Religionen und Religion: Systematische Einführung in die Religionswissenschaft 9783110852196, 9783110103243


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German Pages 277 [284] Year 1986

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
I. Religion und Religionsforschung
A. Drei Ausgangsfragen
B. Einige allgemeine Begriffe in der Religionsforschung
C. Systematik der Religionswissenschaft
D. Zur Forschungsgeschichte der Religion
E. Zur Religionsforschung heute
F. Vom Nutzen der Religionswissenschaft
II. Geschichtliche Forschung
A. Geschichte, Ziel und Methode
B. Geschichte von Religion und Religionen
C. Religionen im geschichtlichen Kontext
D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. und 20. Jahrhundert
E. Einige Schlußbemerkungen
III. Vergleichende Forschung
A. Zur Geschichte
B. Der wertende Vergleich
C. Der wissenschaftliche Vergleich
D. Interkulturelle Perspektive des Vergleichs
E. Drei verschiedene Breiten des verglichenen Materials
F. Globale und begrenzte Vergleiche
G. Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände
H. Vergleiche auf der Grundlage einer allgemeinen Fragestellung
IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext
A. Beitrag verschiedener Wissenschaften
B. Unterschiedliche methodische Ansätze
C. Die religiöse Gemeinschaft
D. Rollen in der religiösen Gemeinschaft
E. Religionsformen bei schriftlosen Völkern
F. Spezielle Religionsgemeinschaften
V Hermeneutische Forschung
A. Empirische Forschung und Hermeneutik
B. Zur hermeneutischen Erforschung religiöser Tatbestände
C. Zur hermeneutischen Erforschung von Religionen
D. Zu einer adäquateren hermeneutischen Erforschung von Religion und Religionen
Bibliographie
1. Allgemeine Literatur zur Methode und Theorie der Religionsforschung
2. Nachschlagewerke
Register
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Religionen und Religion: Systematische Einführung in die Religionswissenschaft
 9783110852196, 9783110103243

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Religionen und Religion Systematische Einführung in die Religionswissenschaft von

Jacques Waardenburg

w DE

G 1986

Walter de Gruyter · Berlin · New York

SAMMLUNG GÖSCHEN 2228

Jacques Waardenburg o. Professor an der Universität Utrecht

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Waardenburg, Jacques:

Religionen und Religion : syslemal. Einf. in d. Religionswiss. / von Jacques Waardenburg. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1986. (Sammlung Göschen ; 2228) ISBN 3-11-010324-9 NE: GT

© Copyright 1986 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden — Printed in Germany — Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, l Berlin 30 — Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Meinem jüngsten Sohn Johannes Salomo Theodosius zum 6. Geburtstag 3. X.1985

Vorwort Die Frage, auf welche Weise wir zu einer allgemein gültigen, also wissenschaftlichen Erkenntnis im Bereich der Religion gelangen können, ist Ausgangspunkt dieser Einführung gewesen. Der Verfasser war bestrebt, eine bestehende Lücke auszufüllen und die heutige Religionsforschung systematisch vom Blickpunkt verschiedener Disziplinen und Ansätze her vorzuführen. Er hatte vor, dem Buch einen systematischen Aufbau zu geben. Dieser Aufbau hatte aber nicht einen bestimmten philosophischen Ausgangspunkt, sondern versucht, der Logik der Religionsforschung, wie diese tatsächlich stattfindet, gerecht zu werden. So wird der Religionsbegriff im Anfang absichtlich offen gehalten und später aus dem Blickpunkt des geschichtlichen und vergleichenden, kontextuellen und hermeneutischen Ansatzes ausgefüllt. Dadurch, daß jeder Ansatz sein eigenes Licht auf das Phänomen der Religion wirft, wird der explorierende Charakter der Religionsforschung hervorgehoben. Für ein Taschenbuch sollten die Ausführungen knapp gehalten werden. Die angeführten Beispiele können von Dozenten, Studenten und anderen interessierten Lesern nach Belieben vermehrt werden. Die vorgeführten Ansätze, die in der Forschung selbst zwar zu unterscheiden, nicht aber voneinander zu scheiden sind, können und sollen weiter verfeinert und ausgebaut werden. Das Wichtigste in der Religionsforschung ist aber Konsequenz des Denkens, und dazu möchte dieses Buch eine Anregung bieten. Gerade in einer Zeit, wo der Gegenstand unserer Forschung so gern ideologisch gedeutet und politisch angewandt wird und wo ein religiöser Glaube oft im Verborgenen wirken muß, fällt dem Religionsforscher als Forscher wie als Person eine

2

Vorwort

neue Verantwortlichkeit zu. Dieser Aspekt sowie die sich jetzt ankündigenden neuen Forschungsarten, namentlich im Bereich der Frauenstudien, mußte hier leider unberücksichtigt bleiben. Die abschließend angegebene Literatur mußte auf Veröffentlichungen im Bereich von Methode und Theorie in der Religionswissenschaft und auf einige Nachschlagewerke beschränkt bleiben. Amersfoort, am 3. X. 1985

J.D.J.W.

Inhalt Seite Vorwort

l

Einleitung

9

I. Religion und Rcligionsforschung A. Drei Ausgangsfragen

15 15

1. Was ist Religion? a) Einige wesentliche Merkmale von Religion . . . . (1) Religiös gedeutete Wirklichkeiten (2) Religiös gedeutete Erfahrungen (3) Religiös gedeutete Normen b) Weitere Merkmale von Religion 2. Wie begegnet uns Religion? 3. Wie erforschen wir Religion?

15 18 19 20 21 23 25 27

B. Einige allgemeine Begriffe in der Religionsforschung . .

29

1. Der Begriff des religiösen Tatbestandes 2. Der Begriff der Religion als Problem 3. Ein vorläufiger Religionsbegriff: Religion als Orientierung

30 32 34

C. Systematik der Religionswissenschaft

36

D. Zur Forschungsgeschichte der Religion

41

1. Die Anfänge 2. Wissenschaftsentwicklung und Religionswissenschaft 3. Die Entwicklung theologischer und religionswissenschaftlicher Fragestellungen a) Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg b) Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen c) Dialektische Theologie und Religionswissenschaft

41 44 47 48 51 54



Inhalt E. Zur Religionsforschung heute 1. Einige Voraussetzungen 2. Einige Aufgaben 3. Religionskritik, Religionsapologetik und Religionsforschung a) Formen der Religionskritik b) Zur religionskritischen Funktion der Religionsforschung 4. Zur ideologiekritischen Funktion der Religionswissenschaft

59 60

F. Vom Nutzen der Religionswissenschaft

66

II. Geschichtliche Forschung

57 57 58

62 64

71

A. Geschichte, Ziel und Methode

71

B. Geschichte von Religion und Religionen 1. Entwicklungsphasen von Religion 2. Die Schriftreligionen a) Einteilung b) Unterschiedliche Merkmale c) Gemeinsame Schichten und Überschneidungen in den geschichtlichen Religionen

79 79 84 84 86 87

C. Religionen im geschichtlichen Kontext 1. Bedingtheit von Religion 2. Kulturgeschichte und Religion 3. Bedürfnisse hinsichtlich Religion 4. Angriffe gegen Religion

88 88 89 91 91

D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. und 20. Jahrhundert 1. Veränderungen 2. Neubildungen 3. Einige Beispiele a) Veränderungen und Neubildungen innerhalb der großen Religionen b) Übergreifende, universalistische Neubildungen . . c) Eine Schlußfolgerung aus den Veränderungen und Neubildungen von Schriftreligionen

105

E. Einige Schlußbemerkungen

106

92 93 97 100 100 103

Inhalt III. Vergleichende Forschung

...

5 108

A. Zur Geschichte

108

B. Der wertende Vergleich

109

C. Der wissenschaftliche Vergleich

112

D. Interkulturelle Perspektive des Vergleichs

116

E. Drei verschiedene Breiten des verglichenen Materials . 120 F. Globale und begrenzte Vergleiche

123

G. Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände

127

1. 2. 3. 4.

Der Gegensatz von Himmel und Erde Der Monotheismus Ritual, Kult und Liturgie Leben und Tod

H. Vergleiche auf der Grundlage einer allgemeinen Fragestellung

127 130 132 135 137

1. Die Auffassung vom Menschen und seinem Heil . . 138 2. Fragen der Ethik und sozialen Ethik 140 I. Vergleiche auf der Grundlage einer theoretisch-wissenschaftlichen Fragestellung 141 IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext A. Beitrag verschiedener Wissenschaften 1. 2. 3. 4.

Ethnologische Sicht; Kulturanthropologie Soziologische Sicht; Religionssoziologie Psychologische Sicht; Religionspsychologie Die Sicht anderer Disziplinen

144 144 146 150 154 157

B. Unterschiedliche methodische Ansätze

158

C. Die religiöse Gemeinschaft

163

1. Die Tradition 2. Initiation 3. Feste und Volksreligion

166 170 172

6

Inhalt D. Rollen in der religiösen Gemeinschaft 1. Die Rollenzuteilung an Mann und Frau . . . . . . . . 2. Grundrollen religiös-autoritativen Verhaltens a) Der Schamane b) Der Prophet c) Der Mystiker d) Der Gnostiker e) Der Priester f) Der Guru g) Der Asket

177 177 179 180 181 183 184 185 187 187

E. Religionsformen bei schriftlosen Völkern

189

F. Spezielle Religionsgemeinschaften 198 1. Sozial-religiöse Erneuerungsbewegungen in der Dritten Welt 198 2. Neue religiöse Bewegungen im Westen 199 3. Minderheiten und ihre Religion 200 4. Unterdrückte Gruppen und ihre Religion 201 V. Hermeneutische Forschung A. Empirische Forschung und Hermeneutik B. Zur hermeneutischen Erforschung religiöser Tatbestände 1. Religiöse Tatbestände sind immer gedeutete Tatbestände; Grundregeln für ihre hermeneutische Erforschung 2. Einige Beispiele a) Symbole b) Mythen c) Mystik d) Schriften e) Ethik 3. Zu einer anthropologischen Hermeneutik religiöser Tatbestände

202 202 206

207 211 212 216 221 225 228 231

C. Zur hermeneutischen Erforschung von Religionen . . . 233 1. Religionen sind immer gedeutete Religionen; implizite und explizite Religionen 233

Inhalt 2. Explizite artikulierte Religionen: Religion als Subjekt a) Der semantische Ansatz: Religionen als gedeutete Zeichen Systeme b) Der phänomenologische Ansatz: Religiosität als menschliche intentionale Wirklichkeit 3. Implizite „unsichtbare" Religionen: Religion als Prädikat a) Das Auftreten funktioneller Religionen b) Zur Identifizierung impliziter Religionen c) Zur hermeneutischen Erforschung impliziter Religionen D. Zu einer adäquateren hermeneutischen Erforschung von Religion und Religionen

7 235 235 241 245 245 246 248 250

Bibliographie 1. Allgemeine Literatur zur Methode und Theorie der Religionsforschung 2. Nachschlagewerke

257

Register

268

257 264

Einleitung Für den gebildeten und fortschrittlichen Menschen haftet dem Begriff der Religion etwas Irrationales an. Seit längerer Zeit frage ich mich aber, ob es nicht die alles umfassende Rationalisierung unseres gesellschaftlichen Lebens ist, die bewirkt, daß die Religion zu etwas Irrationalem für uns geworden ist. Die Religionsgeschichte zeigt, daß dies nicht immer so war: häufig war die Religion gerade für die Gebildeten ein rationales Phänomen, zu dessen Betrachtung und Anwendung die Vernunft unabdingbar war. Die Erforschung von Träumen, Phantasien und emotionalen Vorgängen hat gezeigt, daß es in diesen auf den ersten Blick irrationalen' Bereichen eine größere Rationalität gibt als man bisher angenommen hatte. Könnte sich bei der Erforschung religiöser Tatbestände nicht etwas Ähnliches herausstellen? Dieses Büchlein ist ein Plädoyer für die Erforschung des Phänomens ,Religion' als eines menschlichen Phänomens, das sich von der Vorgeschichte bis in die Gegenwart erstreckt und das es auch heute — explizit oder implizit — in zahllosen Formen gibt. Es ist auch ein Plädoyer für eine Religionsforschung mit vollem Gebrauch der Vernunft. Mit diesem Plädoyer treten wir bewußt für eine methodische multiperspektivische Religionsforschung ein. Es wird der Versuch unternommen, die Hauptrichtungen der Religionsforschung zu unterscheiden, sie an einigen Beispielen zu verdeutlichen und mit ihrer Hilfe verschiedene Einblicke in das Phänomen der Religion, das uns interessiert, bisweilen fasziniert und bisweilen abstößt, zu gewinnen. In den vorliegenden Einführungen in die Religionswissenschaft werden dem Leser Informationen und Auskünfte über eine Vielzahl von Religionen bzw. religiösen Tatbeständen geboten. Hier werden

10

Einleitung

dagegen relativ wenig konkrete Tatsachen behandelt, statt dessen werden dem Leser Hinweise auf die jeweils weiterführende Literatur gegeben. Unser Anliegen ist es, dem Leser die Forschung selbst und ihre innere Systematik vorzuführen: geschichtlich und vergleichend, kontextuell und hermeneutisch. In den konkreten Untersuchungen sind meistens alle vier Ansätze in irgendeiner Weise vertreten. Für ein Verständnis dessen, was wir im Forschungsprozeß tun, ist es jedoch nützlich, diese Ansätze klar zu unterscheiden. Unser besonderes Interesse gilt der ,hermeneutischen' Forschung und der Frage nach dem ,Sinn' der Religion. Die Aufgabe einer sachgemäßen Hermeneutik besteht aber nicht nur darin, die Bedeutung der betreffenden religiösen Tatbestände an und für sich zu untersuchen, sie muß auch und vor allem nach der Deutung und Anwendung fragen, die diesen Tatbeständen im Laufe der Zeit von bestimmten Personen und Gruppen gegeben worden ist. Es geht uns also insbesondere um die Bedeutungen, die Religionen und religiöse Tatbestände für bestimmte Personen und Gruppen gehabt haben, bzw. um die ,religiösen' Bedeutungen, die an und für sich gewöhnliche' Phänomene in bestimmten Kontexten für bestimmte Gruppen haben oder einmal gehabt haben. Zu dieser Erforschung eignen sich die Deutungen, die bestimmten Phänomenen unter bestimmten Bedingungen gegeben wurden, ganz besonders gut. Für den hermeneutisch orientierten Forscher ist Religionsgeschichte vor allem die Geschichte der Deutungen religiöser Tatbestände und ganzer Religionen, sowie ihrer Anwendungen in der Gesellschaft. Er hat dabei aber nicht ausschließlich mit religiösen Deutungen zu tun. Gerade bei den Religionen und Ideologien der heutigen Zeit ist die Frage ihrer Deutung — auch ihrer nicht-religiösen Deutung — von überragender Wichtigkeit. Auch wenn die Menschen nicht verantwortlich sind für die Religionen und religiöse Traditionen, in denen sie

Einleitung

11

aufgewachsen sind, so sind sie doch verantwortlich dafür, wie sie diese Phänomene im Laufe ihres Lebens selbst deuten und gegebenenfalls anwenden. Ein Buch wie dieses richtet sich an all jene, die neben einem Urteil über religiöse Erscheinungen auch eine fundierte Erkenntnis über religiöse Tatbestände und Religionen suchen. Es ist auch für gebildete und fortschrittliche Menschen nicht immer leicht, zwischen gesichertem Wissen einerseits und Propaganda oder Mystifikation andererseits zu unterscheiden. Es ist also an interessierte Dozenten und Studenten gedacht, an alle diejenigen, die in irgendeiner Weise mit Religionen anderer Menschen und Kulturen zu tun haben, und nicht zuletzt an diejenigen, die sich überhaupt mit religiösen Fragen befassen und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis suchen. Daß Universitätskollegen diesen Band zur Kenntnis nehmen mögen, ist meine aufrichtige Hoffnung; Religionsforscher werden bald die unvermeidlichen Lücken und Einseitigkeiten erkennen, die bei einem so kurzgefaßten Abriß eines ganzen Wissenschaftsbereiches unvermeidlich sind. Die Anregung zu dieser Arbeit ging vom Münchener Religionstheoretischen Kolloquium aus, in dessen Rahmen wir in den siebziger Jahren regelmäßig unsere Gedanken austauschen konnten und dessen wichtigste Ergebnisse in dem Band Religion als Problem der Aufklärung. Eine Bilanz aus der religionstheoretischen Forschung (Göttingen 1980) zusammengefaßt sind. Aus diesem Kreis war es namentlich Herr Kollege Gerhard Sauter, systematischer Theologe an der Universität Bonn, der mich darauf aufmerksam machte, daß im deutschen Sprachbereich eine neuere Einführung fehlt. Zunächst glaubte ich mich der Aufgabe, eine solche zu verfassen, gewachsen, wurde dann aber im Laufe der Ausarbeitung von Zweifeln befallen. Ist es doch keine geringe Sache, eine solche systematische Einführung zu schreiben, wenn man noch nicht das Alter und die Erfahrung der Großen des Faches erreicht hat. Die Vorträge, zu denen ich dann von Freunden in Berlin eingeladen wurde, haben schließlich bewirkt, daß meine Zwei-

12

Einleitung

fei zurückgedrängt wurden. Der Text trägt noch Spuren von der Unmittelbarkeit der Gespräche, der Auslegung und der unvermeidlichen Debatte. Der Verlag Walter de Gruyter in Berlin hat sich bereit erklärt, ihn in dieser Form in die Sammlung Göschen aufzunehmen. Bei der Behandlung des Stoffes haben wir den Nachdruck auf die großen, mehrere Kulturen umfassenden Religionen gelegt: bei der Interpretation kleinerer, kulturgebundener und vor allem schriftloser Religionen werden die Akzente vielfach anders liegen. Die verwendeten Beispiele stellen ebenso wie die Literaturhinweise nur eine Auswahl aus einer nahezu unbegrenzten Anzahl von Möglichkeiten dar. Weitere Beispiele bzw. Literaturangaben — insbesondere für das 20. Jahrhundert — können während des Unterrichts oder Selbststudiums einfach hinzugefügt werden. Wir haben uns aus praktischen Gründen vorzugsweise nach der verfügbaren deutschen Literatur gerichtet, da sich das Buch an deutschsprachige Leser wendet. Die angeführte Literatur stammt in der Hauptsache aus den letzten fünfzehn Jahren. Die Kapitel 3, 4 und 5 enthalten Verweise auf Belegliteratur bzw. alternative Theorien. Die Bibliographie am Ende mußte aus praktischen Gründen knapp gehalten werden und umfaßt, neben einigen Nachschlagewerken, nur allgemeine Literatur zur Methode und Theorie der Religionsforschung, wobei allerdings auch fremdsprachige Veröffentlichungen berücksichtigt wurden. Soweit das Büchlein eine gewisse Originalität beanspruchen darf, liegt diese weniger in der Behandlung der geschichtlichen und vergleichenden Forschung im 2. und 3. Kapitel, zu der bereits eine Fülle einschlägiger Literatur vorliegt. Eine solche Originalität würde eher in der logischen Komplementarität des 4. und 5. Kapitels liegen, also im Verhältnis von kontextueller und hermeneutischer Forschung, in der Suche nach dem Rahmen einer adäquaten Hermeneutik von religiösen Tatbeständen und Religionen und im allgemeinen Aufbau. Hoffentlich führt diese Unterscheidung der vier Forschungsansätze dazu,

Einleitung

13

daß Studenten und Dozenten sowie andere Leser das Phänomen Religion — eventuell auch die eigene Religion — mit neuen Augen sehen und zu weiteren Studien angeregt werden. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Gerhard Sauter und Herrn Dr. Karl-Heinz Kohl sowie den Herren Professoren Garsten Colpe und Klaus Heinrich für ihre Anregungen danken. Die Herren Kohl und Salih Auch, alter Freund aus der Kalifornienzeit, sowie George Sandberg und Andrea van der Meulen haben den ursprünglichen Text für die deutsche Veröffentlichung durchgesehen. Frau Dr. Brigitte Luchesi hat sich dann viel Mühe gegeben, dem Text sprachlich bis in die Details nachzugehen und ihn zu verbessern. Damit ist das Risiko, daß er irgendwo mißverstanden werden könnte — schrecklicher Gedanke —, jedenfalls verringert, und dafür bin ich ihr zu Dank verpflichtet. Herr Dr. Kohl hat freundlicherweise bei der Korrektur der Druckabzüge geholfen. Mit Freude denke ich letztlich zurück an die Diskussionen unseres Münchener Religionstheoretischen Kolloquiums unter der Führung der Herren Professoren Wolfhart Pannenberg und Trutz Rendtorff, und an die Gespräche mit Herrn Dr. Georg Schmid im Schweizer Hochgebirge. Bei alledem hat meine Frau mir mit Nachsicht zur Seite gestanden. Das Büchlein ist einem gewidmet, von dem ich bezweifle, daß er sich je für die Religionsforschung interessieren wird. Hat er seinen Vater doch mehrfach gefragt, weshalb dieser nicht häufiger mit ihm spielen will. Hoffentlich wird er später einmal einsehen können, warum der Vater zuerst arbeiten mußte, bevor er spielen konnte.

2

Waardenburg

I. Religion und Religionsforschung A. Drei Ausgangsfragen Ebenso wie es bei der Untersuchung anderer Kulturäußerungen — wie Kunst und Literatur, soziales Leben und ethisches Verhalten — bestimmte Grundfragen gibt, die es zu beantworten gilt, gibt es auch bei der Erforschung der religiösen Tatbestände und der Religionen einige Ausgangsfragen, deren wichtigste die folgenden sind: 1. Was ist Religion? 2. Wie begegnet uns Religion? 3. Wie erforschen wir Religion? /. Was ist Religion? Auf die Frage: „Was können wir über das, was Religion ist, aussagen?", gibt es die verschiedensten Antworten. Religion kann als eine geschichtliche Erscheinung aufgefaßt werden; im Extremfall bedeutet das, daß sie als ein geschichtliches Phänomen verstanden wird, das zwar bis in die Gegenwart hinein fortwirkt, aber grundsätzlich der Vergangenheit angehört. Religion kann auch als eine soziale Erscheinung angesehen werden. Einige Vertreter dieser Auffassung erklären ihre Existenz ausschließlich aus gesellschaftlichen Bedingungen. Religion wäre demnach historischen und sozialen Gesetzen unterworfen und dementsprechend auch zu erforschen. Andere Antworten sind selbst religiös bestimmt, z. B. die, daß Religion göttlicher Herkunft, eine Offenbarung Gottes oder zumindest eine menschliche Antwort auf die Manifestationen

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I. Religion und Religionsforschung

des Göttlichen sei. Oder auch die, daß Religion menschliche religiöse Erfahrung sei und daß es außerhalb bestimmter religiöser Erlebnisse kaum wirkliche Religion gäbe; jede Institutionalisierung sei bereits eine Verfälschung. Bestimmte theologische Positionen besagen, daß Religion auf Glauben beruhe, und alle religiösen Ausdrucksformen von einer Glaubensweise ausgehen, oder auch, daß Religion Gott gegenüber eine Form des Unglaubens darstelle, eine Festung, in der sich der Mensch verschanze und damit der wahren Offenbarung Gottes entziehe. In der Philosophie findet sich die Auffassung, daß Religion jeder Kulturschöpfung zugrundeliege, oder daß sie eine Idee sei, entweder eine positive Idee, die sich verwirklicht und positive Geschichte macht, oder eine negative, die als Illusion Entfremdung bewirkt und den Fortschritt der Geschichte hemmt. Von einer metaphysischen Position aus wird gesagt, daß Religion ein Zurückgreifen auf den Grund des Seins, auf die Wurzel der Existenz, auf den letzten Sinn sei, ja, daß Religion Verwurzelung schlechthin sei. Umgekehrt wird auch gesagt, daß Religion wesentlich unphilosophisch sei und daher außerhalb des Aussagenbereichs der Philosophie liege. Der „gesunde Menschenverstand" neigt dazu, Religion als ein noli me längere anzusehen, als etwas, an das man nicht herankommen und rühren kann. Von gebildeteren Menschen ist zu hören, daß Religion, ähnlich wie die Kunst und menschliche Beziehungen, gegen eine Verdinglichung und Banalisierung und gegen Übergriffe des nur objektivierenden banalen Verstandes geschützt werden müsse. Der Religionsforscher kann sich der Frage, was Religion ist, nicht entziehen. Sein Beruf konfrontiert ihn notgedrungen damit. Primär hat er es mit menschlichen Verhaltensweisen, Ausdrücken und Reflexen in der Geschichte und der Gegenwart zu tun, die an und für sich nicht religiös sind, die aber innerhalb einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur und innerhalb eines bestimmten Bezugsrahmens einen religiösen Cha-

A. Drei Ausgangsfragen

17

rakter annehmen können. Er weiß, daß viele religiöse Tatbestände ein integraler Teil der Gesellschaft und der Kultur sind, in der sie vorkommen. Diesem reichen Material nähert sich der Forscher mit sehr spezifischen und beschränkten Fragestellungen, und er hütet sich vor allgemeinen Aussagen, die nicht wissenschaftlich nachweisbar sind. Der wissenschaftlichen Forschung geht es nicht nur darum, religiöse Tatbestände festzustellen, zu deuten und zu erklären, sondern auch darum, mit Hilfe dieser Tatbestände Religionen zu identifizieren und in ihrer Wirkung zu untersuchen. Sie benötigt einen Religionsbegriff der nicht religiös ist, sondern ihr die Möglichkeit an die Hand gibt, bestimmte Phänomene — etwa Religionsbildung und religiöse Tradition — zu erforschen und bestimmte Fragen — etwa die nach Funktion und Bedeutung einer bestimmten Religion innerhalb einer gegebenen Gesellschaft oder Kultur — zu beantworten. Um das zu erreichen, muß sie klären, was unter Religion verstanden werden soll, und was mit Hilfe eines bestimmten Religionsbegriffs überhaupt erschlossen, bzw. nicht erschlossen werden kann. Für die Wissenschaft ist die Frage wesentlich: „Welche Erscheinungen und Tatbestände und welche möglichen Zusammenhänge rücken bei der Verwendung eines bestimmten Religionsbegriffs ins Blickfeld der Forschung, und welche nicht T' Die Antwort der Religionsforschung auf die Frage: „Was ist Religion?" lautet ganz allgemein, daß sich eine beträchtliche Zahl von Menschen in ganz verschiedenen Kulturen und Gesellschaften, zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mit Fragen beschäftigt hat, die wir als „religiös" bezeichnen würden, und einem Phänomen anhingen und anhängen, das wir gemeinhin als „Religion" bezeichnen. Dies alles muß empirisch erforscht werden, bevor allgemeine Aussagen über die Religion als solche gemacht werden können. Für die Forschung handelt es sich dabei immer um „menschliche" Religion, das heißt um Religion, wie sie von Menschen ausgedrückt und beschrieben, gedacht und gelebt, geglaubt

18

I. Religion und Religionsforschung

und betrieben worden ist und wird. Hinzu kommen andere Tatbestände, die mit Religion verbunden sind: daß die historische Übermittlung durch Traditionen erfolgte; daß dabei bestimmte Personen als zuständige religiöse Autoritäten anerkannt wurden; daß bestimmte Institutionen geschaffen wurden, um den Gläubigen ein Leben im Sinne ihrer Religion zu ermöglichen; daß zu bestimmten Zeiten erhebliche Veränderungen stattgefunden haben, sei es beim Übergang einer Religion zu anderen Religionen oder bei einer Reinigung der eigenen Religion, sei es im Prozeß der Synkretisierung verschiedener religiöser Formen oder in einem anderen Zusammenhang. Derartige religiöse Tatbestände sind nicht ohne weiteres kategorisch auf politische und andere infrastrukturelle Ursachen des „Unterbaus" zurückzuführen. Sie scheinen vielmehr auf der Ebene des „Überbaus" eine eigene Existenz zu haben und ihrerseits Einfluß auf das politische und soziale Leben auszuüben. Dies geschieht nicht nur durch die konkrete Macht religiöser Führer und Gruppen, sondern in gewissen Fällen auch durch eine bestimmte, religiös motivierte geistige Ausrichtung, die eine neue Deutung gegebener Situationen und entsprechende neue Verhaltensweisen auslösen kann. a) Einige wesentliche Merkmale von Religion Wir nennen hier drei Bereiche, die bei einer ersten Identifizierung einer Religion innerhalb einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur der Vergangenheit oder der Gegenwart hilfreich sein können. Sie ermöglichen eine ziemlich präzise Feststellung bestimmter religiöser Aspekte einer gegebenen Gesellschaft oder Kultur, die anschließend empirisch erforscht werden können. Diese Forschung richtet sich also nicht auf eine metaphysische Idee oder Substanz von „Religion", sondern zunächst ganz konkret auf die religiösen Aspekte einer gegebenen Gesellschaft oder Kultur. Es gibt neben diesen drei noch andere religiöse Bereiche. Auf sie wird zum Teil später noch eingegangen. Die hier genannten

A. Drei Ausgangsfragen

19

sind, zumindest für die erste Identifizierung von geschichtlich „expliziter" Religion, die wichtigsten. (Vgl. S. 247f.) (1) Religiös gedeutete Wirklichkeiten In allen Religionen gibt es neben der gewöhnlichen, alltäglichen oder „empirischen" Wirklichkeit andere Wirklichkeiten oder eine andere Seite dieser Wirklichkeit. Verschiedene Definitionen von Religion gehen daher vom Glauben an Wesen einer höheren oder „übernatürlichen" Wirklichkeit aus. Diesen Definitionen zufolge ist das besondere Merkmal von Religionen der Anspruch, über diese Wirklichkeiten Erkenntnisse vermitteln bzw. mit solchen Wirklichkeiten in Kommunikation treten zu können. In religiösen Weltauffassungen wird die Existenz solcher Wirklichkeiten meistens positiv bejaht. Wenn man auf derartige Wirklichkeitsaussagen anderer Kulturen bzw. Religionen trifft, muß man sich jedoch davor hüten, diese ohne weiteres in ein westliches Schema von Wirklichkeit und „Metawirklichkeit", oder Natur und „Supranatur", einzufügen. Eine solche Zweiteilung mag ihre Berechtigung im Rahmen der platonischaristotelischen Tradition des Westens haben. Sie ist jedoch nicht in allen philosophischen Traditionen vorhanden und kann demnach keine universale Gültigkeit beanspruchen. In den meisten Religionen gibt es mehr als nur zwei, mehr oder weniger hierarchisch geordnete Wirklichkeitsbereiche, die oft gerade ineinandergreifen und nicht voneinander abgetrennt sind. Wenn in bestimmten Religionen ausdrücklich von anderen Wirklichkeiten die Rede ist, dann handelt es sich dabei zumeist nicht um abstrakte Begriffe, sondern um relativ „konkrete" und bildhaft ausgedrückte Vorstellungen, etwa um Götter,' Dämonen, Ahnen, Geister, Seelen, Ober- und Unterwelt, Himmel und Hölle. Bisweilen handelt es sich nicht so sehr um eine andere Wirklichkeit als um eine andere Seite dieser Wirklichkeit. In den Religionen gibt es also Aussagen über andere Wirklichkeiten, deren Wirkung auf die gegebene Lebenswirklichkeit

20

I. Religion und Religionsforschung

oder auf die empirische Wirklichkeit überhaupt als etwas Entscheidendes angesehen wird. Diese Wirkung kann heilbringend sein, und in einer Anzahl von Religionen wird explizit dazu aufgerufen, einen bestimmten Heilsweg zu beschreiten, der aus den existierenden Bedingungen der empirischen Wirklichkeit herausführen soll. Unterschiedliche ethische Vorschriften, rituelle Verhaltensweisen und gesetzliche Bestimmungen haben dazu geführt, daß in den verschiedenen Kulturen und Traditionen unendlich viele Heilsmöglichkeiten entwickelt worden sind. Die einzelnen Ausprägungen müssen jeweils im Rahmen der gegebenen Kultur und Religion, in der sie vorkommen, erforscht werden. Man kann nicht sagen, daß der Glaube an eine „andere", als heilbringend vorgestellte Wirklichkeit an und für sich schon Religion wäre. Ein solcher Glaube ist nur ein Element, das zusammen mit anderen Elementen eine Religion konstituieren kann. Die Auffassung oder die Ahnung von der Kontingenz der Welt, des Lebens, des Heils und möglicherweise auch des Unheils ist nur eine der Voraussetzungen von Religion. (2) Religiös gedeutete Erfahrungen In allen Religionen gibt es besondere Erfahrungen, die als ,religiöse' Erfahrungen gedeutet werden. Es handelt sich dabei nicht nur um paragnostische Erfahrungen, obwohl eine solche Begabung in den meisten Kulturen religiös gedeutet und gewertet wird. Sie kann bei diesen Erfahrungen gewiß eine Rolle spielen. Es handelt sich auch nicht nur um verschiedene Formen der Inspiration, die überall vorkommen und oft auch religiös gedeutet werden. Wir haben es hier mit einem ganzen Spektrum von leiblichkosmischen, ekstatischen, inspiratorischen, mystischen und ähnlichen Erfahrungen bestimmter Personen zu tun, die von diesen Personen und ihren Gruppen wohl beeinflußt, aber nicht kontrolliert werden, und die verändernd auf sie wirken. Solche Erfahrungen können, wie bereits erwähnt, im Rahmen der jeweiligen Weltauffassung oder religiösen Tradition als

A. Drei Ausgangsfragen

21

Manifestation einer anderen Wirklichkeit oder als Kommunikation mit einer solchen Wirklichkeit gedeutet werden. Sie führen zu neuen Ansichten über die Wirklichkeit und geben Hinweise für eine richtige Lebensweise. Meistens werden sie nicht individuell, sondern kollektiv, d. h. zusammen mit anderen Menschen verarbeitet. Diese besonderen, religiös gedeuteten Erfahrungen haben bestimmte Funktionen innerhalb einer gegebenen Kultur und ihrer Religion. Sie müssen daher vor allem im Rahmen der Kultur, in der sie auftreten und gedeutet werden, erforscht werden. Bei der Erforschung dieser besonderen Erfahrungen anderer Menschen gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen den Erfahrungsbereichen und gar Erfahrungsweisen in der erforschten Kultur und ihrer Religion einerseits und den Erfahrungen und Erfahrungsbedürfnissen der zumeist westlichen Forscher in ihrem eigenen kulturellen Milieu andererseits. Dieser Unterschied sollte nie verwischt werden. Auch dann, wenn der Forscher erfahrungsinduzierende Mittel wie Drogen experimentell einsetzt oder wenn er zu größtem Einfühlungsvermögen und besonderen persönlichen Erlebnissen fähig ist, darf er die eigenen Erfahrungen nicht den religiösen Erfahrungen anderer Menschen gleichsetzen. Die Variationsbreite möglicher Erfahrungen, vor allem religiöser Erfahrungen, ist, wenn wir es mit verschiedenen Kulturen zu tun haben, grundsätzlich unendlich. Das Erlebnis des Außergewöhnlichen ist erst dann ein religiöses Erlebnis zu nennen, wenn es von der betreffenden Person oder der Gruppe mit einer der obengenannten „anderen" Wirklichkeiten — oder mit der „anderen" Seite dieser Wirklichkeit — in Verbindung gebracht wird. Derartige Erfahrungen können religiös genannt werden, sie sind aber noch nicht Religion, sondern nur ein Element derselben, das zusammen mit anderen Elementen zu Religion führen kann. (3) Religiös gedeutete Normen In allen Religionen gibt es absolut gesetzte Normen, Regeln und Gesetze, die sich durch ihre kategorische Art und durch

22

I. Religion und Religionsforschung

ihre Verbindung mit religiösen Gegensatzpaaren von gewöhnlichen moralischen Bestimmungen, Regeln und Gesetzen unterscheiden. Sie betreffen vor allem den Kosmos, die Gesellschaft und das Verhalten des einzelnen. Um ihren Absolutheitsanspruch praktisch und logisch rechtfertigen zu können, ist in der Regel ein Rückgriff auf eine außergewöhnliche Instanz nötig. Meist werden die religiösen Vorschriften und Gebote mit ihrer göttlichen Herkunft begründet. Sie werden zudem mit Begriffsgegensätzen wie „rein" und „unrein", „heilig" und „profan" in Verbindung gebracht. Wie die Vorstellungen von anderen Wirklichkeiten und die Erfahrungen besonderer Art müssen auch die religiös gedeuteten Gebote und Verbote im Rahmen der betreffenden Kultur und ihrer sozialen Institutionen sowie der äußeren Umstände dieser Gesellschaft erforscht werden. Es ist notwendig, die Wirklichkeitsauffassung, der die normativen Begriffsgegensätze zugehören, in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Eine charakteristische Vorstellung ist z. B. die Idee einer Belohnung für eine gute Lebensführung, oder die Ansicht, daß die irdische Ordnung oder die Klassifizierung der sichtbaren Wirklichkeit einer normativen „überirdischen" Ordnung folgt. Die religiösen Normen haben für die betreffenden Menschen einen selbstverständlichen Charakter; sie sind Teil der Tradition und Ausdruck tieferer unumstößlicher Ordnungen oder göttlicher Willensbekundungen. Bei der Erforschung religiöser oder religiös legitimierter Vorschriften anderer Kulturen muß man sich vergegenwärtigen, daß diese Vorschriften oft dazu gedient haben bzw. dazu dienen, Lebensprobleme zu bewältigen, die in der heutigen westlichen Kultur teilweise gar nicht mehr bekannt sind. Ebenso versuchen sie, Lösungen anzubieten, die dem Bezugsrahmen der gegebenen Kultur und Lebensanschauung entsprechen, auch wenn sie für das Empfinden des Forschers und gemessen an westlichen Normen nicht adäquat sind. Bisweilen jedoch kann man in den religiösen Vorschriften anderer Kulturen

A. Drei Ausgangsfragen

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Lösungsversuche für Probleme feststellen, die eine universelle Bedeutung haben und von denen jeder Mensch in irgendeiner Weise lernen kann. Wir denken hier nicht nur an Lösungen, die in Form von Mythen oder Lehrsätzen vorgetragen werden, sondern auch an die vielen Riten, die zur Bewältigung kritischer Lebensphasen dienen, an die verschiedenen Vorschriften für den Umgang mit menschlichen Problemen — mit Leiden und Freuden, Unglück und Glück, Tod und Leben. Ebensowenig wie das bei den beiden anderen Bereichen der Fall ist, konstituieren diese Normen an und für sich schon eine Religion; sie sind aber ein Element derselben. b) Weitere Merkmale der Religion Neben den drei genannten Bereichen gibt es die folgenden vier Sachverhalte, die Religionen charakterisieren, womit die Merkmale von Religion jedoch nicht erschöpft sind. (1) Religion hat immer mit Gegebenheiten des Lebens und der Welt zu tun, nimmt aber diese Gegebenheiten nicht einfach als Tatsachen hin oder führt sie auf andere Tatsachen zurück, sondern sieht in ihnen mehr als nur bloße „Tatsachen". Die Religion bezieht sich in ihren Worten und Handlungen fast immer auf etwas, das nicht empirisch faßbar ist, das aber für den Menschen dennoch eine Geltung besitzt. Es ist etwas, auf das der Mensch Bezug nehmen kann. Diese Bezugnahme ist in einigen Religionen „Glaube" genannt worden. Wir können sie aber besser mit dem allgemeinen Begriff „religiös" (im ursprünglichen Wortsinn des lateinischen religiosus) erfassen. „Religiös" ist der Mensch, der sich auf etwas ihm Heiliges außerhalb des empirisch Gegebenen bezieht. (2) In allen Religionen gibt es daher eine Spannung zwischen den Gegebenheiten des Lebens und der Welt einerseits und dem nicht ohne weiteres gegebenen „Anderen", auf das Bezug genommen wird, andererseits. Das Gegebene soll im Lichte dieses „Anderen" gesehen werden; der Gläubige ist entweder

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I. Religion und Religionsforschung

aufgefordert, unter diesem Blickwinkel das Gegebene zu akzeptieren oder es in eine bestimmte Richtung zu verändern. Diese Spannung besteht nicht nur im Handeln, sondern auch in der Anschauung. Das „Andere" wird immer unter Zuhilfenahme der hier gegebenen Formen gedacht und vorgestellt, was zu einer anthropomorphen Vorstellung von Gott führen kann. Wenn eine gegebene Form in Verbindung mit dem nichtgegebenen „Anderen" gedacht, vorgestellt oder behandelt wird, erhält es einen Symbol- oder Zeichenwert. (3) Die Spannung zwischen dem empirisch Gegebenen und dem empirisch nicht faßbaren, aber doch wirklichen, ja wirksamen „Anderen" führt auch im Bereich des Religiösen selbst zu einer Spannung, auf die vor allem GEORG SCHMID in seinem Interessant und Heilig. Auf dem Weg zu einer integralen Religionswissenschaft (Zürich 1971) und in anderen Veröffentlichungen hingewiesen hat. Sie besteht zwischen der gegebenen, irdischen „religiösen Wirklichkeit" mit ihren religiösen Tatbeständen und der nicht-gegebenen „Wirklichkeit der Religion", auf die sich die religiösen Tatbestände richten. Die Wirklichkeit der Religion ist dasjenige, um das es den betreffenden Menschen letztlich geht; die religiöse Wirklichkeit, d. h. die Wirklichkeit der Tatbestände, die von der Religionswissenschaft erforscht werden, ist ihr gegenüber zweitrangig. Die gelebte Religion zeigt die Spannung zwischen der Wirklichkeit der Religion und der religiösen Wirklichkeit. (4) In den Religionen wird davon ausgegangen, daß dasjenige, auf das religiös Bezug genommen wird, auf vielerlei Weise sinngebend wirkt. Die Wirklichkeit der Religion erscheint also als letzter Grund menschlicher Sinngebungen, Orientierungen und Ordnungen. Daneben gibt es zwar noch viele andere Ausgangspunkte für menschliche Sinngebungen, sie sind aber im Verhältnis zum „absoluten" Ausgangspunkt, von dem die Menschen ihren religiösen Sinn beziehen, relativ.

A. Drei Ausgangsfragen

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2. Wie begegnet uns Religion? Religion in ihrer menschlichen Gestaltung kann uns auf verschiedene Art und Weise begegnen. Wir wollen hier vier Möglichkeiten nennen. (1) Am einfachsten — jedenfalls für diejenigen, die in einem ungebrochenen Verhältnis zu jener religiösen Tradition stehen, in der sie aufgewachsen sind — ist die Begegnung mit der eigenen Religion. Damit ist nicht eine eigene, persönliche Religion gemeint, der wir uns — wenn wir überhaupt eine solche haben — doch nur zum Teil bewußt sind, und die uns eigentlich nur in eigenen Erfahrungen der Vergangenheit oder als mehr oder weniger überraschende Erfahrungen der Gegenwart begegnet. Wir können uns mit einer gewissen Verwunderung darüber Rechenschaft geben als eine subjektiv eigene und doch objektiv merkwürdige Erfahrungswirklichkeit. Wir meinen hier aber mit der „eigenen" Religion die Religion, die uns in normativer Form von den kirchlichen bzw. religiösen Autoritäten vorgeschrieben wird oder uns als gelebte Religion in den Gemeinschaften unserer Religion entgegentritt. Diese Religion begegnet uns insofern als „eigene", als wir in ihr den gleichen Glauben, zu dem auch wir uns bekennen, oder die gleiche Tradition, in der auch wir stehen, wiedererkennen. (2) Religion kann uns auch in Gestalt der Tradition, in der wir aufgewachsen sind, begegnen. Man kann sich diese Tradition entweder ganz oder teilweise aneignen, so daß sie die „eigene" Religion im obengenannten Sinne wird. Die Tradition kann aber auch als eine Religion gesehen werden, der man entfremdet ist oder von der man sich bewußt distanziert hat; sie ist also zu einer im Grunde „fremden" Religion geworden. Und genauso wie die übernommene religiöse Tradition kann auch die bewußt negierte eigene religiöse Tradition den Religionsbegriff bestimmen, unter dem man die Religionen anderer Gesellschaften und Kulturen und Religion überhaupt subsumiert.

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I. Religion und Religionsforschung

(3) Religion kann uns auch in Gestalt einer fremden Religion begegnen. Häufig ist es die Religion einer Gesellschaft, Gemeinschaft oder Kultur, der wir nicht angehören und die uns, genauso wie diese Gesellschaft oder Gemeinschaft, ihrem Wesen nach fremd ist. Wir können eine solche fremde Religion als die Religion dieser fremden Gesellschaft oder Gemeinschaft konzeptualisieren. So ist der Islam lange Zeit als die „Religion der Türken" aufgefaßt worden. Bei Türken dachte man bis ins 20. Jahrhundert an eine feindliche politische Macht, während man heute zum Beispiel an ausländische Arbeitnehmer, also an etwas ganz anderes, denkt. Ähnlich spricht man auch vom Hinduismus als „der Religion der Inder", wobei man u. a. Menschen mit einer exotischen Kultur und geheimnisvollen Weisheit oder die indischen Untertanen des britischen Weltimperiums bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Sinn haben kann. Wir können eine fremde Religion aber auch unter einem Religionsbegriff fassen, der unserer eigenen — positiv oder negativ bewerteten — religiösen Tradition entstammt. So spricht man z. B. von „Heidentum" im Gegensatz zum Christentum, von „primitiver Religion" im Gegensatz zu westlicher Kultur und Religion, usw. Daraus ergibt sich, daß die Konzeptualisierungen fremder Religionen im gewöhnlichen Sprachgebrauch — anders als in der Religionsforschung — nicht aufgrund ihrer eigenen Aussagen und ihrer eigenen Kultur erfolgen. Solche Religionen werden vor allem aufgrund des Eindrucks, den sie auf uns machen, konzeptualisiert. Dies geschieht in Verbindung mit gewissen allgemeinen Begriffen und Vorstellungen über Religion, die in unserer eigenen Kultur bzw. Religion gängig sind. (4) Religion kann uns auch in Form eines Zeugnisses begegnen, durch das wir dazu angeregt oder aufgerufen werden, die Wahrheit, den Sinn oder die Wirklichkeit dieses Zeugnisses näher kennenzulernen, indem wir uns damit befassen, oder diese Wahrheit zu erleben, indem wir formell zu der betreffen-

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den Religion übertreten. Eine Religion kann eine Lösung für eine gegebene Problematik bieten oder eine Bewegung sein, an der wir teilnehmen möchten, weil sie neue Lebensimpulse oder Einsichten, eine neue Selbst- oder Gemeinschaftsverwirklichung oder ein neues Heil zu liefern verspricht. Bei der Anerkennung eines solchen Zeugnisses spielen menschliche Verhältnisse meistens eine wichtige Rolle. 3. Wie erforschen wir Religion? Die Interessen, die der Untersuchung von Religion und Religionen zugrundeliegen, und die Ansätze zu ihrer Erforschung sind nicht einheitlich. Sie hängen aufs engste mit den verschiedenen oben skizzierten Positionen zur Frage, was Religion ist, bzw. wie Religion uns begegnet, zusammen. Das Interesse am Studium und an der Erforschung anderer Religionen kann auf Intentionen zurückgehen, die einen religiösen Charakter haben und damit selbst in das Forschungsgebiet von Theologie und Religionswissenschaft fallen. Das Interesse kann aber auch auf Intentionen und Interessen beruhen, die mit Theologie nichts zu tun haben. Wir können fünf Hauptansätze in der Erforschung von Religion unterscheiden. l. Man kann Religion erforschen, indem man unabhängig von allgemeinen Religionstheorien eine rein faktenbezogene, strikt empirische Untersuchung religiöser Tatbestände vornimmt. Bei diesem Ansatz, den man den Ansatz des Spezialisten nennen könnte, ist es unwichtig, ob man persönlich positiv oder negativ zur eigenen bzw. zur fremden Religion steht; man vermeidet grundsätzlich jede Verallgemeinerung oder allgemeine Wertung. Dabei wird aber nicht nur die Frage der Wirklichkeit der Religion (s. oben S. 24) radikal ausgeklammert, sondern in der Regel auch darauf verzichtet, die Bezugnahme der Gläubigen auf diese Wirklichkeit in irgendeiner Weise zu rekonstruieren.

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I. Religion und Religionsforschung

Diesem Ansatz ist von Seiten der Wissenschaft einzig die Tatsache vorzuwerfen, daß er sich von anderen Ansätzen in den Literatur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften nicht unterscheidet und damit eigentlich nicht religionswissenschaftlich zu nennen ist. 2. Man kann Religion auch so erforschen, daß man die Bezugnahme des betreffenden Gläubigen auf die Wirklichkeit der Religion zwar in die Untersuchung einbezieht, sie aber wissenschaftlich als Illusion zu entlarven sucht. Dies geschieht meistens so, daß diese religiöse Bezugnahme völlig auf empirische Ursachen und Prozesse reduziert wird. Die Wirklichkeit der Religion bleibt als eine wissenschaftlich unhaltbare Hypothese grundsätzlich unberücksichtigt. Hinter diesem Ansatz steht also eine allgemeine, oft philosophisch geprägte Religionskritik. 3. Ein anderer Ansatz ist der, daß man die von den Gläubigen behauptete Wirklichkeit der Religion zwar in die Untersuchung einbezieht, sich aber nicht dazu äußert, ob der Glaube an diese Wirklichkeit eine Illusion ist oder auf Wahrheit beruht. Man ist bestrebt, durch die Erforschung verschiedener Zeugnisse, diesem Glauben und seinen Konsequenzen intellektuell näherzukommen. Bei diesem Ansatz wird also die Spiritualität der gegebenen Religion nicht ausgeklammert. Er wird häufig von Forschern verwendet, die — wie zum Beispiel einige Kirchenhistoriker — selbst der betreffenden Religion angehören, oder von interessierten Außenstehenden. Über die Art der Wirklichkeit der Religion lassen sich auf Grund der erforschten Zeugnisse wissenschaftlich hierbei aber keine Aussagen machen. 4. Der vierte Ansatz richtet sich nicht auf einzelne religiöse Tatbestände. Es wird vielmehr der Versuch unternommen, diese Tatbestände im Zusammenhang mit der gegebenen Gesellschaft oder Kultur zu deuten und sie auf dem Hintergrund

B. Einige allgemeine Begriffe in der Religionsforschung

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bestimmter soziopolitischer oder technologisch-wirtschaftlicher Entwicklungen verständlich zu machen. Wie beim ersten Ausgangspunkt kommt auch hier die Frage der Wirklichkeit der Religion überhaupt nicht oder nur am Rande vor. Daher ist auch dieser Ausgangspunkt kein eigentlich religionswissenschaftlicher, sondern eher Teil einer sozialgeschichtlichen oder sozialwissenschaftlichen Problemstellung. 5. Der fünfte Ansatz fragt nach den verschiedenen Weisen, in denen die Wirklichkeit der Religion in einer konkreten Religion erstrebt bzw. erlebt wird, und bezieht damit die bezeugte Wirklichkeit der Religion in die Forschung ein. Früher hat man dabei leider meistens die eigenen, im Westen entwickelten Vorstellungen über die Wirklichkeit der Religion in den Vordergrund gestellt. Man versuchte, die Wirklichkeit der Religion in anderen Kulturen und Religionen pauschal in Begriffen christlich-theologischer Prägung zu erfassen. Die heutige Religionsforschung, soweit sie diesen Ansatz verfolgt, bemüht sich dagegen, die in einer bestimmten Religion angestrebte Wirklichkeit der Religion in den Begriffen dieser Religion zu verstehen.

B. Einige allgemeine Begriffe in der Religionsforschung Im vorausgehenden wurde der Begriff „Religion" im Sinne des alltäglichen Sprachgebrauchs verwendet. In der Forschung sind jedoch genauere Begriffsbestimmungen notwendig. Deshalb soll zunächst auf den hier verwendeten Begriff des „religiösen Tatbestandes" und auf seine Qualifikation als „religiös" eingegangen werden. Anschließend wird eine vorläufige Bestimmung des Begriffs „Religion" versucht. Im nächsten Passus soll dieser Begriff im Zusammenhang mit den verschiedenen Forschungsweisen, die sich seiner bedienen, der geschicht3

Waardenburg

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I. Religion und Religionsforschung

lichen, vergleichenden, kontextuellen und hermeneutischen Forschungsweise, weiterentwickelt werden. /. Der Begriff des religiösen Tatbestandes Einen Tatbestand, der Bedeutung trägt und sinngebend wirkt, bezeichnen wir als ein Phänomen oder als eine Erscheinung. Das Wort „Erscheinung" weist daraufhin, daß etwas im Tatbestand „erscheint", sich zeigt, gegenwärtig wird. Das Interessante an einer bestimmten Erscheinung ist natürlich vor allem, daß sich etwas Sinnvolles zeigt, weiterhin aber auch, daß etwas sich in einer bestimmten Situation einer bestimmten Person oder Gruppe zeigt. Mit anderen Worten, jede Erscheinung, auch eine religiöse, zeigt sich bestimmten Menschen in einem bestimmten Kontext. Folglich erscheint ein Tatbestand nur bestimmten Menschen und in bestimmten Kontexten als religiös. Er wird nur innerhalb eines bestimmten Bezugrahmens von ihnen als eine religiöse Erscheinung erfahren bzw. aufgefaßt oder gedeutet. Er trägt dann für diese Menschen einen Symbol- oder Zeichenwert, der einen religiösen Charakter hat. Was verstehen wir nun unter „religiös"? Von der Antwort hängt es ab, wie wir zwischen religiösen und nichtreligiösen Tatbeständen unterscheiden, und letztlich, was wir überhaupt als „Religion" bestimmen. „Religiös" meint im Bereich der Forschung eine bestimmte Art von Bedeutung, die ein Phänomen haben kann, eine Bedeutung, die sich bestimmten Personen aufdrängt und für sie eine unbedingte, „absolute" Gültigkeit besitzt. Ein Tatbestand trägt immer verschiedene Bedeutungen; er kann sowohl religiöse wie auch andere Bedeutungen haben. Wir nehmen aber an, daß sich seine spezifisch „religiöse" Bedeutung von anderen, gleichzeitig vorhandenen Bedeutungen unterscheiden läßt, und zwar dadurch, daß die religiöse Gültigkeit die anderen überwiegt. Wenn ein religiöser Tatbestand wie immer zugleich auch ein sozialer Tatbestand ist, ist es zum Beispiel grundsätzlich möglich, die religiöse

B. Einige allgemeine Begriffe in der Religionsforschung

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Bedeutung von der sozialen zu unterscheiden. Andernfalls hätte es im übrigen auch keinen Sinn, überhaupt von einer religiösen Bedeutung zu sprechen. Wir möchten zwei Bedingungen formulieren, die ein Tatbestand erfüllen muß, um zu Recht „religiös" genannt werden zu können. Einmal ist ein Tatbestand nur dann als religiös zu bezeichnen, wenn ihm in seinem eigenen kulturellen Kontext eine religiöse Bedeutung zugesprochen wird. Ein und dasselbe Phänomen kann in der einen Kultur eine religiöse Bedeutung haben und in einer anderen nicht. Der kulturelle Rahmen entscheidet, ob ein Tatbestand „wirklich" religiös ist. Zum anderen ist ein Tatbestand nur dann auch „wirksam" religiös zu nennen, wenn er im Urteil des Forschers für die jeweils in Frage kommenden Menschen eine „letzte" Bedeutung, eine „absolute" Gültigkeit hat. Der Tatbestand wirkt dann sinngebend, vor allem durch seinen Verweis auf einen Bezugspunkt, der selbst Voraussetzung von Sinn ist. Um einen Tatbestand „religiös" nennen zu können, muß er also im eigenen kulturellen Rahmen als religiös betrachtet werden (also „wirklich" religiös sein) und auf etwas verweisen, das für die betreffenden Menschen grundsätzlich sinngebend wirkt (also „wirksam" religiös sein). Die Religionsforschung fangt bei religiösen Tatbeständen innerhalb spezifischer Kulturen an, d. h. bei Tatbeständen, die eine religiöse Bedeutung, Qualität oder Funktion für bestimmte Menschen und Gemeinschaften haben oder gehabt haben. Die Forschung beginnt also nicht mit den Religionen. Statt von geschichtlichen Religionen auszugehen und von ihnen her die zu ihnen gehörigen Tatbestände zu deuten, nehmen wir den präzisen, wissenschaftlich verantwortbaren Weg: wir suchen umgekehrt von den Tatbeständen her Rückschlüsse auf die Existenz und Eigenart von Religionen und ihre Bedeutung vorzunehmen. Wir müssen die Erforschung bestimmter religiöser Tatbestände notwendigerweise immer zuerst mit der Erforschung jener Ge-

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I. Religion und Religionsforschung

meinschaft verbinden, für die diese Tatbestände eine religiöse Bedeutung haben. Wenn die religiöse Bedeutung nicht von der gesamten Gemeinschaft anerkannt wird, müssen wir feststellen, für wen, bzw. für welche Menschen sie verbindlich ist. Grundsätzlich sind die religiösen Tatbestände immer im Zusammenhang mit den Menschen zu sehen, die mit ihnen zu tun haben und für die sie eine religiöse Bedeutung haben. Die Verbindung zwischen einer bestimmten Gemeinschaft und den für diese Gemeinschaft gültigen religiösen Tatbeständen ist der wesentlich sinnvolle Zusammenhang, aus dem sich für diese Gemeinschaft eine Religion konstituiert. Religiöse Tatbestände können auch außerhalb ihrer spezifischen Kulturen erforscht werden. Man kann sie nämlich auch als allgemeine menschliche Ausdrucksformen ansehen, die sich in den verschiedensten Gesellschaften und Kulturen finden und sich auf Fragen beziehen, die wir gemeinhin als „religiöse" Fragen bezeichnen. In diesem Fall gelangen wir zu einer anthropologischen Begriffsbestimmung religiöser Tatbestände. 2. Der Begriff der Religion als Problem Auch wenn es in der Religionsforschung nicht unbedingt notwendig ist, Religion zu definieren, hat es gewisse Vorteile, eine vorläufige Bestimmung an den Anfang zu stellen und sie im Laufe der Forschung zu präzisieren und womöglich zu verbessern. Eine solche Begriffsbestimmung eignet sich dann für die Forschung, wenn sie eine gegebene Religion nicht von ihrem geschichtlichen und sozialen Kontext abtrennt, sondern im Gegenteil ihre Erforschung im Rahmen ihres konkreten Kontextes vorantreibt und ihre Bedeutung innerhalb dieses Kontextes hervorhebt. Es gibt heutzutage eine Krise des Religionsbegriffes, nicht nur in der philosophischen Diskussion, sondern auch in der Religionsforschung selbst. Wie die Religionswissenschaftler WILFRED CANTWELL SMITH und GEORG SCHMID gezeigt haben,

B. Einige allgemeine Begriffe in der Religionsforschung

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ist nicht nur Religion als religiöse Wirklichkeit etwas Vielgestaltiges und Ungreifbares. Auch der Begriff der Religion, der in der westlichen Kultur entwickelt worden ist, ist unpräzis. Er ist mit westlichen philosophischen und theologischen Nebenbedeutungen belastet, die sich nicht nur im wissenschaftlichen Fachgebiet des Forschers, sondern auch in seinem persönlichen Bereich bemerkbar machen. Man müßte eigentlich jeden Forscher danach fragen, was er, erstens, begrifflich unter „Religion" versteht, und welche konkreten Tatbestände er, zweitens, als „religiös" oder als „Religion" bezeichnen würde. Ein einseitiger, an Europa orientierter und theologisch bestimmter Religionsbegriff hat auch zur Folge gehabt, daß man im Westen die anderen Religionen eigentlich nur innerhalb jener Grenzen wahrzunehmen und zu interpretieren vermochte, die durch die westlichen normativen Ideen über Religion gezogen waren. Demgegenüber brauchen wir einen Religionsbegriff, der der Pluralität der Kulturen gerecht wird und erlaubt, ihre Religionen als eigenständige Größen zu begreifen. Es läßt sich indes nachweisen, daß alle theoretischen Konzeptionen von Religion durch empirische Daten belegt werden konnten. Heißt das vielleicht, daß es keine empirisch festliegenden Religionen an sich gibt, daß es ,Religionen' nur für denjenigen gibt, der Religionen sehen, ihnen begegnen und sie erforschen will! Oder ist Religion in irgendeiner Hinsicht doch ein Phänomen, das für jedermann als ,Religion' in Erscheinung treten kann? Wir lassen die Frage hier offen. Fest steht, daß die Religionsforschung im empirischen Material meistens dasjenige wiederfand, was sie zuvor als Religion definiert und konzipiert hatte. Auch die vielen induktiv gewonnenen Religionsdefinitionen und -bestimmungen erweisen sich am Ende als mehr oder weniger willkürlich und nicht zwingend. Angesichts dieser Problematik, den Gegenstand der Religionswissenschaft zu bestimmen, würde es naheliegen, auf eine selbständige Religionswissenschaft einfach zu verzichten und sie entweder in empirischen Teildisziplinen — wie Geschichte,

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I. Religion und Religionsforschung

Literaturwissenschaft, Soziologie, Ethnologie — aufgehen zu lassen oder sie einfach der Philosophie oder der Theologie als Hilfswissenschaft zuzuordnen, denen sie empirisches Material liefern könnte. Demgegenüber schlagen wir einen anderen Weg vor, der an der Eigenständigkeit der Religionsforschung festhält. Er kommt in der Systematik dieses Buches selbst zum Ausdruck. Zuerst möchten wir wie angekündigt eine vorläufige Bestimmung des Religionsbegriffs vornehmen. 3. Ein vorläufiger Religionsbegriff: Religion als Orientierung Im folgenden wird versucht, einen vorläufigen Religionsbegriff zu bestimmen, der als Ausgangspunkt für die weitere Religionsforschung dienen soll. Wir begreifen Religion auf abstrakter Ebene vor allem als Orientierung, Religionen als eine Art Orientierungssysteme. Ein Orientierungssystem ermöglicht es dem Menschen, sich im Leben und in der Welt innerhalb und mittels eines sinngebenden Rahmens zurechtzufinden, zu ,orientieren'. Ein solcher Rahmen, der sich nicht nur auf Ideen, sondern auch auf das Handeln bezieht, ist für den Menschen die Voraussetzung dafür, sein konkretes Leben und die konkrete Welt, in der er sich befindet, sinnvoll ordnen bzw. aufbauen zu können. Auch Religionen sind als Orientierungssysteme, mit deren Hilfe sich der denkende und handelnde Mensch im Leben und in der Welt orientiert, anzusehen. Religionen sind jedoch Orientierungssysteme besonderer Art. Zum einen umfassen sie, wie wir gesehen haben, ganz spezifische Elemente, etwa die Vorstellung, daß es geistige Wesen gibt, mit denen man in eine Verbindung treten kann, und besondere Erfahrungen und Verhaltensweisen, die sich auf religiöse Kräfte und Zusammenhänge beziehen, die dem Leben und der Welt zugrundeliegen sollen. Dazu kommen für absolut gültig gehaltene Normen und Werte, die der Mensch befolgen muß, wenn er die vorge-

B. Einige allgemeine Begriffe in der Religionsforschung

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schriebene Ausrichtung ernst nimmt. Andererseits haben Religionen bestimmte jenseitige, unbedingt, ja absolut geltende Bezugspunkte, die sinngebend wirken. Religiöse Orientierungssysteme wirken aber nur dann, wenn ihre Sinngebung auch tatsächlich als objektiv, absolut geltend und somit evident hingenommen wird. Sie können dann auch selbst Veränderungen hervorrufen. Unter bestimmten Bedingungen kann es jedoch vorkommen, daß Religionen ihre religiöse Funktion verlieren und zu rein sozialen Systemen werden. Dieser Vorgang mag zum Teil von diesen Bedingungen abhängen, hat aber auch damit zu tun, daß die Menschen die Elemente ihres Orientierungssystems nicht mehr ohne weiteres akzeptieren. Sie erkennen die absolute Gültigkeit der Bezugspunkte nicht mehr an und hören daher auf, sich auf diese Bezugspunkte zu beziehen. Die betreffende Religion „wirkt" dann nicht mehr religiös. Umgekehrt können auch Orientierungssysteme, die keine Religionen sind und die sich von den existierenden Religionen sogar bewußt absetzen, eine religiöse Funktion erfüllen. Das geschieht z. B. dann, wenn bestimmte Ideologien oder Lebensstile für die betreffenden Menschen nahezu „absolut" wirken und wenn sie Elemente enthalten, die einen starken Symboloder Zeichenwert haben. In einem solchen Fall sind an und für sich nichtreligiöse Orientierungssysteme „religiös" wirksam. Wie gesagt sind Orientierungssysteme für den Menschen und für Gemeinschaften unerläßlich, um z. B. die eigene Stellung in der Welt, im Raum und in der Zeit, das richtige Verhalten und die Zukunftsmöglichkeiten einzuschätzen. Daran ist nichts Ungewöhnliches. Interessant wird es aber, wenn eine Sakralisierung auftritt und ein solches Orientierungssystem „religiös" wird, d. h. eine Bedeutung erhält, die als „absolut" hingenommen wird. Ein solches System hat für die menschliche Gesellschaft auch eine heilbringende Funktion, weil es das Unheil der Desorientiertheit aus der Welt schafft. Einige Religionen

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I. Religion und Religionsforschung

versprechen zudem noch ein spezielles Heil und sind als ,Heilsreligionen' zu betrachten. In der Religionsforschung werden die Religionen als kontingente menschliche, in der Geschichte und in der Gesellschaft auftretende Erscheinungen erforscht. Das Entstehen, Vergehen und Wiederaufleben von Religionen mit allen damit einhergehenden Umdeutungen ist eine Erscheinung, die in der gesamten Menschheitsgeschichte zu beobachten ist. Stellt Religion an und für sich vielleicht eine bestimmte, ganz eigenartige Art von Zeichensprache dar? Die Religionen wären dann Sondersprachen, die es zu erlernen gilt. Und die Elemente dieser Sprachen, ihre Phänomene, wären die religiösen Tatbestände, denen eine Unzahl von subjektiven Bedeutungen und Deutungen zukommt.

C. Systematik der Religionswissenschaft Wir haben gesehen, daß die Religionen bisher meistens vom Standpunkt einer vorausgehenden Konzeptualisierung der Religion beschrieben worden sind, und daß somit eine inhärente Beziehung zwischen Religionsbegriff und Religionsbeschreibung bzw. Religionsforschung besteht. Die Konsequenz daraus könnte sein, daß man die Religionswissenschaft nicht länger als selbständige Disziplin auffaßt und sie entweder in empirische Disziplinen überführt oder der Philosophie oder Theologie zuordnet. Die hier vorgeschlagene Lösung zeigt dagegen eine dritte Alternative: sie akzeptiert die Unmöglichkeit, eine allgemeine Definition der Religion für die Religionsforschung zu gewinnen, und versteht die Existenz verschiedener Ansätze innerhalb der Religionswissenschaft gerade als etwas Positives, da sie die Möglichkeit bieten, jeweils verschiedene Aspekte oder Querschnitte des Gebildes „Religion" zu erfassen. Die Religionsforschung erweist sich damit als ein eigenes Forschungsfeld und

C. Systematik der Religionswissenschaft

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betrachtet ihr Material unter ihr spezifischen Fragestellungen. Vier Ansätze sind dabei zu unterscheiden. 1. Der erste Ansatz, der auch der älteste empirische Ansatz in der Religionsforschung war, ist die geschichtliche Forschung, d. h. vor allem die Erforschung religiöser Texte und Schriften in der Geschichte. Er richtet sich in erster Linie auf die Rekonstruktion des geschichtlichen Verlaufs der überlieferten religiösen Vorstellungen und Verhaltensweisen; dies geschieht meistens im Rahmen größerer Traditionen, die im Laufe der Zeit bestimmte Entwicklungen durchgemacht haben. Religionen erscheinen bei diesem Ansatz als religiöse Traditionen größeren Umfangs, die sich geschichtlich bewährt und so eine geschichtliche Existenz gewonnen haben. Bisweilen kann ein historischer Anfang festgestellt werden, z. B. bei den sogenannten Stifterreligionen, aber auch dann erkennt man bei näherem Hinsehen, daß diesen Stiftungen selbst wieder eine bestimmte Tradition vorausging. Die Religionen, d. h. hier die religiösen Traditionen, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt haben, unterlagen fortwährenden Reinterpretationen, die auch zu Abzweigungen von Sekten und zur Gestaltung neuer Religionen geführt haben. Die geschichtliche Forschung zeigt die Religionen als etwas Geschichtliches, das selbst wieder Teil eines umfassenderen geschichtlichen Prozesses ist. Denn im geschichtlichen Prozeß gibt es eine unauflösbare Verbindung zwischen der Geschichte religiöser Einstellungen, Vorstellungen, Verhaltensweisen einerseits und der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Geschichte andererseits. Die geschichtliche Forschung kann auch in einer geschichtstheoretischen Perspektive ausgeführt werden. 2. Der Ausgangspunkt des zweiten Ansatzes, der vergleichenden Forschung, der ebenfalls auf eine längere Geschichte zurückblicken kann, ist das Interesse an der religiösen Erscheinungswelt. Die besondere Aufmerksamkeit gilt den Erschei-

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I. Religion und Religionsforschung

nungen, die sich als „religiöse" von den gewöhnlichen Erscheinungen unterscheiden. Hier erscheint die Religion als die Gesamtheit der Erscheinungen und Konstellationen, die für die betreffenden Menschen in irgendeiner Hinsicht heilig sind. Die Religion, hier verstanden als religiöse Erscheinungswelt, geht quer durch die Vielheit der Religionen hindurch. Die Erscheinungen selbst lassen sich unabhängig vom geschichtlichen Kontext und den konkreten sozialen Strukturen, in denen sie auftreten, klassifizieren und vergleichen. Wir haben es dann mit einer vergleichenden Forschung zu tun, die unterschiedlich — typologisch, phänomenologisch, morphologisch, modellartig — ausgerichtet sein kann. Eine Religion erscheint hier als ein Gebilde, das sich aus verschiedenen Elementen, d. h. religiösen Tatbeständen, zusammensetzt. Der vergleichende Ansatz kann auch zu weiteren theoretischen Annahmen über die Religion führen. 3. Der dritte Ansatz geht davon aus, daß ein Tatbestand wissenschaftlich erst interessant wird durch den Gesamtkontext, in dem er. auftritt. Eine solche kontextuelle Forschung kann erst dann durchgeführt werden, wenn bereits ein gewisses Maß an Kenntnissen über eigene und fremde Gesellschaften und Kulturen vorhanden ist. Je nachdem, ob man verschiedene Schichten, Strukturen und Funktionen unterscheidet, erscheint die Religion als eine Funktion, ein Überbau oder eine Grundstruktur innerhalb der Gesellschaft und Kultur. Das Interesse richtet sich hier vor allem auf die wirtschaftlichen und politischen, sozialen und kulturellen Funktionen von religiösen Einstellungen, Vorstellungen und Verhaltensweisen unter ganz bestimmten Umständen. Es geht hier also in erster Linie um die nicht-religiösen Aspekte religiöser Tatbestände; damit ist diese Art der Religionsforschung eine wesentlich soziologische, ethnologische und kulturanthropologische Forschung, die sich schwerpunktmäßig mit religiösem Material befaßt. Religiöse Tatbestände werden vom Kontext her erforscht. Bestimmte, in verschiedenen

C. Systematik der Religionswissenschaft

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Kontexten auftretende Phänomene können miteinander verglichen werden. Auf einer theoretischen Ebene können z. B. die Funktionen verschiedener Religionsformen in bezug auf infrastrukturelle Gegebenheiten — und umgekehrt — untersucht werden. 4. Religion kann aber auch von einem hermeneutischen oder „auslegenden" Ansatz her erforscht werden. Dieser vierte Ansatz fragt nach der Bedeutung, die religiöse Tatbestände und Religionen vor allem innerhalb einer bestimmten religiösen Tradition unter konkreten geschichtlichen und sozialen Umständen für eine gegebene Gemeinschaft, Gruppe oder Person gehabt haben oder noch immer haben. Er kann sich auch den allgemeineren Bedeutungen zuwenden, die religiöse Phänomene anthropologisch über die jeweilige geschichtliche Tradition hinaus haben. Dieser Ansatz richtet sich weniger auf den objektiven geschichtlichen Hintergrund, die Vielfältigkeit religiöser Einzelerscheinungen oder den äußeren sozialkulturellen Rahmen, in dem eine Religion oder ein religiöser Tatbestand vorkommt — obwohl dies alles in Betracht gezogen werden muß —, als vielmehr auf die von und in ihr vermittelten Sinngebungen. Religion erscheint hier wie Kunst und Literatur als eine geistige Äußerung des Menschen. Dieser drückt sich — immer in einer ganz bestimmten Situation — in bezug auf einen Totalzusammenhang aus. Dies geschieht aber auf dem Hintergrund einer bestimmten Tradition und muß deshalb auch vor allem im Zusammenhang mit dieser Tradition verstanden werden. Eine solche religiöse Äußerung, die auch als eine indirekte Äußerung über den Menschen selbst gedeutet werden kann, also anthropologischen Wert hat, hat verschiedene besondere Merkmale. Sie ist z. B. nicht rein feststellender Natur, sondern verweist auf etwas jenseits des empirisch Gegebenen, auf das der Mensch Bezug nehmen muß, um keine Fehler zu machen, bzw. um seine Bestimmung erreichen zu können. Diese Bezug-

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I. Religion und Religionsforschung

nähme wird von der betreffenden Gemeinschaft als etwas Unabdingbares angesehen, nicht nur für den betreffenden Menschen selbst, sondern grundsätzlich für alle Menschen. Die Menschheit wird dabei oft durch das eigene Volk oder die eigene Gemeinschaft repräsentiert gedacht. Die hermeneutische Erforschung religiöser Tatbestände stellt solche Tatbestände fest und legt ihre verschiedenartigen Bedeutungen offen. Die hermeneutische Erforschung von Religionen, seien es explizit artikulierte oder implizite, hat das gleiche Ziel: sie versucht, Religionen festzustellen und ihre Bedeutungen offenzulegen. Religiöse Tatbestände werden von verschiedenen Gruppen innerhalb einer Tradition unterschiedlich verstanden und angewandt, was übrigens gerade ihren sinngebenden Charakter zeigt. Dasselbe gilt für die Religionen, die von verschiedenen Personen und Gruppen in ganz unterschiedlicher Weise gedeutet werden können. Dabei spielen nicht nur die immer neuen Umstände, sondern auch die wechselnden Intentionen und Interessen der Interpreten eine zentrale Rolle. Die Deutung von Leben und Welt geschieht mit Hilfe der zeichenartigen Hinweise, die die Religion bereitstellt. Für die hermeneutische Forschung sind die Religionen Zeichensysteme, welche die Wirklichkeit deuten. Bei diesem Ansatz erscheint Religion nicht als eine Gegebenheit neben vielen anderen Gegebenheiten, sondern als ein Instrument, das dem Menschen bestimmte Einsichten und Handlungsweisen ermöglicht. Auf der theoretischen Ebene erscheint Religion bei einer hermeneutischen Erforschung als geistiger Gehalt, da sie auf eine universale Wahrheit über das Menschsein und die Wirklichkeit verweist. Die vorgeschlagene Religionsforschung untersucht die Religion also unter verschiedenen Gesichtspunkten. Man könnte sogar sagen, es seien verschiedene Religionsbegriffe, die an der Geschichte, an der Erscheinungswelt, am Gesamtkontext und am geistigen Inhalt und Sinn ausgerichtet sind. Auf diese Weise können bei jedem Religionsgebilde methodisch mindestens vier

D. Zur Forschungsgeschichte der Religion

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verschiedene Aspekte offengelegt und erforscht werden: ein diachronisch-geschichtlicher Aspekt, ein deskriptiv-phänomenologischer Aspekt, ein kontextuell-sozialwissenschaftlicher Aspekt und ein hermeneutisch gewonnener Bedeutungs- oder Sinnaspekt. Ein Vorteil dieser multiperspektivischen Annäherung ist, daß Verabsolutierungen von vornherein ausgeschlossen sind, etwa die, daß Religionen „lediglich" geschichtliche Größen seien (religionsgeschichtlicher Historismus), oder Zusammensetzungen fremdartiger Phänomene (religiöser Phänomenologismus), oder nur sozial relevante Gebilde (zur Legitimation bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse), oder nur geistige Größen (idealisierende, mystifizierende und gnostisierende Religionstheorien). Weitere Vorteile treten bei der Behandlung der vier Ansätze zutage.

D. Zur Forschungsgeschichte der Religion /. Die Anfänge

Obwohl es in verschiedenen Kulturen — wie im Altertum bei Griechen und Römern und im Mittelalter im Christentum und Islam — Beschreibungen fremder Religionen gab, hat die kritische Erforschung von Religion und Religionen eigentlich erst im 18. Jahrhundert in Europa begonnen. Infolge der Entdeckung neuer Länder und Völker sowie von Texten und anderen Zeugnissen längst vergangener Kulturen und Religionen erschlossen sich neue Materialien. Und zugleich waren durch die Aufklärung die Voraussetzungen dazu geschaffen worden, Religion in einer neuen Weise zu thematisieren. So entstand ein Religionsbegriff, der sich nicht nur auf die endgültige Wahrheit der eigenen Religion oder die ewigen Wahrheiten der Religion überhaupt richtete, sondern der sich auch, obwohl in ethnozentrischer Weise, für die Beschreibung gegebener religiöser Tatbestände eignete. Es wurde der Versuch unternom-

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I. Religion und Religionsforschung

men, Religion rational zu fassen; durch das Objektivieren von Religion eröffnete sich grundsätzlich die Möglichkeit, sie empirisch zu erforschen. Die Aufklärung hat also Pate gestanden bei der Geburt der Religionswissenschaft, die sich zunächst zu einer theologischen Hilfsdisziplin entwickeln sollte. Hinzu kamen, wie gesagt, Impulse von anderen Seiten: die Entdeckung fremder Völker und Kulturen, die Erforschung alter Schriften und Sprachen, die Entdeckerfreude und die allgemeine Wissenschaftsentwicklung im Europa des 19. Jahrhunderts. Entscheidend war ferner die Entwicklung des historischen Denkens, das nicht nur der Weltgeschichte — also der gesamten Menschheit und ihren Religionen — , sondern auch den partikularen Geschichten verschiedener Völker und Kulturen galt. Damit konnte auch Religion als geschichtliche Wirklichkeit aufgefaßt und erforscht werden. Zwei weitere Geistesrichtungen haben auf die neue Disziplin, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem mit der Mythologie befaßte, einen beträchtlichen Einfluß ausgeübt: die Romantik und die Projektionslehre. Die Romantik betonte den irrationalen, ja übernatürlichen Charakter aller seelischen religiösen Inspiration. Die Möglichkeit, die Äußerungen einer solchen Inspiration zu verstehen, glaubte man durch das Seelenleben des Forschers gegeben, der durch eigene Empathie, eigenes Mitempfinden und eigenes Hineinleben grundsätzlich Zugang zu allen religiösen Erscheinungen habe. Man schloß aus dem Gefühls vermögen der menschlichen Seele auf die Konvergenz allen religiösen Erlebens. Durch das Nacherleben der Inhalte ihrer Äußerungen glaubte man, jede Religion, auch die räumlich und zeitlich entfernteste, verstehen zu können. Im Gegensatz dazu betonte die Projektionslehre, wie sie im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, den wesentlichen Illusionscharakter religiöser Phantasmagorien. In ihrem Gefolge wurden verschiedene Erklärungen für ein solches Projizieren, also auch für das Entstehen von Religion, vorgebracht. Man

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forderte, daß religiöse Vorstellungen und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit den realen, vor allem sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die ihrer Entstehung zugrunde liegen sollten, erforscht werden müßten. Während die eine, religionsbejahende Richtung in der Religionsforschung Religion als Bewußtsein des Unendlichen, d. h. einer gegebenen unendlichen Wirklichkeit, zu erfassen versuchte, hat die andere, religionskritische Richtung den umgekehrten Weg eingeschlagen und die Religion von der Unendlichkeit des Bewußtseins des gegebenen Menschen her zu erfassen versucht. Hinter der Religionswissenschaft stand die Religion selbst zur Debatte. Die großen Vertreter dieser beiden Geistesrichtungen jener Zeit sind einerseits FRIEDRICH SCHLEIERMACHER (1768 — 1834) und GEORG W. F. HEGEL (1770-1831), die die Religion auf theologisch-metaphysischer Grundlage zu fassen versuchten, und andererseits LUDWIG FEUERBACH (1804 — 1872) und KARL MARX (1818 — 1883), die beide eine Entlarvung der Religion von einer anthropologischen bzw. ökonomischen Grundlage aus anstrebten. Das Abhängigkeitsgefühl, das von SCHLEIERMACHER und anderen als wesentlich für die Religion angesehen worden war, wurde von MARX auf ein Abhängigkeitsbewußtsein, das von der sozialen Macht der äußeren Verhältnisse erzeugt war, zurückgeführt. Und während nach SCHLEIERMACHER die Vertiefung und Reinigung des Abhängigkeitsgefühls der Menschheit die wahre Richtung in die Zukunft zeigen sollten, proklamierte MARX, daß mit der Aufhebung irdischer Abhängigkeiten auch die phantastischen überirdischen Widerspiegelungen, als die er Religion sah, aufgehoben sein würden. Die beiden Positionen wurden innerhalb der Religionswissenschaft in einer religionsapologetischen und einer religionskritischen Ausrichtung weitergeführt. Obwohl sich die wenigsten Forscher ausdrücklich zur einen oder anderen Richtung bekannt haben, standen die meisten doch der ersteren nahe.

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I. Religion und Religionsforschung

Bestimmte Wissenschaftslehren und Theologien, wie Phänomenologie und liberale Theologie, haben die religionsapologetische Richtung verstärkt, andere wie Positivismus und dialektische Theologie, die religionskritische Richtung. Wir haben hier vor allem die ersten Anfange der Religionswissenschaft in der deutschen Geistesgeschichte beleuchtet. In anderen Ländern wurden andere Akzente gesetzt. 2. Wissenschaftsentwicklung und Religionswissenschaft Die Religionsforschung verdankt viele Anstöße den Erkenntnissen, die verschiedene andere Wissenschaften in den beiden letzten Jahrhunderten erarbeitet haben. Sie lassen sich in vier Wissenschaftsbereiche zusammenfassen. 1. Die Entwicklung von Grundgesetzen der Natur und des menschlichen biologischen Verhaltens in den Naturwissenschaften lieferte der Religionsforschung ein Modell für die allgemeine Erklärung religiöser Tatbestände. Neben den eher philosophischen Erklärungen, die mit Begriffen wie Projektion und Entfremdung arbeiteten, suchte man nach allgemeinen, empirisch feststellbaren Regeln und Gesetzen, mit deren Hilfe religiöses Verhalten und Religion überhaupt erklärt werden konnten. Biologie und Ätiologie, Physiologie und zum Teil auch Psychologie sahen Religion zwar als faktisch wichtig, doch grundsätzlich als epiphänomenal und marginal an, auch wenn der Nachweis einer endgültigen Erklärung der Religion nicht geliefert werden konnte. 2. Den Geisteswissenschaften ist die Religionsforschung insofern verpflichtet, als diese die Voraussetzungen entwickelten, aufgrund derer die philologische Erforschung religiöser Texte und das weitere Studium religiöser Literatur überhaupt erst möglich wurde. In den Geisteswissenschaften wurden auch die Methoden der Geschichtsforschung erarbeitet, die es u. a. mit sich brachten,

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daß die Religionsgeschichte schon im 19. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Disziplinen innerhalb der gesamten Religionsforschung wurde, wenn sich auch bestimmte Methoden und die Ansichten über geschichtliche Kausalität und Forschung im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verändert haben. Im geisteswissenschaftlichen Bereich liegen auch die Wurzeln der Hermeneutik, die in den religionswissenschaftlichen Deutungen religiöser Tatbestände und der Religionen überhaupt eine wichtige Rolle spielt. Dabei stellt sich immer wieder das Problem der Voraussetzungen jeder Religionsforschung und jedes Religionsforschers, eine Problematik, der man vor allem in der Religionsphänomenologie begegnet. In Anlehnung an die Geisteswissenschaften, in denen Religion, Kunst und ähnliche Kulturäußerungen als selbständige Werte und Bereiche angesehen wurden, konnte man auch in der Religionsforschung dazu übergehen, größere Problembereiche ins Auge zu fassen und z. B. eine ganze Religion und nicht nur Teile davon wissenschaftlich zu untersuchen. Man hat auch versucht, Querschnitte durch die verschiedenen Religionen zu erarbeiten und Phänomene und Probleme herauszustellen, die verschiedenen Religionen gemeinsam sind. Vor allem in der sogenannten „verstehenden" Richtung der Religionswissenschaft strebte man danach, Religion aus sich selbst heraus zu verstehen und sie nicht auf Nicht-Religiöses zu reduzieren. Die Religion wurde dabei meistens als eine eigene, autonome Wirklichkeit angesehen, die von der Realität des Heiligen geprägt ist. 3. Die Entwicklung der Sozialwissenschaften hat zunehmend an Bedeutung für die Religionsforschung gewonnen. Wo Religion im Kontext einer gegebenen konkreten Gesellschaft oder Kultur erforscht wurde, synchron in der Gesamtsituation dieser Gesellschaft oder Kultur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, wurden neue Zusammenhänge und Abhängigkeiten sichtbar. Es sollen hier einige Beispiele genannt werden, wobei 4

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I. Religion und Religionsforschung

allerdings auf die eher mechanistischen Auffassungen von KARL MARX nicht eingegangen wird. W. ROBERTSON SMITH (1846-1894) hat auf die Rolle von sozialen Institutionen und Ritualen in der Religion hingewiesen. EMILE DURKHEIM (1853 — 1917) zeigte den „Regulierungscharakter" jedes sozialen Verhaltens, wobei er das religiöse Verhalten und Handeln nur als eine Sonderform des sozialen Handelns im allgemeinen auffaßte. Wichtig ist auch DURKHEIMS Grundthese der Priorität kollektiver Vorstellungen über individuelle Vorstellungen und individuelles Verhalten, und überhaupt die Herleitung kollektiver Vorstellungen aus kollektiven Handlungen. Auch LUCIEN LEVY-BRUHL (1857 — 1939) vertrat in seinen Arbeiten über die „Primitiven" die Ansicht, daß Kollektivvorstellungen die Mentalität des Individuums bestimmen. Diesem französischen „soziologischen" Ansatz stand zur gleichen Zeit in den angelsächsischen Ländern die Betonung des individuellen Bewußtseins im Rahmen der gegebenen sozialen Einstellungen gegenüber. In Deutschland hat MAX WEBER (1864-1920) vor allem die subjektive Sinnhaftigkeit menschlichen Handelns betont und darauf hingewiesen, daß verschiedene soziale Schichten Träger bestimmter Formen von Rationalität sind und daß sie demgemäß unterschiedliche religiöse Neigungen aufweisen. Für ihn ist das religiös motivierte Handeln primär nicht jenseitig, sondern diesseitig ausgerichtet, und nicht irrational, sondern allenfalls relativ rational bestimmt. Der Massenreligiosität, der es um das Heil in der Welt geht, stellt er die sogenannte Virtuosenreligiosität gegenüber, die nur nach einem außerweltlichen Heilsgut strebt. Für WEBER ist der Akt der Sinngebung zentral; seine Erkenntnisse dazu und seine Ansichten über Sakralisierung und Säkularisierung haben bis heute fortgewirkt. In den letzten fünfzig Jahren ist eine gewaltige Entwicklung der Sozialwissenschaften zu beobachten, zu der nicht zuletzt die amerikanische Forschung entscheidend beitrug.

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4. Neben den Sozialwissenschaften muß auch der Einfluß der Tiefenpsychologie auf die Relgionswissenschaft und ihre Entwicklung erwähnt werden. Schon R. R. MARETT (1866 — 1943) sah Religion als eine Umsetzung von emotionalen Spannungen in symbolische Ersatzhandlungen, die psychologisch eine kathartische Funktion haben. Im deutschen Sprachgebiet hat SIGMUND FREUD (1856 — 1939) die Auffassung, daß Religion eine Ersatzhandlung sei, weiterentwickelt und angewandt. Im Rahmen seiner psychoanalytischen Forschung suchte er nach den Gründen von Phantasmagorien und religiösen Vorstellungen, die er in einer unterdrückten Libido sah. G.G. JUNG (1875-1961) hat in der Schweiz diese Ansätze erweitert und religiöse Funktionen im kollektiven Unbewußten aufgedeckt. Die Seele besitzt seiner Ansicht nach eine natürliche religiöse Funktion, die auf die Wirkung sogenannter Archetypen zurückgeht. Damit setzt er Religion in Beziehung zu tiefliegenden seelischen Vorgängen; die unbewußten Inhalte werden durch Lehre und Ritus im äußeren Leben bewußt kanalisiert und fruchtbar gemacht. Die Entwicklung der Religion in der Menschheit und im einzelnen Menschen wäre nach JUNG letztlich von den Gesetzen der psychischen Individuation her zu verstehen. Es zeigt sich also, daß die Religionsforschung auch nach der Entstehung der Religionswissenschaft als Disziplin in hohem Maße durch den allgemeinen Fortgang der Wissenschaften gefördert wurde. Viele wichtige Entdeckungen der Religionsforschung sind nicht innerhalb der Disziplin der Religionswissenschaft, sondern in den Natur-, Geistes- oder Sozialwissenschaften gemacht und dann in der Religionswissenschaft verarbeitet worden. 3. Die Entwicklung theologischer und religionswissenschaftlicher Fragestellungen Die Entwicklung der Religionswissenschaft im deutschen Sprachbereich ist in ihrem Verhältnis zur gleichzeitigen Theologiegeschichte hier kurz in der folgenden Weise zu skizzieren.

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a) Die Zeit vor dem ersten Weltkrieg Die historische Erforschung der Bibel und der Kirchengeschichte führte bekanntlich im 19. Jahrhundert zu einer scharfen wissenschaftlichen Kritik an den Ansprüchen der herkömmlichen Formen des Christentums. Mit ihrem gelegentlichen Zweifel an der geschichtlichen Existenz Jesu und deren Erkennbarkeit traf diese Kritik auch die Grundlagen der christlichen Religion. Darüber hinaus zeigten die neu erworbenen Erkenntnisse über die Mythologie, über die Religionen der Umwelt der biblischen Religion und über die anderen großen Religionen ganz deutlich, daß das Christentum nur eine unter vielen Religionen war und daß es sich auch unter dem Einfluß anderer Religionen entwickelt hatte. So entstand ein Konflikt zwischen der Religionswissenschaft und dem traditionellen Christentum, der namentlich durch die neuen naturwissenschaftlichen und biologischen Erkenntnisse, die die herrschende religiöse Tradition widerlegten, zu einem grundsätzlichen Konflikt zwischen Wissenschaft und Glauben beitrug. In der theologischen Reflexion entwickelten sich daraufhin neue Impulse, um den neuen religionswissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. In einzelnen Fällen wurden die neuen Erkenntnisse von einer „unwissenschaftlichen" Theologie einfach im Lichte von Offenbarungsgegebenheiten oder der kirchlichen Lehre verneint. Sofern die neuen Erkenntnisse akzeptiert wurden, wurde aber ihre tatsächliche Bedeutung von der systematischen Theologie nahezu immer herabgespielt, was weiter dazu führte, daß Theologie und Religionsforschung voneinander getrennt wurden. Die Akzeptierung wissenschaftlich festgestellter empirischer Wahrheiten konnte aber auch zu neuen theologischen Ansätzen führen. In der deutschen Theologie rückte die Frage des religiösen Bewußtseins und der religiösen Veranlagung, sowie das Problem der Stellung des Christentums innerhalb der Religion überhaupt und in seinem Verhältnis zu den anderen Religionen immer mehr in den Vordergrund.

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So betrachtete ALFRED RITSCHL (1822-1889) die Religion vor allem als ethische Aktivität, und er sah den Wert des christlichen Glaubens darin, die geistig-moralische Autonomie des Menschen zu gewinnen und zu behaupten. Darin bestand für ihn gerade die Überlegenheit des Christentums über andere Religionen. OTTO PFLEIDERER (1839—1908) forderte seinerseits eine Gesamtschau aller geschichtlichen Religionen, um so zu einem wissenschaftlich begründeten Begriff des religiösen Bewußtseins kommen zu können. Für ihn war dieser Begriff mit der Universalität des Gottesgedanken verbunden. ERNST TROELTSCH (1965 — 1923) entwickelte den Begriff des mit der menschlichen Natur gegebenen sogenannten religiösen Apriori im Menschen, worunter er die angeborene Ahnung eines Absoluten sowie eine Präsenzempfindung des Göttlichen verstand. Nach TROELTSCH hatten sich die Religionen in ihrer Vielfältigkeit aus verschiedenen Verwirklichungen dieses gemeinsamen religiösen Apriori entwickelt. Der Religion als einer empirischen Verwirklichung des religiösen Apriori käme eine qualitative Selbständigkeit zu. TROELTSCH hat als Historiker das Problem der Stellung des Christentums in der Religionsgeschichte klar gesehen und eine Lösung angestrebt, die dem Christentum auf Grund seiner ethisch-religiösen Verwirklichungen eine „relative Absolutheit" unter den Religionen zuerkannte. Die großen Fragen der Religionswissenschaft, namentlich in Deutschland, waren zum Teil aus der philologisch-kritischen Erforschung der Bibel und ihrer Beziehungen zur Umwelt erwachsen. Ein Beispiel sind die Forschungsansätze der sogenannten „religionsgeschichtlichen Schule" (S. 76). Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sind die „großen" Fragen in einem beträchtlichen Maße aus der Theologie bzw. aus der christlichen Tradition hervorgegangen. Bei den Forschern, die sich mit Einzelfragen befaßten, überwog dagegen eine mehr empirische Einstellung. Die Erforschung der Mythologie im 19. Jahrhundert befaßte sich vornehmlich mit Fragen der „natürlichen", d. h. in der

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I. Religion und Religionsforschung

Natur gegebenen Offenbarung und der symbolischen Gestaltung von Antworten auf bestimmte religiöse „ewige" Fragen. Auch die Deutung der religiösen Entwicklung in der Geschichte, als eine Reinigung der Religion von nichtreligiösen Elementen, wie sie C. P. TIELE (1830-1902) vertrat, war letztlich theologisch begründet. Theologisch geprägt war auch die Frage nach dem Ursprung der Religion. Anfangs war sie zudem mit der theologisch bedeutsamen Frage nach dem Wesen der Religion eng verbunden. Diese gewann jedoch eine gewisse Selbständigkeit in der vergleichenden Religionsforschung, von der man unter anderem mehr über das Wesen der Religion zu erfahren hoffte. Auf katholischer Seite wurde die Religionswissenschaft vielfach als Teil der Religionsphilosophie, die ihrerseits wieder in Theologie einmündete, betrieben. Hier ist die theologische Frage des natürlichen Gottesbewußtseins von Forschern wie WILHELM SCHMIDT (1868 — 1954) auf die religionswissenschaftliche Frage der Stellung des Monotheismus in der Religionsgeschichte übertragen worden. Die Übertragung theologischer Fragestellungen auf die Themen der Religionswissenschaft, soweit letztere religionsbejahend war, verdankt sich nicht allein der Stellung, die die Theologie in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg innerhalb der Wissenschaften und generell in der westlichen Kultur innehatte. Sie hat auch mit dem für die damalige Theologie charakteristischen starken Kulturinteresse und ihrer Offenheit zu tun. Dazu kommt, daß die Religionswissenschaft ja meistens von Theologen und größtenteils, oft in Verbindung mit der Missionskunde, auch innerhalb der theologischen Fakultäten betrieben wurde. Auch heute noch ist es eher die Ausnahme, daß die vergleichende Religionsgeschichte ein selbständiges Fach innerhalb der deutschen theologischen Fakultäten darstellt. Die Fragen der religionskritischen Richtung in der Religionsforschung waren natürlich völlig andere. Hier kam es darauf an, den „wirklichen" Ursachen alles Religiösen auf die Spur zu kommen. Religion galt als bloßes Epiphänomen. Diese

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Richtung war im genannten Zeitraum in keiner der theologischen Fakultäten vertreten. b) Die Zeit zwischen den zwei Weltkriegen Für die Verbindung zwischen theologischen und religionswissenschaftlichen Fragestellungen in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen ist vor allem in Deutschland die Wirkung verschiedener theologisch ausgebildeter Religionswissenschaftler bedeutsam gewesen. NATHAN SÖDERBLOM (1866 — 1931) sah als Kennzeichen aller echten Religion ihre Heiligkeit und absolute Verbindlichkeit. Seiner Ansicht nach tragen alle Religionen diese Kennzeichen; daher bilden sie eine Einheit und sind „Religion". Die verschiedenen Religionen gewinnen eine eigene Geschichte, insoweit sie eine eigene Gemeinschaft bilden. Die Religion ist aber mehr als die Geschichte und übersteigt sie: die Mystik z. B. steht völlig außerhalb der Geschichte, während die Propheten sie umgekehrt als Teil der Religion ansehen, da die Geschichte von ihnen als Handeln Gottes gewertet wird. SÖDERBLOM unterscheidet in der Religionsgeschichte also deutlich zwischen mystischer Religion und prophetischer Religion. Für SÖDERBLOM galt auch, daß der Religionshistoriker imstande sei, in den Religionen die Wirkung der einen göttlichen Wirklichkeit wahrzunehmen, sei es als göttliche Selbstmitteilung, sei es als Gottinnigkeit. Unter dieser Voraussetzung trat für SÖDERBLOM die allgemeine Religionsgeschichte an die Stelle der natürlichen Theologie, und die Religionsgeschichte wurde zu einem theologischen Fach. Wichtig für diese Zwischenzeit ist auch die Wirkung RUDOLF OTTOS (1869 —1937).' Er baute TROELTSCHS Lehre des religiösen Apriori im Sinne des religiösen Gefühls theologisch aus und 1

Z. B. durch sein Buch Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (Breslau 1917 usw.).

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I. Religion und Religionsforschung

steht somit in der Tradition SCHLEIERMACHERS. Auf der Grundlage des religiösen Gefühls sei es möglich, die religiösen Erscheinungen in ihrer Vielfalt doch als eine Einheit zu verstehen. Diese Einheit der Religion und alles Religiösen ist für OTTO mit der Kategorie des Heiligen, die er neben den kantischen Kategorien des Wahren, Guten und Schönen als dem Menschen eingeboren auffaßt, systematisch gegeben. Das Heilige existiert nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv und wird im religiösen Erlebnis des „Numinosen" als etwas ganz anderes, ja als das ganz Andere erfahren. Für RUDOLF OTTO scheint also das spontane religiöse Erlebnis eine ähnliche Selbständigkeit zu besitzen wie das ethische und ästhetische. Es unterscheidet sich von anderen Erlebnissen durch spezifische Gefühlsreflexe und vor allem durch das dabei zum Vorschein tretende „Kreaturgefühl" des Menschen. Dem religionswissenschaftlichen Forscher fällt letztlich die Aufgabe zu, durch eine Divination in der erforschten religiösen Erscheinung das Heilige zu erkennen. OTTO gründete das Vermögen dieser Divination auf das religiöse Apriori. Durch die Divination hat man Zugang nicht nur zu den Ausdrucksformen religiöser Erlebnisse in der eigenen Religion und in anderen Religionen, sondern auch zum Grund dieser Erlebnisse selbst, d. h. zum Heiligen. Der Begriff des Heiligen in der Religionsforschung wäre nach OTTO theologisch als der Begriff des Göttlichen zu fassen. Es ist wesentlich nicht-rational, wird aber vor allem in der Theologie rationalisiert. Die irrationalen Aspekte verschwinden damit aber nicht und machen sich im religiösen Erlebnis wieder geltend. In eben diesem Zusammenhang soll auch GERARDUS VAN DER LEEUW (1890 — 1950) erwähnt werden. Er ist als Religionsphänomenologe neoromantischer Prägung bekannt, der das Verstehen eines religiösen Phänomens als ein Erlebnis auffaßte, das der Forscher bewußt herbeiführen muß. So wie SÖDERBLOM die allgemeine Religionsgeschichte, hat VAN DER LEEUW die Phänomenologie der Religion an die Stelle der natürlichen

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Theologie gestellt. Diese entwickelte er als eine theologische Disziplin, und zwar als eine Zwischenphase der „tatsachenerfassenden" philologischen und historischen Theologie einerseits und der „wahrheitdurchleuchtenden" dogmatisch-systematischen Theologie andrerseits. Als „verstehende" Wissenschaft sucht die Phänomenologie in der bunten Welt der religiösen Erscheinungen Sinnstrukturen und Sinnzusammenhänge festzulegen. Die Religion wird von VAN DER LEEUW als eine Konfrontation des Menschen mit der Macht, die sich ihm kundtut, also als eine Grenzsituation menschlicher Existenz, verstanden. Wie für SÖDERBLOM und RUDOLF OTTO setzt die Religion auch für VAN DER LEEUW Offenbarung voraus. VAN DER LEEUW hat sich neben der Religionsgeschichte und der Phänomenologie auch intensiv um das Studium der religiösen Kunst und der Liturgie bemüht.2 Bis in die Nachkriegszeit hinein reicht die Wirkung FRIEDRICH HEILERS (1892-1967), der wie SÖDERBLOM, R. OTTO und VAN DER LEEUW eine theologische Religionsauffassung vertrat. Wie die drei anderen war er Theologe und Geistlicher. In der Vielheit der Religionen sah HEILER die wesentliche Einheit der auf göttlicher Gnade beruhenden, überall vorkommenden religiösen Erfahrung und der transzendenten Wirklichkeit. Für HEILER geht die Einheit der Religionen letztlich auf die Einheit der göttlichen Offenbarung, d. h. auf die Einheit der Wahrheit, zurück; erstere wird durch letztere konstituiert. Das Wesen der Religion sowie das Wesen jeder gegebenen Religion soll aus ihren höchsten und reinsten Äußerungen abgelesen werden, wofür Heiler bestimmte Kriterien gibt. Jede 2

Zu Van der Leeuw s. JAN HERMELINK, Verstehen und Bezeugen. Der theologische Ertrag der „Phänomenologie der Religion" von Gerardus van der Leeuw (München 1960), und JACQUES WAARDENBURG, „Gerardus van der Leeuw as a Theologian and Phenomenologist", in: Reflections on the Study of Religion (Den Haag 1978), S. 187-247.

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Religion hat die Aufgabe, ihren besonderen Wert in reinster Form zu verwirklichen, in der Erkenntnis der in göttlicher Offenbarung gegebenen Einheit aller Religion. Gegenüber KARL BARTH betonte HEILER, daß Religion nicht „aufgehoben", sondern „vollendet" werden soll. Wie SÖDERBLOM für die Ökumene der christlichen Kirche, haben sich RUDOLF OTTO und HEILER auch für das gegenseitige Verständnis der Religionen überhaupt eingesetzt. Ein wichtiger Religionsforscher im deutschen und amerikanischen Sprachbereich ist JOACHIM WACH (1898-1955), der religionswissenschaftliche, theoretische und auch theologische Fragestellungen verband. Bei ihm ist diese Verbindung allerdings lockerer als bei den zuvor genannten Forschern. Im Anschluß an MAX WEBER wandte sich WACH später vor allem der Erforschung der sozialen Ausdrucksformen der Religion zu und führte damit neben der vergleichenden Religionswissenschaft auch die Religionssoziologie fort. WACH setzte sich außerdem mit dem hermeneutischen Problem des Verstehens auseinander und bemühte sich um eine allgemeine wissenschaftstheoretische Grundlegung der Religionswissenschaft. WACH war kein Theologe. In seiner Religionsforschung und in seiner Systematik wies WACH der religiösen Erfahrung eine zentrale Stellung zu, die auch bei ihm letztlich religiös bestimmt war. Sie wurde von WACH aber nicht theologisch, sondern methodologisch legitimiert.3 c) Dialektische Theologie und Religionswissenschaft Der fromme, jedoch naiv-positive Religionsbegriff, der von den angeführten, meist schon vor dem ersten Weltkrieg theologisch ausgebildeten Forschern vertreten wurde, wurde nach 3

Zu Wach s. RAINER FLASCHE, Die Religionswissenschaft Joachim Wachs (Berlin und New York 1978).

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dem ersten Weltkrieg durch den kritischen Religionsbegriff der dialektischen Wort-Gottes-Theologie in Frage gestellt, mehr vielleicht noch als durch die positivistische oder marxistische Religionskritik. KARL BARTH (1886-1968), FRIEDRICH GoGARTEN (1887-1967), EDUARD THURNEYSEN (1888 -1974) und auch EMIL BRUNNER (1889-1966) galten bald als eine Art Religionsstürmer. Das theologische Denken wurde hier ausschließlich auf die Offenbarung des Wortes Gottes durch Christus zurückgeführt; Gottes Offenbarung wurde als Aufhebung aller Religion, eigener wie fremder, gesehen; jede natürliche Theologie wurde verworfen. Auch die Thesen, daß der Mensch als Subjekt der Religion nicht losgelöst von Gott und seiner Offenbarung in Christus zu sehen sei und daß die Religionen letztlich als Versuche der Selbstrechtfertigung des Menschen und eigentlich als Unglaube zu bewerten seien — sozusagen als Ersatz für Offenbarung — , griffen die wesentlichen Voraussetzungen der sich als positive Religionsdeutung verstehenden Richtung der damaligen Religionswissenschaft an. Diese Angriffe wurden von den Forschern nicht nur als Angriff auf die Religionswissenschaft und die Wissenschaft überhaupt aufgefaßt, sondern auch als Angriff auf ihre eigenen theologischen Voraussetzungen. Gerade von theologischer Seite ist der theologisch gebundenen Religionswissenschaft ein empfindlicher Schlag versetzt worden. Die Folge war, daß sich die Religionswissenschaft sehr bald der Führung der Theologie, mit der sie zuvor in ihrer „positiven" Richtung verbunden gewesen war, entledigte und eigene Wege ging. Es war also neben ihrer inneren Entwicklung gerade die Abwendung von der dialektischen Theologie, die die Autonomie der Religionswissenschaft praktisch herbeiführte. Hinzu kommt, daß innerhalb der Religionsforschung die Wahl zwischen einer religionsbejahenden und einer religionskritischen Richtung ihre Absolutheit verloren hatte. Die Erfahrungen der Nazizeit hatten gezeigt, daß Religion, als ein

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menschliches Phänomen, guten wie schlechten Zwecken dienen und sowohl gute als auch schlechte Folgen haben kann. Die weitere theologische Diskussion hat in der Religionswissenschaft kaum einen Widerhall gefunden oder irgendein Interesse geweckt, es sei denn als Forschungsgegenstand. Auf katholischer Seite lagen die Dinge allerdings anders. Hier bestand immer eine Verbindung zwischen Religionswissenschaft und Religionsphilosophie. Die Religionsphänomenologie MAX SCHELERS (1874 — 1928) postuliert, daß religiöse Akte konstitutiv zum menschlichen Bewußtsein gehören, daß die religiösen Werte des Heiligen die objektiv höchsten, unveränderlichen, ewigen Werte darstellen. Sie lehrt auch, daß alle Kreatur in einer Symbolbeziehung auf den Schöpfer verweist. Man könne durch positive Religion unmittelbar und durch „natürliche" Religion mittelbar den Weg zu Gott finden. Diese natürliche Religion sei sowohl durch eine persongebundene wie auch durch eine philosophisch vermittelte Offenbarung bestimmt. Die Lehre der analogia entis und die Anerkennung einer natürlichen Theologie weisen der Religion innerhalb des gegebenen Rahmens der katholischen Theologie einen legitimeren Platz zu als es die dialektische Theologie tut. Eine Emanzipation der Religionswissenschaft von der Theologie ist hier jedoch prinzipiell viel schwieriger als im Protestantismus. Was die für die Religionswissenschaft interessanten Antworten der protestantischen Seite auf die Herausforderung der dialektischen Theologie angeht, ist in erster Linie PAUL TILLICH (1886—1965) zu nennen. Für TILLICH ist die Kultur unabdingbar mit Religion als ihrem eigentlichen Sinngehalt verbunden. Die Religion ist für ihn als eine Dimension der Tiefe in allen Funktionen des menschlichen Geisteslebens gegenwärtig. Religiöse Symbole und Mythen sollen in diesem Sinn gedeutet werden. Vor allem in seinen letzten Jahren hat TILLICH dabei eine wachsende Offenheit für die Botschaft anderer Religionen gezeigt.

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Auch von verschiedenen anderen Theologen wird in der letzten Zeit eine offene Haltung zu einem Dialog zwischen Theologie und Religionsforschung eingenommen.4

E. Zur Religionsforschung heute /. Einige Voraussetzungen Wenn es das Ziel der Religionsforschung ist, religiöse Tatbestände und Religionen wissenschaftlich zu erforschen, dann können bereits aus dieser Zielsetzung einige allgemeine Voraussetzungen der Religionsforschung abgeleitet werden. Es gibt natürlich eine Reihe solcher Voraussetzungen; auf die meisten brauchen wir jedoch nicht näher einzugehen, da sie die Religionswissenschaft grundsätzlich mit allen anderen Wissenschaften teilt. Die drei folgenden Voraussetzungen haben speziell mit der Religionsforschung zu tun. Sie beziehen sich auf die üblicherweise hervorgehobene Irrationalität der Religion und der religiösen Tatbestände. 1. Die erste Voraussetzung ist die, daß religiöse Tatbestände genauso wie andere Tatbestände der wissenschaftlichen Forschung zugänglich sein müssen und daß es möglich sein muß, allgemein gültige Aussagen über sie zu formulieren. Auch wenn man gemeinhin glaubt, daß es sich bei Kulturphänomenen wie Religion und Kunst im Grunde um irrationale Verhaltensweisen und Vorstellungen handelt, kann die wissenschaftliche Forschung diese Tatbestände nicht aus der Untersuchung ausklammern. Ihr Ziel ist es, nicht nur Detailforschung zu betreiben, sondern auch die größeren Zusammenhänge, die zwischen diesen Verhaltensweisen und Vorstellungen bestehen, darzule4

So z. B. WOLFHART PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie (Frankfurt 1973). Das 3. Kapitel behandelt die Hermeneutik.

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gen und die ihnen zugrundeliegenden allgemeinen Regeln aufzudecken. Die erste Voraussetzung ist also die, daß auch scheinbar irrationale Tatbestände empirisch, d. h. als gegebene Tatbestände erforscht werden müssen. 2. Eine zweite Voraussetzung ist die, daß eine solche Erforschung wissenschaftlich umso sinnvoller wird, je mehr die scheinbare Irrationalität von religiösen Tatbeständen und Religionen auf rationale Beziehungen zurückgeführt und auf diese Weise vernünftig erklärt und verstanden wird. Diese rationalen Beziehungen in Phantasie und Wirklichkeit sind von dem gemeinhin angenommenen Irrationalismus grundverschieden. Sie können Anspruch auf wissenschaftliche Gültigkeit erheben, wenn sie im Rahmen einer gültigen Theorie — und sei es eine Modelltheorie — festgestellt worden sind und sich grundsätzlich verifizieren lassen. 3. Eine dritte Voraussetzung ist, daß die theoretischen Grundannahmen der Forscher, auch wenn sie jeweils ganz verschieden sein mögen, rational begründbar sein müssen. Die Ergebnisse können daher nach Maßgabe der unterschiedlichen Ausgangspositionen bewertet und gegebenenfalls überprüft werden. Die Allgemeingültigkeit neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse muß sich jedenfalls über die persönlichen Ansichten der Forscher hinaus bewähren. 2. Einige Aufgaben Um zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis gegebener religiöser Tatbestände und Religionen zu kommen, werden religiöse Vorstellungen und religiöses Verhalten als Ausdrucksformen menschlichen Verhaltens erforscht. Was auch immer Ideen und Handlungen über das Verifizierbare hinaus sein oder bedeuten mögen, für die Forschung sind sie menschliche Ideen und Handlungen und müssen als solche erforscht werden. Die Religionsforschung richtet sich also ausdrücklich auf die menschliche Dimension der religiösen Tatbestände und Religio-

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nen. Sie trägt zu ihrer Interpretation als menschliche Phänomene bei, da sie gerade die menschlichen Aspekte hervorhebt und sie zu verstehen und zu erklären versucht. Die Forschung zeigt, daß es bei den Menschen, vor allem in ihrem Gemeinschaftsleben, religiöse Potentialitäten gibt, die in einer gegebenen Kultur im Rahmen bestimmter Traditionen und in bestimmten Situationen Ausdruck finden und entwikkelt werden. Der Religionsforschung kommt in dieser Hinsicht eine Bildungsfunktion zu, und zwar dadurch, daß sie dem Forscher — zumindest auf der Ebene des Verstehens — andere menschliche Existenzmöglichkeiten als diejenigen, welche in seiner eigenen Kultur verwirklicht worden sind, näher bringen kann. Die gewonnenen Einsichten können auch außerhalb der wissenschaftlichen Fachkreise verbreitet werden. Umgekehrt hat die Religionsforschung aber auch die wichtige Aufgabe, jene Fälle aufzuzeigen, in denen Religion in einem konkreten Kontext gegen die Menschen eingesetzt wurde oder wird. Religion hat oft eine Verschleierungsfunktion, d. h. mit ihrer Hilfe werden bestimmte Sachverhalte so dargestellt, daß die tatsächlichen Verhältnisse oder Vorgänge den Menschen verborgen bleiben. Grundsätzlich können alle Religionen immer auch für bestimmte Interessen gebraucht und ausgenützt werden. Unter gewissen Umständen können sie sogar dazu herangezogen werden, destruktive Verhaltensweisen herbeizuführen. Die Religionsforschung darf also religiöse Äußerungen nicht ohne weiteres naiv hinnehmen, sondern muß sie immer wieder konkret auf die ihnen zugrundeliegenden Motive und auf ihre Deutungen und Anwendungen hin befragen. 3. Religionskritik, Religionsapologetik und Religionsforschung Gerade weil sich die Religionsforschung als Wissenschaft versteht, kann sie sich allgemeinen pauschalen Urteilen über die Religionen bzw. die Religion überhaupt nicht ohne weiteres anschließen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, allgemeine Hypothe-

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sen und theoretische Ansätze durch konkrete Forschung am untersuchten Material zu verifizieren und so zu modifizieren, daß sie als wissenschaftliche Hypothesen und Theorien weitergeführt werden können. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muß der Religionsforscher mit den wichtigsten Formen der allgemeinen Religionskritik vertraut sein. Jeder Form der Religionskritik steht eine bestimmte Religionsapologetik gegenüber. a) Formen der Religionskritik Wir nennen hier die folgenden vier Formen von Religionskritik bzw. -apologetik: 1. Gegenstand der Kritik kann die empirische Wirklichkeit einer bestimmten Religion sein. Dieser empirischen Wirklichkeit, also der nahezu täglich erfahrenen konkreten gelebten Religion, werden bestimmte Mängel nachgewiesen. Die Kritik kann sich auf die Grundsätze der betreffenden Religion selbst berufen, deren Normen und Werten die gelebte Religion nicht entspricht. Sie kann sich aber auch auf Werte stützen, die von einer anderen Religion, Ideologie oder Philosophie explizit formuliert worden sind. Religionsapologetisch entspricht dieser Form der Kritik u. a. die Aussage, daß eine schlechte Lebenspraxis des Gläubigen die Religion selbst nicht notwendigerweise disqualifiziere und daß die Grundsätze dieser Religion, wenn man sie nur befolge, tatsächlich zu der erhofften Lebensweise führen könnten. 2. Gegenstand der Kritik kann auch die Religion als solche sein, als Idee und als erlebte Wirklichkeit, und damit zugleich die faktische Existenz aller Religionen. Diese Form der Kritik geht grundsätzlich von bestimmten Grundeinsichten oder auch Dogmen aus, zu deren Unterstützung verschiedene wissenschaftliche Erkenntnise angeführt werden können. Man sagt z. B., daß Religion zu Illusionen führe, ja selbst eine Illusion

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sei, die unter bestimmten Bedingungen entstehe, und daß ihr Mißbrauch aus diesen Entstehungsbedingungen erklärt werden könne. Häufig steht diese Kritik der Vorstellung einer rationalen Entwicklung oder Lenkung der Gesellschaft nahe, wobei Religion als archaisches Überbleibsel, wenn nicht gar Hemmschuh des Fortschritts angesehen wird. Religionsapologetisch wird hierauf z. B. geantwortet, daß dem Menschen nicht zustehe, die Idee der Illusion auf die religiöse Erfahrung zu übertragen, oder daß es dem Menschen unmöglich sei, die Ansichten und Gestaltungen des gesellschaftlichen Lebens einschließlich der möglichen Rollen der Religion völlig zu erfassen. 3. Gegenstand der Kritik können auch bestimmte, durch Religion legitimierte Verhaltensweisen sein, die gar nicht religiös motiviert sind, sondern sich durch den Anspruch „religiös" zu sein, jeder Kritik zu entziehen versuchen. Es kann sich hierbei zum Beispiel um die Abwehr von Hypokrisie und Lüge handeln, oder um ein konsequentes Bemühen, in der Religion den immer wieder auftauchenden Mißbrauch der Religion zu entlarven. Religionsapologetisch wird dieser Form der Kritik entgegengehalten, daß der Mißbrauch der Religion die Religion selbst noch nicht in Frage stelle und daß die Entlarvung der Hypokrisie eine Sache sei, die zu den Grundsätzen jeder Religion selbst zähle. 4. Gegenstand der Kritik kann auch die Überschätzung der Rolle der Religion oder die Verabsolutierung der Religion durch die religiösen Führer sein. Es wird gesagt, die Religion sei nur eine der vielen Kräfte, die in einer Gesellschaft wirksam sind; religiöse Motivationen, soweit solche existieren, spielten eine weit geringere Rolle, als von den „religiösen" Menschen angenommen würde. Die Religion sei nicht mehr als ein Teil, ein Aspekt oder eine Funktion der Kultur; sie sei nicht die Grundlage der Kultur. 5 Waardenburg

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Religionsapologetisch wird demgegenüber gern eingewandt, daß Religion zwar kulturelle Formen annähme, daß sie sich jedoch auf Wahrheiten und Werte beziehe, die der Kultur grundsätzlich übergeordnet seien und das Leben der Gesellschaft und Kultur bestimmten.5 b) Zur religionskritischen Funktion der Religionsforschung Die Frage, inwieweit von der Religionsforschung selbst eine religionskritische Wirkung ausgeht, ist kompliziert und muß von Fall zu Fall beantwortet werden. Allgemein jedoch läßt sich sagen, daß eine kritische Religionsforschung auf viele Anschauungen und Verhaltensweisen religionsgebundener Gesellschaften eine kritische Wirkung hat. Dies läßt sich in fünf Thesen zusammenfassen. 1. Während für die empirische Religionsforschung die Fakten entscheidend sind, geht es den Gläubigen in erster Linie um die Bedeutung, die sie haben, und weniger um die Tatsachen selbst. Wichtig für sie ist das Sinngebilde der Vorstellungen, der Gesamtsinn eines Vorgangs oder Verhaltens, die Gefühlsdichte und Undurchdringlichkeit bestimmter Wirklichkeiten, die Weiterführung der Tradition. Die schlichte Tatsache, daß die Forschung vor allem nach Tatsachen fragt, und daß sie die Erklärung der Gläubigen zwar beachtet, ihnen aber keinen letzten Wert beilegt, impliziert praktisch eine Religionskritik. 2. Bei der Erforschung des Verhaltens wird deutlich, daß das tatsächliche Verhalten der Gläubigen nicht den gegebenen Normen entspricht. Dieser Sachverhalt sowie die Art und Rolle der Normen müssen nach Möglichkeit erklärt werden. Das 5

Zur Religionskritik siehe KARL-HEINZ WEGER (Hrsg.), Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Autoren-Lexikon von Adorno bis Wittgenstein (Freiburg Br. 1979). Systematisch angelegt ist THOMAS MOLNARS Arbeit, Theists and Atheists. A Typology of N on-Belief (Religion and Reason 18) (Den Haag 1980).

E. Zur Religionsforschung heute

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impliziert eine Kritik nicht nur der moralischen Praxis, sondern auch gewisser Ansprüche, die die moralischen Normen erheben. 3. Die Tatsache, daß Religion objektiviert, d. h. zum Gegenstand des kritischen Denkens gemacht wird, impliziert bereits eine Distanzierung vom Respekt, von der Liebe und der Hingabe, die die Gläubigen ihrer Religion entgegenbringen. Wissenschaftliche Objektivierung impliziert nicht nur die Vergegenständlichung, sondern auch eine geistige ,Desakralisierung' religiöser Phänomene und der Religion selbst. Die Religionsforschung wirkt auch in dem Sinne kritisch, daß sie das entheiligt, was geglaubt wird. 4. Jede wissenschaftliche Deutung von Tatbeständen einer Religion wirkt schon deshalb auf die Anhänger dieser Religion wie eine Kritik, weil die wissenschaftliche Deutung nie mit den Deutungen dieser Menschen zusammenfällt. Die Religionsforschung auf theoretischer Ebene kann zum Beispiel versuchen, allgemeine Regelmäßigkeiten und Bedingungen für das Auftreten von Religion aufzuzeigen, während es den Gläubigen um ihre eigene spezifische Deutung und Gestaltung ihres Traditionsgutes zu tun ist, zu dem sie eine ganz andere Verbindung haben als sie der Forscher je haben könnte. 5. Diese Problematik wird verschärft, wenn die Anhänger einer religiösen Tradition oder Religion im Zusammenhang mit anderen Interessen der Forschung den Vorwurf machen, sie wolle ihre Tradition vernichten. Mit anderen Worten, die religionskritische Funktion der Religionsforschung kann zu manifesten Konflikten führen, die ideologisch aufgeladen werden können. Selbstverständlich kann die religionskritische Funktion der Forschung auch eine Neubesinnung seitens der Gläubigen selbst anregen.

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I. Religion und Religionsforschung

4. Zur ideologiekritischen Funktion der Religionswissenschaft Zur ideologiekritischen Funktion der Religionswissenschaft lassen sich die folgenden Thesen aufstellen. 1. Wie in anderen Wissenschaften ist auch in der Religionswissenschaft die Frage ihrer ideologiekritischen Funktion aktuell geworden. Es geht darum, ob die Religionsforschung dazu beitragen kann, deutlich zu machen, wo und wie in den Deutungen, die bestimmten religiösen Tatbeständen, Traditionen und Religionen von Anhängern und Nichtanhängern verliehen werden, ideologische Gehalte eine Rolle spielen, die auf bestimmte Interessen zurückzuführen sind. 2. Es ist zu beobachten, daß in den Religionen gewisse Fixierungen und Sakralisierungen von Ideen und Verhaltensweisen auftreten, die als solche nicht ohne weiteres aus den Quellen der betreffenden Religion herzuleiten sind, sich aber sehr gut durch sie legitimieren lassen. Ein solcher Sachverhalt ist wissenschaftlich zu erforschen, obwohl die Frage, wo und weshalb sie auftreten, in vielen Fällen nicht mit Gewißheit zu beantworten ist, besonders wenn es sich um historische Vorgänge handelt, über die wir kaum gute Quellen besitzen. Es muß jedoch versucht werden, zwischen den religiösen Quellen einerseits und den Ideologien, die sich auf diese Quellen mit ganz bestimmten Interessen berufen andererseits sorgfältig zu unterscheiden. 3. Eine andere Frage ist die des ideologischen Gebrauchs einer Religion, vor allem dann, wenn eine solche Religion zuerst als eine Idee gefaßt wird, die dann weiter unkritisch umgedeutet und praktisch für bestimmte Zwecke eingesetzt wird. Solche Ideologisierungen der Religionen unterscheiden sich von bloßen Idealisierungen dadurch, daß sie mit bestimmten, teilweise politischen Interessen verbunden sind. Die Identifizierung derartiger Ideologien und die Lokalisierung der jeweiligen Interessen ist eine legitime Aufgabe der Religionswissenschaft, verlangt aber zu ihrer Lösung eine reichhaltige Dokumentation.

E. Zur Religionsforschung heute

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4. Die Religionsforschung hat ständig mit Vorgängen zu tun, in denen bestimmte Vorstellungen und Verhaltensweisen auf eine metaphysische bzw. göttliche Herkunft zurückgeführt werden. Dies ist beim Auftreten einer Religion „normal'1. Interessanterweise werden diese Vorstellungen und Verhaltensweisen selbst meist im weiteren Verlauf der Geschichte fixiert und verabsolutiert, und gerade eine solche Absolutsetzung wird durch eine Ideologisierung des Tatbestandes legitimiert. Eine kritische Religionsforschung wird derartige ideologische Fixierungen und nachfolgende Ideologisierungen mit absolutem Anspruch feststellen und, soweit Dokumente vorliegen, näher analysieren. 5. Einer kritischen Forschung wird grundsätzlich daran gelegen sein zu untersuchen, welche Interessen bei der Praxis einer gegebenen Religion im Spiel sind. Mit religiösen Institutionen zum Beispiel sind immer gewisse Interessen verbunden. Nichtreligiöse Organisationen und andere Institutionen versuchen die gegebene Religion für ihre Zwecke von außen zu gebrauchen. In der heutigen Zeit, mit ihren politischen Nationalkrisen, Wahlkämpfen und Legitimationsproblemen, ist die Religion ein geeignetes öffentliches politisches Instrument. Auch in Konflikten kann man sich die Religion zunutze machen. Die Massen werden nötigenfalls mit Hilfe eines religiösen Appells gegen einen Feind mobilisiert, wobei der Gegner gern zum Feind der — eigenen — Religion erklärt wird. 6. Die Religionsforschung kann sich aber auch ideologiekritisch zur Religionswissenschaft selbst verhalten und die in der Wissenschaft verborgenen Ideologien und deren Interessen aufdecken. Der Gebrauch religionswissenschaftlicher Kenntnisse für oder gegen die Religion im allgemeinen oder eine bestimmte Religion ist als eine ideologische Anwendung zu betrachten. Der Forscher sollte sich daher davor hüten, die eigenen Erkenntnisse zu ideologisieren, seine Grundbegriffe ohne weiteres gegebenen Ideologien zu entlehnen oder seine Forschung auf eine Ideologie statt auf eine wissenschaftliche

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I. Religion und Religionsforschung

Hypothese oder revidierbare Theorie zu stützen. Nur dann, wenn sich die Religionsforschung ihren eigenen ideologischen Gehalten gegenüber immer kritisch verhält, ist sie auch imstande, die interessegeleiteten ideologischen Religionsdeutungen ans Licht zu bringen. In dem Maße, in dem die Religionsforschung im eigenen Kontext eine Sensibilität für das Ineinandergreifen von Ideologie und Wissenschaft entwickelt, und sich darum bemüht, alle ideologischen Aspekte auszuklammern, in eben dem Maße wird sie auch das Ineinandergreifen von Tatsachen und ideologischer Deutung in ihrem Forschungsgegenstand sensibel registrieren und die ideologischen Aspekte herauszustellen versuchen.6

F. Vom Nutzen der Religionswissenschaft Neben der eigentlichen Religionsforschung, deren Hauptziel die Erweiterung der Erkenntnis ist, gibt es auch verschiedene Bereiche, in denen die Erkenntnisse der Religionswissenschaft praktisch zur Anwendung kommen. Sie lassen sich in folgende Hauptgruppen unterteilen: 1. Eine unmittelbare positive Anwendung religionswissenschaftlicher Erkenntnisse kann z. B. im Unterricht über Religionen und Kulturen verschiedener Völker in der Schule erfolgen, weiterhin überall dort, wo in der westlichen Gesellschaft über die Pluralität der Religionen aufgeklärt wird. Grundkenntnisse über andere Religionen sollten zum Bildungsgut der heutigen Menschen gehören; die Religionswissenschaft 6

Siehe KURT RUDOLPH, „Die ,ideologiekritische' Funktion der Religionswissenschaft", Numen 25 (1978), S. 17-39. DERS., „Ideologiekritik und Religionswissenschaft", in Current Progress in the Methodology of the Science of Religions, ed. by Witold Tyloch (Warsaw: Polish Scientific Publishers, 1984), S. 203-209.

F. Vom Nutzen der Religionswissenschaft

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kann dazu beitragen, einen Einblick in die Erfahrungswelt anderer Religionen zu geben. Zu diesem Bereich gehören auch die Bemühungen, den Unterschied zwischen religiösen und nichtreligiösen Aspekten bestimmter Probleme deutlich zu machen. Es geht dabei darum zu zeigen, in welcher Weise zwischen religiösen und anderen Lösungen einer bestimmten politischen oder wirtschaftlichen, sozialen oder persönlichen Problematik zu unterscheiden ist. Zu den unmittelbaren Anwendungen religionswissenschaftlicher Forschungsergebnisse gehört z. B. auch die Kenntnisnahme der Umwelt des Alten und Neuen Testaments im theologischen Studium oder die Verwendung religionswissenschaftlich erforschten Symbolmaterials in der Traumdeutung der komplexen Psychologie. Außerordentlich wichtig scheint uns der Beitrag, den die Religionswissenschaft im Zusammenhang mit dem steigenden Interesse an religiöser Erfahrung und an Literatur über fremde Religionen, die für viele westliche Menschen eine große Anziehungskraft besitzen, leisten könnte. Es gibt hier eine ganze Reihe bedenklicher Publikationen, die durch wissenschaftlich fundierte Bücher zu ersetzen wären. 2. Es besteht ein zunehmendes Interesse, zur Beantwortung aktueller Probleme religionswissenschaftliches Material heranzuziehen. Auch wenn diese Probleme eher begrenzte Zeiterscheinungen sind, können sie für die Forschung anregend wirken. Wir denken etwa an die Frage, welche Form die Religion bei verschiedenen Ständen und Klassen angenommen hat, welche Rolle sie z. B. bei Sklaven, Unterdrückten und Minderheiten spielte. Oder an das Interesse, das heute an der Stellung der Frau — und des Mannes — in fremden Kulturen und deren Religionen herrscht und an die Legitimierung dieser Stellung. Aktuelle Fragestellungen können natürlich ideologischen Positionen entstammen, die einfach Belegmaterial brauchen. Sie

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I. Religion und Religionsforschung

können aber auch die wissenschaftliche Forschung dazu anregen, ein Problem von einem neuen Blickwinkel her zu betrachten. 3. Eine ganz andere Art der Anwendung findet man in vielen Ländern Afrikas und Asiens, in denen häufig der Versuch unternommen wird, die eigenen religiösen Traditionen in einer neuen Weise einzusetzen. Die eigene Tradition wird den Menschen unter bestimmten Gesichtspunkten nahegebracht, die eine neue Zukunftsorientierung ermöglichen sollen. Die Anwendung spezieller religionswissenschaftlicher Erkenntnisse zielt dabei auf Veränderungen, die dieser erwünschten Orientierung entsprechen. In extremen Fällen, wie im „wissenschaftlichen Atheismus" in der U. d. S. S. R., kann religionswissenschaftliches Material dazu verwendet werden, im Rahmen eines Aufklärungsprogrammes die bestehende Religion bzw. Religion überhaupt zu bekämpfen. Umgekehrt kann aber auch der Versuch gemacht werden, Elemente einer älteren, untergegangenen Religion irrational wiederzubeleben, wie es der Nationalsozialismus bei der Neubelebung der altgermanischen Religion getan hat. Daß die Förderung der Religion auch heute ein Staatsinteresse sein kann, ist in den USA zu beobachten. 4. Eine wiederum ganz andere Art der Anwendung von Ergebnissen der Religionswissenschaft kann in der Auseinandersetzung bzw. im Dialog zwischen Religionen erfolgen. Noch in jüngster Vergangenheit sind Kenntnisse anderer Religionen dazu verwendet worden, diese anderen Religionen herabzusetzen und die eigene Religion als über jede wissenschaftliche Kritik erhaben darzustellen. Nicht nur in der christlichen Mission und Apologetik, sondern auch in anderen Religionen ist man in dieser Weise vorgegangen, allerdings waren dort die Konsequenzen meist weniger gravierend. Das umgekehrte, entschieden sympathischere, Verfahren ist immer häufiger zu beobachten: die Religionswissenschaft wird

F. Vom Nutzen der Religionswissenschaft

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dazu herangezogen, die Zusammenarbeit von Anhängern verschiedener Religionen zu unterstützen. Auf praktischer Ebene bedeutet das die Arbeit für eine bessere Verständigung, für den Weltfrieden, für eine einheitliche und gerechte Entwicklung der Menschheit; auf geistiger Ebene die Arbeit für einen Dialog und für eine Art von Ökumene der Religionen. 5. Die Religionswissenschaft kann auch bei anderen Problemen menschlicher Kommunikation zu Hilfsdiensten herangezogen werden. So sind im Bereich der internationalen Beziehungen in der letzten Zeit Versuche gemacht worden, die Kommunikation mit Partnern, mit denen man wirtschaftlich und politisch zusammenarbeiten will, dadurch zu fördern, daß man ihrem kulturellen Hintergrund und auch ihrer Religion mehr Aufmerksamkeit widmet. Die Religionswissenschaft ist hier imstande, die religiösen Faktoren, die für die Beziehungen der Partner eine Rolle spielen, aufzuzeigen. Als Wissenschaft kann die Religionsforschung überhaupt aufklärerisch eingesetzt werden. 6. Wichtig sind die Korrekturen, die die Religionswissenschaft unablässig anbringen muß, um Vorurteile und Mißverständnisse, die in der eigenen Gesellschaft hinsichtlich bestimmter anderer Religionen und Kulturen existieren, zu beseitigen und gute, sachliche Kenntnisse zu vermitteln. Eine zentrale Aufgabe wäre die ständige Prüfung und Richtigstellung von Schulbüchern und von Informationen, die durch die Massenmedien verbreitet werden. Leider werden hier bestehende Vorurteile häufig verstärkt. 7. Auch in bezug auf die Religionsforschung gibt es Versuche, sie ideologisch bestimmten Interessen dienstbar zu machen. So haben verschiedene Religionen, die eine Einheit aller Religionen zum Ziel haben, z. B. die Bahai und die Vereinigungskirche, inhärente Interessen an der Religionswissenschaft. Weiterhin gibt es missiologische, theologische und praktische Interessen an der Religionswissenschaft.

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I. Religion und Religionsforschung

8. Gerade dort, wo es verschiedenartige andere Interessen an der Religion und an der Religionswissenschaft gibt, ist eine Erforschung von religiösen Tatbeständen und Religionen notwendig, die sich unabhängig von diesen Interessen entwickeln kann. Sie muß sich frei auf alles, was mit der Religion zusammenhängt, richten können, vor allem auf die Inhalte der Religionen, zu denen der Religionsforscher Zugang hat. Eben darin besteht seine wichtigste Aufgabe.

II. Geschichtliche Forschung A. Geschichte, Ziel und Methode Einer der Hauptantriebe für die Entstehung der Religionsgeschichte war das Bestreben, unabhängig von den übergeschichtlichen Ansprüchen der Religionen deren geschichtliche Wirklichkeit zu erfassen. Religionen und ihr Werdegang sollten von äußeren Einflüssen und innergeschichtlichen Entwicklungen her verstanden werden. Es ist kein Zufall, daß die wissenschaftliche religionsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert entstand, in einer Zeit also, die u. a. durch die begeisterte Entdeckung der Geschichte gekennzeichnet ist. Diese Begeisterung konnte nicht ohne Auswirkung auf die Art und Weise bleiben, in der man sich mit Religion befaßte. Seitdem standen zwei Themenkomplexe im Mittelpunkt der Religionsgeschichte. Der eine betrifft den Ursprung und die Geschichte, insbesondere die Entwicklung, von Religionen. Die kritische Frage hierbei ist, was als geschichtliche Wirklichkeit der Religionen nachweisbar ist. Der andere betrifft die geschichtliche Wirklichkeit, in der sich die Religionen befunden haben. Die kritische Frage dabei ist, inwieweit die politische, wirtschaftliche und soziale Geschichte die Religionsgeschichte bedingt und sogar determiniert hat und welche die jeweiligen Bedingungen bzw. Determinierungen gewesen sind. Das Aufkommen der religionsgeschichtlichen Forschung bezeichnete eine tiefgreifende Veränderung im Religionsverständnis. Man hörte auf, Religion als Allgemeinbegriff und die verschiedenen Religionen als Ideen aufzufassen, und begriff die Religionen statt dessen als geschichtliche, konkretwirkliche Größen. Es entstand das Schlagwort, daß es keine Religion,

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II. Geschichtliche Forschung

sondern nur Religionen gäbe. Die Änderung der englischen Bezeichnung für , Religionsgeschichte' von , History of Religion' in ,History of Religions', ist bedeutsam. Gegenüber den vielen herrschenden falschen Ideen über die Religion sollte die wirkliche Geschichte der Religionen in kritischer Weise rekonstruiert werden. Die Religionsforschung wurde im 19. Jahrhundert praktisch von der Frage beherrscht, welche eigenständigen Religionen sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben und wie sich diese Religionen geschichtlich entwickelt haben. So wurde Religionswissenschaft verschiedentlich einfach mit Religionsgeschichte gleichgesetzt. Man ,wußte', was Religion ist und welche die geschichtlichen Religionen gewesen sind. Es ging nun vor allem darum, wie sie entstanden waren, welche Einflüsse sie aufeinander ausgeübt und wie sie sich weiterentwikkelt hatten. Wie groß die Begeisterung für die Religionen als Ganzheiten, oder sogar ,Organismen', bei der Festigung der Religionsgeschichte als autonomer Wissenschaft auch gewesen sein mag, in der Praxis der Forschung ging es immer weniger um die Religionen als Ganzheiten, dafür aber um so vordringlicher um die Geschichte und den geschichtlichen Kontext von Elementen solcher Religionen. Nicht die Religionen, sondern deren Elemente waren die der Forschung zugänglichen, geschichtlichen Wirklichkeiten. Auch heute noch befaßt sich die empirische, religionsgeschichtliche Forschung praktisch nur mit der Geschichte, dem geschichtlichen Zusammenhang und dem geschichtlichen Kontext einzelner Elemente einer Religion in einer bestimmten Periode. Sie untersucht religiöse Vorstellungen und Verhaltensweisen, religiöse Einstellungen und Gemeinschaftsbildung, Kultformen u. ä. Was allgemeine Aussagen angeht — seien es solche über die ganze Geschichte und das Wesen einer bestimmten Religion oder solche über die ganze Religionsgeschichte als Einheit und das Wesen der Religion als solcher — , ist sie zurückhaltend.

A. Geschichte, Ziel und Methode

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Die Hauptintention, vor allem in den Anfangen der religionsgeschichtlichen Forschung, war der Wunsch, einen unmittelbaren Zugang zu den ältesten Quellen der Religionen zu erlangen. Es wurde nach Quellen — Texten, archäologischen Funden etc. — gesucht und diese wiederum auf ihre frühesten Schichten hin befragt, um dem Ältesten so nahe wie möglich zu kommen. In den geschichtlichen Religionen bilden vor allem die Schriften das Quellenmaterial. Die Quellenforschung befaßt sich mit der Erforschung dieser Schriften, ihrer Zusammensetzung, der in ihnen enthaltenen Ideen und der Geschichte, von der sie Zeugnis ablegen. Das besondere Interesse der religionsgeschichtlichen Forschung in den ersten Jahrzehnten galt den heiligen Schriften, die in den Religionen Autorität haben. Auch hier standen die Fragen nach ihrer Komposition, ihrem Inhalt — zumal der ältesten Teile —, nach der möglichen Herkunft insbesondere der ältesten Teile, nach der Textgeschichte usw. im Vordergrund. In vieler Hinsicht diente die kritische Bibelforschung der Erforschung anderer heiliger Schriften als Vorbild. Diese Art der Religionsgeschichte brachte es mit sich, daß die Quellen offengelegt, Textausgaben besorgt und beständig unendlich viel Material in den Ursprachen gelesen werden mußte. In dieser Hinsicht berührte sich die Religionsgeschichte mit der Altorientalistik, und tatsächlich wurde auf dem Gebiet der Ägyptologie, der babylonisch-assyrischen Studien und der Erforschung west-semitischer Religionen von Altorientalisten und Religionshistorikern vieles gemeinsam geleistet. Verschiedentlich waren auch Alttestamentler beteiligt. Es fallt jedoch auf, wie sehr das geschichtliche Interesse beherrschend war. Aus den Texten wollte man an erster Stelle die geschichtliche Entwicklung der Religion destillieren. Durch das wissenschaftlich-kritische Studium von Quellen suchte man die Geschichte und gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Völker und ihrer Religionen zu rekonstruieren. So wie man die wichtigsten Entwicklungsphasen, die die Menschheit bis zu ihrem gegenwärtigen Zustand durchlaufen hatte, zu rekonstru-

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II. Geschichtliche Forschung

ieren versuchte, wollte man auch die Religionsgeschichte im Rahmen der Geschichte kleinerer und größerer Kulturen der Menschheit nachzeichnen. Zurückblickend auf nahezu anderthalb Jahrhunderte religionsgeschichtlicher Forschung können wir sagen, daß sie zu einer beträchtlich besseren Kenntnis der Geschichte, insbesondere der größeren Religionsgemeinschaften, geführt hat. Gleichzeitig jedoch müssen wir uns eingestehen, daß wir auch weiterhin große Bereiche des komplexen geschichtlichen Gewebes und der verwickelten geschichtlichen Prozesse, in denen Religionen eine Rolle gespielt haben und die ihrerseits die Geschichte der Religionen bestimmt haben, nicht genau kennen. Wie bereits gesagt, waren gute Sprachkenntnisse für diese geschichtliche und literarische Forschung unabdingbar. Hält man sich vor Augen, wie spärlich die damals verfügbaren Hilfsmittel in Form von Wörterbüchern, Grammatiken u. ä. waren, ist geradezu Phantastisches geleistet worden. Ein Großteil der religionsgeschichtlichen Forschung bestand — und besteht noch immer — in philologischer, textanalytischer und literaturgeschichtlicher Forschung, deren allgemeine Methoden auf alle wichtigen Texte angewandt wurden. Die Sprachkenntnisse waren das Mittel, mit dem die Philologie sich einer Gesamtkultur zu nähern suchte. Der Nachdruck lag vielfach auf der Etymologie, die die Bedeutungsgeschichte von Wörtern ermitteln sollte, und auf der textkritischen Behandlung jedes Dokumentes, bei der es darum ging, den kanonischen Text festzustellen, seine ältesten Teile herauszufinden und seine Komposition aus verschiedenen Urquellen nachzuweisen. Eine große Aufmerksamkeit widmete man bestimmten Ideen innerhalb einer religiösen Tradition, den Entlehnungen aus anderen Traditionen und natürlich der Verbreitung bestimmter Elemente über den ursprünglichen Rahmen hinaus. Neben dem Interesse für den geschichtlichen Rahmen gab es, insbesondere bei den Religionsgeschichtlern, auch ein lebhaftes Interesse am Inhalt der Texte als Zeugen einer Religion und

A. Geschichte, Ziel und Methode

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Gesamtkultur. Inhaltliches und geschichtliches Interesse flössen in der Erforschung der ,inneren' Geschichte einer Religion zusammen. Darunter verstand man die Entwicklung bestimmter anfänglicher Ideen in der Geschichte, in deren Verlauf äußere Einflüsse hinzutraten. Man konzentrierte sich auf bestimmte Weltanschauungen, philosophische und theologische Systeme, auf das Gedankengut also, und weniger auf konkrete Erscheinungen wie Ritual und Ethik. Bei bestimmten Forschern war das Bewußtsein lebendig, daß die vorhandenen Quellen nahezu immer ,offizieller' Art sind und daß sie demzufolge nur einen Ausschnitt aus der offiziellen Religion wiedergeben können. Andere Teile der offiziellen Religion, für die keine geschriebenen Quellen vorlagen, blieben folglich unzugänglich, desgleichen die Volksreligion wie auch alle persönlichen Ausdrucksformen individueller Religiosität, die nur selten schriftliche Belege hinterlassen haben. Wenn wir die Kenntnis einer Religion zu haben beanspruchen wollen, ist es unerläßlich, verschiedene Arten religiöser Texte gründlich zu untersuchen, wobei auch ihr Zusammenhang mit der profanen Literatur und ihre geschichtliche Entwicklung einbezogen werden müssen. Im Fall des Islam etwa hieße das, daß wir den Werdegang der religiösen Literatur vom Koran bis zu zeitgenössischen Äußerungen zu verfolgen haben. Eine solche ,religiöse Literaturgeschichte' verlangt eine unaufhörliche Lektüre ganz verschiedener Texte, darüber hinaus aber auch die Beschäftigung mit dem breiteren historischen Umfeld, aus dem diese Literatur hervorging: mit dem Kreis, in dem ein Text entstand; mit den religiösen und anderen Zentren, in denen die Verfasser lebten und wirkten; mit dem Leserkreis, für den der Text bestimmt war; mit der Rolle, die der Text in der Gemeinschaft und für spätere Autoren gespielt hat, usw. Dazu kommt der breitere geschichtliche Kontext: die Zeitprobleme, auf die die religiöse Tradition mit bestimmten religiösen Lösungen oder Lösungsvorschlägen antwortete; die entstehenden kulturellen und religiösen Schulen; das Fortwirken religiöser Texte in bestimmten gesellschaftlichen, gebildeten oder religiösen Kreisen, usw. Eine Religionsgeschichte, die sich

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II. Geschichtliche Forschung

selbst nur als religiöse Literaturgeschichte verstünde, würde die geschichtlichen Bedingungen vernachlässigen, unter denen diese Literatur als Ausdruck bestimmter Wünsche und Interessen überhaupt entstand. Für eine solche religionsgeschichtliche Forschung hat es neben dem grundsätzlichen Interesse an der geschichtlichen Wirklichkeit mehrere Voraussetzungen gegeben. Dazu gehörte zum Beispiel die Anerkennung der geschichtlichen Eigenständigkeit der verschiedenen Religionen, d. h. die Vorstellung, daß sich die religiöse Geschichte der Menschheit grundsätzlich anhand der Geschichte einer Anzahl von Religionen beschreiben läßt. Religionen wurden oft als Organismen gesehen; jede Religion, einschließlich der altisraelitischen, christlichen und jüdischen Religion und des Islam, hatten demzufolge ihre eigene Geschichte. Eine zweite Voraussetzung war die der geschichtlichen Kausalität, wodurch auch geschichtliche Erklärungen möglich waren. So meinte man längere Zeit, die geschichtlichen Einflüsse anderer Religionen und Kulturen lieferten an und für sich schon eine ausreichende Erklärung für auffallende, historische Entwicklungen einer bestimmten Religion. Die bekannte ,religionsgeschichtliche Schule' meinte, gewisse Entwicklungen im Spätjudentum und Frühchristentum durch Fremdeinflüsse, zum Beispiel aus Iran, restlos erklären zu können. Die Frage, weshalb bestimmte Einflüsse ,zugelassen' und andere »abgewehrt4 wurden, wurde selbst in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts noch kaum gestellt. Die dritte Voraussetzung der Religionsgeschichte war und ist die Notwendigkeit kritischer Untersuchungsmethoden, mit denen sich die Authentizität von Texten, die Geschichtlichkeit angeblicher Ereignisse, kurz, die tatsächliche geschichtliche Wahrheit feststellen lassen. Die Kriterien eines solchen kritischen Vorgehens waren und sind nicht eindeutig festgelegt. Der eine Forscher mißtraut seinen Quellen nun einmal mehr als der andere; der eine verlangt Nachweise für etwas, was für

A. Geschichte, Ziel und Methode

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den anderen eine Selbstverständlichkeit ist. In jedem Fall aber folgte daraus, daß die Religionsgeschichte die Religionen — auch die christliche — ganz anders als die Gläubigen sah und daß der kritische Aufwand der Wissenschaft von den Gläubigen zumeist als feindlich bzw. gefahrlich empfunden wurde. Die wissenschaftliche Erforschung religiös-normativer Texte wie der heiligen Schriften wurde also für die gläubige Gemeinschaft zu einem Problem. Das war unvermeidlich, da die Gläubigen diese Schriften, wie überhaupt alle Phänomene der eigenen Religion, gerade nicht als geschichtliche und soziale Dokumente, sondern als Wahrheitsvermittler, ja sakrale Tatbestände bewerten. Das historische Studium heiliger Texte, ihre Aufgliederung in verschiedene Quellen und die historische Herleitung ihrer leitenden Ideen entweder aus der eigenen oder aus einer fremden Tradition — wobei allerdings im letzten Fall die Verarbeitung und Gestaltung in der eigenen Geschichte erfolgt sein muß — bewirkt bei den Anhängern der betreffenden Religion oft einen Schock, wenn nicht gar eine Desorientierung. Beispiele dafür lassen sich aus dem christlichen, jüdischen und islamischen Bereich beibringen. Dieser Schock erklärt sich aus dem Gegensatz zwischen der ahistorischen Lektüre eines Textes durch die Gläubigen und einer geschichtlichen Lektüre, die weder religiös noch areligiös, sondern wissenschaftlich ist, auf den Gläubigen jedoch ,areligiös' und vielleicht sogar antireligiös wirkt. So kann eine solche kritische historische Forschung — ebenso wie eine empirische soziologische oder ethnologische Forschung — auch als religionsfeindlich empfunden werden. Die Gläubigen, die ihre Religion durch die Wissenschaft bedroht sehen, neigen dazu, sie gegen die wissenschaftliche Zerstückelung zu verteidigen, was zu einer Verkrampfung, Idealisierung oder gar Verabsolutierung führen kann. Für die Anhänger ist es zumeist erst im Nachhinein möglich, sich zu vergegenwärtigen, 6 Waardenburg

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II. Geschichtliche Forschung

daß eine wissenschaftlich-rationale Erkenntnis auch zu Ansätzen einer neuen Sicht der eigenen Religion, ja zu neuen Formen des religiösen Glaubens führen kann und unter Umständen die Entdeckung neuer Wahrheiten ermöglicht. Auch der Forscher kann in Konflikt geraten, besonders dann, wenn er ein positives Verhältnis zu seiner religiösen Tradition hat. Es mag häufig leichter sein, religiöse Texte aus einer fremden Kultur kritisch zu erforschen als jene Texte und religiösen Phänomene, denen im eigenen Lebensbereich ein religiöser Wert zukommt. Die Geschichte der Bibelforschung, der Leben Jesu-Forschung und der kritischen Erforschung der Kirchen- und Dogmengeschichte zeugt davon, daß mühsam errungene historische Kenntnisse von Texten, die als religiös-normativ angesehen wurden, in erster Instanz zu einem Konflikt zwischen Geschichtsforschung und unaufgeklärter' Religion geführt haben. Sie zeugt aber auch davon, daß die Religion selbst damit nicht überwunden ist. Wichtig ist weiterhin, daß sich das von der historischen Forschung entwickelte Geschichtsbild — ungeachtet seiner unterschiedlichen Ausprägungen — grundsätzlich von den verschiedenen religiös geprägten Auffassungen unterscheidet, die von einer vorgegebenen Zielgerichtetheit der Geschichte ausgehen. Ein religiöses Geschichtsbewußtsein findet sich vor allem im Judentum, im Christentum und im Islam, es ist aber auch in vielen Mythen, in einigen indischen Vorstellungen, im Buddhismus und im Mazdaismus anzutreffen. Religiöse Geschichtsauffassungen sind selbst als das Produkt besonderer historischer Umstände anzusehen. Ihre geschichtlichen Veränderungen, z. B. in der Apokalyptik und Eschatologie, lassen sich — soweit Quellen vorhanden — in den betreffenden Religionen verfolgen. Das religiöse Geschichtsbewußtsein hat sich erst mühsam zu einem selbständigen wissenschaftlichen Geschichtsbewußtsein entwickelt, ohne in das Gegenteil eines antireligiösen Bewußtseins zu verfallen. Man unterscheidet die allgemeine, die besondere und die spezialisierte Religionsgeschichte. Die allgemeine Religionsge-

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schichte hat das Ziel, zu einer Gesamtgeschichte der Religion innerhalb der Geschichte der Menschheit zu kommen. Die besondere Religionsgeschichte bemüht sich um die Geschichte der Einzelreligionen und ihre gegenseitigen Einflüsse und Interaktionen. Die spezialisierte Religionsgeschichte konzentriert sich auf bestimmte religiöse Elemente und versucht, diese innerhalb der Geschichte einer Religion und in ihren Kontexten zu verfolgen oder auch ihre Übernahme in andere, oft spätere Religionen und Kulturen aufzuzeigen. Während sich die Forschung früher vor allem auf das Erschließen der Quellen richtete, ist die gegenwärtige Forschung eher problemorientiert. Man verzichtet nach Möglichkeit auf spekulative Hypothesen und legt verstärkt Nachdruck auf Methoden und Theorien.1

B. Geschichte von Religion und Religionen /. Entwicklungsphasen von Religion Es gab verschiedene Theorien, mit deren Hilfe man eine unmittelbare Parallele zwischen dem angenommenen allgemeinen Verlauf der Menschheitsgeschichte und der Geschichte der Religion konstruierte. Die evolutionistische Theorie zum Beispiel präsentierte ein Schema, das eine bestimmte Auffassung nicht nur von der Entwicklung, sondern auch vom Ursprung und indirekt auch vom Wesen der Religion implizierte. Ihre wichtigste Voraussetzung war die Vorstellung einer gradlinigen Evolution der Menschheit, mit der eine bestimmte religiöse Entwicklung der Menschheit einhergegangen sein sollte. Diese religiöse Entwicklung hat nach evolutionistischer Auffassung mit den einfachsten Formen von Religion angefangen. 1

6*

Konkrete Beispiele finden sich u. a. in UGO BIANCHI, Probleme der Religionsgeschichte (1958; dt. Göttingen 1964). Vgl. sein Buch The History of Religions (1970; engl. Leiden 1975).

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II. Geschichtliche Forschung

Die Frage, welche Form als die geschichtliche Elementar- oder Urform der Religion angesehen werden kann, löste eine lange Diskussion aus. Man erörterte ausgiebig, ob es der Ahnenglaube (H. SPENCERS Manismus) oder der Seelen- und Geisterglaube (E. B. TYLORS Animismus), der Glaube an eine beseelende Kraft (R. R. MARETTS Animatismus), Magie (J. G. FRAZER), ein Hochgottglaube (A. LANG), ein ursprünglicher Monotheismus (W. SCHMIDT) oder der Totemismus (E. DURKHEIM) gewesen war. Die Erregung, die diese, jetzt veralteten, Theorien des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts auslösten, beruhte darauf, daß man den geschichtlichen Ursprung der Religion gefunden zu haben glaubte, und zwar in den Religionsformen, die man bei den zeitgenössischen schriftlosen Völkern entdeckt hatte. Als jedoch die Forschung ergab, daß diese Vorstellung einer allgemeinen linearen Evolution der Menschheit, mit der eine ebenso gradlinige allgemeine kulturelle und religiöse Entwicklung einhergegangen sein sollte, nicht zu halten war, brachen die genannten Theorien in sich zusammen. Die Geschichte einiger Kulturen weist zwar parallele Entwicklungen auf, diese lassen sich aber nur schwer für die Menschheitsgeschichte insgesamt aufzeigen, wie es das Ziel der Evolutionisten gewesen war. Wenn es eine Entwicklung oder Evolution gibt, was sehr plausibel ist, sollte diese jedenfalls nicht als allgemein-linear, sondern als eine in verschiedenen Kulturen verschieden verlaufende Bewegung gedacht werden. Bei der Deutung vorgeschichtlicher und natürlich auch geschichtlicher Religionen sollten wir uns vergegenwärtigen, daß bestimmte Teile und Elemente dieser Religionen für uns grundsätzlich unzugänglich geworden sind, da es keine Reste mehr davon gibt. Wie überhaupt in der Geschichte, ist auch in der Geschichte der Religionen vieles verloren gegangen. Die ältesten Spuren der paläolithischen Religion sind Reste von Grabbeigaben, Zeichnungen, die möglicherweise magische Bedeutung tragen, wie zum Beispiel die Darstellung einer Jagd-

B. Geschichte von Religion und Religionen

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szene, und kleine weibliche Skulpturen, die wohl mit Fruchtbarkeit zu tun gehabt haben. Außerdem kennen wir die wichtigsten Kulturstadien der Sammler, Jäger, Fischer, wissen von Viehzucht bei Nomaden und Halbnomaden, Landwirtschaft und Stadtansiedlungen. So läßt sich die Annahme untermauern, daß Religion dort auftrat, wo es allgemein menschliche Existenzprobleme wie Tod und Leben, Liebe und Fruchtbarkeit gab oder wo sich konkrete Bedürfnisse des menschlichen Überlebens je nach dem Kultur-stadium geltend machten. Für die Sammler war es eine Lebensnotwendigkeit, die richtigen Pflanzen und Früchte zu finden, für die Fischer, genügend Fische zu fangen, für die Jäger, in ausreichendem Maße Tiere zu erlegen. Für die Nomaden war die Fruchtbarkeit des Viehs und die sachkundige Leitung durch Steppe und Wüste eine Lebensnotwendigkeit, für die ansässige Landwirtschaft bestand sie in der Fruchtbarkeit des Feldes und des Viehs, im Gedeihen des Getreides und der Pflanzen. Die Geburt von Kindern, Liebe und Sieg, die Stärkung der Lebenskräfte und die Abwehr von bedrohenden Mächten waren von jeher für fast alle Menschen buchstäblich eine Sache von Leben oder Tod. Bei Ereignissen und Handlungen, die damit zusammenhingen, konnten religiöse Momente aufkommen, die von der Tradition als Handlungsmöglichkeiten weitergegeben wurden und zur Krisenbewältigung angewandt werden konnten. In der Folklore der jüngsten Zeit lassen sich noch viele Überreste derartiger Vorstellungen und damit verbundener Verhaltensweisen finden. Wahrscheinlich setzte sich der Mensch in der Religion der geschichtlichen Vorzeit vor allem mit den Naturmächten auseinander. Dies ist übrigens auch in den meisten geschichtlichen Religionen der Fall gewesen und hat auf der Ebene der Volksreligion auch in Schriftreligionen Spuren hinterlassen. Will man die vorgeschichtlichen Religionen rekonstruieren, bieten bestimmte Elemente zeitgenössischer schriftloser Gesellschaften noch den besten Ausgangspunkt. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten, da diese Gesellschaften immer schon ihre eigene Geschichte gehabt haben und nicht am Anfang der Geschichte

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II. Geschichtliche Forschung

stehengeblieben sind, auch wenn dies aus der Sicht des Westens bisweilen so schien. Im übrigen sollte uns die Tatsache, daß in den heutigen schriftlosen Gesellschaften Religion und Kultur nicht geschieden sind und sich auch bei ihnen der Gegensatz von Kultur und Natur findet, eine Warnung sein, die vorgeschichtlichen Gesellschaften vorschnell als ,natürlich' anzusehen und ihnen eine reine ,Naturreligion' zuzuschreiben. Religion muß auch damals schon ein Aspekt der Kultur gewesen sein, doch diese Kultur ist in erster Linie als Antwort auf die Herausforderungen der Natur zu verstehen. Auch die Verehrung der Naturkräfte und die Ritualisierung des Verhaltens der Menschen ihnen gegenüber müssen so gedeutet werden, daß sich der Mensch kulturell vor allem dadurch entwickelte, daß er sich dieser Natur gegenüberstellte. Die Religion war und ist auch in geschichtlicher Zeit, für die geschriebene Quellen vorliegen, meistens mit Stamm und Volk verbunden. Sobald es organisierte Städte und Staaten gab, wie es im Nahen Osten schon vor sechstausend Jahren der Fall war, hatte auch die Stadt, insbesondere aber auch der Staat — man denke an das alte Sumer und Ägypten — eigene Götter und eigene Rituale, d. h. eine eigene Religion. Die Tempel innerhalb des Staates befanden sich in den Händen religiöser Spezialisten, meistens Priester, die eine eigene Hierarchie aufwiesen. Während anfangs die Inschriften und Texte allgemeiner Art waren und zwar Götter, aber kaum Menschen erwähnten, entstanden mit der Zeit auch Texte, in denen Personen, die irgendeine rituelle oder sonstige religiöse Funktion erfüllten, namentlich genannt werden: es waren Personen, die ein Amt bekleideten oder „Charisma" hatten. Zu ihren Aufgaben gehörte es, die soziale Ordnung und das Zusammenleben zu garantieren, Schmerzen und Krankheiten zu heilen und die Gemeinschaft in den Regeln und Formen eines verantwortungsvollen Verhaltens zu unterweisen. Hierbei berief man sich

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auf religiöse Vorstellungen, die aus der Tradition stammten und die die erlassenen Regeln und Verhaltensvorschriften begründen und weiter legitimieren konnten. Damit war der Übergang der älteren mythischen, mehr oder weniger anonymen Tradition in neue Formen der Gesetzgebung gegeben, die sich allerdings weiterhin auf Offenbarungen und den göttlichen Ursprung der erlassenen Gesetze beriefen. Auch jene, die sich gegen die herrschende Ordnung auflehnten, legitimierten sich mit göttlichen Weisungen und religiösen Inspirationen. Dabei entwickelten sich reflexive Gedankengänge: theologische Lehren über die Welt und das Leben und ethische Aussagen über das menschliche Verhalten. Auch sie beriefen sich auf einen göttlichen Ursprung oder eine unmittelbare Inspiration. Den folgenden großen Religionsstiftungen, die mit dem 8. Jahrhundert v. Chr. in verschiedenen Ländern Asiens einsetzten, waren gesellschaftliche und politische Umwandlungen vorausgegangen. Dazu gehörte der Übergang von der tribalen zur staatlichen Organisation und die Transformation der religiösen Führerschaft vom Schamanentum und Kulten im Freien zu organisierten Priesterschaften mit festen Tempeln. Im Verlauf dieser tiefgreifenden Umwandlungen trat eine Reihe Charismatische' — religiöse — Führer, Weisheitslehrer und Propheten hervor, die in die Weltgeschichte eingegangen sind. Sie setzten sich für eine mehr personengerichtete Ethik, Bildung oder Erlösung ein, meistens gegen die tradierte und von den Priestern abgesegnete Ordnung, und verkündeten ihre Lehre oder Botschaft häufig einem bestimmten Jüngerkreis. Wir denken hierbei an das Auftreten von Persönlichkeiten wie Moses in älterer Zeit, Zarathustra, des Buddha, Konfuzius, Sokrates, Jesus und Mohammed, denen von Forschern wie RUDOLF OTTO und KARL JASPERS auch eine große kulturhistorische Bedeutung in der Weltgeschichte beigemessen worden ist. JASPERS hat diesen Durchbruch zur persönlich verantwortlichen Existenz, wie sie von diesen Personen betont wurde, als ,Achsenzeit' der Menschheit bezeichnet, die etwa im 8. Jahrhundert v. Chr. eingesetzt und in Mohammed einen

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II. Geschichtliche Forschung

späten Repräsentanten hervorgebracht habe. Auch vor dieser Zeit gab es bekannte religiöse Führer, und man sollte sich das Aufkommen der sogenannten prophetischen1 und aller anderen Religionen, die sich dem Auftreten einer Person verdanken, als eine von den sogenannten ,Naturreligionen' ausgehende allmähliche Entwicklung vorstellen. Es ist wichtig zu sehen, daß die betreffenden Personen in Zeiten geschichtlicher und gesellschaftlicher Spannungen auftraten, zu deren Lösung sie zu einer neuen Lebensorientierung aufriefen. Die Religionen, die nach ihrem Tode aus ihrer Botschaft und der dadurch ausgelösten Bewegung entstanden, beriefen sich zwar auf ihre Verkündigungen, entwickelten sich jedoch in einer für sie unvorhersehbaren Weise, bis hin zum Widerspruch mit der eigentlichen Botschaft des Stifters. Neben diesen Stiftergestalten haben politische Großreiche von der Art des römischen und chinesischen Reichs und verschiedener Reiche in Indien, die mehrere Völker und religiöse Traditionen umspannten, bei der Ausdehnung und weiteren Ausbildung der betreffenden Religionen eine wichtige Rolle gespielt, vor allem durch die offizielle Anerkennung dieser Religionen. Abgesehen von diesen Entwicklungen sind viele Kulturen und Religionen schriftlos geblieben und haben nahezu zwei Jahrtausende überleben können. Innerhalb der neuen Religionen blieben auch viele alte Religionsformen bestehen, wurden jedoch von den neueren „offiziellen" Religionen überlagert.2 2. Die Schriftreligionen a) Einteilung Es hat verschiedene Versuche gegeben, die Religionen, von denen oder über die es ältere schriftliche Belege gibt, einzuteilen. 2

Es ist interessant zu sehen, wie die Religionsgeschichte von einem Sowjetgelehrten wie S. A. TOKAREW beschrieben wird. Er unterteilt sie in die Phasen der „Urgesellschaft", der „Übergangsperiode zur Klassengesellschaft" und die der „Klassengesellschaft". Siehe S. A. TOKAREW, Die Religion in der Geschichte der Völker (Köln 1978).

B. Geschichte von Religion und Religionen

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Für die geschichtliche Forschung hat eine historisch-geographische Einteilung wie die folgende gewisse Vorteile. (1) Religionen Europas Religionen der Kelten, Germanen, Balten und Slaven, Ungarn, Finnen und Lappen. (2) Religionen des Mittelmeerraums in der klassischen Zeit Religionen der Griechen, der Römer und des Hellenismus. (3) Antike Religionen des Nahen Ostens Religionen der Sumerer, der Akkader (Babylonier und Assyrer), der Westsemiten, der Ägypter und der Araber vor dem Islam. (4) Prophetische Religionen des Mittleren Ostens 1. Zarathustra, der Mazdaismus vor, unter und nach den Sassaniden und die spätere Religion der Parsen. 2. Moses, die altisraelitische Religion, das antike Judentum und die jüdische Religion. 3. Jesus und das Christentum. 4. Mani und der Manichäismus. 5. Mohammed und der Islam. (5) Indische Religionen

1. Die vedische Religion, der ältere und der spätere Hinduismus. 2. Der Buddhismus in Indien. 3. Der Jainismus.

(6) Ostasiatische Religionen 1. Der Buddhismus. 2. Chinesische Religionen.

3. Japanische Religionen.

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II. Geschichtliche Forschung

(7) Amerikanische Religionen 1. Religionen der Tolteken und Azteken. 2. Religion der Maya. 3. Religion der Inka. Die Vielfalt der schriftlosen Religionen ist hier außer Betracht gelassen (s. S. 189). b) Unterschiedliche Merkmale Das alte Ideal der „Comparative Religion", Religionen als Ganzheiten miteinander zu vergleichen, scheint wissenschaftlich kaum durchführbar zu sein. Religionen sind in ihrer Gesamtheit zu wenig bekannt, um beim heutigen Stand der Forschung miteinander verglichen werden zu können. Wissenschaftliche Vergleiche sind nur hinsichtlich bestimmter Aspekte verschiedener Religionen möglich, etwa im Hinblick auf bestimmte geschichtliche Entwicklungen, ethisch-religiöse Vorschriften und Auffassungen vom Menschen. Allerdings kann man die historischen Religionen, ähnlich wie die schriftlosen Religionen, wie oben gezeigt, nach bestimmten gemeinsamen Merkmalen in Gruppen einteilen. So lassen sich die antiken Religionen des Nahen Ostens und die alten Religionen der Griechen und Römer, soweit sie dieselbe agrarische Produktionsform aufweisen, einer Gruppe zuordnen. Ähnliches gilt für die verschiedenen indischen Religionen und für die Religionen Mittelamerikas. Auch die prophetischen Religionen lassen sich zu einer Gruppe zusammenfassen, nicht nur auf Grund ihres prophetischen Ursprungs, sondern auch deshalb, weil sie meistens ein ausgearbeitetes Gesetz bzw. eine durchreflektierte Ethik aufweisen, was allerdings für die beiden typischen Erlösungsreligionen, Christentum und Manichaismus, nur eingeschränkt zutrifft. Andere Zuordnungskriterien wären der inklusive oder exklusive Charakter von Religionen, die Möglichkeit einer geschlossenen Gemeinschaft oder umgekehrt die einer intensiven mis-

B. Geschichte von Religion und Religionen

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sionarischen Tätigkeit. Christentum, Islam und Buddhismus bilden als missionarische Weltreligionen eine Sondergruppe. c) Gemeinsame Schichten und Überschneidungen in den geschichtlichen Religionen

Religionen werden vielfach als eigenständige Größen betrachtet und anerkannt. Der Nachdruck liegt dabei auf den Merkmalen, in denen sich ihre Verschiedenheit kundtut und auf ihren offiziellen Lehren, Ritualen und Vorschriften. Dabei sollte folgendes berücksichtigt werden. Zum einem gibt es vielen Religionen gemeinsame Formen von Volksreligion, die von der offiziellen Religion zwar überlagert worden sind, aber dennoch weiterleben. Solche Formen der Volksreligion kann man quer durch die verschiedenen Religionen finden. Sie können mit Bedürfnissen eines der Geschlechter (etwa aller Frauen auf der Welt) oder einer Berufsgruppe (etwa aller Bauern auf der Welt) zusammenhängen. Hier wäre auch die allgemein verbreitete Erwartung von Wundern zu nennen, die in verschiedenen Krisensituationen eine Erlösung bringen sollen und oft mit dem Glauben an charismatische Personen in Gestalt von Heiligen einhergehen, oder verschiedene Formen des Aberglaubens, die häufig mit Glückshoffnungen und Unglückserwartungen verbunden sind. Zum anderen gibt es auch in den offiziellen Religionen viel Gemeinsames, das von den Gläubigen selbst aber weder als solches gesehen wird noch auch als solches gesehen werden kann. So sind z. B. die Lehrsysteme der Religionen, die das griechische Erbe fortführen, wie Judentum, Christentum und Islam im Mittelalter, durch gemeinsame Kategorien aristotelischer und neuplatonischer Herkunft gekennzeichnet, wodurch auch Debatten zwischen den Vertretern dieser Religionen zu jener Zeit möglich und sinnvoll waren. Außerdem gibt es gewisse Lebensweisen, die bestimmte Gruppen in ganz verschiedenen Religionen verbinden. Asketische Personen und Gruppen aus unterschiedlichen Religionen sind z. B. zu besonderen Formen der Kommunikation imstande. Ähnliches gilt auch

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II. Geschichtliche Forschung

für bestimmte Formen der Frömmigkeit, wie Mystik und Gnosis, die in verschiedenen Religionen vorkommen und ihre Anhänger dazu befähigen, sich miteinander zu verständigen. Derartige Überschneidungen können unter Umständen zu neuen interreligiösen Sondergruppen führen, denen von den Anhängern der exklusiven Religionen mit Vorliebe der Vorwurf des „Synkretismus" gemacht wird. Wir lassen hier die Problematik der Beschreibung der Geschichte einzelner Religionen beiseite. Angemerkt werden soll lediglich, daß auch die Geschichte des Christentums auf die hier angegebene Weise beschrieben werden kann. 3

C. Religionen im geschichtlichen Kontext /. Bedingtheit von Religion Religion und Religionen sind viel mehr durch äußere Umstände bedingt, als es den Gläubigen bewußt ist. Diese Bedingtheit steht häufig im Gegensatz zu den Ansprüchen, die die Religionen selbst haben. Der Religionsforscher wird sich aber davor hüten, eine allgemeine Theorie der Abhängigkeit bzw. der Unabhängigkeit der Religionen von äußeren Umständen aufzustellen. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, das Verhältnis zwischen gegebener Situation und ihrem religiösen Ausdruck sowohl in der Geschichte wie auch in der Gegenwart zu untersuchen. Früher legte die Religionsgeschichte den Nachdruck auf die Auswirkungen, die politische und vor allem staatliche Ereignisse auf Religionen hatten. Man hat z. B. auf die Folgen der Eroberungen Alexanders des Großen für die Kultur- und 3

Siehe ERNST BENZ, Beschreibung des Christentums. Eine historische Phänomenologie (München 1978).

C. Religionen im geschichtlichen Kontext

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Religionsgeschichte des Nahen Ostens hingewiesen, oder auf die Implikationen der Ausweitung des römischen Reiches für die Religionen in seinem Machtraum. Desgleichen hat man die Konsequenzen hervorgehoben, die der Fall von Jerusalem 70 n. Chr. für das Judentum oder der Fall des Sassanidenreiches um 645 für den Mazdaismus hatte. Beliebte Beispiele sind auch das Verhalten von Kaisern, etwa das Asokas gegenüber dem Buddhismus oder das Konstantins des Großen gegenüber dem Christentum: der kaiserliche Schutz hat die Entwicklung dieser zwei Religionen zu Weltreligionen nachhaltig gefördert. Die heutige Forschung betont daneben auch die Rolle sozialer Bedingungen. Man hat mittlerweile erkannt, daß vielen religiösen Bewegungen, religiösen Abspaltungen und Ketzerbewegungen soziopolitische Bedingungen zugrundelagen und daß die Religion Formen der sozialen Organisation bzw. des sozialen Protests ermöglichte. Es wurde deutlich, daß es innerhalb der Religionen entgegengesetzte Interessen geben kann, die sozial und auch wirtschaftlich bedingt sind und die entweder dazu führen, daß die bestehenden Verhältnisse religiös begründet oder aber unter der Fahne einer alternativen Religionsdeutung, oder sogar einer anderen Religion, verändert werden. Es hat sich weiterhin gezeigt, in welchem Maß Religionen von den bestehenden Bildungs- und Unterrichtssystemen, von den herrschenden Organisations- und Entscheidungsformen und schließlich von der Teilnahme der „Laien" am religiösen Leben abhingen. Dazu gehört auch die Teilnahme, um nicht zu sagen das Mitbestimmungsrecht von Frauen. Historisch betrachtet, boten die meisten Religionen den breiten Schichten der Bevölkerung nur wenig Anregung, ein persönliches Verantwortlichkeitsgefühl zu entfalten und Formen eigenen, freien Handelns zu entwickeln. 2. Kulturgeschichte und Religion Der kulturgeschichtliche Kontext — mit seinen Kulturformen und seinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hinter-

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gründen — erweist sich für bestimmte Entwicklungen in einer Religion als überaus wichtig. Im Fall des Islam zum Beispiel stellen wir fest, daß die Ausarbeitung der islamischen normativen „Religionswissenschaften" im 9. Jahrhundert in einem Großstaat erfolgte, der ausdrücklich ein islamisches Kalifenreich sein wollte. Es wurde dazu auch eine aktive Kulturpolitik verfolgt, die auf dem Gebiet von Literatur, Philosophie und Wissenschaft — mit Übersetzungen älteren Kulturgutes ins Arabische — ebenfalls außerordentliche Leistungen hervorbrachte. Die Paralyse der islamischen Religion fand bezeichnenderweise in einer Zeit des politisch und wirtschaftlich bedingten Niedergangs der Kultur statt, in der die spätere westliche Kolonisierung auch jeden politischen Ausdruck des Islams zu verhindern suchte. In dieser kulturell unproduktiven Periode ist jedoch das Aufblühen der Mystik zu beobachten, geradezu als Gegengewicht zur Desintegration der offiziellen Strukturen. Das Beispiel zeigt, daß eine Religion in den schöpferischen Zeiten einer Kultur ausgebaut werden kann, in den Zeiten des kulturellen Niedergangs hingegen ganz andere Formen annehmen kann. Übrigens haben religiöse Strukturen in nahezu allen Kulturen einen geschichtlich wichtigen Einfluß ausgeübt, der von Fall zu Fall zu erforschen ist. 3. Bedürfnisse hinsichtlich Religion

Ein altes Sprichwort sagt: „Not lehrt beten". Tatsächlich zeigt die Geschichte, daß das Bedürfnis nach Religion in Krisensituationen zunimmt, und sei es auch nur, um überleben zu können. Das kann zu asketischen Lebensformen führen, die religiös begründet werden, zu mystischen und gnostischen Bestrebungen, zu Reformbewegungen oder auch zu einer Ideologisierung der Religion, wodurch sie politischen und sozialen Zwecken nutzbar gemacht werden kann und bisweilen einen militanten Charakter annimmt. Als in der Geschichte überaus wichtig hat sich das Interesse des Staats an der Religion gezeigt.

C. Religionen im geschichtlichen Kontext

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Die Einheit des Staates kann durch eine einheitliche Religion ideologisch gestärkt werden, ebenso kann sich ein Staat durch eine eigene Religionsform von anderen Staaten absetzen. In den deutsch-französischen Konflikten wurde der Gegensatz häufig als einer zwischen Protestanten und Katholiken ausgegeben. Ähnliches galt in den alten türkisch-iranischen Konflikten in bezug auf den sunnitischen bzw. schiitischen Islam. Der Staat braucht die Loyalität seiner Bürger. Diese Loyalität kann durch eine religiöse Bindung untermauert werden. Insbesondere die Staaten, deren Bürger überwiegend „religiös" sind, werden die nötige Legitimierung politischer und rechtlicher Entscheidungen vorzugsweise „religiös" einkleiden. 4. Angriffe gegen Religion In jeder Kultur hat es Kritiker der bestehenden Religion gegeben, die eine unabhängige „philosophische" Position einnahmen oder — wie z. B. die großen Propheten — eine religiöse Kritik an der etablierten Religion äußerten. Außerdem hat es in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit Menschen gegeben, die sich nicht um die Religion kümmerten und nicht als „religiös" betrachtet werden konnten. Offene Angriffe gegen eine bestimmte Religion oder gegen die Religion als solche bis hin zum Kampf gegen die Religion sind jedoch offenbar erst eine Erscheinung der jüngsten Zeit. Die Religionsgeschichte zeigt, daß Menschen nicht nur bestimmte Aspekte ihres Lebens oder bestimmte Errungenschaften, sondern auch ihre Religionen pervertieren können. Die Kirchengeschichte macht zum Beispiel deutlich, wie sehr gerade im Christentum bewußt gesündigt worden ist. Die Religion konnte überall nicht nur absichtlich für nichtreligiöse Zwecke, sondern auch gegen Menschen eingesetzt werden. Die religiöse Führerschaft hat sich in vielen Unrechtssituationen mit der falschen Seite verbündet und mit Hilfe der Staatsgewalt religiöse Proteste dagegen unterdrückt.

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Das hat gerade im zwanzigsten Jahrhundert zu ungeheuren Angriffen auf die Religion geführt. Der Sozialismus, wie er von den Arbeitern vertreten wurde, enthielt wenig Sympathie für die Religion, und der Marxismus, vor allem in seiner leninistischen Ausprägung, wurde zu einer „religionsentlarvenden" Ideologie. Die Dekolonialisierung der Länder der Dritten Welt ging häufig mit einer Ablehnung des westlichen Christentums einher: neben anti-religiösen Ideologien entwickelten sich im Zuge der „Verabschiedung" des westlichen Christentums auch zahllose einheimische religiöse Bewegungen. Meistens richten sich die Angriffe der „Gegner" jedoch gegen ganz bestimmte Formen oder Inhalte einer bestimmten Religion. Da diese in der Regel von der betreffenden Religion nicht aufgegeben werden, wenden sich die Angriffe daraufhin unter Umständen gegen „die Religion überhaupt". Dies gehört jedoch schon zum nächsten Abschnitt.4

D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. und 20. Jahrhundert Es steht außer Frage, daß die verschiedenen Religionen, gleichgültig ob es sich um schriftlose Religionen oder Schriftreligionen handelt, im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts große Veränderungen erfahren haben. Über die Art, die Ursachen und die richtige Deutung dieser Veränderungen herrschen die unterschiedlichsten Ansichten. Sie gehen zumeist auf weltanschauliche und weniger auf wissenschaftliche Differenzen zurück. 4

Das umfassendste historische Werk in deutscher Sprache ist das von HERMANN LEY, Geschichte der Aufklärung und des Atheismus, in mehreren Bänden (Bis jetzt vier Bände, O.Berlin 1966 — 84). Aufschlußreich ist das Buch von H ANS-JOACHIM KLIMKEIT, Antireligiöse Bewegungen im modernen Südindien. Eine religionssoziologische Untersuchung zur Säkularisierungsfrage (Bonn 1971).

D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. u. 20. Jahrh.

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Welchen Standpunkt vertritt die geschichtliche Forschung? Um diese Frage zu beantworten, sollen zunächst einige Unterscheidungen getroffen werden, die zumal für die moderne und zeitgenössische Religionsgeschichte wesentlich sind.5 1. Veränderungen

Viele Veränderungen in den traditionellen Lebensweisen und in den religiösen Traditionen im weitesten Sinne sind schlichtweg den technologischen Fortschritten in den betreffenden Gesellschaften und den durch sie hervorgerufenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen zuzuschreiben. Das heißt, daß die herkömmlichen religiösen Traditionen dazu gezwungen sind, auf bestimmte Elemente zu verzichten, andere umzudeuten und bisweilen auch neue Elemente in die normative Tradition aufzunehmen, wenn sie ihre Gültigkeit in der sich verändernden Gesellschaft beibehalten wollen. Wichtig dabei ist die Deutung, die die religiösen und politischen Führer den auftretenden Veränderungen im Leben der betreffenden Gesellschaft oder Kultur geben: ob sie westlichen oder sogar christlichen Einflüssen zu verdanken sind, ob sie dem Wohl der betreffenden Gesellschaft dienen oder Unheil bewirken, ob sie überhaupt im Lichte der eigenen Weltanschauung akzeptabel bzw. ob sie als legitim oder illegitim zu bewerten sind. Eine zweite wichtige Ursache für eine große Anzahl von Veränderungen in den Religionen war das Aufkommen neuer geistiger Orientierungen ideologischer Art im 19. und 20. Jahr5

Für eine eingehende Behandlung siehe GARSTEN COLPE, „Synkretismus, Renaissance, Säkularisation und Neubildung von Religionen in der Gegenwart", in: Handbuch der Religionsgeschichte, Band 3 (Göttingen 1975), S. 441 — 523. Von allgemeinem Interesse ist der Band Der Religionswandel unserer Zeit im Spiegel der Religionswissenschaft, hrsg. von GÜNTHER STEPHENSON (Darmstadt 1976).

7 Waardenburg

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hundert, die es vorher nicht gab, weiterhin die Identifizierung von Menschen mit neuen sozialen Loyalitäten gegenüber neuen Gruppen, Bewegungen und Strömungen. Wir denken hier z. B. an verschiedene Formen des Nationalismus, die zuerst in Europa und dann auch in anderen Teilen der Welt auftraten. Dieses Phänomen zeigte sich nicht nur bei Intellektuellen, sondern auch in den neuen Mittelschichten und dann auch bei den Massen. Die neuen Orientierungen waren den alten religiösen Traditionen nicht notwendig entgegengesetzt, aber ihre Werte stammten in der Hauptsache aus anderen geistigen Quellen als der einheimischen Tradition. Diese Quellen waren vor allem westlicher Herkunft und hatten meist eine deutlich ideologische, vielfach nichtreligiöse Ausrichtung: die französische Revolution, der englische Liberalismus, die moderne Wissenschaft, Werte wie soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Emanzipation, Menschenrechte und Kampf gegen Armut und Unterdrückung. Die Impulse zu neuen geistigen Orientierungen konnten auch vom Marxismus oder von anderen Varianten des Sozialismus ausgehen. Eine dritte Ursache der Veränderungen in Religionen war die nicht von außen kommende, sondern immanente Traditionsund Religionskritik, die namentlich im 20. Jahrhundert zu einer Auseinandersetzung mit der gegebenen religiösen Tradition führen konnte. Sie wurde sozusagen von „innen", und zwar im Namen der eigenen religiösen Wahrheit, an die Tradition herangetragen, wie das z. B. bei Reformbestrebungen oder auch in der Mystik häufig der Fall war. Dabei wurden die existierenden Lebensweisen oder Vorstellungen, auch wenn, ja vielleicht gerade wenn sie sich religiös legitimierten, als im Widerspruch zur Wahrheit oder wahren Absicht der eigenen Religion stehend gesehen und kritisiert. Zugleich erfolgte die Aufforderung, zu dieser Wahrheit der eigenen Religion zurückzukehren, diese durchzusetzen und bestimmte traditionelle Formen fallen zu lassen. Obwohl die Ausdrucksformen einer solchen internen Religionskritik oft theologischer oder philosophischer Natur sind,

D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. u. 20. Jahrh.

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geht die Kritik selbst in der Regel auf ein neues Wahrheitsbewußtsein zurück. Diese neu entdeckte Wahrheit kann dann z. B. zu einer wissenschaftlichen Überprüfung oder einer sozialen Kritik der gegebenen religiösen Tradition führen, so daß diese in bestimmten, empirischen Formen als „unwahr" angesehen wird, d. h. als der Wahrheit zuwiderlaufend. Eine solche Überprüfung der gegebenen religiösen Tradition kann auch dazu führen, neue Werte als wesentlicher Bestandteil dieser religiösen Tradition zu deklarieren. So sind in vielen Religionen z. B. eine Anzahl von Menschenrechten als zur Tradition gehörig artikuliert worden. Eine ganz andere Religionskritik liegt dann vor, wenn die gegebene religiöse Tradition und Wahrheit nicht von innen und im Hinblick auf bestimmte Elemente, sondern von außen und insgesamt verurteilt wird. In diesem Fall wird die Tradition auf Grund einer anderen Einsicht angegriffen, deren Erkenntnis der herkömmlichen religiösen Wahrheit überlegen sein soll. Eine solche Kritik stellt eigentlich die gegebene Religion grundsätzlich in Frage und führt zur Lossagung von ihr. Die neue, als überlegen angesehene, Einsicht kann religiös sein und so zu einer religiösen Bekehrung führen. Sie kann aber auch einen prinzipiell antireligiösen Charakter haben, von einem anderen Ausgangspunkt aus entwickelt und dann ideologisch religionskritisch verarbeitet worden sein. Es sind gerade die im 19. Jahrhundert in Europa entstandenen Ideologien wie Marxismus, Positivismus u. ä., die sich am stärksten religionskritisch geäußert haben und die in Verbindung mit politischen Revolutionen in Ländern wie der U.d.S.S.R und China die größten Veränderungen in den Religionen bewirkt haben. Indirekt hat die Konkurrenz durch die Ideologien, welcher Art auch immer, zur Verringerung der Wirkungskraft beigetragen, die von den Religionen auf die Massen ausging. Wichtig im Zusammenhang mit dieser, heute in vielen Gesellschaften verbreiteten, Traditions- und Religionskritik sind die verschiedenen emanzipatorischen Prozesse, die dadurch in

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Gang kamen. Wir beobachten eine zunehmende Differenzierung und die Bildung alternativer Gruppen, die ihren Einfluß in der Politik und in den Medien auszuüben versuchen. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Emanzipation der Frauen, vor allem aber auch der „Laien" in den verschiedenen Religionen. Die offiziellen Leiter sind nicht mehr die einzigen, die die Religion wahren und weiterführen. Die wachsende Mündigkeit der „Laien" bringt mit sich, daß auch die Leiter einer Kritik unterzogen werden können. Weiterhin fallt auf, daß schon im Zeitalter des Imperialismus, und dann insbesondere nach der politischen Unabhängigkeit in den neuen Staaten, auf das eigene soziokulturelle Erbe zurückgegriffen wurde, wozu auch die gegebenen religiösen Traditionen gehören. Die Religionen in der „Dritten Welt" erfüllen zunehmend neue Funktionen, die es vor einem Jahrhundert noch kaum gab. Sie können etwa die eigene Identität herausstellen oder sogar sakralisieren und damit die Abgrenzung von anderen Völkern mit anderen Religionen und Ideologien ermöglichen. Zugleich jedoch sind sie selbst einer Ideologisierung und Politisierung durch äußere Instanzen ausgesetzt. So gibt es in vielen Religionen innere Rationalisierungen, wobei der Kern der eigenen Religion idealisiert und die Religion als System ideologisiert wird. Es kann dann proklamiert werden, diese Religionen würden für gegebene Probleme die wahre Lösung bieten. Hiermit hängt auch die Spannung zwischen Universalisierung und Partikularisierung vieler Religionen und ihrer Ansprüche zusammen. Häufig müssen lokale Religionen dem Druck allgemeiner Ideologien und allgemeiner Religionen weichen und ihre Ansprüche zurückstecken. Man ist aber auch bestrebt, in einem Reinterpretationsversuch die universale Gültigkeit ehemaliger lokaler Religionen, zumindest im Hinblick auf ihre Prinzipien, zu verdeutlichen und auszuarbeiten, indem man etwa ihren Gottesglauben oder ihre ethischen Vorschriften herausstellt. Daraus kann sich unter Umständen eine erneute Anerkennung und sogar Verbreitung der betreffenden Religion

D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. u. 20. Jahrh.

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ergeben. Daneben gibt es aber auch bewußte Partikularisierungen, etwa dann, wenn eine Religion von ihren Anhängern als eine nur für bestimmte Gruppen, Völker oder auch „Rassen" geltende ausgegeben wird. Derartige Partikularisierungen haben, verglichen mit der Offenheit universaler Religionen, einen geschlosseneren und „integrierenderen" Charakter, da sie nicht nur das ganze Leben, sondern auch das Überleben dieser Gemeinschaften sichern sollen. Oft handelt es sich dabei um partikularistische Abzweigungen der größeren Religionen. Künftig dürften vor allem jene neuen religiösen Konstellationen interessant sein, die dadurch entstehen, daß unterschiedliche, in der Vergangenheit formal und inhaltlich einander ausschließende Religionen unter dem Druck der Gesellschaften und ihrer eigenen Gemeinschaften einfach nebeneinander bestehen müssen. In günstigen Fällen kann das zu einer praktischen Zusammenarbeit und zu verschiedenen Formen des „Dialogs" oder zu einer Ökumene führen. Auch die Bedrohung durch politische oder wirtschaftliche Eingriffe oder durch religionsfeindliche Ideologien kann zu solchen Annäherungen führen. Diese Interaktionen auf verschiedenen Ebenen wurden bisher noch kaum erforscht, ebensowenig die Dialogversuche, die Anhänger von Religionen und Ideologien zur Verbesserung der bestehenden Situation unternehmen. 2. Neubildungen Neben den Veränderungen religiöser Traditionen bzw. ihrer völligen Auslöschung, wie sie bei einer Anzahl ehemals schriftloser Gemeinschaften zu beobachten ist, gibt es im 19. und 20. Jahrhundert auch religiöse Neubildungen. Sie haben nicht allein die Aufmerksamkeit der Religionswissenschaft, sondern auch die anderer Forschungsrichtungen, etwa der Ethnologie und Soziologie, auf sich gezogen. Es handelt sich hier um Phänomene, die nicht auf die sogenannte „Dritte Welt" beschränkt sind. Sie finden sich vielmehr auch im säkularisierten

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Westen, in einem Milieu also, in dem die sozialen und politischen Institutionen mehr und mehr der religiösen Observanz entzogen wurden und in dem immer weniger Menschen die vorgefundene religiöse Tradition fraglos akzeptieren. Daß in den USA und Europa in den letzten Jahren nicht nur christliche Erneuerungsbewegungen, sondern völlig neue religiöse Bewegungen aufkommen und sich durchsetzen konnten, hat teils Erregung und teils Empörung, fast immer aber Erstaunen hervorgerufen. Was wäre hierzu historisch-religionswissenschaftlich zu sagen? Auch im Bereich der Religion gibt es wenig Neues unter der Sonne, d. h. nur selten tritt etwas auf, was vorher noch nicht da gewesen ist. In der Regel handelt es sich um eine Verbindung verschiedener Traditionen unter dem Druck der Umstände, also um „synkretistische" Neubildungen. Ein Beispiel wäre die Anpassung, die bestimmte östliche Religionen an die westliche Gesellschaft unternehmen, um hier Eingang finden zu können. Auch in früherer Zeit kam es immer wieder vor, daß neue religiöse Antworten auf drängende Probleme entstanden, wobei meist auf bestimmte Inspirationen charismatischer Führer zurückgegriffen wurde. Erst die zunehmende Freiheit im Westen bewirkte eine Pluralisierung religiöser Orientierungen und Loyalitäten, die zuvor in dieser Form nicht möglich gewesen waren, vor allem dort nicht, wo exklusive Religionen alle alternativen Orientierungen kraft ihrer traditionellen Autorität sozial und politisch unterdrücken konnten. Menschen, die damals ihren Ideen treu bleiben und sie durchsetzen wollten, mußten aus der betreffenden religiösen Gemeinschaft ausscheiden, d. h. die betreffende Religion aufgeben. Häufig ist es so, daß neue religiöse Bewegungen, die sich grundsätzlich zu Religionen ausbilden können, absichtlich Elemente verschiedener Religionen zusammenbringen. Im Westen gibt es Bewegungen, die den Anspruch erheben, westliches Gedankengut und östliche Weisheit zu verschmelzen. Andere Bewegungen wollen ältere Traditionen oder eine alte Religion wiederherstellen und ihre Botschaft erfüllen. In beiden Fällen

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kommt es zu einer Auseinandersetzung mit der bestehenden Religion, deren Folgen nicht vorauszusagen sind. Denn eine in sich geschlossene religiöse Tradition, die für neue und bedrängende Umstände und Probleme keine wirksamen Lösungen mehr bieten kann und daher den Handlungsspielraum der Anhänger einengt, kann die Besten ihrer Gläubigen verlieren und selbst in eine Krise geraten oder einschlummern. Wird in einer solchen Situation eine neue Religion von anderswoher angeboten, kann sie durchaus großen Zuspruch finden. Es ist auch möglich, daß an Ort und Stelle eine neue Religion, die den bestehenden Problemen gewachsen zu sein beansprucht, gestiftet wird. Eine solche Stiftung kann namentlich durch Synkretismus, durch einen Reformationsanspruch oder durch Verinnerlichung erfolgen. Das Auftauchen neuer Religionen in der Geschichte war immer ein Hinweis auf krisenhafte geistige Situationen, wobei die Neustiftung ein symbolischer Ausdruck einer Opposition gegenüber einem konkreten Zustand mit bestimmten soziopolitischen Strukturen und bestimmten Ideologien sein kann. So gesehen wäre eine religiöse Neustiftung als Symbol einer geistigen Emanzipation aus einer Bevormundung oder als ein Symbol geistiger Befreiung aus einer Position geistig-sozialer Marginalität zu deuten. Die jeweiligen geistigen Inhalte, die von mehr oder weniger charismatischen Führern formuliert und verkündet wurden, wurden von den Anhängern rasch als Lösungen ganz bestimmter aktueller Probleme verstanden und akzeptiert. Damit war die Möglichkeit gegeben, daß die Verkündigungen zu religiösen Bewegungen wurden, aus denen sich Religionen entwickeln konnten. Das historische Material läßt weiterhin erkennen, daß die grundlegenden Momente religiöser Neubildungen meistens in einer bestimmten Beziehung zu praktischen Aspekten des Lebens der Anhänger und der neuen Gemeinschaft stehen und auch bestimmte soziale, wirtschaftliche und bisweilen politische Verhaltensweisen einschließen. Während sich in den alte-

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ren, gefestigten Religionen das Religiöse sozusagen verselbständigt hat, so daß sie als „reine" Religionen erscheinen können, hat sich das Religiöse in den neuen Religionen noch nicht verselbständigt und wirkt sich in vielseitiger Weise auf die Gestaltung der Gemeinschaft aus. Die neuen Religionen sind nicht weniger religiös als die gefestigten, aber ihre Religiosität ist von anderer Art. Aus der Sicht der gefestigten Gemeinschaften und Traditionen jedoch wirken sie häufig religionsverneinend. Sie gelten bisweilen nicht als religiöse, sondern als soziopolitische Bewegungen, oder einfach als ein nicht weiter ernst zu nehmendes Theater. Die Aufgabe des Forschers hingegen ist es, solche neuen Religionen auf ihre religiöse Aspekte hin zu untersuchen und die Früchte der Neubildung auf ihre Qualität hin zu prüfen. 3. Einige Beispiele a) Veränderungen und Neubildungen innerhalb der großen Religionen Mit MOSES MENDELSSOHN (1729 — 1789) setzte die Aufklärungsbewegung (Haskala) im Judentum ein und führte gegen den Widerstand der Orthodoxie zur Entstehung des liberalen Judentums. So entstand im 19. Jahrhundert neben dem traditionellen Talmudstudium die sogenannte „Wissenschaft des Judentums", in der auch kritische Forschung betrieben wurde. Die Folge war, daß es — vor allem in Deutschland vor 1933 und anschließend in Amerika — zu einer blühenden Neuinterpretation der religiösen Lebensführung kam. Entscheidende Veränderungen im religiösen Erleben und im Selbstverständnis des Judentums brachte die Katastrophe der europäischen Juden in der Zeit zwischen 1933 und 1945 hervor; desgleichen die Gründung des Staates Israel 1948, der auf die Bestrebungen der von THEODOR HERZL (1860 —1904) ins Leben gerufenen zionistischen Bewegung zurückgeht. Als Staat hat Israel weiter sein eigenes politisches Leben geführt. Im Christentum haben im 19. und 20. Jahrhundert große Veränderungen stattgefunden. Alle christlichen Kirchen wurden

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in diesem Zeitraum vor gewaltige Probleme gestellt, und zwar sowohl auf geistiger (wissenschaftliche Bibel- und Traditionskritik, Veränderung des Weltbilds durch die Forschungsresultate der Naturwissenschaften, u. Ä.) wie auf organisatorischer Ebene (Abfall von Anhängern; Reorganisationen der römischkatholischen Kirche; Abspaltungen bei den Protestanten). Neben den Fragen, die sich aus der starken Säkularisierung Europas ergeben, entstand eine kaum zu bewältigende ethische und moralische Problematik. Auch ist es heute nicht mehr möglich, das Christentum mit der westlichen Kultur und Gesellschaft zu identifizieren; es existiert eine Vielzahl junger Kirchen in Asien, Afrika und anderswo, die sich meistens als Minderheiten bewähren müssen. In Afrika z. B. sind mehr als tausend Kirchen westlicher Provenienz tätig. Seit dem zweiten Weltkrieg entstanden mehr als sechstausend neue „unabhängige" Kirchen, die nach Inhalt und Form sehr verschieden sind, da sich überall eigenständiges Erbgut durchsetzt. Von großer organisatorischer und geistiger Bedeutung sind die Ökumenische Bewegung im Christentum und der von den Kirchen aufgenommene Dialog mit Anhängern anderer Glaubensrichtungen und Überzeugungen. Auch im Hinduismus hat es im 19. und 20. Jahrhundert verschiedene Bewegungen gegeben, die einschneidende Veränderungen der Tradition mit sich brachten. Bekannt ist der 1828 von RAM MOHAN ROY (1772 — 1833), einem bengalischen Brahmanen, gegründete Brahma Samäj, der sich zu einem kompromißlosen Monotheismus bekannte und mit einer großen Weltoffenheit soziale Reformen anstrebte. DAYÄNAND SARASVATI (1824—1883) rief 1875 den Aryä Samäj ins Leben, der ebenfalls eine monotheistische Lehre vertrat, aber im Gegensatz zum Brahma Samäj keine Toleranz in Glaubensfragen befürwortete. Aus der Arbeit des RÄMAKRISHNA (Gadähara Chattopadhyärya, 1834—1886), der sich zur advaita-Lehre des Vedänta bekannte und diese Lehre auch im ethisch-religiösen Verhalten zu praktizieren versuchte, entstand die sogenannte Rämakrishna-Mission, die eine Reihe von sozialen Verbesse-

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rungen zum Ziel hatte. Nachfolger des Rämakrishna war SVÄMI VIVEKÄNANDA (Narendranäth Datta, 1863-1902), der von seinem Meister das Bekenntnis zur Einheit aller Religionen übernahm und 1897 die Rämakrishna-Mission begründete. Im 20. Jahrhundert hat SRI AUROBINDO (1872 -1950) die Lehre des sogenannten integralen Yoga verkündigt. Seit 1910 wohnte er im damals französischen Pondicheri, wo er einen bekannten, auch für westliche Besucher offenen Äshram eröffnete. „Mahatma" MOHENDAS KARAMCHAND GANDHI (1869-1948) gründete kurz vor seinem Tod den Sarvodaya-Samäj, zu dessen Programm freiwillige Landschenkungen (bhudän) gehörten. Im Westen ist z. B. die Lehre der Transzendentalen Meditation von MAHARISHI MAHESH YOGI bekannt geworden, dessen Schule 1958 in Madras entstand, desgleichen die von MAHRAJ Ji (geb. 1958?) 1970 etablierte Divine Light Mission. Unter der offiziellen Bezeichnung „International Society for Krishna Consciousness" (ISKCON) rief SVÄMI PRABHUPÄDA (geb. 1895?) 1966 in New York die Hare A>«/z«ö-Bewegung ins Leben. Diese und andere ähnliche Guru-Bewegungen haben im Westen aktive Mission betrieben. Die Situation des Hinduismus hat sich durch die Unabhängigkeit Indiens 1947 und die anschließende Proklamation eines säkularen indischen Staates grundlegend geändert. Die indische Verfassung erkennt die Parias als gleichberechtigt an, die Absolutheit des Kastensystems wird langsam abgebaut. Gegenüber der Außenwelt wird das Postulat absoluter Toleranz vertreten, dabei aber gleichwohl an der geistigen Überlegenheit des spirituellen Hinduismus festgehalten. Die zahllosen Ausrichtungen innerhalb des Hinduismus und das Fehlen einer zentralisierten religiösen Organisation ermöglichen es grundsätzlich jedem Inder, die ihm angemessene geistige Orientierung zu finden. In Japan hat es nach dem zweiten Weltkrieg eine Vielzahl religiöser Bewegungen gegeben, die zu Unrecht „Neue Religionen" genannt werden, da sie älteres religiöses Erbe einbeziehen.

D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. u. 20. Jahrh. 103

Dazu gehört beispielsweise die Ömotokyö, die auf eine 1882 von Frau DEGUCHI (1836-1918) empfangene Offenbarung zurückgreift und DEGUCHI ONISABURO (1871 — 1948), der sich als „Kaiser" verehren ließ und viele schriftliche Offenbarungen hinterließ, als eine Art Messias anerkennt. Aus der Ömotokyö sind zwei Religionen hervorgegangen, die Offenheit, Nonkonformismus und universales Denken predigen. Die eine ist Seicho no le, gegründet von MASAHARU TANIGUCHI (geb. 1893), die andere Sekai Kyuseikyo, gegründet von MOKICHI OKADA (1882 — 1952), in der eine Art Weltmessianismus vertreten wird. Daneben gibt es viele weitere Neubildungen, die in der Periode des Staatsshintö zwischen 1868 und 1945 entstanden. Die Trennung von Staat und Shintö im Jahre 1945 und die Entgöttlichung des Kaisers hat die religiöse Situation Japans grundsätzlich verändert. Die vielen „Neuen Religionen" kamen mit ihrem Ritual, ihrer Erlösungslehre und ihren Meditationstechniken, aber auch mit ihrem Gemeinschaftswesen und ihrer persönlichen Zuwendung tiefen religiösen und menschlichen Bedürfnissen entgegen. Die Meditationstechniken des Zen-Buddhismus haben auch Einfluß im Westen gewonnen. b) Übergreifende, universalistische Neubildungen Wir haben es hier mit neuen Religionen zu tun, die die bestehenden Religionen aus einem tiefen Bedürfnis nach Einheit miteinander verbinden wollen, einen universalistischen Anspruch erheben und sich als „letzte" Religionen betrachten. Wiederum können nur einige Beispiele genannt werden. Die amerikanische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage geht auf ein Offenbarungserlebnis des Amerikaners JOE SMITH (1805-1844) zurück, der 1827 den Originaltext des sogenannten Buches Mormon durch Vermittlung eines Engels gesehen haben soll. Der Text, den Smith diktierte und dabei angeblich auf wunderbare Weise vom „Reformägyptischen" ins Englische übertrug, wurde zur heiligen Schrift der Mormo-

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II. Geschichtliche Forschung

nen. Später folgten weitere Offenbarungen. Smith wurde 1844 ermordet und sein Nachfolger BRIGHAM YOUNG führte die Anhänger 1846 — 47 zum Salzsee, wo sie sich ansiedelten. Salt Lake City ist bis heute die heilige Stadt der Gemeinschaft geblieben. Es ist auch der Ort, an dem Christus das Jüngste Gericht halten wird. Die Gemeinde ist missionarisch ausgerichtet. Die Bahä 7-Religion leitet sich von der sogenannten Bäbi-Bewegung in Iran her, die in dem Perser MIRZÄ c Au MUHAMMAD aus Schiräz (1821-1850), der im Jahre 1844 auftrat, den Bob — den erwarteten Vorgänger des MahcK der Endzeit — sah. Ihre Lehre einer sukzessiven Offenbarung nach Mohammed, der vom offiziellen Islam als letzter Prophet angesehen wird, wurde von den Muslimen als Ketzerei eingestuft. Die BäbTs wurden verfolgt, und der Bäb wurde 1850 hingerichtet. Daraufhin erklärte sein Anhänger M!RZÄ HUSAIN 'Au NÜRI (1817-1892), die erwartete Manifestation Gottes zu sein, und nannte sich Bahä'ulläh (wörtlich „Glanz Gottes"). Er lebte seit 1868 in Akka in Palästina, wo er das Kitäb-e aqdas (wörtlich „Heilige Schrift") und mehr als hundert andere Schriften verfaßte. Sein Sohn ABDUL-BAHÄ' (1844-1921) war der eigentliche Organisator der Bewegung. Er unternahm Missionsreisen nach Amerika und Europa, und erklärte Haifa zum Zentrum der Bewegung. Hier wurde 1931 der Haupttempel gebaut. Seit 1963 wird die Gemeinde von einem Rat geführt, der „Universales Haus der Gerechtigkeit" genannt wird. Die Bahä'i wird von den Anhängern nicht als neue Religion, sondern als Vereinigung aller bisherigen Gottesoffenbarungen verstanden. Die Gemeinde untersteht strengen ethischen Forderungen und wird bekanntlich im heutigen Iran verfolgt.. Die sogenannte Vereinigungskirche, auch als „ Unified Family" bekannt, wurde von SUN MYUNG MOON (geb. 1920), einem Nordkoreaner, auf Grund einer Berufung gegründet. Er rief im Jahre 1954 eine Vereinigung ins Leben, deren Ziel die Einigung des Christentums sein sollte. Sein Buch „Die göttli-

D. Entwicklung der Schriftreligionen im 19. u. 20. Jahrh. 105

chen Prinzipien" enthält die Grundgedanken dieser Bewegung. Die Welt befindet sich im Kampf zwischen Gott und Satan, wobei das Verhältnis zwischen den Geschlechtern eine Rolle spielt. Der „Herr der zweiten Ankunft" wird, mit einer perfekten Familie, am Ende der Zeit erscheinen, um diesen Kampf auf Erden zu einem guten Ende zu bringen. Angeblich soll es sich bei dieser Person um SUN MYUNG MOON selbst handeln.6 c) Schlußfolgerung aus den Veränderungen und Neubildungen von Schriftreligionen

Mehr noch als bei den großen religiösen Traditionen finden wir bei den Neubildungen Offenbarungen, also unmittelbare Kundgebungen, deren Herkunft für göttlich gehalten wird. Solche Offenbarungen haben geschichtlich gesehen eine wichtige traditionskritische Funktion, d. h. sie sind imstande gewesen, die gegebene Tradition zu überwinden, einen neuen Anfang zu machen und dann zu einer neuen Gemeinschaft zu führen. Weiterhin fällt auf, daß es in der Ideen- und Handlungswelt der Religion offenbar eine eigene Dynamik gibt, eine Kontinuität, die der „irdischen", geschichtlichen Kontinuität parallel zu laufen scheint. Im Verlauf der Umformungen und Neubildungen verändern gegebene religiöse Phänomene ihre Bedeutung, die sich verweltlichen kann, während bestimmte bisher „weltliche" Phänomene eine religiöse Bedeutung erhalten können. Diese Veränderungen und Neubildungen sind als Versuche zu sehen, sich von gegebenen und bisher fraglos gültigen religiösen Traditionen und Institutionen zu lösen und eine eigene „Zukunft" möglich zu machen. Im Prozeß der Reinterpretationen, Ablehnungen und Neukonzeptualisierungen der eigenen 6

GÜNTER KEHRER (Hrsg.), Das Entstehen einer neuen Religion. Das Beispiel der Vereinigungskirche (München 1981).

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II. Geschichtliche Forschung

Religion'werden neue, subjektiv bedeutungsvolle religiöse Anschauungen und Verhaltensweisen hervorgebracht.7

E. Einige Schlußbemerkungen Die religionsgeschichtliche Forschung ist bis vor kurzem praktisch ausschließlich im Westen betrieben worden; vieles wurde vom westlichen Blickpunkt aus geschrieben. Die notwendige Korrektur dieser einseitigen Betrachtungsweise wird namentlich dann erfolgen, wenn die westlichen Religionen stärker als bisher auch von nichtwestlichen Forschern untersucht werden und wenn die kritische Erforschung der Geschichte der eigenen Religionen in den Herkunftsländern dieser Forscher zunimmt. Weiterhin dann, wenn sich qualifizierte Forscher, die unterschiedlichen Kulturen und Religionen angehören, zusammenschließen und eine gemeinsame Geschichtsschreibung einzelner Religionen, des Verhältnisses verschiedener Religionen zueinander und der Religion allgemein erarbeiten. Die daraus folgenden Revisionen im westlichen Bild der Religionsgeschichte werden in wissenschaftlicher und auch pädagogischer Hinsicht von höchstem Interesse sein.8 7

8

Die rezente Religionsgeschichte kann auch im Hinblick auf ein ganz bestimmtes Land in einem bestimmten Zeitabschnitt geschrieben werden. Aufschlußreich sind z. B. HUBERT CANCIK (Hrsg.), Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik (Düsseldorf 1982), und GÜNTER KEHRER (Hrsg.), Zur Religionsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (München 1980). Die Religionsgeschichte der Verhältnisse und Beziehungen zwischen Religionen sollte nach Möglichkeit gemeinsam betrieben werden. Das Werk Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Hrsg. v. K. H. RENGSTORF und S. VON KORTZFLEISCH, 2 Bände (Stuttgart 1968 und 1970) z. B. wurde von christlichen und jüdischen Forschern verfaßt. Wann dürfen wir einem ähnlichen Buch Kirche und Moschee entgegensehen?

E. Einige Schlußbemerkungen

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Widmet man sich der geschichtlichen Forschung von Religion und Religionen, so stößt man auf weit mehr Veränderungen und vergängliche Erscheinungen als Unveränderlichkeiten. Für den Historiker erweisen sich die Religionen als durchaus veränderliche Größen, ungeachtet der Tatsache, daß eine jede Religion sich in historisch einzigartiger Weise herausgebildet hat und daß deren gläubige Anhänger von ihrer wesentlichen Unveränderlichkeit überzeugt sein mögen. Als Historiker sieht der Forscher mithin primär die Verschiedenheit und Vielfältigkeit der empirisch gegebenen Religionen und ihrer Tatbestände. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es auf einer anderen Ebene der Religionsforschung eine Perspektive sowohl des Verschiedenen, wie auch des Gemeinsamen gibt. Wir kommen damit zur vergleichenden Forschung.

III. Vergleichende Forschung A. Zur Geschichte Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich das Prinzip des Vergleichs nicht nur in der Sprachwissenschaft, sondern auch in der Literaturwissenschaft erfolgreich durchgesetzt. Es zeigte sich, daß die Sprachverwandtschaft oder die Ähnlichkeit bestimmter literarischer Themen und Formen entweder zur Untersuchung geschichtlicher Zusammenhänge oder zu Hypothesen über Parallelentwicklungen führen können. Neue Perspektiven eröffneten sich vor allem auch in der vergleichenden Mythenforschung, in der nach inhärenten Gesetzen gefragt wurde, um auffallende mythologische Parallelen in verschiedenen Kulturen, die kaum miteinander in Verbindung gestanden haben konnten, zu erklären. So konnte schließlich auch die vergleichende Religionswissenschaft auf das Vorhandensein von verwandten Gruppen oder Familien von Religionen hinweisen. Dazu rechnen wir zum Beispiel die sogenannten indoeuropäischen Religionen, das heißt die Religionen der zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehörenden Völker und Kulturen, die möglicherweise auf eine alte indoeuropäische Urreligion zurückgeführt werden können. Auch die altorientalischen Religionen des Nahen Ostens haben eine Anzahl gemeinsamer Züge. Die Feststellung von Ähnlichkeiten führte zur Erforschung historischer Zusammenhänge innerhalb dieser Religionsgruppen. Es zeigte sich etwa, daß die alttestamentliche Kosmologie von früheren kosmologischen Vorstellungen im Nahen Osten (Mesopotamien!) beeinflußt war. Andererseits ließ sich durch den Vergleich mit zum Beispiel sumerisch-akkadischen Mustern die besondere Eigen-

B. Der wertende Vergleich

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art des biblischen Schöpfungsberichtes, Paradiesberichtes und Sintflutberichtes belegen. Ein weiterer wichtiger Punkt war, daß durch die vergleichende Religionsforschung der Nachweis erbracht werden konnte, daß es praktisch keine einzige religiöse Tatsache oder Erscheinung gibt, die nur in einer einzigen geschichtlichen Religion vorkommt. Als sich die Forschung auf ein bestimmtes religiöses Phänomen zu richten begann — wie zum Beispiel J. G. FRAZERS Untersuchungen über Leiden, Tod und Auferstehung einer Gottheit —, ergab sich bald, daß ein solches Phänomen nicht nur immer seine eigenen präzisen geschichtlichen Vorläufer hatte, sondern daß es auch in verschiedenen Religionen wiederzufinden war, die, soweit bekannt, keine geschichtliche Verbindung miteinander gehabt hatten. Mit anderen Worten, die vergleichende Erforschung religiöser Phänomene zeigte die grundsätzliche Allgemeinheit bestimmter Phänomene. Man faßte dann die historischen Formen als verschiedene Varianten auf, die im Laufe der Geschichte entstanden sind, und versuchte, dem Sinn einer Idee oder Handlung in einer bestimmten konkreten geschichtlichen Kultur gerade durch Vergleiche näher zu kommen. Diese Verfahrensweise wurde unter anderem bei der Erforschung klassischer, antiker und ,primitiver' Religionen verwendet, in denen es viele Erscheinungen gibt, die in Ermangelung schriftlicher Quellen kaum zu deuten sind. Ein Vergleich des weniger Bekannten einerseits mit dem besser Bekannten andererseits sollte methodisch zur Erschließung des Unbekannten beitragen. Schließlich hoffte man auch, durch die vergleichende Forschung dem Wesen der Religion näherzukommen.

B. Der wertende Vergleich Bevor wir über den wissenschaftlichen Vergleich sprechen, müssen wir uns kurz mit dem wertenden Vergleich befassen. 8 Waardenburg

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III. Vergleichende Forschung

Am Anfang der Religionsforschung waren es weitgehend praktische Gründe, die zu einem Vergleich zwischen dem Christentum und den anderen Religionen führten, aber auch heute noch spielt der wertende Vergleich in der Diskussion über Religionen eine beträchtliche praktische Rolle. Hier wie dort geht es um die Konfrontation mit fremden Kulturen und Religionen. Ziel eines Vergleiches kann es sein, eigene und andere Absolutseizungen, soweit diese sich auf geschichtlich bedingte Formen beziehen und zu einer Verabsolutierung irdischer Gegebenheiten führen, zu durchschauen und zu relativieren. Diese Verabsolutierungsbestrebung der eigenen Lebensweisen und Anschauungen ist eine den Religionen und auch Ideologien sozusagen grundsätzlich innewohnende Tendenz, die sich unter gewissen Umständen durchsetzt. Wenn Gläubige einer Religion oder Ideologie mit Anhängern einer anderen Religion oder Ideologie konfrontiert werden, ziehen sie bewußt oder unbewußt zwischen der unbekannten anderen und der als bekannt vorausgesetzten eigenen Religion oder Ideologie sehr schnell einen Vergleich. Ein solcher spontaner Vergleich fällt für die andere Religion oder Ideologie meist negativ aus. Da er mehr oder weniger unbefangen von dem ausgeht, was als Wert der eigenen Religion oder Ideologie verstanden wird, kann er als ein „wertender Vergleich" angesehen werden, der zum Beispiel aus dem Bedürfnis heraus erfolgt, sich dem Einbruch von etwas Fremdem in die selbstverständliche Absolutheit der eigenen Religion bzw. Ideologie entgegenzustellen. Ein solcher Wertvergleich ist nicht wissenschaftlich, sondern verfolgt vor allem praktische Ziele, und kann zur Herabsetzung, Widerlegung oder Bekämpfung der fremden Religion oder Ideologie oder auch zu einem Versuch ihrer Assimilierung und Subsumierung unter die eigene Religion oder Ideologie führen. Wenn letzteres aus irgendeinem Grund nicht möglich ist, kann die andere Religion oder Ideologie — besonders dann, wenn es außerdem noch andere Konflikte gibt — auch als Karikatur oder Teufelsschöpfung antipodisch der eigenen Religion oder Ideologie gegenübergestellt werden.

B. Der wertende Vergleich

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Die Mechanismen, die der Perception fremder Ideologien und Religionen zugrundeliegen, sind äußerst kompliziert. Bestimmte vorgegebene Anschauungen und Voraussetzungen auf der ideologischen Ebene spielen in diesen Perzeptionen des Anderen und seiner Werte eine Rolle, deren Bedeutung der der realen soziopolitischen Verhältnisse und widerstreitenden Interessen der betreffenden Gesellschaften auf sozialer Ebene nicht nachsteht. Der wertende Vergleich ist fast immer darauf gerichtet, die eigene Religion zu rechtfertigen; fast immer fällt er zuungunsten der anderen aus. In einigen wenigen Fällen, etwa beim positiven Dialogansatz, tritt man zugunsten der anderen ein. Diese praktischen wertenden Vergleiche können aber auch weiter reflektiert werden, gerade wenn es zum Beispiel in der fremden Religion oder Ideologie neben den negativen Qualitäten offensichtlich auch positive Qualitäten gibt, die es z. B. erforderlich machen, die Lebensweise der Anhänger positiv anzuerkennen. Eine kritische Selbstreflexion kann dazu führen, daß man die negative Deutung, die man der fremden Religion, der fremden Ideologie oder dem fremden Phänomen aus der Sicht der praktischen eigenen Überzeugungen oder Bedürfnisse her gegeben hatte, als eine Deutung erkennt, die man vom eigenen Glaubens- oder Weltanschauungsstandpunkt aus vorgenommen hat, ohne die volle Wirklichkeit in Betracht gezogen zu haben. Man wird dann einsehen, daß andere Deutungen möglich sind, die dem fremden Phänomen besser gerecht werden, und vielleicht auch erkennen, daß das zunächst abgewertete Phänomen innerhalb seines kulturellen und sozialen {Contexts bestimmte positive Funktionen erfüllt. Man kann darüber hinaus einsehen, daß ein adäquates Urteil nur dann gefällt werden kann, wenn man die Eigenständigkeit der anderen Kultur in die Betrachtung miteinbezieht. Es stellt sich nämlich meistens heraus, daß das fremde Phänomen innerhalb dieses anderen kulturellen Kontextes weniger ,irrational' oder ,primitiv' ist, als zuerst angenommen wurde.

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III. Vergleichende Forschung

Die Reflexionsbemühungen bewirken also, daß man sich vom natürlich vorgegebenen Ethnozentrismus lösen, eine legitime Pluralität von Kulturen mit verschiedenen Religionen und Ideologien wenigstens grundsätzlich annehmen und schließlich auch die geschichtliche und soziale Kontingenz und Relativität der empirischen Formen eigener wie anderer Religionen oder Ideologien anerkennen kann. Die Absolutheitsansprüche beziehen sich dann offensichtlich nicht mehr auf irdische Ausdrücke, sondern auf etwas Gültiges, das nicht völlig ausgedrückt worden ist und vielleicht auch niemals adäquat ausdrückbar ist. Führt man diese Reflexion noch weiter, gelangt man zu der Einsicht, daß das für absolut Gehaltene — sei es die Wahrheit der eigenen Religion oder der eigenen Ideologie — doch immer nur so erkannt wird, wie man es in der eigenen Tradition zu sehen gelernt hat. Damit stellt sich die Frage nach dem Sinn und der Konsequenz eines praktisch wertenden Vergleichs. Es ist ja nicht nur die fremde Religion, die sich im Laufe der vergleichenden Forschung als etwas herausstellt, das den ersten Annahmen nicht entspricht, auch die eigene Religion erweist sich dabei als weniger bekannt als ursprünglich angenommen. Wenn dieser Sachverhalt einmal begriffen ist, wird auch deutlich, daß jeder Vergleich zwischen Formen bzw. Idealen, die nie vollkommen erfaßt werden können, letztlich lückenhaft bleibt, daß also der vergleichenden Forschung Grenzen gesetzt sind.1

C. Der wissenschaftliche Vergleich Die Anwendung des objektiven Vergleichs in der Forschung bedeutet ein Durchbrechen des einzigartig geschichtlich bzw. 1

Zum Thema praktische' Vergleiche zwischen Religionen siehe G. LANCZKOWSKI, Einfuhrung in die Religionsphänomenologie (Darmstadt 1978), S. 1-12.

C. Der wissenschaftliche Vergleich

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empirisch Gegebenen und das Arbeiten auf einer ersten Abstraktionsebene. Die Tatsachen müssen dafür aus dem gegebenen unmittelbaren Kontext gelöst werden. Eines der ursprünglichen Motive, überhaupt Vergleiche in der Wissenschaft durchzuführen, war es, Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Tatsachen festzustellen, nicht nur, um die betreffende Eigenart näher zu bestimmen, sondern auch, um allgemein Vorkommendes aufzudecken. Dies führte dann zu der Zielsetzung, den allgemeinen Charakter bestimmter Phänomene, die man bisher z. B. für ausschließlich christlich gehalten hatte, aufzuzeigen und die Besonderheit bestimmter religiöser Tatsachen oder Erscheinungen in Frage zu stellen. Aufgabe der vergleichenden Religionswissenschaft wurde es, allgemeine Phänomene und allgemeine Regeln zu finden. Die vergleichende Methode konnte zeigen, daß ein bestimmtes Phänomen immer ein Fall einer allgemeineren Reihe von Phänomenen ist, daß es immer einer bestimmten Kategorie oder Struktur von Phänomen untergeordnet ist und daß es seinerseits mehrere allgemeine Elemente umfaßt. Für den Historiker, der nach dem geschichtlich Einzigartigen sucht, hat der Vergleich nur beschränkte Bedeutung. Er mag allenfalls dazu beitragen, die Einzigartigkeit einer geschichtlichen Tatsache hervorzuheben. Dem begeisterten vergleichenden Forscher dagegen, der nach dem Gemeinschaftlichen, ja Allgemeinen sucht, bietet er die Möglichkeit, in den konkreten Tatsachen allgemeine Formen und Typen festzustellen. Der vergleichende Forscher ist also auf der Suche nach Phänomenen in ihrer Allgemeinheit; ihm geht es um mehr als nur die einzelnen Tatsachen. Und wenn er noch einen Schritt weitergeht, begnügt er sich auch nicht nur mit allgemeinen Phänomenen, sondern beginnt, mit Hilfe der vergleichenden Methode zuerst eine Typologie oder Morphologie der Phänomene aufzustellen und dann nach allgemeinen Zusammenhängen, Regeln, ja Gesetzen zu suchen. So konnte die vergleichende Methode schon bald den Anspruch erheben, Religion tatsächlich wissenschaftlich, d. h. mit Blick auf ihre Regeln und Gesetze, zu erforschen.

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III. Vergleichende Forschung

Das wissenschaftliche Interesse auf den verschiedenen Ebenen des Vergleichs kann am Beispiel der Sprachwissenschaft verdeutlicht werden. Die erste Stufe der Sprachforschung umfaßt das Studium einer bestimmten Sprache. Die vergleichende Sprachwissenschaft bildet eine zweite, abstraktere Stufe: hier werden bestimmte Sprachfamilien unterschieden, innerhalb jeder Familie bestimmte Regeln festgestellt und die Eigenarten einer jeden Sprache dadurch deutlich gemacht, daß man sie mit Parallelen in anderen Sprachen derselben Familie vergleicht. Die Linguistik bezeichnet eine dritte, noch abstraktere Stufe: sie fragt nach noch allgemeineren Regeln, die nicht nur einzelnen Sprachfamilien, sondern allen bekannten Sprachen zugrundeliegen. Neben diesen drei Formen der Sprachwissenschaft, die sich mit den ,Tatsachen' der Sprache befassen, gibt es schließlich noch die Semantik, die sich speziell mit den Bedeutungen der Sprachformen befaßt. Parallel zu diesen drei Stufen des Vergleichs in der Sprachwissenschaft kann man auch in der Religionswissenschaft drei Stufen unterscheiden. Zunächst gibt es die Stufe, auf der die Tatsachen einer bestimmten Religion erforscht werden. Weiterhin gibt es die Stufe der vergleichenden Forschung, auf der zueinandergehörige religiöse Phänomene klassifiziert werden. Schließlich haben wir die Stufe einer noch abstrakteren vergleichenden Religionswissenschaft, auf der es darum geht, allgemeine Regeln religiöser Phänomene aufzufinden. Der Semantik in der Sprachwissenschaft entspricht in der Religionswissenschaft die Hermeneutik, die nach der Bedeutung religiöser Tatsachen und Phänomene fragt. Die Phänomenologie stellt u. E. eine bestimmte Richtung innerhalb der hermeneutischen Forschung dar. Aus dem Gesagten geht bereits hervor, daß es technisch verschiedene Arten des Vergleichs auch in der Religionsforschung gibt. Der äußere Vergleich stellt deskriptiv Unterschiede und Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Tatsachen fest und kann dazu dienen, die Tatsachen nach gemeinsamen äuße-

C. Der wissenschaftliche Vergleich

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ren Merkmalen einzuteilen und bestimmten allgemeinen Kategorien zuzuordnen. So kann eine Typologie oder Morphologie religiöser Phänomene entwickelt werden. Der analytische Vergleich untersucht Tatsachen auf gemeinsame Elemente, die einen jeweils verschiedenen Stellenwert bzw. eine verschiedene Bedeutung haben können. Diese Art des Vergleichs kann zur Aufstellung allgemeiner Regeln führen. Der Bedeutungsvzigleich unterscheidet die verschiedenen ,subjektiven' Bedeutungen, die dieselben Tatsachen unter verschiedenen Umständen für verschiedene Personen und Gruppen haben können. Schließlich gibt es den sogenannten Sinn vergleich. Hier fragt man nach dem allgemeinen ,objektiven' Sinn einer bestimmten Kategorie von Tatsachen oder Phänomenen und versucht, die Phänomene nach diesen allgemeinen Sinnzusammenhängen zu klassifizieren. Diese verschiedenen Arten des Vergleichs gehen nicht nur auf verschiedene Abstraktionsebenen zurück. Sie verdanken sich auch unterschiedlichen philosophischen Einstellungen. Das wird vor allem dann deutlich, wenn es sich bei dem Allgemeinen oder Universellen, nach dem gefragt wird, nicht nur um ein empirisch feststellbares Phänomen handelt, sondern um eines, das vorausgesetzt bzw. mittels geistiger Sinngehalte konstruiert wird. In der vergleichenden Religionsforschung haben also sowohl verschiedene Abstraktionsebenen wie auch zum Beispiel unterschiedliche ,Platonisierungstendenzen' eine Rolle gespielt. Die Entdeckung von Parallelen zwischen verschiedenen religiösen Phänomenen bzw. Religionen blieb für den Gebrauch und die Anwendung der vergleichenden Religionswissenschaft in bestimmten Lebensfragen nicht ohne Folgen. Sie wirkte sich vor allem auf die Einstellung gegenüber religiösen Absolutheitsansprüchen aus. Grundsätzlich war es zum Beispiel immer ein Schock, wenn man entdeckte, daß nicht nur die eigene, sondern auch andere Religionen einen Absolutheitsanspruch haben. Diese Entdeckung stellt implizit die

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III. Vergleichende Forschung

naive Absolutsetzung des eigenen Glaubens in Frage. Man kann darauf ganz verschieden reagieren: entweder akzeptiert man die relative Absolutheit jedes Glaubens oder man steigert bewußt die Absolutsetzung des eigenen Glaubens. Im zweiten Fall entsteht leicht ein negatives Bild der anderen ,alternativen' Religion, das die Möglichkeit bietet, diese Religion anzugreifen und ihre Anhänger zu diskriminieren. Man kann aber auch die Existenz der anderen Religion bzw. des anderen Absolutheitsanspruches gelten lassen und im Bemühen um Erkenntnis beginnen, in einer wissenschaftlichen Relativierung das Andere mit dem Eigenen, bzw. das Eigene mit dem Anderen zu vergleichen. Dabei kommt dann die Wahrheitsfrage am Horizont. Die vergleichende Religionsforschung ist in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte sowohl in der einen wie in der anderen Weise eingesetzt worden. Sie diente verschiedentlich dazu, den Absolutheitsanspruch des Eigenen zu steigern und die Ähnlichkeit des Anderen als bloße Verzerrung der eigenen Wahrheit von sich zu weisen. Andererseits ist sie aber auch häufig selbstkritisch wirksam geworden und hat eigene menschliche, allzumenschliche Absolutsetzungen — zumindest ihrer Form nach — relativiert. Dabei zeigte sich, daß die Einsicht, daß es in anderen Religionen Ähnliches gibt, auch einen positiveren Zugang zu bestimmten Elementen der eigenen Religion eröffnet. Andere Religionen mußten dabei nicht herabgesetzt und die Würde ihrer Anhänger nicht angegriffen werden.

D. Interkulturelle Perspektive des Vergleichs Die vergleichende Methode ist bei aller Nützlichkeit doch nur eine Methode. Sie kann verschiedenen Zwecken nutzbar gemacht werden, begründet u. E. aber als solche noch keine selbständige wissenschaftliche Disziplin. Als wissenschaftliche

D. Interkulturelle Perspektive des Vergleichs

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Methode folgt sie strengen Regeln: nur Vergleichbares darf miteinander verglichen werden; weiterhin können die vergleichbaren Tatbestände immer nur unter bestimmten Gesichtspunkten oder bestimmten Fragestellungen miteinander verglichen werden, wenn sie zu gültigen und sinnvollen Schlußfolgerungen führen sollen. Die ältere vergleichende' Religionswissenschaft tat weit mehr als dies. Ihr Name könnte zwar die Vermutung nahelegen, daß der Vergleich ihr einziger Zweck gewesen wäre, tatsächlich war sie aber eine selbständige Disziplin, die den Vergleich wesentlich als Instrument innerhalb eines breiteren Forschungsansatzes einsetzte. Hinter vielen Vergleichen läßt sich bei näherer Betrachtung ein bestimmter Gedankengang oder eine bestimmte Fragestellung feststellen. Wie in anderen Forschungsbereichen hängt es größtenteils vom Verhältnis zwischen der Fragestellung einerseits und den vorhandenen Tatsachen andererseits ab, inwieweit ein bestimmter Vergleich sinnvoll ist, d. h. gültige Schlußfolgerungen möglich macht. Es hat sich in der Geschichte der Religionsforschung gezeigt, daß viele Vergleiche von theologischen oder ideologischen Erwägungen bestimmt waren, die sich auch auf die Schlußfolgerungen ausgewirkt haben. Längere Zeit zum Beispiel hat die Annahme, daß die Religion eine selbständige Wirklichkeit darstellt, die Voraussetzung für einen sinnvollen Vergleich von religiösen Phänomenen gebildet. Die Grenzen der vergleichenden Methode sind insbesondere von der Geschichtswissenschaft und auch der Ethnographie aufgezeigt worden. Beide Disziplinen sind mit konkreten Situationen befaßt und ihre Arbeit macht deutlich, daß ein Tatbestand geschichtlich oder sozial nur dann erklärt und in seiner Wirkung verstanden werden kann, wenn man ihn im Rahmen seiner geschichtlichen Situation oder jeweiligen Kultur untersucht. Der funktionelle oder strukturelle Sinn eines solchen Tatbestands geht verloren, sobald man ihn von seinem Kontext isoliert. So kann zum Beispiel der Vergleich verschiedener

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III. Vergleichende Forschung

Gebetstexte, die aus ihrem Kontext herausgelöst wurden, eine Einsicht in tiefste menschliche Regungen und Bedürfnisse verschaffen. Wissenschaftlich gesehen sind solche Texte aber durch ihre Isolierung von der Tradition und vom konkreten Kontext ihrer präzisen Bedeutung und umfassenden Funktion beraubt worden. Ein Vergleich zwischen ihnen, so nützlich er für bestimmte Zwecke auch sein mag, erfolgt um den Preis der Ausklammerung ihrer unmittelbaren Bezugs- und Lebenswirklichkeit. Es sind eigentlich keine ,Gebete', sondern Texte, die miteinander verglichen werden. Dazu kommt die Tendenz des Forschers, als ,Gebet* nur das anzuerkennen oder überhaupt wiederzuerkennen, was seiner Auffassung oder seinem Modell vom Gebet entspricht. Dieses einfache Beispiel läßt überdies erkennen — und die Erfahrungen der Geschichtswissenschaft und auch der Ethnographie können das bezeugen — , wie sehr die vergleichende Methode in ihrer Anwendung durch kulturelle Voraussetzungen und Bedingungen bestimmt ist. Die Geschichte der vergleichenden Religionswissenschaft zeigt die beständige Gefahr, auf ethnozentrische oder apologetische Erklärungsmuster zurückzugreifen. Dieses Vorgehen erbringt nicht nur wenig neue Erkenntnisse, sondern entwirft auch ein vollkommen verzerrtes Bild der mit der eigenen gekannten' Welt verglichenen fremden Welt. Oft kennt man seine eigene Welt überhaupt nicht genug, um sie mit einer anderen Welt vergleichen zu können. Bei der Anwendung der vergleichenden Methode auf soziale und kulturelle Tatbestände und auf die sozialen und kulturellen Aspekte religiöser Tatbestände muß nicht nur eine Vergleichbarkeit, d. h. Ähnlichkeit der verglichenen Phänomene, sondern auch eine Vergleichbarkeit, d.h. Ähnlichkeit der soziokulturellen Kontexte, zu denen diese Phänomene gehören, vorliegen. Am einfachsten ist es daher für die Forschung, religiöse Tatbestände aus gleichartigen Kulturen (zum Beispiel im alten Nahen Osten) oder mit gleichartigen Produktionsweisen (No-

D. Interkulturelle Perspektive des Vergleichs

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maden, Ackerbauern, usw.) miteinander zu vergleichen. Man kann auch ähnliche Tatbestände aus verschiedenartigen Kulturen miteinander vergleichen; das aber bedeutet, daß zugleich mit den verschiedenen religiösen Tatbeständen auch bestimmte andere Elemente dieser Kulturen verglichen werden müssen. Dabei sind sowohl die Tatbestände wie auch die Elemente nach gewissen kulturellen Kriterien, die sich auch auf technologische, wirtschaftliche und soziale Merkmale beziehen können, bestimmten Gruppen oder Kategorien zuzuordnen. Es ist nicht überflüssig, noch einmal auf die Perspektivverzerrungen, die gerade beim naiven Vergleich zwischen eigenen und fremden religiösen Tatbeständen auftreten, hinzuweisen. Sie kommen leider auch in unkritischen Vergleichen mit wissenschaftlichen Ansprüchen vor. Es sind vor allem ethnozentrische Bindungen und kritiklose Loyalität gegenüber den Werten der eigenen Kultur und Religion, die leicht zu falschen Abstandseinachätzungen führen und zum Beispiel bewirken, daß die Differenz zu anderen Religionen größer erscheint, als sie es in Wirklichkeit ist. Die Erfahrung lehrt, daß das Fremde beim Anderen häufig übertrieben dargestellt wird, und die Geschichte der Religionswissenschaft zeigt, wie stark die romantische Neigung zum Exotischen bei einer Reihe von Forschern war. Daneben gibt es auch die umgekehrte Möglichkeit: nämlich das Andere von vornherein als vertraut anzusehen und zu vergessen, daß die Bedeutung einer bekannten Tatsache oder einer Verhaltensweise in einer anderen Kultur ganz verschieden von den in der eigenen Kultur gängigen Bedeutungen sein kann. In interkulturellen und interreligiösen Beziehungen finden wir auch wiederholt die Auffassung, die andere Kultur und Religion sei irrational. Damit ist in der Regel nicht die Unerklärbarkeit, sondern die Fremdheit des anderen gemeint. Während im eigenen Kreis den meisten Dingen eine gewisse Rationalität zuerkannt wird, kommt bei der Beobachtung einer anderen Kultur und Religion — und bei einer unmittelbaren Beziehung zu ihr — oft ein Gefühl der Fremdheit

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III. Vergleichende Forschung

auf. Die befremdlichen Phänomene werden dann gern als etwas Irrationales angesehen. Nur ein methodisch kontrollierter Vergleich hat die Chance, den untersuchten Sachverhalten gerecht zu werden, doch auch dieser Vergleich hat seine inhärenten Grenzen.2

E. Drei verschiedene Breiten des verglichenen Materials Beim wissenschaftlich durchgeführten Vergleich sind mindestens drei verschiedene Breiten des verglichenen Materials zu unterscheiden. l. Zum ersten kann ein solcher Vergleich einfach die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen zwei oder mehr gegebenen konkreten Gegenständen so genau wie möglich festzustellen versuchen. Dazu ist eine genaue Beobachtung und gegebenenfalls auch eine Analyse der Bestandteile oder Elemente dieser Gegenstände notwendig. Zum Zweck eines solchen Vergleichs werden die Gegenstände aus ihrem unmittelbaren Kontext gelöst. Es kommt — besonders in den Naturwissenschaften — vor, daß mit diesen isolierten Gegenständen hinsichtlich einer bestimmten Fragestellung auch Experimente durchgeführt werden. Als Illustration eines solchen Vergleichs konkreter Gegenstände kann man etwa an verschiedene Altäre denken, die schon allein deshalb miteinander vergleichbar sind, weil sie alle dem Opfer dienen. Man kann einen solchen Vergleich innerhalb einer bestimmten Religion, aber auch zwischen ganz 2

Zur Problematik der vergleichenden Methode in der Religionswissenschaft siehe UDO TWORUSCHKA, Methodische Zugänge zu den Weltreligionen. Einführung für Unterricht und Studium (Frankfurt und München 1982), S. 104-112.

E. Drei verschiedene Breiten des verglichenen Materials

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verschiedenen Religionen durchführen. Man kann auf diese Weise die Variationen ermitteln, die das Phänomen Altar aufweist, und unter günstigen Umständen etwa auch entscheiden, ob ein bestimmter schwer identifizierbarer archäologischer Fund möglicherweise zu einem alten Altar gehört. Es ist klar, daß ein solcher Vergleich bei konkreten Gegenständen viel leichter durchzuführen ist als bei ideellen Größen, etwa bei Vorstellungen und Konzepten. Hier können eigentlich nur die verwendeten Bilder oder Worte präzis miteinander verglichen werden. Es ist meist schwierig, von diesen Bildern bzw. Worten eindeutig auf den Inhalt der Vorstellungen oder Konzepte zu schließen. Daher bleibt zum Beispiel ein Vergleich zwischen verschiedenen Gottesvorstellungen wissenschaftlich immer eine fragwürdige Sache. Bild und Sprache sind grundsätzlich nicht in der Lage, mehr als nur Teilaspekte lebendiger Gottesvorstellungen wiederzugeben. 2. Zum zweiten kann ein Vergleich sich auch auf die Funktionen beziehen, die die Gegenstände in ihrem Kontext haben, auf Stellungen, die sie in Prozessen, oder auf Positionen, die sie in Strukturen ihres Kontextes einnehmen. In diesem Fall werden die Gegenstände also nicht in isolierter Form, sondern in ihren jeweiligen Kontexten miteinander verglichen. Diese Kontexte werden dann auf einen bestimmten Begriff hin — wie Funktion, Prozeß, Struktur und ähnliches — thematisiert und analysiert. Es handelt sich hier also nicht um isolierte Gegenstände, sondern um vergleichbare Aspekte der Gegenstände im jeweiligen Kontext. Als Illustration eines solchen Vergleichs von Funktionen, Stellungen und Positionen bestimmter Gegenstände kann man an die Funktion denken, die bestimmte Altäre erfüllen. Gemeinsam ist zwar die allgemeine Opferfunktion, doch die jeweilige Rolle ist unterschiedlich, je nachdem zum Beispiel, ob es sich um ein großes Schlachtopfer, bei dem das Blut meist über den Altar hinwegfließen muß, oder um ein Riechopfer handelt, für das ein ganz kleiner Altar genügen kann. Unterschiede in

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III. Vergleichende Forschung

der Stellung des Altars ergeben sich auch daraus, ob die Opferrituale Teil eines größeren, die ganze Gemeinschaft einbeziehenden Kultfestes sind oder ob sie die Bitte einer Einzelperson begleiten und nicht in einen größeren sozialen Zusammenhang sichtbar eingebettet sind. Es ist klar, daß für einen solchen Vergleich von Funktion, Stellung und Position in ihrem jeweiligen Kontext eine gründliche Kenntnis der verschiedenen Opferformen, der verschiedenen Arten von kultischen Feiern und Gelegenheiten, anläßlich derer Opfer dargebracht werden, und auch der Stellung von Opfern im sozialen und religiösen Leben erforderlich ist. 3. Eine dritte Breite des verglichenen Materials stellt die Untersuchung von zwei oder mehr Gegenständen in ihren Gesamtkontexten dar. Es handelt sich dabei vor allem um einen Vergleich zwischen zwei oder mehreren Situationen, wobei bestimmte ähnliche Phänomene besonders berücksichtigt werden. Ein solcher Vergleich ist grundsätzlich immer nur dann wissenschaftlich durchführbar, wenn die Situationen hinreichend bekannt sind. Der Vergleich wird sich dann aber notwendigerweise doch auf das konzentrieren, was unter den gegebenen Voraussetzungen als die relevanten Merkmale dieser Situationen und der besonderen Phänomene angesehen wird. Als Illustration eines solchen Vergleichs zwischen Situationen, in denen vergleichbare Phänomene anzutreffen sind, kann man an eine Krisensituation denken, die zwei Gemeinschaften dazu veranlaßt, Sonderopfer darzubringen. Ein solches Opfer mag im einen Fall das Ende einer andauernden Dürre, im anderen Fall den Sieg in einem bevorstehenden Krieg zum Ziel haben. Nehmen wir der Einfachheit halber an, daß in beiden Fällen ein Rind auf einen gleichartigen Altar geopfert wird. Es handelt sich dann um einen Vergleich der zwei Situationen, die zum Opfern geführt haben. Das gemeinsame Merkmal ist die Bedrohung, der die Gemeinschaft ausgesetzt ist. Im ersten Fall besteht die Bedrohung darin, daß bei ausbleibendem Regen kein Futter mehr vorhanden sein und das Vieh

F. Globale und begrenzte Vergleiche

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sterben wird, wenn man sich nicht entschließt, auf der Suche nach Weideland in neue, unbekannte Gegenden zu ziehen. Im zweiten Fall droht einem beträchtlichen Teil der Männer der Tod und der Gemeinschaft das Schicksal, von einem siegreichen Feind beraubt, möglicherweise vertrieben oder versklavt, wenn nicht gar getötet zu werden. Auch wenn es sich hier wie dort um eine Krise handelt, sind die Gesamtsituationen grundverschieden. Die Frage, welche relevanten, vergleichbaren Merkmale in beiden Situationen vorliegen, kann unterschiedlich beantwortet werden. Zu vergleichen wäre zum Beispiel, wie die Initiative zum betreffenden Opferritual zustandegekommen ist und wer darüber entschieden hat (Rolle der Leiter und der Priester); ob es in der Tradition dieser Gemeinschaften Vorschriften gibt, im Notfall der Dürre bzw. des Krieges ein Sonderopfer darzubringen (Rolle der Tradition); ob die ganze Gemeinschaft an der betreffenden Zeremonie teilnimmt oder ob sie nur eine Angelegenheit der Priester ist (Rolle der Gemeinschaft); ob das Opfer eine religiöse Bitte ausdrückt oder den erhofften Zweck magisch herbeizuführen versucht, usw. Es wird deutlich, daß für einen derartigen Vergleich verschiedener Situationen die Untersuchungsmöglichkeiten nahezu unendlich sind, und daß es schwierig sein kann, zu entscheiden, welche Merkmale der Situationen für den Vergleich relevant sind.

F. Globale und begrenzte Vergleiche Globale Vergleiche religiöser Phänomene finden sich in religionsphänomenologischen Übersichtswerken, die mit Hilfe des Vergleichs religiöse Tatsachen zu klassifizieren und einzuordnen versuchen. Die religiösen Tatbestände werden dabei als Phänomene eigener Art angesehen, die sich durch ihren sakralen Charakter von den nichtreligiösen Tatsachen unterscheiden. Was diesem sakralen Charakter letztlich zugrunde liegen

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III. Vergleichende Forschung

soll, hat lebhafte Diskussionen zwischen den Religionswissenschaftlern, aber auch mit Philosophen und Theologen ausgelöst. Schon im einfachen Fall der Klassifizierung nach äußeren Merkmalen, d. h. bei einer sachlichen Klassifikation, entstehen Fragen bezüglich der Namensgebung, der Wahl der Typen, des Entwurfes von Morphologien. Dazu kommt immer das Problem, das sich gerade bei komplexeren Phänomenen stellt, welchem Typus nämlich in Zweifelsfällen bestimmte Gegenstände zuzuordnen sind. Häufige Klassifizierungen sind die nach den verschiedenen Vorstellungen von übernatürlichen Wesen; nach bestimmten sichtbaren sakralen Gegebenheiten auf der Erde, die entweder von der Natur oder vom Menschen hervorgebracht sein können; nach den Vorstellungen vom Menschen, von seiner Seele und der menschlichen Gemeinschaft; und nach bestimmten religiösen Verhaltensweisen wie Opfer, Gebet und Sakrament, Lebensführung und Ethik. Es gibt auch Religionsphänomenologien,die mehr als nur eine äußerliche Klassifikation von Phänomenen zu sein beanspruchen, und die nach einem unterstellten inneren Sinnzusammenhang zwischen diesen Phänomenen strukturiert und aufgebaut worden sind. In diesem Fall wird der Sinnzusammenhang wesentlich aus einer bestimmten einheitlichen Anschauung und Auffassung des Phänomens der Religion überhaupt gewonnen, nach einem inhaltlichen Sinn, den die Religion etwa theologisch — zum Beispiel hinsichtlich des Heiligen (R. OTTO) — an und für sich enthalten soll. Auch die verschiedenen Gruppen religiöser Phänomene werden phänomenologisch auf ihren einheitlichen Sinn bezogen, etwa den Sinn des Opfers, der Gottesvorstellung, der Seelenvorstellung. Eine solche Anordnung religiöser Erscheinungen nach ihrem inhärenten, objektiven Sinn war daß Ideal der klassischen Religionsphänomenologie, zum Beispiel bei G. VAN DER LEEUW und F. HEILER. Die Auffassung der Religion konnte aber auch von der Tatsache der religiösen Erfahrung und ihren verschiedenartigen Ausdrucksformen,

F. Globale und begrenzte Vergleiche

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vor allem im Denken, Handeln, Verhalten und in der Gemeinschaftsbildung, zum Beispiel bei J. WACH, ausgehen. Die Herstellung eines sinnvollen Zusammenhangs zwischen verschiedenen religiösen Tatbeständen, der mehr als eine Tatsachenhäufung ist, impliziert immer ein theoretisches Moment. Jede Klassifikation religiöser Erscheinungen soll auf ihre Logik hin befragt werden und als solche immer auf ihren Sinn hin reflexiv zu rechtfertigen sein. Dabei ist es etwas ganz anderes, ob man einen empirischen Zusammenhang zwischen bestimmten Tatbeständen nachweist, indem man etwa ihre kausalen oder organischen Beziehungen herausarbeitet, oder ob man bestimmte Tatbestände als zusammenhängend deutet, etwa mit Hilfe von Strukturen und Typen. Letzteres war das Verfahren der klassischen Religionsphänomenologie, wobei Religion meistens als autonomer Bereich angesehen und bisweilen sozusagen metaphysisch ,verdinglicht' wurde. Die religiösen Tatbestände konnten dann als Manifestationen' der so verstandenen Religion gedeutet werden. So kam es, daß die Religionsphänomenologie durch eine theologische Deutung der Religion und der Qualität des Religiösen bestimmt, ja selbst zu einer theologischen Disziplin wurde. RUDOLF OTTO zum Beispiel versuchte, den Sinnzusammenhang religiöser Erscheinungen aus der Kategorie des Heiligen als Manifestation des Absoluten theologisch zu gewinnen. Religiöse Erscheinungen können auch als menschliche Reaktionen auf Kundgebungen göttlicher Macht oder als erfahrungsmäßige Ahnungen der Wirklichkeit Gottes theologisch gedeutet werden, wie bei G. VAN DER LEEUW. Neben RUDOLF OTTO und G. VAN DER LEEUW wäre hier auch die Religionsphänomenologie F. HEILERS zu nennen. Der Aufbau einer solchen globalen Religionsphänomenologie setzt neben bestimmten Grundansichten umfassende Kenntnisse voraus; sie fällt aber als Übersichtsarbeit nicht mit der eigentlichen phänomenologischen Erforschung der Religion zusammen. 9 Waardenburg

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III. Vergleichende Forschung

Wie bereits gesagt, wurden solche globalen Vergleiche religiöser Phänomene von verschiedenen Seiten kritisiert. Daraufhin entwickelten sich andere Richtungen in der Religionsforschung, die mit begrenzteren Vergleichen arbeiten. Man beschränkt sich etwa auf ein bestimmtes Kulturgebiet (vgl. etwa W. B. KRISTENSENS phänomenologische Arbeiten über die antiken Religionen) oder auf einzelne Religionen, wobei auch der Kontext in Betracht gezogen werden kann.3 3

Siehe z.B. J.G. Platvoet, Comparing Religions: A Limitative Approach (Den Haag, Paris, New York 1983). Zum Aufbau der Religionsphänomenologien G. van der Leeuws, M. Eliades, K. Goldammers, F. Heilers und G. Widengrens, die alle in deutscher Sprache zugänglich sind, siehe UDO TWORUSCHKA, Methodische Zugänge zu den Weltreligionen. Einführung für Unterricht und Studium (Frankfurt und München 1982), S. 20-24. Andere Phänomenologien sind J. WACH, Vergleichende Religionsforschung (Stuttgart 1962), S. MOWINCKEL, Religion und Kultus (deutsch Göttingen 1953) und verschiedene Arbeiten W. B. KRISTENSENS, R. PETTAZZONIS, C. J. BLEEKERS. GUSTAV MENSCHING hatte vor allem ein typologisches Interesse, wie auch aus seinem Buch Topos und Typos. Motive und Strukturen des religiösen Lebens. Gesammelte Beiträge zur Religionswissenschaft (Bonn 1971) deutlich hervorgeht. Ein Vergleich dieser Werke ergibt, daß sie verschiedene Ausgangspunkte und Arten von Systematik beinhalten. Dies gilt auch für die eher popularisierende Einführung in die Religionsphänomenologie (Darmstadt 1978) von G. LANCZKOWSKI. Eine deutschsprachige Kritik an der ,klassischen* Religionsphänomenologie findet sich zum Beispiel bei U. TWORUSCHKA, Methodische Zugänge zu den Weltreligionen. Einführung für Unterricht und Studium, (Frankfurt und München 1982), S. 17-19. Siehe auch die entsprechenden methodologischen Beiträge in G. Stephenson (Hrsg.), Der Religionswandel unserer Zeit im Spiegel der Religionswissenschaft (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976), S. 293 — 354. Vgl. J. WAARDENBURG, „Grundsätzliches zur Religionsphänomenologie", NZSTh 14 (1972) 3, S. 315-335. Offen bleibt, was die Autoren der genannten großen Phänomenologien auf diese Kritik erwidert hätten. Man lese z.B. C.J. BLEEKER, „Wie steht es um die Religionsphänomenologie?", in: Bibliotheca Orientalis 28 (Sept.-Nov. 1971), S. 303-308.

G. Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände 127

G. Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände Es folgen einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände, wobei der Kontext weitgehend außer Betracht gelassen wird. Es handelt sich hier also um die erste Breite des verglichenen Materials, aber schon hier wird klar, daß sich beim Vergleichen auch Deutungsfragen geltend machen. /. Der Gegensatz von Himmel und Erde Der Vergleich von Himmelsgöttern in den verschiedenen Religionen zeigt, daß ihnen immer das Attribut der Allwissenheit und häufig das der Allmacht beigelegt wurde. Diese Gottesvorstellungen findet man schon in sehr frühen Kulturstadien. Später aber wird der Himmelsgott, der meistens auch ein Schöpfergott ist, oft als , Urhebergestalt' in den Hintergrund gedrängt. An seine Stelle treten jüngere Götter mit getrennten Funktionen aktiv in den Vordergrund. Der Urheber-Himmelsgott kann aber in Krisenzeiten erneut angerufen werden und dann auch entscheidend eingreifen. Die Erde wird häufig als göttliche Mutterfigur, als ,Mutter Erde' verstanden. Diese Gottesvorstellung ist vor allem in ackerbautreibenden Kulturen zu finden. Die Göttin fördert die Fruchtbarkeit nicht nur des Landes, sondern des Lebens überhaupt, und wird als tragende Kraft des Lebens und der Liebe aufgefaßt. Es scheint kaum eine Kultur zu geben, in der Himmel und Erde nicht im Gegensatz zueinander gesehen werden. Dieser Zur Geschichte der Religionsphänomenologie in den Niederlanden siehe J. WAARDENBURG, „Religion between Reality and Idea. A century of phenomenology of religion in the Netherlands", in: Numen 19 (1973), S. 128-203. 9*

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III. Vergleichende Forschung

Gegensatz wird dann auch in irgendeiner Weise symbolisch ausgedrückt, metaphorisch verwendet und mythisch verarbeitet. In den entsprechenden Mythenkomplexen wird der Gegensatz fast immer auf den Unterschied zwischen den Geschlechtern bezogen, wobei dem Himmel in der Regel die männliche, der Erde dagegen die weibliche Rolle zufallt. Doch auch die umgekehrte Vorstellung kommt vor: in der ägyptischen Mythologie zum Beispiel ist die Erde männlich und der Himmel weiblich. Gilt der Himmel als Wohnort Gottes oder der Götter und die Erde als Wohnort der Menschen, so wird der Gegensatz zwischen Himmel und Erde oft metaphorisch für den Gegensatz zwischen Gott und Menschen, Ideal und Wirklichkeit, Paradies und Arbeitswelt, Übermenschlichem und Menschlichem gebraucht, und zwar bis in unsere Zeit. Das Thema vom Vater Himmel und von der Mutter Erde war besonders in den alten Mittelmeerreligionen weit verbreitet, doch ähnliche Mythen finden sich eigentlich fast überall auf der Welt. Aus vergleichenden Forschungen geht klar hervor, daß eine solche Vorstellung gerade für Völker, bei denen die Landwirtschaft vom rechtzeitigen Einsetzen des Regens oder vom Über-die-Ufer-Treten eines Flusses nach Perioden längerer Trockenheit abhängt, eine große Bedeutung haben kann. Viele Mythen berichten, daß aus der Verbindung von Himmel und Erde ein Sohn hervorgeht, der als Fruchtbarkeitsgott das Getreide wachsen läßt und eine reiche Ernte garantiert. Diese Deutung des Gegensatzes zwischen Himmel und Erde als symbolisch-religiöse Verbildlichung von Naturkräften, die zum Gedeihen der Frucht und zu neuem Leben führen, ist wohl die geläufigste. Es gibt mehrere Studien über Himmels- und Erdvorstellungen, die in diesem Sinne die entsprechenden Mythen verglichen haben. Es gibt aber auch andere Deutungsversuche des Gegensatzes, von denen zwei erwähnenswert sind. Der eine deutet den Gegensatz von Himmel und Erde als Paradigma des Geschlechterkampfes. Dieser Kampf mag entweder als natürlichzeitlose Gegebenheit aufgefaßt werden, die eben aus diesem

G. Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände 129

Grund mythisch gestaltet worden ist, oder aber als ein vorgeschichtlicher Vorgang, der mythologisch verarbeitet wurde. Im zweiten Fall nahm man den Übergang von einer ursprünglich matriarchalen zu einer späteren patriarchalen Gesellschaftsordnung an, der zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Gesellschaften stattgefunden haben soll. Der Gegensatz zwischen Himmel und Erde steht hier also für den Gegensatz von Patriarchat und Matriarchat. Der andere Deutungsversuch ist derjenige der strukturellen Analyse. Hier wird im Gegensatzpaar Himmel und Erde eine grundsätzlich binäre Opposition zweier Lebensweisen und -auffassungen gesehen, die in den betreffenden Gesellschaften vorkommen sollen und im Mythos vom absoluten Gegensatz zwischen Himmel und Erde ausgedrückt worden sind. Man hat dabei zum Beispiel an die Überlagerung einer älteren nomadischen Ausrichtung auf den Himmel durch eine neue Ausrichtung auf die Erde gedacht. Ein derartiger Prozeß wird etwa für Völker angenommen, die seßhaft wurden und zur Landwirtschaft übergingen. Beide Vorstellungen existieren zwar nebeneinander weiter, doch ihre grundsätzliche Opposition drückt sich in zwei gegensätzlichen symbolischen Welten aus. Wir sehen also, daß der Gegensatz von Himmel und Erde und seine mythische Gestaltung, die in vielen Gesellschaften vorkommt, auf verschiedenen Ebenen verglichen und gedeutet werden kann. Die Mythen können zunächst auf ihren unmittelbaren Inhalt hin gelesen und miteinander verglichen werden. Das Interesse an einem Vergleich nimmt aber zu, sobald eine bestimmte Hypothese zur Deutung des betreffenden Mythos oder von Mythen überhaupt schon vorliegt. In diesem Fall setzt der Vergleich eigentlich schon eine Deutung voraus. Dies gilt nicht nur für Vergleichsversuche zwischen Mythen, sondern für alle Vergleiche zwischen solchen religiösen Phänomenen, die, um überhaupt als ,religiöse' Tatbestände verstanden und erklärt werden zu können, vor einem Vergleich zunächst gedeutet werden müssen.4 4

E. O. James, The Cult of the Mother-Goddess. An Archaeological

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III. Vergleichende Forschung

2. Der Monotheismus Als NATHAN SÖDERBLOM 1914 in seinem Buch den Ursprung des Gottesglaubens in den drei Wurzeln des Seelenglaubens, der Mana-Erfahrung und der mit dem Himmel verbundenen Gottesvorstellung suchte, hatte WILHELM SCHMIDT angefangen, seine Theorie eines ursprünglichen Monotheismus empirisch zu untermauern. Für mehr als ein halbes Jahrhundert sollte das Phänomen des Monotheismus der Gegenstand vergleichender Studien und heftiger Diskussionen sein. SCHMIDT versuchte, das Vorhandensein eines monotheistischen Gottesglaubens bei alten und möglichst vielen zeitgenössischen ,primitiven Völkern' nachzuweisen. Diese Lebensarbeit führte zu dem zwölfbändigen Werk Der Ursprung der Gottesidee (Münster 1912 — 1955), das nicht nur eine Fülle von Informationen über Hochgottvorstellungen bei schriftlosen Völkern enthält, sondern auch als Monument einer Apologetik der Lehre des natürlichen Gottesbewußtseins bis hin in die Frühgeschichte gelten kann. Obwohl der Versuch SCHMIDTS, den Nachweis zu erbringen, daß am Anfang aller Religion der Glaube an den einen Gott und am Anfang aller Heiratsbeziehungen die monogame Heirat gestanden habe, nicht gelungen ist, hat seine Arbeit doch zu wichtigen weiteren Forschungen über das Vorkommen eines monotheistischen Gottesglaubens geführt. Vergleichende Forschungen, zum Beispiel diejenigen R. PETTAZONIS, erbrachten, daß die Vorstellung eines einzigen Gottes in der Regel mit der Idee der göttlichen Allwissenheit und mit der des Himmels verbunden ist. Obwohl man sie gerade bei Nomadenvölkern häufig vorfindet, kommt sie auch bei seßhaften schriftlosen Völkern vor. Der Monotheismus hat sich in den prophetischen und in nahezu allen Schriftreligionen weiand Documentary Study (London 1959). Vom gleichen Autor: The Worship of the Sky-God. A comparative study in Semitic and IndoEuropean Religion (London 1963).

G. Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände

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terentwickelt. Grundlage des Hochgottgedankens soll die Erfahrung des Firmaments gewesen sein, entweder im Sinne eines alles überblickenden Firmaments (Allwissenheit) oder im Sinne eines alles bestimmenden, allmächtigen Weltalls (Schicksal). Obwohl also die vergleichende Untersuchung des Monotheismus auf die Frage nach dem Ursprung der Gottesvorstellung zurückgeht, hat sie sich im weiteren zu einer Morphologie des Monotheismus, wie er in verschiedenen Kulturen und Zeiten vorkommt, entwickelt. Das Problem beschäftigte auch Psychologen und Soziologen. In der Religionssoziologie gelangte man zu der Feststellung, daß die Transformation tradierter polytheistischer Gottesvorstellungen in eine monotheistische Konzeption oft im Zusammenhang mit der Herausbildung zentralisierter Herrschaftsformen stand. Die Frage nach der Entstehung des Monotheismus und den Zusammenhängen, in denen er aufkam, war und ist ein zentrales Problem der Forschung. Um die Herausbildung des Monotheismus — und des Gottesglaubens überhaupt — in seinen Variationen untersuchen zu können, ist es unerläßlich, daß Religionsgeschichte und vergleichende Forschung zusammenarbeiten. Weitere Forschungen zur Frage der geschichtlichen Übergänge vom Polytheismus zum Henotheismus (wobei innerhalb eines polytheistischen Systems ein Gott deutlich als Hauptgottheit verehrt wird) und Monotheismus werden mit Sicherheit dazu führen, daß diese Übergänge auch vergleichend betrachtet werden. Dabei sind neben der Entwicklung verschiedener Formen von Frömmigkeit und Devotion auch die verschiedenen Kulturformen, soziopolitischen Umstände und natürlichen Bedingungen, soweit sie bekannt sind, in Betracht zu ziehen.5 Zum Problem des Vergleichs monotheistischer Gottesvorstellungen, siehe zum Beispiel R. PETTAZZONI, Der altwissende Gott. Zur Geschichte der Gottesidee (1957; deutsch Frankfurt und Hamburg 1960). Umfassender ist sein The All-Knowing God. Researches into Early Religions and Cultures (1955: engl. London 1956).

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III. Vergleichende Forschung

3. Ritual, Kult und Liturgie Kultrituale eignen sich in besonderem Maße für konkrete vergleichende Studien. Neben der direkten Beobachtung besteht hier die Möglichkeit, zusätzlich autoritative Texte und mündliche Traditionen wie auch persönliche Auslegungen bzw. Kommentare einzelner Teilnehmer heranzuziehen. Die Forschungen in diesem Bereich gehen vor allem auf EMILE DURKHEIM und seine Schüler zurück, obwohl auch die früher entstandenen Arbeiten W. ROBERTSON SMITHS nicht ohne Einfluß waren. Weiterhin ist die ,Myth and Ritual'-Schule von S. H. HOOKE und seinen Mitarbeitern in England zu nennen, die in den dreißiger Jahren die These vom engen Zusammenhang zwischen Mythos und Ritus entwickelte: der Mythos sei nicht nur eine Geschichte, die erzählt wird, sondern Teil einer größeren Kulthandlung. Ein Mythos, dessen Ritus unbekannt ist, und ein Ritus, dessen Mythos man nicht kennt, bleibe — zumindest was den älteren Nahen Osten betrifft — weitgehend unverständlich. Damit waren Ritual und Kult für die Forschung in einer neuen Weise wichtig geworden. Es wurde verschiedentlich, insbesondere von skandinavischen Forschern, die These vertreten, daß es im alten Nahen Osten bestimmte gemeinsame patterns' kultischer Handlungen mit liturgischen Texten gegeben habe. GEO WIDENGREN sprach von einer sakralen Königsideologie und dachte dabei u. m. an die Thronbesteigung des Königs und an das Neujahrsfest — Kultrituale, die man grundsätzlich, allerdings mit erheblichen historischen Varianten, in allen Kulturen dieses Raums wiederfinden kann. Im deutschen Sprachbereich sind vor allem die Forschungen des norwegischen Forschers S. MOWINCKEL über den kultischen Hintergrund der Psalmen bekannt geworden. Vergleichende Forschungen über rituelle, kultische und liturgische Handlungen in verschiedenen Kulturen — z. B. über Opfer und Gebet, Sakrament und Pilgerfahrt — liegen bereits seit einiger Zeit vor. Bisweilen handelt es sich dabei um minutiöse Beschreibungen der vielen Varianten, die auf einer großen Zahl von Einzelfallen fußen. Solche detailliert beschreibenden

G. Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände 133

vergleichenden Studien zeigen sozusagen die Variationsbreite eines Kultphänomens auf, enthalten sich aber einer allgemeinen Deutung seines Sinnes. Andere Untersuchungen gehen umgekehrt von einer anthropologischen Begriffsbestimmung bzw. philosophisch geprägten Deutung aus und versuchen von dieser Grundlage aus, den Sinn der verschiedenen konkreten Erscheinungsformen des Phänomens zu erfassen. Wieder andere legen den Nachdruck auf die Klassifizierung der Phänomene und Formen. Die Interpretationen dieser Ansätze sind immer durch die Voraussetzungen und Wertsetzungen des jeweiligen Forschers geprägt, die ihm selbst aber wahrscheinlich nicht in alten Fällen bewußt waren. Vor allem auch in den vergleichenden Forschungen zu Kult und Ritual ist der Versuch gemacht worden, ein bestimmtes Kultphänomen formal in verschiedene aufeinanderfolgende Phasen zu zerlegen und diese dann unter verschiedenen Gesichtspunkten zu analysieren. Derartige Vergleiche bleiben meistens auf das erforschte Kultphänomen beschränkt und gehen kaum auf seine Stellung innerhalb der gegebenen Tradition ein. Daneben gibt es Forschungen der zweiten Breite des verglichenen Materials, die sich mit Funktionen, Stellungen und Positionen gegebener Rituale befassen. Anhand vorgegebener Modelle können sie sich auf ganze Kultrituale oder auf bestimmte Strukturen des Kultes beziehen. Für dieses Vorgehen ist es unerläßlich, daß das Modell der Forschungsabsicht genau entspricht und daß umfangreiches ethnographisches Material vorhanden ist. Dann können zum Beispiel bestimmte, immer wieder auftretende Phasen in Kultritualen und Liturgien unterschieden und die verschiedenen Gestaltungen dieser Phasen in den parallelen Kultritualen verschiedener Gesellschaften und Religionen miteinander verglichen werden (V. W. TURNER). In einem weiteren Schritt lassen sich — ausgehend von bestimmten Arbeitshypothesen und mit Hilfe vergleichender Studien — auch die komplizierten symbolischen Zusammenhänge

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III. Vergleichende Forschung

von Ritualhandlungen offenlegen. MARY DOUGLAS zum Beispiel hat Sinnzusammenhänge zwischen der Differenzierung der sozialen Wirklichkeit, kosmologischen Vorstellungen, Körpererfahrungen und Ritualhandlungen aufgezeigt. Hier ist der Vergleich zu einer Methode geworden, die im Anschluß an andere Methoden und auf Grund bestimmter Fragestellungen gegebene Hypothesen überprüft und wenn möglich ausarbeitet. Religiöse und andere Verhaltensweisen erweisen sich dabei als in grundlegende Kulturstrukturen eingebunden. Andere Ansätze zur vergleichenden Erforschung rituellen Verhaltens entstammen der ethologischen Forschung, einer Richtung, als deren Vorläufer A. GEHLEN gelten kann. Sie verweisen darauf, daß rituelle Verhaltensweisen auch biologisch konditioniert sind und sich bei verschiedenen Tierarten und in bestimmten Entwicklungsphasen des Menschen nachweisen lassen. Somit können auch aus biologischer Sicht interessante Vergleiche gezogen werden. Für ein tieferes Verständnis nicht nur einzelner Ritualhandlungen, sondern auch vollständiger Kultrituale und Liturgien sowie der Funktion und Bedeutung menschlichen rituellen Verhaltens überhaupt ist die Einbeziehung religiöser Vorstellungen und symbolischer Bedeutungen unverzichtbar. Es wäre zu wünschen, daß in Zukunft mehr ethnographische Monographien entstehen. Erst wenn bessere und zahlreichere Beschreibungen, Filme usw. verschiedener ritueller, kultischer und liturgischer Handlungen vorliegen, können verfeinerte Vergleiche auf diesem Gebiet vorgenommen werden. Damit eröffnet sich auch die Möglichkeit, daß weitere Erklärungshypothesen entwickelt und neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden.6 6

S. MOWINCKEL hat in seinem Buch Religion und Kultus (deutsch Göttingen 1953) eine Religionsphänomenologie entwickelt, die auf den Kultus ausgerichtet ist. Eine klassische deutsche Studie auf diesem Gebiet ist noch immer F. HEILER, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung (München 1918; rev. 1969). Die wichtigsten Voraussetzungen des Verfassers

Einige Beispiele von Vergleichen religiöser Tatbestände

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4. Leben und Tod

Die Vorstellungen über den Tod sowie die Hoffnung auf ein zukünftiges Leben nach dem Tode sind nahezu immer religiös gefärbt, und im Westen wie im Islam ist Religion vielfach mit dem Gedanken an eine unsterbliche Seele und an ein Jenseits verbunden. So ist es nicht verwunderlich, daß sich das Interesse der Religionsforschung häufig auf diese Jenseitsvorstellungen richtete und daß verschiedene Arten dieser Vorstellungen miteinander verglichen wurden. Tatsächlich gibt es in den meisten Religionen die Ansicht, daß der Tod nicht das Ende des menschlichen Daseins darstellt. In irgendeiner Weise bleibt ,etwas' vom Menschen nach seinem Tode weiterbestehen, und dieses etwas wird oft Seele genannt. Die Lebenden versuchen, mit den Toten — vor allem mit den Ahnen — oder ihren Seelen oder Geistern eine Kommunikation und ein positives Verhältnis aufrechtzuerhalten. Man glaubt auch, daß die Vorfahren Einfluß auf die Gesellschaft der Lebenden haben. Die horizontale Kontinuität der Generationen auf der Erde wird in diesem Fall von der vertikalen Kontinuität mit den Vorfahren im Jenseits begleitet. Zwischen dem Diesseits des Lebens und dem Jenseits des Todes gibt es ebenso wie zwischen Leben sind in der ,Einleitung' genannt. Im Hinblick auf modellorientierte Analysen des Rituals in verschiedenen aufeinanderfolgenden Phasen sind die Arbeiten VICTOR W. TURNERS aufschlußreich, wie zum Beispiel The Ritual Process (London 1969). MARY DOUGLAS hat in ihrem Buch Reinheit und Gefährdung (deutsch Berlin 1985) rituelle Verhaltensweisen auf der Grundlage anthropologischer Hypothesen analysiert. Von ihr siehe auch Ritual, Tabu und Körper Symbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur (deutsch Frankfurt 1974). Einleuchtend ist RAYMONDO PANIKKAR, Kultmysterium in Hinduismus und Christentum (Freiburg und München 1964). Auch die sozialistische Gesellschaft kennt Rituale: D. M. UGRINOWITSCH, „Das Wesen und die sozialen Funktionen im Brauchtum und Ritual in der sozialistischen Gesellschaft", in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie (O. Berlin) 25 (1977), S. 15-24.

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III. Vergleichende Forschung

und Tod selbst eine Verbindung, doch die Art dieser Verbindung wird verschieden gedacht. Bei einer genaueren Betrachtung der Vorstellungen und der Verhaltensweisen in bezug auf den Tod zeigt sich, daß für eine Anzahl von Kulturen und Religionen der biologische Tod nicht die Scheidelinie zwischen Leben und Tod darstellt. Viele Anschauungen besagen, daß der Tod schon vorher seinen Schatten auf das Leben wirft, daß das Leben von Anfang an unter der Macht des Todes steht und daß eine Überwindung dieses Todes schon hier im Leben versucht werden muß. Für diese Überwindung im irdischen Leben bieten die Religionen Heilswege an. Bisweilen glaubte man auch, bereits im diesseitigen Leben eine bestimmte geistige Unsterblichkeit erlangen zu können. Es gibt zahlreiche religiöse Formen der Lebensgestaltung, die als Überwindung verschiedener Gestalten des Todes, bzw. eines geistigen Todes, zu deuten sind. Es handelt sich hier um die Grundfrage nach dem wahren Leben, die immer wieder gestellt wird, d. h. häufig um die Frage nach der wahren Lebenseinstellung. Die Frage nach dem wahren Leben kann aber auch mit dem Verweis auf eine Existenz jenseits des Todes beantwortet werden. Nach dieser Auffassung wird das wahre Leben erst durch den Tod erworben, sei es als künftige Glückseligkeit im Sinne einer Gnade oder Belohnung, sei es als ein neues Leben, das allein mit dem Tod entsteht, da nur aus dem geopferten Leben wahres Leben hervorgehen kann. In diesem Zusammenhang können sich Opfervorstellungen und -praktiken bis hin zur Idee des Lebensopfers entwickeln, das zur Teilnahme an einem ewigen Leben berechtigt. Vielfach auch wird eine Auferstehung — mit oder ohne Tag des Gerichts — als endgültige Überwindung des Todes angesehen. Eine detaillierte vergleichende Deutung ergibt, daß die verschiedenen Vorstellungen und Ansichten über den Tod und das Jenseits letzten Endes spezifische Vorstellungen über das Leben, insbesondere das menschliche Leben und seine Mög-

H. Vergleiche einer allgemeinen Fragestellung

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lichkeiten, implizieren oder voraussetzen. Einige derartige Auffassungen vom Menschen werden im nächsten Passus angeführt. 7

H. Vergleiche auf der Grundlage einer allgemeinen Fragestellung Im Vorhergehenden haben wir uns mit der Anwendung der vergleichenden Methode auf konkrete Phänomene befaßt. Wir haben die technische Seite des Vergleichens, globale und begrenzte Vergleiche und schließlich einige konkrete Beispiele behandelt. In allen Fällen ging es um die Beobachtung und Beschreibung religiöser Phänomene. Daneben gibt es aber noch eine ganz andere Möglichkeit des Vergleichs, der auch für die Erforschung von religiösen Strömungen und Religionen bedeutsam ist. Es handelt sich hier um Vergleiche, die von allgemeinen, menschlich wichtigen und sozial relevanten Fragestellungen ausgehen. Dazu gehört etwa die Untersuchung und anschließende Gegenüberstellung von Antworten, die innerhalb gegebener religiöser Strömungen und Religionen auf bestimmte allgemeine Grundfragen der menschlichen Existenz gegeben worden sind. Wir beschränken uns hier auf zwei Bereiche: die Auffassung vom Menschen und Fragen der sozialen Ethik. 7

Eine Übersicht der Jenseitsvorstellungen in den verschiedenen geschichtlichen Religionen ist enthalten in Tod und Jenseits im Glauben der Völker (Wiesbaden 1978), hrsg. von H.-J. KLIMKEIT. Siehe auch G. STEPHENSON (Hrsg.), Leben und Tod in den Religionen. Symbol und Wirklichkeit (Darmstadt 1980), und S. G. F. BRANDON, The Judgment of the Dead. An historical and comparative study of the idea of a post-mortem judgment in the major religions (London 1967).

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III. Vergleichende Forschung

/. Die Auffassung vom Menschen und seinem Heil Wir können in allen Kulturen Äußerungen der Menschen über sich selbst finden. Diese Äußerungen können allgemeiner Natur sein, beispielsweise angeben, in welcher Weise sich die Menschen von den Tieren oder von Menschen anderer Kulturen unterscheiden, oder welche typischen Merkmale der Mensch besitzt. Es kann sich aber auch um Hintergrundsfragen handeln, etwa die nach der Herkunft und letzten Bestimmung des Menschen sowie nach seinen Beziehungen zu dem, was wir die andere Seite der Wirklichkeit nennen würden. Diese Art von Fragen bezeichnen wir im Westen gewöhnlich als ,religiöse' Fragen. Auch wenn die Menschen sich im täglichen Leben als Gegebenheit erfahren, machen sie doch den Versuch, dieses gewöhnliche Leben zu begreifen. Dafür aber ist ein Standpunkt notwendig, der eine gewisse Distanz voraussetzt. Eine Möglichkeit, einen solchen Standpunkt zu gewinnen, ist es, von einer anderen Seite oder Dimension jenseits der täglichen Wirklichkeit auszugehen, die hinter, innerhalb, unter oder auch über dieser Wirklichkeit liegen kann. Aus der Sicht einer solchen anderen Seite oder Dimension kann das gewöhnliche Leben transparent werden; das Verhalten erhält eine bestimmte Form, einen bestimmten Charakter und Stil. Bei religiösen Verhaltensweisen und religiösen Ansichten handelt es sich um solche, für die die andere Dimension der Wirklichkeit primär ist; der Mensch glaubt dabei, nicht nur passiv Weisung und Heil von ihr zu empfangen, sondern sucht sie auch aktiv zu erlangen. Im übrigen bezieht sich die genannte Transparenz nicht nur auf das Leben des Menschen, sondern auch auf die jeweilige Wirklichkeit und Gesellschaft. Was religiöse Menschen in verschiedenen Kulturen über sich selbst oder über den Menschen im allgemeinen ausgesagt haben, gewinnt an Interesse und wird besser vergleichbar und verständlich, wenn wir darauf achten, welche Ansichten eine Gemeinschaft über die ,andere' Seite der Dinge bzw. des Le-

H. Vergleiche einer allgemeinen Fragestellung

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bens gehabt hat oder hat. Es handelt sich bei einer solchen Ansicht immer um ein Verständnis, das durch ein bestimmtes Verhalten Gestalt erhält, oder umgekehrt um eine Verhaltensweise, die durch eine bestimmte Ansicht gestärkt wird. Solche Ansichten und Verhaltensweisen sind aufs engste mit religiöser Erfahrung verbunden. Verschiedene Gruppen innerhalb der gleichen Religion können ganz unterschiedliche Auffassungen vom Menschen haben, die, wenn man sie mit den entsprechenden Anschauungen in anderen Religionen vergleicht, dort teilweise wiederzufinden sind. Bereits ein Vergleich der religiösen Vorstellungen über die Herkunft und Bestimmung des Menschen, wie sie sich in Mythen, Schriften und deren späteren Deutungen feststellen lassen, macht deutlich, wie vielfältig die Anschauungen vom Irdischen und Himmlischen sind. Eine ebensolche Fülle begegnet einem, wenn man sich mit den Vorstellungen über die inneren und äußeren Möglichkeiten des Menschen und seine Freiheit und Gebundenheit befaßt. Tiefe Anschauungen gibt es sowohl in schriftlosen, sogenannten ,primitiven' Religionen wie in Schriftreligionen; oberflächliche Schablonen gibt es sowohl in den sogenannten ,Offenbarungs'-Religionen wie in den anderen. Die Mannigfaltigkeit der Ansichten, die die Menschen über den Menschen entwickelt haben, ist zugleich ein Indiz für die Vielseitigkeit der menschlichen Existenz.8 8

Eine erste Übersicht bietet C. J. BLEEKER (Hrsg.), Anthropologie religieuse. L'homme et sä desünee ä la lumiere de l'histoire des religions (Leiden 1955). Verschiedene Ausgangspunkte liegen den folgenden Übersichten über religiöse Auffassungen vom Menschen zugrunde: S. G. F. BRANDON, Man and his Destiny in the Great Religions (Manchester usw. 1962), S. RADHAKRISHNAN und P. T. RAJU (Hrsg.), The Concept of Man. A study in comparative philosophy (London 1960), CHARLES A. MOORE (Hrsg.), The Status of the Individual in East and West (Honolulu 1968), KENNETH CRAGG, The Privilege of Man. A Theme in Judaism, Islam and Christianity (London 1968). Verschiedene Arbeiten befassen sich mit den spezifischen Heilsver-

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III. Vergleichende Forschung

Einige Studien widmen sich Aspekten der besonderen menschlichen Existenz, wie Zeitlichkeit, Einsamkeit und Leiden, und untersuchen die Antworten, die verschiedene Religionen auf diese Probleme geben.9 2. Fragen der Ethik und sozialen Ethik Es sind nicht nur die religiösen Auffassungen vom Menschen, die von der Forschung aufgegriffen und in ihrem Verhältnis zueinander und zu nichtreligiösen Auffassungen untersucht werden können. Es gibt auch bereits viele Untersuchungen über die traditionsgebundenen religiösen Gesetze, die im Judentum und Islam, im Hinduismus und Buddhismus gelten. Aber gerade in der letzten Zeit wächst das wissenschaftliche Interesse an den Antworten, die die Religionen auf bestimmte grundsätzliche Fragen der Ethik und der zwischenmenschlichen Beziehungen gegeben haben (Familienplanung). Derartige Forschungen schließen sich verschiedenen aktuellen internationalen Themen. Es besteht daher ein deutliches Interesse für den Beitrag, den die Religionen zum Frieden leisten können.10 Im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Anhängern verschiedenen Glaubens und verschiedener Ideologien und den

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sprechungen verschiedener Religionen. Man vergleiche zum Beispiel R. J. Zwi WERBLOWSKY und C. J. BLEEKER (Hrsg.), Types of Redemption. Contributions to the theme of the Study-Conference held at Jerusalem 4th to i9th July 1968 (Leiden 1970) mit der mehr soziologisch orientierten Veröffentlichung Religions de salut, von ARMAND ABEL u. a. (Brüssel 1962). Neben verschiedenen kleineren Arbeiten von G. PARRINDER sind hier zu nennen: S. G. F. BRANDON, History, Time and Deity (Manchester 1965), U. TWORUSCHKA, Die Einsamkeit. Eine religionsphänomenologische Untersuchung (Bonn 1974), J. BOWKER, Problems of Suffering in Religions of the World (Cambridge 1970). F. BAMMEL, Die Religionen der Welt und der Friede auf Erden. Eine religionsphänomenologische Studie (München 1957).

I. Vergleiche einer theoretisch-wissenschaftl. Fragestellung 141

Beziehungen zwischen Glaubensgemeinschaften, Religionen und Ideologien im allgemeinen hat die Frage der Toleranz schon seit langem eine zentrale Rolle eingenommen.J' Auch der Rassismus und die Stellung der Religionen zu diesem Problem sind Gegenstand eines zunehmenden Interesses geworden.12

I. Vergleiche auf der Grundlage einer theoretischwissenschaftlichen Fragestellung Neben den Vergleichen konkreter deskriptiver Art und solchen, denen eine allgemeine Fragestellung zugrundeliegt, gibt es wissenschaftliche Vergleiche, bei denen ebenfalls eine Befragung des Materials durch den Forscher stattfindet, die Fragestellung aber nicht allgemeiner, sondern theoretisch-wissenschaftlicher Art ist. Der Vergleich arbeitet mit bestimmten Hypothesen 11

12

Siehe J. W. HAUER, Toleranz und Intoleranz in den nichtchristlichen Religionen. Beitrag zu einer weltgeschichtlichen Betrachtung (Stuttgart 1961). Vgl. G. MENSCHING, Toleranz und Wahrheit in der Religion (München und Hamburg 1955). Siehe zum Beispiel die von der UNESCO in Paris herausgegebene Reihe The Race Question and Modern Thought, mit Publikationen wie Buddhism and the Race Question, Islam and the Race Question, The Catholic Church and the Race Question, The Ecumenical Movement and the Racial Problem. Die meisten erschienen in den fünfziger Jahren. Diese Hinweise mögen genügen; die Liste der möglichen Themen ist damit jedoch nicht erschöpft. Vgl. für weitere Themen U. TWORUSCHKA und D. ZILLESZEN, Thema Weltreligionen. Ein Diskussions- und Arbeitsbuch für Religionspädagogen und Religionswissenschaftler (Frankfurt, Berlin und München 1977). Siehe ebenfalls H. SCHULTZE und W. TRUTWIN, Weltreligionen, Weltprobleme. Ein Arbeitsbuch für Studium und Unterricht (Düsseldorf und Göttingen 1973). Siehe auch S. 228.

10 Waardenburg

142

III. Vergleichende Forschung

und soll zu neuen theoretisch-wissenschaftlichen Einsichten führen. 13 Wir nannten bereits die Arbeiten von MARY DOUGLAS. GEORGES DUMEZIL hat eine vergleichende Methode eingeführt, mit deren Hilfe gemeinsame Strukturen in der indoeuropäischen Mythologie, die der indoeuropäischen Sozialordnung parallel laufen, aufgedeckt werden sollen.14 Eine enge Verbindung zwischen vergleichender und geschichtlicher Forschung wird im Begriff „Vergleichende Religionsgeschichte" ausgedrückt, der in der deutschen Forschung längere Zeit gängig gewesen ist. Bei JOACHIM WACH wurde vergleichende Forschung sowohl mit Religionsgeschichte wie mit Religionssoziologie verbunden.15 In den vergleichenden Arbeiten von R. C. ZAEHNER, R. PANIKKAR und WILFRED C. SMITH spielen theologische Fragestellungen eine Rolle, diejenigen von MIRCEA ELIADE enthalten philosophische Fragestellungen. Bei C. G. JUNG liegen neben psy13

14

15

Eine Übersicht bietet das Kapitel „Comparative Approaches" von FRANK WHALING, in Contemporary Approaches to the Study of Religion, I: The Humanities, hrsg. von FRANK WHALING (Berlin 1984), S. 165-295. Siehe als Einführung S. C. SCOTT LITTLETON, The New Comparative Mythology. An anthropological assessment of the theories of Georges Dumezil (Berkeley 19732). C. J. BLEEKER und GEO WIDENGREN unternahmen in Historia Religionum (2 Bde, Leiden 1969 und 1971) den Versuch, eine großangelegte Geschichte der Religionen herauszugeben. Sie arbeiten mit bestimmten im voraus entworfenen thematischen Sektionen, die bestimmte Aspekte der Religionen (z. B. Mythen, Ritual) miteinander vergleichbar machen. TREVOR LING versuchte in seinem Buch A History of Religion East and West. An Introduction and Interpretation (London 1977), eine Geschichte der Weltreligionen mittels vergleichbarer Entwicklungsphasen durchzuführen. Interessant ist Antworten. Ein Vergleich der großen Weltreligionen in Wort und Bild, Red. J. SPERNA-WEILAND (Zürich 1977).

I. Vergleiche einer theoretisch-Wissenschaft!. Fragestellung 143

chologischen auch theologische und philosophische Fragestellungen vor. Die vergleichenden Studien von HEINRICH ZIMMER und JOSEPH CAMPBELL haben psychologische Voraussetzungen. In der letzten Zeit sind theoretische Modelle nichttheologischer und nichtphilosophischer Art von Religion entworfen worden, die auf jede konkrete Religion angewandt werden können und die hinsichtlich des Bezugspunktes des Modells zu interessanten Vergleichen zwischen den Religionen führen können.16 Vergleiche tiefgehender religiöser Einsichten und Erfahrungen sind noch im Anfang begriffen.17 Der Vergleich bestimmter religiöser Gestalten auf dem Hintergrund ihrer Traditionen ist ebenso noch im Anfang.18 Die vergleichende Forschung im Bereich der schriftlosen Kulturen und Religionen hat ihre eigenen Entwicklungen gehabt, auf die wir hier leider nicht eingehen können. (Vgl. S. 189).19

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10*

NINIAN SMART hat in seinem Buch The Religious Experience of Mankind (New York 1969) ein sechsdimensionales Modell der Religionen entworfen, während WALTER KAUFMANN in seinem Buch Religions in Four Dimensions: Existential and Aesthetic, Historical and Comparative (New York 1976) ein ganz anders angelegtes vierdimensionales Modell gebraucht. MICHAEL PYE hat in seiner Studie Comparative Religion. An Introduction through Source Materials (Newton Abbot 1972) ein Modell von vier Grundelementen und weiteren Themen jeder Religion entwickelt. Siehe zum Beispiel die seit 1933 erschienenen Eranos-Jahrbücher, die alle einem bestimmten geistigen Thema gewidmet sind. So vergleicht D. T. SUZUKI in seinem Der westliche und der östliche Weg (1957; deutsch Frankfurt 1960), die Mystik Meister Eckharts mit Aussagen japanisch-buddhistischer Mystiker. Siehe WILLIAM A. LESSA und EVAN Z. VOGT (Hrsg.), Reader in Comparative Religion (New York 1958).

IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext Bei der Behandlung der geschichtlichen Forschung im II. Kapitel sahen wir bereits, daß die Geschichte der Religionen und der religiösen Tatbestände Teil des umfassenderen Rahmens der Kultur- und der Sozialgeschichte und letztlich der Geschichte überhaupt ist. Die Geschichte der Religionen soll also in einem breiteren geschichtlichen Kontext erforscht werden. Auch im III. Kapitel zeigte es sich, daß die vergleichende Forschung umso fruchtbarer wird, je mehr die Vergleiche im Zusammenhang mit dem geschichtlichen und sozialen Kontext ausgeführt werden. In diesem Kapitel haben wir es vor allem mit der Erforschung der zeitgenössischen Religion zu tun, in der prinzipiell eine unmittelbare und partizipierende Beobachtung möglich ist. Wir konzentrieren uns bei diesem Ansatz auf den soziokulturellen Kontext von Religion. Die folgenden Bemerkungen beziehen sich auf die Gegenwart, sie gelten aber grundsätzlich auch für die Erforschung der soziokulturellen Kontexte von Religion in der Geschichte. Neben dem sozialen Kontext werden wir auch etwas über den psychologischen und ätiologischen Kontext sagen; auf andere Kontexte — etwa Sprache, Literatur und Kunst — kann hier leider nicht eingegangen werden.

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften Im II. und III. Kapitel wurde darauf hingewiesen, daß geschichtliche Religionen und religiöse Tatbestände immer innerhalb des Kontextes stehen, in dem sie entstanden sind

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften

145

und weiter tradiert werden; in diesem Kontext können sie bestimmte Funktionen erfüllen und sinngebend wirken. Wir können zwar Religionen und religiöse Tatbestände für bestimmte wissenschaftliche Zwecke isolieren, etwa um religiöse Entwicklungen zu verfolgen oder um Vergleiche zwischen religiösen Tatbeständen ausführen zu können. Eine angemessene Erforschung bestimmter Religionen und religiöser Tatbestände muß diese jedoch immer wieder in den Rahmen der Gesamtwirklichkeit stellen, in der sie vorkommen bzw. vorkamen. Grundsätzlich hat jede theoretisch aufgestellte Regel ihre Bestätigung in der tatsächlichen Wirklichkeit zu suchen, doch der kontextuellen Forschung geht es ganz besonders darum, konkrete nachweisbare Zusammenhänge zwischen einer religiösen Gestaltung und dem Kontext, in dem diese auftritt, aufzuzeigen und nach Möglichkeit Erklärungen für diese Gestaltung zu liefern. Es wird postuliert, daß es nie reiner Zufall ist, wenn bestimmte Religionsformen in einer bestimmten historischen Gesellschaft auftreten. Die Erforschung von Religionen und religiösen Tatbeständen in ihrem sozialen Kontext wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem von den Sozialwissenschaften vorangetrieben. Sie sahen sich im Verlauf ihrer Untersuchungen oft Tatsachen mit religiösem Charakter gegenüber, die sie dann aus ihrer Sicht der sozialen Wirklichkeit näher untersuchten, ähnlich wie die Geschichtswissenschaft geschichtliche Tatsachen mit religiösem Charakter aus ihrer Sicht der geschichtlichen Wirklichkeit erforscht.1 In der ,klassischen' Religionswissenschaft wurde der Unterschied zwischen religiösen und nichtreligiösen Tatbeständen, zwischen Religion und Nichtreligion, also der Gegensatz zwi1

Von den neueren sozialwissenschaftlichen Religionstheorien sei hier nur genannt: HANS MOL, Identity and the Sacred. A Sketch for a new social-scientific theory of religion (Oxford 1976).

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

sehen Religion und Kontext, stark betont. Dadurch, daß sie die Religion als autonome Größe faßte, wollte sie die Eigenart der religiösen Tatbestände sicherstellen. Die Erforschung von Religion außerhalb der Voraussetzungen dieser ,klassischen' Religionswissenschaft wurde von deren Vertretern zumeist als eine unzulässige Reduktion von Religion auf nichtreligiöse Ursachen angesehen. Inzwischen ist jedoch deutlich geworden, daß es grundsätzlich wichtig und wissenschaftlich unverzichtbar ist, in die Religionsforschung auch das einzubeziehen, was von anderen Wissenschaften und vor allem von den Sozialwissenschaften über religiöse Phänomene ausgesagt werden kann. Die Aufgabe ist um so dringender, da sich auch eine sozialwissenschaftliche Kritik an der Religion entwickelt hat, die — ohne notwendigerweise in ideologische Angriffe auszumünden — auf wissenschaftliche Weise bestimmte soziopolitische Aspekte der Religion aufzeigen kann. Derartige Aspekte bleiben den Gläubigen selbst sowie der ,klassischen' Religionswissenschaft meist verborgen, da sich ihre Aufmerksamkeit naturgemäß auf die Religion und nicht auf den Kontext richtet. In den letzten Jahren ist in der Religionswissenschaft ein Durchbruch erfolgt. 2 1. Ethnologische Sicht; Kulturanthropologie Charakteristisch für die Betrachtungsweise der Kulturanthropologie ist, daß die Religion im Rahmen einer gegebenen 2

Siehe K.-W. DAHM, V. DREHSEN und G. KEHRER, Das Jenseits der Gesellschaft. Religion im Prozeß sozialwissenschaftlicher Kritik (München 1975), vor allem S. 7-17 und S. 281-327. Vergleiche auch B. GLADIGOW und H. G. KIPPENBERG (Hrsg.), Neue Ansätze in der Religionswissenschaft (München 1983). Zur Entwicklung der Religionsforschung in den Sozialwissenschaften siehe FRANK WHALING (Hrsg.), Contemporary Approaches to the Study of Religion, Band 2: The Social Sciences (Berlin 1985).

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften

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Kultur und ihrer sozialen Institutionen erforscht wird, woraus sich spezifische Fragestellungen ergeben. Seit den Arbeiten EDWARD B. TYLORS (1832-1917), der als der Begründer der Kulturanthropologie angesehen werden kann, hat sich eine Anzahl von Ethnologen im Zuge ihrer Erforschung fremder und meistens schriftloser Kulturen auch mit bestimmten religiösen Tatsachen in diesen Kulturen befaßt. So hat sich innerhalb der Ethnologie die Religionsethnologie entwickelt, die die religiösen Tatsachen aus der Perspektive und mit Hilfe der Methoden der Ethnologie oder Kulturanthropologie zu erforschen versucht. Wie andere Disziplinen war und ist auch die Religionsethnologie eng mit den theoretischen und vor allem weltanschaulich bestimmten Interessen der Zeit verbunden.3 In der Religionsethnologie im deutschen Sprachbereich sind die Schulen von LEO FROBENIUS (1873-1938) und WILHELM SCHMIDT (1868 — 1954) am bekanntesten geworden. Die erste hat sich der Erforschung einzelner Kulturmerkmale zugewandt, um im Rahmen der Diffusionstheorie eine Art von ,Archäologie' der alten Kulturen und ihrer Überlagerungen zu entwerfen. Die Schule SCHMIDTS, vornehmlich katholische Forscher der SVD, hat sich die Erforschung der Religionen primitivster Kulturstufen (Sammler, Jäger u. ä.) zur Aufgabe gemacht. SCHMIDTS Auffassung, daß der Ursprung der Religion in einem Monotheismus gelegen habe, der im Verlauf der Geschichte in Verfall geraten sei, ist schon bei der Behandlung des Monotheismus genannt worden (S. 130). SCHMIDTS Kreis, der sich um das Institut und die Zeitschrift Anthropos bildete, hat neben wichtigen ethnographischen Arbeiten und Sprachstudien auch bedeutende geschichtliche Studien aus religionsethnologischer Sicht betrieben. 3

Eine Übersicht geben C. A. SCHMITZ (Hrsg.), Religionsethnologie (Frankfurt 1964) und E. E. EVANS-PRITCHARD, Theorien über primitive Religionen (1965, deutsch Frankfurt 1968).

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Innerhalb der angelsächsischen Ethnologie kann man zwischen der in England entstandenen Sozialanthropologie (zum Beispiel A. R. RADCLIFFE-BROWN, 1881 — 1955) und der in den USA entwickelten Kulturanthropologie (zum Beispiel A. L. KROEBER, 1876 — 1960) unterscheiden. Erstere fragt vor allem nach den Institutionen, die das Sozialverhalten bestimmen, letztere versucht unter anderem, die Rolle und Funktion religiöser Verhaltensweisen im Rahmen einer gegebenen Kultur herauszuarbeiten. Beide Richtungen arbeiten in ihrer Theoriebildung vorzugsweise mit Modellen, in denen Religion als ein Teil oder eine Funktion von Kultur angesehen wird. Während es der Sozialanthropologie hauptsächlich um allgemeingültige Regeln des religiösen Verhaltens geht, richtet sich das Interesse der Kulturanthropologie eher auf die Funktion und den Sinn religiöser Verhaltensweisen bestimmter Gruppen in einer Kultur. In der sogenannten symbolischen' Richtung der Kulturanthropologie, wie sie von C. GEERTZ (geb. 1926) vertreten wird, wird eine Kultur auf ihre verschiedenen Symbolsysteme hin untersucht, zu denen auch die Religion rechnet. In der heutigen Forschungspraxis wird dem alten Unterschied zwischen Sozialund Kulturanthropologie nur noch bedingte Bedeutung beigemessen. Es hängt viel von den ethnologischen Bestimmungen von ,Kultur' und ,Religion' ab, welcher Stellenwert den religiösen Verhaltensweisen in der Gesamtheit der untersuchten Kultur und ihrer Strukturen zuerkannt wird. Entscheidend dabei ist die Art und Weise, in der das Verhältnis von Kultur bzw. Religion zur technologisch-wirtschaftlichen Infrastruktur und zu den sozialpolitischen Strukturen gefaßt wird. Einerseits gibt es die ,materialistische', insbesondere orthodox-marxistische, Annahme, daß der gesamte Überbau in unmittelbarer Weise durch den Entwicklungsstand der jeweiligen Produktionsweise bestimmt werde. Andererseits gibt es die ,idealistische' Annahme, daß ideell bzw. religiös motivierte Anschauungen und Verhaltensweisen den Unterbau einer Gesellschaft bedingen und auch ändern können. Dazwischen finden sich zahllose theoretische

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften

149

Schattierungen hinsichtlich der Beziehungen zwischen ,Überbau' und ,Unterbau', Idee und Wirklichkeit. Es ist Sache der Forschung festzustellen, wie diese Beziehungen in den jeweiligen Gesellschaften und Kulturen tatsächlich aussehen. Die verschiedenen Ansätze innerhalb der Ethnologie im allgemeinen und der Religionsethnologie im besonderen wirken sich natürlich auch darauf aus, wie bestimmte religiöse Gegenwartsphänomene — etwa die religiösen Bewegungen, die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in verschiedenen Kulturen aufgetreten sind — gedeutet und erklärt werden. So sind zum Beispiel über die melanesischen Cargo-Kulte, in denen das baldige Ende der Zeit und die Rückkehr der Vorfahren erwartet wird, verschiedene Theorien entwickelt worden. An einigen läßt sich deutlich erkennen, wie die Tatsachen der vorgegebenen theoretischen Position des Forschers untergeordnet wurden. Dasselbe gilt eigentlich für die meisten umfassenden Interpretationen religiöser Bewegungen und der Religion überhaupt. 4 4

Siehe PETER WORSLEY, Die Posaune wird erschallen. ,Cargo'-Kulte in Melanesien (1957, deutsch Frankfurt 1973). F. STEINBAUER, Die melanesischen Cargo-Kulte. Neureligiöse Heilsbewegungen in der Südsee (München 1971). Einleuchtend für ethnologische Interpretationsweisen sind zwei Bücher von KARL-HEINZ KOHL: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation (Berlin 1981) und Exotik als Beruf. Zum Begriff der ethnographischen Erfahrung bei B. Malinowski, E. E. Evans-Pritchard und C. Levi-Strauss (Wiesbaden 1979). Nennenswert ist der Versuch einer kulturpsychologischen Erklärung des Phänomens des Heiligen von RENE GIRARD, La violence et le sacre (Paris 1972). Eine Übersicht über die neuere Religionsethnologie bieten: TONY JACKSON („Social Anthropological Approaches"), JARICH OOSTEN („Cultural Anthropological Approaches") und WOUTER VAN BEEK („Cultural Anthropology and the Many Functions of Religion") in Contemporary Approaches to the Study of Religion, hrsg. von FRANK WHALING, Band 2 (Berlin, New York, Amsterdam 1985) S. 179-230, 231-264 und 265-277.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

2. Soziologische Sicht; Religionssoziologie Seit den Anfangen soziologischer Forschung hat es eine Reihe von Forschern gegeben, die sich allgemein oder im Rahmen spezieller Untersuchungen auch mit religiösen Tatsachen in der Gesellschaft befaßt haben. Bekannt sind die Äußerungen von KARL MARX (1818 — 1883) und FRIEDRICH ENGELS (1820 — 1895), die sowohl die Illusionierungsfunktion der Religion in der Gesellschaft wie auch den Protestcharakter der Religion gegen bestehende gesellschaftliche Mißstände hervorhoben. MARX wies auch auf die verschiedenen materiellen Interessen hin, die in der religiösen Praxis eine Rolle spielen. Der orthodoxe Marxismus verstand sich als atheistisch und sagte der Religion den Kampfan. 5 Als Begründer der wissenschaftlichen Religionssoziologie sind vor allem EMILE DURKHEIM (1858 — 1917) in Frankreich und MAX WEBER (1864-1920) in Deutschland zu nennen. Während DURKHEIM sich hauptsächlich darum bemühte, die Gesetzmäßigkeiten der sozialen Entwicklung der Religion und des religiösen sozialen Verhaltens aufzuzeigen, hat WEBER die Frage nach dem Sinn religiöser Verhaltensweisen in den Vordergrund gestellt. Er interessierte sich in erster Linie für den Zusammenhang zwischen religiösen Einstellungen und wirtschaftlichen und politischen Verhaltensweisen und für die Rolle, die den religiösen Motiven und Haltungen in verschiedenen Kulturen zukam und noch zukommt. In diesem Rahmen entstand auch seine Untersuchung über den Protestantismus im Westen. Die sogenannte ,Weber-These' über den inneren Zusammenhang zwischen dem Aufkommen des Kapitalismus und der Entwicklung des calvinistischen Puritanismus hat zu vielen Diskussio-

5

Siehe K. MARX und F. ENGELS, Über Religion (O.Berlin 1958). Eine Einführung in die Religionssoziologie ist der von F. FÜRSTENBERG unter dem Titel Religionssoziologie herausgegebene Sammelband (Neuwied und Berlin 1964).

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften

151

nen und weiteren Forschungen Anlaß gegeben, in denen weltanschauliche Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben.6 Da sich die Religionssoziologie vor allem mit der Stellung der Religion innerhalb der westlichen Gesellschaft befaßte, erfreute sie sich einer gewissen Popularität, geriet dabei aber auch bisweilen in theologische und ideologische Fahrwasser. Während der letzten Jahrzehnte hat sie sich sowohl in ihren Forschungstechniken wie auch in ihren methodischen Ansätzen und theoretischen Grundlagen weiterentwickelt, so daß sich heute — auch im deutschen Sprachbereich — verschiedene Richtungen unterscheiden lassen. Der klassischen Religionswissenschaft am nächsten stehen die Untersuchungen über verschiedenartige religiöse Gemeinschaften und über die unterschiedlichen Arten und Weisen, in denen gesellschaftliches Leben religiös geprägt werden kann. Herausragend in diesem Bereich sind die Arbeiten von ERNST TROELTSCH (1865-1923) und JOACHIM WACH (1898-1955). Letzterer setzte sich in seinen typologischen Untersuchungen mit Ansichten MAX WEBERS auseinander. Sein Ansatz wurde von GUSTAV MENSCHING (1901 — 1978) weitergeführt.7 Eine religionskritische Ausrichtung mit einer grundsätzlich kritischen Einstellung gegenüber jeder ,reaktionär-ideologischen' Tradition kennzeichnet die sogenannte Frankfurter Schule, als deren Leiter in den fünfziger und sechziger Jahren 6

7

MAX WEBER, Die protestantische Ethik, 2 Bände, hrsg. von J. Winckelmann. I: Eine Aufsatzsammlung, II: Kritiken und Antikritiken (München und Hamburg 1965 und 1968). Man vergleiche G. MENSCHING, Soziologie der grossen Religionen (Bonn 1966) mit MAX WEBERS Analysen des Konfuzianismus, Hinduismus, Buddhismus und antiken Judentums, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (3 Bde, Tübingen 1920/21), die ein halbes Jahrhundert früher erschienen sind. Siehe auch G. MENSCHING, Soziologie der Religion (Bonn 19682).

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Forscher wie TH. W. ADORNO, M. HORKHEIMER und J. HABERMAS hervortraten. Hier wird nicht nur die handlungsorientierende und wertsetzende Rolle der Religion in der Gesellschaft hervorgehoben, sondern vor allem auf ihre grundsätzlich konservative Funktion bei der Legitimierung bestehender Herrschaftsverhältnisse und Gesellschaftsordnungen hingewiesen. Religiöse Orientierungen werden hier als Vernunft- und fortschrittswidrig dargestellt, mit Ausnahme jener Orientierungen, die sich in das ideologiekritische Gesellschaftsbild dieser Richtung einpassen lassen, wie etwa die progressiven Formen des Prophetismus oder messianische Bewegungen.8 Umgekehrt gibt es auch Untersuchungen, die gerade die konstruktive gesellschaftliche Funktion der Religion — etwa bei einer Krisenbewältigung — und ihre kognitive Rolle bei der Bewältigung der Wirklichkeit hervorheben. Diese Rolle zeigt sich insbesondere in neuen religiösen Bewegungen, wo eine neue Offenbarung traditionskritisch wirkt oder die Religion mitunter eine Alternative zu gefestigten Traditionen bietet. Man versucht zu zeigen, daß die Religion hier eine Klassifikation und sinnvolle Interpretation der Wirklichkeit ermöglicht. Diese zuerst in den USA von PETER BERGER und THOMAS LUCKMANN entwickelten Ansätze sind im deutschen Sprachbereich vor allem von der Wissenssoziologie rezipiert worden. Die phänomenologische Richtung in der Religionssoziologie betont ebenfalls die Konstruktionen, die die Religion der Wirklichkeit auferlegt. Sie stellt sich die Aufgabe, die Wirklichkeitsdeutung der erforschten Gesellschaft, in der religiöse Orientierungen eine wichtige Rolle spielen, von den Voraussetzungen dieser Gesellschaft her zu rekonstruieren und zu durchleuchten. Andere religionssoziologische Theorien wie die Interaktionstheorie und die Rollentheorie müssen hier außer acht gelassen werden. 8

Siehe RUDOLF J. SIEBERT, The Critical Theory of Religion: The Frankfurt School (Benin 1985).

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften

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Eine eigene Richtung hat die Kirchensoziologie oder kirchliche Sozialforschung eingeschlagen. Sie geht von kirchlichen Institutionen aus und versucht, die der Entwicklung und dem Leben von Kirchengemeinden zugrundeliegenden Regeln und Gesetzmäßigkeiten aufzudecken. Sie befaßt sich insbesondere mit jenen sozialen Prozessen, die die Kirchen unmittelbar betreffen, wie zum Beispiel die Säkularisierung einer Industriegesellschaft. Die meisten dieser Arbeiten beschränken sich auf den christlichen Raum im Westen. Die Ansätze für eine Soziologie der Kirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika gehen in der Regel nicht über den Rahmen einer westlichen Kirchensoziologie hinaus. Ein für die Religionswissenschaft fruchtbarer Ansatz ist der von HANS G. KIPPENBERG und anderen unternommene Versuch, die Religionssoziologie in eine größere Nähe zur geschichtlichen Forschung zu bringen, bzw. die religionsgeschichtliche Forschung soziologisch auszurichten. Dabei steht das Verhältnis von sozialem Handeln und religiöser Tradition bzw. symbolischem Ausdruck in Geschichte und Gegenwart im Zentrum des Interesses.9

9

Siehe zum Beispiel HANS G. KIPPENBERG, „Wege zu einer historischen Religionssoziologie. Ein Literaturbericht", in: Verkündigung und Forschung 16 (1971), S. 54-82. Zum Verhältnis von Macht und Religion siehe z. B. Le Pouvoir et Ic Sacre, hrsg. von A. ABEL (Brüssel 1962). Viele andere Forschungen könnten genannt werden. Zum Rückgang des Sakralen in der modernen Industriegesellschafl siehe S. S. Acquaviva, The Decline of the Sacred in Industrial Society (engl. Oxford 1979). Eine Übersicht über die neuere Religionssoziologie geben MICHAEL HILL („Sociological Approaches 1") und GÜNTER KEHRER und BERT HARDIN („Sociological Approaches 2") in: Contemporary Approaches to the Study of Religion, hrsg. von FRANK WHALING, Band 2 (Berlin 1985) S. 89-148 bzw. 149-177.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

3. Psychologische Sicht; Religionspsychologie Es hat eine Reihe von Forschern gegeben, die sich zunächst als Psychologen haben ausbilden lassen und sich dann der Erforschung religiöser Erfahrungs- und Verhaltensweisen zugewandt haben. Ursprünglich also ein Spezialgebiet der Psychologie, entwickelte die Religionspsychologie bald unterschiedliche eigene Ansätze. Historisch geht die Religionspsychologie auf die Amerikaner E. D. STARBUCK (1866-1947) und J. H. LEUBA (1868-1946) zurück, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts mittels Fragebögen Untersuchungen über religiöse Erfahrungen und Bekehrungen durchgeführt haben. Immer noch interessant sind WILLIAM JAMES' (1842 — 1910) bekannte Vorlesungen The Varieties of Religious Experience (1904), die 1907 in deutscher Übersetzung erschienen (Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit). Der Übersetzer dieses Buches, GEORG WOBBERMIN (1869 — 1943), ist einer der Gründer der Religionspsychologie im deutschen Sprachbereich. Außerdem hat er sich als Theologe darum bemüht, eine auf der christlichen Gemeindeerfahrung beruhende Theologie zu entwickeln. Ihm folgten verschiedene Wissenschaftler mit anderen religionspsychologischen Ansätzen, die aber nur selten Theorie und Forschung adäquat miteinander zu verbinden vermochten. Während die Religionspsychologie in Amerika mit Befragungen und ähnlichen Techniken arbeitete und wesentlich empirisch, ja experimentell ausgerichtet war, war sie in Deutschland eher philosophisch geprägt. Im übrigen wurde Psychologie damals weit gefaßt. Neben einer naturwissenschaftlichen Richtung gab es auch eine geisteswissenschaftliche, die sich auf das menschliche Seelenleben richtete. Der Einfluß der letztgenannten Richtung findet sich bei verschiedenen deutschsprachigen Religionsforschern, die ein — wie sie es nannten — psychologisches Verständnis' ihrer Forschungsgegenstände suchten. So haben sich Religionshistoriker wie RUDOLF OTTO (1869-1937), FRIEDRICH HEILER

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften

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(1892-1967) und GERARDUS VAN DER LEEUW (1890-1950) religiösen Erfahrungen psychologisch' genähert. Die Bedeutung, die sie der religiösen Erfahrung beimaßen, und der Nachdruck, den sie auf das psychologische' Verstehen in der Religionswissenschaft legten, führte zu eigenständigen Ansätzen einer verstehenden Psychologie. VAN DER LEEUW hat sich zur Verdeutlichung seines eigenen phänomenologischen Ansatzes auf die Strukturpsychologie EDUARD SPRANGERS berufen; gewisse Anregungen bezog er auch aus der von KARL JASPERS und LUDWIG BINSWANGER eingeführten Methode des existentiellen Verstehens. Der interessanteste deutschsprachige Beitrag zur Religionspsychologie kam jedoch aus der Tiefenpsychologie. Der religionskritische Ansatz SIGMUND FREUDS (1856-1939), der von seinen Schülern weitergeführt wurde, begreift die Religion als Illusion — als wirksame Illusion — und führt ihr Entstehen auf die individuelle Entwicklung der in der Kindheit auftretenden Projektionen zurück. Die Arbeiten ERICH FROMMS dagegen, der dem Kreis um Freud angehörte, befassen sich mit bestimmten Grundfragen religiöser Art in psychoanalytischer Sicht. Eine glückliche Kombination Freudscher Tiefenpsychologie und allgemeiner Religionspsychologie ist von A. VERGÜTE in Belgien ausgearbeitet worden. Bekannt sind seine Untersuchungen zum parallelen Gestaltaufbau von Gottes- und Elternbildern. Eine andere Richtung in der Tiefenpsychologie geht auf CARL GUSTAV JUNG (1875-1961) zurück. Seine komplexe Psychologie kennzeichnet ein affirmatives Verhältnis zur Religion, so wie JUNG sie verstand. Er nahm die religiöse Funktion der Seele, die religiösen Aspekte seelischer Wirklichkeit und die Inhalte religiöser Symbole sowohl therapeutisch wie wissenschaftlich völlig ernst. Dieser Ansatz hat zu weiteren religionspsychologischen Forschungen geführt, von denen im deutschen Sprachbereich insbesondere die von HANS SCHÄR und ERICH NEUMANN zu nennen sind. Die Archetypenlehre JUNGS,

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

die religionsgeschichtliches Material in die Forschung einbezog, hat auch in der Religionswissenschaft eine Diskussion ausgelöst, die zum Beispiel auf die Forschungen von KARL KERENYI und MIRCEA ELIADE einen gewissen Einfluß hatte. Die Arbeiten J. CAMPBELLS zur mythologischen Herosfigur sind stark von der Jungschen Idee eines Archetypus geprägt. Eine selbständige Stellung in der Religionspsychologie nimmt der schwedische Forscher H. SUNDEN ein. Seine Studien, besonders Die Religion und die Rollen. Eine psychologische Untersuchung der Frömmigkeit (1959; deutsch Berlin 1966), betonen die Bedeutung religiöser Modellfiguren für die Ausbildung der Persönlichkeit und des Glaubens. Dieser Ansatz ist auch für die Religionspädagogik, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, wichtig geworden. Wichtige neue Impulse für die psychologische Forschung rühren von Untersuchungen über religiöse Erfahrungen her, die durch Drogen herbeigeführt werden. Dabei wurde der Begriff der religiösen Erfahrung selbst zur Diskussion gestellt. Außerdem wurden Forschungen begonnen, die sich mit den Mitgliedern neuer religiöser Bewegungen im Westen befassen, wobei nicht nur die Bekehrung und das Hervorrufen neuer Erfahrungsbereiche, sondern auch die sozialpsychologischen Prozesse der Aufnahme in die Gemeinschaft und die gemeinsame Ausführung religiöser Pflichten, bzw. die Ausbildung einer religiösen Lebensweise unter religiöser Autorität besondere Beachtung finden.10

10

Zur neueren Entwicklung der Religionspsychologie siehe DAVID WULFF, „Psychological Approaches", in: Contemporary Approaches to the Study of Religion, hrsg. von FRANK WHALING, Band 2 (Berlin 1985), S. 21 —88. Zum Beitrag der Psychoanalyse siehe den von E. NASE und J. SCHARFENBERG herausgegebenen Sammelband Psychoanalyse und Religion (Darmstadt 1977).

A. Beitrag verschiedener Wissenschaften

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4. Die Sicht anderer Disziplinen Im folgenden soll kurz auf einige andere Disziplinen hingewiesen werden, die sich zwar nicht spezifisch mit religiösen Tatbeständen befassen, doch durch ihre Fragestellung ein neues Licht auf sie werfen können. Gewisse Zusammenhänge von Religion und Wirtschaft sind von KARL MARX und seiner Schule festgestellt worden. Die Untersuchung dieser Zusammenhänge erfolgte jedoch weniger durch Ökonomen als vielmehr durch Religionssoziologen wie ERNST TROELTSCH, MAX WEBER und ROBERT BELLAH sowie durch Ethnologen wie C. MEINHOF, E. LIPS und M. GODELIER. Die von MARX inspirierten Forscher gehen von der Determination des religiösen ,Überbaus' einer Gesellschaft durch die herrschenden Produktionsverhältnisse aus. In der Geographie gibt es bei M. BÜTTNER und anderen den Versuch, Religionsgeographie als eigenständige Teildisziplin der Religionswissenschaft zu festigen. Es wird u. a. nach der Rolle gefragt, die geographische Faktoren bei der Verbreitung und Gestaltung von Religionen und Religionsgemeinschaften gespielt haben und noch spielen.11 Was die Ethologie anbelangt, so haben Forscher wie W. BURKERT und P. WEIDKUHN versucht, die von KONRAD LORENZ und anderen auf dem Gebiet der modernen Verhaltensforschung bei Tier und Mensch erzielten Ergebnisse auch für die Religionswissenschaft fruchtbar zu machen. Sie befassen sich zum Beispiel mit dem rituellen, teilweise sogar religiösen Charakter elementarer Verhaltensweisen. Ausgehend von ökologischen Ansätzen ist von Forschern wie ÄKE HULTKRANTZ der Versuch unternommen worden, das Problem des Zusammenhangs von natürlichen Gegebenheiten einerseits und Kultur und Religion andererseits erneut in An11

11

Siehe den von MARTIN SCHWIND herausgegebenen Sammelband Religionsgeographie (Darmstadt 1975). Waardenburg

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

griff zu nehmen. Kulturell-religiöse Verhaltensweisen lassen sich teilweise als Antwort auf bestimmte natürliche Bedingungen deuten. Es war lange umstritten, ob Erkenntnisse aus der Parapsychologie eine Bedeutung für die Religionswissenschaft haben können. Das lag vor allem daran, daß man der Parapsychologie zumal in den ersten Jahrzehnten ihrer Entwicklung bisweilen jede Wissenschaftlichkeit absprach. Seitdem sich die Parapsychologie jedoch als eigenständige Disziplin durchgesetzt hat, hat sie dazu beigetragen, daß sich die Religionswissenschaft der Tatsache bewußt wurde, daß paranormale Begabtheiten oft religiös gedeutet und sozialreligiös verarbeitet wurden und werden. Es kommt zum Beispiel vor, daß dem paragnostisch begabten Menschen charismatische Züge zugesprochen werden. Ob paranormale Erfahrungen und Verhaltensweisen in bestimmten Gesellschaften, Kulturen und Religionen häufiger auftreten als in anderen, in welcher Weise sie bewertet werden und welche religiöse Deutungen dabei hervortreten — sowie die Erklärung bzw. Interpretation paranormaler Phänomene überhaupt — , sind nur einige der vielen offenen Fragen in diesem Forschungsbereich.

B. Unterschiedliche methodische Ansätze Die Erforschung der Religion in ihrem Kontext stellt keine Alternative zu den oben behandelten Ansätzen dar, sondern sie umfaßt sowohl historische wie vergleichende Forschung. Der Unterschied ist einfach der, daß sie sich nicht mit der Geschichte und dem Vergleich religiöser Tatbestände begnügt. Sie fragt darüber hinaus nach den Beziehungen und Zusammenhängen zwischen religiösen und nichtreligiösen Tatbeständen und nach Regeln und Gesetzen, die unabhängig von den einzelnen spezifischen religiösen und nichtreligiösen Tatsachen existieren.

B. Unterschiedliche methodische Ansätze

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Denn solche Beziehungen erlauben es, allgemeinere Zusammenhänge zwischen verschiedenen Aspekten oder Teilbereichen der gelebten Wirklichkeit wissenschaftlich zu erfassen. So kann eine kontextuelle Erforschung von Religion sich dein zuwenden, was die Menschen in einer gegebenen Gesellschaft und Kultur als religiöse Wirklichkeit betrachtet haben, und dies im Gesamtzusammenhang der jeweiligen Gesellschaft und Kultur erforschen. Eine solche Religionsforschung, die sich grundsätzlich sowohl mit religiösen wie nichtreligiösen Tatbeständen und Aspekten der Wirklichkeit befaßt, kann ganz verschiedene Richtungen einschlagen, die einander zwar nicht ausschließen, aber doch voneinander zu unterscheiden sind. Neben den hermeneutischen Ansätzen, die im nächsten Kapitel behandelt werden, lassen sich die folgenden drei interessanten Vorgehensweisen mit je zwei alternativen Ansatzmöglichkeiten nennen. 1. Erstens kann methodisch der Nachdruck entweder mehr auf der Beschreibung oder mehr auf der Erklärung liegen. Ebenso wie es einen Unterschied zwischen Ethnographie und Ethnologie, Soziographie und Soziologie gibt, gibt es auch in der Religionswissenschaft einen Unterschied zwischen Religionsbeschreibung und Religionserklärung, wobei nachprüfbare Regeln aufgestellt werden. Eine Art Zwischenform zwischen Beschreibung und Erklärung von Tatsachen bietet die in den Sozialwissenschaften beliebte Modelltheorie. Die Tatsachen werden hier von außen entwickelten, mehr oder weniger theoretischen Modellen zugeordnet, die nicht den Anspruch erheben, als solche Wirklichkeitswert zu besitzen, die also in dieser Hinsicht immer eine bedingte Gültigkeit haben, auch wenn sie bezüglich der Religion interessante Regeln formulieren können. 2. Zweitens kann sich die Aufmerksamkeit des Forschers mehr auf den religiösen Selbstausdruck und seinen Inhalt oder auf den Kontext eines solchen Ausdrucks richten.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Im ersten Fall wird der Versuch unternommen, Religion vor allem zumal aus ihren eigenen Äußerungen und den mit diesen Äußerungen gegebenen Voraussetzungen zu verstehen und zu deuten, so wie man zum Beispiel Literatur oder Musik als literarische bzw. musikalische Schöpfung innerhalb des Bereichs von Literatur bzw. Musik verstehen kann. Es wird nach den unterschiedlichen charakteristischen religiösen Ausdrükken und Erscheinungen gesucht, die dann beschrieben, systematisch geordnet und nach Möglichkeit aus sich selbst heraus verstanden werden. Eine solche Forschung ist also vor allem deskriptiv und zielt auf ein Verstehen dessen, was die Tatsachen im gegebenen Kontext selbst aussagen. Der Kontext ist nur ein Hilfsmittel, um den Selbstausdruck besser verstehen zu können. Dies führt zum hermeneutischen Ansatz (Kap. V). Im zweiten Fall wird der Versuch unternommen, religiöse Ausdrucksformen und Tatbestände vor allem vom jeweiligen Kontext her zu verstehen und zu erklären. Religion kann zum Beispiel als eine soziale Verhaltensweise innerhalb einer gegebenen Gesellschaft oder als eine Funktion verstanden werden, der in der betreffenden Kultur legitimatorische oder begründende Aufgaben zufallen. Hier wird der Selbstausdruck vor allem als Funktion des Kontextes oder als Reaktion auf ihn gesehen. Man fragt eher danach, was der Selbstausdruck über den Kontext, als was der Kontext über den Selbstausdruck aussagt. 3. Das dritte Ansatzpaar bezieht sich auf die Haltung des Forschers gegenüber seinem religiös-kulturellen Forschungsgegenstand. Einerseits gibt es eine .emische' Haltung, wobei der Forscher für seine Deutung des Materials die in der betreffenden Kultur geltenden Kategorien übernimmt. Dabei hat er die Möglichkeit, sich dem Gegenstand gegenüber für eine bestimmte Zeit empathisch, partizipierend oder sogar geistig identifizierend zu verhalten. Andererseits gibt es eine ,etische' Haltung, wobei der Forscher für seine Deutung des Materials eigene theoretische, aus einem Abstand gewonnene Kategorien

B. Unterschiedliche methodische Ansätze

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anwendet. Dabei hat er die Möglichkeit, bewußt einen Abstand zu seinem Gegenstand zu wahren und sich weder kognitiv noch emotional mitreißen oder beeinflussen zu lassen. Hinter diesen beiden Haltungen liegen auch verschiedene Wissenschaftsauffassungen und Erkenntnisweisen. (P. J. Pelto, Anthropological Research: The Structure of Inquiry, New York 1970,8.67-80) Im ersten Fall wird der Versuch unternommen, eine andere Lebenswirklichkeit so weit wie möglich von ihren eigenen Voraussetzungen her kennenzulernen, d. h. auf wissenschaftliche Weise zu einer Rekonstruktion einer anderen Sicht auf die Wirklichkeit zu gelangen. Es geht darum, die Bedeutungen zu verstehen, die die Dinge für die betreffende religiöse Gemeinschaft haben oder hatten, und sie geistig von dieser Gemeinschaft in die eigene Gesellschaft zu ,übersetzen'. Der Versuch ist in den Geisteswissenschaften seit WILHELM DILTHEY bekannt, ist aber zum Beispiel auch in einigen Richtungen der Kulturanthropologie gängig geworden. Im zweiten Fall wird der Versuch unternommen, vorab gewisse Theorien zu entwickeln und diese modellartig an den Forschungsgegenstand heranzutragen, um ihn in einen weiteren wissenschaftlich-abstrakten Zusammenhang zu stellen. Es ist dann dieser Zusammenhang, der die wirklichen Sinnzusammenhänge klarmacht. Dieses Vorgehen ist seit langem in den Naturwissenschaften bekannt und hat danach auch in die Sozialwissenschaften Eingang gefunden. Während im ersten Fall bestimmte Verhaltensweisen von den spezifischen Voraussetzungen der betreffenden religiösen Kultur her beschrieben und soweit wie möglich erklärt werden, geschieht dies im zweiten Fall letztlich von allgemeinen Voraussetzungen her. Und während sich der ,etische' Ansatz aufgrund einer vorher entworfenen Hypothese oder Theorie den kulturellen Tatbeständen mit allgemeinen Kategorien zuwendet, ist der ,emische' Ansatz darauf gerichtet, soweit wie möglich von den Anschauungen der untersuchten Kultur selbst auszugehen

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

und das Kulturganze aus seinem eigenen Zusammenhang zu verstehen. Dies bedeutet nicht, daß der Forscher selbst Anhänger werden muß, um zu einem Verständnis kommen zu können. Ein allgemeines methodisches Problem, das sich bei systematischen kontextuellen Forschungen stellt, besteht darin, daß vor der konkreten Deutung einer Religion und ihrer Formen zunächst eine allgemeine ,empirische' Deutung ihrer jeweiligen Wirklichkeit in bezug auf die Wirklichkeit des Kontextes erfolgen muß. Die Deutung des Kontextes geht dabei der des religiösen Phänomens voran. Wie soll man dabei vorgehen? Eine Wirklichkeitsdeutung kann aus der wissenschaftlichen Sicht einer Spezialdisziplin erfolgen, z. B. aus soziologischer oder ethnologischer, psychologischer oder biologischer Sicht. Ihr kann aber auch eine weltanschaulich-ideologische Sicht zugrundeliegen, wie das zum Beispiel bei orthodoxen Freudianern oder Marxisten und überhaupt bei allen theologischen und ideologischen Anschauungen der Fall ist. Ob eine bestimmte Wirklichkeitsdeutung eher wissenschaftlich oder eher weltanschaulich-ideologisch bestimmt ist, läßt sich oft nur schwer feststellen. Nicht nur können wissenschaftliche Theorien ideologisch verwertet werden, sondern auch die Wissenschaft selbst kann zu einer Ideologie gemacht werden. Dies kann zum Beispiel zu der Schlußfolgerung führen, daß Religion als solche aus den gegebenen Tatsachen restlos oder überhaupt nicht zu erklären sei. Diese komplexe Problematik scheint eine der Ursachen dafür gewesen zu sein, warum sich eine Reihe früherer Religionswissenschaftler fast ausschließlich auf die Beschreibung des religiösen Selbstausdrucks von ,innen' heraus beschränkt hat. Fürchteten sie sich vielleicht davor, daß kontextuelle Erklärungsversuche mit Hilfe vorgegebener Theorien zwangsläufig dazu führen könnten, spezifisch religiöse Werte zu verneinen und Religion völlig auf nichtreligiöse Ursachen zu reduzieren? Es wäre besser gewesen, sie hätten die Logik einer schlüssigen wissenschaftlichen Erklärung festgestellt und alle Pseudoerklä-

C. Die religiöse Gemeinschaft

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rungen, die die völlige Reduktion eines Phänomens auf etwas anderes beanspruchen, als logisch falsch entlarvt. Es läßt sich zeigen, daß Religionsapologeten häufig die Erforschung des Selbstausdrucks, und daß Religionskritiker nahezu immer die Erklärung vom Kontext aus als Forschungsmethode gewählt haben. Diese Art der Anwendung der Religionsforschung — sei es ,für' oder sei es ,gegen' die Religion — ist also letztlich ideologisch bestimmt gewesen. Von hier aus gesehen erscheint die kontextuelle Religionsforschung geradezu als ein Testfall für die Selbständigkeit der Religionswissenschaft als einer freien Wissenschaft. Ihr droht — anders als den konkreten historischen und vergleichenden Untersuchungen — immer die Gefahr, daß sich ideologische und theologische Voraussetzungen in ihre Argumentation einschleichen und durchsetzen. Das mag übrigens auch einer der Gründe dafür sein, warum sich einige Religionsforscher auch heute noch lieber an die historischen und vergleichenden Studien halten und nicht auf das Glatteis der kontextuellen Forschung begeben. Wie oft kam es nicht schon vor, daß sozialwissenschaftliche Ansätze von Religionshistorikern als Abweichungen von der reinen Religionswissenschaft gebrandmarkt und verleumdet wurden!12 Wir kommen jetzt zu einigen Anwendungen der kontextuellen Religionsforschung auf Aspekte der religiösen Gemeinschaft.

C. Die religiöse Gemeinschaft Die Relevanz der religiösen Gemeinschaft für jede Religion steht außer Frage. Religiöse Erfahrungen und Ausdrucksformen und religiöses Leben im allgemeinen können nur dann 12

Man vergleiche dagegen auf der sozialwissenschaftlichen Seite den von HANS G. KIPPENBERG und BRIGITTE LUCHESI herausgegebenen Band Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens (Frankfurt 1978).

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

lebendig bleiben, wenn sie von einer religiösen Gemeinschaft getragen werden. Die Religion des einzelnen hängt grundsätzlich vom Gefüge der Beziehungen ab, die er zu seinen Mitmenschen unterhält. Selbst die individuellen Einstellungen gegenüber religiösen Angelegenheiten gehen letztlich auf eine religiöse Erziehung oder Ausbildung zurück, hinter denen eine Gemeinschaft stand oder steht. Die religiöse Gemeinschaft ist von mindestens zwei Ansätzen her zu erforschen. Diese Ansätze eröffnen eine unterschiedliche Sicht auf die Gemeinschaft. Der eine fragt danach, wie sich die Gemeinschaft selbst sieht oder wie sie sich von anderen Gemeinschaften und von der Außenwelt abgrenzt, wie sie ihre Ansprüche legitimiert, wie sie sich zu den religiösen Traditionen äußert, usw. Der andere fragt danach, wie sich die Gemeinschaft in der gegebenen sozialen Wirklichkeit verhält und wie ihr Verhalten und ihre Ideen in Beziehung zur umgebenden Gesellschaft stehen. Die religiöse Gemeinschaft reagiert in mittelbarer oder unmittelbarer Weise auf die Orientierungen, Probleme und Institutionen, die von der Gesellschaft auf sie einwirken. In den meisten Typologien zur Klassifikation religiöser Gemeinschaften findet sich eine strenge Scheidung von Gemeinschaften, die mit der bestehenden Gesellschaft identisch sind, wie das zum Beispiel in den ,Stammes'- und ,Volks'Religionen der Fall ist, und Gemeinschaften, die aus religiösen Gründen gestiftet worden sind und sich nachdrücklich von der bestehenden Gesellschaft absetzen. In Wirklichkeit ist der Gegensatz zwischen diesen beiden Formen religiöser Gemeinschaften nicht so groß. Man sollte bei Stämmen und Völkern, die eine gemeinsame Religion haben, vielleicht weniger von einer Identität von religiöser Gemeinschaft und profaner Gesellschaft sprechen, sondern sie eher als Gemeinschaft mit religiösen bzw. soziokulturellen Aspekten begreifen. Für die religiösen Aspekte des Lebens gibt es bestimmte Autoritäten oder auch bestimmte Institutionen, die

C. Die religiöse Gemeinschaft

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diesem speziellen Zweck dienen. Im allgemeinen Leben können sich die Menschen mehr oder weniger aktiv mit dem Bereich des Religiösen beschäftigen. Religiöse Feste und Feiern haben sowohl eine religiöse als auch eine allgemeine soziale Dimension, die ineinander übergehen. Andererseits sind auch in differenzierten Gesellschaften religiöse Gemeinschaften kaum je ganz von der Gesellschaft geschieden, auch wenn bei den Mitgliedern ein solcher Eindruck entstehen mag. Selbst Gemeinschaften mit einer ausgeprägten Tendenz zur Weltverneinung bleiben von den Problemen der Gesellschaft nicht unberührt. Der Prozeß, dem die Gruppen- und Körperschaftsbildung ,religiöser' Gemeinschaften unterliegt, unterscheidet sich soziologisch gesehen nicht grundsätzlich von den Prozessen anderer Gruppenbildungen. Religiöse Gemeinschaft und menschliche Gesellschaft greifen also ineinander, sie können einander nicht entgegengesetzt werden. Eine religiöse Gemeinschaft wäre demnach als eine Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Tradition bezieht, zu definieren. Sie versteht sich selbst als religiös, bleibt aber dabei deutlich eine soziale Gruppe. Aus den vielen Elementen religiöser Gemeinschaften sollen drei ausgewählt und im folgenden als Beispiele für kontextuelle Religionsforschung ausgeführt werden: die Tradition, die den Fortbestand der Gemeinschaft über die Generationen hinweg ermöglicht und die die Elemente der jeweiligen Religion bewahrt; die Initiation, durch die neue Mitglieder bewußt zur Gemeinschaft hinzutreten; und die Feste mit ihren Ritualen, Mythen usw., die die Gemeinschaft stärken oder sogar immer neu stiften. Danach kommen wir auf die Rollen zu sprechen, die die einzelnen in der Gemeinschaft einnehmen: zum einen die natürlichen Rollen als Männer und Frauen, zum anderen die Grundrollen religiös-autoritativen Verhaltens, deren Träger die homines religiosi (,religiöse' Menschen) der religiösen Gemeinschaft sind. Diese homines religiosi können auch Modelle für ein

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

vorbildliches Leben in der Gemeinschaft abgeben. Anschließend werden einige spezielle Religionsgemeinschaften behandelt. 1. Die Tradition

Obwohl sie als Tatbestand relativ wenig in der Religionswissenschaft thematisiert wird, ist die Tradition — ganz gleich ob sie nur mündlich weitergegeben wird oder schriftlich fixiert ist oder ob sie schriftliche und mündliche Elemente vereint — eines der wesentlichen Elemente jeder Religion. Eine religiöse Tradition ist immer mit einer bestimmten Gemeinschaft verbunden, deren Identität sie weitgehend dieser Tradition verdankt. Durch die Tradition ist auch die Kontinuität der Gemeinschaft gewährleistet. Religiöse Traditionen sind ihrerseits Teil der umfassenderen kulturellen Traditionen, zu denen auch die Sitten und Gewohnheiten und die Sprache gehören. Dabei ist zwischen größeren Traditionen allgemein normativer Art und ,kleineren' Traditionen regionaler oder lokaler Art zu unterscheiden, auch wenn sie sich in der Realität meistens überschneiden. Die religiösen Elemente scheinen diesen Traditionen eine übergeschichtliche Dimension und eine Legitimation zu geben, durch die die Kontinuität aufeinanderfolgender Generationen garantiert ist. Bei näherem Zusehen ist eine kulturelle und auch eine religiöse Tradition selten so einheitlich, wie sie auf den ersten Blick wirkt. Nahezu jede Tradition zeigt Abzweigungen und Varianten, die von bestimmten Gruppen in der Gemeinschaft befolgt werden. So lange aber nicht ein mehr oder weniger radikaler Bruch mit den ,Quellen' der Tradition stattgefunden hat, handelt es sich dabei nur um ,Subtraditionen' innerhalb einer größeren Tradition. Auch wenn Religion weit mehr ist als eine aus der Vergangenheit stammende Gemeinschaftstradition, ist die Tradition doch ein konstitutives Element jeder Religion. Der erste Ansatz zur Erforschung einer religiösen Tradition bezieht sich darauf, wie die Tradition sich selbst ausdrückt. Er nimmt vor allem darauf Bezug, wie bestimmte Elemente des

C. Die religiöse Gemeinschaft

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Traditionsgutes den Mitgliedern der betreffenden Gemeinschaft durch Erziehung, Belehrung, Lebensführung, Feste und Frömmigkeit als selbstverständlich und verbindlich dargestellt werden. Andere Elemente werden zwar auch als gültig anerkannt, werden aber von der Gemeinschaft nicht nachdrücklich hervorgehoben, was übrigens nicht ausschließt, daß unter Umständen auch auf sie Bezug genommen werden kann. Das erste Interesse dieses Ansatzes wird sich der Deutung zuwenden, die den wichtigsten Elementen des Traditionsgutes von bestimmten Strömungen und Gruppen in der Gemeinschaft unter bestimmten Bedingungen gegeben worden ist. Die verschiedenen Deutungen zeigen sich in den Varianten, die durch Hinzufügung oder Kommentierung in die mündliche oder schriftliche Tradition eingegangen sind. Ein zweites Interesse betrifft die Frage, wie diese Tradition selbst als Ganze im Laufe der Geschichte von der Gemeinschaft gedeutet worden ist und wie man sich ihr ,Wesen' vorgestellt hat. Hier geht es zumeist um die sogenannten ,Quellen' einer Tradition. Aus der Sicht der Gemeinschaft kann es sich dabei zum Beispiel um geistige Wesen handeln, die Verborgenes offenbart haben, oder um fixierte Urkunden bzw. unmittelbare Inspirationen, die einen heiligen Charakter haben, oder um bestimmte Rituale, deren Wirksamkeit fraglos hingenommen wird und ihre Existenz sozusagen legitimiert. Mündliche wie schriftliche Überlieferungen enthalten mythische Elemente, deren selbstverständliche Bejahung häufig die Voraussetzung zur Gemeinschaftszugehörigkeit bildet. Der zweite Ansatz sieht ganz anders aus. Er versucht, die Geschichte und die Selbstdeutung einer religiösen Tradition im Zusammenhang mit den äußeren Umständen zu sehen, unter denen die betreffende Gemeinschaft zu leben hatte. Man ist bestrebt, bestimmte Traditionselemente oder deren geschichtliche Deutung aus diesem — eng- oder weitgefaßten — Kontext zu erklären. Auch die Reaktion auf oder die Interaktion mit anderen religiösen, kulturellen und sozialen Traditio-

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

nen werden in die Untersuchung einbezogen. Dabei stellt sich heraus, daß religiöse Traditionen in der Praxis weit flexibler sind als gemeinhin angenommen worden ist, auch wenn sie über die Berechtigung ihrer Existenz kaum Diskussionen zulassen. Es gibt meistens eine Variabilität im Glauben, die gerade aufgrund der engen Beziehung zwischen der Tradition und der Gemeinschaft mit ihren verschiedenen Gruppen möglich ist. Jede religiöse Tradition hat bestimmte Traditionshüter, die die Tradition weiterzuführen und zu verteidigen haben. Von ihnen wird erwartet, daß sie über eine genaue Kenntnis der Überlieferung verfügen und sie wenn nötig adäquat deuten und praktisch anwenden können. Auch Stammesgesellschaften kennen häufig eine Unterscheidung zwischen der politisch-sozialen und einer mehr geistigen Verantwortlichkeit, für die die gute Kenntnis des Traditionsgutes unabdingbar ist. Zwar können gelegentlich beide Verantwortlichkeiten bei derselben Person liegen, meistens jedoch sind sie getrennt. In vielen Religionen sind die Priester die Traditionshüter und geistigen Verantwortungsträger, nicht jedoch im Judentum und im Islam, wo Schrift- und Gesetzesgelehrte diese Funktion innehaben. Im Protestantismus fallt diese Aufgabe theologisch ausgebildeten Schriftgelehrten und im Buddhismus den Mönchen zu; sie sind die Hüter der Tradition. Das Hüten der Tradition und ihrer Wahrheit schließt nicht aus, daß auch Neuinterpretationen und Reformen stattfinden können. Die Tradition kann Gegenstand von Kritik werden. Die Kritik einzelner Symbole oder Mythen muß nicht notwendig den gesamten religiösen Rahmen sprengen; sie kann sich auf gewisse Änderungen in der Deutung oder auf Weglassungen bestimmter Elemente der Tradition beschränken. Handelt es sich dagegen um eine Kritik an der Tradition überhaupt bzw. an den Quellen dieser Tradition, so ist das für die religiöse Gemeinschaft sehr viel einschneidender, da mit der Tradition auch die Begründung der Lebensweise der Gemeinschaft in Frage gestellt wird. Eine solche Traditionskritik kann die be-

C. Die religiöse Gemeinschaft

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treffende Religion entweder vollständig zerstören oder zur Ausbildung einer neuen Lebensweise bzw. Religion außerhalb der alten führen, wie die Beispiele des Urchristentums und der Reformation zeigen. Eine ,Offenbarung' kann eine traditionskritische Funktion haben, führt dann aber selbst wieder zu einer Traditionsbildung. Die größtmögliche Einsicht ist dann zu gewinnen, wenn wir die beiden genannten Ansätze der kontextuellen Forschung miteinander verbinden. Das erlaubt uns einerseits, der Entwicklung einer ,internen' Traditionskritik bei den Anhängern einer Religion nachzugehen. Wir werden uns zu diesem Zweck den Reformatoren und Theologen zuwenden müssen, die sich auf Grund ihrer Bildung in der Tradition auskennen, aber auch den Propheten und Mystikern, die sich innerhalb der Tradition auf besondere Erfahrungen als Grund ihrer Kritik berufen. Andererseits können wir versuchen, den Kontext der jeweiligen Traditionskritik heranzuziehen, indem wir den äußeren Druck untersuchen, unter dem die Tradition zum Zeitpunkt ihrer inneren Kritik steht. Bei diesem äußeren Druck auf die bestehende Tradition kann es sich zum Beispiel um ein schnell wandelndes Weltbewußtsein handeln, das mit technologischen und sozialen Entwicklungen verbunden ist, die die Glaubwürdigkeit der bestehenden Tradition beeinträchtigen. Es kann auch ein bewußter politischer Druck sein, der sich gegen die Tradition selbst oder gegen bestimmte praktische Konsequenzen richtet, oder aber eine aufklärerische Kritik, die zumeist im Rahmen einer allgemeinen Religionskritik von Humanisten, Freidenkern und Atheisten an den intellektuellen Inhalten der Tradition geübt wird. Auch das Aufkommen einer neuen, konkurrierenden Religion hat seinen Rückschlag auf die Selbstinterpretation einer bestehenden Religion, wie dies — gemäß den Forschungen JACOB NEUSNERS — im Judentum des 4. und 5. Jahrhunderts dem sich etablierenden Christentum gegenüber zu beobachten ist.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Am wichtigsten jedoch sind wohl die Folgen wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krisen, die die Gemeinschaft als Trägerin der Tradition bedrohen. Ihre Identität als Gemeinschaft kann dann in Frage gestellt werden.13 2. Initiation Wenn Initiationen in einer Gemeinschaft als persönlicher Übergang in eine neue Lebensphase gedeutet werden, sind sie als Übergangsriten (rites de passage) anzusehen.14 Viele Initiationen enthalten religiöse Bezugnahmen und enden mit der Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft oder dem Erwerb eines besonderen religiösen Status innerhalb einer solchen Gemeinschaft. Sie sind mit der Mitteilung religiöser Lebens- und Weltanschauungen und der Erkenntnis religiöser Wahrheiten verbunden. Die rituellen Initiationen, die den Übergang in den Erwachsenenstatus und die Aufnahme in die Stammesgesellschaft anzeigen, haben seit altersher die Aufmerksamkeit von Ethnologen auf sich gezogen und sind wiederholt erforscht worden. Sie lassen eine gemeinsame Struktur erkennen, die sich in die folgenden Hauptphasen unterteilt: das symbolische Hintersichlassen der Kindheit; ein Stadium der Einsamkeit, in dem die Initianden verschiedenen mehr oder weniger harten Bewährungsproben unterworfen werden; zeremonielle Handlungen, die eine Neugeburt symbolisieren und in deren Verlauf neues Wissen erworben wird; das Versprechen der Initiierten, das empfangene traditionelle Wissen — so banal es auch sein 13

14

Siehe z. B. HANS G. KIPPENBERG, Religion und Klassenbildung im antiken Judäa. Eine religionssoziologische Studie zum Verhältnis von Tradition und gesellschaftlicher Entwicklung (Göttingen 1978). Der Ausdruck stammt von ARNOLD VAN GENNEP (1873 — 1957), der zu diesem Thema ein gleichnamiges Buch schrieb (Paris 1909, Neuausgabe 1969).

C. Die religiöse Gemeinschaft

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mag — geheimzuhalten, und schließlich die Aufnahme in die Gemeinschaft der Erwachsenen. Diese Initiationen sind, ebenso wie das mitgeteilte Wissen, für Jungen und Mädchen verschieden. Diese durch Vergleich ermittelte Grundstruktur ermöglicht es, auch bestimmte andere Ritualhandlungen als Initiationen zu verstehen. Man hat zum Beispiel darauf hingewiesen, daß Geburts-, Heirats- und Beerdigungsrituale häufig dieselbe Struktur wie die expliziten Initiationsrituale aufweisen. Sie können also nicht nur für die betreffenden Personen, sondern auch für die teilnehmenden Mitglieder der Gemeinschaft Übergänge zu einer neuen Lebensphase symbolisieren und vertiefen. Explizite Initiationsrituale mit eindeutigen religiösen Aspekten gibt es auch in sogenannten Männer- und Frauenbünden, in esoterischen Gemeinschaften und anderen religiösen Gruppen, die nicht allgemein zugänglich sind. Auch Priesterweihen und bestimmte Formen der Aufnahme in eine höhere Statusgruppe tragen rituellen Initiationscharakter. Es gibt jedoch auch Initiationen, bei denen ein ausdrückliches Ritual und eine konkrete aufnehmende Gemeinschaft fehlen, die aber dennoch eine religiöse Bedeutung haben können, etwa dann, wenn sich jemand in eine geistige Gemeinschaft aufgenommen fühlt. In diesem Sinn ist der Erwerb neuer, für wahr gehaltener Grundeinsichten oder die Übernahme einer neuen, für richtig gehaltenen Lebensweise, grundsätzlich als Initiation zu bewerten. Sie werden auch von den Betreffenden vielfach so verstanden, vor allem dann, wenn sie sich bewußt von etwas Altem lossagen müssen. Sie betrachten sich dabei häufig als neue Mitglieder einer umfassenden, realen, aber unsichtbaren menschlichen Gemeinschaft. Gewisse Lebenserfahrungen, die Übernahme bestimmter Verantwortungen oder auch z. B. Pilgerfahrten können auch ohne das Dazwischentreten einer Gemeinschaft oder die Vermittlung von Ritualen als Initiationen zu neuen Lebenseinsichten angesehen werden. Sie werden dann meistens als eine ,geistige' Initiation, als Reifeprü-

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

fung verstanden, die eine neue Solidarität hervorbringt. Dabei kann die Initiation auch einen elitären Charakter aufweisen. Die Tiefenpsychologie ist nicht nur eine Richtung, die eigene Deutungen von Initiationsritualen vorgelegt hat, sie läßt sich auch selbst als Initiationsweg deuten. Verschiedene Erziehungsmaßnahmen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, vor allem aber die Einführung in die eigene Religion — und jede weitere geistliche Ausbildung — sind als geistige Initiationen zu betrachten. Unter dem letztgenannten universellen Gesichtspunkt wäre überhaupt jedes menschliche Leben als initiation' zum Menschsein und zur menschlichen Gemeinschaft zu verstehen. Mit dieser Ebene verlassen wir jedoch den Bereich, in dem sich präzis vorgeschriebene Handlungen und konkrete menschliche Gemeinschaften feststellen lassen.15 3. Feste und Volksreligion

Feste bieten eine der besten Möglichkeiten, lebendige religiöse Traditionen in ihrem Kontext zu erforschen und sie auch miteinander zu vergleichen. Es geht dabei nicht nur um ihre geschichtliche Herkunft, sondern vor allem um ihre Stellung im Ganzen der Tradition und um die Bedeutung, die sie praktisch unter gegebenen Umständen für die Teilnehmer und bestimmte Gruppen unter ihnen haben. Religiöse Feste sind darüber hinaus nicht nur mit der offiziellen, sondern auch mit der Volksreligion verbunden und haben als solche eine eigene Bedeutung für die Gesellschaft. Bereits JANE HARRISON (1850-1928) hatte die alten griechischen Feste im Lichte der Theorie Emile Durkheims soziolo15

Siehe MIRCEA ELIADE, Das Mysterium der Wiedergeburt. Initiationsriten, ihre kulturelle und religiöse Bedeutung (Zürich 1961), und vom selben Verfasser „Mysterien und geistige Wiedergeburt" in seinem Buch Mythen, Träume und Mysterien, Kap. 9 (Salzburg 1961).

C. Die religiöse Gemeinschaft

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gisch beleuchtet. Sie zeigte, daß diese Feste nicht nur religiöse Kulte waren, sondern auch soziale Begegnungen darstellten, hinter denen politische und wirtschaftliche Interessen standen. Sie zeigte weiterhin, daß die Rivalitäten zwischen Kulten, die unterschiedlichen Göttern gewidmet waren, auch bei den Festen zum Ausdruck kamen. Überdies waren solche Feste eine Notwendigkeit, um das Gemeinschaftsgefühl der Teilnehmer, die sich als Einheit empfinden sollten, zu verstärken, wenn nicht sogar neu zu entfachen. Ethnologen haben auf die Tatsache hingewiesen, daß die Feste außereuropäischer Kulturen sowohl religiöse Zeremonien als auch sozialkulturelle Angelegenheiten der offiziellen Kultur und der Volkskultur sind. Dabei liegt der Verbrüderung der Teilnehmer nicht nur das Bedürfnis nach einer Erfahrung von Transzendentem zugrunde, sondern auch das nach einem gemeinsamen Erleben bestimmter Elemente der Tradition, in der man lebt. Es soll durch gemeinsames Handeln und gemeinsames Zuhören herbeigeführt werden. Psychologisch gesehen zielen Feste auf den ganzen Menschen und nicht nur auf seinen religiösen Erfahrungsbereich. Auch diejenigen, die mit einer ausschließlich religiösen Motivation und Absicht an einer Feier teilnehmen, werden in ihrem Verlauf erfahren, daß sie zudem der Entspannung und dem sozialen Verkehr dient. Feiern und Feste zeigen vielfältige Abläufe in den Verhaltensweisen, Vorstellungen, Bezugnahmen und emotionalen Begegnungen. Die Einsicht, daß den Feiern einer Religion eine wichtigere Rolle und Funktion zukommt, als man den schriftlichen Dokumenten, die die Feier eher voraussetzen als beschreiben, zunächst entnehmen kann, ist vor allem der Wiederentdeckung der Bedeutung des Kultes und der Liturgie zu verdanken. Dieses neue Interesse hat sowohl in der Ethnologie wie in der Religionsgeschichte zu einer Reihe von Untersuchungen über den kultischen Hintergrund religiöser Vorstellungen und über Ritualhandlungen im allgemeinen geführt. Rituelle Handlungen spielen, gleichgültig, ob sie religiös oder profan gefärbt 12 Waardenburg

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

sind, für die Strukturierung des persönlichen und des sozialen Lebens einer Gemeinschaft und damit auch für das strukturelle Gleichgewicht der Gesellschaft und ihrer Kultur eine wichtige Rolle. Ausgehend von der Tatsache, daß bestimmte Formen rituellen Verhaltens auch bei Tieren beobachtet werden können, hat man die Funktion ritueller Verhaltensweisen auf ihre ethologischen Voraussetzungen hin untersucht. Genauso wie die Wirkung eines Mythos verstärkt wird, wenn man bei seiner Wiedergabe bedeutungsvolle Elemente in bestimmter Weise aneinanderfügt, erhöht sich die Wirkung einer Liturgie dadurch, daß man einzelne kultische Handlungen zu einem komplexen liturgischen Ganzen zusammenschließt, das sich phasenweise in eine bestimmte Richtung entwickelt. Die Einsicht in die wichtige Rolle der Feier ist außerdem auch bestimmten neueren Auffassungen zu verdanken, die Religion unter anderem als Sinngebung allgemeinerer Lebensbetätigungen ansehen und auf das Handeln beziehen, statt sie mit einem gegebenen Corpus von Doktrinen und Vorschriften zu identifizieren. Damit konnten Riten und Sakramente, Feste und Liturgien ins Zentrum der gelebten Religion gestellt werden. Die enge Beziehung zwischen religiösen und kulturellen Verhaltensweisen rückt zunehmend in den Vordergrund der Betrachtung. Die allgemeinen, regelmäßig wiederkehrenden Liturgien haben für die Gläubigen grundsätzlich einen feierlichen Charakter. Sie werden darüber hinaus durch Höhepunkte mit noch ausgeprägterem festlichen Charakter skandiert. Es handelt sich hierbei um die feierliche Begehung bestimmter Ereignisse oder Gegebenheiten, die die Grundlagen der Gemeinschaft berühren. So haben auch säkulare Gesellschaften ihre eigene Art von Ritualen und Festen entwickelt, um aus der täglichen Regelmäßigkeit auszubrechen und zum Beispiel national etwas Gemeinsames zu feiern. Gesellschaften, in denen religiöse Traditionen lebendig sind, weisen neben profanen Feiertagen eine Vielzahl von Festen auf, die dieser Tradition entstammen. Häufig kann man den Übergang eines ursprünglich religiösen Festes zu einem einfachen arbeitsfreien Feiertag beobachten. Umgekehrt kann man in religiösen Gemeinschaf-

C. Die religiöse Gemeinschaft

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ten mitunter feststellen, daß der offiziellen Tradition weitere Feste aus der Volksüberlieferung hinzugefügt werden. Es lassen sich die folgenden Hauptkategorien von religiösen Feiern und Festen unterscheiden: a) Kalenderfeste, wie das Neujahrsfest oder das Sonnwendfest, die den Beginn einer neuen Zeit feiern. b) Naturfeste, wie das Mittsommernachtsfest, die Naturereignisse bzw. Naturmächte feiern. c) Naturbearbeitungsfeste, wie das Erntefest, die die durch Arbeit hervorgebrachten Früchte der Natur feiern. d) Feiern göttlicher Manifestationen, wie die griechischen Epiphanien oder Weihnachten, Ostern und Pfingsten im Christentum. e) Feiern des Eingedenkens zur Erinnerung an eine Befreiung durch göttlichen Eingriff, wie beispielsweise das Pesachfest. f) Feste zum Abschluß größerer ritueller Zeremonien, wie das ,kleine Fest' im Islam am Ende des Fastenmonats Ramadan. g) Feste anläßlich des Eintritts neuer Mitglieder in die Gemeinschaft, wie beispielsweise die erste Kommunion. h) Feiern anläßlich der Verabschiedung bzw. des Todes eines Mitglieds der Gemeinschaft. Hierzu wären Begräbnis- und Ahnenfeiern zu rechnen, die auch die Erneuerung der Verbindung mit den Verstorbenen zum Ziel haben können. Meistens sind diese Feiern Teil der normativen religiösen Tradition und damit vorgeschrieben und legitimiert. In der Praxis aber, und vor allem dann, wenn solche Feiern zu Volksfesten werden, treten eine Reihe kultureller Elemente verschiedenen Ursprungs hinzu, die als solche nichts mit dem eigentlichen ,religiösen' Inhalt der Feiern zu tun haben. Das bunte Ineinander von offizieller Feier und Volksfest, und die damit erzeugte 12*

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Spannung, verleiht der Feier eine Vielfalt von Funktionen, die bei jedem Fest im einzelnen untersucht werden müssen.16 Die Frage des Verhältnisses von religiösem Verhalten und religiösen Vorstellungen, die sich in der Religionsforschung so häufig stellt, läßt sich am Beispiel der Feiern und der rituellen Handlungen im allgemeinen genauer erörtern. Offenbar ist es nicht nur so, daß die kultische Handlung dauerhafter als die verschiedenen ihr verliehenen Deutungen ist, sondern die Deutung scheint gegenüber der kultischen Handlung grundsätzlich sekundär zu sein. In vielen Gemeinschaften gibt es Feiern und Rituale, von denen die Teilnehmer nicht eindeutig angeben können, warum und wozu sie sie begehen. In anderen Fällen haben sich die Deutungen und religiösen Vorstellungen frei entwickelt, ohne daß sich die kultischen Handlungen, zu denen sie ursprünglich gehörten, wesentlich geändert hätten. Allgemein läßt sich sagen, daß Vorstellungen — im Gegensatz zu ritualisierten Handlungen — der Phantasie offenstehen und sich in einer Weise verselbständigen und wandeln können, daß zwischen ihnen und den Handlungen bisweilen kaum noch eine sinnvolle Beziehung besteht. Es hat dann auch wenig Sinn, nach einer solchen zu suchen. Wie bereits erwähnt, fließen in die Feiern häufig Elemente der Volksreligion ein, die nicht mit der offiziellen oder normativen Religion übereinstimmen, wie sie von den Vertretern dieser Religion mit Hilfe normativer Deutungen aufrechterhalten wird. Volksreligion ist, anders als die meisten offiziellen Religionen, fast nie schriftlich festgelegt; sie wird grundsätzlich mündlich weitergegeben und gehört zu einer ,schriftlosen' Kultur. Die Volksreligion kann mit ihren spezifischen Feiern und Problemlösungen die Grenzen zur offiziellen Religion überschreiten oder gar sprengen. Sie kann die Religion ganz bestimmter 16

Siehe HANS-JOACHIM SIMM (Hrsg.), Das Fest. Ein Lesebuch von Feiern (München und Wien 1981).

D. Rollen in der religiösen Gemeinschaft

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Gruppen, z. B. Bauern, Frauen, Kinder sein; zumeist antwortet sie auf die universellen Fragen und Krisen des persönlichen und sozialen Lebens des Menschen, wie Liebe und Tod, Leben und Segen, Leiden und Ungewißheit. Eine solche Volksreligion, die es in nahezu allen religiösen Gemeinschaften gibt, scheint durch die starke Verbundenheit mit dem sozialen Leben und mit den Problemen der Bedürftigen, die es in allen Gesellschaften gibt, eine allgemein größere Anziehungskraft als die offizielle Religion zu haben. Das Verhältnis von Volksreligion und offizieller, normativer Religion variiert je nach Gemeinschaft, Art der Religion und besonderen Umständen.17

D. Rollen in der religiösen Gemeinschaft /. Die Rollenzuteilung an Mann und Frau Die klassische Religionswissenschaft hat sich vor allem jener Seite der Religion zugewandt, wie sie von Männern gestaltet und erfahren wurde. Daneben hat sie sich zwar auch mit Kulten befaßt, in denen Frauen als Priesterinnen oder Prophetinnen auftraten, die Religion der Frauen jedoch wurde zumeist vernachlässigt. Dabei gibt es in vielen Religionen spezifische Formen von Religiosität, die der Lebensproblematik der 17

Zum Verhältnis von offizieller Religion und Volksreligion siehe P. H. VRIJHOF und J. WAARDENBURG (Hrsg.), Official and Popular Religion. Analysis of a Theme for Religious Studies (Den Haag 1979), und La religion populaire (Colloque CNRS, Paris 1979). Siehe auch Les religions populaires, hrsg. von B. LACROIX und P. BOGLIONI (Quebec 1973). Bestimmte Aspekte der Volksreligion behandelt Le merveilleux, hrsg. von F. DUMONT, J. P. MONTMINY und M. STEIN (Quebec 1973). Das Wunderbare spielt eine große Rolle in der Volksreligion, wobei heilige Gestalten Träger des Wunderbaren, bisweilen einfach Wundertäter sind.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Frauen entsprechen, wie es umgekehrt in vielen Religionen auch spezifische Formen männlicher Religiosität gibt. Häufig waren auch die religiösen Funktionen und Ämter für Männer und Frauen verschieden oder schlössen sich aus, wie etwa im Fall bestimmter Tempel, wo nur Priester oder Priesterinnen amtieren konnten. Obwohl vor allem in den monotheistischen Religionen kaum noch religiöse Ämter für Frauen zu finden sind, wird im volkstümlichen Bereich den Erfahrungen religiöser Frauen, die bestimmte ,Gaben' besitzen, oft große Bedeutung zugemessen. Schließlich darf nicht übersehen werden, daß die religiöse Unterweisung der Kinder häufiger durch die Mutter und seltener durch den Vater erfolgt. Unter den Gottesvorstellungen gibt es viele Vorstellungen von weiblichen Gottesgestalten oder ,Göttinnen', die einen eigenen Machtbereich, eine eigene Funktion und Verantwortlichkeit besitzen. Ebensowenig wie männliche Götter nur von Männern verehrt werden, werden Göttinnen nicht notwendig nur von Frauen verehrt; auch das Geschlecht ihrer Priester und Diener liegt nicht von vornherein fest. Das bloße Vorkommen von Göttinnen erklärt wenig über die Stellung der Frau in einer religiösen Gemeinschaft; der Kult einer Muttergöttin zum Beispiel muß nicht notwendig mit einem Matriarchat verbunden gewesen sein. Allerdings gab es immer wieder spezielle Kulte nur für Frauen, und bestimmte religiös-magische Gaben, wie etwa Hexerei, wurden vor allem Frauen zugeschrieben. Umgekehrt verdankt sich die Stellung der Frau in einer gegebenen Gesellschaft nie ausschließlich der Religion, auch wenn wir — wie im Fall des Islam — gerne eine solche Verbindung herstellen. Diese Stellung hängt in erster Linie von den Sozialstrukturen ab, etwa von gewissen alten patriarchalen Strukturen, die sich in vielen Gesellschaften erhalten haben. In vielen Fällen hat die Religion einfach die bestehende Situation der Frau bestätigt. In Religionen, die auf einen Stifter zurückgehen, ist häufig festzustellen, daß der betreffende Stifter die Situation der Frau verbessern wollte. Die Rechte der Frauen scheinen also am Anfang dieser Religionen größer gewesen zu

D. Rollen in der religiösen Gemeinschaft

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sein, wurden aber im Laufe der Geschichte wieder beschnitten und mit religiöser Legitimation den Interessen der Männer untergeordnet. Religionen richten sich zunächst an die Menschen allgemein und weisen erst im zweiten Schritt den Männern und Frauen bestimmte normative Rollen zu. Ein wesentliches Problem besteht darin, diese Rollenzuweisungen in den verschiedenen sich wandelnden religiösen Normen und Werten einer Religion aufzuzeigen und die entsprechende Rollenzuteilung in der gelebten Praxis zu bestimmen. Dies ist ein reiches Forschungsgebiet, das sich zum Teil auch mit den Fragen der Sozialethik der verschiedenen Religionen berührt (s. Seite 228f.).18 2. Grundrollen religiös-autoritativen Verhaltens Jede religiöse Gemeinschaft hat ihre religiösen Autoritäten. Häufig gründet sie ihre Einsichten und Vorschriften auf einen Kultältesten, einen Propheten oder eine andere religiöse Gestalt, die die Religion hervorgebracht hat und auf die die spätere Gemeinschaft mit Verehrung zurückblickt. Über die geschichtliche Wirklichkeit hat sich dann eine Vorstellung geschoben, die im Prozeß der Hagiographie und der Traditionsbildung über religiöse Autoritäten entstanden ist.19 Daneben 18

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Siehe das Buch von F. HEILER, Die Frau in den Religionen der Menschheit (Berlin 1977), das auch den christlichen Bereich einschließt, und JOHANNES LKIPOLDT, Die Frau in der Antike und im Urchristentum (O.Berlin 1953; Gütersloh 1962). Beide Studien arbeiten vor allem mit Texten und ziehen nur wenig soziologisches oder ethnologisches Material heran. Siehe F. E. REYNOLDS und D. CAPPS (Hrsg.), The Biographical Process. Studies in the History and Psychology of Religion (Den Haag 1976). Zur historischen Forschung über die Stifter der großen Religionen siehe die „Prolegomena" von G. WIDENGREN, in Historia Religionum, Handbook for the History of Religions, Band I, Religions of

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

gibt es in religiösen Gemeinschaften aber auch ganz bestimmte Personen, denen in Fragen der Religion eine charismatisch oder anders begründete religiöse Autorität zukommt. Im folgenden sollen einige der geläufigen religiösen Autoritäten genannt werden, wobei der Nachdruck auf den auf sie gerichteten Erwartungen und auf der Rolle liegt, die ihnen von der Gemeinschaft zugeschrieben wird und die sie zum Teil auch tatsächlich erfüllen. Es kann sich hier nur um eine idealtypische Beschreibung handeln; die wirklichen Personen können Züge verschiedener Typen in sich vereinigen und müssen jeweils konkret im Verhältnis zu ihrer Gemeinschaft erforscht werden. Neben einer ,religiösen' Rolle haben diese Personen im übrigen immer auch andere soziale Funktionen. a) Der Schamane Obwohl der Schamane grundsätzlich ein Berufener ist, hat M. ELIADE deutlich gemacht, daß der Schamanismus mit archaischen Ekstasetechniken arbeitet. Die Ekstase, deren Herbeiführung der künftige Schamane von einem älteren Schamanen erlernt, wird als Erlebnis einer Reise durch Unterwelt und Himmel aufgefaßt. Der Schamane begegnet dabei Dämonen, Seelen von Vorfahren und Geistern, die ihn angreifen und sogar in Stücke reißen können. Der schamanische Ekstatiker weiß sich am Ende aber aus ihren Klauen zu befreien und kehrt dann als ein Mensch, der grundsätzlich neue Einsichten und Erkenntnisse erworben hat, auf die Erde zurück. Das Ekstaseerlebnis und sein ritueller Hintergrund wird vom Schamanen als eine geistige Initiation gedeutet. Von der Gemeinschaft wird es vor allem als Garantie für eine segensreiche Beziehung zu einer anderen, heilbringenden Wirklichkeit erlebt. Mit Hilfe des Schamanen können Krankheiten und psychische Leiden überwunden und allgemeine Gefahren von der the Past (Leiden 1969), S. 1-22: „The value of criticism is illustrated by the biographical dates of the great founders."

D. Rollen in der religiösen Gemeinschaft

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Gemeinschaft ferngehalten werden. Neben der generellen sozialen Autorität, die der Schamane genießt, kommt ihm eine ausdrücklich therapeutische Rolle bei der Lösung bestimmter Probleme der Gemeinschaft zu. Diese Rolle geht auf sein persönliches Ekstase-Erlebnis zurück, das ihn zu einem ,Eingeweihten' macht. Der Schamanismus soll in früheren Zeiten weit verbreitet gewesen sein und wird von einigen Forschern als eine der ältesten Formen von Religion sowie religiöser Gemeinschaft angesehen.20 b) Der Prophet

Personen, die als Propheten angesehen werden, sind im alten Nahen und Mittleren Osten, in Griechenland und neuerdings auch in Ländern der Dritten Welt aufgetreten. Sie verkündeten Botschaften, die ihnen von einer anderen Wirklichkeit bzw. von einer Gottheit eingegeben worden sind. Die Inspiration veranlaßte sie häufig nicht nur zur Mitteilung des Erfahrenen, sondern auch zu bestimmten sozialen Verhaltensweisen und politischen Stellungnahmen, bisweilen sogar zur Übernahme einer sozialpolitischen Führerrolle. Eine Anzahl Propheten und Prophetinnen wirkten an Kultstätten, wo sie Orakel sprachen oder deuteten oder in anderer Weise divinatorisch tätig waren. Andere riefen religiöse Bewegungen ins Leben, die zuweilen wichtige soziale und politische Folgen hatten und in einigen Fällen zu selbständigen neuen Religionen führten. Allgemein ist der Prophet bzw. die Prophetin eine Person, die eine Botschaft übermittelt, die häufig eine 20

Siehe M. ELIADE, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik (1951; deutsch Zürich und Stuttgart 1957), H. FINDEISEN und H. GEHRTS, Die Schamanen. Jagdhelfer und Ratgeber, Seelenfahrer, Künder und Heiler (Köln 1983). Wichtig für die Begriffsbildung ist das Buch von HARALD MOTZKI, Schamanismus als Problem religionswissenschaftlicher Terminologie (Köln 1977).

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Kritik an der bestehenden Tradition oder Religion oder auch an anderen althergebrachten Ordnungen beinhaltet. Die Funktion des Propheten in seiner Gemeinschaft ist also vielfach eine kritische. Er ist zukunftsorientiert und kann ein bevorstehendes letztes Gericht ankündigen, er proklamiert aber nicht das Ende der Zeit selbst. Er sieht die Geschichte als ein Feld von Entscheidung und Erneuerung, wobei der Mensch den Willen des verkündeten Gottes auszuführen und diesem Gott zu dienen hat. Die soziale Rolle des Propheten beruht darauf, daß er dem Alten gegenüber etwas Neues verkündet, das zu einer Neugestaltung des Lebens und der Gesellschaft führen soll. Eine prophetische Botschaft stellt den Angesprochenen vor die Alternative, das Leben zu verlieren oder zu gewinnen, d. h. sich dem verkündeten Neuen zu widmen. Die Bereiche, auf die sich die Forschung richtet, umfassen zum einen die Selbstaussage und Selbstdeutung des Propheten, seine Botschaft und ihre Verkündigung in Wort und Handlung, und zum anderen die Umstände, unter denen der prophetische Anspruch erhoben wurde, die Botschaft zustande kam und sich im Zusammenhang mit ihrer Rezeption in der Gemeinschaft entwickelte. In jedem konkreten Falle verdient das Verhältnis zwischen den Bedürfnissen und Problemen in der jeweiligen Gemeinschaft und den vom Propheten vorgeschlagenen, d. h. verkündeten, Lösungen besondere Aufmerksamkeit, da der Prophet vor seiner Verkündigung die Problematik der Gesellschaft, in der er lebt, innerlich verarbeitet hat.21 21

R. PARET hat in seinem Buch Mohammed und der Koran (Stuttgart 1957) eine Untersuchung eines Propheten vorgelegt, die beide Ansätze zu vereinen sucht. Siehe auch GEO WIDENGREN, Literary and Psychological Aspects of (he Hebrew Prophets (Uppsala und Leipzig 1948). Vgl. J. WAARDENBURG, „,Leben verlieren' oder,Leben gewinnen' als Alternative in prophetischen Religionen", in: Leben und Tod in den Religionen: Symbol und Wirklichkeit, hrsg. von GUNTER STEPHENSON (Darmstadt 1980), S. 36-60.

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c) Der Mystiker Charakteristisch für den Mystiker scheint die religiöse Vertiefung, Verinnerlichung oder Jnteriorisierung' seiner Erfahrung zu sein. Der Mystiker ,bedarf wesentlich dieser speziellen Erfahrung. Sie ist für ihn der Weg zur Kommunikation mit dem Absoluten, bzw. mit dem, was für ihn absolute Gültigkeit hat und ohne das er nicht leben kann. Das mystische Verhalten, das durch die Verinnerlichung und eine erfahrungsmäßige Verarbeitung gewisser Elemente der Tradition und durch die angestrebte Beziehung der Seele oder des ,Selbst' zum Absoluten gekennzeichnet ist, kann grundsätzlich in jeder religiösen Tradition vorkommen. Die in der Tradition vorhandenen Vorstellungen und Verhaltensweisen sind dabei letztlich die Mittel, um die angestrebte Erfahrung zu erreichen. Diese Erfahrungen verändern die Disposition der betreffenden Person, so daß die im Laufe der Reifung gewonnene Innerlichkeit auch in seinem äußeren Verhalten erkennbar ist. Der Mystiker erwirbt eine besondere Autorität über diejenigen, deren Innerlichkeit von der seinen angeregt wurde. Gemeinschaft wird vom Mystiker also nicht von außen, sondern von innen heraus geschaffen: die mystische Erfahrung ,steckt an'. Das soziale Verhalten des Mystikers kann der Vorstellung entsprechen, die die Gemeinschaft von einem Heiligen hat. In den Augen seiner Umgebung hat er oft charismatische Züge. Man kann einerseits den Mystiker auf seine eigenen Aussagen hin untersuchen und andererseits den Kontext betrachten, in dem er zum Mystiker wird und als solcher lebt. Vielleicht sind gewisse Formen der Mystik innere, religiöse Reaktionsformen bestimmter Menschen auf äußeren Orientierungsverlust und spannungsgeladene Gegensätze.22 22

Zum Verhältnis von Kontemplation und Aktion siehe Contemplation and Action in World Religions, hrsg. von YUSUF IBISH und ILEANA MARCULESCU (Seattle und London 1978).

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

d) Der Gnostiker Wie die mystische Erfahrung, so scheint auch das Streben nach Gnosis und innerer Erkenntnis in nahezu allen religiösen Traditionen lebendig gewesen zu sein. Diese Erkenntnis impliziert einen Gegensatz zwischen Niedrigem und Höherem, eine grundsätzlich dualistische Konzeption. Ihre höchste Ausformung hat die Gnosis bekanntlich im hellenistischen Gnostizismus und im Manichäismus erfahren. Sie ist auch in indischen philosophischen Systemen, denen es um höchste Erkenntnis und innere Einsicht zu tun war, von Bedeutung gewesen. Diese Einsicht ist das höchste Ziel des Gnostikers. Ein weiteres Merkmal des Gnostikers innerhalb einer religiösen Tradition ist, daß er hinter den Elementen der gegebenen Tradition eine höchste Wahrheit erkennt, die den äußeren Wahrheitsanspruch dieser Tradition und ihrer Elemente relativiert. Die höchste Wahrheit ist nur mythisch oder metaphorisch auszudrücken; sie ist vom und im Gnostiker zu erkennen, und die Einsicht in diese Wahrheit wirkt erlösend. In seinem Bemühen um die Wahrheit sucht der Gnostiker vor allem nach einer intellektuellen Erfahrung'. Die Tatsache, daß sich verschiedene religiöse Traditionen der Gnosis widersetzt haben und widersetzen, hängt wahrscheinlich mit der Einstellung des Gnostikers zur Gesellschaft zusammen. Der Gnostiker erhebt den Anspruch, die höhere Wahrheit zu kennen, und dieses Wissen entbindet ihn von der Unterordnung unter und vom Gehorsam gegenüber der äußeren Autorität. Die Folge ist die Ausbildung mehr oder weniger esoterischer, schwer faßbarer Gruppen mit höchsten Ansprüchen, die die Auflösung der bestehenden religiösen Gemeinschaften bewirken können, da sie die gegebenen religiösen Autoritäten nicht anerkennen und die bisherigen religiösen Traditionen völlig relativieren. Das in der Gnosis zutagetretende Erlösungsbedürfnis steht nicht nur abseits der gegebenen Tradition, sondern wirkt auch traditionsverneinend. Darüber hinaus scheint eine Verständigung mit Gnostikern kaum mög-

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lieh, da sie unter der Bannkraft einer absoluten Wahrheit stehen. Der soziale Rahmen, in dem der Gnostiker lebt, besteht also aus kleinen Gemeinschaften; der Öffentlichkeit wird er seine Einsichten nicht preisgeben, sie schon gar nicht vor ihr verteidigen. Über den möglichen soziologischen Entstehungsort der Gnosis unter intellektuellen Schichten in Krisensituationen haben sich KURT RUDOLPH und HANS G. KIPPENBERG vorsichtig geäußert. Die Erforschung der Gnosis hat im letzten halben Jahrhundert große Fortschritte gemacht.23 e) Der Priester

Auch wenn einige der genannten Grundrollen religiös-autoritativen Verhaltens gewisse Professionalisierungstendenzen aufweisen, vor allem wenn mit ihrer Hilfe der Lebensunterhalt bestritten wird, ist die Tätigkeit der bisher angeführten religiösen Personen doch in der Regel keine beruflich institutionalisierte. Es gibt auch kaum Institutionen, mit denen Schamanen und Propheten, Mystiker und Gnostiker auf Dauer verbunden sein können. Dagegen ist ein geweihter Priester in nahezu allen religiösen Gemeinschaften, in denen er vorkommt, ,amtlich' tätig; er steht im Dienste des Kultes und ist häufig an einen Tempel oder eine institutionalisierte Kirche gebunden. Die Priester haben schon früh in der Geschichte der Religionen als die Geweihten einen eigenen Stand gebildet, oft mit einer eigenen Hierarchie. Sie waren vielfach die Hüter der Kulttradition, ja, der religiösen Tradition und der Bildung überhaupt und vereinigten zudem noch andere kulturelle Funktionen auf sich. 23

Siehe KURT RUDOLPH, Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion (Leipzig und Göttingen 1977,19802), sowie der Band Gnosis undGnostizismus, hrsg. von Kurt Rudolph (Darmstadt 1975), weiterhin H. G. KIPPENBERG, „Versuch einer soziologischen Verortung des antiken Gnostizismus", Numen 17 (1970), S. 211-231.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Der Priester kann zugleich auch ein Mystiker, Gnostiker oder sogar ein Prophet sein, wie Zarathustra. Er weist jedoch immer weltentsagende Züge auf, die mit seiner Weihe in Zusammenhang stehen. Der Priester lebt amtlich, und in manchen Fällen hängt die Übernahme des Priesteramtes nicht von der freien Entscheidung des einzelnen ab. Da der Priester außerhalb der üblichen Interessen steht, kann er auch im sozialen Leben als »Vertreter' einer nichtweltlichen Ordnung auftreten. Die Gemeinschaft betrachtet ihn als mit dem Sacrum verbunden oder sogar als dessen Vertreter, und als solcher genießt er dann nahezu absolute Autorität. Das religiöse Wissen des Priesters bezieht sich auf alles, was mit den Kultverrichtungen und der Liturgie im allgemeinen zu tun hat. Seine Kenntnisse können aber viel umfassender sein: ihre Grundlage bildet die jeweilige religiöse Tradition, in deren Dienst der Priester steht; daneben kann er sich aber auch praktische, ,säkulare' Kenntnisse aneignen. Oft hat der Priester auch seelsorgerische und juristische Aufgaben wahrzunehmen; darüber hinaus kann er auch Träger direkter oder indirekter politischer Verantwortung sein. In einer nichtsäkularisierten Gesellschaft hat das Priesteramt zumeist ein hohes soziales Ansehen. Das Verhalten des Priesters ist nicht notwendig konservativ; sein Amt ist häufig durch eine Spannung zwischen ,priesterlicher' Verantwortlichkeit und prophetischer' Verkündigung gekennzeichnet. Religiös und sozial steht der Priester grundsätzlich auf einer anderen Ebene als die Laien. Über die Exploitation' oder Ausbeutung der Laien durch die Priester (,Priesterbetrug') gibt es zwar viele Äußerungen — man denke etwa an die Rolle der Brahmanen in der indischen Religion — , aber wenig gründliche Forschungen. In künftigen Untersuchungen wäre insbesondere zu berücksichtigen, wie sich das Sacrum und die Welt, also die Ordnung des Priesters und die von allen gelebte Wirklichkeit, in verschiedenen Religionen unter verschiedenen Umständen zueinander verhalten haben.

D. Rollen in der religiösen Gemeinschaft

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Wie bekannt, kennen Judentum, Islam und auch der Protestantismus kein Priestertum.24 f) Der Guru Obwohl es Lehrmeister in vielen Religionen gibt, findet man die Gestalt des Gurus nur in Indien. Der Guru ist der Lehrmeister, der sich um die innere und äußere Ausbildung von Jüngern kümmert. Der Jünger ist beim älteren Guru in der Lehre. Er ist beständig in seiner Nähe, bis er seine Selbständigkeit erreicht hat und selbst als Guru mit eigenen Adepten auftreten kann. In jüngster Zeit hat der Begriff im Westen eine allgemeinere Bedeutung erlangt: er konnotiert eine bestimmte Form absoluten religiös-autoritativen Verhaltens. Der Guru vergegenwärtigt für die Gemeinschaft das Vorbild des Menschen, der auf dem Weg zur Einsicht in das Selbst und das Sein ist. Er repräsentiert also den vollkommenen Menschen. In der Sicht der Gemeinschaft strahlt vom Guru eine fast physische Kraft aus, die auf die Menschen in seinem Umkreis heilbringend wirkt. Die Beziehungen, die der Guru zu anderen Menschen hat, sind auf das Wesentlichste beschränkt. Man muß sich ihm ganz anvertrauen, seine Hinweise deuten und befolgen, wodurch jeder sich selbst völlig verwirklichen kann. Die Abhängigkeit des Jüngers ist in bestimmten Phasen der Entwicklung total, und diese Tatsache führt nicht nur zu Schwierigkeiten bei der Interpretation des Erziehungsprozesses, sondern kann auch einen Mißbrauch von Seiten eines unfähigen Gurus zur Folge haben, der seine Anhänger versklavt statt zu leiten. g) Der Asket Beim Asketen und der Askese spielt die Abwendung von der äußeren Welt und der Verzicht auf Bedürfnisse, die als allge24

Siehe LEOPOLD S ABOURIN S. J., Priesthood. A Comparative (Leiden 1973).

Study

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

mein menschliche gelten, eine Hauptrolle, und zwar als Lebensweise. Zu gewissen Zeiten und an bestimmten Orten bilden asketische Tendenzen nicht die Ausnahme, sondern werden in den religiösen Gemeinschaften zu einem so zentralen Element, daß die gesamte Kultur durch das asketische Ideal beeinflußt wird. In den meisten Fällen ist die Askese nicht Selbstzweck, sondern ein disziplinierendes und kraftbringendes Mittel, das zur Verwirklichung anderer Ziele oder Zwecke führt. So kennen etwa Schamanen, Propheten, Mystiker und Gnostiker, Priester und Gurus bestimmte asketische Verhaltensweisen. Ähnliches könnte man auch von bestimmten schöpferischen Menschen behaupten. Askese kann also in innerweltlicher oder außerweltlicher Gestalt praktisch in allen Religionen vorkommen, auch wenn ihr die offiziellen Leiter in bestimmten Religionen, etwa im Judentum und Islam, eher skeptisch gegenüberstehen. Asketische Gruppen tauchten zu gewissen Zeitpunkten in allen religiösen Großgemeinschaften auf, wurden dann aber meistens in die Marginalität abgedrängt. In nahezu allen Kulturen scheinen von Zeit zu Zeit bestimmte asketische Strömungen aufzukommen, deren innere und äußere Gründe jeweils genau zu untersuchen sind. Solche asketischen Tendenzen brauchen nicht unbedingt religiös zu sein, können jedoch leicht einen religiösen Charakter annehmen. Allgemein charakteristisch ist dabei der Übergang von einer lebensbejahenden Haltung zu einer das ,natürliche' Leben — das keine Erfüllung (mehr) bietet — mehr oder weniger verneinenden. Parallel dazu kann eine Endzeitenvartung auftreten oder die Vorstellung aufkommen, daß die Gegenwart eine ,negative' Zeit sei. Die Ausführungen MAX WEBERS zur innerweltlichen und außerweltlichen Askese und zur Weltflucht sind auch religionswissenschaftlich von Bedeutung. Nicht nur vereinzelte Personen, sondern ganze Gemeinschaften können sich zu einer Welt, von der sie Abstand nehmen möchten, asketisch verhalten und

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dann zum Beispiel puristisch, wenn nicht puritanisch, auf sie einzuwirken versuchen. Es ist vielleicht interessant zu bemerken, daß in vielen Entwicklungsländern der Versuch unternommen wird, bestehende Formen religiös legitimierter Weltflucht zugunsten konstruktiver Arbeit zu überwinden, die ebenfalls als eine Form der ,Askese' zu betrachten ist. Gleichzeitig soll im Westen eine rationelle Disziplinierung der Menschen zu einer ,asketisch' anmutenden Selbstkontrolle bezüglich Ideen und Lebensweise führen.

E. Religionsformen bei schriftlosen Völkern Von westlichen Beobachtern ist die Bedeutung des religiösen und magischen Verhaltens bei schriftlosen Völkern lange Zeit überschätzt worden. Obwohl die religiöse Sphäre auf den ersten Blick allesbeherrschend zu sein scheint, wird bei näherem Zusehen und Nachforschen deutlich, daß es neben der religiösen immer auch eine profane Sphäre gibt. Trotz der großen Bedeutung religiöser Vorstellungen in Lebensbereichen, die in anderen Kulturen keinen solchen religiösen Hintergrund mehr aufweisen, weiß man doch meistens sehr sachlich zu handeln. Die schriftlosen Kulturen haben ebenso wie die anderen Kulturen neben der sakralen auch eine profane, von der religiösen Ideologie oder Theologie nicht oder kaum berührte Sphäre. Auch wenn die Religion in schriftlosen Gesellschaften multifunktional genannt werden muß, da sie eine Anzahl von Funktionen erfüllt, die sich in anderen Kulturen verselbständigt haben — etwa ästhetische, gesellschaftliche, rekreative und andere —, bedeutet das nicht, daß das ganze Leben einen religiösen Charakter hätte. Auch in diesen Gesellschaften gibt es nur wenige Menschen, die ihre Religion bewußt durchdenken und bei uns als Theologen oder Mystiker bezeichnet würden; die meisten Anhänger haben trotz ihrer Teilnahme an Festen 13 Waardenburg

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

und Feiern ein distanziertes oder passives Verhältnis zu ihrer religiösen Tradition. Auch in den schriftlosen Religionen gibt es nur eine beschränkte Zahl wesentlicher Grundgegebenheiten. Viele Auffassungen und Verhaltensweisen, die nicht unmittelbar mit diesen Grundgegebenheiten zusammenhängen, können absterben, ohne daß dadurch der religiöse Kern des ganzen Komplexes angetastet wird. In schriftlosen Kulturen — und deren Resten in Schriftreligionen — finden wir die Verehrung verschiedener Götter, Geister und Ahnen, die mehr oder minder nebeneinander existieren. Sie gelten größtenteils als mythische, aber deshalb nicht notwendig unwirkliche Wesen. Sie können — wie anderswo auch — verschiedene Erscheinungsformen und entsprechend verschiedene Funktionen haben und Aufspaltungen und Abzweigungen unterworfen sein. In Schwarzafrika zum Beispiel gibt es oft einen ,inklusiven' Monotheismus, wobei es ein organisches Band zwischen ,Gott' und den ,Göttern' gibt. Gott ist sowohl außerhalb als auch innerhalb des Kosmos. Dies gilt auch dann, wenn der Gott ein mit dem Himmel verbundener ,Urheber' oder ,Höchstes Wesen' ist, d. h. ein Schöpfer der Welt und Stifter der — auch sittlichen — Weltordnung, aber nicht mehr in das Leben der Geschöpfe eingreift. Bei den schriftlosen Kulturen gibt es auch Göttinnen, vor allem Muttergöttinnen, die häufig eine Beziehung zur Erde haben und mit Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht werden. Während derartige Götter in ganz verschiedenen Kulturen zu finden sind, kommen die sogenannten Demagötter in erster Linie bei frühen AckerbauVölkern vor, die von eßbaren Knollenfrüchten leben. Es heißt, daß sich diese Götter am Anfang der Welt töten ließen; aus ihrem Leib soll dann die Welt entstanden sein. Beim Ackerbau im allgemeinen und beim Knollenbau im besonderen scheint das Leben aus dem Tod hervorzugehen; man denke an das gesäte Korn und an die gepflanzte Knolle. Man glaubt, daß das Töten des Gottes zu einem neuen Leben führt, wie man dabei überhaupt annimmt, daß sich ein gewaltsam beendetes Leben auf einem anderen Existenzniveau als neues und besseres Le-

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ben manifestiert. Aus einer Anzahl schriftloser Religionen, die keine Demagötter kennen, sind sogenannte Tötungsrituale' bekannt, denen die Auffassung zugrundeliegt, daß Töten auch zum Leben führt bzw. das Leben desjenigen, der getötet hat, stärkt. Dazu gehören u. a. Menschenopfer (etwa zur Förderung der Fruchtbarkeit), das Bauopfer, die Kopfjägerei, das Töten von Kriegsgefangenen. Bekanntlich kommt in fast allen schriftlosen Kulturen neben dem Glauben an Götter auch der Glaube an Geister vor. Geister sind niedrigere Wesen als die Götter, sie stehen dem Menschen näher und werden meistens in einer personalistischen Form gedacht. Die Geister können gut oder böse sein; gegen böse Geister muß man Abwehrmaßnahmen treffen. Geister sind oft an bestimmte Orte und Naturphänomene, aber auch an menschliche Behausungen gebunden. Häufig glaubt man an die Anwesenheit der Ahnen; in diesen Fällen ist zumeist auch eine Ahnenverehrung mit stilisierten Ritualen anzutreffen, die den Kontakt erleichtern und regeln sollen. Die Anwesenheit der Toten läßt sich auf verschiedene Art und Weise andeuten: in symbolischer Form, durch Ahnenbilder u. ä. Verschiedene Theorien, etwa der Manismus und der Animismus, haben die Entwicklung der Religion aus einem elementaren Ahnenglauben bzw. Seelen- und Geisterglauben abzuleiten versucht. Eine Spezialkategorie übernatürlicher Wesen sind die sogenannten Heil- oder Kulturbringer. Sie kommen vor allem in den Religionen der Jägervölker vor und werden deshalb verehrt, weil sie den Menschen wichtige Kulturgüter, etwa das Feuer, gebracht oder sie bestimmte Handwerke gelehrt haben. Diese Kulturgüter, von denen das Leben der Gesellschaft abhängt, werden immer als Gaben aufgefaßt, die die Menschen von den Göttern, den Geistern oder den Ahnen erhalten haben. Eine andere, besonders bei Indianern vorkommende Spezialkategorie ist die des Tricksters, der durch seine Angriffe gegen die herrschende Ordnung u. a. deutlich macht, daß es sich bei jeder Ordnung um eine relative handelt. 13*

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Auch Tiere können eine religiöse Bedeutung erhalten, vor allem in solchen Gesellschaften, in denen der Lebensunterhalt auf Jagd, Fischfang oder Viehzucht beruht. Bisweilen glaubt man, daß sich Götter, Geister oder Ahnen eines Tieres bedienen, um sich kundzutun; meistens aber herrscht die Vorstellung von einem tieferen Zusammenhang zwischen Natur, Tier und Mensch. Ein solcher Zusammenhang kann mythisch durch die Vorstellung eines Herrn oder einer Herrin der Jagd und der Tiere ausgedrückt werden, wie sie bei Jägervölkern anzutreffen ist. Es gibt weiterhin die Vorstellung der Buschseele oder des Naguals, des Werwolfes oder des Seelentieres, d. h. eines zweiten Ichs in Tiergestalt, das aufs engste mit dem eigenen Ich verbunden ist. Hier wäre auch der Totemismus zu nennen, der nicht nur den Zusammenhang zwischen Mensch und Tier, sondern — umfassender noch — den zwischen Mensch, Kosmos und Tieren kennt. Im Totemismus entwirft der Mensch ein klassifizierendes Gesamtbild der Welt, in der er lebt, zu der auch die verschiedenen Clans gehören, mit denen Bündnisse und Heiraten möglich sind, und die jeder ein eigenes Totem (Tier oder Pflanze) haben. Die z. B. an den Totempfahlen bestimmter nordamerikanischer Indianerstämme oder auf den Tjuringas der Australier symbolisch dargestellten ,Ahnen' repräsentieren die anerkannten gesellschaftlichen Beziehungen, ähnlich den ,Genealogien' vieler nomadischer Stämme und Clans. Weiterhin können in diesen Religionen bestimmte Gegenstände religiös bedeutungsvoll sein. Die Theorie des Fetischismus hat versucht, die Entwicklung der Religion aus der Verehrung heiliger Gegenstände, ,Fetische', herzuleiten. Wiederum kann es einfach so sein, daß man glaubt, Götter, Geister oder Ahnen bedienten sich eines solchen Gegenstandes als Medium einer Kundgebung. Aber meistens gibt es hier die Vorstellung eines tieferen Zusammenhangs der ganzen Welt, wobei der jeweilige Gegenstand eine symbolische Sonderstellung im Ganzen der Vorstellungen und Gebräuche der Gemeinschaft erhält. Derartige Gegenstände können selbst zu heiligen Gegenständen wer-

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den, oder sie können als ,Zeichen des Jenseits' (M. ELIADE) eine herausragende symbolische Bedeutung erhalten. Häufig werden aus ihnen, wie bei Orakeln, bestimmte Zeichen abgelesen. In diesem Zusammenhang soll auch kurz auf die Begriffe ,Tabu und , ' eingegangen werden, die häufig bei der Beschreibung schriftloser Religionen gebraucht worden sind. ,Tabu' heißt im melanesischen Sprachgebrauch wörtlich ,mit einem Kennzeichen versehen' und hat daher die Bedeutungen ,heilig' und ,verboten' erhalten. Von etwas, das ,tabu' ist, soll sich der Mensch im gewöhnlichen Leben fernhalten; muß er sich ihm dennoch nähern, soll er das unter Beobachtung bestimmter Regeln tun. Tatsächlich scheinen den meisten TabuVorschriften praktische Regeln zugrundezuliegen, häufig auch sittlich-moralische Regeln, die sakral sanktioniert worden sind. Das Tabu hat also nicht nur religiöse Wurzeln. Der Begriff ,manaL deutet im melanesischen Sprachgebrauch als Adjektiv eine Qualität oder Eigenschaft an, nämlich daß etwas mit numinoser Macht geladen ist. Dieses ,Mächtige' ist aber nicht etwas Unpersönliches, wie früher wohl angenommen wurde; es wird vielmehr als Manifestation eines persönlichen Wesens angesehen. ,Mana' ist also nicht die Ursache, sondern die Folge von etwas, das Kundgebung oder ,Offenbarung' genannt werden kann. Eine Grundgegebenheit aller schriftlosen Religionen ist der Versuch, im chaotisch erscheinenden Dasein eine Ordnung zu finden, der man einen religiösen Charakter zuschreibt. Eine solche Ordnung wäre zum Beispiel die Markierung eines ,Mittelpunktes der Welt', eines Zentrums des zusammenhängenden Weltganzen, dessen Verbindung mit der oberen und der unteren Welt durch einen Pfahl, einen Baum, einen Berg oder ähnliches angezeigt ist. Dieses ,Zentrum der Welt' entspricht häufig dem Mittelpunkt der eigenen Gemeinschaft, da sich eine Gemeinschaft meistens im Zentrum der Welt glaubt. Auch Kalender

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

sollen durch die Festlegung eines Anfangs oder eines ,Zentrums der Zeit4 eine — zeitliche — Orientierung ermöglichen. Jede Religion enthält den Glauben an die Existenz einer grundlegenden Ordnung, wobei eine solche Ordnung ganz verschieden vorgestellt werden kann: als eine Parallele zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos, als eine Komplementarität zwischen Oben und Unten, Vordergrund und Hintergrund, als eine Polarität zwischen entgegengesetzten Kräften, usw. Derartige Weltorientierungen mit Hilfe einer grundlegenden Ordnung liefern auch die verschiedenen Kosmologien schriftloser Völker. In ihnen ist die Ordnung meist mythisch ausgedrückt. Es ist sehr interessant, daß in den schriftlosen Religionen der Mensch selbst am Funktionieren dieser Ordnung — die nicht nur religiös-sittlich, sondern auch religiös-kosmisch ist — einen wichtigen Anteil haben kann, vor allem durch Handlungen ritueller Art. Daraus könnte man die Folgerung ziehen, daß gerade durch das rituelle Verhalten und das Erzählen der grundlegenden Mythen die Gemeinschaft danach strebt, die Einheit mit dem Kosmos aufrechtzuerhalten oder zu erreichen. Zu diesem Mythengut gehören die Schöpfungsmythen, d. h. die Mythen über die Weise, in der Welt und Mensch entstanden sind, die zugleich etwas Wesentliches über den Menschen und die Welt aussagen. Mythen über die Endzeit sind in diesen Religionen selten zu finden. Im übrigen gibt es mythenreiche und mythenarme Kulturen; die Mythen können in den verschiedenen Gesellschaften ganz verschiedenartige Rollen spielen. Es sind vor allem Krisensituationen, insbesondere solche, die durch den Kontakt mit der westlichen Kultur herbeigeführt wurden, die bestimmte eschatologische Vorstellungen hervorrufen. Sie können zu messianischen und prophetischen Bewegungen führen, die das Ende der herrschenden Ordnungen in näherer oder fernerer Zukunft erwarten. Ein vieldiskutiertes Problem, das bei der Erforschung schriftloser, aber auch anderer Religionen immer wieder auftaucht, ist

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die Art und Stellung der Magie. Es gibt eine Anzahl ethnographischer Beschreibungen, die zeigen, daß es in diesen Religionen viele magische Gebräuche gibt. Die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch ergeben, daß viele dieser anscheinend ,rein magischen' Handlungen innerhalb einer religiösen Weltanschauung und Struktur vorkommen und daher nicht als ,rein magisch' gelten können. Wenn man unter Magie versteht, daß Worte und Handlungen einen zwingenden und automatischen Charakter haben, dann trifft das bei näherem Zusehen auf viele der sogenannten ,magischen' Handlungen in schriftlosen Religionen nicht zu. Der angebliche ,Magier' ist hier fast immer eine religiöse Gestalt: er „... erzwingt nichts, sondern bedient sich — nach primitivem Verständnis — nur eines Vermögens, das er oder seine Ahnen von Göttern oder Geistern empfangen hat, wie aus zahlreichen Mythen hervorgeht".25 Die Magie drückt die Möglichkeit menschlicher Kontrolle über etwas aus, das als normalerweise unkontrollierbar und also irrational' angesehen wird. Sie ist nicht als bloßer Wahn anzusehen, da die Beispiele effektiver magischer Manipulationen zu zahlreich sind, als daß wir die Möglichkeit eines magischen Handelns grundsätzlich verneinen könnten. Das Problem liegt eher darin, daß es innerhalb unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes kaum eine befriedigende Erklärung für solche Phänomene gibt und geben kann; vielleicht gelingt es der parapsychologischen Forschung, für solche ,paranormalen' Erscheinungen auch theoretische Erklärungen beizubringen. Der Genauigkeit halber sollten wir in der Forschung und der wissenschaftlichen Diskussion eher von ,magischen Verhaltensweisen' und weniger von ,Magie' allgemein sprechen. Die Erforschung derartiger Verhaltensweisen ist Teil der Erforschung umfassenderer Phänomene, wie Zauberei, Hexerei u. ä. Magische Verhaltensweisen müssen zu einem großen Teil als symbolische Handlungen verstanden werden. Eine solche 25

TH. P. VAN

, Menschen wie wir. S, 203. Siehe Anm. 26.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

Handlung drückt durch symbolische Gegenstände, Zeichen, Worte u. ä. eine symbolische' Repräsentation der erhofften Erfolge dieser Handlung aus, ohne daß diese Erfolge in der objektiven Welt auch unbedingt eintreten müßten. Die Handlung hat auf jeden Fall ,innere' Folgen, denn eine magische Verhaltensweise wirkt vor allem auf die Seele, und bisweilen sehr erfolgreich. Viele magische Verhaltensweisen treten in der Form von Riten auf. Beispiele hierfür wären die Riten der ,Vorwegnahme' vor einer Jagd oder einem Krieg, die einen günstigen Ausgang der bevorstehenden Aktionen symbolisch beschwören, oder die ,Beruhigungsriten', durch die man sich gegen Gefahr, Angst und Unsicherheit zu schützen sucht. In jedem Fall müssen ,magische' Verhaltensweisen zuerst im Rahmen der Kultur und der religiösen Tradition verstanden werden, in der sie vorkommen. Erst dann können die Voraussetzungen bestimmter Handlungen klargemacht werden, wobei insbesondere die mythischen Traditionen für die Deutung wichtig sein können. Wir sollten uns außerdem vor Augen halten, daß magische Verhaltensweisen hauptsächlich in jenen Bereichen angewandt werden, die sich der beschränkten Naturbeherrschung der schriftlosen Völker entziehen. Wesentlich bei diesen Völkern ist eine Grundanschauung von Zusammenhängen, die es zwischen den Dingen gibt. Derlei Folgerungen dürfen nicht dazu führen, den sogenannten primitiven' Völkern die Fähigkeit zu logischem Denken abzusprechen. Dadurch, daß sie offensichtlich die Teilnahme' (participation) als Denkform zugelassen haben, kamen sie zu gewissen Klassifikationen, die nur aus ihrer Kultur zu verstehen und zu erklären sind. Diese Klassifikationen stellen einen Zusammenhang der Welt her, der für unser Denken physisch unmöglich zu sein scheint. Überdies werden verschiedene Naturerscheinungen, Tatsachen und Begriffe als mehr oder weniger persönlich aufgefaßte Wesen, d. h. als ,Geister', vorgestellt. Das Denken ist auch in einem solchen Fall rational; es verläuft allerdings nicht in den begrifflichen Formen eines naturwis-

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senschaftlichen Weltbildes, sondern in den symbolischen Formen eines mythischen Weltbildes. Es drückt bestimmte Zusammenhänge und ein Weltganzes aus, die im naturwissenschaftlichen Weltbild grundsätzlich nicht auszudrücken sind. Die Wesenheiten der mythischen Erzählungen sind keine Realitäten im materiellen Sinn. Sie tragen dazu bei, bestimmte Grundwahrheiten bildlich auszudrücken; darüber hinaus aber sollen sie auch die gegebene materielle Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit und Tiefe und vor allem in einem sinnvollen Zusammenhang fassen. Diese religiösen Vorstellungen und Handlungen können sowohl als Elemente einer Struktur analysiert wie auch als Zeichen eines kommunikativen Zeichensystems zur Deutung der Wirklichkeit interpretiert werden. Die verschiedenen Grundanschauungen, die in den unterschiedlichen Kulturen der Nomaden und Ackerbauern, Sammler und Jäger, Viehzüchter und Stadtbewohner zu finden sind, liegen dieser religiösen Struktur bzw. diesem Zeichensystem zugrunde. Viele der Probleme, die sich bei der Erforschung der schriftlosen Religionen in ihrem Kontext stellen, zeigen sich auch bei der Erforschung der Schriftreligionen. In praktisch allen Schriftreligionen gibt es gelebte Religionsformen der erwähnten Art, die sozusagen von der offiziellen Schriftreligion .überlagert' worden sind. Die Erforschung schriftloser Religionen in ihrem Kontext kann also auch zum Verständnis anderer Religionen wesentlich beitragen. Bei religiösen Phänomenen und Verhaltensweisen handelt es sich in allen Fällen — seien es nun schriftlose Kulturen oder Schriftkulturen — um religiöse Interpretationen, Deutungen und Stilisierungen seitens der Menschen. Ihre Art und Weise hängt mit bestimmten Grundanschauungen zusammen, die unter bestimmten Umständen für wahr oder zumindest für aufschlußreich gehalten werden.26 26

Wichtige Anregungen entstammen dem Buch von TH. P. VAN BAAREN, Menschen wie wir. Religion und Kultur der schriftlosen Völker

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext F. Spezielle Religionsgemeinschaften

Bei der Erforschung der Religion in ihrem Kontext zeigt sich, daß eine Religionsform häufig von der sozialpolitischen Stellung und Struktur der Gemeinschaft abhängt, und nicht nur, wie bisweilen angenommen, die Gemeinschaftsform von der Religion. Als Beispiel wäre auf die bereits genannte Volksreligion zu verweisen, doch die folgenden Beispiele spezieller Religionsgemeinschaften zeigen noch deutlicher, was hier gemeint ist. /. Sozial-religiöse Erneuerungsbewegungen in der Dritten Welt Die Religionen schriftloser Gesellschaften sind unter dem Druck äußerer Einflüsse in einem rapiden und radikalen Wandel begriffen. Dort, wo alteingesessene Kultur- und Religionsstrukturen schwinden, beobachten wir nicht nur den Übergang zu gegebenen festen Formen, wie sie das Christentum und der Islam bieten, sondern auch Neuschöpfungen. Die Zahl der neuen Religionen und religiös-sozialer Erneuerungsbewegungen ist fast unendlich. Sie antworten auf die Probleme, die im Zuge der Kolonisierung, der Unabhängigkeitsbestrebungen und der Entwicklung dieser Länder aufkamen, und zwar größtenteils auf religiöse Weise. Die so entstandenen religiösen Bewegungen sind häufig auf die Zukunft ausgerichtet. Während messianische und millenaristische Bewegungen das Ende der Zeit erwarten, verkünden prophetische Bewegungen etwas Neues, bisher Unbekanntes innerhalb der Geschichte, das nicht nur das Denken, sondern auch das ganze Gemeinschaftsleben ändern wird.27

21

(1960; deutsch Gütersloh 1964). Eine vom Verfasser neu bearbeitete Fassung des Buches mit Bezugnahme auf den heutigen Stand der Forschung liegt jetzt im holländischen Manuskript vor. Siehe auch E. E. EVANS-PRITCHARD, Theorien über primitive Religionen (1965; deutsch Frankfurt 1968). Siehe HENRI DESROCHE, Dieux d'hommes. Dictionnaire des Messianismes et Mülenarismes de l'Ere Chretienne (Paris und Den Haag

F. Spezielle Religionsgemeinschaften

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2. Neue religiöse Bewegungen im Westen Die sogenannten ,neuen Religionen', die nicht ganz korrekt auch als Jugendreligionen' bezeichnet wurden, haben in Europa vielleicht auch deshalb gesellschaftliches und moralisches Aufsehen erregt, weil sie explizit von der christlich bestimmten westlichen Kultur abweichen. Da es insbesondere die christliche Religion ist, von der sich die neuen Bewegungen als bewußt ,andere' und akzeptable Alternativen abgrenzen, erscheinen diese Bewegungen der christlichen Seite als nicht ungefährliche neue Religionen. In einer wirklich säkularisierten Gesellschaft hätte das nicht der Fall sein können. Das Phänomen ist aber bekannt. In genau der gleichen Weise wurde allen fremden Religionen, d. h. allen abweichenden Religionen, von Anhängern der jeweils etablierten Religion der Stempel der ,neuen Religion', der ,Ketzerei', ja des ,Atheismus' aufgedrückt, wenn sie die alten Götter nicht mehr in der von ihr vorgeschriebenen Weise anerkannten. Dies galt zu ihrer Zeit auch schon für Juden und Christen. Die heutigen neuen religiösen Bewegungen im Westen kommen größtenteils aus Asien; allerdings entstammen sie in der Regel nicht den großen Traditionen, sondern eher den Randtraditionen der einheimischen asiatischen Religionen. Sie sind vor allem gemeinschaftsbildend. Daneben legen sie den besonderen Nachdruck auf Meditation und die Anerkennung der Autorität bestimmter religiöser Führer, Gurus u. ä. Die Religionsforschung hat sich erst neuerdings diesen neuen religiösen Bewegungen zugewandt. Sie versucht, sie in ihrem westlichen Kontext zu deuten, soweit wie möglich zu erklären 1969), und HAROLD W. TURNER, Bibliography of New Religious Movements in Primal Societies, I Black Africa, II North America (Boston 1977 und 1978). Zwei weitere Bände sind geplant. Siehe auch Anm. 30.

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IV. Die Erforschung von Religion in ihrem Kontext

und sich ernsthaft mit ihrem religiösen Gehalt auseinanderzusetzen. Ihre Erforschung wirft auch auf die heutige abendländische Gesellschaft ein neues Licht.28 3. Minderheiten und ihre Religion Die Religionen der Minderheiten sind, wo die Minderheiten sich nicht mit der Mehrheit mischen, immer der Gefahr einer Ghetto-Situation ausgesetzt, die zur Abschließung und Erstarrung führt, selbst wenn sie unter dem Zeichen wahrer Orthodoxie auftreten. Die Geschichte des Judentums im Mittelalter und bis ins 20. Jahrhundert ist praktisch die Geschichte einer Minderheit, die sich zum Teil mit ihrer Religion identifiziert hat, um überleben zu können. Ähnliches gilt für die Geschichte des Christentums im islamischen Bereich. Der Minderheit fehlt ja meistens politische Macht und dies zeigt sich auch in ihren Religionsformen. Vieles hängt von der Gesellschaft ab, in der die Minderheit lebt. Wenn die Minderheit nicht oder kaum am kulturellen und sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben der Mehrheit teilnehmen kann, droht ihr eigenes schöpferisches Leben auch in religiöser Hinsicht zu verkümmern. Die Religion wird dann leicht als Tradition aus der Vergangenheit zu einem Symbol der eigenen Identität; ihre Eigenart wird betont und auch die eigene Kultur wird hoch gewertet. Die Religionen der Minderheiten, die es überall gibt, sind bisher noch kaum als solche thematisiert worden. In jüngster Zeit wurde der Islam in europäischen Ländern zu einer Minderheitsreligion im Kontext einer zum Teil säkulari28

Eine gute Übersicht gibt G. LANCZKOWSKI, Die neuen Religionen (Frankfurt 1974). Siehe auch L. SCHREINER und M. MILDENBERGER (Hrsg.), Christus und die Gurus: Asiatische religiöse Gruppen im Westen. Information und Orientierung (Berlin 1980), und M. MILDENBERGER, Die religiöse Revolte. Jugend zwischen Flucht und Aufbruch (Frankfurt 1979). Siehe auch S. 102,104/5.

F. Spezielle Religionsgemeinschaften

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sierten Gesellschaft. Auch die Religionswissenschaft ist dabei, dieser Tatsache Aufmerksamkeit zu widmen. Dabei spielen sozialethische Motive eine beträchtliche Rolle.29 4. Unterdrückte Gruppen und ihre Religion Religiöse Gemeinschaften, die sich als unterdrückt erfahren, können oft in ihrer Religion auf geistiger Ebene eine Lösung für den Druck, unter dem sie stehen, finden. Andererseits können unter diesem Druck auch völlig neue Religionen entstehen, die speziell auf die Bedrängung antworten, zum Beispiel durch spezifische Heilserwartungen. In diesen Zusammenhang gehört der bisweilen extreme Jenseitsglaube: Leiden im irdischen Leben sollen im Jenseits mit Freuden entgolten werden. Weiterhin ist auf die beträchtliche Zahl von prophetischen, messianischen und chiliastischen Bewegungen in der Dritten Welt hinzuweisen, die im Kontext von Unterdrückung verständlich und erklärbar sind und die mehr und mehr erforscht werden. Ähnliche Bewegungen in der Geschichte werden heute ebenfalls zunehmend in dieser Perspektive gesehen und studiert. Häufig handelt oder handelte es sich um kleine Gruppen, die wieder verschwinden, sobald die Unterdrückung zu Ende ist. Bisweilen aber entwickeln sich solche Bewegungen zu vollständigen Religionen, wie das mit dem Christentum seit seiner Lossagung vom Judentum und, später, seit seiner Anerkennung im römischen Reich geschehen ist.30 29

30

Siehe CHRISTOPH ELSAS (Hrsg.), Identität. Veränderungen kultureller Eigenarten im Zusammenleben von Türken und Deutschen (Hamburg 1983), vgl. PETER HEINE, „Der Islam in der Bundesrepublik Deutschland", in: GÜNTER KEHRER (Hrsg.), Zur Religionsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (München 1980), S. 77-92. Siehe VITTORIO LANTERNARI, Religiöse Freiheits- und Heilsbewegungen unterdrückter Völker (1960; deutsch Neuwied und Berlin o. J.), und BRYAN WILSON, Magic and the Millennium. Religious Movements of protest among tribal peoples (Pb. Frogmore 1975). Vgl. Anm. 27.

V. Hermeneutische Forschung A. Empirische Forschung und Hermeneutik Die Frage nach dem Sinn religiöser Tatbestände und nach der Relevanz und Bedeutung, die diese Tatbestände in gegebenen Situationen für bestimmte Personen und Gruppen haben, wird hier nicht als ein Problem der Religionstheorie, sondern als ein Problem der Auslegung verstanden. Das letzte Kapitel unseres Buches ist eben diesem Problem gewidmet. Bisher wurden drei Ansätze behandelt, die sich in jeweils spezifischer Weise mit der Religion befassen. Die geschichtliche Forschung befaßt sich mit Religion als einer geschichtlichen Größe, erforscht die Geschichte religiöser Tatbestände und stellt sie in den Rahmen der geschichtlichen Wirklichkeit. Die vergleichende Forschung zielt auf den Vergleich religiöser Tatbestände und präsentiert die Religion als eine Welt religiöser Phänomene. Die kontextuelle Forschung zeigt, wie in einem gegebenen Kontext unter gewissen Bedingungen religiöse Verhaltensweisen und Vorstellungen aufkommen bzw. bestehen und tradiert werden, und stellt die Religion als eine kontextuell bedingte Größe dar. Allen drei Forschungsansätzen geht es um den Nachweis, daß religiöse Tatbestände in bestimmten kategorialen bzw. kontextuellen Zusammenhängen stehen und entsprechende Bedeutungen tragen. Es stellt sich nun die Frage, ob damit über die Bedeutung und den Sinn religiöser Tatbestände alles gesagt ist, was sich wissenschaftlich sagen läßt. Oder gibt es eine Art von ,Auslegung', die die Deutungen solcher Tatbestände durch die Gläubigen oder sogar bestimmte, ihnen inhärente Sinnge-

A. Empirische Forschung und Hermeneutik

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halte ans Licht bringen kann? Darum bemüht sich die hermeneutische Erforschung von Religion, die den genannten Forschungsweisen eng verbunden ist, denn Geschichtswissenschaft, vergleichende Forschung und die Erforschung von Religion in ihrem Kontext stellen immer auch die Frage nach der Bedeutung gegebener religiöser Tatbestände. Umgekehrt setzt die Frage nach den ,subjektiven' Bedeutungen solcher Tatbestände eine empirische Erkenntnis objektiver Tatsachen voraus. Die klassische Religionswissenschaft hat das Problem des Sinns oder Unsinns religiöser Phänomene bzw. der Religionen oder der Religion im allgemeinen nicht ausdrücklich behandelt; es wurde vorzugsweise der Religionsphilosophie oder der Theologie überlassen. Es gab dabei zwei einander entgegengesetzte Strömungen in der Religionswissenschaft, eine religionsbejahende und eine religionskritische. Die erste, religionsbejahende Strömung übernahm meistens die These, daß Religion eine autonome Größe und als solche sinnvoll sei, und setzte sich damit von der zweiten, religionskritischen Strömung ab, die die Religion aus nichtreligiösen Faktoren zu erklären versuchte. Die klassischen Religionsphänomenologen bemühten sich, die religiösen Tatbestände im Rahmen einer sinnvollen Struktur der Religion als solcher zu verstehen. Die Frage nach dem Sinn und der Bedeutung religiöser Tatbestände war also nur ein Teil einer allgemeineren Auseinandersetzung über Religion und kennzeichnete noch nicht eine spezifisch hermeneutische Forschungsweise. Die hermeneutische Problematik als Frage der richtigen Auslegung, wie sie in den Geisteswissenschaften hervortrat, wurde von der Religionswissenschaft mit hiernach noch zu bestimmenden Ausnahmen bis vor kurzem entweder nur allgemein gestreift oder aber vernachlässigt. Dem lag die Annahme zugrunde, daß der Zugang zur religiösen Bedeutung des erforschten religiösen Phänomens durch ein genaues Zuhören ganz unmittelbar erfolgen könnte. Diese Auffassung muß

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V. Hermeneutische Forschung

heute als unkritisch bezeichnet werden, und ist von der Forschung überholt worden.1 Andererseits hat ein Forscher wie MIRCEA ELIADE, dessen Vorgänger in Chicago, JOACHIM WACH, sich lange Zeit mit hermeneutischen Fragen befaßt hatte, gerade zu einer umfassenden Hermeneutik religiöser Dokumente aus der Vergangenheit auch außerhalb der eigenen Tradition aufgerufen, um uns einen Zugang zu der Fülle an Einsichten, die es in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, zu verschaffen. Angestrebt ist eine planetäre Renaissance der Menschheit im geistigen Sinn, analog zur humanistischen Renaissance am Anfang der Neuzeit, als man in Europa die klassischen Autoren wiederentdeckte und sich den Inhalt ihrer Schriften zu eigen machte. In beiden Fällen handelt es sich um ein Suchen nach den Ursprüngen.2 Historisch gesehen entstanden hermeneutische Fragen in der Religionswissenschaft vor allem dadurch, daß man zu einem .Verstehen' religiöser Phänomene gelangen wollte. Dieses Verstehen ist als eine psychologische' Form von Hermeneutik anzusehen. Gerade als Reaktion auf die Richtungen, die die religiösen Tatbestände aus ihrem Zusammenhang mit nichtreligiösen Tatsachen zu erklären versuchten, haben sich hier Strömungen entwickelt, die Religion und religiöse Tatbestände aus sich selbst, von ihrem Selbstausdruck her, zu verstehen trachteten. 1 2

Vgl. die Kritik an dieser Auffassung bei H. R. SCHLETTE, Einführung in das Studium der Religionen (Freiburg 1971), z. B. S. 124. Siehe M. ELIADE, Die Sehnsucht nach dem Ursprung. Von den Quellen der Humanität (1969; deutsch Frankfurt 1976). Unser hermeneutischer Ansatz ist sachgebunden und undenkbar ohne die konkrete geschichtliche, vergleichende und kontextuelle Untersuchung des erforschten Tatbestandes. Unser hermeneutisches Verfahren unterscheidet sich also von dem Vorschlag, der in The Seeing Eye. Hermeneutical Phenomenology in the Study of Religion, hrsg. von WALTER L. BRENNEMAN, JR., und STANLEY O. YARIAN (University Park und London 1982), gemacht wird.

A. Empirische Forschung und Hermeneutik

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In diesem Ringen um das Verstehen religiöser Ausdrucksformen kristallisierten sich zwei extreme Positionen heraus. Einerseits entwickelte sich die Auffassung, daß das Verstehen letztlich eine irrationale, ja divinatorische Fähigkeit des Forschers, eine Sache der Intuition sei, andererseits gab es Wissenschaftler, die sich in ihrem Bemühen zu verstehen nicht von der Vernunft lösen wollten und von logischen Fragestellungen ausgingen, die auf Grund des vorhandenen Materials ebenso logisch beantwortet werden mußten. Diese Diskussion über das Verstehen in der Religionswissenschaft und vor allem in der von G. VAN DER LEEUW (1890 — 1950) gepflegten Religionsphänomenologie führte insbesondere bei philosophisch orientierten Forschern zu einem Interesse an hermeneutischen Fragen, wobei auch eine Rechenschaft über das hermeneutische Vorgehen abgelegt wird. 3 Dieses durch die philosophische Hermeneutik verstärkte, aber nicht bedingte hermeneutische Interesse wurde auch von Seiten der Religionspädagogik unterstützt. Verstehen ist ja nicht nur eine Aufgabe der Forschung, sondern auch der Pädagogik und der allgemeinen Bildung, deren Bestreben gerade heute, wo es so viele Andersgläubige im Westen gibt, dahin gehen muß, das Verständnis für andere Religionen in Schule und Gesellschaft zu fördern und Mißdeutungen entgegenzuwirken.4 3

4

Siehe zum Beispiel O. F. BOLLNOW, „Religionswissenschaft als hermeneutische Disziplin", in Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte XXXI (1979), S. 225-238 und 366-379, sowie in Symbolon, N. F. 4 (1978), S. 23-48. Vgl. K. GOLDAMMER, ,;Faktum, Interpretation und Verstehen. Zielsetzung, Möglichkeiten und Problematik der Religionswissenschaft", in: Religion und Religionen. Festschrift für Gustav Mensching ... (Bonn 1967), S. 11-34. Relevant sind auch die Arbeiten PAUL RICOEURS über hermeneutische Fragen, z. B. Hermeneutik und Strukturalismus. Der Konflikt der Interpretationen (1969; deutsch München 1973). Siehe U. TWORUSCHKA, Methodische Zugänge zu den Weltreligionen. Einführung für Unterricht und Studium (Frankfurt und München 1982), vor allem S. 81 -96 und 154-198.

14 Waardenburg

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V. Hermeneutische Forschung

Wie bereits erwähnt, hat sich M. ELIADE die Hermeneutik der Religion und religiöser Erscheinungen zur besonderen Aufgabe gemacht. Er versteht die Religionsforschung letztlich als eine große hermeneutike techne (,Kunst der Auslegung') von Ausdrücken von Erfahrungen menschlicher Sinn- und Seinserkenntnis. Seine Hermeneutik beruht auf ontologischen Fragestellungen, die auch seinem Werk insgesamt zugrundeliegen.5 Wir werden hier näher die Hermeneutik einzelner Tatbestände, einschließlich einer anthropologischen Hermeneutik, und die Hermeneutik ganzer Religionen erörtern, gleich ob diese implizit oder explizit sind. Wir schließen mit einigen Bemerkungen zu einer adäquateren hermeneutischen Religionsforschung.

B. Zur hermeneutischen Erforschung religiöser Tatbestände Die Frage nach der Bedeutung und dem Sinn religiöser Tatbestände läßt sich wissenschaftlich erst dann stellen, wenn diese Tatbestände in ihrem geschichtlichen Werdegang, im Vergleich miteinander und in ihrer Beziehung zu dem Kontext, in dem 5

Siehe D. ALLEN, Structure and Creativity in Religion. Hermeneutics in Mircea Eliade's Phenomenology and New Directions (Den Haag 1978). Die französische Überarbeitung mit dem Titel Mircea Eliade et le phenomene religieux (Paris 1982) hat — wahrscheinlich durch den Ton der Übersetzung — weniger Distanz zu Eliades Arbeiten. Vgl. ADRIAN MARINO, L'hermeneutique de Mircea Eliade (1980; frz. Paris 1981). Siehe auch Mircea Eliade (Cahier de l'Herne) (Paris o. J., ca. 1976), und die,Festschrift' Sehnsucht nach dem Ursprung. Zu Mircea Eliade, hrsg. von HANS PETER DUERR (Frankfurt 1983). Eine amerikanische Festschrift erschien unter dem Titel Myths and Symbols. Studies in Honour of Mircea Eliade, hrsg. von J. M. KITAGAWA und C. H. LONG (Chicago und London 1969).

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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sie stehen, aufs genaueste erforscht worden sind. Mit anderen Worten: die Frage nach der Substanz religiöser Inhalte setzt gründliche empirisch-faktische Kenntnisse voraus. Darüber hinaus sind bei einer adäquaten, sachgemäßen, hermeneutischen Forschung religiöser Tatbestände verschiedene Grundregeln zu beachten. 1. Religiöse Tatbestände sind immer gedeutete Tatbestände; GrundregeIn für ihre hermeneutische Erforschung (1) Der faktischen Wirklichkeit der betreffenden Tatbestände in ihrem konkreten Kontext muß vollständig Rechnung getragen werden. Dies hat am Anfang einer Untersuchung zu geschehen, und zwar so unabhängig wie möglich von der Deutung, die ihnen von den Berichterstattern und Gläubigen gegeben wird, und auch so unabhängig wie möglich von dem Sinn, den der Forscher diesen Tatbeständen eventuell selbst zuschreiben möchte. Alle Deutungen, zu denen die religiösen Tatbestände die Menschen — und auch die Forscher — anregen, sollten systematisch als Deutungen erkannt und vorläufig aus der Betrachtung ausgeschieden werden. Damit steht die hermeneutische Forschung, zumindest am Anfang der Arbeit, allen Deutungen kritisch gegenüber. Die Absicht einer solchen Forschung ist es ja gerade, die Deutungen, die für bestimmte Tatbestände gegeben worden sind, als Deutungen zu erforschen. Zu diesem Zweck müssen sie von allen Absolutheitsansprüchen losgelöst und als Deutungen oder Interpretationen analysiert werden. Diese kritische Haltung gegenüber den Tatbeständen und ihren Deutungen hat zur Folge, daß die Religionsforschung, einschließlich der hermeneutischen Forschung, grundsätzlich entmythologisierend, entideologisierend und enttheologisierend wirkt. Ihr Ziel ist es, alle — auch die religiösen — Tatsachen und die ihnen jeweils verliehenen Deutungen unparteiisch zu befragen. (2) Die Gesellschaft, in der die religiösen Tatbestände vorkommen, muß in die Untersuchung einbezogen werden. Die Be14*

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V. Hermeneutische Forschung

dürfnisse der Gesellschaft und die Probleme, vor die sich die Menschen gestellt sehen oder sahen, sollten soweit wie möglich identifiziert und die gesellschaftlichen Strukturen mit ihren jeweiligen vorwiegenden Interessen an der Religion offengelegt werden. Eine Einsicht in diese gesellschaftlichen Gegebenheiten ist notwendig, um später beurteilen zu können, inwieweit die religiösen Tatbestände diesen Bedürfnissen und Problemen Rechnung tragen und welche Verbindungen zwischen den verliehenen religiösen Bedeutungen und der gelebten Wirklichkeit der Menschen bestehen. (3) Für das Verständnis der Bedeutung, die bestimmten religiösen Tatbeständen in einer Gemeinschaft zukommt, ist eine Kenntnis der Tradition dieser Gemeinschaft unerläßlich. Letzten Endes ist es die vorgegebene kulturell-religiöse Tradition, die bewirkt, daß die religiösen Tatbestände von den Menschen, die dieser Tradition verpflichtet sind, als religiös sinnvoll empfunden werden können. Ohne diese vorgegebene Tradition würde dem Tatbestand eine solche Bedeutung nicht zukommen können. Es ist daher als Grundregel festzuhalten, daß eine religiöse Bedeutung vor allem innerhalb einer Tradition gilt, auch wenn diese Tradition sich gegen eine andere bestehende Tradition absetzt und deshalb ,neu' genannt wird. Um die Bedeutung kultureller und insbesondere religiöser Tatbestände zu erkennen, müssen wir auf jeden Fall nach den Traditionen fragen, in denen sie stehen. Es sind diese gelebten Traditionen, in deren Rahmen den Dingen und dem Leben ein Sinn verliehen wird, in einem ständigen Kampf gegen Sinnlosigkeit. Gerade die religiösen Tatbestände zeichnen sich dadurch aus, daß sie über Generationen hinweg, also durch Tradition sinngebend wirken. (4) Die Bedeutung, die religiösen Tatbeständen innerhalb einer Gesellschaft oder Gemeinschaft zukommt, bestimmt sich zwar durch die vorherrschende Tradition, doch die Haltung, die verschiedene Gruppen in der Gesellschaft zu dieser Tradition einnehmen können, kann ganz unterschiedlich sein. Darum

B. Zur hermeneul. Erforschung religiöser Tatbestände

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sind die religiösen Tatbestände in einer konkreten Gesellschaft grundsätzlich vieldeutig und sollten als solche erforscht werden. Die Bedeutung religiöser Verhaltensweisen und Vorstellungen wird von den einzelnen Menschen zumeist in einem Lernprozeß persönlich angeeignet. Die religiöse Bedeutung wird dabei implizit, d. h. als selbstverständlich übernommen. Implizite religiöse Bedeutungen sind aufgrund ihrer besonderen Eigenart schwer zu erforschen; häufig ist der Zugang nur mittelbar, etwa über unwillkürliche Aussagen oder Verhaltensweisen der betreffenden Menschen gegenüber bestimmten Dingen; gelingt er, treten möglicherweise verschiedene Gruppen zutage. (5) Es ist zu beachten, daß die ,religiöse' Bedeutung eines Tatbestands immer mit anderen, meist sozialen Bedeutungen desselben Tatbestands für die Menschen einhergeht. Der Gang zur Kirche zum Beispiel hat nur für wenige eine ausschließlich ,religiöse' Bedeutung. Interessant ist auch, daß die Bedeutung eines Tatbestands stets mit Bedeutungen anderer Tatbestände verbunden ist, und daß das Zusammenspiel dieser Bedeutungen bestimmte Sinnzusammenhänge ergibt. Diese verleihen der Wirklichkeit eine bestimmte Ordnung oder erlegen dem menschlichen Verhalten bestimmte Regeln auf. Für eine Reihe solcher religiösen Sinnzusammenhänge oder Bedeutungsstrukturen gibt es religiöse Vorbilder, Modelle oder Paradigmata: sie geben irgendeinen 'hintergründigen' Sinn. Wichtig ist, daß religiöse Tatbestände auch innerhalb einer gemeinsamen Tradition für verschiedene Gruppen und Personen der Gemeinschaft unterschiedliche implizite Bedeutungen tragen, und somit verschiedenartig gefärbt sein können. Diesen impliziten Bedeutungen stehen die expliziten Bedeutungen gegenüber. (6) Die expliziten Bedeutungen religiöser Tatbestände sind, weil sie nun einmal formulierte Deutungen sind, leichter zugänglich als die impliziten. In technischer Hinsicht sprechen

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V. Hermeneutische Forschung

wir von solchen expliziten Bedeutungen religiöser Tatbestände als von .Lektüren' oder Lesarten dieser Tatbestände; das heißt, religiöse Tatbestände an und für sich oder als Elemente einer Religion können von verschiedenen Personen und Gruppen verschiedenartig aktiv ,gelesen', d. h. gedeutet und verwendet werden. Dasselbe gilt für eine Religion: auch sie kann von den Gläubigen auf verschiedene Weise interpretiert und angewandt werden. Die hermeneutische Forschung bemüht sich darum, die verschiedenen Lektüren bestimmter religiöser Tatbestände — und Religionen — zu erforschen. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt den Intentionen und Interessen, die nicht nur beim Zustandekommen des religiösen Tatbestandes, sondern auch bei dessen verschiedenen Lektüren eine Rolle gespielt haben und spielen, sowie den praktischen Konsequenzen im Handeln, zu denen diese Lektüren führen. Weiterhin bemüht sie sich darum, auch die verschiedenen Deutungen und Anwendungen einer gegebenen Religion zu erforschen. Mit einer veränderten Lektüre eines religiösen Tatbestandes, zum Beispiel eines Textes, geht häufig eine Verschiebung in der Deutung der betreffenden Religion einher. Sie weist auf eine neue Deutung der Wirklichkeit hin. (7) Bei der Erforschung solcher Lektüren und Deutungen kann man dominierende Lektüren und Deutungen von anderen, nicht dominierenden Lektüren und Deutungen unterscheiden. Erstere haben oft einen offiziellen, normativen Charakter. Der Entstehung verschiedener Lektüren und Deutungen, vor allem aber dem Prozeß, in dessen Verlauf eine bestimmte Lektüre oder Deutung vorherrschend wird, liegen nicht nur verschiedenartige Intentionen, sondern auch Interessen geistiger, sozialer und materieller Art zugrunde, die es zu erforschen gilt. Neben den spezifischen Lektüren und Deutungen, die eine bestimmte Gruppe für die religiösen Tatbestände und ihre Religion versucht, sollten auch jene allgemeinen Deutungen in

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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die Betrachtung einbezogen werden, mit denen sie dem Leben im allgemeinen begegnet. Diese Deutungen lassen sich zum Beispiel aus ihrer Lebensweise, ihren mündlichen Überlieferungen und ihrer Literatur und Kunst ablesen. Die hermeneutische Forschung betrachtet Theologien, religiöse Rechtssysteme und religiöse Philosophien als besondere, intellektuell ausgearbeitete Deutungen und Anwendungen einer Religion. Sie sind das Produkt einer Elite, deren Autoritätsanspruch in Fragen der Deutung von Mythen und Texten jenem gleicht, den der Priester für die Durchführung von Ritualhandlungen erhebt. Theologische Deutungen einerseits und rituelle und ethische Durchführungen andererseits liegen in vielen Religionen in den Händen der gleichen religiösen Führerschaft. Daß auch ,Laien' eine Lektüre religiöser Tatbestände und die Deutung von Religion gestattet ist, ist eher die Ausnahme gewesen. Eine adäquate hermeneutische Erforschung eines religiösen Tatbestands kann nur dann erreicht werden, wenn sie sich nicht darauf beschränkt, ihn als durch die Tradition bestimmt zu begreifen, sondern auch die unterschiedlichen Formen einbezieht, in denen er von verschiedenen Gruppen und Personen mit je unterschiedlichen Intentionen und geistigen, sozialen und materiellen Interessen ,gelesen' und mit je unterschiedlichen Konsequenzen angewandt worden ist. Dabei tritt die volle Dynamik der ,Wirkung' religiöser Tatbestände zutage. 2. Einige Beispiele

Im folgenden werden einige Themenkomplexe aufgeführt, die zum Gegenstandsbereich einer jeden breiter angelegten Religionsforschung gehören. Sie lassen sich vielleicht nicht in allen Religionen aufweisen, sind jedoch in sehr vielen Religionen zu finden, und ihr Verständnis ist für ein jedes Verständnis von Religion im allgemeinen unerläßlich. Die meisten der behandelten Phänomene sind nicht ausschließlich auf den ,religiösen' Bereich beschränkt: ein Symbol, ein Mythos oder eine mys-

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V. Hermeneutische Forschung

tische Äußerung ist ebensowenig wie ein Ritus an und für sich schon religiös oder trägt notwendig eine religiöse Bedeutung. a) Symbole Religiöse Symbole sind empirische Tatbestände, die sich auf eine andere, nicht-empirische bzw. eine andere Seite der Wirklichkeit beziehen, die als religiös wichtig aufgefaßt wird und nur in symbolischer Weise faßbar ist. Religiöse Symbole nehmen in bezug auf diese andere Seite der Wirklichkeit eine vermittelnde Rolle ein. Die Religionsforschung hat den Symbolen von jeher eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet; bestimmte Richtungen haben sich sogar darauf verlegt, ausschließlich Symbolforschung zu betreiben. Auch wenn einige Gelehrte dazu neigen, der symbolhaft gefaßten Wirklichkeit auch einen ontologischen Wirklichkeitswert zuzuschreiben, enthält sich doch die Mehrzahl der Forscher solcher — wissenschaftlich überdies nicht verifizierbarer — Aussagen. Gemeinhin begnügt man sich damit, dem symbolhaft Gefaßten nur dann einen Wirklichkeitswert innerhalb einer bestimmten religiös-kulturellen Tradition zuzuerkennen, wenn das Symbol aufgrund seiner Voraussetzungen in der betreffenden Gemeinschaft tatsächlich ,wirksam' ist. Mit Hilfe des Kontextes hat man versucht, das Auftreten religiöser Symbole aus einem weiteren Zusammenhang zu erklären. Die sogenannte symbolische Anthropologie untersucht die Symbolsysteme verschiedener Kulturen und versucht, sie in Beziehung zu ihrem Kontext zu analysieren. Nach dieser Auffassung drücken die Symbolsysteme bestimmte Zusammenhänge aus, die zwischen verschiedenen Tatbeständen bestehen. Diese Zusammenhänge sind ihrerseits mit tieferliegenden Strukturen verknüpft, die der Erfahrung zugrundeliegen. Die strukturalistische Richtung dieses Ansatzes fragt bei der Untersuchung kultureller Symbole nach primären, vom Denken hervorgebrachten binären Oppositionen. Andere Richtungen wollen die in einer Kultur herrschenden symbolischen Zusam-

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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menhänge empirisch vom Kontext her erhellen, darunter auch jene, die sakralisiert worden sind. Die Soziologie ist auch in westlichen Gesellschaften auf Zusammenhänge gestoßen, die durch soziale Symbole ausgedrückt werden. Zu diesen sozialen Symbolen gehören die Sprache, bestimmte Zeichen oder auch Verhaltensweisen, die einen Zeichenwert besitzen. Es gibt Gesellschaften, die bevorzugt zu Symbolen greifen, während andere konkrete Beziehungen und unmittelbare Ausdrucksformen vorziehen. Eine andere Auffassung vom Symbol hat die Tiefenpsychologie mit der Theorie des Unbewußten vorgelegt. Die Tatsache, daß sich unbewußte Regungen unter Umständen nicht immer unmittelbar, sondern symbolisch ausdrücken, und daß dies vor allem in Träumen geschieht, hat die Notwendigkeit einer ausgearbeiteten Traumdeutung unterstrichen, deren Aufgabe es ist, die wirkliche Bedeutung der dabei auftretenden Symbole zu erfassen. Obwohl auch die psychoanalytische Schule FREUDS Arbeiten über religiöse Symbolik hervorbrachte,6 war es in erster Linie C. G. JUNG, der sich als Begründer der sogenannten ,komplexen' Psychologie den religiösen Symbolinhalten zuwandte. Er stieß auf bestimmte Symbole des sogenannten »kollektiven Unbewußten', die erfahrungsgemäß eine religiöse Energie und eine kraftvolle Wirkung besitzen. Sie sind nach der Theorie Jungs Archetypen zuzuschreiben, die den psychischen und geistigen Werdegang des Menschen anregen und begleiten. Symboldeutung war für Jung wesentlich Archetypendeutung, wobei er von der Voraussetzung ausging, daß die als absolut erfahrene Macht gewisser Symbole jenen archetypischen Kräften zu verdanken sei, die sich beim Durchbruch des kollektiven Unbewußten behaupten. Die Tiefenpsychologie begreift also die psychische Entwicklung des Menschen als ,Kontext', mit dessen Hilfe Symbole, einschließlich 6

Heinrich Silberer, Probleme der Mystik und ihrer Symbolik (1914; Darmstadt 1969).

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V. Hermeneutische Forschung

religiöser Symbole, verstanden und praktisch gedeutet werden müssen. Gerade das Beispiel der Tiefenpsychologie zeigt, wie leicht in der Symbolforschung der Übergang von kritischer Wissenschaft zu einer bestimmten Lebens- und Weltanschauung stattfinden kann. MAX WEBER vertrat die Ansicht, daß symbolische Handlungen ursprünglich praktische Handlungen waren, denen später, als sich die praktischen Bedürfnisse geändert hatten, eine symbolische Bedeutung verliehen wurde. Ein ähnlicher Prozeß mag allgemein für symbolische Vorstellungen und Symbole überhaupt vorliegen. Unabhängig von der Frage des Ursprungs und der Geschichte läßt sich sagen, daß Symbole immer innerhalb eines Kontextes, dessen Druck symbolische Ausdrucksformen hervorbringt, und immer innerhalb einer gegebenen kulturellen Tradition auftreten, die einen Bedeutungsrahmen bietet. Spätere Religionen mögen Interpretationen dieser Symbole entwickeln, die von der ursprünglichen Bedeutung und ihren Grundintentionen völlig abweichen. Symbole müssen, um ,überleben' zu können, allgemein akzeptiert werden. Dazu ist es nötig, daß zu gegebener Zeit ein gewisser, eventuell autoritativ untermauerter Konsensus über ihren Sinn und ihre Bedeutung herrscht. So bedürfen ,religiöse' Symbole zu ihrer Anwendung einer religiösen Legitimation, die von religiösen Führern oder von einer charismatischen Autorität herstammt. Das ,Leben' der Symbole geht über die jeweils lebenden Menschen hinaus, obwohl es eng mit dem Leben einer Gesellschaft verbunden ist. Die soziale Dimension von Symbolen besteht nämlich nicht nur in der Solidarität und Integration, die sie in einer Gemeinschaft fördern können, sondern auch in der Orientierung, die sie der Gemeinschaft bietet. Die Symbole — und vor allem die religiösen Symbole — ermöglichen es den Menschen, Sinn und Bedeutung zu suchen und auch zu finden. Die hermeneutische Symbolforschung ist von Anfang an davon ausgegangen, daß die Bedeutung von Symbolen in hohem

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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Maße kulturell bedingt ist. Meist hat dasselbe Symbol in verschiedenen Kulturen eine unterschiedliche Bedeutung. Das gilt vor allem dann, wenn es keine geschichtliche Verbindung zwischen ihnen gab. So muß immer die jeweilige Kulturtradition mit berücksichtigt werden.7 Eine hermeneutische Erforschung von Symbolen umfaßt wenigstens folgende fünf Bereiche, die sich aus den genannten Grundregeln ergeben: 1. die Beschreibung von Symbolen unabhängig von ihren Bedeutungen, d. h. als Tatsachen. Hierzu zählen Bilder und Abbildungen, Worte und Texte, Figuren, Zahlen, Farben und Klänge sowie symbolische Handlungen; 2. die Beziehungen dieser Symbole zu den Bedürfnissen und Problemen der jeweiligen Gesellschaft oder Gemeinschaft. Dabei ist darauf zu achten, welcher Ausdrucksformen sich die betreffende Kultur bedient und in welchem Ausmaß sie zu Symbolen greift; 3. die in der Gesellschaft geltenden kulturell-religiösen Traditionen, die für die Auswirkung der betreffenden Symbole relevant sind; 4. die impliziten Bedeutungen dieser Symbole als Orientierungselemente, die auf komplexe, integrierend wirkende Bedeutungsstrukturen der Wirklichkeit im Bewußtsein der betreffenden Menschen hinweisen; 5. die Erforschung der expliziten Bedeutungen bestimmter Symbole anhand der Deutungen, die ihnen von den Menschen 7

Einen Überblick bietet MANFRED LURKER (Hrsg.), Wörterbuch der Symbolik (1979), und das Dictionnaire des symboles. Mythes, reves, coutumes, gestes, formes, figures, couleurs, nombres, hrsg. von JEAN CHEVALIER und ALAIN GHEERBRANT, realisiert von MARIAN BERLEWi(5Bde, Paris 1969).

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V. Hermeneutische Forschung

gegeben wurden. Gegenstand sind dabei auch die Intentionen und Interessen, die den jeweiligen Lesarten zugrundeliegen.8 b) Mythen Mehr noch als die Symbole haben die Mythen die Aufmerksamkeit von Philosophen, Theologen und Religionsforschern auf sich gezogen. Die griechischen Mythologien, die mythische Themen (Mythologeme) in die Ordnung einer bestimmten Erzählform einfügten, waren eine erste Rationalisierung des Mythischen, da sie eine vernunftbestimmte Distanz zur alten mythischen Gestaltung der Kräfte, die das Dasein von der Natur oder der Gesellschaft aus beherrschen, darstellten. Der Logos wurde dem Mythos gegenübergestellt, der in der Folge vom abendländischen Denken immer mehr herabgewürdigt wurde. Erst die Romantik brachte mit ihrem Protest gegen die Nivellierungen der Aufklärung einen Ansatz zur Mythenforschung hervor. Diese als ,Mythologie', d. h. als ,Wissenschaft der Mythen' bezeichnete Richtung des 19. Jahrhunderts fing an, in den Mythen symbolisch ausgedrückte Weisheit zu suchen. Sie befaßte sich dann mit historischen Untersuchungen einzelner Mythengestaltungen und mit Vergleichen zwischen Mythen und parallelen Themen. Aber schon bald gab es auch Versuche, Mythen aus ihrem Zusammenhang mit der ,Wirklichkeit', besonders mit den Naturkräften zu erklären. Man gelangte zu der Auffassung, daß der Mensch die erfahrenen Kräfte der Natur als natursymbolische Geschichte in Mythen 8

Zur hermeneutischen Erforschung religiöser Symbole vgl. vor allem K. GOLDAMMER, „Is there a method of symbol research which offers hermeneutic access to depth-dimensions of religious experience?" in LAURI HONKO (Hrsg.), Science of Religion. Studies in Methodology (Den Haag 1979), S. 498 - 518. Vgl. M. MESLIN, „De l'hermeneutique des symboles religieux", in: Le Symbole, hrsg. von J.-E. MENARD (Strassburg 1975), S. 24-32. Vgl. MIRCEA ELIADE, „Methodologische Anmerkungen zur Erforschung der Symbole in den Religionen", in: Grundfragen der Religionswissenschaft, hrsg. von M. ELIADE und J. M. KITAGAWA (Salzburg 1963), S. 106-135.

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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gefaßt habe. Dem Mythenforscher fiel damit die Aufgabe zu, die Mythen im Lichte dieser Naturmächte zu entziffern. Demgegenüber betonte MAX MÜLLER (1823 — 1900) vor allem den Zusammenhang zwischen mythischem Ausdruck und Sprache und erklärte das Entstehen des Mythos als Göttergeschichte aus einer Fehlanwendung der Sprache. Im einen Fall war die Natur, im anderen die Sprache der Kontext, d. h. die Referenzwirklichkeit, aus der der Mythos erklärt wurde. Zur Überwindung dieser älteren und falschen Interpretationen haben sowohl die Philologie als auch die Ethnologie beigetragen. Die präzise philologische Untersuchung ganzer Mythenkomplexe ermöglichte es, die Geschichte verschiedener Mythen, einschließlich ihrer Varianten, zu rekonstruieren. Die moderne, auf Feldforschung beruhende Ethnologie konnte andererseits beobachten, daß Mythen als Gemeinschaftsgeschichten mündlich überliefert werden und daß sie weit mehr als nur Geschichten sind. Sie werden von bestimmten Formen rituellen Verhaltens begleitet, führen zu einer Vertiefung der Gemeinschaft und sind für die Menschen, die sie erzählen und hören, ebenso verständlich wie wahr. Die Tiefenpsychologie schließlich erkannte, daß gewisse mythische Themen auch für den modernen ,a-mythischen' Menschen Sinn enthalten können. Sie unternahm den Versuch, die alten mythischen Geschichten — ähnlich wie die alten Symbole — als universalen Ausdruck seelischer Prozesse, insbesondere im kollektiven Unbewußten, zu deuten.9 Im Zusammenhang mit der Mythenforschung ist vor allem auf die kritischen Richtungen hinzuweisen, die sich die Entlarvung der Mythen zum Ziel setzen oder zumindest zwischen geschichtlicher Wahrheit und mythischer Gestaltung klar unterscheiden wollen. Dazu gehören innerhalb der Theologie zum Beispiel alle Versuche, die biblische Botschaft, insbeson9

Siehe JAN DE VRIES, Forschungsgeschichte der Mythologie (Freiburg und München 1961).

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V. Hermeneutische Forschung

dere das Neue Testament, zu entmythologisieren. Nach dieser Auffassung haben die mythischen Formen, in die die alten Schriftsteller das Wort Gottes gekleidet hatten, in der Gegenwart einer existentiellen Durchleuchtung, wie RUDOLF BULTMANN sie ausführte, zu weichen. Im gesellschaftlichen Bereich ist der moderne Mythos der Technik von M. HORKHEIMER und TH. W. ADORNO als Umschlag des Vernunftbegriffes der Aufklärung in eine neuartige Legitimation der Herrschaft von Menschen über Menschen entlarvt worden. Ähnlich wurden auch die mythischen Formen und die Inhalte anderer zeitgenössischer Ideale und Ideologien — darunter nicht zuletzt der nationalsozialistischen Vorstellungen und Mythologien — kritisch analysiert. Wo es Idole gibt, entstehen Mythen; Idole verlangen Opfer, die durch eine Mythologie legitimiert werden. Derartige Mythen können politisch eingesetzt, bei Bedarf auch eigens geschaffen und mißbraucht werden. In diesem Sinne läßt sich etwa auch im Zusammenhang mit publizistischen und propagandistischen Techniken davon sprechen, daß bestimmte Vorstellungen einen mythischen Wert erhalten und zu bestimmten Verhaltensweisen Anlaß geben können. Dies geschieht vor allem dann, wenn sie als Antworten auf Wünsche und Bedürfnisse aufgefaßt werden, die in Wahrheit zuvor in sie hineingelegt wurden und so ,mythisch' zu funktionieren beginnen. Die moderne Gesellschaft ist voller Mythen. Ob der Mythos religiös ist oder nicht, ist dabei sekundär. Wichtig und bedeutungsvoll ist, daß der Zweck, dem ein Mythos seine Entstehung verdankt, für den er gebraucht und auch mißbraucht wird, häufig unklar ist. In Verbindung mit dem hermeneutischen Ansatz in der Mythenforschung sind vor allem die Religionshistoriker WALTER F. OTTO (1874-1954) und KARL KERENYI (1897-1973) für das klassische Altertum, MIRCEA ELIADE für die ,archaischen4 Gesellschaften und der Ethnologe A. E. JENSEN (1899-1965) für die schriftlosen Völker zu nennen. Der Inhalt eines Mythos wird — unabhängig von der Tatsache, daß er in einer bestimmten

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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Tradition entstanden ist und in Worte gefaßt wurde — von diesen Forschern als eine grundsätzlich immer gültige, ja universale Botschaft oder Einsicht verstanden, die es zu entziffern gilt. Diese Entzifferung soll die besondere Aufgabe des Religionsforschers als Hermeneutiker sein. Es zeigte sich bei diesen Interpretationen, wie stark der Mythos auch als Gegenstand der Forschung auf den Beobachter oder Leser wirken kann, d. h. wie ,lebendig' er ist. Dieses Faktum wird übrigens auch durch die Deutungsgeschichte der Mythen bestätigt. Dem wirkenden Mythos wird eine nahezu überzeitliche Gültigkeit zugeschrieben, die durch die wechselnden konkreten Bedeutungsinhalte der jeweiligen Zeit nicht beeinträchtigt wird. Andererseits gibt es auch Versuche, den Mythos in seiner Beziehung zur empirischen Wirklichkeit zu fassen. Ethnologen heben seit B. MALINOWSKI (1884-1942) hervor, daß der Sinn eines Mythos in der Funktion liegt, die ihm bei der Grundlegung und Legitimierung einer Kultur zukommt. Soziologen untersuchen im Anschluß an EMILE DURKHEIM (1853 — 1917) die Beziehungen zwischen Mythos und Sozialstruktur, ein Ansatz, den auch die englische Sozialanthropologie verfolgt. Die strukturalistischen Interpretationen von CLAUDE LEVI-STRAUSS und seinem Kreis zielen dagegen auf die formale Logik und Struktur der Mythen. Sie beruhen auf der Annahme, daß Mythen — ähnlich wie etwa die Musik — einem zumindest tendenziell autonomen Schaffen des menschlichen Geistes entspringen. W. BURKERT schreibt dem Mythos eine handlungsorientierende Funktion zu. Er betrachtet ihn als eine traditionelle Erzählung, die sich von anderen Erzählungen dadurch unterscheidet, daß sie für die betreffende Gemeinschaft ein biologisches oder kulturelles Aktionsprogramm enthält. In dem Maße, in dem die Tradition an Geltung verliert, büßt auch dieses potentielle Aktionsprogramm des Mythos an Wert ein.10 10

Zur Mythenforschung siehe KEES BOLLE, „Myths and Other Reli-

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V. Hermeneutische Forschung

Eine hermeneutische Erforschung von Mythen umfaßt zumindest folgende fünf Bereiche: 1. Die Beschreibung von mythischen Erzählungen, die in einem weitgefaßten Sinn religiös zu nennen sind, d. h. nicht nur von Geschichten, die von übermenschlichen Gestalten handeln, sondern auch von bestimmten vorgeschichtlichen' Erzählungen, die etwas über den Sinn, das Sein und das Werden des Lebens und der Wirklichkeit mitteilen. Derartige Mythen sind oft aus einer Reihe von Themen (Mythologemen) zusammengesetzt und enthalten Urbilder und Vorbilder, die über die Art der Wirklichkeit und das richtige Handeln der Menschen bzw. der Gemeinschaft Auskunft geben; 2. die Klärung der Beziehungen, die zwischen diesen Mythen und den Bedürfnissen und Problemen einer Gesellschaft oder Gemeinschaft bestehen. Dabei ist zum Beispiel auch die Frage relevant, inwieweit Mythen eine Erklärung der Probleme bieten oder Lösungen vorschlagen; 3. die Erläuterung der Funktionen, die Mythen als einem Hauptbestandteil von Traditionen für deren Fortbestand zukommen. Hier wäre etwa auf die Tatsache einzugehen, daß sie gious Texts", in: Contemporary Approaches to the Study of Religion, Band I: The Humanities, hrsg. von Frank Whaling (Berlin 1984), S. 297 — 363. Siehe auch LAURI HONKO, „Der Mythos in der Religionswissenschaft", Temenos 6 (1970), S. 36 —67, zu Schöpfungsmythen BARBARA C. SPROUL, Primal Myths Creating the World (San Francisco 1979), zur Geschichte der Mythenforschung den von Karl Kerenyi herausgegebenen Sammelband Die Eröffnung des Zugangs zum Mythos. Ein Lesebuch (Darmstadt 1967). Ein Beispiel interdisziplinärer Zusammenarbeit in der Mythenforschung bieten PAUL RADIN, KARL KERENYI und C. G. JUNG, Der göttliche Schelm. Ein indianischer Mythenzyklus (Zürich 1954). Siehe auch C. G. JUNG und KARL KERENYI, Einführung in das Wesen der Mythologie: Das göttliche Kind; das göttliche Mädchen (Amsterdam und Leipzig 1941, Zürich 195l2). Siehe auch Anm. 9.

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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bei Zusammenkünften und Initiationen erzählt werden und die Grundlagen der Kultur der Gemeinschaft enthalten; 4. das Herausarbeiten der impliziten Bedeutungen von Mythen, die zum Teil mit dieser kognitiven Funktion verbunden sind. Da Mythen eine gemeinsame Wahrheit ausdrücken und implizit Handlungsprogramme vorschlagen, wirken sie gememschaftsstiftend und -verstärkend. Mythen mit ihren Entwicklungen, Variationen und ,Weglassungen' im geschichtlichen Prozeß begleiten die irdische Geschichte der Gemeinschaft auf geistiger Ebene; 5. die Darlegung der expliziten Bedeutungen der Mythen, die gerade durch Wandlungen und Zusätze zum Ausdruck kommen. Sie sind als verschiedene Lesarten eines Mythos zu bewerten. Die Absicht der jeweiligen Lesart eines Mythos kann sowohl darin bestehen, eine bestimmte Wahrheit darzustellen, als auch eine bestimmte Verhaltensweise auszulösen.11 c) Mystik Wenn man unter Mystik im weitesten und allgemeinsten Sinn des Wortes die Deutung und Pflege bestimmter Erfahrungen eines Absoluten, also Absolutheitserfahrungen, versteht, dann kann Mystik ebensogut religiös im herkömmlichen Sinn, wie auch nicht-religiös sein. Wie bei Symbolen und Mythen hängt es von der Tradition ab, in der die mystische Erfahrung und Äußerung stattfindet und in dessen Bedeutungsrahmen sie gedeutet wird, ob wir es mit ,religiöser' Mystik zu tun haben oder aber, zum Beispiel, mit einer ästhetischen oder gar psychisch unverarbeiteten mystischen Erfahrung. Auf jeden Fall ist Mystik fest mit Verinnerlichung verknüpft. In bestimmten 11

Zur hermeneutischen Erforschung von Mythen siehe auch The Mythic Imagination (History of Religions, Vol. 16(1977) Nr. 4). Vergl. J. WAARDENBURG, „Symbolic aspects of myth", in: ALAN M. OLSON (Hrsg.), Myth, Symbol and Reality (Notre Dame und London 1980), S.41-68.

15 Waardenburg

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V. Hermeneutische Forschung

Kreisen werden übrigens alle Personen, die derartige Erfahrungen haben, als irgendwie ,gestört' betrachtet. Die vorurteilslose wissenschaftliche Befassung mit der Mystik konnte sich nur langsam durchsetzen, langsamer noch als die wertfreie Erforschung von Symbolen und Mythen. Philosophische und theologische Deutungen der Mystik haben ihre unparteiische Erforschung lange Zeit erschwert.12 Es hat Ansätze gegeben, die Mystik von ihrem konkreten Kontext her zu erforschen. Während für bestimmte Zeiten in der Geschichte ein ausgesprochen mystisches Bedürfnis festzustellen ist, scheinen andere Zeiten kaum mystische Erfahrungen gekannt zu haben. Man muß wohl annehmen, daß mystische Berufungen' von außen nicht nur durch menschliche Anregungen und Vorbilder, sondern auch durch bestimmte Umstände ausgelöst werden. Dabei stellt sich die Frage, welche die präzisen Umstände sind, die in einer bestimmten Kulturtradition mystische Erfahrungen bedingt haben, und wie sich diese Erfahrungen zur Lage und zu den Bedürfnissen der betreffenden Gemeinschaft verhielten. Wichtig ist auch zu wissen, wie man in mystischen Kreisen konkret zur Welt und zu den existierenden sozialen und allgemeinen menschlichen Problemen steht. Es wurden auf diesem Gebiet auch gewisse Experimente durchgeführt. So hat man versucht, durch Drogen Erfahrungen mystischer Art hervorzurufen, was die Frage aufgeworfen hat, wie man diese induzierten Erfahrungen von den Erfahrungen einer ,echten' Mystik unterscheiden kann. Eine andere Problematik ergab sich aus der Feststellung, daß Wahrnehmungen, die in der westlichen Kultur kaum vorkommen, in verschiedenen anderen Kulturen jedoch belegt sind, gerade durch solche Drogen hervorgerufen werden können. So hat die durch das Selbstexperiment mit Drogen herbeigeführte Bewußtseinserweiterung bei einigen Forschern zumindest zu einer Sensibili12

Siehe FRITS STAAL, Exploring Mysticism (Harmondsworth 1975).

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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sierung für die kulturbedingten Grenzen unseres Wahrnehmungsbereiches geführt. Diese Einsichten eröffnen der Erforschung religiöser Erfahrungen in verschiedenen Kulturen und Religionen neue und weitere Horizonte und werfen eindringliche Fragen auf. Sie könnten ganz konkret einen Weg für ein neues, tiefergehendes Verständnis alternativer Erfahrungsformen der Wirklichkeit bahnen, nicht nur bei Menschen in außereuropäischen Kulturen und Religionen, sondern auch bei Menschen in den Subkulturen des Westens. Gerade der Erfahrungsappell östlicher Religionsformen macht diese ja für ,westliche Suchende' so anziehend. Bei den Forschungsversuchen, die Mystik ,aus sich selbst heraus' zu verstehen, ist deutlich geworden, daß man sich von zwei Extremen fernhalten muß. Zum einen droht die Gefahr, daß der Forscher der Faszination des Forschungsgegenstands erliegt und sich ausschließlich der mystischen Erfahrung verschreibt. Bei einer distanzierten Haltung hingegen besteht die Gefahr, daß Mystik von vornherein nach Maßgabe der eigenen Werte und Vorstellungen definiert und in ein bestehendes, mehr oder weniger inadäquates, Schema eingefügt wird. Ein möglicher Weg, beiden Gefahren zu entgehen und der untersuchten Mystik näherzukommen, könnte in dem Versuch liegen, die konkreten Äußerungen einer mystischen Erfahrung von deren Ausdruck her und dann in ihrer Beziehung zu der religiösen Tradition, in der man diese Mystik vorfindet, zu verstehen.13 Bei der hermeneutischen Erforschung von Mystik ist gemäß den genannten Grundregeln folgendes zu beachten: (1) Aussagen von Mystikern und ihre Deutungen der eigenen mystischen Erfahrungen sind als Originaldokumente Teil des 13

15*

Eine Übersicht über verschiedene Formen der Mystik in den großen Religionen geben SVEN S. HARTMAN und CARL-MARTIN EDSMAN (Hrsg.), Mysticism (Stockholm 1970).

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V. Hermeneutische Forschung

Forschungsgegenstands. Sie beziehen sich auf innere Erfahrungen eines Absoluten und können auch von einer Veränderung der Person zeugen. Diese Dokumente müssen unvoreingenommen als Zeugnisse derartiger Erfahrungen erforscht werden. (2) Es kann nach Beziehungen zwischen dem Auftreten von mystischen Erfahrungen in einer bestimmten Tradition zu einer gewissen Zeit und den gleichzeitigen Umständen und Problemen der Gesellschaft gefragt werden. Äußere Krisen können innere Krisen hervorrufen. Die mystische Erfahrung eines Absoluten kann daher eine Antwort auf eine solche Krise darstellen. (3) Religiöse Mystik existiert nicht losgelöst von einer religiösen Tradition. Man muß wissen, wie sich eine bestimmte Tradition zu Erfahrungen mystischer Art verhält, ob sie sie zum Beispiel positiv bewertet oder grundsätzlich ablehnt. Wichtig ist auch die Frage, welche Modelle die gegebene Tradition zur Anregung, Deutung und Wertung mystischer Erfahrungen und Lebensweisen bereithält. (4) Eine implizite Bedeutung der Mystik ist damit gegeben, daß sie von der Existenz ungewöhnlicher Erfahrungen zeugt, die eine umfassende Wirkung haben können. Diese tritt etwa dann zutage, wenn derartige Erfahrungen nicht nur als ein individuelles ,Wundererlebnis' gedeutet werden, sondern auch zu sichtbaren Konsequenzen im persönlichen und sozialen Leben führen. Dazu kommt ihre kognitive Bedeutung: sie enthalten häufig Mitteilungen über geistige Zusammenhänge und Dimensionen des Lebens und der Wirklichkeit, die den Alltagshorizont sprengen. (5) Die explizite Bedeutung der Mystik läßt sich am gründlichsten anhand der vielen Deutungen erforschen, die der mystischen Lebensweise einer bestimmten Person oder Gruppe verliehen werden. In diesem Bereich läßt jeder Text eine große Anzahl von Lektüren zu, die selbst in vielen Fällen religiöse

B. Zur hermeneut. Erforschung religiöser Tatbestände

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Intentionen erkennen lassen. Vielfach werden bestimmte Mystiker als Heilige angesehen; ihre Erfahrungen werden demgemäß im Rahmen gewisser Heiligentypen (Hagiologien) gedeutet; ihre Lebensweise wird als vorbildlich betrachtet und kann beträchtliche Nachwirkungen haben. Theologische Deutungen der Mystik sind nicht nur für die Erforschung der Mystik, sondern auch für ein Verständnis der verschiedenen theologischen Strömungen aufschlußreich.14 Symbole, Mythen und Mystik haben nicht nur gemeinsam, daß sie in nahezu allen Religionen vorkommen und daß ihr Verständnis daher für jedes Verständnis von Religion grundsätzlich notwendig ist. Es kommt hinzu, daß ihr Bedeutungsgehalt überaus reich ist. Diese besondere Qualität macht das Studium dieser religiösen Phänomene zu einem privilegierten Gebiet für die hermeneutische Forschung. Es ist kein Zufall, daß sich Forscher aus verschiedenen Disziplinen, auch aus der Philosophie und Theologie, gerade diesen Themen so häufig zugewandt haben. Wir gehen jetzt noch kurz auf zwei andere Themen hermeneutischer Forschung ein, die für das Denken und Handeln von Gläubigen, besonders in der Gegenwart, große Relevanz haben: die Schrift und die Ethik. d) Schriften Gegenstand der Forschung ist in diesem Zusammenhang nicht die Entwicklung schriftlicher Religionen und ihres Gegensatzes zu den schriftlosen Religionen, sondern die Festlegung von Teilen einer mündlichen Tradition in sakralen Schriften. Besonders in den größeren Religionen spielen religiöse Schriften mit einem absolut normativen Charakter eine zentrale Rolle. Daneben kommt den Kommentaren zu diesen Schriften und 14

Siehe PHILIP C. ALMOND, Mystical Experience and Religious Doctrine. An investigation of the study of mysticism in world religions (Berlin 1982).

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V. Hermeneutische Forschung

den anfangs nur mündlichen, dann auch schriftlich festgehaltenen Traditionen eine große Bedeutung zu. Häufig glaubt man, daß diese Schriften alle wesentlichen Erkenntnisse und Vorschriften enthielten. Die Art ihrer Auslegung und Anwendung kann sich daher entscheidend auf das Leben der Gemeinschaft auswirken. Die Geschichte der schriftlichen Fixierung einer mündlichen Tradition und der Kanonisierung solcher Texte, ihrer Deutung und Anwendung in der Geschichte der betreffenden Religion sowie das Entstehen neuer autoritativer Texte, Kommentare usw. sind Komplexe, die sich für eine hermeneutische Erforschung in besonderem Maße eignen. Dabei geht es nicht nur um die Feststellung der ursprünglichen Intentionen der Texte, sondern auch um die Konsequenzen, die ihre Kanonisierung nach sich zog. Es geht vor allem um die unterschiedlichen Lektüren oder Lesarten, die im Laufe der Zeit von Priestern, Gesetzesgelehrten und Theologen erstellt wurden, um die Fragestellungen, Intentionen und Interessen, die den jeweiligen Bemühungen zugrundelagen, und um ihre Konsequenzen.15 Eine hermeneutische Erforschung von sakralen Schriften umfaßt folgende fünf Bereiche, die sich aus den genannten Grundregeln ergeben: l. Die Beschreibung der Schrift, die in einer religiösen Tradition oder Religion als heilige Schrift angesehen wird, d. h. der schriftlichen Festlegung bestimmter Teile der mündlichen Überlieferung, die als wichtig empfunden und als ein Ganzes angesehen werden. Es kann unterschieden werden nach Worten, denen ein göttlicher Ursprung zugeschrieben wird, und anderen Worten (Gebeten, Geschichtsbeschreibungen u. ä.), 15

Eine gute Übersicht geben G. LANCZKOWSKI, Heilige Schriften. Inhalt, Textgestalt und Überlieferung (Stuttgart 1956), und J. LEIPOLDT und S. MORENZ, Heilige Schriften. Betrachtungen zur Religionsgeschichte der antiken Mittelmeerwelt (Leipzig 1953).

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bei denen dies nicht der Fall ist, die aber dennoch Teil der Schrift sind. Die Schrift wird hier als Buch erforscht; 2. die Befassung mit der Beziehung zwischen der Schrift und den Problemen und Bedürfnissen der Gesellschaft. Es geht um die Kreise, denen die Schrift zugänglich ist, und die Rolle, die sie in der Gemeinschaft spielt; 3. die Beschäftigung mit der Beziehung, die zwischen Schrift und Tradition besteht. Hier lassen sich verschiedene Fragen unterscheiden. Einerseits ist es wichtig zu wissen, unter welchen Gesichtspunkten ein Teil der früheren mündlichen Tradition ausgewählt und schriftlich festgehalten wurde und welche die Konsequenzen der Fixierung waren.16 Andererseits interessiert das Verhältnis zwischen Schrift und einer späteren mündlichen Tradition, die als normativ anerkannt wird.17 Weiterhin ist zu fragen, in welcher Weise der Schrift bzw. den Schriften in der späteren Tradition ein sakraler Charakter zugeschrieben wird, zum Beispiel dadurch, daß die Schrift insgesamt als Gotteswort gilt. Daran schließt sich die Frage an, was unter einer solchen Terminologie ursprünglich verstanden wurde und wie sie weiter gedeutet worden ist; 4. die Untersuchung der impliziten Bedeutung einer Schrift. Sie wird innerhalb einer Gemeinschaft zum Teil durch äußere Faktoren bestimmt. Die Bedeutung ist unterschiedlich, je nachdem, ob der Zugang zur Schrift allen offensteht oder nur einem begrenzten Kreis von Priestern, Gesetzesgelehrten und Theologen vorbehalten ist. Möglicherweise sind auch nur ganz 16

17

Siehe LAURI HONKO (Hrsg.), Science of Religion. Studies in Methodology (Den Haag 1979), besonders Teil I „Oral and written documentation of religious tradition" (S. 3 — 139). Siehe F. F. BRUCE und E. G. RUPP (Hrsg.), Holy Book and Holy Tradition (Manchester 1968).

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V. Hermeneutische Forschung

bestimmte Texte allgemein bekannt. Die implizite Bedeutung ist auch davon abhängig, ob ihre bloße Kenntnis oder ihr bloßer Gebrauch schon für heilbringend gehalten wird. Verschiedene Gruppen einer Gemeinschaft werden sich verschiedenen Teilen der Schrift verbunden fühlen, so daß nicht nur die Kenntnis, sondern auch die Auswahl bestimmter Textstellen für die Bedeutung der Schrift wichtig ist; 5. die Erforschung der expliziten Bedeutung einer Schrift anhand der verschiedenen Lektüren, Interpretationen und Anwendungen, die zur Schrift insgesamt oder zu relevanten Texten vorliegen. Es geht hier auch um die Frage, inwieweit die Texte für die betreffenden Menschen Handlungsanweisungen einschließen, etwa Modelle, Vorbilder oder schlechthin Vorschriften enthalten. Auf welche Autorität beruft sich die normative Schriftinterpretation, d. h. die dominierende Lektüre, wenn sie nicht nur versucht, ewige Wahrheiten darzustellen, sondern auch bestimmte Verhaltensweisen auslösen will? Besondere Aufmerksamkeit verdient die Frage, wie man überhaupt neue Ansichten durch bestimmte Lektüren der Schrift begründen bzw. durchsetzen kann. 18 e) Ethik Während das rituelle Verhalten verschiedener religiöser Traditionen in den letzten Jahrzehnten immer stärkere Beachtung fand, wurde das religiös-ethische Verhalten von der Religionsforschung weiterhin vernachlässigt. Das wurde bereits bei den „Fragen der sozialen Ethik" (S. 140) deutlich. Dabei würde die Erforschung der Lösungen, die in großen und kleinen religiösen Traditionen und Bewegungen im Hinblick auf eine ethische Lebensproblematik vorgeschlagen wurden und wer18

Zur Auslegung (Hermeneutik) biblischer Texte siehe z. B. JAMES C. G. GREIG, „Some aspects of hermeneutics: A brief history", in: Religion 1 (1971), S. 131 -151.

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den, und die Untersuchung der verschiedenen Lebensweisen nicht nur wissenschaftlich von höchstem Interesse sein.19 Gerade in der Gegenwart bewähren sich die Religionen und religiösen Traditionen nicht nur durch ihre Lehren oder durch die Ideologien, die aus ihnen abgeleitet wurden, sondern auch dadurch, daß sie die Möglichkeit bieten, über moralischethisches Handeln zu reflektieren und daß sie Hinweise auf ein solches Handeln geben. Besonders im 19. und 20. Jahrhundert wurden von den Anhängern verschiedene Antworten auf ethische Probleme versucht, was auch zu Erneuerungsbewegungen geführt hat. Die in diesen Antworten enthaltenen Deutungen der Probleme und des eigenen Glaubens müssen näher erforscht werden; sie eignen sich für eine hermeneutische Erforschung in besonderem Maße. Bei einer hermeneutischen Erforschung der Ethik verschiedener Religionen ist gemäß den genannten Grundregeln folgendes zu beachten: (1) Zunächst müssen die vorgeschriebenen und die tatsächlich befolgten Regeln einer bestimmten religiösen Gemeinschaft beschrieben werden. Es ist zu erforschen, in welcher Weise neue Regeln oder Gesetze durchgeführt werden. Beruft man sich zum Beispiel unmittelbar auf eine göttliche Autorität, oder ist es die Autorität religiöser Führer, die in diesem Zusammenhang ausschlaggebend ist? Wichtig ist der in den ,Schrift'- oder ,Offenbarungs'-Religionen häufig vorkommende Anspruch, ein Religionsgesetz zu besitzen, das bereits alle zu befolgenden Regeln umfaßt. In den sogenannten Gesetzesreligionen — Islam und Judentum, die adäquater als „Religionen des Han19

Eine erste Übersicht über relevante religionsgeschichtliche Texte findet sich in C. H. RATSCHOW (Hrsg.), Ethik der Religionen. Ein Handbuch. Primitive, Hinduismus, Buddhismus, Islam (Stuttgart 1980). Siehe P. Antes (Hrsg.), Ethik nichtchristlicher Religionen (Stuttgart 1984).

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delns" zu bezeichnen wären — stellt sich die Frage der ethischen Regeln bzw. Gesetze anders als in den anderen Religionen. (2) Für eine zutreffende Einschätzung der Ethik einer Gemeinschaft ist die Erforschung ihrer Bedürfnisse und Probleme unerläßlich. Weiterhin ist zu fragen, inwieweit sie sich auf universale menschliche Probleme richtet, da ja gerade die ethischen Regeln beanspruchen, auf derartige Probleme so adäquat wie möglich zu antworten. (3) Das Verhältnis zwischen der gegebenen religiösen Tradition und einem bestimmten ethischen Verhalten muß geklärt werden. Einerseits kann die Tradition bis ins Detail vorschreiben, wie gehandelt werden muß, und damit zu einer so großen sozialen Kontrolle führen, daß für persönliches ethisches Verhalten überhaupt kein Raum bleibt. Andererseits bietet gerade eine Traditionskritik oder ein Traditionsverlust die Möglichkeit, eine persönliche Ethik zu entwickeln, deren Ziel eine neue Lebensweise bzw. die Hervorbringung neuer Regeln ist. Viele Religionen lassen für verschiedene Gruppen sehr unterschiedliche ethische Stellungnahmen zu. (4) Die implizite Bedeutung geltender ethischer Regeln bzw. Gesetze läßt sich zum Beispiel an den Vorstellungen von Belohnung und Strafe und von menschlicher Würde ablesen. Sie ist auch in den herrschenden Auffassungen der jeweiligen konkreten Gemeinschaften erkennbar und muß im Zusammenhang mit den praktischen Lebensbedürfnissen und -möglichkeiten sowie mit den Strukturen der Gemeinschaft betrachtet werden. (5) Die explizite Bedeutung der geltenden ethischen Regeln findet sich in den Interpretationen, Deutungen und Lektüren der ethischen Vorschriften und Texte. Eine Untersuchung von Diskussionen, die anläßlich bestimmter dringender ethischer Probleme in einer Gemeinschaft stattgefunden haben oder stattfinden, kann zeigen, wie die Einführung neuer Regeln

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erfolgt und in welcher Weise der persönlichen Entscheidung der verantwortlichen Mitglieder Gewicht verliehen wird. Das ethische Vorbild eines religiösen Führers kann, wie im Falle GANDHIS, ein ethisches Bewußtsein auslösen oder stärken. 3. Zu einer anthropologischen Hermeneutik religiöser Tatbestände Bisher richtete sich das Interesse unserer hermeneu tischen Forschung auf die religiösen Tatbestände — etwa Gottesglauben oder Opferpraxis — in ihrer Beziehung zu den religiösen und den kulturellen Traditionen, in denen sie vorkommen. Es erhebt sich nun die Frage, ob wir sie und ihre Deutungen nicht auch in Beziehung zu den Menschen, die sich in dieser Weise ausdrückten bzw. ausdrücken, untersuchen können. Was sagen die verschiedenen religiösen Gebilde und Verhaltensweisen, die es in der Geschichte der Menschheit gegeben hat, über den Menschen aus? Was kann es zum Beispiel heißen, daß Menschen an einen Gott glauben oder Opfer darbringen? Bei der Behandlung dieser Frage sind bisher die folgenden drei hermeneutischen Modelle angewandt worden: 1. Die einzelnen religiösen Gebilde sind zwar in ihrer Geschichtlichkeit einzigartig, sie enthalten aber in ihrer Einzigartigkeit bestimmte universelle Strukturen, die der Struktur der Wirklichkeit entsprechen. Die religiösen Gebilde enthalten also Strukturen gedeuteter Wirklichkeit; sie beziehen sich, wenn nicht auf das Sein an sich, so doch auf das Sein, wie es von Menschen aus der Sicht ihrer religiösen Erfahrungen gedeutet worden ist. In dieser Sicht bieten die religiösen Gebilde dem Menschen positive Orientierungen. Die Hermeneutik MIRCEA ELIADES ist hier als Beispiel zu nennen. 2. Die einzelnen religiösen Gebilde enthalten Lösungsversuche nicht nur für die von der Natur oder Kultur aufgeworfenen Fragen und Probleme, sondern auch für universelle Probleme, mit

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V. Hermeneutische Forschung

denen der Mensch existentiell konfrontiert ist. Diese Lösungsvorschläge treten hier in religiösen Formen auf. Die religiösen Gebilde weisen also auf Probleme hin, mit denen sich der Mensch unabhängig von Zeit und Ort auseinanderzusetzen hat, wobei man über die Ursachen solcher Probleme verschiedentlich denken kann. Man kann hierbei an den Ansatz von PAUL RICCEUR denken. 3. Die einzelnen religiösen Gebilde werden von Intentionen getragen, deren Fokus religiös geladen ist und auf den Menschen sinngebend wirkt. Die religiösen Gebilde enthalten also Sinngebungen, die von Menschen entdeckt wurden und weiterwirkten. Als Beispiel sei der Ansatz der sog. Neustilphänomenologie des Verfassers genannt. Wir müssen darauf verzichten, einem der genannten Modelle den Vorzug zu geben oder andere Forschungsmodelle hinzuzufügen. Es genügt hier zu sagen, daß Religionen und religiöse Gebilde den Anspruch auf Sinngehalte erheben, die weder geschichtlich noch in einer anderen Weise bedingt sind, sondern gerade dem Bedingten etwas Unbedingtes und Universales gegenüberstellen. Die thematisierten und institutionalisierten Religionen und Ideologien zeigen die Tendenz, sich voneinander abzusetzen. Man sollte sich jedoch fragen, ob es in den verschiedenen religiösen Gebilden, Verhaltensweisen und anderen Ausdrucksformen nicht viel mehr Gemeinsames und die Menschen Verbindendes gibt als die jeweiligen religiösen Gemeinschaften anerkennen wollen oder können. Unabhängig von den geschichtlichen Ausdrucksformen und Formulierungen religiöser Wahrheit in den verselbständigten Religionen bleibt die gelebte Wahrheit eine viel offenere Frage als vielfach angenommen wird.

C. Zur hermeneutischen Erforschung von Religionen

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C. Zur hermeneutischen Erforschung von Religionen Wir haben die Religion im Lichte geschichtlicher, vergleichender und kontextueller Forschung beschrieben. Weiterhin haben wir die hermeneutische Erforschung bestimmter religiöser Themen behandelt und den Versuch einer anthropologischen Hermeneutik religiöser Tatbestände unternommen. Wir kommen nun zu der Frage, in welcher Weise die hermeneutische Forschung das Phänomen der Religionen und der Religion überhaupt erhellen kann. Im ersten Kapitel sahen wir bereits, daß Religionen auf abstrakter Ebene als Orientierungssysteme anzusehen sind, die häufig mit dem Anspruch der Heilsvermittlung auftreten. Menschen ,orientieren' ihr Denken und Handeln oft mit Hilfe bestimmter Elemente ihrer Religion. Diese Elemente funktionieren zum einen als Zeichen hinsichtlich der Wirklichkeit, in der sich der Mensch mit seinen Fragen befindet, und zum anderen hinsichtlich der Gemeinschaft, der er angehört. Die Zeichen tragen also sowohl eine religiöse wie eine soziale Bedeutung. Einige Ausgangspunkte zur hermeneutischen Erforschung von Religionen werden im folgenden erörtert. 1. Religionen sind immer gedeutete Religionen; implizite und explizite Religionen So wie religiöse Tatbestände nicht nur auf ihre Faktizität und Tatsächlichkeit, sondern auch auf ihre Lektüren und Deutungen hin zu erforschen sind, so sind auch Religionen von den Deutungen her zu untersuchen, die ihnen verliehen wurden. Ebenso wie religiöse Tatbestände immer gedeutete Tatbestände sind, sind auch die Religionen immer gedeutete Religionen. Es sind die religiösen Deutungen, die den Gegenstand unserer hermeneutischen Forschung bilden, ganz gleich ob es sich um Deutungen von Tatbeständen oder um Deutungen der

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V. Hermeneutische Forschung

Zusammenhänge solcher Tatbestände durch die betreffenden Menschen handelt. Auch Vorstellungen, Erfahrungen usw. werden hier als Tatbestände aufgefaßt. Werden solche Tatbestände und Zusammenhänge religiös gedeutet, dann zeigen sich Leben und Wirklichkeit als religiös sinnvoll. Bei der hermeneutischen Erforschung religiöser Tatbestände wurde ein Unterschied zwischen ihrer impliziten und ihrer expliziten Bedeutung für bestimmte Gruppen gemacht. Die explizite Bedeutung läßt sich anhand der aktiven Lektüren oder Deutungen und Anwendungen eines oder mehrerer Menschen beschreiben und erforschen. Parallel zu dieser Unterscheidung sprechen wir von impliziten und expliziten Religionen. Die impliziten Religionen sind solche, deren religiöse Bedeutung oder Wirkung von den Menschen als selbstverständlich hingenommen wird; sie sind sich nicht bewußt, daß es sich eigentlich um eine „religiöse" Bedeutung mit „religiöser" Wirkung handelt. Die expliziten Religionen dagegen sind solche, deren religiöse Bedeutung von den betreffenden Menschen anerkannt wird; sie werden von verschiedenen Menschen und Gruppen aktiv — und zwar in unterschiedlicher Weise — gedeutet. Bei den expliziten Religionen ist „Religion" grammatisches Subjekt, wie z. B. in dem Satz „Seine Religion ist der Buddhismus". Bei den impliziten Religionen ist „Religion" grammatisches Prädikat, unter Hinzufügung von „für", wie z. B. in dem Satz „Die Wissenschaft ist für ihn eine Religion". Wir behandeln zuerst die hermeneutische Sicht der expliziten Religionen und ihre Erforschung dieser Sicht gemäß. Da es sich hier um die Frage der Bedeutung von Religionen handelt, wird bei dieser hermeneutischen Vorgehensweise ein semantischer Ansatz auf die Religionen angewandt, wodurch ihre Sinn- und Bedeutungsaspekte in den Vordergrund gerückt werden und andere Aspekte im Hintergrund bleiben. Wie bereits betont, setzt eine solche hermeneutische Erforschung jedoch die anderen empirischen Forschungsansätze und Kenntnisse voraus. Für die hermeneutische Vorgehensweise

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zur Religiosität — unterschieden von Religionen — wird ein phänomenologischer Ansatz angewandt, wobei die intentionale Wirklichkeit einer solchen Religiosität in den Vordergrund gerückt wird. Auch in dieser Intentionsforschung werden die anderen empirischen Forschungsansätze und Kenntnisse vorausgesetzt. Abschließend gehen wir auf die hermeneutische Sicht der impliziten Religionen und ihre Erforschung ein. 2. Explizite artikulierte Religionen: Religion als Subjekt Wie gesagt, unterscheiden wier hier einen semantischen Ansatz, der die Religionen als Zeichensysteme erforscht, und einen phänomenologischen Ansatz, der menschliche Intentionen untersucht. a) Der semantische Ansatz: Religionen als religiös gedeutete Zeichensysteme Die grundsätzliche Frage ist hier, welchen Gewinn die Religionsforschung aus der Anwendung des Modells eines „Zeichensystems" auf Religionen ziehen kann. Wie ermöglicht es dieses Modell, um den verschiedenen impliziten Bedeutungen, die Religionen für ihre Anhänger haben, und den verschiedenen expliziten Deutungen, die diese ihnen geben können, in einer hermeneutischen Weise näherzukommen? Können Religionen semantisch zutreffend als religiös gedeutete Zeichensysteme erforscht werden? In den Prozessen der Sinnvermittlung und Sinnübertragung zwischen den Menschen spielen in Gesellschaft und Kultur verschiedenartige Symbolsysteme eine wichtige Rolle. Sie fungieren als eine Art von Reserven potentieller Sinnverleihung, auf die der einzelne Mensch zurückgreifen bzw. an die er appellieren kann. Darüber hinaus gibt es auch Zeichensysteme, die weiter gefaßt sind. Symbole sind alle auch Zeichen, aber nicht alle Zeichen sind Symbole. Während die Symbolsysteme

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der Erfahrung nahestehen und in hohem Maße kulturgebunden sind, sind Zeichensysteme abstrakter und können verschiedene Kulturen übergreifen. Die im alltäglichen Sprachgebrauch so genannten größeren „Religionen", die über eine begrenzte Kultur hinausgehen, können im Hinblick auf ihre Bedeutung als großangelegte Zeichensysteme angesehen werden. Religiöse Zeichensysteme unterscheiden sich phänomenologisch von anderen Zeichensystemen primär dadurch, daß sie grundsätzlich einen oder mehrere Bezugspunkte haben, denen von den betreffenden Menschen implizit oder explizit eine selbstverständliche, oft unbedingte, ja „absolute" Gültigkeit zugeschrieben wird. Dies gilt auch umgekehrt. Weisen bestimmte Zeichensysteme solche Bezugspunkte auf, dann erhalten sie für die betreffenden Menschen leicht einen religiösen bzw. „absoluten" Charakter. Da die Religion etwas vermittelt, kann sie jedoch bei näherer Reflexion nie dieselbe Gültigkeit wie ihr Bezugspunkt haben. In der gelebten Alltagswelt ist die Religion meistens etwas Fließendes, das mehr oder weniger einheitliche Sinnzusammenhänge verschiedener Art umfaßt und ein ihnen entsprechendes Verhalten auslöst. Wenn auf der Ebene des Alltagslebens der alltägliche Sinn vorherrscht, erweist sich religiöser Sinn eher als kontingent. Umgekehrt — auf der Ebene des religiösen Sinnes — ist es dagegen der gewöhnliche Sinn des Alltagslebens, der kontingent erscheint. Zwischen dem alltäglichen und dem religiösen Sinn gibt es für die betreffenden Menschen eine von der Religion gesteuerte Wechselwirkung. Gerade als Zeichensystem bietet eine Religion dem Menschen persönlich und sozial eine ganze Reihe von Möglichkeiten, Sinn zu finden und zu verwirklichen, wobei ihm bei der Deutung und Anwendung dieses Sinns im Leben eine gewisse Freiheit gelassen wird. Im Falle einer organisierten Religion wird auch das Zeichensystem mehr institutionalisiert sein. In anderen Fällen

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kann sie als Zeichensystem eher lose und planlos im privaten und gesellschaftlichen Leben wirken. Bei der Erforschung von Religion als einem religiös gedeuteten Zeichensystem werden Zusammenhänge, die religiös begründet und mit Lehren, Mythen, Symbolen und Riten verbunden sind, letztlich als Ausdruck einer Gesamtdeutung der menschlichen Lebenswirklichkeit und der Wirklichkeit überhaupt untersucht. Dabei sind die verschiedenen Deutungen und Anwendungen, die die Anhänger der betreffenden Religion in verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Umständen gegeben haben, sowohl als verschiedene Deutungen der Religion wie auch als verschiedene Deutungen des Lebens und der Wirklichkeit mittels der Religion aufzufassen. Die Erforschung religiöser Phänomene unter ihrem Zeichenaspekt und der Religionen als Zeichensysteme zeigt vor allem die grundsätzliche Bedeutungsvielfalt jedes religiösen Zeichensystems. Wichtige religiöse Elemente einer gegebenen Tradition können unter bestimmten politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen ganz unterschiedlich gedeutet und gelesen werden, was ihren Zeichencharakter bestätigt. Den bereits existierenden Elementen können auch neue Elemente mit Zeichencharakter hinzugefügt werden, oder die Zeichenelemente selbst können geändert werden. Dies kann man z. B. bei der Entwicklung von verschiedenen Varianten eines Mythos beobachten, wenn sie als Legitimation gegebener oder neuer Verhältnisse oder aber als Protest dagegen entstehen. Die Entwicklung religiöser und ideologisch wichtiger Zeichen und die Geschichte ihrer Deutung begleitet sozusagen auf einer geistigen, „höheren" Ebene die konkrete Geschichte einer Gesellschaft. Geschichtliche, soziale und geistige Entwicklungen müssen deshalb auf den beiden Ebenen des materiellen „Unterbaus" und des geistigen „Überbaus" erforscht werden, wobei im konkreten Fall auch die Art des Verhältnisses, in dem diese beiden Ebenen zueinander stehen, in die Untersuchung einzubeziehen ist. 16 Waardenburg

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Eine solche Entwicklung läßt sich besonders gut am Beispiel der Schriftreligionen verfolgen, und zwar vor allem dort, wo diese auf eine prophetische Inspiration zurückgehen. Das vom Propheten verkündete Wort wird, soweit es von der betreffenden Gemeinschaft als wichtig empfunden wird, in die Tradition aufgenommen und zuerst mündlich, dann aber auch schriftlich von Generation zu Generation weitergegeben. Die Autorität des Wortes wird dadurch zum Ausdruck gebracht, daß es als Gotteswort und Offenbarung angesehen wird. Im Prozeß der schriftlichen Tradierung tritt dann die Phase der Kanonisierung ein, in deren Verlauf die prophetischen Worte, oft zusammen mit bestimmten anderen Überlieferungen, zu einem Kanon zusammengefaßt werden, der dann grundsätzlich nicht mehr verändert werden darf. Die „Zeichen", deren göttliche Herkunft damit bestätigt wird, sind so gewissermaßen für immer festgelegt. Interessanterweise fängt dann aber die Schrift an, selbst als ein Zeichensystem zu funktionieren, das an und für sich vieldeutig ist. Zur Beantwortung bestimmter Fragen bezieht man sich auf einzelne Texte, die man meistens aus ihrem Gesamtzusammenhang löst, und vernachlässigt andere Texte, die in diesem Kontext als unwichtig angesehen werden. Von bestimmten Texten aus kann auch die ganze Tradition, ja die Religion selbst, umgedeutet werden. So kommt es, daß sich aus verschiedenen Lesarten der Schrift ein eigenes Zeichensystem entwickelt und für eine Anzahl relevanter Texte eine eigene Deutungsgeschichte entsteht. Der Kommentar wird gewissermaßen kanonisiert. Die grundsätzliche Redundanz des Zeichenwertes der Texte und die Mehrdeutigkeit der Schriftinhalte werden schließlich oft entweder durch eine normative Tradition oder durch eine bestimmte, unter festgelegten theologischen, juristischen oder moralischen Gesichtspunkten erfolgende Hermeneutik bewältigt. Es ist eine interessante Frage, weshalb bestimmte Religionen ziemlich rasch zu einer Kanonbildung gelangt sind, während dieser Prozeß bei anderen Religionen — vielleicht aus

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einer gewissen Angst vor einer abschließenden Fixierung — viel langsamer verlaufen ist. Die Forschung zeigt, daß es im Umgang mit religiösen Zeichen und Symbolen eine eigenartige Spannung gibt. Einerseits drückt die Interpretation und Anwendung dieser Zeichen immer bestimmte Intentionen und Interessen der jeweiligen Interpreten aus; dieselben Zeichen haben für verschiedene Personen und Gruppen eine unterschiedliche subjektive Bedeutung. Andererseits jedoch werden die Zeichen von den Interpreten grundsätzlich als Teil eines größeren Zeichensystems angesehen, das ja eben die betreffende Religion ist. Dabei wird diesem Zeichensystem als Ganzem leicht ein objektiver, bisweilen nahezu absoluter Sinn zuerkannt, da es nach allgemeiner Auffassung die beste Verbindung zur anderen Wirklichkeit — oder zur anderen Seite der Wirklichkeit —, von der die Gemeinschaft sich abhängig weiß, darstellt. So gibt es ein stetes Wechselspiel zwischen den vorhandenen Zeichensystemen, die einen objektiven Sinn und allgemeine Gültigkeit beanspruchen, einerseits, und den Intentionen und Interessen der interpretierenden Personen und Gruppen andererseits. Sowohl die Faktizität der Elemente des Systems wie die dem System und diesen Elementen als „Zeichen" entnommenen subjektiven Bedeutungen und Anwendungen sind zu erforschen. Die hier skizzierte Unterscheidung zwischen „religiösen" und „nicht-religiösen" Zeichensystemen ist eine theoretische. In der Praxis ist sie in dieser Form nicht anzutreffen. Erstens sind religiöse Zeichen(systeme) immer von alltäglichen Zeichen(systemen) begleitet. Zweitens kann bei diesen Zeichensystemen eine Qualitätsänderung auftreten: ein an und für sich nichtreligiöses System kann für die betreffenden Menschen religiös wirksam werden, und umgekehrt kann ein religiöses System für bestimmte Gruppen seine religiöse Qualität verlieren. Drittens ist es immer möglich, daß Elemente des täglichen Lebens einen Zeichen wert, sogar mit religiöser Bedeutung, erhalten. 16*

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Überaus wichtig ist auch die Tatsache, daß ideologische und religiöse Systeme vielfach ineinandergreifen und einen Gesamtsinn anbieten, sowie die Tatsache, daß Religion meistens in einem bestimmten ideologischen Sinn angewandt wird. Außerdemfunktionieren religiöse Zeichensysteme immer innerhalb der geschichtlichen und sozialen Wirklichkeit und unterstehen somit empirischen Bedingungen und Determinanten. Wenn die Religionsforschung ihrem Anspruch, die empirische Wirklichkeit der Religion zu untersuchen, nachkommen will, dann kann sie auch im Bereich der Hermeneutik die materiellen Faktoren nicht außer acht lassen, die bestimmte Deutungen und Anwendungen des Zeichensystems bzw. der Religion erklären könnten. Der Begriff der Religion als eines religiös gedeuteten Zeichensystems unterscheidet sich von den herkömmlichen Religionsbegriffen vor allem dadurch, daß hier nicht die Faktizität, sondern der Sinn- und Bedeutungsaspekt der Religionen als entscheidend hervorgehoben wird. Es geht uns dabei vor allem um die Sinngebung bzw. Sinnverneinung geschichtlicher und sozialer Sachverhalte. Damit wird nicht negiert, daß Religionen geschichtliche Größen sind und daß sie institutionalisierte Sozialgebilde darstellen. Das für den hermeneutischen Ansatz Entscheidende ist jedoch die Tatsache, daß Religionen für bestimmte Gruppen sinnvermittelnd wirken und sich auf ihr Denken, Fühlen und Handeln auswirken.20 Es dürfte kein Zufall sein, daß dieser neue semantische Begriff der Religion als Zeichensystem gerade in einer Zeit entwickelt wird, in der die großen, geschichtlich ausgebildeten Systeme von „Religion" gewisse klassische Formen verlieren. Neue religiöse Systeme sind im Entstehen begriffen, die — anders als 20

Auch lernt der Mensch jetzt in seiner Religion über andere Religionen zu urteilen. Einleuchtend ist Christentum im Spiegel der Weltreligionen. Kritische Texte und Kommentare, hrsg. von H.-J. LOTH, M. MILDENBERGER und U. TwoRUSCHKA (Stuttgart 1978).

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die früheren eigenständigen Religionen — nicht mehr isoliert nebeneinander bestehen. Auch gibt es in unserer Zeit neben den Religionen noch viele andere Sinnsysteme, etwa Ideologien, die einen Appell ausüben. Wie sollen wir uns nun den „subjektiven" Bedeutungen religiöser Zeichensysteme annähern? b) Der phänomenologische Ansatz: Religiosität als menschliche intentionale Wirklichkeit Die hermeneutische Forschung kann Religionen als religiös gedeutete Zeichensysteme auffassen und damit auf die „objektive" Religion zielen. Sie kann sich aber auch mit dem intentionalen Bereich der Religiosität befassen und damit der „subjektiven" Religion zuwenden. Im ersten Fall handelt es sich um einen semantischen, im zweiten Fall um einen phänomenologischen Ansatz. Wie gesagt, verlangt eine adäquate Erforschung der Bedeutung religiöser Tatbestände eine Bezugnahme auf die Deutungen und Anwendungen, die die betreffenden Menschen diesen Tatbeständen verleihen oder verliehen haben. Auch die Erforschung der Bedeutung einer bestimmten Religion verlangt eine Untersuchung der Deutungen und Anwendungen, die ihr deren Anhänger geben oder gegeben haben. Da diese Deutungen und Anwendungen religiöser Tatbestände und ganzer Religionsgebilde wesentlich durch die Intentionen und die Interessen der jeweiligen Menschen und Gruppen bestimmt sind, ist die Erforschung religiöser Intentionen sowie ihres Zustandekommens ein integraler Teil der hermeneutischen Religionsforschung. Die kontextuelle Religionsforschung untersucht u. a. die diesbezüglichen materiellen Interessen, die erklären könnten wie religiöse Intentionen Zustandekommen und sozial wirken. Unter Intentionsforschung in der Religionswissenschaft verstehen wir die Erforschung der Intentionen, die in der subjektiven Religion zutage treten. Untersucht werden religiöse Aus-

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drucksformen und religiöse Deutungen, und zwar im Hinblick auf die in ihnen sich objektivierenden menschlichen Intentionen. Sie richten sich auf einen geistigen Brennpunkt oder Blickpunkt, führen zu geistigen Sinngebilden und können sich auf vielerlei Weisen ausdrücken. Der menschliche Ausdruck ist wohl das wichtigste Datum für alle Humanwissenschaften, zu denen auch die Religionsforschung zu rechnen ist. Es wird davon ausgegangen, daß bereits die Tatsache, daß etwas vom Menschen ausgedrückt und kundgegeben wird, auf das Vorhandensein von Intentionen hindeutet. Das Vorhandensein von Intentionen und ihre Relevanz ist nicht nur in der phänomenologisch-hermeneutischen Theorie, sondern gerade in den Religionen — und auch in verschiedenen anderen Zusammenhängen — von den Menschen selbst immer wieder bezeugt worden. Dieses Zeugnis bestätigt gewissermaßen die theoretische Annahme vom Vorhandensein und von der Wirkung von Intentionen in aller durch menschliche Subjektivität und Intersubjektivität konstituierten Wirklichkeit und besonders in der Religion. Religiöse Intentionen scheinen das Zentrum der gelebten Religion zu bilden. Es gibt hier eine gewisse innere Marge von Freiheit: bestimmte Intentionen können von den betreffenden Personen etwa bejaht und ausgebildet, andere hingegen zurückgedrängt werden. Gleichzeitig besteht eine Pädagogik und äußere Gebundenheit: in gegebenen Gemeinschaften können bestimmte Intentionen gefördert und gepflegt, andere unterdrückt und erstickt werden. Intentionen können sich nun einmal nur im Rahmen der Möglichkeiten eines gegebenen soziokulturellen Milieus ausdrücken. Freilich lassen sich in bestimmten Fällen für bestimmte Personen und Gruppen auch besonders starke und zähe Intentionen nachweisen, die sich gerade im Gegensatz zu den gegebenen Verhältnissen durchsetzen und verwirklichen. Begreift man die gelebte Religion als eine spezifische, sinnverleihende Antwort auf die gegebene Wirk-

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lichkeit, so gehört die Untersuchung der menschlichen Intentionen, die eine so wichtige Rolle in ihr spielen, zu den wesentlichen Aufgaben der Religionsforschung. Es bleibt die theoretische Frage, wie sich religiöse Intentionen wesentlich von nicht-religiösen Intentionen unterscheiden. Solange das Gegenteil nicht nachgewiesen ist, sollte man in der wissenschaftlichen Theorie davon ausgehen, daß ein und dieselbe Intention sowohl religiös als auch nicht-religiös sein kann. Unser Ausgangspunkt ist, daß es eine differentielle Qualifikation von Intentionen gibt, wodurch diese vom gewöhnlichen in den religiösen Bereich und von diesem in den gewöhnlichen übergehen können. Man kann die Hypothese aufstellen, daß, wollen Intentionen zu religiösen Intentionen werden, sie eine religiöse Richtung und Qualität erhalten sollten, wodurch „religiöse" Perzeptionen und Erfahrungen, Deutungen und Verhaltensweisen entstehen. Es gibt im gewöhnlichen Leben eine ganze Reihe von Intentionen, die eine „geistige" und sogar „religiöse" Ausrichtung annehmen können und dann über den Horizont des Alltagslebens hinausführen. Dies geschieht in dem Maße, in dem das intendierte Objekt oder der angesteuerte Blickpunkt eine unbedingte, ja sogar „absolute" Gültigkeit für die betreffende Gemeinschaft oder Person erhält. In der Alltagssprache pflegt man den Vorgang als „Verabsolutierung" zu bezeichnen: etwas wird zu einem Gott oder zu einer Göttin, zu einem Idol „gemacht". In Wirklichkeit aber vollzieht sich der Vorgang gerade unabhängig vom Willen der betreffenden Person und findet auch auf einem anderen Niveau als dem des Alltagslebens statt. Die Erfahrung spricht eher dafür, daß „Götter" und Idole sich geltend machen, wenn die Freiheit einer Person fehlt, auch wenn die vernünftige Reflexion sagt, sie seien menschliche Schöpfungen. Im Fall der Verabsolutierung ist es wichtig zu sehen, daß sich häufig sowohl der einzelne Mensch als auch die Gesellschaft insgesamt der Verabsolutierung nicht bewußt sind. Es ist leich-

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ter, sie von außen zu konstatieren. Ein Beobachter kann sie zum Beispiel daran verifizieren, daß sich die betreffenden Subjekte gegen jede Relativierung des intendierten Objektes, das sie verabsolutiert haben, sträuben. Umgekehrt scheint es auch möglich, daß religiöse Intentionen anders ausgerichtet und gewissermaßen „entladen" werden können. Sie bleiben dann als nicht-religiöse Intentionen weiterbestehen; die vormals religiös aufgefaßten Tatbestände werden nicht länger als religiös sinnvoll, d. h. sinnverleihend perzipiert. Die Frage, weshalb eine Intention religiös gerichtet und „aufgeladen" bzw. anders ausgerichtet und „entladen" wird, bedarf der näheren Erforschung. Man könnte die vorläufige Hypothese aufstellen, daß es die Ausrichtung ist, die entscheidet, ob eine Intention religiös oder nicht-religiös ist. Unter dieser Voraussetzung käme man zu der folgenden These: wenn eine Intention sich als „religiöse" Intention artikuliert, werden die Erscheinungen, auf die sie sich richtet, für den betreffenden Menschen bzw. die in Frage stehende Gruppe zu „religiösen" Erscheinungen. Dies gilt nicht nur für die Wahrnehmung, sondern auch für den Ausdruck und das Verhalten, für die Deutung und für die Anwendung: ihre mögliche religiöse Qualität wird letztlich von der Ausrichtung der Intention bestimmt. Gemäß dieser zweiten Hypothese können Intentionen in einer bestimmten, vorläufig noch unbekannten Weise religiös ausgerichtet oder „aufgeladen" werden, wodurch das intendierte Objekt oder Blickpunkt für den betreffenden Menschen bzw. die in Frage stehende Gemeinschaft eine für sie unbedingte, „absolute" Gültigkeit erhält und sinngebend wirken kann. Dies kann beispielsweise in der religiösen Erziehung und Sozialisation innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft bewußt angestrebt und dann auch erreicht bzw. erfahren werden. Dabei können gewisse Vorsichtsmaßnahmen eingebaut sein, die sicherstellen, daß über der Religion die Wirklichkeit nicht völlig aus den Augen gerät.

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Die Erforschung der subjektiven Wirklichkeit im allgemeinen und der subjektiven religiösen Wirklichkeit im besonderen erfordert ganz spezielle Ansätze. Einen Ansatz bietet die vorgeschlagene phänomenologische Analyse. Durch das Offenlegen von Intentionen in den Ausdrucksformen subjektiver Wirklichkeit und in subjektiven Deutungen objektiver Wirklichkeit ist es möglich, in die Sinndimension dieser subjektiven Wirklichkeit vorzustoßen. Die Intentionsforschung religiöser Ausdrucksformen und Deutungen kann so betrachtet einen wichtigen Beitrag zur hermeneutischen Religionsforschung leisten. 3. Implizite „unsichtbare" Religionen: Religion als Prädikat a) Das Auftreten funktioneller Religionen Bei der kontextuellen Erforschung von Religion vor allem im 20. Jahrhundert wurde deutlich, daß es bestimmte Phänomene gibt — etwa sozialpolitische Systeme und Ideologien — , die ohne selbst Religionen zu sein, für eine Zahl von Menschen in den betreffenden Gesellschaften die Funktion von Religionen zu haben scheinen. Ebenso wie es, wie wir sahen, funktioneile Mythen gibt, die zu einem bestimmten Zweck geschaffen werden, gibt es auch funktionelle Religionen, die bestimmten Zwecken dienen und deren „religiöse" Ansprüche an die Menschen nicht explizit, sondern implizit sind. Auch diese müssen als „Religionen" erkannt und zum Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung gemacht werden. Als deutlichstes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist das nationalsozialistische System zu nennen, dessen religiöse Aspekte bereits erforscht werden.21 21

Siehe JEAN-PIERRE SIRONNEAU, Secularisation et religions politiques (Den Haag 1982; mit einer ausführlichen englischen Zusammenfassung). Diese religionssoziologische Analyse befaßt sich eingehend mit den Sakralisierungsmomenten im Nationalsozialismus und Stalinismus.

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Im Westen gibt es bestimmte Vorstellungen und Verhaltensweisen, die sich nicht zu umfassenden Systemen entwickelt haben, aber dennoch religiös wirksam sind. Einige beschränken sich auf die Subkulturen, andere — etwa gewisse Divinationspraktiken — finden auch bei einem breiteren Publikum Anklang.22 Die Idole neuer politischer Religionen und religiös wirkender Ideologien in der „Dritten Welt" treten am deutlichsten in Erscheinung, ebenso ihre menschlichen Opfer. Grundsätzlich lassen sich derartige Idole aber ebenso in der westlichen Welt (civil religions') und in den Ideologien sozialistischer Staaten nachweisen. b) Zur Identifizierung impliziter Religionen Das Problem, implizite Religionen zu erkennen und als religiös wirksam zu identifizieren, wird durch die Unklarheit des im Westen geläufigen Religionsbegriffes erschwert. Es gibt eine Unzahl von Orientierungen und Bewegungen in Vergangenheit und Gegenwart, die einen religiösen Sinngehalt oder eine religiöse Funktion gehabt haben bzw. haben. Sie wurden und werden aber hauptsächlich deshalb nicht als ,Religion' erkannt, weil sie sich außerhalb dessen befanden oder befinden, was im gewöhnlichen Sprachgebrauch als ,Religion', d. h. normative Religion, bezeichnet und vom Gläubigen positiv und vom Ungläubigen negativ bewertet wird. Der herkömmliche normative' Religionsbegriff bewirkt also, daß wir ,Religion', die außerhalb dieser Religionsnorm liegt, nicht als solche begreifen können. Das Problem ist folgendes. Während die klassische Religionswissenschaft von einer vorgegebenen Bestimmung ihres Gegenstandes ausgeht und all das untersucht, was dieser Bestimmung 22

Siehe GEORG SCHMID, Interessant und heilig. Auf dem Weg zur integralen Religionswissenschaft (Zürich 1971). Vgl. MIRCEA ELIADE, Das Okkulte und die moderne Welt. Zeitströmungen in der Sicht der Religionsgeschichte (Salzburg 1978).

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entspricht, geht es der hier vorgeschlagenen Art der Religionsforschung darüber hinaus auch darum, in der gelebten Wirklichkeit religiöse Aspekte und ,Religion' aufzuspüren und offenzulegen und diese dann auf ihre Bedeutung und Wirkung hin zu erforschen. Wir achten also nicht nur auf Religionen, die als solche thematisiert worden sind — also explizite Religionen — , sondern auch darauf, ob etwas für eine Gruppe oder Person ,Religion' ist oder als ,Religion' wirkt. Die Erforschung der impliziten Religion, bei der Religion grammatisches Prädikat' ist, schließt sich an die Erforschung der expliziten Religion, bei der Religion grammatisches ,Subjekt' ist, logisch an. Im Zusammenhang mit der Identifizierung von impliziter Religion ist zum einen auf die Begründungsfunktion von Religion im allgemeinen und zum anderen auf einige spezifisch religiöse Sinngehalte hinzuweisen (vgl. S. 19ff.). Was die Begründungsfunktion betrifft, so beruft man sich vielfach auf eine Religion oder auf einige ihrer grundlegenden Elemente, um bestimmte Verhaltensweisen, Vorstellungen oder soziale Strukturen — bzw. einen Protest dagegen — zu begründen oder zu legitimieren und einer weiteren Diskussion zu entziehen. Wir sehen dies zum Beispiel in der Begründung von Ordnungen, die tatsächlich existieren, und auch in der Begründung von Bemühungen, die eine andere künftige Ordnung anstreben. Heils- und Erlösungsbewegungen verdanken ihre Kraft vor allem der Tatsache, daß sie sich religiös legitimieren. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß die Idee, mit der eine politische Bewegung ihr Programm begründen will, meistens dann einen ,religiösen' Charakter erhält, wenn eine Begründung zwar notwendig, jedoch rational nicht zu leisten ist. Man sieht dies zum Beispiel bei verschiedenen ,civil religions' in modernen Staaten, besonders auch im Westen. Wie gesagt, ist Religion auch an bestimmten typischen Sinngehalten zu erkennen. So ist in allen Religionen von anderen und wichtigeren Wirklichkeiten - oder Seiten der Wirklichkeit als der gewöhnlichen, sichtbaren oder ,empirischen' Wirklich-

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keit die Rede. Eine solche ,Metawirklichkeit' kann in bildlicher Form durch Götter, Geister, Ahnen, Paradies und Hölle beschrieben werden. Weiterhin können die besonderen Erfahrungen bestimmter Personen als Kundgebung einer ,MetaWirklichkeit' gedeutet werden. Sie werden vielfach als Offenbarungen dieser Wirklichkeit verstanden, denen eine sinnstiftende, ja heilbringende Wirkung zugesprochen und aus denen auch Absolut' geltende Normen und Werte abgeleitet werden können. Bei solchen religiösen Sinngehalten spielt die ,Metawirklichkeit' grundsätzlich eine wichtige Rolle. Wiederum ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß ideologische Bewegungen eine ,religiöse' Wirkung ausüben können, wenn sie die Herkunft ihrer Ideen bewußt mystifizieren und diese emotional mit Themen wie Blut und Boden, Volk und Land, Proletariat, Nation und Rasse verbinden, die nicht geklärt werden, sondern gerade als ,Metawirklichkeit' funktionieren. Implizite Religionen lassen sich also mit Hilfe von Indikatoren identifizieren. Indikatoren wären u. a. eine irrational absolut gesetzte Begründung und eine irrational mystifizierte Herkunft. Die betreffenden Menschen werden sozusagen von einer solchen impliziten Religion beschlagnahmt. c) Zur hermeneutischen Erforschung impliziter Religionen Es wurde ausgeführt, daß es für eine hermeneutische Erforschung expliziter Religionen notwendig ist, die Grundelemente dieser Religionen, ihren sakralen Charakter und damit ihre Zeichenfunktion festzustellen und die verschiedenen Deutungen des mit diesen Elementen einhergehenden ,Zeichensystems' zu untersuchen. Dieselbe Regel gilt für die hermeneutische Erforschung impliziter Religionen. Unsere Aufgabe ist die Feststellung ihrer Grundelemente, deren besonderes Merkmal darin besteht, daß sie einen ,sakralen' bzw. nicht zu hinterfragenden Tabucharakter für die betreffenden Menschen haben. Wenn der Zusammenhang zwischen den Elementen als ein Zeichensystem aufzufassen ist, sind anschließend die verschiedenen Deutungen, die diesem ,System' gegeben worden sind,

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sowie ihre verschiedenen Anwendungen zu verfolgen. Abschließend wird versucht werden, eine solche Religionsbildung und die ihr gegebenen Deutungen zu erklären. Ein gutes Beispiel ist der wissenschaftliche Atheismus' — als Lehre und Praxis zur Bekämpfung von Religion — , der selbst nicht nur als ideologisch, sondern auch als ,religiös' wirksam beschrieben und gedeutet werden kann.23 Für das Verständnis impliziter Religionen und von Religion im allgemeinen ist der Vorgang der Sakralisierung zentral. Durch sie erhält eine Gegebenheit für eine bestimmte Person oder Gruppe einen unbedingten, ,absoluten', d. h. empirisch nicht ableitbaren Charakter. Hieraus kann ein Symbol- oder Zeichenbezug und eine ,Religion' entstehen. Die betreffende Gegebenheit ist dann für diese Person oder Gruppe ,religiös' bzw. ,ihre Religion' geworden. Eine Sakralisierung kann sich sowohl auf Elemente einer anerkannten vorhandenen religiösen Tradition wie auch auf Kulturmomente außerhalb einer solchen religiösen Tradition beziehen. Vor allem letzteres kann zu impliziten Religionen führen. Ein Ideal oder eine poetische Sichtweise, ein sozialpolitisches Anliegen oder ein Lebensethos, ja selbst eine Person kann sakralisiert bzw. als »charismatisch wirkend' angesehen und damit zum Bezugspunkt einer ,Religion' gemacht werden. Wissenschaft und Sport, Ästhetik und Politik, vor allem jedoch bestimmte Personen oder Strömungen innerhalb dieser Gebiete, können auf die Menschen wie ,Religion' wirken, allerdings eher in der Praxis als in der Lehre. Das Ganze mag relativ harmlos bleiben und nicht über eine flüchtige Faszination hinausgehen. Es verliert jedoch seine Harmlosigkeit, wenn unter dem Druck von irrational begründeten Verabsolutierun23

Siehe JAMES THROWER, Marxist-Leninist .Scientific Atheism' and the Study of Religion and Atheism in the U.S.S.R. (Berlin 1982). Man lese dabei die von MAXIME RODINSON verfaßte Einführung (S. IX-XIV).

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gen und mystifizierenden Sinngehalten Opfer gefordert und gebracht werden. Die Erfahrung lehrt, daß — zum Beispiel für politische oder psychologische Zwecke — irdische Gegebenheiten zu einer wirksamen ,Religion' gemacht werden können und daß eine solche Religion psychologisch ausgenützt bzw. politisch manipuliert werden kann. Der betreffende Tatbestand hat dann Züge einer ,Metawirklichkeit' angenommen. Umgekehrt können implizite sowie explizite Religionen auch ,desakralisiert' werden, wenn sie nämlich aufhören, für eine Gemeinschaft oder Person religiös wirksam und bedeutsam, d. h. ,Religion' zu sein. Eine Desakralisierung kann auf Grund des Erscheinens eines neuen Sacrums stattfinden, aber auch auf Grund einer Entlarvung des ,absoluten' Anspruchs, die sich auf neue Werte beruft, oder einfach auf Grund der Tatsache, daß die betreffende Gegebenheit die Menschen enttäuscht oder in einer anderen Weise ihre Relevanz für das wirkliche Leben verloren hat. Um ein Sacrum jedoch bewußt zu bekämpfen, bedarf es in aller Regel eines anderen Sacrums bzw. einer Neusakralisierung.

D. Zu einer adäquateren hermeneutischen Erforschung von Religion und Religionen Das schwierigste Problem besteht darin, dann, wenn wir gelebte Religion als explizite oder implizite ,Religion' identifiziert haben, einen Weg zu finden, sie auch adäquat darzustellen. Anders gesagt, wie können wir es vermeiden, daß eine solche Religion von oben herab, sozusagen ,imperialistisch', vergewaltigt wird? Wie können wir sicherstellen, daß wir keinen — noch so schönen — Theorien erliegen, die die Bedeutung und den Sinn, die sie für die betreffenden Menschen haben, ausschalten? Die bisherige Thematisierung von Religion und Religionen mittels eines normativen Religionsbegriffes hat u. E. eine solche adäquate Darstellung von Religionen weitgehend

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verhindert. Daher ist es angebracht, unsere Einführung in die Religionsforschung mit einigen Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen einem normativen Religionsbegriff und den bisherigen Thematisierungen von Religion und Religionen, sowie mit einem Hinweis auf den von uns befürworteten hermeneutischen Religionsbegriff zu schließen. Nicht nur für den Westen, sondern für alle Kulturen gilt, daß der Allgemeinbegriff von Religion fast ausschließlich auf dem Boden der eigenen Religion und ihrer Deutung entwickelt worden ist. Der allgemeine Religionsbegriff, wie er im alten Rom, im Judentum und Islam, in der zoroastrischen und in der hinduistischen Religion ausgebildet worden ist, hatte jeweils die eigene Religion zum Ausgangspunkt. Auch im Westen ging der allgemeine Religionsbegriff und die Darstellung der verschiedenen Religionen wesentlich von den Eigenheiten des Christentums und seiner Deutung aus. Die Reflexion über die Religion im allgemeinen und die Darstellung der einzelnen Religionen im besonderen standen in einem funktionellen Zusammenhang mit der christlichen Theologie. Reflexion und Beschreibung waren größtenteils von theologischen Prämissen bestimmt. Ähnliches gilt im Westen umgekehrt für jene Form der Thematisierung von Religion und Religionen, die nicht auf die Theologie, sondern auf eine Kritik an der christlichen Religion zurückgeht. Die aus dieser Kritik gewonnenen Schlußfolgerungen wurden auch hier auf den Allgemeinbegriff von Religion und auf die Darstellung fremder Religionen übertragen. Im 19. und 20. Jahrhundert ist im Zusammenhang mit der Thematisierung von Religion und Religionen sowohl in nichtwestlichen wie in westlichen Ländern eine besondere Entwicklung zu beobachten. Zum einen fallt auf, daß die nichtwestlichen Religionen seit dem 19. Jahrhundert von ihren Anhängern zunehmend im Sinne des westlichen Modells von .Religion'als .Religionen' — und zwar oft als Alternativen zum westlichen Christentum — aufgefaßt wurden. Als eine Folge u. a. der westlichen Expansion und der Verbreitung des westlichen Christentums haben

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viele religiöse Gemeinschaften in nichtwestlichen Ländern ihre religiösen Traditionen als ,Religionen' thematisiert. Damit verbunden war häufig das Bestreben, die Grundsätze dieser eigenen Religion festzulegen und die vorgefundene Tradition entsprechend zu reinigen. Was nicht unter diese Grundsätze der Religion fiel, wurde nicht länger als ,Religion' angesehen. Vertritt man den Standpunkt der normativ thematisierten und institutionalisierten Religionen, kann man nun einmal grundsätzlich wenig Verständnis für die zahllosen religiösen Sinngehalte und Wirkungen aufbringen, die außerhalb der anerkannten Formen dieser jetzt offiziellen' Religionen wirksam sind. Das Gebiet der Religion wurde zwar normativ klar festgelegt, dabei aber sehr stark eingeengt. Was andererseits den Westen betrifft, so ist festzustellen, daß sich aufgrund verschiedener Ursachen im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts sowohl in den katholischen wie in den protestantischen Gebieten offiziellere Formen des Christentums ausbreiteten und daß sich im 20. Jahrhundert eine auch theologisch begründete Verselbständigung der offiziellen Religion durchsetzte, die — von Gläubigen wie Ungläubigen — akzeptiert worden ist. Mit dieser ,Offlzialisierung' des Christentums ging einher, daß die tatsächlich gelebte Religion sowohl von der offiziellen christlichen Theologie wie auch von religionskritischen Ideologien scharf kritisiert und im übrigen wenig beachtet wurde. Auch hier ist das Gebiet der Religion normativ festgelegt und damit eingeengt worden. In dieser Situation innerhalb und außerhalb des Westens fallt dem Religionsforscher die Aufgabe zu, zu zeigen, daß es neben und sogar in den thematisierten offiziellen , Religionen' unendlich viel lebendig Religiöses und auch wirksame ,Religion' gibt. Dies ist ein Sachverhalt, dem in den thematisierten und offiziellen Religionen mit normativem Charakter kaum wirklich Rechnung getragen und der in diesen Religionen im allgemeinen nur negativ bewertet wird. In dieser Situation ist es besonders wichtig zu erforschen, was für bestimmte Gruppen wirkliche und wirksame Religion ist.

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Um nach sorgfältiger Beobachtung feststellen zu können: „Das ist Religion für ihn, für sie, für diese Gruppe", braucht der Religionsforscher einen Religionsbegriff, der von den gängigen normativen Religionsbegriffen grundsätzlich abweicht. Dadurch eröffnet sich uns die praktische Notwendigkeit und dann auch die theoretische Möglichkeit der Konzipierung eines neuartigen deskriptiven und offenen Begriffs von Religion, der nicht nur als Subjekt, sondern auch prädikativ verwendet werden kann, und zwar nicht nur im Westen, sondern auch in nichtwestlichen Kulturen. Wir müssen vermeiden, daß wir als Forscher den erforschten Personen, Gruppen, Gemeinschaften und Kulturen einen westlich definierten Religionsbegriff aufdrängen und daß wir ihre wirkliche und wirksame Religion unter westlichen Verdinglichungen oder Idealisierungen verdekken. Unsere Antwort auf die Frage, wie dies durchzuführen sei, ist die eines Forschers, der sich vor allem um die Erforschung menschlicher Sinngebungen bemüht. Erstens müssen wir uns abgewöhnen, religiöse Ausdrucksformen in der Vergangenheit oder in der Gegenwart, per se als Illusionen anzusehen. Bei Kunstäußerungen käme uns das ja auch nicht in den Sinn. In aller gelebten Phantasie steckt Wahrheit, und gewisse Wahrheiten lassen sich eben nur ,religiös' ausdrücken. Zweitens dürfen wir in der Praxis religiöse Ausdrucksformen nicht a priori von nichtreligiösen Äußerungen scheiden. Wir müssen vielmehr darauf achten, in welcher Form und unter welchen Bedingungen bestimmte Äußerungen neben anderen Inhalten einen religiösen Sinngehalt erhalten oder eine religiöse Wirkung entfalten, und welcher Art diese sind. Drittens müssen wir in der Forschung festzustellen versuchen, was in der untersuchten Kultur und für die jeweiligen Menschen einen Zeichen- oder Symbolwert hat, welcher religiöse Sinn ihnen dadurch unter den gegebenen Umständen möglicherweise erschlossen wird und welche Wirkungen diese Zei17 Waardenburg

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V. Hermeneutische Forschung

chen bzw. Symbole für die Lebensweise und das Verhalten dieser Menschen haben. Viertens müssen wir zu ermitteln trachten, wie bestimmte Gruppen oder Personen die gegebene Religion selbst deuten und, falls es sich um eine positive Deutung handelt, wie sie bestimmte Elemente dieser Religion im Leben anwenden. Dabei muß ein klarer Unterschied zwischen Intentionen und Interessen gemacht werden. Unser Religionsbegriff muß möglichst offen gehalten werden. Wenn wir in der Forschung hermeneutisch vorgehen, können unter kleineren, kulturgebundenen Religionen Symbolsysteme, und unter größeren Religionen ganz allgemein Zeichensysteme verstanden werden. Dabei ist mit »System' nicht etwas bewußt Organisiertes gemeint, sondern gedeutete Sinnzusammenhänge zwischen Elementen dessen, was wir eine ,Religion' zu nennen pflegen. Die Elemente ebenso wie das ganze .System' haben für die betreffenden Menschen Zeichen- oder Symbolwert und weisen auf die Wirklichkeit hin. Ein solches religiös gedeutetes Zeichensystem kann den betreffenden Menschen Sinn vermitteln. Wir gehen von dem Ansatz aus, daß vorgefundene Religion immer gedeutete Religion ist. Religionen, ob sie nun explizit oder implizit sind, werden ebenso wie religiöse Tatbestände beständig von verschiedenen Gruppen und Personen gedeutet und angewandt, was zu bestimmten Lektüren und praktischen Anwendungen dieser Religionen führt. Die hermeneutische Erforschung von Religion ist also vor allen Dingen die Erforschung von religiösen Deutungen und deren Anwendungen mit dem Versuch, sie zu erklären. Religiöse Deutungen und Anwendungen sind immer mit gewissen Interpretationen des Lebens, der Gesellschaft und der Wirklichkeit überhaupt verbunden.24 So können wir zum Beispiel erforschen, wie 24

Siehe J. WAARDENBURG, „Über die Religion der Religionswissenschaft", Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 26 (1984), S. 238-255.

D. Erforschung von Religion und Religionen

255

im Judentum Bibel, Thora und Volk, wie im Christentum Bibel, Jesus und kirchliche Gemeinschaft und wie im Islam Koran, Scharia (Gesetz) und Umma (Gemeinschaft) in verschiedenen Weisen gedeutet worden sind, welche Konsequenzen diese Deutungen in ihrer Anwendung für das Handeln gehabt haben, und wie die verschiedenen Anwendungen sich überhaupt erklären lassen.

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19*

Register Die in der Bibliographie enthaltenen Personennamen sind nicht im Register aufgenommen worden. 'ABDUL-BAHA' 104 ABEL, ARMAND 140 Anm., 153 Anm. Absolutheitsansprüche 112, 115f. Achsenzeit 83 ACQUAVIVA, S.S. 153 Anm. ADORNO, TH.W. 152, 218 Advaita 101 Ahnen 191, 192 S. auch unter Vorfahren ALICH, SALIH 17 ALLEN, DOUGLAS 206 Anm. Alltäglicher und religiöser Sinn 236 Allwissenheit 130, 131 ALMOND, PHILIP C. 225 Anm. Altar 120-122 Altorientalische Religionen 108 Analogia entis 56 Angriffe auf die Religion 91 f. Animatismus 80 Animismus 80 ANTES, PETER 229 Anm. Anthropos 147 Apriori, Religiöses 49, 52 Archetypen 213 A ryä Samäj 101 Askese 187-189 Atheismus 199 —, wissenschaftlicher 68, 249

Auferstehung 136 Aufklärung 11, 41 f. AUROBINDO, SRI 102 Autoriäten, religiöse 179 — 180 BAAREN, TH. P. VAN 195 Anm., 197 Anm. Bäb 104 Bäbl- Bewegung 104 Bahai (Bahai) 69, 104 Bahaulläh 104 BAMMEL, FRITZ 140 Anm. BARTH, KARL 54, 55 BEEK, WOUTER (WALTER) VAN 149 Anm. Begründungsfunktion von Religion 247 BELLAH, ROBERT 157 BENZ, ERNST 88 Anm. BERGER, PETER 152 BERLEWI, MARIAN 215 Anm. Beschreibung und Erklärung 159 Bhudän 102 BIANCHI, UGO 79 Anm. BlNSWANGER, LUDWIG 155

BLEEKER, C.J. 126 Anm., 139 Anm., 140 Anm., 142 Anm. BOGLIONI, P. 177 Anm. BOLLE, KEES 219 Anm. BOLLNOW, O. F. 205 Anm. BOWKER, JOHN 140 Anm.

Register Brahma Samaj 101 BRANDON, S. G. F. 137 Anm., 139 Anm., 140 Anm. BRENNEMAN JR., WALTER L. 204 Anm. BRUCE, F. F. 227 Anm. BRUNNER, EMIL 55 BUDDHA 83 Buddhismus 85, 89 BÜTTNER, M. 157 BULTMANN, RUDOLF 218 BURKERT, W. 157, 219 CAMPBELL, JOSEPH 143 CANCIK, HUBERT 106 Anm. CAPPS, DONALD 179 Anm. Cargo-Kulte 149 Charisma 82 CHATTOPADHYÄRYA, GADÄHARA 101 CHEVALIER, JEAN 215 Anm. Chiliastische Bewegungen 201 Christentum 88, 89, lOOf., 200, 201 Civil religions 246 COLPE, GARSTEN 13, 93 Anm. Comparative Religion 86 CRAGG, KENNETH 139 Anm. DAHM, K.-W. 146 Anm. DATTA, NARENDRANÄTH 102 DEGUCHI, 103 DEGUCHI ONISABURO 103 Demagötter 190 f. Desakralisierung 63, 250 DESROCHE, HENRI 198 Anm. Dialektische Theologie 54 f. Dialog 68 f., 97, 101 DILTHEY, WILHELM 161 Divination 52 Divine Light Mission 102

269

Dominierende Lektüren und Deutungen 210 DOUGLAS, MARY 134, 135 Anm., 142 DREHSEN, V. 146 Anm. Dritte Welt 96,97,201, 246 Drogen 156,222 DUMEZIL, GEORGES 142 DUMONT, F. 177 Anm. DURKHEIM, EMILE 46, 80, 132, 150, 172, 219 ECKHART, Meister 143 Anm. EDSMAN, CARL-MARTIN 223 Anm. Ekstase 180 ELIADE, MIRCEA 126 Anm., 142, 156, 172 Anm., 180, 181 Anm., 193, 204, 206, 216 Anm., 218, 221 Anm., 231, 246 Anm. Emanzipatorische Prozesse 95 ELSAS, CHRISTOPH 201 Anm. Emischer Ansatz 160 f. ENGELS, FRIEDRICH 150 Eranos-Jahrbücher 143 Anm. Erfahrungen, religiöse 223 Erforschung von Religion, Hauptansätze in der 27 — 29 Erklärung und Beschreibung 159 Ethik 140f., 228-231 Ethnozentrische Bindungen 119 Ethnozentrismus 112 Ethologische Forschung 134 Etischer Ansatz 160 EVANS-PRITCHARD, E. E. 147 Anm., 149 Anm., 198 Anm. Evolutionistische Theorie 79 f. Existenz, menschliche 137, 139, 140 Existenzprobleme 81

270

Register

Explizite Bedeutungen 209 f. Explizite Religionen 234, 235-245 Faktische Wirklichkeit und Deutungen 207 Familienplanung 140 Feiern und Feste 172-176 Fetischismus 192 FEUERBACH, LUDWIG 43 FINDEISEN, H. 181 ANM. FLASCHE, RAINER 54 Anm. Folklore 81 Fragen, „religiöse" 17, 138 Frankfurter Schule 151 Frauen, Religion der 177 FRAZER, J.G. 80, 109 FREUD, SIGMUND 47, 155, 213 Frieden 140 FROBENIUS, LEO 147 Frömmigkeit 88 FROMM, ERICH 155 Führer, charismatische 83 —, religiöse 93 Führerschaft, religiöse 91 FÜRSTENBERG, F. 150 Anm. Funktionelle Religionen 245 GANDHI 102, 231 Gebetstexte 118 GEERTZ, CLIFFORD 148 Gegenstände, religiöse 192 GEHLEN, A. 134 GEHRTS, H. 181 Anm. Geister 191 Geisteswissenschaften 44f. Gemeinschaft, religiöse 163 — 165 GENNEP, ARNOLD VAN 170 Anm. Geschichtliche Forschung 37, 71-107, 202

Geschichtsauffassungen, religiöse 78 Geschlechterkampf 128 Gesellschaft 207 f. Gesetze, religiöse 140 Gesetzgebung 83 Geweihten 185 GHEERBRANT, ALAIN 215 Anm. GIRARD, RENE 149 Anm. GLADIGOW, B. 146 Anm. Gnosis 184 f. Gnostizismus 184 GODELIER, M. 157 Göttinnen 178, 190 GOGARTEN, FRIEDRICH 55 GOLDAMMER, KURT 126 Anm., 205 Anm., 216 Anm. Gottesvorstellungen 121 GREIG, JAMES C. G. 228 Anm. Guru 187 HABERMAS, JÜRGEN 152 HARDIN, BERT 153 Anm. Hare Krishna- Bewegung 102 HARRISON, JANE 172 HARTMAN, SVEN S. 223 Anm. Haskala 100 HAUER, J. W. 141 Anm. HEGEL, GEORG W. F. 43 Heil 138 Heil- oder Kulturbringer 191 HEILER, FRIEDRICH 53f., 124f., 126 Anm., 134 Anm., 154,179 Anm. Heilige 225 Heiligen, Kategorie des 52, 125 Heilsmöglichkeiten 20 Heilsreligionen 36 Heilswege 136 HEINE, PETER 201 Anm. HEINRICH, KLAUS 17

Register Henotheismus 131 HERMELINK, JAN 53 Anm. HERMENEUTIK, sachgemäße 14 Hermeneutik als Auslegung 45, 202f., 206 Hermeneutik von Religionen 233-250 Hermeneutik religiöser Tatbestände; Grundregeln 207-211 Hermeneutische Forschung 202-254 Hermeneutischer (auslegender) Ansatz 39-41, 204 Anm. HERZL, THEODOR 100 HILL, MICHAEL 153 Anm. Himmelsgötter 127 Hinduismus 101 f. Historismus 41 Hochgottgedanke 131 Hochgottglaube 80 Homines religiosi („religiöse" Menschen) 165 f. HONKO, LAURI 216 Anm., 220 Anm., 227 Anm. HOOKE, S. H. 132 HORKHEIMER, MAX 152, 218 HULTKRANTZ, ÄKE 157 IBISH, YUSUF 183 Anm. Ideologisierung 65, 90, 96 Idol(e) 218,243 Implizite Bedeutungen 209 Implizite Religionen 234, 245-250 Indoeuropäische Religionen 108 Initiationen 170-172 Intentionale Wirklichkeit 241-245 Intentionen 242 — 244 Intentionsforschung 241 — 245

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Intuition 205 ISKCON 102 Islam 90 JACKSON, TONY 149 Anm. JAMES, E. O. 129f. Anm. JAMES, WILLIAM 154 Japan 102 f. JASPERS, KARL 83, 155 Jenseitsglaube 201 JENSEN, ADOLF E. 218 JESUS 83, 85, 255 Ji, MAHRAJ 102 Judentum 100, 200, 201, 255 JUNG, CARL GUSTAV 47, 142, 155 f., 213, 220 Anm. Kalender 193 Kastensystem 102 KAUFMANN, WALTER 143 Anm. KEHRER, GÜNTER 105 Anm., 106 Anm., 146 Anm., 153 Anm., 201 Anm. KERENYI, KARL 156, 218, 220 Anm. KIPPENBERG, HANS G. 146 Anm., 153,163 Anm., 170 Anm., 185 Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage 103 Kirche und Moschee 106 Anm. Kirche und Synagoge 106 Anm. Kirchensoziologie 153 KITAGAWA, JOSEPH M., 206 Anm., 216 Anm., 221 Anm. Klassifikation(en) 164, 196 Klassifizierung(en) 124, 133 KLIMKEIT, HANS-JOACHIM 92 Anm. KOHL, KARL-HEINZ, 17, 149 Anm. KONFUZIUS 83

272

Register

Kontext und Selbstausdruck 159 f. Kontextuelle Forschung 38f.,144-201, 202 Krisenbewältigung 152 Krisensituation(en) 90, 99,122f., 194 KRISTENSEN, W. BREDE 126 Kritische Selbstreflektion 111 f. KROEBER, A. L. 148 Kultrituale 132-134 Kulturanthropologie 146 — 149 —, symbolische Richtung der 148 Laien 89,96,211 LANCZKOWSKI, GÜNTER 112 Anm., 126 Anm., 200 Anm., 226 Anm. LANG, ANDREW 80 LANTERNARI, VITTORIO 201 Anm. Lebensweisen 87 f. LEEUW, GERARDUS VAN DER 52f., 124f., 126 Anm., 155,205 Legitimation, Religion als 41, 179 Legitimierung, Religion als 91, 152 Lehrsysteme 87 LEIPOLDT, JOHANNES 179 Anm., 226 Anm. Lektüre(n) als Lesart(en) 77, 210, 254 LESSA, WILLIAM A. 143 Anm. LEUBA, J.H. 154 LEVI-STRAUSS, CLAUDE 149 Anm., 219 LEVY-BRUHL, LUCIEN 46 LEY, HERMANN 92 Anm.

LING, TREVOR 142 Anm. LIPS, E. 157 LITTLETON, S.C. SCOTT 142 Anm. Liturgien 174 LONG, CHARLES H. 206 Anm. LORENZ, KONRAD 157 LOTH, H.-J. 240 Anm. LUCHESI, BRIGITTE 17, 163 Anm. LUCKMANN, THOMAS 152 LURKER, MANFRED 215 Anm. Magie 80, 163 Anm., 195f. Mahdi 104 MAHESH YOGI, MAHARISHI 102 MALINOWSKI, BRONISLAW 149 Anm., 219 Mana 193 MANI 85 Manichäismus 85, 184 Manismus 80 MARCULESCU, ILEANA 183 Anm. MARETT, R. R. 47, 80 MARINO, ADRIAN 206 Anm. MARX, KARL 43, 46, 150, 157 Marximus 92,94, 95, 150 Matriarchat 129, 178 Anm. Mazdaismus 85, 89 MEINHOF, C. 157 MENARD, J.-E. 216 Anm. MENDELSSOHN, MOSES 100 MENSCHING, GUSTAV 126 Anm., 141 Anm., 151 MESLIN, MICHEL 216 Anm. Messianische Bewegungen 198, 201 Metawirklichkeit 19, 248, 250 MlLDENBERGER, MICHAEL 200

Anm., 240 Anm. Millenaristische Bewegungen 198

Register Minderheiten 200 f. MIRZÄ 'ALI MUHAMMAD 104 MIRZÄ HUSAIN 'Au NÜRI 104 Modelltheorie 159 MOHAMMED 83, 85 MOL, HANS 145 Anm. MOLNAR, THOMAS 62 Monotheismus 130f. — ,inklusiver 190 -, ursprünglicher 80, 130, 147 MONTMINY, J. P. 177 Anm. MOON, SUN MYUNG 104f. MOORE, CHARLES A. 139 Anm. MORENZ, S. 226 Anm. Mormon, Buch 103 Morphologie 113 MOSES 83, 85 MOTZKI, HARALD 181 Anm. MOWINCKEL, S. 126 Anm., 132, 134 Anm. MÜLLER, MAX 217 Multiperspektivische Religionsforschung 13, 41 Mutter Erde 127 f. Mystik 183, 221-225 Myth and Ritual-Schule 132 Mythen 194,216-221 Mythisches Weltbild 197 Mythologeme 216, 220 Mythologie, Wissenschaft der 216 Mythos der Technik 218 NASE, E. 156 Anm. Nationalismus 94 Nationalsozialismus 68, 245 Naturreligion(en) 82, 84 Naturwissenschaften 44 Neue Religionen 199 Neue religiöse Bewegungen im Westen 98-100, 156

273

NEUMANN, ERICH 155 NEUSNER, JACOB 169 Neustiftung, religiöse 99 Neustilphänomenologie 232 Niederlande 127 Anm. Objektive Religion 241 Ökologische Ansätze 157 Ökumene 54, 97 Ökumenische Bewegung 101 Offenbarung 53, 169 Offizielle Religionen 84, 87, 252 OKADA, MOKICHI 103 OLSON, ALAN M. 221 Anm. Ömotokyö 103 OOSTEN, JARICH 149 Anm. Opfer 120-123, 250 Opfervorstellungen 136 Ordnung, grundlegende 193 f. OTTO, RUDOLF 51, 53, 54, 83, 124, 125, 154 OTTO, WALTER F. 218 Paläolithische Religion 80 PANIKKAR, RAYMONDO 135 Anm., 142 PANNENBERG, WOLFHART 13, 57 Anm. Parapsychologie 158, 195 PARET, RUDI 182 Anm. PARRINDER, G. 140 Anm. Participation (Teilnahme) 196 Partikularisierung 96f. Patriarchale Strukturen 178 Patriarchat 129 Pattern-FoTschung 132 PELTO, P.J. 161 Perzeption fremder Ideologien und Religionen 111 PETTAZZONI, RAFFAELE 126 Anm., 130, 131 Anm.

274

Register

PFLEIDERER, OTTO 49 Phänomenologie der Religion 52 Phänomenologische Analyse 245 Phänomenologische Erforschung der Religion 125 Phänomenologischer Ansatz 241-245 Phänomenologismus 41 Platonisierungstendenzen 115 PLATVOET, J. G. 126 Anm. Pluralisierung 98 Polytheismus 131 Positivismus 95 PRABHUPÄDA, SVAMI 102 Priester 185-187 Projektionslehre 42 f. Propheten 181 f. Prophetische Bewegungen 198, 201 Prophetische Religionen 84, 85, 86, 130 Psychologie 47 PYE, MICHAEL 143 Anm. Quellenforschung 73 RADCLIFFE-BROWN, A. R. 148 RADHAKRISHNAN, S. 139 Anm. RADIN, PAUL 220 Anm. RAJU, P. T. 139 Anm. RÄMAKRISHNA 101 Rämakrishna-Mission 101 f. Rassismus 141 Rationalisierungen 96 Rationalität 13, 119 RATSCHOW, C. H. 229 Anm. Reduktion von Religion 146 Reformationsanspruch 99 Religiös 30-32 Religiöse, das 100 Religiöse Funktion 35

Religiöse Literaturgeschichte 75 f. Religiöse Tatbestände, Vieldeutigkeit 208 f. Religiöser und alltäglicher Sinn 236 Religion als autonomer Bereich 125 Religion als Zeichensprache 36 Religion, Identifizierung von 19-22 Religionen als Orientierungssysteme 34, 233 Religionen als religiös gedeutete Zeichensystem 235 — 241 Religionen als religiöse gedeutete Zeichensysteme 235-241 Religionen, empirisch festliegende 33 Religionen, Familien von 108 Religionsapologeten 163 Religionsapologetik 60—62 Religionsbegriff 17 —, hermeneutischer 251—254 —, normativer 246, 250 Religionsbejahende Richtung (Strömung) 43, 50, 55, 203 Religionsethnologie 146 — 149 Religionsforscher, Aufgabe 70 Religionsforschung, religionskritische Funktion der 62 f. —, Voraussetzungen der 57 f. Religionsgeographie 157 Religionsgeschichte, Arten von 78 f. Religionsgeschichtliche Forschung, Voraussetzungen 76 f. Religionsgeschichtliche Schule 49, 76 Religionskritik 60-62, 94 f.

Register Religionskritiker 163 Religionskritische Richtung (Strömung) 43, 50, 55, 151, 203 Religionspädagogik 205 Religionsphänomenologen, klassische 203 Religionsphänomenologie 205 — »klassische 124f. Religionsphänomenologische Übersichtswerke 123 -126 Religionspsychologie 154 — 156 Religionssoziologie 150 — 153 —, phänomenologische Richtung der 152 Religionsstiftungen 83 f. Religionswissenschaft, Autonomie der 55 —, Emanzipation der 56 —, Ideologiekritische Funktion der 64 -, Klassische 203 Religiosität 241-245 Religiosus (religiös) 23 RENDTORFF, TRUTZ 13 REYNOLDS, FRANK E. 179 Anm. RICOEUR, PAUL 205 Anm., 232 RITSCHL, ALFRED 49 Rituelle Handlungen 173f. RODINSON, MAXIME 249 Anm. Romantik 42 ROY, RAM MOHAN 101 RUDOLPH, KURT 66 Anm., 185 RUPP, E. G. 227 Anm. SABOURIN, LEOPOLD 187 Anm. Sacrum 186, 250 Säkularisierung 153 Sakrale Königsideologie 132 Sakralisierung(en) 35, 64, 249 Salt Lake City 104

275

S AR AS VATI, DAYANAND 101 Sarvodaya-Samäj 102 S AUTER, GERHARD 15, 17 SCHÄR, HANS 155 Schamanismus 180 f. SCHARFENBERG, J. 156 Anm. SCHELER, MAX 56 Schicksal 131 SCHLEIERMACHER, FRIEDRICH 43, 52 SCHLETTE, H. R. 204 Anm. SCHMID, GEORG 13, 24, 246 Anm. SCHMIDT, WILHELM 50, 80, 130, 147 SCHMITZ, C. A. 147 Anm. SCHREINER, L. 200 Anm. Schrift(en) 77, 225-228, 238 Schriftlose Religionen 189-197 Schriftreligionen 238 f. SCHULTZE, H. 141 Anm. SCHWIND, MARTIN 157 Anm. Seicho no le 103 Sekai Kyuseikyo 103 Selbstausdruck und Kontext 159 f. Semantischer Ansatz 235 — 241 Shintö 103 SIEBERT, RUDOLF J. 152 Anm. SILBERER, HEINRICH 213 Anm. SIMM, HANS-JOACHIM 176 Anm. Sinngehalte der Religion 19-22, 247 f. SIRONNEAU, JEAN-PIERRE 245 Anm. SMART, NINIAN 143 Anm. SMITH, JOE 103 f. SMITH, JONATHAN Z. 221 Anm. SMITH, WILFRED CANTWELL 142 SMITH, WILLIAM ROBERTSON 46, 132

276

Register

SÖDERBLOM, NATHAN 51—54, 130 SOKRATES 83 Sozialanthropologie 148 Sozialwissenschaften 45 f., 145-153

SPENCER, HERBERT 80 SPERNA-WEILAND, J. 142 Anm. Sprachkenntnisse 74 Sprachwissenschaft 114

SPRANGER, EDUARD 155 SPROUL, BARBARA C. 220 Anm.

STAAL, FRITS 222 Anm. Staatsinteresse 68, 90f. Stalinismus 245 Anm. STARBUCK, E. D. 154 STEIN, M. 177 Anm. STEINBAUER, F. 149 Anm. STEPHENSON, GÜNTHER 93 Anm., 126 Anm., 137 Anm., 182 Anm. Stiftergestalten 84 Strukturelle Analyse 129 Subjektive Religion 241 SUNDEN, H. 156 SUZUKI, D. T. 143 Anm. Symbole 212-216 Symbolsysteme 148 Symbolsysteme und Zeichensysteme 235 f., 254 Synkretismus 88, 99 Synkretistische Neubildungen 98 Tabu 193 TANIGUCHI, MASAHARU 103 Theoretische Modelle 143 THROWER, JAMES 249 Anm. THURNEYSEN, EDUARD 55 Tiefenpsychologie 155 f., 213, 214, 217 TlELE, C. P. 50

Tiere 192 TILLICH, PAUL 56 Tjuringas 192 Tötungsrituale 191 TOKAREW, S. A. 84 Anm. Toleranz 141 Totemismus 80, 192 Tradition(en) 25, 93, 166-170, 208 Traditionshüter 168, 185 Traditionskritik 94 f., 168, 169 Trickster 191 TROELTSCH, ERNST 49, 51, 151, 157 TRUTWIN, W. 141 Anm. TURNER, HAROLD W. 199 Anm. TURNER, VICTOR W. 133, 135 Anm. TYLOCH, WITOLD 66 Anm. TYLOR, EDWARD B. 80, 147 Typologie 113 TWORUSCHKA, UDO 120, 126 Anm., 140 Anm., 141 Anm., 205 Anm., 240 Anm. Überbau 148 , 157 Übergangsriten 170 URGRINOWITSCH, D. M. 135 Anm. UNESCO 141 Anm. Unified Family 104 Universalisierung 96f. Unterbau 148 Anm. Unterdrückte Gruppen 201 Urheber 127, 190 Vater Himmel 128 Vedänta 101 Verabsolutierung 243 — der Religion 61 Verabsolutierungsbestreben 110

Register Vereinigungskirche 69, 104f. Vergleichende Forschung 37f., 108-143,202 Vergleichende Methode 113, 116-118 Vergleich, Arten 114f. -, Stufen 114 VERGÜTE, A. 155 Verhaltensforschung 157 Verinnerlichung 99, 183 Verschleierungsfunktion 59 Verstehen 155, 204 VlVEKÄNANDA, SvÄMT 102

VOGT, EVAN Z. 143 Anm. Volksreligion 75, 87, 176, 198 Vorfahren 149 S. auch Ahnen Vorgeschichtliche Religionen 81 f. VRIES, JAN DE 217 Anm. VRIJHOF, P. H. 177 Anm. WAARDENBURG, JACQUES 53 Anm., 126 Anm., 127 Anm., 177 Anm., 182 Anm., 221 Anm. WACH, JOACHIM 54, 125, 126 Anm. 142, 151, 204 Wahrheitsbewußtsein 95 WEBER, MAX 46, 54, 150, 151, 157, 188, 214 Weber-These 150 WEGER, KARL-HEINZ 62 WEIDKUHN, PETER 157 WERBLOWSKY, R.J. Zwi 140 Anm. WHALING, FRANK 142 Anm., 146 Anm., 149 Anm., 153 Anm., 156 Anm., 220 Anm.

277

WIDENGREN, CEO 126 Anm., 132, 142 Anm., 179 Anm., 182 Anm. WILSON, BRYAN 201 Anm. WINCKELMANN, J. 151 Anm. Wirkliche und wirksame Religion 31, 35, 252 Wirklichkeit, religiöse 24, 159 Wirklichkeit der Religion 24 Wirklichkeitsdeutung 162 wirksam, religiös 31,35,246,252 Wissenssoziologie 152 WOBBERMIN, GEORG 154

WORSLEY, PETER 149 Anm. WULFF, DAVID 156 Anm. Wunderbare, das 177 Anm. YARIAN, STANLEY O. 204 Anm. Yoga, integraler 102 YOUNG, BRIGHAM 104 ZAEHNER, R. C. 142 ZARATHUSTRA 83, 85, 186 Zeichensysteme, religiöse und nicht-religiöse 239 f. Zeichensysteme und Symbolsysteme 235f., 254 Zeitgenössische Religion 144 Zeitgenössische Religionsgeschichte 93 Zen-Buddhismus 103 Zentrum der Welt 193 ZILLESZEN, D. 141 Anm. ZIMMER, HEINRICH 143

SAMMLUNG GÖSCHEN ERNST LUDWIG EHRLICH

Geschichte Israels von den Anfangen bis zur Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) 2. Auflage Oktav. 159 Seiten. 1980. Kartoniert DM 16,80 ISBN 3110084074 (Band 2217) WILLIAM NAGEL

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Geschichte der christlichen Predigt Oktav. 233 Seiten. 1972. Kartoniert DM 16,80 ISBN 3110036746 (Band 7201) MARTIN DIBELIUS

Paulus Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben und zu Ende geführt von Werner Georg Kümmel 4., verbesserte Auflage Oktav. 157 Seiten. 1970. Kartoniert DM 7,80 ISBN 311002800X (Band 1160) Preisänderungen vorbehalten

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SAMMLUNG GÖSCHEN HENRY CHADWICK

Die Kirche in der antiken Welt Oktav. 379 Seiten. 1983. Kartoniert DM 24,80 ISBN 3110022680 (Band 7002) KONRAD ONASCH

Einführung in die Konfessions künde der orthodoxen Kirche Oktav. 291 Seiten. 1962. Kartoniert DM 10,80 ISBN 3110062801 (Band 1197/a) WALTER ULLMANN

Kurze Geschichte des Papsttums im Mittelalter Übersetzt aus dem Englischen von Angelika Seifert Oktav. XII, 368 Seiten. 1978. Kartoniert DM 19,80 ISBN 3110065053 (Band 2211) FRANZ LAU

Luther 2., verbesserte Auflage Oktav. 153 Seiten. 1966. Kartoniert DM 14,80 ISBN 3110062747 (Band 1187)

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