 Heimst. 4 (29)]; 1665: «Der Christlichen Königlichen Fürsten Herkuliskus und Herkuladiska [...] Wunder=Geschichte» (2. Auflage 1676); 1665: „Leichenpredigt" [HAB: J 37 Heimst. 4 (10)]; 1665: „Leichenpredigt" [HAB: G 124 Heimst. 4 (25)]; 1665: „Leichenpredigt" [HAB: J 54 Heimst. 4 (21)]; 1667: „Leichenpredigt" [HAB: J 73 Heimst. 4 (12)]; 1668: „Leichenpredigt" [HAB: Da 585 (7)]. J-3S Z.B., 1651: Joachim Vinzelberg [HAB: J 106 Heimst 4° (10)]; 1662: Johannes Nolte von Braunschweig [HAB: Yv 2452a. Heimst. 8°]; 1672: Kaspar Krause [J113 Heimst 4 (16)]; 1676: Christoph Hardken [HAB: Db 4608 (20)]; 1677: Andreas Overbek [Da 592 (14)]; 1678: Caspar Crusius [HAB: J 80 Heimst. 4 (19)]; 1678: «Ein neu-vermehrtes Geistliches Gesangbuch» [HAB: Tl. 106]; 1678: Julius Hantelman [J 114.g. Heimst. 4°]; 1680: Johann ernst Heydorn [HAB: Db 5301]; 1681: Johann Lechelius [HAB: L 302b Heimst. 4 (22)]; 1681: Matthias Ramelov [HAB: Gn Kapsel 43 (l6)]; 1683: Berthold Botsack [HAB: Db 753 (31)]. •J-1Q 1664: „Leichenpredigt" [HAB: G 124 Heimst. 4 (20)]; 1667: „Leichenpredigt" [G 124 Heimst. 4 (27)]; 1667: „Leichenpredigt" [HAB: J 54 4 Heimst. (21)]; 1668: „Leichenpredigt" [HAB: Da 585 (7)].
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Sabbaths-Andachten» (Braunschweig: Dunker 1665) von Bucholtz zeichnen sich z.B. nicht durch eine neue Rechtschreibung aus. Diese Verschiedenartigkeit könnte den Korrektoren geschuldet sein, obwohl ihr stilles Wirken uns nicht überliefert ist.240 Die Frage, bis wann die Zilligersche Druckerei die neuen Schreibungen noch benutzte, läßt sich folgendermaßen beantworten: bis um 1690. In der 3. Auflage der Schotteischen Schrift «Eigentliche und Sonderbare Vorstellung Des Jüngsten Tages» (1689), die dreizehn Jahre nach dem Tode des Verfassers gedruckt wurde, benutzt man, wie in 4. l. erwähnt, die Schreibungen wie K/KK und Z noch weitgehend; in der 4. Ausgabe des Romans «Des christlichen teutschen Gross=Fürsten Herkules [...] Wunder=Geschichte» von Bucholtz im Jahr 1693 wurden aber die neuen Schreibungen, wie wir schon in 4.2. erwähnten, durchgehend ausgeschlossen. Nicht gleich nach dem Tode von Bucholtz (1671) und Schottelius (1676), sondern erst zwischen 1689 und 1693 muß deshalb bei dem Drucker eine Änderung der Prinzipien zum Nachteil der neuen Rechtschreibung stattgefunden haben. Die Ablehnung der neuen Orthographie hat mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Tode Christoph Friedrich Zilligers im Jahr 1693 zu tun: Der Gründer der Druckerei selbst muß die orthographische Neuerung genehmigt bzw. unterstützt haben. Bei der traditionell orientierten Wende handelt es sich aber z u g l e i c h um das Bemühen, das morphologische Prinzip der Unveränderlichkeit des Stammwortes wie versamlen zu versammlen und die unterscheidende Schreibung wie todt und Tod zu beobachten. Die neue orthographische Praxis bei Zilliger in den Jahren zwischen 1651 und (um) 1690 können wir freilich nicht auf einen direkten Einfluß der Schotteischen Entwürfe zurückführen; wir dürfen aber von einer grundsätzlichen Parallelität der Theorie des Grammatikers und der Praxis des Druckers sprechen. 3.3.2.4. Überprüfung der These von William Mohr Mohr (1966) hat in seiner Dissertation «J. G. Schottelius' spelling rules compared with the practices of some of his printers» - die wir in 1.2.1. erwähnt haben vergeblich versucht, Schottelius' Einflüsse auf die zeitgenössische Druckpraxis nachzuweisen. Die Rechtschreibung in den zwei Büchern, die von demselben Drucker, nämlich Zilliger, gedruckt wurden, wie die Grammatiken von Schottelius selbst, hat Mohr mit den Vorschriften des Theoretikers genau verglichen. Trotzdem hat er zwischen Praxis und Theorie keine bestimmte Entsprechung ermitteln können: „Even his own printers paid little attention to his rules. [...] they were more attuned to popular usage."241 Die feststellbaren orthographischen Korrespondenzen hat er folgendermaßen erklärt: „These are, however, primarily
240
Zur großen Bedeutung der „meist hochgebildeten" Korrektoren für die schriftsprachliche Entwicklung vergleiche man: V. Moser 1923, S. 394ff. sowie Metcalf 1978, S. 20: „Without the practical work of such correctors,the theoretical efforts of the grammarians and reformers would have been in vain." 241 Mohr 1966, S.212.
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examples of where usage affected the grammarian's rules." 2 Dieses scheinbare Nebeneinader von Vorschrift und Praxis löst sich nunmehr folgendermaßen erklären: Mohr hat den Druck von 1672 (Justus G. Gesenius: «Epistel=Predigten auf die Sonn= Fest= und Apostel=Tage durchs gantze Jahr»), in dem man eine traditionelle Rechtschreibung benutzte und also z.B. mir, Volck, schicken und gantz schreibt, mit den Vorschriften von Schottelius (l 663 !) verglichen, die neue Regeln wie mihr, Volk, schikken und ganz geltend machten (vgl. Tabelle 3, S. 94f.); andererseits wurde gerade Bucholtzens «Der Christlichen Königlichen Fürsten Herkuliskus und Herkuladisla [...] Wunder=Geschichte» von 1676 (2. Aufl.), die die neue Orthographie wie z.B. jezt und -tuhm benutzt, mit der dem üblichen Gebrauch weitgehend angenäherten Orthographie von Schottelius (1676!) (hier, jetzt und -thwri) verglichen.
3.3.3. Praxis der Lüneburger Drucker Stern Beim Hamburger Verleger Werner, der 1643 die «Hooch=Deutsche Spaach= Übung» des Orthographiereformers Zesen druckte, ließ Johann Rist 1646 sein Werk «Poetischer Schauplatz» in einer reformierten Orthographie erscheinen.243 Rist veröffentlichte dann auch bei den Lüneburger Druckern Stem (Johann und Heinrich Stern) seine Werke, die seit 1645 in ihrer Filialdruckerei in Wolfenbüttel eine orthographische Reform praktiziert hatte. Bei „den Sternen" wurde seit «Der Adeliche Hausvatter» (Lüneburg: Stern 1650) eine neue Rechtschreibung praktiziert. Die orthographische Praxis Rists kann anhand seiner Schrift «Neuer Teütscher Parnass» (Lüneburg: Stern 1652) kurz skizziert werden: KK wie in Stükke wird zwischen Vokalen konsequent, und K wie in Werk, glükselig fast ausschließlich statt CK gebraucht. Z und ZZ finden sich niemals, stattdessen steht TZ wie in Schmeriz, gantz, itzig. Auffällig ist die Frequenz des Dehnungszeichens H, wie z.B. in gahr,fohrtgepflantzet, guht und Gemühte. In den auf allgemeine Benutzer hin orientierten religiösen Büchern, die die „Sternen" 1661 druckten, wendet man dann eine noch radikalere Orthographie konsequent an. Die Titel dieser Werke zeigen uns schon den progressiven Charakter der Rechtschreibung:
242
Mohr 1966, S. 211. Mohr begnügt sich schließlich mit der enttäuschenden sehr allgemeinen Schlußfolgerung am Ende seiner Dissertation: „If we disregard any specific contribution by Schottelius toward a particular spelling [...] and think of him as part of the general picture of the seventeenth century, then we can see the importance of his role. [...] Each made a contribution by generating interest in the language and its spelling. This was especially true of Schottelius." (ibd., S. 212). 243 Vgl. Moser 1936, S. 245-249. 244 Im Anlaut wird aber konsequent nicht wie Taht, sondern That geschrieben.
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«Volhständiges Gesang=Buch/ in welchem nicht allein di gewöhnliche alte Kirchen=Lider/ sondern auch vihl neue/ nüzliche Gesänge/ auf mancherlei Fälle zu befinden. Lüneburg/ Gedrukkt durch die Sternen/1661.» [HAB: 101.2° Theol. (1)] «Evangelia und Episteln/ Auf alle Sonn-Tage und führnemste Feste durchs ganze Jahr. Lüneburg/ Gedrukt durch di Sternen/ im Jahr Christi 1661.» [HAB: 101.2° Theol. (2)] «Gebet=Buch /aus geistreicher Theologen Schriften verfertiget und zusammen getragen. Lüneburg/ Gedrukt durch di Sternen im Jahr Christi 1661.» [HAB: 101.2° Theol. (3)] Anhand des «Gebet=Buchs» soll hier die in diesen Schriften gebrauchte Orthographie erläutert werden. Die Kombination TH im Anlaut kennen diese Bücher nicht, sondern ausschließlich die Schreibung tuhn, Trohn und Tohren. CK kommt nie vor, sondern folgerichtig K oder KK (zwischen Vokalen), wie in Aufmerkung, Gedanken, erwekken und abgeschrekket. In nicht-intervokalischer Stellung wird TZ überhaupt nicht, sondern Z gebraucht, wie barmherzig, Geiz und nüzlich; zwischen Vokalen verwendet man aber durchgehend TZ wie in setzen, itzo und verletzen. Von H als Dehnungszeichen wird wiederholt Gebrauch gemacht, wie z.B. in dahrzu, Mahss, grohss, schöhn, Anruhffung, führ, wi'Ar, hihr, Dihnste. Andererseits werden Wörter wie die, wie, lieben zu wi, di, liben reduziert. Das Q wird immer zusammen mit V geschrieben, also z.B. Erqvikkung. Am Ende des Wortes wird die Kombination EI benutzt, wie z.B. sei, herbei, Heuchelei. Diese neuen Schreibungen entsprechen bis auf tz (in intervokalischer Stelle), und qvalle den Regeln von Schottelius (1651) und Bellin (1657): vgl. Tabelle 3. Wir können deshalb in diesem Fall eine direkte Wirkung der Schotteischen und Bellinschen Vorschriften von 1651 und 1657 auf die Sprachwirklichkeit von 1661 annehmen. Zu den auffallenden Schreibungen wie mihr, hihr und di, die der Grammatiker selbst, wie wir oben in 3.3.2.1. gesehen haben, nicht praktizierte, hatte er 1651 folgendes bemerkt: „[...] daß in vielen Werteren/ das/ dem i beigesezte el müste nach gründlicher Eigenschaft Teutscher Sprache ungeschrieben bleiben/ dannenhero man nicht unrecht schribe/ diselbigel diserl nimandl wj/ sjl djl etc." (Schottelius 1651, S. 334f.) „Das /' nimt in diesen Werteren billig ein h zu sich/ wihrl dihrl mihr/ ihr/ hihr/ gihrl [...] wann man schreibet wir/ mir/ dir/ irl hirl girl komt die rechte Ausrede mit der Schreibung nicht überein; Auch/ wenn man schreibet mierl wier/ dierl dierl hier/ ierl gier/ verleurt die Ausrede gleichfats ihren natürlichen zihrliehen Tohn." (Schottelius 1651,S.365f.) In der darauf folgenden Auflage dieser drei Bücher im Jahr 1664/65 wurden aber alle neuen Schreibungen außer qvinsgesamt rückgängig gemacht, also 245
Signaturen: 509.8. Theol. (1) bis (3). Wir konnten den Gebrauch von qv- in zehn Drucken feststellen, wie z.B.: Wittenberg: Henckel 1671 [HAB: J 105. 4° Heimst. (9)]; Nürnberg: Hofman 1680 [HAB: QuN 825 (3)]; Hildesheim: Stürtz 1687 [HAB: Md 182]; Hamburg: Ziegler 1693 [HAB: Ts 320(5)].
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gedruckt, Barmhertzigkeit, gethan, mir, die und sey. Bemerkenswert ist dabei, daß die Unveränderlichkeit des Stammwortes inzwischen mehr beachtet wird, wie z.B. Hofnung zu Hoffnung und sol zu soll. Außer diesen Drucken lassen sich bei den „Sternen" noch einige weitere Schriften mit neuer Orthographie nachweisen.247 Die orthographische Neuerung im Lüneburger Hause Stern war intensiver als die bei Zilliger in Braunschweig; aber sie lief nur über eine kürzere Zeit, nämlich in den 50er und 60er Jahren.
3.3.4. Refonnpraxis an Druckorten in Übersicht Die von den Theoretikern vorgeschriebenen neuen Schreibungen wurden in den 40er Jahren im Prinzip schon in ihren eigenen Werken praktiziert: z.B. Schottelius' «Teutsche Sprachkunst» (Braunschweig: Balthasar Gruber 1641): tuhn, Zesens «Spraach=übung» (Hamburg: Heinrich Werner 1643): Bedenken, erwekket, mier, Harsdörffers «Schutzschrift» (Nürnberg: Wolfgang Endter 1644): Volk. Außerdem schreiben schon seit 1640 die Straßburger Dichter Jesaias Rompier von Löwenhalt249 und Johann Matthias Schneuber250, die 1633 in Straßburg die „Aufrichtige Tannengesellschaft" gegründet hatten, K wie in gedruki, EU wie in neu und -ei wie in bei. Bei den Druckern Werner in Hamburg und Endter in Nürnberg können wir schon in den 40er Jahren gleichfalls eine Praxis reformierender Orthographie in den Werken einiger Dichter erkennen: In Johann Rists Schrift „Poetischer Schauplatz" (Hamburg: Werner 1646) mit K/KK und EU, in Johann Klajs „Höllen- und Himmelfahrt Jesu Christi" (Nürnberg: Endter 1644) mit K/KK, in Sigmund von Birkens „Fortsetzung Der Pegnitz-Schäferey" (Nürnberg: Endter 1645) mit K/KK und in Carl Gustav von Hilles «Der Teutsche Palmbaum» (Nürnberg: Endter 1647) mit K/KK. Auf diese Situation bezieht sich die Klage von Fürst Ludwig im Jahr 1645, „das nicht alleine vom Spielenden und Clajo [= Klaj] in Nürnberg und dan von dem Suchenden Zu Braunschweig unterschiedene Neue lyifl
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Z.B. Johannes Mechovius (1665) [HAB: J 37 Heimst. 4 (12)] mit z.B. Qvaal, Troost, Unglükk, glüklich; anonym (1666) [HAB: 1247 Heimst. Dr] mit z.B. wihr, nuhn, Wolken, Herz, blizen; Franz Joachim Burmeister (1669) [HAB: Db 4 90 (10)] mit z.B. Blüht, mihr, Volk, Glanz, gesezet. 248 Im folgenden seien bei Bedarf jeweils in Klammern der Druckort und Druckerneme genannt. 249 «Klag Vber der Panonyme Flöhe. Gedrukt zu Straßburg» (1640); «Klag- und Trostgedicht an die WolEdle VilEhrn- und Tugendreiche Fraun Margaretha-Elisabetha» (Straßburg 1641) usw. «Leich-gesang bei der begräbnuß Herren Hans Friedrich Stokars [...] gedrukt bei Johann Philipp Mülben» (Straßburg 1641) [HAB: T 1166.4° Heimst (45) ] usw.: Vgl. Jellinek (1913): „Einige Berührungen mit der Zesischen hat die Orthographie der Straßburger Dichter Schneuber (1644) und Rompier (1647). [...] Aber Rompier behauptet nachdrücklich seine Priorität in Sachen der Orthographiereform, und Schneuber bestätigt dies" (Jellinek 1913, S. 150).
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und sich übel schickende Schreibarten wollen aufgebracht, sondern auch vornemlich noch eine fremdere und ungewöhnlichere von Zäsio eingefüret werden" (abgedruckt in: Krause 1855, S. 271). Um die orthographische Sprachpraxis noch näher zu erfassen, haben wir anhand des Ortskatalogs der Herzog August Bibliothek zwischen 1640 und 1700 O 1 6 8 5 : Dräwungen (8-24) -» Dränungen.
BLUMBLACHER (1670/77/94): 1670 -> 1 6 7 7 : getrewlich (16-35, 17-1, 17-13), fow (20-35) ->· getreulich, Reu. HAPPEL( 1 680/90): 1680 ^ 1 6 9 0 : Gebäwde (4-33) -> Gebäude. HOBURG(1655/1700): 1655 -> l 7 0 0: ic/wwe« (1-13), ^«icAowen (1-16, 2-3), Jrewe (19-13), Sow (1521) —> schauen, Anschauen, freue, Säue.
BECHER (1661/79/1705): 1 679 -> 1 7 0 5 : genawer (l- \ 9), Fewer ( 1 5- 1 0) -> genauer, Feuer. Die neuen Schreibungen -aul-eu, die alle Grammatiker nach 1 643 (außer Girbert 1653) forderten, benutzt man in der Lutherbibel nach 1660 konsequent; in den Drucken des Korpus 2 sind die alten Schreibungen n a c h 1670 nur noch selten zu finden. 3.4.2.3. Hände statt Hende Die Wörter, die in der Wittenberger Originalbibel von 1545 noch nicht mit dem morphologisch-etymologischen ä geschrieben sind, ändert man in den Ausgaben des 17. Jahrhunderts immer mehr zu ä, bis es in Lüneburg nach 1693 ausnahmslos in Gebrauch genommen wird: vgl. Diagramm 4.
Diagramm 4: ä statt e
30 6070809000 Frank./Wlt
263
3050607080900010 Nürnberg
3050607080900010 Lüneburg
Die Prozentrechnung beruht auf der Zahl von insgesamt 31 Belegen im l. bis 5. und 12. bis 16. Kapitel der Genesis. Das wird gebraucht: in Frankfurt 1626 llmal (35%), 1664 21 mal (68%) bis 1702 25mal (81%); in Nürnberg 1629 20mal (65%), 1649 23mal (74%), 1662, 1670, 1703 und 1710 25mal (81%), 1690 27mal (87%), 1682 29mal (94%); in Lüneburg 1633, 1664 und 1677 22mal (71%), 1653 26mal (84%), 1682 29mal (94%) und 1693 bis 1708 31 mal (100%).
125 Hier seien alle Belege mit der -Schreibung in der Lüneburger Ausgabe von 1693 aufgelistet: Bäume (1-11 u. 7x), Fräulein (1-27), Stätte (2-21), Statt (13-3), State (13-14), Städten (13-12), Gebärde (4-5, 4-6), Hände [n] (4-11, 14-22), Länge (13-17), Außländer ( 3), gnädiglich (4-5: 2x), siebenfältig (4-15), wäre (2-20, 3-6, 3-6), schämelen (2-25), todtschlägt (4-15), zählefnj (13-16 u. 3x). Die Schreibung mit ä wird vor allem bei den neuen Auflagen der folgenden Werken zunehmend beachtet: ABELE (1655/61/84/1705): 1655 - » 1 6 6 l: were (3-23, 12-20, 16-4 et passim), gegenwertig (8-17, 9-5, 24-9), ergentzt (9-27) -> wäre, gegenwärtig, ergänzt; 1661 -> 1 6 8 4 : ehnlich (2-4), gehengt (14-22) -> ähnlich, gehängt. BOECKLER (l661/73/1703): 1661 -> 1 6 7 3 : were (4-13-link, 6-1-link), hette (5-22 link) ->· wäre, hätte; 1673-> l 703: were (13-27-recht), gegenwertig (1-8-recht), weifleujfftig recht) -» wäre, gegenwärtig, weitläufftig.
(5-33-
BÖHME (1634/56/76/S2/1715): 1656 -> 1 6 7 6 : were (50-29, 50-31, 51-24), verenderlich (72-19), verenden (72-20), verendern (72-21) -> wäre, veränderlich, verändert, verändern.
BLUMBLACHER (1670/77/94): 1670 ->· 1 6 7 7 : were (6-30), hette (4-12), angehengt (3-31, 4-36), erzehlten (20-8), Emptern (9-28), gegenwertig (7-25) —> wäre, Aäf/e, angehängt, erzählten, Ampfern, gegenwärtig. SEBER/GERHARD( 1636/51/60/81/88/98): 1660-» l 681: were (Bl.2r-17, 10-7) gegenwertig (B1.4MO, 11-18, 24-16), lest (13-23) —> wäre, gegenwärtig, lässt. GRYPHIUS (1667/83/98): 1667 -» 1 6 8 3 : were (9-6, 9-10, 15-27) -» wäre. WEISE (l678/92): 1678 -» 1 6 9 2 : ewsser/ (Bl. A2M7) ->> äzöserf. HOBURG(1655/1700): 1655 ->· 1 7 0 0 : /e55e/ (2-29, 15-7), feilt (16-20), weAre (4-27, 10-2), getrenckt (1823), andechtig (2-9, 10-23), Hochverstendigen (9-13), aM/?i einfeltigste (l 123), -> /äije/, fall, wäre, getränckt, andächtig, Hochverständigen, auffs einfältigste. RACHEL (1664/86/1700/07): 1686 -> 1 7 0 0 : weAr (15-16), hell (16-12, 24-16, 25-23, 26-14), henget (17-9), het [ich] (17-16), /e^/ (20-2) -> wäre, Aä/f, Aäwgef, Aä« [ich]. MORHOF(1682/1700): 1682 -> 1 7 0 0 : were (457-18, 458-21, 459-4), endern (271-8) ->· wäre, ändern. BECHER (1661/79/1705): 1679-»· l 7 0 5 : were (4-14, 15-1), hienechst (7-6), ender« (11.5), widerwertig (20-27), sie/ig (22-1) -> wäre, hinächst, ändern, widerwärtig, stätig.
126
Die alte Schreibung e wurde also vor allem nach 1670 zur eymologischen Schreibung ä geändert, die alle Grammatiker forderten.
3.4.3. Änderungen der Konsonantenzeichen 3.4.3.1. um, komfmjt statt umb, kompt Die Beseitigung des b oder/), z.B. in umb, kompt, erfolgt in Nürnberg und Lüneburg nach 1680 vollständig, in den Frankfurt/Wittenberger Ausgaben finden wir dagegen überhaupt keine Änderung in dieser Hinsicht: vgl. Diagramm 5.264 Diagramm 5: m statt mb/mp
30 6070809000 Frank./Wtt
3050607080900010 Nürnberg
3050607080900010 Lüneburg
Die Drucke des Korpus 2 zeigen, daß die alte Schreibung mit b bis ziemlich spät im 17. Jahrhundert gebraucht wurde:
STEGMAN( 1646/63/65): 1646 -> 1 6 6 3 : wiederumb (12-30) -> wiederumm (12-30) 1663 —> 1 6 6 5 : nimb (23-3, 23-21 usw.), cmnimpst (39-6) —> nim, annimmst. ARND (1666/76/85/90/1710): 1666 ->· 1 6 7 6 : umb (7-22, 12-1) -> um; 1676-> 1 6 8 5 : umb (18-3), jrrthumb (5-10, 7-12), Bräutigamb (15-7) -> um, Irr thum, Bräutigam; 1690 -> l 7 l 0: umb (12-1, 18-3) -> um. SEBER/GERHARD (1636/51 /60/81 /88/9S): 1660 -» 1 6 8 1 : darumb (Bl. K 2V-13) -> darum. GRYPHIUS( 1667/83/98): 1667 -> 1 6 8 3 :frembd(5-2)^ fremd.
264
Die Zahlen beziehen sich auf die Vorkommenhäufigkeit im 1. bis 5. und 12. bis 16. Kapitel der Genesis. Hier kommen insgesamt 22 Wörter in Frage.
127
ABELE (1655/61/84/1705): 1661 -» 1 6 8 4:frembd(\-\3, 8-10) -> fremd. HOFFM ANNSWALDAU (1679/S4/89/96/1700): 1684 -> 1 6 8 9 : kompt (Bl.)(2 r -4) -^> kommt; 1689 -> 1696: umb (Bl.)(2r-24, Bl. X 8r-23, Bl.)()(l r -9, Bl.)()(2v-8), sampt (Bl.)( 8r14)-» urn, sammt. HAPPEL( 1680/90): 1680 -> \69Q:umb (3-20, 9-27, 15-26 etc), wiederumb (11-38), Aerw/w* (12-36), versamblet (19-18), Versamblung (19-34), ziemblich (22-3) -> um, wieifer um, herum, versamlet, Versamlung, ziemlich, WEISE (l678/92): 1678 -> 1 6 9 2 : /
(Bl. A2r-13), heimblich (A10v-6) -> Amt, heimlich.
LASSENIUS (1676/87/94/08): 1687 -» 1 6 9 4 : kompt (6-16), sambt (10-25) ->· fotfimr, sam/nf; 1694 —> 1 7 0 8 : umbsehen (16-15), umbzubringen (20-11) ->· umsehen, umzusehen. HOBURG(1655/1700): 1655-> l 700: kompt (4-15, 6-23, 11-21, 11-28), gleichsamb (10-25), WOT* (13-1) —» kommt, gleichsam, um. GREFLINER(1677/1703): 1677-* l 7 03: «wo (5-18, 11-17 et passim), Umbkreiß (7-2), wiederumb (10-9), darumb (19-7) —> «m, Umkreiß, wiederum, darum. BOECKLER(1661/73/1703): 1673 -^ 1 7 0 3 : umblauffen (2-21-link), sampt (23-15-rcht) -> umlauffen, samt. BECHER (l661/79/1705): 1679-» 05: umb (1-3), gestaltsamb (2-10), nemblich (3-4, 4-18, 8-1, 8-10), ziemblich (11-18), nimbt (11-20) —> um, gestaltsam, nemlich, ziemlich, nimmt.
LOHENSTEIN (1661/80/89/1708): 1689-> 1 7 0 8 : umb (5-2, 6-1, 12-1, 20-15 usw.), drumb (5-6), umbfassen (7-23), umbher (16-34) —> / , /rwm, umfassen, umher. BÖHME (1634/56/76/82/1715): 1682-»· \l\5\kompt (49-27, 56-28 et passim), hinwiederumb (50-1, 50-14), nemblich (51-28), umbganges (63-9) —> körnt, hinwiederum, nemlich, Umganges. Die neue Schreibung ohne -i>/-p, die alle Grammatiker nach 1642 (außer Tscherning 1659) forderten, setzte sich sowohl in der Lutherbibel als auch in Korpus 2 nicht prompt durch. 3.4.3.2. auf, aus statt auff,
auß
In bezug auf die Abschaffung der unnötigen Konsonantenverdoppelung bei auß und auff beobachten wir in der Lutherbibel große Unterschiede zwischen den drei Druckorten und zugleich innerhalb desselbigen Orts. Die Beseitigung wird in Nürnberg bei auß nach 1670 und bei aw#~nach 1682 vollständig durchgeführt; in Lüneburg wird sie dagegen bei aw#"nach 1685 und bei auß - ganz plötzlich - nach
128 1693 vollständig abgelehnt und in Frankfurt/Wittenberg bei auß 1702 - mit einem Mal - wieder vollständig befolgt (hier 1702 100% aus versus 100% auff): vgl. Diagramm 6265 und 7.266 Diagramm 6: aus statt auß 81630 Ü165Ö m 1660
1680 1690 1700 30 6070809000 Frank./Wit
3050607080900010 Nürnberg
3050607080900010 Lüneburg
Diagramm 7: auf statt auff 11630 E1650 B1660 B1670
30 6070809000 FrankJWit
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3050607080900010 Nürnberg
3050607080900010 Lüneburg
Die Berechnung beruht auf der Vorkommenshäufigkeit von aus im 1. bis 5. und 12. bis 16. Kapitel der Genesis: in Frankfurt/Wittenberg 1626 24mal (100%), 1664 und 1702 23mal (96%), 1689 einmal (4%), 1677 und 1682 niemals; in Nürnberg 1629 bis 1662 niemals, 1670 bis 1710 24mal (100%); in Lüneburg 1633 19mal (79%), 1653 und 1664 23mal (96%), 1677 und 1685 24mal (100%), 1693 bis 1708 niemals. 266 Die Berechnung beruht auf der Vorkommenshäufigkeit von auf im 1. bis 5. Kapitel der Genesis: in Frankfurt/Wittenberg 1682 und 1702 niemals, 1626 einmal (3%), 1689 viermal (10%), 1677 fünfmal (13%), 1664 33mal (85%); in Nürnberg 1629 bis 1662 niemals, 1670 fünfmal (13%), 1682 bis 1710 39mal (100%); in Lüneburg 1685 bis 1708 niemals, 1653 fünfmal (13%), 1633 und 1677 achtmal (21%), 1664 36mal (92%).
129
In Korpus 2 ist die Reduzierung von ff und weitgehend vollzogen:
auf/und s Ende des 17. Jahrhunderts
ABELE (1655/61/84/1705): 1655-» l 66 \:hierauß (2-13), Außschliessung (3-11), loßzusprechen (4-10), Weißheit (9-2), Grauß (22-17), darauff (2-19) ->· Ausschliessung, loszu sprechen, Weisheit, Graus, darauf, 1661 -> 1 6 8 4 : warhafftig (2-20), Verhafftung (19-5) -> warhaftig, Verhaftung; 1684 -> 1 7 0 5 : Nohtdurfft (3-7), zweite (20-8) -> Nohtdurfl, zweifle.
STEGMAN( 1646/63/65): 1663 -» 1 6 6 5 : au^passim) -» a«/! GRYPHIUS (1667/83/98): 1667 -> l 6 8 3: