Gott und die Religionen: Orientierungswissen Religionen und Interreligiosität 9783170393523, 9783170393530, 3170393529

Durch Globalisierungs- und Migrationsprozesse ist die Pluralität der Religionen heute zu einem unausweichlichen Faktor f

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Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1 Die Herausforderung des religiösen Pluralismus
2 Der Untersuchungsgegenstand
3 Die inhaltlichen Schritte
1 Biblische Grundlagen: Gott und die Religionen im Zeugnis der Offenbarung
1.1 Die Religionen in der Bibel Israels
1.2 Religionen im Neuen Testament
1.2.1 Die „Heiden“ im Neuen Testament
a) Das Zeugnis der Evangelien und der Apostelgeschichte
b) Paulus und die neutestamentlichen Briefe
c) Fazit
1.2.2 Antijudaismus im Neuen Testament?
2 Geschichtliche Entwicklungen: Gott und die Religionen im Zeugnis der Kirchen
2.1 Die Religionen in der Theologie der Kirchenväter
2.1.1 Beginn des christlichen Antijudaismus
2.1.2 Das Verhältnis zu den außerbiblischen Religionen: „Außerhalb der Kirche kein Heil“
2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit
2.2.1 Zwischen Duldung und Verfolgung der Juden: Das kirchliche Konzept der „doppelten Schutzherrschaft“
2.2.2 Die Kirchen und die Juden seit der Reformation
2.2.3 Der Islam: Christliche Irrlehre oder teuflische Religion?
a) Die theologische Auseinandersetzung der Ostkirchen mit dem Islam
b) Die Apologetik der lateinischen Theologie
c) Reformation und Islam
2.2.4 Die Entdeckung neuer Welten und Religionen
2.2.5 Aussagen des römischen Lehramtes zu anderen Religionen
2.2.6 Religionstheologische Positionen der Reformatoren
3. Der Paradigmenwechsel in der christlichen Verhältnisbestimmung zu den anderen Religionen
3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils
3.1.1 Religionstheologische Neuansätze vor dem II. Vatikanum
3.1.2 Erste Schritte des christlich-jüdischen Dialogs nach 1945
3.1.3 Johannes XXIII. im Vorfeld des Konzils
3.1.4 Religionstheologische Grundlegung in der Kirchenkonstitution
3.1.5 Die Konzilserklärung „Nostra Aetate“
1. Die Vielfalt der Religionen – die Einheit der Menschheit und der Heilsgeschichte
2. Wahre Gotteserkenntnis in den ostasiatischen und traditionellen Religionen
3. Über den Glauben der Muslime
4. Die „Erklärung über die Juden“
5. Die Menschenwürde als Basis für Religionsfreiheit und Dialog
3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen
3.2.1 Evangelische Theologen
3.2.2 Dokumente evangelischer Kirchen
a) Dokumente zur allgemeinen Religionstheologie
b) Dokumente über das Verhältnis zum Judentum
c) Dokumente über das Verhältnis zum Islam
4 Systematische Zugänge: Christlicher Gottesglaube im Kontext der Weltreligionen
4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens
4.1.1 Jüdischer Glaube
a) Wesen des jüdischen Gottesdienstes
b) JHWH – der biblische Gott
c) Gott in der rabbinischen Theologie und im heutigen Judentum
4.1.2 Aufarbeitung der christlichen Judenfeindschaft
4.1.3 Eckpunkte einer christlichen Theologie des Judentums
4.1.4 Gegenwärtige Herausforderungen im Dialog mit dem Judentum
4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott
4.2.1 Islamischer Glaube
a) Anbetung Gottes im islamischen Gebet
b) Das Gottesverständnis in Koran und islamischer Tradition
c) Gott in der islamischen Theologie und Mystik
4.2.2 Eckpunkte einer christlichen Theologie des Islam
4.2.3 Gegenwärtige Herausforderungen im Dialogmit dem Islam
4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen
4.3.1 Wie Hindus glauben
a) „Hinduismus“ als Oberbegriff für ein religiös-soziales Ordnungssystem
b) Entstehung und Verbreitung
c) Das Kastensystem
d) Die heiligen Schriften und Mythen der Hindus
e) Der Mensch, sein Karman und seine Erlösung
f) Hinduistische Religiosität
g) Philosophische Schulen
h) Gegenwärtige Hindureligionen und ihre Gottesvorstellungen
4.3.2 Prophetie und Mystik gehören zusammen: Christlich-hinduistischer Dialog
a) Der Dialog mit dem Hinduismus
b) Der Dialog der religiösen Erfahrung mit dem Hinduismus
4.3.3 Gegenwärtige Herausforderungen im Dialog mit dem Hinduismus
4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott
4.4.1 Der Weg des Buddha
a) Ursprünge: Siddartha Gautama und die Lehre des frühen Buddhismus
b) Die Lehre und das Ziel: Befreiung vom Leid
c) Die Richtungen
4.4.2 Christen und Buddhisten: Gemeinsame Sorge um den leidenden Menschen
a) Problematische Geschichte der Begegnung
b) Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Wege
4.4.3 Gegenwärtige Herausforderungen im Dialog mit dem Buddhismus
5 Die Zeichen unserer Zeit: Christlicher Glaube im Angesicht der Religionen
5.1 Gegenwärtige Kontexte und Herausforderungen des interreligiösen Dialogs
5.2 Das Verständnis des Dialogs und das Verhältnis von Mission und Dialog
5.3 Eine ökumenische trinitarische Theologie der Religionen
5.3.1 Katholische Ansätze
5.3.2 Evangelische Ansätze
5.3.3 Orthodoxe Ansätze
5.4 Universale und einzige Heilsmittlerschaft Jesu Christi: Die Auseinandersetzung mit der „Pluralistischen Religionstheologie“
5.5 Die Frage nach der Kriteriologie
5.6 „Komparative Theologie“
5.7 Spiritueller Dialog: Gemeinsam beten, feiern, meditieren
5.7.1 Theologische Reflexionen
a) Die spirituelle Dimension des interreligiösen Dialogs im öffentlichen Raum
b) Probleme gemeinsamen Betens
5.7.2 Modelle
a) Spirituelle und liturgische Gastfreundschaft üben
b) Beten in Gegenwart des Anderen („multireligiöses Gebet“)
c) Zusammen beten („interreligiöses Gebet“)
Schluss: Kleine Tugendlehre des interreligiösen Dialogs
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Literatur
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Gott und die Religionen: Orientierungswissen Religionen und Interreligiosität
 9783170393523, 9783170393530, 3170393529

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Theologie elementar Herausgegeben von: Peter Müller Sabine Pemsel-Maier

Andreas Renz

Gott und die Religionen Orientierungswissen Religionen und Interreligiosität

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2020 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-039352-3 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-039353-0 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

„Und wenn sich unsere Diskussion so lange fortsetze, bis wir alle … einen Weg finden, wie wir einander am besten ehren und dienen können, sodass wir zur Eintracht gelangen?“ (Ramon Lull)

Inhalt

Vorwort ............................................................................................................................. 9 Einleitung .........................................................................................................................11 1 2 3

Die Herausforderung des religiösen Pluralismus ............................................... 11 Der Untersuchungsgegenstand ........................................................................... 12 Die inhaltlichen Schritte ...................................................................................... 13

1

Biblische Grundlagen: Gott und die Religionen im Zeugnis der Offenbarung ........................................17

1.1 1.2

Die Religionen in der Bibel Israels ....................................................................... 17 Religionen im Neuen Testament ......................................................................... 21

2

Geschichtliche Entwicklungen: Gott und die Religionen im Zeugnis der Kirchen ................................................29

2.1 2.2

Die Religionen in der Theologie der Kirchenväter............................................. 29 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit.................... 37

3.

Der Paradigmenwechsel in der christlichen Verhältnisbestimmung zu den anderen Religionen....................................................................................61

3.1 3.2

Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils ................ 61 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen ............................................ 96

4

Systematische Zugänge: Christlicher Gottesglaube im Kontext der Weltreligionen ..............................111

4.1 4.2 4.3 4.4

Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens..................................................... 111 Islam: Hingabe an den einen Gott ...................................................................... 142 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen ....................................... 175 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott ......................................... 196

8

Inhalt

5

Die Zeichen unserer Zeit: Christlicher Glaube im Angesicht der Religionen ........................................ 217

5.1 5.2 5.3 5.4

Gegenwärtige Kontexte und Herausforderungen des interreligiösen Dialogs . 217 Das Verständnis des Dialogs und das Verhältnis von Mission und Dialog ..... 219 Eine ökumenische trinitarische Theologie der Religionen ............................ 221 Universale und einzige Heilsmittlerschaft Jesu Christi: Die Auseinandersetzung mit der „Pluralistischen Religionstheologie“ ......... 227 Die Frage nach der Kriteriologie ........................................................................ 230 „Komparative Theologie“................................................................................... 233 Spiritueller Dialog: Gemeinsam beten, feiern, meditieren ............................. 235

5.5 5.6 5.7

Schluss: Kleine Tugendlehre des interreligiösen Dialogs .........................................243 Abkürzungs- und Literaturverzeichnis .......................................................................247 Abkürzungen................................................................................................................. 247 Literatur ........................................................................................................................ 248

Vorwort

Durch Globalisierungs- und Migrationsprozesse ist die Pluralität der Religionen heute zu einem bestimmenden Faktor für den Einzelnen wie für ganze Gesellschaften geworden. Auch die Kenntnisse über die anderen Religionen haben sich in den letzten 50 Jahren nicht nur quantitativ enorm erweitert, sondern auch qualitativ verbessert. Christliche Theologie und christlicher Glaube, so die Grundannahme dieses Buches, können sich selbst angesichts dieser Situation ohne Verhältnisbestimmung und Dialog mit anderen Religionen nicht angemessen verstehen und realisieren: „Das christliche Credo muss heute im Kontext der Weltreligionen interpretiert und entfaltet werden.“1 Darin liegt gegenwärtig und in der Zukunft die vielleicht größte Herausforderung, aber auch Chance für den christlichen Glauben, nämlich dass er sich selbst besser und tiefer versteht sowie lernt, sich anderen verständlich, kommunikabel zu machen und auf diese Weise authentisches Zeugnis vom eigenen Glauben zu geben: „Die Fähigkeit, den Glauben an die nächste Generation weiterzugeben und die Fähigkeit, mit anderen religiösen Traditionen zu kommunizieren, sind voneinander abhängig. Es wird – mindestens auf die Dauer – keine wirkliche Vermittlung und Kommunizierung des christlichen Glaubens geben, wenn nicht dabei das Verhältnis zu den anderen Religionen in einer dialogischen Weise thematisiert wird. Und es wird keinen wirkungsvollen interreligiösen Dialog geben, außer zwischen religiösen Traditionen mit unterschiedlichen und starken Identitäten.“2 Das vorliegende Buch, das vor allem in den Kapiteln 1–3 in überarbeiteter, aktualisierter und um ökumenische Perspektiven erweiterter Form auf eine frühere Publikation des Autors3 im Verlag Kohlhammer zurückgreift, will dafür eine Grundlage bieten, die freilich angesichts der Fülle und Komplexität des Themas nur Stückwerk sein kann (vgl. 1 Kor 13,9). Ich danke herzlich den beiden Herausgebern der Reihe „Theologie elementar“, Frau Sabine Pemsel-Meier und Herrn Peter Müller, für die Aufnahme des Themas in die Reihe und für die wertvollen inhaltlichen Rückmeldungen zum Manuskript, Peter Müller besonders auch für seine Mithilfe bei den didaktischen Anregungen. Mein herzlicher Dank geht schließlich an Sebastian Weigert vom Verlag Kohlhammer für das fachkundige und äußerst sorgfältige Lektorat. München, April 2020 1 2 3

Barth, Dogmatik, 50. Wiedenhofer, Krise, 11. Renz, Kirche.

Andreas Renz

Einleitung

1

Die Herausforderung des religiösen Pluralismus

Die theologische Reflexion über das Verhältnis des eigenen Glaubens zu anderen Religionen ist im Christentum so alt wie die Kirche selbst und hat sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als „Theologie der Religionen“4 oder „Religionstheologie“ als Disziplin der systematischen Theologie etabliert. Die Fragestellungen und Themen, die damit verbunden sind, betreffen jedoch im Grunde alle theologischen Disziplinen und so ist die Religionstheologie zu einer Querschnittsaufgabe geworden. Unter „Theologie der Religionen“ soll hier die theologische Sicht und Beurteilung der anderen Religionen auf der Basis des eigenen Glaubens sowie die Reflexion des Selbstverständnisses des eigenen Glaubens im Verhältnis zu den bzw. im Angesicht der anderen Religionen verstanden werden, wobei beide Fragestellungen in einem Wechselverhältnis stehen. Es geht somit nicht nur um eine „Theologie der Religionen“ im Sinne eines genitivus objectivus, bei der die Religionen Gegenstand der theologischen Deutung sind, sondern auch und vor allem im Sinne eines genitivus subjectivus, insofern die anderen Religionen „zum Auslegungshorizont der christlichen Theologie“ werden.5 Außerdem stehen eine so verstandene Theologie der Religionen und der praktizierte Dialog der Religionen in einem Wechselverhältnis: „Der Dialog der Religionen ist das Bewährungsfeld der Theologie der Religionen, und die Theologie der Religionen ist die Grundlegung und die Reflexion des Dialogs der Religionen.“6 In den letzten Jahren sind neue Begriffe und Ansätze wie die „Komparative Theologie“, „Theologie des interreligiösen Dialogs“, „Interreligiöse Theologie“ oder „Transreligiöse Theologie“ dazugekommen, die jedoch wiederum nicht einheitlich verstanden und gebraucht werden.7 Dieses Buch verfolgt keine überreligiöse Globaltheologie, son4

5 6 7

Der Begriff („Theology of Religion and Religions“) taucht erstmals wohl 1956 bei dem reformierten Theologen Hendrik Kraemer, Religion, 32, auf (vgl. Repp, Gott, 30), in der deutschsprachigen Theologie beim katholischen Theologen Heinz Robert Schlette, Religionen, 122, und danach verbreiteter. Auch den Dialogbegriff scheint nach Bernhardt, Inter-Religio, 186, wesentlich Kraemer 1960 ins Feld der interreligiösen Beziehungen gebracht zu haben, vgl. Kraemer, World Cultures. Davor war von „Gespräch“, „Beziehung“, „Begegnung“ etc. die Rede. Bernhardt, Inter-Religio, 303. Brück, Theologie der Religionen, 150. Einen Überblick und eine Diskussion bietet Bernhardt, Inter-Religio, bes. 72–146, 358–369, 393–430.

12

Einleitung

dern will die theologischen Beziehungen des christlichen Glaubens und der Kirchen zu den anderen Religionen in biblischer, geschichtlicher und systematischer Hinsicht darstellen und reflektieren und so für die praktische Begegnung fruchtbar machen.

2

Der Untersuchungsgegenstand

Das Buch trägt den Titel „Gott und die Religionen“. Von welchem Gott ist hier die Rede und welcher Religionsbegriff wird hier zugrunde gelegt? Da es explizit um den Versuch einer christlichen Verhältnisbestimmung geht, ist vom biblischen Gott die Rede, wie er sich in der Geschichte des Volkes Israel und in der Person des Juden Jesus Christus mitgeteilt hat. Dieser Gott ist aber nicht nur der Gott Israels und des Christentums, sondern nach dem Zeugnis der Bibel der Schöpfer des Universums und damit der Ursprung und das Ziel aller Menschen. Und nach diesem biblischen Zeugnis will dieser Gott seit Anbeginn der Schöpfung das Heil aller Menschen, das in der ewigen Gemeinschaft mit ihm besteht. Nun ist seine in der Bibel bezeugte Selbstmitteilung zum Heil der Menschen zeitlich, räumlich, sprachlich begrenzt. Es besteht also eine Spannung zwischen dem universalen Gott und seinem universalen Heilswillen einerseits und seiner partikularen, weil zeitlich, räumlich begrenzten Selbstmitteilung andererseits. Dies ist das Hauptthema der Religionstheologie und damit ist die Religionstheologie eine Form der Theodizeefrage:8 Wie ist die aufgezeigte Spannung theologisch vernünftig zu erklären oder zu bestimmen? Wenn Gott das Heil aller Menschen will, kann es dann sein, dass er sich der Mehrheit der Menschen im Laufe der Geschichte unbezeugt gelassen hat? Wäre das gerecht und barmherzig? Hat er sich aber auch außerhalb der biblischen Offenbarung bezeugt, in welchem Verhältnis stehen dann die verschiedenen Offenbarungen und wie lassen sich dann die Unterschiede und Widersprüche erklären? Welche Rolle spielen die außerbiblischen Religionen im Heilsplan Gottes? Damit sind wir bei der Frage angelangt, was hier unter „Religionen“ verstanden wird. Die Versuche, eine allgemein anerkannte Definition von „Religion“ und „Religionen“ zu formulieren, sind zahllos und letztlich gescheitert, weil sie unausweichlich kontextuell und methodisch gebunden sind. So kann eher ein substantialistischer Ansatz verfolgt und eine Art „Wesen“ der Religion (z. B. Gottes- oder Transzendenzbezug) angenommen werden, oder eher ein funktionalistischer Ansatz (z. B. Integration der Gesellschaft, Sinnorientierung für den Einzelnen). Man kann dabei nur von einem Vorverständnis ausgehen, das dann in einem prinzipiell unabschließbaren Prozess der Reflexion und Untersuchung modifiziert, korrigiert, konkretisiert werden kann. Es werden jedoch immer Unschärfen und offene Ränder bleiben. Allein der Begriff „Religion“ im Sinne eines Systems von religiösen Erfahrungen, Inhalten, Riten, Mythen und Organisationsformen ist ein neuzeitlich-europäisch geprägter Abstrakt- und Oberbegriff, 8

So Bernhardt, Inter-Religio, 298. Zur Theodizeefrage vgl. Gasser/Kreiner/Weidner, Verborgenheit Gottes.

3 Die inhaltlichen Schritte

13

der nicht ohne weiteres auf andere Glaubenssysteme etwa fernöstlichen Ursprungs übertragen werden kann: „Nicht nur in anderen Kulturen, sondern auch in anderen historischen Epochen gibt es zum Begriff ‚Religion‘ keine unmittelbare Entsprechung.“9 So ist in antiken und mittelalterlichen christlichen Quellen mit „religio“ eine konkrete Gottesverehrung und Glaubenspraxis gemeint, nicht ein objektivierbares religiöses System wie „Judentum“ oder „Hinduismus“. Die folgende Untersuchung beschränkt sich auf die aufgrund ihrer hohen Anzahl von Anhängern oder ihrer überregionalen Verbreitung sog. „Weltreligionen“ Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus und deren religiösen Grundvollzüge, Glaubensüberzeugungen und ethischen Grundwerte.

3

Die inhaltlichen Schritte

Eine christliche Verhältnisbestimmung zu anderen Religionen kann ohne eine biblische Fundierung nicht auskommen. So werden in einem ersten Kapitel die durchaus divergenten Sichtweisen im ersten und zweiten Teil der christlichen Bibel aufgezeigt, die zwischen Partikularismus und Universalismus, zwischen exklusiven und inklusiven Positionen zu verorten sind. Dabei sind die Aussageabsichten und -formen ebenso zu bedenken wie die historischen Kontexte, weshalb sich eine Übertragung auf heutige Religionen, die biblisch noch gar nicht im Blick waren, als problematisch erweist. Es kann jedoch gefragt werden, ob es nicht Grundeinsichten biblischer Theologie gibt, die für eine heutige christliche Theologie der Religionen normativ oder zumindest richtungsweisend sind. Dabei wird schon die notwendige Unterscheidung zwischen dem Volk Israel und „den Völkern“ deutlich, die auch eine christliche Theologie der Religionen bleibend zu beachten hat. Im zweiten Kapitel werden die schmerzhaften Abgrenzungsprozesse des jungen Christentums von der Mutter- oder besser: Schwesterreligion Judentum thematisiert, die zu einer antijüdischen Grundhaltung und -grundgestalt christlichen Glaubens mit fatalen Wirkungsgeschichten geführt hat. Auch der im siebten Jahrhundert auftretende Islam löste polemische und zum Teil militärische Abwehrreaktionen aus, die angesichts der tatsächlichen oder gefühlten Bedrohung verständlich zu machen sind, aber für die heutige Verhältnisbestimmung nicht mehr leitend sein können und sollen. Zu einer radikalen Wende zunächst im Verhältnis der Kirchen im Westen zum Judentum kam es in den Jahren und Jahrzehnten nach der Schoa. Für die katholische Kirche stellte hierbei das Zweite Vatikanische Konzil einen Paradigmenwechsel dar, das mit der Anerkennung der bleibenden Erwählung Israels auf der Basis von Röm 11 das Verhältnis zum Judentum biblisch neu begründete. Das dritte Kapitel zeichnet diesen Weg nach und zeigt auf, wie die neue dialogische Haltung der katholischen Kirche auch zu einer positiven Wertung des Islam und anderer Religionen geführt hat. 9

Hock, Religionswissenschaft, 12; vgl. Feil, Streitfall; Haußig, Religionsbegriff.

14

Einleitung

Ähnliche Entwicklungen gab es im Bereich der reformatorischen Kirchen, die ebenso zur Sprache kommen. Da die katholische Kirche mit dem Konzil und dem Lehramt im Unterschied zu den anderen Kirchen eine einheitlichere und verbindlichere Position in diesen Fragen entwickelt hat und der Autor aus einer katholischen Perspektive schreibt, nimmt deren Darstellung einen deutlich breiteren Raum ein. Das vierte Kapitel versucht Grundlinien einer christlichen Verhältnisbestimmung zu den großen Weltreligionen Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus zu formulieren. Voraussetzung dafür ist eine möglichst einfühlende Darstellung des Selbstverständnisses und der religiösen Praxis der jeweiligen Religion, wobei hier die große synchrone und diachrone Vielfalt der jeweiligen Religionen kaum zur Sprache kommen kann. Außerdem wären grundlegende hermeneutische Fragen wie die nach der Möglichkeit eines angemessenen Verstehens anderer Religionen zu klären. Man muss sich bewusstmachen, dass es eine völlig objektive Sicht in der Religionsbetrachtung nicht gibt: „Der Standort dessen, der eine Religion beschreibt und analysiert, spielt immer eine Rolle“.10 Das Verstehen des Anderen ist stets ein Übersetzungsprozess, der immer nur eine Annäherung erreichen kann. Der Autor dieses Buches schreibt aus einer christlichen, näherhin katholischen, aber religionswissenschaftlich geschulten und dialogerfahrenen Perspektive. Die konfessionsgebundene Perspektivität impliziert, dass man über einen „hermeneutischen Inklusivismus“ nicht hinauskommt, das heißt man wird den anderen Glauben nur auf der Basis und mit den Mitteln des Eigenen sehen und verstehen, aber man kann und muss mittels des Dialogs die eigene Wahrnehmung und das eigene Verständnis des Anderen immer wieder hinterfragen, korrigieren, differenzieren und erweitern. Fremd- und Eigenwahrnehmung werden aber auch trotz eines gelingenden Dialogs nie ganz zur Deckung kommen. Vergleichbare oder ähnlich erscheinende Begriffe oder Praktiken zweier Religionen können sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Religiöse Schlüsselbegriffe sind sehr komplex und vieldeutig und können oft nie adäquat in die eigene Sprache und Terminologie übersetzt werden. Auch die Frage nach der richtigen Vergleichsebene ist von hoher Bedeutung: Ist es zum Beispiel angemessen, Jesus und Mohammed oder Bibel und Koran auf einer Ebene miteinander zu vergleichen? Auf der Darstellung der Grundzüge der Religionen aufbauend werden in einem weiteren Schritt Gemeinsamkeiten und Unterschiede, bisherige Dialogergebnisse und aktuelle Herausforderungen im jeweiligen Verhältnis herausgearbeitet werden. Da jede Religion ein Unikum und zugleich in sich sehr plural ist, kann es keine Pauschalurteile geben. Grundthese dabei ist, dass das christliche Verhältnis zum Judentum aufgrund der gemeinsamen Wurzel, die Bibel und Geschichte Israels, einzigartig ist und Grundlage für das Verhältnis zu anderen Religionen sein muss. Im fünften Kapitel sind theologisch-systematische Grundfragen einer christlichen Theologie der Religionen zu erörtern, die den Stand der theologischen Reflexion und Diskussion der letzten Jahre reflektieren und dabei die Pluralität der Positionen deutlich machen. Dabei geht es um Fragen nach grundsätzlichen Modellen 10

Stolz, Grundzüge, 35.

3 Die inhaltlichen Schritte

15

der Verhältnisbestimmung, um die Suche nach angemessenen Kriterien, um das Verhältnis von Dialogverpflichtung einerseits und Verkündungsauftrag andererseits, schließlich um die praktische Frage, ob und wie man gemeinsam beten kann. Den Abschluss bildet eine kleine theologische Tugendlehre des interreligiösen Dialogs, denn im Grunde geht es im zuerst um eine innere Haltung des Einzelnen zu Menschen anderen Glaubens, die sich dann in einem konkreten Verhalten (Beziehungsgestaltung) und in einer bestimmten theologischen Verhältnisbestimmung ausdrückt. Wenn diese Haltung von Respekt, Wertschätzung, Offenheit und Lernbereitschaft geprägt wird, dann wird ein gläubiger Mensch verändert und bereichert aus der Beschäftigung und der Begegnung mit Gläubigen anderer Religionen hervorgehen. Er wird Menschen anderen Glaubens und andere Glaubensweisen nicht als Gefahr für den eigenen Glauben sehen, sondern als Möglichkeiten der Begegnung mit dem Heiligen. Zweifelsfrei gibt es so etwas wie einen unverhandelbaren Kern jeder Religion – im Christentum etwa das Bekenntnis zum dreieinen Gott – und doch sei hier die Überzeugung zugrunde gelegt, dass keine Religion ein unveränderliches, statisches „Wesen“ besitzt, denn der „Kern“ wird doch immer wieder neu interpretiert, angeeignet, gelebt und ist nie „an sich“ zu haben. Eine Religion, die sich nicht mehr verändert, ist tot. Lebende Religionen dagegen sind mehr oder weniger dynamisch, auch wenn dies den meisten Gläubigen nicht bewusst ist und es immer Strömungen gibt, die sich aktiv gegen Veränderung wehren oder sie leugnen, doch letztlich verabsolutieren diese stets eine bestimmte Ausformung der eigenen Religion zu einem bestimmten Zeitpunkt und erliegen so der fundamentalistischen Versuchung, sich mit dem Absoluten selbst zu identifizieren. Religiöse Identitäten sind nie fixiert, sondern fluide und kontextuell, bewusst oder unbewusst lernfähig. Diese Erkenntnis ist Grundvoraussetzung für das angemessene Verstehen des Eigenen wie des Anderen.

1

Biblische Grundlagen: Gott und die Religionen im Zeugnis der Offenbarung

Christlicher Glaube und christliche Theologie gründen in der Bibel11 und theologische Positionen zu anderen Religionen wurden im Laufe der Kirchen- und Theologiegeschichte stets biblisch zu begründen versucht. So ist in einem ersten Schritt danach zu fragen, ob und welche Aussagen oder Hinweise die Heilige Schrift zu anderen Religionen und zur Haltung gegenüber Andersgläubigen macht, ob und wie diese für die Gegenwart Geltung beanspruchen können. Dabei ergeben sich jedoch einige grundsätzliche Schwierigkeiten: Zum einen ist der gesellschaftliche, religiöse und politische Kontext der biblischen Welt ein völlig anderer als der gegenwärtige. Zum anderen ist über viele Religionen in der Bibel nichts zu finden, weil sie entweder außerhalb des damaligen Blickfeldes waren oder noch gar nicht existierten. Außerdem wäre zu fragen, inwieweit die anderen Religionen überhaupt objektiv betrachtet und bewertet werden konnten. Man kann deshalb aus einzelnen Bibelstellen keine direkten Handlungsanweisungen und eindeutigen theologischen Positionen gegenüber den anderen Religionen ableiten. Vielmehr bedarf es „einer vorsichtigen Urteilsbildung in Verantwortung vor dem Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift. Dabei ist die innere Vielfalt der biblischen Zeugnisse und ihre Einbindung in historische und literarische Kontexte zu berücksichtigen.“12

1.1

Die Religionen in der Bibel Israels

Der Glaube des Volkes Israel hat sich in impliziter Anknüpfung und offenem Widerspruch zu den Religionen und Völkern (gojim) des Alten Orients entwickelt. Auffallend ist, dass in den frühen Schichten der Bibel „praktisch jede Polemik gegen die oder jede Abwehr der Götterwelt anderer Völker fehlt“.13 Lange Zeit wurde die Existenz der Götter anderer Völker nicht in Frage gestellt: So ist vom Gott des Nahor (Gen 31,53) oder vom Gott Kamos (Ri 11,23f), sehr häufig auch von Baal die Rede, die als Landesgötter für ihren jeweiligen Bereich zuständig waren (vgl. auch Ps 138,1). Erst mit den Propheten, vor allem den Propheten des babylonischen Exils (597–539 11 12 13

Vgl. Müller, Gott. Bernhardt, Wahrheit, 32f. Vgl. Ariarajah, Bibel. Seebaß, Gottesbeziehung, 78.

18

1 Biblische Grundlagen

v.Chr.), und den deuteronomisch-deuteronomistischen Texten (Dtn–2 Kön) im 7./6. vorchristlichen Jahrhundert beginnt eine polemische Kritik an anderen Göttern und deren kultischen Verehrung: Der JHWH-Glaube, der biblisch mit der Selbstoffenbarung Gottes am Sinai beginnt (vgl. Ex 3), grenzt sich von seinen benachbarten Kulten ab, verspottet die Götter anderer Völker als „Nichtse“ (vgl. Ps 96,6; 115,4–8; Jes 41,29; 44,9–20; Jer 16,20) und macht den einzigen, universal mächtigen Gott der Väter zum Grundbekenntnis des israelitischen Glaubens: „Höre Israel, der Herr, unser Gott, der Herr Einer!“ (Dtn 6,4) JHWH ist der Gott Israels und Israel ist das Volk JHWHs. Für die richtige Einordnung der Polemik ist zu bedenken, dass das Volk Israel durch Fremdherrschaft und Exil oft Ohnmacht und Unterlegenheit erfahren musste: „Da es häufig nicht möglich war, die Anhänger und Anhängerinnen einer anderen Religion physisch loszuwerden, hat man ihre Religion durch Karikierung und Verspottung zu erledigen bzw. als Versuchung unschädlich zu machen versucht und sie zu einer dunklen Folie verarbeitet, vor der sich die eigene Religiosität umso heller abhob. Das Erste Testament ist durchsetzt von massivem und unsachlichem Spott über nichtjüdische bzw. nichtisraelitische Religionen.“14 In diesen Kontext gehört auch das Mischehenverbot nach dem Exil (vgl. Neh 13; Est 10). Besonders problematisch ist die sog. Vernichtungsweihe oder das Banngebot im Zusammenhang mit der Landnahme, die eine gewaltsame Intoleranz gegenüber den einheimischen Völkern und ihrer Religion zu fordern scheint: „So sollt ihr gegen sie vorgehen: Ihr sollt ihre Altäre niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen und ihre Götterbilder verbrennen.“ (Dtn 6,5) Ob diese Aufforderung jedoch eine historische Praxis wiedergibt oder legitimiert hat, wird heute vielfach bezweifelt, stammt der Text doch aus einer viel späteren Zeit (Erzählzeit) als die erzählte Zeit. Viel eher ist das Gebot metaphorisch zu verstehen als „Ausdrucksmittel der Abgrenzung gegen Vielgötterei.“15 Es hat damit die Funktion, das Erste Gebot des Dekalogs einzuschärfen (Dtn 5,7–9). Der Dekalog stellt das Bekenntnis zu dem einen Gott an den Anfang und verbietet die Herstellung und Verehrung von Götzenbildern (vgl. Ex 20,3–5).16 Die Existenz anderer Gottheiten wird dabei noch gar nicht abgelehnt. Die faktische Verehrung des einzigen Gottes („Monolatrie“) führte erst ab dem Exil zum „theoretischen“ Monotheismus (vgl. Jes 43,10), damit aber auch zur Universalisierung der Gottesidee: Weil Gott, der Schöpfer, ein einziger ist, ist er nicht nur der Gott des von ihm erwählten Volkes Israel, sondern letztlich der Gott aller Völker, aller Menschen: „Der Gott Israels ist trotz seiner engen Beziehung zu einem Volk kein Stammes- oder Nationalgott“17, jeglicher Ethnozentrismus wird von diesem Gottesbild her durchbrochen (vgl. Ps 67). Gott kann eben auch durch die Völker außerhalb Israels handeln, kann diese als Werkzeuge benutzen (vgl. Ez 21,26–28; 2Chr 36,22f; Esr 1,1–4), an ihnen rettend und barmherzig handeln wie an Israel (vgl. Am 9,7), er herrscht über die Völker 14 15 16 17

Keel, Heilung, 14. Vgl. dazu Ott, Deuteronomium, 888. Vgl. Müller, Gott, 50–59; 97–99. Lienemann-Perrin, Mission, 20.

1.1 Die Religionen in der Bibel Israels

19

(vgl. Ps 22,28). Gottesbeziehung ist außerhalb des Volkes Israels möglich, wie die JHWH-Verehrer der Völker zeigen; so gab es im Jerusalemer Tempel auch einen Vorhof der Völker (vgl. 1 Kön 8,43). Religions- und theologiegeschichtlich gesehen hat der biblische Gottesglaube viele Vorstellungen und Traditionen von anderen Religionen etwa des Alten Ägypten oder Mesopotamiens übernommen, aber auch umgeformt. So ist etwa an die Fluterzählung in Gen 9 zu denken, die sumerische Überlieferungen aufnimmt, oder an den Sonnenhymnus Echnatons, der im Psalter (104,27f; 145,15f) aufgegriffen ist. Die universale und inklusive Überzeugung drückt sich in den biblischen Urgeschichten aus, die von der Schöpfung der Welt durch den einen Gott zeugen und von der Gottesebenbildlichkeit jedes Menschen (Gen 1,26) sprechen. Die Weisheitsliteratur (vgl. Sir 17,12) und später die Theologie der Kirchenväter nehmen eine Art „kosmischen Bund“ an und vertreten so eine universale heilsgeschichtliche Perspektive: Gott zeigte in Adam allen Menschen „die Größe seiner Werke, um die Furcht vor ihm in ihr Herz zu pflanzen. Sie sollten für immer seine Wunder rühmen und seinen heiligen Namen loben. Er hat ihnen Weisheit geschenkt und ihnen das Leben spendende Gesetz gegeben. Einen ewigen Bund hat er mit ihnen geschlossen und ihnen seine Gebote mitgeteilt. Ihre Augen sahen seine machtvolle Herrlichkeit, ihr Ohr vernahm seine gewaltige Stimme …“ (JesSir 12,7–13). Hier ist klar von einem von Gott geschenkten Bundesverhältnis die Rede. Neben dem kosmischen Bund mit Adam und seinen Nachkommen gibt es einen weiteren Bund mit Noah und dessen Nachkommen, also mit der ganzen Menschheit, und sogar allen Lebewesen – und zwar nach dem Sündenfall: „Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen. Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde“ (Gen 9,12f). Nach rabbinischer Auslegung ab dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert sind alle Menschen durch den Noahbund an sieben grundlegende, universal geltende „Noachidische Gebote“ gebunden: Das Gebot der Einsetzung von Gerichten, das Verbot von Götzendienst, Gotteslästerung, Unzucht, Blutvergießen, Raub und Verzehr eines lebenden Tieres. Wer sich an diese religiös-ethischen Gebote hält, zählt zu den „Gerechten unter den Völkern“.18 Ein gottgefälliges Leben ist somit auch außerhalb der Zugehörigkeit zum Volk Israel möglich. Die universalen Bundesschlüsse mit Adam und Noah werden durch den Abrahamsbund nicht außer Kraft gesetzt, der ebenfalls auf „alle Völker der Erde“ gerichtet ist: Sie sollen durch Abraham und seine Nachkommen gesegnet sein (Gen 12,3; 18,18; 22,18; 26,4; 28,14).19 Auserwählung des Volkes Israel und universaler Heilswille werden hier zusammengespannt: Israel wird gleichsam zum „Sakrament“, zum Zeichen und Werkzeug des universalen Heilshandelns Gottes. So wird der Prophet Jona – wenn auch widerwillig – zu den Bewohnern in Ninive gesandt, um ihnen das Gericht anzukündigen, doch nach deren Umkehr und Buße erbarmt sich Gott auch ih18 19

Vgl. Müller, Tora; Nachama/Homolka/Bomhoff, Judentum, 375–379. Vgl. Müller, Gott, 31–40.

20

1 Biblische Grundlagen

rer: Seine Barmherzigkeit erstreckt sich auf alle Menschen, so die Grundaussage des Jonabuches. In der Bibel Israels spielen JHWH-Verehrer der Völker eine wichtige heilsgeschichtliche Rolle: Abel, Henoch, Noah (vgl. auch Hebr 11,1–7), Melchisedek – der Hohepriester der kosmischen Religion und nach dem Hebräerbrief Urtyp Christi (7,17; 9,11), der außerbiblische Prophet Bileam, Lot, die Königin von Sabaa, Hiob, die ägyptische Sklavin Hagar im Hause Abraham, Jitro (der Schwiegervater des Mose), Rahab, Naaman. Selbst Abraham war noch kein Jude, auch wenn er später rabbinisch so gedeutet wurde. Sie alle lebten nach dem Urteil der biblischen Texte rechtschaffen vor Gott, ohne Juden zu sein und zu werden. Noch heute ist im ersten Hochgebet der katholischen Messe vom „gerechten Diener Abel“ und vom „reinen Opfer seines höchsten Dieners Melchisedek“ die Rede. Gott war in ihnen und durch sie wirksam, er erweckt auch außerhalb Israels zum Glauben und zur Liebe. Gott ist mit seinem Wort, seinem Geist und seiner Weisheit in der ganzen Schöpfung seit Anbeginn präsent und wirksam: „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis“ (Weish 1,7; vgl. 9,18f; 11,24 – 12,1; Spr 8,32). Der Johannes-Prolog des Neuen Testaments wird diese universale Perspektive aufgreifen. In den Kontext des heilsgeschichtlichen Universalismus ab der Exilszeit gehört auch die prophetische Verheißung, dass einst alle Völker zum Zion ziehen und gemeinsam mit Israel den einen Schöpfergott JHWH anbeten werden (vgl. Jes 2,1–5; 11,11–16; 60,1–20; Sach 2,8–12). Von einer Konversion zum Judentum ist dabei nicht die Rede. Jes 56,1–8 hält einerseits an der besonderen Erwählung Israels fest und damit an der Unterscheidung Israels und der Völkerwelt, andererseits wird „die JHWHVerehrung auch für Nichtisraeliten offen“.20 Ps 117 fordert die Völker zum Lobpreis des Herrn auf. Nach Mal 1,11 ist die Verehrung JHWHs unter den Völkern bereits Realität: „Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang steht mein Name groß da bei den Völkern und an jedem Ort wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht und eine reine Opfergabe; ja mein Name steht groß da bei den Völkern, spricht der Herr der Heere.“ Aber die „Heilszusage an die Völker bleibt auf Israel und seine Erwählung bezogen. Wenn Gott unter den Völkern wirkt, geschieht das nicht ohne Israel oder an ihm vorbei.“21 Israel ist Zeuge Gottes vor der Welt (Jes 44,8; 55,4f), Israel bzw. der Knecht Gottes ist das „Licht der Völker“ (Jes 42,6; 49,6), durch das alle Völker am Ende der Zeit zur wahren Gotteserkenntnis und -anbetung kommen werden (vgl. Jes 60,1–20). Die christliche Verkündigung wird an diesen Anspruch anknüpfen und zugleich stets darauf verwiesen bleiben.

20 21

Haarmann, JHWH-Verehrer, 244. Lienemann-Perrin, Mission, 21.

1.2 Religionen im Neuen Testament

1.2

Religionen im Neuen Testament

1.2.1

Die „Heiden“ im Neuen Testament

a)

Das Zeugnis der Evangelien und der Apostelgeschichte

21

Das neutestamentliche Gotteszeugnis steht auf der Grundlage des Glaubens Israels. Jesus stellt das exklusive Bekenntnis zum Gott Israels ins Zentrum seiner Botschaft (vgl. Mt 22,37–39; Lk 10,27). Über andere Religionen im Umfeld äußert er sich nicht, wohl aber über Angehörige anderer religiösen Kulte. Die ersten Nichtjuden, die im Neuen Testament auftreten, sind die Sterndeuter aus dem Osten, die sich von Gott führen lassen, um dem „neugeborenen König der Juden“ zu huldigen (vgl. Mt 2,1– 12): Sie sind „Fremdpropheten, wie das Alte und das Neue Testament sie kennen. Als solche haben sie ein Mysterium des Lebens Christi entdecken lassen. Die Feier der Epiphanie, mit dem Weihnachtsfest verbunden, ist, von ihrem neutestamentlichen Ursprung her betrachtet, eine interreligiöse Feier, die durch Gottes Gegenwart im Jesuskind zu einer Feier des Glaubens wird“.22 Auch der nächste Heide, der römische Hauptmann aus Kafarnaum, wird als gläubiger Mensch geschildert und Jesus stellt ihn als Vorbild hin: „Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden. Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis …“ (Mt 8,10–12) – eine Spitzenaussage des biblischen Inklusivismus aus dem Munde Jesu! Das Gebet des heidnischen Hauptmanns hat es sogar bis ins Zentrum der christlichen Liturgie gebracht: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird mein Diener (liturgisch: „meine Seele“) gesund“ (Mt 8,8). So wie Jesus den Diener des Hauptmanns heilte, so erhörte er auch die Bitte einer heidnischen, syrophönizischen Frau, weil ihr Glaube groß war und sie Jesus in einer Art Streitgespräch davon überzeugte, dass die besondere Gottesbeziehung Israels nicht exklusiv ausgelegt werden darf (vgl. Mk 7,24–30; Mt 15,21–28). Wieder ist es ein römischer Hauptmann, ein „Heide“, der angesichts des am Kreuze sterbenden Jesus bekennt: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15,39). Der römische Hauptmann Kornelius schließlich wird in Apg 10 als „gottesfürchtiger“ Frommer bezeichnet, dessen Gebet von Gott erhört wurde und dessen Almosen angenommen wurden noch bevor er zum christlichen Glauben konvertierte. Petrus bekennt daraufhin, „dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apg 10,34f) In der Schilderung des Weltgerichts in Mt 25,31–46 macht Jesus den wahren Glauben und damit das Heil am konkreten Handeln gegenüber den Hungrigen und Durstigen, Fremden und Obdachlosen, Armen, Kranken und Gefangenen fest: Wer 22

Söding, Friedensliebe, 97.

22

1 Biblische Grundlagen

den Nächsten liebt, liebt Christus, liebt Gott und umgekehrt, wahre Gottesliebe muss sich in Nächstenliebe konkretisieren. Dies ist auch die Grundaussage in der Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter, der einem in Not Geratenen ohne Ansehen der Person half (vgl. Lk 10,25–37). Die Samaritaner sind zwar auch aus dem Volk Israel hervorgegangen, wurden im Judentum zur Zeit Jesu aber als Abtrünnige verachtet. Doch Gottes Heilsangebot übersteigt die Grenzen Israels, ist universal: „Und man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen“ (Lk 13,29). Nicht das religiöse Bekenntnis ist entscheidend, sondern das Tun des göttlichen Willens: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mk 3,35). Jesus durchbricht in seinem Verhalten immer wieder religiöse und soziale Grenzen. Das Matthäus-Evangelium endet mit dem universalen Missionsanspruch gegenüber den „Völkern“ im Mund des Auferstandenen Christus (Mt 28,18–20). Neben der Aussage Jesu im Johannes-Evangelium: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, außer durch mich“ (Joh 14,6), wird diese Stelle bis heute für exklusivistische Positionen in Anspruch genommen, ebenso Mk 16,16: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.“ Nach Apg 4,12 ist „in keinem anderen das Heil zu finden“ als im Namen Jesu Christi. Ohne diese Aussagen in ihrem Geltungsanspruch relativieren zu wollen, müssen doch der historische Kontext und die Aussageabsicht berücksichtigt werden: Sie stammen aus der frühchristlichen Zeit der immer schärfer werdenden Abgrenzung von den nicht christusgläubigen Juden einerseits und der beginnenden christlichen Missionstätigkeit unter den Nichtjuden andererseits. Mit den „Heiden“ oder „Völkern“ sind die Menschen und religiösen Kulte im römisch-hellenistischen Kulturkreis gemeint, Götzendiener also. Diese Aussagen sind weniger an die Andersglaubenden, als vielmehr an die Christusgläubigen selbst gerichtet: Sie sind Aufforderung zur permanenten Umkehr und zum Festhalten am Weg des Glaubens und der Gemeinschaft und dienen der Identitätssicherung.23 In jedem Fall lassen sich diese Aussagen sehr wohl heilsinklusiv interpretieren in dem Sinn, dass kein Heil auf dieser Welt an Jesus Christus vorbei, sondern durch ihn geschieht. Vor allem aber geht es hier nicht um Heilsbedingungen und um Heilsansprüche, sondern um ein universales Heilsangebot: „Das ‚Kommen‘ von Joh 14,6b gibt nicht in gesetzlicher Weise eine Bedingung an, die ein Mensch erfüllen muss, damit er Zugang zum Vater und zum Leben gewinnt, sondern gibt an, wodurch einem Menschen Leben und Gemeinschaft mit dem Vater zukommt; es gibt nicht die von einem Menschen zu erfüllende, sondern die von Gott selbst in Christus erfüllte Bedingung für Leben und Gottesgemeinschaft der Menschen an: Wo Menschen vor Gott und mit ihm leben dürfen, da ist das Christusgeschehen der ermöglichende Grund, auch wenn sie das jetzt noch nicht erkennen.“24 Eine, ja vielleicht die weiteste heilsuniversale, kosmologische Perspektive im Neuen Testament bietet der Johannes-Prolog: Das ewige Wort Gottes, das sich nun 23 24

Vgl. auch Barth, Dogmatik, 158f. Gollwitzer, Christus, 189.

1.2 Religionen im Neuen Testament

23

in der Fleischwerdung des Sohnes in unüberbietbarer Weise mitgeteilt hat, wirkt die Schöpfung und sein Licht erleuchtet alle Menschen (vgl. Joh 1,1ff). Die frühkirchlichen Theologen werden daran mit ihrer Logos-Theologie anknüpfen und erste heilsgeschichtliche Entwürfe wagen. b)

Paulus und die neutestamentlichen Briefe

Paulus ist es, der erstmals die christliche Mission über das Judentum hinaus praktiziert und so einen Paradigmenwechsel einführt, der heftige Turbulenzen unter den Aposteln und bis dahin ausschließlich judenchristlichen Gemeinden verursacht. Generell zeigt sich bei ihm eine universale Perspektive, indem er an den Heilsuniversalismus der jüdischen Bibel und Theologie anknüpft: Menschen aus den Völkern „brauchen nicht Israel zu sein, damit ‚auch ihnen der Glaube gerechnet werde zur Gerechtigkeit‘ (Röm 4,11)“25. Gott hat sich in der Schöpfung allen Menschen geoffenbart: „Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit“ (Röm 1,20). Gott hat „sich nicht unbezeugt gelassen“ (Apg 14,17), hat den „Heiden“ sein Gesetz ins Herz geschrieben, sodass sie seinen Willen durch gerechtes Handeln erfüllen können und den Anspruch des Gewissens erfahren (vgl. Röm 2,14f; Apg 10, 34f): „Ist denn Gott nur der Gott der Juden, nicht auch der Heiden? Ja, auch der Heiden, da doch gilt: Gott ist ‚der Eine‘“ (Röm 3,29f). „Mit dieser Identifizierung des ‚Gottes der Juden‘ mit dem ‚Gott der Heiden‘ erweiterte Paulus den jüdischen Monotheismus konsequent auch auf das Heidentum hin, wie es in der Hebräischen Bibel bereits angelegt ist. Seine Formulierung, dass der ‚Gott der Juden‘ und der ‚Gott der Heiden‘ der ‚eine Gott‘ sei, bedeutet religionstheologisch, dass dieser Gott in anderen Religionen wirksam ist – wie auch immer –, und dass dies anzuerkennen ist.“26 Jedoch steht der Mensch unter der Herrschaft der Sünde und damit unter dem Zorn Gottes: „Denn obwohl sie Gott erkannt haben, haben sie ihn nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt“ (Röm 1,21). Durch die Erlösung in Jesus Christus allein werden die Menschen gerecht vor Gott. Mitten auf dem Areopag bescheinigt Paulus den Athenern, dass sie „besonders fromme Menschen“ seien und unwissend den einen wahren Gott anbeteten, der niemandem fern ist, in dem wir alle leben, uns bewegen und sind (vgl. Apg 17,22ff). Paulus „beurteilt das Heidentum nach dem Besten, was es zu bieten hat, an seinem ‚philosophischen Gottesglauben‘.“27 Wenn er im Brief an die Thessalonicher dazu auffordert: „Prüft alles und behaltet das Gute“ (1 Thess 5,21), setzt er offenbar voraus, dass es „solch Gutes, Wahres und Schönes in der paganen Kultur gibt; die Religiosität ist davon nicht prinzipiell ausgenommen.“28 Ähnlich wie Joh 1 vertritt Paulus in Kol 1,15f eine kosmologische Christologie.

25 26 27 28

Haarmann, JHWH-Verehrer, 289f. Repp, Gott, 63. Mathys, Religionen, 47. Söding, Friedensliebe, 95.

24

1 Biblische Grundlagen

Der Hebräerbrief zählt die drei Nichtjuden Abel, Henoch und Noah zu den Urvätern und Vorbildern des rechtfertigenden Glaubens (vgl. Hebr 11,1–7). Nach 1 Tim 2,4 und vielen anderen Stellen (vgl. Röm 5,18f; 11,32; Tit 2,11; Eph 1,10) will Gott das Heil aller Menschen, das er in Christus universal anbietet: „Und man darf doch wohl annehmen, dass der Vatergott es dem Menschen einigermaßen guten Willens nicht allzu schwer gemacht hat, des Heiles, das er sich so viel hat kosten lassen, teilhaftig zu werden.“29 Das Reich Gottes ist größer als die sichtbare Kirche. Wie in der Bibel Israels so findet sich also auch in den neutestamentlichen Schriften zum einen die universale Heilsperspektive, zum anderen aber die Überzeugung, dass der eine Gott das Heil durch den einen Mittler schenkt: „Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle …“ (1 Tim 2,5). c)

Fazit

Als Fazit lässt sich bis hierher festhalten: In der Bibel gibt es sowohl heilspartikularistische, exklusivistische wie heilsuniversale, inklusive Aussagen, die erstere umfassen und übersteigen. Einzelne Belegstellen dürfen nicht überstrapaziert werden, indem sie allein zur Legitimation eines umfassenden Verstehensmodells herangezogen werden. Die exklusivistischen Aussagen haben stets einen paränetischen, das heißt ermahnenden Charakter für das Volk Israel oder im Hinblick auf die Zweifler und Dissidenten innerhalb der frühen Kirche. Das Neue Testament lässt keinen Zweifel daran, dass in Jesus Christus das Heil für alle Menschen begründet liegt. Zugleich hält die Bibel echten Glauben und Heilsmöglichkeit von Menschen außerhalb der biblischen Offenbarung anhand zahlreicher Beispiele für möglich. Sofern die Bibel überhaupt Aussagen über andere Religionen macht, dann über die „heidnischen“ Religionen der altorientalischen und römisch-hellenistischen Umwelt, wobei sie auch Elemente aus Lehre und Praxis von ihnen übernimmt und umformt. Im Kern wendet sich das christliche Zeugnis auch nicht gegen diese Religionen an sich, sondern gegen die Vergötzung des Geschöpflichen, die es in jeder Religion geben kann. Religionen wie Hinduismus und Buddhismus, geschweige denn der Islam, sind in den biblischen Schriften nicht im Blick und können es auch gar nicht sein. Die negativen Aussagen der Schrift über die paganen Religionen aus ihrem Kontext und „Sitz im Leben“ zu reißen und auf die heutigen Weltreligionen einfach zu übertragen, wäre anachronistisch. Festzuhalten aber ist, dass die Bibel in ihren beiden Teilen Schöpfungslehre und Heilslehre weder trennt noch in eins fallen lässt, vielmehr bleiben beide Aspekte in spannungsvoller Zuordnung: „Die jeweilige Verhältnisbestimmung der beiden Pfeiler von Schöpfungstheologie und Soteriologie zueinander hat gravierende Folgen für die Religionstheologie. Wenn man die Soteriologie betont, dann gelangt man notwendigerweise zu einer abgrenzenden Haltung gegenüber anderen Religionen, denn das Heilshandeln Gottes hat spezifischen Charakter, da es raum- und zeitgebunden ist. … Die Befreiung aus Ägypten ist allein dem Volk 29

Müller, Kirche, 12.

1.2 Religionen im Neuen Testament

25

Israel geschehen, und nur Christen betrachten Jesus Christus als ihren Erlöser. Wenn man jedoch von der Schöpfungstheologie ausgeht, die einen universalen Anspruch des Wirkens Gottes erhebt, kann man auch Andersgläubige nicht davon ausschließen.“30 Gott, der Schöpfer aller Menschen, will das Heil aller Menschen – davon zeugt die Bibel von ihrer ersten bis zur letzten Seite.

1.2.2

Antijudaismus im Neuen Testament?

Jesus war Jude, die ersten Jünger, die Apostel, fast alle neutestamentlichen Autoren waren Juden. Jesus wollte nicht den Bruch mit dem Judentum. Die Evangelien zeichnen Jesus eindeutig in den jüdischen Kontext ein. Dennoch finden wir im Neuen Testament eine ganze Reihe von Aussagen, die vor dem Hintergrund ihrer Rezeptionsund Wirkungsgeschichte zumindest antijüdisch klingen. So begegnet in der ältesten neutestamentlichen Schrift überhaupt (51 n. Chr.), im ersten Brief des Paulus an die Gemeinde von Thessaloniki, eine der härtesten und folgenreichsten antijüdischen Polemiken des Neuen Testaments, nämlich den Vorwurf, die Juden hätten Christus getötet: „Denn, Brüder, ihr seid den Gemeinden Gottes in Judäa gleich geworden, die sich zu Christus Jesus bekennen: Ihr habt von euren Mitbürgern das gleiche erlitten wie jene von den Juden. Diese haben sogar Jesus, den Herrn, und die Propheten getötet; auch uns haben sie verfolgt. Sie missfallen Gott und sind Feinde aller Menschen; sie hindern uns daran, den Heiden das Evangelium zu verkünden und ihnen so das Heil zu bringen. Dadurch machen sie unablässig das Maß ihrer Sünden voll. Aber der ganze Zorn ist schon über sie gekommen.“ (2,14–16) Die christliche Gemeinde in Thessaloniki erfuhr offenbar soziale Ausgrenzung oder Widerstand durch die Nichtjuden; Paulus, selbst Jude, will sie trösten durch den Verweis auf die ähnlich feindselige Haltung von Juden gegenüber den christlichen Gemeinden in Judäa. Möglicherweise macht Paulus Juden sogar verantwortlich für die feindselige Haltung der Heiden in Thessaloniki. Der Vorwurf des Prophetenmordes hat alttestamentliche Tradition (vgl. Jer 7,25f; Neh 9,26; 2 Chr 36,14ff), die auch in den Evangelien aufgegriffen wird (vgl. Lk 11,47–51 par; Mk 12,1–12 parr). Doch Paulus ergänzt diesen innerjüdischen Topos hier mit Topoi heidnischer Judenfeindschaft: die Juden seien Gegner Gottes und Feinde aller Menschen. Diese Polemik lässt sich nur auf dem Hintergrund des theologischen Streits des Paulus und der frühen Christengemeinden mit den jüdischen Glaubensgenossen erklären – ein Streit, der im Fall der beiden Märtyrer Stephanus und Jakobus sogar tödlich endete. Ein zentraler Ausgangspunkt des theologischen Konflikts war wohl zunächst weniger die Messiasfrage als vielmehr die Entscheidung des Paulus und des Apostelkonzils, im Zuge der Völkermission auf die Beschneidung und einige andere jüdische Ri-

30

Repp, Gott. 48f.

26

1 Biblische Grundlagen

tualgesetze zu verzichten. Die Polemik des Paulus gegen andere Auslegungen des jüdischen Gesetzes spitzt sich immer mehr zu, die Evangelien bauen die Pharisäer als Feindbild auf, die als einzige jüdische Gruppierung nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 übrig geblieben ist. Umgekehrt grenzen sich Juden immer mehr polemisch von den Christusgläubigen ab: In „den prinzipiellen Abweisungs-, Verwerfungs- und Diffamierungsversuchen, von denen man sich auf beiden Seiten einen Argumentationsvorsprung bzw. eine indirekte Selbststabilisierung erhoffte, verbirgt sich das Problem.“31 Im Vergleich zum früheren Markusevangelium verschärft das Matthäusevangelium den Konflikt Jesu mit anderen jüdischen Gruppierungen wie Pharisäern und Schriftgelehrten (vgl. Mt 23,1–39), ja mit dem jüdischen Volk (vgl. Mt 23,34–39). Der Konflikt kulminiert in der Passionsgeschichte, wenn der Evangelist das „ganze Volk“ rufen lässt: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ (27,25) Diese historisch äußerst unwahrscheinliche und fälschlicherweise oft sogenannte „Selbstverfluchung“ des Volkes Israel wurde zu einer der folgenreichsten Aussagen des Neuen Testaments, weil sie jahrhundertelang der Rechtfertigung zur Ausübung von Gewalt gegen die Juden diente. Pontius Pilatus und Herodes werden in den Evangelien zunehmend entlastet von der juristischen Schuld des Todes an Jesus Christus, die Juden bzw. das Volk Israel dagegen immer mehr als Hauptakteure inszeniert. Noch einmal zugespitzt wird die Konfrontation im Johannesevangelium: Hier wird gar nicht mehr zwischen verschiedenen jüdischen Gruppierungen unterschieden, sondern nur noch pauschal von „den Juden“ gesprochen, die Jesus von Anfang an feindselig gegenübergestanden seien und auf dessen Tod gedrungen hätten. Einen dramatischen Höhepunkt stellt dabei das Streitgespräch Jesu mit Juden im Tempel dar, die offenbar zu seinem Jüngerkreis gehörten: „Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben; denn von Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum versteht ihr nicht, was ich sage? Weil ihr nicht imstande seid, mein Wort zu hören. Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt, denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge“ (Joh 8,42ff). Die Gegner Jesu werden hier von ihm nicht nur als Ungläubige, Lügner und Verstockte, sondern als Kinder des Teufels (wörtlich: „ihr seid aus dem Teufel als dem Vater“) und als Mörder verurteilt. Auch diese Darstellung, die auf einen Dualismus von „Licht und Finsternis, Leben und Tod, Glaube und Unglaube, Gott und Teufel“32 hinausläuft, nimmt mit ziemlicher Sicherheit nicht auf eine historische Szene Bezug, sondern ist auf die schwierige Situation der mehrheitlich judenchristlich geprägten johanneischen Gemeinde zurückzuführen, die unter anderem den Ausschluss aus der jüdischen Gemeinde und Umwelt erleben musste. Die Offenbarung des Johannes – die nicht vom Evangelisten, sondern von einem anderen judenchristlichen Autor 31 32

Weinrich, Antisemitismus, 36f. Grässer, Juden, 166.

1.2 Religionen im Neuen Testament

27

stammt – benutzt wiederholt den Ausdruck „Synagoge des Satans“ (Offb 2,9; 3,9) und spricht den nicht an Christus glaubenden Juden ab, wahre Juden zu sein. Die Aussage im Hebräerbrief „Er hebt das Erste auf, um das Zweite in Kraft zu setzen“ (vgl. Hebr 10,9) wurde in der späteren Auslegung zur Begründung der Substitutionstheorie herangezogen, wonach der neue Bund in Christus den alten (mosaischen) Bund ersetzt habe. Die Stellen der neutestamentlichen Schriften, die eine antijüdische Wirkungsund Rezeptionsgeschichte hatten, sind in den meisten Fällen noch als innerjüdische Polemik, als unerbittlicher, tragischer Familienkonflikt zu interpretieren, was in der Schärfe für das damalige Judentum nicht ungewöhnlich war, wie die alttestamentlichen Schelt- und Verwerfungsreden vor allem der Propheten oder die Polemik der Qumrangemeinde und anderer apokalyptischer Gruppen zeigen. Man kann folglich auf der Ebene des Neuen Testaments noch kaum von einem „Antijudaismus“ sprechen. Problematisch wurde die Existenz solcher Aussagen erst, als sie nach der Trennung beider Wege von (Heiden-)Christen gegen das Judentum und die Juden generell angewandt, selektiv und kontextlos zu einer antijüdischen Theologie verschmolzen worden sind. So wurden „die Juden“ im Nachhinein zu Feinden Jesu und der Christen stilisiert und Jesus in einen Gegensatz zum Judentum gestellt. „Auch wo sich die Negativfolien neutestamentlicher Texte gar nicht auf das reale Judentum beziehen, fungiert dieses doch als Projektionsfläche. Genau dieses Absehen von jeglicher empirischen Realität ist aber auch ein klares Merkmal der Judenfeindschaft überhaupt.“33 Es bedarf deshalb einer kritischen Aufarbeitung der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte dieser Texte. Man kann diese aus heutiger Sicht problematischen Stellen nicht aus dem biblischen Kanon streichen, aber man muss sie einer Relativierung und Kritik unterziehen und vor allem ihre antijüdische Auslegungsgeschichte überwinden: Zum einen textimmanent, in dem man sie in das Gesamt des biblischen Zeugnisses über Israel einordnet, das eindeutig die bleibende heilsgeschichtliche Bedeutung Israels betont (vgl. Röm 9–11; Joh 4,22). Vor allem Paulus entwickelt eine reflektierte Israeltheologie, die „nicht nur – wie alle neutestamentlichen Schriften – die Verwurzelung des Christusevangeliums im alttestamentlichen Offenbarungsgeschehen bejaht, sondern auch einen positiven Begriff des zeitgenössischen Judentums findet und die Perspektive der Hoffnung auf eschatologische Gemeinschaft im Angesicht Gottes eröffnet.“34 Zum anderen müssen die wirkungsgeschichtlich problematischen Stellen zeitgeschichtlich relativiert werden, indem man sie aus ihrem Kontext des wechselseitigen, für beide Seiten schmerzhaften Ablösungsprozesses von rabbinischem Judentum und frühem Christentum heraus zu erklären und zu verstehen versucht. Schließlich muss man die polemischen Stellen der Bibel einer normativen Sachkritik unterziehen: Polemik, Entwürdigung, Verzerrung, Gewalt kann niemals Gottes Wort und Wille sein. Deshalb muss die Wirkungsgeschichte einer antijüdischen Auslegung der Schrift kritisch aufgearbeitet und überwunden werden. 33 34

Vollenweider, Antijudaismus, 50. Söding, Wurzel, 64f.

28

1 Biblische Grundlagen

Didaktische Anregungen: 1.

In der Bibel sind sowohl Aussagen zu finden, die anderen Religionen oder Glaubensweisen gegenüber eine exkludierend-abgrenzende Haltung einnehmen, wie auch solche, die inkludierend-anerkennend sind. Die Schüler*innen suchen diese unter Vorgabe bestimmter Schriften heraus, vergleichen diese miteinander und kontextualisieren sie. Sie diskutieren, ob und wie man diese Aussagen heute auf existierende Religionen anwenden kann.

2.

Zum Teil wird in der christlichen Verkündigung bis heute Jesus und seine Bewegung in einen Gegensatz zum damaligen Judentum gestellt. Dies fördert eine judenfeindliche Auslegung des Neuen Testaments. Stattdessen ist darauf zu achten, dass Jesus mit all seinen Taten und Botschaften im Rahmen des damaligen, vielfältigen Judentums gesehen wird. Konflikte zwischen Jesus und einigen Vertretern des damaligen Judentums sind als innerjüdischer Streit um die richtige Auslegung der Tora zu interpretieren. Die Grundregel des Rabbi Jehoschua ben Perachja (um 100 v.Chr.) „Beurteile jeden Menschen zu seinem Vorteil“ kann bei der Auslegung der Evangelien hilfreich sein.35 Die Schüler*innen tragen zusammen, was Jesus als Juden ausmacht.

3.

An vielen Orten wie in Oberammergau werden seit Jahrhunderten Passionsspiele abgehalten, bei denen Leben, Leiden und Sterben Jesu nachgespielt werden. Lange Zeit waren diese Spiele antijüdisch geprägt. Die Schüler*innen sollen am Beispiel der Oberammergauer Passionsspiele recherchieren, wie man sich in den letzten Jahrzehnten kritisch mit dieser Tradition auseinandergesetzt hat, und diskutieren, wie eine Darstellung der Passion Jesu aussehen muss, damit sie nicht judenfeindlich wird.

Literatur zum Weiterlesen: Rainer Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium …“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn u. a. 22003. Paul Petzel/Norbert Reck (Hg.), Von Abba bis Zorn Gottes: Irrtümer aufklären – das Judentum verstehen, Freiburg i.Br. 2017.

35

Vgl. Lohrbächer, Judentum, 88f. Weitere didaktische Anregungen und Materialien für den Unterricht ebd. 107–204.

2

Geschichtliche Entwicklungen: Gott und die Religionen im Zeugnis der Kirchen

Nach dem kurzen biblischen Überblick sollen im Folgenden wichtige Stationen, Entwicklungen und Positionen des Verhältnisses der Kirche zum Judentum und zu den anderen Religionen skizziert werden.

2.1

Die Religionen in der Theologie der Kirchenväter

2.1.1

Beginn des christlichen Antijudaismus

Sind schon die neutestamentlichen Schriften ein Zeugnis des schmerzhaften Ablösungs- und Trennungsprozesses zwischen dem frühen Christentum und dem entstehenden rabbinischen Judentum, so verstärkt sich in der Zeit der frühen christlichen Theologen und Kirchenväter die wechselseitige Abgrenzung. Dabei verquickten sich theologische, psychologische, gesellschaftliche und politische Faktoren: Das Judentum war im Römischen Reich eine zumindest tolerierte Religion mit gewissen Privilegien, die neue Religion der Christen dagegen galt als Gefahr für den offiziellen Staatskult und wurde bestenfalls geduldet, nicht selten heftig verfolgt. Den Christen werden im Reich Unzucht, asoziales Verhalten, sogar Ritualmord, Schuld an jedem Unheil vorgeworfen: „Man erkennt ohne Mühe manche der Argumente wieder, die tausend Jahre später – und von da ab während vieler Jahrhunderte – von den Christen den Juden entgegengehalten wurden.“36 Um nicht in diesen Strudel zu geraten, grenzte sich das Judentum von den Christen ab. Im Zuge des Bar-Kochba-Aufstandes (132–135) kam es auch zu Verfolgungen der Christen durch die Juden. Umgekehrt gaben sich unter dem Verfolgungsdruck immer wieder Christen nach außen als Juden aus oder konvertierten gar. Auf die Angriffe von jüdischer Seite und das „Judaisieren“ mancher Christen reagierten christliche Theologen wiederum mit einer scharfen theologischen Abgrenzung vom Judentum. Es entwickelte sich eine in Inhalt und Form ausgesprochen po36

Blumenkranz, Patristik, 85.

30

2 Geschichtliche Entwicklungen

lemische Literaturgattung „gegen die Juden“ (Adversus Judaeos), die immer aggressivere Züge annahm: „Adressaten sind ganz überwiegend Christen, die mit der jüdischen Religion und ihren Bräuchen sympathisieren und die jüdischer religiöser Überredung, Werbung und Mission ausgesetzt sind. Ziel der Schriften ist es, die Christen davon zurückzuhalten, sich von Juden bekehren zu lassen. … Die Methode der Argumentation ist der Schriftbeweis.“37 Es ging einerseits also um Widerlegung der Juden, andererseits um die Vergewisserung des eigenen, noch jungen und ungefestigten christlichen Glaubens. Noch mindestens bis ins 4. Jahrhundert hinein scheint das Judentum besonders mit seinen Festen auf nicht wenige Christen Faszination ausgeübt und es auch eine aktive Proselytenwerbung der Juden unter den Christen gegeben zu haben. Die Religionsgrenzen waren noch nicht überall eindeutig und endgültig gezogen, die Übergänge vielerorts noch lange fließend.38 Besonders die Tatsache, dass das Judentum sich mehrheitlich nicht der christlichen Interpretation des überlieferten Glaubens und des Jesusereignisses anschließen wollte und dennoch weiterexistierte, trug zu einer massiven Verunsicherung vieler Christen bei: „Immer neue Theologengenerationen versuchten deshalb die christlichen Gläubigen gegen potentielle oder tatsächliche judaisierende Glaubenszweifel apologetisch zu wappnen und widmeten sich so der Abfassung von Texten und Disputationen, in denen dem jüdischen Dialogpartner meist nur noch die Rolle eines willfährigen Stichwortgebers für den Christen zukam, der wie auf einer Schnur die herkömmlichen Schriftbeweise gegen die Juden aufreihte. Die Kontroverse nahm deshalb schon früh irreale Züge an und erstarrte so vielfach zum Scheingefecht gegen eine ‚Strohpuppe’ und zur ‚Scheinpolemik’“.39 Das älteste christliche judenfeindliche Dokument ist wohl der um 130 in Alexandrien verfasste Barnabasbrief, der Israel in scharfer Polemik abspricht, überhaupt jemals Gottes Bundesvolk gewesen zu sein. Beeinflusst davon schreibt Justin der Märtyrer († um 165) seine antijüdische Apologetik „Dialog mit dem Juden Tryphon“, die schon kein wirklicher Dialog mehr ist: „Justinos ist der erste christliche Autor von Rang, bei dem die Juden in umfassender Weise als Feinde Christi und der Christen aufgefasst sind.“40 Die heiligen Schriften des Volkes Israel werden dem Judentum immer mehr entrissen und christlich vereinnahmt. Bei Justin ist bereits die „Substitutionstheorie“ zu finden, wonach der Bund Gottes mit dem Volk Israel aufgehört hat zu existieren und an dessen Stelle der neue Bund und die Kirche getreten sind. Die gesamte Geschichte Israels wird zur bloßen Vorgeschichte (Verheißung) der in Christus beginnenden Heilsgeschichte (Erfüllung), die Juden werden – zunächst nur theologisch – den Christen untergeordnet. Die Übersteigerung dieser Auffassungen führt bei Markion († um 160) zu der Behauptung, der Gott des Alten Testaments sei nicht der Gott Jesu und des Neuen Testaments. Zwar hat die Kirche diese Irrlehre, die ein Christentum frei von jüdischen Elementen wollte, glücklicher37 38 39 40

George, Antijudaismus, 78. Vgl. Boyarin, Abgrenzungen; Yuval, Völker. Schreckenberg, Adversus-Judaeos-Texte, 16. Ebd. 186.

2.1 Die Religionen in der Theologie der Kirchenväter

31

weise verurteilt, doch die Wirkungen dieser antijüdischen Theologie werden in der Geschichte bis weit in die Gegenwart hinein immer wieder zu spüren sein. Bei Bischof Meliton von Sardes († um 180) taucht dann erstmals der Vorwurf an die Juden auf, mit Jesus Christus Gott selbst getötet zu haben, eindeutig der folgenreichste Kern des christlichen Antijudaismus bis ins 20. Jahrhundert, weil er nicht nur von einer Kollektivschuld, sondern gar von einer Erbschuld der Juden ausging und die Juden einfach zum Sündenbock schlechthin für alles machte: „Die Anklage des Gottesmordes, dazu noch in Verbindung mit dem Kollektivschuldvorwurf, trug wesentlich dazu bei, aus dem jüdisch-christlichen Nebeneinander immer mehr ein feindliches Gegeneinander werden zu lassen.“41 Auch Origenes († um 253) erhob den Vorwurf der Kollektivschuld der Juden und vertrat die These, wonach die Kirche an die Stelle des Volkes Israel getreten sei. Die Juden werden zu gefährlichen Feinden Jesu und der Christen stilisiert, sie werden mit Judas, dem Verräter identifiziert und immer mehr als Gefährten des Teufels dämonisiert. Der Kirchenlehrer Ephrem der Syrer († um 373) warnt eindringlich vor den blutrünstigen Juden, die den Christen nach dem Leben trachten würden. Bei ihm begegnet bereits die im Mittelalter dann verheerend sich auswirkende Vorstellung, wonach das Blut Christi in die Speisen der Juden gemischt sei. Die Juden werden gar dehumanisiert und als „Schweine“ bezeichnet: „Theologischer Antijudaismus, der mit Schriftverdrehungen operiert und die Grenze legitimer Apologetik überschreitet, mischt sich da mit profanem Judenhass zu einer brisanten Mischung. Die Frage muss gestellt werden, ob solche Aussagen nicht schon zum Vorfeld des neuzeitlichen Antisemitismus gehören.“42 Heute würde man dies „Hate-Speech“ nennen und diese Beispiele waren keineswegs die Ausnahme wie die Sammlung von Schreckenberg zeigt. Verbale Aggression aber ist meist der Vorläufer physischer Gewalt, zu der es Ende des vierten Jahrhunderts tatsächlich kam: Ambrosius von Mailand (um 339–397), Kirchenvater und -lehrer, verteidigte die blindwütige Zerstörung einer Synagoge am Euphrat im Jahre 388 durch einen christlichen Mob mit den Worten, die Synagoge sei eine „Stätte des Unglaubens, diese Wohnung der Gottlosigkeit, dieser Schlupfwinkel tollen Wahnsinns, der von Gott selbst verdammt wurde“43 und übernahm persönlich die Verantwortung für die Zerstörung. Hier wurde erstmals durch einen hochrangigen Theologen und Kirchenmann Gewalt gegen Juden – die er als Ungläubige (perfides) bezeichnet, die „ausgerottet“ werden müssten – theologisch gerechtfertigt. Man kann diese Verbalinjurien nur dadurch erklären, dass sich die christlichen Gemeinden zu dieser Zeit durch eine hohe Anziehungskraft des Judentums gefährdet sahen. „Da äußert sich in der Tat blanker Hass und die Polarisierung von Christentum und Judentum erreicht einen Grad, der kaum noch steigerungsfähig erscheint.“44 Es vermischt und verdichtet sich ein christlich motivierter, theologisch 41 42 43 44

Ebd. 203. Ebd. 288. Zit. ebd. 305. Ebd. 327.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

begründeter Antijudaismus mit profaner vor- und außerchristlicher Judenfeindschaft zu einem System und bereitet den Weg für die mittelalterlichen Pogrome über die Judenfeindschaft Martin Luthers bis zum Antisemitismus der Neuzeit. „Die pastorale Sorge um das Judaisieren der Christen äußert sich so, dass ein Klima gefördert wird, in dem Synagogenverbrennungen möglich waren, das andererseits aber auch der Antisemitismus der Neuzeit hier eine bequeme Rechtfertigung seiner Verjudungshysterie finden konnte, ein Antisemitismus, der vom Juden als ‚Schädling‘ sprach, der ‚unser Unglück‘ ist.“45 Differenzierter waren die Aussagen von Augustinus (354–430): Er wandte sich gegen die Gottesmordthese, machte aber doch die Juden kollektiv für den Tod Jesu verantwortlich. In den Juden sah er „Feinde Christi“ und blinde Bücherträger, die den Christen die Heilige Schrift übergaben, ohne selbst deren richtigen Sinn zu erkennen – das spätere mittelalterliche Bild von der blinden Synagoge und der triumphierenden Kirche in der kirchlichen Kunst hat hier seine Wurzeln. Kennzeichnend ist dabei auch ein typologisches Schema, das dem Alten Testament keinen Eigenwert zugestehen kann: „Im Alten Bund ist der Neue wie in einem vorausgeworfenen Schatten vorgebildet. Was ist nämlich der Bund, den man den Alten nennt, anders als eine Verschleierung des Neuen? Und was ist der Bund, den man den Neuen nennt, anders als eine Entschleierung des Alten.“46 Augustinus anerkennt, dass die Juden „zum einen und allmächtigen Gott“ beten und doch seien sie „im alten Menschen stecken geblieben.“47 Die Kirche sah er als das „wahre Israel“, die Verstockung und Zerstreuung der Juden als sinnvolle Fügung Gottes zur Ausbreitung des Christentums – eine Idee, die sich ebenfalls bis in die Theologie des 20. Jahrhunderts einpflanzen wird. Es war eine mögliche Antwort auf die Weiterexistenz des nachchristlichen Judentums: Es sollte gleichsam als Negativfolie die Wahrheit des Christentums bezeugen und durfte schon allein deshalb nicht beseitigt werden. Die Juden wurden geduldet in der Hoffnung, dass sie sich eines Tages bekehren würden. Darauf wird sich die kirchliche Judenpolitik ab dem Hochmittelalter mit ihrem Konzept der „doppelten Schutzherrschaft“ stützen. Im Psalmenkommentar des römischen Senators und christlichen Gelehrten Cassiodor (um 485−580) wird den Juden ein breites Spektrum negativer Eigenschaften zugeschrieben, die zum Teil bis in die Gegenwart hinein die stereotype Wahrnehmung der Juden prägt und sich zu einem verhängnisvollen Gesamtbild verdichtet: Untreue, Unglaube, Starrsinn, Verschlagenheit, Hochmut, Unfreundlichkeit, Neid usw.48 Auch das kirchliche Lehramt erließ ab dem 4. Jh. Anweisungen, die auf soziale Segregation und die Unterordnung der Juden zielten, und diese gehen nicht nur in die Kirchengesetzgebung, sondern dann auch ins zivile Recht des römischen Reiches ein, nachdem das Christentum Staatsreligion wurde.

45 46 47 48

Ebd. 328. Augustinus, De civitate dei, 16,26, zit. nach Schreckenberg, Adversus-Judaeos-Texte, 356. Augustinus, De vera religione, V.8,28. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, Bd., 2, 433.

2.1 Die Religionen in der Theologie der Kirchenväter

33

Fazit Natürlich war das Beziehungsgeflecht zwischen Juden und Christen in den ersten Jahrhunderten und auch später komplexer, als allein die Adversos-Judaeos-Texte und die kirchliche Gesetzgebung nahelegen: Rhetorik und Realität sind zu unterscheiden, neben Konfrontation gab es immer auch friedliche Koexistenz und wechselseitige Beeinflussungen. Hier ging es eher darum, die Grundlagen für die christliche Judenfeindschaft späterer Jahrhunderte zu erhellen. Der Antijudaismus erscheint nicht einfach nur als ein bedauerlicher Seitenstrang der sich ausbildenden christlichen Theologie, Lehre und Praxis, sondern geradezu als Konstitutivum der christlichen Identität. Die Gründe für die Ausbildung einer judenfeindlichen Theologie und Einstellung in den ersten Jahrhunderten sind vielfältig: Das junge Christentum musste sich von der Mutterreligion abnabeln („parting of the ways“)49, konkurrierte mit dieser in der Missionstätigkeit unter den Nichtjuden, wurde politisch oft heftig verfolgt und musste sich auch noch mit zahllosen inneren Häresien auseinandersetzen. Die Adversus-Judaeos-Literatur war eine „heillose Art der Kirchenväter, Theologie zu treiben“50, für die es historische und psychologische Erklärungen, aber letztlich weder theologisch noch moralisch eine Rechtfertigung geben kann: „Der hässliche, auch boshafte Antijudaismus der Kirchenväter war nicht unabdingbar. Er war Resultat kontingenter, freier, sehr problematischer Entscheidungen der Kirchenväter in ihrem Kampf für die Einheit der Kirche … unheilvoll ist dieser Antijudaismus, weil er in die grundsätzliche Verdammung des jüdischen Gegenübers mündete, weil er sich von den konkreten historischen Konflikten, die ihn auslösten, verselbständigte, und weil die Verfasser, Hörer und Leser der Polemiken die Fähigkeit verloren, zwischen Judentum als Ganzem und einzelnen Juden sowie zwischen vergangenem, gegenwärtigem und zukünftigem Judentum zu unterscheiden.“51 Nur auf dem Hintergrund dieser Verhärtungen von frühester Zeit an ist der langwierige und schwierige Prozess der Umkehr der Kirchen und christlichen Theologien im 20. Jahrhundert nachzuvollziehen.

Literatur: Karl Heinrich Rengstorf/Siegfried von Kortzfleisch (Hg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen, 2 Bde., Stuttgart 1968.

49 50 51

Vgl. Boyarin, Abgrenzungen. George, Antijudaismus, 84. Ebd. 92.

34

2 Geschichtliche Entwicklungen

2.1.2

Das Verhältnis zu den außerbiblischen Religionen: „Außerhalb der Kirche kein Heil“

Das frühe Christentum sah sich neben dem Mutterboden der Religion des Volkes Israel vor allem den griechisch-römischen Mysterienkulten und dem Kaiserkult gegenüber. Die Kirchenväter lehnten diese Kulte als heidnischen Götzendienst rundweg ab. Positiver standen sie dagegen bestimmten Richtungen der griechischen Philosophie, vor allem dem (Neu-)Platonismus und der Stoa, gegenüber. Die frühchristlichen Apologeten waren gezwungen, den christlichen Glauben gegen Angriffe von außen zu verteidigen und als vernunftgemäß zu erweisen.52 Die Tatsache, dass auch die Philosophen unabhängig von Religion zur Erkenntnis eines letzten Prinzips und grundlegender ethischer Gebote und Tugenden kamen, die dem christlichen Glauben nicht unähnlich waren, führte bei Theologen wie Justin dem Märtyrer († 165) unter gleichzeitigem Rückgriff auf die stoisch-platonische Logosphilosophie und den Prolog des JohEv zur Entfaltung einer Logostheologie: Demnach ist der göttliche Logos-Samen (lógos spermatikós) unter alle Menschen zu allen Zeiten schöpfungsmäßig in Form der Vernunft in unterschiedlichen Formen und Graden ausgesät und gegenwärtig, vollständig und endgültig aber in der Fleischwerdung Jesu Christi. Wer seine Vernunft benutzt, kann im Einklang mit dem göttlichen Willen leben und deshalb nach Justin sogar wirklicher Christ genannt werden – ein erster Ansatz eines anonymen Christentums und vielleicht auch einer religionskritischen Aufklärung. Der Inklusivismus ist letztlich die Folge einer Theodizee, also einer Rechtfertigung Gottes: „Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder sorgt der Herr nicht für alle Menschen – was ein Zeichen von Unfähigkeit wäre (aber das dürfen wir nicht sagen, denn Unfähigkeit ist eine Schwäche), oder wir sind alle von ihm bedacht, was man von ihm als Vater auch erwartet. Da er nicht nur den einen oder anderen erlöst, sondern jeden, verteilt er seine Gaben sowohl an die Griechen und an die Barbaren und auch an die Gläubigen und die Auserwählten …“53. Klemens von Alexandrien (um 150–220) ging von einer universalen „Heilsgeschichte“ und „Heilspädagogik“ Gottes aus. Die Logosstruktur der Schöpfung und die geschichtliche Fleischwerdung des Wortes Gottes in Jesus Christus werden im Sinne von „Vorbereitung“ (propaideia) und „Erfüllung“ miteinander in Bezug gesetzt: „Der menschgewordene logos wird wegen seiner Raum-Zeit-Gebundenheit zum Unterscheidungskriterium gegenüber anderen Denk- und Glaubensformen, aber der ewige logos als Schöpfungsmittler konstituiert wegen seiner Universalität eine grundlegende Gemeinsamkeit mit den heidnischen geistigen Traditionen.“54 Die Christologie wird dadurch kosmologisch ausgeweitet und auf diese Weise prinzipiell inklusiv, was eine scharfe Kritik an den heidnischen Religionen nicht verhinderte. Klemens von Alexandrien war wohl der erste christliche Theologe, der in diesem Zusammenhang auch 52 53 54

Vgl. Dierk, Gott und die Kirchen, 39f. Klemens von Alexandrien, Stromata II, 6. Repp, Gott, 89.

2.1 Die Religionen in der Theologie der Kirchenväter

35

auf die indischen Brahmanen und auf Buddha zu sprechen kam und bei ihnen positive Elemente sah (vgl. Stromata I, 15). Tertullian (um 150–220) nahm eine „anima naturaliter christiana“, eine „naturhaft christliche Seele“ an. Eusebius von Caesarea († um 340) sprach vom universalen Wirken des Heiligen Geistes, der die heidnischen Völker auf das Evangelium vorbereite („praeparatio evangelii“). Allerdings führten diese Ansätze lediglich zu einer positiven Rezeption heidnischer Philosophie, die heidnischen religiösen Kulte dagegen wurden rundweg als Götzendienst abgelehnt. Einen anderen Ansatz als die Logostheologie wählte Augustinus (354–430). Für ihn war der fromme Glaube an den einen Schöpfergott entscheidendes Kriterium: „Den Zugang zu einem guten und glückseligen Leben eröffnet allein die wahre Gottesverehrung [vera religione], welche nur einen Gott verehrt und mit geläuterter Frömmigkeit als Ursprung aller Wesen erkennt, als den, der das Weltall anfänglich setzt, es vollendet und umfasst.“55 Diese vera religio ist einerseits universal seit Anbeginn der Schöpfung, andererseits konkret-geschichtlich in der christlich genannten Religion und katholischen Kirche mit dem Glauben an den dreieinigen Gott realisiert, dem sichersten und gewissesten Weg zum Heil.56 Augustinus sprach von einer Ecclesia ab Abel, von einer Kirche der Heiligen (ecclesia sanctorum) von Menschheitsbeginn an: „Gott hat nicht aufgehört, sich prophetisch anzukündigen, bald dunkler, bald klarer, wie es ihm den Zeiten angemessen erschien. Und ebenso wenig hat es an Menschen gefehlt, die, ehe er im Fleische erschienen ist, an ihn glaubten von Adam bis Mose, im Volke Israel … wie in anderen Völkern. Denn wenn in den heiligen Büchern der Hebräer einige schon von den Zeiten Abrahams an erwähnt werden, die weder zu dessen leiblichen Nachkommen noch zum Volke Israel noch zu den Proselyten der israelitischen Volksgemeinde gehörten und gleichwohl dieses Heilsgeheimnisses teilhaftig waren, warum sollen wir nicht glauben, dass in den übrigen Heidenvölkern, nah und fern, andere dieser Art gewesen sind? … So hat das Heil dieser Religion, die allein wahr ist, und das wahre Heil verheißt, niemals einem Menschen gefehlt, der seiner würdig war.“57 Auch die nichtjüdischen Völker haben also ihre Propheten gehabt, Propheten Christi, und einen impliziten Glauben an Christus, ohne dass es ihnen selbst bewusst war. Dies ermöglichte eine zumindest teilweise Anerkennung oder positive Wertschätzung der vorbiblischen bzw. vorchristlichen Religions- und Geistesgeschichte und deren Einordnung in eine umfassende Schöpfungs- und Heilsgeschichte, die ihren Grund, ihr Zentrum und ihre Fülle in Christus hat. In Bezug auf die Menschen nach Christus allerdings sieht Augustinus einzig und allein die Taufe und Zugehörigkeit zur Kirche als Heilsweg. Bei manchen Kirchenvätern (etwa Ambrosius) ist die sog. Votum-Lehre zu finden, wonach der vor der Taufe sterbende Katechumene, der sich also taufen lassen 55 56 57

Augustinus, De vera religione, I.1,1 (frei nach der Übersetzung von Thimme). „Religio“ ist hier im Sinne der Gottesverehrung, nicht im modernen Sinne eines religiösen Systems zu verstehen. Vgl. De vera religione, X.19,55. Zit. nach König, Christentum, 738.

36

2 Geschichtliche Entwicklungen

wollte („Begierdetaufe“), das Heil erlangen könne. Das Trienter Konzil (1545–1563) bestätigte diese Lehre. Außerdem begegnet der Gedanke, wonach sich der göttliche Logos im Akt der Menschwerdung mit jedem Menschen verbunden hat. Später, nach der Entdeckung neuer Kontinente, wird das Konzept des impliziten Verlangens nach dem Heil durch Theologen wie Domingo Soto (1495–1563) auch auf Angehörige nachchristlicher Völker angewandt, die von Christus noch nicht gehört hatten. Kontroverstheologen wie die Jesuiten Robert Bellarmin (1542–1621), Francisco Suarez (1548– 1619) oder Juan de Lugo (1583–1660) sprechen von der Kirchenzugehörigkeit oder der Taufe dem Verlangen nach, also einem „impliziten Glauben“ an Christus, der das ewige Heil eröffnet. All diese inklusiven Momente und Stränge, die Christologie und Schöpfungslehre, Soteriologie und Kosmologie aufeinander bezogen und auf diese Weise universales göttliches Heilswirken annehmen konnten, entfalten jedoch in der westkirchlichen Lehrentwicklung des Mittelalters und der Neuzeit einschließlich der reformatorischen Theologie keine positive Wirkung gegenüber nichtbiblischen Religionen. Vielmehr wurden die exklusivistischen Ansätze vorherrschend, was sicherlich auch dem zunehmend pessimistischen Menschenbild („Erbsündenlehre“) Augustins geschuldet war, sodass man mit Karl Rahner von einem „augustinischen Heilspessimismus“ sprechen kann: Die Menschheit ist demnach eine „massa damnata“, eine zum Unheil verdammte Menge, aus der aus reiner Gnade einige gerettet werden – Gottes Heilswille ist nicht universal. Bereits bei Ignatius von Antiochien († um 117), Irenäus von Lyon, Origenes (185–254) und am deutlichsten bei Cyprian von Karthago (200–258) ist ein Exklusivismus zu finden, der – oft Bezug nehmend auf das neutestamentliche Bild von der Arche Noah in 1 Petr 3,20 – das Heil an die Zugehörigkeit zur wahren Kirche bindet („Extra ecclesiam salus non est“) und Theologen wie der späte Augustinus und die gesamte mittelalterliche Scholastik werden ihnen darin folgen. Aus dem Kontext dieser Textzeugnisse wird deutlich, dass sie kein Urteil über Angehörige nichtchristlicher Religionen machen wollten, sondern primär gegen schuldhafte innerkirchliche Spaltungstendenzen gerichtet waren – sie hatten paränetischen, ermahnenden Zweck. Henri de Lubac kam in seinen Studien der Kirchenväter zu dem Schluss: Dass „die Gnade Christi außerhalb der sichtbaren Kirche, ihrer Lehre und ihrer Sakramente wirksam sei, ist eine Wahrheit, die von jeher feststand, auch wenn sie zuweilen bedauerlich verdunkelt wurde. Aber das berühmte Axiom ‚außer der Kirche kein Heil‘ hatte bei den Kirchenvätern ursprünglich nicht den allgemeinen Sinn, den viele sich heute einbilden; es hatte in ganz konkreten Situationen jene Schuldigen im Auge, die ein Schisma, einen Aufruhr, einen Verrat an der Kirche auf dem Gewissen hatten.“58 Erst nachdem das Christentum zur herrschenden Staatsreligion wurde, also Ende des 4. Jahrhunderts, wurde die Extra-Formel auch auf Nichtchristen, also Juden und „Heiden“, angewandt. Man ging nun davon aus, dass jeder Mensch der damals bekannten Welt von Christus gehört haben musste – wer also nicht zur Kirche gehörte, musste schuldhaft verloren sein. Alle Ansätze, die ein Heil einzelner vor Chris58

Lubac, Geheimnis, 151.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

37

tus zu begründen versuchten, waren in Bezug auf die Menschen nach Christus obsolet. In seiner wörtlichen Auslegung führte das Extra-Axiom leicht zu Rigorismus und Fanatismus.

2.2

Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

2.2.1

Zwischen Duldung und Verfolgung der Juden: Das kirchliche Konzept der „doppelten Schutzherrschaft“

Nachdem das Christentum 381 Staatsreligion im Römischen Reich wurde, verschlechterte sich allmählich die rechtliche Situation der Juden sowohl in der Reichswie in der Kirchengesetzgebung. Juden wurden vielerorts nur widerwillig geduldet, „Perioden einer relativen Toleranz wechselten mit Perioden der Verfolgung und Vertreibung.“59 Eine Duldung der Juden christlicherseits erfolgte letztlich jedoch unter der „Hoffnung auf deren Bekehrung“.60 Zu einem folgenschweren Einschnitt kam es im 11. Jahrhundert: Nachdem 1007 der Fatimidenkalif al-Hakim die Grabeskirche in Jerusalem zerstören ließ, wendete sich der Zorn der Christen in Europa gegen die Juden und es kam zu ersten Verfolgungen – „ein klarer Auftakt der Kreuzzugsbewegung und der damit verbundenen Judenhetze.“61 Der Erste Kreuzzug 1096, zu dem Papst Urban II. aufgerufen hatte, bedeutete einen neuen Höhepunkt der antijüdischen Aggression und endete in einem Massenmord an Juden im Rheinland: „Die entscheidende Änderung in der Lage der Juden vom ersten Kreuzzug an ist nicht ein Produkt der von den Mördern geübten sadistischen Phantasie, sie ist nicht eine Folge der Tausende an unmittelbaren Opfern: sie ist ein Produkt und eine Folge der damals einsetzenden gesellschaftlichen Isolierung der Juden. Nach Generationen und Jahrhunderten friedlichen Zusammenlebens waren Juden plötzlich zu Fremden gestempelt worden.“62 Der berühmte Abt Petrus Venerabilis von Cluny (1092–1156) bezweifelte in seiner polemischen Schrift Tractatus contra Iudaeos gar, dass Juden überhaupt Menschen seien, da ihnen die Vernunft fehle. Freilich gab es auch Stimmen wie Bernhard von Clairvaux, die vehement gegen die Verfolgung der Juden eintraten. Mitte des 12. Jahrhunderts tauchte ein neues Phänomen der Judenfeindschaft auf, an dem Petrus Venerabilis, und Papst Gregor IX. nicht unschuldig waren: die Verdächtigung und Beschimpfung des Talmuds, die dann zu ersten Talmudverbrennungen wie 1242 in Paris führten. Im 13. Jahrhundert kam es vielerorts zu sog. Zwangsdisputationen (1240 Paris, 1263 Barcelona, 1413–1414 Tortosa), bei denen der jüdische Glaube als falsch erwiesen werden sollte. Im 15./16. Jahrhundert kam es 59 60 61 62

Eckert, Antisemitismus, 137. Goetz, Wahrnehmung, Bd. 2, 443. Blumenkranz, Patristik, 113. Ebd. 118.

38

2 Geschichtliche Entwicklungen

wiederholt zu Talmudverurteilungen und -verbrennungen durch die Päpste, der Talmud wurde auf die Liste der indizierten Bücher gesetzt. Eine neue, aber fürchterliche Dimension der Judenfeindschaft brachten die sich ab Mitte des 12. Jahrhunderts häufenden Ritualmord- und Hostienschändungslegenden: Die Juden werden erstmals 1144 im englischen Norwich beschuldigt, christliche Kinder für rituelle Zwecke zu ermorden. Es kommt zu blutigen Ausschreitungen gegen die Juden noch bevor die Justiz eingreifen kann. Von dort sprang die Legende nach Frankreich und Deutschland über. Der hetzerische Vorwurf, die Juden würden geweihte Hostien stehlen, um Christus stets aufs Neue zu malträtieren, kam im 13. Jahrhundert auf, erreichte im 14. und 15. Jahrhundert seinen Höhepunkt und blieb an manchen Orten bis in die jüngste Gegenwart Teil katholischer Frömmigkeit. Dazu gesellte sich in Zeiten der Pest der Vorwurf der Brunnenvergiftung. Es kam immer wieder zu Vertreibungen und Massenmorden an Juden in ganz Europa. Zwar haben sich die Päpste wie Innozenz III. wiederholt gegen den Ritualmordvorwurf gewandt, weil man um die Unsinnigkeit des Vorwurfs wusste, doch ihr Einschreiten in konkreten Fällen der Beschuldigung war vielfach halbherzig oder ungenügend, wie das Beispiel der Trienter Juden im Jahr 1475 zeigt: Mehrere Juden wurden zu Unrecht hingerichtet und Papst Sixtus IV. bestätigte am Ende die Rechtmäßigkeit des Urteils, obwohl er zunächst versuchte, den Prozess zu verhindern. Das Urteil wurde erst über 500 Jahre später, zusammen mit der Promulgation der Konzilserklärung Nostra Aetate 1965 (s.u. 3.1.5), revidiert und der Heiligenkult um das vermeintliche Ritualmordopfer Simon von Trient offiziell aufgehoben. Eine andere weithin bekannte Ritualmordlegende aus dem 17. Jahrhundert handelte von Anderl von Rinn im nördlichen Tirol. Die Diözese Innsbruck hob den Kult um ihn offiziell 1994 endgültig auf, nachdem historisch nachgewiesen wurde, dass es den Ritualmord nie gab. Während des zweiten Kreuzzugs stellte Papst Eugen III. 1146 die Päpstliche Bulle Sicut Iudaeis aus, in der grundsätzliche Rechte der Juden sowie ihr Schutz (z. B. vor Zwangstaufen), garantiert werden, allerdings unter der Bedingung, dass sich die Juden nicht gegen den christlichen Glauben richten. Damit beginnt eine kirchliche Politik der „doppelten Schutzherrschaft“, die die Juden vor den Christen (nicht selten gegen Bezahlung), vor allem aber die Christen vor den Juden beschützen sollte. Die Juden fielen in der Folge immer mehr unter die direkte Gerichtsbarkeit der Päpste. Papst Innozenz III. (um 1160–1216) bestätigte diese Schutzbulle, stellt ihr aber eine Erklärung voran, in der er von der perfidia (im Sinne von „Treulosigkeit“) der Juden spricht und davor warnt, die Juden vollständig zu vernichten, weil durch sie letztlich die Wahrheit des christlichen Glaubens bewiesen werde. Hatte Augustinus von der Knechtschaft der Juden noch rein theologisch gesprochen, so bekommt der Gedanke mit Innozenz einen juristischen Sinn und wird zur sozialen Realität. Das IV. Laterankonzil von 1215 unter Innozenz III., das zum Maßstab für die Behandlung der Juden in den folgenden Jahrhunderten wurde, verbot den Juden, öffentliche Ämter auszuüben, das Eintreiben von „Wucherzins“ seitens der Juden wurde unter Strafe gestellt. Die Einschränkung der Geldgeschäfte der Juden ging einher mit einer moralischen Kritik, gar Kriminalisierung der Juden und ihrer Ge-

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

39

schäfte, die zu einer Konstante der Judenfeindschaft bis in die Gegenwart wurde. Außerdem sollten keine jüdischen Riten in der Kirche mehr praktiziert werden. Das Konzil von Narbonne 1227 forderte von den Juden das Tragen runder gelber Abzeichen, eine Praxis, die muslimische Herrscher in ähnlicher Weise zum Teil schon seit dem 9. Jahrhundert praktizierten und möglicherweise als Vorbild diente: „Damit wird die Isolierung der Juden durch die Kirche eingeleitet, die im Spätmittelalter während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch die Einrichtung von Gettos vollendet wird.“63 Ab Mitte des 13. Jahrhunderts kam es in Spanien vor allem durch die Franziskaner und Dominikaner zu Zwangspredigten und Zwangsdisputationen, denen sich Juden aussetzen mussten, Ende des 14. Jahrhunderts zu schweren Pogromen. Juden, die unter Druck und Zwang konvertierten – von den anderen Christen verächtlich marranos, „(Juden-)Schweine“ genannt – wurden im 15. Jahrhundert zunehmend Opfer der Spanischen Inquisition, die ihnen immer wieder vorwarf, ihre jüdischen Traditionen beizubehalten. Der Glaube alleine genügte nicht mehr, man musste „reines Blut“ haben, um nicht unter Verdacht zu geraten – dies war der Beginn des modernen Rassenantisemitismus! In der Folge der Reconquista wurden zunächst die Juden, dann auch die Muslime aus Spanien und Portugal vertrieben, das Ziel war ein katholischer Einheitsstaat. Selbst im 18. Jahrhundert wurden von der Spanischen Inquisition noch Todesurteile wegen „Judaisierens“ gesprochen. Im Dekret für die Jakobiten bekennt das Konzil von Ferrara-Florenz-Rom (1442) einerseits „ein und denselben Gott als Urheber des Alten und des Neuen Testaments, … denn die Heiligen beider Bünde haben unter Einhauchung desselben Heiligen Geistes gesprochen“ (DH 1334), auf der anderen Seite wird klar festgestellt, dass keine Juden „des ewigen Lebens teilhaft werden können“ (DH 1351), wenn sie sich nicht der Kirche anschließen. Im selben Dekret (DH 1348) wird in Bezug auf die Riten, Opfer und Sakramente des mosaischen Gesetzes eine unmissverständliche Substitutionslehre vertreten. Wer nach Christus Beschneidung praktiziere und den Sabbat feiere, sei vom Glauben an Christus ausgeschlossen und des ewigen Heils verlustig – spätestens hiermit hat sich die katholische Kirche vom Judenchristentum der frühen Kirche und damit von der eigenen Wurzel abgeschnitten. Es lässt sich bilanzieren: „Im Grunde leiteten Päpste und römisch-katholische Kirche ihren Standpunkt zu den Juden aus einem seit der Spätantike entwickelten und dann bis an die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert unverändert gültigen Konzept ab: der doppelten Schutzherrschaft. Dieses Konzept wurzelte in der zweifachen heilsgeschichtlichen Bestimmung der Juden innerhalb der christlichen Kosmologie. Als Volk des Alten Bundes und als Zeugen des Todes Christi bildeten sie einen notwendigen Teil der Heilsgeschichte; als ‚hartnäckig‘ den neuen Bund verleugnendes und deshalb ‚verstoßenes‘ Volk, ja als ‚Volk der Christusmörder‘ galten sie als Gefahr für das Seelenheil der Christen. Aus dieser zweifachen Bestimmung leiteten sich die beiden Grundprinzipien der doppelten Schutzherrschaft ab: Aufgabe der Päpste – und mit ihnen der Hierarchie aus Kardinälen, Bischöfen, Priestern – war einerseits, die Christen vor dem vermeintlich verderblichen Einfluss der Juden, andererseits 63

Eckert, Antisemitismus, 140.

40

2 Geschichtliche Entwicklungen

aber auch die Juden vor Übergriffen der Christen, vor Verfolgung, Missbrauch und Gewalt zu schützen.“64 Die Schutzherrschaft bedeutete aber letztlich kein wirklicher Schutz für die Juden, faktisch wechselten sich duldendes und judenfeindliches Verhalten ab und oft konnten oder wollten Päpste oder andere kirchliche Oberhäupter die Juden vor Pogromen wie etwa in Südtirol im 15. Jahrhundert nicht schützen, denn die rechtliche Unterordnung der Juden war stets ebenso Teil des Konzepts der doppelten Schutzherrschaft wie eine religiös motivierte Judenfeindschaft: „Den Urgrund der Abneigung bildete zweifellos die Lehre von den Gottesmördern und vom verstoßenen Volk des ersten Bundes in ihrer vulgärtheologischen Auslegung“65. Unter dem Druck der Reformation und der Moderne verschob sich das Konzept dogmatisch wie realpolitisch weiter zu Ungunsten der Juden. Spätestens mit der sich in vielen Teilen Europas allmählich durchsetzenden rechtlichen Emanzipation und Gleichstellung der Juden war das jahrhundertealte Konzept der Schutzherrschaft überholt, doch der Kirche fehlte noch lange ein neues, angemessenes Konzept der Verhältnisbestimmung zu den Juden.

2.2.2

Die Kirchen und die Juden seit der Reformation

Auch Martin Luther und andere Reformatoren wie Zwingli und Calvin konnten sich vom überlieferten Antijudaismus nicht befreien. Für sie hatte das jüdische Gesetz und damit die jüdische Religion mit Jesus Christus ihre Gültigkeit verloren. Das Judentum wurde wie der Islam und der Katholizismus als „Gesetzesreligion“ gesehen, in der die Menschen vergeblich durch ihre eigenen Werke die Gnade erwirken möchten. Der Vorwurf des Gottesmordes wird auch von den Reformatoren gegen die Juden erhoben (vgl. WA 40 I,34), die aufgrund ihrer Verstockung und Christusfeindschaft unter dem Gericht Gottes stünden. Zwar hatte Luther in der Frühzeit der Reformation in seiner Schrift „Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523) einen toleranten Umgang mit den Juden gefordert, dies freilich in erster Linie, um die Juden wirksamer zur Konversion zu bewegen. Und selbst die erwähnte Schrift betont nur die jüdische Abkunft Jesu, nicht aber dass Jesus auch „als Jude gelebt und gewirkt hat, dass er als Jude gestorben ist“.66 Zwanzig Jahre später revidiert Luther seine moderate Position von 1523 in der Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) radikal: Nun stellt er die Juden in seiner typischen, aber folgenschweren Polemik, als blutdürstiges, rachsüchtiges und mörderisches Volk dar, das dem Teufel gleich komme und deshalb entrechtet werden müsse: „Drastischer als es die vorreformatorische Amtskirche je verkündet hatte, forderte er die Vernichtung der religiösen Existenz und der Lebensmöglichkeiten der Juden durch Verbrennen ihrer Synagogen, Zerstörung ihrer Häuser, Kon64 65 66

Brechenmacher, Vatikan, 12. Ebd. 94. Wengst, Christsein, 39.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

41

fiszierung ihrer Bücher, Verbot der ‚Gotteslästerungen‘ und besonders der Lehrtätigkeit ihrer Rabbiner, Verbot der Zinsnahme, Zwang zu niedrigsten körperlichen Arbeiten für junge Juden, Gebot der vollständigen Separation durch Aufkündigung des Geleits für alle taufunwilligen Juden und schließlich durch ihre Vertreibung“.67 Die sich an Luther orientierende Theologie des 17./18. Jahrhunderts bezog sich in der Frage des Umgangs mit den Juden wesentlich auf diese Schrift, weshalb es Juden verboten wurde, sich in evangelischen Gebieten anzusiedeln. Eine Wende brachte diesbezüglich erst der preußisch-norddeutsche Pietismus des 18. Jahrhunderts, bevor sich der im 19. und vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommende Antisemitismus wieder der aggressiven antijüdischen Polemik Luthers bediente: „Je mehr sich dieser Nationalismus rassistisch-antisemitisch färbte, desto mehr gewannen Luthers antijüdische Aussagen an Konjunktur. Damit ging eine inhaltliche Umdeutung einher: Die theologischen Argumente, die Luthers Haltung bestimmt hatten, spielten keine Rolle mehr, seine Aussagen wurden rasseideologisch interpretiert.“68 Fazit: Die Ideologie der christlichen Judenfeindschaft Die Geschichte des Verhältnisses und vor allem des konkreten Verhaltens von Christen und Kirchen gegenüber den Juden und ihren Glauben über fast zwei Jahrtausende ist in der Summe immer wieder aufs Neue bedrückend, beschämend, erschreckend. Stark vereinfacht lassen sich folgende Stufen erkennen: Auf neutestamentlicher Ebene ging es noch um eine innerjüdische Auseinandersetzung um die richtige Interpretation der Schrift und der Bedeutung Jesu. Im Zuge der wechselseitigen Abgrenzung und allmählichen Trennung von Judentum und Christentum entwickelte sich auf beiden Seiten eine theologische Polemik. Auf der rechtlichen Ebene waren die Juden als erlaubte Religion im römischen Reich im Vorteil, die Christen wurden teilweise verfolgt. Dies änderte sich mit der Konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert: Nachdem das Christentum Staatsreligion im Reich wurde, wurden die Rechte der Juden – wie auch die anderer Religionsgemeinschaften – immer mehr eingeschränkt. Die Tradition antijüdischer Polemik in der frühen christlichen Theologie wirkte sich zunehmend rechtlich-politisch und gesellschaftlich aus. Ab dem 11. Jahrhundert wurden Juden immer mehr zu Feinden Gottes und der Christenheit erklärt, was die geistige Grundlage für Entrechtung, Vertreibung, Verfolgung und Ermordung bildete. Die Leugnung der Göttlichkeit Christi und damit der Trinität machte sie im Urteil christlicher Theologie zu Ungläubigen, die wie die Heiden und Häretiker verdammt seien, wenn sie sich nicht bekehrten.69 „Sind die abendländische Einstellung und das Verhalten gegenüber den Juden an sich und deren Bewertung … noch als sehr unterschiedlich einzustufen, so wird die jüdische Religion durchweg verurteilt und bekämpft: durchgängig in Worten, immer wieder aber auch 67 68 69

Ries, Juden, 289; vgl. Kaufmann, „Judenschriften“. Geschäftsstelle Luther 2017, Reformation, 15. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, Bd. 2, 466–506, 551.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

in Taten.“70 Ende des 15. Jahrhunderts kommt in Spanien ein biologistisches Motiv christlicher Judenfeindschaft hinzu, das den Weg bereitete für den modernen Rassenantisemitismus. Die Juden wurden zum Sündenbock schlechthin, zum Sinnbild des Bösen: „Während der vorchristliche Antijudaismus sporadisch, örtlich begrenzt, inoffiziell und (…) nicht ideologisch fundiert war, ist der christliche, zumindest seit etwa der Zeit Konstantins, dauerhaft, universal, offiziell geschürt, grundsätzlich und durch ein ideologisches System untermauert. Er wurzelt nicht in historischen Ereignissen, sondern findet sich auch dort, wo es gar keine Juden gibt.“71 Es ist eine Geschichte der christlichen Verblendung und Schuld und es bleibt bei allen theologischen, sozialpsychologischen und soziopolitischen Erklärungsmodellen im Letzten ein Rätsel, wie die Kirche, die in Anspruch nimmt, vom Heiligen Geist geleitet zu sein, sich über so lange Zeit so massiv in dieser Hinsicht verirren konnte: Die christliche Judenfeindschaft ist „eine Sünde, deren Ungeheuerlichkeit bezeichnend ist für die tiefgreifende Untreue gegenüber der Gnade Christi. Das was die Christen an Israel ablehnen, bezeugt, was sie an Christus verwerfen, ohne es als Verweigerung zu bekennen.“72 Die Juden und ihr Glaube wurden nicht in ihrer Realität, geschweige denn in ihrem Selbstverständnis wahrgenommen, sondern als ideologisch verzerrtes, dämonisches Konstrukt, als Feindbild, das niemand hinterfragte. Israel und Kirche wurden als unvereinbare Alternativen gegenübergestellt: „Gesetz gegen Geist, Tod gegen Leben, alt gegen neu, Gericht gegen Gnade, Abfall gegen Glauben, Verlorenheit gegen Rettung, Sünde gegen Erlösung, wertlose Werke gegen Liebe, das Reich des Teufels gegen das Reich Gottes“.73 Das Christentum hat mit den Juden die eigene Wurzel, das „alter Ego“ bekämpft und damit sich selbst verfehlt und seinen göttlichen Auftrag verdunkelt. Wahrscheinlich war es gerade die Verwandtschaft und Nähe beider Religionen, die Sorge um die eigene Identität und Wahrheit, die zu pathologischer Abgrenzung und Aggression führte. Es ist üblich geworden, zwischen einem religiös motivierten christlichen Antijudaismus und dem rassistischen Antisemitismus, der Ende des 19. Jahrhunderts in Europa aufkam, zu unterscheiden, „weil sie im Effekt (Judenfeindschaft) zwar verwandte, jedoch in den Motivationen und Trägerschichten sehr unterschiedliche Phänomene kennzeichnen.“74 Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Phänomenen dürfte darin liegen, dass die christliche Judenfeindschaft zumindest der Theorie nach nie auf eine physische Eliminierung des jüdischen Volkes zielte, sondern die Überwindung des Judentums als Religion am Ende der Geschichte sah, während der nationalsozialistische Antisemitismus die vollständige Vernichtung des jüdischen Volkes wollte und Auschwitz schuf. So notwendig, sinnvoll und erhellend die Differenzierung zwischen christlichem Antijudaismus und rassistischem Antisemitismus deshalb ist, so darf doch nicht die 70 71 72 73 74

Ebd. 567. Lange, Antisemitismus, 128. Lustiger, Verheißung, 133. Katz, Kontinuität, 11. Brechenmacher, Pius XII., 67.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

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geschichtliche und ideologische Abhängigkeit und gegenseitige Durchdringung beider Phänomene Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts verschwiegen und verwischt werden: „Dass der Antisemitismus auf die jahrhundertealte antijüdische Lehre und Predigt der christlichen Kirche zurückgeht, ist heute weithin anerkannt“.75 Das wesentliche Moment der Kontinuität ist die Schaffung der „Andersheit der Juden“, die in den neutestamentlichen und altkirchlichen Schriften ihren Anfang nimmt. Tatsache ist, dass bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil „der unmenschliche und unchristliche Antisemitismus auch aus vielen Bestandteilen der katholischen Liturgie, Katechese und Predigt immer neue Nahrung erhielt.“76 Eben diese komplexe Vermengung machte es den Kirchen und vielen Christ*innen im Vorfeld und während des Dritten Reiches schwer, die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus zu erkennen und aktiv dagegen einzutreten. Freilich gab es kirchliche Institutionen, Gruppen, Gemeinden und Personen, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens ihre Stimme erhoben, Widerstand leisteten und Juden retteten, darunter etwa der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg (1875–1943), die Caritas-Mitarbeiterin Gertrud Luckner (1900–1995) oder der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906–1945). Insgesamt jedoch haben die Kirchen und die meisten Christen in Deutschland und Europa versagt, indem sie zu oft schwiegen und mit dem Rücken zum Schicksal der verfolgten Juden standen. Didaktische Anregungen: 1.

Die beiden Frauengestalten vor dem Portal des Straßburger Münsters (13. Jh.) stellen die Kirche (links) und die Synagoge dar. Mit welchen Merkmalen werden sie dargestellt und welche Wertung verbindet sich damit?

Abb.: “Ecclesia” und “Synagoga” am Straßburger Münster, Replik im Diaspora-Museum, Tel Aviv, Foto: Sodabottle (CC-BY-SA-3.0)

75 76

de Lange/Thoma, Antisemitismus, 114. Rahner/Vorgrimler, Konzilskompendium, 351.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

2.

Die Bronzeskulptur “Synagoga and Ecclesia in Our Time” von Joshua Koffman aus dem Jahr 2015 dagegen bringt die neue Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum zum Ausdruck: Sie präsentiert Kirche und Synagoge als Lernpartner oder, in jüdischer Terminologie, als interreligiöse Hevruta. Dieses aramäische Wort für Freundschaft beschreibt die rabbinische Praxis gemeinsamen Studierens heiliger Texte durch Freunde um des Himmelreiches willen. Welche Gesten, Haltungen bringen dieses Verhältnis zum Ausdruck?

(Bildrechte: unbekannt, Public Domain.)

3.

An vielen Orten gibt es auf Gehwegen vor Häusern, in denen früher Juden wohnten und die von den Nazis deportiert wurden, sog. „Stolpersteine“ (www.stolpersteine.eu/) oder Gedenktafeln. Die Schüler*innen können solche ausfindig machen und versuchen, etwas über die Biographien dieser Menschen herauszufinden.

Weiterführende Literatur: Thomas Brechenmacher, Der Vatikan und die Juden. Geschichte einer unheiligen Beziehung, München 2005. Klaus Wengst, Christsein mit Tora und Evangelium. Beiträge zum Umbau christlicher Theologie im Angesicht Israels, Stuttgart 2014.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

2.2.3

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Der Islam: Christliche Irrlehre oder teuflische Religion?

War für die Christen im Nahen Osten und in Nordafrika mit der Expansion des Islam diese neue Religion zu einer existentiellen Frage geworden, so hat die westkirchliche Theologie erst relativ spät die „Herausforderung Islam“ erkannt. Man brauchte eine Antwort auf die Frage, warum nach dem Höhepunkt und dem Abschluss der göttlichen Offenbarung in und mit Jesus Christus noch einmal eine wirkmächtige Religion mit universalem und endgültigem Anspruch auf der Bühne der Weltgeschichte auftrat, die in Form rascher Eroberungen auch noch Ursprungs- und Kerngebiete des Christentums für sich gewinnen konnte. War der Islam eine christliche Häresie (Johannes von Damaskus) oder eine heidnische Religion (Thomas v. Aquin), eine göttliche Strafe für die Sünden der Christenheit (Maximus Confessor, Martin Luther), Vorbote der Apokalypse (Sophronius, Joachim von Fiore) oder gar Teufelswerk (Petrus Venerabilis)? Dass er eine eigenständige Offenbarungsreligion sein könnte war nicht im Denkhorizont der damaligen christlichen Theologie. a)

Die theologische Auseinandersetzung der Ostkirchen mit dem Islam

Vor allem in der byzantinischen Theologie entwickelte sich ab dem 8. Jahrhundert eine reichhaltige apologetisch-polemische Literatur, die das mit der Existenz und dem Anspruch des Islams verbundene „Unbehagen“ zu bewältigen versuchte. Eine eingehendere theologische Beschäftigung und Auseinandersetzung beginnt mit dem byzantinischen Theologen Johannes von Damaskus († um 750), der sich in seinem Werk „Die Quelle der Erkenntnis“ im Abschnitt „Über die Häresien“ auch mit dem Islam beschäftigte (Kap. 100) und dessen Ausführungen bestimmend wurden für spätere christliche Polemik. Johannes wusste durch seine direkten Kenntnisse der islamischen Religion und besonders des Korans um die Gemeinsamkeiten zwischen christlichem Glauben und Koran, zugleich aber auch um die Unterschiede und Widersprüche vor allem hinsichtlich der Gotteslehre und Christologie, die er auf häretische (arianische) Einflüsse auf Muhammad zurückführte. Muhammad, so sein zentrales Argument, muss ein „falscher Prophet“ und Vorläufer des Antichristen sein, da er keinen nennen kann, der den göttlichen Ursprung seiner Offenbarung glaubhaft bezeugen könnte, und weil er von den Propheten nicht vorhergesagt worden sei.77 Auch der Vorgang der Offenbarung laut islamischer Tradition, wonach Muhammad die Offenbarung im Schlaf eingegeben worden sei, wurde von ihm eher als Beweis für Einbildung und Träumerei gewertet. Der Koran könne nicht Offenbarung sein, weil er historisch falsche Behauptungen aufstelle, wie z. B. die (vermeintliche) Verwechslung der Mutter Jesu mit Maria, der Schwester von Moses und Aaron, oder die Aussage, Abrahams Opfer habe bei der Kaaba stattgefunden. Schließlich widerlegen seiner Meinung nach auch die islamische Ehe- und Sexualmoral und die angeblichen sexuellen Ausschweifungen Muhammads den Wahrheitsanspruch dieser Religion. 77

Vgl. Johannes Damaskenos/Theodor Abū Qurra, Schriften, 74/75f. (gr./dt.).

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2 Geschichtliche Entwicklungen

Einer, vielleicht sogar der einzige, unter den ostkirchlichen Theologen des frühen Mittelalters, der zu einer deutlich positiveren Einschätzung Muhammads gelangte, als alle seine christlichen Zeitgenossen, war der spätere ostsyrische Patriarch Timotheus I. (ca. 727–823). In einem Brief an den Abbasidenkalifen al-Mahdi, den er unter anderem als „Freund Gottes“ titulierte und für den er betete, schrieb Timotheus: „Mohammed verdient das Lob aller Menschen, und zwar weil er auf der Bahn der Propheten und der Freunde Gottes gegangen ist. Denn wie die anderen Propheten die Einheit Gottes gelehrt haben, so hat es auch Mohammed getan. Er ist also dem Pfad der Propheten gefolgt. … So hat Mohammed seine Landsleute gehindert, an der Verehrung von Dämonen und der Anbetung von Götzen teilzunehmen. Er hat sie zur Erkenntnis Gottes aufgefordert und zur Anbetung des Dreimal Hohen, der alleine Gott ist und außer dem es keinen anderen Gott gibt.“78 Kein anderer christlicher Theologe bis ins 20. Jahrhundert ging in der Anerkennung und Würdigung Muhammads so weit. Berühmt wurden schließlich die Dialoge des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaiologos (1350–1422) mit einem Muslim durch ein Zitat Papst Benedikts XVI. in seiner Regensburger Vorlesung 2006. Manuel II. sah im „Glauben der Türken“ nicht nur Unglauben und in Muhammad einen Wahnsinnigen und Barbaren, sondern sprach dem islamischen Gesprächspartner letztlich „die Fähigkeit zum logischen Denken“ ab und wollte „die intellektuelle Überlegenheit des Christentums über den Islam“ demonstrieren.79 Wahrlich keine geeignete Bezugsquelle für den Religionsdialog heute! b)

Die Apologetik der lateinischen Theologie

Die Apologetik in der lateinischen Theologie des Hochmittelalters unterscheidet sich in den Argumenten und Kriterien hinsichtlich des Islams nicht wesentlich von der byzantinischen. Die ersten westkirchlichen Theologen, die sich mit dem Islam beschäftigten wie zum Beispiel Eulogius († 859), Erzbischof von Toledo, oder dessen Zeitgenosse Paul Alvarus († 861), ein Laie aus Cordoba, standen ganz unter dem Eindruck der militärischen Auseinandersetzungen und der islamischen Herrschaft in Spanien. Ihre Kenntnisse über die islamische Religion waren spärlich, ihr Anliegen von apologetischem Interesse. Polemik dominierte in dieser Zeit, Muhammad und die Muslime wurden als christliche Häretiker, viel häufiger aber als Heiden, „Götzendiener, Ungläubige, Feinde Gottes und der Christen sowie Werkzeuge des Teufels“ gesehen.80 Auffällig ist zum einen, dass größere Missionsbestrebungen gegenüber den Muslimen im Unterschied zu den heidnischen Religionen erst spät einsetzen, nämlich vor allem mit den Missionsorden im 13. Jahrhundert.81 Zum anderen wurden die Muslime von den Christen in erster Linie und lange Zeit gar nicht in ihrer religiösen Identität, sondern als ethnische Gruppe wahrgenommen, wie ihre genealogi-sche Bezeichnung als Sarazenen (Nachkommen Saras), Hagarener (Nachkommen Hagars) oder Ismaeliten zeigt.82 Die aus Af78 79 80 81 82

Zit. nach Lexutt/Metz, Christentum, 48f. Ebd. 94. Vgl. Goetz, Wahrnehmung, Bd. 1, 375. Vgl. ebd. 235. Vgl. ebd. 251.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

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rika stammenden Muslime in Spanien werden dann Mauren genannt. Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen mit ihnen vor den Kreuzzügen wurden eher nicht als Glaubenskriege verstanden und doch war gerade in diesen Auseinandersetzungen „den christlichen Autoren die Andersgläubigkeit der Muslime nicht nur bewusst, sondern sie wird darüber hinaus als schändlich, gottlos und unchristlich diffamiert.“83 Dennoch kam es im islamischen Spanien zu vielfältigen Formen des Zusammenlebens und zu enormen interkulturellen Lernprozessen.84 Das theologische Interesse am Islam erwachte im Abendland im 11./12. Jahrhundert. Für Petrus Venerabilis (1094–1156) war der Islam eine „teuflische Irrlehre“85. Der erste und größte Irrtum sei die Leugnung der Dreieinigkeit Gottes, der Gottessohnschaft und des Kreuzestodes Jesu Christi sowie der christlichen Heilsmittel (Sakramente). Leben und Lehre Muhammads seien „verabscheuungswürdig“ (ebd. 4/5), er sei intrigant, ein Räuber und Mörder gewesen (vgl. ebd. 6/7), der unter dem Deckmantel der Religion und des prophetischen Anspruchs die politische Herrschaft zu erringen versuchte. Der Teufel hätte Muhammad mit dem häretischen Mönch Sergius zusammen gebracht, der „ihn die Fabeleien der apokryphen Schriften“ eintrichterte (ebd. 8/9) und ihn so zu einem nestorianischen Christen machte, der auch noch von Juden beeinflusst wurde: So „schrieb Mohammad seinen Koran, indem er ein ebenso aus jüdischen Legenden wie häretischen Schwätzereien bestehendes Teufelswerk, in der ihm eigenen barbarischen Weise zusammenstoppelte“ (8/9) und damit das unwissende Volk „mit einem tödlichen Pesthauch“ infizierte. Muhammad war für Petrus Venerabilis nichts Anderes als „ein verruchter Mensch“, ein „Hornochse“, ein „großer Lügenprophet“ (10/11), der eine verwerfliche Moral predigte und selbst ehebrecherisch lebte (vgl. 12/13). Zwar sah der Abt von Cluny sehr wohl die achtenswerten islamischen Gebote wie Almosen, Gebet und Werke der Barmherzigkeit. Diese seien jedoch lediglich Tarnung und die Vermischung von Gutem und Bösem, Wahrem und Falschem sei eben Kennzeichen einer Häresie und des Heidentums (vgl. 14/15). Petrus Venerabilis ist zugute zu halten, dass er militärisches Handeln gegenüber den Muslimen kritisierte, stattdessen die Auseinandersetzung mit dem Wort suchte und dafür die Übersetzung des Korans durch Robert von Ketton initiierte. Zwar verbesserte sich dadurch die Quellenlage erheblich, doch die Argumente wurden keineswegs sachlicher: „Mit dem bislang umfangreichsten Wissen des Abendlandes über den islamischen Glauben entfaltet Petrus vielmehr zugleich die schärfste Polemik.“86 Thomas von Aquin (1225–1274) konnte in seiner Sicht auf die islamische Religion kaum über den damals gesetzten zeitbedingten Horizont hinausschauen, obwohl er gerade den muslimischen Philosophen und deren Aristotelesrezeption enorm viel verdankte. In seinem Werk „De rationibus fidei“ setzt er sich mit islamischen Glaubensüberzeugungen auseinander, die er jedoch nur rudimentär kannte. Die Muslime 83 84 85 86

Ebd. 284. Vgl. dazu Borgolte, Christen. Petrus Venerabilis, Schriften, 2/3 (lt./dt.). Goetz, Wahrnehmung, Bd. 1, 395.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

ordnete er den „Ungläubigen“ (infideles) zu. Thomas unterschied ähnlich wie Paulus (Röm 1,19f) grundsätzlich zwischen einer natürlichen (ratio) und einer übernatürlichen Ordnung (gratia), die er jedoch positiv aufeinander bezog: Demnach geht die natürliche Gotteserkenntnis (notitia Dei naturalis) der gnadenhaft in der Offenbarung geschenkten Gotteserkenntnis voraus und wird durch diese vervollkommnet. Insofern können alle Menschen kraft ihrer natürlichen, aber von Gott geschenkten Ausstattung gottgemäß handeln und stehen sogar in einer abgestuften Hinordnung auf den mystischen Leib der Kirche: „Wenn ein Mensch im sittlichen Sinne zum Gebrauch seiner Vernunft gelangt …, ist das erste, worauf sein Denken sich richten muss, die Grundentscheidung seines Lebens. Und wenn er sich auf das wahre Ziel hin ausrichtet, erlangt er durch die Gnade den Nachlass der Erbschuld.“87 Gottes Gnade wirkt nach Thomas universal und ist nicht ausschließlich an die Sakramente der Kirche gebunden. Thomas spricht – wenn auch nur in Bezug auf „Heiden“, die noch nicht von der Offenbarung in Jesus Christus erfahren haben – von „anderen gesetzesmäßigen Sakramenten“88 und von einem „impliziten Glauben“ an Jesus Christus, der ein rechtfertigender Glaube ist und zum Heil führt. Da Juden und Muslime aber nach Thomas’ Meinung von Christus gehört haben mussten, sich aber dennoch nicht der Kirche angeschlossen haben, seien sie schuldhaft ungläubig, von Gott getrennt und damit vom Heil ausgeschlossen. Aus der Unterscheidung von menschlicher Natur und göttlicher Gnade bei Thomas wurde in der nachtridentinischen Theologie ein Gegensatz, der erst im 20. Jahrhundert wieder aufgelöst wird. Bleibend gültig an Thomas’ Ansatz ist die Betonung des universalen Heilswillens Gottes und der Angewiesenheit des Menschen auf Gottes Gnade. Raimund von Saibunde prägte dann im 15. Jh. auf der Basis von Thomas’ gnadentheologischem Ansatz den Begriff der „natürlichen Theologie“ (theologia naturalis), der bis in den Religionstheologien der Gegenwart hinein eine zentrale Rolle spielen sollte.89 Während die Päpste immer wieder zu Kreuzzügen gegen die ungläubigen „Sarazenen“ aufriefen, kamen durch Peter Abaelard (1079–1142), Raimundus Lullus (auch: Ramon Lull, 1232–1316) und Nikolaus von Kues (1401–1464) mit ihren fiktiven, das heißt rein auf der literarischen Ebene verbleibenden Religionsgesprächen neue Aspekte in die christliche Reflexion. Peter Abaelard entwarf in seiner religionsphilosophischen Toleranzschrift „Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen“ die Vision einer Begegnung der Offenbarungsreligionen auf der Basis der Vernunft. Ob der Philosoph in diesem Gespräch für einen Muslim steht, bleibt dabei in der Schwebe. In seinem Buch „Vom Heiden und den drei Weisen“ versuchte der katalanische Philosoph und Theologe Ramon Lull nicht nur, die praeambula fidei, also die dem Offenbarungsglauben vorausliegenden Erkenntnisse, sondern – im Gegensatz zur scholastischen Theologie etwa des Albertus Magnus oder Thomas von Aquin – auch die Offenbarungswahrheiten selbst mit Hilfe der Vernunft zu beweisen: „Denn da wir mit Hilfe von Autoritätsbeweisen zu keiner Übereinstimmung gelangen können, sollten wir durch zwingende Ver87 88 89

STh I–II 89,6, zit. nach Kern, Kirche, 35. STh III, q. 62, a.6. Vgl. Repp, Gott, 125.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

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nunftgründe eine Übereinstimmung versuchen“90. Als gemeinsamer Ausgangspunkt der Reflexion dienten ihm dabei die göttlichen Tugenden (Güte, Größe, Ewigkeit, Macht, Weisheit, Liebe und Vollkommenheit). Damit schaffte Lullus eine Verbindung von Logik und Ethik: „Denn er entwirft mit Hilfe der Virtutes nicht nur eine allen Religionen gemeinsame philosophische, sondern auch eine universal-ethische Gesprächsbasis, an deren Maßstäben die Sittengesetze des Juden, des Christen und des Muslimen ausgerichtet werden müssen, insofern sie alle einen sittlichen Weg zu Gott und seinen Tugenden zu weisen beanspruchen“91. Der heilige Franz von Assisi (1181–1226), von dem Lull beeinflusst war, ließ sich als einer der wenigen von der Kreuzzugspropaganda seiner Zeitgenossen wie etwa von Innozenz III. nicht verführen, sondern setzte geradezu auf ein Gegenprogramm: das friedliche und demütige Leben mit und unter den Muslimen – ein Dialog des Lebens! Zu seinen Lebzeiten kam es zu drei Kreuzzügen und Franziskus hielt sich während des insgesamt fünften Kreuzzugs in Ägypten auf (1219/1220). Im September 1219 ging er unbewaffnet in das Lager des Sultans al-Malik al-Kamil und erlebte, dass gute und fruchtbare Kontakte mit den Muslimen möglich sind, wenn man in friedlicher Absicht kommt. Franziskus machte echte Dialogerfahrungen, die sich im 16. Kapitel seiner nicht-bullierten Regel niederschlugen: Demnach sollen die Minderbrüder mit friedlichen Absichten unter die Muslime gehen, dabei keine Streitgespräche beginnen, sondern „geistlich unter ihnen wandeln“, ihnen in Demut dienen und so ein Zeugnis vom christlichen Glauben geben.92 Franziskus durchlebte einen interessanten Lernprozess und entdeckte bei den Muslimen, wo nach damaliger kirchlicher Verkündigung nur Lügen und Unglaube sein sollen, Gottes Gegenwart: Vom täglich fünfmal und mit vorbildhafter Ergebenheit vollzogenen Gebet der Muslime zutiefst beeindruckt, bat Franziskus seine Brüder, „zu bestimmten Tagesstunden alle Gläubigen durch Rufe oder Glocken zum Gotteslob aufzurufen. In einer von Feindschaft gegenüber dem Islam gekennzeichneten christlichen Welt sah Franz im Lobpreis des Allmächtigen eine verbindende Brücke.“93 Franziskus war damit vielleicht der erste und für Jahrhunderte wohl der einzige Christ – auch seine Ordensbrüder werden ihm darin lange nicht folgen –, der eine aufrichtige Haltung des Dialogs, der Ehrfrucht und des Respekts gegenüber den Muslimen einnahm – eine Haltung, die erst das Zweite Vatikanum wiederentdecken und Papst Johannes Paul II. mit den Friedensgebeten von Assisi mit neuem Leben füllen wird. Für den späteren Kardinal Nikolaus von Kues (1401–1464) stand außer Zweifel, dass die eine wahre Religion (vera religio) die christliche sei bzw. im katholischen Glauben zum Ausdruck komme. In seiner irenischen Schrift De pace fidei von 1453 (osmanische Eroberung Konstantinopels!) ging es ihm um den Aufweis der Übereinstimmung der Religionen in ihrem Wesenskern mit der vera religio und damit mit dem christlichen bzw. katholischen Glauben. So lautet seine Hauptaussage, dass es 90 91 92 93

Lull, Buch, 17. Pindl, Ramon Lull, 259–306, 278. Vgl. Hoeberichts, Feuerwandler. Die deutschen Bischöfe, Leitlinien, 12.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

„trotz der verschiedenen Formen des Gottesdienstes nur eine einzige Religion gibt“ („religio una in rituum varietate“).94 Die verschiedenen Riten der Religionen sind demnach unterschiedliche Formen für denselben Inhalt, religiöse Vielfalt wird zu einem positiven Wert. Dabei steht ein theologisch-philosophischer Gedanke im Mittelpunkt, den er bereits in seiner Hauptschrift De docta ignorantia ausgeführt hat: Die Unendlichkeit und das unerschöpfliche Geheimnis des verborgenen Gottes (deus absconditus), in dem alle Gegensätze vereinigt werden (coincidentia oppositorum). Der Kusaner vertrat eine klar inklusive und universale Sicht der Heilsgeschichte, wenn er davon ausgeht, dass „die eine Menschheit Christi in allen Menschen und der eine Geist Christi in jedem Geist sei; somit muss alles in ihm sein, damit ein Christus aus allen sei.“95 Im Unterschied zu den Apologeten der frühen Kirche, die „die Vermittlung zwischen Christentum und Andersgläubigen metaphysisch im logos ansetzten, tat Cusanus dies in De pace fidei (ähnlich wie Augustin) in der religio, d. h. in der Ausrichtung der Menschen auf den einen Gott hin, welcher letzten Endes der namenlose und ‚verborgene Gott‘ der mystischen bzw. negativen Theologie ist.“96 Der scheinbare Widerspruch zwischen Christentum und Islam, nämlich die koranische Leugnung des Kreuzestodes Jesu, wird bei Nikolaus von Kues aufgelöst, indem er Petrus in De pace fidei sagen lässt: „Und diejenigen, die leugnen, dass Jesus von den Juden gekreuzigt wurde, sagen das aus Ehrfurcht, um zu bekunden, dass solche Menschen gegen Christus nichts haben ausrichten können“ (112/113). Das Hauptanliegen Muhammads und des Korans ist nach Nikolaus von Kues „das Volk vom Götzendienst abzubringen“ (122/123). Schließlich sind die grundlegenden Gebote Gottes „Gemeingut aller nur denkbaren Religionsgemeinschaften“, zusammengefasst in dem Doppelgebot, „dass wir den lieben sollen, von dem wir unser Sein empfangen haben und unserem Nächsten nicht etwas antun sollen, was wir selbst nicht erleiden möchten. Also ist die Liebe die Erfüllung von Gottes Gesetz, und alle anderen Gesetze lassen sich auf dieses zurückführen“ (134/135). Demnach beschränkte sich Cusanus’ implizite Kriteriologie nicht auf das Doppelgebot, vielmehr kommt in seiner Sicht der einen wahren Religion die gesamte christliche Dogmatik zur Sprache. In seinem Werk Cribratio Alkorani von 1460/61 mit deutlich apologetisch-missionarischer Zielsetzung interpretierte er den Koran im christlichen Sinne und sah darin christliche Glaubenswahrheiten bestätigt. Der vielleicht erste christliche Theologe überhaupt, der von der Heilsmöglichkeit der Muslime ausging, war der flämische Theologe Albert Pigge (1490–1542): Unter den Muslimen gebe es „einige, die Gott kennen und verehren als den Urheber aller Dinge und Vergelter von Gut und Böse und die von ihm ihr Heil erwarten, und sie erfüllen das natürliche Gesetz, das in ihre Herzen geschrieben ist und sie unterstel len ihren Willen dem göttlichen Willen“.97 Obwohl die Muslime von Christus gehört hätten, seien sie durch ihre religiöse Erziehung „unüberwindlich unwissend“ hin94 95 96 97

Nikolaus von Kues, Frieden, 36/37 (lt./dt.). Nikolaus von Kues, De docta ignorantia III,12. Repp, Gott, 188. Zit. nach Sullivan, Salvation, 80.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

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sichtlich des christlichen Glaubens und damit unschuldig. Ähnlich wird dann auch der Jesuit Juan de Lugo (1583–1660) 1646 argumentieren: Er sprach von einem „übernatürlichen Glauben“ der Muslime (und Juden), mit dem sie den einen wahren Gott anerkennen und rechtschaffen handeln. De Lugo ging erstmals sogar soweit, diesen rechtfertigenden Glauben auf die religiöse Tradition der Muslime, also auf die islamische Religion zurückzuführen. Sie seien letztlich wie Christen zu betrachten, freilich immer unter der Voraussetzung ihrer unüberwindlichen und damit unschuldigen Unwissenheit in Bezug auf christliche Glaubenswahrheiten. c)

Reformation und Islam

Ganz anders der Reformator Martin Luther (1483–1546), der in seiner Sicht des Islam an die mittelalterliche Theologie anknüpfte und dessen Positionen auch in dieser Hinsicht für die protestantische Theologie bis ins 20. Jahrhundert hinein sehr einflussreich blieben.98 Unter dem Eindruck der militärischen Expansion des Osmanischen Reiches (1529 standen die Türken erstmals vor Wien) sah er in den Muslimen eine endzeitliche, antichristliche Macht, eine göttliche Strafe für die verdorbene Christenheit und Papstkirche, aber auch eine religiöse Herausforderung und Prüfung: Nachdem der Islam mit der Leugnung des Kreuzestodes Christi auch den Kern der reformatorischen Erkenntnis, nämlich die Rechtfertigungslehre, ablehnt, „kann es für Luther im Islam auch keine ‚Sündenvergebung‘ noch so etwas wie ‚Gnade‘ geben. Vielmehr bleibt der Mensch auf sich und seine ‚guten Werke‘ verwiesen.“99 Damit ist ein Urteil über den Islam gefällt, das von nun an zu einer Standardcharakterisierung des Islam durch die protestantische, später auch katholische Theologie und zum Teil sogar moderne Religions- und Islamwissenschaft wurde und bis in die Gegenwart hinein die christlich-westliche Islamdarstellung bestimmt, nämlich die Bewertung des islamischen Glaubens als „Werkgerechtigkeit“ oder „Gesetzesreligion“: Die Muslime, so Luther in seiner Streitschrift „Vom Krieg wider die Türken“, wollen „durch yhre eigen grosse wercke ... frum und selig werden“.100 Muhammad sei vom Lügengeist, vom Teufel besessen gewesen und der Koran „ein verflucht, schendlich, verzweivelt buch ..., voller lugen, fabeln und aller grewel“101. Luthers Auseinandersetzung mit dem Islam war nicht akademisch, auch wenn er zum Beispiel die „Widerlegung des Koran“ des Ricoldus ins Deutsche übersetzte und herausgab und sich erfolgreich für die erste gedruckte deutsche Übersetzung des Korans durch Theodor Bibliander einsetzte, weil er überzeugt war, dass allein durch das eigene Lesen die Menschen den wahren Charakter des Korans erkennen und ihn ablehnen würden. Luthers Ziel war ein Kampf um den rechten Glauben, auch wenn ihn Element des islamischen Glaubens durchaus „beeindruckten: der strenge Monotheismus, das asketische Leben ihrer ‚Priester‘ [gemeint sind wohl die Sufis, A.R.], ohne Wein und Saufen und Fressen, die Disziplin und Stille des Gebets, samt Geschlechtertrennung, 98 99 100 101

Vgl. dazu Ehmann, Luther; Lexutt/Metz, Christentum, 170–178. Bobzin, Luther, 127. Luther, Werke (WA) 30/II, 187; vgl. ebd., 129. Zit. nach Bobzin, Alcoran, 260–276, 272, Anm. 64. Vgl. Luther, Werke (WA) 30/II, 124.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

ordentlicher Kleidung und Verschleierung der Frauen.“102 Doch letztlich wurde die innerchristliche Auseinandersetzung um die Rechtfertigungslehre bei Luther zur Negativfolie auch für das Judentum und den Islam. Am Beispiel Luther wird auch deutlich, wie sich die Kriteriologie im Laufe der Theologiegeschichte zum Teil geradezu ins Gegenteil verkehrt hat: hatten mittelalterliche Theologen dem Islam laxe Moral und ein zu leichtes Gesetz vorgeworfen, wird mit der Reformation der Islam zur „Gesetzesreligion“, die aber nicht zum Heile führe. So heißt es im Großen Katechismus Luthers von 1529: „Denn was außer der Christenheit ist, es seien Heiden, Türken, Juden oder falsche Christen und Heuchler, ob sie gleich nur einen wahrhaftigen Gott glauben und anbeten, so wissen sie doch nicht, was er gegen ihnen gesinnt ist, können sich auch keiner Liebe noch Gutes zu ihm versehen, darum sie in ewigem Zorn und Verdammnis bleiben; denn sie den HERRN Christum nicht haben, dazu mit keinen Gaben durch den heiligen Geist erleuchtet und begnadet sind.“ (WA 30,1,192) Auch Jean Calvin (1509–1564) sah im Glauben der „Türken“ und „Mahometisten“ (die Bezeichnung „Muslime“ war noch nicht gebräuchlich) den Inbegriff von christlicher Häresie und antichristlicher Ketzerei: „So verkünden zwar in unserer Gegenwart die Türken mit dem Brustton der Überzeugung, sie hätten den Schöpfer Himmels und der Erde zum Gott. Und doch setzen sie an Gottes Stelle einen Götzen, weil sie von Christus nichts wissen wollen.“103 Calvin jedoch enthält sich einer moralischen Abwertung und Verzerrung der Muslime als Feinde, sondern plädiert dafür, in ihnen Menschen und Nächste zu sehen. Ulrich Zwingli (1484–1531) vertrat unter den Reformatoren eine eher inklusive Sicht in Bezug auf die Heilsmöglichkeit der Heiden und begründete diese pneumatologisch, insofern er wahre Elemente in den anderen Religionen annimmt, die er durch das universale Wirken des Heiligen Geistes erklärt.

Didaktische Anregungen: 1219 reiste Franz von Assisi in das ägyptische Damiette, um das politische und geistliche Oberhaupt der Muslime, Sultan al-Kamil Muhammad al-Malik, zu treffen. Dort standen sich das christliche Kreuzfahrerheer und die muslimischen Truppen im Fünften Kreuzzug (1217–1221) gegenüber. „Franziskus hegte trotz der allgemeinen Stimmung keine Vorbehalte gegen den vermeintlichen Feind, sondern versuchte im Gespräch mit dem Sultan, den Kreuzzug zu beenden und Frieden zu stiften. Dies ist ihm zwar nicht gelungen, die Begegnung ist aber ein frühes Beispiel des Kulturdialogs, in dem Respekt und der Wille zum Frieden im Vordergrund standen.“104

102 Reformation und Islam. Ein Impulspapier der Konferenz für Islamfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), 14. 103 Inst. II 6,4, zit. nach Wohlleben, Kirchen, 158. 104 Thomas Schimmel, www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/ Briefmarken/2019/2019–10–09-PM31.html

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

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Die Schüler*innen entwerfen ein fiktives Gespräch zwischen Franziskus und dem Sultan.

Literatur: Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.–12. Jhd.), 2 Bde., Berlin 2013.

2.2.4

Die Entdeckung neuer Welten und Religionen

Die indischen, chinesischen und japanischen Religionen kamen in der europäischen christlichen Theologie im Wesentlichen erst mit den Asienmissionaren des Jesuitenordens ab dem 16. Jahrhundert in Blick: Franz Xaver (1506–1552) in Japan, Matteo Ricci (1552–1610) in China und Roberto de Nobili (1577–1656) in Indien. Sie bemühten sich um der Mission willen zwar um ein besseres Verstehen der asiatischen Religionen, doch blieben ihre Kenntnisse lückenhaft und vorurteilsbeladen. Franz Xaver konnte letztlich nichts Positives und Wahres in den japanischen Religionen anerkennen. Ricci konnte immerhin dem Konfuzianismus eine natürliche Gotteserkenntnis zugestehen, die durch den christlichen Glauben vervollkommnet werden könne.105 Der Italiener Nobili war vielleicht der erste europäische Christ, der sich mit den Veden beschäftigte, den Weg eines indischen Asketen (Sannyasin) wählte, sich dem Leben der Brahmanen anglich und im Hinduismus die Gegenwart der Gnade Gottes erkannte. Er suchte in den Upanishaden – ähnlich wie Paulus auf dem Areopag – nach dem wahren, vom natürlichen Licht der Vernunft erkannten Gott als Anknüpfungspunkt für die christliche Verkündigung und fand diesen im brahman, dem Gott hinter den geschichtlichen Manifestationen. Mit diesen Theologen im asiatischen Kontext kommt zu Beginn des 17. Jahrhunderts erstmals der Gedanke auf, dass nicht-christliche Religionen eine Heilsbedeutung haben könnten. 105 Vgl. Repp, Gott, 241f, 275.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

Ähnliche Anstöße für die katholische Religionstheologie kamen durch die Entdeckung der Völker und Religionen Amerikas ab 1492: die bisherige Annahme, dass das Evangelium bis an die Enden der Erde gelangt sei, wurde widerlegt und es stellte sich die Frage, ob diese vielen Millionen Menschen, die ohne Schuld nie etwas von Christus und der Kirche gehört haben, wirklich alle verloren sein können. Die Dominikaner von Salamanca wie Francisco de Vitoria (1493–1546), Melchior Cano (1505–1560) und Domingo Soto (1524–1560) beschäftigen sich als erste mit dem Problem. Traditionelle Modelle wie das vom votum ecclesiae, einer „Begierdetaufe“, einer „inneren Inspiration“ oder eines impliziten Christusglaubens (fides confusa) bekamen bei ihnen eine neue Bedeutung. Voraussetzung war die „unüberwindliche Unwissenheit“ der „Heiden“ in Bezug auf Christus – eine wichtige Formel, die das Lehramt später übernehmen wird. De Vitoria bringt dabei eine entscheidende Überlegung vor: Selbst diejenigen unter den „Heiden“, die etwa durch Missionare vom christlichen Glauben gehört haben, sind solange nicht zum Glauben im Hinblick auf das Heil verpflichtet, solange sie nicht wirklich überzeugt wurden. Wenn sie sich also nicht bekehrten, lag es vielleicht nicht an ihrem fehlenden Willen, sondern an der mangelnden Überzeugungskraft oder Glaubwürdigkeit der Missionare. Im geschichtlichen Rückblick kann man sagen, dass es von wenigen Ausnahmen abgesehen bis weit in die Neuzeit hinein weltweit nirgendwo auf offizieller und theologischer Ebene einen interreligiösen Dialog nach heutigem Verständnis gegeben hat. Dies schließt nicht aus, dass es im konkreten Zusammenleben an vielen Orten und über längere Zeiten einen Dialog des Alltags gab. So kam es zu unbewussten interreligiösen Lernprozessen etwa in Form der wechselseitigen Beeinflussungen und Übernahmen von Vorstellungen und Gebräuchen wie etwa die Aufnahme der Gebetskette (Rosenkranz) in der katholischen Tradition im Hochmittelalter aus der islamischen Welt, die wiederum aus Indien übernommen wurde. Die islamische Mystik (Sufismus) hat Impulse von den indischen Traditionen aufgenommen und über Spanien wiederum die christliche Mystik beeinflusst.

2.2.5

Aussagen des römischen Lehramtes zu anderen Religionen

Lehramtlich beschäftigte sich erstmals die Synode von Arles (473) mit der Frage nach dem Heil der Heiden: Die rigoristische Auffassung, wonach niemand von Adam bis Christus unter den Heidenvölkern zum Heil gelangt sei, wird verurteilt (vgl. DHü 336). Dabei wird von der „ersten Gnade Gottes“ gesprochen, die gleichsam in der Natur des Menschen wirkt, Kirchenväter wie Gregor der Große und Augustinus sprachen in diesem Zusammenhang von der „Ecclesia ab Abel“, der „Kirche von Abel an“ (LG 2 wird darauf explizit Bezug nehmen). Die Heilsnotwendigkeit der Taufe und damit die sakramentale Eingliederung in die Kirche Jesu Christi war stets kirchliche Überzeugung, doch gab es nach der traditionellen Auffassung auch Ersatzformen für die Wassertaufe, nämlich zum einen „die Bluttaufe (Eingliederung in Christus durch das Zeugnis des Martyrium für Christus) und die Begierdetaufe (Eingliederung in

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

55

Christus durch die Sehnsucht oder das Verlangen nach der sakramentalen Taufe).“106 Die im Auftrag des Papstes arbeitende Internationale Theologische Kommission urteilt deshalb heute: „Die Kirche erachtet die sakramentale Taufe insofern als notwendig, als sie das normale Mittel darstellt, das Jesus Christus zur Gleichgestaltung der Menschen mit sich selbst eingesetzt hat; sie hat jedoch nie die ‚absolute Notwendigkeit‘ der sakramentalen Taufe für das Heil gelehrt; es gibt andere Wege, auf denen die Gleichgestaltung mit Christus verwirklicht werden kann.“ (Ebd. 59, Nr. 66) Gottes Gnade erreicht also alle Menschen, aber es ist immer die durch Christi Geist vermittelte Gnade. Dies ist heute ökumenische Grundüberzeugung. Erste päpstliche Äußerungen über die Muslime sind in Briefen von Johannes VIII. (777–778) zu finden, in denen er von den „Sarazenen“ als Heiden und Ungläubigen spricht. Jahrhundertelang bleibt folgende Aussage Papst Gregors VII. in einem Brief an den muslimischen Herrscher von Mauretanien an-Nasīr aus dem Jahr 1076 für lange Zeit singulär: „Der allmächtige Gott, der will, dass jeder gerettet werde und keiner verloren sei, billigt nichts in uns so sehr wie nach der Gottesliebe die Nächstenliebe und dass wir das, von dem wir wollen, dass man uns tue, auch nicht anderen zufügen. Ihr und wir schulden uns diese gegenseitige Liebe, besonders weil wir an Gott glauben und den Einen bekennen, zugegebenermaßen auf verschiedene Weise, und ihn täglich preisen und verehren, den Schöpfer und Herrscher dieser Welt.“107 Mit diesen Worten wird nicht nur der universale Heilswille Gottes herausgestellt, sondern auch die Überzeugung ausgedrückt, dass Christen und Muslime zum selben Gott beten und eine gemeinsame ethische Grundlage (Gebot der Nächstenliebe und Goldene Regel) haben. Der Brief an an-Nasīr endet mit der Bitte, „dass Gott selbst Dich nach einer langen Zeit dieses Lebens in den Schoß der Seligkeit des heiligsten Patriarchen Abraham führen möge.“108 Wir haben hier ein erstes Zeugnis einer „abrahamischen Ökumene“ vor uns. Erst die Konzilserklärung Nostra Aetate (1965) wird darauf wieder Bezug nehmen (s.u. Kap. 3.5.1). In der Abgrenzung von den Lehren der von Rom als christliche Häretiker inkriminierten Albingenser und Katharer nimmt das Vierte Laterankonzil von 1215 die exklusivistische Formel der altkirchlichen Theologen Origenes, Cyprian von Karthago und Augustinus auf, wonach keiner außerhalb der einen wahren Kirche gerettet wird (vgl. DHü 802; vgl. auch 870). Die Angehörigen nichtchristlicher Religionen sind hier zwar gar nicht explizit im Blick, implizit aber natürlich mitgemeint. Ausdrücklich erwähnt werden sie im Konzil zu Florenz von 1442, an dem auch Kardinal Nikolaus von Kues teilnahm, der in seinen theologischen Schriften ganz andere Positionen vertrat als das Konzil, wo man in der Bulle Cantate Domino als verbindliche Lehre festschrieb: „Sie (die hochheilige römische Kirche) glaubt fest, bekennt und verkündet, dass ‚niemand, der sich außerhalb der katholischen Kirche befindet,

106 Internationale Theologische Kommission, Hoffnung, 33 (Nr. 29). 107 Zit. nach Johannes Paul II. in einem Schreiben zum Ende des Monats Ramadan 1991, in: Fürlinger, Dialog, 229. 108 Zit. nach Lexutt/Metz, Christentum, 58.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

nicht nur [keine] Heiden‘109, sondern auch keine Juden oder Häretiker und Schismatiker, des ewigen Lebens teilhaftig werden können, sondern dass sie in das ewige Feuer wandern werden, ,das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist‘ ([Mt 25,41], wenn sie sich nicht vor dem Lebensende ihr angeschlossen haben …“ (DHü 1351). Die Muslime sind auch hier nicht wörtlich genannt, sondern einfach den „Heiden“ zugerechnet, denen ebenso wenig Heilsaussichten zugeschrieben werden wie den Juden. Ein weiteres interessantes Zeugnis ist der Brief von Papst Pius II. an Sultan Mehmet II. Fatih aus dem Jahr 1461 nach dem Sieg der Osmanen über Byzanz. Der Papst versuchte in dem Brief, den Sultan zur Bekehrung zum christlichen Glauben zu bewegen. In seiner theologischen Auseinandersetzung mit dem Islam geht er nicht über das bis dahin Bekannte der christlichen Apologetik hinaus, immerhin aber erkannte er ähnlich wie Gregor VII. an, dass der Sultan an den einen Schöpfergott glaubt. Ohne die Taufe jedoch führe dieser Glaube nicht zum Heil. Das Konzil zu Trient nahm im Rechtfertigungsdekret (1547) den Gedanken der Begierdetaufe auf (vgl. DHü 1524). Pius V. verwarf 1567 rigoristisch-exklusivistische Auffassungen Michael de Bays (1513–1580), wonach alle Werke der Ungläubigen Sünde seien (vgl. DHü 1925), der auf Unkenntnis beruhende Unglaube bei denen, die Christus nicht kennen, Sünde sei (vgl. DHü 1968), sowie die Behauptung, die Rechtfertigung der Gottlosen geschehe nicht „durch verborgene Mitteilung und Einhauchung der Gnade, die bewirkt, dass die durch sie Gerechtfertigten das Gesetz erfüllen“ (DHü 1969). Positiv kann man daraus schließen, dass der Papst von einer verborgenen Wirkung der Gnade bei den Nichtchristen ausging oder sie zumindest für möglich hielt. Alexander VIII. verurteilte 1690 die Auffassung der Jansenisten, einer theologischen Strömung in Frankreich, wonach „Heiden, Juden, Häretiker und andere Derartige … überhaupt keinen Einfluss von Jesus Christus“ empfangen (DHü 2305). Entsprechend verwarf Papst Clemens XI. in einer Konstitution von 1713 folgenden Satz des Jansenisten Pasquier Quesnel (1634–1719) als häretisch: „Außerhalb der Kirche wird keine Gnade gewährt“ (DHü 2429). Das kirchliche Lehramt sah sich in der Neuzeit also zunehmend herausgefordert, einen rigorosen Heilsexklusivismus bei einigen Theologen und theologischen Schulen zurückzuweisen und damit indirekt Gnade außerhalb der Kirche anzunehmen. Nun steht also beides unvermittelt im „Denzinger“, im Glaubenskompendium katholischer Lehre, nebeneinander: Einerseits soll es zwar Gnade außerhalb der sichtbaren (römischen) Kirche geben, andererseits aber doch kein Heil außerhalb dieser Kirche. „Das ist nicht ein gelegentlicher Lapsus, das liegt in der Linie einer großen Entwicklung.“110 Diese Entwicklung von einer pessimistischen zu einer eher optimistischen Sicht der Heilsaussichten der Ungetauften beschleunigte sich in der lehramtlichen Verkündigung zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts. In seiner

109 Hier wird in der Fußnote auf eine heilsexklusivistische Aussage des Augustinus-Schülers Fulgentius von Ruspe (um 525) verwiesen, die fast wörtlich vom Konzil aufgegriffen wird. Dieser hatte die Extra-Formel erstmals explizit auf Nichtchristen (Heiden und Juden) angewandt. 110 Kern, Kirche, 49.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

57

Ansprache „Singulari quadam“ im Jahr 1854 erklärte Papst Pius IX.: „Im Glauben müssen wir festhalten, dass außerhalb der apostolischen, römischen Kirche niemand gerettet werden kann; sie ist die einzige Arche des Heils und jeder, der nicht in sie eintritt, muss in der Flut untergehen. Aber ebenso müssen wir sicher daran festhalten, dass von dieser Schuld vor den Augen des Herrn niemand betroffen wird, der da lebt in unüberwindlicher Unkenntnis der wahren Religion.“111 Beide Positionen bleiben auch hier noch unversöhnt stehen, aber erstmals taucht in diesem Zusammenhang in einer lehramtlichen Aussage nun der Ausdruck „unüberwindliche Unkenntnis“ auf und wurde für die folgende lehramtliche Positionierung einschließlich des Zweiten Vatikanums zu einer der wichtigsten religionstheologischen Öffnungsformeln. In seinem Rundschreiben Quanto conficiamur von 1863 an die italienischen Bischöfe nannte Pius IX. drei Kriterien für das ewige Heil derjenigen, die sich in unüberwindlicher, d. h. unschuldiger Unkenntnis des katholischen Glaubens befinden: Dass sie das natürliche Sittengesetz erfüllen, das Gott in ihr Herz „eingemeißelt“ hat, dass sie zum Gottesgehorsam bereit sind und dass sie ein rechtschaffenes Leben führen – dies alles „durch das Wirken der Kraft des göttlichen Lichtes und der göttlichen Gnade“ (DHü 2866). Die päpstliche Stellungnahme sieht das Herz als „Ort der Begegnung zwischen göttlicher Gnade und menschlichem Willen“.112 Und erstmals wurde lehramtlich definiert, dass die Formel „Extra ecclesiam nulla salus“ nur im Hinblick auf diejenigen gilt, die schuldhaft außerhalb der sichtbaren katholischen Kirche sind. Von Pius IX. an – nicht erst mit dem Zweiten Vatikanum – wurde es somit allgemeine katholische Lehre, dass es Heil außerhalb der sichtbaren katholischen Kirche gibt. In den folgenden Jahrzehnten wurde theologisch weiter darüber nachgedacht, in welcher Beziehung diese Menschen zur Kirche stehen und dabei wurde die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer („mystischer Leib“) Kirche leitend. Das Erste Vatikanisch Konzil (1869/70) blieb mit seiner Definition von der Erkennbarkeit Gottes kraft des Lichtes der natürlichen Vernunft (DHü 3003.3026) im Blick auf die Heils- und Religionsthematik „erstaunlich blass“.113 Weitere Schritte für eine religionstheologische Öffnung seitens des Lehramtes zeigen sich erst in der Enzyklika Mystici Corporis von Pius XII. aus dem Jahr 1943, wo – gemäß der mittelalterlichen Votum-Lehre114 – von einer Hinordnung (ordinentur) der Nichtkatholiken auf die (katholische) Kirche (vgl. LG 16) „durch ein unbewusstes Sehnen und Verlangen“ (inscio quodam desiderio ac voto) gesprochen wird (DHü 3821). Die Heilsmöglichkeit der außerhalb der sichtbaren Kirche Stehenden wird also nicht auf die Katechumenen (=Taufanwärter) beschränkt, die ein bewusstes und explizites Verlangen nach Kirchenzugehörigkeit haben. Hier klingt schon die wenige Jahre später (1947) von Karl Rahner formulierte Theorie vom „anonymen Christen“ an. In einem Brief des Heiligen Offiziums an den Erzbischof von Boston vom 8. August 1949 wird der Gedanke eines unbewussten Verlangens weiter vertieft: Zuerst 111 112 113 114

Zit. nach Neuner/Roos, Glaube, 234 (Nr. 367). Morali, Salvation, 125. Siebenrock, Kommentar, 612. S. o. 2.1.2; 2.2.4.

58

2 Geschichtliche Entwicklungen

wird der Extra-Grundsatz sogar als „unfehlbare Aussage“ (DH 3866) bestätigt, dann aber – gegen die rigoristische Auslegung des Jesuiten Leonhard Feeney – dahingehend interpretiert, dass er sich auf jene beziehe, die um die Heilsnotwendigkeit der Kirche wissen, sich ihr aber dennoch nicht anschließen wollen (vgl. DHü 3867ff). Dann heißt es weiter: „Damit einer nämlich das ewige Heil erlangt, wird nicht immer erfordert, dass er tatsächlich der Kirche als Glied einverleibt wird, sondern mindestens das wird verlangt, dass er ebendieser durch Wunsch und Verlangen anhängt. Dieser Wunsch muss jedoch nicht immer ausdrücklich sein, wie es bei den Katechumenen der Fall ist, sondern wenn ein Mensch an unüberwindlicher Unkenntnis leidet, nimmt Gott auch den einschlussweisen Wunsch an, der mit einem solchen Namen bezeichnet wird, weil er in jener guten Verfassung der Seele enthalten ist, durch die der Mensch will, dass sein Wille dem Willen Gottes gleichförmig sei“ (DHü 3870). An die Stelle der heilsnotwendigen Sakramente Taufe und der Beichte kann also das implizite oder unbewusste Verlangen danach (votum sacramenti) und an die Stelle der tatsächlichen Zugehörigkeit zur Kirche das votum ecclesiae treten. Dieses Votum drückt sich darin aus, seinen Willen mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung bringen zu wollen, also etwa im Gehorsam gegenüber dem Naturgesetz oder gegenüber dem eigenen Gewissen. Mit diesen lehramtlichen Äußerungen Mitte des 20. Jahrhunderts bekam das geschlossene exklusivistische Modell einen „begründungstheoretischen ‚Riss‘“115, oder positiv formuliert, eine Öffnung. In einer Ansprache an Hebammen von 1951 sagte Pius XII., dass „ein Akt der Liebe genügen kann, um der heiligmachenden Gnade teilhaftig zu werden und die fehlende Taufe zu ersetzen.“116 Am 31. Dezember 1952 sprach der Papst in einer Radiobotschaft vom „Wahren und Gutem in anderen Religionen, das seine tiefere Bedeutung und endgültige Erfüllung in Jesus Christus“117 finde – eine Vorwegnahme späterer Konzilsaussagen (vgl. NA 2). Fazit Beginnend mit der Enzyklika Mystici Corporis (1943) wird in die klassische und traditionelle Extra-Lehre durch das Modell der gestuften Kirchenzugehörigkeit eine inklusive Öffnungsklausel eingefügt, die das Zweite Vatikanum aufgreifen, differenzieren und vertiefen sollte. Die Votum-Lehre von Mystici Corporis und die darauf Bezug nehmenden päpstlichen Äußerungen in den folgenden Jahren war ohne Zweifel eine behutsame und notwendige Öffnung in der Frage nach dem Heil der Nichtkatholiken, doch ihr haften „mindestens drei Mängel“ an: „Erstens unterstellt sie Nichtkatholiken, Nichtchristen und Nichtgläubigen ein unthematisches Verlangen, zur Kirche zugehören zu wollen, ohne dass deren Selbstverständnis hinreichend beachtet würde. Das nährt den Verdacht der Vereinnahmung. Zweitens wird in der Votum-Lehre zwischen getauften und nichtgetauften 115 Nitsche, Gott, 66 (mit Bezug auf DHü 3869ff). 116 Zit. nach Congar, Kirche, 140. 117 Zit. nach Morali, Salvation, 128.

2.2 Die Kirche und die Religionen vom Mittelalter bis in die Neuzeit

59

Nichtkatholiken nicht unterschieden. Das ist ein ökumenisches Defizit. Drittens kommen die nichtkatholischen Kirchen oder nichtchristlichen Religionen als ‚Faktor der Heilsführung Gottes‘ nicht in den Blick. Die Votum-Lehre bleibt auf der Ebene des Individuums und vermag die ekklesiale Dignität der nichtkatholischen Kirchen nicht in den Blick zu bekommen. Diese drei Mängel hat das II. Vatikanische Konzil durch das Modell der gestuften Kirchenzugehörigkeit überwunden.“118 Der erste lehramtliche Text, der das Modell der gestuften Kirchenzugehörigkeit vertritt, ist jedoch nicht das Konzil selbst, sondern die Enzyklika Ecclesiam Suam von Paul VI. vom 6. August 1964. Festzuhalten ist, dass die individuelle Heilsmöglichkeit von Menschen außerhalb der sichtbaren Kirche bereits vor dem Konzil lehramtlich gleichsam gesichert war. Die individuelle Heilsfrage war im Wesentlichen entschieden, anders als die Frage nach der Rolle der konkreten Religionen in diesem Heilsgeschehen. Der dogmengeschichtliche Rückblick machte aber auch deutlich, dass „von einer lehramtlich verpflichtenden Theologie der Religionen mit dogmatisch dauerhafter Verbindlichkeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht gesprochen werden“ kann.119 Vor allem die nichtchristlichen Religionen als soziale Gebilde kommen in der Lehrverkündigung praktisch nicht vor. Dies ändert sich erst mit der Enzyklika Ecclesiam Suam Pauls VI. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

2.2.6

Religionstheologische Positionen der Reformatoren

Die reformatorischen Kirchen konnten die ekklesiozentrische Form des katholischen Exklusivismus nicht übernehmen, da sie die sichtbare Kirche als notwendige Mittlerin der göttlichen Heilsgnade ablehnten. Sie haben dafür eine andere Form von Exklusivismus vertreten, welchen man christozentrisch bezeichnen könnte: Heilshafte Gottesbeziehung ist nach diesem Modell allein im expliziten Glauben an Jesus Christus möglich (solus Christus, sola gratia, sola fide). „Damit ist eine Distanzierung geschaffen, von der aus Religionskritik am Christentum im Namen der Christusbotschaft ermöglicht wird“120. So schrieb Martin Luther in seinem großen Katechismus von 1529/30121: „... wo man nicht von Christus predigt, da ist kein Heiliger Geist, der die christliche Kirche macht, beruft und sammelt, außerhalb derer niemand zu dem Herrn Christus kommen kann ... Denn die außerhalb der Christenheit sind, seien es Heiden, Türken, Juden oder falsche Christen und Heuchler, mögen zwar nur einen wahrhaftigen Gott glauben und anbeten, aber sie wissen doch nicht, wie er gegen sie gesinnt ist. Sie können von ihm auch weder Liebe noch etwas Gutes erhoffen; deshalb bleiben sie in ewigem Zorn und Verdammnis. Denn sie haben den Herrn Christus 118 Tück, Extra, 257. Als weiterer Mangel wäre die völlig unzureichende theologische Würdigung des Judentums zu nennen. 119 Siebenrock, Kommentar, 600. 120 Bernhardt, Absolutheitsanspruch, 65. 121 Zit. nach: Lutherisches Kirchenamt (Hg.), Bekenntnisschriften, Marginalziffern 743. 751.

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2 Geschichtliche Entwicklungen

nicht und sind auch mit keinen Gaben durch den Heiligen Geist erleuchtet und begnadet.“ Natürliche Gotteserkenntnis ist nach Luther also im Anschluss an Paulus (Röm 1,19) durchaus möglich, aber sie reicht für das Heil angesichts der Erbsünde nicht aus. Luthers Rechtfertigungslehre führte letztlich zu einer grundlegenden Kritik und Ablehnung der natürlichen Theologie: Begriffspaare wie „Gesetz und Evangelium“, „Werke und Glaube“ wurden bei ihm zu einem Gegensatz, der nicht nur den christlichen Glauben von anderen Glaubensweisen wie der Juden und Muslime unterschied, sondern der sich quer durch die Christenheit zieht. Luthers Sündenbegriff und Kreuzestheologie kamen in einen Gegensatz zur Schöpfungstheologie und verhinderten eine positive theologische Verhältnisbestimmung zu Judentum und Islam. Der Reformator Jean Calvin (1509−1564) leugnete ebenfalls die Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis. Und in den Reformierten Bekenntnisschriften von 1562 heißt es: „Die Gemeinschaft aber mit der wahren Kirche Christi halten wir so hoch, dass wir behaupten, diejenigen können nicht vor Gott leben, die mit der wahren Kirche Gottes keine Gemeinschaft haben, sondern sich von ihr trennen.“122 Ein positiver Zugang zu anderen Religionen war der reformierten Tradition damit verwehrt. In der Lutherischen Orthodoxie (etwa 1580−1730) hingegen kam es durch Rückgri auf Thomas von Aquin zu einer Wiedergewinnung der natürlichen Theologie, indem sie die natürliche Gotteserkenntnis und die Gotteserkenntnis durch Offenbarung in ein Wechselwirkungsverhältnis brachte.123 Hier kommt auch die Unterscheidung von einer speziellen und einer allgemeinen Offenbarung (revelatio specialis/generalis) auf. So konnte der erste lutherisch-pietistische Missionar in Indien, Bartholomäus Ziegenbalg (1682−1719), bei den heidnischen Hindus das natürliche göttliche Licht erkennen: Er zog „nicht einfach eine Grenzlinie zwischen Christen und ‚Heiden‘, sondern innerhalb der ‚Heiden‘ zwischen denjenigen, die den einen Gott geistig verehrten und die er in Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben ansieht, und denjenigen, die in Idolatrie, Polytheismus, Werkerei und äußeren Zeremonien befangen seien und der Missionierung bedürften.“124 In den monotheistischen Strömungen der Hindureligionen sah er wie die Apologeten der frühen Kirche eine Vorbereitung auf das Evangelium.

Literatur zum Weiterlesen: Martin Repp, Der eine Gott und die anderen Götter. Eine historische und systematische Einführung in Religionstheologie der Ökumene, Leipzig 2018.

122 Jacobs, Bekenntnisschriften, 216. 123 So Repp, Gott, 210–223, 381. 124 Repp, Gott, 314.

3.

Der Paradigmenwechsel in der christlichen Verhältnisbestimmung zu den anderen Religionen

3.1

Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

3.1.1

Religionstheologische Neuansätze vor dem II. Vatikanum

Wie gesehen, gab es seit den Kirchenvätern einen Strang, der sehr wohl göttliche Gnade außerhalb der sichtbaren Kirche annahm. Dieser Strang verstärkte sich in der Neuzeit durch die Entdeckung neuer Völker und eine bessere Kenntnis der anderen Religionen, besonders Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Das erstmals 1934 erschienene Werk „Das Religiöse in der Menschheit und das Christentum“ des Jesuiten Otto Karrer (1888–1976) stellt eines der wichtigsten theologischen Werke vor dem Konzil für eine neue theologische Bewertung der nichtchristlichen Religionen dar: Ähnlich wie später NA 1 ging er von der „Idee einer letzten Einheit“ der Schöpfung und Erlösung aus, „in der alles Viele umschlossen und die Gegensätze der Sichtbarkeit in einer höheren Ordnung versöhnt sind.“125 Er betrachtet, wie später Rahner, den Menschen wesenhaft von der Gegenwart Gottes umgriffen. Im Islam sah er „in seinem Besten ein(en) Ableger alt- und neutestamentlicher Überlieferung“ (57), in Muhammad einen „der großen Wohltäter der Menschheit“ (58): „Das Bewusstsein der Abhängigkeit von Gottes Willen, des Vertrauens auf seine Barmherzigkeit sind die Grundmotive mohammedanischer Frömmigkeit“ (59). Karrer stellte auch jene Grundregel auf, die bis heute im Dialog gilt: niemals das eigene Ideal mit den Schattenseiten des Anderen vergleichen (vgl. 157). Er forderte, das Positive und Wertvolle in den anderen Religionen anzuerkennen und darin Gottes Nähe im Sinne einer allgemeinen Offenbarung zu sehen (vgl. 160f). Diese allgemeine Offenbarung wollte er aber nicht im traditionellen Sinne einer „natürlichen Offenbarung“ verstanden wissen, denn es könne keine echte Gotteserkenntnis und -beziehung geben ohne übernatürliche Gnadenhilfe (vgl. 165f; 227). Noch vor Rahner ist bei Karrer so etwas wie der Gedanke eines anonymen christlichen Glaubens zu finden: In der Anerkennung einer höheren Norm, der man sich im 125 Karrer, Menschheit, 1.

62

3 Der Paradigmenwechsel

Gewissen verpflichtet fühlt, „liegt eine tatsächliche Beziehung zu Gott; im Streben nach Läuterung, Gerechtigkeit, Güte eine Anerkennung Gottes eingeschlossen. Es ist die Ehrfurcht vor dem, ‚quo maius cogitari non potest‘, die sich im Sittlichen äußert. Die formal religiöse Haltung. Ein tatsächlicher, wenn auch noch nicht entfalteter Gottesglaube.“ (205) Es gebe eine „unsichtbare(n) Kirche der Guten und Begnadeten auch jenseits der sichtbaren Kirchengemeinschaft“ (231), die er jedoch als Ineinander versteht: „Die streng gottesgläubigen Kulte des Judentums und Islams, und mehr, die christusgläubigen schismatischen und häretischen Christengemeinschaften enthalten in ihrem Glauben und Kult einen ‚kostbaren Schatz‘, (…) von göttlicher Wahrheit und Heiligungsmitteln: Gottesverehrung, sittliche Ideale, Christusglaube, Kult- und andere Gebete, heilige Bräuche, teilweise bis zu den Sakramenten – und sind darin unbewusst katholisch, und insofern vermögen sie Gnade und Heil zu wirken, nicht zwar aus sich und sofern sie Getrennte sind, sondern sofern sie Nicht-Getrennte sind: kraft ihrer unbewussten, aber tatsächlichen Beziehung, Gemeinschaft, Übereinstimmung mit dem Heilsgut der einen, heilbringenden Catholica (234) ... Es ist nicht so, dass die in der Kirche alles hätten, die ‚draußen‘ nichts. Aber was diese Wahres und Gutes, Heiliges und Heilkräftiges haben, ist ein Stück von ihr, der seligmachenden einen Catholica (247).“ Hier ist der inklusive Ansatz des Konzils in seinen wesentlichen Inhalten bereits vorweggenommen. Ebenso beim Missionstheologen und Benediktiner Thomas Ohm (1892–1962), der nach seiner kenntnisreichen Untersuchung zur Gottesliebe in den Religionen 1950 – allerdings ohne Berücksichtigung des Judentums – zu dem Schluss kam: „Die verschiedensten Menschen und Religionen kennen den einen Gott, der Güte hat oder Liebe ist. Selbst der Liebe zu Gott sind wir begegnet. Viele Nichtchristen sind sogar dermaßen mit Liebe zu Gott erfüllt, dass wir sie am liebsten ‚heimliche Christen‘ nennen möchten. … Auch ganze Religionen haben wir kennengelernt, welche die Liebe zu Gott lehren, empfehlen und üben.“126 Ohm war überzeugt, dass die Gnade Christi unsichtbar die übernatürliche Liebe zu Gott in den Seelen der Nichtchristen bewirkt und es folglich auch echte Mystik außerhalb der Kirche gibt. 15 Jahre vor dem Konzil schrieb er: „Wir haben keine Bedenken, das Wahre, Gute und Schöne in den nichtchristlichen Religionen anzuerkennen, und fühlen uns sogar dazu verpflichtet, weil alles Wahre, Gute und Schöne letzten Endes von Gott stammt und Gott gehört“ (445). Gleichwohl war Ohm der Meinung, dass die Nichtchristen „Erlösung von ihren Religionen“ (463) brauchen, weil sie mit Irrtümern vermischt sind. Der Jesuit Jean Daniélou (1905–1974) griff 1952 die patristische Logoslehre auf, wenn er „von der Sendung des göttlichen Wortes in der Welt der Heiden“ spricht, „das heißt von der Gegenwart des Wortes bei den Nichtchristen“127. Alles, was die Religionen „Gutes in sich tragen, haben sie von Gott“ (36), sein Wirken geht über die sichtbare Kirche hinaus. Im Islam sah Daniélou einen „Reis auf dem jüdischen Stamm“, „eine Weiterentwicklung des jüdischen Monotheismus“, wenn auch mit Elementen christlicher Häresien: „Mohammed hat sein Volk dem Polytheismus ent126 Ohm, Liebe, 371. 127 Daniélou, Heil, 27.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

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rissen, um es zur Verehrung des wahren Gottes, des einzigen Gottes zu führen. Diese Leistung war gewiss bewundernswert. In seinem Werk hatten sich viele religiöse Elemente verkörpert.“ Positiv im Islam sei sein „ausgeprägter Sinn für die Größe und Heiligkeit Gottes“, „Sinn für das Mysterium ... für die Transzendenz Gottes, die eine wesentliche religiöse Kategorie ist, und hier sollte man ohne weiteres zugeben, dass wir von den Mohammedanern in dieser Hinsicht sehr viel lernen könnten. Sie haben einen viel besser entwickelten Sinn für die drängende und fordernde Gegenwart Gottes in der Welt, als er uns bei den christlichen Kulturen begegnet“ (50f). Gleichzeitig sah er im Islam auch Falsches, ja Dämonisches – er nennt die Politisierung der Religion, eine gewisse Laxheit in der Moral usw. –, das sich der christlichen Botschaft entgegenstellt (vgl. 58ff). In seinem Werk Dieu et Nous von 1956 ging Daniélou davon aus, dass die „Begegnung Gottes mit dem Menschen … ihren ersten Ausdruck in den heidnischen Religionen“ findet.128 Mit der jüngeren katholischen Tradition nahm er an, dass „sich in ihnen echte religiöse Werte finden, die der Ausdruck eines Beistandes sind, den Gott den Menschen niemals verweigert hat, und die gegenüber dem Judentum und Christentum als Vorstufen angesehen werden können“ (11). Einige Absätze später spricht er vom „Vorhandensein einer gewissen Erkenntnis und Anbetung des wahren Gottes“ – eine Formulierung, die an den Beginn von NA 2 erinnert. „Bevor Gott durch Moses und durch Jesus Christus sprach, hat er schon einmal durch den Kosmos und durch das Gewissen zu allen Menschen gesprochen“ (16). Daniélou vertrat allerdings – typisch für viele vorkonziliare Ansätze, aber im Gegensatz zur Vätertheologie – einen Dualismus zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung: Durch die Erbsünde sei die erste, ohnehin unvollständige natürliche Offenbarung verfälscht und geschwächt worden und durch die mosaische und christliche, übernatürliche Offenbarung überholt und erfüllt. Das Konzil wird diesen Dualismus nicht aufgreifen, in Teilen aber sehr wohl Daniélous Erfüllungstheologie. Der Jesuit Karl Rahner (1904−1984) entwickelte demgegenüber schon in seinem religionsphilosophischen Hauptwerk „Hörer des Wortes“ von 1941 „im Kern die Idee einer ‚transzendentalen Offenbarung‘“129, wonach es neben der geschichtlichen Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus immer schon und universal eine Art „innere Offenbarung“ im Modus der Angewiesenheit und der von der Gnade Gottes ermöglichten Öffnung des Menschen auf Gott hin etwa im Anruf des Gewissens gibt. Das Handeln jedes Menschen nach dem Gewissen wird als „von der Gnade Gottes getragene Anerkennung dessen, der im Gewissen spricht, also Gottes, u(nd) damit als Heilsakt aufgefasst.“130 Dieses „allgemeine Gnadenwirken Gottes“ sei jedoch auf die geschichtliche Offenbarung und damit auf die Kirche und ihre Sakramente ausgerichtet und werde dadurch vollendet. Durch diesen letztlich pneumatologischen Ansatz war der Weg frei, von einer Heilsmöglichkeit außerhalb der sichtbaren Kirche zu sprechen, ohne die Heilsnotwendigkeit der Kirche aufzugeben. 128 Daniélou, Gott, 9. 129 Schwerdtfeger, Gnade, 69. 130 Vorgrimler, Anonymes Christentum, 42.

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3 Der Paradigmenwechsel

Rahner entwickelte daraus (ab Mitte der 1950er Jahre) seine Theorie vom „anonymen Christen“, die im Grunde mit einem „doppelten Kirchenbegriff (nicht zwei Kirchen!)“ arbeitet: „Kirche als äußere, rechtliche Gemeinschaft (…) und Kirche als Einheit von sichtbarer Gemeinschaft und innerer, gnadenhafter Verbundenheit der Menschen mit Christus und untereinander im Heiligen Geist (…). Und dementsprechend schließlich den Begriff einer gültigen äußeren Kirchengliedschaft (…) und den Begriff einer gnadenhaften Kirchengliedschaft“.131 Dieser Schritt ermöglichte letztlich nicht nur die ökumenische Öffnung des Kirchenbegriffs, sondern auch die Öffnung in Bezug auf die Nichtchristen. Der Begriff des „anonymen Christen“ ist im Grunde nur eine Übersetzung und christologisch-pneumatologische Fortführung der traditionellen Auffassung vom „impliziten“, also unbewussten Glauben (fides implicita): Glaube aufgrund von göttlicher Gnade vor der Taufe und außerhalb des expliziten, sichtbaren Christentums.132 Noch kürzer: Die Gnade geht der Taufe voraus und zwar universal. Damit ist die Heilsbedeutung und -notwendigkeit Jesu Christi und der Kirche nicht aufgegeben, vielmehr ausgeweitet: „In der Annahme seiner selbst nimmt der Mensch Christus als absolute Vollendung und Garant seiner eigenen anonymen Bewegung auf Gott hin durch die Gnade an, und die Übernahme dieses Glaubens ist nochmals nicht Tat des Menschen allein, sondern Werk der Gnade Gottes, die die Gnade Christi ist, und das heißt wiederum auch: die Gnade seiner Kirche, die nur die Weiterung des Geheimnisses Christi, seine bleibende sichtbare Gegenwart in unserer Geschichte ist.“133 Jedes Heil, auch das des Nichtchristen, ist damit das durch Jesus Christus geschenkte und vom Heiligen Geist bewirkte Heil, ob dem Nichtchristen dies bewusst ist oder nicht. Das Entscheidende bei Rahner – vor ihm bereits bei Karrer – war zum einen, dass die traditionelle Trennung zwischen natürlicher Religion im Sinne des bloßen Suchens des Menschen nach Gott und Wahrheit einerseits und der übernatürlichen, von Gott geschenkten Offenbarung andererseits aufgehoben wird: Jeder Mensch ist vielmehr von der geschenkten Gnade Gottes umfangen, weil dieser das Heil des Menschen will, und jede wahre Gotteserkenntnis ist bereits von Gott geschenkte und ermöglichte Gotteserkenntnis. Rahner wie Karrer sehen diese Momente übernatürlicher Gnade nicht nur in den Individuen als rein innere Wirklichkeit, sondern auch in den geschichtlichen nichtchristlichen Religionen mit ihren Riten und Lehren. Rahner geht deshalb von einer, wenn auch wegen der darin enthaltenen Irrtümern und Unzulänglichkeiten nur vorläufigen und gestuften, Legitimität der anderen Religionen aus: „Legitime Religion soll hier heißen: eine institutionelle Religion, deren ‚Benützung‘ durch den Menschen zu einer bestimmten Zeit im ganzen als positives Mittel der richtigen Beziehung zu Gott und so zur Erlangung des Heiles angesehen werden kann und so in Gottes Heilsplan positiv einkalkuliert ist.“134 Rahner, wenige Monate vor Konzilsbeginn durch das Heilige Offizium noch mit einer (1963 schließ131 132 133 134

Schwerdtfeger, Gnade, 75; vgl. Rahner, Christen, 546. Vgl. Rahner, Missionsauftrag, 502f. Rahner, Christen, 550. Rahner, Christentum, 148; ders., Heilsbedeutung, 341–350.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

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lich zurückgenommen) „Vorzensur“ belegt, wurde als persönlicher Berater des Wiener Kardinals König und als offizieller Konzilssachverständiger zu einem der wichtigsten Konzilstheologen neben Yves Congar, Joseph Ratzinger und Hans Küng. Der Dominikaner und spätere Kardinal Yves Congar (1904–1995), Vordenker der Nouvelle Théologie, 1954 noch mit einem Lehrverbot belegt und dann zum Konzilsberater berufen, versuchte 1959 eine Relecture der traditionellen Extra-Lehre und vertrat mit Verweis auf den Fall Feeney den dann auch vom Konzil rezipierten Inklusivismus: „Wenn der Grundsatz ‚Außer der Kirche kein Heil‘ so zu verstehen wäre, dass alle konkreten Personen, die nicht tatsächlich zur Katholischen Kirche gehören, vom Heil ausgeschlossen wären, würde sich die Heilsfrage mit der Frage decken, wer Glied der Kirche ist. Es genügt nicht zu sagen, dass man diese Formel nicht unbedingt so zu verstehen braucht. Man muss sagen, dass diese Deutungsweise ausgeschlossen, offiziell ausgeschlossen ist“.135 Ähnlich wie Rahner spricht Congar vom „verborgenen Christentum“ (137) und er verwendet den Begriff der „Hinordnung“ (155) der Nichtchristen auf den „mystischen Leib“ der Kirche, den dann auch LG 16 verwenden wird. Der katholische Theologe und Philosoph Heinz Robert Schlette (geb. 1931), ein Schüler des Missionstheologen Ohm, versuchte in seiner 1963 erschienen Monographie zur Religionstheologie, die Heilsfrage aus der „individualistischen Betrachtungsweise, die das subjektiv-moralische Gewissen in den Mittelpunkt rückt, herauszulösen“136 und in Beziehung zu setzen mit der Rolle der geschichtlichen Religionen, in denen sich Gottes Wille manifestiert: Es bedürfe einer „Theologie der Heilsgeschichte, die die Einheit des Handelns Gottes mit den Menschen und die Verschiedenheit der Wege Gottes sichtbar macht“ (31). Dabei versteht er „Heilsgeschichte“ nicht nur als theologische Deutung der Religionsgeschichte, sondern als „Inbegriff alles von Seiten Gottes zum ‚Heil‘ des Menschengeschlechts in der Geschichte der Menschheit Geschehenen und Geschehenden“ (70). Diese „allgemeine“, universale Heilsgeschichte werde durch die „spezielle Heilsgeschichte“ durch Jesus Christus erst bewusst. In einer weiteren Monographie von 1964 vertrat Schlette die Auffassung, dass „in den religiösen Akten und Vollzügen der nichtchristlichen Religionen nicht bloß etwas subjektiv Redliches geschieht oder geschehen kann, sondern dass darin – die subjektive Integrität immer vorausgesetzt – tatsächlich eine Beziehung des Menschen zu dem einen Mysterium Gott sich ereignet und darstellt.“137 In diesem Sinne seien die Religionen von Gott gewollt und legitimiert, sie seien „ordentliche Heilswege“, während der Weg der Kirche der „außerordentliche Heilsweg“ sei.138 Im Anschluss an Rahner formulierte er, dass man „auf verschiedenen Wegen zum (Seelen-)Heil kommen“ kann – „dogmatisch freilich ist sofort hinzuzufügen: Das Axiom ‚Extra Ecclesiam salus non est‘ lässt sich in Übereinstimmung mit zahlreichen Theologen auf die Formel bringen: Sofern jemand zum Heil gelangt, geschieht dies durch die Vermittlung und Stellvertretung der Kirche, das heißt letzten Endes kraft 135 136 137 138

Congar, Kirche, 117. Schlette, Religionen, 19. Schlette, Konfrontation, 70. Schlette, Religionen, 85.

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3 Der Paradigmenwechsel

dessen, was wir Erlösung in und durch Jesus Christus nennen. Das Axiom verwendet den patristischen und auch noch mittelalterlichen ecclesia-Begriff, der alle Gerechten ab initio mundi umfasst.“139 Schlette ist sich damals auch schon bewusst, dass ein Selbstverständnis des Christentums nur noch im Angesicht der anderen Religionen formuliert werden kann. Bei ihm taucht wohl erstmals auch der terminus technicus „Theologie der (nicht-christlichen) Religionen“ auf. Das gemeinsame Anliegen und der gemeinsame theologische Ansatz der genannten Vordenker einer neuen katholischen Religionstheologie liegen darin, die Überzeugung von der Heilsnotwendigkeit der Kirche mit der Heilsmöglichkeit der Nichtchristen zu verklammern. Der geschichtliche Überblick machte deutlich, dass bis zum Vorabend des Zweiten Vatikanums die kirchliche Lehre und die katholische Theologie in ihrem Mainstream keinen positiven Zugang zum Judentum und zu den anderen Religionen finden konnten, auch wenn es hinsichtlich der Frage nach der Heilsmöglichkeit des einzelnen Menschen Öffnungen gab. Erst im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dann vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu zaghaften Versuchen, einen neuen Blick auf das Judentum und die Religionen zu gewinnen. Sie sollten die Wende des Konzils in dieser Hinsicht vorbereiten.

3.1.2

Erste Schritte des christlich-jüdischen Dialogs nach 1945

Das unvorstellbare und unvergleichliche Verbrechen der Judenvernichtung durch die Nazis führte zunächst nur bei einigen Theologen und engagierten Christ*innen zu einer veränderten Haltung gegenüber den Juden und ihrer Religion. Sie erkannten die Verirrungen der jahrhundertealten, tief verankerten christlichen Judenfeindschaft und deren Mitverantwortung für die Schoa. Irritierend ist, dass selbst nach Ende des Krieges das Schweigen von Papst Pius XII. weiterging: „Zwischen 1939 und 1945 hatte er tatsächlich Rücksichten zu nehmen und saß in der Falle zwischen Konflikten, die unvereinbar waren. Doch nach 1945 wäre eine umfassende Wendung der Kirche ein behutsamer Akt gewesen.“140 Stattdessen warnte Rom noch 1950 Katholiken vor der aktiven Teilnahme etwa an Veranstaltungen des „International Councils of Christians and Jews“ aus Angst vor Indifferentismus. Denn weltweit kam es angesichts der Schrecken des Krieges und der Judenvernichtung zur Gründung von Vereinigungen und Zeitschriften, die gegen den Antisemitismus arbeiteten und sich der christlich-jüdischen Verständigung widmeten: Der National Council for Christians and Jews in London (1942), die von Paul Démann herausgegebene Zeitschrift Cahiers Sioniens in Frankreich (1947), der von Gertrud Luckner herausgegebene Freiburger Rundbrief (1948), die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland (ab 1948), die von John Oesterreicher herausgegebene Zeitschrift The Bridge des Instituts für jüdisch-christliche Studien an der Seton Hall University usw. Zwei Jahre nach der Schoa trafen sich auf private Initiative hin 65 internationale 139 Schlette, Konfrontation, 67. 140 Lohrmann, Päpste, 259.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

67

Vertreter christlicher Kirchen und des Judentums im schweizerischen Seelisberg. Als einzige Katholikin aus Deutschland nahm daran Gertrud Luckner teil. Die bei der Seelisberger Konferenz gemeinsam formulierten zehn Punkte gingen als „Seelisberger Thesen“ in die Geschichte ein.141 Neben dem Bekenntnis, dass Juden und Christen denselben Gott anbeten, wird eine Kollektivschuld der Juden am Tod Jesu wie auch die Verwerfung des jüdischen Volkes zurückgewiesen. Eine Folge des Treffens war die Gründung des Internationalen Rates von Juden und Christen 1948 (ICCJ), der bis heute besteht. Die „Schwalbacher Thesen“ von 1950 stellen eine Vertiefung der Seelisberger Thesen aus deutscher Perspektive dar.142

3.1.3

Johannes XXIII. im Vorfeld des Konzils

Knapp drei Monate nach seiner Wahl zum Papst kündigte Johannes XXIII. Anfang 1959 für alle überraschend die Einberufung eines Konzils an, das seiner Intention nach zu einer Erneuerung der Kirche und des christlichen Lebens führen sowie der Einheit der Christen dienen sollte. In der Einberufungsbulle Humanae Salutis spricht er von den „Zeichen der Zeit“, die das Konzil lesen solle. Schon bald aber nach der Ankündigung des Konzils hatte Johannes XXIII. erste Schritte zu einer veränderten Wahrnehmung der Juden unternommen, indem er am 21. März 1959 in einem Rundschreiben an die Kirchen Roms anordnete, dass bei der großen Karfreitagsfürbitte die abwertenden Worte perfidi und perfidia in Bezug auf die Juden auszulassen seien – eine Forderung, die die priesterliche Vereinigung Amici Israel bereits 1928 vergeblich forderte. Diese Tilgung war ein erster wichtiger Reformschritt und wirkte wie ein Katalysator: „Ohne dem Konzil vorzugreifen, setzte die Änderung des Karfreitagsgebets ein Signal im Hinblick auf die zu erwartende Liturgiereform. Im Nachhinein kann sie als ein maßgeblicher Anstoß für die in der ‚Judenerklärung‘ dokumentierte Neubesinnung auf das christlich-jüdische Verhältnis gelten.“143 Auch judenfeindliche Formulierungen im Taufritus für die Katechumenen144 sowie eine antijüdische und antiislamische Aussage im „Weihegebet des Menschengeschlechts an das Herz Jesu“, die auf Pius XI. zurückgingen, wurde noch im selben Jahr getilgt. Die Stelle im Weihegebet lautete: „Sei König über alle jene, die immer noch vom alten Wahn des Heidentums oder des Islams umfangen sind, entreiße sie der Finsternis, und führe sie alle zum Lichte und Reiche Gottes. Blicke endlich voll Erbarmen auf die Kinder des Volkes, das ehedem das auserwählte war. Möge das Blut, das einst auf sie herabgerufen wurde, als Bad der Erlösung und des Lebens auch über sie fließen …“145 141 Vgl. KuI I, 646f. 2009 veröffentlichte der Internationale Rat der Christen und Juden in Aktualisierung der Seelisberger Thesen einen neuen Aufruf mit dem Titel „Zeit zur Neu-Verpflichtung. Zur Schaffung eines neuen Verhältnisses zwischen Juden und Christen“, www.iccj.org. 142 Vgl. KuI, I, 647–650. 143 Kirchberg, Theo-logie, 41. 144 Z. B.: „Verabscheue den jüdischen Unglauben, verwirf den hebräischen Aberglauben“. 145 Zit. nach Démann, Johannes XXIII., 8.

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3 Der Paradigmenwechsel

Am 13. Juni 1960 kam es zu einer folgenreichen Begegnung zwischen Johannes XXIII. und dem französischen jüdischen Historiker Jules Isaac (1877−1963), die ziemlich sicher ausschlaggebend war dafür, dass der Papst das Thema Judentum auf dem Konzil behandelt wissen wollte. Am 18. September 1960 erteilte Papst Johannes XXIII. Kardinal Bea offiziell den Auftrag, sich als Präsident des Einheitsrates auch mit dem Verhältnis zum Judentum zu beschäftigen und einen Entwurf zu der Frage erstellen zu lassen. Aus dem Konzil wäre nicht das geworden, was geworden ist, wenn es nicht in den Jahren und Jahrzehnten vorher „geistbewegte“146 Neuaufbrüche in der Theologie und in der Kirche gegeben hätte: die ökumenische Bewegung, die liturgische Bewegung, die Bibelbewegung, die Wiederentdeckung der Patristik, die Anwendung geschichtlichen Denkens und die Auseinandersetzung mit der modernen Philosophie durch die Nouvelle Théologie, die beginnende Versöhnung mit dem Judentum etwa durch die Amici Israel, einer 1926 gegründeten priesterlichen Vereinigung, die sich für eine Versöhnung von Christen und Juden einsetzte. Viele Theologen hatten wichtige Vorarbeiten geliefert und das Konzil als theologische Berater wesentlich mitgeprägt. Vor allem aber waren Angehörige der Ordensgemeinschaften der Jesuiten, Franziskaner, Dominikaner, Benediktiner, Weißen Väter und Augustiner entscheidende Wegbereiter in den Jahrzehnten vor dem Konzil. Sie wagten es, neue intellektuelle und spirituelle Zugänge zu den anderen Religionen zu erkunden. Insofern kam das, was sich während des Konzils entwickelte, nicht aus dem Nichts, die ausgestreuten Samen der vorausgegangenen Jahrzehnte konnten nun Früchte tragen. Das Besondere und die Leistung des Konzils bestand darin, „dass es diesen Entwicklungen einen offiziellen, lehramtlichen Status gab – und zwar auch gerade jenen Entwicklungen, die noch kurz zuvor unter dem Verdacht gestanden hatten, vom rechten Glauben abzuweichen.“147 Die Amici Israel sind dafür das beste Beispiel. „Was das Konzil lehrmäßig als ‚habitudo‘ beschrieb, wurde vorher bereits erlitten und gelebt. Das Konzil greift diese Zeugnisse auf und verleiht ihnen eine weltkirchlich verpflichtende Dignität.“148 Die Theologen, die die einzelnen Vorlagen für die Konzilserklärungen und besonders zu den einzelnen Religionen gemacht haben, kannten diese Religionen aus jahrelanger persönlicher Erfahrung, intensiver wissenschaftlicher Forschung und theologischer Reflexion. Insofern sind die aus diesen Erfahrungen und Erkenntnissen erwachsenen Texte keineswegs weltfremd oder naiv. Es ist aber auch nachvollziehbar, dass sich all jene mit den Aussagen der Konzilserklärung schwer taten, die diese Erfahrungen und Erkenntnisse noch nicht gemacht hatten: „Es schien manchen Bischöfen schwierig, die Vertreter anderer Religionen nicht als Feinde, sondern als Verbündete zu sehen in unserem gemeinsamen Bemühen um eine bessere, gerechtere und geeinte Welt.“149

146 147 148 149

So der italienische Bischof und Konzilsvater Bettazzi, Vatikanum, 16f. Henrici, Heranreifen, 55. Siebenrock, Kommentar, 633. Neuner, Joseph, 72.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

3.1.4

69

Religionstheologische Grundlegung in der Kirchenkonstitution

Noch bevor sich das Konzil über eine Erklärung über die Haltung der Kirchen zu den anderen Religionen verständigen konnte, legte sie mit der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium (LG) von 1964 eine religionstheologische Basis, auf der die spätere Erklärung über die Religionen aufbauen konnte. Sie greift in LG 14–16 im Kapitel über das Volk Gottes implizit das in der Enzyklika Ecclesiam Suam angewendete Modell konzentrischer Kreise auf und unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Formen der Zugehörigkeit und der Zuordnung zur Kirche als „Weisen des In-Beziehung-Stehens“150: Nachdem Art. 14 zunächst die Einzigkeit der Heilsmittlerschaft Jesu Christi bekräftigt und die Heilsnotwendigkeit der Kirche für diejenigen bestätigt, die ihr bereits angehören oder um deren Heilsnotwendigkeit wissen, betont Art. 15 die Verbindung aller Getauften mit Christus, auch wenn sie nicht in voller Gemeinschaft mit dem Papst stehen. Art. 16 weitet dann den Blick auf die Nichtchristen: „Diejenigen endlich, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, sind auf das Gottesvolk auf verschiedene Weisen hingeordnet.151 In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist (vgl. Röm 9,4–5), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teure Volk: die Gaben und Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue (vgl. Röm 11,28–29). Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird. Aber auch den anderen, die in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen, auch solchen ist Gott nicht ferne, da er allen Leben und Atem und alles gibt (vgl. Apg 17,25–28) und als Erlöser will, dass alle Menschen gerettet werden (vgl. 1 Tim 2,4). Wer nämlich das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluss der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen.“152

Die Kirche wird nicht mehr abgrenzend und isoliert den anderen Religionen gegenübergestellt, vielmehr werden die anderen Religionen in unterschiedlichem Grade mit Christus und der Kirche in Beziehung gesetzt: „Die Konstitution führt in ihrer Darstellung von innen nach außen, von größerer Nähe zu größerer Ferne.“153 Die verbindende und alle umfassende Klammer aber ist der göttliche Ruf, der an alle Menschen ergeht, und der universale Heilswille Gottes.154 In Bezug auf die Nichtchristen wird die besondere, einzigartige Nähe des Judentums zur Kirche betont und 150 151 152 153 154

Ratzinger, Konzilsaussagen, 929. Vgl. Thomas v. Aquin, Summa Theol. III., q. 8, a. 3, ad 1. Vgl. Brief des Heiligen Offiziums an den Erzbischof von Boston: Denz. 3869 bis 3872. Grillmeier, Kommentar, 205. Vgl. Ratzinger, Mission, 929.

70

3 Der Paradigmenwechsel

mit Berufung auf Röm 11 erstmals offiziell die bleibende Erwählung Israels anerkannt – „eine der tiefgreifendsten Wendungen der bisherigen Kirchengeschichte“155, weil damit die alte Substitutionslehre ein für alle Mal aufgegeben wird! Röm 11,26 spricht von der eschatologischen Errettung „ganz Israels“ (in LG 16 leider nicht zitiert) durch den „Retter aus Zion“ (nach Jes 59,20 ist das JHWH)156, aber ohne dass von einer Eingliederung Israels in die Kirche die Rede ist. Insofern ist die Formulierung von der Hinordnung Israels auf die Kirche zu hinterfragen – bezieht man sich auf das paulinische Bild von der Wurzel, dann ist die Kirche eher auf Israel hingeordnet. Doch die Perspektive von Röm 11 ist letztlich theozentrisch: Es geht um das, was von Gott her zum Heil Israels und der Völker geschieht. Nach dem Judentum wird den Muslimen aufgrund ihres Ein-Gott-Glaubens und ihrer Berufung auf den Glauben Abrahams die größte Nähe zur Kirche zugewiesen. Es handelt sich hier um die erste positive lehramtliche Aussage über die Muslime und ihren Glauben überhaupt. Der Islam wird in die eine Heilsgeschichte eingeordnet und es wird anerkannt, dass die Muslime „mit uns“ (nobiscum) zu dem einen Gott, folglich zum selben Gott, beten. Weil sie Anteil haben am Heilsgeheimnis Christi, sind sie hingeordnet auf die Kirche. Denn nach LG 1 steht Christus, das Heil der Völker, im Zentrum des Heilsgeheimnisses, nicht die Kirche. „Damit ist der Kreis der Religionen, die unmittelbar, ganz oder teilweise, an der auf Christus hin gegebenen Offenbarung Gottes teilhaben, geschlossen“157, aber unter dem Einfluss der Gnade und damit in einer gewissen Beziehung zur Kirche stehen auch jene, die „in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen“, die Christus und die Kirche ohne Schuld nicht kennen. Hier ist mit Bezug auf 1 Tim 2,4 eine heilsuniversalistische Aussage gemacht. Wie Gott das Heil wirkt, wird hier nicht weiter ausgeführt, aber die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes (GS) begründet das Heil der Nichtchristen christozentrisch und pneumatologisch: „Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein.“ (GS 22) Die traditionelle Lehre von der Heilsnotwendigkeit des christlichen Bekenntnisses und der Kirche wird einerseits bestätigt (vgl. LG 14), andererseits aber nicht mehr exklusivistisch, sondern inklusiv interpretiert: Wer Christus ohne Schuld nicht kennt und nicht um die Heilsnotwendigkeit der Kirche weiß, kann dennoch zum Heil gelangen, wenn er unter dem Einfluss der göttlichen Gnade nach dem Willen Gottes lebt (vgl. auch GS 22; AG 7). „Um eine solche Unkenntnis zu überwinden reicht es nicht aus, von der Existenz des Evangeliums und der Kirche einfach nur im Sinne einer Information zu wissen; man muss vielmehr verstanden haben, dass dieses Evangelium das Wort der Wahrheit ist.“158 Das Konzil unterlässt am Ende dieses Abschnitts nicht das religionskritische Moment, auf die Vermischung des Guten und 155 156 157 158

Hünermann, Kommentar, 398. Zur Kategorie der Erwählung vgl. Winkler, Wege, 150–185. Vgl. Schöttler, Re-Visionen, 401–408. Grillmeier, Kommentar, 206. Gäde, Islam, 243.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

71

Wahren mit dem Bösen und der Lüge hinzuweisen. Das Evangelium Jesu Christi kann und muss dabei als Kriterium dienen. Mit der Aussage aber, dass außerhalb des christlichen Bekenntnisses und der formalen Kirchenzugehörigkeit (auf welche Weise auch immer) heilschaffende Gnade möglich ist, war eine religionstheologische Grundentscheidung getroffen, auf deren Basis die Erklärung über die Religionen weiterverfolgt werden konnte. Die theologische Grundüberzeugung, von der das Konzil ausgeht und die in der biblischen Glaubenserfahrung wurzelt, ist der universale Heilswille Gottes und die „Möglichkeit eigentlichen heilshaften Offenbarungsglaubens auch außerhalb der christlichen Wortoffenbarung“159: Gott will das Heil aller Menschen, also hat er alles getan, um die Menschen zum Heil zu führen. Das Konzil wollte den „Heilspessimismus“ des Augustinus überwinden hin zu einem „Heilsoptimismus, der nur an dem bösen Willen des einzelnen Halt macht und dabei hofft, dass die Macht der Gnade eben diese Bosheit noch einmal in freie Liebe zu Gott verwandelt“.160

3.1.5

Die Konzilserklärung „Nostra Aetate“

Die Erklärung trägt die Überschrift „De ecclesiae habitudine ad religiones non-christianas“. Es geht bei NA zuerst um die innere Haltung dem anderen gegenüber (z. B. in Form von Respekt, Hochachtung), aus der dann die theologische Positionierung erwächst: „In der Beschreibung dieser Haltung (‚habitudo‘) liegt daher nicht allein das verborgene dogmatische Gewicht, sondern auch der hermeneutische Schlüssel dieses Textes.“161

1.

Die Vielfalt der Religionen – die Einheit der Menschheit und der Heilsgeschichte (1) In unserer Zeit (Nostra Aetate), da sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt und die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich mehren, erwägt die Kirche mit um so größerer Aufmerksamkeit, in welchem Verhältnis sie zu den nichtchristlichen Religionen steht. Gemäß ihrer Aufgabe, Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern, fasst sie vor allem das ins Auge, was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt. (2) Alle Völker sind ja eine einzige Gemeinschaft, sie haben denselben Ursprung, da Gott das ganze Menschengeschlecht auf dem gesamten Erdkreis wohnen ließ (vgl. Apg 17,26); auch haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel. Seine Vorsehung, die Bezeugung seiner Güte und seine Heilsratschlüsse erstrecken sich auf alle Menschen (vgl. Weish 8,1; Apg 14,17; Röm 2,6–7; 1 Tim 2,4), bis die Erwählten vereint sein werden in der Heiligen Stadt, deren Licht die Herrlichkeit Gottes sein wird; werden doch alle Völker in seinem Lichte wandeln (vgl. Apg 21,23f).

159 Rahner, Grundinterpretation, 293. 160 Rahner, Bedeutung, 315. 161 Siebenrock, Kommentar, 596.

72

3 Der Paradigmenwechsel (3) Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?162

(1) Die Erklärung beginnt mit den bezeichnenden Worten „Nostra Aetate“ (NA) – „In unserer Zeit“, das heißt, die Kirche stellt sich ganz bewusst der Gegenwart. NA 1 besteht aus drei Abschnitten. Der erste Abschnitt (1) beginnt mit einer aktuellen Zustandsbeschreibung: Die faktische Pluralität der Religionen und Kulturen „in unserer Zeit“ einerseits und die durch die modernen technischen Mittel sich täglich mehrenden Begegnungen und Beziehungen der Völker andererseits – die Globalisierung – fordern die Kirche heraus, ihr Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen zu definieren. Damit stellt sich die Kirche in die Welt von heute, sie stellt sich „unserer Zeit“, den „Zeichen der Zeit“. Die Geschichte und die Welt werden als Orte der Gegenwart Gottes wahr- und ernstgenommen. Bezeichnenderweise ist der erste Bibelverweis der Erklärung (Apg 17,26) die Areopagrede des Paulus, sodass man wohl zu Recht davon sprechen kann, dass die ganze Erklärung die Areopagrede der Kirche „für die Epoche der Weltkirche im Kontext des religiösen Pluralismus“ darstellt.163 Mit der Aussage, dass die Kirche im Folgenden vor allem das ins Auge fasst, „was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt“, ist sowohl ein wichtiger hermeneutischer Schlüssel für die gesamte Erklärung wie auch ein Programm mitgeliefert, das mit der kirchlichen Aufgabe begründet wird, „Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern“. Darin sieht die Kirche ihre eigentliche Sendung, ihren Heilsauftrag. Mit diesem Abschnitt wird implizit ein Bezug hergestellt zu LG 1, wo die Kirche sich als „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ definiert (vgl. AG 1). Das besondere Gewicht dieses Selbstverständnisses und damit auch dieser Eröffnung von NA wird deutlich, wenn man sich die politischen Konflikte der damaligen Zeit bewusstmacht: Der Kalte Krieg zwischen Ost und West steuerte ebenso auf einen Höhepunkt zu (Oktober 1962: Kubakrise, August 1964: Beginn des Vietnamkriegs, Oktober 1964 zündet China die erste Atombombe) wie der Israel-Palästina-Konflikt (1964 Gründung der PLO). Auch in Afrika wüteten zahlreiche Bürgerkriege und Kriege. Aber auch Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaften weltweit werden zunehmend bewusst. Wenn die Konzilserklärung also in Bezug auf die einzelnen Religionen weniger das Unterscheidende in den Vordergrund stellt als das Verbindende, so geschieht dies aus eben dieser Motivation heraus, Einheit zu schaffen, nicht jedoch um die Unterschiede und das jeweils Spezifische der Religionen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu nivellieren. Statt der vorkonziliaren Differenzhermeneutik, die im162 Hier und im Folgenden zit. nach LThK.E II, 489–495, Nummerierung der Absätze AR. 163 Siebenrock, Senfkorn, 163.

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mer nur das Unterscheidende und Trennende zwischen katholischer Kirche und den anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen betont hat, vertritt das Konzil nun einen konsenshermeneutischen Ansatz. Wenn auch letztlich beide hermeneutischen Methoden einander brauchen, so hängt doch sehr viel davon ab, mit welchem methodischen Schritt man beginnt oder auf welche der beiden Methoden man eher den Akzent setzt. Will man in einen wirklichen Dialog mit anderen eintreten und dem universalen Heilswillen gemäß handeln, muss man erst einmal eine Vertrauensbasis schaffen und dafür ist der konsensorientierte Ansatz sicherlich der bessere Ausgangspunkt. Dieser Ansatz ist hinsichtlich der Konzilsgeschichte bislang einmalig und hängt mit der pastoralen Zielsetzung des Konzils zusammen. Vor allem aber sind die Menschen nichtchristlichen Glaubens (von „Heiden“ ist bezeichnenderweise nicht mehr die Rede) nicht als Missionsobjekte in den Blick genommen, vielmehr stehen sie als Subjekte im Zentrum und werden von ihrem jeweiligen Selbstverständnis her wahr- und ernstgenommen. Gerade dieser Ansatz und seine Zielsetzung verleiht der Erklärung ihre bleibende Bedeutung und Aktualität. (2) Beginnt die Erklärung mit dem zeitgeschichtlichen und phänomenologischen Verweis auf die religiöse und kulturelle Pluralität der Menschheit und dem Auftrag der Kirche in diesem Kontext, so setzt sie im zweiten Abschnitt des ersten Artikels schöpfungstheologisch und eschatologisch an, indem sie die gesamte Menschheitsfamilie auf denselben einen Ursprung und dasselbe letzte Ziel, den Schöpfergott, zurückführt, der in seiner unendlichen Güte das Heil aller Menschen will. Die Einheit der Menschheit (Verweis auf Apg 17,25f) und die Einheit der Heilsgeschichte (Verweis auf Weish 8,1; Apg 14,17; Röm 2,6–7; 1 Tim 2,4) wird biblisch begründet. Die Termini „Vorsehung“, „Bezeugung seiner Güte“ und „Heilsratschlüsse“ „sind offenbarungs- und gnadentheologisch, bzw. pneumatologisch zu verstehen“164 (vgl. auch LG 16). Dabei „eröffnet der grammatische Plural der ‚Heilsratschlüsse‘ (consilia salutis) Gottes in NA 1 bereits die Möglichkeit, den in der Schöpfung grundgelegten Heilswillen in der Verschiedenheit seiner Bezeugungen in den Religionen und Kulturen der Menschheit anzunehmen, so wie am Ende der Zeiten wiederum die (bleibende) Vielfalt der Völker in der Heiligen Stadt als das eine Gottesvolk zusammenleben wird.“165 Gott will das „Heil aller Völker“ (DV 7) – dies ist eine Grundüberzeugung, die nicht nur die ganze Erklärung NA, sondern alle Konzilsdokumente durchdringt. Das Konzil versteht die Kirche als „Dienerin der herrschaftslosen Gegenwart Gottes unter den Menschen“166. Das neuscholastische Schema, wonach es außerhalb der biblischen Offenbarung nur eine „natürliche Gotteserkenntnis“ gibt, nimmt das Konzil nicht auf, vielmehr ist jede wahre Gotteserkenntnis von Gott selbst gnadenhaft geschenkt. Der Konzilstext „weist zurück auf den Schöpfergott, von dem alle Menschen kommen, und findet (ohne dass dies sehr deutlich ausgeführt würde) die Religionen der Völker in einem Zusammenhang mit der Schöpfungswirklichkeit; er sieht sie aber vor allem auch beleuchtet von jenem Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt 164 Siebenrock, Kommentar, 651. 165 Fuss, Nostra Aetate, 271. 166 Miggelbrink, Konzil, 161.

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kommen, und sieht so auch einen christologischen Faktor in ihnen wirken; beides ist ja im Letzten untrennbar.“167 Kardinal Bea schreibt in seinem Kommentar zu dieser Stelle: „Das Werk der Kirche für das Heil der Seelen ist an festgesetzte Mittel und Wege gebunden, zu denen in erster Linie die Sakramente gehören. Gott dagegen hat sich nicht gebunden und bindet sich nicht an diese Mittel bei seinem eigenen Wirken.“168 Dies macht freilich die Kirche und ihre missionarische Tätigkeit nicht überflüssig, aber Gottes Gnaden- und Heilswirken geht über die sichtbare Kirche hinaus oder anders gesagt: „Wer auch immer eine religiöse Wahrheit ausspricht, hat seinen Gedanken und sein Wort vom Heiligen Geist empfangen. Wo immer Güte gelehrt und gelebt wird, dort schwebt Gottes Wohlgefallen. Wer immer Selbstsucht überwindet, kann es nur, weil sein Sieg schon auf Golgotha erwirkt worden war. Wo immer Gnade ist, dort ist Kirche.“169 An der Stelle hätten die Konzilsväter auch noch auf den noachidischen Bund Bezug nehmen können, der für eine heilsgeschichtliche Sicht der Religionsgeschichte eine besondere Bedeutung hat. (3) Im dritten Abschnitt versuchen die Konzilsväter eine Art Definition von „Religion“, wobei sie davon ausgehen, was die Menschen von Religion erwarten – Antworten nämlich auf ihre existentiellen Fragen, die zeit- und kulturübergreifend alle Menschen stellen und die Wissenschaft und Technik nicht beantworten können: Die Fragen nach dem Wesen des Menschen, dem Urgrund, Sinn und Ziel des Lebens, der moralischen Unterscheidung von Gut und Böse, der Herkunft und des Sinns des Leidens, nach dem rechten Weg. Dabei fällt auf, dass das Konzil hier wie auch an anderen Stellen einen entweder neutralen oder – im Gegensatz zur Dialektischen Theologie Karl Barths170 – sogar positiv besetzten Begriff von Religion verwendet: die Religionen sind Teil der Heilsratschlüsse Gottes. Wie im nächsten Artikel deutlich wird, geben die Religionen tatsächlich Antwort auf diese existentiellen Menschheitsfragen: „Das Streben und die Fragen der Menschen gehen nicht ins Leere, weil sie (‚immer schon‘) von Gott umfangen sind.“171 Damit wird klar, dass hier und im Folgenden der Erklärung im Unterschied zur vorkonziliaren Lehre nicht nur vom individuellen Heil der Nichtchristen unter Absehung der konkreten Religionen gesprochen, sondern auch die Rolle der Religionen im Heilsgeschehen miterwogen wird. Erstmals in der Erklärung taucht an der Stelle der Begriff „Mysterium“ auf, der in allen vier Konzilskonstitutionen eine wichtige Rolle zur Beschreibung des Heilshandelns Gottes spielt und noch mehrmals in NA vorkommt.

2.

Wahre Gotteserkenntnis in den ostasiatischen und traditionellen Religionen (1) Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist, und nicht selten findet sich auch die Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters. Diese Wahrnehmung und Anerkenntnis durchtränkt ihr Leben mit einem tiefen religiösen Sinn.

167 168 169 170 171

Ratzinger, Mission, 948f. Bea, Kirche, 36. Oesterreicher, Einleitung, 452. S. u. 3.2.1. Siebenrock, Kommentar, 652.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

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(2) Im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Kultur suchen die Religionen mit genaueren Begriffen und in einer mehr durchgebildeten Sprache Antwort auf die gleichen Fragen. So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche Geheimnis und bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen und in tiefdringenden philosophischen Versuchen zum Ausdruck und suchen durch aszetische Lebensformen oder tiefe Meditation oder liebend-vertrauende Zuflucht zu Gott Befreiung von der Enge und Beschränktheit unserer Lage. In den verschiedenen Formen des Buddhismus wird das radikale Ungenügen der veränderlichen Welt anerkannt und ein Weg gelehrt, auf dem die Menschen mit frommem und vertrauendem Sinn entweder den Zustand vollkommener Befreiung zu erreichen oder – sei es durch eigene Bemühung, sei es vermittels höherer Hilfe – zur höchsten Erleuchtung zu gelangen vermögen. So sind auch die übrigen in der ganzen Welt verbreiteten Religionen bemüht, der Unruhe des menschlichen Herzens auf verschiedene Weise zu begegnen, indem sie Wege weisen: Lehren und Lebensregeln sowie auch heilige Riten. (3) Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit (Veritatis) erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet. (4) Unablässig aber verkündet sie und muss sie verkündigen Christus, der ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat (vgl. 2 Kor 5,18–19). (5) Deshalb mahnt sie ihre Söhne, dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.

Die grundsätzlichen theologischen Aussagen von NA 1 werden in NA 2 konkretisiert (1): Seit sich Menschen die existentiellen Fragen stellen, gibt es bei den verschiedenen Völkern – im Blick sind hier die „Naturreligionen“ – religiöse Antworten darauf, die sich nach Ansicht der Konzilsväter aus einer „gewissen Wahrnehmung“ jener verborgenen, aber doch stets gegenwärtigen göttlichen Macht nähren, die in vielen Religionen als höchste Gottheit (Summi Numinis) anerkannt und verehrt wird. Mit dem Begriffspaar „Wahrnehmung und Anerkenntnis“ ist eine Steigerung intendiert, ebenso mit den Ausdrücken „verborgene Macht“ und „höchste Gottheit“ / „Vater“. „Diese Wahrnehmung (perceptio) und Anerkenntnis (agnitio) durchtränkt ihr Leben mit einem tiefen religiösen Sinn.“ Mit diesem Satz erkennt das Konzil an, „dass Menschen ihr konkretes Gottesverhältnis in ihren Religionen leben können“172, dass „sich die Religionen der Welt authentischen Erfahrungen mit der göttlichen Wirklichkeit verdanken“173. Es würdigt den „tiefen religiösen Sinn“ dieser Völker „ohne jeglichen Hinweis auf Defizienz und Depravation, als etwas ganz Tiefes, ganz Echtes, nicht ohne den Akzent stiller Ehrfurcht und Bewunderung.“174 Während diese Wahrnehmung und Anerkenntnis Gottes in den traditionellen Religionen noch eher unreflek172 Lehmann, Christentum, 3. 173 Schmidt-Leukel, Entdeckung, 93. 174 Müller, Kirche, 91.

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3 Der Paradigmenwechsel

tiert geschieht, versuchen die ab dem ersten Jahrtausend vor Christus entstandenen Religionen, die heute zu den Weltreligionen gezählt werden, zunehmend eine begrifflich rationale Erfassung des göttlichen Geheimnisses. „Dem Text geht es hier offensichtlich darum, die innere Relation der dort vorzufindenden Phänomene zum Christlichen aufzudecken, also hinter der äußeren Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit, die innere Relativität des Menschlich-Religiösen auf das Christliche hin sichtbar zu machen.“175 (2) Die Erklärung geht dann konkret auf den Hinduismus ein. Erstmals hat ein kirchliches Konzil offiziell Notiz vom Hinduismus genommen, nachdem Paul VI. 1964 im Rahmen seines Indienbesuchs auch Vertreter des Hinduismus getroffen hatte und aus den Upanishaden zitierte. Die Konzilsväter waren sich dabei sehr wohl der nahezu unüberwindbaren Schwierigkeit bewusst, den diachron wie synchron äußerst vielgestaltigen und komplexen Religions-, Kultur- und Gesellschaftsformen, die erst seit dem 19. Jahrhundert unter dem Sammelbegriff „Hinduismus“ zusammengefasst werden, in einem Satz auch nur annähernd in Darstellung und Bewertung gerecht werden zu können. Es gibt keinen Gründer, keine verbindliche Autorität, kein gemeinsames Glaubensbekenntnis „des Hinduismus“. Selbst der Begriff „Religion“ passt nicht für den hinduistischen Kontext: Hindus sprechen von sanātana dharma („ewige Ordnung“) oder varnaśrama dharma („Pflichten der Kasten“). Es ging den Konzilsvätern um eine Würdigung einiger „seiner hervorstechenden geistigen Werte“176, wobei sie sich auf den klassischen Hinduismus beschränken. So werden – ohne Abstufung – die beiden grundlegenden, nicht nur für die Hindu-Religionen typischen Versuche genannt, sich dem „göttlichen Geheimnis“ zu nähern, nämlich entweder in Form der mythischen Sprache und Vorstellungswelt, die gerade in den Hindu-Religionen etwa in Form der Veden einen „unerschöpflichen Reichtum“ aufweist, oder aber in Form tief dringender philosophischer Spekulationen (Upanishaden). Die geoffenbarten Schriften der Hindus (śruti), die Veden, aber auch die Epen wie die Bhagavadgita werden jedoch nicht explizit genannt. Gemeinsames Kennzeichen aller hinduistischen Traditionen ist die Lehre vom Gesetz der Wirkung der Taten (karma) und von der Wiedergeburt (saṁsāra), also ein zyklisches Zeitverständnis (das dennoch auf ein Ziel gerichtet ist), und damit verbunden das Kastensystem – alles Vorstellungen, die mit der christlichen Sicht von Gott, Welt und Mensch nicht zu vereinbaren sind, die in der Erklärung aber interessanterweise nicht genannt werden, weil man zuerst das Gemeinsame betonen wollte (vgl. NA 1). Dem Kreislauf der Wiedergeburten zu entkommen, die Befreiung oder Erlösung also (mokṣa), ist das soteriologische Ziel des hinduistischen Gläubigen. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Hindu-Religionen die vier alternativen, einander ergänzenden Wege des selbstlosen Handelns oder des Opfers (karmamārga), der intuitiven Erkenntnis der Identität von Atman und Brahman (jñānamārga), des Heroismus (vīryamārga) und der liebend-vertrauenden Hingabe an einen persönlichen Gott (bhaktimārga) ent-

175 Ratzinger, Mission, 946. 176 Papali, Exkurs, 478.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

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wickelt, wie sie in der Bhagavadgita beschrieben werden.177 Mit „aszetischen Lebensformen oder tiefer Meditation oder liebend-vertrauender Zuflucht“ im Konzilstext sind drei dieser vier Wege, Karma-, Jñāna- und Bhakti-Yoga, angesprochen. Letzterer Weg ist im heutigen Hinduismus am weitesten verbreitet und weist unter den genannten Formen wohl die größte Nähe zum christlichen Glauben auf, zumal er „seiner Natur nach theistisch, in der Regel sogar monotheistisch“ ist.178 Die Thematik der hinduistischen Gottesvorstellungen wird in NA jedoch nicht direkt angesprochen. Ebenso fehlt ein Hinweis auf die durchaus problematische Geschichte des europäischen Kolonialismus und der christlichen Missionsbewegungen, die bevorzugt die Kastenlosen (Dalits) oder Niedrigkastigen zu gewinnen versuchten, was auf Seiten der Hindus als Proselytismus wahrgenommen wurde und bis heute zu einer Abwehrhaltung gegen das Christentum führte. Wiederum nur in einem Satz werden die verschiedenen Formen des Buddhismus angesprochen, die in einer historischen Stiftergestalt gründet. Auch diese aus dem Hinduismus entstandene Reformreligion hat mit der Verbreitung und Inkulturation in weiten Teilen Asiens äußerst vielfältige Formen ausgebildet. Gemeinsam ist all diesen Richtungen der Bezug auf die „drei Juwelen“: 1) auf Buddha, 2) auf seine Lehre (dharma) und 3) auf seine Gemeinschaft (sangha). Buddha wird – genauso wenig wie Muhammad in NA 3 – nicht erwähnt: „Offensichtlich war die Zeit noch nicht reif für eine Würdigung der Persönlichkeit des Gründers, obgleich er den historischen Kernpunkt aller divergierender Entwicklungen innerhalb des Buddhismus bildet“.179 Buddhas Lehre vom Leiden aber („das radikale Ungenügen der veränderlichen Welt“) wird als anthropologische Grunderfahrung gewürdigt: Nach Joseph Ratzinger wäre es hier ebenso gut möglich gewesen, „das theologische Ungenügen einer sich wesentlich atheistisch verstehenden Religion herauszuarbeiten; aber liegt nicht in diesem A-Theismus in der Tat eine Theologia negativa, die den Christen etwas angeht und die er in ihrem positiven Anspruch viel ernster bedenken müsste, als es bisher geschehen ist?“180 Mit dem Weg, „auf dem die Menschen mit frommem und vertrauendem Sinn entweder den Zustand vollkommener Befreiung zu erreichen oder – sei es durch eigene Bemühung, sei es vermittels höherer Hilfe – zur höchsten Erleuchtung zu gelangen vermögen“ ist der „Edle Achtfache Pfad“ gemeint, mit dessen Hilfe die Ursachen des Leidens überwunden werden können und zu dem die der christlichen Nächstenliebe verwandten Grundtugenden der Güte und des Mitleids gehören. Damit sind drei der „Vier Edlen Wahrheiten“ vom Konzil angesprochen: Das Leiden, der Weg aus dem Leiden und das Ziel des Heilswegs. Die Ursache des Leidens, das Anhaften, dagegen wird nicht erwähnt. Die Gemeinschaft Buddhas, der Sangha, wird implizit in Form der verschiedenen buddhistischen Wege angesprochen: Mit dem „Zustand vollkommener Befreiung“ ist das „Nirvana“ des Theravada-Buddhismus, also eine der alten buddhistischen 177 178 179 180

Vgl. dazu Michaels, Hinduismus, bes. 160–309. Ebd. 285. Fuss, Nostra Aetate, 261f. Ratzinger, Mission, 947.

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3 Der Paradigmenwechsel

Schulen, positiv umschrieben und „erweist den Buddhismus, wie es dem buddhistischen Selbstverständnis entspricht, als eine Erlösungsreligion.“181 Mit der „höchsten Erleuchtung“ (illuminatio) dagegen ist das Ziel des Mahayana-Buddhismus gemeint, der nochmals in seine beiden Hauptzweige unterschieden wird – „durch eigene Bemühung“ oder „vermittels höherer Hilfe“: „Für den buddhistischen Heilsweg ‚durch eigene Bemühung‘ ist die chinesisch-japanische Schule des Zen-Buddhismus repräsentativ, die eine originale, wertvolle Meditationsweise entwickelte und methodisch die Erleuchtung, das heißt im zenistischen Verständnis das übergegenständliche, intuitive, unmittelbare Erfassen von Selbst und All, anstrebt. Hingegen wird in den ebenfalls in Japan zur höchsten Blüte entfalteten Schulen des Amida-Buddhismus das Vertrauen auf höhere Hilfe durch das unablässige, devote Anrufen des Namens des Buddhas Amida geübt. … Beide Wege jedoch münden im gleichen Ziel der Erleuchtung“.182 Der Jesuit und Zen-Spezialist Dumoulin, auf den der Satz über den Buddhismus in der Erklärung maßgeblich zurückgehen dürfte, kommentiert: „Obgleich der Buddhismus den Schöpfergott nicht kennt, weiß er doch um das Ehrfurcht heischende Geheimnis des Seienden und kann auf keinen Fall mit dem westlichen atheistischen Materialismus auf die gleiche Stufe gestellt werden.“183 Deshalb ist es auch von Bedeutung, dass das Konzil den Buddhismus hier eindeutig zu den Religionen zählt und nicht zu einer nichtreligiösen Weltanschauung. Auch wenn es aus heutiger Sicht als Defizit zu werten ist, dass etwa die chinesischen Religionen nicht explizit Erwähnung finden, weitet der folgende Satz noch einmal den Blick auf alle anderen Religionen der Welt, die dem unruhigen menschlichen Herzen durch Lehren, Lebensregeln und heiligen Riten einen Weg weisen: „Dieser Satz signalisiert bei aller Defizienz und Kürze die Bereitschaft der Kirche, mit jeder Religionstradition in Beziehung zu treten.“184 (3) Die religionstheologisch entscheidende Aussage thematisiert dann der dritte Abschnitt von NA 2, wenn die katholische Kirche festhält und bekennt, dass sie nichts von alledem ablehnt, „was in diesen Religionen wahr und heilig ist“. Obwohl die religiösen und moralischen Lehren und Riten der Religionen „in manchem“ von der christlichen Glaubenslehre und Praxis abweichen, lassen diese „doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit (Veritatis) erkennen..., die alle Menschen erleuchtet“ (vgl. Joh 1,9). „Wahrheit“ ist im Lateinischen hier groß geschrieben, denn die Schätze an Wahrem und Gutem in den Religionen sind „Widerspiegelungen jener ewigen Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet, das heißt Widerspiegelungen des Werkes Gottes in Christus.“185 Der Ansatz ist also nicht ekklesiozentrisch, sondern logo- und christozentrisch: „Die Wahrheitsstrahlen werden nicht von den Kirchenlampen generiert, sondern von Christus, der laut Kirchenkonstitution ‚Lumen gentium‘ das ‚Licht der Völker‘ ist. In diesem Moment kommt die Positivität der Religionen zum 181 182 183 184 185

Dumoulin, Exkurs, 484. Ebd. 484f. Ebd. 483. Siebenrock, Kommentar, 657. Bea, Kirche, 43.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

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Leuchten.“186 Das Licht Christi darf „nicht vorschnell mit einer bestimmten kulturellen Ausprägung des Christentums identifiziert werden, weil die Fülle Christi nicht erreicht ist, sondern eschatologisch aussteht. Die Logostheologie verpflichtet daher die Kirche und die Glaubenden zu einem tiefgehenden Lernprozess.“187 Damit ist nicht gesagt, dass die katholische Kirche beim Anderen nur das anerkennt, was mit dem Eigenen übereinstimmt, wohl aber, dass das Kriterium für das Wahre und Heilige in Jesus Christus gegeben ist. Zum ersten Mal in der Geschichte aber beugt sich hier ein Konzil „in Ehrfurcht vor dem Wahren und Heiligen anderer Religionen als dem Werk des einen, lebendigen Gottes. … Die Deklaration ist dergestalt ein Bekenntnis der Kirche zur Allgegenwart der Gnade und ihrer Wirksamkeit in den vielen Religionen der Menschheit.“188 So werden im Missionsdekret besonders die kontemplativen Traditionen außerhalb des Christentums – zu denken ist hier etwa an Zen oder Yoga – als mögliche wertvolle Anknüpfungspunkte für den christlichen Glauben gewürdigt, die nach Prüfung in das christliche Ordensleben aufgenommen werden können: „Die Ordensinstitute, die bei der Pflanzung der Kirche mitarbeiten, sollen, von den mystischen Reichtümern, durch welche die Ordenstradition der Kirche gekennzeichnet wird, tief erfüllt, diese je nach Charakter und Eigenart eines jeden Volkes auszudrücken und zu überliefern versuchen. Sie sollen aufmerksam überlegen, wie aszetische und kontemplative Traditionen, deren Samen schon vor der Predigt des Evangeliums manchmal von Gott in alte Kulturen gelegt worden sind, in das christliche Ordensleben aufgenommen werden.“ (AG 18) Auch in anderen Konzilsdokumenten stellen die Konzilsväter fest, dass es außerhalb der katholischen Kirche „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ (LG 8), „wahre und gute Dinge“ (OT 16), „wertvolle Elemente der Religiosität und Humanität“ (GS 92), „Wahrheit und Gnade“ durch die „verborgene Gegenwart Gottes“ (AG 9), „Saatkörner des Wortes“ (AG11; 15; LG 17) enthalten sind. Sie beziehen sich hiermit auf die seit Justin (2. Jh.) in der katholischen Tradition vertretene und auf die zeitgenössische platonisch-stoische Philosophie zurückgehende Auffassung vom Logos spermatikos, wonach jeder Mensch (jede Vernunftseele) schöpfungsgemäß einen Funken göttlicher Wahrheit (des göttlichen Logos) in sich trägt (vgl. auch Joh 1,9, s. o. 2.1.2). Anders gesagt: jeder Mensch steht unter dem Einfluss der Heil schenkenden Gnade Gottes. Das Konzil jedoch geht über die altkirchliche Tradition hinaus, wenn es Wahres und Gutes nicht nur in den menschlichen Individuen, sondern eben auch in den konkreten geschichtlichen Religionen mit ihren Riten annimmt und anerkennt (vgl. AG 9): NA „preist die Allgegenwart der Gnade in der Welt“!189 Auch hierfür konnte das Konzil auf eine frühere päpstliche Äußerung zurückgreifen. Bereits 1952 erklärte Pius XII. in einer Radiobotschaft zum Kongress von Ernakulum vor indischen Katho186 187 188 189

Beinert, Christentum, 232. Siebenrock, Kommentar, 602. Oesterreicher, Einleitung, 406. Oesterreicher, Encounter, 305.

80

3 Der Paradigmenwechsel

liken: „Macht offenbar, dass alles, was in den anderen Religionen wahr und gut ist, in Christus seine tiefe Sinnhaftigkeit und seine vollkommene Ergänzung findet.“190 NA scheint auf den ersten Blick nirgendwo pneumatologisch zu argumentieren, bei genauerem Lesen jedoch ist mehrmals vom Wirken des göttlichen Geistes die Rede (vgl. NA 2,5; 4,1.5). Versteht man „mit dem Konzil und einem breiten Strom der patristischen Überlieferung den Geist als eine Gabe an die ganze und ungeteilte Menschheit, also auch als Gabe an jeden einzelnen, gottebenbildlichen Menschen, so ist er unmöglich aus dem Gefüge der konkreten Religionen wegzudenken“.191 Siebenrock ist zuzustimmen, wenn er schlussfolgert: „Nostra aetate impliziert daher eine Theologie der Anerkennung anderer religiöser Traditionen, die auf der Verbindung von Vorsehung Gottes, Fragephänomen, Wahrnehmung und Anerkennung der transzendenten Wirklichkeit auf der Basis einer Logos- bzw. Lichtchristologie beruht.“192 Nach Wolfgang Beinert „ist jedes Heilshandeln Gottes in einem weiten Sinn Offenbarung; die Religionen aber vermitteln dann je und je die Offenbarung in ihrer und durch ihre Existenz selber. Jede Religion ist so gesehen An-Sprache Gottes an die Menschen.“193 Damit haben die Religionen auch den Christ*innen etwas zu sagen, sie werden zu einem potentiellen Ort der theologischen Erkenntnis und spirituellen Erfahrung. Es kommt die von Theologen wie Karl Rahner vorbereitete Auffassung zum Tragen, dass in jedem Sehen und Suchen des Menschen nach Gott bereits Gottes Gnade und Selbstmitteilung am Werke ist. Das Konzil bringt diese Überzeugung in einem Spitzensatz von Gaudium et Spes zum Ausdruck: „der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung in gewisser Weise mit jedem Menschen vereinigt“ (Art. 22). Nach Henrici besteht in „dieser Beachtung aller Menschen, eines jeden Menschen als solchen und in der Einholung auch der scheinbar profanen Welt in die Heilsgeschichte … die ‚anthropologische Wende‘ des Konzils.“194 Und weiter heißt es in GS 22, dass die Gnade in den Herzen aller Menschen guten Willens wirkt: „Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein.“ Hier wird weder „eine rein schöpfungstheologische, noch eine – inklusiv – ekklesiologische, sondern eine christologische und eine pneumatologische Begründung“ für die Verbindung aller Menschen mit Gott formuliert.195 In dieser christologisch-pneumatologischen Sicht wird jeder Mensch zum potentiellen Ort der Gottesgegenwart und der Gottesbegegnung, zum Sakrament. Und auch im Zeugnis der anderen Religionen kann uns Gottes Wort und Wahrheit entgegenkommen: „Die logosuniversal begründete Wahrheitszeugenschaft und Heilsrelevanz der anderen Religionen beinhaltet die Möglichkeit expliziter ‚Fremdprophetie‘. In ihr wird 190 191 192 193 194 195

Zit. nach Congar, Kirche, 42, Anm. 1. Stubenrauch, Dogma, 138f. Siebenrock, Kommentar, 654, Anm. 45. Beinert, Christentum, 233. Henrici, Heranreifen, 66. Wohlleben, Kirchen, 79.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

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Gottes Wort aus der Fremde zu einem Zeugnis, welches die Lebens- und Glaubensgestalt der Kirche selbst tiefer in jene Wahrheit einführt, die der dreieine Gott ist.“196 (4) Das „Hohelied auf die Religionen“197 in den vorangegangen Sätzen wird nun scheinbar schroff kontrastiert mit der Verpflichtung der Kirche, Christus als den Weg, die Wahrheit und das Leben zu verkündigen – ein Rückfall in den alten Exklusivismus? Mitnichten. Der Respekt der Kirche vor den Menschen und ihrem Glauben außerhalb der Kirche „entspringt zwei Quellen: erstens der Ehrfurcht vor der Würde der menschlichen Person und dem, was ihr am heiligsten ist, wie ihre Religion. Zweitens entspringt sie auch dem Gehalt der Religionen selber“.198 Kardinal Lehmann spricht in diesem Zusammenhang von einem „Maximum der Affirmation und der Anerkennung gemeinsamer Elemente“.199 Zugleich jedoch enthält die Aussage des Konzils ein religionskritisches „Moment der Verneinung und Entlarvung“ (ebd.), indem sie Jesus Christus zum Kriterium und zur Norm erhebt: Die konkreten Religionen, das Christentum eingeschlossen (!), sind von seiner Person und seinem Heilswerk her zu interpretieren und zu bewerten, „in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat“ (NA 2). Bereits Lumen Gentium (Art. 8; 14; 62) hatte Christus als „einzigen Mittler“ des Heils bezeichnet. Das Konzil relativiert somit nicht die Einzigkeit der Heilsmittlerschaft Jesu, sondern betont deren Universalität. Dialog und Zusammenarbeit stehen nicht im Widerspruch zum Sendungsauftrag der Kirche und machen diesen nicht überflüssig, auch wenn das genaue Verhältnis von Dialog und Mission hier wie auch im Missionsdekret Ad Gentes unterbestimmt bleibt. Letztlich werden die positiven Aussagen über die Religionen mit dem christlichen Glauben an das universale Heilswirken des dreieinigen Gottes verschränkt: Ist im Satz davor vom „Strahl der Wahrheit“ die Rede, der alle Menschen erleuchtet, so im nächsten Satz von den „geistlichen Gütern“ in den Religionen: es wird also ein Bezug hergestellt „zwischen der Quelle des strahlenden Lichtes, dem Christus-Logos und dem Heiligen Geist“200 und so eine trinitarische Religionstheologie angedeutet. Letztlich aber ist „Christus … nicht im Besitz der Christen. Sein Herz ist das Herz aller Wirklichkeit, das in allen Menschen und an allen Orten anwesend ist. Wenn die Kirche wirklich universal werden will, dann kann sie das nicht dadurch erreichen, dass sie ihre spezielle Doktrin der ganzen Welt auferlegt, sondern vielmehr dadurch, dass sie die tiefsten spirituellen Einsichten nichtchristlicher Religionen willkommen heißt, die alle eine neue Dimension Christi enthüllen.“201 (5) Im letzten Satz von NA 2 fordert die Heilige Synode die Glieder der Kirche deshalb auf, „mit Klugheit und Liebe“ durch Gespräch (colloquium), Zusammenarbeit und Zeugnis die „geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen 196 197 198 199 200 201

Nitsche, Religiosität, 155. Winkler, Wege, 312. Bea, Kirche, 42. Lehmann, Christentum, 5. Winkler, Wege, 312. Bleé, Alterität, 264.

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3 Der Paradigmenwechsel

Werte“ der Religionen anzuerkennen, zu wahren und zu fördern (NA 2). Weil das Gute und Wahre in den Religionen vom Heiligen Geist kommt, kann die Kirche auch von anderen lernen: Denn da „das Geheimnis Christi noch nicht in seiner eschatologischen Fülle offenbar ist, sind die Glaubenden wie die Kirche immer noch Lernende. Die Kirche ist eine Pilgerin, die von verschiedener, auch überraschender Seite her Zeugnisse des Geheimnisses Christi empfängt.“202 Hans-Joachim Sander drückt dies mit einem anschaulichen Bild aus: „Aus dem Kreis einer selbstzentrierten Kirche wird eine Weltkirche, die wie eine Ellipse mit zwei Brennpunkten arbeitet: Respekt vor der Wahrheit der anderen Religionen und Bekenntnis zu Christus. Ohne diese beiden Pole ist der Glaube an das Evangelium sprachlos“.203 Das Verhältnis von Dialog und Mission wird in den Konzilstexten selbst nur ansatzweise reflektiert (vgl. GS 92–94), erst nachkonziliare Dokumente werden sich mit dieser Frage näher beschäftigen. Es versteht sich allerdings von selbst, dass an dieser Stelle auch kritische Anfragen seitens der anderen Religionen, besonders aus dem Judentum, gestellt wurden: Wird der Dialog der katholischen Kirche nur zu einem neuen taktischen Mittel der Mission? Wäre es so, würden sich die potentiellen Dialogpartner wohl sehr schnell aus dem Dialog zurückziehen oder gar nicht in ihn hineinwagen. Fakt ist, dass die Kirche des Konzils unter Mission nicht mehr traditionelle Methoden des Proselytismus oder gar Zwangsmaßnahmen wie in der Vergangenheit versteht. Die Kirche sieht ihre Sendung vielmehr im Zeugnisgeben von Jesus Christus im Wort und in Taten der Nächstenliebe. Diese Aspekte der Sendung sind letztlich auch nicht aus dem Dialoggeschehen auszuklammern, denn interreligiöser Dialog bedeutet nicht den Austausch von religionswissenschaftlichen Positionen, sondern die Begegnung von Glaubensüberzeugungen. Das Zeugnisgeben vom eigenen Glauben im Dialog beruht somit auf Wechselseitigkeit: „Das Ziel des Zeugnis-Gebens ist nicht, der Kirche neue Mitglieder zuzuführen, sondern sich selbst und andere für Gottes Wirken zu öffnen.“204 Es sind somit im Grunde drei Grundhaltungen, die die Kirche gegenüber den Menschen mit anderem religiösen Bekenntnis einnimmt: Erstens, die Haltung des Respekts und der Wertschätzung gegenüber den Menschen und gegenüber deren Religion, zweitens die Haltung der Treue zum eigenen Sendungsauftrag, drittens die Haltung des Dialogs und der Zusammenarbeit zum Wohl der Menschen.

3.

Über den Glauben der Muslime

Während in NA 2 die ostasiatischen Religionen thematisiert werden, die bei allen Gemeinsamkeiten, die es auch hier zum Christentum gibt, doch einem anderen religiösen Stromsystem angehören, widmen sich die folgenden beiden Artikel den beiden dem Christentum sowohl historisch (als Wurzel bzw. als Nachgeschichte) wie phänomenologisch-theologisch (prophetisch-monotheistisch) näher stehenden Religionen semitischen Ursprungs und beginnt dabei mit der jüngeren Religion, dem Islam. 202 Siebenrock, Wahrheit, 125. 203 Sander, Gott, 63. 204 Salenson, Brunnen, 109.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

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(1) Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde205, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. (2) Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.

NA 3 über den Glauben der Muslime muss im Kontext der grundlegenden Aussage von LG 16 gelesen werden (vgl. 3.1.4): Dort wird konstatiert, dass der Heilswille Gottes auch die umfasst, „welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns (nobiscum) den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.“ Die theologische Perspektive, von der aus die Konzilsväter den Glauben der Muslime betrachten, ist somit betont theozentrisch: Der monotheistische Glaube (tauḥīd) an den einen, barmherzigen Gott, der Schöpfer und Richter ist, eröffnet den Muslimen die Möglichkeit, das ewige Heil zu erlangen. Im lateinischen Originaltext ist es das eine Wort nobiscum, das die entscheidende religionstheologische Aussage impliziert: Mit diesem Wort lehrt die Kirche, dass Christen und Muslime – natürlich zusammen mit den Juden und wenn auch auf verschiedene Weise – zu ein und demselben Gott beten. Wenn jedoch keine heilsbedeutsame Erkenntnis des einen Gottes ohne dessen gnadenhafte Selbstoffenbarung denkbar ist, dann stellt sich für die christliche Theologie die Frage nach dem Offenbarungscharakter des Islams, speziell des Korans – eine Frage, die das Konzil nicht explizit beantwortete. NA 3,1 geht nun ausführlicher auf den islamischen Glauben (fides islamica) ein: „Fides“ steht dabei für einen authentischen, übernatürlichen Glauben. „Mit Hochachtung“ (cum aestimatione) betrachtet die Kirche auch die Muslime – eine Formulierung und Haltung, die im Gegensatz zur bis dahin dreizehn Jahrhunderte vorherrschenden Missachtung oder gar Verachtung der Muslime und ihres Glaubens erst die unabdingbare Voraussetzung für eine unvoreingenommene Einschätzung des Islam sowie für einen wirklichen Dialog zwischen gleichberechtigten Partnern geschaffen hat.206 Wie LG 16 und ganz dem islamischen Selbstverständnis gemäß stellt NA 3 das monotheistische Bekenntnis der Muslime (tauḥīd) an den Anfang und damit auch in den Mittelpunkt seiner Aussagen, wobei Attribute Gottes genannt werden, welche 205 Vgl. Gregor VII., Ep. III.,21 ad Anazir (an-Nazīr), regem Mauritaniæ, ed. E. Caspar in MGH, Ep. sel. II, 1920, I, 288, 11–15; PL 148, 451 A.), s. o. 2.2.5 206 Vgl. Middelbeck-Varwick, Cum Aestimatione.

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3 Der Paradigmenwechsel

christlichem und islamischem Glauben gemeinsam sind: Die Muslime beten den alleinigen Gott an, „den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“. Hier wird fast wörtlich aus dem sog. Thronvers des Korans zitiert (vgl. 2,255). „Lebendig“ und „in sich seiend“ ist dabei eine Umschreibung der Personalität Gottes. Barmherzigkeit, Allmacht und Schöpfermacht Gottes sind die wohl wichtigsten Eigenschaften Gottes im Koran und häufige Formeln im islamischen Gebet (vgl. 6,1; 26,9). Entscheidend für das Konzil ist also nicht nur, dass die Muslime den einen Gott anbeten, sondern wie sie diesen Gott sehen und bekennen: Es geht hier nicht nur um eine Art natürliche Gotteserkenntnis, denn „die Barmherzigkeit Gottes ist aus einem natürlichen Gottesbegriff ganz und gar nicht ableitbar.“207 Dass das Konzil nirgendwo explizit vom Koran und von Muhammad spricht, wird von muslimischer Seite, aber auch von manchen christlichen Theologen bis heute als Manko betrachtet, andere christliche Theologen wollen darin eine implizite Nichtanerkennung des islamischen Offenbarungsanspruchs sehen. Stattdessen formuliert NA 3 neutral und ohne theologisches Urteil, dass Gott nach islamischer Überzeugung „zu den Menschen gesprochen hat“ (vgl. 96,5), womit implizit natürlich die koranische Offenbarung gemeint ist. Das Übergehen der Frage nach der theologischen Einschätzung des Korans und Muhammads lässt zumindest Raum für weitere Forschung, Reflexion und Diskussion. Es handelt sich wohl um eine bewusste Leerstelle: Die Konzilserklärung wollte „nicht eine abschließende Bilanz sein, sondern ein Tor öffnen“. Die entscheidende Frage ist, ob der Islam durch das Konzil als Offenbarungsreligion qualifiziert wird: „Ob die Offenbarungsqualität des Islams anerkannt wird, hängt davon ab, ob die Aussage ‚homines allocutum‘, die den Schlüsselbegriff aus DV 2 aufgreift, die Muslime einschließt. Der Kontext lässt einen solchen Schluss zu, auch wenn die Aussage anders ausgelegt werden kann.“208 Neben dem Glauben an den allmächtigen und barmherzigen Schöpfergott bemühen sich die Muslime, dessen „verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft“ (vgl. 2,131). Mit dieser Formulierung ist die Bedeutung und das Selbstverständnis von islām als freiwillige, ganzheitliche und ausschließliche Hingabe an Gott exakt getroffen, ohne dabei das traditionelle Klischee vom islamischen Fatalismus weiter zu transportieren. Hingabe ist die „grundlegende Haltung des Glaubens, gleich ob christlich oder muslimisch“.209 Die „verborgenen Ratschlüsse“ beziehen sich wohl auf die Theodizeethematik, lässt doch der Mainstream der islamischen Theologie eine kritische Anfrage an Gott angesichts des Leids und des Übels nicht zu (vgl. etwa 21,23 oder 18,65–82). Die Berufung auf Abraham als dem gemeinsamen Stammvater von Juden, Christen und Muslimen ist in den Jahren nach dem Konzil zu einem beliebten Bezugspunkt im interreligiösen Dialog geworden. Erst in den letzten Jahren wurde zunehmend 207 Gäde, Strahl, 740. 208 Siebenrock, Kommentar, 658, Anm. 61. 209 Caspar, Islam, 240.

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bewusst, dass die drei Religionen sehr unterschiedlich und dies oft in exklusiver Weise auf Abraham Bezug genommen haben, sodass der gemeinsame Stammvater des Glaubens nicht automatisch als gemeinsamer Ausgangspunkt dienen kann. Zur gemeinsamen Identifikationsfigur können er wie auch anderen biblische und koranische Gestalten nur dann werden, wenn auch die unterschiedlichen Zugänge und Traditionen erkannt und respektiert sowie Exklusivansprüche aufgegeben werden.210 Eine weitere Brücke der Verständigung zwischen Christen und Muslimen sieht NA in der Verehrung der Jungfrau Maria, welche die Muslime „bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen“. Tatsächlich spielt Maria im Koran und in der islamischen Frömmigkeit, besonders in der mystischen Tradition des Sufismus eine besondere Rolle als Vorbild der völligen Gottergebenheit: Sie wird stets als gläubige Muslima dargestellt, sogar als Jungfrau (vgl. 3,42–48; 19,22–34). Sie ist die einzige Frau, die namentlich im Koran erwähnt wird, Sure 19 ist sogar nach ihr benannt. An einigen wenigen Orten wie zum Beispiel in Ephesus in der Türkei oder Notre Dame d’Afrique in Algier werden christliche Marienwallfahrtsorte tatsächlich auch von Muslimen, bevorzugt Musliminnen, aufgesucht. Aber auch in Bezug auf Maria gilt es, die Divergenzen in theologischer Wertung und Frömmigkeitspraxis, auch innerhalb der beiden Religionen, wahrzunehmen, ist sie doch aus islamischer Sicht die Mutter Jesu, aber nicht „Mutter Gottes“. Der wohl entscheidende Unterschied zwischen Christentum und Islam wird lediglich in einem Nebensatz angesprochen: Jesus wird von den Muslimen zwar als Prophet verehrt (vgl. 61,6), aber „nicht als Gott“ anerkannt. Die Christologie wird mit dieser Formel arg verkürzt und dadurch wird „die grundlegende Differenz zwischen konziliarer Lehre und muslimischem Verständnis der Person Jesu eher verschärft als klärend verdeutlicht.“211 Dogmatisch angemessener wäre es zu sagen, dass Jesus Christus das menschgewordene Wort Gottes ist, noch genauer: Das Wort des Gottes Israels ist in Jesus jüdisches Fleisch geworden. Das Problem der islamischen Leugnung des Kreuzestodes Jesu (vgl. 4,157f) und folglich seiner Heilsbedeutsamkeit – wohl der zentrale und bleibende theologische Unterschied, ja Widerspruch zwischen Christentum und Islam – bleibt überraschenderweise unerwähnt. Dieses Faktum ist nur auf dem Hintergrund der einleitend deutlich gemachten Intention zu verstehen, die Gemeinsamkeiten stärker als die Unterschiede zu betonen. Trotz dieser Unterschiede in der Sicht Jesu ist theologisch bedeutsam, dass der Islam neben der BahaiReligion und abgesehen von einigen neo-hinduistischen Richtungen, die in Jesus einen Avatar (Herabkunft des göttlichen Bewusstseins) sehen, die einzige nichtchristliche Religion ist, die die prophetische Sendung Jesu anerkennt, ihm damit eine Heilsrolle zuerkennt und ihn vor allem in Volksfrömmigkeit und Mystik verehrt. Der nächste Satz geht auf die eschatologischen Erwartungen der Muslime ein: Der Glaube an die Auferstehung und das Gericht am Jüngsten Tag gehört mit zu den sechs Glaubensartikeln des Islam und die ganze koranische Botschaft ist von dieser 210 Vgl. dazu Kuschel, Streit; Frankemölle, Vater. 211 Siebenrock, Kommentar, 659.

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Perspektive her von Anfang an durchdrungen (vgl. Sure 1). Judentum, Christentum und Islam haben damit eine lineare Geschichtsauffassung, die sie vom zyklischen Weltbild der indischen Religionen unterscheidet. Das menschliche Leben bekommt von dieser Perspektive her seinen einzigartigen Wert. Damit eng zusammen hängt das muslimische Bemühen um eine „sittliche Lebenshaltung“ (vgl. 9,71) sowie die religiöse Praxis des täglichen Gebets, des Almosengeben und des Fastens – wiederum zentrale, wenn auch unvollständig aufgezählte, Glaubensvollzüge des Islam, die mit der christlichen Glaubenspraxis verbinden (vgl. Bergpredigt), auch wenn sie inhaltlich unterschiedlich gefüllt sind und in der konkreten Praxis anders vollzogen werden. NA 3 würdigt religiöse und spirituelle Haltungen und Vollzüge im Islam wie Hingabe, Gebet, Fasten, Spenden – die auch eine soziale Dimensionen haben –, nicht aber diejenigen Bereiche der Scharia, die sich etwa auf das Familien- oder Strafrecht beziehen und in traditioneller Auslegung und Anwendung zum Teil in Konflikt zu den Menschenrechten stehen. Die Unterscheidung von NA 3 läuft also nicht zwischen individuellem islamischen Glauben einerseits und Islam als religiös-gesellschaftlichem System andererseits, sondern auf der kriteriologisch-inhaltlichen Ebene. Das islamische Glaubensbekenntnis (schahāda) wird wohl nicht erwähnt, weil darin ein Bekenntnis zu Muhammad als Gesandten Gottes enthalten ist. Auch die Pilgerfahrt nach Mekka (hadsch) wird nicht genannt, die für viele Muslime der Höhepunkt der Heilserfahrung im Leben ist, die aber keineswegs alle Muslime erleben können. Leider fehlt auch ein Hinweis auf die reiche, spirituelle Tradition der islamischen Mystik, des Sufismus. Der zweite und kürzere, aber keineswegs unbedeutendere Abschnitt von NA 3, ruft dazu auf, die unselige Geschichte der christlich-islamischen Feindschaft beiseite zu lassen – gemeint sind wohl islamische Eroberungen, Kreuzzüge, Reconquista, Sklavenhandel und Kolonialismus – und sich stattdessen um gegenseitiges Verstehen sowie um Zusammenarbeit im Dienste der Menschen zu bemühen. Man könnte dies leicht als Ausdruck einer Geschichtsvergessenheit oder Geschichtsverdrängung interpretieren, aber auch als einen zukunftsorientierten Appell: „Was nötig ist, ist eine Reinigung der Erinnerung, ein Wieder-Lesen der Geschichte von beiden Seiten gemeinsam, mit einer Bereitschaft, Ungerechtigkeiten, wo sie aufgetreten sind, einzugestehen.“212 Hier gibt es noch viel aufzuarbeiten. Inzwischen aber sind zu den geschichtlichen Lasten, die noch immer nicht beseitigt sind, neue Belastungen hinzugekommen: Fundamentalismus, Terrorismus, Kriege, Christenverfolgungen. Georges Anawati, ein ägyptischer Dominikaner, der maßgeblich an der Erklärung über den Glauben der Muslime beteiligt war, kommt zu dem Schluss, dass „man dem Islam einen bevorzugten Platz unter den anderen Religionen in der Heilsgeschichte einräumen muss“, was gleichzeitig „die eigentümliche Originalität der großen biblischen Offenbarung nicht beeinträchtigen“ dürfe.213 Zieht man die belastete Geschichte der katholisch-islamischen Beziehungen in Betracht, so stellen die Konzilsaussagen über die Muslime und ihre Religion eine „wahre kopernikanische Revolution“ dar. 212 Fitzgerald, Erklärung, 38. 213 Anawati, Exkurs, 486.

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4.

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Die „Erklärung über die Juden“

Ursprünglich war keine Erklärung des Konzils über die nichtchristlichen Religionen, sondern nur ein Schema über die Juden geplant, das angesichts der Schoa zum einen jegliche Form des Antisemitismus verurteilen, zum anderen die theologische Beziehung zwischen dem Volk Israel und der Kirche in positiver Weise klären sollte. Nun werden im längsten und zentralen Kapitel, dem „Herzstück“214 von NA und „vielleicht revolutionärste(n) Lehrstück der Theologiegeschichte“215, grundlegende Aspekte kirchlicher Israeltheologie thematisiert: das Volk Israel als Wurzel der Kirche, die bleibende Erwählung des Volkes Israel, die Frage der Schuld am Kreuzestod Jesu, die Verurteilung des Antisemitismus, die Aufforderung zum Dialog. In etwa 500 Worten wird ein komplexes theologisches Problem und eine fast zweitausendjährige belastete Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Volk Israel behandelt: (1) Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist. So anerkennt die Kirche Christi, dass nach dem Heilsgeheimnis Gottes die Anfänge ihres Glaubens und ihrer Erwählung sich schon bei den Patriarchen, bei Moses und den Propheten finden. Sie bekennt, dass alle Christgläubigen als Söhne Abrahams dem Glauben nach (vgl. Gal 3,7) in der Berufung dieses Patriarchen eingeschlossen sind und dass in dem Auszug des erwählten Volkes aus dem Lande der Knechtschaft das Heil der Kirche geheimnisvoll vorgebildet ist. Deshalb kann die Kirche auch nicht vergessen, dass sie durch jenes Volk, mit dem Gott aus unsagbarem Erbarmen den Alten Bund geschlossen hat, die Offenbarung des Alten Testamentes empfing und genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als wilde Schösslinge eingepfropft sind (vgl. Röm 11,17−24). Denn die Kirche glaubt, dass Christus, unser Friede, Juden und Heiden durch das Kreuz versöhnt und beide in sich vereinigt hat (vgl. Eph 2,14−16). (2) Die Kirche hat auch stets die Worte des Apostels Paulus vor Augen, der von seinen Stammverwandten sagt, dass „ihnen die Annahme an Sohnes Statt und die Herrlichkeit, der Bund und das Gesetz, der Gottesdienst und die Verheißungen gehören wie auch die Väter und dass aus ihnen Christus dem Fleische nach stammt“ (Röm 9,4–5), der Sohn der Jungfrau Maria. Auch hält sie sich gegenwärtig, dass aus dem jüdischen Volk die Apostel stammen, die Grundfesten und Säulen der Kirche, sowie die meisten jener ersten Jünger, die das Evangelium Christi der Welt verkündet haben. (3) Wie die Schrift bezeugt, hat Jerusalem die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt (vgl. Lk 19,44), und ein großer Teil der Juden hat das Evangelium nicht angenommen, ja nicht wenige haben sich seiner Ausbreitung widersetzt (vgl. Röm 11,28). Nichtsdestoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich (vgl. Röm 11,28–29)*. Mit den Propheten und mit demselben Apostel erwartet die Kirche den Tag, der nur Gott bekannt ist, an dem alle Völker mit einer Stimme den Herrn anrufen und ihm „Schulter an Schulter dienen“ (Zeph 3,9; vgl. Jes 66,23; Ps 65,4; Röm 11,11−32). 214 Oesterreicher, Einleitung, 450. 215 So Winkler, Wege, 230.

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3 Der Paradigmenwechsel (4) Da also das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist, will die Heilige Synode die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern, die vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches ist. (5) Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben (vgl. Joh 19,6), kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen. Gewiss ist die Kirche das neue Volk Gottes, trotzdem darf man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern. Darum sollen alle dafür Sorge tragen, dass niemand in der Katechese oder bei der Predigt des Gotteswortes etwas lehre, das mit der evangelischen Wahrheit und dem Geiste Christi nicht im Einklang steht. (6) Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben. (7) Auch hat ja Christus, wie die Kirche immer gelehrt hat und lehrt, in Freiheit, um der Sünden aller Menschen willen, sein Leiden und seinen Tod aus unendlicher Liebe auf sich genommen, damit alle das Heil erlangen. So ist es die Aufgabe der Predigt der Kirche, das Kreuz Christi als Zeichen der universalen Liebe Gottes und als Quelle aller Gnaden zu verkünden. * Vgl. II. Vat. Konzil, Dogm. Konst. über die Kirche Lumen Gentium: AAS 57 (1965) 20.

(1) Sowohl durch die formale Positionierung als auch durch die inhaltlichen Aussagen von NA 4 wird deutlich, dass die Beziehung und Nähe zwischen der Kirche und dem Volk Israel einzigartig ist: Die Kirche gedenkt als „Volk des Neuen Bundes“ des Bandes (vinculi), durch das sie „mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden“ ist, sodass jede theologische Besinnung auf das Geheimnis (mysterium) der Kirche das Volk Israel einbeziehen muss. Das Konzil verwendet das Wort vinculum sonst für das Band der sakramentalen Ehe: Wie in einer Ehe also sind Kirche und Volk Israel auf ewig miteinander verbunden, sind sie eine Weggemeinschaft. Das aber heißt, dass der Bruch, der mit der Trennung von Judentum und Christentum einherging, nicht bis an die Wurzeln ging: „Durch ihre geistliche Verbundenheit mit dem Stamm Abrahams nimmt die Kirche teil an der Erwählung Israels, sie gehört zusammen mit Israel zu dem einen Volk Gottes.“216 Die Kirche anerkennt, dass die Anfänge des Glaubens und der Erwählung der Kirche Jesu Christi sich bereits bei den Patriarchen Israels, bei Moses und den Propheten finden. Sie bekennt, dass „alle Christgläubigen als Söhne Abrahams dem Glauben nach in der Berufung dieses Patriarchen eingeschlossen sind und dass in dem Auszug des erwählten Volkes aus dem Lande der Knechtschaft das Heil der Kirche geheimnisvoll vorgebildet ist“, wie in der Liturgie der Osternacht, besonders im Exsultet (Osterlob), deutlich wird. Wie in LG 2 und 9 − ebenso in der O enbarungskonstitution (DV 3; 14– 16) − wird hier die Geschichte des Volkes Israel und der Alte Bund lediglich als Vorbereitung und Typus für die Kirche gesehen. Diese typologische Auslegung und Ver216 Mußner, Traktat, 388.

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hältnisbestimmung ist höchst problematisch, weil sie in der Vergangenheit die These von der Ersetzung des Volkes des alten Bundes durch das Volk des neuen Bundes untermauerte: „wenn ‚Israel‘ nur ‚Vorbereitung und Vorausbild‘ [so LG 9, A.R.] gewesen sein soll, dann fand es mit jener ‚volleren Offenbarung‘ sein Ende“.217 Ohne Zweifel sind solche Formulierungen noch Reflexe des alten triumphalistischen Kirchenverständnisses. Dennoch wird in den Konzilstexten insgesamt die alte Substitutionstheorie nicht rezipiert und implizit zurückgewiesen, wenn von der bleibenden Erwählung Israels (LG 16; NA 4) gesprochen wird. Vor diesem Hintergrund muss gefragt werden, ob jene Aussagen des Konzils, in denen das typologische Verheißungs-Erfüllungs-Schema noch anklingt, nicht einer kritisch-reflexiven Fortsetzung bedürfen. Zwar ist dieses Schema in den Konzilstexten nicht mehr mit dem alten Substitutionsmodell verbunden, aber doch mit einem „Relativierungskonzept“.218 Diese Sicht der Heilsgeschichte hat verständlicherweise wenig Zustimmung von jüdischer Seite gefunden. Stattdessen müsste eine christliche Theologie des Judentums anerkennen und betonen, dass Israel „der Ort der ersten Kommunikation der Offenbarung Gottes, und zwar nicht für sich allein, sondern auch für die Völker (vgl. Jes 49,6)“ ist.219 „Erfüllung“ ist heute am besten so zu verstehen, „dass sich in der Geschichte Jesu Christi der tiefste, wenn auch nicht der einzige Sinn der biblischen Geschichte erschließt.“220 Durch das auserwählte Volk hat die Kirche von Gott Anteil erhalten an der Offenbarung des Alten Testaments – eine Heilige Schrift, die der Kirche nicht allein gehört, durch die sie aber „ihre Identität und ihr Selbstverständnis“221 erhält. Wenn die Christen als Nachkommen Abrahams bezeichnet werden, dann ist klar, dass keine natürliche, biologische Nachkommenschaft gemeint ist, sondern „eine auf dem Glauben gegründete Nachkommenschaft.“222 In und durch Christus sind die Christen also Miterben, Miterwählte und Teilhaber der Verheißung an Abraham geworden (vgl. Eph 3,4–6), aber eben nicht die Alleinerben! Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass sowohl in Bezug auf das Volk Israel wie in Bezug auf die Kirche von „Erwählung“ die Rede ist. Das Bild aus Röm 11,17–24 aufgreifend, sieht das Konzil im Volk Israel die „Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als wilde Schösslinge eingepfropft sind“ und von dem die Kirche genährt wird (Gegenwartsform!) – also bis heute. Dieses Bild, das ebenso leicht wie die Rede vom Alten und vom Neuen Bund im Sinne einer soteriologischen Über- oder Unterordnung interpretiert werden könnte, will sagen, dass kein Volk durch eigene Leistung, sondern allein durch das ungeschuldete Geschenk Gottes das Heil erfährt: „Der ganze Unterschied liegt darin, dass Israel zeitlich vor den anderen Völkern berufen wurde und die Verheißungen empfangen hat; doch ist auch dieser Vorrang ein rein ungeschuldetes Geschenk Gottes, das dem Volke gege217 218 219 220 221 222

Müller, Aufforderung, 463. Zenger, Auslegung, 21. Thoma, Konzilserklärung, 38f. Rutishauser, Christsein, 44. Mußner, Traktat, 388. Bea, Kirche, 52.

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ben wurde im Blick auf das Heil der anderen Völker.“223 Das Bild macht aber auch deutlich, dass die Kirche „aus verdankter Existenz, nicht aus sich selbst“224 lebt und dass sie geistlich verdörrt und abstirbt, wenn sie sich von der eigenen Wurzel des Ölbaums abschneidet. Der Abschnitt endet mit der in Eph 2,14–16 ausgedrückten Überzeugung, dass in Christus und durch sein Kreuz Juden und Nichtjuden versöhnt und vereinigt sind: Die Kirche versteht sich nicht als reine „Heidenkirche“, sondern „als Kirche aus Juden und Heiden, als messianisches Gottesvolk.“225 (2) Die Kirche erinnert sich deshalb daran, dass Christus selbst ebenso wie die Apostel und die meisten der ersten Jüngerinnen und Jünger Jesu aus dem jüdischen Volk stammten. Wenn wiederum Paulus zitiert wird (Röm 9,4–5), wonach Christus „dem Fleische nach“ aus den Juden stammt, dann ist damit anerkannt und betont, dass das Judesein Jesu kein historischer Zufall war, sondern inkarnatorische Relevanz besitzt: Denn „das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22). Außerdem wird mit dem Zitat aus dem Römerbrief bestätigt, dass den Juden der Bund und die Verheißungen „gehören“ – das grammatikalische Präsens hier bezieht sich nicht nur auf das vergangene, sondern auch auf das gegenwärtige und zukünftige Judentum! (3) Die Frage nach der bleibenden Erwählung Israels bereitete demgegenüber der christlichen Theologie in der Vergangenheit weitaus größere Probleme, ja in dieser Frage liegt das theologische Schlüsselproblem im Verhältnis von Kirche und Judentum. Die Textgeschichte und die Aussagen von Nostra Aetate lassen erkennen, dass die Konzilsväter immer noch heftig um eine angemessene Position ringen mussten. Obgleich die Kirche nämlich aus dem Volk der Juden erwachsen ist, „hat Jerusalem die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt, und ein großer Teil der Juden hat das Evangelium nicht angenommen, ja nicht wenige haben sich seiner Ausbreitung widersetzt“ (NA 4). Diese Formulierungen, die eine Verschärfung gegenüber der Textfassung von 1964 darstellen, sind problematisch, da hier immer noch der traditionelle Verstockungsvorwurf durchklingt, der natürlich nach Paulus auch als Entlastung der Juden interpretiert werden könnte, insofern Gott der Verstockende ist (passivum divinum) und damit einen Heilsplan verfolgt – dennoch bleibt die Kategorie „Verstockung“ moralisch und damit negativ konnotiert. Dagegen müsste die historische Tatsache berücksichtigt werden, dass wohl der größere Teil der damaligen Juden gar nicht in existentiell betreffender Weise mit Jesus und seiner Botschaft in Kontakt kam. Umso wichtiger ist daher gerade auf dem Hintergrund einer fast zweitausendjährigen „Enterbungstheologie“ die direkt anschließende Feststellung des Konzils mit Verweis auf Röm 11, dass die Juden „nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt“ sind „um der Väter willen“, weil „seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich“ sind (vgl. LG 16). Damit bestätigt die Kirche erstmals in einem Konzilsdokument den dauernden Fortbestand des „Alten Bundes“ und verwirft implizit Modelle, die die Ablösung und Ersetzung dieses „Ersten Bundes“ (Erich Zenger) durch den „Neuen Bund“ behaupteten. Kardinal Bea fasst diese Erkenntnis 223 Bea, Kirche, 59. 224 Siebenrock, Schifflein, 17. 225 Hünermann, Kommentar, 399.

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in seinem Kommentar in schöne Worte: Juden und Christen „leben weithin denselben Glauben, gestalten ihr Leben mit Hilfe derselben göttlichen Weisheit, fassen ihr Lob und ihre Anbetung, ihre Reue und ihre Bitten in dieselben vom Geiste Gottes eingegebenen Gebete. Sie besuchen also gleichsam – obwohl in verschiedenen Stufen – denselben göttlichen Bildungs- und Erziehungskurs, der Heilsgeschichte heißt.“226 Auch wenn NA 4 das heutige Judentum zu wenig in Blick nimmt, so ist darin doch vom heutigen Judentum die Rede: „Die Judenerklärung ist die Entdeckung oder Wiederentdeckung des Judentums und der Juden in ihrem Eigenwert wie in ihrer Bedeutung für die Kirche“.227 Eigenwert bedeutet letztlich, „dass das Judentum ein von Gott gewollter Heilsweg ist“.228 Dies führt dann natürlich zur Frage, in welchem Verhältnis dieser Heilsweg zum Heilsweg der Kirche steht. Der Abschnitt endet mit der eschatologischen Vision des universalen Gottesbekenntnisses aller Völker. (4) Der vierte Abschnitt von NA 4 ist vielleicht der am häufigsten zitierte Satz aus der Erklärung: Er betont noch einmal das reiche „gemeinsame geistliche Erbe“ und schließt damit eine Enterbungstheologie aus, wonach die Christen die alleinigen Erben seien. Christen und Juden bilden vielmehr eine „Erbengemeinschaft“229: „Die Gemeinsamkeit des Erbes ist keine solche der zeitlichen Abfolge und Ablösung, sondern eine solche der Zeitgenossenschaft und Weggefährtenschaft.“230 Sodann fordert das Konzil zu gegenseitiger Kenntnis und Achtung durch biblische und theologische Studien sowie das „brüderliche Gespräch“ auf. Die zuvor formulierte Lehre über das theologische Verhältnis der Kirche zum Judentum führt zu praktischen Folgerungen für den Dialog. (5) Über viele Jahrhunderte hat die christliche Verkündigung und Theologie die Juden als von Gott verworfenes und verfluchtes Volk dargestellt, weil man pauschal „die Juden“ für die Auslieferung und Kreuzigung Jesu Christi verantwortlich machte und so des „Gottesmordes“ beschuldigte. Der Vorwurf, jahrhundertelang „fast der einzige Inhalt einer ‚christlichen Theologie des Judentums‘“231, diente nicht selten als Vorwand für die Verfolgung und Tötung von Juden und bildete den Kern des christlichen Antijudaismus. Von daher erkannten die Konzilsväter die Notwendigkeit, in Katechese und Predigt derartig theologisch motivierte antijüdische Stereotype nicht weiter zu tradieren. Der Streit um die explizite Erwähnung und Zurückweisung dieses Begriffs in der Konzilserklärung war denn auch der zentrale Streitpunkt während der jahrelangen Beratungen. Das Konzil geht zwar weiterhin von dem historischen Faktum aus, dass „die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben“, wehrt jedoch jeglichen Versuch ab, diese Ereignisse pauschal allen damals lebenden Juden oder gar den späteren Generationen im Sinne einer Kollektivschuld zur Last zu legen. Der letzte Abschnitt von NA 4 ver226 227 228 229 230 231

Bea, Kirche, 115f. Oesterreicher, Wiederentdeckung, 34. Vorgrimler, Freundeswort, 24. Vgl. Kirchberg, Theo-logie, 25. Henrix, Einführung, 32. Mußner, Traktat, 11.

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3 Der Paradigmenwechsel

weist vielmehr auf die Schuld aller Menschen am Tode Jesu, eine Sicht, die bereits im Konzil zu Trient formuliert wurde. Problematisch ist die Bezeichnung der Kirche als „neues Volk Gottes“ (in LG 9 und AG 5 ist gar vom „neuen Israel“ die Rede), legt diese Formulierung, die neutestamentlich weder dem Begriff noch der Sache nach belegbar ist, in diesem Kontext doch die alte Substitutionstheorie nahe oder lässt eine solche Lesart zumindest zu, wenn man sie isoliert betrachtet. Doch im Zusatz wird die Auffassung zurückgewiesen, die Juden seien verworfen oder verflucht und der nächste Absatz spricht vom „gemeinsamen Erbe Abrahams“ – die Juden sind also nicht enterbt. „Neu“ ist dann im Sinne von „hinzugekommen“ zu interpretieren: Die Kirche stellt als „Mitteilhaberin an der Wurzel“ (vgl. Röm 11,1) „das erweiterte Volk Gottes dar, das zusammen mit Israel, das eine Volk Gottes bildet.“232 Wichtig ist in diesem Zusammenhang der eschatologische Rahmen des Textes: Es wird nirgendwo gesagt, dass die Juden sich in der Geschichte um ihres Heiles willen explizit zu Christus als den Sohn Gottes und Messias Israels bekennen müssten, vielmehr wird mit den Worten Zephanias die messianische Hoffnung ausgedrückt, dass am Ende alle Völker den einen Herrn mit einer Stimme anbeten. In Bezug auf das Volk Israel ist nicht von einer „praeparatio evangelica“ die Rede, sondern (implizit) von einer „praeparatio eschatologica“.233 (6) Im Bewusstsein des gemeinsamen Erbes und angesichts der Geschichte des Hasses und der Verfolgung beklagt (deplorat) und verwirft (reprobat) die Kirche aus genuin christlicher Überzeugung alle „Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben“. Die Zurückweisung des Antisemitismus ist nicht völlig neu in lehramtlichen Äußerungen. Bereits in der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ vom 14. März 1937 verurteilte Pius XI. die nationalsozialistische Rassenlehre und 1938 nahm er in einer Ansprache vor einer belgischen Pilgergruppe unmissverständlich Stellung: „Der Antisemitismus ist eine abstoßende Bewegung, an der wir Christen keinerlei Anteil haben können. Es ist den Christen nicht möglich, am Antisemitismus teilzunehmen. … Der Antisemitismus ist nicht vertretbar. Wir sind im geistlichen Sinne Semiten.“234 Letztlich aber war die Enzyklika „kein Zeichen einer dauerhaften Fundamentalopposition gegen das Regime, geschweige denn ein Ausdruck christlicher Solidarität mit den noch stärker verfolgten Opfern des Nationalsozialismus.“235 Eine ursprünglich geplante Enzyklika gegen Rassismus und Antisemitismus, um die Edith Stein bat, wurde letztlich nicht veröffentlicht. (7) NA 4 endet mit einem Verweis auf die Schuld aller Sünder am Tode Jesu, der aus freier Entscheidung für alle gestorben ist, und entlastet damit einerseits die Juden indirekt von der alleinigen Schuld, schließt sie aber indirekt auch wieder mit allen Menschen ein. Der letzte Satz spricht schließlich vom Auftrag der Kirche, das Kreuz Christi als Zeichen der universalen Liebe und Quelle aller Gnaden zu verkün232 233 234 235

Mußner, Traktat, 24. So Neuhaus, Engaging, 409, vgl. ebd. 412. Zit. nach Bea, Kirche, 12f (Anm. 2). Wolf, Wechsel, 251.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

93

den. Hier fehlt ein Bewusstsein dafür, dass Juden jahrhundertelang im Zeichen des Kreuzes verspottet, entrechtet, verfolgt und getötet wurden, sodass heute noch viele Juden nicht in Gegenwart eines Kreuzes sprechen oder gar beten können. Außerdem bleibt unklar, wie das Kreuz Christi als Quelle aller Gnaden mit dem „nie gekündigten Alten Bund“236 zusammenzudenken ist. Leider, und dies wurde auch von jüdischer Seite stets kritisiert, hat das Konzil nicht explizit zur Schoa, zur millionenfachen Vernichtung der Juden, und auch nicht zur Frage nach der Mitverantwortung der Kirche Stellung bezogen, geschweige denn um Vergebung gebeten für das, was Juden auch im Namen der Kirche im Laufe der Jahrhunderte angetan worden ist, auch wenn man NA insgesamt als einen Akt der Umkehr und als Bitte um Vergebung betrachten kann und muss. Aber das Konzil als Ganzes und die Umstände waren offenbar noch nicht soweit, diesen Schritt zu gehen. Schließlich wurde auch das problematische Thema „Judenmission“ gemieden. Wahrscheinlich liegt die eigentliche Bedeutung der Konzilserklärung über die Juden darin, dass sie überhaupt zustande kam und dass sie die Grundlage für tiefer gehende Dialog- und Lernprozesse legte. Was Rahner deshalb für das Konzil als Ganzes formulierte, gilt im Besonderen für NA und die Judenerklärung: es war der nur der „Anfang des Anfangs“!237

5.

Die Menschenwürde als Basis für Religionsfreiheit und Dialog Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern. Das Verhalten des Menschen zu Gott dem Vater und sein Verhalten zu den Menschenbrüdern stehen in so engem Zusammenhang, dass die Schrift sagt: „Wer nicht liebt, kennt Gott nicht“ (1 Joh 4,8). So wird also jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht. Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht. Und dementsprechend ruft die Heilige Synode, den Spuren der heiligen Apostel Petrus und Paulus folgend, die Gläubigen mit leidenschaftlichem Ernst dazu auf, dass sie „einen guten Wandel unter den Völkern führen“ (1 Petr 2,12) und wo möglich, soviel an ihnen liegt, mit allen Menschen Frieden halten (vgl. Röm 12,18), so dass sie in Wahrheit Söhne des Vaters sind, der im Himmel ist (vgl. Mt 5,45).

NA 5 weitet noch einmal den Blick über die genannten Religionen hinaus auf alle Menschen mit einer theologisch-ethischen Begründung des in den vorangehenden Artikeln implizit formulierten Dialogprogramms: Weil die Menschen nach dem Bild Gottes, „den Vater aller“, geschaffen sind und ein innerer, unauflöslicher Zusammenhang zwischen Gottesliebe und Menschenliebe besteht, kann kein Mensch, der an Gott glaubt, seinen Mitmenschen „die brüderliche Haltung verweigern“. Interes236 Johannes Paul II., Ansprache an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Rabbinerkonferenz am 17. November 1980 in Mainz, in: KuJ I, 74−77, 75. 237 Rahner, Konzil, 37.

94

3 Der Paradigmenwechsel

sant ist, dass hier die Stelle 1 Joh 4,8, die im ursprünglichen Kontext auf eine innergemeindliche Situation bezogen ist, zu einem universalen Liebesgebot ausgeweitet und schöpfungstheologisch begründet wird. Weil jedem einzelnen Menschen als dem von Gott geliebten Geschöpf eine unveräußerliche Würde zukommt, „verwirft die Kirche“ jegliche Form von Diskriminierung und Gewaltanwendung und ruft zum Frieden mit allen Menschen auf. Die Erklärung über die Religionen endet, wie die Erklärung über die Religionsfreiheit (DiH) beginnt, nämlich mit der Würde des Menschen, und schafft so eine inhaltliche Klammer zwischen beiden wichtigen Konzilsdokumenten: „Hinsichtlich der öffentlichen Geltung ihrer eigenen Lehre rückt die Kirche davon ab, noch irgendeinen privilegierten Status im Vergleich zu anderen Religionen und Weltanschauungen einnehmen zu wollen. Glaube darf nur in Freiheit übernommene Überzeugung sein“.238 Damit hat das Konzil keineswegs die Wahrheitsfrage marginalisiert oder gar eliminiert, vielmehr sind die Glieder der Kirche aufgefordert, ihre Wahrheitserkenntnis in Form des Glaubenszeugnisses in den Dialog mit den Menschen und Religionen einzubringen und zugleich sich mit ihnen auf den Weg zur umfassenderen Erkenntnis der Wahrheit zu begeben. Ohne die Anerkennung der Würde und der Religionsfreiheit jedes Menschen durch die Kirche wäre die Erklärung NA ohne jeden Wert. Fazit: Bedeutung der Erklärung und hermeneutische Einordnung Das Konzilsdokument NA war eine spirituelle Umkehr, der Beginn eines neuen Weges einer lernenden, hörenden, empfangenden, dienenden Kirche. Der Text wurde oft kritisiert für das, was er nicht sagt, doch nimmt man die Haltung ernst, die der Konzilstext anmahnt, dann darf er gar „keine Vollständigkeit beanspruchen, weil er gerade darauf abzielt, die Bedeutung der nicht-christlichen Religionen für den christlichen Glauben nicht ohne diese, sondern im Gespräch und im Dialog mit ihnen zu erarbeiten.“239 So kurz der Text ist, so universal ist sein Blickwinkel und so weitsichtig sein Programm, dass er aktuell bis heute ist. Die eigentlichen Herausforderungen aber kamen nach dem Konzil: „Unser Dokument hat nicht nur ein Fenster geöffnet, es hat die Kirche auf die offene See des Dialogs geschickt.“240 Die Konzilsaussagen dürfen nicht isoliert betrachtet oder gar gegeneinander ausgespielt werden: „Man kann jede Aussage letztlich nur vom Geist des Ganzen her verstehen, wie sich umgekehrt der Geist des Ganzen nur aus einer gewissenhaften Auslegung der einzelnen Texte ergibt.“241 Nicht zuletzt wird die Bedeutung und Verbindlichkeit von NA und anderer Konzilstexte nicht formal, sondern inhaltlich zu bestimmen sein, nämlich ob und in welchem Maße sie das Evangelium immer wieder neu auf die konkrete Situation der Menschen hin auszulegen vermögen. Die Erklärung NA ist die Frucht eines jahrelan238 239 240 241

Pesch, Konzil, 308. Siebenrock, Senfkorn, 169. Siebenrock, Kommentar, 598. Kasper, Herausforderung, 295.

3.1 Die „kopernikanische Wende“ des Zweiten Vatikanischen Konzils

95

gen Ringens innerhalb und außerhalb der Konzilsaula, die „zu einem Lehrhaus geworden (ist), in dem die Väter sich gegenseitig belehrten und inspirierten.“242 Sie ist das Ergebnis eines echten kirchlichen und theologischen Lern- und Dialogprozesses, einer kollektiven Wahrheitssuche und -findung: Kirche wurde zum Dialog, der Dialog wurde die neue Art, Kirche zu sein! Didaktische Anregungen: 1.

Der jüdische Historiker Jules Isaac (1877−1963) hat sich angesichts der Schoa intensiv mit den christlichen Wurzeln der Judenfeindschaft auseinandergesetzt und von einer „Lehre der Verachtung“ gesprochen. Seine Intervention im Vorfeld des Konzils hat wesentlich den Anstoß zu einer Änderung der kirchlichen Haltung gegenüber dem Judentum geführt. Anhand seiner Biographie, die Schüler*innen durch Recherche erkunden und vorstellen, lassen sich individuelle wie kollektive Lernprozesse gut deutlich Jules Isaac im Gespräch mit Papst Johannes XXIII. machen.243 am 13. Juni 1960 in Rom. Bildquelle unbekannt.

2.

Die Schüler*innen markieren die theologischen Schlüsselwörter des Konzilstextes „Nostra Aetate“ und arbeiten so die theologische Grundhaltung und die Intention des Textes heraus. Diskutieren Sie das Ergebnis vor dem Hintergrund der vorkonziliaren Haltung und Lehre der Kirche. Quellen und Texte: www.nostra-aetate.unibonn.de/

Literatur: Andreas Renz, Die katholische Kirche und der interreligiöse Dialog. 50 Jahre „Nostra aetate“ – Vorgeschichte, Kommentar, Rezeption, Stuttgart 2014. Roman A. Siebenrock, Theologischer Kommentar zur Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, in: HThK Vat.II, Bd. 3, 591–693.

242 Zenger, Nostra aetate, 70. 243 Vgl. Recker, Wegbereiter, 400–420; zu weiteren Pionieren des interreligiösen Dialogs vgl. Bsteh/Proksch, Wegbereiter.

3.2

Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

3.2.1

Evangelische Theologen

Prominentester Vertreter der exklusivistischen These im 20. Jahrhundert war der reformierte, an Calvin sich orientierende, Theologe Karl Barth (1886−1968), der mit seiner „Dialektischen Theologie“ die evangelische Missions- und Religionstheologie bis in die Gegenwart hinein stark beeinflusst hat. Er schloss die Heilsmöglichkeit für einzelne Nichtchristen keineswegs aus – in dem Sinne ist er kein rigoroser Heilsexklusivist. Er verneinte jedoch, dass die nichtchristlichen Religionen irgendeine heilsvermittelnde Funktion haben könnten, da sie keine Offenbarung des sich im Wort selbstmitteilenden Gottes seien, sondern allein Ausdruck menschlichen Suchens und menschlichen Selbsterlösungsstrebens: „Religion ist Unglaube; Religion ist eine Angelegenheit, man muss geradezu sagen: die Angelegenheit des gottlosen Menschen.“244 Gott habe sich allein in Jesus Christus geoffenbart, von daher müssten allen religiösen Äußerungen außerhalb des Christusereignisses als unwahr betrachtet werden. Barth kam zu dieser rigorosen theologischen Religionskritik, die sich durchaus auch und zuerst auf die Kirche richtete, durch die Rechtfertigungslehre, nach der allein Gott in seinem frei geschenkten Heilshandeln in Jesus Christus den Menschen gerecht machen kann. Die Offenbarung in Jesus Christus wird so zum Gericht über jede Religion, selbst die christliche, sofern es um christliche Dogmen, Riten, Gemeinschaftsformen und Moral geht – allein der Glaube des Einzelnen an die gerechtmachende Gnade in Jesus Christus bedeutet Heil. Barth unterschied damit nicht nur zwischen Religion und Glaube, zwischen Offenbarung und Religion, sondern trennte diese radikal voneinander, ja stellte sie antithetisch, dualistisch gegenüber. Es handelt sich dabei um einen rein apriorischen, ungeschichtlichen und zirkulären Ansatz, der sich die geschichtliche Vermitteltheit von Offenbarung und Heilsgeschehen nicht genügend bewusst macht und die Wirklichkeit und Selbstverständnisse anderer Glaubensweisen überhaupt nicht berücksichtigt. Allerdings kommt es bei Barths Versöhnungslehre einige Jahre später zu einer gewissen Akzentverschiebung und inklusiven Öffnung, insofern er das Versöhnungswerk Jesu Christi als objektives und universales Geschehen versteht, in das prinzipiell alle Menschen einbezogen sind und das durch die Mission allen bewusst zu machen ist. Im Unterschied zu Barth ordnete der lutherische Theologe und Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule Ernst Troeltsch (1865−1923) das Christentum in die Welt der Religionen ein und betonte gegen den im 19. Jahrhundert im Gefolge Schellings und Hegels aufkommenden Begriff der „Absolutheit des Christentums“ die historische Bedingtheit jeder Religion, auch des Christentums: „Es ist sehr wohl möglich, dass in allen Religionen ein Element des Gültigen steckt, aber gemischt mit tausend individuellen und temporären Besonderheiten. … Die Gültigkeit selber aber ist 244 Barth, KD I/2 §17.

3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

97

eine Einsicht, die nur persönlich aus innerer Erfahrung und reiner Gewissenhaftigkeit bejaht werden kann, die aber nicht eigentlich bewiesen werden kann.“245 Ein wertender Vergleich zwischen den Religionen sei für den Menschen nicht möglich, weil es keinen absoluten Standpunkt geben kann, der Mensch hat das Absolute immer nur in bedingter und relativer Gestalt. Der Lutheraner Paul Althaus (1888−1966) unterschied in seinem Ansatz zwischen der in Jesus Christus geschehenen Heilsoffenbarung einerseits und der an alle Menschen ergangenen Uroffenbarung andererseits, die sich gebrochen, das heißt mit Wahrheit und Irrtum vermischt, in den geschichtlichen Religionen wiederfindet. Anders als bei Barth sind die Religionen also nicht völlig von Irrtum und Sünde verdorben und doch bleiben sie unzulängliche Vorstufe des Evangeliums. Wenn Nichtchristen zum Heil gelangen, dann nicht durch ihre Religion, sondern trotz ihrer Religion allein aufgrund des freien Gnadenhandeln Gottes. Der lutherische Theologe Paul Tillich (1886−1965) ging davon aus, dass „O enbarungserfahrungen universell menschlich sind. Die Religionen beruhen auf etwas, was dem Menschen zu allen Zeiten und überall gegeben ist, nämlich auf Offenbarungen, die immer erlösende Macht haben. In allen Religionen gibt es offenbarende und erlösende Mächte.“246 Indem der Mensch diese Offenbarungen aber seinen menschlichen Bedingungen anpasst und zur Religion macht, entstellt er sie, aber es kommt im Laufe der Zeit immer wieder zu einer mystischen, prophetischen oder profanen Kritik an diesen Entstellungen. So ist die gesamte Religionsgeschichte als „Kampf für die Religion des konkreten Geistes“ zu betrachten, als ein „Kampf Gottes gegen die Religion innerhalb der Religion“ (59). Im sich selbst hingebenden Christus jedoch ist höchste Partikularität und höchste Universalität der Offenbarung vereinigt und deshalb ist das Christusgeschehen Norm und Kriterium für alle Offenbarung. Da sich aber auch in den anderen Religionen Offenbarung manifestiert, kann der Dialog zu einer Bereicherung des Christentums führen. Der lutherische systematische Theologe Reinhard Leuze hat seit Beginn seiner theologischen Betätigung im Bereich der religionstheologischen Thematik gearbeitet, weshalb sein Ansatz etwas ausführlicher dargestellt sei.247 Die nichtchristlichen Religionen müssen nach ihm in dreifacher Weise ins Blickfeld der christlichen Theologie rücken: „Zunächst muss sie in der Entfaltung des eigenen Glaubens die Antworten anderer Religionen einbeziehen, wenn die zu diskutierenden Themen dieselben sind. Zweitens muss sie in einer gesonderten Darstellung versuchen, die systematischen Probleme aufzuarbeiten, die sich beim Dialog mit einer bestimmten Religion stellen ... Drittens bedarf es einer Grundlegung der gesamten christlichen Theologie, die das Verhältnis des Christentums zu den anderen Religionen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rückt.“248

245 246 247 248

Troeltsch, Stellung, 29. Tillich, Religionsgeschichte, 52. Vgl. dazu Renz, Mensch, 294–339. Leuze, Christentum und Islam, 19, Anm. 48.

98

3 Der Paradigmenwechsel

Leuze spricht sich für eine „Anerkennung anderer Religionen als ordentlicher Heilswege“249 aus: Man müsse im Falle der großen Weltreligionen davon ausgehen, dass „sie allen ihren Angehörigen die Möglichkeit bieten, das Heil zu erlangen, und zwar nicht das durch Christus geschenkte Heil, das sie nur als solches nicht erkennen, sondern das Heil, welches im Rahmen der von ihnen selbst gegebenen Definitionen des Göttlichen und des Menschlichen gewonnen werden kann.“250 Er distanziert sich von einem traditionell (im Sinne Hegels) verstandenen Absolutheitsbegriff und definiert diesen neu: Absolutheit einer Religion versteht er demnach nicht im Sinne der Selbstgenügsamkeit, vielmehr als Fähigkeit, mit den Anderen in Dialog zu treten und sie in ihrer Notwendigkeit zu begreifen.251 Diese ihre Notwendigkeit liegt in der dem Gottesbegriff eigentümlichen Unbestimmtheit, im Verständnis Gottes als Geheimnis, begründet.252 „Gott als Geheimnis zu begreifen ist eine der unerlässlichen Voraussetzungen für einen Dialog des Christentums mit den anderen Religionen“.253 Nach Leuze haben die christlichen Theologen keine andere Wahl, ihren Begriff der Offenbarungsgeschichte neu zu definieren: Die theologische Lösung des Problems liege in der Tatsache, dass alle monotheistischen Religionen eine „Differenz zwischen Gott selbst und Gott in seinem Offenbarsein“ sehen.254 Der Gott, der sich offenbart, ist nie eine vollkommene Enthüllung Gottes selbst. Gott bleibt trotz seiner Selbstoffenbarung im Alten und Neuen Testament unbegreiflich und transzendent: „Die Offenbarung Gottes beseitigt nicht seine Verborgenheit; sie bringt sie vielmehr ans Licht.“255 Anders formuliert: Gott offenbart, dass er der Verborgene ist, der Unsagbare und Unbegreifliche. Eine Theologie, die diese Differenz in Gott nicht sieht, führt zur Verabsolutierung der eigenen Position und in der Folge zu einem intoleranten Verhalten gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen. Leuze greift in diesem Zusammenhang im Anschluss an Karl Rahner, Gerhard Ebeling und Eberhard Jüngel den in der Theologie der Gegenwart wieder verstärkt zur Geltung kommenden Begriff des göttlichen Geheimnisses auf: Während jeder Name abgrenzt, unterscheidet und bestimmt, zeichnet sich der Begriff des Geheimnisses „durch Namenlosigkeit, Unabgrenzbarkeit und Unverfügbarkeit“ aus.256 Gott gibt in keiner Offenbarung sein Wesen völlig preis, er bleibt auch in seinem Offenbarsein der Verhüllte. Dies ist nach Leuze die theologische Erklärung für die Existenz mehrerer hochentwickelter und universal wirksamer Religionen: „Man würde von den christlichen Lehraussagen keinen richtigen Gebrauch machen, wenn man sie nicht in ihrer Partikularität und Begrenztheit verstände, wenn man sie nicht im Horizont jenes Unbegreiflichen sähe, das auch andere, womöglich gegensätzliche Aussagen anderer Religionen aus sich entlässt. Diese Aussagen sind dann nicht einfach 249 250 251 252 253 254 255 256

Leuze, Christentum – die absolute Religion?, 282. Leuze, Gott und das Ding an sich, 56 f. Vgl. Leuze, Christentum – die absolute Religion?, 280, 292 und 295, Anm. 57 Vgl. ebd. 289f. Leuze, Theologie der Religionsgeschichte, 240. Leuze, Christentum und Islam, 42. Leuze, Christentum und Islam, 43. Leuze, Gott und Sprache, 101.

3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

99

die irrige Lehre, die abgelehnt werden muss, sie sind eine (von uns nicht übernommene) Möglichkeit, dem Geheimnis des Göttlichen näherzukommen.“257 Wenn nun „Gott trotz seiner Offenbarung sein Geheimnis nicht verliert, ja genauer, wenn er sich uns gerade als Geheimnis enthüllt, dann dürfen wir ihn nicht auf eine Offenbarung einschränken, dann müssen wir mit einer größeren Zahl von Offenbarungen rechnen.“258 Diese Unbegreiflichkeit und auch Souveränität259 Gottes lässt es nicht zu, Gott in seiner Offenbarungstätigkeit zeitlich und geographisch einzuschränken. Die Möglichkeit einer auch nach Christus ergangenen und ergehenden Offenbarung muss daher theologisch eingeräumt werden. Leuze sieht hinter der Vielfalt des göttlichen Offenbarungshandelns eine Einheit der Offenbarungsgeschichte, „ein einheitliches Subjekt“, „auf das sich alle verschiedenen Offenbarungen zurückführen lassen.“260 Den Beweis dafür liefere „das gemeinsame monotheistische Credo“ – für Leuze das entscheidende theologische Kriterium, denn die Religionsgeschichte sei „durch einen irreversiblen Prozess gekennzeichnet, der zum Monotheismus führt“.261 Aus der anglikanischen Tradition sei der Theologe und Islamwissenschaftler Kenneth Cragg (1913–2012) erwähnt, der sich neben seinen bahnbrechenden Islamstudien auch zu allgemeinen religionstheologischen Fragen geäußert hat.262 Dabei hat er einen christozentrischen Ansatz, der jedoch inklusiv geöffnet ist: „Die erste Notwendigkeit ist, der Pluralität der Religionen als einer irreduziblen Tatsache unserer menschlichen Geschichte ins Auge zu schauen.“263 Wird aber die Pluralität der Religionen akzeptiert, verpflichtet die eigene Partikularität zur Aufnahme von Beziehungen mit dem Anderen. Dialog versteht er als eine offene Begegnung von Personen: „Was sich im Dialog austauscht sind nicht ‚Religionen‘, sondern Menschen; nicht Lehren in abstracto, sondern Lehren in vita; nicht Riten in vacuo, sondern Gottesdienst des Herzens.“264 Deutlich grenzt er sich von der exklusivistischen Sicht Hendrik Kraemers und Karl Barths ab, obgleich er die Kritik Barths an der „Religion“ ein Stück weit teilt, insofern die „Religion“ den Menschen nicht vor Sünde und Idolatrie schützt. Ebenso lehnt er das pluralistische Modell John Hicks ab, ohne sich jedoch näher damit auseinander zu setzen. Mehr Sympathie dagegen zeigt der anglikanische Theologe für die These Karl Rahners vom „anonymen Christen“, auch wenn er den Begriff „anonym“ in diesem Zusammenhang ablehnt und stattdessen von „associate Christians“ im Sinne eines positiven und bewussten statt unbewussten Glaubensaktes spricht.265 Dennoch hält er den soteriologischen Gedanken, der hinter Rahners Konzept steht, 257 258 259 260 261 262 263 264 265

Leuze, Christentum – die absolute Religion?, 291. Leuze, Christentum und Islam, 43. Vgl. Leuze, Mohammed, 115. Leuze, Christentum und Islam, 48, vgl. 60, Anm. 8. Leuze, Theologie der Religionsgeschichte, 236. Vgl. dazu Renz, Mensch, 127–201. Cragg, Christianity in World Perspective, 65. Cragg, Christian-Muslim Dialogue, 112. Vgl. Cragg, Christ and the Faiths, 218–221.

100

3 Der Paradigmenwechsel

für durchaus möglich: „Vielleicht gibt es den Weg der Gnade und andere außergewöhnliche Wege, die reale Taufe und die Taufe dem Begehren nach, die explizite und die anonyme Liebe Christi, den Gehorsam über die Schrift und Sakrament und den Gehorsam über Gewissen und Natur.“266 Das Gute in den Religionen, das es zweifellos gibt, soll entdeckt und gewürdigt werden, aber letztlich erreichen diese nicht die Fülle der Wahrheit und des Heils, wie sie uns in Jesus Christus begegnet. Seine einzige Loyalität im Glauben gehört Jesus Christus, bei gleichzeitigem Bemühen um Offenheit gegenüber anderen Glaubensweisen. Glaube in Begegnung bedarf eines klaren inhaltlichen Bekenntnisses. Dem dient auch die methodische Zielsetzung Craggs, den jeweiligen Glauben, mit dem er sich beschäftigt, von seinem Selbstverständnis, seinen Intentionen her darzustellen und zu interpretieren und so diese Innenperspektive mit der Innenperspektive des eigenen Glaubens ins Gespräch zu bringen, „nie jedoch als bloße Taktik, sondern als Bestandteil echter Liebe, die zuerst verstehen will, um dann selbst verstanden zu werden“.267 Die Beschäftigung und die Begegnung mit dem Glauben anderer Menschen erfordert in höchstem Maße Respekt vor dem Anderen, denn nirgendwo ist der Mensch verletzlicher als im Bereich seines persönlichen Glaubens: „Wechselseitige Höflichkeit ist daher die weiseste und zugleich wahrste Vorschrift für die Beziehung.“268 Doch das Selbstverständnis eines anderen Glaubens soll letztlich dazu dienen, bessere Anknüpfungspunkte für die Mission zu finden. Dialog ist für Cragg somit keineswegs unvereinbar mit missionarischem Bemühen: „Mission im vollen Sinne ist in der Tat ohne Dialog unmöglich.“269

3.2.2

Dokumente evangelischer Kirchen

a)

Dokumente zur allgemeinen Religionstheologie

Eine vergleichbare Wende in der Religionstheologie wie die römisch-katholische Kirche – wenn auch dem Selbstverständnis nach nicht mit der lehramtlichen Verbindlichkeit – haben auch viele evangelische Kirchen in den letzten vier Jahrzehnten vollzogen. Beispielhaft seien hier drei Dokumente aus dem deutschsprachigen Bereich kurz referiert: Die Studie „Religionen, Religiosität und christlicher Glaube“ (AKf und VELKD)270, die vor allem die theologische Handschrift von Carl Heinz Ratschow und Theo Sundermeier trägt, nimmt explizit auf Nostra Aetate Bezug und will sich an deren Ziel orientieren „die religiösen Zäune zwischen wahrem Christentum und falschem Heidentum abzubauen und die Wege für gemeinsames Gespräch, Zusammenarbeit und zu266 267 268 269 270

Cragg, Christian and Other Religion, 67. Cragg, Evangelium, 105. Cragg, Christian and Other Religion, 27. Cragg, Evangelium, 104. „Religionen, Religiosität und christlicher Glaube“, hrsg. im Auftrag des Vorstandes der Arnoldshainer Konferenz und der Kirchenleitung der VELKD, von der Geschäftsstelle der AKf und dem Lutherischen Kirchenamt Hannover, Gütersloh 1991.

3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

101

mal für Achtung füreinander zu weisen“ (14). Von weitreichender Bedeutung ist, dass die Studie den von Karl Barth und anderen evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts aufgerissenen Gegensatz zwischen Religion und Offenbarung zurückweist, da beides zusammengehöre: „Jede Religion lebt von dem unverfügbaren Ereignis einer göttlichen Zuwendung, die im menschlichen Lebenszusammenhang durch Kult, Ritus und Sitte wiederholt und angeeignet wird. So auch der christliche Glaube“ (23). Wenn auch die Studie Karl Rahners Theorie vom „anonymen Christen“ als „unhaltbar“ zurückweist (vgl. 123), geht sie doch davon aus, dass die Religionen „nicht bloßer Ausdruck dämonischer Mächte“ sind, sondern zum „Welthandeln Gottes“ gehören: „Die Religionen sind wie alle öffentlichen und privaten Ereignisse aus Gottes schöpferischer Vollmacht hervorgegangen. Damit gewinnen der Islam wie der Hinduismus wie andere Religionen einen neuen Beurteilungshintergrund. Auch durch sie handelt Gott an den Menschen. Gott ist ihnen nicht fern, wie allen menschlichen oder geschichtlichen Ereignissen. Man kann sie nicht einfach in Bausch und Bogen als menschliche Gemächte abtun, obwohl sie wie alles Geschichtliche daran teilhaben, dass der Mensch immer wieder Bedingtes zum Unbedingten macht und somit dämonisiert. Auch in den Religionen und hinter ihnen taucht Gott in seinem Welthandeln auf mit dem Ziel, dass die Menschheit ihn findet. Gott steht mit seiner Gottheit im Zielpunkt aller Religionen, wie er ihren Ursprung fügt; zugleich verkehren die Menschen das Handeln Gottes nach ihrem Willen“ (127f.). Die Religionen und deren Angehörige sind demnach „keine ‚Missionsobjekte‘“ (129), vielmehr müssen die Christen damit rechnen, dass ihnen mit den anderen Religionen „Zeugnisse göttlichen Handelns und insofern echte Anfragen zukommen“ (125): „Wir sind als Christen gegenüber den anderen Religionen nicht die überlegenen Inhaber der Wahrheit“ (129). Aus diesem Ansatz ergibt sich für die Studie die Verpflichtung zum Dialog und zur „Konvivenz“271 (Sundermeier), die als Lebens-, Lern- und Festgemeinschaft zu verstehen ist. Die 2003 erschienenen Theologischen Leitlinien „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“ der Kammer für Theologie in der EKD272 nehmen ihren Ausgangspunkt bei der Fremdartigkeit anderer Religionen, welche Christen und christliche Gemeinden verunsichere und religiös in Frage stelle (4). Die religiöse Pluralität wird als theologisches und soziales Problem gesehen, dem jedoch auch „unbestreitbarer Reichtum“ gegenüberstehe, „der sich in bewunderungswürdigen geistigen und kulturellen Schöpfungen sowie in einer durch lange Zeiten gereiften Erfahrung im Menschlichen auszeichnet. In jeder Religion können Dimensionen der religiösen Überzeugung und Praxis entdeckt werden, die in anderer Weise auch zum christlichen Glauben gehören. Die Verehrung eines Gottes oder des Göttlichen in Kultus und Gebet, in ästhetischer Darstellung und ethischem Verhalten, teilt der christliche Glaube mit den Religionen“ (5). Die vor allem in sog. Pluralistischen Religionstheo271 Vgl. dazu Bernhardt, Inter−Religio, 243–251. 272 Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Ein Beitrag der Kammer für Theologie der EKD (EKD-Texte 77), Hannover 2003.

102

3 Der Paradigmenwechsel

logien (s. u. 5.4) implizierte Annahme, dass sich „in oder hinter der geschichtlichen Vielfalt gelebter Religionen, die alle Religionen verbindende wahre Religion oder der ‚von Natur aus‘ religiöse Mensch manifestiere“, sei jedoch „ein abstraktes Postulat“ (6), das der konkreten geschichtlichen Wirklichkeit der Religionen und Menschen nicht gerecht werde. Der theologische Ausgangspunkt und zugleich das Kriterium für ein evangelisches Selbstverständnis der Religionen ist die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders, von der Liebe Gottes: „Das Evangelium besagt, dass Gott schon als Schöpfer allen Menschen nahe ist. Menschsein heißt: in der Nähe Gottes sein ... Diese Nähe des Schöpfers zu allen Menschen erschließt sich in ihrem ganzen Reichtum und unwiderruflich in Jesus Christus. In ihm ist Gott der Menschheit geschichtlich-konkret begegnet, und im Evangelium von Jesus Christus wendet er sich allen Menschen gnädig zu. In dieser Hinsicht befinden sich Christen und Menschen anderer Religionen vor Gott in derselben Situation. Sie leben als Gottes Geschöpfe in der durch seine Gnade bestimmten Gegenwart. Auf die Nähe des gnädigen Gottes aber sind alle Menschen um so mehr angewiesen, als sie sich zu ihrem Verderben der Gegenwart Gottes entziehen und also als Sünder leben. Auch darin unterscheiden sich Christen nicht von Menschen anderer Religionen“. (8) Den entscheidenden Unterschied zu allen anderen Religionen sieht die Kammer für Theologie jedoch im Glauben an Jesus Christus: In der „Erfahrung der heilsamen Zuwendung Gottes zur Menschheit in der Geschichte Jesu Christi“ (8). Diese Erfahrung mache nur der an Jesus Christus Glaubende. Von Bedeutung ist allerdings, dass der EKD-Text von der generellen Abwertung der geschichtlichen Religionen als rein menschengemachter Gebilde Abstand nimmt und Religion als „die von Gott gewirkte glaubende Aufnahme seiner gnädigen Nähe in die Lebens- und Tätigkeitszusammenhänge des menschlichen Lebens“ definiert (10). Im dritten Abschnitt stellen die Leitlinien drei theoologische Leitdifferenzierungen im Blick auf die Religionen auf, die sich am trinitarischen Gottesbekenntnis orientieren: 1) Schöpfungstheologisch besteht ungeachtet der Unterschiede des religiösen Bekenntnisses „eine ursprüngliche Solidarität der Menschen untereinander“, wodurch besonders der rechtliche und politische Umgang mit Menschen anderen Glaubens bestimmt sein sollte (12), der sich am Prinzip der Menschenwürde orientiert. 2) Die christologische Leitkategorie macht nicht nur einen Unterschied, sondern sogar einen Gegensatz zu anderen Religionen aus, insofern diese „Jesus Christus nicht als Ereignis der Wahrheit“ anerkennen wollen (14). Aber auch dies ist kein Besitz, der die Christen über die anderen Menschen erheben würde, sind sie selbst doch „auf das Ereignis der Wahrheit angewiesen“ (15), ja, sie begegnen anderen Religionen sogar „in der Erwartung, dass sich dort ebenfalls in irgendeiner Weise Erfahrungen mit dieser Wahrheit finden“ (16). Damit weist das EKD-Papier den nichtchristlichen Religionen erkenntnistheoretischen Wert zu, was die Möglichkeit eines wechselseitigen Lernprozesses durch den Dialog und die Begegnung eröffnet. Aus der prinzipiellen Unverfügbarkeit Gottes und seiner Nähe in Jesus Christus folgt nach der Studie für die Christen und die christlichen Kirchen, „dass sie sich mit keinem Gegensatz zu anderen Religionen als letztem Gegensatz und mit keinem Trennenden als absoluter

3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

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Grenze abfinden. Weil Jesus Christus nicht aufhört, mitten in der sündig entzweiten Welt solche Gegensätze und Grenzen mit der Sünden vergebenden Nähe Gottes zu jedem Menschen zu überbieten, geht von ihm die bleibende Ermutigung aus, das Menschenmögliche zu tun, damit sie sich nicht zu tödlich entzweienden Gegensätzen und Grenzen auswachsen.“ (17f) 3) Die dritte christliche Leitdifferenzierung besteht in der pneumatologischen Konkretion „in welcher der Heilige Geist Menschen befähigt, dem Evangelium von der zuvorkommenden Gnade Gottes in allen Lebenszusammenhängen das erste Wort zu geben und alle menschlichen Daseinsäußerungen von daher zu verstehen“ (11). Eine pneumatologisch begründete Würdigung der Religionen fehlt jedoch in diesem Dokument. Insgesamt tut sich die evangelische Theologie offenbar schwerer als die katholische, den anderen Religionen einen Heilswert zuzugestehen. Dieser Vorbehalt hängt mit der starken Betonung der Erbsündenlehre, der gefallenen Schöpfung einerseits und der auf das Individuum bezogenen Rechtfertigungslehre mit ihren Exklusivpartikeln (solus Christus, sola gratia, sola fide) zusammen. Heil wird nicht – wie in der katholischen und orthodoxen Theologie – „als Vervollkommung der Natur durch die Gnade, sondern als radikale Neuschöpfung verstanden“.273 Ein Aufbrechen der evangelischen Christozentrik durch die Pneumatologie, die das universale Heilshandeln des trinitarischen Gottes stärker bewusst macht, könnte zu einer religionstheologischen Öffnung führen, indem auch die Religionen als mögliche Orte und Mittel göttlicher Gnade gewürdigt werden könnten, ohne dabei die Einzigkeit und Universalität des Heils in Jesus Christus aufzugeben. Eindeutig und explizit vertreten wird der christozentrische Exklusivismus heute noch in weiten Teilen des evangelikalen und freikirchlichen Christentums. Das dritte Dokument trägt den Titel „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive“ (2015)274 und versteht sich als Grundlagentext des Rates der EKD. Neben theologischen werden auch gesellschaftspolitische Fragen (Bekenntnis zu Religionsfreiheit und Gleichheitsgrundsatz) behandelt. Das Dokument geht einerseits davon aus, dass Gott sich in vielfältiger Weise den Menschen zuwendet (vgl. 15). Es will sich selbst nicht religionstheologisch verorten (vgl. 35), kritisiert aber unausgesprochen das katholische inklusive Modell: „Es reicht keineswegs aus, in anderen Kirchen, kirchlichen Gemeinschaften oder in fremden Religionen alles das als ‚wahr‘ und ‚gut‘ anzuerkennen, was man letztlich allein bei sich selbst vollständig verwirklicht sieht. Solch gut gemeinte Inklusion scheint Exklusivismus und Dogmatismus aufzuweichen, entspricht aber nicht der evangelischen Einsicht in die Eigenart, Unhintergehbarkeit und Berechtigung des Pluralismus.“ (23) Die reformatorischen Exklusivpartikel (allein durch den Glauben, …) seien „mit einem Exklusivismus des alleinigen Wahrheitsbesitzes nicht zu verwechseln“ (28).

273 Wohlleben, Kirchen, 316 274 Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD, hgg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 2015.

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3 Der Paradigmenwechsel

Andererseits werden die Differenzen klar markiert: „Die drei monotheistischen Religionen unterscheiden sich in dem, was sie verbindet. … Darum bleibt die Auffassung, alle drei glaubten an denselben Gott, eine Abstraktion, die von allem absieht, worauf es in Judentum, Islam und Christentum konkret ankommt. Leere Abstraktionen helfen nicht weiter.“ (64f) Diese Aussage wird an anderer Stelle hinsichtlich des jüdisch-christlichen Verhältnisses immerhin relativiert (vgl. 72). Den Autorinnen und Autoren geht es um „eine ernsthafte Anerkennung der Andersheit des anderen“, ohne freilich eine theologisch pluralistische Position zu beziehen: „Im Grunde kann keine der drei Religionen mit dem Gedanken, die anderen beiden hielten sich bereits zum einzigen Gott, nur bleibe er diesen noch in wesentlichen Dimensionen verborgen, einen Plausibilitätsgewinn erzielen.“ (65). Es wird deutlich, dass das Papier zumindest in einem Argumentationsstrang von einer Differenzhermeneutik geprägt ist. Dies geht soweit, dass in der Frage nach dem Beten mit anderen von „der Zuwendung zu ihrem Gott“ (53, vgl. 54, wo von der Christenheit und „ihrem Gott“ die Rede ist) gesprochen wird, was mindestens missverständlich ist: Gibt es denn viele Götter oder geht es nicht vielmehr um verschiedene Gottesbilder? Die unterschiedlichen Gottesvorstellungen scheinen nach dieser Sicht der Kammer für Theologie der EKD „den Gedanken eines gemeinsamen und übergreifenden Gottesbezugs“ auszuschließen, was letztendlich in einem Exklusivismus enden würde.275 Die religionstheologischen Aussagen des Grundlagentextes bleiben somit spannungsreich, wenn nicht in sich widersprüchlich. b)

Dokumente über das Verhältnis zum Judentum

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat erstmals mit der Erklärung der Synode in Berlin-Weißensee 1950 positiv zum Judentum Stellung bezogen: Sie anerkennt darin die bleibende Erwählung Israels, bekennt eine Mitschuld „an dem Frevel“ an den Juden durch Unterlassen und Schweigen und distanziert sich vom Antisemitismus. Substantiell wird dann in den drei Studien „Christen und Juden I−III“276 das Verhältnis zum Judentum reflektiert. In Studie I (1975) werden in einem ersten Schritt die gemeinsamen Grundlagen herausgestellt (der eine Gott, die gemeinsame Schrift, das gemeinsame Selbstverständnis als Volk Gottes, die gemeinsame eschatologische Hoffnung etc.), dann das Auseinandergehen der Wege in der Frage nach dem Wesen und der Bedeutung Jesu und der daraus folgenden unterschiedlichen Interpretation der Schrift und schließlich die gemeinsamen Aufgaben. Studie II (1991), bei der auch jüdische Vertreter einbezogen waren, arbeitet selbstkritisch das Erbe des Antijudaismus auf, betont die christliche Mitverantwortung und Schuld am Holocaust und die bleibende Erwählung Israels, die inzwischen Bestandteil vieler Kirchenordnungen evangelischer Landeskirchen geworden ist. Auf der Basis der Israeltheologie des Römerbriefes wird dann eine Christologie im Angesicht Israels versucht: „Grundlegend für dieses Modell ist, dass in dem Dienst des Christus/Messias an Israel die 275 So die Kritik von Schmidt-Leukel, Gott, 3. 276 Vgl. Christen und Juden I−III.

3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

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Treue Gottes zu seinem Bundesvolk sich erfüllt und die Gnade Gottes gegenüber den Völkern sich eröffnet. Der den Vätern für das Volk verheißende Christus/Messias schließt die Völker in das Heil Gottes ein, um sie so zusammen mit dem Volk Gottes zum universalen Gotteslob zu führen.“ (81) Die christusgläubigen Völker werden demnach also durch Christus in die Verheißungs- und Heilsgeschichte Israels eingebunden. Studie II war wesentlich vom Synodalbeschluss „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Juden und Christen“ der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 11. Januar 1980 geprägt, der für die evangelischen Kirchen in Deutschland ein Meilenstein war, vielleicht ein ähnlicher Paradigmenwechsel wie das Konzil für die katholische Kirche. Angesichts der „Erkenntnis christlicher Mitverantwortung und Schuld an dem Holocaust“, neuer biblischer „Einsichten über die bleibende heilsgeschichtliche Bedeutung Israels (z. B. Röm 9−11)“ und der „Einsicht, dass die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind“, wurde in diesem Synodalbeschluss „die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Volk Gottes“ anerkannt.277 Außerdem wurde konstatiert, dass „die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht wie ihre Mission an die Völkerwelt wahrnehmen kann.“ Damit wurde einer Judenmission ebenso eine klare Absage erteilt wie der traditionellen Substitutionstheorie. Studie III (2000) der EKD setzte sich intensiv mit der biblischen Bundestheologie auseinander und arbeitete als Fazit heraus, dass im Neuen Testament die Kirche „nicht als Gegenbund zu Israel konstituiert“ wird: „Weder spricht das Neue Testament davon, dass Gott mit der Gemeinschaft der Christusgläubigen einen Bund geschlossen habe wie einst mit Israel am Sinai, noch bezeichnet es die individuelle Zuund Aneignung der Christusgemeinschaft als Eintritt in einen Bund.“ (152) In Bezug auf das Neue Testament sei eher von „einer christologischen und soteriologischen Neuakzentuierung des Bundesgedankens“ zu sprechen (151). Einer institutionalisierten „Judenmission“ wurde durch die EKD und ihre Gliedkirchen erstmals eine eindeutige Absage erteilt, aber auch der oft als Ersatz gebrauchte Begriff des „Zeugnisses“ wurde kritisch reflektiert: „Eine Kirche, die sich nicht mit aller Macht ihres Zeugnisses gegen die an Juden verübten Verbrechen eingesetzt hat, sollte bei der Bezeugung ihres Glaubens gegenüber jüdischen Menschen – um es vorsichtig zu formulieren – äußerste Zurückhaltung üben.“ (166) In dem Dokument „Kirche und Israel“278 der Leuenberger Kirchengemeinschaft (Gemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa) von 2001 wurde ebenso wie in den Konzilsdokumenten der katholischen Kirche die Verhältnisbestimmung zu Israel als „Teil der Ekklesiologie“, also als „ein unmittelbarer Aspekt der Identität der Kirche“ (I, 1.2.4) reflektiert. Und wie implizit das Konzil wies das Dokument jede Form einer Substitutionstheologie in Bezug auf das Volk Israel als falsch zurück (II, 1) und betont die bleibende Erwählung Israels, was „die Anerkennung des jüdischen 277 KuJ I, 594f. 278 Leuenberger Kirchengemeinschaft, Kirche und Israel.

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3 Der Paradigmenwechsel

Volkes als Volk Gottes“ impliziere. Gleich eingangs und nochmals im Schlusswort wird das Versagen und die Schuld der Kirchen während der Schoa „aus Gleichgültigkeit und Furcht, Hochmut und Schwäche“ eingestanden, vor allem aber auch „aufgrund von falschen Auslegungen biblischer Texte und daraus resultierendem schrecklichen theologischen Irrtum“ (I, 1.1). Die an Martin Buber anknüpfende Rede vom „ungekündigten Bund“, die bereits 1961 auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag thematisiert wurde, wird aufgegriffen. Zurückgewiesen wird ein unverbundenes Nebeneinander zweier Wege, vielmehr sei der „Neue Bund“ in Jesus Christus „der in Jer 31 verheißene erneuerte Bund und somit eine Bestätigung und eine – über den Bund mit Israel hinausgehende – weitere Entfaltung des von Gott mit Israel geschlossenen Bundes“ (II, 1.2.1, vgl. 2.5.3). Die Kirche sei „in die Verheißungsgeschichte Israels hineingenommen“, Juden und Christen bildeten so „eine gemeinsame Verheißungs- und Hoffnungstradition“ (II, 1.3.1). Weder Israel noch die Kirche könnten „einen Erwählungsanspruch erheben; beide sprechen vielmehr von Gottes Erwählungstat“ (II, 2.4.1). Das Bekenntnis zum selben Gott, von dem beide auf unterschiedliche Weise sprechen (vgl. II, 2.3.7) führt dazu, dass sich die reformatorischen Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft „jeglicher gezielt auf die Bekehrung von Juden zum Christentum gerichteten Aktivität enthalten“ (II, 3.2). Im Zusammenhang mit dem 500-jährigen Reformationsjubiläum hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kritisch mit dieser antijüdischen Theologie Luthers und deren verheerenden Rezeptions- und Wirkungsgeschichte auseinandergesetzt und mit der 12. Synode der EKD 2015 in Bremen kundgegeben: „10. Luthers Sicht des Judentums und seine Schmähungen gegen Juden stehen nach unserem heutigen Verständnis im Widerspruch zum Glauben an den einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat. Sein Urteil über Israel entspricht demnach nicht den biblischen Aussagen zu Gottes Bundestreue gegenüber seinem Volk und zur bleibenden Erwählung Israels. 11. Wir stellen uns in Theologie und Kirche der Herausforderung, zentrale theologische Lehren der Reformation neu zu bedenken und dabei nicht in abwertende Stereotype zu Lasten des Judentums zu verfallen. Das betrifft insbesondere die Unterscheidungen ‚Gesetz und Evangelium‘, ,Verheißung und Erfüllung‘, ‚Glaube und Werke‘ und ‚alter und neuer Bund‘. 12. Wir erkennen die Notwendigkeit eines kritischen Umgangs mit unserem reformatorischen Erbe in der Auslegung der Heiligen Schrift, insbesondere des Alten Testaments. Wir erkennen in der jüdischen Auslegung des Tenach ‚eine auch für die christliche Auslegung nicht nur legitime, sondern sogar notwendige Perspektive‘ (Kirche und Israel, Leuenberger Texte 6, II, 227); denn die Wahrnehmung jüdischer Bibelauslegung erschließt uns tiefer den Reichtum der Heiligen Schrift.“

c)

Dokumente über das Verhältnis zum Islam

Die zahlreichen Stellungnahmen evangelischer Landeskirchen zum Verhältnis und Dialog mit dem Islam können an dieser Stelle nicht alle referiert werden, vielmehr soll ein Blick auf die wichtigsten Äußerungen seitens der Evangelischen Kirche in

3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

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Deutschland (EKD) zum Thema genügen. Die Handreichung „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland“ (EKD) von 2001 bietet neben wertvollen Hilfestellungen im rechtlichen und praktischen Bereich des Zusammenlebens von Christen und Muslimen in Deutschland auch eine religionstheologische Orientierung aus protestantischer Perspektive. Dabei sind sich die Verfasser der in einem langjährigen Diskussionsprozess entstandenen Handreichung des breiten Spektrums von Positionen in dieser Frage im Bereich der EKD bewusst. Am deutlichsten wird dies an der innerhalb der EKD geradezu kontradiktorisch beantworteten Frage, ob die Muslime zum selben Gott wie die Christen beten: „Der vorliegende Text kann den Widerspruch zwischen derlei Auffassungen nicht überspielen“ (14f). Dennoch wird an mehreren Stellen der Handreichung deutlich, dass man in dieser Frage eine eher weite Position bezieht: So wird konstatiert, dass Christen wie Muslime die Einzigkeit Gottes bekennen (vgl. 25). Wenn es nur einen Gott gibt, muss es derselbe sein. Wohl in bewusster Anlehnung an Formulierungen des II. Vatikanischen Konzils und anderer katholischer Dokumente nimmt das Papier der EKD „Spuren des Geisteswirkens auch bei Muslimen“ an (28): „Wir begegnen auch im Islam wie in anderen Religionen Menschen, die schon in Gottes Hand sind. Das macht uns bescheiden und froh und führt zum Respekt gegenüber den anderen Religionen. Im Licht des uns in der Bibel bezeugten Gottes können wir auch dort Spuren seiner Wahrheit und Wirklichkeit entdecken.“ (29) Im Zusammenhang mit der Frage eines möglichen gemeinsamen Gebets von Christen und Muslimen, macht die Handreichung dann eine entscheidende religionstheologische Aussage: „Ist es aber der Gott der Gnade und des Erbarmens, den unsere und ihre Gebete erreichen, dann wenden sich alle Betenden – darauf vertrauen wir Christen – im Grunde und in Wahrheit an denselben einen Gott, den dreieinen, der sich der verlorenen Welt zuwendet und das Zertrennte und Zerstrittene versöhnen will. Das gilt, wie bewusst oder verborgen das den Betenden auch sein mag. Darum glauben wir, dass Gebete von Muslimen ebenso wie die von uns Christen vom dreieinen Gott erhört werden, der uns in Jesus Christus mit sich versöhnt hat und sich im Heiligen Geist vermittelt.“ (45)

Wenn auch nicht explizit erwähnt und in der zitierten Studie von AKf und VELKD sogar abgelehnt, so kann man in dieser Formulierung der EKD eine deutliche Reminiszenz an Karl Rahners Theorie vom „anonymen Christen“ erkennen (s. o. 2.2.5). Zudem wird deutlich, dass diese Religionstheologie trinitarisch begründet wird: Es ist immer und nur der dreieinige Gott, der in seiner gnadenhaften Zuwendung zum sündigen Menschen dessen Heil schafft. Deutlich abgrenzender ist demgegenüber in Inhalt und Diktion die Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ von 2006. Der Islam wird hier als „Sonderfall einer nicht-christlichen Religion“ aufgefasst, insofern er durch Bezugnahme auf die Bibel „eine Verwandtschaft mit dem christlichen Glauben anzuzeigen scheint“ (18). Dass es eine religionsgeschichtliche und theologische Verwandtschaft tatsächlich gibt, wird offenbar bezweifelt: „So wertvoll die Entdeckung von Gemeinsamkeiten im christlichen und muslimischen Glauben ist, so deutlich werden bei genauerer

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3 Der Paradigmenwechsel

Betrachtung die Differenzen. Die Feststellung des ‚Glaubens an den einen Gott‘ trägt nicht sehr weit. … Ihr Herz werden Christen jedoch schwerlich an einen Gott hängen können, wie ihn der Koran beschreibt und wie ihn Muslime verehren.“ (Ebd.) Insgesamt betont das Papier eher die theologischen Differenzen und gesellschaftlichen Konfliktthemen im Verhältnis beider Religionen, weshalb es innerkirchlich und von muslimischer Seite deutliche Kritik erfuhr.279 Das Impulspapier „Reformation und Islam“ (2016) der Konferenz für Islamfragen der EKD plädiert für eine neue theologische Verhältnisbestimmung zum Islam: „Eine Übertragung der reformatorischen Positionierungen und Abgrenzungen in die Gegenwart ist nicht ohne Weiteres möglich und erfordert besondere Sorgfalt.“280 Die Islamwahrnehmung der Reformatoren und besonders Luthers seien „aus heutiger Sicht in mancherlei Hinsicht als polemisch, einseitig, schemenhaft und holzschnittartig“ zu bezeichnen, Begriffe wie „Mohammedaner“ irreführend oder „Antichrist“ in Bezug auf den Islam „eine nicht zu rechtfertigende Dämonisierung der Muslime“ (25). Eine Verwendung des Islam für die christliche Bußparänese sei eine „pädagogisch-homiletische(n) Instrumentalisierung der Andersglaubenden“. Islamfeindliche Tendenzen in der heutigen Gesellschaft dürften nicht durch eine unreflektierte Übernahme von polemischen Zitaten aus dem 16. Jh. gerechtfertigt werden. 2018 hat die EKD ein Positionspapier zum christlich-islamischen Dialog verabschiedet, das diesen Dialog „als Teil der offenen Lerngeschichte der Reformation“ (III.) betrachtet. Theologisch äußerst vorsichtig wird formuliert, es könne „die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass Gott auch von außerhalb der Kirche zu Menschen spricht.“ (Präambel) Im Hauptteil jedoch geht es nicht um eine theologische Verhältnisbestimmung, sondern um die gesellschaftliche Situation und Aufgabe des Dialogs, der zum Wesen der Kirche gehöre. Die EKD bekräftigt mit dem Papier „ihr Ja zur religiösen Vielfalt in Deutschland ausdrücklich auch im Blick auf Musliminnen und Muslime und ihre Religion, den Islam“ (I). Sie will Musliminnen und Muslimen „mit Respekt und Wertschätzung“ begegnen (vgl. NA 3) und fordert, „dass den Musliminnen und Muslimen und ihren Organisationsformen in Deutschland ein freies Wirken und die Teilhabe an den Entfaltungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum gewährleistet wird“ (IV.).

279 Vgl. Miksch, Evangelisch. 280 EKD, Reformation und Islam, 24.

3.2 Positionen evangelischer Theologen und Kirchen

109

Didaktische Anregungen: 1.

Die Schüler*innen arbeiten aus den hier besprochenen Quellen heraus, wie sich im Lauf der Jahrhunderte die theologischen Positionen und die konkreten Haltungen der Kirchen gegenüber Judentum und Islam verändert haben und diskutieren, was der Grund für die jeweilige Position gewesen sein könnte. Was heißt dies auch für das richtige Verständnis von religiösen Lehren und Dogmen?

2.

Sie vergleichen dabei auch die Positionen von katholischer Kirche und evangelischen Kirchen, arbeiten Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus und erörtern, was das für die christliche Ökumene bedeutet.281

Weiterführende Literatur: Ekkehard Wohlleben, Die Kirchen und die Religionen. Perspektiven einer ökumenischen Religionstheologie, Göttingen 2004. Ulrich Dehn/Ulrike Caspar-Seeger/Freya Bernstorff (Hg.), Handbuch Theologie der Religionen. Texte zur religiösen Vielfalt und zum interreligiösen Dialog, Freiburg i.Br. 2017.

281 Vgl. dazu die Aussagen der „Charta Oecumenica“ https://www.oekumene-ack.de/themen/ charta-oecumenica/

4

Systematische Zugänge: Christlicher Gottesglaube im Kontext der Weltreligionen

4.1

Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

Das Judentum als Volks- und Glaubensgemeinschaft schaut auf eine etwa dreitausendjährige Geschichte zurück und lebt bis heute aus dieser Geschichte mit ihren Erfahrungen von Bedrohung und Errettung, Exil und Sammlung. Es war und ist heute eine vielgestaltige Religionsgemeinschaft mit verschiedenen religiösen Richtungen und kulturellen Ausprägungen.282 Bevor die Beziehungen zwischen Christentum und Judentum reflektiert werden, soll zuerst das jüdische Selbstverständnis in Glaube und Leben, vor allem in Form des Gebets und des Gottesdienstes dargestellt werden.

4.1.1

Jüdischer Glaube

„Auf drei Dingen steht die Welt: auf der Tora, auf dem Gottesdienst und auf den guten Werken“ – so heißt es in den „Überlieferungen der Väter“ (Pirqe Avot I,2). Jüdische Frömmigkeit artikuliert sich in diesem „Dreiklang“ von göttlicher Weisung, menschlichem Gebet und Handeln. Das Gebet (tefilla) ist der zentrale „Ausdruck der wechselseitigen Liebesbeziehung zwischen Gott und Israel“ (Schalom Ben-Chorin), ist der „Gottesdienst des Herzens“. Im jüdischen Gebetbuch, dem Siddur („Ordnung“), spiegelt und verdichtet sich die über 3000-jährige Glaubensgeschichte des Volkes Israel: „Mehr als jedes andere Buch ist das Gebetbuch deshalb eine Zusammenfassung der Erinnerungen, Gedanken, Befürchtungen, Hoffnungen und Sehnsüchte, die das jüdische Volk durch die Jahrhunderte beseelt haben. Wenn es also so etwas gibt wie eine kollektive jüdische Seele, dann findet man sie im Siddur.“283 a)

Wesen des jüdischen Gottesdienstes

Im Folgenden werden nicht alle Teile des jüdischen Gottesdienstes (avoda, „Dienst“, vgl. arab. ‘ibāda für das islamische Ritualgebet) thematisiert. Das wäre angesichts der vielfältigen Formen und verschiedenen Richtungen nicht möglich. Vielmehr soll es 282 Vgl. Rosenthal/Homolka, Judentum. 283 Böckler, Gottesdienst, 8.

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4 Systematische Zugänge

jeweils um die zentralen Gebete und Inhalte, um die Grundelemente der Wochentags- und Schabbatgebete gehen, um sich so dem Wesen des Gebetes und des Gottesdienstes im Judentum anzunähern.284 Traditionell gibt es im Judentum drei Gottesdienste oder Gebetszeiten am Tag: das Morgengebet (schacharit), das Nachmittagsgebet (mincha) und das Abendgebet (ma‘ariw), wobei letztere beiden oft unmittelbar hintereinander vollzogen werden. Sie können in der Synagoge, zu Hause oder an jedem andern Ort gebetet werden, denn die ganze Erde ist voll der Herrlichkeit Gottes (vgl. Ps 24). Überall, wo sich Juden zum Gebet versammeln, lässt sich nach talmudischer Überlieferung die Gegenwart Gottes, die „Schekhina“, nieder. Die beiden räumlichen Pole des jüdischen Gebetes sind seit der Zerstörung des Tempels Synagoge und Haus und damit die jüdische Gemeinde und die Familie. An Festen wie Pessach oder Sukkot (Laubhüttenfest) jedoch spielt sich das Wesentliche zu Hause im Kreis der Familie ab. Alle jüdischen Gottesdienste, auch die an den Festtagen, haben dieselbe verbindliche Grundstruktur: Es gibt einen Eingangsteil und einen Schlussteil als Rahmen, im Zentrum steht immer die „Amida“, das Achtzehngebet. Morgens und abends wird vor der Amida das Glaubensbekenntnis (Sch’ma Jisrael) mit Segenssprüchen rezitiert, am Sabbat- sowie Montag- und Donnerstagmorgen folgt nach der Amida die Toralesung, denn keine drei Tage sollen ohne Tora vergehen. Diese konstitutiven Elemente werden im Folgenden etwas näher betrachtet.

Eröffnung und Glaubensbekenntnis Ein öffentlicher jüdischer Gottesdienst beginnt nach einem Vorbereitungsteil offiziell mit dem Aufruf des Vorbeters: „Preist den Ewigen, den Gepriesenen!“, wozu die Gemeinde aufsteht, sich verbeugt und antwortet: „Gepriesen sei der Ewige, der Gepriesene, immer und ewig!“ Die betende Gemeinde steht nun in Konzentration und Andacht (kawwana) vor Gott und zwar gemeinsam: „Wenn ein Jude betet, ist das nicht, wie wenn ein endliches menschliches Wesen es sich plötzlich in den Kopf gesetzt hätte, seinen Geist dem unendlichen Geist Gottes zuzuwenden. Eher baut er sozusagen auf früher, viel früher angeknüpfte Kontakte auf. Die Glaubensgemeinschaft Israels steht heute betend vor dem Gott Israels, so wie sie schon je seit dem Sinai vor ihm stand, ja, wie schon die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob sich ihm zugewandt hatten zu einer Zeit, als unser Volk nichts als eine einzige Stammesfamilie war. Das Gebet, das ich an ‚unsern Gott und den Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs’ richte, ist in der Tat das Gebet, das ich an ihn richte, aber es ist ebenso ein Faden des Schmuckteppichs, an dem ganze Generationen meiner Ahnen gewebt haben, und der sich den vielen anderen Fäden einreiht, die meine Mitjuden aus allen Teilen der Welt in diesem Moment dazuweben. Mit anderen Worten: Wenn ich betend vor Gott stehe, stehe ich nicht allein. Ich stehe in Gemeinschaft mit meinem Volk – eine Gemeinschaft, sichtbar und unsichtbar, die Raum und Zeit umfasst.“285 284 Vgl. Homolka, Gebete. 285 Petuchowski, Juden, 18f.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

113

Unterstützt wird die Konzentration im Gebet durch Gebetshaltungen wie die Verbeugung, durch Bewegungen wie das Schaukeln, durch Kleidungsstücke wie die Kippa und beim Morgengebet den Gebetsschal (Tallit) und die Gebetsriemen (Tefillin).286 Im täglichen Morgen- und Abendgebet wird das Sch’ma Jisrael rezitiert, das grundlegende Glaubensbekenntnis des Judentums: „Sch’ma Jisrael, Adonai Elohenu, Adonai Echad“ (Dtn 6,4). Viel hängt von der Übersetzung dieser Bekenntnisformel ab. Die Übersetzung von Buber und Rosenzweig lautet: „Höre Jisrael: ER unser Gott, ER Einer!“ Die neue katholische Einheitsübersetzung formuliert: „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig.“ Die neuere Version der Luther-Bibel übersetzt: „Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.“ Die Variationen scheinen auf den ersten Blick minimal und ohne Bedeutung zu sein und doch kommt in den Übersetzungen das jeweilige theologische Vorverständnis zum Ausdruck. Zum einen stellt sich die Frage nach der Wiedergabe des Gottesnamens, der in der Hebräischen Bibel (Tanach)287 über 6800-mal vorkommt: Im Judentum ist es seit langem üblich, das so genannte Tetragramm (vier Buchstaben) JHWH des hebräischen Urtextes aus „Ehrfurcht vor der Heiligkeit Gottes“288 nicht auszusprechen, sondern durch die Gottesanrede Adonai („mein Herr“) oder HaSchem („der Name“) zu ersetzen. So wird ein möglicher magischer Missbrauch des göttlichen Namens vermieden (vgl. Ex 20,7). Außerdem weiß heute niemand mehr, wie das Tetragramm richtig auszusprechen ist, meist wird es mit „Jahwe“ wiedergegeben. Jüdische Übersetzungen ins Deutsche verwenden dafür oft das Wort „der Ewige“ (Moses Mendelssohn) oder „ER“ (Martin Buber und Franz Rosenzweig). Christen sollten, zumindest in Gegenwart von Juden, den Gottesnamen auf keinen Fall aussprechen. Zum anderen kommt es auf die Wiedergabe des Wortes „echad“ an. Das jüdische Verständnis hat dieses Wort „in dreifacher Weise interpretiert: als ‚eins‘, als ‚einzig‘ und als unteilbare Einheit“.289 Entscheidend aber für das Verständnis der Stelle ist, dass hier weniger etwas über das Wesen Gottes, als vielmehr über seine Präsenz und sein Handeln ausgesagt wird: Gott sagt seine heilbringende Gegenwart zu – das genügt. Der Mensch aber soll zuerst diese Zusage hören und dieses Hören ist bereits das Erfüllen des ersten und wichtigsten Gebotes. Denn nur ein hörendes Israel kann die Treue zum Bund Gottes wahren. Die Gesamtlesung an dieser Stelle des Morgenund Abendgebets beschränkt sich nicht auf diesen einen Vers aus dem 5. Buch Mose (Dtn 6,4), sondern umfasst die Rezitation von drei inhaltlich zusammenhängenden Textabschnitten (Dtn 6,4–9; 11,13–21 und Num 15,37–41). Die Liebe zu Gott soll also mit dem ganzen Herzen, das heißt mit dem Verstand, mit der ganzen Seele, das heißt mit allen Sinnen, und mit sämtlichen menschlichen Kräften geschehen. Das Hören 286 Vgl. Nachama/Homolka/Bomhoff, Judentum, 158–160. 287 Die jüdische Bezeichnung für die Hebräische Bibel ist Tenach/Tanach (oder Tanakh), ein Akronym, das aus den Anfangsbuchstaben der drei Hauptteile gebildet ist: Tora, Nevi’im (Propheten) und Ketuvim (Schriften). Die Anordnung der Hauptteile ist somit anders als im Alten Testament des christlichen Kanons. 288 Nachama/Homolka/Bomhoff, Judentum, 36. 289 Ben-Chorin, Judentum, 50.

114

4 Systematische Zugänge

und Tun des Gotteswortes soll von Generation zu Generation weitergegeben werden und den ganzen Alltag prägen, wozu die äußeren Symbole wie Gebetsriemen, Gebetsschal und Schaufäden als Erinnerungszeichen dienen. Der Verpflichtung auf die Liebe zu Gott folgt die Verpflichtung auf die Gebote Gottes. Wer sie hält, wird unter Gottes Segen stehen.

Die Amida oder das „Achtzehngebet“ Nach dem Sch’ma Jisrael am Morgen und am Abend bzw. im Anschluss an Psalm 144 am Nachmittag folgt die Amida, wörtlich „Standgebet“, weil dieses Gebet im Stehen zu rezitieren ist. Das Stehen ist Ausdruck des Respekts vor dem gegenwärtigen Gott und symbolisiert zugleich das Sich-Gott-zur-Verfügung-Stellen. Während des Gebets sind an bestimmten Stellen insgesamt fünf Verbeugungen üblich: „Wenn wir uns beim Beten bewegen, beten wir mit unserem ganzen Körper, nicht nur in den Gedanken. Das Gebet sollte alles in uns durchdringen, nicht zuletzt sollte es nicht nur mit den Worten gesprochen werden, sondern die Worte sollten anschließend unser Denken und Handeln prägen.“290 Auch die Gebetsrichtung nach Jerusalem ist von Bedeutung: Hier stand einst der jüdische Tempel und heute noch die Westmauer des Tempels als Ort der besonderen Gegenwart Gottes. Die Amida ist auch bekannt als das „Achtzehn(bitten)gebet“ (Sch’mone Esre), das heute jedoch neunzehn Benediktionen (Berachot = Lobpreisungen, Segenssprüche) enthält (am Sabbat werden nur sieben gesprochen), weil nach der Zerstörung des Tempels die Bitte um den Wiederaufbau Jerusalems hinzugefügt bzw. eine Bitte geteilt wurde. Dieses Gebet ist ein „Gebet des Lebens“ (Ben-Chorin), weil es alle Dimensionen des Lebens, das Geistliche und Leibliche, die Vergangenheit und die Zukunft, das Diesseits und das Jenseits, das Leben des Einzelnen wie der Gemeinschaft umfasst. Das Gebet wird mit einem Psalmvers eingeleitet (51,17) und mit einem weiteren Psalmvers (19,15) beschlossen. Die erste Benediktion identifiziert den Gott der eigenen, persönlichen Erfahrung („unser Gott“) mit dem Gott der Erzväter (Avot). Die Betenden stellen sich zu Beginn also in die Tradition Israels, der Ahnen. Gott wird als großer, mächtiger, ehrfurchtgebietender Gott (vgl. Dtn 10,17), als Schöpfer und Erlöser gepriesen. Im Zentrum des zweiten Lobspruchs steht die belebende, erhaltende und vor allem auferweckende Kraft Gottes. Seine Macht ist größer als der Tod (vgl. Mk 12,24). Im Gemeindegottesdienst erklingt dann die Keduscha, das „Sanctus“: „Heilig, heilig, heilig ist der Ewige, der Herrscher aller Geschöpfe, die ganze Welt ist mit Gottes Gegenwart erfüllt!“ (Jes 6,3). In der dritten Lobpreisung bekennt der Beter die Heiligkeit Gottes. An den Wochentagen folgen nun dreizehn Bitten (sonst die „Heiligung des Tages“), wobei es in den ersten sechs um persönliche Anliegen, in den weiteren sieben um das ganze Volk Israel geht: Bitte um Vernunft und Einsicht (4), um die Kraft zur Umkehr (5), um Vergebung der Sünden (6), um die baldige Erlösung (7), um die Heilung von Krankheiten (8), um ein gutes, fruchtbares, friedvolles Jahr (9), um die Sammlung der Zerstreuten und um die Freiheit (10), um die Wiedereinführung der eigenen Rechtspre290 Böckler, Jüdischer Gottesdienst, 38.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

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chung (11), um die Vernichtung der Sektierer, Feinde und Frevler (12), um das göttliche Erbarmen für alle Gerechten und Frommen (13), um den Wiederaufbau Jerusalems (14), um die Wiederherstellung des davidischen Königshauses in messianischer Zeit (15), um die Erhörung der Gebete (16). Vor allem in den letzten Bitten, in denen es um Anliegen des ganzen Volkes geht, gibt es im progressiven Judentum außerhalb von Israel anders formulierte Bitten: So wird hier nicht mehr um die Rückführung der Zerstreuten oder für die Wiedereinführung einer eigenen Gerichtsbarkeit, auch nicht um die Vernichtung der Feinde oder um das Kommen eines personalen Messias gebetet, sondern allgemein um die Freiheit, die Gerechtigkeit, um die Überwindung von Ungerechtigkeit und um das universale und umfassende Heil, also um das Kommen des Reiches Gottes. Eine besondere Problematik gerade im Verhältnis zum Christentum stellt die 12. Benediktion, der sogenannte „Ketzersegen“, dar, der sich möglicherweise auch gegen Judenchristen richtete, denen es nach Einführung dieser Benediktion Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus nicht mehr möglich war, am Synagogengottesdienst teilzunehmen. So wurde der „Ketzersegen“ zum Abbild des schmerzlichen Trennungsprozesses von Synagoge und Kirche. In den reformierten Gebetbüchern wird der traditionelle Ketzersegen in eine Bitte um das Ende jeglicher Gewalt umgewandelt oder ganz ausgelassen. Nach der 12. Benediktion werden oft persönliche Bitten eingefügt, bevor die letzten drei Benediktionen die Amida abschließen: die Bitte um Wiedereinführung des Tempelkults und die Rückkehr nach Zion (17) – die im progressiven Judentum wiederum ersetzt wird –, Dank und Lob für die erwiesenen Gnaden (18) und schließlich die Bitte um umfassenden Segen und Frieden (19). Im Anschluss wird in der Regel ein stilles Gebet gesprochen, das sich an Vorlagen aus der rabbinischen Tradition orientiert. Grundsätzlich dürfen alle Anliegen des Menschen Gegenstand des Bittgebets sein, sofern sie im Einklang mit dem Glauben stehen. Das Bittgebet macht bewusst, dass der Mensch von Gott abhängig ist. Der gläubige Jude weiß, dass das Gebet kein magisches Instrument ist, um Gott beeinflussen zu können. Vielmehr sieht er im Gebet selbst bereits die Antwort Gottes: „Ehe sie rufen, will ich antworten, während sie noch reden, will ich sie erhören.“ (Jes 65,24) Und so enden sämtliche Bitten des Achtzehngebets mit Lobpreisungen für das, was Gott getan hat, was er gegenwärtig tut, und was er in Zukunft tun wird.

Toralesung Nach der Amida folgt der Schlussteil des Gottesdienstes, am Sabbat-, Montag- und Donnerstagmorgen aber folgt die Toralesung. Die Tora, die Fünf Bücher Mose, ist die Grundlage des Judentums, Zeichen und Ausdruck des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. Die Torarolle, wie ein König bemantelt und gekrönt, wird aus dem Toraschrein gehoben und in einer Prozession durch die Gemeinde zum Lesepodest (Bima) getragen, währenddessen Lobpreisungen und das Sch’ma rezitiert werden. Die Toralesung selbst ist von Lobsprüchen gerahmt. Die Tora ist in 54 Wochenabschnitte (Parascha = Leseabschnitt) geteilt, sodass innerhalb eines Jahres zumindest in traditionellen Gemeinden einmal die gesamte Tora im Gottesdienst von vorne bis

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hinten gelesen wird. Am Schabbat und an den Feiertagen gibt es zusätzliche Lesungen aus den Prophetenbüchern und Schriften (Haftara): So wird zum Pessach das Hohelied, zum Wochenfest (Schawuot) das Buch Ruth, zum Laubhüttenfest (Sukkot) das Buch Kohelet und zum Purimfest das Buch Esther gelesen. Nach der Lesung folgen die Predigt, welche in der Regel den Inhalt der Lesung aufgreift, und Fürbittgebete, bis die Tora wiederum in einer Prozession zum Schrein zurückgebracht wird. Der ganze Vorgang symbolisiert und vergegenwärtigt den Empfang der Tora am Sinai und damit auch die unmittelbare Gegenwart Gottes in seinem Wort: Die Tora „ist Mittlerin zwischen Göttlichem und Menschlichem.“291

Alenu und Kaddisch Wichtigstes Gebet im Schlussteil des jüdischen Gottesdienstes ist das Alenu, nach den Anfangsworten „Es ist unsere Aufgabe“ benannt. In der ersten Hälfte des Alenu geht es um den Lobpreis des Schöpfers, im zweiten um die Erwartung der universalen Herrschaft dieses einen Gottes. Grundgedanke beider Teile ist die Königsherrschaft Gottes, die zeitlich eingespannt ist zwischen Anfang und Ende der Welt. Israels Aufgabe durch die Erwählung besteht darin, Gott als den Herrn und König des Alls zu preisen und zu verkündigen und die Tora zu leben: „Es ist unsere Aufgabe, den Ewigen, der alles in seinen Händen hält, zu preisen und die Größe des Schöpfers aller Anfänge anzuerkennen. Gott hat uns aus allen Völkern erwählt um uns die Tora zu geben. Wir knien nieder; wir verneigen uns und danken in der Gegenwart des allmächtigen Gottes, Gott regiere über alle Herrschenden in der Welt, Gottes Heiligkeit sei gepriesen! Denn Gott hat die Weite des Himmels geschaffen und die Erde gegründet. Gottes Ehre ist so umfassend wie der Himmel über uns, und Gottes Kraft reicht bis in die fernsten Höhen. Der lebendige Gott ist unser Gott – niemand sonst. Gott ist unser Leben anvertraut – niemandem außer Gott! So wie es geschrieben ist in der Tora: Heute sollst du erkennen und dir zu Herzen nehmen: Der Ewige ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten, niemand sonst. (Dtn 4,39) Darum hoffen wir darauf, Ewiger, unser Gott, dass deine Stärke bald für uns sichtbar wird, dass die Anbetung des Geldes von der Erde verschwinden und dass Vorurteile und Aberglaube ausgerottet werden; dass die Welt von deiner Herrschaft geprägt ist und alle Menschen deinen Namen anrufen; dass alle Ungerechten der Welt sich dir zuwenden. Alle Bewohner der Erde sollen erkennen und wissen, dass sich vor dir jedes Knie beugt und jede Zunge bei dir schwört. Vor dir, Ewiger, unser Gott, wird man sich beugen und niederfallen, und man wird der Herrlichkeit deines Namens Achtung erweisen. Alle werden deine Herrschaft anerkennen, und du wirst bald über alle herrschen, von nun an bis in Ewigkeit. Denn dir allein gebührt die Herrschaft, und du herrschst bis in alle Ewigkeit in Herrlichkeit, wie es geschrieben steht in deiner Tora: Gott regiert für immer und ewig. (Ex 15,18) Und es ist gesagt: Dann wird Gott über die ganze Erde herrschen. An jenem Tag wird Gott einzig sein und sein Name einzig. (Sach 14,9)“292 291 Böckler, Gottesdienst, 111. 292 Zit. nach: Jüdische Gebetbuch, 119.

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Während das private Gebet mit dem Alenu endet, schließt sich beim Gemeindegebet das Kaddisch an, das wohl bekannteste und häufigste Gebet des Judentums, das es in verschiedenen Variationen gibt und das zu verschiedensten Anlässen gebetet wird: „Das Kaddisch-Gebet erklärt Gott für heilig. Gott sei erhaben und heilig in der Welt, die er nach seinem Willen geschaffen hat, und zwar in der Weise, dass Gottes Herrschaft für das Leben der Betenden und für das Leben aller Juden verbindlich sei. Die Heiligkeit Gottes bedeutet die Akzeptanz seines Willens bei allen seinen Geschöpfen.“293 Der betende Jude weiß sich im Chor mit den Engeln, wenn er mit folgenden Worten die Heiligkeit Gottes verkündet (vgl. Jes 6,3) – eine Vorstellung, die auch die christliche Liturgie übernommen hat: „Verherrlicht und geheiligt werde Gottes großer Name in der Welt, die Gott nach eig’nem Ratschluss schuf. Gottes Reich erstehe in eurem Leben und zu euren Zeiten und im Leben ganz Israels schnell und bald. Darauf sprecht: Amen. Gottes großer Name sei gepriesen, immerzu und bis in Ewigkeit! Gottes Name sei gepriesen und gelobt, Gottes Name sei verherrlicht und erhoben. Gottes Name sei verehrt und gerühmt, Gottes Name sei gefeiert und besungen. Gepriesen sei er über allem Lob und jedem Lied, hoch über allem Preis und jedem Trost der Welt. Darauf sprecht: Amen. Frieden in Fülle komme vom Himmel, Leben für uns und ganz Israel. Darauf sprecht: Amen. Gott schafft Frieden in der Höhe. Möge Gott uns und ganz Israel Frieden geben. Darauf sprecht: Amen.“294

Die Nähe des Kaddisch zu den ersten Bitten des Vaterunser ist offensichtlich. Im Laufe der Zeit ist das Kaddisch auch zum Gebet der Trauernden für die Verstorbenen geworden, wohl weil das Gebet gerade in der Situation der Trauer die Hoffnung auf das Reich Gottes ausspricht – so wurde das Kaddisch auch von den Überlebenden in Auschwitz gesprochen. Gebet und Gottesdienst im Judentum bedeuten Beziehung, Gemeinschaft zwischen Gott und seinem Volk.

Der Schabbat als Zeichen des Bundes und der Befreiung Höhepunkt der Woche ist der Schabbat, der Tag der Heiligkeit und der Ruhe: Weil Gott am siebten Tag seiner Schöpfung ruhte (vgl. Gen 2,2–3), so soll auch der Mensch an diesem Tag ruhen und keine unnötigen Arbeiten verrichten und als Erinnerung

293 Böckler, Gottesdienst, 87. 294 Zit. nach: Jüdische Gebetbuch, 121.

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an die Befreiung aus Ägypten (vgl. Dtn 5,14f). „Ein Jude, der eine wirkliche Verbindung zum Leben seines Volkes verspürt, wird es gänzlich unmöglich finden, sich Israels Existenz ohne den Sabbat vorzustellen. Man kann ohne Übertreibung sagen: Mehr als Israel den Sabbat bewahrt hat, hat er Israel bewahrt.“295 Der Schabbat macht die Identität des Judentums aus und steht für den Bund zwischen Gott und dem Volk Israel (vgl. Ex 31,16–17). Er ist ein Geschenk Gottes, aber nicht nur für das Volk Israel, sondern auch für die Fremden, die Knechte und Mägde im Land und das Vieh (vgl. Ex 20,10). Der Schabbat soll also dem Menschen dienen, nicht umgekehrt, wie es im Talmud heißt: „,… er [der Schabbat] ist euch anvertraut, nicht aber ihr ihm (bTJoma 85b).‘ … Alle Arbeitsverbote am Schabbat sind nichtig, wenn es um die Rettung von Leben (pikuach nefesch) geht“.296 Der Schabbat wird mit dem Freitagabendgottesdienst in der Synagoge, dem „Empfang des Schabbat“ (kabbalat schabbat), eröffnet. Nach Eingangsliedern werden die Schabbatlichter entzündet und sechs Psalmen (95–99 und 29) gebetet, dann zur Tür gewandt das Schabbatlied Lecha Dodi gesungen, in dem der Schabbat wie eine Braut begrüßt wird: „Auf, mein Liebster, der Braut entgegen, das Antlitz des Schabbats wollen wir empfangen!“ Dann werden nochmals zwei Psalmen sowie das Kaddisch der Trauernden gebetet. Danach schließt sich der Abendgottesdienst für den Schabbat an. b)

JHWH – der biblische Gott

Der jüdische Gottesglaube, wie er in Gebet und Liturgie, aber auch im konkreten Handeln und alltäglichen Leben zum Ausdruck kommt, hat seine primäre Quelle natürlich in der Hebräischen Bibel, im sog. „Tanach“, der aus den drei Teilen Tora (Weisung), Nevi’im (Propheten) und Ketuvim (Schriften) besteht. Durch die vielfältigen Überarbeitungen der verschiedenen Textschichten wird dem heutigen Leser nicht mehr deutlich, dass das biblische Gottesbild nicht „vom Himmel gefallen“, sondern Ergebnis einer jahrhundertelangen Glaubenserfahrung, aber auch der Interaktion mit den Religionen des alten Vorderen Orients ist. Im Folgenden soll diese komplexe Geschichte in knappen Zügen skizziert werden. Die Entwicklung der JHWH-Verehrung verlief von einem praktischen zum theoretischen Monotheismus – wobei der Begriff „Monotheismus“ selbst erstmals 1660 in Europa nachweisbar ist. Ende des 2. Jahrtausends (ca. 1250–1000) vor Christus begann bei israelitischen Clans in Palästina, die zunächst ohne Zentralinstanz lose miteinander verbunden waren, die Verehrung des „JHWH“ als Stammesgott. Die Verehrung dieses Gottes brachten wahrscheinlich Gruppen nach Kanaan, die in Ägypten Fronarbeit leisten mussten und diesen Gott als ihren Schutz- und Befreiergott erfahren haben (Exodus!). Im 12.–11. Jahrhundert vor Christus verstärkten sich die Einflüsse der ägyptischen Amun-Verehrung auf den JHWH-Glauben: Amun ist der allgegenwärtige und zugleich doch verborgene, bildlich nicht darstellbare höchste Gott, 295 Achad Ha-Am, zit. nach Nachama/Homolka/Bomhoff, Judentum, 165. 296 Nachama/Homolka/Bomhoff, Judentum, 169f.

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der allein durch seinen Namen repräsentiert wird. Diese Konzeption schlägt sich in der Bibel in der bekannten Deutung des spezifisch israelitischen Gottesnamens nieder: „Ehje ascher ehje“ – „Ich bin, der ich bin“ oder „Ich werde sein, der ich sein werde“ (Ex 3,14). Das „Ich“ verweist auf die Selbstoffenbarung und Personhaftigkeit Gottes. Der Name aber bleibt letztlich bewusst deutungsoffen. Es geht bei der Selbstvorstellung weniger um eine Wesensaussage, als vielmehr um Gottes Zusage, stets da zu sein, mit seinem Volk zu sein, und stets derselbe zu sein und zu bleiben. So wie Gott sich in der Vergangenheit als Retter und Befreier gegenüber seinem Volk erwiesen hat, so wird er es auch jetzt und in Zukunft tun: Er ist der Treue und Verlässliche. Anfang des ersten Jahrtausends vor Christus kommt es im Gefolge der Auseinandersetzungen mit den Philistern zur Bildung eines monarchischen Staates in Israel (davidisch-salomonisches Reich) und JHWH wird zum „Staatsgott“ am Zentralheiligtum in Jerusalem. Der Tempel wird zur irdischen Wohnstatt, zum Ort der Gegenwart des königlichen Gottes. JHWH wird als universaler Schöpfergott und Herr des Lebens verstanden, wie ihn die biblische Urgeschichte zeichnet (vgl. Gen 2ff). Der Staatsgott ist aber auch zugleich „Kriegsgott“ (vgl. Jos). Damit eng zusammen hängt die Vorstellung von JHWH als dem Eigentümer des Landes Israels, der es dem Volk Israel übergeben hat. Um jedoch Missverständnissen vorzubeugen, die dem alttestamentlichen Gottesbild einseitig gewalttätige und kriegerische Züge anlasten, muss als historische Wahrheit festgehalten werden: „Die allermeisten Kriege sind dem biblischen Israel aufgezwungen worden. Israel war der Spielball der Großmächte vom Nil und aus dem Zweistromland. Das biblische Israel hatte unter den Kriegen zu leiden“ und setzte sich damit unter anderem durch eine Art Kriegstheologie auseinander, „die Israels Gott vor dem Verdacht befreien wollte, er sei gar kein Gott, weil die Götter der Großmächte mit ihm machen könnten, was sie wollten.“297 Das Christentum, das sich nicht selten in der Geschichte gerade auf diese „Kriegstheologie“ des Alten Testaments etwa zur Legitimation der Kreuzzüge berief, sollte besonders vorsichtig damit sein, das Problem der Gewalt einseitig auf das Alte Testament zu schieben. Der in letzter Zeit immer wieder erhobene Vorwurf, der mit dem Judentum aufkommende Monotheismus impliziere Intoleranz und totalitäres Einheitsdenken, lässt sich nicht halten: Der jüdische Monotheismus ist „gegen Unterdrückung und politische Gewalt entstanden. Er ist von seiner Mitte her anti-herrschaftlich und sogar gewaltkritisch.“298 Gerade das Judentum war immer wieder Opfer von Verfolgung und Gewalt, womit nicht geleugnet werden soll, dass es auch im Namen des Judentums Gewalt gab und gibt. Nach der Herrschaft Salomos zerfällt das Reich in das Südreich Juda und das Nordreich Israel. Im 9. und 8. Jh. kommt es im israelitischen Kult zu einer Verehrung auch anderer, kanaanitischer Gottheiten wie die des Baal. Dies ruft die „JHWH-Allein-Bewegung“ und die Kritik der Propheten wie Elija und Elischa, Amos und Hosea, Jesaja und Micha am Fremdgötterkult hervor. Der Untergang des Nordreiches Israel im Jahr 722 v. Chr. durch die Assyrer wird als Folge des Abfalls von JHWH gesehen. 297 Zenger, Testament, 52. 298 Zenger, Sinai, 150.

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Im 7. Jahrhundert mündet diese prophetische Kritik und Umkehrforderung in die Formulierung des Glaubensbekenntnisses (vgl. Dtn 6,4f) und des ersten Gebots des Dekalogs: „Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ (Dtn 5,6f; vgl. Ex 20,2–3; vgl. Hos 13,4) Die treue Liebe Gottes zu Israel, sein „Bund“, und die Forderung, diese Liebe in eben solcher Treue und Ausschließlichkeit zu erwidern, also den Bund zu halten, rückt ins Zentrum dieser sog. deuteronomischen Theologie des 7. Jahrhunderts. Die „Charta“ dieses Bundes bilden die „Zehn Gebote“ (Ex 20; Dtn 5). Jerusalem wird durch die Reform des Königs Joschija (641–609 v. Chr.) wieder zum Zentrum des israelitischen Kultes, die JHWH-Allein-Verehrung zum staatlichen Gesetz. Während in der altorientalischen Umwelt Israels die Liebe des Volkes dem König galt, gilt sie in Israel nun dem einen Gott (vgl. Ezechiel, Jeremia). Die Liebe zwischen Gott und seinem Volk ist in Israel auch nicht über den König vermittelt, sondern unmittelbar. Nicht der König ist Ebenbild und Repräsentant Gottes, sondern jeder einzelne Mensch (vgl. Gen 1,27)! Die Königswürde wird also gleichsam „demokratisiert“ – hier liegt eine der wichtigsten Wurzeln der neuzeitlichen Menschenrechtsidee! Deshalb muss die Gottesliebe ihre Entsprechung in der Liebe zum Nächsten, also zum Volksangehörigen, aber auch zum Fremden, zum Nichtisraeliten finden (vgl. Dtn 6,5; Lev 19,18.34). Das Gebot zur „Nächstenliebe“ zielt auf die Überwindung von Unrecht und Ausnutzung und betont die soziale Verantwortung für die Armen und Schwachen. Es bezieht sogar den persönlichen Feind ein, um die Spirale der Feindschaft zu durchbrechen (vgl. Spr 25,21). Es geht also um die Wiederherstellung und Heilung gestörter oder gar zerstörter Lebensbeziehungen. Das Gebot der Nächstenund Fremdenliebe ist Teil des sog. Heiligkeitsgesetzes (Lev 17–26): Weil JHWH heilig ist und er Israel heiligt, soll Israel heilig sein, indem es Gottes Gebote hält und ihn auf diese Weise und mit seiner Hilfe nachahmt. Diese „Nachahmung Gottes“ wird dann auch für das rabbinische Judentum kennzeichnend werden. Im Jahr 587 v. Chr. geht schließlich auch das Südreich Juda unter, indem es von den Babyloniern erobert wurde, das Volk Israel muss ins Babylonische Exil. In der exilisch-nachexilischen Zeit (6. Jh.) wird die „JHWH-Allein-Bewegung“ normativ, nicht zuletzt dank der Propheten wie Ezechiel, Jeremia und Deuterojesaja (Jes 40– 55): „So spricht der Herr, Israels König, sein Erlöser, der Herr der Heere: ich bin der Erste, ich bin der Letzte, außer mir gibt es keinen Gott.“ (Jes 44,6; vgl. 45,6) Das Exil wird wiederum als Folge des Abfalls von JHWH gesehen. Waren bis dahin andere Gottheiten durch JHWH lediglich entmachtet, so wird ab nun die Existenz anderer Gottheiten überhaupt geleugnet. Der praktische, relative Monotheismus (Monolatrie) wird zum theoretischen, absoluten Monotheismus. Hier hat das Bilderverbot als Fremdgötterverbot seinen Ursprung. Das Sch’ma Jisrael wird zum täglich mehrmals wiederholten zentralen Bekenntnis des jüdischen Monotheismus. In der Zeit des Exils vollzieht sich ein weiterer fundamentaler Schritt in der Entwicklung: Der eine und einzige Gott wird zum Herrn des Einzelnen, nicht nur der nationalen Gemeinschaft. Den Exilspropheten wie Deutero-Jesaja (Jes 40–55) galt JHWH „als der Vater, der alle Israeliten als seine Kinder betrachtet und für alle zu-

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

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sammen so sorgt, wie der persönliche Gott für den Einzelnen.“299 Zugleich begegnet bei Deutero-Jesaja die Vorstellung von der Völkerwallfahrt zum Zion und von der Rolle Israels als Zeuge JHWHs vor den Völkern. Der Gott Israels wird damit zu einem universalen Gott, zum Schöpfer und Herrn der ganzen der Welt (vgl. Gen 1ff): Heilsgeschichte und Schöpfungsgeschichte sind aufeinander bezogen. Ein weiteres Kennzeichen dieses Gottes ist, dass er einerseits ganz nah, stets gegenwärtig, und andererseits doch ganz anders, transzendent ist. Der Prophet Jesaja drückt dies mit einer Formulierung aus, die sowohl in die jüdische wie in die christliche Liturgie Eingang gefunden hat, dem Trishagion: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt.“ (Jes 6,3) Das Wort „heilig“ (kadosch) steht für die Andersheit, Transzendenz, Ferne Gottes. Seine „Herrlichkeit“ (kavod) jedoch, die die ganze Welt erfüllt, steht für Gottes Gegenwart und Nähe, sie ist die „Brücke zum Menschen“300. Nach dem Exil kommt es zum Wiederaufbau Jerusalems und des Jerusalemer Tempels, die Tora und der synagogale Gottesdienst werden zu den identitätsstiftenden Größen des „neuen“ Israel (vgl. Esra, Nehemia). In dieser Zeit entsteht schrittweise auch der Psalter als Gebet- und Lesungsbuch, als Lobpreis in aller Klage über die Not, als „Israels Antwort auf die erfahrene Zuwendung und auf die erlittene Verborgenheit seines Gottes.“301 Der Psalter ist auch Ausdruck der messianischen Hoffnung, der Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes, und in diesem Sinne hat auch Jesus und haben die ersten Christen den Psalter gebetet. Ab dem 3. Jh. v.Chr. unterliegt der Vordere Orient und damit auch die jüdische Religion zunehmend hellenistischen Einflüssen, was Auswirkungen auf deren Gottesvorstellung hat. Ein Beispiel dafür ist die weisheitliche Theologie: Die Weisheit (hebr. „Chokhma“, griech. „Sophia“) wurde in der Antike als praktisches Lebenswissen verstanden, mit deren Hilfe das Leben gelingt. In der nachexilischen Weisheitstheologie Israels inspiriert die göttliche Weisheit – ein weiblicher Aspekt Gottes – selbst die Menschen bei ihrer Weisheitssuche. Der Anfang der Weisheit aber ist die Gottesfurcht (vgl. Spr 1,7). Gottesfurcht meint hier „Vertrauen auf Gott als den, der allen Störungen und Gefährdungen zum Trotz das Ganze durchwaltet und den Lebensweg der Menschen gelingen lässt, die die Lebensordnungen suchen, ihnen entsprechend handeln und sie weitergeben.“302 Die Tora wird auch als „Weisheitsgabe Gottes“ verstanden und als erste Schöpfung JHWHs vor der Schöpfung der Welt: „JHWH schuf mich als Erstling seines Waltens, als Uranfang seiner Werke von damals …“ (Spr 8,22ff). Die Weisheit ist also selbst Geschöpf, als Ur-Geschöpf aber nimmt sie die Funktion einer Mittlerin zwischen Schöpfer und Schöpfung ein: als Lehrerin, Ratgeberin, Anwältin der Gerechtigkeit. Im 2. Jahrhundert vor Christus, nach dem Verstummen der Prophetie, beginnt im Kontext des politischen Widerstandes Israels gegen die seleukidische Fremdherr299 300 301 302

Lang, Jahwe, 170. Gradwohl, Bibelauslegungen, 110. Zenger, Einleitung, 367. Ebd. 330.

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schaft die Zeit der Apokalyptik, biblisch fassbar im Buch Daniel. „Die Apokalyptik beansprucht, den der Geschichte innewohnenden Plan Gottes im Hinblick auf seine Vollendung in Gericht und Heil offen legen zu können.“303 Gott wird als universaler Herrscher gesehen, „dessen Herrschaft die Weltreiche aller irdischen Machthaber ablöst.“ Dem in Dan 7 auftretenden „Menschensohn“ wird Gott die Herrschaft auf ewig übergeben. Das Danielbuch ist auch die einzige Schrift der Hebräischen Bibel, in der die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben begegnet (vgl. Dan 12,1−4.13). Gottes Macht wird damit nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich universalisiert. Das Christentum wird an diese wichtige Entwicklung der jüdischen Apokalyptik anschließen. Betrachtet man das biblische Gottesbild weniger von seiner geschichtlichen Entwicklung und Vielschichtigkeit her, sondern eher in seiner zum Kanon gewordenen Ganzheit, so setzt es die Existenz des einen und einzigen Gottes voraus und vereinigt in diesem Gottesverständnis eine Reihe von Eigenschaften und Aspekten: Der Gott Israels, JHWH, ist der einzige und universale Gott, der Schöpfer, der aus Knechtschaft und Exil befreiende und erlösende Gott, der treue und barmherzige Gott des Bundes, der unverfügbare und zugleich doch stets gegenwärtige Gott, der gerechte Gott, der das Recht durchsetzt und die Gerechtigkeit fordert. c)

Gott in der rabbinischen Theologie und im heutigen Judentum

Die rabbinische Lehre von den Namen und Eigenschaften Gottes In der Zeit des sog. „Frühjudentums“ (3. Jh.v. – 1. Jh.n.Chr.) gab es im Judentum verschiedene Strömungen und Gruppierungen (Pharisäer, Sadduzäer, Essener, Zeloten u. a.). Nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 n.Chr. aber blieb nur eine Richtung, die pharisäische, übrig, die sich zum rabbinischen Judentum entwickelte und prägend und normativ wurde für das Judentum nach dem Zweiten Tempel bis zur Gegenwart. Die rabbinischen Gelehrten legten endgültig den Kanon der Heiligen Schrift, den Tanach, fest und grenzten sich damit vom neu entstandenen Christentum ab. Den Rabbinen ging es – wie den biblischen Zeugnissen – nicht um eine Beschreibung oder Spekulation über das Wesen Gottes, sondern um sein Wirken in seiner Schöpfung und um sein Verhalten seinem Volk gegenüber. Indem die Rabbinen auch das Hohelied in den Kanon aufgenommen haben, interpretierten sie das Verhältnis JHWH – Israel als Liebesverhältnis und stellten den liebenden Gott in den Mittelpunkt. Sie prägten neue Namen für die Anrede Gottes im Gebet wie „Vater der Gnade“, „Unser Vater im Himmel“ oder „Herr der Welt“. Sie entwickelten die Lehre von den „dreizehn Eigenschaften Gottes“ (middot), wobei sie sich auf Ex 34,6f bezogen, wo geschildert wird, wie JHWH an Mose vorüberzieht und rief: „Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue: Er bewahrt tausend Generationen Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, aber er spricht nicht einfach frei, er sucht die Schuld der Väter bei den Söhnen und Enkeln heim, bis zur dritten und am vierten Generation.“ (EÜ 2016) 303 Ebd. 512.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

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Der Abschnitt wird an Festtagen außer am Sabbat in der Liturgie rezitiert, wenn die Torarolle aus dem Schrein genommen wird, und ist Bestandteil vor allem von Bußgebeten. Die erste und zweite Eigenschaft Gottes lesen die Rabbinen aus dem wiederholten Gottesnamen („Ewiger“) heraus: Nach Raschi (um 1040–1105), einem der bedeutendsten jüdischen Bibelkommentatoren des Mittelalters, bedeutet die Verwendung des ersten Namens, „dass Gott Erbarmen mit dem Sünder hat, bevor er oder sie sündigt, und die Wiederholung, dass Gott Erbarmen hat mit dem Sünder, nachdem er oder sie gesündigt und bereut hat.“304 Der Gottesname „El“ wird als dritte Eigenschaft gesehen, als das Erbarmen Gottes allen Geschöpfen gegenüber. „Barmherzig“ (rachum) und „gnädig“ (chanun) sind die vierte und fünfte Eigenschaft: Sie stehen für die unendliche, bedingungslose Liebe und Zuneigung Gottes. Die sechste Eigenschaft spricht von der „Langmut“ oder „Geduld“ Gottes, die siebte und achte von seiner „Huld“ und „Treue“ (chessed we emet), die auf den Gott des Bundes anspielen. Der Begriff „Bund“ (berit) impliziert gegenseitige Verpflichtung und Verantwortung: Wer diese hält, dem wird Gottes Huld unendlich („bis ins tausendste Geschlecht“) gewährt; wer Schuld auf sich lädt, indem er bewusst gegen den Bund verstößt, dem wird Gott vergeben, wenn er umkehrt. Doch die Vergebung Gottes hat Grenzen: Wenn der Schuldige nicht bereut und umkehrt, ahndet Gott sogar noch an der dritten und vierten Generation. Es geht hier jedoch nicht um göttliche Strafe (das AT kennt diesen Begriff nicht!), sondern um die Folgen einer Tat. Interessant ist aber, dass die Rabbinen den biblischen Text Ex 34,7 in ihrer Auslegung der dreizehn Eigenschaften Gottes nach den Worten „er spricht nicht einfach frei“ (d. h., er entlässt nicht einfach aus der Haftung) enden lassen, weil ihnen ein über Generationen ahndender Gott unannehmbar erschien: „Während die Bibel eine Grenze bei Gottes Großzügigkeit zieht, weiten die Rabbinen sie in die Ewigkeit aus.“305 In dieser Fassung ging der Text in die synagogale Liturgie ein. Ein willkürlicher Eingriff in den geoffenbarten Text? Nein, vielmehr eine legitime Interpretation auf dem Hintergrund der Glaubenserfahrung des Volkes Israel, das seinen Gott stets als barmherzigen Gott erfahren hat (vgl. Ps 103,8–10). Dennoch blieb auch in der rabbinischen Theologie die Spannung zwischen der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit Gottes stets bewusst: „Wenn die rabbinischen Texte Gottes Fähigkeit zur Gerechtigkeit und zum Erbarmen zugleich dartun wollen, so zeichnen sie nicht einen sich erbarmenden Richter, sondern sie lassen Gott zunächst zum Gericht kommen und sich auf den Richterstuhl setzen und hernach, wenn die Zeit des Erbarmens gekommen, steigt Er vom Stuhl des Richters herab und setzt sich auf den Stuhl des Erbarmens – denn im Gericht gibt es kein Erbarmen.“306 Der Weg des Erbarmens steht also außerhalb oder über dem Weg des Rechts. Entscheidend ist, dass das Erbarmen Gottes letztlich größer ist als seine Gerechtigkeit. So steht im Babylonischen Talmud, dass Gott zu sich selbst sagt: „Möge es mir wohlgefallen, dass mein Erbarmen meinen Zorn fessele“ (bBer 7a). Eine fast wörtliche Parallele gibt es auch in der islamischen Tradition. 304 Magonet, Einführung, 298. 305 Ebd. 301. 306 Grözinger, Middat, 108.

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4 Systematische Zugänge

Ein wichtiger Begriff der rabbinischen Theologie ist die „Einwohnung Gottes“ (Schekhina): Von der Bibel her war die spannungsvolle Überzeugung vorgegeben, dass Gott, der Allmächtige, einerseits jenseitig, transzendent, völlig andersartig, zugleich aber der Gegenwärtige, Immanente ist. Schekhina beschreibt vor allem den letzteren Aspekt: Die Anwesenheit Gottes im Tempel bzw. in der Synagoge, das Wohnen Gottes bei seinem Volk. Er ist den Menschen nahe, neigt sich zu den Menschen herab, besonders da, wo seine Weisung gelesen und gelebt wird, aber auch da, wo sein Volk in Bedrängnis ist und leidet. Die Schekhina steht für die weibliche Dimension Gottes, für die Nähe, den Schutz, die Zuneigung, die Barmherzigkeit, das Mitleiden Gottes. Eng mit dieser Vorstellung verbunden ist die Rede vom „heiligen Geist“ (Ruach Ha-Kodesch), der von Gott ausgeht und sich vor allem in den Propheten äußert. Nach rabbinischer Auffassung ist die Prophetie zwar zu Ende, der „heilige Geist“ jedoch ist als besondere Gnadengabe immer noch wirksam und wird den Gerechten und Frommen verliehen. Nie aber geht die jüdische Theologie soweit, dass sie die Schekhina oder den „heiligen Geist“ so sehr mit einem konkreten Menschen verbindet, dass man von „Inkarnation“ sprechen könnte.

Die Nachahmung Gottes Auf der rabbinischen Lehre von den dreizehn Eigenschaften Gottes fußt auch die Rede von der „Nachahmung Gottes“ (imitatio Dei). Demnach sind uns die Namen und Eigenschaften Gottes gegeben, damit wir diese göttlichen Eigenschaften, sein Handeln nachahmen und dadurch Gottes Namen heiligen und heilig werden wie Gott selbst (vgl. Lev 19,2): „,Du sollst nach dem Ewigen, Deinem Gott eifern‘’ (Dtn 13,4). Wie aber kann ein Mensch nach Gott eifern, der ein verzehrendes Feuer ist? (Dtn 4,24) Es bedeutet, Gottes Eigenschaften nachzueifern – kleide den Nackten, besuche den Kranken, tröste den Trauernden, begrabe den Toten.“ (bSota 14a)307 Nachahmung Gottes bedeutet also, Nächstenliebe, die Werke der Barmherzigkeit zu praktizieren. Der jüdische Monotheismus ist ein ethischer Monotheismus. Gläubige Jüd*innen aber wissen, dass er die Nachahmung Gottes nicht aus eigener Kraft vermag, sondern auf die Hilfe Gottes angewiesen ist. Deshalb war und ist es ein großes Missverständnis christlicher Theologie, das Judentum abwertend als „Gesetzesreligion“ zu bezeichnen. Es ist vielmehr eine Religion der göttlichen Gnade und des Glaubens, aus denen als Frucht das gottgefällige Handeln, die „Orthopraxie“ folgt. Auch wenn das traditionelle Judentum keine Theologie im christlichen Sinne kennt, so kam es im Mittelalter doch zu Systematisierungen der Gotteslehre durch Religionsphilosophen wie Saadja Gaon (882–942) und vor allem Maimonides (1135– 1204), der mit seinen dreizehn Glaubenslehren eine Art jüdisches Dogma zusammenstellte: Sie besagen, dass es einen Gott gibt, dass er einzig, unkörperlich und ewig ist, dass nur er allein verehrt werden darf und die Worte der Propheten wahr sind, von denen Mose der größte war, dass die Tora göttlichen Ursprungs ist und nicht verändert oder ersetzt werden darf, dass Gott allwissend ist und er die Guten belohnt und die Bösen bestraft, dass ein Messias kommen wird und die Toten auferstehen wer307 Zit. nach Magonet, Einführung, 35f.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

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den.308 Diese Glaubenslehren nach Maimonides wurden sogar Teil der Liturgie. Im Gefolge der Aufklärung entwickelte sich dann auch eine wissenschaftliche jüdische Theologie.

Die Gottesvorstellung der jüdischen Mystik Zu einer Spekulation über das innere Wesen Gottes kam es im Judentum nur in der Mystik. Diese hatte ihre Ursprünge bereits im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Palästina mit den Visionen vom göttlichen Thronwagen (Merkaba) und der Vorstellung der mystischen Reise der Seele durch die himmlischen Paläste (Hekhalot): Gott wurde als der im Himmel thronende heilige König gesehen, der mit seinem Hofstaat der Engel regiert (vgl. Jes 6,1–6; Ez 1,4–28; 10), wie es dann auch in der christlichen Kunst des Mittelalters häufig dargestellt wurde. Dieser in seiner Herrlichkeit ferne Gott konnte nur durch den Aufstieg der Seele geschaut und erkannt werden. Die mittelalterliche jüdische Mystik (Kabbala) in Deutschland und Südfrankreich betont dann die ursprüngliche Einheit von Gott, Welt und Mensch, die zwar durch den Sündenfall verloren gegangen ist, die durch die Mystik und die Praxis der Tora aber wiederhergestellt werden kann. Im „Buch des Glanzes“, dem Hauptwerk der Kabbala (13. Jahrhundert), stehen nun nicht mehr der göttliche Thron und die himmlischen Paläste im Zentrum, sondern das Wesen der Gottheit selbst. Dieses innerste Wesen Gottes hat keine bestimmbaren Eigenschaften und heißt „das Unendliche“ (Ein-Sof). Das innerste Wesen Gottes ist dem Menschen verborgen, aber es gibt zehn stufenhafte Manifestationen (Sefirot), die aus diesem Wesen hervorgehen und vom Menschen erkannt werden können. Zu diesen Hervorgängen zählen etwa die göttlichen Eigenschaften Macht, Weisheit und Barmherzigkeit. Die unterste dieser Emanationen ist die (weibliche) „Schekhina“, die die Verbindung von transzendentem Gott und der Welt des Menschen herstellt. So ist die gesamte Schöpfung, auch der Mensch, ist von diesen göttlichen Kräften durchströmt und so wird die ganze Welt zum Abbild oder gar zu einem Teil der innergöttlichen Wirklichkeit. Die Kabbala ist damit stark von neuplatonischen und gnostischen Traditionen beeinflusst, stets aber bleibt sie tief im jüdischen Erbe, in der Tora, verwurzelt. So betont etwa die Kabbala von Safed (Israel) im 16. Jahrhundert die ethische Dimension der Mystik: Der Mystiker soll Gottes Eigenschaften nachahmen, um ihm auf diese Weise ähnlich zu werden. Man soll Gott lieben, indem man die Tora studiert und sich dem Mitmenschen liebend zuwendet (Moses Cordovero).309 Wer so lebt, auf dem ruht die Schekhina, die Gegenwart Gottes. Diese Vorstellung vom idealen Menschen geht dann auch im 18. Jahrhundert in den osteuropäischen Chassidismus ein: Der Fromme (Chasid) oder Gerechte (Zaddik) wird zur lebendigen Verkörperung der Tora, dem es nachzufolgen gilt. So hat die jüdische Mystik in ihren verschiedenen Ausformungen die jüdische Frömmigkeit in der gesamten Diaspora über Jahrhunderte hinweg bis heute geprägt.310 308 Vgl. Nachama/Homolka/Bomhoff, Judentum, 196–203. 309 Vgl. Moses Cordovero, Tomer Deborah. 310 Vgl. Dan, Kabbala.

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4 Systematische Zugänge

Gottesglaube nach Auschwitz Es wurde bereits davon gesprochen, dass der biblische Begriff „Bund“ eine wechselseitige Verpflichtung und Verantwortung beinhaltet, dass Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit immer wieder vergibt, wenn sein Volk den Bund bricht. Die Erfahrung der Schoa („Unheil“), der Vernichtung von sechs Millionen Juden durch die nationalsozialistische Terrorherrschaft, aber ließ nun viele Juden fragen, ob Gott nicht seinerseits den Bund gebrochen hat und manche Juden haben den Glauben an Gott gar verloren. „Bevor wir heute von Gottes Eigenschaften sprechen können, müssen wir den Glauben an Gott in der Zeit nach der Shoa grundsätzlich hinterfragen.“311 Die Frage, ob man nach Auschwitz noch beten darf oder kann, wurde und wird bis heute gestellt. Nach dem jüdischen Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin kann man noch beten, aber nach Auschwitz sei das Beten ein anderes Beten. Die aus dem Vaterunser bekannte Bitte „Und vergib uns unsere Schuld“ mündet für ihn in die Aussage: „Wie auch wir vergeben Deine Schuld“.312 Anders als während des Babylonischen Exils, wo man das Unheil des Volkes Gottes in der eigenen Schuld suchte, sehen viele Juden heute in den Opfern der Schoa Märtyrer, Heilige, in ihrem Tod eine „Heiligung des Namens“ Gottes (Kiddusch haSchem).313 Der moderne orthodoxe jüdische Denker Eliezer Berkovits schreibt dazu: „Ich stehe in Ehrfurcht vor der Erinnerung an die Kedoschim (Heiligen), die mit dem Ani Maamin, dem ‚Ich glaube‘, auf ihren Lippen in die Gaskammern gingen. Wie darf ich zweifeln, wenn sie nicht zweifelten? Ich glaube, weil sie glaubten. Und ich stehe in Ehrfurcht vor den Kedoschim, vor der Erinnerung an das unsagbare Leiden unschuldiger Menschen, die ohne Glauben in die Gaskammern gingen, weil das, was ihnen auferlegt wurde, mehr war, als ein Mensch ertragen kann. (…) Der Glaube ist heilig, aber ebenso sind Nichtglauben und religiöse Rebellion in den Konzentrationslagern heilig. Der Nichtglaube war nicht intellektuell, sondern zerbrochener, zerschmetterter, zerriebener Glaube. Millionenfach gemorderter Glaube ist heiliger Nichtglaube. Jene, die nicht dort waren und doch bereitwillig den Holocaust als den Willen Gottes akzeptieren, der nicht in Frage gestellt werden darf, schänden den heiligen Nichtglauben jener, deren Glaube ermordet wurde. Und jene, die nicht dort waren und dennoch mit Selbstsicherheit den Reihen der Nichtgläubigen beitreten, schänden den heiligen Glauben der Gläubigen.“314 Für den jüdischen Religionsphilosophen Hans Jonas jedoch versagen angesichts von Auschwitz alle bisherigen Deutungsversuche: „Nicht Treue oder Untreue, Glaube oder Unglaube, nicht Schuld und Strafe, nicht Prüfung, Zeugnis und Erlösungshoffnung, nicht einmal Stärke oder Schwäche, Heldentum oder Feigheit, Trotz oder Ergebung hatten da einen Platz.“315 Er greift stattdessen bei seiner Deutung der Schoa auf eine Denkfigur der jüdischen Mystik (Isaak Luria, 16. Jahrhundert) zurück, 311 312 313 314 315

Magonet, Einführung, 304. Ben-Chorin, Gott, 90. Vgl. Lenzen, Leben. Zit. nach Magonet, Einführung, 304f. Jonas, Gottesbegriff, 12.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

127

die davon spricht, dass Gott selbst sich im Zuge der Schöpfung zurückgezogen oder in seiner Allmacht beschränkt hat – zugunsten der Freiheit des Menschen! Gott konnte also gar nicht helfen in Auschwitz, er war selbst ohnmächtig, er ist nicht mehr der „Herr der Geschichte“. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich nach Jonas der Glaube an einen gütigen und zugleich noch verstehbaren Gott aufrechterhalten. Ergibt sich hier vielleicht eine Brücke zur christlichen Rede vom „(mit-)leidenden Gott“? Auch dies kann wohl nur eine mögliche Antwort unter anderen sein, keine alles erklärende, keine allgemein überzeugende und befriedigende. Gemeinsam stehen Juden und Christen, im Grunde alle Gottgläubigen, vor einem unbegreiflichen Geheimnis. Vielleicht liegt ein Schlüssel des Verstehens tatsächlich in der von Gott geschenkten Freiheit des Menschen, der zu abgrundtiefem Bösen fähig ist, wenn er sich von Gott abwendet, aber auch zu wunderbar Gutem und Schönem, wenn er aus der Liebe und Gnade Gottes heraus lebt. Literatur: Jonathan Magonet, Einführung ins Judentum, Berlin 2003. Andreas Nachama/Walter Homolka/Hartmut Bomhoff, Basiswissen Judentum, Freiburg i.Br. 2019.

4.1.2

Aufarbeitung der christlichen Judenfeindschaft

Die Aufarbeitung und Anerkennung der eigenen Schuldgeschichte in Bezug auf die Judenfeindschaft und die Schoa gehört zu den unabdingbaren und bleibenden Aufgaben der Kirchen. Nachdem bereits die katholischen Bischöfe Deutschlands in einem Hirtenbrief vom 23. August 1945 eingestanden, dass viele Deutsche, auch aus den eigenen Reihen, sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus haben betören lassen und „bei den Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben“ (KuJ I, 235), ja zum Teil selbst zum Verbrecher geworden sind, begann eine wirkliche Aufarbeitung der Rolle der katholischen Kirche in Deutschland im Rahmen der Gemeinsamen Synode im Beschluss „Unsere Hoffnung“ (1975). Dort bekennt man aufrichtig und offen: „... wir waren in dieser Zeit des Nationalsozialismus, trotz beispielhaften Verhaltens einzelner Personen und Gruppen, aufs Ganze gesehen doch eine kirchliche Gemeinschaft, die zu sehr mit dem Rücken zum Schicksal dieses verfolgten jüdischen Volkes weiterlebte, deren Blick sich zu stark von der Bedrohung ihrer eigenen Institutionen fixieren ließ und die zu den an Juden und Judentum verübten Verbrechen geschwiegen hat“ (KuJ I, 245). Es war ein Schuldbekenntnis der katholischen Kirche in Deutschland und es war der Beginn der Erkenntnis, dass „Auschwitz“ als Synonym für die Schoa zu einer hermeneutischen Funktion für jede zukünftige christliche Theologie wurde. Christliche Theologie kann nach Auschwitz nicht mehr dieselbe sein, wie davor.316 316 Vgl. Metz, Ökumene, bes. 138.

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4 Systematische Zugänge

Es sollte noch ein weiteres Vierteljahrhundert dauern, bis der Papst für die gesamte römisch-katholische Kirche am ersten Fastensonntag im Heiligen Jahr 2000 ein Schuldbekenntnis ablegte, in dem sie bekennt und bedauert, dass nicht wenige Christen „gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen“ Sünden begangen haben, und sie deshalb um Verzeihung bittet: „Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte diese deine Söhne und Töchter leiden machten. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes“ (KuJ II, 154). Hier geschah ein Akt der Reinigung des Gewissens und des Gedächtnisses der ganzen katholischen Kirche, wie er lange von außen gefordert wurde, aber letztlich nur von innen heraus kommen kann. Dieses Schuldbekenntnis und die Bitte um Vergebung ist bislang einzigartig in der Geschichte der Kirche, aber ein notwendiger Schritt der Selbstbesinnung, der durch den Besuch des Papstes in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem und an der Tempelmauer in Jerusalem im März 2000 symbolisch untermauert und bekräftigt wurde. Voraussetzung dafür war das Dokument „Wir erinnern. Eine Reflexion über die Schoa“ der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden vom 16. März 1998, in dem erstmals in einem vatikanischen Dokument der Begriff „Schoa“ (Vernichtung) verwendet wird, der – anders als etwa die Rede vom „Holocaust“ (Ganzopfer) – „jede religiöse Sinngebung ausschließt“317: Darin wird nicht nur die Pflicht zur Erinnerung an die unaussprechliche Tragödie der Schoa angemahnt, sondern offen „die Frage nach der Beziehung zwischen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und der Haltung der Christen gegenüber den Juden in allen Jahrhunderten“ gestellt (KuJ II, 112f). Es wird auf den Widerstand vieler Christen hingewiesen, aber man gesteht auch ein, dass dieser Widerstand und das Handeln vieler anderer Christen nicht so war, „wie man es von Nachfolgern Christi hätte erwarten können“: „Am Ende des Jahrhunderts möchte die katholische Kirche ihr tiefes Bedauern über das Versagen ihrer Söhne und Töchter aller Generationen zum Ausdruck bringen. Dies ist ein Akt der Reue (teschuwa), da wir als Glieder der Kirche sowohl an den Sünden als auch an den Verdiensten all ihrer Kinder teilhaben“ (KuJ II, 117f). Zu Recht wurde nicht nur von jüdischer Seite an dem Dokument kritisiert, dass nur von der Schuld einzelner Glieder der Kirche, nicht aber auch von der Schuld und Verantwortung der Kirche insgesamt die Rede ist. Auch die Vergebungsbitte des Papstes scheint nur vom individuellen Fehlverhalten zu sprechen. Natürlich versteht sich die katholische Kirche als Weltkirche und es gab sicherlich große Teile dieser Weltkirche, sei es in Asien oder Amerika, die nichts zu tun hatten mit dem Geschehen während des Nationalsozialismus in Europa. Vor allem gibt es keine Kollektivschuld. Andererseits muss die Frage gestellt werden, inwiefern nicht die gesamte christliche Theologie und Kirche in ihren Strukturen über die Jahrhunderte judenfeindlich geprägt war: „Am Versagen haben Konzilien und Liturgie, Verkündigung und Lehre ihren Anteil, so dass die geschichtliche Schuld eine kirchliche Dimension hat.“318 Im 317 Ehrlich, Fortschritte, 121. 318 Henrix, Einfluss, 64.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

129

Laufe der Geschichte ist es „zur vielfältigen Schuld unter Christen und in der Kirche gekommen: zur Schuld, das Gute nicht getan zu haben, wie zur Schuld der bösen Tat, zur Schuld des Schweigens und des Verdrängens; zur Schuld der Leugnung und der unterlassenen Hilfeleistung wie zur Schuld des Fehlens dort, wo Protest, Hilfe und Schutz notwendig und möglich waren.“319 Die Kirche ist eben heilig und sündig zugleich und deshalb immer wieder der Reform, der Umkehr, der Erneuerung bedürftig. Die überindividuelle und strukturelle Dimension der Sünde, von der die kirchliche Ursündenlehre spricht, wird am Beispiel der Judenfeindschaft auf erschreckende Weise deutlich. Dies betont auch Gerhard Ludwig Müller im Vorwort zur Studie der Internationalen Theologischen Kommission mit dem Titel „Erinnern und Versöhnen“, die die Vergebungsbitten des Papstes kommentiert: „In diesem Sinn kann man auch von Sünden nicht nur der einzelnen Glieder der Kirche, sondern auch von den Sünden der Kirche sprechen, besonders wenn sie von denen begangen wurden, die ermächtigt waren, in ihrem Namen zu handeln.“320 Auch die evangelischen Kirchen besonders in Deutschland haben sich mit der eigenen Schuldgeschichte gegenüber dem Judentum auseinandergesetzt. Den Beginn machte die Kirchlich-Theologische Sozietät in Württemberg mit einer Erklärung vom 9. April 1946: „Wir sind mutlos und tatenlos zurückgewichen, als die Glieder des Volkes Israel unter uns entehrt, beraubt, gepeinigt und getötet worden sind.“ (KuJ I, 531) Gleichzeitig bleiben viele evangelischen Erklärungen in den Jahren nach dem Krieg diesbezüglich noch zurückhaltend und vertreten nach wie vor eine Verwerfungstheologie und rechtfertigen die Judenmission. Vorsichtig formuliert auch die Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens im April 1948 aus: „Sofern der Rassenhass unter uns gehegt oder doch ohne ernstlichen Widerstand geduldet worden ist, sind wir mitschuldig geworden.“ (KuJ I, 544) Die EKD hat erstmals mit der Erklärung der Synode in Berlin-Weißensee 1950 positiv zum Judentum Stellung bezogen: Sie anerkennt darin die bleibende Erwählung Israels, bekennt eine Mitschuld „an dem Frevel“ an den Juden durch Unterlassen und Schweigen und distanziert sich vom Antisemitismus. Eine neue Etappe begann mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag anlässlich des Kirchentages in Berlin 1961, in der Juden von Anfang an gleichberechtigt mitarbeiteten und die bis heute besteht. In der ersten Erklärung von 1961 wird die christliche Judenfeindschaft als eine der Hauptursachen der Judenverfolgung bezeichnet und der Verwerfungstheologie widersprochen (vgl. KuJ I, 553f). Der Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland von 1980 spricht unmissverständlich von „christlicher Mitverantwortung und Schuld an dem Holocaust, der Verfemung, Verfolgung und Ermordung der Juden im Dritten Reich.“ (KuJ I, 594) Die Geschichte der christlichen Judenfeindschaft und die Schoa werden immer Teil der jüdisch-christlichen Beziehungen sein: Ohne Erinnerung gibt es keine Umkehr, keine Vergebung, keine Erlösung.

319 Henrix, Kirche, 135f. 320 Müller, Vorwort, 13.

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4 Systematische Zugänge

4.1.3

Eckpunkte einer christlichen Theologie des Judentums

Die bleibende Erwählung des Volkes Israel, die letztverbindliche Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus, die nicht historisch zufällige, sondern in Gottes Heilsplan gewollte Verwiesenheit der Kirche auf das jüdische Volk, die eschatologische Errettung ganz Israels – all dies sind Eckpunkte einer christlichen Theologie des Judentums. Diese Grundsätze sind so konstitutiv, dass sie zu den Kennzeichen der Kirche (notae ecclesiae) wie Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität zu zählen sind.321 Worin konkret aber besteht das Besondere kirchlicher Angewiesenheit und Verwiesenheit auf das Judentum? Ottmar Fuchs sieht diese in der „Art und Weise, wie Israel in seiner Glaubensgeschichte in der eigenen Leidensgeschichte reagiert, wie sich darin die eigene jüdische Offenbarung zeigt und bricht, eben dieses Junktim ist die Basis jener Unaustauschbarkeit, mit der wir auf das Judentum angewiesen sind.“322 Die Angewiesenund Verwiesenheit des christlichen Glaubens ist demnach zum einen hermeneutisch im Sinne der Selbstexplikation durch den Bezug auf das Erste Testament, zum anderen existentiell in Form des Bezugs auf das je gegenwärtige Judentum zu sehen. Strittig in der christlichen Theologie konfessionsübergreifend ist jedoch die Frage, wie sich die beiden Glaubensgemeinschaften konkret im Heilsplan zueinander verhalten: Sind Kirche und Volk Israel zwei parallele Heilswege, gibt es einen Bund oder viele Bundesschlüsse, sind die Christen aus den Völkern in den einen Bund mit dem Volk Israel durch Christus hineingenommen oder wird sich am Ende der Geschichte das Volk Israel zu Jesus Christus als den Messias bekennen, um so zum ewigen Heil zu gelangen? Aus biblischer Perspektive gibt es mehrere Bundesschlüsse Gottes (vgl. Röm 9,4), das Sirachbuch nennt insgesamt sieben (Sir 44–50). Dabei ist der Noahbund nicht speziell mit Israel, sondern mit der ganzen Menschheit, ja sogar mit allen Lebewesen geschlossen. Die vielen Bundesschlüsse im Lauf der Geschichte heben einander nicht auf, sondern sind Bestätigungen, Aktualisierungen, Konkretisierungen, Erweiterungen, Vertiefungen, Erneuerungen (vgl. Jer 31,31) des einen Heilsplans und -willens Gottes mit der Menschheit und damit Ausdruck seiner ewigen Treue. Der Bund Gottes mit dem Volk Israel, der Sinai-Bund, hat dabei die Funktion eines wirksamen Heilszeichens, eines Sakraments, der Bund in und durch Jesus Christus die Funktion einer Bestätigung, Erneuerung und weiteren Entfaltung des Bundes mit Israel, wodurch die Völker „Miterben und Miteinverleibte und Mitteilhaber an der Verheißung“ (Eph 3,6; vgl. Röm 11,17) wurden und zwar der Abrahamsverheißung: Nach Wolfgang Kraus werden die Völker durch Christus „nicht in den Bund Gottes mit Israel aufgenommen, sondern in die Verheißungsgeschichte, die von Abraham herkommt und an der Israel in erster Linie Anteil hat.“323 Nach Heinz-Günther Schöttler ist die Annahme von zwei Bünden nicht zu begründen: „es gibt nur einen Bund, zu dem Juden und Christen gehören, die Christen, insofern sie am Bund Gottes mit seinem Volk Israel partizipieren (dürfen).“324 321 322 323 324

So die Forderung von Mußner, Traktat, 175. Fuchs, Kirchen, 246; vgl. Petzel, Gott. Kraus, Volk Gottes, 317. Schöttler, Re-Visionen, 22.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

131

Die Rede von zwei parallelen Heilswegen ist problematisch, weil letztlich der eine Heilswille Gottes dahintersteht, den die Christen als den dreieinen Gott bekennen.325 In diesem inklusiven Sinn kann christliche Theologie wohl nicht daran vorbei, auch das Heil der Juden als vom dreieinen Gott geschenkt zu betrachten, aber eben von Gott, nicht durch die Kirche. Am ehesten könnte man im Anschluss an Josef Wohlmuth von einem Heilsweg in zwei Versionen sprechen: „Während das Heil durch Jesus Christus der gesamten Völkerwelt via Kirche vermittelt wird, geschieht durch Gott die Rettung Israels“326, womit nicht gemeint ist, dass Israel ohne Christus gerettet wird, sondern ohne expliziten Glauben an Christus. Der jüngste Text der vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum von 2015 formuliert es in Nr. 25 so: „Das Judentum und der christliche Glaube, wie er im Neuen Testament belegt ist, sind zwei Wege, wie die Gemeinschaft des Gottesvolkes sich die Heiligen Schriften Israels zu eigen machen kann. Die Schrift die die Christen als Altes Testament bezeichnen, ist deshalb offen für beide Wege.“327 Das Volk Israel und die Kirche bilden eine Erinnerungs-, Verheißungs- und Hoffnungsgemeinschaft auf dem Weg zu Gott und mit Gott, dem Gott Israels und der Völker. Sie sind Gottes Volk nicht aus eigener Leistung, sondern allein aus Gnade: „Weder Israel noch die Kirche können deshalb einen Erwählungsanspruch erheben“.328 Vielmehr stehen sie als Erwählte in einer besonderen Verpflichtung, nämlich glaubwürdige Zeugen des barmherzigen und gerechten Schöpfergottes in der Welt zu sein, indem sie seinen Willen tun und so alle Völker Anteil erhalten am Segen Gottes. „Gott selbst wird am Ende der Zeiten die Antwort geben auf die offene Frage, wie sich das Israel verheißene Heil und das Heil in Christus nach dem Glauben der Kirche zueinander verhalten (vgl. Röm 11,25ff.).“329 Die paulinische Erklärung, wonach das nicht christusgläubige Volk Israel temporär durch Gott (passivum divinum) verstockt sei (was keinesfalls moralisch verstanden werden darf, weil Gott die „Verstockung“ − besser: das „Nicht-Erkennen“ Jesu Christi − zum Heil der Völker bewirkt, während die jahrhundertelange „Verstockung“ der Kirche gegenüber dem Volk Israel sehr wohl als moralisches Versagen zu qualifizieren ist), muss heute im Angesicht der Juden positiv formuliert werden: So kann die Ablehnung Jesu als Messias Israels und „Sohn Gottes“ als „Treue zum Wort Gottes, Treue zu Seinen Verheißungen“330 gesehen und gewürdigt werden und als „der lebendige Hinweis auf das Noch-nicht-Endgültige der Heilsvollendung.“331 Diese Position vertritt auch das vielleicht bedeutendste nachkonziliare vatikanische Dokument zum jüdisch-christlichen Verhältnis „Das jüdische Volk und seine Heilige 325 Vgl. Vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum, 95. 326 Wohlmuth, Karfreitagsfürbitte, 200. 327 „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). 328 Leuenberger Kirchengemeinschaft, Kirche und Israel, 61. 329 EKD, Christen und Juden II, 106. 330 Schöttler, Re-Visionen, 427. 331 Mußner, Geschlecht, 55.

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4 Systematische Zugänge

Schrift in der christlichen Bibel“ (2001) der Päpstlichen Bibelkommission. Darin wird die Heilige Schrift des jüdischen Volkes als grundlegender Bestandteil der christlichen Bibel und zugleich in ihrem Eigenwert gewürdigt, die einen Sinnüberschuss enthalte (vgl. Nr. 21). Erstmals sagt ein kirchlicher Text in dieser Deutlichkeit, „dass die jüdische Lesung der Bibel eine mögliche Leseweise darstellt die sich organisch aus der jüdischen Heiligen Schrift der Zeit des Zweiten Tempels ergibt, in Analogie zur christlichen Leseweise, die sich parallel entwickelte. Jede dieser beiden Leseweisen bleibt der jeweiligen Glaubenssicht treu, deren Frucht und Ausdruck sie ist. So ist die eine nicht auf die andere rückführbar.“ (Nr. 22) In Spannung dazu stehen jedoch Teile des Dokuments, die noch stark dem klassischen Verheißungs-ErfüllungsSchema verbunden bleiben (vgl. Nr. 40, 84f).332 Für die paulinische und damit christliche Theologie des Judentums und der Religionen aber dürfte die Überzeugung unaufgebbar sein, dass jedes Heil, auch das der Juden, – in und durch den in Jesus Christus menschgewordenen göttlichen Logos vermittelt ist, der von Anbeginn der Schöpfung wirkt. Dieser inklusive Anspruch, der nicht dem Christentum oder der Kirche, sondern allein Gott und seiner Heilsökonomie zukommt und damit jeden ekklesiologischen Heilstriumphalismus ausschließt, ist ohne Zweifel eine Zumutung für Nichtchrist*innen, besonders auch für Jüd*innen, die jedoch dann legitim erscheint, wenn sie nicht mit einer Abwertung des Anderen einhergeht und dem Anderen dieselbe Zumutung einem selbst gegenüber zugesteht – ein „mutualer“ oder „reziproker“ Inklusivismus also, der allein aus Gründen theologischer Hermeneutik kaum zu überwinden sein wird. Der Inklusivismus darf auch nicht mit einer Vereinnahmung des anderen einhergehen, die gerade für Judentum geradezu tödlich sein konnte: „Die Differenz zwischen Israel und Kirche ist ein Tatbestand des Geheimnisses Gottes selbst. Und die Ehrfurcht vor diesem Geheimnis (in Geschichte und im Eschaton) ist kommunikativ als Ehrfurcht vor dem Anderen seines Geheimnisses in der Geschichte einzuholen.“333 Das neue theologische Verhältnis muss sich auch im Gebet und in der Liturgie ausdrücken. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der sog. Großen Fürbitten am Karfreitag in der katholischen Liturgie. So wurde im vorkonziliaren tridentinischen Ritus seit 1570 gebetet: „Lasst uns auch beten für die treulosen [perfidis] Juden: Gott, unser Herr, möge den Schleier von ihren Herzen wegnehmen, auf dass auch sie unseren Herrn Jesus Christus erkennen. (...) Allmächtiger, ewiger Gott, der du auch die jüdische Untreue [perfidia] nicht von deiner Erbarmung ausschließt, erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor dich bringen. Mögen sie das Licht deiner Wahrheit, das Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden: durch ihn, unsern Herrn ...“

Nachdem Johannes XXIII. bereits 1959 immerhin die Worte perfidis und iudicam perfidiam aus der tridentinischen Fassung streichen hat lassen, kam es noch während 332 Vgl. Petzel, Einheit, bes. 99ff. 333 Fuchs, Kirchen, 235.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

133

des Konzils durch Paul VI. zu einer ersten Neufassung und damit bislang weitreichendsten Reform der Karfreitagsfürbitte. Nach dem Konzil wurden die Großen Fürbitten auf dem Hintergrund der Konzilsaussagen nochmals überarbeitet und mit dem Missale Romanum von 1970 verbindlich für den ordentlichen Ritus: Sie hat programmatischen Charakter und bringt an zentraler Stelle der Liturgie „Israeltheologie zur Sprache“.334 Als sechste Fürbitte, unmittelbar nach der Bitte um die Einheit der Christen und vor der Bitte für die, „die nicht an Christus glauben“, wird gemäß der Konzilstheologie auch die besondere Nähe des Judentums zur Kirche deutlich (vgl. LG 15f): „Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will. [Beuget die Knie. – Stille – Erhebet Euch.] Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.“

Die Gebetseinladung würdigt die Juden als die von Gott zuerst Angesprochenen. In der Fassung von 1970 betet die Kirche im Kern um die Bewahrung Israels in der Treue zum Bund mit Gott: „Das sagt implizit nichts anderes aus als ein Unterwegssein Israels auf seinem ur-eigenen, weil in Gottes besonderer Erwählung am Sinai begründeten Heilsweg.“335 Israel hat bereits Anteil am Heil, die Kirche betet um die Fülle der Erlösung Israels, auf welchen Wegen diese geschieht, wird offen gelassen. Leider kam es zu einer schweren Belastung der katholisch-jüdischen Beziehungen, als es mit der Wiederzulassung des alten tridentinischen Ritus durch Papst Benedikt XVI. wieder möglich wurde, die vorkonziliare, völlig unhaltbare antijüdische Fürbitte zu beten. Der Papst selbst formulierte nach jüdischen und innerkirchlichen Protesten die Fürbitte für diesen außerordentlichen Ritus neu. In dieser Fassung von 2008 jedoch fehlt im Unterschied zu dem des ordentlichen Ritus von 1970 ein positiver Bezug auf die Offenbarung an die Väter und den Bund mit Israel, stattdessen beginnt sie mit der Bitte um Erleuchtung der Juden, die eine eindeutige missionarische Spitze hat! „Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen. (...) Allmächtiger ewiger Gott, der Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle der Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird. Durch Christus unseren Herrn. Amen.“

Hat man die mittelalterlichen Bilder und Statuen antijüdischer christlicher Polemik vor Augen, mit denen die personifizierte Synagoge stets mit verbundenen Augen dargestellt wurde, dann wird die Problematik solcher Formulierungen erst richtig bewusst: „Solche theologischen Aussagen werden in einem wirkungsgeschichtlichen 334 Kranemann, Liturgie, 51. 335 Kranemann, Israelitica dignitas, 87.

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4 Systematische Zugänge

Kontext getroffen, der eng verbunden ist mit Diskriminierung, Verfolgung und Tod“.336 Gravierend ist in jedem Fall, dass in der Neufassung von 2008 eine Bestätigung der bleibenden Erwählung Israels fehlt und diese damit weit hinter die nachkonziliare Israeltheologie zurückfällt. Es bleibt eine „nicht aufhebbare(n) Spannung“337 zwischen dem ordentlichen und dem außerordentlichen Ritus, die nun zwei gültige Weisen ein und derselben Liturgie sein sollen. Diese Spannung und Uneindeutigkeit ist umso bedrückender als das Karfreitagsgebet im christlich-jüdischen Verhältnis historisch so enorm belastet ist und einen der „israeltheologischen Brennpunkte“338 kirchlicher Hochliturgie darstellt. Dabei ist für die katholische Kirche im Gefolge des Konzils klar, dass es eine institutionalisierte Form der „Judenmission“, wie sie heute noch von manchen evangelikalen und christlich-fundamentalistischen Richtungen betrieben oder zumindest gefordert wird, sowohl aus ethischen Gründen nicht mehr geben kann und aus theologischen auch nicht zu geben braucht, weil die Juden bereits und immer noch im Heilsbund mit Gott stehen, alles andere würde die Treue Gottes in Frage stellen: „Das Nein zur Judenmission gilt Juden als Testfall für die Glaubwürdigkeit kirchlicher Umkehr von den traditionellen Wegen der Judenfeindschaft. … Wenn Juden heute angesichts der zahlenmäßigen Asymmetrie zwischen Judentum und Christentum in der Judenmission, selbst wenn sie gewaltfrei ist, eine erneute Bedrohung ihrer religiösen Existenz nach Auschwitz sehen, muss dies von Christen zur Kenntnis genommen und theologisch bedacht werden. … Auch ohne den Glauben an Jesus als den Christus und ohne Taufe sind die Juden als das Volk Gottes auf dem Weg des Heils“.339 Der biblische Missionsauftrag (vgl. Mt 28) ist auf die „Völker“ außerhalb des Volkes Israel bezogen und ist auch im Sinne des „Mitlernens“ (vgl. Bibel in gerechter Sprache) zu verstehen. Wenn man freilich unter „Mission“ das Zeugnisgeben in Wort und Tat (Nächstenliebe) versteht, dann ist diese Dimension stets auch in der Begegnung mit Juden gegenwärtig. Juden und Christen haben eine gemeinsame „Mission“ in der Welt von heute: „Wir setzen die echte Mission, die die Kirche an Israel hat, fort, wenn wir als Christen zu unseren jüdischen Wurzeln zurückkehren, also zu der Heiligen Schrift, zu den alten Teilen unserer Liturgie, zu einer der Bibel entsprechenden Denkungsart und Redeweise und so Israel in unserer Mitte entdecken.“340 Dass Judentum und Christentum sich wechselseitig bereichern, spricht Papst Franziskus in seiner Enzyklika Evangelii Gaudium (2013) treffend aus: „Gott wirkt weiterhin im Volk des Alten Bundes und lässt einen Weisheitsschatz entstehen, der aus der Begegnung mit dem göttlichen Wort entspringt. Darum ist es auch für die Kirche eine Bereicherung, wenn sie die Werte des Judentums aufnimmt. Obwohl einige christliche Überzeugungen für das Judentum unannehmbar sind und die Kirche nicht darauf verzichten 336 337 338 339 340

Homolka, Respekt, 47–65, 61. Wolf, Papst, 143. Kranemann, Israelitica dignitas, 92. Erklärung „Nein zur Judenmission“. Vgl. auch Frankemölle/Wohlmuth, Heil. Baum, Juden, 351.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

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kann, Jesus als den Herrn und Messias zu verkünden, besteht eine reiche Komplementarität, die uns erlaubt, die Texte der hebräischen Bibel gemeinsam zu lesen und uns gegenseitig zu helfen, die Reichtümer des Wortes Gottes zu ergründen…“ (EG 249).

4.1.4 Gegenwärtige Herausforderungen im Dialog mit dem Judentum (1) Im katholisch-jüdischen Verhältnis wurde im Zusammenhang mit der Diskussion um die Karfreitagsfürbitte das Thema „Judenmission“ wieder virulent. Die katholische Kirche betreibt unbestritten keine aktive „Judenmission“ mehr, die auf die Bekehrung von Juden zum christlichen Glauben zielt. Für die katholische Kirche gilt die Überzeugung, dass Juden auch ohne das Bekenntnis zu Jesus Christus als den Messias und Sohn Gottes zum Heil gelangen können. Das sehen Teile der evangelischen Kirchen, vor allem die Freikirchen, anders. Als ökumenisch konsensfähig könnte jedoch gelten, dass die Kirche auch im Dialog stets Zeugnis von ihrer Glaubensüberzeugung zu geben hat, wonach auch das Heil der Juden durch das Wort Gottes zugesagt und geschenkt ist, das in Jesus Christus Mensch geworden ist. Christusbezogenheit (nicht Christozentrik!) einerseits und Israelverwiesenheit der Kirche und des christlichen Glaubens andererseits bilden die beiden Brennpunkte einer Ellipse, des einen Heilsplans Gottes. Eine christliche Sicht der Heilsgeschichte darf beide Brennpunkte nicht gegeneinander ausspielen, weil sie sich beide bedingen und erhellen. Dieses wechselseitige Bedingungsverhältnis könnte auch zu einer Überwindung des traditionellen und immer noch vorherrschenden Verheißungs-Erfüllungs-Schemas führen, das in der Geschichte des Volkes Israel und des „Alten“ Testaments lediglich eine unvollständige Vorstufe göttlicher Selbstmitteilung sieht. Die vielfältigen Verheißungen des Ersten Testaments sind auch mit dem Kommen Jesu Christi keineswegs bereits alle erfüllt, das Judentum erinnert die Christen immer wieder an die Unerlöstheit der Welt: „Verheißung und Erfüllung bestimmen den Inhalt beider Testamente“!341 Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass der christliche Messias-Begriff mit den vielschichtigen jüdischen messianischen Vorstellungen nicht identisch ist.342 Zu behaupten, der wesentliche Unterschied zwischen Christen und Juden bestünde darin, dass die Juden Jesus nicht als den „Messias Israels“ anerkennen, ist mindestens eine problematische Verkürzung, allein schon der Titel ist so nicht biblisch belegt. Juden und Christen hoffen gemeinsam auf die endgültige Erlösung und bilden so eine „messianische Hoffnungs- und Weggemeinschaft“.343 Juden und Christen haben so eine gemeinsame Mission: Authentische Zeugen für den Gott Israels und Segen für die Völker zu sein! (2) Generell ist die Israelverwiesenheit von Kirche und christlichem Glauben immer wieder neu in Erinnerung zu rufen und theologisch, spirituell und liturgisch zu vertiefen. Das Volk Israel muss als erwählter Bundespartner und Zeuge Gottes wahr-

341 Oesterreicher, Wiederentdeckung, 86f (Anm. 27). Vgl. dazu Schöttler, Re-Visionen, bes. 47–156. 342 Vgl. Stegemann, Messias-Vorstellungen; Witte, Messias. 343 Zenger, Testament, 205.

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4 Systematische Zugänge

genommen werden, die Christen müssen sich als vom Gott Israels durch Jesus Christus „Hinzuerwählte“ begreifen. Die bleibende Verwiesenheit auf Israel muss künftig zu den notae ecclesiae, zu den Kennzeichen der Kirche wie die Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität, gerechnet werden. Diese Erkenntnis könnte auch neue Impulse für die innerchristliche Ökumene bringen, weil sie vor ekklesiologischer Überheblichkeit und Selbstbezogenheit bewahrt. Doch auch die Erwählung Israels ist nicht verdient: „In diesem wechselseitigen Geheimnis der Ungeschuldetheit dient der eine dem anderen als Zeuge. Ein jeder bezeugt dem anderen die absolute Ungeschuldetheit der Gabe Gottes“.344 (3) Nicht selten ist auf beiden Seiten noch die Einstellung anzutreffen, wonach zwar die Christen für das Verständnis des eigenen Glaubens das Judentum und die Juden benötigen, nicht aber umgekehrt. Letzteres sollte gemeinsam hinterfragt werden, denn durch die historische Forschung wird immer deutlicher, wie stark sich das rabbinische Judentum von der Spätantike bis in die Neuzeit hinein auch in Abhängigkeit vom Christentum entwickelt hat.345 Nicht die Familienmetapher „Tochter – Mutter“, sondern die Metapher „Geschwister“ kennzeichnet das Verhältnis von Juden und Christen zutreffend. Dass aber gerade Geschwisterbeziehungen schwierig, ja sogar tödlich sein können, wenn Achtung und Anerkennung fehlen, zeigen schon die zahlreichen biblischen Geschwisterkonflikte. Letztlich haben Juden und Christen eine gemeinsame Sendung in der Welt, nämlich die Botschaft des versöhnenden Gottes glaubhaft zu bezeugen: „Vor allem können Juden und Christen in einer von so vielen Problemen geschüttelten und von Zukunftsangst geplagten Welt gemeinsam die Hoffnung hochhalten. Sie können bezeugen, dass trotz Versagen und Schuld, trotz Andersheit und Fremdheit, Umkehr, Versöhnung, Frieden und Freundschaft möglich sind.“346 Nach verständlicher Zurückhaltung in den ersten Jahren oder Jahrzehnten nach der Schoa gibt es heute ein gewachsenes und wachsendes Interesse auch von jüdischer Seite am interreligiösen Dialog. 2000 fand die Erklärung Dabru Emet von eher liberalen jüdischen Gelehrten international Beachtung. Die Autoren verstehen ihre Erklärung bewusst als Antwort auf die Dialogbemühungen der Kirchen und stellen acht Thesen auf, die jeweils näher begründet und ausgeführt werden. Sie lauten: „1) Juden und Christen beten den gleichen Gott an. 2) Juden und Christen stützen sich auf die Autorität ein und desselben Buches – die Bibel (das die Juden ,Tenach‘“ und die Christen das ,Alte Testament‘ nennen). 3) Christen können den Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel respektieren. 4) Juden und Christen anerkennen die moralischen Prinzipien der Tora. 5) Der Nazismus war kein christliches Phänomen. 6) Der nach menschlichem Ermessen unüberwindbare Unterschied zwischen Juden und Christen wird nicht eher ausgeräumt werden, bis Gott die gesamte Welt erlösen wird, wie es die Schrift prophezeit. 7) Ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen wird die jüdische Praxis nicht schwächen. 8) Juden und Christen müs344 Lustiger, Verheißung, 19. 345 Vgl. Yuval, Völker; Boyarin, Abgrenzungen; Hilton, Judentum. 346 Kasper, „Nostra aetate“, 118.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

137

sen sich gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.“347 Die Erklärung endet mit der Vision Jesajas von der Völkerwallfahrt zum Zion. Beachtenswert ist vor allem die erste These: Der gemeinsame Glaube an den einen Gott wird stärker gewichtet als die Unterschiede im Gottesverständnis und es wird anerkannt, dass durch den christlichen Glauben unzählige Menschen außerhalb des Volkes Israel in eine Beziehung zum Gott Israels getreten sind. 2009 veröffentlichte der Internationale Rat der Christen und Juden (ICCJ), eine Dachorganisation von etwa 40 christlich-jüdischen Dialogorganisationen weltweit, eine Erklärung mit dem Titel „Zeit zur Neuverpflichtung“, die auch als die „12 Berliner Thesen“ bekannt geworden sind und die sich als eine aktualisierende Fortschreibung der Seelisberger und Schwalbacher Thesen (1947 bzw. 1950) verstehen.348 Darin verpflichten sich Juden und Christen unter anderem, religiöse, rassistische und alle anderen Formen des Antisemitismus zu bekämpfen, interreligiöse und interkulturelle Erziehung sowie soziale Gerechtigkeit zu fördern und gemeinsam Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen. Höchst bedeutsam waren dann zwei Erklärungen von orthodox-jüdischer Seite zum Dialog mit dem Christentum, zumal viele orthodoxe jüdische Theologen bislang dem Dialog kritisch bis ablehnend gegenüberstanden. Ende 2015 publizierten etwa 50 orthodoxe Rabbiner aus verschiedenen Kontinenten die Erklärung „Den Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden und Christen“349. Nach einer positiven Würdigung der Dialogbemühungen und der erneuerten Israeltheologie der katholischen und anderen christlichen Kirchen in den letzten Jahrzehnten kommt das Dokument zu einer erstaunlichen theologischen Verhältnisbestimmung zum Christentum und beruft sich dabei auf mittelalterliche Theologen wie Maimonides und Jehuda Halevi sowie orthodoxe Rabbiner der Neuzeit wie Jacob Emden, Samson Raphael Hirsch und Naftali Zwi Berliner: Das Christentum sei weder Zufall noch Irrtum, „sondern gö-ttlich (sic!) gewollt und ein Geschenk an die Völker. Indem Er Judentum und Christenheit getrennt hat, wollte G-t (sic!) eine Trennung zwischen Partnern mit erheblichen theologischen Differenzen, nicht jedoch eine Trennung zwischen Feinden … Jetzt, da die katholische Kirche den ewigen Bund zwischen G-t und Israel anerkannt hat, können wir Juden die fortwährende konstruktive Gültigkeit des Christentums als unser Partner bei der Welterlösung anerkennen, ohne jede Angst, dass dies zu missionarischen Zwecken missbraucht werden könnte.“ (Abs. 3) Juden und Christen seien Partner: „Wir Juden und Christen haben viel mehr gemeinsam, als was uns trennt: den ethischen Monotheismus Abrahams; die Beziehung zum Einen Schöpfer des Himmels und der Erde, der uns alle liebt und umsorgt; die jüdische Heilige Schrift; den Glauben an eine verbindliche Tradition; die Werte des Lebens, der Familie, mitfühlender Rechtschaffenheit, der Gerechtig347 http://www.jcrelations.net/Dabru_Emet__-_Redet_Wahrheit.2419.0.html 348 https://www.deutscher-koordinierungsrat.de/sites/default/files/downloads/DKR/Zeit_ zur_Neu-Verpflichtung.pdf 349 http://www.jcrelations.net/Den_Willen_unseres_Vaters_im_Himmel_tun__Hin_zu_einer_ Partnerschaft_zwischen_Jud.5227.0.html?L=2

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4 Systematische Zugänge

keit, unveräußerlicher Freiheit, universeller Liebe und des letztendlichen Weltfriedens.“ (Abs. 5) Juden und Christen bleiben dem Bund mit Gott treu, „indem sie gemeinsam eine aktive Rolle bei der Erlösung der Welt übernehmen.“ (Abs. 7) Keine offizielle orthodox-jüdische Stellungnahme ging bislang soweit in der theologischen Anerkennung des Christentums und macht damit deutlich, dass der christliche Glaube für den jüdischen Glauben theologisch nicht irrelevant ist. Am 1. Februar 2017 veröffentlichte die Europäische Rabbinerkonferenz (etwa 700 Rabbiner) zusammen mit dem Rabbinischen Rat von Amerika (etwa 1000 Rabbiner) und dem Oberrabbinat des Staates Israel die Erklärung „Zwischen Rom und Jerusalem: Die gemeinsame Welt und die respektierten Besonderheiten. Reflexionen über 50 Jahre Nostra Aetate“.350 Die Erklärung ist eine Frucht des Dialogs mit dem Vatikan seit 2002. Obgleich sie in expliziter Abgrenzung zu dem Dokument „Den Willen unseres Vaters tun“ (2015) eine theologische Anerkennung des Christentums vermeidet, würdigt und begrüßt sie die veränderte Einstellung, die Dialogbemühungen und die neue theologische Verhältnisbestimmung der katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanum. Andere, nicht namentlich genannte christliche Konfessionen (wahrscheinlich sind orthodoxe und einige freikirchliche im Blick), die diesen Prozess noch nicht vollzogen hätten, werden aufgerufen, dem Beispiel der katholischen Kirche zu folgen. Trotz der tiefen theologischen Unterschiede, die unüberbrückbar seien, beruft sich das Dokument auf rabbinische Quellen, die den Christen „einen besonderen Status“ zuerkennen, „weil sie den Schöpfer des Himmels und der Erde anbeten, der das Volk Israel aus der ägyptischen Knechtschaft befreite und der die Vorsehung über die ganze Schöpfung ausübt.“ Katholiken seien außerdem „Partner, enge Verbündete, Freunde und Brüder in unserem gemeinsamen Streben nach einer besseren Welt“. Es gebe viele moralische Werte, die Juden und Christen gemeinsam haben, ebenso den gemeinsamen „Glauben an den göttlichen Ursprung der Tora und an eine endgültige Erlösung“. (4) Christentum und Judentum sind die einzigen Religionen, die einen Teil ihrer Heiligen Schrift gemeinsam haben. Dieses Phänomen „ist von besonderer theologischer und soteriologischer Dignität und zwar nicht nur für die Frage nach den jüdischen Wurzeln des Christentums, sondern auch für die soteriologische Bewertung des eigenständigen Weges des Judentums in der Zeit post Christum natum.“351 Christ*innen müssen lernen, die Schrift Israels zunächst – soweit möglich – von ihrem Selbstverständnis her zu lesen. Für den Dialog mit dem heutigen Judentum aber genügt es nicht, sich intensiver mit dem Alten Testament zu beschäftigen und dessen „Eigenwert als Offenbarung“352 zu entdecken, vielmehr müssen Christ*innen, besonders Theolog*innen und Priester in ihrer Aus- und Fortbildung auch das nachbiblische, rabbinische Judentum, den Talmud, die jüdische Mystik und heutige Strömungen des Judentums besser kennen und als eine mögliche und legitime Auslegung der 350 http://www.jcrelations.net/Zwischen_Jerusalem_und_Rom__Die_gemeinsame_Welt_ und_die_respektierten_Besonderhe.5647.0.html?L=2 351 Dirscherl, Gottes Wort, 397f. 352 Vat. Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, Hinweise 97.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

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Hebräischen Bibel, als Treue zur eigenen Tradition schätzen lernen. Das Alte Testament darf nicht nur und nicht zuerst vom Neuen Testament her gelesen werden, die Lese- und Interpretationsrichtung muss vielmehr zeitlich und theologisch zuerst umgekehrt sein, weil das Neue ohne das Alte nicht zu verstehen ist. Die Überzeugung, dass das Judentum zur Heilsgeschichte gehört, „bliebe nichtssagend und leer, wenn die Christen nicht beginnen würden, auch von der jüdischen Auslegung der hebräischen Bibel und ihrer lebendigen Tradition zu lernen.“353 Juden und Judentum dürfen nicht ein Randthema in Verkündigung und Katechese bleiben, vielmehr muss „ihre unverzichtbare Gegenwart in die Unterweisung eingearbeitet werden.“354 Dabei darf es nicht zu einer bloßen Übernahme von einigen jüdischen Bruchstücken in ein sonst unverändertes christliches Selbstverständnis kommen, die das Eigene nur verzieren, ohne dem Selbstverständnis und dem Anderssein des Anderen wirklich gerecht zu werden. (5) Die christliche Theologie muss in allen ihren Disziplinen und Themen weiter daran arbeiten, Antijudaismen zu überwinden und nicht wieder in antijüdische Argumentationsmuster zurückzufallen.355 Als antijüdisch kann jede theologische Aussage bezeichnet werden, die auf eine Abwertung, Nichtbeachtung oder gar Delegitimitation des jüdischen Glaubens hinausläuft, denn wie könnte man „den Glauben desjenigen, den man als den einzigen Heilsmittler bekennt, in irgendeiner Weise als defizitär“356 kennzeichnen? Christliche Theologie und Kirchen müssen außerdem gegen jede Form von Antisemitismus die Stimme erheben, der sich gegenwärtig vor allem in Form einer israelbezogenen Judenfeindschaft artikuliert und zu legitimieren versucht. (6) Der jüdisch-christliche Dialog ist aus christlicher Perspektive die Grundlage und Voraussetzung für den Dialog mit den Religionen überhaupt. Die Entstehungsgeschichte von Nostra Aetate zeigt, dass die Wiederentdeckung Israels zur Neuentdeckung der anderen Religionen führte: „Christen finden in der Begegnung mit dem Judentum ihre dialogische Identität, die sie bereit macht, mit anderen Weltreligionen ins Gespräch zu treten.“357 Der interreligiöse Dialog kann bilateral sein, doch letztlich sitzt das Judentum, als Wesensbestandteil christlicher Identität, implizit immer mit am Tisch. Besonders der Dialog mit dem Islam kann und muss immer wieder auf einen realen „Trialog“ mit dem Judentum ausgeweitet werden und umgekehrt, steht doch der Islam in einer Wirkungsgeschichte des Judentums wie des Christentums und hat gleichzeitig beide beeinflusst.358 Gerade die besondere Nähe dieser drei Religionen führte nicht selten zu erbitterter Feindschaft und exklusiven Ansprüchen. Versöhnung zwischen ihnen tut Not und wird zu einem Testfall für die Friedensfähigkeit der Religionen überhaupt. 353 354 355 356 357 358

Rutishauser, Christsein, 57. Vat. Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, 94. Vgl. Petzel/Reck, Abba. Stosch, Komparative Theologie, 270. Rutishauser, Christsein, 8. Vgl. Hinterhuber, Trialog; Renz, Gott; Kuschel, Juden.

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4 Systematische Zugänge

Zusammengefasst gelten folgende Grundsätze einer christlichen Theologie des Judentums: (1) Jede Form von Judenfeindschaft muss als Häresie verurteilt und bekämpft werden. (2) Die christliche Schuldgeschichte in Bezug auf die Juden und ihren Glauben muss immer wieder neu kritisch aufgearbeitet, erinnert und bereut werden. (3) Christliche Theologie ist deshalb nur noch als Theologie nach Auschwitz möglich. (4) Gottes Erwählungsbund mit dem Volk Israel besteht nach wie vor, d. h. das gegenwärtige Judentum steht im unmittelbaren Heilsraum Gottes und ganz Israel wird am Ende gerettet werden (Röm 11,26), wie auch das jüdische Volk im Sinne der Heilszusage Gottes hofft: „Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt“ (Mischna Sanhedrin X,1a).359 (5) Judenmission ist deshalb keine Aufgabe der Kirche, wohl aber der Dialog und das demütige Zeugnisgeben vom eigenen Glauben. (6) Christliche Identität ist ohne positiven Bezug auf das Judentum nicht möglich, da die jüdische Bibel „der Raum des Evangeliums“360 ist und so ein unauflösliches „geistliches Band“ besteht; die jüdische Wurzel gehört zu den Wesenskennzeichen der Kirche. (7) Die jüdische Bibel hat ihren Eigenwert ebenso wie die jüdische Bibelauslegung, von der christliche Theologie und christlicher Glauben lernen können und müssen. (8) Juden und Christen bilden eine messianische Hoffnungs- und Weggemeinschaft, eine solidarische Partnerschaft: „Israel und Kirche sind gemeinsam und auf je spezifische Weise Werkzeuge Gottes für das Kommen seiner universalen Herrschaft“361. (9) Eine christliche Theologie des Judentums ist Voraussetzung für eine allgemeine Theologie der Religionen, nicht umgekehrt, denn den allgemeinen Heilswillen Gottes kennen wir nur durch die Heilsgeschichte Gottes mit Israel und den Juden Jesus.

359 Zit. nach Schöttler, Re-Visionen, 415. 360 Wengst, Tora, 75. 361 Frankemölle, Testament, 66.

4.1 Judentum: Die Heiligung des Gottesnamens

141

Didaktische Anregungen: 1.

Über die religionspädagogischen Medienstellen (www.medienzentralen.de) sind Koffer der Religionen ausleihbar, in denen für das Judentum typische religiöse Gegenstände (Menora, Gebetsschal, Dreidel etc.) enthalten sind, die man den Schüler*innen haptisch nahebringen kann.

2.

Die Schüler*innen sollen herausfinden, wo in der nächsten Umgebung eine jüdische Gemeinde mit Friedhof existiert oder einmal existiert hat. Suchen Sie mit der Klasse den Ort oder die Orte auf und versuchen Sie etwas über die Geschichte dieser Gemeinde und ihrer Beziehungen herauszufinden: welche Erinnerungskultur es vor Ort gibt (Gedenktafeln, Stolpersteine etc.), welche Aktivitäten und Dialogbemühungen es gegenwärtig gibt. Auch eine Exkursion zu einem jüdischen Museum ist denkbar.

3.

Vielleicht ist ein Gespräch mit einem jüdischen Gemeindemitglied möglich. Unter www.meet-a-jew.de oder über den Zentralrat der Juden kann man jüdische Personen finden, die dazu bereit sind.

4.

Der Zentralrat der Juden bietet neben Informationen zu jüdischem Leben in Deutschland auch ein Lehrerforum für eine geschützte Online-Kommunikation an (www.zentralratderjuden.de/service/lehrerforum).

5.

Die „Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung“ bietet auch Anregungen für die Schule.

Weiterführende Literatur und Materialien: Hans Hermann Henrix, Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Mainz 2004. Albrecht Lohrbächer/Helmut Ruppel/Ingrid Schmidt (Hg.), Was Christen vom Judentum lernen können. Anstöße, Materialien, Entwürfe, Stuttgart 2006. Materialien für Schulen aus dem Jüdischen Museum Berlin, Kommentierte Quellen zur jüdischen Lebenswelt, Berlin 2006.

4.2

Islam: Hingabe an den einen Gott

4.2.1

Islamischer Glaube

Der Islam ist heute mit ca. 1,8 Mrd. Anhängern die zahlenmäßig zweitgrößte Religion der Erde nach dem Christentum. Entstanden auf der Arabischen Halbinsel Anfang des 7. nachchristlichen Jahrhunderts, liegt seine schwerpunktmäßige Verbreitung heute nicht mehr in den arabischen Ländern des Nahen Ostens (ca. 350 Mio.), sondern in Südostasien: Die Länder mit den meisten Muslimen sind Indonesien (ca. 225 Mio.), Pakistan (ca. 200 Mio.), Bangladesh (ca. 150 Mio) und Indien (ca. 140 Mio). Stifter der Religion ist Muhammad (570–632), der ab 610 als Prophet in Mekka und nach seiner Auswanderung mit seinen Anhängern nach Medina im Jahr 622 (Beginn der islamischen Zeitrechnung) auch als Gründer eines ersten islamischen Gemeinschaftswesens wirkte. In den Jahren 610–632 erhielt er in unregelmäßigen Abständen Eingebungen, die für Muslime göttliche Offenbarung sind und die in Form des Korans verschriftlich und nach seinem Tod zu einem Kodex redaktionell zusammengestellt worden sind.362 Weitere Überlieferungen von Worten und Taten des Propheten wurden in Form von sog. Hadithen gesammelt. Sie bilden als Sunna (Tradition) zusammen mit dem Koran die wichtigsten religiösen Quellen für die islamische Theologie, das islamische Recht und die muslimische Frömmigkeit und religiöse Praxis. a)

Anbetung Gottes im islamischen Gebet

Das Pflichtgebet Im Gebet, besonders im täglichen Ritualgebet, kommt der muslimische Gottesglaube am dichtesten und authentischsten zum Ausdruck.363 Das islamische Pflichtgebet (salāt) konserviert und realisiert die ursprüngliche Glaubenserfahrung und ist damit zugleich die unhintergehbare Wurzel stets neuer Glaubenserfahrung von Generation zu Generation. Das Gebet stellt Kern und Quintessenz muslimischen Glaubenslebens dar – ein Muslim ohne regelmäßiges Gebet würde seinem Namen nicht gerecht, ist ein „Muslim“ doch im wörtlichen Sinn ein „sich Gott Hingebender“. Die Aufforderung zum Gebet kommt von Gott selbst in der Offenbarung des Korans, der in 114 Suren eingeteilt ist: „So diene mir und verrichte das Gebet, um meiner zu gedenken“ (20,14). Ja, der Mensch ist dazu erschaffen, Gott zu dienen: „Ich habe die Dschinn [Geister] und die Menschen nur dazu erschaffen, dass sie mir dienen.“ (51,56).364 Dieser Gottesdienst (‘ibāda, vgl. hebr. avoda) ist im Wesentlichen das

362 Vgl. Zirker, Koran. 363 Zum Folgenden vgl. Renz, Beten, 121–171; Schmid/Renz/Sperber, „Im Namen Gottes …“; Karimi, Gott. 364 Der Koran wird hier und im Folgenden, falls nicht anders vermerkt, zitiert nach der Übersetzung von Hans Zirker, Darmstadt 22007.

4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott

143

Gebet. Und Gebet ist „Gedenken“ oder „Erinnerung“ (dhīkr). Das Gebet ist nach islamischer Überzeugung die gedenkende Antwort des gläubigen Geschöpfes auf Gottes Anrede in der Offenbarung und somit die Hinwendung, die Umkehr zu Gott. Diese Hinwendung zum Schöpfer bedeutet Wohlergehen, Heil: „Gut ergeht es dem, der sich läutert, der des Namens seines Herrn gedenkt und betet.“ (87,15) Das Gebet hat sündentilgende Wirkung und das ständige Unterlassen des Gebets kommt dem Unglauben gleich, weil wahrer Glaube sich in der Praxis erweist. Deshalb soll der gesamte Alltag, das ganze Leben des Gläubigen von Gebet und Gottgedenken geprägt und durchzogen sein: „Wenn ihr dann das Gebet beendet habt, dann gedenkt Gottes im Stehen, Sitzen und auf der Seite liegend! Wenn ihr dann Ruhe habt, dann verrichtet das Gebet! Das Gebet ist für die Gläubigen eine nach Zeiten geordnete Vorschrift“ (4,103). Die fünfmal am Tag zu verrichtenden Pflichtgebete sollen innerhalb bestimmter Zeitspannen verrichtet werden: (1) Das Morgengebet zwischen Beginn der Morgendämmerung und Sonnenaufgang, (2) das Mittagsgebet zwischen dem Höchststand der Sonne und dem Beginn des Nachmittagsgebetes, (3) das Nachmittagsgebet ab dem Zeitpunkt, wo der Schatten eines Gegenstandes so lang ist wie dieser selbst, bis zum Sonnenuntergang, (4) das Abendgebet zwischen Sonnenuntergang und dem Ende der Dämmerung und schließlich (5) das Nachtgebet zwischen Ende der Dämmerung und dem Morgengebet. Die Gebetszeiten sind folglich abhängig vom jeweiligen Sonnenstand und verschieben sich daher täglich um einige Minuten. Wie in Judentum und Christentum wird der gesamte Tagesablauf eines gläubigen Muslims durch das Gebet strukturiert. So wird der Alltag, das ganze Leben zum Gottesdienst und zum Gottesgedenken. Vorbild dafür ist der Prophet Muhammad: ihn gilt es nachzuahmen. Das rituelle Gebet ist eine individuelle Pflicht jedes Muslims und jeder Muslima ab der Religionsmündigkeit (Pubertät), zugleich aber ein zutiefst gemeinschaftliches Geschehen, das die Zusammengehörigkeit unter den Muslimen weltweit zum Ausdruck bringt und die Solidarität untereinander stärkt, ja die islamische Glaubensgemeinschaft (Umma) konstituiert sich geradezu durch das gemeinsame Gebet. Der Muslim darf das rituelle Gebet zwar prinzipiell auch alleine vollziehen, das Gebet in der Gemeinschaft jedoch, angeführt vom Vorbeter (Imam), zählt nach Aussagen der Prophetentradition um ein Vielfaches mehr. Zumindest das Freitagsgebet muss von Männern, wenn möglich, in der Gemeinschaft verrichtet werden. Dennoch werden die meisten Gebete des Ritualgebets im Gegensatz zum jüdischen und christlichen Gottesdienst individuell gesprochen.

Vorbereitung auf den Gottesdienst: Gebetsruf und Waschungen Der Muezzin fordert vom Minarett aus oder auch innerhalb der Moschee die Gläubigen eines Viertels zum gemeinschaftlichen Gebet auf: Der Gebetsruf beginnt mit dem vierfachen Takbīr, einer der häufigsten islamischen Gebetsformeln, welche auch die verschiedenen Teile des Ritualgebets voneinander abgrenzt: „Allāhu akbar!“ – „Gott ist der Allergrößte!“ (Vgl. Sure 17,111; Ps 40,17; 70,5). Es ist hier dasselbe gemeint, was die christliche Theologie mit der Formel „deus semper maior“ ausdrückt: Gott ist

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4 Systematische Zugänge

derjenige, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann (Anselm von Canterbury), es gibt keine Macht, die Gott vergleichbar wäre.365 Dem Takbīr schließt sich die zweimalige Rezitation des Glaubensbekenntnisses (schahāda) an, das mit den Worten „Ich bezeuge“ eingeleitet wird. Es handelt sich also um eine feste Überzeugung, um eine Gewissheit die hiermit kundgetan wird. Der erste Teil des Glaubensbekenntnisses enthält das monotheistische Bekenntnis: „Es gibt keine Gottheit außer Gott“ (vgl. 27,26; 28,88). Das Bekenntnis beginnt also mit einer Verneinung: Die Existenz anderer Gottheiten neben dem einen Gott wird geleugnet und zurückgewiesen. Mehr noch geht es um die Ablehnung menschlicher Gottesbilder: „Im Kern geht es um die Einsicht, dass Gott nicht mit unserer Vorstellung von Gott identifizierbar ist. … Wer glaubt, muss die Verneinung Gottes durchlaufen, die Negation Gottes verinnerlicht haben.“366 Die formale wie inhaltliche Übereinstimmung mit dem jüdischen Glaubensbekenntnis, dem Sch’ma Jisrael, sowie dem ersten Gebot des Dekalogs ist offensichtlich (vgl. auch 1 Kor 8,4). Der zweite Teil des Glaubensbekenntnisses ist spezifisch islamisch und verweist auf die besondere Rolle des Propheten Muhammad im Offenbarungsgeschehen: Gott bediente sich seiner, um seine abschließende Offenbarung in Form des Korans der Menschheit mitzuteilen. Obwohl die Muslime stets großen Wert auf die Feststellung legen, dass Gott niemand beigesellt werden darf und Muhammad nur ein Mensch war, wird in der religiösen Praxis vieler Muslime Muhammad doch nicht selten in Nähe zu Gott gebracht. Muhammad wird nicht angebetet, aber sein Name kommt in Bekenntnis und Gebet vor und nicht selten wird er in der Volksfrömmigkeit sogar als Fürsprecher bei Gott angerufen. Bereits in koranischen Formeln wird Muhammad gleichsam als Autorität neben Gott gestellt: „Gehorcht Gott und dem Gesandten“ (z. B. 3,32), „Ihr, die ihr glaubt, glaubt an Gott und seinen Gesandten …“ (4,136). Bevor der Muslim mit dem Gebet beginnt, muss er rituelle Waschungen vollziehen, um so im Zustand kultischer Reinheit vor Gott hintreten zu können (vgl. 5,6). Die äußerliche, körperliche Reinigung symbolisiert dabei die innere, geistig-seelische Reinigung, die Umkehr und die Hinwendung zu Gott.

Gotteszentrierung: Ablauf und Inhalt des Ritualgebets Das islamische Pflichtgebet ist ein stark leibbetonter und ritualisierter Vollzug, in dem die vorgeschriebenen Gebetshaltungen den ebenfalls weitgehend festgelegten Inhalt der Gebete leibhaft-symbolisch zum Ausdruck bringen. Auch die Gebetsrichtung (qibla) nach Mekka ist von Bedeutung: In Mekka steht das „Haus Gottes“, eine Bezeichnung, die im Islam nur der Kaaba zukommt. Sich dorthin auszurichten heißt, sich auf Gottes Gegenwart auszurichten. Wie in konzentrischen Kreisen versammelt sich die weltweite muslimische Glaubensgemeinschaft um dieses eine Zentrum, wenn das Ritual- oder Pflichtgebet vollzogen wird. Das Morgengebet besteht aus zwei aufeinander folgenden Gebetseinheiten, das Mittags-, Nachmittags- und Nachtgebet aus vier und das Abendgebet aus drei Einheiten. Im Folgenden werden wesent365 Vgl. Renz/Gharaibeh/Middelbeck-Varwick/Ucar, Gott. 366 Karimi, Gott, 32 und 113.

4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott

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liche, aber nicht alle Teile einer Gebetseinheit wiedergegeben und kurz erläutert. Jedes rituelle Gebet beginnt mit dem Takbīr, währenddessen man steht und die Hände an die Ohren anlegt. Der Betende tritt damit in den Weihezustand ein. Dann folgt ein Lobpreis Gottes, dem Gloria der christlichen Liturgie vergleichbar: „Preis sei Dir, mein Gott, und Lob sei Dir und gesegnet ist Dein Name und erhaben sei Deine Herrschaft! Es gibt keinen Gott außer dir! Ich suche Zuflucht bei Gott vor dem gesteinigten Satan.“

Die Formel am Schluss, die auf Sure 16,98 zurückgeht und in Variation auch in den Suren 113 und 114 begegnet, nimmt auf die Vertreibung Satans aus dem Paradies Bezug (vgl. 38,77). Der Betende stellt sich also im Augenblick des Gebets unter den Schutz Gottes vor den Anfechtungen des Bösen, um nicht abgelenkt zu werden. Dann kommt das wichtigste und am häufigsten rezitierte islamische Gebet, von seiner Bedeutung her vergleichbar dem Vaterunser im Christentum, die erste Sure, im Arabischen al-Fātiḥa („die Eröffnende“) genannt, weil sie den Koran – einem Prolog gleichend – einleitet: „Im Namen Gottes, des Allerbarmenden und Barmherzigen. Das Lob gebührt Gott, dem Herrn aller Welt, dem Allerbarmenden und Barmherzigen, dem Herrscher am Tag des Gerichts. Dir dienen wir und dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen du Gnade schenkst, denen nicht gezürnt wird und die nicht irregehen.“

Der Betende beschließt die Fātiḥa und andere Gebete mit einem „Amen“, das hier dieselbe bekräftigende Funktion hat wie im Judentum und Christentum. Die erste Sure lässt sich strukturell in zwei Teile gliedern, die mit der Basmala eingeleitet werden, einer Formel, die das barmherzige Wesen und Handeln Gottes unterstreicht. Die Barmherzigkeit Gottes ist die wichtigste und wohl am häufigsten im Koran genannte Eigenschaft Gottes. Die Rezitation dieser Formel ruft nach muslimischer Überzeugung die göttliche Segenskraft auf diese Handlung herab. Der Basmala folgt ein litaneiartiger Lobpreis auf den unumschränkten Herrn der Welt, den barmherzigen Allerbarmer und Richter, wodurch implizit ein Bogen gespannt wird vom Beginn der Schöpfung bis zum Ende der Zeit. Der zweite Teil ist ein Bittgebet: Der Betende bekennt sich zunächst zu seiner Stellung als Diener Gottes, und bittet dann Gott um Hilfe. Gott hat den Menschen in der Offenbarung den Weg zum Leben und zum Heil gewiesen, doch der Mensch bedarf der helfenden Führung, um diesen Weg auch gehen zu können. Die, die irregehen und deshalb den Zorn Gottes erfahren werden, sind nicht von Gott dazu verdammt, sondern sie lehnen die helfende Gnade Gottes aus Hochmut und Unwissenheit ab. Gott zwingt die Menschen nicht: weder zum Heil noch zum Unheil. Das ZweiWege-Schema kennt auch die jüdische und christliche Tradition (vgl. Ps 1; 119; Mt 7,13f). Und auch das Vaterunser besteht aus einem Hymnus und einen Bittteil. Die

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Fātiḥa bildet nicht nur das Herz des Ritualgebets, sie enthält die Quintessenz der koranischen Botschaft: den Glauben an den einzigen, allmächtigen und barmherzigen Gott, der die Menschen durch seine Offenbarung zum Heil führen will, der aber auch über all jene Gericht halten wird, die sich seinem geoffenbarten Willen widersetzen. Nach der Rezitation der ersten Sure folgt bei den ersten beiden Gebetseinheiten eine weitere Koranrezitation, entweder eine kurze Sure wie etwa Sure 112 oder einige Verse aus einer längeren Sure; beliebt sind auch der sog. „Thronvers“ (2,255) und der „Lichtvers“ (24,35). Sure 112 ist nach der ersten Sure eine der am häufigsten rezitierten Suren. Friedrich Rückert hat versucht, den Rhythmus und die Endreime des Arabischen im Deutschen einigermaßen wiederzugeben: „Sprich: Gott ist Einer. Ein ewig reiner. Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, und nicht ihm gleich ist einer.“367

Diese kurze Sure 112 enthält das islamische Bekenntnis zur Einheit Gottes und entspricht von Inhalt und Bedeutung her dem jüdischen Sch’ma Jisrael. Das Wort „rein“ in der Rückert’schen Übersetzung ist hier nicht moralisch oder rituell zu verstehen: Das damit übersetzte arabische Wort meint eher „unzusammengesetzt“, also ewig, unvergänglich. Die Ablehnung der Zeugungsvorstellung in Bezug auf Gott wendet sich gegen die altarabischen Gottesvorstellungen ebenso wie gegen das christliche Bekenntnis von Jesus Christus als dem „Sohn Gottes“ (vgl. auch 19,88; 72,3).368 Dreimal wird anschließend der Lobpreis „Preis sei meinem Herrn, dem Erhabenen!“ gesprochen, während man sich tief verbeugt. Dass Gott dem Betenden nicht fern, sondern unmittelbar nahe ist, wird explizit mit der Formel bekannt: „Gott erhört den, der Ihn preist, Gott, unser Herr, Lob sei Dir!“, bevor sich der Betende mehrmals niederwirft, um mit der Stirn den Boden zu berühren. Die körperliche Geste wird hier wiederum zum Ausdruck einer inneren, seelisch-geistigen Haltung der Demut, Ergebenheit und Anbetung (vgl. 96,19). Auf den Fersen sitzend wird in der letzten Gebetseinheit der Frieden und Segen (baraka) Gottes auf den Propheten Muhammad und seine Gemeinde herab gerufen: „Ehre sei Gott und Anbetung und Heiligkeit. Friede sei mit Dir, o Prophet, und die Barmherzigkeit Gottes und Seine Segnungen. Friede sei mit uns und den frommen Dienern Gottes. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott, und ich bezeuge, dass Muhammad Sein Diener und Gesandter ist. O Gott, segne Muhammad und seine Nachfolger wie du Ibrahim und seine Nachfolger gesegnet hast. Wahrlich, Du bist der zu Lobende, der Ruhmreiche!“ 367 Der Koran in der Übersetzung von Friedrich Rückert, hg. von Hartmut Bobzin, Würzburg 2001. 368 Im Ökumenischen Glaubensbekenntnis der Kirche heißt es von Christus „gezeugt, nicht geschaffen“ – „Zeugung“ darf hier jedoch nicht im biologischen Sinn verstanden werden, sondern als Hervorgehen aus Gott, das die wesenhafte Gleichheit betont.

4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott

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Hinter diesem Gebet steht die Überzeugung einer gegenwärtigen Gemeinschaft aller lebenden Muslime mit Muhammad, seinen Vorfahren zurück bis Abraham und seinen Nachkommen – so wie die Kirche sich in Gemeinschaft mit den Heiligen aller Zeiten weiß. Nicht verpflichtend, aber dennoch häufig folgt an dieser Stelle ein Gebet mit der Bitte um Vergebung persönlicher Sünden, die vor allem Gott gegenüber und damit gegen den Bund mit Gott begangen wurden. Der Reumütige darf auf Gottes barmherzige Vergebung hoffen. Gott kann sogar den ersten Schritt zur Versöhnung tun: „Dann kehrte er sich ihnen wieder zu, damit auch sie umkehren. Gott ist der sich immer wieder Zukehrende und Barmherzige.“ (9,118) Das rituelle Gebet schließt mit dem Friedensgruß (salām) „Friede sei mit euch und Gottes Barmherzigkeit!“ ab, während man den Kopf nach rechts und nach links wendet. Auch diesen Akt des Friedensgrußes im gottesdienstlichen Rahmen haben die Muslime wieder mit Juden und Christen gemeinsam. Im Vergleich zum jüdischen und noch mehr zum christlichen Gottesdienst jedoch fällt auf, dass das islamische Pflichtgebet – selbst am Freitag sowie an den Festtagen – relativ einfach strukturiert, relativ kurz, sich wiederholend und damit auch nicht sehr variabel ist. So gibt es, anders als im jüdischen und christlichen Gottesdienst, keine wechselnden Lesungen und Lieder. Symbolhandlungen wie Sakramente fehlen abgesehen von den das Gebet begleitenden Körpergesten völlig. Die feierliche Koranrezitation ist die eigentliche rituelle, sakramentale Handlung im Islam, nämlich die Vergegenwärtigung des Offenbarungs- und Heilsgeschehens – vergleichbar mit der Toralesung im jüdischen Gottesdienst oder einer christlichen Wortfeier: Den Koran zu rezitieren heißt, Gottes Wort zu hören und damit in der Gegenwart Gottes zu stehen.369 Wie sehr die Koranrezitation als Ich-Du-Beziehung erlebt und gedeutet wird, zeigt folgende heilige Überlieferung aus dem Hadith, wonach Gott spricht: „Wer den Koran liest, ist wie jemand, der mit Mir spricht und Ich rede mit ihm“.370 Diese Überzeugung wird durch ein Prophetenwort gestützt: „Und niemals kommen Menschen in einem Haus der Häuser Gottes zusammen, um das Buch Gottes zu verlesen und miteinander zu studieren, ohne dass die Ruhe spendende Gegenwart Gottes [as-Sakīna] über sie herabkommt und die Barmherzigkeit sie bedeckt und die Engel sie umgeben und Gott sie bei denen erwähnt, die bei ihm sind.“371 Der Terminus Sakīna ist mit dem hebräischen Wort Schekhina („Einwohnung Gottes“) verwandt. So heißt es ganz ähnlich im Talmud: „Wenn zehn zusammensitzen und sich mit der Tora beschäftigen, ist die Schekhina selbst mitten unter Ihnen“ (Pirqe Avot, 3.7). Und Jesus verspricht: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter Ihnen“ (Mt 18,20). Das islamische Gebetsleben erschöpft sich nicht im rituellen Pflichtgebet. Vor, nach und außer den fünfmaligen Pflichtgebeten kann der Muslim weitere freiwillige Gebete vollziehen, die als verdienstvoll gelten. Dies können zusätzliche Gebetseinheiten sein, die sich an die jeweiligen Pflichtgebete anschließen oder diesen voraus 369 Vgl. Kermani, Gott. 370 Zit. nach Schimmel, Zeichen, 205. 371 Zit. nach Der Hadīth, 244.

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gehen oder auch zusätzliche Gebetszeiten wie etwa ein Gebet während der Nacht. Es können aber auch zu jeder Zeit individuelle, frei formulierte oder aus der Tradition entnommene Gebete gesprochen werden, die dann oft Bittgebete darstellen, in denen es um persönliche Anliegen geht.372 Der Gläubige kann sicher sein, dass Gott ihn hört. So spricht Gott zu Muhammad im Koran: „Wenn dich meine Diener nach mir fragen – ich bin nahe. Ich antworte dem Ruf des Rufenden, wenn er zu mir ruft.“ (2,186) Dies entspricht in Inhalt und Form der Überzeugung des Psalmisten: „Nah ist der Herr allen, die zu ihm rufen, allen, die zu ihm rufen in Treue.“ (Ps 144,18) Ob Gott aber die Bitten des Menschen auch erhört, hängt nicht von seiner Willkür ab, sondern davon, ob die Anliegen dem Wohl des einzelnen wirklich dienen. Jedenfalls zeigt die weit verbreitete Praxis des Bittgebets im Islam, dass man keineswegs von einer fatalistischen Vorherbestimmung ausgeht. Und doch bittet der gottergebene Muslim – wie der Christ im täglichen Vaterunser –, dass Gottes Wille geschehen möge.

Das Gottgedenken und die „schönsten Namen Gottes“ Gott selbst ruft im Koran wiederholt dazu auf, seiner sooft wie möglich zu gedenken, insbesondere durch stille oder laute Rezitation der göttlichen Namen: „So gedenkt meiner, dann gedenke ich euer!“ (2,152; vgl. auch 87,15; 3,41; 7,205). Das arabische Wort dafür, dhīkr, ist verwandt mit dem Hebräischen zākar und hat dieselbe Bedeutung: „gedenken“, „erinnern“ (vgl. Ps 63,7; 77,12). Meist geschieht dieses Gedenken Gottes nach dem rituellen Gebet (vgl. 2,200). Laut Koran hat „Gott die schönsten Namen“ (7,180; vgl. 17,110; 20,8; 59,24), mit denen der Gläubige Gott anrufen soll. Der Koran enthält eine Vielzahl solcher göttlichen Namen und Eigenschaften, welche in der islamischen Tradition dann zu Litaneien zusammengestellt und in der Regel symbolisch auf 99 beschränkt wurden. Diese „99 schönsten Namen Gottes“ spielen in der Theologie, in der Mystik und in der Volksreligion des Islam seit Jahrhunderten eine große Rolle, denn sie sagen etwas über das Wesen Gottes und seine Beziehung zum Menschen aus. Die Gemeinsamkeiten zum biblischen Gottesbild sind offensichtlich.373 Mit Hilfe von Gebetsketten (Tasbīḥ) wird eine bestimmte Formel, ein bestimmter Name oder werden alle 99 Namen immer wieder und unzählige Male leise rezitiert oder im Herzen meditiert. Eine christliche Entsprechung dazu in formaler Hinsicht ist im christlichen Herzensgebet oder dem ostkirchlichen Hesychasmus zu sehen, in dem – dem paulinischen Diktum „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,17) folgend – ununterbrochen der Name Jesu Christi angerufen wird, oder in Andachtsformen wie dem Rosenkranz. Auch diese Gebete werden mit der Gebetskette unterstützt, die Konzentration und Rhythmus erleichtert. Die christliche Rosenkranzkette verdankt sich wahrscheinlich sogar dem islamischen Gebrauch der Gebetskette. Im Folgenden ist die Liste der schönsten Namen in ihrer ungefähren Bedeutung nach at-Tirmidhī wiedergegeben, die wohl am weitesten verbreitet ist: „GOTT, der allein Gott ist, der Erbarmer, der Barmherzige (Sure 1,1), der König, der Heilige, der Inbegriff des Friedens, der Stifter der Sicherheit, der alles fest in der 372 Vgl. Schimmel, Wille. 373 Vgl. Khamehi, Namen.

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Hand hat, der Gewaltige, der Stolze, der Schöpfer, der Erschaffer, der Bildner (59,22– 24), der voller Vergebung ist (38,66; 39,5; 40,42), der bezwingende Macht besitzt (12,39; 13,16; 14,48), der Freigebige (3,8; 38,9.35), der Unterhalt beschert (51,58), der wahrhaft richtet, der Bescheid weiß (34,26), der bemessen zuteilt, der großzügig zuteilt (2,245), der niedrig macht, der erhöht (56,3), der Macht verleiht, der erniedrigt (3,26), der alles hört, der alles sieht (17,1; 40,20.56; 42,11), der Richter, der Gerechte, der Feinfühlige, der Kenntnis von allem hat (6,103; 21,63), der Langmütige (3,105), der Majestätische (2,255), der voller Vergebung ist, der sich erkenntlich zeigt (35,30.34; 42,11), der Erhabene, der Große, der Hüter (11,57; 34,21), der alle Dinge umsorgt und überwacht (4,85), der abrechnet (4,6.68; 33,39), der Erhabene, der Ehrwürdige (55,27.28), der Wächter, der bereit ist, zu erhören (11,61), der alles umfasst, der Weise (4,130), der Liebevolle (11,90; 85,14), der der Ehre würdig ist (11,73), der wiedererweckt, der Zeuge, der Wahrhaftige, der Sachwalter, der Starke, der Feste, der Freund, der des Lobes würdig ist, der (alles) erfasst, der (die Schöpfung) am Anfang macht, der (sie) wiederholt (85,13; 10,4.34; 39,19), der lebendig macht, der sterben lässt (3,156; 15,23), der Lebendige, der Beständige (3,2), der ins Dasein ruft, der Hochgelobte, der Eine, der Undurchdringliche (112,2), der Mächtige, der Allmächtige, der (die Dinge) vorausschickt, der (sie) zurückstellt, der Erste, der Letzte, der Sichtbare, der Verborgene (57,3), der Schutzherr (13,11), der Transzendente (13,9), der Gütige, der sich gnädig zuwendet (2,37.54.128), der sich rächt (32,22; 43,41; 44,16), der voller Verzeihung ist (4,43.99), der Mitleid hat (2,143; 24,20), der über die Königsherrschaft verfügt (3,26), der Erhabenheit besitzt, der Ehrwürdigkeit besitzt (55,27.78), der gerecht handelt, der versammelt, der auf niemanden angewiesen ist (2,263; 10,68), der reich (bzw. auf niemanden angewiesen) macht, der (die Dinge) abwehrt (oder: der Schutz gewährt), der Schaden bringt, der Nutzen bringt, das Licht, der rechtleitet, der Schöpfer ohnegleichen (2,117; 6,101), der Bestand hat, der alles erbt (15,23), der den rechten Weg weist, der voller Geduld ist.“374 Entscheidend aber ist die Gewichtung zwischen den spannungsvollen Eigenschaften Gottes und die ist im Islam wie im Christentum: Gott „hat sich selbst die Barmherzigkeit vorgeschrieben“ (6,12.54). b)

Das Gottesverständnis in Koran und islamischer Tradition

„Allāh“ – Eigenname oder Gottesbezeichnung? Das Wort „Allāh“ wird von den Muslimen selbst meist als Eigenname Gottes verstanden und verwendet und deshalb oft nicht übersetzt. Ursprünglich jedoch ist es das arabische Wort für Gott, entstanden aus der Zusammensetzung al-ilāh, „der Gott“ / „die Gottheit“. „Ilāh“ wiederum ist mit der hebräischen Gottesbezeichnung „El“ oder „Elohim“ verwandt. Und so haben auch die Christen und Juden in arabischsprachigen Gebieten das arabische Wort „Allāh“ für ihre Gottesanrede und -bezeich-

374 Zit. nach: Der Hadīth, 65–68.

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nung übernommen. „Allāh“ war bereits im vorislamischen Zentralarabien die Bezeichnung für einen bestimmten Gott im Götterhimmel. Zur Zeit Muhammads hatte dieser Allah offensichtlich bereits die Stellung eines Hochgottes, der als Schöpfer und Erhalter des Kosmos galt (vgl. 29,61.63) und den anderen Göttern überlegen war. Als bedeutende Gottheiten neben Allah wurden die Göttinnen Manat, Lat und Uzza verehrt. Der besondere Schritt der koranischen Botschaft durch Muhammad war nun, diese anderen Gottheiten endgültig entmachtet, ja ihre Existenz geleugnet und die alleinige Macht Allahs verkündet zu haben. An die Stelle der vielen Gottheiten treten im Koran und im Islam dann andere Mittlerwesen zwischen Gott und den Menschen, nämlich die Engel. Sie sind Diener Gottes (vgl. 43,19) und bilden dessen „Hofstaat“; sie legen Fürbitte bei Gott ein (42,5) und überbringen – wie der Erzengel Gabriel – Gottes Wort.

Der Einzige und Allmächtige Erst in der zunehmenden polemischen Auseinandersetzung Muhammads mit den Mekkanern tritt das eigentliche Zentrum der koranischen Verkündigung hervor: der strikte Monotheismus, die energische Ablehnung der Vielgötterei. Dem Schöpfergott darf keine weitere Macht an die Seite gestellt werden (schirk), weil es sonst Chaos im Kosmos gäbe: „Gott hat sich kein Kind genommen. Kein Gott ist neben ihm, sonst nähme jeder Gott das weg, was er erschaffen hat, und die einen unter ihnen erhöben sich gegen die anderen“ (23,91). Die Götter, die von den Polytheisten angebetet werden, sind menschengemacht, machtlos: „Sie haben sich außer ihm Götter genommen, die nichts erschaffen, aber erschaffen werden, die sich selbst weder schaden noch nützen können, weder über Tod noch Leben noch Auferstehung verfügen“ (25,3). Sie erhören die Menschen nicht und sorgen nicht für deren Unterhalt (vgl. 26,70–74; 29,17). Nur der eine, allmächtige Gott verdient Dankbarkeit und Anbetung, wie es folgender, vielleicht schönster Psalm des Korans ausdrückt: „Was in den Himmeln und auf der Erde ist, preist Gott. Er ist der Mächtige und Weise. Er hat die Herrschaft über die Himmel und die Erde. Er schenkt Leben und lässt sterben. Er ist aller Sache mächtig. Er ist der Erste und der Letzte, der Sichtbare und der Verborgene. Er weiß alles. Er ist es, der die Himmel und die Erde in sechs Tagen erschaffen und sich dann auf den Thron gesetzt hat. Er weiß, was in die Erde hineingeht und was aus ihr herauskommt, was vom Himmel herabkommt und was in ihn aufsteigt. Er ist bei euch, wo immer ihr seid. Gott durchschaut, was ihr tut. Er hat die Herrschaft über die Himmel und die Erde. Zu Gott werden die Sachen zurückgebracht. Er lässt die Nacht in den Tag übergehen und den Tag in die Nacht. Er weiß, was das Herz birgt. … Er ist es, der klare Zeichen auf seinen Diener herabsendet, um euch aus den Finsternissen herauszubringen ins Licht. Gott ist milde zu euch und barmherzig.“ (57,1–6.9)

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Der Schöpfer und Offenbarer Laut islamischer Überlieferung stellen die ersten fünf Verse von Sure 96 die erste koranische Offenbarung dar, die Muhammad, eingeflößt vom Erzengel Gabriel, erhalten hat: „Trag vor im Namen deines Herrn, der erschaffen hat, … Er hat mit dem Schreibrohr gelehrt, den Menschen gelehrt, was er nicht wusste.“ Die Offenbarung an Muhammad beginnt also mit einem Befehl Gottes: „Trag vor!“ oder „Rezitiere!“, arabisch „Iqra’!“, wovon das Wort „Koran“ (Qur’ān) abgeleitet ist.375 Gott offenbart sich als „Herr“ (rabb) und als Schöpfer der Welt und des Menschen: Auch wenn der Koran keine ausführlichere Schöpfungserzählung wie die Hebräische Bibel enthält (vgl. 41,9–12), so zieht sich der Schöpfungsgedanke wie ein roter Faden durch den gesamten Koran. Das Schöpfungshandeln Gottes ist in koranischer Sicht kein einmaliger, abgeschlossener Akt, sondern ein fortdauerndes Geschehen, das der Mensch in Form natürlicher Vorgänge erkennen kann: „Er bringt das Lebende aus dem Toten hervor und das Tote aus dem Lebenden. Er schenkt der Erde Leben nach ihrem Tod. So werdet auch ihr hervorgebracht“ (30,19). Gott ist also nicht einfach der Schöpfer des Anfangs der Welt, sondern auch deren Erhalter und Neuschöpfer am Ende: Er ist der Herr der Geschichte, einer linear, nicht einer zyklisch verlaufenden Geschichte. Als Herr der Geschichte hat sich Gott auch nicht von seiner Schöpfung entfernt, sondern ist ständig gegenwärtig und handelnd. Der Mensch ist in diesem Sinne völlig von Gott abhängig, ist auf sein erhaltendes Handeln angewiesen. Zurück zu Sure 96: Offensichtlich spielt der zitierte Vers besonders auf die von Gott geschenkte Fähigkeit des Menschen an, Gottes Wort in Form heiliger Bücher zu verschriftlichen (vgl. 4,113; 6,91). Gott ist also der Offenbarer und er sorgt dafür, dass der Mensch diese Offenbarung verstehen und in Form von Verschriftlichung und Rezitation bewahren kann. Gottes Barmherzigkeit zeigt sich vor allem in zweifacher Hinsicht, zum einen, indem er allen Völkern der Erde immer wieder Propheten geschickt hat, die den einen Gott und seinen Willen verkündet haben: „Sprecht: Wir glauben an Gott und an das, was zu uns herabgesandt wurde, und an das, was herabgesandt wurde zu Abraham, Ismael, Isaak, Jakob und den Stämmen, und an das, was Mose und Jesus zugekommen ist, und an das, was den (anderen) Propheten von ihrem Herrn zugekommen ist. Wir machen bei keinem von ihnen einen Unterschied. Und wir sind Ihm ergeben.“ (2,136)

Diese Botschaften sind „Rechtleitungen“, Wegweisungen, die denjenigen, der diesen folgt, zum Heil in Diesseits und Jenseits führen. Der Koran weiß aber auch um die Schwäche des Menschen, der immer wieder hinter dem Willen Gottes zurückbleibt. Und so zeigt sich Gottes Barmherzigkeit zum anderen auch in seiner Bereitschaft zur Vergebung, wenn der Sünder bereut und zu Gott umkehrt.

Der Barmherzige und der Richter

Ein weiteres Charakteristikum des koranischen Gottesbildes drängt sich auf, wenn man die Koransuren liest, die in der gegenwärtigen Forschung als die frühen mekkanischen Suren gelten: der Gerichtsgedanke. In fast der Hälfte dieser Suren stellt die 375 Vgl. Bobzin, Koran.

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Ankündigung und Schilderung des Jüngsten Tages und des Gerichts das Hauptthema dar (z. B. 81, 82, 99, 100, 101). Gott ist also auch der „Herrscher am Tag des Gerichts“ (1,4), der Richter. Die Warnung vor dem drohenden Gericht war eines der Hauptmotive in der Sendung Muhammads: Gott wird die Sünder und Frevler bestrafen, die Höllenqualen werden drastisch sein. Gott wird gleichzeitig aber auch als der Barmherzige gepriesen, der sich immer wieder den Sündern zuwendet und Vergebung anbietet (vgl. 9,118). Die Gläubigen werden dereinst die ewigen Freuden des Paradieses genießen (9,72). Ähnlich wie die christliche Hoffnung auf die selige Schau Gottes („visio beatifica“), verspricht auch der Koran den Gläubigen die Gottesschau: „An jenem Tag gibt es strahlende Gesichter, die zu ihrem Herrn schauen“ (75,22f). Beide Aspekte Gottes, der Gütige und Barmherzige einerseits und der gerechte Richter andererseits, stehen – wie in der Bibel – in einer unauflöslichen Spannung zueinander, aber schließen sich nicht aus: „Sie dienten, jede auf ihre Weise, dem Ziel, auf das Mohammeds Predigt ausgerichtet war: die Mitmenschen aus ihrer bisherigen Gedankenlosigkeit und primitiven Selbstsicherheit wachzurütteln und zu einer von Grund auf neuen, echt religiösen Lebenshaltung zu bekehren.“376 Entscheidend ist die Gewichtung: Die Barmherzigkeit Gottes steht im Koran wie in der Bibel eindeutig im Vordergrund; sie hat insgesamt stärkeres Gewicht als der Gerichtsgedanke, was allein daran deutlich wird, dass jede Koransure (mit Ausnahme von Sure 9) mit der Formel „Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers“ beginnt. „Die Grundstimmung des Korantextes ist tröstlich“377, sie will eine „frohe Botschaft“ (16,89; vgl. 4,165; 5,19; 33,45–47), ein „Evangelium“, sein. Entsprechend spielt die Barmherzigkeit Gottes auch in der islamischen Theologie eine bedeutende Rolle.378 Für den zeitgenössischen Korankommentator Yusuf A. Ali beinhaltet die göttliche Barmherzigkeit „Güte, Langmut, Geduld und Vergebung, alles, wessen der Sünder bedarf und der allbarmherzige Gott in reichlichem Maß gewährt. Aber es gibt eine Barmherzigkeit, die gewährt wird, noch bevor sie gebraucht wird, die Gnade, die immer gegenwärtig ist und sich vom allgnädigen Gott auf all Seine Geschöpfe ergießt, die sie beschützt, bewahrt, rechtleitet und zum klareren Licht und höheren Leben führt.“379 Im Koran wird allein von der Eigenschaft der Barmherzigkeit ausgesagt, dass Gott sie „sich selbst vorgeschrieben“ habe (6,12.54). An anderen Stellen wird darauf insistiert, dass Gottes Gnade nicht zu messen ist (vgl. 14,34; 16,18). Dieser Vorrang der Barmherzigkeit wird noch deutlicher in einer heiligen Überlieferung außerhalb des Korans, nach der Gott sich selbst vorschrieb: „Meine Barmherzigkeit hat über meinen Zorn gesiegt“380. Eine entsprechende Überlieferung enthält der Babylonische Talmud, wonach Gott selbst betet: „Es sei Wohlgefallen von mir her, dass mein Erbarmen meinen Zorn niederdrücke und dass sich mein Erbarmen über meine ande376 377 378 379 380

Paret, Mohammed, 79. Wild, Mensch, 16. Vgl. Khorchide, Islam; Ders./Karimi/von Stosch, Theologie; Khorchide, Offenbarung. Abdullahi, Qur’an, 14, Anm. 19. Zit. nach Koran (Übersetzung nach Khoury), 500.

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ren Eigenschaften wälze, dass ich mit meinen Kindern in der Weise des Erbarmens verfahre und ich mich ihnen zuwende, fern von strengem Gericht“ (bBer 7a).381 Der Begriff der Liebe Gottes zu den Menschen kommt auch – wenn auch nicht sehr häufig – im Koran vor und steht im Kontext der göttlichen Barmherzigkeit und Sündenvergebung: „Bittet euren Herrn um Vergebung und wendet euch hierauf (reumütig) wieder ihm zu! Mein Herr ist barmherzig und liebreich“ (11,90; vgl. 85,14). Oder: „Wenn ihr Gott liebt, dann folgt mir, damit (auch) Gott euch liebt und euch eure Schuld vergibt“ (3,31; vgl. 2,165; 5,54). Hier ist die Liebe zu Gott und die Umkehr des Menschen offenbar Voraussetzung für die Liebe Gottes zum Menschen. In der islamischen Theologie war die Rede von der „Liebe“ des Menschen zu Gott durchaus möglich, wurde aber – ähnlich dem biblischen Verständnis – häufig als „Gehorsam“ gegenüber Gott interpretiert, da der Terminus „Liebe“ „im eigentlichen Sinn nur zwischen Geschöpfen gleicher Art gebraucht werden“ dürfe.382 In der islamischen Mystik dagegen wurde der Begriff der Gottesliebe ungeniert benutzt und konnte als der mystische Pfad zu Gott verstanden werden. Die islamische Mystik war keine esoterische Religion von Minderheiten, sondern durchdrang und prägte ganz wesentlich die islamische Volksfrömmigkeit und zum Teil auch die Theologie. Aber auch in der islamischen Mystik blieb Gott der eine und allmächtige: die Gottheit Gottes löst sich selbst im Sufismus nicht auf in einen kosmischen Pantheismus und die Liebe zwischen dem Geschöpf und dem Schöpfer ist und bleibt eine Liebe zwischen zwei ungleichen Partnern. Nicht Einswerdung, sondern „Entwerdung“ der menschlichen Seele im Allmächtigen war und ist das Ziel des Sufi.

Der Transzendente und Immanente Gott ist „der Sichtbare und der Verborgene“, heißt es in Sure 57,3, d. h. Gott ist der Immanente, der Gegenwärtige, der Erfahrbare und zugleich der Transzendente, ganz Andere, alles Übersteigende. Der Koran betont immer wieder die Unvergleichlichkeit Gottes (42,11: „Nichts ist Ihm gleich“) und doch gibt es eine ganze Reihe von sehr menschenähnlichen Aussagen im Koran, die der späteren islamischen Theologie nicht wenige Schwierigkeiten bereitet haben. Die menschenähnlichste Aussage ist natürlich die, dass Gott „spricht“ und zwar in einer Sprache und in einer Weise, die der Mensch hören und verstehen kann. Gott hat auch ein „Angesicht“, das der Mensch sogar finden kann (2,115) – andererseits können menschliche Blicke ihn nicht erreichen (vgl. 6,103); er hat „Augen“ (11,37), „Hände“ (3,26; 38,75; 39,67), er „hört“ den Ruf des Menschen, er sieht, schreibt, er sitzt auf seinem Thron wie ein König (10,3). Auch sehr menschliche Affekte werden Gott zugeschrieben, wenn auch der Koran äußerst sparsam mit derartigen Zuschreibungen in Bezug auf Gott ist: Er zürnt (1,7), er ist stolz, er verflucht (4,93) und – er ist liebevoll (vgl. 11,90; 85,14). Viele islamische Theologen werden all diese Aussagen später als metaphorische Aussagen interpretieren – die „Hände“ Gottes etwa stehen dann für seine Macht oder seine Gnade –, andere aber nehmen sie durchaus wörtlich, handeln sich dadurch aber ei381 Zit. nach Mayer, Talmud, 567. 382 Schimmel, Studien, 1.

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nige theologische Probleme ein. Die sich schließlich mehrheitlich durchsetzende Auffassung war, dass derartige Aussagen weder wörtlich noch metaphorisch zu verstehen, sondern einfach zu verwenden seien, „ohne nach dem Wie zu fragen“. Den Glauben, der Verstehen sucht, befriedigt dies nicht. Der Koran selbst bringt Vergleiche oder Gleichnisse in Bezug auf Gott, wie in dem bei Muslimen beliebten „Lichtvers“ (24,35). Der koranische Gott ist weder männlich noch weiblich, die Anrede Gottes als „Vater“ oder „Mutter“ wird im Islam vehement zurückgewiesen. Das arabische Wort für Gott, Allāh, ist grammatikalisch gesehen jedoch männlich und Gott hat – wie in der Bibel – eine Vielzahl deutlich männlicher Eigenschaften und Namen (König, Herr, Richter etc.). In allen drei Religionen hatte dieses männlich dominierte Gottesbild eine verheerende patriarchale Wirkungsgeschichte, deren Folgen bis heute noch nicht vollends aufgearbeitet und beseitigt sind. In allen drei Religionen aber gibt es eine feministische Theologie, die diese patriarchale Tradition kritisch aufarbeitet und zu überwinden sucht. Sie verweist zum Beispiel darauf, dass die „Barmherzigkeit“ Gottes allein schon vom semitischen Wortursprung her („Mutterschoß“) eine weibliche Eigenschaft ist. Auf die Gegenwart Gottes, die der Muslim im Gebet und vor allem in der Koranrezitation erfährt, wurde bereits hingewiesen. Gott ist allgegenwärtig: „Gott gehört der Osten und der Westen. Wohin ihr euch auch wendet, dort ist Gottes Antlitz.“ (2,115) Gott ist dem Menschen „näher als die Halsschlagader“ (50,16). Die Immanenz Gottes ergibt sich logisch aus seiner Allmacht: Gott hat sich aus keinem Bereich seiner Schöpfung zurückgezogen. In den Vorgängen der Natur schließlich gibt es eine Vielzahl von „Zeichen“, die auf Gott hinweisen (vgl. 2,164; 6,95–99). Diese Zeichen verweisen auf die transzendente Wirklichkeit hinter der sichtbaren Wirklichkeit der Dinge, auf Gott selbst also oder auf seine Eigenschaften, womit eine Parallele zur katholischen Auffassung von der natürlichen Gotteserkenntnis gegeben ist, wenn das Erste Vatikanische Konzil (1869–1870) formuliert: „Gott, aller Dinge Grund und Ziel, kann mit dem natürlichen Licht der Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Sicherheit erkannt werden“ (DH 3004). Schließlich spricht der Koran wiederholt vom „Geist Gottes“: So bläst Gott dem Menschen bei der Schöpfung von seinem Geist ein (vgl. 32,9; 15,29). Hier handelt es sich also um die lebensschaffende Kraft Gottes. Im Zusammenhang mit der Offenbarung ist auch vom „Geist der Heiligkeit“ die Rede (vgl. 16,102) und Jesus ist mit dem „Geist der Heiligkeit“ gestärkt (2,87; 5,110), ja Jesus ist „Geist von Gott“ (vgl. 4,71). Diese Formulierungen dürfen nicht im christlich-trinitarischen Sinn verstanden werden, aber sie weisen auf das Wirken Gottes in dieser Welt hin. Exkurs: Der ethische Monotheismus von Judentum, Christentum und Islam

Anbetung des einen Gottes Der koranische Monotheismus ist – wie der biblische – ein zutiefst ethischer Monotheismus: Die Anerkennung des einen Gottes impliziert die Anerkennung seines Willens, der sich in konkreten ethischen Geboten ausdrückt und auswirkt. So kennt der

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Koran wie die Bibel Gebotsreihen, die die Einheit von Monotheismus und Ethik klar vor Augen stellen. Eine dieser Gebotsreihen findet sich in Sure 17,22–36. Sie beginnt wie der Dekalog mit dem Fremdgötterverbot: Ex 20,3 Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat; aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.

Sure 17,22–23 Setze Gott keinen anderen Gott zur Seite, sonst wirst du dasitzen, gescholten und im Stich gelassen. Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr nur Ihm allein dienen sollt.

Wichtig für den biblischen Dekalog ist der Beginn, nämlich die Erfahrung der Befreiung aus ägyptischer Sklaverei durch Gott. Den folgenden Geboten und Verboten geht also die Erfahrung des Befreiungshandelns Gottes voraus, was in der späteren christlichen Auslegung oft vergessen worden ist. Die koranische Gebotsliste wird nicht unmittelbar damit eingeleitet, aber die Sure 17 nimmt zu Beginn (VV. 2–8) auf Mose und das Volk Israel Bezug. Das zweite Gebot des biblischen Dekalogs, von Gott kein Bild anzufertigen, ist im Koran selbst noch nicht explizit enthalten, implizit jedoch in Sure 22,26, wo Abraham die Kaaba von Götzenbildern reinigt. Explizit ist das Bilderverbot aber in der Prophetentradition (Sunna) enthalten und wurde zu einem der wichtigsten Kennzeichen des islamischen Monotheismus.383 In diesem Punkt hat der Islam eine größere Nähe zum Judentum als zum Christentum, das das Bilderverbot (außer in der evangelisch-reformierten Tradition) nicht beibehalten hat. Aber es gibt auch sprachliche und gedankliche Bilder von Gott, die nicht mit der Wirklichkeit Gottes selbst verwechselt werden dürfen. So stehen Juden, Christen und Muslime gemeinsam vor der Aufgabe, immer wieder lieb gewordene Bilder von Gott zu zerbrechen. Letztlich geht es beim biblischen und koranischen Bilderverbot ja um das Fremdgötterverbot: Unser Herz sollen wir nicht an die selbstgemachten, irdischen Götter und Gottesbilder hängen, sondern nur an den einen und wahren Gott. Eine koranische Parallele zu dem Gebot, den Namen Gottes nicht (magisch) zu missbrauchen, ist in dem Gebot von Sure 2,224 zu finden, nicht leichtfertig beim Namen Gottes zu schwören oder Eide abzulegen. Positiv formuliert, fordert der Koran dazu auf, Gott nur mit den von ihm selbst in der Offenbarung kundgegebenen Namen anzurufen: Ex 20,7 Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht.

Sure 7,180 Gott gehören die schönsten Namen. So ruft Ihn damit an und lasst die stehen, die über seine Namen abwegig denken. Ihnen wird vergolten für das, was sie taten.

Juden, Christen wie Muslime müssen sich fragen lassen, ob sie nicht immer wieder gegen dieses Gebot leichtfertig verstoßen, vor allem dann, wenn sie Gottes Namen für politische Zwecke oder andere, ganz irdische Dinge in Anspruch nehmen und damit 383 Vgl. Naef, Bilder.

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missbrauchen. „Gott will es!“ oder „Allāhu akbar!“ werden dann schnell zu Schlachtrufen, die eher vordergründigen menschlichen Zielen als dem Willen Gottes entsprechen. Das nächste Gebot, das die Beziehung zwischen Mensch und Gott regelt, ist im Koran nicht enthalten, nämlich die Sabbatheiligung als Erinnerung an das Ausruhen Gottes nach vollbrachter Schöpfung (Ex 20,11) sowie als Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten (Dtn 5,15). Dem Islam ist die Vorstellung, der allmächtige Gott müsse nach getanem Schöpfungswerk „ausruhen“, zu vermenschlichend (vgl. 50,38, aber auch Jes 40,28). Herausgehoben ist in der islamischen Woche der Freitagnachmittag, an dem das Pflichtgebet der Männer in der Moschee stattfinden muss und währenddessen die Kaufgeschäfte ruhen sollen (vgl. 62,9). Ein völliger Ruhetag dagegen ist dem Islam fremd; damit fehlt hier die für den biblisch-christlichen Kontext bedeutsame sozialethische, befreiende Komponente des Sabbats oder Sonntags, die gerade auf die Schwachen im Arbeitsleben zielt. Für Christen ist mit diesem Ruhetag außerdem ein eschatologischer Aspekt verbunden, nämlich der Ausblick auf die Auferstehung und das Ewige Leben.

Ehrfurcht vor dem Leben und dem Gut des Anderen Von Bedeutung ist, dass im Koran wie in der Bibel die zwischenmenschlichen Beziehungen gleichsam die andere Seite der gott-menschlichen Beziehung darstellen: Wer gegen die Gebote der zweiten Tafel verstößt, vergeht sich auch an Gott. Das Gebot, die Eltern zu ehren, stellt nach biblisch-christlicher Tradition deshalb die innere Verknüpfung zwischen der ersten und der zweiten Tafel dar. Auch für den Islam ist dieses Gebot von großer Bedeutung: Ex 20,12 Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.

Sure 17,23–24 23 ... und dass man die Eltern gut behandeln soll. Wenn eines von ihnen [Vater oder Mutter] oder beide bei dir ein hohes Alter erreichen, so sag nicht zu ihnen: ,Pfui!‘ und fahre sie nicht an, sondern sprich zu ihnen ehrerbietige Worte. 24 Und senke für sie aus Barmherzigkeit den Flügel der Untergebenheit und sag: ,Mein Herr, erbarm dich ihrer, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war‘ ...

Das biblische Gebot der Elternehrung ist mit einer Verheißung verbunden: „damit du lange lebst“. Der Koran gibt eine Begründung für das Gebot: So wie die Eltern das Leben der Kinder geboren, ernährt und beschützt haben, sollen die erwachsen gewordenen Kinder die greisen Eltern ehren und versorgen. Es geht hier also um einen „Generationenvertrag“. Güte und Dankbarkeit sollen das Verhalten gegenüber den Eltern und Alten prägen, so wie Dankbarkeit gegenüber dem gütigen Schöpfergott. Allerdings hat das Gebot auch seine Grenzen, wenn die Eltern einen zum Unglauben verführen: „Wenn sie dich aber bedrängen, mir etwas als Partner beizugeben, dann gehorche ihnen nicht.“ (Sure 31,15) Im Koran kommt nun ein Einschub von moralischen Geboten und Tugenden:

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17,25 Euer Herr weiß besser, was in eurem Inneren ist. Wenn ihr rechtschaffen seid, so ist Er für die, die immer wieder umkehren, voller Vergebung. 17,26 Und lass dem Verwandten sein Recht zukommen, ebenso dem Bedürftigen und dem Reisenden, aber handle nicht ganz verschwenderisch. 17,27 Diejenigen, die verschwenderisch sind, sind Brüder der Satane; und der Satan ist gegenüber seinem Herrn sehr undankbar. 17,28 Und falls du dich von ihnen abwendest im Streben nach einer von dir erhofften Barmherzigkeit von deinem Herrn, so sprich zu ihnen milde Worte. 17,29 Und lass deine Hand nicht an deinem Hals gefesselt sein, aber strecke sie auch nicht vollständig aus. Sonst würdest du getadelt und mittellos dasitzen. 17,30 Dein Herr teilt den Lebensunterhalt großzügig, wem Er will, und auch bemessen zu. Er hat Kenntnis von seinen Dienern und Er sieht sie wohl.

Bibel und Koran und damit Judentum, Christentum und Islam sind sich in dem Grundsatz einig, dass jegliches Leben von Gott kommt und daher allein in Gottes Macht steht. Das menschliche Leben hat dabei besonderen Rang, ist der Mensch doch nach biblischem Verständnis „Gottes Ebenbild“, nach islamischem Verständnis „Stellvertreter Gottes auf Erden“ (2,30). Aus dieser einzigartigen Würde des Menschen resultiert die prinzipielle Unantastbarkeit menschlichen Lebens. So gibt es im Koran eine Aussage, die nahezu wörtlich auch im Talmud (Mischna Sanhedrin IV,5) enthalten ist: „Wenn einer jemanden tötet, ohne dass es Vergeltung wäre für einen anderen oder für Unheil auf der Erde, dann ist das, als ob er die Menschen allesamt getötet hätte. Wenn aber einer jemandem Leben schenkt, dann ist das, als ob er den Menschen allesamt Leben geschenkt hätte.“ (5,32).

Der Koran verbietet ausdrücklich das Töten von Kindern, wie dies in der vorislamischen arabischen Gesellschaft aus Angst vor Verarmung der Fall war: Ex 20,13 Sure 17,31 Du sollst nicht mor- Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung. Ihnen den. und euch bescheren Wir doch den Lebensunterhalt. Sie töten ist eine große Sünde.

Von diesem Grundsatz des Lebensschutzes jedoch scheinen alle Religionen auch Ausnahmen zu machen: So kennt die Hebräische Bibel die Todesstrafe für bestimmte Verbrechen wie Totschlag und Ehebruch (vgl. Lev 24,17) oder sogar für das Schlagen oder Verfluchen der Eltern (vgl. Ex 21,15.17). Auch das Töten im Krieg ist erlaubt. Verboten sind nach biblischer Tradition also lediglich das „ungesetzliche Töten“ und der Mord. Erst das moderne Menschenrechtsdenken hat hier ein Umdenken in Judentum und Christentum zur Folge gehabt. Auch der Koran erlaubt das Töten von Menschen in bestimmten, allerdings nur von Gott erlaubten Fällen: „Und tötet nicht den Menschen, den Gott für unantastbar erklärt hat, es sei denn bei vorliegender Berechtigung. Wird jemand ungerechterweise getötet, so geben Wir seinem nächsten Verwandten Vollmacht (ihn zu rächen). Nur soll er nicht maßlos im Töten sein; siehe er wird Beistand finden.“ (17,33)

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Es handelt sich hier um das sog. Talionsrecht, wie es bereits in der Bibel im Prinzip „Auge für Auge, Zahn für Zahn“ (Ex 21,23–25) begegnet. So barbarisch dieses Prinzip dem modernen, aufgeklärten Betrachter heute vorkommen mag, für die damalige Zeit, in der es keinen Rechtsstaat im heutigen Sinne gab, bedeutete es einen Fortschritt in der Rechtsgeschichte: Erstens galt dieses Prinzip ohne Ansehen der Person (Gleichheitsgrundsatz), zweitens wird die Rache und damit die Spirale der Gewalt begrenzt und an bestimmte Bedingungen geknüpft. Primär geht es um Entschädigung, sofern dies möglich ist, sowie um das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Vergehen und Strafe. Der Koran kennt als Ergänzung zum Talionsrecht außerdem das Gebot zur Versöhnung und Vergebung: „Eine böse Tat soll mit etwas gleich Bösem vergolten werden. Wer aber verzeiht und Besserung schafft, dessen Lohn obliegt Gott“ (42,40). Einig sind sich Judentum, Christentum und Islam in der Verurteilung von Unzucht und Ehebruch, auch wenn die Ehe jeweils einen unterschiedlichen theologischen Stellenwert einnimmt: Ex 20,14.17 Sure 17,32 Du sollst nicht Ehe brechen. Und nähert euch nicht der Unzucht. Sie ist etwas Du sollst nicht nach der Frau dei- Schändliches, und sie ist ein übler Weg. nes Nächsten verlangen.

Im Islam gehört die Ehe zwar auch zur natürlichen Schöpfungsordnung, doch ist sie in erster Linie ein zivilrechtlicher Vertrag, der nach dem klassischen Recht vom Mann jederzeit und grundlos aufgelöst werden kann, während eine Frau sich nur bei berechtigten Gründen vor Gericht scheiden lassen kann. Die biblisch-christliche Vorstellung, wonach die monogame Ehe zwischen Mann und Frau Abbild der treuen Beziehung Gottes zu seinem Volk sein soll, ist dem Islam fremd. Liebe und Sexualität zwischen Mann und Frau werden im Koran wie in der Bibel positiv und als „Zeichen“ gewertet, die auf Gottes gute Schöpfungsordnung verweisen und die ihren Platz in der legitimen Ehe haben. Jede außereheliche geschlechtliche Beziehung wird als „Unzucht“ gewertet, Ehebruch verurteilt (vgl. 24,2; 17,32; Mt 5,27f). Nicht akzeptabel jedoch ist für unser heutiges Verständnis von Menschenrechten die in islamischen Gesellschaften immer noch praktizierte strafrechtliche Verfolgung derartiger Vergehen, die nach dem klassischen islamischen Rechtssystem (Scharia) mit Körperstrafen bis hin zur Steinigung belegt werden können.384 Das Verbot von Diebstahl und Veruntreuung formuliert der Koran mehrmals explizit (vgl. 60,12; 17,34; 6,152). Außerdem gebietet der Koran, im geschäftlichen Bereich nicht zu betrügen, sondern ehrlich und gerecht zu sein (vgl. 6,152; 17,35). Auch Zinswucher ist verboten, weil er lebenszerstörend ist (vgl. 2,278f). Hier zeigt sich die sozialethische Botschaft des Korans, die zugleich Kritik an bestehenden Missständen und Verhaltensweisen in der arabischen Gesellschaft übt. Muhammad und der Koran stehen damit in guter biblisch-prophetischer Tradition (vgl. Amos, Hosea, Jesus). Wie aktuell diese prophetische Botschaft heute noch ist, zeigen die ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen, die andere Menschen häufig auf sehr subtile Weise ausbeuten 384 Zu einer modernen Interpretation vgl. Khorchide, Scharia; Ders., Gott.

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und ihre Lebensgrundlagen zerstören. Auch die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit gegenüber den Mitmenschen, besonders vor Gericht, fordert der Koran ein: „Sprecht zutreffende Worte“ (33,70). Denn Heuchelei, üble Nachrede und Verleumdungen sind verderblich und können wie Diebstahl Lebensgrundlagen und damit Leben selbst zerstören (vgl. 2,264; 24,19; 4,122). Zur islamischen Ethik gehört schließlich ganz zentral die Fürsorge gegenüber den Armen, Bedürftigen, Waisen, Witwen, Gefangenen: „Zu lösen der Gefangenen Band; Zu speisen, wenn der Hunger im Land, Den Waisen, der dir verwandt, Den Armen, der dir unbekannt … Das sind die Genossen der rechten Hand.“ (90,13–18, Übers. Friedrich Rückert)

Dass auch aus islamischer Sicht Gottes- und Nächstenliebe zusammengehören und im Mittelpunkt stehen, zeigt der „Offene Brief“ von 138 islamischen Gelehrten an christliche Würdenträger aus dem Jahr 2007 mit dem Titel „Ein gemeinsames Wort zwischen uns und euch“ („A Common Word“).385 In diesem Brief argumentieren die Muslime, dass das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe auch für sie verbindliche Grundlage des Lebens und des Dialogs mit Juden und Christen ist. c)

Gott in der islamischen Theologie und Mystik

Vorrang des rechten Handelns „Wie alle Propheten so war auch Muhammad kein Theologe. Die Offenbarung, die er empfing, enthielt kein systematisiertes Gottesverständnis“.386 Das Erfordernis, den Glauben an den sich im Koran geoffenbarten Gott in reflektierender und systematisierender Weise zu durchdringen und zu verteidigen, ergab sich aber schon bald nach Muhammads Tod mit der Konsolidierung und Ausbreitung des Islam in Gebieten außerhalb der Arabischen Halbinsel und durch die Begegnung mit christlichen Schulen und philosophischen Traditionen. Erste theologische Zentren und Schulen, vor allem im Irak (Basra, Kufa, später Bagdad), entstehen und bereits um 800 n. Chr. liegen so ziemlich alle wesentlichen theologischen strittigen Themen auf dem Tisch, die in den folgenden Jahrhunderten nur weiter vertieft und differenziert werden. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Rezeption griechischer Philosophie über die Vermittlung des syrischen Christentums. Wollte man sich argumentativ mit dem Christentum auseinandersetzen, konnte man sich nicht ohne Weiteres nur auf den Koran berufen, sondern musste Methoden und Begriffe der Argumentation übernehmen, die auch christlicherseits benutzt und anerkannt wurden, eben solche der griechischen Philosophie. Die Verteidigung des eigenen Glaubens führte so zur Entwicklung der rationalen und spekulativen Theologie im Islam (kalām). Der traditionelle Hauptstrom der Theologie versuchte, Vernunft und Offenbarung miteinander zu versöhnen und als sich wechselseitig bestätigende und ergänzende Erkenntnisquellen zu betrachten: Beides sind Gottes Gaben, die Offenbarung aber ist eindeutiger 385 www.acommonword.com/ Zu den christlichen Reaktionen vgl. Pratt, Engagement, 212. 386 Nagel, Koran, 222.

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und unfehlbar im Vergleich zur Vernunft und deshalb letztes Kriterium. Die Rolle der Vernunft beschränkt sich demnach auf die rationale Beschreibung, Durchdringung und Verteidigung der Offenbarungswahrheit. Anders als in der christlichen Theologiegeschichte, in der über Jahrhunderte zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen um die Trinitätslehre und Christologie geführt und breite Spekulationen über das Wesen Gottes betrieben wurden, spielte die Frage nach dem rechten Glauben („Orthodoxie“) im Islam – wie im Judentum – nie die primäre Rolle. Hier stand und steht viel eher die Frage nach dem richtigen Handeln („Orthopraxie“) im Vordergrund, die Frage nach der richtigen Erkenntnis des Willens Gottes, wie er sich in Offenbarung und Prophetentradition niedergeschlagen hat, und wie er von den Menschen in der jeweiligen Zeit zu erfüllen ist.

Die Spannung zwischen der göttlichen Allmacht Gottes und der menschlichen Freiheit Der Glaube an die Existenz und Einzigkeit Gottes ist erste Pflicht jedes Muslims, ja eigentlich jedes Menschen, weil nach islamischer Sicht der Monotheismus die dem Menschen naturgemäße, angeborene Religion ist (vgl. 30,30; 7,172). Zu den islamischen Grundüberzeugungen gehört aber auch der Glaube an die Existenz der Engel, an die Gesandten Gottes, an die geoffenbarten Schriften, an den Jüngsten Tag und schließlich an die göttliche „Bestimmung“. Letzteres impliziert eine schwierige theologische Problematik, denn mit „Bestimmung“ ist gemeint, dass nichts in der Schöpfung ohne den Willen Gottes geschieht. Heißt das, dass alles von Gott vorherbestimmt oder determiniert ist? Was bedeutet das hinsichtlich der menschlichen Willens- und Handlungsfreiheit? Wenn Gott letztlich für die menschlichen Handlungen, auch für die moralisch schlechten, verantwortlich ist, wie verträgt sich das mit der Gerechtigkeit Gottes? Eben das waren die ersten in der islamischen Theologie verhandelten theologischen Streitfragen. Während die einen die Handlungsfreiheit des Menschen und die Gerechtigkeit Gottes betonten (Mu‘taziliten), wollten die anderen die Allmacht Gottes um keinen Preis gefährden und schränkten dafür die Handlungsfreiheit des Menschen auf ein Minimum ein (Asch‘ariten). Nach Ansicht der letzteren erschafft Gott die Handlungen im Menschen, der Mensch aber eignet sich diese Handlungen an und ist damit im ethischen Sinne verantwortlich. Diese Lösung des Problems ist für manche muslimische Theologen heute nicht mehr befriedigend, weshalb sie den Raum der menschlichen Handlungsfreiheit wieder ausweiten. Ähnliche Diskussionen und Lösungsmodelle begegnen auch in der jüdischen und christlichen Theologiegeschichte (z. B. Augustins, Thomas v. Aquin, Jean Calvin), was zeigt, dass es hier um grundsätzliche Probleme monotheistischer Religionen geht.

Die Frage nach dem Wesen des Korans im Verhältnis zu Gott Schließlich stellte die islamische Theologie die Frage nach dem Wesen des Korans und dessen Verhältnis zu Gott: Ist der Koran göttlich und damit ewig, oder ist er in der Zeit von Gott geschaffen? Letzteres meinten die Vertreter der rationalen Theologie, die Mu‘taziliten, da aus ihrer Sicht die Annahme eines ungeschaffenen Wortes

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Gottes eine Vervielfältigung des Wesens Gottes implizieren würde. Andere dagegen hielten den Koran für die ungeschaffene Rede Gottes. Die sich letztlich als „orthodox“ durchsetzende Lehrmeinung des sunnitischen Islam spricht vom ungeschaffenen, ewigen Wort Gottes, das sich im geschaffenen, zeitlichen Koran niedergeschlagen hat. Hier ist eine gewisse Analogie zur christlichen Zwei-Naturen-Lehre zu erkennen, wonach Gottes ewiges, ungeschaffenes Wort in Jesus von Nazaret Mensch geworden ist. Beides sind letztlich theologische Versuche, Transzendenz und Immanenz Gottes zusammen zu denken, oder anders gesagt: Offenbarung zu denken. Anders als im Christentum jedoch wurden diese theologischen Probleme ab einem gewissen Zeitpunkt im Islam nicht weiter diskutiert und als erledigt betrachtet. Erst heute werden diese Fragen im Hinblick auf das Offenbarungs- und Schriftverständnis des Islam und im Kontext der interreligiösen Begegnung neu gestellt und erörtert.

Gott in der islamischen Mystik Eine Darstellung des islamischen Gottesverständnisses ohne eine Berücksichtigung des Sufismus, der islamischen Mystik, wäre defizitär. Stärker als im Christentum und Judentum nämlich hat die Mystik im Islam die Religiosität breiter Massen beeinflusst und geprägt, ja die Verbreitung des Islam in weiten Teilen des Balkans, Asiens und Afrikas ist ganz wesentlich durch mystische Strömungen und Orden geschehen. Obwohl es immer wieder zur Konfrontation mit der islamischen Orthodoxie kam, spielte und spielt der Sufismus eine unschätzbare Bedeutung für die islamische Volksfrömmigkeit, Kunst und Poesie. Die islamische Mystik steht natürlich auf dem Boden des Korans und der Prophetentradition, sie stellt zugleich aber bestimmte Aspekte des islamischen Gottesbildes ins Zentrum, die in der „Orthodoxie“ zwar vorhanden sind, aber eher unterbelichtet werden: Die Liebe und Barmherzigkeit Gottes.387 Gegenüber der Gotteserkenntnis im Glauben sucht der Mystiker die intuitive Schau und geistige Erfahrung Gottes, letztlich die liebende Vereinigung mit ihm (unio mystica), die „Entwerdung“ in Gott. Eine solche Erfahrung ist Gnade, bedarf aber auch des Willens und eines geistlichen Führers, der den Gottsucher auf seinem Pfad mit den verschiedenen Stationen wie Reue, Entsagung, Gottvertrauen, Dankbarkeit, Liebe und Erkenntnis führt. Die Techniken auf diesem Weg sind Gebet, Kontemplation und ständiges Gedenken Gottes (dhīkr), in manchen Orden (z. B. bei den Tanzenden Derwischen) auch Musik und Tanz bis zur Ekstase.

4.2.2

Eckpunkte einer christlichen Theologie des Islam

Der Dialog mit dem Islam und die Reflexion über das Verhältnis des christlichen Glaubens zur islamischen Religion sind in den letzten Jahren zu einem wichtigen Lernort christlicher Theologie geworden. Die Grundlage dafür legte katholischerseits die Kirchenkonstitution LG 16 und die Erklärung NA 3 des Zweiten Vatikanums, mit der die Kirche die Muslime erstmals nicht mehr als Heiden oder Häretiker, son387 Vgl. Schimmel, Dimensionen.

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dern als gläubige Menschen wahrnahm und würdigte, die unter dem Heilswillen Gottes stehen (s. o. 3.1.5 (3)). Der Islam als Religion wurde ganz dessen Selbstverständnis gemäß als monotheistische Religion anerkannt, die neben dem Glauben an den einen Gott und der religiösen Praxis wertvolle sittliche Normen vermittelt. Fundament einer katholischen Theologie des Islam – ob dies auch ökumenisch anschlussfähig ist, ist derzeit offen – ist die Annahme, dass die Muslime zum selben Gott glauben wie die Christen, wenn auch auf verschiedene Weise.388 Es handelt sich um denselben Gott als Referenzobjekt des Glaubens, aber es gibt neben fundamentalen Gemeinsamkeiten auch nicht zu vernachlässigende Unterschiede im Gottesverständnis. Die islamische Ablehnung der christlichen Trinitätslehre steht einer solchen Annahme der Selbigkeit Gottes nicht entgegen, wie sich aus dem jüdisch-christlichen Verhältnis her ableiten lässt: „Die Beziehung Gottes, der sich in seiner Schöpfung zeigt und allen Menschen nahe sein will, entscheidet sich glücklicherweise nicht an den menschlichen Gottesvorstellungen.“389 Da das Konzil nicht mehr mit dem vorkonziliaren Begriff einer „natürlichen Religion“ arbeitete, weil jede Beziehung zu Gott gnadenhaft von ihm geschenkte Beziehung ist, kann daraus geschlossen werden, dass die Kirche implizit von einer übernatürlichen Offenbarung auch im Islam ausgeht. Damit wird der Islam mit in die eine Offenbarungs- und Heilsgeschichte hineingenommen (inkludiert), ohne ihn freilich als einen dem christlichen Glauben ebenbürtigen Heilsweg zu betrachten: Der Islam enthält dank der universalen gnadenhaften Selbstmitteilung Gottes im Geist Wahres und Heiliges, das aber durch menschliche Schuld mit Unwahrem und Unheiligem vermischt ist, welches durch die definitive Selbstmitteilung in Jesus Christus überwunden oder aufgehoben werden muss, um zur Fülle der Wahrheit zu gelangen. Deshalb sieht die katholische Kirche weiterhin ihre Sendung darin, in Wort und Tat Zeugnis zu geben von der Botschaft Jesu Christi, wie sie in der Heiligen Schrift und kirchlichen Tradition verbürgt ist. Offen ließ das Konzil bewusst, was dies für die christliche Anerkennung des koranischen Offenbarungsanspruchs und des prophetischen Anspruchs Muhammads bedeutet und diese Fragen sind heute im Zentrum einer zu entwickelnden christlichen Theologie des Islam. NA 3 verweist immerhin auf die Differenz in der Sicht Jesu Christi und damit zusammenhängend im Gottesverständnis (Trinität) zwischen Christen und Muslimen, der möglicherweise entscheidende Widerspruch aber, die koranische Leugung des Kreuzestodes Jesu, wurde übergangen. Man kann daraus schließen, dass das Konzil keine pauschale Anerkennung des Korans als Offenbarungsschrift und Muhammads als Propheten formulieren wollte, zumal dies dem klassischen Grundsatz von der Abgeschlossenheit der Offenbarungsgeschichte mit dem Tod des letzten Apostels zumindest scheinbar widersprechen würde, zumindest dann, wenn man Offenbarung lediglich als unveränderliches depositum von Wahrheiten versteht. Mit dem Wandel dagegen, der sich bereits während des Konzils ereignete, von einem ausschließlich instruktionstheoretischen hin zu einem personal388 Vgl. Renz, Gott?, bes. 109–120, 179–187. 389 Middelbeck-Varwick, Aestimatione, 227.

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kommunikationstheoretischen Offenbarungsverständnis, das Offenbarung als Beziehung zwischen Gott und Mensch versteht, kann man theologisch verantwortet auch von Offenbarung sprechen, die zeitlich nach Jesus Christus und dem Neuen Testament stattfindet, bis in die Gegenwart und bis zum Eschaton, wenn man Geschichte als Heilsgeschichte versteht. Das Kriterium – und dies ist christlich-ökumenischer Konsens – für authentische Offenbarung freilich wird für den christlichen Glauben immer das Christusereignis bleiben und in diesem Sinne ist im Anschluss an Rahner besser von einer „Unüberholbarkeit“ der Offenbarung in Jesus Christus zu sprechen.390 Deshalb wird und kann eine christliche Theologie der Religionen nie anders denn „inklusiv“ sein, weil sie keinen anderen hermeneutischen und kriteriologischen Ausgangspunkt nehmen kann als das Christusereignis.391 Eine christliche Theologie des Islam wird somit im Koran nur das als geoffenbart, als vom Geist Gottes inspiriert, als transzendenten Ursprungs anerkennen können, was christlichem Glauben nicht widerspricht. Dies ist immerhin mehr als nur das anzuerkennen, was dem eigenen Glauben entspricht, d. h. christliche Theologie und christlicher Glaube können und müssen damit rechnen, dass die islamische Religion Werte, Einsichten, Praktiken enthält, die der christliche Glaube nicht hat und dennoch wertvoll sind für ein Leben in der Beziehung zu Gott und zur Schöpfung. Wenn Gott sich auch in der islamischen Religion nicht unbezeugt gelassen hat und wenn Gottes Wesen unendlich und unausschöpflich ist, so ist damit zu rechnen, dass Gott sich in der Begegnung der Christen mit dem Glauben der Muslime in bereichernder Weise erschließt. Der Glauben der Muslime, der sich wesentlich aus dem Koran und den Überlieferungen Muhammads speist, kann so zu einem Ort theologischer Erkenntnis und eines neuen Verstehens des eigenen christlichen Glaubens werden, weshalb sich die christliche Theologie in all ihren Disziplinen mit diesen Quellen und Glaubenszeugnissen zu beschäftigen und mögliche Konsequenzen für das eigene Selbstverständnis zu reflektieren hat. Mit den Worten Papst Johannes Pauls II. in Bezug auf Religionsgründer allgemein könnte man auch von Muhammad sagen, dass er „mit der Hilfe des Geistes Gottes eine tiefere religiöse Erfahrung gemacht“392 hat, die sich im Koran niedergeschlagen hat. Man könnte in Muhammad – mit all seinen menschlichen Fehlern – einen „inspirierten Ausleger“ der biblischen Offenbarung sehen und mit dem ostsyrischen Patriarchen Timotheus I. (8./9. Jh.) sagen, dass er „den Pfad der Propheten gegangen“ ist. Der Koran könnte als eine inspirierte „Auslegung der Bibel“393 verstanden werden, als eine Art Midrasch, eine aktualisierende und kontextualisierte Weitererzählung der biblischen Geschichten, und damit als Teil der vielfältigen und vielschichtigen jüdischen und christlichen Auslegungsgeschichte der Bibel. Der Koran ist die einzige nichtchristliche heilige Schrift, die ein Zeugnis von Jesus Christus gibt und diesen als Propheten, Gesandten, Friedensstifter, als Zeichen der Barmherzigkeit 390 391 392 393

Rahner, Tod, 265. Vgl. Middelbeck-Varwick, Aestimatione, 45. Generalaudienz 1998, zit. nach Fürlinger, Dialog, 94. Vgl. Schreiner, Koran,167–183.

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Gottes und sogar als ein „Wort von Gott“ und einen „Geist von Gott“ (4,171) anerkennt. Diese christliche Anerkennung in Bezug auf Muhammad und den Koran bleibt zwar hinter dem islamischen Verständnis zurück, wird dieses aber wohl nie einholen können, soll es nicht auf eine christliche Selbstaufgabe und Selbstwidersprüchlichkeit hinauslaufen, solange etwa die Leugnung des Kreuzestodes Jesu Christi und damit auch der Heilsbedeutung dieses Kreuzestodes für die Menschheit zum Grundbestand islamischer Glaubensüberzeugung gehört. Neuere Ansätze in der gegenwärtigen islamischen Theologie wie von Mahmoud Ayoub oder Mouhanad Khorchide394, die die entsprechende Koranstelle (4,157) entgegen der bisherigen Auslegungstradition anders interpretieren – nämlich nicht als Leugnung des Kreuzestodes, sondern als Bestätigung der Allmacht Gottes und des christlichen Auferstehungszeugnisses –, sind zu beachtende Entwicklungen, doch ob diese in absehbarer Zeit zum islamischen Mainstream werden, ist eher unwahrscheinlich. Sie machen jedoch deutlich, dass es in Theologie und Glaube stets um menschliche Interpretationen, um ein immer wieder neues und vertiefteres Erfassen der geschichtlich vermittelten göttlichen Selbstmitteilung geht. Die Geschichtlichkeit und Kontextualität der Glaubensaussagen und ihrer Interpretationen hat zur Folge, dass sich bestehende trennende Grenzen verschieben oder sogar auflösen können, dass „statische Festschreibungen und wechselseitige Fixierungen zugunsten der Analyse von wechselseitigen Prozessen, Dynamiken, Veränderungen und individuellen Perspektiven zu überwinden“395 sind. An der Stelle ist festzuhalten, dass Muhammad sich selbst als in einer Linie stehend mit den biblischen Propheten und auch mit Jesus gesehen hat, während aus christlicher Sicht Jesus mehr war als ein Prophet, der „lediglich“ – so die islamische Sicht – Sprachrohr einer göttlichen Mitteilung ist. Für den Dialog und für eine christliche Theologie des Islam ist es deshalb fundamental wichtig, die Asymmetrien zu erkennen und zu berücksichtigen, die in Bezug auf Muhammad und Jesus einerseits und Bibel und Koran andererseits bestehen und nicht überwindbar sind. Was Jesus Christus für Christen ist, das menschgewordene Wort Gottes, ist für Muslime am ehesten mit dem Koran als dem unmittelbaren Wort Gottes zu vergleichen, weshalb man hier in Analogie zur personalen Inkarnation von einer „Inlibration“ (erstmals bei Harry A. Wolfson) Gottes sprechen könnte.396 Natürlich sind Bibel und Koran heilige Schriften, die als solche eine zentrale Rolle in Gottesdienst bzw. Ritualgebet, in Frömmigkeit, Theologie und Recht spielen, und doch haben sie einen unterschiedlichen Stellenwert und eine unterschiedliche Funktion in beiden Religionen. Muhammad wäre aus christlicher Sicht nicht mit Jesus Christus zu vergleichen, sondern am ehesten mit dem biblischen Mose, einem Propheten, der seinem Volk göttliche Botschaften überbringt, dieses Volk religiös und politisch anführt, ihm ein Gesetz gibt und dabei notfalls auch Gewalt anwendet, um es vor Feinden zu verteidi-

394 Vgl. Ayoub, Muslim; Khorchide/Stosch, Prophet, 147–156. 395 Middelbeck-Varwick, Aestimatione, 44. 396 Vgl. dazu Renz, Mensch, 474ff.

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gen.397 Gerade diese in der christlichen Wahrnehmung traditionell negativ bewerteten Züge der Biographie Muhammads, dass er auch als politischer Führer, Gesetzgeber und Feldherr agierte, könnten in einem anderen Licht erscheinen und bewertet werden, würde man „Muhammad als Moses redivivus“398 sehen. Von zentraler Bedeutung für eine christliche Beurteilung und Würdigung Muhammads und des Islam ist ohne Zweifel die Gewaltfrage, doch die Sachlage ist komplex: Zum einen stellt sich die Quellenfrage, ob und wieweit die islamischen Überlieferungen (und nur solche liegen uns für die Frühzeit des Islam vor) historische Berichte sind.399 Nach diesen Quellen waren Muhammad und seine Anhänger in der Auseinandersetzung mit den Mekkanern nicht die Aggressoren, sondern haben sich gegen deren Angriffe verteidigt. Überfälle der muslimischen Auswanderer auf Karawanen der Mekkaner mögen freilich wiederum Anlass für die Mekkaner zu Angriffen gewesen sein, doch waren diese Überfälle in damaligem Gesellschaften üblich und für das Überleben der Auswanderer notwendig. Hier mit heutigen ethischen und rechtlichen Kategorien zu messen, erscheint anachronistisch. Die entscheidende Frage ist eher, wie man heute mit solchen Quellen umgeht, ob man sie für zeitlos gültig oder zeitbedingt und damit nicht mehr normativ hält. Eine christliche Theologie des Islam wird auch wie eine christliche Theologie des Judentums eine „Theologie im Angesicht“ sein, d. h. den eigenen Gottesglauben im Angesicht des anderen zu reflektieren und zu formulieren haben, weil sie dem Gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet ist.400 Da die islamische Theologie wie die jüdische eine Fundamentalkritik an der christlichen Inkarnations- und Trinitätslehre übt, wird sich die christliche Theologie hier in besonderer Weise stellen müssen, indem sie begriffliche Missverständnisse (etwa ein biologisches Verständnis von „Gottessohnschaft“ oder ein univokes Verständnis von „göttlicher Person“) ausräumt, den analog-metaphorischen Charakter jeglicher menschlicher Gottrede deutlich macht und schließlich den christlichen Trinitätsglauben und die Trinitätslehren als legitimen Auslegungsversuch eines sich in der Geschichte mitteilenden Gottes zu explizieren sich bemüht, ohne dabei das nicht-trinitarische monotheistische Gottesbekenntnis als defizitär abzuwerten401: „Wenn noch die Spekulation zurückfindet zur Anbetung dessen, der so überwältigend und freigebend, so unergründlich und unerschöpflich-siegreich Liebe ist, wird sie davor gefeit sein, sich rechthaberisch gegen andere Formen der Gott-Anrede in Szene zu setzen.“402 Denn die Geschichte der trinitätstheologischen Entwürfe zeigt doch gerade die eigene Kontextgebundenheit, Begrenztheit und nicht zuletzt Aporienhaftigkeit. 397 Vgl. Middelbeck-Varwick/Gharaibeh/Schmid/Yaşar, Boten, bes. 75–123. 398 So Ghaffar, Einordnung, 206. 399 Zur Biographie Muhammads empfehlenswert sind Bobzin, Mohammed, und Schöller, Mohammed. Aktuelle muslimische Perspektiven bieten Sarıkaya/Bodenstein/Toprakyaran, Muhammad. 400 Vgl. Körner, Kirche. 401 Vgl. Renz, Gottesvorstellungen; Tatari/Stosch, Trinität. 402 Werbick, Gott, 614.

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Grund für die Entwicklung des trinitarischen Bekenntnisses und danach der Trinitätslehre war die Überzeugung der ersten Christusgläubigen, dass ihnen in der Person Jesu Gott selbst in seiner liebenden Hinwendung erfahrbar und durch den Geist erschlossen wurde und weiterhin erfahrbar bleibt: Gott Vater als der Gott über mir, Gott Sohn als der Gott mit mir (Immanuel), Gott Heiliger Geist als der Gott in mir. Diese Heilserfahrung war also Ursache für die Ausbildung des trinitarischen Bekenntnisses, die Erfahrung, dass es Gott selbst war und nicht nur eine wie auch immer geartete Vermittlung, die liebend entgegenkam und handelte. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind als zu unterscheidende Erfahrungs-, Gegenwarts-, Wirk-, Relationsweisen (nicht nur Erscheinungsweisen) des einen Gottes zu verstehen. Diese Erfahrung drückte sich sehr früh in triadischen und trinitarischen Bekenntnisformeln (vgl. Taufformel, Doxologie) aus, die dann später in Form von Trinitätslehren rational eingeholt und mit dem biblischen Monotheismus vermittelt werden sollten, ohne das Problem oder besser: das Geheimnis wirklich zu lösen.403 Es soll hier der Hinweis darauf genügen, dass Judentum und Islam als monotheistische Offenbarungsreligionen vor derselben Frage stehen, wie ein sich in der immanenten Welt offenbarender transzendenter Gott gedacht werden kann. Sicher ist, dass sog. „soziale Trinitätstheologien“, die von drei Personen im Sinne von individuellen Subjekten oder Freiheiten in Gott reden, für islamische wie auch jüdische Theologie nicht nur unannehmbar sind, sondern deren Vorwurf des Tritheismus eher stützen.

4.2.3

Gegenwärtige Herausforderungen im Dialog mit dem Islam

(1) Muslime bilden durch die Migration heute in vielen europäischen Ländern eine signifikante Minderheit mit religiösen Strukturen. Der christlich-muslimische Dialog wurde spätestens seit 9/11 von sicherheits- und integrationspolitischen Debatten bestimmt und überlagert und nicht selten als zu unkritisch kritisiert. Im Gegenzug entstanden eine Vielzahl von lokalen und überregionalen Dialoginitiativen, die wichtige Brückenfunktionen in die jeweiligen Gemeinschaften hinein haben. Auch der theologisch-wissenschaftliche Dialog hat durch die Ausbildung einer bodenständigen islamischen Elite ein neues Niveau erreicht, sodass auch kontroverse Themen wie Mission oder Menschenrechte offen diskutiert werden können. Dennoch gibt es bis heute unter muslimischen Theologen kaum Vertreter, die sich intensiver mit der Bibel und der christlichen Theologie beschäftigen. Der „Offene Brief“ von 138 muslimischen Gelehrten an die Christenheit mit dem Titel „A Common Word“ (2007), der das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe als gemeinsame Basis beider Religionen erklärt, kann hier nur als erster, wenn auch wichtiger Schritt gesehen werden.404 Hoffnung gibt die gemeinsame Erklärung zur „Geschwisterlichkeit aller Menschen“ von Papst Franziskus und dem Großscheich der Azhar Ahmad M. al-Tayyeb vom 4. Februar 2019 in Abu Dhabi, wo sich beide Seiten zur gleichen Würde und zu 403 Vgl. Barth, Dogmatik, 350. 404 https://www.acommonword.com/

4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott

167

den gleichen Rechten (u.a. Religionsfreiheit) und Pflichten aller Menschen bekennen, Gewalt und Terror verurteilen und sich zu Dialog und gerechtem Handeln verpflichten.405 Ermutigend sind auch neuere theologische Entwürfe vor allem in der islamischen Diaspora, die die traditionell eher exklusivistischen Positionen in der Verhältnisbestimmung zu den anderen Religionen, auch zum Christentum, kritisch hinterfragen und auf der Basis des Korans inklusive oder sogar pluralistische Ansätze vertreten wie Ali Asghar Engineer, Fazlur Rahman, Mahmut Aydın, Mahmoud M. Ayoub, Farid Esack, Mouhanad Khorchide oder Jerusha Tanner Lamptey.406 (2) Eine der größten Herausforderungen für Christen und Muslime im Dialog ist die Auseinandersetzung mit fundamentalistischen Strömungen in beiden Religionen. Der Fundamentalismus ist als religionsübergreifende Protestbewegung mit sehr ähnlichen Strukturen und Inhalten zu verstehen, 407 die sich vor allem im 19. und 20. Jahrhundert als Reaktion auf massive Veränderungs- und Entfremdungsprozesse moderner Gesellschaften entwickelt und zum Teil im Kontext nationaler politischer Auseinandersetzungen und internationaler Konflikte radikalisiert hat. Zu den gemeinsamen Kennzeichen gehören ein exklusiver Wahrheits- und Heilsanspruch, ein wortwörtlicher, unhistorischer und selektiver Schriftgebrauch, eine patriarchale Familien- und Gesellschaftsstruktur als Ziel, die Ablehnung von Gleichheits- und Freiheitsrechten (gegen die liberale und offene Gesellschaft), Verschwörungsmythen und Feindbilder. Nur eine kleine Minderheit der fundamentalistischen Gruppierungen auch im Islam rechtfertigen Gewalt oder üben sie aus und doch prägen diese Gruppen (Hamas, Boko Haram, al-Qaida, Islamischer Staat usw.) wesentlich das Bild des Islam in Medien und Köpfen.408 Gemeinsame Aufgabe der christlichen und islamischen Theologie und des Dialogs ist, sich den gewalthaltigen Texten der Tradition409 sowie den Argumentationsmustern und Rekrutierungsfaktoren fundamentalistischer Bewegungen zu stellen410 und Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Der Dialog an sich ist dabei schon ein wichtiges Instrument der Prävention, weil er der Entwicklung von Feindbildern und simplen Weltdeutungen entgegenwirkt und stattdessen Respekt, Anerkennung und Toleranz einübt und vermittelt. (3) Nicht nur die fundamentalistischen Richtungen in Christentum und Islam sind patriarchal geprägt, auch der jeweilige Mainstream. Immer noch sind es überwiegend Männer, die die religiösen Autoritäten stellen und die religiösen Grundlagen auslegen und weitervermitteln. Dagegen ist der Dialog an der Basis, der Dialog

405 http://w2.vatican.va/content/francesco/de/travels/2019/outside/documents/papafrancesco_20190204_documento-fratellanza-umana.html 406 Vgl. Fürlinger/Kusur, Islam und religiöser Pluralismus. 407 Vgl. Riesebrodt, Rückkehr; Alkier/Deuser/Linde, Fundamentalismus; Armstrong, Namen. 408 Vgl. Ceylan/Kiefer, Salafismus; Seidensticker, Islamismus; Said/Fouad, Salafismus; Lohlker, Gewalt. 409 Vgl. Mohagheghi/Stosch, Gewalt; Erklärung des Gesprächskreises Christen und Muslime beim ZdK, Gewalt; Heine u.a., Christen, 247–264. 410 Vgl. Kaddor, Töten; Murtaza, Reformation.

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4 Systematische Zugänge

des Alltags oft von Frauen geprägt.411 Diese Divergenz gilt es zu überwinden, indem die Stimmen der Frauen stärker gehört und ernst genommen werden. Dies schließt eine kritische Hinterfragung der männlich dominierten Auslegungstraditionen ein und erfordert die Wahrnehmung der feministischen Ansätze, die es auch in der islamischen Theologie gibt.412 Die Diskussion über angemessene Weisen der Hermeneutik der heiligen Schriften und religiösen Traditionen ist generell zu einem wichtigen Thema des Dialogs geworden: So wird seit Jahren von christlicher Seite ein historisch-kritischer Zugang der Muslime zum Koran gefordert. Tatsächlich gibt es inzwischen zahlreiche Vertreter weltweit, die zumindest Grundlagen für eine kritische und historische Auslegung des Korans gelegt haben (Fazlur Rahman, Nasr Hamid Abu Zayd, Abdolkarim Sorush, Mohammad Mojtahed Shabestari, Ömer Özsoy, Mouhanad Khorchide u.a.), wenn auch der unterschiedliche Status der heiligen Schriften (Bibel und Koran) in beiden Religionen zu beachten ist.413 Dabei darf nicht vergessen werden, dass es bereits in der klassischen Koranexegese Ansätze für geschichtliches Denken gab (Unterscheidung von mekkanischen und medinischen Suren, Frage nach Offenbarungsanlässen, Abrogation414, örtlicher Bezug, Anerkennung verschiedener Lesarten von Koran-Manuskripten) und umgekehrt auch im Christentum die historisch-kritische Methode lange Zeit brauchte, um offiziell anerkannt zu werden, und bis heute weite Teile der Christenheit ein ziemlich vormodernes Schriftverständnis leben. Als enorm erhellend haben sich in der aktuellen Koranforschung Ansätze erwiesen, die den Koran als Zeugnis eines Kommunikationsprozesses zwischen Gott, dem Propheten und den Adressaten seiner Botschaft, also aus dem Verkündigungskontext, zu rekonstruieren versuchen.415 Der Koran wird dabei primär als wörtliche Rede und erst dann als schriftlicher Text verstanden. Gemeinsame Herausforderung von Christen und Muslimen ist heute, sich gegen ein fundamentalistisches und reduktionistisches Schriftverständnis zu stellen, das die heiligen Schriften in wortwörtlicher, selektiver und exklusivistischer Weise für ideologische Zwecke missbraucht. (4) Ein wichtiges Thema des Dialogs sind auch die Menschenrechte, das sich wiederum im Thema Religionsfreiheit wie in einem Brennglas fokussiert.416 Dabei ist es hilfreich sich bewusst zu machen, dass auch das Christentum und die Kirchen lange Zeit brauchten, um die im Zuge der Aufklärung entdeckten Menschenrechte nicht nur faktisch anzuerkennen, sondern auch sich von den eigenen religiösen Grundlagen her anzueignen und zu verteidigen. Natürlich haben die modernen Menschenrechte auch Wurzeln in der biblischen, jüdischen und christlichen Tradition, doch sind sie nicht direkt und vor allem nicht exklusiv daraus abzuleiten, sondern speisen

411 412 413 414

Vgl. Mehlhorn, Religion, 318–322. Vgl. Aslan/Hermansen/Medeni, Theology; Amirpur, Islam. Vgl. Körner, Text; Schmid/Renz/Ucar, Wort; Seker, Geschichtlichkeit, 131–162. Aufhebung einer früheren durch eine spätere Offenbarungsaussage innerhalb des Koran in Bezug auf rechtliche Anweisungen. 415 Vgl. Khorchide, Menschenwort. 416 Vgl. Johannsen, Menschenrechte.

4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott

169

sich aus vielen Quellen, vor allem konkreten Leiderfahrungen durch Kriege und gesellschaftlichen Entwicklungen. Der wesentliche christliche Beitrag war die Entdeckung der unverlierbaren Würde jedes Menschen, die die biblische Tradition im Begriff der Gottesebenbildlichkeit ausgedrückt sieht. Der Koran kennt diesen Begriff nicht und die islamische Tradition hat ihn kaum rezipiert und dennoch wäre die Schlussfolgerung falsch, das islamische Menschenbild sei deshalb grundverschieden vom christlichen. Hier gibt es einen strukturanalogen Begriff, nämlich die Vorstellung vom Menschen als „Khalīfa“, d. h. als Stellvertreter Gottes auf Erden (vgl. 2,30).417 Moderne islamische Theologen sehen in diesem Titel die besondere Aufgabe und Würde des Menschen ausgedrückt, nämlich als freies, vernünftiges Wesen verantwortlich in der Welt zu handeln und zu leben. Eben dies sagt nach heutigem exegetischen Konsens der biblische Begriff der Gottesebenbildlichkeit des Menschen aus. Somit wäre es auch der islamischen Theologie möglich, jedem Menschen eine von Gott verliehene Würde zuzusprechen, aus der die grundlegenden Freiheits- und Gleichheitsrechte resultieren. Genau in diese Richtung argumentieren inzwischen zahlreiche muslimische Gelehrte, auch wenn dies noch nicht Mainstream ist. Eng damit verbunden ist die Diskussion um die richtige Staatsform. Die häufig begegnende Behauptung, der Islam kenne keine Trennung von Religion und Staat bestätigt lediglich eine ideologische Formel und Forderung islamischer Fundamentalisten, hat aber wenig mit der Geschichte, Realität und islamischen Theologie zu tun. Fakt ist, dass weder der Koran noch die Sunna eine konkrete Staatsform vorgeben und die Zuordnung von Religion, Staat, Politik und Gesellschaft in der islamischen Welt stets sehr plural und wandelbar war und ist.418 Der gegenwärtig wachsende Nationalismus und Populismus in westlichen Ländern, die Demokratie und Rechtsstaat gefährden, machen deutlich, dass die Frage, in welcher Gesellschaft die Menschen heute und in Zukunft leben wollen, zu einer zentralen Frage nicht nur von Muslimen und Christen geworden ist. Als größte Glaubensgemeinschaften aber haben diese beiden eine entscheidende Verantwortung dafür, ob ein friedliches und tolerantes Zusammenleben möglich bleibt. Gemeinsam stehen sie vor der Aufgabe, die Gesellschaft mit zu gestalten.419 Voraussetzung dafür ist die Anerkenntnis und die Verteidigung des säkularen Rechtsstaates, der die Grundlage für Religions- und Meinungsfreiheit garantiert.420 Auch ein interreligiöser Dialog ist ohne diesen Rahmen nicht wirklich möglich, weil Dialog Freiheit und Gleichheit voraussetzt.

417 418 419 420

Vgl. dazu Renz, Mensch, 367–378. Vgl. Krämer, Demokratie. Vgl. dazu Schmid, Islam, bes. 312–438. Vgl. Bielefeldt, Muslime; Krawietz/Reifeld, Islam.

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4 Systematische Zugänge

Exkurs: Die dreifache Nachgeschichte der Bibel Israels „Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas ‚Äußerliches‘, sondern gehört in gewisser Weise zum ‚Inneren‘ unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder.“421 So beschrieb Johannes Paul II. das einzigartige Verhältnis des Christentums zum jüdischen Volk. Diese Beziehungsbestimmung muss zugleich Basis sein für die Verhältnisbestimmung der Kirche zu allen anderen Religionen, auch zum Islam. Die innere Verwiesenheit der Kirche auf Israel hat zur Folge, dass es keinen christlichen Dialog mit dem Islam oder anderen nichtbiblischen Religionen ohne Bezug auf das Judentum – und sei es auch nur implizit – geben kann. Der Islam nun steht wiederum in einer besonderen Beziehung zum Judentum und zum Christentum, ist er doch eine monotheistische Religion, die sich – wenn auch in Unterscheidung und in einigen Punkten im Widerspruch dazu – auf diese beiden Religionen und ihre kanonischen wie außerkanonischen Schriften bezieht und sich nun seinerseits bewusst – über die Linie Ismaels – in die Abrahamsverheißung hineinstellt. Religionsgeschichtlich, religionsphänomenologisch und religionstheologisch stehen die drei Religionen somit in einem besonderen Verhältnis. Nicht ohne Grund sind diese drei Religionen in den letzten Jahrzehnten oft als „abrahamische Religionen“ bezeichnet worden, um diese nicht unbedingt genealogisch zu verstehende, aber doch traditionsgeschichtliche und religös-spirituelle Verwandtschaft deutlich zu machen.422 Gerade die unterschiedlichen, oft exklusivistischen Bezugnahmen Abrahams in allen drei Traditionen machen aber auch deutlich, dass eine gemeinsame Grundlage nicht unbedingt zu mehr Verständigung und wechselseitiger Anerkennung führen muss, wenn die entsprechende Haltung und der Wille dazu fehlt.423 Das Hineingenommensein der Christen in die Abrahamsverheißung allein aus Gnade sollte sie vor der „Heilsarroganz“ bewahren, andere Gläubige und Andersgläubige wie die Muslime aus dieser Verheißung ausschließen zu wollen: Die Verheißung an Abraham zielt auf alle, die sich bedingungslos dem Einen hingeben und Gottes Willen zu leben versuchen. Ein theologisches Ernstnehmen des islamischen Offenbarungsanspruchs konnte solange nicht erfolgen, solange die christliche Theologie ein instruktionstheoretisches Offenbarungsmodell vertrat, wonach unter Offenbarung die Mitteilung übernatürlicher Heilswahrheiten verstanden wurde. Nach diesem Modell ist mit der Offenbarung in Jesus Christus alles für das Heil des Menschen Notwendige gesagt und damit abgeschlossen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zum Teil schon mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil kam jedoch eher ein interpersonales, kommunikationstheoretisches Offenbarungsmodell zum Tragen, das Offenbarung nicht einfach als punktuelles, in der Vergangenheit erfolgtes Geschehen einer Informationsübermittlung betrachtet, sondern als Selbstvergegenwärtigung Gottes in der 421 Johannes Paul II., Ansprache beim Besuch der Großen Synagoge Roms am 13. April 1986, in: KuJ I, 106–111, 109. 422 Vgl. dazu Bernhardt, Inter-Religio, 372–393. 423 Vgl. Kuschel, Streit.

4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott

171

Geschichte, die in Jesus Christus ihren unüberbietbaren Höhepunkt erlangt hat, aber keineswegs abgeschlossen ist, weil Gott dem Menschen durch sein universales Geistwirken weiterhin seine Gemeinschaft schenkt. Abgeschlossenheit der Offenbarung ist denn auch weniger chronologisch, denn inhaltlich, soteriologisch zu verstehen. Dies eröffnet Räume, vor und nach Jesus Christus in der Religions- und Menschheitsgeschichte – nicht nur in den Individuen – nach der Gegenwart und dem Wirken Gottes zu suchen. Inhaltliches Kriterium dafür wird und muss für die christliche Theologie immer die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus bleiben. Dies schließt neue Erkenntnisse durch die Beschäftigung und den Dialog mit anderen Religionen nicht aus, sondern macht sie aufgrund der prinzipiellen Unauslotbarkeit der göttlichen Offenbarung und der unvollkommenen „christlichen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte“424 wahrscheinlich und logisch. Die über Jahrhunderte hinweg im Volk Israel bezeugte Erfahrung von dem sich immer wieder offenbarenden und zugleich entziehenden universalen Schöpfergott, die Überzeugung von der einen, universalen Heilsgeschichte, bildet die Grundlage für eine biblisch verantwortete Theologie der Religionen. Walter Groß hat in Bezug auf Judentum und Christentum vom „doppelten Ausgang“ der Bibel Israels gesprochen und meinte damit, dass die Bibel Israels die gemeinsame Wurzel von nachbiblischem Judentum und dem Christentum bildet, die sich auf diese Wurzel in unterschiedlicher Weise beziehen.425 Die Kirche hat Mitte des 2. Jahrhunderts entschieden, die heiligen Schiften des Volkes Israel (Tanach) in Form der ab 250 v.Chr. im hellenistischen Judentum entstandenen griechischen Übersetzung (Septuaginta) zum eigenen Kanon zu zählen (ab etwa 180 als „Altes Testament“ bezeichnet), wenn auch in etwas anderer Anordnung und mit zusätzlichen Schriften im Vergleich zum Tanach, dessen Anordnung und Umfang das rabbinische Judentum etwa um 400 endgültig festlegte.426 Zusätzlich zum Tanach entstand im rabbinischen Judentum die Mischna (um 200 redigiert), die als „mündliche Tora“ gilt. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Mischna in Form der Gemara kommentiert, Mischna und Gemara bilden dann zusammen den Talmud als zweite normative Quelle nach dem Tanach im Judentum bis heute. Analog entstand im frühen Christentum eine zweite Quelle zum Tanach, nämlich die neutestamentlichen Schriften, die zusammen mit der Septuaginta schließlich die christliche Bibel (Altes und Neues Testament) bildeten. So entstanden letztlich zwei Geschwisterreligionen, die sich auf eine gemeinsame Mutter, die Religion des Volkes Israels, in unterschiedlicher Weise bezogen. Im 7. Jahrhundert nun kam noch eine dritte Geschwisterreligion hinzu: Zwar bezieht sich der Islam nicht in vergleichbarer Weise wie Judentum und Christentum auf die Bibel Israels – darin liegt die einzigartige Beziehung von Judentum und Christentum begründet –, anerkennt er diese doch nicht pauschal als „Heilige Schrift“ des eigenen Kanons, dennoch ist der Koran und damit der Islam ohne den historischen 424 So Herzgsell, Christentum, 394. 425 Vgl. Groß, Ausgang, 9–25. 426 Zum Kanon vgl. Müller, Bibel, 135–141.

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4 Systematische Zugänge

und theologischen Bezug auf die Bibel Israels nicht denkbar. Insofern könnte man von einer „dreifachen Nachgeschichte der Bibel Israels“ sprechen, d. h. der Islam muss mit seiner Schrift in die intertextuellen Bezugnahmen und Lesarten mit hinzugezogen werden, zumal er die Ansprüche der beiden Vorgängerreligionen kritisch befragt, ja vielfach in Frage stellt und sich selbst als die Wiederherstellung einer UrOffenbarung sieht. Die traditionelle apologetische Sichtweise in allen drei Religionen, die jeweils anderen Textbestände und Lesarten als Verfälschungen der authentischen Offenbarung zu diskreditieren, führt jedoch nicht weiter. Stattdessen wäre dem dynamischen und vielfältigen Beziehungsgeflecht der Offenbarungsquellen und Auslegungstraditionen nachzuspüren. Der jüdische Tanach und Talmud, die christliche Bibel (Erstes und Zweites Testament) und der Koran mit der Sunna könnten und müssten als wechselseitige Verstehenshilfen interpretiert werden, ohne dabei ihre jeweilige spezifische Eigenart aufzulösen. So würden ungeahnte, überraschende gemeinsame Lernprozesse möglich.

Ein angemessenes Verständnis des Verhältnisses des Christentums zu Judentum und Islam aber ist nur möglich, wenn das je spezifische Zentrum der drei Religionen berücksichtigt wird: Ist das Zentrum im Judentum die schriftliche und mündliche Tora und im Islam der Koran, in denen sich der Wille Gottes zum Heil des Menschen manifestiert, so ist es im Christentum die Person Jesu Christi, in der sich Gottes Wort, der göttliche Logos, dem Menschen zu dessen Heil selbst erschlossen und gegenwärtig gemacht hat oder zugespitzt: In Jesus ist „das Wort des Gottes Israels jüdisches

4.2 Islam: Hingabe an den einen Gott

173

Fleisch“ geworden.427 Alle drei Religionen sind theozentrische Religionen, die die Grundüberzeugung haben, dass der eine Gott sich dem Menschen in der Geschichte im Wort mitgeteilt hat. Sie unterscheiden sich jedoch in der Beantwortung der Frage, wie und wo das göttliche Wort in der Geschichte manifest und definitiv erfahrbar geworden ist. Alle drei Religionen stehen als Offenbarungsreligionen aber vor derselben Aufgabe, stringent darzulegen, wie das Unbedingte, Transzendente, Absolute (Gott) im Bedingten, Immanenten, Kontingenten (als Schrift oder als Mensch Jesus Christus) möglich und erfahrbar sein kann, ohne dabei sich mit dem Geschöpflichen zu vermischen oder das Gottsein aufzugeben. Die christliche Trinitätslehre und Christologie, die von Seiten jüdischer und islamischer Theologie traditionell als „Beigesellung“ (hebr. schittuf, arab. shirk), als Vergöttlichung eines Geschöpflichen, abgelehnt wird, stellt einen solchen rationalen Versuch der Vermittlung dar – ob dieser Versuch gelungen ist, darüber kann man innerchristlich wie interreligiös freilich streiten. Klar ist, dass die Trinitätslehre das Ziel hat, den Monotheismus zu bewahren. Judentum und Islam können das Christentum vor einer Verobjektivierung des transzendenten Gottes und vor tritheistischen Tendenzen warnen und schließlich immer wieder an das Bilderverbot erinnern. Judentum und Christentum wiederum betonen stärker als der Islam das Mitgehen und Mitleiden Gottes mit seinem Volk und mit den Menschen bis hin zur Selbsterniedrigung Gottes. Die drei Religionen bilden tief in ihrem innersten Wesen eine Einheit und doch unterscheiden sie sich und stehen in einer jeweils spezifischen Beziehung zueinander. Juden, Christen und Muslime sind als Geschwister im Glauben an den einen Gott herausgefordert, diese Einheit in der Vielfalt zu leben und in einem Füreinander (Pro-Existenz) zu bezeugen oder sie werden ihrem von Gott gegebenen Auftrag, ihn als Ebenbilder bzw. Stellvertreter (Khalīfa) Gottes auf Erden im Handeln nachzuahmen, nicht gerecht.

427 So Wengst, Jesus, 89.

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4 Systematische Zugänge

Didaktische Anregungen: 1.

Über die religionspädagogischen Medienstellen (www.medienzentralen.de) kann man Filme und Koffer der Religionen ausleihen, in denen für die islamische Religion typische Gegenstände (Koran, Gebetsteppich, Gebetskette etc.) enthalten sind und die man den Schüler*innen haptisch nahe bringen kann.

2.

Die Schüler*innen sollen die nächstgelegene Moscheegemeinde ausfindig machen und herausfinden, zu welcher Richtung und welchem Verband diese gehört. Organisieren Sie eine Besichtigung der Moschee und ein Gespräch mit dem Imam oder Gemeindemitgliedern.

3.

Die Schüler*innen analysieren und diskutieren, falls möglich zusammen mit muslimischen Schüler*innen an der Schule, die Dialogerklärung über die „Geschwisterlichkeit aller Menschen“ von Abu Dhabi 2019 (www.vaticannews.va/ de/papst/news/2019–02/papst-franziskus-abu-dhabi-gemeinsame-erklaerunggrossimam.html). Wie könnte sie im Zusammenleben vor Ort konkret umgesetzt werden?

4.

Das Projekt „Religionen für biologische Vielfalt“ des Abrahamischen Forums Deutschland (https://abrahamisches-forum.de/) bietet Material und Ideen zum Thema Bewahrung der Schöpfung.

5.

Die Schüler*innen erstellen eine Synopse des Dekalogs in Bibel (Ex 20,2–17) und Koran (17,22–36) und arbeiten Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus.

Weiterführende Literatur: Thyen, Johann-Dietrich, Bibel und Koran – eine Synopse gemeinsamer Überlieferungen. 3. Aufl. Köln 2000. Ludwig Ammann, Islam. Was stimmt? Die wichtigsten Antworten, Freiburg i.Br. 2007. Andreas Renz, Beten wir alle zum gleichen Gott? Wie Juden, Christen und Muslime glauben, München 2011 (e-book). Volker Meißner/Martin Affolderbach/Hamideh Mohagheghi/Andreas Renz (Hg.), Handbuch christlich-islamischer Dialog. Grundlagen – Themen – Praxis – Akteure, Freiburg i.Br. 22016.

4.3

Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

4.3.1

Wie Hindus glauben

a)

„Hinduismus“ als Oberbegriff für ein religiös-soziales Ordnungssystem

„Hinduismus“ ist ein durch die europäische Moderne und britische Kolonialherrschaft geprägter Oberbegriff oder Sammelbezeichnung für eine Vielzahl divergenter religiöser Traditionen, die in Indien ihren Ursprung und ihre überwiegende Verbreitung haben. Die anfängliche Außenbezeichnung wurde dann vom sog. Neo-Hinduismus des 19./20. Jahrhunderts (z. B. Vivekananda, 1863–1902) aufgegriffen und zu einer Eigenbezeichnung. Bis heute steht „Hinduismus“ für ein ganzes Bündel von Religionen mit nicht nur unterschiedlichen, sondern zum Teil auch widersprüchlichen Lehren. Selbst die Anwendung des europäisch geprägten Begriffs „Religion“ auf die hinduistischen Traditionen ist problematisch, da es ein direktes Äquivalent im klassischen Sanskrit nicht gibt. Hier ist stattdessen vom Dharma die Rede, der heiligen, ewigen Ordnung, die das gesamte religiös-rituelle, soziale und ethische Verhalten des Menschen normativ bestimmt. Im Unterschied zu den prophetischen Religionen semitischen und nahöstlichen Ursprungs Judentum, Christentum und Islam, bilden die hinduistischen Religionen eine eigenständige Religionsfamilie, deren Anfänge in das zweite Jahrtausend vor Christus zurückreichen, keine Stifterfigur kennen noch eine definierte Glaubensgemeinschaft darstellen. Genau betrachtet bezeichnet der Begriff nicht nur religiöse Traditionen, sondern steht für sozio-religiös-kulturelle Systeme, die folgende Kriterien erfüllen: (1) Sie sind auf dem indischem Subkontinent entstanden, (2) die soziale Ordnung sowie religiöse, ethische, rituelle Handlungsmuster des Einzelnen sind durch Abstammung, nicht Bekenntnis, definiert (Kastensystem), (3) es gibt keine verbindlichen Dogmen oder allgemein anerkannte religiöse Instanzen, (4) das Göttliche wird in verschiedenen Erscheinungsformen verehrt. Diese Kennzeichen werden im Folgenden etwas näher erläutert. b)

Entstehung und Verbreitung

Indoarische Volksgruppen sind ab Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends in mehreren Wellen aus Zentralasien über Afghanistan nach Nordwestindien eingewandert. Auf sie gehen die ältesten hinduistischen Texte, die Veden, zurück, die in der indoeuropäischen Sprache des Sanskrit verfasst sind, bis heute die Sakralsprache der Priester (Brahmanen) in Ritual und Schriftstudium. Historisch greifbare Stifter

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4 Systematische Zugänge

der Hindu-Religionen gibt es nicht, nach ihrer Mythologie gehen sie jedoch auf Götter zurück. Es kam über die Jahrhunderte zu komplexen religiösen Verschmelzungsprozessen mit der alten Industalkultur und den Ureinwohnern auf dem Subkontinent. Der Hinduismus ist heute vor allem in Indien (80% der ca. 1,4 Mrd. Einwohner), Nepal, Bali, Bangladesh, Malaysia und Sri Lanka verbreitet. Er bildet mit insgesamt etwa einer Milliarde Anhängern die drittgrößte Weltreligion nach Christentum und Islam. c)

Das Kastensystem

Indiens religiös-soziales System ist seit vielen Jahrhunderten durch das sog. Ständeoder Kastensystem (von lat. castus = keusch, nicht vermischt) geprägt, einem vielfältigen und komplexen System von sozialen, religiösen und ökonomischen Hierarchien, Abhängigkeiten und Austauschprozessen. Die unzähligen Kasten und regionalen Subkasten sind definiert durch Geburt, genauer durch patrilineare, also väterliche Abstammung, d. h. der Einzelne kann ihnen theoretisch nicht entkommen, da er nur innerhalb des Standes und der eigenen Subkaste heiraten darf. Man kann somit weder zum Hinduismus konvertieren noch aus ihm „austreten“, weil man durch Geburt Hindu wird. Die Kasten bestimmen den Beruf, Speise- und Reinheitsgebote ebenso wie den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Der entscheidende Faktor, der die Kasten unterscheidet und den sozialen Status des einzelnen bestimmt, ist die rituelle Reinheit. Letztlich ist das Kastendenken mit der Vorstellung von Karman (= Tat, Werk) und Wiedergeburt (saṃsāra) unauflöslich verbunden, insofern das durch Handeln oder Unterlassen angesammelte Karman einer Existenz die konkrete Form der nächsten Existenz bestimmt. Die Kasten und Subkasten werden schließlich den vier Hauptständen oder Kastengruppen (sog. Varṇas = Farben) als einer Art „Geburtsständeordnung“428 zugeordnet, die schon im sog. Puruṣa-Hymnus im Rigveda beschrieben werden: 1. 2. 3. 4.

Brahmanen, die Priester, Asketen und Lehrer (Lehrstand) Kṣatriya, die Adligen, Landbesitzer und Krieger (Wehrstand) Vaiśya, die Händler, Handwerker und Bauern (Nährstand) Śūdras, die Diener, Arbeiter und Tagelöhner (Hörige), die von den Indoariern unterworfene Urbevölkerung des indischen Subkontinents, die von der Teilnahme an der vedischen Religion ausgeschlossen war und bis heute die Mehrheit bildet.

Die drei oberen Kastengruppen stehen in einer „Hierarchie relativer Reinheit“429. Sie dürfen die vedischen Texte studieren und das religiöse Ritual verrichten, wobei die Brahmanen eben an der Spitze stehen, weil sie „reinigungsfähig“ sind. Außerhalb oder unter diesen vier Ständen sind die Kastenlosen, Unberührbaren, Unreinen (Dalits, Harijans, Parias) angesiedelt. Auch wenn dieser Status in Indien offiziell abge428 Michaels, Hinduismus, 185. 429 Malinar, Hinduismus, 188.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

177

schafft ist und sich in der Anonymität der Megastädte manche Auflösungstendenzen zeigen und Liebesheiraten zwischen Angehörigen verschiedener Kasten vorkommen, existiert das hierarchische und ohne Zweifel diskriminierende Kastensystem bis heute. d)

Die heiligen Schriften und Mythen der Hindus

Wesentliche Grundlagen für die religiöse Praxis aller Hindu-Religionen sind die heiligen Schriften, die über einen langen Zeitraum entstanden sind und unterschiedliche Adressaten haben. So kann man zwischen heiligen Schriften (Veden) der Priester (Brahmanen) und Asketen einerseits und den Epen des Volkes andererseits unterscheiden.

Die Veden (1750–500 v.Chr.) Die Veden (Veda = heiliges Wissen) stellen das den Sehern oder inspirierten Weisen geoffenbarte Wissen (śruti = das Gehörte) dar, das göttlichen Ursprungs ist.430 Sie bestehen aus folgenden, ursprünglich mündlich überlieferten, Schriftsammlungen431 in Sanskrit, die kanonischen Rang für alle Hindureligionen bis heute besitzen: Die vier Samhitās (Sammlungen, ca. 1200–900 v.Chr.) sind frühvedische Schriften, deren wichtigster Teil bis heute der Rigveda ist, eine Sammlung von über 1000 Hymnen an die Götter mit über 10.000 Versen, die im Opferritual vom Priester rezitiert werden.432 Weitere Sammlungen sind Sāmaveda (mit Melodien für die Hymnen), Yajurveda (Opfersprüche) und Atharvaveda (weitere Hymnen und Opfersprüche, Gedichte). Die spätvedischen Brāhmaṇas (800–600 v.Chr.) enthalten priesterliche Anweisungen über Opferrituale und die richtige Verwendung der in den Samhitās enthaltenen Lieder und Formeln. Hier sind auch erste Ansätze der Wiedergeburts- und Karmanlehre zu finden. Die Āraṇyakas („Waldtexte“) mit den Upaniṣaden (700–500 v.Chr.) schließen die Veden ab und enthalten mystisch-philosophische Spekulationen über das Wesen des Opfers, über Gott, Welt und Seele mit einer ausgeprägten Karmanlehre. Wie aus den Inhalten der Schriften deutlich wird, steht das Opfer im Zentrum der vedischen Religion: „In den Veden und vor allem in den Brāhmaṇas wird die Weltordnung als ein ritueller Zusammenhang dargestellt, der von der Durchführung der vedischen Opfer (yajña) abhängt. Das Opfer aktiviert und reproduziert die Verbindungen (bandhu) zwischen den verschiedenen Sphären und Kräften des Kosmos zum Nutzen des Opferherrn.“433 Die Veden sind Offenbarungsschriften und eigentlich nur den Priestern (Brahmanen) zugänglich, die sie bis heute studieren und im priesterlichen Ritual in Form von Gesang und Gebet rezitieren. Den heiligen Worten wird eine unmittelbar wirksame Kraft zugeschrieben. Die Gottesvorstellungen in diesen Schriften sind polytheistisch, das heißt verschiedenen naturhaften (Sonne, 430 431 432 433

Vgl. dazu Schlensog, Hinduismus, 33f. Eine Auswahlübersetzung bietet Malinar, Hinduismus. Vgl. Oberlies, Rigveda. Malinar, Hinduismus, 36.

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4 Systematische Zugänge

Wind, Wasser, Himmel, Erde usw.), sozialen (Gastfreundschaft, Heirat, Vertrag usw.) oder kultischen (Opferfeuer, Somatrank usw.) Aspekten der Welt sind jeweilige Gottheiten (deva) zugeordnet, die im Himmel, im Luftraum und auf der Erde agieren.434 Wichtigster Adressat des Opfers und der Hymnen aber ist Agni, der Gott des Opferfeuers. Weitere wichtige Götter sind Indra, Soma, Mitra, Varuna und Sūrya. In den späteren Schriften wie den Upaniṣaden, dem Ende der Veden (Vedānta), sind schließlich monistische Tendenzen zu finden (vgl. Ṛg Veda 10,82,5ff; 10,129,1 f.6), indem die Vielzahl von göttlichen Kräften und Erscheinungsformen auf die einzige, unvergängliche göttliche Wirklichkeit Brahman zurückgeführt werden: „Als der alles tragende Grund der Wirklichkeit wohnt Brahman zugleich … allen einzelnen Teilen der Wirklichkeit als daseins- und identitätsstiftende Kraft und in diesem Sinne als das eigentliche oder wahre Selbst (ātman) inne.“435 Brahman ist also das Absolute, das Transzendente, der absolute Urgrund von allem. Brahman ist reines Sein ohne Beziehung (sat), reines Bewusstsein (cit) und reine Glückseligkeit (ānanda) – „drei Seinsmodi des Brahman“436 und seiner Manifestationen. Brahman ist, „religionsgeschichtlich gesehen, die abstrakteste Vorstellung des Göttlichen, die je konzipiert worden ist. Sie ist von anthropomorphen Bildern und von funktionalen Bezügen völlig gelöst. Brahman ist ein Neutrum, weder Gott noch Göttin, ohne Attribute, ohne Gestalt, ohne Aufgabe – allgegenwärtig und doch unerkennbar. Es ist ein transzendentes Sein, das die Welt durchdringt, belebt und trägt. Ein unvergängliches Prinzip innerhalb und jenseits einer Welt, die vergänglich ist.“437 Und doch: Brahman erscheint, offenbart oder manifestiert sich in der Immanenz in Form des Īśvara, des Herrn und personalen Schöpfers, der Adressat der menschlichen Verehrung ist. Īśvara ist zu unterscheiden vom Brahman und doch identisch mit ihm. Will man einen Vergleich zum christlichen Glauben herstellen, so kann man Īśvara am ehesten mit dem inkarnierten Logos in Jesus Christus in Bezug setzen: „Die Rolle Īśvaras im Vedānta – die postuliert wird, um die Verbindung zwischen Gott und der Welt zu erläutern, ohne die Absolutheit des ersten und die Relativität des Zweiten aufzugeben – entspricht funktionell der Rolle Christi im christlichen Denken.“438 Aber vielen ist selbst Īśvara noch zu fern, sodass er in den Avataras („Herabstieg“) noch weiter herabsteigt zu den Menschen.

Literatur des klassischen Hinduismus (200 v.Chr. – 1100 n.Chr.) Nach der Vedischen Epoche (1750–500 v.Chr.) und den Reformbewegungen in Form des Buddhismus und Jainismus entstanden in der sog. klassischen Zeit (ab 200 v.Chr.) weitere Schriften (smṛti = das Erinnerte), die die hinduistische Volksfrömmigkeit bis heute wesentlich prägen, haben doch weite Teile des Volkes keinen Zugang zum Geheimwissen der Brahmanen: Die Sūtras (Lehrsätze) mit thesenhaften religiös-rituellen und lebenspraktischen Anleitungen, die Śāstras als systematische ethische und 434 435 436 437 438

Vgl. Schlensog, Hinduismus, 39–45. Schmidt-Leukel, Gott im Hinduismus, 147. Stietencron, Welt und Gottheit, 94. Ebd. 92. Vgl. Panikkar, Christus, 158.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

179

rechtliche Lehrbücher und schließlich die am weitesten verbreiteten epischen Erzählungen: Das Rāmāyaṇa-Epos, das den Lebenslauf Ramas erzählt (200 v.–200 n.Chr.), das Mahābhārata-Epos („Großes Indien”) mit der Bhagavadgītā (400–1000 n.Chr.), die Purāṇas („Alte Geschichten”, 400–1000 n.Chr.) mit Mythen, Kosmologien, Erzählungen über die Inkarnationen der Hochgötter Vishnu, Shiva und Shakti, sowie die Tantras (800 n.Chr.), die die yogische Philosophie mit dem volkstümlichen Theismus verschmelzen. Im Mahābhārata ist die Karma- und Wiedergeburtslehre nun voll ausgeprägt und anerkannt. Diese Schriften, die den „klassischen Hinduismus“ kennzeichnen, ermöglichten breiten Kreisen des Volkes einen persönlichen Zugang zu Gottheiten und eine emotionale, liebevolle Bindung an sie, wobei die alten vedischen Götter in den Hintergrund treten. Die einflussreichste und über den Hinduismus weit hinausreichende Schrift darunter ist die Bhagavadgita („Gesang des Erhabenen“), in der Krishna als Avatar Vishnus die zentrale Rolle des Offenbarers spielt und den Erlösungsweg der Gottesliebe (bhakti) aufzeigt: „Bhakti meint die Zuneigung, Teilhabe und Anteilnahme, die zwischen einem Gott und seinem Anhänger besteht. Es ist eine persönliche, auf wechselseitiger Anteilnahme und Loyalität basierende Beziehung. Als eine Erfüllung dieser Beziehung wird in den Texten immer wieder das persönliche, leibhaftige Erscheinen des Gottes (darśana) bei seinem Anhänger geschildert.“439 Nach der Bhagavadgita ist jede authentische religiöse Anbetung letztlich auf Krishna bzw. Vishnu gerichtet, sodass man hier von einem hinduistischen Inklusivismus sprechen kann: „Auch jene, die andere Götter anbeten, opfern doch mit gläubigem Vertrauen, und damit eigentlich ja mir, Kunti-Sohn, obgleich sie nicht der Regel gemäß opfern“ (IX,23).440 Das Ziel der verschiedenen Gottesverehrungen ist also dasselbe, die Wege aber sind unterschiedlich und auch nicht gleichwertig. Die implizite religionstheologische Position der hinduistischen Richtungen ist somit keineswegs pluralistisch, sondern eher inklusiv-assimilatorisch oder identifikatorisch. Dies zeigt sich etwa darin, dass Buddha und später auch Jesus und Muhammad in die Reihe der Avatare aufgenommen wurden. Auch auf gesellschaftlicher Ebene ist das hinduistische System derart vereinnahmend, dass zum Islam, Buddhismus oder Christentum konvertierte Hindus letztlich dem indischen Kastensystem nicht entkommen. e)

Der Mensch, sein Karman und seine Erlösung

Aus frühvedischer Sicht ist der Mensch aus der Sonne entstanden. Der Gedanke einer unsterblichen, den Tod überdauernden Seele ist anfangs noch unbekannt, wohl aber nahm man neben dem materiellen Körper auch immaterielle Dimensionen an, die den Tod überdauern: Denkvermögen (Manas), Atemkraft (Prāṇa), Lebenskraft (Ātman), Sinnesorgane und die Lebenskraft Asu.441 In den Upaniṣaden wird dann die Atemkraft (Prāṇa) zur wichtigsten Lebenskraft und Puruṣa zum „geistigen Selbst“ 439 Malinar, Hinduismus, 57. 440 Zit. nach Bhagavadgita. 441 Vgl. Schlensog, Hinduismus, 82.

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4 Systematische Zugänge

des Menschen. Ātman wird zur „Seele“ des Menschen: „Der Ātman, das Selbst, der Seinsgrund des Menschen, ist keine sensitiv oder intellektuell erfaßbare Entität, sondern er ist die tiefste Tiefe menschlicher Existenz, über die zwar spekuliert werden kann, die aber im Grunde eben nur erfahrbar ist“.442 Aber nicht nur die menschliche Seele ist Ātman, sondern auch der Urgrund des Universums ist Ātman im Sinne reinen Bewusstseins – die „Weltseele“ (Brahman). Die Individualseele und die überpersönliche Weltseele sind letztlich identisch (Tat tvam asi = „das bist du!“) und beim Erlösungsprozess geht es darum, beide wieder zu vereinen. Kennzeichnen für das klassische hinduistische Menschenbild ist außerdem die Unterscheidung mehrerer Leibhüllen (Koshas), die wie unterschiedlich dicke Handschuhe übereinandergelegt sind: Es gibt den grobstofflichen Körper (Materie), den feinstofflichen Körper (Jīva oder Jīvātman) als Träger des Karman und den Kausalkörper, der den Ātman, das individuelle Bewusstsein, das Geistige, das Selbst, umhüllt. Karman ist die Summe der vergangenen Taten (urspr. die Opferhandlung) und verändert die Qualität der feinstofflichen Substanz: „Alles Handeln, ethisches wie unethisches, bewirkt Karman. Dieses Karman, eine unsichtbare (…) Kraft oder Energie, verschwindet nicht folgenlos, denn sämtliche Lebensumstände – Gesundheit oder Krankheit, Glück oder Unglück, hohe oder niedere gesellschaftliche Position, auch die Erlösung – haben letztlich karmische Ursachen und sind als karmische ‚Vergeltung‘ zu betrachten.“443 Am Ende der Brahmana-Zeit, so um das 7. vorchristliche Jahrhundert, sind die Grundelemente der Lehre vom Karman gegeben, die Vorstellung, wonach „sich der geistig-seelische Personenkern eines Menschen in einem Kreislauf (saṃsāra) von Leben, Tod und Inkarnation befindet (insofern ist es angemessener, von Wiederverkörperung statt von Wiedergeburt zu reden).“444 Der Ātman ist im Kreislauf der Wiedergeburten mit der feinstofflichen Substanz verbunden und „reinkarniert“ mit dieser je nach Karman als Bewohner der Unterwelt, als Tier, als Mensch oder als Gottheit. Ziel der Erlösung oder besser: Befreiung (mokṣa, mukti), die nur aus der Existenzform des Menschen heraus möglich ist, ist es, diese Verbindung und damit den Kreislauf von Geburt und Tod aufzulösen, damit der Ātman frei wird und sich wieder mit dem Brahman vereinen kann. Sünde oder Schuld wird jedoch weniger als moralische Verfehlung in einer Beziehung denn vielmehr als Fehlverhalten gesehen, das die kosmische Ordnung stört. Es gibt kein absolut Gutes oder Böses, sondern die Bewertung einer Tat hängt „von der karmischen Wirkung auf den Täter ab“, was „eine graduelle Relativierung der Bedeutung von Werten und Normen“445 zur Folge hat. Die Auslöschung des Karman und damit die Wiederherstellung der kosmischen Ordnung im Sinne der Einheit von Ātman und Brahman („All-Einheits-Lehre“) kann auf verschiedenen Wegen (mārga) erlangt werden446:

442 443 444 445 446

Ebd. 113 (Kursivdruck im Original fett). Ebd. 278 (Kursivdruck im Original fett). Ebd. 83 (Kursivdruck im Original fett). Schlensog, Hinduismus, 409 (Kursivdruck im Original fett). Zu den ersten vier genannten Wegen vgl. Michaels, Hinduismus, 260–309.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

181

(1) Der Weg der spirituellen Erkenntnis (jñāna-mārga) besteht in der intensiven geistigen Beschäftigung mit dem in den heiligen Schriften überlieferten Wissen. Dies erfordert den Ausstieg aus dem alltäglichen Leben und ist deshalb in erster Linie für die Priester (Brahmanen), Lehrer (Gurus) und Asketen (Sadhus) geeignet. Die Erkenntnis besteht in der existentiellen Erfahrung, dass Brahman und Ātman identisch sind, also in der Realisation der Einheit. (2) Auch der Weg der Tat/des Opfers (karma-mārga), der rituellen Handlungen im täglichen Tempelritual ist primär ein Weg der Priester, wird in den drei oberen Kasten aber ebenso vom Hausvater oder der Mutter des Hauses im häuslichen pūjā-Ritual vollzogen. Die Riten müssen den genau überlieferten Vorschriften folgen. Es kann allgemein auch im Sinne des selbstlosen Handelns im Dienste Gottes und des Mitmenschen verstanden werden, das auf keine Belohnung ausgerichtet ist. (3) Der Weg der Gottesliebe/Hingabe (bhakti-mārga) ist der einfachste Weg für das breite Volk und realisiert sich in der liebend-vertrauenden, hingebenden Verehrung (Devotion) eines liebenden Gottes oder einer Göttin vor allem durch Gebete, Mantras, Lieder (bhajans und kirtans), Musik, Tanz, Spiel, Feste und Prozessionen. Ein Beispiel für ein Kirtan lautet: „O mein Geist! Lobsinge die Namen von Rama, Krishna und Govinda. Der höchste Guru Deva ist sehr freundlich, gütig und zerstört die Furcht vor Geburt und Tod.“447 Mit der Mantra-Formel Om (AU-M) beginnen und enden viele hinduistische Gebete und Hymnen. Ähnlich dem Dhīkr im Islam oder dem Jesusgebet im Christentum gibt es hier die Praxis der Aufzählung von Götternamen in Hymnenform (Nama-Japa), oft mit Hilfe einer Gebetskette. Gott kommt seinerseits mit Gnade (prasāda) dem liebenden Menschen entgegen, weshalb es verkehrt wäre, den Hinduismus einfach als „Selbsterlösungsreligion“ zu disqualifizieren. Es ist ein emotionales „Treueoder Liebesverhältnis“448 zwischen Gläubigem und Gott. Die „in den Hindu-Religionen verbreitetste Form der Gottesbegegnung erfolgt nicht in Worten, sondern über die Augen. Der wechselseitige Anblick (… darśana) von Gläubigen und Gott gilt als der zentrale Teil des hinduistischen Gottesdienstes (pūjā).“449 Dieser Weg, der eine klar (mono)theistische Gottesvorstellung hat, wurde in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends zur stärksten Strömung im Hinduismus bis heute. (4) Der Weg der Ehre (vīrya-mārga) ist für die Kaste der Krieger und des Adels, wie er in den großen Epen, vor allem in der Bhagavadgita in der Gestalt Arjunas, beispielhaft beschrieben wird. „Heldentod, religiös motivierter Selbstmord, Tötungen oder Selbstopferung“ können zum Heil und zu Vergöttlichung führen.450 (5) Der Weg der Meditation (dhyana) schließlich will durch Versenkungstechniken zur Selbsterkenntnis und Erlösung kommen, indem man die Identität von At447 448 449 450

https://de.wikipedia.org/wiki/Bhajan Michaels, Hinduismus, 281. Ebd. 254. Ebd. 300.

182

4 Systematische Zugänge

man und Brahman realisiert. Es geht darum, alle geistig-seelischen Vorgänge zur Ruhe zu bringen. Die anderen Stufen gelten nicht selten als Vorstufen zu diesem „königlichen“ Weg (Rāja-Yoga), der vor allem auf dem Yogasūtra des Patañjali (4./5.Jh.) basiert.451 Dieser Yoga-Weg wurde Anfang des 20. Jahrhundert in Indien und im Westen wiederentdeckt und weiterentwickelt. Neben dem individuellen Kreislauf der Existenzen gibt es laut dem Mahabharata einen kosmischen Kreislauf von jeweils aufeinanderfolgenden vier Welt-Zeitaltern, die zunehmend degenerieren, da der Dharma, also die rituell-ethische Ordnung, schwächer wird, bis es am Ende zur großen Vernichtung kommt, bevor der Kreislauf wieder von vorne beginnt. Das gegenwärtige Zeitalter (Kali-Yuga) wird als viertes und schlechtestes innerhalb des Zyklus gesehen, das mit dem Tod Krishnas (ca. 3100 v.Chr.) begann und 432000 Menschenjahre dauern wird. „Kein apokalyptisches Weltbild liegt hier vor, an dessen Ende, wie etwa im semitisch-nahöstlichen Denken, ein neues Reich, eine neue Welt, Gottes Herrlichkeit steht, sondern ein ‚regeneratives Welt- und Naturkonzept‘, an dessen Ende alles schlicht von neuem beginnt – ohne Zutun von Menschen und Göttern, sondern nur durch das ständige Entfalten und Zurückziehen der Urmaterie. … Beide Kulturkreise relativieren oder transzendieren mit ihrem heilsgeschichtlichen Denken die Zeitlichkeit: die christliche Tradition, indem sie Geschichte als ‚Übergangsstadium‘ zur eschatologischen Erfüllung in Gottes Herrlichkeit betrachtet, Hindus, indem sie ‚eine Identifikation mit der Zeitlosigkeit zu Lebzeiten‘ suchen, durch Riten, Feste und spirituelle Vervollkommnung.“452 f)

Hinduistische Religiosität

Was zumindest die Angehörigen der oberen drei Kasten religiös verbindet, ist das Morgenritual bei Sonnenaufgang an Flüssen, in Tempeln oder auch zuhause: „Es umfasst ein rituelles Bad, Atemübungen, die Rezitation der Gāyatrī-Hymne, bestimmte Ritualausrufe (…), Sonnen und Götterverehrung sowie Dämonenvertreibung.“453 Die Waschungen dienen der äußeren und inneren Reinigung. Der Sonnengruß (Gāyatrī) aus den Veden lautet: „Om! Wir versenken uns ehrfürchtig in die Glorie der Gottheit; Die die Erde, den Luftraum und den Himmel durchdringt! Erfülle uns mit geistiger Kraft.“454

Am Ende des Morgenrituals wird ein Stirnzeichen aufgetragen (senkrechte Striche stehen für Vishnu, waagrechte für Shiva). Neben dem Morgenritual bildet die tägliche Verehrung einer oder mehrerer Gottheiten das rituelle Zentrum hinduistischer Religion. Diese Form des Gottesdienstes, pūjā genannt, spielt sich zum einen und überwiegend vor dem Hausaltar der Familie ab, kann also auch von Nicht-Priestern vollzogen werden: Die von der Familie primär verehrte Gottheit wird in Form einer 451 452 453 454

Vgl. Patañjali, Wurzeln. Schlensog, Hinduismus, 208 (Kursivdruck im Orig. fett). Michaels, Hinduismus, 261. Zit. nach Kämpchen, Name, 83.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

183

Statue durch sog. Dienste oder Aufwartungen wie ein Gast oder König eingeladen, empfangen, gewaschen, gesalbt, bekleidet, mit Blüten bestreut und mit Weihrauch, Licht, Essensgaben (stets vegetarisch) und Geld versorgt. All diese Handlungen des häuslichen Rituals, die gemeinsame Aufgabe von Ehemann und -frau (die Frau unterhält das Hausfeuer) sind, werden von rituellen Sprüchen und Gesten begleitet. Im Gegenzug erhält der Gläubige Gesundheit, Glück, Schutz der Gottheit und die Rückgabe der dargebotenen Speisen.455 Besondere Tage im Mondmonat sind Vollmond und Neumond sowie der elfte Tag des Monats: an diesen wird gefastet, gesungen und gebetet. Zum anderen realisiert sich hinduistischer Gottesdienst in den Tempeln, die entweder den Hauptgottheiten Vishnu oder Shiva oder deren Manifestationen wie Ganesha, Hanuman, Laksmi, Sarasvati oder Durga geweiht sind. Vor dem Tempel zieht man die Schuhe aus, im Tempelbezirk nimmt man ein rituelles Bad, bevor man im Zentrum der Anlage die dargestellte Gottheit im Uhrzeigersinn umschreitet. Die Tempel sind Sakralbezirke, in deren Zentrum die jeweilige verehrte Gottheit als besonders gegenwärtig und wirksam erfahren und deshalb mehrmals täglich in Form von Ritualen und Opfergaben, Hymnen, Liedern (Bhajans, Kirtans) und Formeln (Mantras) wie ein König verehrt wird (pūjā): Die Gottheit wird bei Sonnenaufgang durch die Priester geweckt und angekleidet; dann wird der Schrein mit der Götterstatue für die Besucher geöffnet; mittags wird die Gottheit mit Speiseopfern gespeist, der Schrein wird wieder geschlossen; nachmittags werden wieder Speisen dargebracht und der Schrein erneut geöffnet; nach einem Abendritual mit Lichterschwenken wird der Schrein für die Nachtruhe verschlossen. Höhepunkt ist das Sehen bzw. das Sichzeigen der Gottheit (darśana). Der Betende spendet Blumen, Speisen oder Geld als Zeichen seiner Hingabe und erhält im Gegenzug vom Priester geweihtes Wasser, Sandelpaste auf die Stirn, geweihte Blumen oder Speisen. Dieses rituelle Geben und Nehmen ist Ausdruck der Kommunikation zwischen Mensch und Gott. „Der Vorwurf der Idolatrie, der Götzenbildverehrung, der den Hindus vor allem von christlicher Seite immer wieder gemacht wurde, geht an wesentlichen Aspekten des Rituals, aber auch an der sich um die Deutung des Kultbildes entfaltenden theologischen Diskussion vorbei (…). In der Regel wird nicht das Bild als Gottheit verehrt, sondern vielmehr wird die Gottheit im und anhand des Bildes vergegenwärtigt.“456 Man könnte diese Praxis und ihre Deutung am ehesten mit der Ikonenverehrung im orthodoxen Christentum vergleichen. g)

Philosophische Schulen

Neben den verschiedenen religiösen Richtungen im Hinduismus gibt es sechs verschiedene philosophische Schulen oder Denksysteme (Darśanas), die sich als Erlösungswege sehen und sich trotz ihrer Unterschiede auf die Veden berufen und als kanonisch gelten:457 455 Vgl. Michaels, Hinduismus, 268f. 456 Malinar, Hinduismus, 156f. 457 Vgl. hierzu Malinar, Hinduismus, 247–256.

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4 Systematische Zugänge

Die (1) Mīmāṃsā-Schule (= Untersuchung, Auslegung) bemüht sich um eine Auslegung und sprachphilosophische Analyse der ältesten vedischen Ritual- und Opfertexte, der Brahmanas. Die Veden insgesamt werden als präexistente, ewig gültige Schriften betrachtet. Der (2) Vedānta (= Ende des Veda) beschäftigt sich mit den jüngeren vedischen Texten (Upaniṣaden, Bhagavadgita, Brahmasutra), wobei drei Auslegungsrichtungen dominieren, was das Verhältnis von Brahman und Atman angeht. Die wahre Erkenntnis dieses Verhältnisses bedeutet Erlösung. Der sog. nicht-dualistische (monistische/holistische) Advaita-Vedānta des Philosophen Śaṅkara (7./8. n.Chr.) geht wie die Upaniṣaden davon aus, dass Brahman (Weltseele) und Atman (menschliche Individualseele) letztlich identisch sind, d. h. außer Brahman existiert nichts wirklich (Advaita = Nicht-Zweiheit), die Welt einschließlich der Götter ist Schein (māyā), die Vielheit ist Illusion. Diese Erkenntnis führt zur Verschmelzung des individuellen Bewusstseins mit dem Brahman als absolutem Sein und bedeutet Erlösung. Das wahre Wesen Brahmans sei nur negativ bestimmbar, weil Brahman frei von Eigenschaften ist (nirguṇa brahman). Eigenschaften des Brahman (saguṇa brahman) wie Allmacht usw. sind nur Illusion ebenso wie die Annahme eines individuellen Selbst, eines Ichs. Dem gegenüber steht der sog. Dvaita-Vedānta des Madhva (ca. 1238–1317), eine dualistisch-theistische Sicht, die Gott und individuelles Selbst ontologisch radikal voneinander trennt, höchstens eine Ähnlichkeit oder Abbildlichkeit zwischen beiden sieht: „Die Einheit mit Gott, um die es in der Erlösung geht, ist keine ontologische Vereinigung, sondern ein innerer Gleichklang, die völlige Angleichung des menschlichen Willens und seiner Neigungen an den Willen Gottes. … Alle menschliche Hingabe an Gott muss letztlich als allein der Gnade Gottes verdankte Gabe verstanden werden.“458 Dieser Ansatz kommt dem biblischen Gottes- und Menschenbild vielleicht am nächsten. Zwischen dem Advaita-Vedānta Śaṅkaras und dem theistischen Dvaita-Vedānta Madhvas steht inhaltlich und zeitlich der Viśiṣṭādvaita des Vishnuiten Rāmānuja (11. Jh.), der sowohl von einer Einheit als auch Unterschiedenheit von Brahman und Atman ausgeht („eigenschaftsbehafteter Nichtdualismus“): „Das individuelle Selbst verhält sich zum höchsten, göttlichen Selbst wie der Teil zum Ganzen oder wie der einzelne Lichtstrahl zur Lichtquelle.“459 Das Brahman ist nicht eigenschaftslos, sondern personal, ein persönlicher Gott (Vishnu oder Shiva): In der Erkenntnis mit Hilfe der heiligen Schriften und der göttlichen Gnade sowie durch liebende Hingabe (bhakti) an diesen personalen Gott werden Gott und Selbst als identisch erfahren, auch wenn sie substantiell verschieden sind. Weitere Schulen sind (3) die Nyāya-Schule (Logik), die sich um eine rationale Begründung des Monotheismus (Schöpfergott) bemüht und Erlösung durch Erkenntnis sucht, und die (4) Vaiśeṣika-Schule (= Unterschiedenheit), die eine atomistischmechanistische Naturphilosophie darstellt. Nach der dualistischen und atheistischen (5) Sāṃkhya-Schule (= Aufzählung) beruht alles Seiende auf den zwei Prinzipien purusha (Selbst) und prakrti (Natur): Aus prakrti entstehen Geist, Vernunft, Ich458 Schmidt-Leukel, Gott im Hinduismus, 161. 459 Ebd. 158.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

185

Bewusstsein, 5 Sinnesorgane des Erkennens, 5 Sinnesorgane des Handelns, das Denken, 5 feinstoffliche Elemente und 5 grobstoffliche Elemente. Diese sind in ständiger Bewegung, in Werden und Vergehen. Das Selbst ist davon seinem Wesen nach unberührt, unveränderlich, faktisch aber darin verwickelt (Kreislauf der Wiedergeburten). Erlösung geschieht durch die Überwindung der Konfusion von Selbst und Natur durch rationale Erkenntnis der eigenen wahren Natur (purusha). (6) Yoga (= Verbindung) schließlich basiert auf der Kosmologie des Sāṃkhya, wählt demgegenüber aber nicht den rationalen, sondern den asketisch-kontemplativen Weg und geht von der Existenz Gottes aus. Wichtigste Quelle ist das Yogasūtra des Patañjali (4./5.Jh.).460 Wie der Buddhismus spricht Patañjali von „Befleckungen“ des Menschen, die Leid bedeuten: Nichtwissen, Ichverhaftung, Begierde, Hass, Lebensdrang.461 Durch Askese, Studium der heiligen Schriften und Hingabe an Gott müssen diese zunächst geschwächt werden, bevor man sich auf den achtgliedrigen Yoga-Weg macht: Das 1. Glied Yama (äußere Disziplin) besteht in fünf Prinzipien: Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, Keuschheit und Besitzlosigkeit. Das 2. Glied Niyama (innere Disziplin) besteht aus Reinheit, Genügsamkeit, Schriftrezitation und Gottesverehrung. Diese ersten beiden Glieder dienen der moralischen Vorbereitung, sind also Basis für alle weiteren Glieder. Der physischen Vorbereitung dienen 3. Āsana (Körperhaltung), eine Stilllegung des Körpers durch Sitzmeditation (z. B. Lotossitz) oder bestimmte Körperhaltungen (Hatha), 4. Prāṇāyāma, die Atemzügelung (vgl. Hesychasmus), 5. Pratyāhāra (Zurückziehen der Sinne), die Isolierung des Bewusstseins/der Sinnesorgane von der Außenwelt. Schließlich die Glieder der geistigen Vorbereitung: 6. Dhāraṇā, die Konzentration auf ein Objekt oder Mantra, 7. Dhyāna (Meditation, d. h. Loslassen der Gedanken) und 8. Samādhi (höchste Stufe der Versenkung), die Einheitserfahrung mit dem Brahman, d. h. der geistige Wesenskern (Atman, Purusha) ist von allem Materiellen isoliert. Ziel ist die Befreiung der unsterblichen Seele durch die Erkenntnis der Einheit von Atman und Brahman. h)

Gegenwärtige Hindureligionen und ihre Gottesvorstellungen

Eine oberflächliche Betrachtung aus der Perspektive der abrahamitischen Religionen wird die Hindureligionen mit ihrem Pantheon leicht als polytheistisch einstufen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Gottesbegriff der Religionen semitischen Ursprungs überhaupt so ohne Weiteres auf den Gottesbegriff der Religionen indischen Ursprungs zu übertragen ist. Eine Gottheit (Deva), oft auch als „Herr“ (Īśvara) angesprochen, ist nach indischem Denken nicht ein transzendentes, oberstes, in sich selbst seiendes Wesen, sondern eher eine lokale Funktion oder Manifestation oder Wirkweise des einen, transzendenten Weltengrundes (Brahman). Als solche unterliegen die Götter durchaus der Veränderung, ja der Vergänglichkeit und sind auf die Opfer der Menschen angewiesen, sodass eine wechselseitige Abhängigkeit besteht462. 460 Vgl. Patañjali, Yoga. 461 Vgl. ebd. II, 5–9. 462 Vgl. dazu Hans Wolfgang Schumann, Die großen Götter Indiens. Grundzüge von Hinduismus und Buddhismus, Kreuzlingen/München 32001.

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4 Systematische Zugänge

Das Göttliche im Sinne des Unsterblichen, Ewigen liegt somit „jenseits von Gott und Mensch“.463 Unter den Manifestationen Brahmans werden seit der klassischen Zeit (ab Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends) drei besonders häufig in den nun errichteten Tempeln und im häuslichen Ritual verehrt und angebetet: Im Vishnuismus wird Vishnu, „der Alldurchdringende“, als Brahman verehrt. Er ist vor allem der Erhalter des Universums und seiner Ordnung und kommt in Form verschiedener Herabkünfte oder Inkarnationen (avatāras) liebend auf die Menschen zu, auch auf die Angehörigen niederer gesellschaftlicher Klassen, um sie auf den Weg der Erlösung zu führen. Verteilt auf die Weltzeitalter gab es zehn Inkarnationen Vishnus464, von denen die bekannteste und beliebteste Krishna ist, der wiederum in diversen Inkarnationen erscheint und zum Teil als eigenständige Gottheit gilt. In ihm ist Gott Liebhaber und Geliebter. Er wird meist mit den Symbolen Muschel, Diskus, Keule und Lotosblüte und dem Adler als Reittier dargestellt, seine Frau ist Sri oder Lakshmi. Seine Geschichte wird in den Epen Ramayana und Mahabharata (mit der Bhagavadgita) erzählt. Bei den Vishnuiten steht die bedingungslose Gottesliebe (bhakti) im Zentrum, die Sehnsucht nach Gott, weniger das Ritual und das Opfer, die strenge Advaita-Lehre wird abgelehnt. Der Shivaismus verehrt Shiva als Manifestation des Brahman. Shiva ist ambivalent, hat viele Gesichter: Er steht für die Zerstörung alles Vergänglichen, was jedoch zugleich als Erlösung, als Befreiung der Seele verstanden wird. Als „der Gütige, Freundliche, Heilbringende“ hat er eine „dem Menschen zugewandte gnadenhafte und liebevolle Seite“465. Als Allmächtiger umgreift er das männliche und weibliche Prinzip, letzteres manifestiert sich in seiner Gattin Shakti (= Potenz), die in ihrem friedlich-gnädigen Aspekt als Parvati, in ihrem zerstörerischen Aspekt als Kali/Durga verehrt wird. Shiva wird – anders als Vishnu – mit Gattin und Söhnen (v.a. Ganesha) direkt verehrt, nicht über Inkarnationen. Oft wird er tanzend dargestellt, weil der kosmische Tanz den Rhythmus von Schöpfung, Zerstörung und Neuschöpfung symbolisiert. Sein Symbol ist das Lingam (Phallus), das für sexuelle Macht steht, und der Dreizack, der Stier ist sein Reittier. Im Shaktismus steht die Göttin Shakti, die Gattin Shivas, im Zentrum der Verehrung (Devī-Kult), die zum Teil auch in Form von Tieropfern geschieht. Sie ist die personifizierte Schöpferkraft Gottes, die lebenspendende Mutter. Überhaupt spielt die Verehrung von Göttinnen vor allem in den ländlichen Regionen Indiens seit jeher eine große Rolle, auch wenn die männlichen Gottheiten in den Veden eindeutig dominieren.466 Natürlich „ist das Göttliche auch nach indischem Verständnis letztlich weder Mann noch Frau, sondern transpersonal“467, insofern sind die männlichen und weiblichen Gottheiten als polare Aspekte des einen Göttlichen zu sehen. Die ersten Anfänge der Verehrung der weiblichen Gottheiten liegen bereits in den frühesten 463 464 465 466

Vgl. Michaels, Hinduismus, 231. Vgl. dazu Schumann, Götter, 47–99. Schlensog, Hinduismus, 239. Vgl. David Kinsley, Die indischen Göttinnen. Weibliche Gottheiten im Hinduismus, Frankfurt a.M./Leipzig 2000. 467 Schlensog, Hinduismus, 231.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

187

Schriften (Veden), vor allem aber ab dem 5./6. nachchristlichen Jahrhundert erhalten sie eine große Popularität wie in keiner anderen Religion und dies bis heute. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Mythologie, in den Epen. Die Göttinnen bringen das Wesen der Frömmigkeit, besonders die weibliche Dimension der Frömmigkeit, aber auch das hinduistische Denken über sexuelle Rollen und Beziehungen zum Ausdruck. Männliche Gottheiten sind ohne ihr weibliches Gegenstück (ihre shakti = Kraft) unwirksam oder schwach: Weibliche Gottheiten stehen für den schöpferischen, aktiven Aspekt im Kosmos, sie garantieren die Ordnung, können aber auch einen zerstörerischen Aspekt haben. Sri-Laksmi etwa ist eine der populärsten Göttinnen, die von Hindus aller Kasten in ganz Indien vor allem im Divali-Fest (=Lichterfest) verehrt wird. Sie ist meist Frau oder Gefährtin Vishnus und spielt die Rolle der vorbildlichen Hindu-Frau, die ihrem Ehemann gehorsam und treu dient. Sie ist für allgemeines Wohlergehen und Glück zuständig, für Gesundheit, Wohlstand, Schönheit, Macht. Sie sitzt auf dem Lotos als Symbol für Fruchtbarkeit, Leben, Reinheit, spirituelle Kraft. Parvati (auch Sati) ist die Frau Shivas und gilt als ideale Frau und Mutter. Sie repräsentiert die kreative Kraft im Kosmos und den asketischen, weltverneinenden Pol im Hinduismus. Sarasvati ist die älteste indische Göttin: Als Flussgöttin und Frau/Tochter/weibliche Kraft Brahmas ist sie reinigend und fruchtbringend sowie Schutzpatronin des Lernens, der Weisheit, der Poesie und Künste. Durga zeigt ambivalente Eigenschaften: Einerseits ist sie Zerstörerin, andererseits Erhalterin/Retterin und steht damit für das kosmische Gleichgewicht. Die „große Göttin“ Mahadevi schließlich vereint alle diese weiblichen Gottheiten in sich bzw. die genannten Göttinnen sind Manifestationen der einen großen Göttin, der Schöpferin und Herrin des Universums. Die weiblichen Gottheiten des Hinduismus bzw. ihre Rolle und ihre praktische Verehrung in Form von rezitierten Hymnen lassen sich vielleicht am ehesten mit der Rolle und Verehrung Mariens im orthodoxen und katholischen Volksglauben vergleichen.

4.3.2

Prophetie und Mystik gehören zusammen: Christlich-hinduistischer Dialog

a)

Der Dialog mit dem Hinduismus

Auch wenn das Zweite Vatikanum noch sehr minimalistisch war in seinen Aussagen über die indischen Religionen, so war es doch der Anstoß für den offiziellen Dialog seitens der katholischen Kirche. Johannes Paul II. hat bei einer Rede in Madras 1986 wertschätzende Worte gefunden, die deutlich über den Konzilssatz hinausgehen: „Indien ist in der Tat die Wiege uralter religiöser Traditionen. Der Glaube an eine den Menschen betreffende Wirklichkeit, die jenseits der materiellen und biologischen Wirklichkeit liegt, der Glaube an das Höchste Wesen, das die Tatsache erklärt, rechtfertigt und ermöglicht, dass der Mensch sämtliche Bereiche seines materiellen Seins übersteigt – dieser Glaube wird in Indien zutiefst erfahren. Eure Meditationen

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4 Systematische Zugänge

über unsichtbare und geistige Dinge haben auf die Welt tiefen Eindruck gemacht. Euer überwältigender Sinn für den Vorrang der Religion und die Größe des Höchsten Wesens ist ein machtvolles Zeugnis wider eine materialistische und atheistische Lebensauffassung gewesen. … Die katholische Kirche erkennt die Wahrheiten an, die in den religiösen Traditionen Indiens enthalten sind.“468 In seiner Enzyklika Fides et Ratio von 1998 fordert er die Christen von heute, vor allem jene in Indien, auf, „aus diesem reichen Erbe die Elemente zu entnehmen, die mit ihrem Glauben vereinbar sind, so dass es zu einer Bereicherung des christlichen Denkens kommt.“ (Nr. 72) In einem Schreiben des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog von 2016 zum von Papst Franziskus ausgerufenen Jahr der Barmherzigkeit wird Barmherzigkeit und Mitgefühl (dayā, karuṇā, anukampā) als „ein Kernprinzip“ und eine „edle Tugend“ des Sanatana Dharma (= Hinduismus) gewürdigt: „Mitgefühl (Barmherzigkeit) ist die Grundlage für das hinduistische Verständnis und die hinduistische Praxis von ‚ahiṃsā‘ (Gewaltlosigkeit), eine Kerntugend, die als höchstes Mittel der Rechtschaffenheit gesehen wird. Mitgefühl (compassion) meint nicht Mitleid oder Bedauern, denn dies ist mit Herablassung verbunden; Mitgefühl heißt sich mit dem Leidenden zu identifizieren, führt zu Handlungen der Güte, Barmherzigkeit und Nächstenliebe im selbstlosen Dienst (seva) besonders für die Bedürftigen und in Schmerzen. Dieses Mitgefühl umfasst auch die Tiere. Dies erklärt, warum die meisten Hindus auch Vegetarier sind.“469 Hier wird ein wichtiger Aspekt ergänzt, der so noch nicht im Konzilstext und in den nachkonziliaren Äußerungen zur Sprache kam. Die Konzilsaussagen und nachkonziliaren lehramtlichen Aussagen wären nicht möglich gewesen ohne die Pionierarbeit von christlichen Theologen wie Jules Monchanin SAM (1895–1957), Henri Le Saux OSB (1910–1973), Bede Griffiths OSB (1906– 1993), Josef Neuner SJ (1908–2009), Raimon Panikkar (1918–2010), die intellektuell und spirituell immer tiefer in die indische und hinduistische Geisteswelt eintauchten und sie mit ihrem christlichem Glauben in Beziehung setzten, zum Teil sogar in einer Art doppelten Zugehörigkeit oder Bi-Religiosität. Kamen früher die christlichen Theologen ausschließlich mit einem missionarischen Interesse nach Indien, so suchten diese Pioniere auch nach spirituellen Quellen, die sie im westlichen Christentum ihrer Zeit persönlich schmerzlich vermissten. Eine wichtige Rolle spielte auch der Brahmane Brahmabandhab Upadhyay (1861–1907), der zum katholischen Glauben konvertierte, aber seine Hindu-Tradition zu integrieren versuchte. Er hat wie später auch Monchanin und Le Saux christliche Ashrams gegründet, die bis heute Zentren der Inkulturation und des spirituellen Dialogs darstellen. Sie und andere wie etwa die sog. „Schule von Kalkutta“ (die Jesuiten Pierre Johanns, Pierre Fallon, Richard de Smet) haben sich aber auch theologisch mit den indischen theologisch-philosophischen Systemen beschäftigt, zuerst vor allem mit der bei den Brahmanen und NeoHinduisten wie Swami Vivekananda (1863–1902) und Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975) vertretenen Schule des Advaita-Vedanta, der von der Wesensidentität von Atman und Brahman ausgeht. 468 Zit. nach Fürlinger, Dialog, 287. 469 PCID, Celebrating Mercy with Believers of other Religions, Città del Vaticano 2016, 33.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

189

Sahen die Brahmanen im Advaita-Vedanta Shankaras (7./8. Jh.) eine höhere Stufe als den Theismus, weil außer dem Brahman in Wahrheit nichts existiere, so versuchten vor allem katholische Theologen Anfang des 20. Jahrhunderts wie Georges Dandoy SJ (1882–1962) oder Pieter Johanns SJ (1882–1955) nicht zuletzt im Dienste der Inkulturation des Christentums zu zeigen, dass der Advaita durchaus mit dem christlichen (thomistisch verstandenen) Theismus konvergiere. Protestantische Theologen hingegen und katholische Theologen nach dem Konzil konzentrierten sich eher auf das theistische System des Vedanta nach Rāmānuja (11./12. Jh.) und die Bhaktifrömmigkeit der Volksreligion, die besonders auch bei den kastenlosen Dalits beliebt ist und mehr Potentiale zur sozialen Befreiung enthält als die Advaita-Richtung. Sahen die Christen in der hinduistischen volksreligiösen Verehrung Vishnus und Krishnas zunächst Polytheismus und Götzendienst, so zieht man heute eher Strukturvergleiche mit dem sakramentalen Verständnis der Präsenz Gottes im Christlichen. Ohnehin sollte man mit Typisierungen vorsichtig sein: „In allen Religionen gibt es mindestens ansatzweise polytheistische, monotheistische und a-theistische Tendenzen – von allem etwas“470, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Beide Religionen sind Erlösungsreligionen. Problematisch ist es jedoch, etwa hinduistische Avatara-Vorstellungen, wie sie vor allem im Vishnuismus typisch sind, auf die christliche Inkarnations-Vorstellung zu übertragen, wie dies von neo-hinduistischer Seite gerne geschieht, weil damit die reale Menschwerdung des göttlichen Logos und seine Einzigartigkeit nicht ausreichend erfasst werden: Avataras („Herabkünfte Gottes“) nämlich nehmen nicht die wirkliche Geschichtlichkeit, Zeitlichkeit, Bedingtheit, Leidensfähigkeit eines Menschen an. Immer stärker aber ist im Laufe des 20. Jahrhunderts das Bedürfnis bei indischen christlichen Theologen festzustellen, den eigenen Glauben nicht mehr (nur) in Begriffen europäischer Sprachen, sondern mit indischen Kategorien zu reformulieren und so erst die wirklich universale Dimension christlicher Wahrheit ernstzunehmen. Grundsätzlich sollte sich die christliche Theologie im Dialog mit dem Hinduismus davor hüten, eine bestimmte theologisch-philosophische Schule als einzige Repräsentantin des vielfältigen Hinduismus zu sehen. Ein wichtiges Thema des Dialogs mit dem Hinduismus ist die Ethik. Dharma steht nicht nur für die ewige kosmische und gesellschaftliche, sondern auch für die ethisch-sittliche Ordnung. Dennoch war der klassische Advaita-Vedanta in erster Linie an der Erkenntnis dieser Ordnung interessiert, die zur Erlösung führe, die Ethik war da eher Mittel zum Zweck. Erst der Neo-Hinduismus hat in der Begegnung mit modernem europäischen Denken, vor allem mit Schopenhauer, der Vedanta-Philosophie die Ethik der Nächstenliebe und der Gleichheit aller Menschen einverleibt und in der upanischadischen Formel des tat tvam asi (Identität von brahman und ātman) die Begründung dafür gesehen. Viel stärker als irgendwo sonst ist der interreligiöse Dialog in Indien mit kulturellen und sozialen Faktoren verbunden. Was heute ansteht, ist die Thematisierung eines zunehmenden nationalistischen Hindu-Fundamentalismus, der sich – zum Teil 470 Barth, Dogmatik, 238.

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4 Systematische Zugänge

auch gewaltsam – in erster Linie gegen Muslim*innen, aber auch gegen Christ*innen in Indien richtet. Umgekehrt gibt es vor allem im freikirchlichen Bereich christlichfundamentalistische Gruppierungen in Indien, die mit ihrer Polemik gegen den Hinduismus, ihrer aggressiven Missionsarbeit und ihrem Exklusivitätsanspruch Spannungen provozieren. Insgesamt scheint die christliche Minderheit in Indien an einem theologischen Dialog aus Angst vor Vereinnahmung und Identitätsverlust angesichts der starken Assimilationskraft des Hinduismus kaum interessiert zu sein, viele Hindus ihrerseits sehen wenig Veranlassung sich theologisch intensiver mit dem Christentum zu befassen und nicht wenige Hindus sehen im indischen Christentum einen westlich-kolonialistischen Fremdkörper. Ausnahme war im 19. Jh. etwa Ramakrishna (1836–1886), der gegenüber dem Christentum (und dem Islam) eine große Offenheit zeigte. b)

Der Dialog der religiösen Erfahrung mit dem Hinduismus

Insgesamt ist der Hinduismus für die Weltkirche bislang deutlich weniger im Blick gewesen als der Islam. Dabei gibt es seit Jahrzehnten eine Vielzahl von neo-hinduistischen Gruppierungen im Westen, die auch eine hohe Attraktion für Christ*innen besitzen. Vor allem verschiedenste Richtungen und Angebote von Yoga und Meditation (dhyana) werden von nicht wenigen Christ*innen praktiziert und in die eigene Spiritualität integriert, wenn auch nicht primär oder bewusst aus religiös-spirituellem Interesse, sondern „vom Wunsch nach Entspannung, Fitness und Selbsterfahrung geleitet“471. Wie dies theologisch zu bewerten ist, ist bislang noch kaum befriedigend reflektiert und diskutiert. So ist sowohl bei hinduistischen wie auch christlichen Theolog*innen umstritten, ob und in welchem Maße Praktiken des Yoga von ihren religiös-weltanschaulichen Hintergründen, die ja selbst vielfältig bis widersprüchlich sind (die einen Systeme sind dualistisch, andere nicht-dualistisch, die einen theistisch, andere atheistisch oder panentheistisch), zu lösen sind, also weltanschaulich neutral sein können. Dabei wird immer deutlicher, dass vieles, was ursprünglich aus dem alten Indien zu stammen scheint, eher eine westliche Adaption des 19./20. Jahrhunderts darstellt und von dort wieder nach Indien gelangte: „Der moderne Yoga in Europa und den USA ist keine jahrtausendealte indische Tradition, sondern Produkt des interkulturellen Austauschs, das im Kontext der Modernisierung der indischen Gesellschaft – als die Yogalehre dort überhaupt nicht populär war! – unter dem Einfluss der westlichen Kultur entstand.“472 Religionswissenschaftlich betrachtet handelt es sich hier also um Wechselwirkungsprozesse, die durchaus synkretistisch verlaufen können, aber auch Spannungen erzeugen: „Tiefgreifende Unterschiede werden am Menschenbild des Yoga deutlich, das, aus christlicher Sicht betrachtet, stets dazu neigt, die Einheit der menschlichen Person aufzulösen und die ‚Seele‘ als Fremdling in der Welt und in der empirischen Per471 Reinhart Hummel, Yoga – Meditationsweg für Christen? Probleme einer christlichen Yoga-Rezeption (EZW-Information Nr. 112), Stuttgart 1990, 2. 472 Friedmann Eißler, Mantra, Markt und Massensport. Yoga zwischen Erleuchtung und Entspannung, in: Herderkorrespondenz 68/6 (2014), 307–311, 308.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

191

son zu betrachten.“473 Die Ganzheitlichkeit des biblischen Menschenbildes scheint sich damit nur schwer zu vertragen: „Der christliche Glaube kennt kein unvergängliches Selbst des Menschen, das sich um seiner Erlösung willen seiner totalen Geschiedenheit von Leib und Geist bewusst werden müsste.“474 Zu bedenken ist weiterhin, dass sich mit den Mantras, die in vielen Yoga-Formen rezitiert werden, zwangsläufig Gottesvorstellungen und eine konkrete Gottesverehrung verbinden, gleich ob personal oder a- oder transpersonal. Es gibt keine reine mystische Erfahrung, die frei wäre von Deutungskategorien. Problematisch aus christlicher Sicht ist schließlich die gleichsam göttliche Verehrung des Lehrers (Guru). Yoga und andere Techniken können zu einer Weltflucht oder heilsegoistischen Beschäftigung mit sich selbst führen, sie können aus christlicher Sicht aber auch eine wichtige Funktion haben, „nämlich als Hilfe zur Sammlung und zu jener Stille, in der der Christ wieder zum Hören, Bibellesen und Beten fähig wird.“475 Es kommt somit viel auf die richtige Methode, Intention und Interpretation an. Christlich wird man Yoga und andere hinduistische Traditionen also weder pauschal verwerfen noch unterschiedslos rezipieren können. Es gilt auch hier der biblische Grundsatz, alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,21): Gut ist, was dem Menschen dient, was ihn zur Gemeinschaft mit Gott und dem Mitmenschen führt. Der evangelische Theologe Friedmann Eißler kommt zu dem recht allgemeinen Schluss: „Die eine oder andere Yoga-Methode kann als eine Hilfe zur Vertiefung christlicher Glaubenserfahrung und zur Erschließung neuer oder wenig beachteter Dimensionen des Glaubens erlebt werden. Andererseits sind Guru-Verehrung, der Glaube an Karma und Reinkarnation, die (pseudo-)tolerante Vereinnahmung unterschiedlichster Glaubensinhalte mit der Behauptung religiös-weltanschaulicher Neutralität nicht Inhalte, die von einer ‚reinen‘ Form der Yogapraxis fein säuberlich zu trennen wären.“476 Dennoch kann der Yogaweg durchaus christlich gedeutet und integriert und so zu einem „christlichen Yoga“ werden, wenn das letzte Ziel nicht das Zum-Stillstand-Bringen des Geistes und eine Abkehr von der Welt ist, sondern die personale Gemeinschaft mit Gott, der sich in der Geschichte in Jesus Christus aus freier Liebe selbst mitgeteilt hat und im Nächsten begegnet.

4.3.3

Gegenwärtige Herausforderungen im Dialog mit dem Hinduismus

(1) Der Hinduismus ist mit seinen verschiedenen Strömungen heute nach dem Christentum und Islam die drittgrößte Weltreligion und durch Migration und missionarische Strömungen des Neo-Hinduismus auch im Westen präsent (in Deutschland ca. 473 Hummel, Yoga, 8. 474 Friedrich Huber, Christlicher Yoga? Überlegungen zur Verwendung des Yoga im Rahmen christlicher Spiritualität, in: Geist und Leben 64 (1991), 346–364, 355. 475 Hummel, Yoga, 25. 476 Eißler, Mantra, 311.

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4 Systematische Zugänge

100.000). Während es in Indien eine ganze Reihe von Dialogzentren, unter anderem in Form christlicher Ashrams, die hinduistische Elemente aufnehmen, und sozial orientierten Dialogprojekten gibt, ist der christlich-hinduistische Dialog in Europa eher sporadisch denn organisiert. Während der Dialog in Indien in den letzten Jahren durch die fundamentalistische Hindutva-Ideologie, nach der nur die Hindus echte Inder sind, und Kontroversen um die christliche Missionsarbeit belastet ist, fühlen sich im Westen nicht wenige Christen durch die tiefe hinduistische Spiritualität angezogen und praktizieren wie selbstverständlich verschiedenste Formen des Yoga oder wenden alte hinduistische Heilmethoden (Ayurveda) an. Der Übergang zu Esoterik und New Age ist dabei nicht selten fließend. Es bedarf der Erarbeitung klarer Kriterien, inwieweit Elemente anderer Religionen in die eigene religiöse Praxis aufgenommen werden können, ohne dabei die andere Tradition zu vereinnahmen oder die eigene zu verfälschen. Religiöse „Bi-Identitäten“ oder gar „multiple“ Religionsbindungen nehmen zu477 – wie damit in Pastoral und Verkündigung angemessen umzugehen ist, ist noch weithin unklar. (2) Neben der spirituellen Praxis stellt der theologische Dialog mit dem Hinduismus eine große Herausforderung dar: Während Pioniere wie Le Saux, Bede Griffith oder Raimundo Panikkar in ihren frühen Annäherungen im Hinduismus noch eine Vorbereitung auf das Evangelium sahen, ist in ihren späteren Phasen festzustellen, dass sie christliche Wahrheiten – bis hin zur Trinitätslehre – in den hinduistischen Lehren wiederzufinden glaubten: Es handele sich um dieselbe Wahrheit, die nur unterschiedlich zum Ausdruck gebracht werde. Die Entwicklung der modernen HinduTraditionen hin zu einem eher monotheistischen und personalen Gottesverständnis und -verhältnis hat den Dialog darüber sicherlich vereinfacht, aber hier ist immer wieder nach der Angemessenheit und dem Verständnis der jeweiligen Begriffe und ihrer Übersetzungen zu fragen. Versteht man Vishnu, Shiva und Shakti nicht als eigenständige Götter, sondern als Wirkweisen oder Manifestationen des einen göttlichen Prinzips Brahman, so lässt sich eine gewisse Analogie zur christlichen Trinitätslehre ziehen, sind doch nach christlichem Verständnis Jesus Christus und der Heilige Geist auch Wirk- oder Gegenwartsweisen des einen Schöpfergottes. Und doch bleibt ein wesentlicher Unterschied zu beachten: Während die Avataras nach hinduistischem Verständnis nicht die menschliche Natur annehmen, so wird Gottes Wort in Jesus Christus in der Geschichte wahrhaft Mensch und zwar in einzigartiger Weise, nicht als einer unter vielen. Die hinduistischen Götter sind auch nicht Richter über den Menschen, denn das Karmangesetz „richtet“ gleichsam die Taten und ihre Folgen: „Doch auch die Wiedergeburt stellt nicht eigentlich eine Strafe dar, sondern sie ist immer Selbsterfahrung in dem Zustand, in den man sich durch frühere Taten versetzt hat.“478 Eine weitere zentrale Frage, die sich im theologischen Dialog stellt: Ist die indische Reinkarnationslehre mit dem biblisch-christlichen Menschen- und linearen Ge477 Vgl. dazu Reinhold Bernhardt/Perry Schmidt-Leukel (Hg.), Multiple religiöse Identität. Aus verschiedenen religiösen Traditionen schöpfen, Zürich 2008. 478 V. Stietencron, Welt und Gottheit, 103.

4.3 Hinduismus: Gott und seine vielen Manifestationen

193

schichtsbild vereinbar oder liegen beide Bekenntnisse auf unterschiedlichen Ebenen?479 Was meint Erlösung und Befreiung in beiden Religionen und wie geschieht sie? Die Vorstellung vom Kreislauf der Existenzen soll eine vernünftige Erklärung der Ungleichheit bzw. der ungleichen Situation unter den Menschen bieten, obwohl sie doch eigentlich alle in gleicher Weise am göttlichen Sein teilhaben. Es handelt sich gewissermaßen um einen Theodizeeversuch oder um eine Kontingenzreduktion, insofern der Zufall oder die göttliche Vorherbestimmung ausgeschlossen und das menschliche Handeln verantwortlich gemacht wird (die im Hinduismus weit verbreitete Astrologie sieht in den Planetenkonstellationen nicht die Ursache der eigenen Lebenssituation, vielmehr spiegeln diese nur den eigenen karmischen Status wider).480 Doch die Saṃsāra-Lehre bringt andere logische Probleme mit sich: So hat Karman keinen Anfang, die letzte Ursache für Werden und Vergehen bleibt ebenso ungeklärt wie die Freiheit des Menschen zum Bösen – die Theodizeefrage ist somit nur verschoben, nicht gelöst.481 Unklar ist auch, wie sich der zahlenmäßige Anstieg der Menschen(seelen) erklären lässt. Und schließlich stellt sich doch die Frage, ob wirklich alles Geschehen in einem monokausalen Determinismus auf das eigene Handeln zurückzuführen ist. Am deutlichsten wird das Problem an den unschuldigen Opfern der Schoa: Kann man ernsthaft behaupten, all diese grausam Verfolgten und Ermordeten hätten nur die Folgen ihres früheren Lebens erlitten? Die Karmalehre ist keineswegs eine wissenschaftliche Theorie, wie oft behauptet wird. Auferstehung oder Wiedergeburt können weder bewiesen noch widerlegt werden, sondern sind verschiedene Glaubensüberzeugungen. Sie sind als zeit- und kontextbedingte Hoffnungsbilder zu sehen, die rein weltliche und zeitliche Dimensionen übersteigen hin zu einer endgültigen Befreiung, Vollendung, Erlösung. Beide sind Ausdruck des Vertrauens, dass unser ganzes Leben wertvoll und nicht umsonst ist und dass unser Handeln Konsequenzen hat für unser eigenes Leben wie für das Leben anderer. Dennoch: „Sowohl die Annahme der Präexistenz wie der Postexistenz einer separaten, vom leiblichen Substrat unabhängigen Seelensubstanz entspricht weder unseren Erfahrungen noch den Ergebnissen moderner Medizin, Physiologie und Psychologie, die heute im allgemeinen von der psychosomatischen Einheit des Menschen ausgehen. Auch im Alten und Neuen Testament wird – anders als etwa im platonischen Dualismus – eine ganzheitliche Auffassung vom Menschen vertreten.“482 Die jüdisch-christlich-islamische Sicht von Mensch und Geschichte erhofft nicht nur ein Ende der Zeit, sondern die Vollendung durch Gottes neue Schöpfung, die nicht mehr vergeht. Erlösung oder Heil bedeutet hier nicht Vereinigung von Gott und Mensch, sondern ewige Gemeinschaft. (3) Schließlich ist ein kritischer Dialog über ethische Werte und die Gesellschaftsstruktur zu führen: „Wo das Kastensystem dazu führt, den gleichen Wert und die gleiche Würde aller Menschen zu bestreiten, ist es mit der Botschaft Jesu nicht ver479 480 481 482

Vgl. dazu Moder-Frei, Reinkarnation; Blank, Auferstehung. Vgl. Halbfass, Karma, 238f. Vgl. Küng, Mensch und Erlösung, 150f. Küng, Mensch und Erlösung, 155f.

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4 Systematische Zugänge

einbar“483 und eben auch nicht mit den universalen Menschenrechten. Hier ist vor allem die Stimme der Kastenlosen, der Dalits, zu hören. Es gibt aber auch kasten- und religionsübergreifend gemeinsame ethische Grundlagen, die einen gemeinsamen Einsatz für eine gerechte Gesellschaft möglich machen. So gelten seit der Zeit der Upaniṣaden Mildtätigkeit, Rechtschaffenheit und das Prinzip des Nichtverletzens (ahiṃsā) als zentrale Tugenden. Allerdings gibt es auch hier kein allgemeines Tötungsverbot, sondern die Erlaubnis zum Töten im Krieg, aus Notwehr oder in Form der Todesstrafe, auch das Töten von Tieren für die Nahrungsaufnahme ist (anders als im Jainismus) erlaubt. Auch darüber muss im Dialog gesprochen und gerungen werden.

Fazit Mit Raimon Panikkar ist davon auszugehen, dass es im Hinduismus neben Aberglauben, Entartungen und Dunklem auch „eine lebendige Gegenwart des Geheimnisses gibt, das die Christen ‚Christus‘ nennen. … Christus ist vom christlichen Standpunkt aus nicht nur das ontologische Ziel des Hinduismus, sondern auch dessen wahre Inspiration, und seine Gnade ist die führende, wenn auch verborgene Kraft, die den Hinduismus zu seiner vollen Blüte bringt.“484 Der „unbekannte Christus im Hinduismus“ ist nach Panikkar aber nicht nur den Hindus unbekannt, sondern auch den Christ*innen (also nicht: wir kennen, was ihr verehrt, aber nicht kennt), sodass die Christ*innen zusammen mit den Hindus diesen unbekannten Christus im Hinduismus entdecken können. Das Ziel beider Religionen aber ist letztlich identisch, nämlich „die größtmögliche Einheit mit Gott.“485 Dieser christologisch-pneumatologische Inklusivismus erscheint dem Hindu gegenüber als Zumutung, doch ist er umgekehrt auch ihm zuzugestehen, der Christus und den Geist Christi als śakti, als schöpferische Kraft Brahmans, oder als einen Avatar Vishnus interpretiert. Ein „wechselseitiger Inklusivismus“ kann dann fruchtbar werden, wenn er nicht mit Selbstgenügsamkeit und Überheblichkeit daherkommt, sondern lernfähig, demütig und offen ist.

Didaktische Anregungen: 1.

Über die religionspädagogischen Medienstellen (www.medienzentralen.de) kann man Filme und Koffer der Religionen ausleihen, in denen für die hinduistischen Religionen typische Gegenstände enthalten sind und die man den Schüler*innen haptisch nahe bringen kann. Ein kurzes Informationsvideo zum Hinduismus findet sich auch unter www.youtube.com/watch?v=hDonVDFwpwg

483 Schmidt-Leukel, Gott im Hinduismus, 425. 484 Panikkar, Christus im Hinduismus, 13. 485 Ebd. 44.

4.4

Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

4.4.1

Der Weg des Buddha

Der Buddhismus ist nur auf dem Hintergrund der indischen Religionsgeschichte richtig zu verstehen. Wie im Falle des Hinduismus so handelt es sich auch beim „Buddhismus“ um einen Ober- oder Sammelbegriff für sehr vielfältige Strömungen eines Erlösungsweges, dem heute vielleicht um die 500 Millionen Menschen folgen. Noch mehr als im Falle des Hinduismus stellt sich hier die Frage, ob das europäisch-christlich geprägte Verständnis von „Religion“ sinnvoll anwendbar ist. Der Buddhismus ist vor allem ein Lebensweg, der alle Lebensbereiche erfasst, er ist ein praktisches Meditationssystem, eine philosophisch-weltanschauliche Erkenntnislehre und Anthropologie, ein ethisches System und in Form der kultischen Verehrung Buddhas und im Glauben an höhere Wesen auch eine Religion.486 So ist der Buddhismus Gegenstand der religionswissenschaftlichen Forschung und aus Sicht der christlichen Theologie wird er ebenso den Religionen zugerechnet. Der Buddhismus ist als eine Art Reformreligion zum Hinduismus zu verstehen: Er knüpft einerseits an hinduistische Auffassungen an, kommt aber an entscheidenden Punkten doch zu ganz anderen Positionen, so vor allem zur Lehre vom NichtSelbst (Sanskrit: anātman, Pali: anatta), d. h. es gibt keine beständige Substanz, auch keine ewige Individual- oder Weltseele. Auch die Götter unterliegen dem Gesetz des Karman, weshalb das Opferwesen und Priestertum nutzlos sei. Daher lehnt der Buddhismus die Veden und die brahmanische Religion ab. Schließlich psychologisiert und ethisiert er den Karman-Gedanken (es geht um die Intention der Handlung), „wodurch Freiheit gegenüber dem Schicksal in spiritueller Praxis möglich“487 und das Kastensystem abgelehnt wird (auch wenn es faktisch in buddhistischen Gesellschaften wie Nepal noch existiert). a)

Ursprünge: Siddartha Gautama und die Lehre des frühen Buddhismus

Die Ursprünge der buddhistischen Lehre, Praxis und Gemeinschaft liegen in Nordindien Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends und sind mit der historischen Stifterfigur des Siddārtha Gautama Śākyamuni verbunden, der später den Titel „Buddha“ (= der Erwachte, der Erleuchtete) erhielt. Seine Biographie ist nicht exakt zu rekonstruieren, da historische Quellen mit Legenden überformt worden sind und sämtliche Quellen aus deutlich späterer Zeit stammen. Selbst seine Lebensdaten sind nicht sicher anzugeben, irgendwo zwischen 6. und 4. Jh. v.Chr. (vielleicht um 560– 486 Auch die „Deutsche Buddhistische Union“ bestimmt in ihrer Präambel der Satzung den Buddhismus als Religion und versteht sich selbst als Religionsgemeinschaft. 487 Brück, Buddhismus, 83.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

197

480 oder 450–370).488 Er stammte wohl aus einer hohen Kaste (Krieger- oder Beamtenadel) und wohlhabenden, einflussreichen Familie in Nordindien. Laut Legende wurde er als junger Mann mit den Menschheitsleiden Alter, Krankheit und Tod konfrontiert und zog dem Beispiel eines Wanderasketen folgend in die Hauslosigkeit und radikale Armut. Doch auch dieser Weg führte ihn nicht zum erhofften Ziel, sodass er den Weg der Meditation wählte, bis er – den dämonischen Versuchungen Macht, Selbstzweifel und Eros widerstehend (vgl. die Versuchungsgeschichten des Neuen Testaments) – etwa im Alter von 35 Jahren „erwachte“, d. h. die Erkenntnis der Erlösung erlangte, die Ergebnis der Meditation, nicht etwa rationaler Anstrengung war. Von da an setzte er „das Rad der buddhistischen Lehre“ in Gang, indem er sie öffentlich verkündete und mit seinen Jüngern den Sangha bildete, die Gemeinschaft der Buddhisten. Die buddhistische Lehre sieht sich somit als ein „mittlerer Weg“ zwischen sinnlicher Lust, Reichtum, Macht einerseits und Selbstkasteiung andererseits. Für fast alle buddhistischen Richtungen gilt der sog. Pāli-Kanon489 als verbindliche Textsammlung, die im ersten vorchristlichen Jahrhundert auf Sri Lanka in der Pāli-Sprache verfasst worden ist und dessen Lehrtexte (Sūtra/Sutta) gemeinschaftlich rezitiert werden. Die Sammlung geht jedoch zumindest in Teilen auf deutlich ältere mündliche Überlieferungen zurück und besteht aus sog. drei Körben (Tripiṭaka): 1. 2. 3.

Vinyana-Piṭaka: Anweisungen zur Disziplin und Mönchsregel Sutta-Piṭaka: Lehrreden des Buddha (5 Sammlungen) Abhidhamma-Piṭaka: Systematisierungen der Lehren Buddhas

Später ist dazu jeweils umfangreiche Kommentarliteratur in Pali, Sanskrit, Chinesisch und Tibetisch entstanden. Grundsätzlich unterscheidet man Sūtras (BuddhaWorte) und Śāstras (kommentierende Lehrtexte). b)

Die Lehre und das Ziel: Befreiung vom Leid

Die buddhistische Analyse geht davon aus, dass alle Wirklichkeit zusammengesetzt ist, somit veränderlich und vergänglich, auch das Selbst, das Ich oder die Seele (ātman). Alles, was existiert, entsteht durch „sich selbst erzeugende reziproke Kausalitätsketten (karman)“, d. h. dass „alle vergänglichen Dinge in gegenseitiger Abhängigkeit entstehen und vergehen“490, wobei die Wurzel die Unwissenheit ist. Karman darf jedoch nicht als monokausale Determination verstanden werden, da sonst keine Befreiung aus dem Kausalzusammenhang denkbar wäre, sondern eher als Disposition für das menschliche Handeln.491 Es gibt verschiedene Widergeburtsbereiche je nach 488 Zur Biographie vgl. Schumann, Buddha; Klimkeit, Buddha; Schmidt-Leukel, Buddha?; Brück, Buddhismus, 44−81. 489 Eine übersetzte Auswahl bietet Bechert, Reden des Buddha. Im Mahayana ist die Sammlung des Lotos-Sūtra von zentraler Bedeutung: Vgl. Lotos-Sūtra. Einen Kommentar dazu bietet Thich Nhat Hanh, Weisheit. Weitere wichtige Quellentexte des Mahayana mit Kommentierung bietet Brück, Weisheit. 490 Brück, Buddhismus, 87. 491 Vgl. Brück/ Lai, Buddhismus 363.

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4 Systematische Zugänge

karman: die Menschenwelt, die Götterwelt, das Tierreich, die Hungergeister und Höllenbewohner. Sie alle unterliegen dem Kreislauf von Werden und Vergehen (saṃsāra) und damit dem Leiden (duḥkha/dukkha), aber nur aus dem Wiedergeburtsbereich des Menschen ist die Befreiung möglich. Der Mensch als Individuum besteht aus fünf vergänglichen Komponenten (skandhas), dem materiellen Körper und vier geistigen Aspekten, die er sich bei der Wiedergeburt gleichsam aneignet: Empfindung/Gefühl, Wahrnehmung, karmische Gestaltungskräfte (Wille, Neigungen, Triebe) und Bewusstsein. Das Problem besteht darin, dass der Mensch diese Komponenten für sein Selbst (ātman) hält, doch dieses Selbst oder Ich existiert nicht wirklich (an-ātman). Mit dieser Lehre vom „Nicht-Selbst“ unterscheidet sich der Buddhismus in einem wesentlichen Kern vom Hinduismus. Die Lehre des Buddha ist in den „Vier Edlen Wahrheiten“492 zusammengefasst, die wie eine Medizin beschrieben wird, die eine Krankheit heilt: (1) Die „Wahrheit vom Leiden“ lautet: Der Mensch ist gefangen im Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt, was Leiden bedeutet (Symptom). (2) Die „Wahrheit von der Entstehung des Leidens“ erklärt die Ursache (Diagnose): Ursache des Leidens sind Unwissenheit, Gier (Begehren) und Hass, die Karman erzeugen, woraus der Kreislauf der Wiedergeburten entsteht und am Laufen gehalten wird. Das Hauptproblem ist die Egozentrik, die Vorstellung von einem unvergänglichen Selbst und die Anhaftung an vergängliche Dinge: „,Durst‘ und ‚Anhaftung‘ beruhen auf einer falschen Erwartung, auf der Illusion, dass die Dinge dieser Welt unsere tiefste Sehnsucht stillen könnten.“493 Nicht das Dasein an sich ist leidhaft, sondern die falsche Haltung des Menschen zum Dasein. (3) Die „Wahrheit von der Überwindung des Leidens“ (Prognose) bietet die Einsicht, dass das Leiden durch Verlöschen der Ursachen überwunden werden kann. (4) Die „Wahrheit vom Weg zur Überwindung des Leidens“ schließlich besteht im „Edlen Achtfachen Pfad“ (Mittel der Therapie). Ziel des „Edlen Achtfachen Pfades“ und damit des buddhistischen Erlösungsweges ist das Erkennen dieser Zusammenhänge und das Auslöschen der Kausalzusammenhänge, also der karmischen Bildungen und damit des Lebensrades. Der „Edle Achtfache Pfad“ besteht in folgenden Schritten, die weniger als Stufenfolge zu verstehen sind, sondern „miteinander und untereinander verknüpft“494 sind:

492 Die vier edlen Wahrheiten. Texte des ursprünglichen Buddhismus, hg. von Klaus Mylius, Stuttgart 1998. 493 Schmidt-Leukel, Buddhismus, 77. 494 Schmidt-Leukel, Buddhismus, 84.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

199

(1) rechte Einsicht in die vier edlen Wahrheiten und den Kausalzusammenhang (Karman), womit die Unwissenheit überwunden wird; (2) rechte Gesinnung/Absicht zur Entsagung; (3) rechte Rede (Wahrhaftigkeit); (4) rechtes Handeln in Form der 5 Gebote/Verbote (śīla):  Nicht-Verletzen von Lebewesen (ahiṃsā) – Tiere eingeschlossen −, positiv formuliert: liebende Freundlichkeit, Barmherzigkeit, Gleichmut, MitFreude, Vergebung, Feindesliebe – es geht um Liebe ohne Anhaften;  Nicht-Nehmen dessen, was nicht gegeben ist, d. h. jede Form der Begehrlichkeit zu vermeiden, positiv: Freigebigkeit;  keine unheilsamen, d. h. von Begierde geprägten, sexuellen Beziehungen, positiv: gegenseitiger Respekt in der Partnerschaft;  Keine Unwahrheit sagen, positiv: Wahrhaftigkeit, freundliche Rede;  Vermeidung von Rauschmitteln, positiv: Klarheit des Bewusstseins. (5) rechter Lebenserwerb (anderen Lebewesen kein Leid zufügen) (6) rechte Anstrengung (Kontrolle der Affekte); (7) rechte Achtsamkeit (Bewusstwerdung und Beobachtung aller psycho-physischen Prozesse ohne diese zu manipulieren: Atmen, Empfinden etc.); (8) rechte Sammlung/Konzentration (Kontrolle des Geistes). Die buddhistische Ethik ist eine Gesinnungsethik, der es „auf die ihr zugrundeliegende und in ihr zum Ausdruck kommende Geisteshaltung“495 ankommt und die Denken, Reden und Handeln umfasst. Die ersten beiden Pfade betreffen die Erkenntnis/Weisheit (prajā) als Grundlage, die nächsten drei die Sittlichkeit/Moral (śīla), die letzten drei gehören zum Bereich der Meditation (samādhi), die wiederum die Erkenntnis weckt und vertieft und das tugendhafte Handeln speist und prägt. Die fünf ethischen Grundgebote sind im Wesentlichen mit vier Geboten des Dekalogs in Übereinstimmung zu bringen, die zugleich die inhaltliche Basis des „Projekts Weltethos“496 darstellen (nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht ehebrechen). Zu den fünf Grundgeboten kommen vier Grundhaltungen oder Tugenden gegenüber allen Lebewesen ohne Einschränkung oder Bedingung: heilende Hinwendung zu allen Wesen (karuṇā), barmherzige Hinwendung (mettā), Mitfreude (mudita) und Gleichmut (upekkha). So heißt es in einer frühen buddhistischen Überlieferung, im Mettā-Sutta, von dem, der auf dem Weg ist ein Buddha zu werden: „Wie eine Mutter ihr einziges Kind unter Einsatz ihres eigenen Lebens beschützt, So soll er ein grenzenloses Herz für alle Wesen kultivieren. Voll grenzenloser Liebe mögen seine Gedanken die ganze Welt durchdringen: Oberhalb, unterhalb und überall, ohne Hindernis, ohne Hass, ohne Feindschaft.“497

495 Bechert, Buddha, 33. 496 Vgl. Küng/ Kuschel, Erklärung zum Weltethos. 497 Sutta Nipāta 149f, zit. nach Schmidt-Leukel, Buddhismus, 144. Der ganze Text ist zitiert bei Scherer, Wesen, 42f.

200

4 Systematische Zugänge

Das ist das Ideal, das inhaltliche Parallelen zur Bergpredigt Jesu aufweist, aber viele Buddhisten vertreten faktisch „eine realistischere Position: Die Anwendung von Gewalt kann gerechtfertigt sein, wenn sie nicht übertrieben wird, wenn sie auf unvermeidliche Situationen beschränkt bleibt und wenn ihre Anwendung durch eine wohlwollende Absicht motiviert ist.“498 So gab und gibt es auch im buddhistischen Raum Beispiele für politische Aufstände und Kriege, die man damit rechtfertigt, „dass es Fälle von ‚mitleidvollem Töten‘ geben kann, das heißt, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen es notwendig ist, aus Mitleid einem Übeltäter das Leben zu nehmen, entweder um andere vor ihm zu beschützen oder – und das ist wohl das häufigere Motiv – um den Übeltäter in seinem eigenen Interesse daran zu hindern, noch mehr schlechtes Karma anzuhäufen.“499 Im Mahā-pariniāvaṇa-Sūtra gibt es sogar die Legitimierung der Tötung von Menschen, „die die heilvolle Lehre des dharma verleumden und zerstören wollen.“500 Wie in anderen Religionen gibt es also letztlich auch hier kein absolutes Tötungsverbot wie Beispiele aus der Geschichte (Nichiren im 13. Jh.; Militarismus im japanischen Zen im 19./20. Jh.501) und gegenwärtige Konflikte auf Sri Lanka oder in Myanmar belegen. Gerade in einigen Theravāda-Ländern (s. u. c)) ist der Buddhismus zurzeit stark nationalistisch geprägt. Für buddhistische Mönche und Nonnen kommen über 200 bzw. 300 weitere Regeln und Gebote hinzu, die unter anderem Speise- und Kleidervorschriften, aber auch Zölibat umfassen. Im Zentrum aller Gebote und Tugenden steht die Motivation und das Ziel, selber kein Leid zu erfahren, anderen kein Leid zuzufügen, Leid zu lindern: „Moral ist deswegen ein innerer Bestandteil des Heilswegs, weil sie ein Teil jenes erlösenden Prozesse ist, der darin besteht, ‚Durst‘ und ‚Anhaftung‘ zu überwinden.“502 Das moralische Handeln ist damit auch Grundlage für die rechte Meditation. In der Praxis der Meditation und Kontemplation haben sich verschiedene Formen und Methoden entwickelt. So werden zum Beispiel seit der frühen Zeit Themen wie der Buddha, der Dharma oder Sangha betrachtet, aber auch der Tod oder Götter. Ziel des buddhistischen Erlösungs- oder Befreiungsweges ist das nirvāṇa, das nicht positiv, sondern nur über die Negation angemessen zu beschreiben ist, weil es unbeschreiblich ist. Nirvāṇa ist weder ein wie auch immer gedachtes Jenseits oder Paradies, noch einfach „Nichts“, sondern leer von jeglicher Bestimmung. Wörtlich meint nirvāṇa „Auslöschen, Verlöschen“ des Unwissens, des Anhaftens, des Hasses, damit des Karmas und des Kreislaufs der Wiedergeburten, letztlich des Leidens. Negativ umschrieben ist es das Nicht-Geborene, Nicht-Entstandene, Nicht-Geschaffene, Nicht-Bedingte, die „Todlosigkeit“: „Wessen Bewusstsein völlig gereinigt ist, so dass das ich-hafte Begehren vollständig erloschen ist, wer also die vollkommene Projektionsfreiheit verwirklicht hat, der ist im Bewusstseinszustand des nirvāṇa. Er ist jetzt schon in diesem Leben ein Buddha geworden. Der Buddha (und jeder Buddhist) er498 499 500 501 502

Schmidt-Leukel, Buddhismus, 175. Ebd. 177. Ceming, Menschenrechte, 339. Victoria, Zen. Schmidt-Leukel, Buddhismus, 129.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

201

zeugt kein karman mehr, nachdem er den Bewusstseinszustand des nirvāṇa erlangt hat, aber noch nicht ins parinirvāṇa eingegangen (gestorben) ist. In der Zeitspanne zwischen dem jetzt schon erlangten Eintritt ins nirvāṇa und dem Sterben des Körpers wirkt sich gleichsam nur noch die ‚verbleibende Energie‘ des vorigen karman aus, ohne dass neues karman, das zu erneuter Verleiblichung führen würde, erzeugt wird. Mit Eintritt ins nirvāṇa bzw. mit der Buddhaschaft ist also die religiöse [besser vielleicht: metaphysische, A.R.] Dimension des Leidens aufgehoben, während auch ein Buddha durchaus noch physisch leiden kann.“503 Eine logische Schwierigkeit ergibt sich für die buddhistische Lehre durch die Frage, wie die Annahme des Nicht-Selbst (anātman), die Leugnung einer unsterblichen Seele, mit dem Gedanken der Reinkarnation zusammengedacht werden kann: Was wird geboren, wenn es gar keine beständige Substanz, kein bleibendes Ich, keine Seele gibt? Inwiefern kann dann überhaupt von einer Wiedergeburt gesprochen werden? Jedenfalls handelt es sich nicht um eine „Seelenwanderungslehre“, eher um ein „Wiederanknüpfen“504 oder eine „kontinuierliche Manifestation“505. Ein Bild, das in den buddhistischen Quellen als Erklärung verwendet wird, ist das Bild von einem Feuer, das durch eine andere Flamme durch einen Energieimpuls entzündet wird. Ein ähnliches Bild ist das einer Billardkugel, die durch den Impuls einer anderen Billardkugel angestoßen wird. Letztlich wird also doch von einem Bewusstsein ausgegangen, „das die Kontinuität der Lebewesen von einem Augenblick zum anderen, aber auch von einer Geburt zur nächsten ermöglicht.“506 Eine weitere Frage bleibt in der buddhistischen Lehre unbeantwortet: Wie und warum beginnt eigentlich der Kreislauf, woher kommt das erste karmische Anhaften? c)

Die Richtungen

Der frühe Buddhismus hat sich rasch über die Mönchs- und Nonnengemeinschaften in Indien und darüber hinaus ausgebreitet. Im Ursprungsland Indien ist der Buddhismus heute kaum mehr existent, nachdem der Hinduismus zu Beginn des zweiten Jahrtausends nach Christus eine Renaissance erlebte und der Islam sich in Nordindien ausbreitete. Heute gibt es drei zu unterscheidende Hauptrichtungen: Zum einen die Theravāda-Schule, die bereits im dritten vorchristlichen Jahrhundert entstanden und heute vor allem auf Sri Lanka, in Myanmar, Thailand, Laos und Kambodscha verbreitet ist. Die Praxis dieser ältesten buddhistischen Schule ist durch die Orden und deren Ideal der Vollkommenheit in der Nachfolge des Buddha (Arhat-Ideal) geprägt (Askese, Weltabkehr). Ausschließliches Ziel ist die eigene Erlösung. Der Mahāyāna-Buddhismus (wörtlich „Großes Fahrzeug“, weil er sich auch für Laienanhänger geöffnet hat) ist im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Indien entstanden, wo wiederum die beiden Hauptschulen des von Nāgārjuna (2./3. Jh. n.Chr.) 503 504 505 506

Brück, Buddhismus, 105. Halbfass, Karma, 109. Brück, Ewiges Leben, 295. Brück, Buddhismus, 136 (im Original kursiv).

202

4 Systematische Zugänge

in Südindien gegründeten „Mittleren Weges“ (Mādhyamika) mit der Betonung der „Leerheit“ und die im vierten Jahrhundert in Nordwestindien entstandene Yogācāra mit der Betonung des Bewusstseins entstanden. Von dort gelangte der Mahayana ab dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung über die Seidenstraße nach China, wo neue Formen der buddhistischen Praxis wie Ch‘an (= Zen = Meditation) im 6. Jh. und die Verehrung des Buddha Amida/Amithaba (Reines-Land-Buddhismus) durch Anrufung seines Namens („Namu Amida Butsu“ = „Preis dem Amida Buddha“)507 ab dem 10. Jh. entstanden sind. Von China gelangten diese Strömungen nach Vietnam und Korea, von dort wiederum nach Japan, wo im Laufe der Zeit ebenfalls neue Schulen wie Tendai, Jōdo, Rinzai-Zen, Sōtō-Zen oder Nichiren-shū entstanden. Ziel des Mahayana ist nicht nur eigene Erlösung, sondern auch anderen Wesen auf den Weg der Erlösung zu helfen (Bodhisattva-Ideal). Demnach gibt es auch Wesen, die nicht karman-bedingt sind: Erleuchtungswesen, die bereits die Erlösung erlangt haben (sog. Bodhisattvas), die aus Mitgefühl zugunsten leidender Kreaturen aber noch nicht ins Nirvana eingehen, sondern im Sinne einer „Proexistenz“ freiwillig wiedergeboren werden, um diese ebenso zur Befreiung zu führen. Es gibt sogar die Vorstellung der Stellvertretung oder Verdienstübertragung: „Eine besondere Art der Hilfe, die Bodhisattvas anderen Wesen leisten, besteht darin, dass Bodhisattvas ihre eigenen karmischen Verdienste auf jene übertragen, die selber nichts Verdienstvolles vorzuweisen haben (woraus den Bodhisattvas selber wieder neues Verdienst erwächst).“508 Der bekannteste und beliebteste unter den Bodhisattvas ist Avalokiteśvara, der als „Inkarnation des Mitleids“ gilt. So richten sich denn auch Hymnen und Anrufungen an diese Buddhas und Bodhisattvas, die Gebeten gleichkommen. So lautet etwa eine Anrufung des Buddha: „Verehrung dem Buddha Sakyamuni! Der du zunächst den Erleuchtungsgeist entwickelt hast, Die Versammlung von Verdienst und Weisheit vollendet hast, Und dann als Wirker in diesem Zeitalter Zum Beschützer zahlreicher Wesen wurdest – Dich wollen wir preisen.“509

Der Mahayana ist stärker von Laien und durch die kultische Verehrung von Reliquien des Buddha (Stupa-Kult), vertrauende/glaubende Hingabe (bhakti) an Buddha und die Bodhisattvas (Reines Land- oder Amida-Buddhismus) sowie Meditation (ZenBuddhismus) geprägt. „Glaube ist nicht nur der ‚leichtere Pfad‘ für die Laien, die sich strenger Selbstdisziplin nicht immer unterziehen können oder wollen, sondern auch eine Meditationsübung: eine Zentrierung des Bewusstseins auf das Wesentliche, auf die Gestalt des Buddha und die Befreiung.“510 Zen ist der wohl bedeutendste Meditationsweg des Buddhismus, der seine Wurzeln im indischen Yoga hat und besteht im Wesentlichen im aufrechten Sitzen im Lotussitz (zazen); die Augen werden leicht geöffnet auf einen Punkt auf dem Boden oder an der Wand gerichtet, die Atmung mit 507 508 509 510

Vgl. Waldenfels, Faszination, 106f. Schmidt-Leukel, Buddhismus, 202. Zit. nach Scherer, Meditationstexte, 17. Brück, Buddhismus, 214.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

203

dem Bauch ist ruhig und tief; die Meditation ist gegenstandlos, d. h. ohne Begriffe und Gedanken.511 Die Konzentration auf den Atem kann dabei ein hilfreiches Mittel sein, aber auch paradoxe Meditationsaufgaben (kōan), die der Meister dem Schüler stellt, „steigern die Konzentration, die unter Ausschaltung aller Vorstellungen, Gemütsregungen und Gedanken bis zu jenem äußersten Punkt vorangetrieben wird, wo im plötzlichen Durchbruch die Erleuchtung (satori) erfahren wird. Das Erleuchtungserlebnis ist unaussprechlich, es berührt den Menschen im tiefsten und wandelt ihn um.“512 Ohne ständige Begleitung und Anleitung durch einen Zenmeister ist Zen nicht möglich wie auch christliche Meditation den geistlichen Begleiter braucht. Am ehesten ist mit dem Zazen, vor allem aber mit der Anrufung Amidas die Praxis des christlichen Jesus-Gebetes zu vergleichen, das auch das diskursive Denken ausschalten will und mit Atemtechniken verbunden ist. Ohnehin weist der Amida-Buddhismus mit seiner Haltung des Vertrauens und seiner Gnadenvorstellung wahrscheinlich die größte inhaltliche Nähe zum christlichen Glauben auf. Schließlich gibt es den Tantrayāna, auch Vajrayāna („Diamantfahrzeug“) genannt, der Mitte des ersten Jahrtausends in Indien entstanden ist und sich dadurch auszeichnet, dass er Heilsmittel wie Rituale und heilige Formeln (Mantras) einsetzt. Im 7./8. nachchristlichen Jahrhundert gelangte dieser nach Tibet, von dort deutlich später in die Mongolei. Der tibetische Buddhismus vereint Traditionen aus Theravāda, Mahāyāna und Tantrismus sowie schamanistische Elemente der ursprünglichen Bön-Religion. Zentrales Merkmal ist die kultische Verehrung der „Lamas“, d. h. der spirituellen Lehrer als Reinkarnationen Buddhas bzw. von Bodhisattvas („Erleuchtungswesen“). So gilt der Dalai Lama als Reinkarnation des Avalokiteśvara. Meditiert wird mit Hilfe von Mandalas (geometrischen Kreisfiguren), Mudrās (Handgesten) und Mantras. Besonders hier, aber auch in den meisten anderen Richtungen des Buddhismus wird die rituelle Verehrung des Buddha in Form von Lobpreisungen, Statuen, Bildern und Reliquien, die in sog. Stupas (symbolische Hügelgräber) aufbewahrt werden, praktiziert. Buddha wurde faktisch „zu einem transzendenten Wesen erhöht“.513 Buddhisten nehmen deshalb „Zuflucht“ zu den sog. „drei Juwelen“, den Buddha, den Dharma (Lehre) und den Sangha (Gemeinschaft). Diese „Dreifache Zuflucht“ erfüllt die Funktion eines Glaubensbekenntnisses.514 Außerdem erwarten sie einen zukünftigen Buddha namens Maitreya („der Liebevolle“): Auf ihn können alle Wesen hoffen, die es nicht selbst schaffen, erlöst zu werden, denn sie werden dann zur Zeit des Buddha Maitreya erlöst werden.515 Die Nähe zur christlichen Erwartung der Wiederkunft Jesu Christi liegt auf der Hand.

511 512 513 514 515

Vgl. Enomiya-Lassalle, Versenkungsweg. Dumoulin, Begegnung, 111. D’Arcy May, Buddhologie, 32. Vgl. Baatz, Erleuchtung, 162. Vgl. Klimkeit, Buddha, 204.

204

4 Systematische Zugänge

4.4.2

Christen und Buddhisten: Gemeinsame Sorge um den leidenden Menschen

a)

Problematische Geschichte der Begegnung

Auf die wenigen, eher indirekten Kontakte von Christentum und Buddhismus in der hellenistischen Antike (Alexandria) wurde bereits hingewiesen (s. o. 2.2.4). Intensiver, aber dafür konflikthaltig wurden sie im Zuge der europäischen (portugiesischen, holländischen, britischen) Eroberungen ab Beginn des 16. Jahrhunderts und der damit einhergehenden christlichen Missionsbestrebungen durch Jesuiten, Franziskaner und Protestanten, sah man doch den Buddhismus einhellig als Götzen- oder gar Teufelsdienst.516 So kam es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen in China, Japan und Sri Lanka. Bis heute sind die buddhistisch-christlichen Beziehungen in asiatischen Ländern durch diese Gewaltgeschichte belastet. Dazu kommen gegenwärtig aggressive Missionspraktiken evangelikaler Gruppen in ostasiatischen Ländern, die den Dialog erschweren oder das Verhältnis gar vergiften. Die Situation ist je nach Land sehr unterschiedlich und hängt stark von den aktuellen politischen und sozialen Gegebenheiten ab.517 So gibt es beispielsweise in Indien und Japan (Japanische Gesellschaft für Buddhistisch-Christliche Studien) schon seit Jahrzehnten sowohl philosophisch wie spirituell angelegte Dialogprogramme, in China dagegen ist der Dialog kaum existent. Auf buddhistischer Seite sind bekannte Würdenträger wie der XIV. Dalai Lama oder der Zen-Meister Thich Nhat Hanh seit vielen Jahrzehnten im Dialog aktiv, doch viele „buddhistischen Partner denken weitgehend noch ungebrochen von ihrer jeweiligen Tradition her, während die christlichen Partner eher bereit sind, ihre eigene Tradition (und Lehrinhalte) zu problematisieren. Dies schafft für Buddhisten und Christen unterschiedliche psychologische Voraussetzungen in der Gesprächssituation“.518 In Japan ist die buddhistische Laienorganisation Risshō Kōsei-kai besonders im praktischen Dialog (Friedensarbeit) aktiv, auf der philosophischen Ebene ist es die Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene KyōtoSchule, die sich auf den Dialog mit Christentum und westlichem Denken eingelassen hat und das Konzept des „Absoluten Nichts“ vertritt.519 Auf christlicher Seite sind die Jesuiten Hugo M. Enomiya-Lassalle (1898–1990)520, Heinrich Dumoulin (1905–1995), Kadowaki Kakichi (geb. 1926) und Hans Waldenfels (geb. 1931), der Dominikaner Oshida Shigeto (1922–2003) und der Trappist Thomas Merton (1915–1968) Pioniere des Dialogs. Unter den evangelischen Theologen sind Fritz Buri-Richard (1907–1995), Muto Kazuo521 (1913–1995) und Michael von Brück (geb. 1949) zu nennen. Religionsgeschichtliches Novum dabei ist, dass man ab den 1980er Jahren in der sog. SanbōKyōdan-Schule begann, die „Lehrbefugnis“ von buddhistischen Zen-Meistern an be516 517 518 519 520 521

Vgl. Schmidt-Leukel, Grenzen, 437–441. Vgl. dazu den weltweiten Überblick in Brück/Lai, Buddhismus, 43–286. Brück/Lai, Buddhismus, 76. Vgl. Münch, Dimensionen; Waldenfels, Nichts. Zur Person vgl. Baatz, Enomiya Lassalle. Vgl. dazu Repp, Gott, 357–377.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

205

kennende Christen zu übertragen, was zu anhaltenden Diskussionen auf beiden Seiten geführt hat.522 Am weitesten ist der christlich-buddhistische Dialog auf akademischer und institutionalisierter Ebene wohl in den USA gediehen (z. B. Society for Buddhist-Christian Studies). Auf katholischer Seite wurden 1978 zwei Dialogkommissionen gebildet: Monastic Interreligious Dialogue (MID) für Nordamerika und Dialogue Interreligieux Monastique (DIM) für Europa (gemeinsam DIMMID).523 Es folgten Kommissionen für Australien (1991) und Indien / Sri Lanka (1994) sowie 1994 die Einrichtung eines internationalen Generalsekretariats für den Monastischen Interreligiösen Dialog mit Sitz in den USA. Die beteiligten christlichen – vor allem Benediktiner und Zisterzienser – und buddhistischen und hinduistischen Klöster, seit einiger Zeit auch Vertreter muslimischer (sufischer) Richtungen, gewähren sich eine bestimmte Zeit wechselseitig Gastfreundschaft und geben bzw. nehmen so an der jeweiligen spirituellen Praxis Anteil mit dem Ziel, die Früchte dieses spirituellen interreligiösen Dialogs auch für die Glaubensgemeinschaften fruchtbar zu machen.524 1999 fand in Rom eine Konsultation zwischen dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog und dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) über die Präsenz des Buddhismus in Europa und die theologischen und pastoralen Konsequenzen und Herausforderungen für die Kirchen statt. Als Ergebnis dieser Konsultation entstand, benannt nach dem Tagungsort, das Domus Aurea-Papier, das unter anderem zur Gastfreundschaft gegenüber den Buddhisten aufruft und im Buddhismus „einen ernsthaften Weg zu einer radikalen Umkehr des menschlichen Herzens“ sieht: „Die Praxis der Achtsamkeit schafft ein Empfinden für eine weite Stille, die die Haltung des Mitleidens nährt. Diese fließt oft über in Engagement und Aktion. Diese und andere buddhistischen Praktiken ermutigen auch jene ‚Früchte des Geistes‘ – inneren Frieden, Freude, Gelassenheit usw. –, mit denen eine intensive spirituelle Praxis einhergeht.“525 Selbstkritisch stellt das Papier fest, dass sich nicht selten Christ*innen dem Buddhismus zuwenden, weil sie „nach einer Alternative zu dem (…) suchen, was sie häufig als sterilen Dogmatismus erfahren. Oft fühlen sie, dass die Kirche überinstitutionalisiert sei und sich auf eine unzeitgemäße und unverständliche Sprache stützt. Viele beklagen sich, dass sie eine adäquate Einführung in das persönliche Gebet, in Meditation und in die Erfahrung ganzheitlichen Heils vermissen.“526 Das Papier wie auch eine zweite Konsultation 2002 wurde jedoch in der kirchlichen Praxis kaum rezipiert.527 Inzwischen ist der Buddhismus seit gut hundert Jahren auch in Europa (2–3 Mio.) und Amerika (5–6 Mio.) präsent, zum einen durch Migration von Buddhist*innen aus verschiedenen Ländern Asiens, zum anderen durch Konversionen zu verschiedenen buddhistischen Richtungen und Übernahmen von buddhistischen Meditationstech522 523 524 525 526 527

Vgl. Höbsch, Markt, 258. Vgl. www.dimmid.org; www.monasticdialog.com; Fürlinger, Dialog, 451f. Vgl. Béthune, Faith; Rötting, Spiritualität; Bleé, Alterität. Zit. nach Fürlinger, Dialog, 510–513, 511. Zit. nach Fürlinger, Dialog, 512. Vgl. Höbsch, Markt, 225ff.

206

4 Systematische Zugänge

niken, die dank Vermittlern wie D.T. Suzuki (1870–1966) auf buddhistischer Seite, Lassalle und anderen auf christlicher Seite verbreitet wurden.528 Dabei kam und kommt es zu Übersetzungs- und Anpassungsprozessen des Buddhismus.529 Heute gibt es in Deutschland etwa 270.000 praktizierende Buddhist*innen (davon etwa die Hälfte deutschstämmig), die verschiedensten Richtungen angehören, mehrheitlich aber Laien und nicht organisiert sind.530 Die buddhistische Organisationslandschaft ist zersplittert, von etwa 600 Gruppen aber sind viele in der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) mit Sitz in München zusammengeschlossen. Der Dialog mit den Buddhisten mit Migrationshintergrund wird bislang noch durch Sprachbarrieren und mangelndes Interesse erschwert und mit den konvertierten ehemaligen Christ*innen ist er „meist noch schwach entwickelt, da es für diese Buddhisten zunächst vorrangig um die Suche nach einer eigenen neuen Identität geht und alte negative Erfahrungen mit den Kirchen der vorurteilsfreien Begegnung im Wege stehen.“531 Eine wichtige Dialogplattform ist jedoch das European Network of Buddhist-Christian Studies532, das seit 1997 seinen Sitz im Benediktinerkloster St. Ottilien hat. b)

Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Wege

So verschieden beide Religionen auch sind, so gibt es doch auch eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten: Beide nehmen Bezug auf eine jeweilige historische Stiftergestalt, die als Wanderprediger unterwegs war, Schüler um sich sammelte und maßgeblich wurde: Jesus, der Christus, und Buddha, der Erwachte.533 Zumindest im Mahayana ist Buddha mehr als nur eine historische Figur, nämlich „die Verkörperung des dharma, vergleichbar der christologischen Anschauung, dass Christus menschgewordener Gott sei. Christus, der das Wort predigt, ist selbst der Logos. Der Buddha, der das Lotos-Sūtra predigt, ist selbst der ewige dharma.“534 Und doch ist es streng genommen „für die Frage nach der Wahrheit der buddhistischen Lehre nicht entscheidend, ob Buddha als historische Persönlichkeit je existiert hat, während zum Beispiel das Christentum ohne die historische Person Jesu seinen Sinn verlöre.“535 Beide Religionen verstehen sich vom Ursprung her als Kritik an bestehenden religiösen Traditionen mit gesetzlichen Erstarrungen, Hierarchien, Opferkult etc. Beide Religionen sehen sich als Erlösungswege aus der Egozentrik und dem Leiden, beide haben große Übereinstimmungen in zentralen ethischen Werten und Tugen528 Zur christlich-buddhistischen Mediationsbewegung in Europa und ihren Protagonisten vgl. Baatz, Erleuchtung, 105–142, 173–203; Höbsch, Markt, 121–132. 529 Vgl. Weil, Buddhismus. 530 Einen guten Überblick bieten Zotz, Inseln, und Höbsch, Markt, 64–188. 531 Brück/Lai, Buddhismus, 214. 532 http://www.buddhist-christian-studies-europe.net/ 533 Zu Versuchen, Christus und Buddha miteinander in Analogie zu setzen, vgl. Küng, Buddha, 42–71, 63–69; D’Arcy May, Buddhologie, 32–70; Thich Nhat Hanh, Buddha; Khema, Buddha; Luz/Michaels, Jesus. 534 Brück/Lai, Buddhismus, 33. 535 Bechert, Buddha, 25.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

207

den wie Güte, Mitgefühl, Erbarmen, Liebe: „Als moralische Menschen handeln Buddhisten und Christen in ähnlichen Situationen kaum unterschiedlich. Beide überwinden den Egozentrismus und handeln in der Verantwortung für die Mitmenschen.“536 Trotz einer starken Tradition des Prädestinatianismus im Christentum und einem Kausalitätsdenken im Buddhismus setzen beide eine menschliche Willensund Handlungsfreiheit voraus und beide wissen zugleich um die Schwäche und radikale Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Die größten Unterschiede bestehen wohl darin, dass für die biblischen Religionen ein personaler Schöpfergott im Zentrum steht, der die Welt und den Menschen prinzipiell gut erschaffen hat und der uns als Immanuel, als „Gott-mit-uns“ durch die Geschichte rettend und liebend begleitet, während der Buddhismus das Dasein als selbstverursachtes Leiden versteht und eine a-personale letzte Wirklichkeit, die Leerheit (sunyata) annimmt: „Die buddhistische Leerheits-Lehre ist in der Tat noch radikaler als die theologia negativa der christlich-apophatischen Tradition.“537 Dennoch lassen sich vielleicht Parallelen zur christlichen Vorstellung von der Kenosis, der göttlichen Selbstentäußerung in Jesus Christus ziehen.538 Ziel des christlichen Heilsweges ist die personale Gemeinschaft mit Gott durch Umkehr, Vergebung, Hingabe im Gebet, Liebe; Ziel des buddhistischen Weges ist die Erkenntnis der wahren Natur der Dinge, des Kausalzusammenhangs, des Nicht-Selbst. Für den christlichen Glauben zentral ist die Person, die Botschaft und das Wirken, Sterben und Auferstehen Jesu Christi, in dem Gott für den Menschen gegenwärtig und das Heil erfahrbar geworden ist. „Gautama zeigt einen Versenkungsweg, der das Bewusstsein zähmt. Jesus lebt in einer innigen personalen Gottesbeziehung, die eine vollkommene Hingabe des Herzens fordert. … Gautama geht den gnostischen Weg (Erkenntnis), Jesus geht den agapeischen Weg (Liebe). Das je andere Element fehlt bei beiden nicht, aber ihre Botschaft kreist um das primäre Zentrum, so dass sich unterschiedliche Grundhaltungen ergeben, die man komplementär zuordnen kann“.539 Vor allem aber das freiwillige Leiden und der Kreuzestod Jesu scheinen für viele Buddhisten anstößig zu sein, weil das Kreuz „keine Freude und keinen Frieden“ vermittle.540 Mit dem biblischen Gottes- und Menschenbild wesentlich verbunden und damit unaufgebbar ist der Personbegriff – darin liegt auch seine unverlierbare Würde (Gottesebenbildlichkeit) begründet. Die biblische Betonung der Geschöpflichkeit aber kann den Menschen davor bewahren, sich selbst zu verabsolutieren: „Dadurch, dass der Mensch sein empirisches Ich im Absoluten begründet sein lässt, wird sein eigenes neues Selbst wahrhaft konstituiert. Das heißt: der Mensch wird nicht mehr in Selbstverhaftetheit sein wahres Selbst verkennen (Unwissenheit) und verfehlen (Begehrlichkeit), sondern wird, in Freiheit von Selbstsucht, im Absoluten das wahre Selbst, seine wahre Identität, finden. Denn nach biblischem Verständnis löscht die 536 537 538 539 540

Brück/Lai, Buddhismus, 366. D’Arcy May, Buddhologie, 115. Vgl. Waldenfels, Nichts, bes. 213–222. Brück/Lai, Buddhismus, 318. So Thich Nhat Hanh, Jesus, 46. In Dalai Lama, Herz, fehlt auffälligerweise die Kreuzesthematik.

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4 Systematische Zugänge

Begegnung mit dem Absoluten das Selbst des Menschen gerade nicht aus, sondern richtet es auf.“541 Im Buddhismus gibt es keinen Sünden- oder Schuldbegriff im Sinne einer verfehlten personalen Beziehung, sondern das Gesetz des Karman und das Wurzelproblem ist die Unwissenheit. Im Christentum gibt es keine automatische Vergeltung der Taten (Jesus lehnt den Tun-Ergehens-Zusammenhang ab), wohl aber das Bewusstsein der strukturellen Dimension von Sünde, des Verstricktseins in Sünde und Schuld und vielleicht könnte hier eine Brücke des Verstehens zur buddhistischen Vorstellung des Kausalnexus liegen. „Im Christentum geht es um Erlösung aus persönlicher Schuld gegenüber einem urteilenden Gott; im Buddhismus geht es primär um Befreiung aus der Unfreiheit eines falsch operierenden Bewusstseins. In beiden Religionen aber geht es um ein SichÖffnen für eine Wirklichkeit, die dem anhaftenden Ich nicht verfügbar ist.“542 Das Christentum hat ein lineares Geschichtsverständnis, betont die Einmaligkeit des menschlichen Lebens und erhofft die Auferweckung und ein neues ewiges Leben in Gemeinschaft mit Gott und allen Heiligen, der Buddhismus hat ein zyklisches Zeitverständnis und sucht das Ende der Wiedergeburten durch das Nirvana.543 Es gibt „kein terminologisches Äquivalent zur Hoffnung im Buddhismus“, aber es gibt doch auch hier „eine zeitliche Dimension, die das Bewusstsein aufrecht erhält, dass im Laufe der Geschichte das Leiden morgen weniger sein könnte, als es heute ist, dass Gerechtigkeit geschehen sollte, dass liebendes Mitleid in Taten zum Ausdruck kommen muss – ungefähr so, wie die Hoffnung den christlichen Glauben dynamisiert und auf das Handeln in der Geschichte ausrichtet.“544 Und letztlich ist der „Test für die Geschichtsmächtigkeit einer Religion … nicht die eine oder andere kosmische Zeitskala, sondern die alltägliche Lebenswelt. Die geschichtliche Wirksamkeit einer Religion erweist sich darin, wie sie die Menschen motiviert und erzieht und welche Handlungsmuster aus ihr erwachsen, die besonders in Zeiten der Krise und Gefahr hilfreich zum Tragen kommen.“545 Dennoch bleibt das Thema Reinkarnation ein Knackpunkt im Dialog zwischen Christ*innen einerseits und Buddhist*innen (und Hindus) andererseits. Der Wiedergeburtsglaube ist heute in der westlichen Welt (20–30%) selbst unter Christ*innen weit verbreitet, weil er das eigene Lebensschicksal zu erklären, die Bedrohlichkeit des Todes zu relativieren oder der modernen, positiv besetzten Vorstellung einer permanenten individuellen Entwicklung, eines selbstbestimmten Lernprozesses zu entsprechen scheint. Allerdings muss beachtet werden, dass viele westliche Reinkarnationsvorstellungen wie etwa des New Age oder der Anthroposophie sich von den klassischen Lehren der ostasiatischen Religionen wesentlich unterscheiden und zwar vor allem hinsichtlich der Vorstellung der menschlichen Person und Identität.546 Festzuhalten ist, dass der Reinkarnationsglaube genauso wenig empirisch oder erfahrungsmäßig bewiesen werden 541 542 543 544 545 546

Küng, Theravada, 147. Brück/Lai, Buddhismus, 403 (im Original kursiv). Vgl. dazu Halbfass, Karma. D’Arcy May, Buddhologie, 92f. Brück/Lai, Buddhismus, 348. Vgl. Sachrau, Reinkarnationsvorstellungen, 68.

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kann wie der Auferstehungsglaube, beide beruhen auf axiomatischen Annahmen.547 Der Streit ist somit nicht objektiv lösbar, sondern erfordert eine persönliche Glaubensentscheidung. Der christliche Glaube wird dabei auf die von Gott her immer wieder neu geschenkte Vergebung rekurrieren, die immer wieder einen Neubeginn ermöglicht. Ob beide Glaubensauffassungen unvereinbar sind, ist schwierig zu beantworten, da es faktisch eine Pluralität vor allem seitens der Reinkarnationsvorstellungen gibt. Eine Brücke des Verstehens könnte in der katholischen Vorstellung eines Zwischenzustandes (klassisch: Fegefeuer) zwischen Tod und Vollendung liegen, in dem eine Läuterung stattfinden soll.548 Was also nach katholischem Verständnis zwischen Tod und Jüngstem Tag geschieht, wäre im Reinkarnationsdenken „zwischen den einzelnen irdischen Existenzen angesiedelt.“549 Beide Glaubensweisen setzen offenbar voraus, dass es keine Erlösung ohne Gerechtigkeit gibt. Vielleicht liegt die eigentliche Vergleichsebene auch nicht zwischen Auferstehung und Reinkarnation, sondern zwischen Auferstehungsglaube und Nirvana-Glaube: „Der kleinste gemeinsame Nenner von Auferstehung und Erleuchtung ist die Überwindung des Todes. Denn der Buddha feiert sein Erwachen als das Ende der Wiedergeburten und damit das Ende des Leidens; und auch die Auferstehung Christi wird als Ende des Leidens, das aus der Sünde folgt, und als Sieg über den Tod gefeiert.“550 Bleibt freilich noch die Frage nach der „Hölle“: Während die christliche Theologie mit der Möglichkeit einer selbstgewählten ewigen Verdammnis rechnet, geht der Buddhismus davon aus, dass am Ende alle Wesen ins Nirvana eingehen werden. Das Christentum kennt aber auch die Hoffnung auf All-Versöhnung, sodass hier kein absoluter Gegensatz gesehen werden muss. Und schließlich stehen beide Glaubensweisen gemeinsam vor der Frage, was eigentlich genau reinkarniert oder aufersteht bzw. worin die Kontinuität besteht? Für viele Buddhist*innen allerdings ist diese Frage irrelevant, da spekulativ, für manche zeitgenössische Buddhisten wie Buddhadāsa oder Keji Nishitani haben Karman- und Wiedergeburtslehre ohnehin nur mythisch-metaphorischen Charakter.551 In der christlichen Sicht auf den Buddhismus kam es in der Vergangenheit auch zu Missverständnissen und Verzerrungen, die zum Teil bis heute nachwirken: So wurde und wird die buddhistische Lehre vom Leiden häufig mit einem weltanschaulichen oder anthropologischen Pessimismus gleichgesetzt. Tatsächlich kann man fragen, ob wirklich „alles Leben Leid sei“552. Allerdings ist festzuhalten, dass es im Buddhismus in erster Linie um einen praktischen Weg der Überwindung des Leidens geht, um Erlösung und Befreiung. Es handelt sich dabei auch nicht um reine Selbsterlösung, denn zumindest im Mahayana vertrauen die Gläubigen auf die Hilfe von Erleuchtungswesen (Bodhisattvas): So liegt es nahe, „eine reale Äquivalenz zwischen 547 Vgl. Bauer, Reinkarnation, 152–176. 548 Vgl. Rahner, Grundkurs, 425. 549 Bischofberger, Reinkarnationsgedanke, 254; vgl. auch Schmidt-Leukel, Reinkarnationsgedanke, 203f. 550 Baatz, Erleuchtung, 204f; ähnlich Küng, Buddha, 70f. 551 Vgl. Halbfass, Karma, 301f. 552 Küng, Buddha, 50.

210

4 Systematische Zugänge

dem allumfassenden Mitleid (karuṇā) des Bodhisattva und der absolut selbstlosen Liebe (agapē) Gottes in Christus festzustellen.“553 Die Lehre vom Nichtanhaften ist keine Weltflucht, denn es gilt, sich den anderen Wesen in Liebe und Mitgefühl zuzuwenden. Die buddhistische Leugnung einer ewigen Seele hat nichts mit Materialismus zu tun, denn es gibt sehr wohl die Existenz des Geistigen oder Mentalen. Und die Lehre vom Nirvana bedeutet nicht Nihilismus, denn Nirvana ist das Verlöschen des Daseinskreislaufes und damit des Leidens, und selbst wenn es eigentlich unbeschreiblich ist, so wird es doch oft als „Zustand“ ewigen Friedens und Glücks beschrieben: Nirvana ist kein jenseitiger Ort, „sondern der Inbegriff des unbedingt-ungewordenen Bewusstseins der vollkommenen Freiheit, in der der Mensch zu seiner wahren Buddha-Natur erwacht.“554 Das Fehlen eines personalen Gottesbegriffs und die Ablehnung eines Schöpfergottes im Buddhismus wurde und wird nicht selten als Atheismus gedeutet, doch es gibt sehr wohl in buddhistischer Sicht eine letzte transzendente Wirklichkeit, die jedoch nicht benannt werden kann. Hier ergeben sich zumindest Analogien zum biblischen Bilderverbot, vor allem aber zu christlichen Traditionen apophatischer Theologie. „Der Buddha lehnte keineswegs alle metaphysischen Behauptungen ab. Er verwarf lediglich solche metaphysischen Spekulationen, die er als nicht förderlich für die endgültige Befreiung ansah. Denn seine Erklärung des Leids und des Weges zur Überwindung des Leids setzen einige wichtige metaphysische Überzeugungen voraus, die seine Lehren eindeutig von den Ansichten der materialistischen Cārvākas unterschieden: den Glauben an die Wiedergeburt, den Glauben an das Karma und den Glauben an die endgültige Glückseligkeit des unbedingten Nirvāṇas.“555 Und letztlich ist dieses Nirvana jetzt schon sichtbar und erfahrbar in Form der erleuchteten und liebenden Wesen. Für die christliche Rede von Gott kann umgekehrt die Reflexion über den Personbegriff und „die buddhistische Kritik an der Versprachlichung des ‚Letztgültigen‘“556 hilfreich sein, um allzu anthropomorphe Gottesvorstellungen zu überwinden.557 Die Entgegensetzung von Personalität und A-Personalität erweist sich so vielleicht als falsche Alternative.

4.4.3

Gegenwärtige Herausforderungen im Dialog mit dem Buddhismus

(1) Wie kaum eine andere Religion ist der Buddhismus heute in der westlichen Welt positiv konnotiert und bietet mit seinen verschiedenen Meditationsformen vielen westlichen Menschen, auch vielen Christ*innen Lebenshilfe und Orientierung.558 Für nicht wenige von ihnen ist eine Doppelbeheimatung in beiden Traditionen selbst553 554 555 556 557 558

D’Arcy May, Buddhologie, 59. Brück/Lai, Buddhismus, 478. Schmidt-Leukel, Buddhismus, 88f. Brück/Lai, Buddhismus, 37. Vgl. dazu Ceming, Einheit. Vgl. Waldenfels, Grenze.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

211

verständlich. So war bislang auch der christlich-buddhistische Dialog zumindest im Westen stark, wenn nicht sogar exklusiv auf die meditativen Formen (besonders des Zen) sowie auf die Quellen und philosophischen Schulen des Buddhismus konzentriert, während die Formen buddhistischer Volks- und Staatsreligion praktisch nicht wahrgenommen wurden und werden. Auf Grund der Popularität des XIV. Dalai Lama und seines interreligiösen Engagements sowie diverser missionarischer Bewegungen des tibetischen Buddhismus im Westen ist außerdem eine Konzentration des Dialogs auf diese Tradition festzustellen. Seit den 1980er Jahren ist der buddhistischchristliche Dialog wohl am stärksten in Nordamerika institutionalisiert und dort am dynamischsten. So vereinbarte 1981 der North American Board for East-West Dialogue mit dem Dalai Lama ein Austauschprogramm für Nonnen und Mönche, 1987 wurde die Society for Buddhist Christian Studies gegründet. Ähnliche intermonastische Dialogprogramme, bei denen sich Klöster wechselseitig spirituelle Gastfreundschaft gewähren, gibt es in Indien und Europa.559 (2) Der christlich-buddhistische Dialog vollzieht sich also häufig auf der spirituell-praktischen Ebene der Meditation und Kontemplation, weniger auf der akademischen, so gut wie gar nicht auf der gesellschaftlichen Ebene. Tatsächlich kann die Begegnung mit dem Buddhismus vor allem dem westlichen, eher rational geprägten Christentum neue Impulse für eine ganzheitliche, mystische Glaubenserfahrung geben, „die nicht wortreich und dualistisch ist, sondern sich der Disziplin des Schweigens unterzieht und durch das ‚Sakrament der Stille‘ in das Geheimnis hineinhorcht.“560 Enomiya-Lassalle sah zwei Möglichkeiten der Anwendung des Zazen im christlichen Bereich: Entweder „als Mittel zur geistlichen Sammlung, d. h. als Vorbereitung auf die christliche Betrachtung oder Meditation“ oder „als eine Art christlicher Meditation.“561 So kann man Zazen mit dem Jesusgebet verbinden. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit Meditationstechniken einer anderen Religion in der eigenen religiösen Praxis angewandt oder übernommen werden können, ohne entweder die Tradition des anderen zu vereinnahmen oder gar spirituell auszubeuten, oder die eigene religiöse Identität zu verleugnen oder gar einem Synkretismus zu verfallen, der beiden Traditionen nicht gerecht wird. Doch ob und inwieweit Zen als Meditationsmethode tatsächlich vom Buddhismus abzulösen ist, ist derzeit höchst umstritten. „Normalerweise vermitteln nichtchristliche Gebetsformen auch deren Lehrinhalte, besonders bei suchenden Menschen, die in ihrem Glauben nicht gefestigt sind.“562 Vielleicht ist das Konzept der „religiösen Zweisprachigkeit“563 hier weiterführend, das beide Traditionen wie Mutter- und neu erworbene Fremdsprache betrachtet und sie in ihrer Eigenständigkeit bewahrt. Zumindest ist gerade im Westen auch vor einer Kommerzialisierung und Banalisierung ostasiatischer Meditationsangebote zu warnen. Und es ist bewusst zu halten, dass Methoden 559 560 561 562 563

Vgl. Götz/Gerold, Mystik; Béthune, Faith. D’Arcy May, Buddhologie, 127. Enomiya-Lassalle, Versenkungsweg, 186. Vgl. auch Kopp, Schneeflocken. Fuss, Nostra Aetate, 277. Baatz, Erleuchtung, 197.

212

4 Systematische Zugänge

wie Zen keine mystischen Erfahrungen bewirken, sondern sie lediglich vorbereiten und unterstützen können – aus christlicher Sicht bleibt die Gotteserfahrung ein Geschenk. Jedenfalls sind jene zahlreichen Zeugnisse von Christinnen und Christen ernstzunehmen, die zeigen, dass auf dem Zen-Weg „Christusbegegnungen nicht nur möglich sind, sondern auch angestoßen, vertieft und existentiell erlebt werden. Die innere Haltung und Ausrichtung ist besonders beim Lehrenden und Begleitenden maßgeblich. … Für die Frage nach Zen im christlichen Kontext bedeutet dies, dass die Kirche die Zeugnisse von christlichen Zen-Übenden und Lehrenden aufmerksam hören und aufzunehmen hat.“564 (3) Neben dem spirituellen Dialog ist der diskursive, lehrhafte Dialog mit dem Buddhismus ebenso wichtig, stellt doch der Buddhismus „eine der radikalsten geistigen Herausforderungen des christlichen Glaubens, nämlich den Glauben an Gott – und zwar in anderer Weise als der Atheismus – infrage … Buddhisten lehnen nicht eine bestimmte Form oder einen bestimmten Entwurf von Theologie ab, sondern stellen Theologie als ‚Rede von Gott‘ und die Bedeutsamkeit der Rede von Gott grundsätzlich infrage.“565 Weitere wichtige Themen des lehrhaften Dialogs müssen sein: Die historische Rückfrage nach Buddha und Jesus sowie die Frage nach deren Heilsrolle (Erlösung oder Erleuchtung), die Rolle der Kirche und des Sangha und deren interne Spannungen, die Frage nach dem Verständnis des Menschen, des Leids und des Heils, der Bedeutung der Geschichte und die soziale Frage. Besonders der Dialog über Demokratie und Menschenrechte stellt eine Herausforderung dar, weil diese historisch mit dem Personbegriff und einem Individualismus verbunden sind, was auf buddhistischer Seite als „Illusion vom Selbst“ und als Anhaften verstanden wird, wobei es dem Buddhismus vor allem um die Kritik an einem „ich-zentrierten Personbegriff“566 geht. Es gibt aber sehr wohl Buddhisten, die die Menschenrechtsidee unterstützen und dabei „auf die starke buddhistische Tradition der Eigenverantwortung des Individuums“567 verweisen und dem Menschen als erleuchtungsund erlösungsfähigem Wesen eine unantastbare Würde zuschreiben.568 Auch die für den Buddhismus zentrale Lehre des Nicht-Schädigens lässt sich für die Würde und das Recht auf Unversehrtheit der Person heranziehen. Für beide Religionen (wie für alle real existierenden Religionen) ist dabei die Frage nach der Gleichberechtigung der Frau zentrale Herausforderung, denn de facto ist auch der Buddhismus in seinen geschichtlichen und gegenwärtigen Ausprägungen patriarchalisch, zum Teil frauenfeindlich geprägt.569 Weniger problematisch auf Seiten des Buddhismus erscheint die Religionsfreiheit, weil der Buddhismus hier geschichtlich betrachtet insgesamt mehr Toleranz zeigte als etwa das Christentum. Allerdings gibt es auch in der buddhistischen Welt heute einen Fundamentalismus, der sich gegen andere Religionen 564 565 566 567 568 569

Höbsch, Markt, 265. Ebd. 281. Brück/Lai, Buddhismus, 499. Schmidt-Leukel, Buddhismus, 185. Vgl. Ceming, Menschenrechte, 326. Vgl. Paul, Frau; Gross, Buddhism.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

213

richtet. Auch der klassische Buddhismus erhebt einen Wahrheitsanspruch und zwar bestenfalls in inklusiv-hierarchischer Version.570 Die Geschichte von den Blinden, die im Auftrag eines sehenden Königs einen Elefanten betasten und immer nur einen bestimmten Teil für das Ganze halten, ist keine Lehrerzählung über buddhistische Selbstrelativierung, wie dies manchmal noch zu lesen ist, vielmehr stehen die Blinden für die Brahmanen oder andere Religionen, während der König (Buddha) sich über sie lustig macht und natürlich weiß, wie der Elefant, sprich die Wahrheit, in Wirklichkeit ist. Dies prägt auch heute noch: „Die Grundeinstellung vieler Buddhisten scheint zu sein: Das Christentum braucht den Buddhismus, aber nicht umgekehrt.“571 Im Zentrum des christlich-buddhistischen Dialogs dürfte deshalb die Frage nach der wahren Natur der Dinge, nach der Wirklichkeit, vor allem nach der letzten Wirklichkeit stehen. Eine besondere Schwierigkeit des christlich-buddhistischen Dialogs ist von Anfang an die Terminologie und Hermeneutik: Wie sind zentrale Begriffe angemessen zu verstehen und jeweils in die andere Sprache zu übersetzen? Die Grenzen religiöser und metaphysischer Sprache werden deutlich und deren Metaphorizität, Analogizität, Historizität und Kontextualität muss bewusst gemacht werden, bevor allzu schnell pauschale Urteile über die Sichtweise des anderen gefällt werden. Unsere religiösen Begriffe sind wie Finger, die auf den Mond zeigen, aber nicht der Mond sind. Vor allem dürfen nicht unreflektiert eigene Begriffe und Denkkategorien auf die andere Religion übertragen und zum Maßstab gemacht werden. Das Problem geht hier aber tiefer, weil der Buddhist nicht verstehen kann, „warum der Christ nicht auch noch die letzte Gestalt des Anhaftens, das Festhalten am ‚Jesus-Faktum‘, loslassen kann. … Es geht also nicht nur um den Unterschied, dass der eine schweigt und der andere redet. Vielmehr prallen die Entleerung des Wortes (Zen) und das Festhalten am Logos, der Fleisch wurde (Christentum), aufeinander.“572 Bleibt am Ende also nur das gemeinsame Schweigen vor der letzten Wirklichkeit? Nein, „Sprache ist auch im Buddhismus ein unverzichtbares Mittel zur Evokation der Befreiungserfahrung. … Wort und Schweigen sind in beiden Traditionen Medien der Kommunikation.“573 Was also könnten Christen von Buddhisten lernen? In Anlehnung an die Karmeliterin Tessa Bielecki „a) die Betonung des kontemplativen und mystischen Zentrums ihrer Religion, b) die Bedeutung des spirituellen Lehrmeisters, c) das Nicht-Anhaften an Dogmen und religiösen Bildern“.574 Was Buddhisten von Christen lernen könnten, müssen diese selbst entscheiden. Doch beide stehen vor der Aufgabe und Verantwortung einer befreienden Praxis und einer Begegnung in einer Haltung der Achtsamkeit und Liebe. Der Jesuit Aloysius Pieris (geb. 1934 in Sri Lanka) und der Methodist Lynn de Silva (1919–1982) entwickelten ab den 1970er Jahren eine dialogische Befrei570 571 572 573 574

Vgl. Schmidt-Leukel, Buddhist. D’Arcy May, Buddhologie, 23f. Brück/Lai, Buddhismus, 421. Ebd. 423. Ebd. 545.

4.4 Buddhismus: Erleuchtung und Erlösung ohne Gott

215

3.

Die Schüler*innen diskutieren die buddhistische Kritik am Gottesglauben und an metaphysischen Fragestellungen und bringen diese ins Gespräch mit der christlichen Tradition der Rede von Gott.

4.

Die Schüler*innen überlegen, wie die Praxis fernöstlicher Meditationstechniken den christlichen Glauben in der westlichen Welt bereichern kann und wo die Grenzen einer Übernahme solcher Praktiken aus christlicher Sicht liegen könnten.

Weiterführende Literatur: Michael von Brück, Buddhismus, Grundlagen – Geschichte – Praxis, Gütersloh 1998. Michael von Brück/Whalen Lai, Buddhismus und Christentum. Geschichte, Konfrontation, Dialog, München 2000

.

5

Die Zeichen unserer Zeit: Christlicher Glaube im Angesicht der Religionen

5.1

Gegenwärtige Kontexte und Herausforderungen des interreligiösen Dialogs

(1) Der derzeitige Schwerpunkt des interreligiösen Dialogs in Mitteleuropa liegt aus rein zahlenmäßigen, aber auch gesellschaftspolitischen Gründen auf dem christlichmuslimischen und aus Gründen der geschichtlichen Verantwortung (Schoa) und theologischen Verwiesenheit des Christentums auf dem christlich-jüdischen Dialog. Noch immer aber sind religiöse und nichtreligiöse Formen der Judenfeindschaft nicht überwunden. Zu den aktuellen Aufgaben der Kirchen gehört es, die Grenzen zwischen einer legitimen Kritik an der konkreten Politik Israels und einer judenfeindlichen Israelkritik zu markieren und zu vermitteln: Judenfeindlich wird die Kritik dann, wenn das Existenzrecht Israels bestritten wird, wenn an den Staat Israel andere Maßstäbe angelegt werden als bei anderen Staaten, israelische Politik mit dem Nationalsozialismus verglichen wird oder wenn das Judentum insgesamt verantwortlich gemacht wird für konkretes Fehlverhalten israelischer Politik. Das Existenzrecht des Staates Israel muss allein schon aus völkerrechtlicher Sicht unverhandelbar sein. Für christliche Theologie stellt sich aber eine weitergehende Frage, nämlich ob und in welchem Maße der Staat Israel auch eine theologische Bedeutung hat: Die Landverheißung gehört zur biblischen Bundestheologie, ohne daraus konkrete politisch-rechtliche Gebietsansprüche ableiten zu können oder wie im evangelikalen Christentum damit messianische Erwartungen (messianischer Zionismus) zu verknüpfen. Die biblische Bundestheologie verbindet mit der Landverheißung aber auch die Gerechtigkeitsforderung, was die Anerkennung des Existenzrechts und die gleichberechtigte Behandlung der Palästinenser impliziert. Rechtspopulistische und christlich-fundamentalistische Strömungen haben in den letzten Jahren auch die Islamfeindschaft zum zentralen Mobilisierungsfaktor erkoren. Kritik an bestimmten Ausformungen des Islams und an faktischen Problemen muss erlaubt und möglich sein, jeder Form von Hetze und Menschenverachtung jedoch muss die vom Evangelium geforderte Haltung der Hochachtung und Liebe entgegengehalten werden. (2) Das Gespräch über die und mit den Religionen findet nie in einem luftleeren, nur religiösen oder theologischen Raum, sondern unausweichlich in konkreten ge-

218

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

sellschaftlichen und politischen Kontexten statt, die den Dialog und die Beziehungen immer wieder belasten und gefährden, aber auch bereichern, schärfen und reifen lassen können. Bis heute ist der Israel-Palästina-Konflikt einer dieser Kontexte (in Bezug auf Judentum und Islam), aber auch Integrationsfragen, religiöser Fundamentalismus und politischer Extremismus gehören dazu, die nicht nur den Islam oder die „abrahamischen Religionen“ betreffen. Die religiösen Fundamentalismen können als anti-liberale und anti-moderne Protestbewegungen gesehen werden, die sich aus Angst vor Identitäts- und Machtverlust speisen. Sie entstanden weltweit im 19. und 20. Jahrhundert als Reaktion auf Aufklärung, Freiheits- und Gleichheitsforderungen und Veränderungen im Zuge moderner, säkularer und pluraler Gesellschaften. Sie richten sich gegen historisch-kritisches Denken, zum Teil auch gegen naturwissenschaftliche Theorien wie die Evolutionstheorie, gegen Religionsfreiheit und Gleichberechtigung. Es handelt sich im Kern um religiös-politische „Ideologien der Ungleichheit“, die absolute und exklusive Wahrheitsansprüche erheben und dadurch intolerante Haltungen evozieren, die auch zu Gewalt führen können.576 Die Trenn- und Konfliktlinien verlaufen dabei meist weniger zwischen den Religionen als vielmehr quer durch die Religionen. Deshalb sind versöhnende Gesten und Schritte des Zueinanders, besonders durch die führenden Religionsvertreter auf den verschiedenen Ebenen ebenso vonnöten wie die kritische Aufarbeitung von gewaltlegitimierenden religiösen Traditionen. Die Gewaltproblematik betrifft dabei nicht nur den Islam oder die „abrahamischen Religionen“, sondern ebenso den Hinduismus und den Buddhismus (vgl. Indien, Myanmar). Der Dialog muss außerdem kontextualisiert, verräumlicht werden und einen konkreten Sitz im Leben haben, andernfalls wird er zur Showveranstaltung ohne nachhaltige Wirkung. In kaum einem anderen Thema wird deutlicher, dass und wie die Kirche – als „Weltkirche“ – in der Welt und in der Zeit lebt. (3) In den Metropolen des Westens sind heute nicht nur die großen Weltreligionen präsent, sondern – wenn auch zahlenmäßig deutlich kleiner – eine Vielzahl weiterer Religionsgemeinschaften: Sikhs, Bahais, Shintoisten, Tenrikyos, Yeziden usw. Der Dialog und die theologische Beschäftigung mit diesen haben noch kaum begonnen. (4) Parallel zur religiösen Pluralisierung und zum religionsproduktiven Impetus der Postmoderne gibt es je nach Kontext einen unterschiedlich stark wachsenden säkularen, zum Teil religionskritischen oder gar -feindlichen Sektor. Der interreligiöse Dialog findet meist unausweichlich in einem säkularen Umfeld statt. Die Verlockung ist groß, dass die Religionen sich dabei gegen die Anfragen von außen abschließen oder gar gegen die säkularen Kräfte zusammenschließen. Dies widerspräche dem konziliaren Verständnis von Dialog und Zeugnis, die niemanden ausschließen und die Anfragen des anderen ernst nehmen sollen. Auch eine engere Zusammenarbeit der Religionen im Bereich der Kommunikation und Medienethik ist ein Desiderat: Wie kann das Religiöse in den Massenmedien präsent sein, ohne dass es zu Manipulationen, Fehlinformationen oder Proselytismus kommt? 576 Vgl. Alkier/Deuser/Linde, Fundamentalismus; Eppler, Fundamentalismus.

5.2 Das Verständnis des Dialogs und das Verhältnis von Mission und Dialog

219

(5) Der interreligiöse Dialog auf der offiziellen Ebene ist stark androzentrisch geprägt, was bei der patriarchalen Struktur der meisten Religionen nicht verwundern dürfte. An der Basis und in der Praxis des interreligiösen Dialogs dagegen sind Frauen sehr häufig engagiert und bringen wichtige Perspektiven ein, die auf der offiziellen und theologischen Ebene künftig stärker wahrgenommen werden müssen.

5.2

Das Verständnis des Dialogs und das Verhältnis von Mission und Dialog

Die Öffnung der christlichen Kirchen und Theologie für den interreligiösen Dialog haben zugleich die Frage nach der Legitimität und Notwendigkeit des missionarischen Auftrags und Handelns aufkommen lassen. Ökumenisch unstrittig ist, dass der Sendungsauftrag der Kirche biblisch vorgegeben und damit unaufgebbar ist.577 Das Verständnis und die konkrete Praxis dieser Sendung aber haben sich im Laufe der Geschichte verändert und so ist danach zu fragen, wie sie heute zu verstehen und zu leben ist. In dem Dokument des Sekretariats für die Nichtchristen über „Dialog und Mission. Gedanken und Weisungen über die Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Anhängern anderer Religionen“578 (DuM) von 1984 wird der interreligiöse Dialog als Teil der kirchlichen Mission erklärt (Nr. 13). Nicht unproblematisch ist diese Zuordnung dann, wenn der Dialog als Mittel dem Zweck der Mission untergeordnet wird, der Dialog somit seinen Eigenwert zu verlieren droht. Dialog als Mittel zur Mission würde bei den Dialogpartnern – verständlicherweise – das ohnehin vielfach immer noch bestehende Misstrauen bestätigen und zum Rückzug vom Dialog führen. Ein aufrichtiger und gelungener interreligiöser Dialog ist immer auch Mission: „Mission Gottes“ nämlich. Wenn Gottes Geist über die sichtbare Kirche hinaus wirkt und, wie das Konzil sagt, auch in den nichtchristlichen Religionen Wahres und Gutes enthalten ist, dann bedeutet interreligiöser Dialog immer auch „Bekehrung“ aller gläubigen Dialogpartner, also auch der Christen, zur je größeren Wahrheit Gottes. Dialog ist als Begegnung zu verstehen, „um gemeinsam auf die Wahrheit zuzustreben und bei Werken von gemeinsamem Interesse zusammenzuarbeiten“ (DuM 13). Mission meint neben dem Glaubenszeugnis, der Verkündigung und dem Dienst am Nächsten das gemeinsame Suchen nach der Wahrheit. Gegenüber der vorkonziliaren Zeit hat sich nicht nur das Missionsverständnis geändert, sondern, was noch viel grundlegender ist, auch das Wahrheitsverständnis, denn kein Mensch besitz die Wahrheit in vollkommener Weise: „Das gegenseitige Überprüfen, die Verbesserung des einen durch den anderen, der geschwisterliche Austausch der jeweiligen Gaben führen zu immer größerer Reife, aus der die zwischenpersönliche Gemeinschaft erwächst. Bei diesem Austauschvorgang können sogar religiöse Erfahrungen und Ansichten gereinigt und bereichert werden. Diese Dy577 Vgl. Lienemann-Perrin, Mission; Wrogemann, Missionstheologien, bes. 322–335. 578 Zit. nach L’Osservatore Romano (D) 14, Nr. 34/35 vom 24. August 1984, 10f.

220

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

namik menschlicher Beziehungen drängt uns Christen zum Hören und Verstehen dessen, was uns Andersgläubige vermitteln können, so dass wir die von Gott geschenkten Gaben uns nutzbar machen“ (DuM 21). Wahrheit wird also durch die Beziehung und die Kommunikation erschlossen. Primäres Ziel der Mission ist somit die Öffnung aller Gläubigen für den Geist Gottes, der in allen Menschen und Religionen wirkt. Anders gesagt: Evangelisation ist keine Einbahnstraße. Dialog und Verkündigung dürfen nicht in einen Gegensatz zueinander gestellt werden, weder in der Form, wonach Verkündigung Dialog ausschließe, noch in der Form, wonach im Dialog die Verkündigung keinen Platz habe, vielmehr gehören beide Dimensionen letztlich zusammen: „So muss Verkündigung notwendig ein dialogischer Vorgang werden. Dem anderen wird nicht das gänzlich Unbekannte gesagt, sondern die verborgene Tiefe dessen erschlossen, was er in seinem Glauben schon berührt. Und umgekehrt ist der Verkündiger nicht nur der Gebende, sondern auch der Empfangende. In diesem Sinn sollte der Dialog der Religionen geschehen, was der Kusaner (Nikolaus von Kues, A.R.) in seiner Vision des Himmelskonzils als Wunsch und Hoffnung ausgedrückt hat: Der Dialog der Religionen sollte immer mehr zu einem Zuhören auf den Logos werden, der uns die Einheit mitten in unseren Trennungen und Widersprüchen zeigt.“579 Damit ist eine Haltung überwunden, lediglich das beim Anderen anzuerkennen, was mit dem Eigenen übereinstimmt. Wenn man ernsthaft annimmt, dass Gottes Geist in anderen Menschen und Religionen wirksam ist und die Fülle der Offenbarung Gottes in Jesus Christus weder vom einzelnen Gläubigen noch von der Glaubensgemeinschaft je ausgelotet werden kann, dann ist davon auszugehen, dass die Christ*innen durch die Begegnung und den Dialog mit den Religionen auch noch etwas lernen können. Es geht darum, die Zeichen der Gegenwart des göttlichen Geistes, der weht, wo er will, zu entdecken und anzuerkennen. Die anderen Religionen können so zu einer Erkenntnisquelle für christliche Theologie und christlichen Glauben werden. Dabei sollte dieser Lernprozess nicht auf die kognitiv-inhaltliche Dimension des Glaubens eingeschränkt verstanden werden: Wenn man mit dem Wechsel des Offenbarungsverständnisses von einem instruktionstheoretischen zu einem personalkommunikationstheoretischen Modell ernst macht, dann wird deutlich, dass es auch in interreligiösen Lernprozessen nicht nur um den Zuwachs von theologischen Erkenntnissen, vielmehr um eine Vertiefung der personalen Gottesbeziehung wie der zwischenmenschlichen Beziehungen geht. Dialog ist „vor allem ein Stil des Vorgehens, eine Haltung und ein Geist, der das Verhalten bestimmt. Zu ihm gehören Aufmerksamkeit, Achtung und Aufgeschlossenheit dem anderen gegenüber, dem man Raum lässt für seine persönliche Identität, seine Ausdrucksformen und Werte.“ (DuM 29) Ein so weites Verständnis allerdings ist nicht ökumenischer Konsens. Deshalb war es ein großer Schritt, dass sich der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog zusammen mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der Weltweiten Evangelischen Allianz (die für die evangelikalen Freikirchen steht) 2011 mit dem Dokument „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ auf gemeinsame „Empfeh579 Ratzinger, Vielfalt, 120f.

5.3 Eine ökumenische trinitarische Theologie der Religionen

221

lungen für einen Verhaltenskodex“ verständigen konnte.580 Die Kirchen sehen es als ihren Auftrag, „in Treue und gegenseitiger Solidarität“ von Jesus Christus Zeugnis abzulegen, das auch den Dialog mit Menschen anderen Glaubens umfasse (vgl. Art. 4). Jede Form von Gewalt wird abgelehnt, Religionsfreiheit anerkannt und gegenseitiger Respekt gefordert: „Wenn Christen bei der Ausübung ihrer Mission zu unangemessenen Methoden wie Täuschung und Zwangsmitteln greifen, verraten sie das Evangelium und können anderen Leid zufügen.“ (Art. 6) Bekehrung aber sei nicht Aufgabe des Menschen, sondern letztlich Werk des Heiligen Geistes.

5.3

Eine ökumenische trinitarische Theologie der Religionen

5.3.1

Katholische Ansätze

Das Zweite Vatikanische Konzil vertrat eine inklusive Verhältnisbestimmung zu den nichtchristlichen Religionen, wie aber das Wahre und Heilige in diesen Religionen zu erklären ist, blieb lediglich angedeutet (vgl. GS 22). Erst nachkonziliar vertieften lehramtliche Aussagen und einzelne theologische Ansätze diese Frage und argumentierten dabei vom universalen Wirken des Heiligen Geistes her und somit trinitätstheologisch: Der eine Schöpfergott wirkt mittels seines Geistes in der Welt, in den Menschen und damit auch in den Religionen und weil dies der Geist Jesu Christi ist, ist Christus, der Logos bereits in diesen Religionen präsent. In seiner Antrittsenzyklika Redemptor Hominis aus dem Jahr 1979 spricht Papst Johannes Paul II. von „den Schätzen der menschlichen Spiritualität“ bei den Mitgliedern der anderen Religionen und dass deren Überzeugungen „auch schon vom Geist der Wahrheit berührt worden sind, der über die sichtbaren Grenzen des Mystischen Leibes hinaus wirksam ist“.581 Die Enzyklika Redemptoris Missio582 (RM) aus dem Jahr 1990 vertieft den christologisch-pneumatologischen Ansatz unter Bezugnahme auf Apg 4,10.12: „Die Menschen können demnach mit Gott nicht in Verbindung kommen, wenn es nicht durch Jesus Christus unter Mitwirkung des Geistes geschieht“ (RM 5). Der Papst hält andere Heilsvermittlungen explizit für möglich, bindet diese aber eben an das Wirken Christi und seines Geistes: „Andere Mittlertätigkeiten verschiedener Art und Ordnung, die an seiner Mittlerschaft teilhaben, werden nicht ausgeschlossen, aber sie haben doch nur Bedeutung und Wert allein in Verbindung mit der Mittlerschaft Christi und können nicht als gleichrangig und notwendiger Zusatz betrachtet werden“ (ebd.). Mit diesem inklusiven Modell ist einem Relativismus ebenso eine Absage erteilt wie heilsexklusivistischen Ansätzen. 580 http://www.missionrespekt.de/fix/files/Christliches-Zeugnis-Original.pdf 581 Johannes Paul II., Redemptor Hominis, 12. 582 Johannes Paul II., Redemptoris Missio, Bonn 1990.

222

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

Die Menschen außerhalb der sichtbaren Kirche, die Nichtchristen, werden mit der Kirche in Verbindung gesetzt: Für diejenigen, die nicht an Christus glauben und der Kirche nicht angehören „ist das Heil in Christus zugänglich kraft der Gnade, die sie zwar nicht förmlich in die Kirche eingliedert – obschon sie geheimnisvoll mit ihr verbunden sind –, aber ihnen in angemessener Weise innerlich und äußerlich Licht bringt. Diese Gnade kommt von Christus, sie ist Frucht seines Opfers und wird vom Heiligen Geist geschenkt: sie macht es jedem Menschen möglich, bei eigener Mitwirkung in Freiheit das Heil zu erlangen“ (RM 10). Durch den Heiligen Geist werden die Menschen außerhalb der sichtbaren Kirche also unsichtbar mit dem Heilsmysterium Christi, mit der Kirche und dem Reich Gottes (vgl. RM 20) verbunden. Sie werden eingegliedert in das Volk Gottes: „Jeder Mann und jede Frau ist ein Pilger auf dieser Erde – ein Pilger des Absoluten, eine Pilgerin auf der Suche nach dem Absoluten! Und jeder ist gerufen. Wir sind alle Pilger, Angehörige des Volkes Gottes, das der Schöpfer und Vater zu seiner eigenen Heiligkeit führt.“583 Das Wirken des Geistes wird aber nicht nur auf das Individuum bezogen: „Die Gegenwart und das Handeln des Geistes berühren nicht nur einzelne Menschen, sondern auch die Gesellschaft und die Geschichte, die Völker, die Kulturen, die Religionen“ (RM 28). Auf dieser Grundlage stellt das vom Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog zusammen mit der Kongregation für die Evangelisierung der Völker 1991 veröffentlichte Schreiben „Dialog und Verkündigung. Überlegungen und Orientierungen zum Interreligiösen Dialog und zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi“ (VAS 102) nähere Überlegungen zum konkreten Wirken Gottes in den Religionen an: Wie ist es möglich, dass Menschen außerhalb der sichtbaren Kirche zum Heil gelangen können? Mit explizitem Bezug auf das Konzil bestätigt das Dokument, dass in den religiösen Traditionen der Menschheit „Elemente der Gnade“ (Nr. 31) Gottes zu finden sind – was nicht heißt, dass alles in ihnen Ergebnis dieser Gnade ist – und stellt fest, dass „das Konzil ganz offensichtlich nicht nur im religiösen Leben einzelner Gläubiger dieser Religionen positive Werte anerkennt, sondern auch in den religiösen Traditionen selbst, denen sie angehören. Es leitet diese Werte aus der tätigen Gegenwart Gottes in seinem Wort ab, nicht ohne auf das universale Handeln des Geistes hinzuweisen“ (Nr. 17, mit Verweis auf AG 4). Es wird den anderen Religionen sogar „eine providentielle Rolle innerhalb der göttlichen Heilsökonomie“ (ebd.) zuerkannt! Das Schreiben fährt fort, dass „es nur eine Heilsgeschichte für die ganze Menschheit gibt“ (Verweis auf den noachidischen Bund) und diese eine Heilsgeschichte in Jesus Christus „ihre endgültige Erfüllung“ findet (Nr. 19, vgl. 22). Die religionstheologische Position des Dokumentes ist vom inklusiven Prinzip „einer gleichermaßen christologischen wie pneumatologischen Universalität“ geleitet (Nr. 21). Wenn auch keines der kirchlichen Dokumente den Begriff des „anonymen Christentums“ verwendet, so scheint doch vielerorts diese in den 50er Jahren entwickelte Theorie Rahners durch, etwa wenn gesagt wird, dass die Anhänger anderer Religionen „immer dann positiv auf Gottes Einladung“ antworten und „sein 583 Johannes Paul II, Ansprache in Indien 1986, zit. nach Fürlinger, Dialog, 101.

5.3 Eine ökumenische trinitarische Theologie der Religionen

223

Heil in Jesus Christus“ empfangen, „wenn sie in ehrlicher Weise das in ihren religiösen Traditionen enthaltene Gute in die Tat umsetzen und dem Spruch ihres Gewissens folgen. Dies gilt sogar für den Fall, dass sie Jesus Christus nicht als ihren Erlöser erkennen oder anerkennen (vgl. AG 3; 9; 11)“ (Nr. 29). Das Schweigen des Konzils in Bezug auf die anderen Religionsstifter wie Muhammad oder Buddha wird auch durch die nachkonziliaren Päpste nicht direkt gebrochen, Johannes Paul II. allerdings würdigt in einer Ansprache bei der Generalaudienz am 9. September 1998 deren Wirken als vom Heiligen Geist erfüllt, ohne konkrete Namen zu nennen: „Vor allem müssen wir uns vergegenwärtigen, dass alles Suchen des menschlichen Geistes in Richtung auf die Wahrheit und das Gute und letzten Endes auf Gott hin vom Heiligen Geist angeregt ist. Gerade aus dieser uranfänglichen Öffnung des Menschen Gott gegenüber entstehen die verschiedenen Religionen. Nicht selten finden wir an deren Beginn Gründer, die mit der Hilfe des Geistes Gottes eine tiefere religiöse Erfahrung gemacht haben.“584 Insgesamt zeigt sich in den nachkonziliaren lehramtlichen Äußerungen eine stärkere Betonung der Pneumatologie und des trinitarischen Wirkens Gottes und damit eine Überwindung eines traditionellen Christomonismus.

5.3.2

Evangelische Ansätze

Die protestantische Theologie tat und tut sich in der Frage der Anerkennung anderer Religionen im Heilsgeschehen traditionell schwerer: Aufgrund der starken Betonung der völligen Verderbtheit der menschlichen Natur durch die Ursünde und die damit verbundene Überzeugung von der alleinigen Heilswirksamkeit der Gnade Gottes in Jesus Christus (sola gratia, solus Christus) tendiert die reformatorische Theologie traditionell eher zu einem christologischen Exklusivismus und ordnet die nichtchristlichen Religionen der gefallenen „Natur“ zu, die als widergöttlich wahrgenommen wird. Einen Höhepunkt dieser Grundtendenz bildet die theologische Religionskritik zumindest des frühen Karl Barth und der „Dialektischen Theologie“, die Religion und christliche Offenbarung in einen unvermittelbaren Widerspruch setzt. Und dennoch gibt es in der lutherischen Theologie des 20. Jahrhunderts auch Ansätze und Entwürfe einer inklusiven trinitarischen Religionstheologie, so etwa bei Carl Heinz Ratschow (1911–1999), Paul Tillich (1886–1965), Hans-Martin Barth (geb. 1939) oder Reinhold Bernhardt (geb. 1957). Carl-Heinz Ratschow hat sich früh mit der religionstheologischen Frage beschäftigt und musste als evangelischer Theologe „zeitlebens gegen den vorherrschenden Strom der Dialektischen Theologie ‚anschwimmen‘.“585 Im Gegensatz zur Dialektischen Theologie betrachtete Ratschow das Christentum als Religion im Sinne einer menschlichen Antwort auf die Epiphanie, das Erscheinen Gottes in der Geschichte.

584 Zit. nach Fürlinger, Dialog, 94. 585 Repp, Gott, 328.

224

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

Diese menschliche Antwort in Form von Institutionen, Lehren oder Sitten zu verabsolutieren sei eine „Dämonisierung der eigenen Religion“.586 Seine Religionstheologie begründete er mit Gottes universalem Wirken: „Gottes Welthandeln unterfängt alle Religionen. Die Überzeugung, dass es nur einen Gott gibt, dass er hinter allem Götterwirken wirkt, steht in allen Versuchen (korr.) einer Theologie der Religionen heute an entscheidender Stelle. … Eine Theologie der Religionen führt zur Bestimmung der Universalität Gottes. Universalität Gottes heißt, dass der Gott, den das NT als den Vater-Gott prädiziert, und der sich als Heiliger Geist neu und neu präsent macht, in dem Grundereignis aller Religion wirksam ist.“587 Ratschow beklagt traditionelle theologische Fehldeutungen, die durch christologische Engführung auf Röm 1–2 zustande gekommen seien und zur „leeren Formel von der ‚natürlichen Offenbarung‘“ führten. Stattdessen müssten auch die Kap. 3–8 des Römerbriefes berücksichtigt werden, an deren Ende der Heilige Geist ins Spiel kommt, durch dessen Wirken Gottes universaler Zorn erst zu Ruhe komme, weil der Geist sich unserer Schwachheit annimmt und für uns eintritt (vgl. Röm 8,26f).588 Reinhold Bernhardt greift auf bisherige trinitätstheologische Ansätze in der Religionstheologie zurück und führt sie im Sinne eines „hermeneutischen Inklusivismus auf Gegenseitigkeit“ weiter: „Die religiösen Traditionen können und müssen aus dieser Perspektive als potenzielle Ereignisräume der wirksamen Gegenwart Gottes angesehen werden, die sich sowohl vermittelt durch geschichtliche ‚Gestalten‘ (Heilige Schriften, Zentralfiguren, Riten, Lehren, Institutionen usw.) als auch unmittelbar in der Kraft ihres Geistes manifestieren kann, allen diesen Manifestationen gegenüber transzendent ist und bleibt. Der für die christliche Tradition normative Maßstab besteht in deren Konformität mit dem Geist, von dem Jesus in seinem Leben und Leiden erfüllt war und der über seinen Tod hinaus bis in die Gegenwart seine Kraft entfaltet.“589 Die „Gottesgegenwart in Christus als Menschwerdung des Logos (Logoschristologie) und als Einwohnung des Geistes (Geistchristologie)“590 werden in diesem Ansatz als zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit gesehen. Der Geist wirkt also nicht unabhängig vom Logos in den Religionen, sondern vergegenwärtigt den Logos: „Gestaltwerdungen des Gottgeistes in außerchristlichen Religionskulturen sind geistchristologisch denk- und erwartbar.“591 Hans-Martin Barth interpretiert diesbezüglich das reformatorische sola scripturaPrinzip neu: „Auch die Entstehung außerchristlicher heiliger Schriften ist ohne das Handeln des dreieinen Gottes nicht denkbar; sie müssen daher gerade im Interesse einer vollen Anwendung des ‚sola scriptura‘-Prinzips zur Erklärung der Heiligen Schrift herangezogen werden. Der hermeneutische Zirkel, der innerhalb der Heiligen Schrift zwischen deren Mitte – Jesus Christus – und deren einzelnen Aussagen 586 Ratschow, Religionen, 126. 587 Ratschow, Theologie, 502. 588 Vgl. Ratschow, 504; zu seinem religionstheologischen Ansatz vgl. auch Wohlleben, Kirchen, 222–232. 589 Bernhardt, Ende, 224; vgl. ders., Inter-Religio, 296. 590 Bernhardt, Ende, 243. 591 Bernhardt, Ende, 246; vgl. ders. Inter-Religio, 443f.

5.3 Eine ökumenische trinitarische Theologie der Religionen

225

zur Anwendung gelangt, ist mutatis mutandis – auch auf das Verhältnis von Heiliger Schrift und heiligen Schriften auszuweiten.“592 Aus der presbyterianischen Theologie sei auf den Ansatz des Theologen, Religions- und Islamwissenschaftlers Wilfred Cantwell Smith (1916–2000) verwiesen, der auch als wesentlicher Begründer der sog. pluralistischen Religionstheologien gilt.593 Da jeder Mensch eine nur sehr relative und begrenzte Wahrheits- und das heißt Gotteserkenntnis hat, hält es Smith für eine moralische Aufgabe, dass alle Menschen in ein gemeinsames Gespräch594 treten und voneinander lernen, um sich auf diese Weise gemeinsam immer näher an die letzte Wahrheit heranzutasten. Ziel sei, immer mehr zu einem „gemeinschaftlichen kritischen Selbstbewusstsein“ („corporate critical self-consciousness“)595 zu kommen, dass wir nicht nur an einer partikulären religiösen Tradition partizipieren, sondern an der gesamten Geschichte der Menschheit. Jede Religion ist ein Strang oder Strom in der einen Religionsgeschichte der Menschheit. Die Religionsgeschichte sei ein einziges Zeugnis dafür, dass der Mensch ein Bewusstsein von Gott und seiner Gegenwart hat. Indem wir an dieser Geschichte und an der weltweiten religiösen Bewegung partizipieren, „findet jeder einzelne sein oder ihr Leben zum Göttlichen hin geöffnet“596, oder anders gesagt: ist jeder erlöst. Denn Gott handelt in der Geschichte primär durch die Religionen, er findet und erlöst durch sie den Menschen: „Gott erlöst uns auf jede erdenkliche Weise, nehme ich an, aber bislang primär durch unsere religiösen Systeme“.597 Der Glaube des Menschen aber ist die vertrauende Antwort, „die antwortende Beteiligung des Menschen am aktiven Handeln Gottes mit der Menschheit, seiner weiter andauernden und vielgestaltigen Wirksamkeit“, sodass Smith sagen kann, dass die menschliche Geschichte „in ihrer Gesamtheit Heilsgeschichte“ ist: „Die Geschichte des Menschen ist die Geschichte der Religionen, und die Religionsgeschichte ist die Geschichte der Rettung durch Glauben.“598 Nach Smith ist also jede der großen Weltreligionen ein Werkzeug in Gottes universalem Heilsplan. Der einzige und wahre Missionar unter den Menschen sei Gott selbst (missio Dei): „Es ist eine Verarmung des Lebens, aber auch eine Verarmung der Theologie, Gottes Mission an uns durch alle Traditionen und alle seine Diener überall nicht ernst zu nehmen.“599 Der Heilige Geist missioniert unter allen Menschen, er missioniert uns und die anderen, die anderen durch uns, und uns durch die anderen.600 592 Barth, Dogmatik, 220. 593 Vgl. dazu Renz, Mensch, 63–126. 594 Statt „Dialog“ bevorzugt Smith das Wort „Gespräch“ („colloquy“), um die multilaterale und gemeinschaftliche Dimension stärker herauszuheben; „Dialog“ ist ihm zu polar gedacht, zu dichotom. Noch treffender aber als „colloquy“ ist für ihn der Terminus „participation“: jeder hat und nimmt teil am Anderen. 595 Smith, World Theology, 59 ff. 596 Ebd. 42. 597 Ebd. 170. 598 Smith, Menschlicher Glaube, 162. 599 Smith, Mission, 367. 600 Vgl. Smith, World Theology, 42.

226

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

5.3.3

Orthodoxe Ansätze

Die orthodoxe Theologie ist generell von einem trinitarischen und pneumatologischen Denken her bestimmt und dieser Ansatz, der in der altkirchlichen Logoslehre gründet, ist gerade auch für die christliche Religionstheologie enorm befruchtend.601 Der griechisch-orthodoxe Theologe George Khodr (geb. 1923) etwa sieht eine Kontinuität in der Heilsgeschichte: Trotz des Sündenfalls blieb der Schöpfer mit den Menschen in einer heilschaffenden Beziehung, wovon die universalen Bundesschlüsse mit Noah und Abraham zeugen. Logos und Pneuma sind die beiden Hände des Schöpfers, mit denen er in der Welt zum Heil der Menschen handelt. Ähnlich argumentieren der griechisch-orthodoxe Theologe Demetrios J. Constantelos (1927–2017), der von einer universalen und fortwährenden Offenbarung des dreieinen Gottes ausging, und der ebenfalls griechisch-orthodoxe Theologe Anastasios Yannoulatos (geb. 1929), der von einer Heilsökonomie des Logos und einer Heilsökonomie des Geistes spricht, die er freilich eng aufeinander bezieht. Unter dem Einfluss der orthodoxen Theologie verständigte sich auch der Ökumenische Rat der Kirchen mit der theologischen Konsultation von Baar (1990) auf einen trinitarischen Ansatz in der Religionstheologie und fand so zu einer positiven Beurteilung des religiösen Pluralismus: „Wir sehen die Pluralität religiöser Traditionen sowohl als Ergebnis der mannigfaltigen Wege, in denen sich Gott Völkern und Nationen mitgeteilt hat, als auch als eine Manifestation des Reichtums und der Verschiedenartigkeit des menschlichen Wesens.“602 2003 erschienen dann die „Ökumenischen Erwägungen zum Dialog und zu den Beziehungen mit Menschen anderer Religionen“603. Darin heißt es, „dass Gott sich selbst vor keinem Volk und zu keiner Zeit unbezeugt gelassen hat (Apg 14,17)“ (Art. 10) und „dass der Geist Gottes auf eine Art und Weise, die wir nicht begreifen können, am Werk ist (siehe Joh 3,8)“ (Art. 14). Christen müssten sich für das Glaubenszeugnis der anderen öffnen und mit ihnen gemeinsam „den Weg zu Fülle der Wahrheit“ gehen (Art. 17). Der lutherische Theologe Ekkehard Wohlleben kommt nach der Analyse der konfessionell geprägten religionstheologischen Ansätze zu dem Schluss: „Der trinitarische Glaube bildet sowohl die Basis für ökumenische Zusammenarbeit der Kirchen, als auch eine tragfähige Grundlage für das Verständnis der nichtchristlichen Religionen. … So kann die Orthodoxie die universalistischen Traditionen ihrer Logostheologie und spezifischen Ausgestaltung der Pneumatologie einbringen; der Protestantismus die ihm eigene klare christologische Kriteriologie, die scharf zwischen dem Handeln Gottes und menschlichem Machtstreben unterscheidet. Der Katholizismus kann mit seinem inkarnatorischen Verständnis der Wirksamkeit Gottes dazu beitragen, die Religionen als Institutionen theologisch sachgerecht zu würdigen.“604 Die sichtbare Kirche 601 602 603 604

Vgl. dazu Wohlleben, Kirchen, 243-263. ÖRK, Konsultation von Baar, 231. ÖRK, Ökumenische Erwägungen. Wohlleben, Kirchen, 373f.

5.3 Eine ökumenische trinitarische Theologie der Religionen

227

wird mit diesem trinitarischen Ansatz keineswegs überflüssig, vielmehr nimmt sie mit und durch ihre vielfältige Sendung in Wort und Tat – und dazu gehört auch der Dialog mit den anderen Religionen – an der universalen Sendung Gottes (Missio Dei) teil und gibt auf diese Weise Zeugnis vom Heilshandeln Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist: „Nur eine Religionstheologie, die die absolute Beanspruchung des Christen durch die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus ernst nimmt, die anderen Religionen unter den Horizont des universalen Handelns Gottes gestellt sieht und auch den bleibenden Dissens divergierender Gotteserfahrungen auszuhalten bereit ist, wird dem komplexen Verhältnis des Christentums zu den nichtchristlichen Religionen gerecht.“605

5.4

Universale und einzige Heilsmittlerschaft Jesu Christi: Die Auseinandersetzung mit der „Pluralistischen Religionstheologie“

Der religionstheologische Inklusivismus, der sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts konfessionsübergreifend, am stärksten aber in der katholischen Kirche und Theologie entwickelte, stieß ab den 1980er Jahren bei einigen Theologen auf Kritik und Widerspruch, die das inklusive Modell als vereinnahmend und immer noch hierarchisch betrachteten. Protagonisten wie Wilfred Cantwell Smith, John Hick, Paul Knitter und Perry Schmidt-Leukel sahen im Inklusivismus eine zu überwindende Vorstufe hin zu einer pluralistischen Verhältnisbestimmung der Religionen, die davon ausgeht, dass zumindest die großen Weltreligionen als gleichwirksame Heilswege zu betrachten seien. Das pluralistische Modell führte vor allem in den 1990 Jahren zu theologischen Kontroversen über die theologischen und erkenntnistheoretischen Probleme der religionstheologischen Modelle und auch zur Frage nach der Angemessenheit der sog. Dreierklassifikation Exklusivismus, Inklusivismus, Pluralismus.606 Für alle drei Modelle lassen sich mehr oder weniger gut biblische, theologiegeschichtliche und systematisch-theologische Belege und Argumente anführen, alle drei Modelle lassen sich mit theologischen und erkenntnistheoretischen Argumenten kritisieren.607 So widerspricht der Exklusivismus dem biblisch bezeugten universalen Heilswillen Gottes und kann die Übereinstimmungen der Religionen nicht plausibel erklären, geschweige denn positiv würdigen. Der Pluralismus kann die Widersprüche der Religionen schlecht plausibel machen und steht in der Versuchung, die Unterschiede unterzubewerten. Der Inklusivismus droht die anderen Religionen zu vereinnahmen und kann seinen Überlegenheitsanspruch intersubjektiv nicht einlösen. 605 Wohlleben, Kirchen, 416. 606 Der Sache nach begegnet diese Dreierklassifikation bereits bei Heinrich Ostermann, Die Weltreligionen und das Christentum, Augsburg 1963, 76f, begrifflich dann ab den 1980er Jahren durch Alan Race eingeführt. Zur Diskussion der Modelle vgl. Schmidt-Leukel, Gott, 62–95. 607 Vgl. Schmidt-Leukel, Gott.

228

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen Was von anderen Religionen halten? - die drei religionstheologischen Grundmodelle Ausgangsfrage der Klassifikation: Wird in den Religionen heilshafte Erkenntnis der transzendenten Wirklichkeit bzw. Offenbarung vermittelt? nein ja

Atheismus

Wird außerhalb der eigenen Religion heilshafte Erkenntnis der transzendenten Wirklichkeit bzw. Offenbarung vermittelt? nein

Exklusivismus

ja

Wird die Heilswahrheit bzw. Offenbarung in (mindestens) einer anderen Religion im gleichen (H¨ ochst)Maß vermittelt wie in der eigenen Religion? nein

Inklusivismus

ja

Pluralismus

Abb.: Drei religionstheologische Grundmodelle nach Anna Ijjas608

In dieser Situation bekräftigte das katholische Lehramt mit der Erklärung Dominus Iesus der Glaubenskongregation (2000) „die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“. Zentrales Anliegen der Erklärung ist, die Religionen nicht als von Jesus Christus und der Kirche unabhängige Heilswege zu betrachten, vielmehr die eine Heilsordnung des dreieinigen Gottes zu betonen, in welche die anderen Religionen eben hineingenommen sind. Jedes Heil ist von dem einen Gott durch Christus im Heiligen Geist bewirkt und geschenkt, ob den Menschen dies bewusst ist oder nicht. Dadurch sind diese Menschen auf unsichtbare Weise mit der Kirche verbunden, die durch die Sakramente Anteil hat an der Heilsvermittlung Jesu Christi. Außerdem sollte festgehalten werden, dass die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus nicht ergänzungsbedürftig ist oder irgendwie steigerbar wäre. Jesus Christus ist damit das Kriterium zur Beurteilung anderer Religionen. Damit liegt das Dokument grundsätzlich auf der Linie des inklusiven Ansatzes des Zweiten Vatikanischen Konzils und der nachkonziliaren Entwicklung. Andere Aussagen dagegen sind unnötig abgrenzend und abwertend, etwa wenn gesagt wird, dass sich die Nichtchristen „objektiv in einer schwer defizitären Situation“ befänden (Nr. 22). Umso beachtenswerter ist die Tatsache, dass DomIes anerkennt, dass „viele Elemente“ in den heiligen Schriften anderer Religionen „faktisch Mittel sind, durch die eine große Zahl von Personen im Laufe der Jahrhunderte ihre religiöse Lebensbeziehung mit Gott nähren und bewahren konnten und noch heute können. … Die heiligen Bücher anderer Religionen, die faktisch das Leben ihrer Anhänger nähren und leiten, enthalten also vom Mysterium Christi jene Elemente des Guten und der Gnade, die in ihnen vorhanden sind.“ (Nr. 8) Damit werden die heiligen Schriften der anderen Religionen religionstheologisch gewürdigt. Der Begriff der „Inspiration“ jedoch soll 608

Prüfungstutorium Theologie der Religionen, 1, in: www.kaththeol.uni-muenchen.de/ lehrstuehle/fundamental_theol/personen/ijjas/materialien/pruefungstutorium/ religionstheologie.pdf [9.6.2020]

5.4 Universale und einzige Heilsmittlerschaft Jesu Christi

229

nach DomIes auf die Bibel beschränkt bleiben, was wiederum inkonsequent erscheint: Wenn diese Schriften in Abhängigkeit vom Heilswirken Jesu Christi Mittel der Gottesbeziehung sind, so ist der Einfluss des Heiligen Geistes auf diese Mittel impliziert. Konsequenter wäre es wohl zu sagen, dass in diesen Mitteln im Unterschied zur biblischen Offenbarung die Wahrheit nicht in der Fülle und Eindeutigkeit geoffenbart und mit menschlichen Irrtümern vermischt ist. Problematisch ist, dass DomIes nicht die so notwendigen Differenzierungen im Verhältnis der Kirche zu den einzelnen Religionen vornimmt: Es ist weder davon die Rede, dass das Judentum in einer besonderen Nähe zur Kirche steht, ja das Judentum fehlt völlig, noch werden die anderen Religionen in ihrer unterschiedlichen Nähe und Distanz zur Kirche gewürdigt. Eine christliche Theologie der Religionen aber kann heute angesichts der Verschiedenheiten und der inneren Vielfalt der Religionen kein apriorisches System darstellen, sondern muss sich um differenzierte Verhältnisbestimmungen bemühen. Vor allem aber kann die Kirche sich selbst und damit ihr Verhältnis zu den anderen Religionen nicht mehr definieren ohne Reflexion auf das Volk Israel. Auf der Basis der skizzierten christlichen Theologie des Judentums würde „Universalität der Heilsbedeutung Jesu“ heißen: „Durch die frohe Botschaft von dem Gesalbten Jesus sind auch die Völker in das heilvolle Handeln Gottes einbezogen worden, das er zuvor schon Israel erwiesen hat – und weiter erweist. Die ‚Universalität der Heilsbedeutung Jesu‘ fordert nicht, die umfassende Reichweite des göttlichen Handelns in Jesus in der Weise exklusiv zu verstehen, dass Israel Heil nur durch Jesus erfahren könnte.“609 Aber auch am inklusiven Modell des Konzils ist (nicht nur) von evangelischer Seite Kritik geübt worden. Reinhold Bernhardt fasst die Kritik wie folgt zusammen: Das Modell des Konzils sei vereinnahmend gegenüber den anderen Religionen (und Konfessionen), es sei biblisch wenig begründet, hinsichtlich der heilsvermittelnden Qualitäten der anderen Religionen spekulativ, deren innere Vielfalt werde nicht ausreichend berücksichtigt und schließlich wird die Einordnung des Judentums in den Kreis der nichtchristlichen Religionen kritisiert.610 Die Haupteinwände gegen das Dreierschema Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus lauten: Die Grundfrage nach der heilsvermittelnden Wahrheit der anderen Religionen sei primär christlich und damit von vornherein inklusivistisch, die Andersheit und innere Pluralität der anderen Religionen werde nicht angemessen gewürdigt. Tatsächlich erweist es sich in der Praxis meist als schwierig, die religionstheologische Position einer Religion oder auch eines einzelnen Autors eindeutig einem der Modelle zuordnen zu können. Die Religionen sind einfach zu komplex und von einer enormen internen Pluralität gekennzeichnet, als dass sie mit einem Modell angemessen bewertet werden könnten. Bleibt man sich dieser Problematik bewusst, so hat das Dreierschema „doch einen heuristischen Wert“611, weil es drei grundsätzliche Modi der Beziehungshaltung und der Anerkennung ausdrückt. 609 Wengst, Tora, 151f. 610 Vgl. Bernhardt, Inter-Religio, 274f. 611 Ebd. 326.

230

5.5

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

Die Frage nach der Kriteriologie

Die Frage nach den Wahrheits- und Heilskriterien ist die zentrale und entscheidende Frage in der religionstheologischen Diskussion: Will man nicht in einen relativistischen Indifferentismus abgleiten, müssen Kriterien formuliert und begründet werden, mit deren Hilfe Religionen oder religiöse Phänomene oder Aussagen beurteilt werden können. Es geht nicht nur um das Wahre, sondern auch um das Gute in und an der jeweiligen Religion. Religion und Wahrheitsfrage dürfen nicht auf die praktische Wirklichkeit, die Nützlichkeit, Dienlichkeit, Bedürfnisbefriedigung reduziert, wohl aber müssen sie daran rückgebunden werden. Religionen werden diese Kriterien immer der eigenen religiösen Tradition, vor allem den Heiligen Schriften entnehmen. Das schließt nicht aus, dass diese spezifisch religiösen Kriterien mit den Kriterien anderer religiöser Traditionen oder auch nicht-religiöser Systeme zumindest teilweise übereinstimmen und damit als allgemein gültige Kriterien gelten können.612 In der neutestamentlichen Überlieferung sind zwei zentrale heilsentscheidende Kriterien im Munde Jesu finden: Das Halten der Gebote, also des Dekalogs (vgl. Mt 19,16–26 parr), bzw. die Praxis der Gottes- und Nächstenliebe (vgl. Mt 22,37–39; Lk 10,27) und die Werke der Barmherzigkeit (vgl. Mt 25,31–46). Bei der Interpretation dessen, was Jesus mit Gottes- und Nächstenliebe gemeint hat, ist die zeitgenössische jüdische Auslegung der biblischen Stellen als Hintergrundfolie heranzuziehen: „In der jüdischen Auslegung von Dtn 6,5 äußert sich ‚Liebe zu Gott‘ in erster Linie in Taten des Gehorsams, der Frömmigkeit, der Torahtreue. Gott lieben heißt, sein Leben für seine Gebote hinzugeben.“613 „Gott lieben“ meint hier also die Anerkenntnis Gottes in Glauben und Handeln. Auch für die Auslegung des Gebots der Nächstenliebe ist der alttestamentlichjüdische Hintergrund zu konsultieren: Der Kontext von Lev 19,11–18 „handelt von den grundlegenden ethischen Geboten Gottes gegenüber den Nächsten“, meint also „ein praktisches, solidarisches Verhalten“614, wie es in der zweiten Dekalogtafel zusammengefasst ist. Die Wurzel dieser am Nächsten orientierten Ethik liegt in der biblischen Sicht vom Menschen als dem geliebten Geschöpf, dem „Ebenbild Gottes“ (vgl. Gen 1,27). Die moderne christliche Theologie begründet mit Bezug auf diese anthropologisch-schöpfungstheologische Aussage die unveräußerliche Würde sowie daraus wiederum abgeleitet die individuellen Menschenrechte. Auf die Problematik von Universalität und Partikularität der modernen Menschenrechte kann hier nicht weiter eingegangen werden, doch nur soviel: Trotz historisch-kultureller Bedingtheit und faktischer Wandelbarkeit der modernen Menschenrechte scheint es möglich, dass der Grundbestand dieser Menschenrechte „begründungsoffen“ ist, d. h. von verschiedenen kulturellen, religiösen und weltanschaulich-philosophischen Prämissen her bejaht und sogar begründet werden kann.615 612 Vgl. Renz, Kriteriologie. 613 Luz, Matthäus, 279. 614 Ebd. 615 Vgl. Vögele, Menschenwürde.

5.5 Die Frage nach der Kriteriologie

231

Der katholische Theologe Hans Küng formuliert mit „Berufung auf die gemeinsame Menschlichkeit aller ein allgemein-ethisches Grundkriterium ..., das auf dem Humanum, dem wahrhaft Menschlichen, konkret auf der Menschenwürde und den ihr zugeordneten Grundwerten, beruht“.616 Sittlich gut ist demnach, was dem Menschen hilft, wahrhaft als Mensch zu leben, „was menschliches Leben in seiner individuellen und sozialen Dimension auf Dauer gelingen und glücken lässt, was eine optimale Entfaltung des Menschen in allen seinen Schichten und Dimensionen ermöglicht.“617 Echte Menschlichkeit als Grundnorm ermöglicht es, hinsichtlich der Religion folgendes positives Kriterium aufzustellen: „Insofern eine Religion der Menschlichkeit dient, insofern sie in ihren Glaubens- und Sittenlehren, ihren Riten und Institutionen die Menschen in ihrer menschlichen Identität, Sinnhaftigkeit und Werthaftigkeit fördert und sie eine sinnvolle und fruchtbare Existenz gewinnen lässt, ist sie wahre und gute Religion. Das heißt: Was die Menschen in ihrem physisch-psychischen, individuell-sozialen Menschsein (Leben, Integrität, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden) offenkundig schützt, heilt und vollendet, was also human, wahrhaft menschlich ist, kann sich mit Grund auf ‚Göttliches‘ berufen.“618 Mit diesem ethischen Kriterium wird ein universal erfahrener, autonomer sittlicher Anspruch formuliert, der durch konkrete religiöse Orientierungssysteme begründet und inhaltlich gefüllt, konkretisiert und sanktioniert wird. An diesem Punkt setzt auch Küngs „Projekt Weltethos“ an, das er seit Beginn der 1990er Jahre auf internationaler und interreligiöser Ebene verfolgt.619 Als „Maximen elementarer Menschlichkeit“ hat Küng fünf grundlegende Gebote herausgeschält, die in allen großen Religionen Geltung besitzen: nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen, nicht Unzucht treiben, die Eltern achten und die Kinder lieben. Freilich sind diese ethischen Prinzipien und Kriterien noch sehr abstrakt und der Streit beginnt nicht selten da, wo es lebenspraktisch konkret wird. Nun könnte man sich darauf beschränken, einen Vergleich der theologischen und ethischen Inhalte zweier oder mehrerer Religionen anzustellen und dann ein Urteil wagen, das auf dem Grad der Übereinstimmung beruht. Eine andere Frage ist dann, in welchem Grade die Angehörigen der jeweiligen Religionen diese Inhalte auch tatsächlich im Alltag verwirklicht haben. Man könnte jedoch einen Schritt weiter gehen und fragen, ob nicht das Maß der Umsetzung oder Verwirklichung auch auf die Beurteilung einer Religion zurückwirken und damit zu einem weiteren Kriterium werden müsste. Denn was nützen hehre Ideale, wenn zugleich die Mittel fehlen, sie umzusetzen, oder wenn es zugleich Inhalte oder andere immanente Faktoren gibt, die diesen Idealen entgegenwirken? Wie lässt sich zum Beispiel erklären, dass ausgerechnet das Christentum, das das höchste Ideal der bedingungslosen Nächstenliebe einschließlich der Feindesliebe im Zentrum seiner Botschaft hat, so oft und massiv in der Geschichte dieses Ideal verraten hat? Und unterminieren nicht jene Aussagen des Korans, die – wenn 616 617 618 619

Küng, Theologie im Aufbruch, 292. Ebd. 192f. Ebd. 293. Vgl. Küng/Kuschel, Weltethos.

232

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

auch unter definierten Bedingungen – das Töten von Ungläubigen legitimieren, andere Aussagen, die Toleranz, Gewaltverzicht und den Schutz des Lebens fordern? Allein auf der Textebene ist somit eine Bewertung religiöser Traditionen nicht ausreichend, vielmehr muss die textinterne Vielfalt und zum Teil Ambivalenz wie auch die jeweilige Rezeptions- und Wirkungsgeschichte mitberücksichtigt werden. Des Weiteren ist zu fragen, wie die doktrinalen Differenzen zwischen Religionen zu bewerten sind, die zum Teil sogar die Form von Widersprüchen annehmen, wie etwa die koranische Leugnung des Kreuzestodes Jesu (auch wenn es einzelne muslimische Theologen in der Gegenwart gibt, die diese Leugnung so nicht zwingend aus dem Koran herauslesen). Neben den genannten inhaltlichen Kriterien wären noch erkenntnistheoretische Kriterien zu nennen, die auf die Plausibilität und rationale Nachvollziehbarkeit zielen: So etwa das Kriterium der Kohärenz, d. h. Widerspruchsfreiheit zu allgemein anerkannten (z. B. naturwissenschaftlichen) Erkenntnissen sowie das Kriterium der logischen Konsistenz theologischer Aussagen, wonach eine Behauptung einer anderen innerhalb desselben religiösen Orientierungssystems nicht widersprechen darf. Doch sind diesem Kriterium in Bezug auf Religionen auch Grenzen gesetzt: Traditionelle islamische Theologen etwa betrachten den christlichen Glauben an den „dreieinigen“ Gott als logisch inkonsistent, ohne dabei die Schwierigkeiten zu sehen, die sich auch für den Islam ergeben, einen sich offenbarenden und zugleich transzendent bleibenden Gott zu denken. Christliche Theologen beurteilen zum Teil bis heute das islamische Axiom von der Vorherbestimmung Gottes als logisch unvereinbar mit der gleichzeitig vertretenen Verantwortlichkeit des Menschen, ohne einzugestehen, dass dieselbe Problematik auch für die christliche Theologie besteht. Diese Beispiele zeigen, dass eine strenge Anwendung des Konsistenzkriteriums „der Eigenart religiöser Systeme, die sich an den Grenzen des Denkbaren und Sagbaren bewegen, nicht gerecht“620 wird. Auch die asiatische Religions- und Geistesgeschichte ist voll von logischen Paradoxien, sodass dieses Kriterium umstritten und nur bedingt konsensfähig, wenn auch in der Regel hilfreich ist, will man nicht in eine Beliebigkeit und Irrationalität abgleiten. Als letzter Gedanke möge an dieser Stelle ein Kriterium bedacht werden, das neben der häufigen Forderung von außen implizit schon in Bibel und Koran vorkommt, aber in der kriteriologischen Diskussion bislang wenig berücksichtigt wurde: Interne Spaltungen und Unversöhnlichkeit unterminieren massiv die Glaubwürdigkeit einer Religionsgemeinschaft und ihres Anspruchs (vgl. 1 Kor 1,10; Phil 3,2; Sure 2,113; 3,19.103.105; 5,14).621 Der Wille und die Fähigkeit zu Dialog, Verständigung und Zusammenarbeit können deshalb als ein weiteres notwendiges Kriterium betrachtet werden. Dieses Kriterium hat seinen Grund in der Zielvorstellung eines friedlichen Zusammenlebens und steht damit im Dienst des grundlegenderen ethischen Kriteriums der Würde und des Wohls jedes Menschen.

620 Hüttenhoff, Pluralismus, 270, Anm. 12. 621 Vgl. Zirker, Christentum, 128–132.

5.6 „Komparative Theologie“

233

Da eine standortlose, metaperspektivische Kriteriologie erkenntnistheoretisch nicht möglich ist, bleibt keine andere Möglichkeit, als die Kriterien aus der eigenen religiösen und kulturellen Tradition zu entnehmen und sie in den interkulturellen und interreligiösen Diskurs zu stellen. Das heißt, dass die Christ*innen Jesus Christus und seine Botschaft als ethische und religiöse Norm, als norma normans, betrachten und in den Dialog der Religionen einbringen können, ja müssen, so wie die anderen Religionen ihr Ethos einbringen dürfen und sollen. Faktisch wird es in der Frage der Kriteriologie religionsübergreifende Schnittmengen geben, vor allem je allgemeiner sie formuliert sind, daneben aber wird es selbst innerhalb der Religionen divergierende Positionen geben, je konkreter es wird. Außerdem wird es wohl immer „kriteriologisches Sondergut“622 der einzelnen Religionen geben, weil sie ihr jeweiliges Zentrum des Offenbarungsereignisses oder der Heilserkenntnis zum entscheidenden Kriterium erheben. Die Anerkennung des kriteriologischen Sonderguts beim Anderen müsste bei einem inklusivistischen Modell konsequenterweise zur eigenen Konversion führen. Ein pluralistisches Modell jedoch müsste die (theo-)logische Vereinbarkeit der damit verbundenen Glaubensinhalte erweisen können. Letztlich bleibt es eine Aufgabe, die überlieferten und erhobenen Kriterien immer wieder neu zu beund hinterfragen und in den interreligiösen Diskurs einzubringen und zu erproben.

5.6

„Komparative Theologie“

Die intensive Reflexion und Diskussion um die Kriteriologie und die religionstheologischen Modelle Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus in den 1990er Jahren haben immer mehr deutlich gemacht, dass jedes dieser Modelle mit spezifischen theologischen sowie erkenntnistheoretischen Problemen behaftet ist.623 Der Exklusivismus ist theologisch nicht mit der biblischen Grundüberzeugung vom allgemeinen Heilswillen Gottes vereinbar und kann seinen Anspruch, im alleinigen Besitz der Wahrheit und Heilsmittel zu sein, nicht plausibel begründen. Vor allem verursacht er ein massives Theodizeeproblem: Wie kann Gott gerecht und barmherzig sein, wenn er die Mehrheit der Menschheit vom Heilsangebot ausschließt? Der Inklusivismus lässt sich theologisch am besten, allerdings nur binnenorientiert, nicht universal plausibel begründen, ist jedoch mit der Gefahr der Vereinnahmung und des bleibenden Überlegenheitsanspruchs verbunden. Es stellt sich außerdem die Frage, ob der Inklusivismus beim Anderen mehr als nur das Eigene anerkennen, ob er also Differenz auch positiv bewerten und vom anderen zu lernen bereit ist. Der Pluralismus schließlich lässt sich auf der Basis der heiligen Schriften und der Tradition kaum begründen und kann die Widersprüche in den Lehrinhalten der Religionen logisch nicht einwandfrei erklären, außer man begibt sich auf eine sehr abstrakte Ebene, die mit den konkreten Religionen nicht mehr viel zu tun hat. Vor allem aber wurde in 622 Renz, Kriteriologie, 171–209. 623 Zur Kritik der Modelle vgl. Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 96–192.

234

5 Die Zeichen unserer Zeit: Christliche Glaube im Angesicht der Religionen

der konkreten interreligiösen Begegnung immer deutlicher, dass die Modelle zu global gedacht sind und der ungeheuren inneren Differenziertheit und Pluralität der Religionen kaum gerecht werden. So entstand im englischsprachigen Raum Ende des 20. Jahrhunderts (der Sache nach auch schon früher) mit Vorreitern wie dem Anglikaner Keith Ward, dem Methodisten Robert C. Neville, den Katholiken James L. Fredericks SJ und Francis X. Clooney SJ die sog. „Komparative Theologie“, die nicht ganze Religionssysteme miteinander vergleichen und in ein theologisches Verhältnis setzen will, sondern konkrete, überschaubare Inhalte, Riten, Heilige Schriften, Phänomene (Symbole, Kunst, Musik, Architektur etc.) zweier oder mehrerer Religionen oder Strömungen innerhalb der Religionen betrachtet und miteinander in Beziehung setzt.624 Die Komparative Theologie greift auf Methoden und Erkenntnisse der Vergleichenden Religionswissenschaft zurück, versteht sich aber dezidiert als theologische Disziplin auf der Basis eines bestimmten religiösen Bekenntnisses (wobei es auch Ansätze gibt, die eine religionsübergreifende globale Theologie zum Ziel haben), macht die eigene Standortgebundenheit bewusst und hinterfragt sie auch kritisch: „Komparative Theologie ist eine Art und Weise des Lernens, die Diversität und Tradition, Offenheit und Wahrheit ernstnimmt und keiner von ihnen gestattet, die Bedeutung unserer religiösen Situation ohne Rekurs auf die je andere zu bestimmen.“625 Das Andere soll im Lichte des Eigenen und das Eigene im Lichte des Anderen immer wieder neu gesehen, diskutiert, reflektiert und kontempliert werden. „In Christus brauchen wir keine Furcht vor dem zu haben, was wir lernen; es gibt nur die Wahrheit, die uns befreit.“626 Insofern kann es eine „Komparative Theologie“ nicht ohne interreligiösen Dialog geben, auch wenn beide Dimensionen zu unterscheiden sind: „Komparative Theologie ist keine Theologie für den Dialog, sondern aus dem Dialog heraus“627, eine Theologie des Dialogs. Neben dem interreligiösen Dialog kommt es zum intrareligiösen, inneren Dialog, zu einer existentiellen Beschäftigung mit der religiösen Wahrheit oder den Wahrheiten von Religion und Religionen. Damit ist die religionstheologische Grundfrage nach dem Wahrheitsgehalt und der Heilsbedeutung der anderen Religionen freilich noch nicht gelöst, sondern stellt sich immer wieder neu und prinzipiell unabschließbar, da die Religionen als lebendige Systeme und ihre Auto- und Heterointerpretationen stets im Fluss der Veränderung stehen. Religionstheologische Urteile sind folglich auch immer kontingent und fehlbar. Und schließlich stellt sich die Frage, ob die Komparative Theologie, rein hermeneutisch betrachtet, jemals den Inklusivismus wird überwinden können. Die komparative Theologie darf kein Selbst- und Endzweck sein, sondern muss dem Dialog dienen und zur „kollaborativen Theologie“628, zu einer Theologie des Zusammenlebens und -arbeitens führen.

624 625 626 627 628

Vgl. dazu Bernhardt, Inter-Religio, 393–430. Clooney, Komparative Theologie, 19. Ebd. 161. V. Stosch, Komparative Theologie, 212. Vgl. D’Arcy May, Buddhologie.

5.6 „Komparative Theologie“

5.7

235

Spiritueller Dialog: Gemeinsam beten, feiern, meditieren

„Lex orandi, lex credendi“ – diese alte christliche Formel drückt den engen Zusammenhang von Gebet, Spiritualität und Liturgie einerseits und Glaubensinhalt, Dogma, Theologie andererseits aus, auch wenn das Verhältnis nicht einseitig kausal und determinierend interpretiert werden darf, weil sich beide Größen faktisch auch verändern und wechselseitig beeinflussen. Die gemeinsamen Glaubensgrundlagen (Hl. Schrift, Taufe, Credo) machen es trotz unterschiedlicher Interpretationen den Christ*innen möglich, gemeinsam zu beten und liturgisch zu feiern, auch wenn es noch Grenzen der sakramentalen Gemeinschaft aufgrund von Lehrdifferenzen oder nicht-theologischen Gründen gibt. Vergleichbare gemeinsame Glaubensgrundlagen gibt es in dem Maße und in der Qualität mit anderen Religionen nicht, auch wenn der gemeinsame Bezug von Juden und Christen auf den Tanach eine religionsgeschichtliche Besonderheit darstellt, die auch eine religionstheologische Sonderbeziehung zwischen beiden Glaubensgemeinschaften konstituiert. So stellt sich seit geraumer Zeit angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Präsenz und Nähe vieler Religionen immer wieder die Frage nach der Möglichkeit und Art und Weise gemeinsamen Betens zwischen Angehörigen verschiedener Religionen, auch wenn dies bereits nun seit einigen Jahrzehnten, spätestens seit dem Gebetstreffen von Assisi 1986 vielerorts gelebte Praxis ist. Das gemeinschaftliche Gebet bildet den innersten Kern jeder Religionsgemeinschaft, sie stiftet Identität und „definiert“ in der Regel die Zugehörigkeit. Das Nichtmehr-miteinanderbeten-können zwischen Juden, die nicht an Jesus glaubten, und christusgläubigen Juden führte in den ersten Jahrhunderten zur Trennung und wechselseitigen Polemik, zum gegenseitigen Ausschluss von der Gemeinschaft.629

5.7.1

Theologische Reflexionen

a)

Die spirituelle Dimension des interreligiösen Dialogs im öffentlichen Raum

Glaube ist nach dem Verständnis der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam gleichermaßen eine Angelegenheit des Kopfes (Theologie), des Handelns (Diakonie) und des Herzens (Spiritualität). Versteht man den Glauben in diesem personalen und ganzheitlichen Sinn, so muss auch die interreligiöse Begegnung diese drei Dimensionen umfassen, wenn sie vom Glauben getragen sein will. Sie wird, um authentisch zu sein, wie von selbst nach dieser ganzheitlichen Begegnung streben. So gehört also neben dem theologischen Austausch und dem gemeinsamen Handeln auch die spirituelle Ebene unabdingbar zum Dialog der Religionen, 629 Vgl. zum Folgenden Renz, Herr.

d. h. das wechselseitige Teilhabenlassen an der je eigenen und spezifischen religiösen Erfahrung, am geistlichen Leben, das gemeinsame Stehen vor dem Absoluten. Wo dogmatische Fragen ab- und ausgrenzen, wo politische Spannungen trennen, kann die spirituelle Ebene vielleicht Brücken bauen: „Die mystische Erfahrung weitet das Herz und legt Trennungsmauern nieder“630, auch wenn die mystische Erfahrung immer an die jeweilige Glaubenslehre rückgebunden bleibt. Es gibt keine reine Erfahrung, sondern immer nur eine gedeutete Erfahrung und so wird die religiöse Erfahrung von Christ*innen immer eine christlich geprägte sein und die von Muslim*innen eine muslimische. Es geht also nicht um „eine übergreifende, die Unterschiede nivellierende oder ignorierende sich universalistisch empfindende Spiritualität“, sondern um eine „partnerzentrierte, auf den jeweiligen Partner hörende, ihn achtende und sich für ihn mitverantwortlich wissende Spiritualität“.631 Vor allem wenn die Begegnung von Menschen unterschiedlichen Glaubens sich bereits zur Freundschaft vertieft hat, aber auch in Situationen von gemeinsamer Not und Trauer, nach Unglücken oder von Menschen verursachten Katastrophen, verspüren viele das Bedürfnis, über die konfessionellen und religiösen Grenzen hinweg sich gemeinsam zum Gebet zu versammeln, sei es um ein Zeichen der Solidarität und Gemeinschaft zu setzen, sei es um einander Trost und Mut zu spenden oder gemeinsam für den Frieden zu beten. Oft erwartet die Zivilgesellschaft, dass die Religionen ein solches öffentliches Zeugnis der Gemeinschaft geben: „Anlassbezogene interreligiöse Manifestationen in der Öffentlichkeit, bei denen zivile Akteure die religiöse Relevanz des Zivilen und religiöse Akteure die zivile Relevanz des Religiösen markieren, haben dann immer auch den Charakter einer beidseitigen Selbstvergewisserung und gemeinsamen Positionierung.“632 An vielen Orten und zu verschiedenen Anlässen sind solche gemeinsamen Gebete der Religionen bereits eingespielt und selbstverständlich. Bei vielen kommt jedoch immer wieder das Gefühl der Unsicherheit auf, ob derartige Gebete legitim und sinnvoll sind, bzw. wie sie verantwortlich geplant und durchgeführt werden sollen. b)

Probleme gemeinsamen Betens

Die Antwort auf die Frage nach der theologischen Legitimation und der richtigen Gestaltung gemeinsamer Gebetstreffen ergibt sich aus einer gründlichen Reflexion möglicher Probleme: 1.

Eine mögliche Gefahr besteht in der unbewussten und ungewollten Religionsvermischung. Ein Gebet von Gläubigen verschiedener Religionen muss so gestaltet werden, dass jegliche Form von Synkretismus oder auch nur der Anschein eines solchen vermieden wird, weil dadurch der Glaube der Beteiligten in seinem innersten Kern, in seiner Authentizität verletzt werden würde. So wie der interreligiöse Dialog insgesamt nicht auf Vermischung

630 Barth, Herz, 229. 631 Ebd. 238f. 632 Gerth, Gebet, 142f.

5.6 „Komparative Theologie“

237

zielt, so darf auch der spirituelle Dialog nicht der Vermischung Vorschub leisten. Dies schließt wechselseitige spirituelle Bereicherung und Lernprozesse nicht aus. 2.

Ebenso verbietet sich eine Reduktion des Gebetsinhaltes und der Gebetsformen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Der Kern und die spezifische Eigenart des christlichen Glaubensbekenntnisses, das christologische und trinitarische Bekenntnis, dürfen nicht verkürzt, verschwiegen oder abgeschwächt werden, Nichtchristen aber können dieses Bekenntnis nicht mitbeten, weil sie sonst ihrem eigenen Glauben untreu würden. Das Gebet ist ein Bekenntnisakt, keine Spielwiese der Beliebigkeit. Jeder Glaube darf und soll in seiner Ganzheit und Ganzheitlichkeit, in seiner Unverwechselbarkeit und in seinem Reichtum zur Geltung kommen. Zugleich ist es wünschenswert und gefordert, auf Aussagen zu verzichten, die andere verletzen oder gegen sie gerichtet sein könnten. Das Gebet eignet sich nicht für Triumphalismus, Abgrenzung oder gar Polemik gegenüber anderen.

3.

Vermieden werden muss aber auch jede Form der Vereinnahmung, die dem Anderen etwas zumutet, das er mit seinem Glauben nicht vereinbaren kann. Dies würde nicht nur gegen die Forderung von Respekt und Hochachtung vor dem Glauben und der Freiheit des anderen verstoßen, sondern zugleich die für die Begegnung notwendige Vertrauensgrundlage zerstören. Christen müssen sich etwa besonders davor hüten, die hebräische Bibel nicht exklusiv für sich zu vereinnahmen und die Juden ihrer heiligen Schrift zu berauben.

5.7.2

Modelle

a) Spirituelle und liturgische Gastfreundschaft üben Die niedrigschwelligste und unkomplizierteste Weise des spirituellen Dialogs ist die Praxis der spirituellen oder liturgischen Gastfreundschaft. Sie besteht darin, Angehörige anderer Konfessionen und Religionen explizit einzuladen, einem Gebet oder einer liturgischen Feier der eigenen Tradition beizuwohnen und so einen authentischen Zugang zur eigenen Gebets- und Feiertradition zu eröffnen und umgekehrt. Es geht hier um das aufmerksame Zuhören, Zuschauen, Miterleben, Lernen. „Am Beten der anderen Anteil zu nehmen heißt nicht: fremde Götter anzurufen. … Niemand muss sich überfordert fühlen, wenn er mitfeiert, ohne den Glauben zu teilen. Auch wird man dem eigenen Glauben nicht dadurch untreu, dass man Anteil nimmt, wenn andere Menschen ihre eigene Glaubensüberzeugung zum Ausdruck bringen.“633 Eine Grenzüberschreitung wäre jedoch, aktiv an den Riten der anderen teilzunehmen,

633 Rat der EKD, Christlicher Glaube, 52.

etwa wenn Muslime an der Eucharistie teilnehmen oder Christen das islamische Ritualgebet mitvollziehen oder gar ein jüdisches Pessach feiern wollten. Nach dem Gebet oder der liturgischen Feier kann den Gästen die Möglichkeit eines Grußwortes eingeräumt werden. Auch Gesten wie das Austeilen gesegneten Brotes am Ende, wie dies in orthodoxen Kirchen Tradition ist, oder ein gemeinsames Essen im Anschluss wären denkbar, wobei dann auf etwaige Speisevorschriften der Gäste Rücksicht zu nehmen ist. Eine weitergehende Stufe wäre dann die liturgische Einbindung der anderen etwa in Form eines Gebetes oder einer Schriftlesung im christlichen Gottesdienst. Dies ist in Ausnahmesituationen wie einer Trauerfeier angebracht. Hier geht das Modell über zum multireligiösen Gebet. b)

Beten in Gegenwart des Anderen („multireligiöses Gebet“)

„Zusammensein, um zu beten“ – auf diese Formel hat Papst Johannes Paul II. Form und Anliegen jener Weltgebetstreffen für den Frieden in Assisi in den Jahren 1986, 1993 und 2002 beschrieben, die er selbst initiiert und durchgeführt hat: Auch beim ersten Treffen 1986 anlässlich des Internationalen Jahres des Friedens wurde entgegen einer weitverbreiteten Fehlinformation nicht gemeinsam, sondern zuerst an getrennten Orten gebetet, bevor man sich zur Schlussfeier auf dem unteren Vorplatz der Basilika des heiligen Franz von Assisi versammelte, wo dann die Religionsgemeinschaften nach- bzw. voreinander beteten. Neben dem Gebet wurde auch gemeinsam gepilgert, gefastet und geschwiegen, was den spirituellen und gemeinschaftlichen Charakter noch verstärkt. Es war ein Beten in der je eigenen Tradition in Gegenwart der anderen. Johannes Paul II. drückte sein Anliegen so aus: „Wir respektieren dieses Gebet, wenn wir uns auch Gebetsformen, die andere Glaubensauffassungen ausdrücken, nicht zu eigen machen wollen. Wie im Übrigen auch die Anderen sich nicht unsere Gebete aneignen möchten. Bei dem, was sich in Assisi ereignen wird, handelt es sich gewiss nicht um religiösen Synkretismus, sondern um die aufrichtige Haltung des Gebets zu Gott, in gegenseitiger Achtung. Deshalb wurde für die Begegnung in Assisi die Formulierung gewählt: zusammenzusein, um zu beten. Man kann sicher nicht ‚zusammen beten‘, d. h. ein gemeinsames Gebet sprechen, aber man kann zugegen sein, wenn die anderen beten. Auf diese Weise bekunden wir unsere Achtung für das Gebet der anderen und für die Haltung der anderen vor der Gottheit. Gleichzeitig bieten wir ihnen das demütige und aufrichtige Zeugnis unseres Glaubens an Christus, den Herrn des Universums.“634 Nachdem es trotzdem zu Kritik aus konservativen Kreisen kam, beteten bei den folgenden Treffen die Vertreter und Führer der Religionen und Konfessionen nur noch an verschiedenen Orten der Stadt ohne das Gebet voreinander an einem Platz. So wird es bis zur Gegenwart auch bei den seit 1987 jährlich in einer meist europäischen Stadt von der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio zusammen mit einer gastgebenden Diözese veranstalteten Friedenstreffen der Religionen gehalten.

634 Zit. nach Fürlinger, Dialog, 128.

5.6 „Komparative Theologie“

239

Das Modell des Nach- oder Voreinanderbetens verschiedener Religionsgemeinschaften am selben Ort hat sich inzwischen jedoch bei vielen örtlichen Anlässen durchgesetzt. Seit einem theologischen Gutachten der evangelischen Theologischen Fakultäten Erlangen und München sowie der Augustana-Hochschule Neuendettelsau aus dem Jahr 1972 hat sich für dieses Modell der Begriff „multireligiöses Gebet“ weitgehend durchgesetzt.635 Selbst wo theologischer Konsens besteht, dass Juden, Christen und Muslime zu demselben Gott beten, wird man über diese Gebetsform in der Regel nicht hinauskommen, weil sie eben auf je verschiedene Weise zu dem einen Gott beten.636 Auch wenn das „Referenzobjekt des Betens“, der transzendente, alle Vorstellungen und Begriffe des Menschen übersteigende Gott, nicht gleichgesetzt werden darf mit einem konkreten Gottesverständnis und -bekenntnis, so kann aus der Perspektive des Glaubens doch das eine vom anderen nicht einfach getrennt werden. Dem Einzelnen ist es dabei unbenommen, innerlich oder auch äußerlich am Gebet des/der Anderen aktiv teilzunehmen, d. h. es mitzusprechen oder etwa mit einem Amen zu bestätigen. Unabhängig von der Beantwortung der religionstheologischen Fragen befürworten die meisten kirchlichen Stellungnahmen der letzten Jahre und Jahrzehnte die Form des Voreinanderbetens in bestimmten Situationen und praktizieren es vielerorts. Es gibt dafür auch „ein biblisches Urbild: die Sturmesnot, in die das Schiff gerät, auf dem Jona vor seinem Auftrag flieht, und in der die Seefahrer unterschiedlicher Herkunft ‚ein jeder zu seinem Gott‘ schrie (vgl. Jona 1,5f). Schon Luther hat in seiner Auslegung des Jonabuches die gemeinsame Erwartung an die Güte Gottes und seine Rettungsmacht als einen Konsens der Religionen gewürdigt, die den Dissens darüber, wo man einen solchen Gott finden könne, umgreift.“637 Das zitierte Papier der EKD setzt bei der konkreten Form auf das Gewissen, die Gestaltungskompetenz und die „Weisheit derer, die in pastoralen Situationen Verantwortung tragen“ (ebd.). Reserven oder gar Ablehnung gegenüber diesem Modell kommen zum Teil aus den Ostkirchen, vor allem aber aus dem freikirchlichen Bereich wie etwa seitens der Evangelischen Allianz und der Lausanner Bewegung. Letztere begründen ihre Absage mit dem Exklusivitätsanspruch der christlichen Offenbarung, die ein Nebeneinander verschiedener Gottesvorstellungen ausschließe; außerdem trauen sie den Menschen die theologische Unterscheidungsgabe zwischen einem „multireligiösen“ und einem „interreligiösem Gebet“ nicht zu. Niemand kann zu dieser Form von interreligiöser Begegnung gedrängt oder verpflichtet werden, niemand sollte aber kritisiert oder gar verurteilt werden, der guten Gewissens daran teilnimmt, denn: „In

635 Vgl. Theologische Fakultäten, Multireligiöses Beten. Auch die erste Auflage der Arbeitshilfe „Leitlinien für multireligiöse Feiern von Christen, Juden und Muslimen“ (2003) griff diese Terminologie auf, während die zweite Auflage von 2008 diese Terminologie vermeidet, aber der Sache nach vertritt. 636 Vgl. Renz, Gott. 637 Rat der EKD, Christlicher Glaube, 53.

einer zerrissenen und von Konflikten geschüttelten Menschheit können solche religiösen Begegnungen und Gebete, in guter Ordnung vollzogen, eine Frieden schaffende Kraft ausstrahlen.“638 c)

Zusammen beten („interreligiöses Gebet“)

Um den Gefahren des Synkretismus, des Reduktionismus oder der Vereinnahmung religiöser Identitäten zu entgehen, ist zumindest bei öffentlichen und offiziellen Gebetstreffen von Formen des gemeinsamen Betens, bei denen Angehörige verschiedener Religionen gemeinsame Gebetstexte sprechen, abzuraten. Dies gilt auch dann, wenn man theologisch davon ausgeht, dass Juden, Christen und Muslime zum selben Gott beten. Allerdings halten die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz in Einzelfällen durchaus ein gemeinsames Gebet von Juden und Christen für theologisch legitim, haben doch beide einen reichen Gebetsschatz gemeinsam, den Psalter, und häufig gemeinsame Wurzeln und Abhängigkeiten ihrer liturgischen Traditionen.639 Ebenso sieht es die Studie „Christen und Juden III“ des Rates der EKD (vgl. 4.7.1.5). So gibt es bei den Evangelischen Kirchentagen und Katholikentagen oder auch zum Auftakt der Woche der Brüderlichkeit seit vielen Jahren jüdisch-christliche Gemeinschaftsfeiern. Analog müsste dann aber auch im Hinblick auf den Islam eine prinzipielle Öffnung möglich sein, bezieht er sich doch seinem Selbstverständnis nach ebenso auf den Glauben Abrahams, Moses und Jesus, wenn auch wiederum auf eigene Art. Hier kommt die notwendige theologische Unterscheidung (nicht Trennung) „zwischen Gott-in-seinem Selbstsein, Gott-in-seiner-Offenbarung und dem in diesem Widerfahrnis gründenden Gottesverständnis“640 zum Tragen und wie man diese Unterschiede gewichtet und bewertet. Von öffentlichen Anlässen, bei denen meist auch Personen anwesend sind, die nicht oder erst anfanghaft in interreligiöse Lernprozesse involviert sind, unterscheiden sich Situationen, in denen überschaubare interreligiöse Gruppen, die sich durch jahrelange Kontakte gut kennen und um ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede wissen, bereits einen Grad der Verbundenheit, Vertrautheit und wechselseitigen Wertschätzung erreicht haben, dass das gemeinsame Sprechen von Gebeten möglich erscheint, ohne dass die Gefahr einer Vermischung, Reduktion oder Vereinnahmung droht. „Gemeinsames Beten setzt voraus, dass der Adressat und damit auch der auf ihn bezogene innere Akt grundsätzlich gemeinsam verstanden wird“ und es muss „auch ein grundlegendes Einverständnis darüber bestehen, was gebetswürdig ist und was Inhalt von Gebet werden kann“.641 Maßstab dafür können die Vaterunserbitten sein. Jüngstes Beispiel für ein solches religionsübergreifendes Gebet liefert Papst Franziskus in seiner Umweltenzyklika Laudato Si’ (Nr. 246). Eine besondere 638 DBK, Leitlinien für das Gebet, 39. 639 So auch schon die „Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung ‚Nostra aetate‘, Art. 4“, in: KuJ I, 48–53, 50. 640 Bernhardt, Legitimität, 191. 641 Ratzinger, Glaube, 89.

5.6 „Komparative Theologie“

241

Form des spirituellen Dialogs schließlich stellt die interreligiöse Begegnung im Bereich der Musik dar. Interreligiöse Musikprojekte wie das Festival Musica Sacra International, des Pera Ensemble oder interreligiöser Chöre erfreuen sich wachsender Beliebtheit und bereichern die Begegnung auf der ästhetischen und kulturell-künstlerischen Ebene.642 Fazit Christ*innen, die an den universalen Heilswillen Gottes glauben, müssen damit rechnen, dass Gottes Wirken und Herrschaft über die sichtbaren Grenzen des verfassten Christentums hinaus geht und uns im Andersgläubigen begegnet, alles andere würde von Gott zu klein denken. Wer wollte sich anmaßen, ein Urteil über die Authentizität und Geistgewirktheit des Gebets anderer zu sprechen? Wahre Gottesbeziehung wird nicht vom Menschen bewirkt, sondern von Gottes Gnade: „Der Herr ist allen, die ihn anrufen, nahe, allen, die zum ihm aufrichtig rufen.“ (Ps 145,18). Deshalb muss es zur christlichen Haltung gehören, das Gebet des anderen zu achten, ja darauf zu hören und vielleicht auch daraus Gottes Stimme zu vernehmen. Die häufig vertretene These jedoch, es gebe eine unvermittelte mystische Erfahrung, eine kultur-, sprach-, religionsunabhängige Kernstruktur spirituellen oder mystischen Erlebens ist nicht plausibel: Es gibt keine reinen, unvermittelten Erfahrungen, jede Erfahrung ist historisch-kulturell und sprachlich-symbolisch vermittelt und geprägt, weshalb die inhaltlichen Unterschiede der Gebete zu respektieren sind. In der Botschaft zum Weltfriedenstag 1991 sagte Papst Johannes Paul II.: „Gebet ist das Band, das uns am wirksamsten vereint. Durch das Gebet begegnen die Gläubigen auf einer Ebene, wo Verschiedenheiten, Missverständnisse, Verbitterung und Feindschaft überwunden sind, nämlich vor Gott, dem Herrn und Vater von uns allen. Als der authentische Ausdruck einer richtigen Beziehung mit Gott und mit anderen ist das Gebet ein positiver Beitrag zum Frieden“.643 Und so erwartet und hofft die ganze Kirche den Tag, an dem alle Völker mit einer Stimme den einen Herrn lobpreisen und ihm Schulter an Schulter dienen (vgl. Sach 2,15; Jes 56,6f; Ps 96; 100).

642 Vgl. Grüter, Klang; Strübel, Trimum. 643 Zit. nach Gioia, Dialogue, 470, Nr. 732.

Didaktische Anregungen: 1.

Die Schüler*innen entwerfen einen Ablauf eines multireligiösen Gebetes an der Schule mit Beteiligung mehrerer Religionsgemeinschaften und überlegen, was sie dabei berücksichtigen müssen (Ort, Datum, Uhrzeit, Textauswahl etc.). Dafür gibt es zahlreiche Arbeitshilfen: www.pastorale-informationen.de/medien/32665/original/1827/ Handreichung-Gemeinsam-feiern...Multireligi%F6se-Gebetstreffen-derReligionen-gestalten.pdf www.bistum-aachen.de/Interreligioeser-Dialog/Christlich-Islamischer-Dialog/ Multireligioese-Feiern/ www.drs.de/fileadmin/drs/documents/service/presse/2018/20180906_ religioese_feiern_im_multireligioesen_kontext_schule.pdf

2.

Das bundesweite Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ bietet Ideen und fördert Schulprojekte gegen Antisemitismus, Islamfeindschaft und anderen Formen des Rassismus: https://m.schule-ohne-rassismus.org/startseite/

3.

Die Schüler*innen diskutieren miteinander die religionstheologischen Modelle Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus und wie sie die anderen Religionen sehen: Was spricht für, was gegen das jeweilige Modell der Verhältnisbestimmung und welche Folgen haben diese für das Zusammenleben im Alltag? Wie lassen sich Dialog und Missionsauftrag miteinander vermitteln?

Weiterführende Literatur: Christoph Gellner, Der Glaube der Anderen. Christsein inmitten der Weltreligionen, Düsseldorf 2008. Francis X. Clooney, Komparative Theologie. Eingehendes Lernen über religiöse Grenzen hinweg, Paderborn 2013. Reinhold Bernhardt, Inter-Religio. Das Christentum in Beziehung zu anderen Religionen, Zürich 2019.

Schluss:

Kleine Tugendlehre des interreligiösen Dialogs

Der Blick auf das Verhältnis der Kirche zu den anderen Religionen im Laufe ihrer zweitausendjährigen Geschichte hat gezeigt, dass dieses Verhältnis vielfältig und kontextuell war und Entwicklungen unterlag. Es gab zwar von den biblischen Quellen angefangen bis in die Neuzeit hinein heilsuniversale und -inklusive Ansätze, doch der exklusivistische Anspruch, der mit einer Verabsolutierung und einem Triumphalismus der Kirche einherging, war konfessionsübergreifend vorherrschend. Dies änderte sich allmählich in der Neuzeit, vor allem Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, wo auch in kirchlichen Äußerungen zumindest einzelnen Menschen außerhalb der sichtbaren Kirche eine Heilsmöglichkeit zugesprochen wurde. Das Zweite Vatikanische Konzil nahm diese Impulse auf, ging aber noch darüber hinaus, indem sie wahre, gute und heilige Werte auch in den nichtchristlichen Religionen, nicht nur bei den einzelnen Menschen, annahm und würdigte. Dies bedeutete einen Paradigmenwechsel hin zu einem Heilsuniversalismus und -inklusivismus. Ähnliche Entwicklungen gab es in der evangelischen und orthodoxen Theologie, wenn auch insgesamt weniger einheitlich und ohne den lehramtlichen Anspruch wie im katholischen Bereich. Gemeinsames Anliegen ist die Abgrenzung von relativistischen Ansätzen, die in Christus nur noch einen Heilsmittler neben anderen sehen: Wenn Gott sich selbst in Jesus Christus und seinem Geist den Menschen geschenkt hat, ist diese Selbstgabe nicht steigerbar und das Kriterium zur Beurteilung nicht nur anderen, sondern auch des eigenen Glaubens. Christ*innen wie die Kirche insgesamt kommen mit dem Verstehen der göttlichen Offenbarung nie an ein Ende. Deshalb können wir durch die Begegnung mit Menschen anderen Glaubens immer wieder neue Einsichten über Gott und sein Wesen der Liebe entdecken: Die Kirche engagiert sich im interreligiösen Dialog, „weil sie die Hoffnung hat, dass die Begegnung mit anderen religiösen Traditionen ihr hilft, noch offener für ihren Herrn zu werden. Zusammen mit anderen gelingt es eher, den eigenen Brunnen tiefer zu graben, und es wird eher möglich, zu der einen und einzigen Quelle lebendigen Wassers vorzustoßen.“644 Es geht, vor jeder theologisch-theoretischen Verhältnisbestimmung, zuerst um die Beziehungsstruktur: Eine Haltung, man könnte auch sagen: Tugend, formt die Gesinnung und das Erkenntnisvermögen ebenso wie das konkrete Verhalten. Eine christliche Theologie der Religionen und des interreligiösen Dialogs bedarf einer tu644 Salenson, Brunnen, 53.

244

Schluss: Kleine Tugendlehre des interreligiösen Dialogs

gendethischen Untermauerung, geht es doch letztlich nicht um theologische Glasperlenspiele, sondern um gelingendes Leben und vor allem gelingendes Zusammenleben im Lichte des Glaubens. Ausgangspunkt für die neue theologische Verhältnisbestimmung zu den anderen Religionen war also eine offene, hör- und lernbereite, wertschätzende Haltung einzelner Christen und dann der Kirchen gegenüber Menschen anderen Glaubens, wodurch ungeahnte Lernprozesse möglich wurden. Der Andersgläubige wird nicht mehr als Objekt der Mission, sondern als Subjekt mit seinen Anliegen, Nöten, Ängsten und Hoffnungen, seinen Erfahrungen, Erkenntnissen und Überzeugungen wahrund ernst genommen, nicht mehr als Feind, sondern als Bruder und Schwester, als von Gott geliebtes Geschöpf, in dem Gottes Antlitz aufleuchtet. Die Vielfalt der Erfahrungen und Meinungen wird nicht nur zugelassen, sondern geschätzt, die Tradition durch den gegenwärtigen Kontext kritisch befragt, die heute lebbare Wahrheit gemeinsam gesucht! Die Entwicklung des Dialogs zeigt, dass das christlich-jüdische Gespräch Wurzel, Grundlage und Vorbild für alle anderen Dialoge und Beziehungen der Kirche ist: Aus dem Gespräch mit den älteren Geschwistern weitete sich der Horizont zu den Muslimen, zu den Hindus und Buddhisten, letztlich zu allen Menschen guten Willens. Dabei ist und bleibt das christliche Verhältnis zum Judentum historisch, spirituell und systematisch-theologisch einzigartig und konstitutiv: Es kann keinen christlichen Dialog mit den Religionen und keine christliche Theologie der Religionen geben ohne Rückbezug auf das Volk Israel! Grundlage und Maßstab einer christlichen Haltung des Dialogs und einer christlichen Theologie der Religionen ist der sich in Jesus Christus selbstmitteilende Gott. Die Christusbezogenheit bedarf somit stets der Bezugnahme auf den nie gekündigten Bund Gottes mit dem Volk Israel. Die immanente Verwiesenheit der Kirche auf Israel schützt vor dem Rückfall in alte Exklusivismen und Absolutismen. Die anderen Religionen und der interreligiöse Dialog können schließlich zu weiteren Orten theologischer Erkenntnis (loci theologici alieni) 645 für den christlichen Glauben werden und zwar für alle theologischen Disziplinen. Wenn Gott uns im anderen und in seiner Religion begegnet, dann müssen auch Christen damit rechnen, dass Gott ihnen durch diese etwas sagen will, dass Gott ihnen eine Rolle im Heilsplan zugewiesen hat, die es zu erkunden gilt: So könnten Christ*innen durch die Anderen an vergessene und verschüttete Wahrheiten der eigenen Glaubenstradition erinnert werden; die Anderen könnten im Sinne einer correctio fraterna, einer brüderlichen Zurechtweisung Christ*innen auf die mangelnde Realisierung ihres eigenen Glaubensideals hinweisen. Christ*innen könnten neue, bislang unerkannte Aspekte des unauslotbaren göttlichen Geheimnisses entdecken, die den eigenen Glauben bereichern und vertiefen. Umgekehrt haben Christ*innen den Anderen nicht weniger als den in Christus gegenwärtigen Gott zu bezeugen und können durch und im Dialog das Geschenk und den Reichtum des eigenen Glaubens immer wieder neu dankbar erfahren. So kann der eigene Glaube im Dialog reicher, tiefer, bewusster, lebendiger 645 Vgl. Hünermann, Prinzipienlehre, 224f.

Schluss: Kleine Tugendlehre des interreligiösen Dialogs

245

werden. „Der religiöse Mensch der Zukunft wird ein interreligiöser Mensch sein“646 in dem Sinne, dass er in offener, dialogischer Beziehung zu anderen Religionen steht und seinen Glauben im Angesicht des Anderen lebt und bezeugt. Entscheidend ist die innere Haltung, die man gegenüber dem Anderen und seiner Religion einnimmt, und aus der ein konkretes Verhalten resultiert. Man könnte diese Haltung auch mit dem klassischen Tugendbegriff umschreiben. In der kirchlichen Tradition wurden aus der griechischen Philosophie die sog. vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Besonnenheit übernommen und durch die drei göttlichen oder christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung (vgl. 1 Kor 13,13) ergänzt, die Früchte des Heiligen Geistes sind. Diese Tugenden kann man gut auf die christlich gebotene Haltung zu den Menschen anderen Glaubens und zu den anderen Religionen übertragen: (1) Klugheit im interreligiösen Verhältnis heißt, sich Kenntnis und Übersicht zu verschaffen hinsichtlich der anderen Religion(en), Erfahrungen zu sammeln, um so ein sicheres Urteil zu gewinnen und keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. (2) Gerechtigkeit in der Haltung und Begegnung mit Menschen anderen Glaubens und ihrer Religion heißt, die grundlegende Verbundenheit im Menschsein zu erkennen und die Freiheit und Würde des anderen anzuerkennen. Gerechtigkeit heißt aber auch fair mit dem anderen und seiner Religion umzugehen – zum Beispiel, dass man Ideal mit Ideal und Realität mit Realität vergleicht – und Konflikte friedlich zu lösen. (3) Tapferkeit in der interreligiösen Begegnung heißt, seinen eigenen Glauben offen zu bekennen, dem anderen ein authentisches Zeugnis zu geben, sich aber auch immer wieder der Kritik und Selbstkritik zu stellen und sich auch dem Wahrheitsanspruch des anderen zu stellen. Tapferkeit und Mut sind ebenso gefordert, wenn es darum geht, offensichtliche Irrtümer beim anderen zu benennen und mit Geduld – oder, wenn nötig, auch mit Ungeduld – zu ertragen. Tapferkeit ist schließlich gefragt, wenn der Dialog eigene Gewissheiten in Frage stellt oder wenn er scheitert, wenn er Verletzungen und Leiden verursacht. (4) Besonnenheit ist die notwendige Tugend in religiösen Konfliktsituationen: Affektgeladene Reaktionen, schnelle Verurteilungen und Pauschalurteile verschlimmern die Situation. Die Versuchung ist groß, den Dialog vorschnell abzubrechen – Sprachlosigkeit aber führt zur Sprache der Gewalt. (5) Die theologische Tugend des Glaubens hält Christ*innen, die sich dem Wagnis des interreligiösen Dialogs aussetzen, in der Treue zum christlichen Glauben und führt sie immer wieder zum Gebet und zur gemeinschaftlichen Feier des christlichen Glaubens. Sie vertrauen auf den stets größeren und barmherzigen Gott. 646 Painadath, Geist, 25.

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Schluss: Kleine Tugendlehre des interreligiösen Dialogs

(6) Die theologische Tugend der Hoffnung gibt Christ*innen die Gewissheit, dass Gott sich keinem Menschen unbezeugt lässt und am Ende alle zu sich führen wird, die sich nicht verweigern, dass nicht Hass und Feindschaft am Ende triumphieren werden, sondern Versöhnung und Friede, dass Gott am Ende „herrscht über alles und in allem“ (1 Kor 15,28). (7) Die theologische Tugend der Liebe, die größte aller Tugenden, ist die eigentliche Grundlage und Begründung für die interreligiöse Begegnung, denn sie bedeutet Freundschaft und Zuwendung zum Anderen ohne Vorbedingung und Einschränkung; sie bedeutet Vergebung und Dienst am Anderen bis hin zur Selbstaufgabe „als Antwort auf die Selbstaufgabe Gottes an uns“.647 Damit wird die zwischenmenschliche Begegnung im interreligiösen Dialog zu einem Abbild des liebenden Heilsdialogs Gottes mit uns Menschen. Ein gelingender Dialog ist eine gelingende Beziehung in Freiheit und damit ein Vorgriff auf das erhoffte ewige Heil.

647 Schockenhoff, Grundlegung, 262.

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

Abkürzungen AG AKf EG DBK DH DiH DuM DV EKD GS HThK Vat. II KD KuJ I KuJ II LG LThK LThK.E NA OT SzTh TRE UR VAS WA ZdK

Zweites Vatikanisches Konzil, Missionsdekret Ad Gentes Arnoldshainer Konferenz Enzyklika Evangelii Gaudium von Papst Franziskus (2014) Deutsche Bischofskonferenz Denzinger/Hünermann (s. Lit.) Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis Humanae Dialog und Mission Zweites Vatikanisches Konzil, Offenbarungskonstitution Dei Verbum Evangelische Kirche in Deutschland Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et Spes Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil (s. Lit.) Barth, Karl, Kirchliche Dogmatik (s. Lit.) Rendtorff/Henrix, Die Kirchen und das Judentum, Bd. I (s. Lit.) Henrix/Kraus, Die Kirchen und das Judentum, Bd. II (s. Lit.) Zweites Vatikanisches Konzil, Kirchenkonstitution Lumen Gentium Lexikon für Theologie und Kirche (s. Lit.) Lexikon für Theologie und Kirche (2. Aufl.). Ergänzungsband Zweites Vatikanisches Konzil, Erklärung Nostra Aetate Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Optatam Totius Karl Rahner, Schriften zur Theologie Theologische Realenzyklopädie Zweites Vatikanisches Konzil, Ökumenismusdekret Unitatis Redintegratio Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Weimaraner Ausgabe (s. Lit.) Zentralkomitee der deutschen Katholiken

Literatur

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Quellentexte und -sammlungen, Kommentare

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