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German Pages 215 [216] Year 2016
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Karel Mâcha
Glaube und Vernunft Die Böhmische Philosophie in geschichtlicher Übersicht Teil II 1800-1900
K.G.Saur München-NewYork-London-Paris1987
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG W O R T G m b H
CTP-Kurztitclnufnahme der Deutschen Bibliothek. Mâcha, Karel: Glaube und Vernunft : d. böhm. Philosophie in geschichtl. Übersicht / Karel Mâcha. - München ; New York ; London ; Paris : Saur Teil 2. 1 8 0 0 - 1 9 0 0 . - 1 9 8 7 . ISBN 3-598-20131-1
© 1987 by Κ.G. Saur Verlag München Alle Rechte vorbehalten · All Rights Strictly Reserved Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Satz: Microcomposition, Wolfenbüttel Druck: Weihert Druck, Darmstadt Binden: Verlagsbuchbinderei Georg Kränkl, Heppenheim/Bergstraße ISBN 3-598-20131-1
Inhaltsübersicht Vorwort I.
Der Werdegang einer Hoffnung
1. Unum idioma slavonicum. (Zum Geleit) 2. Träumer, Romantiker, Gründer (Das geistige Klima am Beginn des 19. Jahrhunderts in Böhmen. Die endgültige Begründung einer neuen Sprache. J. JUNGMANN. Die Slawisten und Ethnographen. Fr.L. CELAKOVSKY, K.J. ERBEN. Die Anfänge einer großen Literatur. B. NÈMCOVÀ, K.H. MÁCHA) 3. Zwischen Rußland und Deutschland (Der Mythus einer urslawischen Kultur. W.W. HANKA: Die „Manuskripte". P.J. SAFÁRIK. Fr. PALACKY und seine Philosophie des Tschechentums. J. KOLLÁR) 4. Bernard BOLZANO und sein Einluß (Bernard BOLZANO und sein Kreis. Die nachbolzanische Philosophie. J.K. LIKAWETZ. Die Schüler JACOBIs: A. SCHWIPPEL, A. SPIRK, J. PEITHNER von Lichtenfels. Hl. Clemens Maria HOFBAUER. A. GÜNTHER und seine Schule: J.E. VEITH, J.N. EHRLICH u.a.) 5. Am Anfang der tschechischen Philosophie (Der Streit um die Nationalphilosophie: V. GABLER, F. FIDRMUC, K. HAVLÍCEK, V.B. NEBESKY, K.B. STORCH, K. SABINA, J.E. WOCEL. Eine kritische Stimme: A. S MET ANA) 6. Die Hegeische Philosophie in Böhmen (Erste Anhänger und Epigonen. I.J. HANUS, Fr.M. KLÁCEL. Eine philosophische Persönlichkeit: A. SMETANA. Ein treuer Schüler: G. BIEDERMANN) 7. Die Philosophie J.G. HERBARTs im böhmischen Raum (Franz EXNER und sein Einfluß. Die Begründung einer theoretischen Philosophie: R. ZIMMERMANN, W. VOLKMANN. Am Anfang der philosophischen Propädeutik: M.A. DRBAL. Erste tschechisch gelesene Universitätsvorlesungen. J. DASTICH. Der Versuch einer Synthese: G.A. LINDNER. Ein Systematiker: J. DURDÍK. Die deutschen Herbartianer: J.W. NAHLOWSKY, O. WILLMANN, W. TOISCHER) 8. Die Philosophie A. SCHOPENHAUERS und ihre Auswirkung im böhmischen Bereich (M. TYRS; Fr. CUPR) 9. Die panentheistische Richtung - Fr.W. SCHELLING, K.Chr.Fr. KRAUSE, Fr.X. BAADER und ihr Einfluß in Böhmen (K.S1. AMERLING, K.B. STORCH, J.J. KALINA. Die deutschen Panentheisten: J.K. LÖWE, W. KAULICH, H.K.v. LEONHARDI) 10. Naturphilosophie, Darwinismus, Positivismus in Böhmen (J.Ev. PURKYNË, E. MACH. - Lad.J. CELAKOVSKY, J.A. BULOWA. J. MIKS, Fr. MARES) II. Die Anfange einer katholischen Philosophie in den böhmischen Ländern (W. ZAHRADNÍK. Die „Zeitschrift für katholische Geistlichkeit". K. WINARICKY. Ein Gegner von PALACKY: Fr. SUSIL)
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II. Der Heiland (T.G. MASARYK: Tschechische Geschichte als philosophisches Thema) 1. Ein unzeitgemäßer Charismatiker (Die Persönlichkeit und ihre Bedeutung in der tschechischen Kultur: T.G. MASARYK und sein besonderer Stellenwert) 2. Das religiöse Problem der tschechischen Geschichte (Das Problem einer nicht-offenbarten Religion. Die Religion der „Humanität": zum Problem einer religiösen Freiheit. Die Religion und die Politik.) 3. Das Programm einer europäischen Philosophie in Böhmen (Ein Prophet aus der mährischen Provinz und sein Programm. Der Einfluß von J.G. HERDER: die Humanitätsidee. Zwischen Philosophie und Theologie. Die Revue „Athenaeum". Der dritte Weg der tschechischen Politik: der „Realismus".) 4. Zur Struktur und Herkunft der Philosophie MASARYKs (Ein Schüler von Franz BRENTANO. Französischer Rationalismus und britischer Empirismus. Russische philosophisch-psychologische Literatur.) 5. Die Tschechische Frage: auf der Suche nach einer demokratischen Tradition (Jan HUS, Karel HAVLÍCEK, Frantisek PALACKY. Der Streit um den „Sinn der tschechischen Geschichte". Der Kritiker MASARYKs: Josef PEKAR. T.G. MASARYK als tragische Gestalt der tschechischen Geistesgeschichte.)
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III. Vom Sinn der Utopie
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Bibliographie
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Namenregister
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Vorwort „A custodia matutina usque ad noctem: speret Israel in Domino." (Psalm 129, 15-17) Die schwierige, die qualvolle Frage nach dem axiologischen Grund und Hintergrund der böhmischen Gedanken- und Philosophiegeschichte und nach ihrer Erlösung durch selbstlos-handelnde Persönlichkeiten läßt sich auf die Frage KIERKEGAARDS zurückführen: „Gibt es eine teleologische Suspension des Ethischen?"- Ist es überhaupt möglich, daß eine, wenn auch charismatische Persönlichkeit höher steht als das Allgemeine der Kultur, das durch diese Persönlichkeit, in prägnanter Form, dargestellt, symbolisiert wird? Oder liegt das Ontische einer Geistesgeschichte außerhalb des allgemein Kulturellen? Erscheint es, zwar nicht jenseits der Geschichte, doch in einer einmaligen Persönlichkeit - als eine pura potentia einer Kulturexistenz, die sonst unter ungünstigen geschichtlichen Bedingungen ihren Gedankenreichtum nur teilweise verwirklichen durfte? Die vorliegende Schrift, die seit Jahren auf meinem Schreibtisch, unvollendet, in Form einzelner Fragmente, doch mit der eindrucksvollen Kraft eines philosophischen Mementos liegt, und die ich nun nur zögernd und nicht ohne Besorgnisse u m ein mögliches Mißverständnis der Öffentlichkeit anbiete, scheint mir aus manchen Gründen, vor allem aber aus einem integralen, ganz wichtig zu sein: als Erhellung der unausgesprochenen, philosophischen Motive jener konkreten, realen, manchmal drastischen Aspekte der geistigen Verselbständigung des Tschechentums im 19. Jahrhundert, jener geistig scheinbar rein eidetischen Motive (wie sie mit unermüdlichem Fleiß von MASARYK vor allem herausgearbeitet worden waren), die jedoch erst viel später, nachträglich, und unter den unnatürlichen Umständen des Nachkriegszeitalters 1945-1948 zu ihrem wahren Ausdruck gekommen sind. Man darf dem zwielichtigen Gesicht eines Nationalismus-Patriotismus nicht unkritisch gegenüber stehen, wenn man sich auch nach seiner eigenen sprachlichen Heimat umschaut: man sollte an der Geschichte der Denkweise seines Volkes das Wertvolle, aber auch das Wertlose der Kultur im allgemeinen erkennen. Von solcher Überzeugung aus scheint es mir für unsere geistige Gegenwart nicht mehr auszureichen, am geistesgeschichtlichen Stammbaum des Bekannten und Anerkannten ewig weiterzuforschen, selbst wenn es dabei an allerbestem Willen, die bestehenden Mißverständnisse zu klären und die Barrieren des Gruppenbewußtseins zu überwinden, nicht mangeln soll. In Bearbeitung bereits vorliegender Dokumente der Philosophiegeschichte sollte nun die Untersuchung der nicht nur philosophisch-expliziten, sondern auch der anthropologisch-hintergründigen Aspekte des tschechischen kulturellen Werdegangs einbezogen werden. Philosophie muß nicht immer, wie es mißverstehende Deutung zuweilen meint, eine absichtliche Suche nach den letzten Weisheiten - ein durchaus hoffnungsloses und langweiliges Engagement, dessen noetische Chancen durch ein schwerfälliges Begriffsinstrumentarium gleich unterbunden sind - sein. Im Gegenteil, ein denkender Mensch (und ich appelliere an das Denken des Lesers dieses Buches...) sollte dabei ein Erlebnis des UnmittelbarLebendigen einer Geistesgeschichte anstreben: Ein nützliches Experiment übrigens, das immer aus der nie erlöschenden, ewigen Hoffnung, einen neuen Horizont der Erkenntnis zu entdecken, leben darf. ***
Eine erste, sich begründet aufwerfende Frage dieser Abhandlung ist die nach dem Subjekt, dessen Kompetenz hinreicht, einer systematischen Darstellung der böhmischen
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Philosophiegeschichte - gemessen an den immanenten Erfordernissen derselben und ebenso angesichts der gegenwärtigen Situation der Forschung - gerecht zu werden. Im allgemeinen wird an den heutigen europäischen Universitäten (die tschechoslowakischen dabei miteinbezogen) zwar von den Studierenden eine eigene Kenntnis der vielschichtigen Positionen, Strömungen und Entwicklungen als selbstverständlich erwartet, wobei sich jedoch seltsamerweise kaum ein Dozent bereit findet, einer derartigen Aufgabe nachzugehen: Und ganz besonders im Bereich der „Bohémica" wird die geschichtliche Thematik typischerweise auf einige partikulär begriffene Aspekte ideologischer Thematik oft reduziert. Zumeist wird der Behandlung von Detailfragen Vorrang eingeräumt - natürlich auf Kosten des Gesamtverständnisses sogar einzelner für sich betrachteter Daten, Fakten und Sachverhalte, da diese selbst sich ja allem übrigen gegenüber in einem Berührungszusammenhang befinden. Wie dem auch vielerorts sei, so lasse ich mich keineswegs entmutigen, das einst begonnene und vielfältig geförderte Vorhaben voranzutreiben und eben auf diese Weise die ich als „integral-anthropologisch" bezeichne - die Geistesgeschichte des böhmischen Raumes nachzuvollziehen. Als Grundlage zu dieser möglichst weitgehenden Entfaltung historisch-philosophischer Bewegungen - welche in Bezug auf addierbare Fakten als solche mitnichten den Anspruch einer erschöpfenden Abhandlung erheben dürfte, wohl aber sich um die Herausarbeitung der Struktur dieser tschechisch-deutschen Geschichte bemüht, habe ich als das entscheidende Stichwort das „Ich-und-die-Geschichte" gewählt. Das Stichwort „Glaube und Vernunft"ist für mich in den letzten Jahren zum grundlegend-prinzipiellen Problem der Gesamtauffassung der tschechischen Geistesgeschichte, vor allem der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts, geworden. Nicht zufällig hängt dabei der II. Teil von „Glaube und Vernunft" mit dem Namen „T.G. M A S A R Y K " zusammen. Das Thema „MASARYK", in seiner religiös-philosophischen, aber vielleicht noch mehr in seiner politischen Relevanz, ist ein Prüfstein aller tschechischen Philosophie nach dem 1. Weltkrieg - niemand kam unberührt vorbei. So liegt auch dem vorliegenden Text eine ausführliche Untersuchung dieses wirksamsten Denkers der tschechischen Neuzeit zugrunde. Ohne MASARYK wäre jegliche Philosophiegeschichte aus dem tschechischen Raum zumindest unvollständig - „mit MASARYK" droht aber die Gefahr, MASARYK selbst in überdimensionierter Makroprojektion (der z.T. künstlich entstandenen sekundären Literatur) zu sehen. MASARYK zumal ist ein Thema, das wirklich einer besonderen Analyse (und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt des „Böhmischen") arg bedürftig ist. - So nehme ich das Phänomen „MASARYK" als eine separate Frage der tschechischen Kultur des 19. Jahrhunderts an, ohne dabei den Dithyramben der eifrigen Bekenner zuzustimmen: so nehme ich diese Gestalt der tschechischen Geschichte als eine Möglichkeit, den Bruch und Umbruch des tschechi sehen Denkens an der Schwelle des 20. Jahrhunderts zu durchschauen. - „Der Heiland". - Die patriotisch-berauschte, die jubelnde „masarykische" Literatur, wo wie sie nach 1918 in einer Sintflut das breite Umfeld der Philosophie überschwemmte, und der ganze MASARYK-Nimbus entspricht eher einer Verehrung des politischen Nationalhelden, als der Einschätzung eines Philosophen. Der Heiland selbst war gar nicht eine so sympathische Gestalt, wenn sie die Seinen auch so sehen wollten: die geschichtliche Empirie steht der humanitären Mahr krass gegenüber. Sein Titanismus hat die tschechische Öffentlichkeit durchschritten, seine Maßstabe schienen manchmal unglaublich hoch angesetzt zu sein. Seine harte polemische Art, mit dem Gegner umzugehen, die starke, draufgängerische, und mit zunehmendem Alter immer gnadenlosere, nahezu alttestamentlich-strenge Person MASARYKs macht möglich zu begreifen, warum er in der tschechischen Gesellschaft vor 1910 imgrunde
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einsam wurde. Seine romantische Neigung, mit welcher er die tschechische Geschichte deutet, sein globaler Idealismus und seine unglückliche Gabe, der geistigen Tradition Europas nur das zu entnehmen, was in der Linie seiner persönlich politischen Konzeption stand und lag: das alles wird wiederum zum erklärenden Grund der Tatsache, daß die tatsächlichen politischen Leaders der tschechischen Nation einen ,.realistischen Politiker" MASARYK kaum auch ernst genommen, warum sie ihn unterschätzt und leicht sarkastisch betrachtet haben. Der geschichtliche Zufall des 28. Oktobers 1918 (und die nachträgliche kaltblütige Manipulation der ersten tschechischen Demokratie durch den engsten MASARYK Vertrauten E. BENES) haben dem Sinn der ganzen politischen Tätigkeit MASARYKs einen geschichtlich-ironischen Schlag verliehen. - Das alles ist, nach Jahren, heute besser zu sehen - das alles kann man heute kaum als einen Nexus geschichtlicher Zufälle abtun. So wurde für mich das Studium MASARYKs (unter dem Gesichtspunkt des von ihm selbst empfohlenen Kriteriums - sub specie aeternitatis eben) zu einer ungewollt, unvorgeplant kritischen und imgrunde unangenehmen Aufgabe, von welcher ich doch die endgültigen Maßstäbe für die Einschätzung der tschechischen Philosophiegeschichte gewonnen habe. Ich versuche MASARYK als eine übernationale (und im gewissen Sinne übergeschichtliche, oder bloß „unzeitgemäße") Persönlichkeit zu begreifen: als eine außerordentliche, mit unheimlich-starker Ausstrahlungskraft begabte Persönlichkeit, deren Ziele und Ergebnisse, jedoch auch Schwächen und Skrupeln die tschechische Philosophie beeinflußt und in ihrem letztlichen Schliff deutlich mitgeprägt haben. M A S A R Y K ist, im breiten Umkreis der Komparationen, eines der zahlreichen Phänomene der europäischen Philosophie: als Theoretiker, als Philosoph nicht eben primus inter pares, sondern eher ein nahezu zweitrangiger und wenig origineller Autor, dessen en gros gelieferte Bücher, Broschüren und Aufsätze heute kaum noch ein adäquates Echo erwecken können - andererseits, die Durchschlagskraft dieser Person in ihrer Aktion, das praktische Können und Dürfen, haben sie in die Weltgeschichte unverkennbar eingeschrieben. Ein philosophischer Durchschnittsmensch, ein geschichtlicher Titane, und in Böhmen ein Halbgott. Nun, jeder Heiland ist nur so gut wie seine Botschaft selbst. - Hatte MASARYK mit Recht darauf hingewiesen, daß es der Atheismus (nicht erst der Sozialismus) war, von welchem aus die geschichtliche Logik der Entwicklung Europas zu begreifen wäre, hätte man im Sinne dieser Erkenntnis in DOSTOJEWSKIJ und NIETZSCHE zugleich den Abschluß einer (immer noch kontinuierlichen) Denktradition und den Auftrag zu einer unsicheren, doch mit gewaltiger Gesetzmäßigkeit ankommenden Zukunft sehen können, so hätte man mit dem gleichen Recht die Frage stellen dürfen, ob ein durch MASARYK zur „religiösen Frage" beförderter (und durch freidenkerische Ideen geprägter) Nationalismus dieselbe Rolle, wie der Atheismus für Rußland, für die nichtdeutschen Gruppen Österreich-Ungarns zu erfüllen hatte. Das heißt, ob die tschechische „religiöse Frage" in der Tat irrtümlich, doch gesetzmäßig, als die Frage einer selbstzerstörerischen und flach ideologisch definierten Volksreligion (der Freiheit, der Gleichheit, der abstrakten Brüderlichkeit, nicht aber eines realen Humanismus) artikuliert wurde. So spielt auch Thomas MASARYK in dem vorliegenden Band eine Rolle, die er immer zu spielen hatte: die außerordentliche, geschichtlich wichtige, enorm politische und doch wenig glückliche Rolle eines starken Voluntaristen, der sein befreiendes Programm trotz aller Umstände auch durchzusetzen vermag. ***
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- „Glaube und Vernunft". — Ein biblisches Stichwort. Aus dem Paradox des „Glaubens" fällt das Geistig-Allgemeine, „das Ethische" einer sprachlich integrierten, politisch und religiös immer äußerst differenzierten Kultur als ihre hermeneutische Bestimmung heraus. Nun, wir werden sehr unterschiedlich geboren. - „Nous naissons si contraires à cet amour de Dieu ..." (B. PASCAL, „Pensées", Frg. 489). - Die großen Persönlichkeiten der tschechischen geistigen Geschichte leben, ausnahmslos, aus ihrer, durch die tschechische Tradition überlieferten, evangelischen Ansprache: eine anthropologische Motivation dieser alten mitteleuropäischen Kultur . . . „ A n g e s p r o c h e n sein" heißt, für den Denker, dasselbe wie seiner Stellung in der psychischen Welt, der gesamten Geistesgeschichte gegenüber seines Seinsgesetzes bewußt zu sein. In der wunderbaren Gewißheit, die das Selbsterkennen des Denkers begleitet, spiegelt sich die tiefere Wahrheit der Schöpfung. Den Grundgestalten der tschechischen Philosophie ist ihre transzendentale Motivation deutlich abzulesen: und wenn der Denker sich in seiner Reflexion ganz in sich sammelt, stößt er auf eine prinzipielle Gewißheit des Glaubens - da erscheint nun das „absolute Paradox" (gemäß S0ren KIERKEGAARD) der Philosophie, das Eintreten des Ewigen in die Zeitlichkeit: „Es denkt dich Ewigkeit Du aber die Zeit Es zeitigt sich Ewigkeit Du aber bist Zeitlichkeit Es endet das Ewige es lebt in der Zeit ,.." 1 Nun, wie existiert, geistig existiert dann eine Persönlichkeit, eben dieser genannten Kultur, im Gegensatz zum Allgemeinen? So erreicht der denkende Mensch den Sinn seines Selbst keineswegs im Vergessen der inneren Gegensätzlichkeit aller Dinge, sondern in der Wahl seiner Entscheidung: zwischen zwei Gegensätzen, von denen keiner der wahre ist. Kloster St. Gabriel, am 26. Mai 1985.
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Felicitas A. SCHMID, „Der Wendekreis des Selbst", Essen 1985.
K.M.
I.
Der Werdegang einer Hoffnung „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Weltteil bewohnte: ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegendsten Provinzen dieses weiten Reiches ... Noch war die Menschheit für dieses herrliche Reich nicht reif, nicht gebildet genug." (NOVALIS, „Die Christenheit und Europa", 1799; in: „Gedanken", Abendland-Verlag, Wuppertal 1947, 59, 61)
„Joab, mei Sohn, in was biste gekommen für a miese Period!" (J. NESTROY, .Judith und Holofemes", I. Akt)
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1.
Unum idioma Slavonicum (Zum Geleit) „Ubi etiam unum idioma Slawonicum dicitur, sumpsit initium, de quo gentes ejusdem idiomatìo Slovani sunt vocati: in lingua enim eonim SIOVJO verbum, Slowa verba dicuntur et sic a verbo vel a verbis dicti idiomatis vocati sunt Slowani." (Chronicon Pulkawae Pribiconis; zitiert bei J. DOBROVSKY, „Slowauli Slované od slávy, cili od Slowa?". In: Èasopis Spolecnosti Wlastenského Museum w Cechách, 1, 1827, Bd. 1, 80-85.)
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Ein Hundert Jahre 2 bedeuten für die tschechische Kulturgeschichte mehr als sie auch für andere Kulturen Mitteleuropas bedeuten könnten. Erst mit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beginnen sich die Konturen einer neuen, sprachlich selbständigen Gestalt der tschechischen Geistesgeschichte etwas deutlicher zu stabilisieren. Das tschechische Denken entwickelte sich im 19. Jahrhundert unter einem immerwährenden politischen Druck, der von beiden Hemisphären, West und Ost, auf die böhmischen Länder ausgeübt wurde, und geriet daher mehr als einmal in eine Grenzsituation. Als gesetzmäßiges Produkt dieser Spannung macht sich eine, für den böhmischen Raum typische, kulturelle Ambivalenz sichtbar, binnen welcher sich die Idee einer tschechischen Sprach- und Staatsselbständigkeit in einem qualvollen Prozeß der Nationalselbsterkenntnis gestaltet. Den Tschechen im allgemeinen (und Prag im besonderen) wurde lange Jahrhunderte hin- mit der Geschichte ihres Kulturraumes jene unangenehme Rolle übertragen, zwischen westlichen und östlichen Kulturen im mitteleuropäischen Raum zu vermitteln: infolge dessen entwuchsen die Tschechen - auf dramatische Weise: durch die hussitischen Jahrhunderte, durch die Nach-Weißen-BergZeit hindurch - ihrer ursprünglichen, eindeutig slawischen Wesensart. Als ein besonderes Phänomen unter anderen Kleinslawischen Gruppen Europas kristallisierte sich im böhmischen Raum eine durchaus gemischte lateinisch-slawische Kultur heraus: ohne daß diese jemals die Ansprüche einer Großmacht erhob - und vertrug sich übrigens im Großen und Ganzen mit der anderen, paralleli sich in Böhmen seit Tausend Jahren gestaltenden Kultur der deutschsprachigen Bevölkerung gut. Das alles an der Grenze zweier großer Lithurgien, zweier großer Sprachstrukturen, zweier Orthographien - im „Herzen Europas", im böhmischen Kessel, von welchem Fürst Otto von BISMARCK die Notiz verloren hat, wer den habe, habe auch Europa. Nun, die aufklärerische „Theologie der Befreiung", die Mythologie eines antihabsburgischen, unterdrückten Volkes, das einzig und allein einem heimlichen Hussitismus lebt; der spontane Widerstand gegen die deutschsprachige österreichische Obrigkeit (und gegen ihre römisch-katholische Kirche), den man bei einem tschechischen Intellektuellen am Anfang des 19.Jhs. leicht feststellen kann (da begann sich eben die tschechischsprachige Intelligenz überhaupt zu gestalten); die Idee eines staatsrechtlichen Patriotismus (der sich auf die längst nicht mehr existenten „historischen Rechte" stützte), das alles als indirekte Folge der allgemeinen Revolutionsprozesse am Ende des 18Jhs., hat die Toleranzidee im böhmischen Raum auf den Kopf gestellt. Die Sprache - das Tschechische - ist unter diesen Umständen zum schicksalhaften Faktor der neu beginnenden tschechischen Geschichte geworden. Der tausendjährige
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Siehe die umfangreiche, wertvolle, an Empirie reiche Studie von MËâTAN, Antonin: Geschichte der tschechischen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert, Böhlau Verlag, KölnWien 1984. Das ungeliebte Thema „Das Unbehagen an der tschechischen Kultur" habe ich in meiner kleinen Studie über den katholischen Philosophen Josef KRATOCHVIL „Philosophia perennis", München 1982, besonders die Absätze zwischen den Seiten 14 bis 21 und 27 bis 29 angedeutet- es geht um die unbehaglichen Verbindungen zwischen einem freidenkerischen Patriotismus einerseits und einem eng-national aggressiven AntiDeutschenhaß andererseits; die Verbindung von einer tief evangelischen Suche nach der Wahrheit im Sinne HUS' und gleichzeitiger Gleichgültigkeit den Falsifikationen gegenüber, wenn es z.B. um die Jesuiten und ihren Beitrag zur böhmischen Kultur ging; es geht also um die blinden Kreise einer pseudopatriotischen Ideologie, die sich mit der Freiheitsidee zugleich ausweist und diese bei ihren Gegnern leugnet. - Dem Lesenden heil ...
Aufenthalt der Tschechen im böhmischen Kessel hat ihre Sprache zu einer der entscheidenden Bedingungen für das nationale überleben gemacht. Die Sprache: in einem rudimental-anthropologischen Sinne, nicht bloß ein „Kommunikationsmittel", sondern die Basis einer kulturellen Aussage und Ausdrucksweise ... Der sogenannte Sprachpatriotismus des 18. und 19.Jhs. gehört da zu den merkwürdigsten Phänomenen der tschechischen Kulturgeschichte überhaupt, wie es zB an dem Streit zwischen DOBNER und DOBROWSKY deutlich zum Vorschein kommt. Hiob Gelasius DOBNER schrieb vorwiegend lateinisch, Josef DOBROWSKY beinahe ausschließlich deutsch beide haben sich jedoch für tschechische Patrioten gehalten und beide auch das tschechische Sprachproblem zu einem guten Teil zum Gegenstand ihrer Forschungen gemacht. Beide, sowohl DOBNER als auch DOBROWSKY - und mit ihnen zahlreiche andere Erwecker - haben die tschechische Sprache de facto gegründet; die weitere Generation tschechischer Wissenschaftler hat die tschechische Sprache aus den existenten Dialekten auf solche Art rekonstruiert, die an eine Rekonstruktion des Skellets eines Dinosauren ähnelt... Und die Dichter, die Schriftsteller, ein jeder Dorfschullehrer und Beamter begannen in dieser Sprache eifrig zu schreiben, so daß es bald schwer zu bestreiten wurde, daß die tschechische Sprache und Literatur tatsächlich lebt... Das alles sozusagen dem Gesetz der Geschichte zum Trotz. Die Strafe für diese sonst verdienstvolle Tätigkeit ließ nicht lange auf sich warten. Die tschechische Sprache, die zwar ein wunderbar nützliches Element und ein an sich wunderbares Instrument für die einheimische Literatur war, aber schon den nächsten slawischen Nachbarn als ein allzu kompliziertes und schwer verständliches Kommunikationsmittel erschien, hat die tschechische Kultur nicht nur verselbständigt und in-sich- integriert, sondern zugleich auch von der Welt unheilbar getrennt. Im übrigen erwies sich doch das Tschechische als ein äußerst dynamischer, lebensfähiger und rasch sich entwickelnder Faktor (ein jedes neue Exemplar der „Zeitschrift des Tschechischen Museums" der 20er und 30er Jahre ist in einer nahezu anderer Grammatik, zumal auch Orthographie geschrieben...) Die Sprache eines CERVANTES zB ist bis heute für die spanische Literatur der Kanon geblieben, während im Vergleich dazu die tschechische Sprache, wie wir sie Mitte des 19. Jhs. vorfinden, sich von der heutigen Schriftsprache ebenso unterscheidet, wie die Sprache eines LUTHERs von der eines HEGELs. Die Motive des Sprachpatriotismus sind historisch-politischer Art, und selbstverständlich gegen die Germanisierung (die zumindest seit Josef II. gewaltig im österreichischen Bereich im Laufe war) deutlich zugespitzt: nun, kaum eine andere slawische Sprache des 19. Jhs. ist auf solch aufrichtig „deutsche" Weise wie eben die tschechische entstanden. Man sprach tschechisch - man dachte deutsch: die Begriffen, ja die ganze Begrifflichkeit, die wesenhaften logischen Vorgänge und Verbindungen, sogar die ganze tschechische Denkens- und Forschungsmoral und -disziplin sind unverkennbar deutscher Herkunft. Die Tschechen übrigens gehören gleich mit den Schwaben, Sachsen und Preussen zu den eifrigsten, pünktlichsten, spitzfindigsten Wissenschaftlern Europas überhaupt - nun, wie gesagt, man spricht dabei tschechisch... Soweit scheint die geistige Situation der Völker im böhmischen Raum bis 1848 immer noch normal zu sein, und das Tschechische steht dabei keineswegs jenseits des Allgemein- Europäischen Denkens jener Zeit: die parallelle Existenz des „slawischen" Denkens ist aber schon damals als bloße Tatsache anerkannt. Dieser Tatbestand kommt einem allgemeinen Kulturbedarf entgegen, die Interessen des tschechischen Denkens im Rahmen des europäischen Kulturäquilibriums zu verwirklichen. Und niemand hätte damals daran gedacht, die neue Sprache als ein künftig trennendes Element Böhmens von der Rest der Welt zu
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betrachten: das Identitätsbild, das Identitätsbewußtsein der Tschechen, das einen europäischen Kontext der tschechischen Kultur als ein Mitkonstitutivum in sich einbezogen hat, war noch integral. Ja, es war eben ein noch-nicht-festgestelltes Bewußtsein einer neuen Kultur, von welchem her erst eine Zukunftsperspektive am Horizonte des Patriotismus sichtbar wurde... In der zeitgemäßen Literatur findet man eine heiße Sympathie zu Allem, nur Urslawischen, wenn auch dieser Hang am Slawisch-Gemeinsamen von den zum Teil fiktiven Voraussetzungen abhing Nun, bei allem Sprachpatriotismus und bei allen scharfen politischen Trennungslinien zwischen den Sprechern des „Königtums Böhmen" und den „Österreichern" wurde es doch zum unerschütterlichen Faktum, daß die Wissenschaft und Philosophie über den Rahmen der politisch-parteilichen Streitigkeiten hinausragte. Und die Sprache - die „nationale", die „Volks- und Muttersprache" hat doch keinen ernsten Interessenten daran gehindert, die ambitiösen Abhandlungen in Deutsch, in einer Weltsprache des 19. Jhs., abzuliefern... Die tschechischen Autoren, sogar auch Fr. PALACKY und noch viel später auch Thomas MASARYK gaben ihre Werke (ihre die tschechische Sache verteidigenden Werke...) sowohl deutsch als auch tschechisch, ja typischerweise zuerst in der deutschen und nachträglich auch in der tschechischen Sprache heraus - ein deutliches Zeugnis, wie untrennbar verschmolzen die Sprachkultur im böhmischen Raum im 19. Jhd. schon war. Man bezweifle überhaupt nicht, ob es auch solch eine zweisprachige Nationalauthentizität geben kann: man fragt nur nach jenem übernationalen Gedankenraum, innerhalb dessen eine frei denkende Persönlichkeit auch frei existieren kann. Nun, nicht an bloßen Hypothesen, sondern an tatsächlicher Geschichte wird die Freiheitsidee, in ihrer Wahrhaftigkeit, im eigenen und auch un-eigenen Sinne, betrachtet. - So auch das Schicksal der „Philosophie einer Nationalität". - Der Punkt am Horizont, zu dem sich die Parallelen bezogen, war nicht eben klar. Das von Hegel durch Palacky übernommene und mißverständlich interpretierte Historismusprinzip wurde zum schicksalhaften Verhängnis einer quasiphilosophischen Humanitätsideologie, welche zwar an das Transzendente der Menschenexistenz zu schwören schien, in der 'l'at dieser Idee jedoch einen durciiaus ambivalenten Naiionalinhalt zugeschrieben hat. Die neue, die patriotische Sittlichkeit der tschechischen Autoren forderte den ganzen lebendigen Menschen: sie sprach all seine Kräfte an, sie ließ ihn mit allen sich entscheiden und wollte ihn bis ins Kleinste und ins Letzte formen. Und sie hat den Tschechen des 19. Jahrhunderts in eine natürlich-antideutsche Rolle gestellt. In Wirklichkeit aber war es so, daß es einen solchen Widerstreit zweier quasi gleichberechtigter Gewißheiten weder gab noch geben konnte. Die tschechisch geschriebene und gelesene Philosophie entwickelte sich im engsten Kontakt mit dem geistigen Bewußtsein der deutschen Kultur. Die Sprache, die Universität, die Literatur, die Öffentlichkeit waren gemeinsam, der Weg in die Welt führte über die deutsche Schriftund Denkweise, und darüber hinaus. Obwohl sich die Philosophie einzelner Länder der Donaumonarchie verhältnismäßig selbständig entwickelt hat, war die geistige Verwandschaft mit der gleichen griechisch-deutsch- klassischen Tradition doch stärker als die national-trennenden Einflüsse, die vor allem von der Politik, weniger von der Wissenschaft einzelner Länder herrührten. Die Philosophie der alten Monarchie wurde, auf diese bescheidene Art, international: es gab kein „Österreich" (und gar keine
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„österreichische Philosophie" in der Tat), es gab keine Muttersprache („Deutsch" oder „Österreichisch"), doch aber eine einzige deutsche Sprache als wertvolles Kommunikationsmittel.
Der Werdegang des tschechischen, humanistisch orientierten Intellektuellen in den letzten hundert Jahren, wird durch eine sich immer mehr vergrößende Distanz charakterisiert, die ihn von der europäischen Kulturbasis trennt. Die tschechische Neugeschichte findet ihr entscheidendes Charakteristikum in einem rasch anwachsenden Anteil der einheimisch-kleinnationalen Elemente, durch welche das Gemeinsam-Böhmische allmählich verdrängt wird. Jeder der tschechischen Intellektuellen, der sich der „Tschechischen Frage" ernst gewidmet hat, hatte sich, früher oder später, jener Outsider-Rolle bewußt werden müssen, die den Tschechen durch ihr gesamtgeschichtliches Schicksal zuteil wurde. So blieb der ganze Reichtum des tschechischen philosophischen Denkens dem westlichen Leser imgrunde immer verborgen. Die Tschechen leben und lebten in ihrem eigenen Schatten, und nur ein winziger Streifen ihrer Zeitgeschichte - nicht immer repräsentativ - hat sie für Europa interessant gemacht. Nun, daß die Tschechen des 19.Jhs. ein Volk hartnäckiger Patrioten wurden, wie auch im übrigen die Tatsache, daß die allerhärtesten Charaktere Mitteleuropas in der zeitgemäßen Literatur von dem Deutschen Adalbert STIFTER und dem Tschechen Svatopluk CECH, in einmaliger Eintracht, eben im geistigen Klima Böhmens beschrieben worden ist: diese psychologische AutoCharakteristik ist schwer zu bestreiten. Schon beginnend mit der zweiten Hälfte der 6or Jahre tritt in der tschechischen Kultur eine neue Generation hervor, mit der die Hoffnung einer „großen Erneuerung" verbunden ist. Der systemologische Idealismus ist für diese Generation überhaupt nicht wichtig: zu neuen tragenden Themen der Philosophie werden nun der Gnoseologismus (die vor allem durch KANT inspirierte Erkenntnistheorie) und die neue, durch neue Entdeckungen immer mehr motivierte, Naturphilosophie. Unter diesen Gesichtspunkten kehrt die eigentliche Philosophie wieder zu den Einzelwissenschaften, nicht nur um sie zu belehren, sondern auch zu studieren, zurück, und lernt nun auch das Spezifikum einer denkerischen wissenschaftlichen Arbeit kennen. Es ist nicht nur KANT, sondern auch Arthur SCHOPENHAUER (welcher zur großen Inspiration für den mythischen Gründer des tschechischen „Sokol", Miroslav TYRS, wird), es sind auch SCHELLING und OKEN, Franz Xaver BAADER und Karl KRAUSE (ein zeitgemäß in ganz Europa unglaubwürdig wirksamer Autor), und es ist vor allem Johann Gottfried HERBART, die erste philosophische Autorität der Donaumonarchie, die die Entwicklung der tschechischen Kultur nicht nur - als bloße Paten - schweigsam mitbedingt, sondern wirksam mitgeprägt und durchaus motiviert haben. -Noch um einhundert Jahre später ist die Spur eines späten Herbartismus bei dem, der Reihe nach letzten, „bürgerlichen" Philosophen Josef KRAL ganz leicht zu finden. Und noch bei dem ersten bedeutenden marxistischen Philosophen Ladislav RIEGER ist eine gründliche Portion von kantischen Residuen wirksam. Das ist, das heißt: deutsche philosophische Tradition in B ö h m e n Ein vielzitierter BOLZANO, wenn er auch so einen schönen italienischen Namen trug (und wenn man ihn freundlicherweise einfach für einen „Prager" heute hält) war nicht weniger deutsch als ein Romano GUARDINI in München. Nun, es gibt von Zeit zu Zeit auch Themen, von denen man lieber weder schreiben noch reden will.
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Es gab zwar ein viermaliges Prag, an dem selben Ort, ein Prag der deutschen Universität, der Offiziere, Beamten, Pastoren,Intellektuellen; ein Prag eines Franz KAFKA und der Seinen; ein adeliges Prag, links von Moldau, und ein plebäisches Prag eines Josef SVEJK (SCHWEYCK...) etwa: nun Kultur, die Kultur, die blieb gemeinsam. Sofern es eine Kultur - als Problem - ohne das Fragezeichen einer Philosophiegeschichte geben könnte, soweit hätte man auch die Geschichte auf gewisse reduktionistische Art als die Geschichte der Politik plus politischen Persönlichkeiten behandeln können. Ich bezweifle, ob es überhaupt möglich ist; es wäre, jedoch blinderweise, kaum eine andere Hypothese, als eben diese eminent falsche, in der gegenwärtigen Literatur zu finden. Nun, worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man doch kaum schweigen. Die Entwicklung der „böhmischen" Philosophie im 19. Jahrhundert zerfallt in drei mehr oder weniger deutlich geschiedene Stadien, die auf das Klassisch-Philosophische (der deutschen Philosophie vor allem) zurückzuführen sind: der Begriff eines .Jahrhunderts" bedeutet da keine kriteriale Linie im engeren Sinne. Im Sinn einer geschichtlichphilosophischen Klassifikation sind da, als Ausgangspunkte der böhmischen Philosophie des 19. Jahrhunderts, zu nennen: 1781 - die KANTsche „Kritik der reinen Vernunft", 1807 die HEGELsche „Phänomenologie des Geistes", 1828-1829 die HERBARTsche „Allgemeine Metaphysik". (Zum Vergleich mit diesen drei Konzeption hat J.G. FICHTE in Böhmen kaum eine bedeutende Spur hinterlassen - ein wichtiger Unterschied zur Philosophieentwicklung in Deutschland). „Böhmisch" heißt da „deutsch + tschechisch" (im sprachphilosophischen Sinne wohl das gleiche wie „deutsch", zumindest bis zum Jahre 1853) gemeinsam. Im engeren Sinne wird wohl die „tschechische" Philosophie vor allem der subjektiven Intention einiger Autoren nach, von der deutsch-geschriebenen zu unterscheiden, ohne dabei das Gemeinsame einer „böhmischen" Philosophie zu widerlegen. - Oder: die Philosophie meines engeren und weiteren Vaterlandes. Nun, von diesen drei wurde vielleicht nur der dritte, der Zufälligste und Unwichtigste, J.G. HERBART nämlich (vielleicht, Dank seiner pädagogischen Autorität, PESTALOZZI) von den tschechischen Autoren tatsächlich begriffen. - Warum? - Es gibt kaum ein „Warum" für den Herbartismus - nur das vielleicht, daß HERBART (zum Vergleich mit dem schweren HEGEL) viel verständlicher und pädagogischer wurde. Was aber die patriotische Linie der tschechischen Philosophie an KANT und HEGEL fand, das verdient zumindest einer Bemerkung. Für KANT spielt das Phänomen „Geschichte" kaum eine bedeutende Rolle: Geschichte liegt in jenem subjektiven zeiträumlichen Bereich, innerhalb welchem sich zuerst die Kraft der Vernunft verbreiten muß, bevor überhaupt etwas entstehen kann. - Trotzdem wurde es KANT, der für KOLLAR zum entscheidendem Ausgangspunkt der patriotischen Geschichtsphilosophie wurde. KANT wollte (trotz seinem „gestirnten Himmel über mich") kaum als ein Religionsphilosophe für seine Zeit gelten (nun, er war dies je mehr, desto weniger er die Gottesfrage als den Gegenstand einer bloß rationellen Analyse verstand) - KANT hatte mit seiner Gnoseologie, mit seiner „Kritik der reinen Vernunft" (und erst dann, vielleicht, mit seiner „Kritik der praktischen Vernunft") eine neue, großartige Ära der Philosophie eröffnet. - Für MASARYK gilt KANT jedoch als ein Religionsphilosoph, von welchen her eben die evangelische Motivation der tschechischen Wiedergeburt zu begreifen sei. KANT erklärte die ganze erkennbare Welt des Menschen für dubiös, und der Philosophie hat er die Rolle einer fundamentalen Gnoseologie zugeteilt: die tschechische Tradition, mit KOLLÁR beginnend, scheint aber eindeutig erkenntniss- optimistisch zu sein,
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und die agnostische Skepsis KANTs hat die tschechischsprachige Literatur lange Jahre kaum berührt. Die nachträgliche Korrektur dieser echt merkwürdigen KANT- Rezeption in Böhmen wurde erst durch die späteren Herbartianer (vor allem DURDÍK) durchgeführt - nun, um den Preis einer hochpriesterlichen KANTs-Deutung, die mehr an die religiöse Verehrung eines Heiligen als an eine schöpferische Philosophie erinnerte. - Wenn auch KANT keinen schlechten Ehrgeiz hatte, ein „Klassiker" zu sein... Das Schicksal der Philosophie HEGELs in Böhmen des 19.Jhs. hat sich doch noch merkwürdiger als das der Kantischen gestaltet. Der alte PALACKY wollte über seine hegelianische Anfänge nichts hören. Für MASARYK ist HEGEL sogar der Ursprung alles materialistisch-marxistischen Übels und ein Synonymum für die Verwirrung in der Philosophie. Die Deifizierung der Geschichte durch HEGEL entspräche dabei ausgerechnet dem politischen Programm der tschechischen Parteien, die ihre Argumentation auf dem historisch-staatsrechtlichen Material aufgebaut haben. Die Einwände gegen HEGEL in Böhmen rührten zum Teil von dem Wiener Reglement der Monarchie (die tschechischen Herbartianer haben dabei oft die Rolle der Gerichtsvollzieher gespielt), zum Teil von den antideutschen Vorurteile her: begriffen wurde die wahre Philosophie HEGELs in Böhmen, nach wie vor, kaum. Und für MASARYK wurde HEGEL sogar zum ausgesprochenen Stolperstein im politischen Wege. Denn: für HEGEL gibt es sogar kein religiös-anthropologisches Problem an sich, das im Jenseits der Geschichte sein dürfte: das Individuell-Egoistische zerstreut sich, zerschmolzt sich in der geschichtlichen Dialektik eines Drangs zur Freiheit, zu welcher der Mensch zwangsläufig, mit der Kraft einer anonymen Notwendigkeit zuletzt gelangt, möge er es oder möge er es nicht. Nun, für Thomas MASARYK, welcher seine eigene Philosophie eben auf den Spuren des klassischen Individualismus, eines Jeremy BENTHAMs, eines John St. MILLs, eines Auguste COMTEs fand, wurde HEGEL ein echtes Beispiel der falsch-deutschmarxistischen Metaphysik. So gewann in Böhmen zuletzt die dritte, die echt anachronne Alternative eines Herbartismus, eines gemildeten Halbkantianismus, mit vielen Ausläufern ins Feld zeitgemäßer Wissenschaften (vor allem Psychologie) - eine typische Philosophie des verspäteten böhmischen Biedermeiers, einer gleichwohl selbstzufriedenen bürgerlichen Idylle von damals. ***
Dieses Welt der tschechischen Kultur von hundert Jahren, diese militant tschechische und doch gut K.K.österreichische Idylle scheint schon damals eine vollendete, beinahe abgeschlossene geistige Epoche zu sein. Am Horizont des langsam sich ermüdenden Jahrhunderts erscheint, in gebrochenen und gedämpften Farben, eine matte Kontur des Vergangenen: und nur vergilbte Seiten der, noch mit kalligraphischer Akribie gesetzten Bücher, überzeugen uns davon, daß es bereits damals eine tschechische, ansehnliche, ihres Namens würdige Philosophie gab - in ihrer Denkweise klar und deutlich, in ihrem Ausbau und Intention gründlich und vollständig: die Dachkonstruktion des tschechischen Pantheons, wie er von den Erweckern erträumt, begründet, und von den patriotischen Mäzenen wohlwollend in die Geschichte Europas hineingesetzt wurde... Nun, diese Biedermeiergeschichte der tschechischen Kultur ging zumindest seit den 80. Jahre ihrem Ende entgegen. Mit dem Auftritt von Th.G. MASARYK - am Bruch von zwei geistigen Traditionen - scheint eine neue Epoche aufzubrechen. Eben dies Wort sollte gut überlegt werden: denn von einem bloß politischen Standpunkt her ist ein MASARYK-Phänomen kaum, ja überhaupt und gar nicht zu begreifen. Ein sogenannter materialistischer Standpunkt wäre da zu eng: dies ist eine Geschichte
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des Geistes - die Historiographie geistiger Persönlichkeiten, ihrer Initiativen und Intentionen, von denen her die Logik der Geschichte erst als sinnvoll erscheint. Das „höchste Prinzip des Wissens" (SCHELLING) ist das Sich- Selbst-Bewußtsein, oder bloß „das Ich"; die höchste Bestimmung des (wohl geschichtlichen) Ich liegt darin, daß es sich selbst denkt: denken kann... In ihm sind das Subjektive (als das Denkende) der Geschichte und das Objektive (als das Gedachte) der Geschichte, und nicht nur der Geschichte, eins. - Es biete sich da eine suggestive Parallele zum Baruch SPINOZAs Natur-Begriff, wonach einmal die Natur subjektiv (als natura naturans), zum zweiten Male als objektive „Natur", natura naturata, erscheint, diu zu denken ist. Es bleibt wohl zuletzt das sachliche Übergewicht der „Intelligenz" (dh. des denkenden Menschen) festzustellen: der Intelligenz, die als Selbstpotenzierung des sich-selbst-begreifenden Ich erscheint, der Natur gegenüber, in der die Subjekt-Objekt-Beziehung als endgültig objektiv bleibt. - Unter diesem Gesichtspunkt ist auch über die geistige Persönlichkeit „MASARYK" zu denken. Der politische Denker MASARYK wurde, durch die gesamte Logik seiner Staatskonzeption, dazu gedrängt, die geschichtliche Rolle der böhmischen Reformation, der Lehre H U S ' (ohne welche es kaum eine Reformation des lö.Jhs. gegeben hätte), die Rolle des COMENIUS und der „Brüderlichen Einheit" zu betonen: aus diesen Quellen stammt die Begründung der „Tschechischen Frage" bereits bei PALACKY und KOLLAR, bei HAVLICEK und seiner Generation her. Es wird dabei wohl leicht vergessen, das das religiöse Phänomen des „Tschechentums" sich kaum eindimensionalkonfessionell artikulieren kann, wie man übrigens auch leicht vergißt, daß die Motive und Grundelemente einer jeden Reformation im Bereich des, seinem Ursprung nach, christlich-religiösen Denkens liegen. Ohne diese Annahme wäre es schwer, die Grundvoraussetzung von MASARYK, daß die geistige Logik des tschechischen Denkens aus den abgründigen Tiefen der religiösen Orientierung der tschechischen Existenz hervorgeht, zu akzeptieren. Nun, auch dann darf man mit Recht danach fragen, ob die SCHELLINGsche Frage nach dem grenzenlosen Ich (als dem eigentlichen Subjekt eben der Freiheit!) durch die volksreligiöse Hypothese tatsächlich beantwortet wurde. In den Schriften MASARYKs scheint ebenso viel ausgedrückt wie auch verschwiegen zu sein: ein Abzeichen eines Politikers, der einfach nicht in der Lage ist, die Gegenargumente entsprechend hoch zu schätzen. Das Ungehagen an der Persönlichkeit MASARYKs: er reißt seine Anhänger mit... Nichts ist charakteristischer für die Rauschperiode der neuen CSR als der Umstand, daß eben der imgrunde skeptische MASARYK zu einer ,^religiösen Persönlichkeit" einer neuen, eben gegründeten Nationalkirche aufgerufen ist. - Und, der große Bahnbrecher der Liberalitas Bohémica ließ es zu... Nun, sei es auch als ein Akt der großen Individualität zu betrachten, so kommt hier dort etwas Allgemeineres zum Vorschein. Der Gebrauch der politischen Vernunft war der tschechischen Philosophie immanent und nicht eben durch diese oder jene Lösung der Frage nach der transzendenten Erkenntnis von Dingen an sich bedingt. U m es einfacher zu sagen: in der tschechischen Moralphilosophie der Zeit MASARYKs stand im Mittelpunkt das Interesse an der Selbstbeziehung der tschechischen Kultur zu ihren eigenen Akten, nicht so sehr an der kulturphilosophischen Umwelt. Daher kommt auch ein gewisser patriotischer Isolationismus und ein behutsam durch die Interessen eigener Sache selbstbegrenzt artikulierter Standpunkt des „Tschechentums". Als sich ein Ausnahmemensch seiner Generation. Ladislav KLIMA, gegen das Diktat des Möchtegerne-Patriotismus gewendet hat, wagten die Landesväter von „Sokol" nicht, gegen KLIMA ein Rundschreiben herauszugeben... Wobei KLIMA an nichts anderes
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erinnert hatte, als eben an die ursprünglichen Ausgangspunkte von „Sokol", dh. gemäß KLIMA „das Tschechenheer zu sein" ... So groß, so klein war die Zeit... Es ist die Wette MASARYKs um die Persönlichkeit. Er möchte Tat sprechen, Zukunft und Wiedergeburt, er will die Erlösung bringen: er ist aber unter den selbstunsicheren, mittelmäßigen (doch starken und fähigen) philosophischen Bürgern gelandet, die jede revolutionäre Zukunft befürchten und an keine Wiedergeburt (sofern sie mit ihrer eigenen Existenz nicht identisch ist) glauben: so lassen sie MASARYK vierzehn Jahre lang auf seine endgültige Selbstbestätigung warten... Er war schwierig, und hat es den Anderen nicht leicht gemacht: kein Vorteil für ihn, kein Glück. MASARYK, der Savonarola des bürgerlichen Prags, kündet ein erlösendes Vorwärts der Humanität. Die hohe Dimension der tschechisch-religiösen Tradition, das Erbe der Sprache und des Glaubens, im Zeichen der Griechen, der Renaissance und des Neuhumanismus erschaut, soll dem fragmentär gewordenen tschechischen Menschen Ganzheit und Größe wiedergeben: ein Heroismus der Hoffnung, dem das Schwerste zum Leichtesten wird. So kündet er das große Sursum einer Zukunftskultur, einer Zukunftsreligion und -philosophie, die jedoch ohne PLATO und JESUS, ohne HUS, COMENIUS, HERDER, ROUSSEAU, auch nicht ohne KOLLÁR, PALACKY und HAVLÍCEK möglich wäre. Sein weltgeschichtlicher Prozeß der Magna Instauratio tschechischer Kultur, der Werdegang einer tschechischen Utopie, mit dem unerlösbaren Residuum der kleinlichen Gegenwart, beruft überhaupt an kein hergebrachtes und satzungsmäßiges Gericht (das es für die Tschechen nie gab), sogar nicht an die „Revolution" selbst, sondern nur an das Pro et Contra der gesamten Humanität, und zuletzt auch seiner eigenen, persönlichen Existenz. So weiß MASARYK manchmal nicht, wann er genug gesagt hat. Die Worte tun ihm eben nie genug. Und, weil er die Objektivation seiner Projekte über lange Jahre hinweg nicht findet, geriet er schließlich in Überschwänge der explodierenden Subjektivität, die ihn wieder noch enger von der tatsächlichen Öffentlichkeit trennt. In seiner emphatischen Begeisterung verwechselt er oft Krieg und Frieden - ein üblicher Fehler aller Rebelle - so vertritt er, nicht nur für sich selbst, sondern als einen Bestandteil seines Programms die realpolitische Devise, „Besser noch hart getan als klein gedacht" - so verachtet er das Träge und Kleinliche der tschechischen Politik, so läßt er sich auch leicht über das Alltäglich-Bürgerliche und über das SnobistischPseudokulturelle zum scharfen Ton ausprovozieren. Sein eigenes Selbst bleibt jedoch die ultima ratio seiner Reflexion, seiner Politik, seiner Philosophie. So verwechselt er leicht auch die Scheinprobleme (die seinem persönlichen Interesse nahe liegen) mit den objektiven Problemen der tschechischen Politik: wie es sich deutlich in Streit um ein echtes Pseudoproblem, um den „Sinn der tschechischen Geschichte" erwies. - So bleibt er mitdabei der schärfste antideutsche Sprecher der tschechischen Philosophie überhaupt. Die politische Phänomenologie der tschechischen Kultur im 19. Jhd. ist zu einem guten Teil auf die geistigen Derivaten der „religiösen" Residuen der Zeitgeschichte zurückzuführen: eben in diesem Sinne wird die „tschechische" Frage mit einer kritischen Suche nach dem Sinn der Geschichte verbunden. Denn eine tschechische Kultur, wenn auch an sich bloß politisch-geschichtlich bedingt, wurde imgrunde durch das Geistige ihrer aussergeschichtlichen Existenz vorbedingt : durch die religiös-philosophische Tradition ihrer tausendjährigen Existenz. Bis
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zu diesem Punkt hat MASARYK mit Recht auf die geschichtlichen Ansprüche der tschechischen kulturellen Selbständigkeit verwiesen. Nun, aus dem einst MetaphysischReligiösen is durch den politischen Alltag das pragmatisch-politisch reduzierte Modell geworden, bei dessen Akzeptation man auf die gute Hälfte der geschichtlichen Empirie (handle es um die geistige Präsenz des deutschen Christentums in böhmischen Raum, handle es um die katholische Tradition der Tschechen überhaupt) zu verzichten hätte. Und, ab diesem Punkt der ansonsten notwendigen Geschichtsanalyse, denkt MASARYK nicht mehr mit. So wird bei MASARYK der Analyse der „tschechischen Frage" von Anfang an die Chance abgenommen, eine integrale Alternative für alle, im böhmischen Bereich beteiligten, Kulturen zu bieten. Noch für die Generation MASARYKs ergab sich die Möglichkeit, den Weg einer höheren Entwicklung (oder eines Niedergangs) der tschechischen Kultur zu wählen: das K.K. Reglement hat dagegen kaum einen wirksamen Widerstand geleistet. Noch für die Generation MASARYKs gab es unterschiedliche Modelle für die Zukunftsexistenz der Tschechen in Europa, unter denen es zu wählen galt: und der tschechische Intellektuelle wurde dem schmerzhaften Moment dieser schicksalhaften Wahl - der Wahl zwischen einem Gewissensgebot und einer wertlosen Transformation „über sich selbst hinweg" gegenübergestellt. Nun, für die Generation MASARYKs entsteht ebenso bereits die geistige Situation, in welcher parallel zum Heroismus einiger Einzelpersönlichkeiten die geistigen Feuer der religiösen Motivation allmählich erlöschen: der freidenkerische Atheismus des Jahres 1918 ist dann schon eine bloße Tatsache. Der ,/eligióse Charakter der tschechischen Frage" scheint einer der inspirativsten, zugleich aber einer der problematischsten Gedanken MASARYKs zu sein. Das Hermeneutische dieses Gedankens fällt mit der Idee einer möglichen Bedeutung der tschechischen Kultur für Europa zusammen - einer gut begreifbaren. Idee für einen Jeden, der solch einen mühsamen Weg der Tschechen an das Licht der Weltkultur beobachtet hat - nun: die Antwort auf die „tschechische Frage" wird durch eine gnadenlose Analyse der tatsächliche-religiösen Voraussetzungen des tschechischen Denkens in der geschichtlichen Gesamtheit vorbedingt. Und auch von den fleißigen Zeitgeschichtlern des rotweißen Patriotismus darf nicht abgesehen werden. Mit einer nahezu spielerischen Leichtfertigkeit hat man von Zeit zu Zeit etliche politisch-populäre Personen auf die Seiten der Lehr- und Kinderbücher gebracht, um wieder eine neue „Nationaltradition" (um welche sich immer sehr unterschiedliche Parteien bemühten) zu gründen - andererseits fiel es auch der offiziellen tschechischen Historiographie (der drei nacheinander folgenden Generationen) nicht schwer, über die Bedeutung eines Josef PEKAR, eines Antonin DVORAKS, eines Ladislav KLIMAs zu schweigen, sofern sie sich nicht dem einen oder anderen patriotischen Klan angeschlossen haben. So weist die tschechische Historiographie der geistigen Kultur auch ein zumindest dreifach kompliziertes Bild - eine evangelisch-tschechische (und im engeren Sinne „patriotische") Tradition; - eine katholisch-universelle („europäische") Tradition; - und eine übernational-böhmische (und im engeren Sinne „weltbedeutende", vor allem aber auf der jüdischen Kultur von Prag und Brünn gründende) Tradition auf: nun nach einem integralen Bild einer tschechischen Kultur wäre es aber schwer zu suchen. Durch den (wohl wichtigen) Anteil der deutschen Geistesgeschichte am kulturellen Schaffen im böhmischen Raum wird das genannte Problem noch multidimensional kom-
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plizierter gemacht. Man sprach deutsch, man dachte antideutsch: so gingen, merkwürdigerweise, aus dem gemeinsamen Flußbett einer Donaumonarchie nicht weniger als acht geteilte Sprachversuche, nämlich Tschechisch, Slowakisch, Serbo-Kroatisch, Slowenisch, Polnisch, Ukrainisch (Ruthenisch), Ungarisch und Rumänisch hervor, durch welche man nach 1918 versucht hat, die Weltschöpfung noch einmal zu wiederholen... Die „Tschechische Frage" ist ein kleines Teilchen dieser imgrunde österreichischen Thematik geblieben... Es war übrigens ein immer noch idyllisches Zeitalter, die Welt existierte noch in der Form einer kontinuierlichen Ganzheit, und über die grundlegenden Werte, über die Menschenwürde, sinnvolle Arbeit und Familie bestand noch keinerlei Zweifel...
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2. Träumer, Gründer, Romantiker: Zum Auftakt der tschechischen Philosophie (Das geistige Klima am Beginn des 19. Jahrhunderts in Böhmen. Die Einflüsse des Romantismus. Die endgültige Begründung einer neuen Sprache. J. Jungmann. Die Slawisten und Ethnographen: Fr.L. Celakovsky, K.J. Erben. Die Anfänge einer großen Literatur. B. Nëmcovâ. K.H. Mâcha.)
„Philosophie ist eine Ideenlehre, d.h. die Orientierung des Menschenlebens zum Göttlichen ... Sodenn ist sie für unser ganzes Leben bedeutsam: nicht nur für den Erkenntnisbereich, sondern auch für unser Verhalten ..." (Fr. PALACKY, .Ästhetik", 104)
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Die endgültige Begründung einer neuen Sprache: Josef JUNGMANN „Du nie besiegter! Nun, meine Brüder, Über dem fürs Volks geweihten Werk Zu den Rechten zu stehen, Gegen die Unterdrückung durchs freche Pöbel Und den bellenden Neid der Feinde - stärken wir die Gelübde! Unserer reichen Sprache die Reinheit treu zu behüten ... ! Immer wann nur unser Blick auf seine riesigen Bücher fallt, In dankbarer Flamme, Die Freude in unserem Herz erscheint: 'Hoch lebe Jungmann!' Im Herzen die Freude des Vaterlandes vieler Söhne erscheine: 'Hoch lebe Jungmann!' (Fr.L. CELAKOVSKY, „Unserem P. Josef JUNGMANN", 268)
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Unter S E I B T und M E I S S N E R w u r d e noch Josef J U N G M A N N 1 ausgebildet, der führende Geist der tschechischen Kultur seiner Zeit, der Schöpfer des ersten wissenschaftlichen W ö r t e r b u c h s der tschechischen Sprache. J U N G M A N N übersetzte C H A T E A U B R I A N D , M I L T O N , G O E T H E , S C H I L L E R , V O L T A I R E , daneben aber auch die altrussische Klassik ins Tschechische: so hat er zu einem guten Teil die tschechische Sprache in ihrer neuzeitlichen Gestalt erneut. Josef J U N G M A N N beginnt gleichsam die „tschechische Schule" zu organisieren: er wird, er m a c h t sich z u m entscheidenden und wichtigen Urheber der tschechischen 1
JUNGMANN, Josef, am 16.7.1773 in Hudlitz bei Beraun (Böhmen) geboren - er studierte in Prag (1792-1795), Philosophie und Jura (wobei er ganz persönlich von Prof. Stanislav WYDRA beeinflußt wurde). 1799 Gymnasialprofessor in Leitmeritz, 1815 am Prager Altstädter Gymnasium (dessen Präfekt er 1834 wurde). 1845 emeritiert starb er in Prag am 14.11.1847. Jungmann hat die Begründung der Revue „Krok" 1821 inspiriert, wie er im übrigen im Zentrum der patriotischen Initiative stand. Die Revue „Krok" erschien zwischen 1821 und 1836 - nun, in der Tat gibt es nur drei komplette Jahrgänge. Manche begonnenen Jahrgänge sind (möglicherweise aus finanziellen Gründen) unvollendet geblieben. Der Untertitel von „Krok" heißt: „Öffentliche allgemeine Schrift für die Gelehrten der tschechisch-slawischen Nation" („Weregny spis wsenaucny pro wzdëlance národu cesko-slowanského"). Der Name „Krok" bezieht sich auf den mythischen Begründer des Slawenreiches in Böhmen, den König „Krok" („Kork" - vermeintlich urslawischer, in der Tat eher normannischer bzw. nordischer Herkunft, da die Slawen bekanntlich keine Staaten gründeten) ihn gab es aber kaum. Wie auch bei manchen anderen Namen solcher Art geht es auch in diesem Fall um eine durch das von W.W. Hanka verfaßte Falsum „Manuskripte" ansuggerierte Fiktion, die das patriotische Bewußtsein zu stärken hatte. Von einem unbefangenen Standpunkt gesehen würde der heutige Leser dieser Revue „Krok" als eine durchaus moderne Zeitschschrift bezeichnen dürfen: sie enthält in nuce alle Themen, die man in folgende Klassen differenziert: Sprachwissenschaft, Ästhetik, Gewerbe, Geschichte, Philosophie, Naturwissenschaft, Medizin, Rezensionen, Mitteilungen, Berichte, Ankündigungen, Zur Ermunterung, Desiderata, Fragen. Davon sind Ästhetik und Naturwissenschaft am meisten vertreten. Die Revue „Krok" folgte zielbewußt auch dem Weiteraufbau der tschechischen Sprache nach: eine besondere Kolonne wurde den „wenig bekannten Worten", d.h. ihrer Deutung und Klärung, ihrer Verbreitung, einfach pädagogischen und sprachlich-didaktischen Zielen vorbehalten. Aus den wichtigeren Abhandlungen philosophischer Prägung, die in „Krok" veröffentlicht wurden, könnte man notieren: STEWARD, Dugald: „Allgemeine Übersicht der Fortschritte in der metaphysischen, ethischen und politischen Philosophie seit der europäischen Neuzeit", Krok, 1, 1823, Nr. 2, 48-63 (Übersetzung aus dem Englischen; der Artikel behandelt die Zeit und Philosophie von Francis BACON; die angekündigte Fortsetzung fand nicht mehr statt.) - „Episoden aus dem Helden-Epos 'Rama-Jama'" (übersetzt von W.W. Hanka, Krok, 2, 1831, Nr. 1, 9-29; „Über die Logik", Krok, 2, 1831, 553-578. (Der Artikel enthält die allererste tschechische Definition der Logik übrigens: „Logik (oder 'Denkerei') ist die Lehre ordentlichen oder echten Denkens". Im weiteren werden die Grundthesen der Aussagen-Logik behandelt.) - JUNGMANN, Antonin: „Kurzer Inhalt der heidnischen Religion bei den Slawen", Krok, 2, 1831, Nr. 3, 339-392. (Eine Abhandlung des slawischen Polytheismus, mit einem 'alphabetischen Register' der heidnischen Götter und Göttinnen (insgesamt ca. 450 Namen), mit Hinweisen darauf, von welchem Volk die Namen übernommen worden sind. Ein Grundwerk der tschechischen Religionswissenschaft.) - TASSO, Torquato: „Befreites Jerusalem", 2. Gesang (übersetzt von S. Gunica), Krok, 3, 1836, Nr. 1, 1-21; HOMÉROS: „Illias", VI. (übersetzt von J. Vlcek), Krok, 3, 1836, Nr. 3, 321-337. - OV1DIUS, Publius Naso: „Metamorphosen", X, 244, Pygmalion (übersetzt von Fr. Susil), Krok, 3, 1836, Nr. 4, 492-493. Zur sprachlichen Konzeption JUNGMANNs siehe: JUNGMANN, Josef: „Über die Differenzierung der tschechischen Schriftsprache" („O rûznënj êeského pjsemnjho gazyka") CCM, 6, 1832, Bd. 2, 170.
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Zeitgeschichte, von welchem Manches, wenn nicht gerade Alles abhängen wird. So setzt er auch zielbewußt Akzente der tschechischen Kulturpolitik, mit der Sicherheit eines Berufenen: er nennt und lobt ("unser lieber wichtiger SAFARIK", „der hervorragende KOLLÁR") 2 , verdrängt dabei aber „die Andersdenkenden", DOBROWSKY zum Beispiel (ein slawisierender Deutscher heißt es bei JUNGMANN) 3 , um die „echten Tschechen" (die er glaubt gefunden zu haben) von den „unechten" unterscheiden zu dürfen. 4 Dieser allerwichtigste Autor der beginnenden tschechischen Kultur ließ sich besonders in seinem literarisch-historischen Werk durch Fr.M. PELZELs „Geschichte"5 inspirieren. Eine selbständige Geschichtsphilosophie schuf JUNGMANN nicht. Er stand unter dem Einfluß der Philosophie KANTs und vertrat restlos den streng rigoristischen Standpunkt einer evangelisch- tschechischen Tradition, ohne dabei an der böhmischbrüderlichen Konfessionalität interessiert zu sein. Die persönliche Ausstrahlung JUNGMANNs ebenso wie auch sein wertvolles Werk 6 veranlaßten eine ganze Generation tschechischer Intellekter ihre geistige Potentialität der Weiterentwicklung der „tschechischen" (nicht also „böhmischen") Literatur im engeren Sinne zu widmen. Unter Anderen war es sein Freund, Antonin MAREK (1785-1877) 7 , der unter den Einfluß seines Meisters das erste tschechisch geschriebene Lehrbuch der Logik schuf. Ein anderer Autor dieser Generation, Karel Ferdinand HYNA (1802-1881) hat der tschechischen Kultur das erste tschechisch geschriebene Lehrbuch der Psychologie gestiftet. 8 Das alles sind wohl Anfänge, die mit dem bestehenden Niveau der tatsächlich existierenden Philosophie in Böhmen kaum zu messen wären": das Phänomen der neuen Sprache bestand auch darin übrigens, daß diese ersten tschechischen Protophilosophen in der Lage gewesen sind, ihre Werke in einem wesentlich besseren Deutsch oder sogar Lateinisch zu schreiben. Nun, sie haben ihren Auftrag, im Nebel eines patriotischen Wunschdenkens, wohl anders gesehen. So bleibt nur noch die Frage übrig, ob dieses Trotzwerk der pseudotschechischen philosophischen Terminologie doch der beste Weg „in die weite Welt - ohne Geld" (wie passend kommt da das Motto NESTROYs für die tschechische Kultur vor...) war... Nun, so geschah's. Das „stille Genie" JUNGMANN, der große Magier, hatte solchen Fragen einen „sprachwissenschaftlichen Vorbehalt" vorgeschoben und sein persönliches Charisma als Garantie einer letzten Instanz angeboten: so wurde dies auch akzeptiert. - Und seitdem die tschechische Wissenschaft die sonst deutlichen Fragezeichen dieser Kulturorientierung tabuisiert hatte, wurde auch JUNGMANN, als eine überparteiliche, monumentale Person der tschechischen Kultur immer verehrt.9 2 3 4 5
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„Über die Differenzierung der tschechischen Schriftsprache", CCM, 6, 1832, Bd. 2, 170-171. Ibid., 181. Ibid., 181. „Geschichte der tschechischen Literatur", Prag 1825. - Siehe auch „Erinnerungen" („Zápisky"), Prag 1817 (2. Aufl. 1907). JUNGMANN, Josef: „Gesammelte Schriften", Prag 1841; 2. Ausg. in 3 Bd. 1869-1873; „Auswahl" Prag 1918. MAREK, Antonin: „Umnice" („Logik" - der tschechische Neologismus war wenig glücklich gefunden und wurde auch später nicht mehr akzeptiert, Prag 1820; 2. Aufl. 1844.) HYNA, Ferdinand: „Duäeslowj zkusebné" („Empirische Psychologie"), Prag 1844. - Auch ein künstlich erfundener Name, der von den späteren nicht übernommen wurde. JUNGMANN, ein typischer „Sprachpatriot", hat das Schwergewicht der „Nationalerneuerung" ins Gebiet der neuen Sprache verlegt. So vor allem in seinen sprachlichen Richtlinien („Über die tschechische Sprache" - „O jazyku ceském", Prag 1806) und in seiner „Literatur"(„Slovesnost", Prag 1820), dem ersten Lesebuch der tschechischen Sprache überhaupt
Der erste wirkliche Versuch einer tschechischen philosophischen Terminologie stammt doch von einem anderen, ebenso grundlegend konzeptionell denkenden Autoren her - der eigentlich keinen berufsphilosophischen Rang anstrebte - von Franz PALACKY. 10 In seinem „Versuch" wurden die Hauptbegriffe (z.B. „Sinn", „Zweck", „Wesen", „Ganzheit", „System", „Mitte", „Schicksal", „Gestalt", „Bestimmung", „Wissenschaft", „Intention", „Gegensatz" u.a.) im Sinne einer aristotelisch-hegelschen Metaphysik untersucht. Ein Namensvetter der gleichen Generation, die von Josef JUNGMANN so deutlich beeinflußt wurde, Antonin Jan JUNGMANN, ein Naturwissenschaftler, hat in „Krok" zum ersten Male in einem tschechischen Text das Wort „Anthropologie" benutzt. In seiner Abhandlung „Die Menschenlehre oder Anthropologie" 11 stellt sich da der Autor zur Aufgabe, die wissenschaftlichen Kriterien der zu entstehenden neuen Wissenschaft zu interpretieren: der Mensch sei demnächst ein Lebewesen, ein Säugetier: seiner Herkunft nach wahrscheinlich von Asien her: durch seine Körpereigenschaften den Tieren überlegen und wesentlich von ihnen unterschieden: es gibt vier Menschennaturen, Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melancholiker... Zum Thema „Kulturanthropologie" äußert sich auch die Abhandlung „über die Entstehung der Menschengesellschaft" 12 - der Autor, Jan Slawoj TOMICEK, gehörte zu den eifrigen wissenschaftlichen Aufklärer seiner Zeit. „Die Weltfrömmigkeit 13 ... ist als die Teilhabe des Menschen an der Natur Gottes, und als das Abbild Gottes im Menschen zu verstehen." (Fr. PALACKY, „Ästhetik", 100-101.) Am Anfang der tschechisch-geschriebenen Philosophie spielt ein Fr. PALACKYs Wort, „die Weltfrömmigkeit" 14 , eine wichtige Rolle. Die Bedeutung dieses frei von PALACKY erfundenen Begriffes liegt in der Dimension einer „Isometrie und Ähnlichkeit von Mensch und Gott". 15 Unter diesem, der Philosophie HERDERs zweifelsohne entstammenden Kriterium, sei auch die geschichtlich-wissenschaftliche Zielsetzung der Philologen, Historiker und Ethnographen der Gründergeneration der tschechischen Kultur zu begreifen.
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hat JUNGMANN sein Programm einer „selbständigen tschechischen Sprache" artikuliert, und durch seine Wörterbücher auch strategisch vorprogrammiert In seiner geschichtlichen Auffassung der tschechischen Literatur („Geschichte der tschechischen Literatur" - „Historie literatury ceské", Prag 1825) und ganz besonders in seinem riesigen „Tschechisch-deutschen Wörterbuch" („Slownjk cesko-nëmecky", 1834—39) hat JUNGMANN indiskutable Meilensteine der Sprach- und Kulturgeschichte gesetzt, die seit jener Zeit als die tschechische Klassik gelten. Siehe seine Abhandlung „Über das Klassische der Literatur und deren Bedeutung" („O klasicnosti literatury a dûleiitosti její", tsch.), in: ÖSWM w Óechách, 1, 1827. - (Fr. PALACKY hat um den verkürzten Titel und Auffassung dieser Studie - „Über das Klassische der Literatur überhaupt, der tschechischen im besonderen" - „O klasiònosti w literature wübec a zwlásté ceské" - gesorgt. „Versuch einer tschechischen philosophischen, insbesondere ästhetischen Terminologie" („Okus òeské terminologie filosofické, obzwlââtë krasowëdné"), ÖSWM w techách, 1, 1827, Bd. 2, 103-112. „Clowëkoslowj cili Anthropologie", Krok, 2, 1831, 265-312, 393-419, 521-553. „O wznjkánj lidské spoleSnosti", CCM, 16, 1842, Bd. 4, 483-526. Siehe Anm. 14. „Boznost" ; das Wort ist schwer ins Deutsche zu übersetzen - es heißt ungefähr das Gleiche wie göttliche Gabe der Menschengattung: „Gefühl der Allgegenwart Gottes" (siehe das Gespräch mit ECKERMANN am 11. März 1828.) Ibid., 101.
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Diese Zielsetzung war jedoch immer merkwürdig pluralistisch. Seit Anfang an gibt es zumindest zwei Hauptalternativen des tschechischen Patriotismus, die sich beinahe gegensätzlich gegenüberstehen, ohne dabei an gemeinsamer anti-deutscher Tendenz etwas zu verlieren. Einer pani/awwc/i-humanistischen Orientierung (wie sie vor allem von J. KOLLÁR vertreten wurde) scheint die Fr. PALACKYs Idee einer „geschichtlichen Notwendigkeit" zu widersprechen, aufgrund deren PALACKY die tschechische Emanzipation als ein Aspekt der allgemeinen „geschichtlichen Freiheit" gesehen und folgendermaßen die Befreiungsidee der Tschechen mit der abendländisch-hegelschen Paradigmatik (mit starkem Akzent auf die lokal-österreichische Voraussetzungen der tschechischen Kultur) verbunden hat. Die Atmosphäre Böhmens war dabei alles Andere als ruhig: innerhalb der scheinbaren K.K.Idylle erschienen seit den 30er Jahren mit immer zunehmender Kraft die Stimmen der tschechisch-patriotischen Rebellen, die Stimmen jener Schülergeneration von JUNGMANN und PALACKY, die mit dem österreichischen Establishment prinzipiell unzufrieden war (und die übrigens in enger Verbindung mit den Junghegelianer und Sozialisten, nicht nur in Deutschland, stand). Der Tenor tschechischer Politik blieb jedoch für lange Jahre noch in einem gut österreichisch-loyalen Rahmen artikuliert. Die „rechtswissenschaftlich-historische" Argumentation PALACKYs fand auch an der Seite der, nicht immer gleicherweise denkenden Philologen, Literaturwissenschaftler und Ethnographen (sofern man zu jener Zeit über diese Begriffe einer binnentschechischen Kultur sprechen darf) deutliche Unterstützung. Es lag dabei im tschechischen Interesse, die abendländische Stilisierung des "Austroslawismus" nicht allzusehr scharf von den „Panslawisten" anderer Slawennationen zu trennen. Über den Rahmen dieser zwei politischen Hauptalternativen läuft der Sprachpatriotismus JUNGMANNs - scheinbar nur! - hinaus, indem er sich auf die gesamttschechische Tradition und auf die sprachwissenschaftliche Argumentation überhaupt stützt. Darüberhinaus finden wir, als eine Parallelle des genannten, einen ethnographisch begründeten slawischen Patriotismus von Frantisek Ladislav CELAKOVSKY 1 6 über die Horizonte des üblichen deutlich überragen. Dieses Sprachgenie (der in Russisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch, Neu- griechisch, Griechisch und Lateinisch, natürlich auch in anderen slawischen Sprachen) las und sprach, und der das Schrifttschechisch auf markante Art mitgeprägt hat, wurde in seinem Grundansatz ein überzeugter Europäer, der eine zukünftige Kultur der Tschechen nur im abendländischen Kontext (und unter Mitwirkung der Slawen wohl) betrachtete. Ein eifriger Patriote aber vor allem: „Konnten die Slawen, die durch ihr Gesang und ihre Lieder, durch ihr Gemüt und Phantasie allen anderen europäischen Völkern überlegen sind - konnten sie da zurückbleiben?" 17 CELAKOVSKY 16
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CELAKOVSKY, Frantisek (und mit einem patriotischen Beinamen auch als Ladislav genannt, was nicht unbedingt nur ein Äquivalent zum lateinischen Ladislaus als eher ein Spielwort mit 'Lada' = Frühling und 'slav', lese 'Slawe', sein sollte), 1799 in Strakonitz (Südböhmen) geboren; Universitätsprofessor für Slawistik in Breslau, später (ab 1849) an der Universität Prag. Im Brennpunkt seines wissenschafüichen Interesses steht das Volkslied und die volkstümliche Weisheit. - Aus seinem umfangreichen Werk siehe vor allem: „Nachhall russischer Lieder" („Ohlas písní ruskych"), Prag 1829 - eine Gedichtsammlung auf slawische Art; in demselben Ton dann auch „Nachhall tschechischer Lieder" (Prag 1839) nachgedichtet; „Zentifolie" („Ruze stolistá"), Prag 1840; „Sprichwörter" („Prislovi"), Prag 1852. - CELAKOVSKY hat darüberhinaus wichtige Übersetzungen (Walter SCOTT, AUGUSTINUS Aurelius u.m.a.) ins Tschechische durchgeführt. CELAKOVSKY starb in Prag am 5. August 1852.) CELAKOVSKY, Fr. Ladislav: „Slowanská prjslowj" („Slawische Sprichwörter"), CCM, 11, 1837, Bd. 3, 294.
wagt es nicht, die kaum bekannten Autoren der „Urslawen" mit den alttestamentlichen Schreibern (mit König SALOMO z.B. ...), aber auch mit den altgriechischen „Sieben Weisen", mit den Tragöden, Gnomologen, mit dem römischen PLUTARCH, PLAUTUS, TERENTIUS, SYRUS und HORATIUS zu vergleichen... Man würde nahezu bemerken dürfen, W.W. HANKA und seine berüchtigen „Manuskripte" sind nur eine Spitze eines Eisberges gewesen, dessen Basis die gesamte patriotisch-slawische Literatur als solche wurde: der Wunschtraum einer, mit der der Deutschen vergleichbaren Kulturtradition und - geschichte war das unausgesprochene Geheimnis und die Grundmotivation jener eifrigen, hypereifrigen Begründer einer Kultur, welcher bereits am Anfang aller Anfänge keine sichtbare Distanz zwischen Idee und Ideologie zugrunde lag. Selber CELAKOVSKY verschweigt nicht, daß er eben aus den all- slawischen Sprichworten „...ein Tempelchen volkstümlicher praktischen Weissheit .,." 18 bilden will. „Slawisch" übrigens wird da noch nicht von einem, im engeren Sinne „tschechischen" unterschieden: ein typisches Abzeichen einer anwachsender Entwicklungsdynamik, mit welcher eine halbvergessene Sprache umgestaltet wurde. Eine Sprache übrigens, die zwar als volkstümliche Mundart, kaum aber noch als vollwertiges Kommunikationsmittel der Gebildeten existierte, und die man zu einem Teil aufgrund ethnologischen Rekonstruktionen, zum anderen Teil als eine rein logische Struktur zusammenzufassen hatte: in diesen zeitbedingten Annäherungen an das an sich unzeitgemäße einer „Sprache" ersieht sich eine typische Erscheinung, die Hand in Hand mit den eben modernen Versuchen mancher Völker Europas - das alte Gedenkengemeingut durch „das Volkstümliche" zu beleben - ging. Die neue tschechische Kultur hat sich dabei ihre Aufgabe nicht eben leicht gemacht. Geht man der Spur dieser patriotischen Akribie bis an die Stelle nach, so stellen sich nicht so sehr die öffentlich-politischen als eher die rein geistigen Zusammenhänge her. Man begegnet da in erster Linie das wie aus dunkler Tiefe aufsteigende Eingangsmotiv der „tschechischen Sprache", mit der sich die patriotische geistige Identität für das Bewußtsein der Welt und Nachwelt wie mit keinem anderen Phänomen der übrigen Kulturerscheinungen verbindet. Von der beseligenden Gabe dieser Protogeneration, einer Gründer-Generation par excellence, spricht ihr Werk und Erbe. Die Politik wurde allerdings zu ihrem Schicksal. Und - von der gleichen Logik her - ist dann auch der plötzliche Stimmungsschlag zu verstehen, der mit dem Eintritt des späteren BACHs-Absolutismus 19 , unter welchem die ausschlaggebenden Persönlichkeiten der Tschechen nicht mehr zum Wort und Tat kommen durften, erschien. Daß dabei der Glaube an die abendländische Kultur nicht endgültig verschwand, ist vielleicht von der ganz besonders glücklichen Persönlichkeitsstruktur zu verstehen, die sich bei dieser tschechisch-patriotischen Generation (man denkt da immer und vor allem an den Generationsleader Frantisek PALACKY) im Werdegang ihrer geistigen Reife, wie beinahe eine außergeschichtliche Nachzeichnung des tschechischen Charismas, der allgemeinen Geisteslage der Nach-Weißenberg-Zeit ausnimmt. Der nie aufhörende administrative Druck des österreichischen Staates zwang doch die Tschechen sich der grundlegend oppositionellen Alternative, dem Panslawismus, anzunähern. Dieser Panslawismus hatte in Böhmen viele Namen: den gemeinsamen Nenner aller seiner unterschiedlichen Aspekten ist zuletzt auf einen Sprach-Patriotismus
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Ibid., 296. Siehe dazu: STÖLZL, Christoph: „Die Aera BACH in Böhmen", München-Wien 1971.
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zurückzuführen. Auf eine Ursache also, die in den tschechisch-deutschen Auseinandersetzungen bereits mit Jan HUS beginnend für die Tschechen von außergewöhnlichen Bedeutung und grenzloser Popularität war. Drei zeitgemäße Schriftsteller sind es, die für jegliche relevante tschechischphilosophische Kultur, wenn auch auf indirekte Art, wichtige Beiträge geleistet haben. — Es war zuerst der Mitarbeiter PALACKYs, Karel Jaromir ERBEN, ein Historiker und Quellenkundler, Ethnograph und nicht zuletzt ein Dichter 20 , der im Bereich der „Sprache" den entscheidenden Ansatz einer selbständigen Kultur erkannt hat. Neben ERBEN war es die Schriftstellerin Bozena NÉMCOVA21, die mit ihren volkstümlich stilisierten Erzählungen und besonders mit dem Roman „Großmutter" das entscheidende Werk der tschechischen Sprache dieser Zeit schuf. Die Patriotismus-Idee greift gleichfalls in die Menschenkonzeption und in die Weltanschauung des spätromantischen Dichters, Karel Hynek MÁCHA tief hinein. 22 MÁCHA ist, auch im ganzen breiten Spektrum der relevanten Kulturzusammenhänge, ein außergewöhnlich wichtiges Phänomen der tschechischen Geschichte. Diese im schönsten Sinne des Wortes tief geistig-innige Gestalt sucht durch ihren zielbewußten, imgrunde nostalgischen Subjektivismus einen neuen Raum für ihre Zeitgenossen zu entdecken. In einer neuen, rein künstlichen wohl, doch schönen Sprache, bringt er dann diese Lebensauffassung und -philosophie auch zum prägnanten Ausdruck: im „Mai", einem schicksalhaften Gedicht, wonach sich die nächste Generation der tschechischen Dichter und Dichterinnen als der „Mai-Kreis" benannt hat. Der etwas an Lord BYRON erinnernde Jüngling MACHA wurde zu einem Symbol des radikalen Frühlings 1848: seine Schlüsselposition erweist sich eindrucksvoll durch motivhafte Querverbindungen nach rückwärts und vorwärts, seit seinem frühen Tode bis 20
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Karel Jaromir ERBEN, am 7.11.1811 in Miletin (Böhmen) geboren, studierte in Prag Geschichte und Philologie; seit 1851 Archivar der Stadt Prag: um die ersten Jahre des 'Tschechischen Museums' höchst verdient. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit steht das Volkslied und -marchen. Auf diesem Felde erwies er für die tschechische Literatur eine Pionierarbeit. - Aus seinem umfangreichen Werk siehe: „Tschechische Volkslieder", 3 Bde., Prag 1842-1845; „Kytice" (eine Sammlung der Volksballaden), Prag 1853 (dt. „Blumenstrauß", Prag 1900); „Volksmärchen" („Poháilky"), Prag 1865; ebenso macine sicli ERBEN als Herausgeber der tschechischen Quellenliteratur („Chrestomatie aus der tschechischen Literatur des 15.-18. Jahrhunderts, 2 Bde., Prag 1859-1864) und der tschechischen Jan HUS' Werke (3 Bde., Prag 1865-1868) verdient. - K.J. ERBEN starb in Prag am 21. November 1870. NËMCOVÀ, Bozena (eigentlich Barbara PANKL), am 4. Februar 1820 in Wien geboren, verbrachte ihre Kindheit auf einem Schloß am Fuß des Riesengebirges und lebte später in Prag. NËMCOVÀ sammelte die Volksmärchen und -erzählungen und schuf auf diesem Grund auch wichtige Beiträge zur tschechischen Literatur. - Aus ihrem Werk siehe: „Großmutter" („Babicka"), Prag 1855, dt. 1885; „Gesammelte Werke", 8 Bde., Prag 1862-1863; 2. Aufl. in 14 Bden. Prag 1904-1920 (tsch.); ,3riefe und Tagebücher", Prag 1914 (tsch.) - NÉMCOVÁ starb in Prag am 21. Januar 1862. MÁCHA, Karel, am 16.11.1810 in Prag tschechisch geboren, auf 'Ignaz' getauft ('Karel' ist ein Name, den er später aufnahm, 'Hynek' ist ein patriotischer Beiname). Er studierte am Piaristischen Gymnasium („Am Stadtgraben") in Prag; später studierte er Jura an der Prager Universität. Sein Genie hat sich bald in seinen Gedichten erwiesen (die er zuerst deutsch, später ausschließlich tschechisch schrieb.) Gleichfalls hat er sich dem ersten tschechischen Theater in Prag gewidmet. Als eifriger Reisender besuchte er, zu Fuß sogar, Italien. Allzusehr früh starb er mit seinen nicht vollendeten sechsundzwanzig Jahren einen unglücklichen Tod, der viel an freie Bilanzentscheidung erinnert. - Aus seinem Werk siehe: „Der Mai" („Máj"), Prag 1834 (bzw. 1836), dt. Prag 1844; „Die Zigeuner" („Cikáni"), Prag 1835; u.e.a.
zur jeden Gegenwart jeder künftigen Dichtergeneration, bestätigt. Mehr noch als die Erfahrung dieser Bedeutung MACHAs innerhalb der tschechischen Kultur des 19.Jahrhunderts verhilft jedoch die Feststellung zum Verständnis der philosophischen Dimension des Werkes, das MACHA nicht so sehr des Sprachpatriotismus wegen als eben einem viel tiefer begriffenen Wort der „Heimat" zuliebe gewidmet hat. Die Motive einer postromantischer Lebensmüdigkeit mischen sich im „Mai" mit einer radikal gestellten Frage nach dem Grund und Sinn der Menschenexistenz zusammen, um die Idee einer erhabenen Vereinigung des Menschen mit den Kräften der Natur letzendlich zu gestehen: eine intensive Inspiration für die tschechische Poesie, j a für die ganze tschechische Kultur - ein Aufruf zur Tat. Nicht das Wenigste, was die Zeitgenossen MÁCHAs aus „Mai" gewonnen haben, war die Kunst einer neuen, faszinierenden, fast musikalisch schön klingenden Sprache - eine magische Ansprache des Geistes des Tschechentums in der Tat. Nun, noch bedeutender vielleicht war der Beweis eines hohen und zweifelsohne europäischen Niveaus, das durch „Mai" überzeugend erreicht wurde. Keine „Kultur der Dienstmädchen und Diener" mehr also, sondern eine schöpferische Tat, die aus der Abgrundtiefe des Kreativen errungen wurde. - Im philosophischen Sinne sensu stricto ist es bei MACHA die existentielle Erfahrung des Todes und der ewigen Suche nach einer jeweils jenseits von Gut und Böse hineingreifenden Unsterblichkeitsidee, deren wachsender Fühlung den durchgreifenden Wandel in MACHAs Welt- und Selbstverständnis nach sich zieht. Wenn irgendwo, dann zweifellos in „Mai" wird die eindeutig philosophische Sinnfrage des Menschenseins gestellt: als Ziel und Aufgabe, denen sich Karel Hynek MACHA, als ob im Auftrag einer noch nicht existenten tschechischen Philosophie, verschrieben hätte. Diese etwas heidnische Frömmigkeit MACHAs entstammt wurzelhaft der Todeserfahrung und -Vorahnung, und damit jenem Ursprung, auf den nach S0ren K I E R K E G A A R D wiederholt bekundeter Überzeugung alle Religion zurückgeht. Nicht dem entsetzten Aufbegehren gegen den Tod jedoch erteilt MÁCHA das Wort, sondern dessen unruhigen Zuspruch, hinter dem sich die ganze menschliche Sinnfrage, als eine grundlegende Sich-Selbst-Erkenntnisfrage verbirgt. Daß in dem gleichen Sinne das Werk vom Leben endgültig eingeholt und dieses seinerseits ins Werk der ganzen Generation gehoben werden wird, bestätigt das Echo von „Mai" bei den Zeitgenossen. Eine große Ausnahme innerhalb einer, von Anfang an vielfaltig zerstrittener tschechischer Kultur: es gibt kaum einen synthetischen Begriff, dem man diese Vielfalt von Strömungen, von konservativem Traditionalismus ( E R B E N ) bis zum äußersten Modernismus und Nihilismus (MÁCHA), von evangelischer Strenge ( P A L A C K Y , K O L L A R ) bis zur Denkart der neuen katholischen Generation (der Dichter J. S T U L C ) oder bis zu einem nahezu provokativen Antiklerikalismus (K.HAVLICEK), vom Panslawismus bis zum Europäismus - einordnen kann. Sicher sind die Begriffe wie der „Idealismus", der „Biedermeier" nicht ausreichend genug, um diese reichlich differenzierte Menge von Nuancen und Strömungen einer eben ansetzender tschechischen Kulturzukunft zu beschreiben können. „Auf Altem ein neues Zeitalter zu bauen beginnt", sagt emphatisch ein zeitgenössischer Chronist, „die Sprache, Namen, Taten und Werke seiner ruhmreichen Vorläufer im seligen Gedächtnis erhaltend" 23 - nun, eines jede dieser Worte hätte man schon damals auf zehnmal unterschiedliche Art zu erklären können.
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DOBICER, Frantisele Josef: „Kleinere Beiträge zur Biographie tschechischer Schriftsteller und Künstler" („Drobné pnspëwky k ziwotopisu Ceskych spisowatelû a umëlcû"), CCM 11, 1837, Bd. 3, 337.
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3. Zwischen Rußland und Deutschland (Der Mythus einer urslawischen Kultur. W.W. HANKA. Die 'Manuskripte'. P.J. SAFÁRIK. Fr. PALACKY und seine Philosophie des Tschechentums. J. KOLLÁR.) „Schon bevor sich das slawische Volk der „Tschechen" in ihm ansiedelte, wurde das Tschechenland von den Lateinern Bojehemum, Bohemum, Bohemia, Deutschen Böheim, Böhmen genannt. Unser PULKAWA hat sich also schwer geirrt, als er meinte, daß Bohemia ihren Namen von dem slawischen Wort ,Bog', ,Gott' bekam." (Josef DOBROVSKY, „Cech neb Cechowé odkud tak slují?" CSWM w Cechách, 1, 1827, Bd. 2, 3)
„Schon KOLLÁR hat formuliert, daß die tschechische Frage das Problem eines kleinen Volkes sei. Nach ihm löste PALACKY die Aufgabe eines kleinen Staates. Sicher war KOLLARs Idee von der gegenseitigen Abhängigkeit der Slawen nur ein Mittel gegen die nationale Kleinheit - " (T.G. MASARYK, „Die Tschechische Frage", Prag 1895, 3)
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Josef DOBROWSKY hat Mut das öffentlich zu gestehen, was die Schüler von JUNGMANN nur ungern zur Kenntnis nahmen: die polykulturelle Tradition des böhmischen Raumes. Sein Lohn war die Anschuldigung, „ein slawisierender Deutscher" zu sein. Viel plausibler und viel populärer war damals offenbar, die „tschechische Frage" als ein von dem abenländischen Kulturraum getrenntes Problem zu behandeln. - „Schon KOLLÁR..." Nun, eine an sich geschichtlich gegebene Geistesgeschichte der tschechischen Kultur wäre kaum auf ihre historisch-politischen Elemente zu reduzieren, zumal diese Kultur auf religiösem Gebiet immer sehr vom Abendland beeinflußt war. Das zu leugnen wäre in der Tat weniger schlüssig als politisch kurzsichtig. - Andrerseits kann sich keine philosophische Historiographie dem „Einfluß" der zeitgenössischen Atmosphäre entziehen, den es immer schon auch bei der subtilsten Kunst gab: und ganz besonders im Falle Böhmens nicht, wo die Polizei den Postboten einer staatlich-kirchlichen Zensur immer so gerne spielte ... Der geschichtlichen Wahrheit zuliebe darf man das Spezifische der tschechischen Kultur- und Geistesgeschichte aus dieser Atmosphäre nicht ausklammern: zwangsläufig erscheint wohl die Frage nach jenem Ungehagen, das von Anfang an die geistige Dimension tschechischer Politik (und folgendermaßen auch der Historiographie, der Philosophie und zumal auch Theologie) belastete und die Erkenntnis der eigentlich gradlinnigen Zusammenhänge erschwerte. Die geschichtliche Entwicklung in beiden böhmischen Ländern seit Anfang des 18. Jhs. wirkte sich zugunsten des politischen Liberalismus aus. Die sonst vagen geschichtlichen Zusammenhänge, die in diesem Raum unter gegebenen Umständen bis 1713 existierten, wurden in diesem Jahr durch sg. „Pragmatische Sanktion" (welche die Nachfolgeordnung geregelt und die Untrennbarkeit der „Länder böhmischer Krone", Böhmen, Mähren und damals auch noch Schlesien betont hat) geordnet: es bleibt anzufügen, daß die „Pragmatische Sanktion" kein gemeinsames Gesetz, sondern jedem Lande ein eigenes sg. „Landesgesetz" postuliert hat. So entstand keine übergeordnete Reichsmacht: jedes Land führte auch weiterhin seine partikulär-eigentliche Existenz, und das „Reich" wurde in seinem Begriff nach außen her durch eine Gemeinsamkeit koordinierter Landesgruppen repräsentiert, die als eine dauerhafte Verbindung, keineswegs aber als eine streng integrierte Ganzheit auftritt. So wurde der bemerkenswerte Regierungsakt von Kaiserin Maria- Theresia aus dem Jahre 1749, nämlich die Vereinigung der Böhmischen Hofkanzlei mit der österreichischen, als eine rein absolutistische Geste verstanden und der großen Herrin bei dem Volk in Böhmen und Mähren wenig Sympathie gewonnen: nun, auch dann sind alle Elemente und Abzeichen der bisherigen Gesetzgebung der böhmischen Länder geblieben. Sogar nicht einmal der neue Titel des „Kaisers von Österreich" (vom 31. August 1804), der in der unruhigen Zeit der napoleonischen Kriege eingeführt wurde, hat an der politischen Realität böhmischer Länder etwas wesentliches geändert. Einem böhmisch-österreichischen Identitätsbewußtsein stand in Böhmen immer die unterschwellige Neigung der Bewohner gegenüber, nach einem Gleichgewicht zu suchen. Auf solche Motive ist auch die Popularität der Panslawismusidee zurückzuführen. Der Panslawismus hatte in Böhmen in der 1. Hälfte des 19. Jhs. viele Namen. Der gemeinsamen Nenner der slawischen Sympathien ist wohl auf einen tschechischen Sprach-Patriotismus zurückzuführen, auf eine Ursache also, die in den tschechischdeutschen Auseinandersetzungen bereits mit Jan HUS für grenzlose Popularität der Patrioten sorgte. Die panslawische Idee schwebt überall: es ist der Mitarbeiter von PALACKY, Karel Jaromir ERBEN, welcher im Bereich der „slawischen Sprache"
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den entscheidenden Ansatz einer selbständigen Tschechenkultur markiert: es sind zahlreiche Andere, vor allem die Sprach- und Geschichtsforscher, die die Orientierung der Tschechen nach Osten hin betonen. Die tschechisch-slawische historische Wissenschaft (in einer Ersatzrolle für die noch nicht existente Philosophie) sucht die Argumente für die selbständige raison d'être der slawischen Kultur in der Geschichte zu finden. Die tschechisch-zeitgenössische Literatur ist übervoll von hyperbolischen slawischen Selbstdarstellungen: nicht nur die dilettierenden Sontagsgeschichtenschreiber, sondern auch einer der bedeutendsten Historiker, Ρ J . SAFÁRIK, nimmt beispielsweise dankbar die Meinung von PROCOPIOS und Guido von Ravenna auf, nach der die „Slawen" das älteste aller europäischen Völker (dh gemäß SAFARIK, neben den „Thraken, Griechen, Latinen, Kelten, Deutschen, Litauen") sind. 24 Noch viel deutlicher kommt diese Art von geschichtlicher Träumerei bei den weniger kritischen Epigonen zum Vorschein. So sucht Karel WINARICKY (1803-1869) nach möglichen Vorbildern der slawischen Kultur bei HOMEROS und findet, wie er glaubt, genügende Ansatzpunkte für das Slawische bei STRABON .. , 25 - Eine Hochstilisierung des „Slawischen" auf die denkbar klassizistische Art ... Nicht zufällig wird damit eine anti-germanische Tendenz verbunden, die - programmatisch - in der ersten tschechischen Übersetzung von TACITUS' „Germania" deutlich erklingt: „Wer möchte denn nach Germania, in ein unschönes, ungebildetes und ungefälliges Land reisen...?" 2 6 In ähnlichem Geist übersetzt Josef CHMELA die AESOP's Fabeln. 27 Und sogar der junge PALACKY hat in seiner Übersetzung von PLATONs Dialog „Phaidros" 28 eifrig für das Slawische plädiert. - Nicht nur der Evangeliker PALACKY, auch sein katholischer Gegenspieler Frantisek SUSIL macht sich in seiner Übersetzung von OVIDIUS' „Metamorphosen" 2 9 der gleichen nationalen Tendenz schuldig. Am unglücklichsten hat sich doch der Panslawismus in Verbindung mit den berühmten Falsifikaten, „Manuskripten", in die tschechische Geschichte eingetragen. Der Hauptfalsifikator, sonst ein von seiner Zeit anerkannter Historiker und Sprachforscher, W. H A N K A hat, mit der Hilfe von fiktiven „Quellen", die Geschichte der Slawen in Böhmen um nahezu Tausend Jahre (!) „verlängert", um den Vorteil der deutschen Quellen auszugleichen... Die „Manuskripte" - „Die Königinhofer Hand-
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SAFÁftlK, Pavel Josef: „Gedanken über die Altertümlichkeit der Slawen in Europa", CCM 8, 1834, 52-54. WINARICKY, Karel: „Wypisky ze STRABONa" („Excerpta aus STRABO"), CCM 13, 1839, Bd. 3, 269-287. - Siehe auch die Übersetzung des gleichen Autors von HOMÉROS ' „Odyssea" in: CCM 17, 1843, Bd. 4, 484-^198. WINARICKY, Karel: „C. Cornelia TACITA spis a sjedlech a mrawech národü Germanskych. Preloien od K. WINARICKEHO" („Uber die Siedlungen und Sitten germanischer Völker. C. Cornelius TACITUS' Schrift „Geimania", von K. WINARICKY Ubersetzt), CCM 14, 1840, Bd. 4, 333-354. CHMELA, Josef: „Phaedros Augustus Libertus AESOPs Fabeln" („Fédra Augusta Liberta Bájky Aesôpowë". Preloïil Josef CHMELA), CCM 18, 1844, Bd. 2, 164-176. „PLATOs Gespräch Phaidros" („PLATONova rozmluva Fédros, aneb o kráse, ζ Rectiny prelozená"), die der Übersetzer nur mit den Initialen „F.P." in einer Anmerkung unterzeichnet; in: Casopis Spolecnosti wlastenského Museum w éechách", 2, 1828, Bd. 1, 107-128. „DAEDALUS und IKARUS" („DAEDALUS a IKARUS. Ovid. Metam. VIII. 183. sequ."), èÔM 7, 1833, Bd. 1, 71-72.
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schrift" und „Die Grünberger Handschrift" 30 haben die Anfänge einer tschechischslawischen Literatur vielfältig belastet. Der unglückliche Großpatriot, der aus lauter Liebe zum Volk sein nicht einfaches Geschäft unternommen hat, hat aller Welt zum Trotz wieder einmal bewiesen, daß die Geschichtsschreibung ebenso alt wie die Falsifikation der Geschichte (und beinahe auch so anspruchsvoll wie die Geschichtsforschung selbst...) ist. Wácslaw HANKA 3 1 wurde nun in der slawischen Kulturwelt als ein bedeutender Heros des Geistes gefeiert: „Teurer Freund, unvergässlicher Wáclaw Wáceslawic!" beginnt ein Wissenschaftlicher Brief, der in der „Zeitschrift des Tschechischen Museums" veröffentlicht wurde, „wir haben Ihnen mitzuteilen, daß im Sommersemester 1844 die Teile aus der „Königinhofer Handschrift" gelesen und kommentiert werden." Ein Vierteljahrhundert nach der glorreichen „Entdeckung" an der32 Universität Charkow immerhin..." Wáclaw H A N K A vertrat eine im Grunde zynische Moral, die ihm, wenn es um den Ruhm und die Ehre seines geliebten Volkes ging, manches als möglich erlaubt hat. Es gehört zur geschichtlichen Ironie, daß eben W. W. HANKA, als Allereinziger
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„Die Königinhofer Handschrift" („Královédvorsky rukopis") wurde von W. HANKA - wie es dieser Mann behauptet hat - 1817 in einer Bibliothek in Königinhof a.d. Elbe (Králúv Dvûr nad Labem) in Böhmen gefunden: seinem Inhalt nach hat dieses „Dokument" etliche in der alttschechischen Sprache verfaßte dichterische Texte enthalten, durch die man den Ursprung des Tschechischen erschließen konnte; doch das hat HANKA nicht gereicht, 1818 hat er dazu noch eine weitere Handschrift „entdeckt" - die sog. „Grünberger Handschrift" („Zelenohorsky rukopis"), ein, gemäß HANKA, aus dem 9.-10. Jahrhundert stammendes „Dokument", mit dem er die tschechische Vorgeschichte noch viel massiver unterstützen wollte. Die technische Verarbeitung beider „Handschriften" war perfekt, und beide wurden durch die große Autorität des slawischen Wissenschaftlers beschirmt. Die gesamte zeitgenössische tschechische Historiographie, PALACKY und SAFÁRIK davon nicht ausgenommen, hat beide „Befunde" positiv beurteilt: ein eifrig großpatriotisches Wunschdenken ohne Grenzen allerdings... Selbst der erfahrene Josef DOBROVSKY ließ sich zuerst durch die hin- und hergerissene Begeisterung der tschechischen Öffentlichkeit beeinflussen: doch bald gewann bei ihm seine ..kritische Methode" die Oberhand, und so hat er - als einziger - seinen Zweifel über die Echtheit der „Manuskripte" geäußert. Dann wurde der „slawisierende Deutsche" auf der Stelle von den Jungmannianern angegriffen und seine Stimme, leider, nicht ernst genug gehört. So begann einer der berüchtigsten Prozesse in der tschechischen Geistesgeschichte, obwohl sich zuletzt die bittere Wahrheit doch nicht mehr bestreiten ließ. Erst MASARYK und GÖLL rechneten mit der „Manuskripten-Sage" endgültig ab. HANKA, Wácslaw Wáceslawií (wie er sich gerne auf pseudoaltslawische Art schrieb), wurde als ein Bauernsohn in Honnëves (ein Dorf in der Nähe von Königinhof) am 10. Juni 1791 geboren. Er besuchte das Gymnasium in Königgrätz, später studierte er an der Philosophischen Fakultät in Prag. Darüberhinaus nahm er an den privaten slawistischphilologischen Vorlesungen von Josef DOBROWSKY teil. Unter diesem Einfluß sich ganz der Slawistik widmend, wurde er später nicht nur in Prag, sondern auch in Wien (1813-1817), als Mitarbeiter der tschechischen „Wiener Zeitung", bei Johann-Nepomuk HROMÁDKA (1783-1850), und als Mitherausgeber der ersten tschechischen ästhetischen Bücher („Originale der schönen Künste" - „Prvoüny krásného umëni") tätig. Als Bibliothekar am „Tschechischen Nationamuseum" und (ab 1848) als Dozent der tschechischen Philologie an der Prager Universität besaß HANKA nicht nur freien Zutritt zu den Quellen des böhmischen Schriftwesens, sondern erwarb dabei auch die wissenschaftliche Autorität: so wurde durch HANKAs Fälschungen die junge tschechische Wissenschaft ins Herz getroffen. - W.W. HANKA starb am 12. Januar 1861 in Prag. „Dopisy ζ Ukrainy panu W. HANKOWI" („Briefe aus Ukraine an Herrn W. HANKA"), datiert in Charkow am 26. Mai (7. Juni) 1844, in: CCM 19, 1845, Bd. 1, 145.
der tschechischen Erwecker (als Kenner des Altkirchenslawischen und der Altslawischen Geschichte) als offizieller Vertreter der tschechischen Kultur in die „Petersburger Akademie der Wissenschaften" aufgenommen 33 und mit dem hohen russischen „St. Anna-Orden" dekoriert wurde... Dieser Dämon der tschechischen Historiographie, der für ihren schlechten Ruf sorgte, hat doch ein besseres und moderneres Tschechisch geschrieben, als es sonst üblich war... Die „Manuskripte" sind dabei keine allzu merkwürdige Ausnahme in der historiographischen Literatur, und ihre Motivation ist nur zum Teil auf die herostratische Persönlichkeit eines intelligenten Mystifikators zuzrückzuführen: in gewissem Sinne spiegelt sich in dieser Kuriosität die ganze slawisierend-ideologisierende Tendenz ab, wie sie aus der Panslawismus-Idee hervorging. „Die Manuskripte", ein leidvoller Begriff in der tschechischen Geistesgeschichte, illustrieren ganz besonders deutlich jene pseudowissenschaftliche Neigung, die nur als Reaktion auf eine ebenso falsche und einseitige germanisierende Tendenz (der Vertreter einer „großdeutschen Konzeption" eben) verständlich ist. - Die Wahrheitsfrage wurde erst wesentlich später, in der Stunde der Wahrheit des modernen tschechischen Denkens (im „Manuskripten-Streit", wie ihn vor allem MASARYK und GÖLL gegen die selbstzufriedene Mehrheit geführt haben) gestellt. Erst dann, ein halbes Jahrhundert später 34 , stehen sich HANKA, der Täter posthum - und der Weltbürger MASARYK gegenüber... Die Panslawismus-Idee wurde durch die sich über die Zeit hinziehende ManuskriptenAffäre nur wenig bedeutend berührt. Das Prinzip einer panslawistischen Kultur wird bei KOLLAR, dem eigentlichen Anführer der selbständigen Orientierung der tschechischen Kultur, religiös begründet und an die Tradition der tschechischen HUS-Reformation angebunden. Die Freiheitsentwicklung der Slawen, im Sinne einer Menschheitsphilosophie, wird aufgrund der providentialen Vorausbestimmung erklärt. Eine ähnliche Tendenz, die aber auf etwas andere Art politisch stilisiert ist, wird auch bei Pavel Josef SAFARIK (und zum Teil auch bei Frantisek PALACKY) sichtbar. Alle diese Denker versuchen, das Schicksal der Tschechischen Nation mit dem geistigen Vermögen Europas zu verbinden: ihre Zielsetzung ist typisch übernational, ihre Denkweise manchmal undeutlich, immer großartig durch die geistigen Grundlagen Europas motiviert. Und auch die Vorliebe zum All-Slawischen ist ihnen gemeinsam.
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Aus Anlaß der Verdienste HANKAs um die Erforschung der „Hl. WENZELs-Legende"; siehe „Petrohradska legenda o swatém Wáclawu" („Die St. Petersburger-Legende des Hl. WENZELs"), in: Casopis Spolecnosti Wlastenského Museum w Cechách 4, 1830,_Bd. 4, 453-462. Siehe auch seine Beiträge über „Die Hll. Kyrill und Method-Legende"; ÖCM 20, 1846, Bd. 1, 5-33. - Siehe auch HANKAs Interpretation des Johannes-Evangeliums; in: CS WM w Cechách, 3, 1829, Bd. 2, 33-44. Josef DOBROWSKY hat die Dubiosität beider „Handschrifte" 1824 erkannt; im gleichen Jahre auch der slowenische Slawist Bartholomäus KOPITAR (1780-1844); aufgrund der Analysen des tschechischen Historikers und Philologen Jan GEBAUERS (1838-1907; siehe: „Archiv für Slawische Philologie", Bd. 10, 11, 1887-1888) und der Studien von Jaroslav GÖLL (Geschichte) und Thomas MASARYK (geschichtlich-soziologische Argumentation) wurden die „Manuskripte" gegen Ende der 80er Jahre (bei gleichzeitigem Zähneknirschen der urwüchsigen Patrioten ...) von der tschechischen Geschichte endgültig abgeschrieben. - Siehe: ¿UNKOVIC, J .: „Die Handschriften von Grünberg und Königinhof' , Wien 1912 (ein Versuch verspäteter Apologie); KNIESCHEK, S.: „Der Streit um die Königinhofer und Grünberger Handschrift", Prag 1888.
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Pavel Josef SAFÁRIK 3 5 (öfters in tschechischer Transkription auch als „SAFÁRIK" geschrieben) gilt mit KOLLÁR als Mitbegründer der slowakischen Literatur. In seiner Jugend sehr von der deutschen Klassik geprägt 36 wurde er allmählich zur Hauptautorität der zeitgenössischen Geschichtsforschung. S A F A R K ruft nach der europäischen Orientierung der tschechischen Kultur: nach der Verbindung des Tschechischen mit den griechischen, lateinischen, deutschen und keltischen Ausgangspunkten Europas: er warnt vor dem Untergang im „skytischsarmatischen Schlamm" ,.. 3 7 Eine gute Portion Idealismus begleitet die sonst verdienstvolle Mühe dieses Historikers ganz unverkennbar: so sind die Ur-Slawen „... die Menschen des Friedens", „mit Vorliebe für Ackerbau, Handwerk und Handel", so befaßt sich der Autor gerne mit den mythologischen Themen, um den Traum eines goldenen slawischen Urzeitalters in aller Schönheit zu genießen. 38 Nun unterscheidet sich SAFÁRIK 3 9 wesentlich von der Mehrzahl tschechisch schreibender Autoren darin, daß die gnadenlosen wissenschaftliche Kriterien (an mögliche Falsa schon gar nicht denken) für ihn nie verschwinden: so bietet er, sicher nicht ohne Absicht, der tschechischen kulturellen Öffentlichkeit einen Kanon klassischer Texte an - die Fragmente von ARISTOPHANES - , um ihr das Unverzichtbare vor die Augen zu halten; so versucht er dem bunten Chaos der patriotischen Richtungen nicht nur das Kriterion einer europäischen Kultur, sondern auch einen ehrlichen Begriff einer slawischen Kultur abzugewinnen: so wird er zuletzt zu einer der unerschütterlichen Stützen der neuen Sprach- und Denkkultur im böhmischen Bereich... Pavel Josef SAFÁRIK: ein Beweis, daß die slowakische 40 Kultur (bevor sie noch
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SAFÁRIK (in verdeutschter Version auch „SCHAFFARIK"), Paul Joseph, am 13. Mai 1795 in Kobeliarovo (Fekete-Patak in Oberungarn) geboren, studierte zuerst im deutschen Lyzeum in Käsmark, später Geschichte und Slawistik und wurde später (1819-1833) Professor am serbischen Gymnasium in Neusatz. 1833 wurde er (durch den Einfluß PALACKYs) nach Prag berufen, wo er zuerst Zensor (1837-1847), später Bibliothekar an der Prager Universität wurde. Im Jahr 1848 wurde er Profesor für die slawische Philologie in Prag. Die geistige Krankheit hat seine Tätigkeit leider bald unterbrochen. Er starb in Prag am 26.6.1861. - Das Werk: „Slowanské starozitnosti", Prag 1827; 2. Aufl. 1863 (dt. als „Slawische Altertümer", 2 Bde., Prag 1843-1S44 hrsg.); „Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten" (dt. Prag 1826; 2. Aufl. 1869); „Slawische Ethnographie" („Slowansky národopis", tsch.), Prag 1842; 2. Aufl. 1849; „Denkmäler des alten Schrifttums der Südslawen" („Památky drevního písemnictví Jihoslovanû", tsch., Prag 1851; 2. Aufl. 1872; „Geschichte der südslawischen Literatur", 3 Bde., Prag 1864-1865; „Denkmäler des glagolitischen Schrifttums" („Památky hlaholského písemnictví", tsch.), Prag 1853; „Gesammelte Schriften" (,,Sebrané spisy", tsch.), 3 Bde., Prag 1863-1865; „Korrespondenz" („Korespondence P.J. SAFARIKA", tsch.), Prag 1927. Er übersetzte u.a. die SCHILLERsche „Maria Stuart", in Versen, ins Tschechische (Prag 1831). „Myslénky o starobylostí Slowanü ν Europe" („Gedanken über die Altertümlichkeit der Slawen in Europa"), CCM 8, 1834, Bd. 1, 23f. „O Rusalkách" („Über die Nymphen"), CCM 7, 1833, 257-273. „O ARISTOFANESowi a jeho Oblacjch" („Über ARISTOPHANES und seine 'Wolken'"); 1. Teil in: CSWM w Cechách, 4, 1830, Bd. 4, 413-432; 2. Teil („Fragmente aus den 'Wolken' ARISTOPHANES'", „Zlomky ζ Oblakü ARISTOFANESowych, komedie recké, provozené w Athenách roku 423 pred nar. Krist. - Píelozením P.J. SAFARIKA"), CCM 5, 1831, Bd. 1, 138-152. Siehe auch: „Mluwozpytny rozbor cisloslowa" („Sprachkundliche Analyse der Zahllehre"), CCM 22, 1848, Teil 1, Bd. 3, 217-257. Das Thema einer „slowakischen Philosophiegeschichte" überlasse ich einem eingeborenen Forscher (die es dazwischen reichlich in der Welt gibt): ich finde es so besser. Ich empfinde
auch selbst artikuliert wurde) hoch entwickelt und authentisch in ihrer geistigen Souveränität existierte. SAFÄRIK, ein klarer Vertreter der tschechisch-slowakischen Sprachintegrität 41 , blieb in der gemeinsamen Geschichte beider Völker zu einem Memento gemeinsamer Kulturinteressen: seine Stimme wurde leider von keinem dieser beiden Kontrahenten gehört. Gehört wurde jedoch der liberal-konservative Historiker und Politiker Frantisek PALACKY 4 2 , dem die Rolle eines Leaders und nationalen Repräsentanten durch die Logik der Geschichte und durch sein persönliches Zutun zuteil wurde. Von PALACKY führt schon der direkte Weg zu MASARYK: „PALACKY bietet eine für seine Zeit beinahe komplette und sehr überlegte philosophische tschechische Ansicht an ... Ich verschweige nicht, daß ... mir HAVLICEK näher als PALACKY steht ... nun, auch ich bestätige immer mehr meinen Respekt, mit welchem ich vor seiner philosophischen Tiefe und Konsequenz stehe .,." 4 3 Frantisek PALACKY nimmt die ganze Breite der KANTschen erkenntnisphilosophischen Thematik als verpflichtende Herausforderung für die tschechische Philosophie auf. Nun sein Hang zum Hegelianismus und seine persönliche, im Grunde praktischpolitische Orientierung, auch im Bereich der Wissenschaft, führen ihn dazu, nicht sosehr das Allgemein-Metaphysische der Philosophie als eben das Wirksam-Geschichtliche der Gesellschaft zu beachten. „Kann die Philosophie auch wirksam sein?" 44 Die „Ästhetik" PALACKYs, eine frühe philosophische Schrift, die er verfaßte, bevor er die Laufbahn eines K.K.Historiographen des „Königtum Böhmen" antrat, schien dem
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es nicht als Selbstverständlichkeit, über das Slowakische und das Tschechische in einem Atem zu sprechen, nur weil es eine gemeinsame Staatsorganisation gibt. Bekanntlich gibt es sehr unterschiedliche Ansichten und Existenzkonzepte in diesen beiden Kulturen, nach wie vor ... Schon J. KOLLAR trat der Initiative L. STÚRS von 1843 entgegen, eine besondere „slowakische Sprache" zu büden. (Siehe seinen Artikel „Stimmen zur Notwendigkeit einer einheitlichen Schriftsprache für Tschechen, Mährer und Slowaken" - „Hlasy o potrebë jednoty spisovného jazyka pro Cechy, Moravany a Slováky", Prag 1846). Andererseits: die berühmte Diskussion aus dem Jahre 1909, in den „Sinn der tschechischen Geschichte" als einer bloßen Tschechen-Deutschen-Frage berührt hat, hat das Problem einer tschechoslowakischen Kultur- und Staatseinheit nahezu außer Acht gelassen. Infolgedessen blieb dann auch die eigentliche ad hoc wichtigste Frage, die einer „tschechoslowakischen" Geschichte nämlich, praktisch bis zum Ende des 1. Weltkrieges ungelöst: und wurde dann wiederum über Nacht übereilt entschieden - unglücklich ... Eine Frage nach dem „Sinn der slowakischen Geschichte" wäre wohl mit dem gleichen Recht zu stellen ... PALACKY, Franz (FrantiSek), am 14. Juni 1798 in Hötzendorf (Hodslavice) in Mähren geboren, studierte in Prag Deutschland Geschichte und Philosophie. Von Caspar Graf STERNBERG, dem Gründer des „Böhmischen Museums", als „Königlicher Landeshistoriograph" nach Prag berufen (1829), wurde er im Laufe der Zeit zur führenden Autorität der tschechischen Politik. Am 11.4.1848 schrieb er, als Programm seiner „Alttschechischen Partei", seinen berühmten Absagebrief an das .Frankfurter Parlament": ein Grunddokument des „Austroslawismus", den PALACKY beinahe sein ganzes Leben lang vertrat. Anfang Mai 1848 wurde PALACKY sogar das Vertreten im Ministerrat (als erstem Slawen aller Zeiten überhaupt) angeboten: dies hat er jedoch mit der Erklärung, er sei „entschiedener Liberaler" und ein tiefgläubiger Evangeliker abgelehnt. Der am 2.6.1848 auf Anregung PALACKYs gegründete „Slawenkongreß" hat für die politische Entwicklung in Böhmen die strategischwichtigen Richdinien gesetzt. PALACKY selbst wurde Mitglied des ersten österreichischen Reichstages und 1861 Mitglied des Herrenhauses in Wien. Er starb, als „Vater der Nation" verehrt, am 26.5.1876 in Prag. MASARYK, T.G.: „Jan HUS", Abs. 20, 79. PALACKY, Fr.: .Ästhetik" („Kràsowëda", tsch.), ÖSWM w 6echách, 3,1829, Bd. 1, 82-99.
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K.K. patriotischen Publikum wenig verständlich zu sein, und, wie PALACKY sich erinnert, wollte er selber aus diesem praktisch-psychologischen Grund die Arbeit nicht weiter fortsetzen. Erst nach Jahren, „... von den edlen und seltenen Patrioten oft aufgefordert und von manchen Seiten um die Fortsetzung ersucht... konnte diesem Verlangen nicht widerstehen ..." 4 5 So erschienen doch, mit Verspätung, die weiteren Sequenzen seiner philosophischen Theorie.- Es war schon damals, um des Volkes willen, nötig, diesen immer noch jungen Mann um seine Geschenke zu ersuchen ... Die Charakteristik eines künftigen „Vaters der Nation..." Was darüber hinaus, als pendant und Ergänzung dieser Herrlichkeit, aus dem Geist der Philosophie PALACKYs hervorgeht, ist die offensichtliche Gleichgültigkeit einer möglichen denkerischen Originalität gegenüber: da will PALACKY seiner Zeit eine zwar brauchbare, hohe und gebildete, jedoch keineswegs abenteuerlich-entdeckerische Philosophie bieten, von welcher eine entstehende Sprachkultur ausgehen kann: alles Folgende ist dann schon als die Sache der Fortläufer zu sehen... So spürt man bereits bei dem philosophierenden Jüngling die Seele eines behutsamen und gewissenhaften Landesvaters erwachen, dessen Aufgabe die übersichtliche und gründliche Kenntnis der tschechischen Geschichte und eine tatsächliche philosophische Begründung einer neuen Kultur werden. Diejenigen, die bei dem jungen PALACKY nach einer reinen Originalität suchen (und infolgedessen auch entsprechend enttäuscht werden), müssen es so sehen: eine Originalität? - „Nein danke, meine Herren, kann ich nicht brauchen..." Die National-, d.h. die Regionalphilosophie PALACKYs 4 6 verzichtet weder auf den theistischen Ansatz noch auf die Prinzipien der „Bergpredigt": ihre Richtlinien lenken jedoch stark von irgendeiner offenbarten Religion ab. Es gibt für PALACKY nur eine einzige, durchaus rationalistisch erklärbare Religion: die „Religion der Vernunft", eine sich dem Menschen zuwendende Religion der Humanität... Dieses etwas zu persönlich stilisierte Religionsbild neigt bei PALACKY deutlich den Hauptideen der „Böhmischen Brüder" zu, ohne dabei im Boden dieser Konfession eine ausschließliche Identität gefunden zu haben. Darüberhinaus, nicht weit von dem genannten Ansatz entfernt, ist in der Religionskonzeption PALACKYs eine bedeutende Teilnahme an der F.thik KANTs zu finden. PALACKY nimmt die KANTsche Antwort auf das religiöse Problem der Geschichte auf, wie diese in der „Kritik der praktischen Vernunft" artikuliert wurde. Und in dem KANTschen „sittlichen Gesetz in mir" meint PALACKY sogar die Weiterentwicklung der Ideale der „Brüder- Unität" gefunden zu haben. PALACKY wurde besonders durch den KANTschen Akzent auf dem Subjektiv-Sittlichen der „Entscheidung" beeindruckt: „Bemühen wir uns also um die Frömmigkeit, sehnen wir uns vor allem nach der vollständigen Freiheit... nicht nach einer ... nur negativen Freiheit der Unabhägigkeit
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PALACKY, Fr.: „Ästhetik", ibid., Bd. 2, 107. Siehe: PALACKY, Fr.: „Allgemeine Untersuchung des menschlichen Geistes in seinen Tätigkeiten. Als eine Einführung zur Ästhetik" („Powsechné zkaumanj ducha clowëcjho w jeho cinnostech. Jakozto úwod k aisthetice", tsch.), Krok 1, 1823, Nr. 2, 127-141. - In der Fußnote zum 1. Teil der „Ästhetik" sagt der Autor klar und deutlich: „... sie (d.h. meine „Ästhetik") soll als ein Beispiel des philosophischen, bei uns wenig gebildeten Stils stehen ... Ich will doch dafür sorgen, daß die tschechische philosophische Terminologie, sofern sie existiert, im nächsten Band dieser Zeitschrift herausgegeben wird..." Siehe CSWM 1, 1827, Bd. 1, 86.
und Selbständigkeit, sondern nach einer Vollmächtigkeit, nach einer Freiheit, die über die Fülle der Sicherheit herrscht." 47 Die Philosophie wird bei PALACKY als ein Ideensyndrom begriffen, dessen Sinn, Sendung und menschliche Aufgabe eine Gott-Mensch-Synergie ist. PALACKY äußert sich davon überzeugt, daß diesen Ideen eine über das Bloß-Menschliche hinausragender Sinn als eine der menschlichen Seele eingeborene Gabe gegeben wird. In dieser Weltund Menschenauffassung schwebt das „ästhetische" durch die menschliche Ethik als ihre Vorausbestimmung hindurch: als ihre innere Struktur eben. Die Philosophie gemäß PALACKY findet ihre eigentliche Aufgabe in der Vorbereitung des Menschen für die „Weltfrömmigkeit", für seinen Konsens mit dem Kosmischen der Welt schlechthin. Die Ideen der Philosophie sind dabei als Bilder, Vorbilder und Abbilder dieser göttlichen Souveränität zu verstehen, zu akzeptieren: als höhere Zwecke, auf die sich alle unsere Kräfte spontan richten. Dank diesen Ideen ist auch die Teilnahme und Teilhabe des Menschen an der Schöpfung Gottes überhaupt möglich. 48 Aus diesem hochästhetisierten Philosophiebild heraus (dessen paradigmatische Struktur nicht nur bei HEGEL, sondern auch bei KANT, HERDER, SHAFTESBURY, Fr. BACON u.a. besser durchschaubar ist) werden bei PALACKY dann weitgehende Konsequenzen für eine - im Geiste PLATONs - geistige Definition der Philosophie gezogen. Die Philosophie wird nicht als eine „reine" (d.h. kritisch aufgefaßte) eidetische Struktur, sondern gleichzeitig auch als eine „empirische" (vor allem Logik und Metaphysik) und „übende" (vor allem Moral- und Rechtsphilosophie, Religionsphilosophie und Ästhetik im engeren Sinne) bestimmt und differenziert. Die empirische Philosophie soll die Idee und das Gesetz der Wahrheit bestimmen: die praktische Philosophie findet ihre Aufgabe in der Suche nach Tugend und Gerechtigkeit. 49 Doch sind diese philosophischen Esquisses nur ein Vorspiel der eigentlichen Geschichtsphilosophie PALACKYs gewesen: wenn sie auch von ihrem geistigem Vater nie ganz aufgegeben wurden. Das Opus Magnum PALACKYs, die „Geschichte der tschechischen Nation, in Böhmen und Mähren" 50 ein riesiges, elfbändiges Werk, hat seiner Philosophie zwar neuen Raum, nicht aber neue Grundlagen verliehen: auf dem Hintergrund der „Geschichte" PALACKYs sind die philosophischen Motive seiner Historiographie deutlich zu erkennen. Frantisek PALACKY nimmt an den optimistischen Idealen der zeitgenössischen Historiographie dermaßen teil, daß er sich (ebenso wie seine sehr achtbaren deutsch47 48
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PALACKY, Fr.: „Ästhetik", ibid., 102. PALACKY, Fr.: „Ästhetik", ibid., 103f. Siehe auch: „Übersichtliche Darstellung der Geschichte der Ästhetik und ihrer Literatur" (beide Werke später auch in „Radhost", I, Prag 1871 abgedruckt). Neben der Ästhetik hat Fr. PALACKY seine Philosophieauffassung auch in einigen anderen Werken geäußert. Siehe: „Über den Ursprung des Komischen und des Tragischen" („O pûwodu komicnosti a tragicnosti. Od Frant. PALACKEHO", tsch.), in: ÖS WM w Cechách, 4, 1830, Bd. 3, 261 f. PALACKY, Fr.: „Geschichte von Böhmen", 5 Bde. (zuerst), dt. 1836-1867; tsch. 18481876. - Der konservative Liberale PALACKY hat seine Ansichten kaum geändert: so sind die Ergebnisse seiner philosophischen Studien aus den Jahren 1818-1820 für immer in seinen geschichtlichen Studien enthalten geblieben. - An seiner „Geschichte" hat er mit ganzer Kraft nach 1829 (als ihm das Amt eines offiziellen Historiographen anvertraut wurde) gearbeitet, und ganz besonders nach dem Scheitern des radikalen Liberalismus nach 1848 fühlte er sich gezwungen, durch das Beweisbarhistorische seine Patriotismusphilosophie zu präzisem Ausdruck zu bringen. - Daß er darüberhinaus auch für sein praktisch-politisches Engagement noch Kraft genug gefunden hat, ist heute kaum zu fassen.
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böhmischen Gegner) auf den Glauben an ein geistlich wirkendes, unpersönliches Gesetz und an das Heil der Zivilisation stützt. Versuchen wir, diese weltanschaulichen Grundlagen seiner Philosophie zu analysieren, können wir kaum vom Einfluß der deutschen romantischen Philosophie absehen, die eine deutliche Spur in seiner ur- tschechischen Geschichtsauffassung hinterliess. 5 1 Es wirkten wohl auch die großen Devisen d ' u n e grande revolution bei P A L A C K Y mit - doch die „liberté-égalité-fraternité" Parole führt bei P A L A C K Y nicht unbedingt auf die Richtlinien der abendländischen Kultur zurück. 5 2 Durch H E R D E R mehr als durch alle Enzyklopedisten insgesamt bewogen, nach dem Menschlichen an der Geschichte zu suchen, glaubt er, bei den Alt- Slawen eine UrDemokratie gefunden zu haben, von der die eigentümliche Tradition des Tschechentums hergeleitet werden kann, w o b e i die von H E G E L übernommene Idee der Entfaltung der „Freiheit" in der Geschichte P A L A C K Y s die Rieht- und Leitlinie dieser Geschichtsauffassung geliefert hat. Zwar kein tschechicher Radikaler, doch nicht weniger eifriger Patriot als die übrigen: so gehört dem Wunschdenken P A L A C K Y s zB auch die Vorstellung an, Nicolaus C O P E R N I C U S 5 3 möge, vielleicht seinen Urvätern nach, ein Tscheche gewesen sein; im übrigen behält der Historiker doch immer kühlen Kopf und empfiehlt den Zeitgenossen, „die nachträglich ausgedachten Berichte" 5 4 besser kritisch zu bewerten. Im Geist der tschechischen Reformation sieht Fr. P A L A C K Y den Höhepunkt der gesamten Kulturentwicklung der tschechischen Nation und den Triumph der Humanitätsidee: die Bedeutung der katholischen Tradition hat er jedoch, aufgrund seines kritischen Standpunktes der Barockkultur Böhmens und dem allgemein- unpersönlichen Paradigma einer übernationalen Kirche gegenüber, etwas unterschätzt. 5 5 Zu den religiösen Motiven der Geschichtsauffassung P A L A C K Y s tritt nicht zuletzt seine persönliche Verbundenheit mit der Religion seiner Heimat, mit der mährischbrüderlichen protestantischen Tradition hinzu, in der P A L A C K Y als Kind erzogen wurde: insbesondere wurde er durch die lebendige C O M E N I U S ' Tradition in Mähren (Fulnek u.a.a.O.) beeinflußt, was ihn auch zum Studium von C O M E N I U S ' Philosophie
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Gesteht auch MASARYK. - Siehe J a i l IIUS", Abs. 4, 16, Abs. 20, 79. Eine europäische Orientierung der tschechischen Historiographie wurde dadurch^ wohl in Zweifel gestellt: darauf hat vor allem der tschechische Hauptgegner PALACKYs, Josef PEKAft, kritisch hingewiesen. - Siehe: PEKA&, Josef: „Sinn der tschechischen Geschichte" („O smyslu fieskych dëjin", tsch.), CCH, Jg. 1926, 7 (neu hrsg. Rotterdam 1977, 376f.) Es ist nicht uninteressant, daß PEKAR in PALACKY einen „tschechischen Österreicher" sieht, bei dem der Einfluß der deutschen Tradition unverkennbar zu sehen ist. PALACKY, Fr.: „Kopernjk, puwodem snad Cech" („Copernicus", tsch.), in: Zbërky ze starozitnosti ceskoslowanské. Od Frant. PALACKého", CCM 5, 1831, Bd. 4, 435^436. PALACKY, Fr.: „Fabel über ..." („O báji krwawého snëmu Wilémowského za krále Wáclawa IV, rozjímánj kritické od Frantiska PALACKého", tsch. - ein Vortrag; gelesen in der Sitzung der Historischen Sektion der „Königlichen Böhmischen Gesellschaft für Wissenschaften", am 21. April 1842). PALACKY hat seine gründliche historiographische Darstellung der böhmischen Geschichte mit dem Jahr 1526 praktisch abgeschlossen: mehr war von einem individuell forschenden Wissenschaftler, der darüberhinaus intensiv politisch tätig war, kaum zu erwarten. Dadurch ist wohl auch eine gewisse thematische Grenze für die Bewertung der neueren tschechischen Geschichte - die eben nach 1526 begann - gesetzt. So sollte man die Geschichtsauffassung PEKAfts (von seinem persönlich kritischen Verhältnis zu PALACKY möglichst abgesehen) als ein berechtigtes Pendant zur evangelisch-patriotischen Tradition der tschechischen Historiographie betrachten.
veranlaßt hat.56 Auf diese Spuren des Evangelizismus sind auch weitere Züge der von Jan Amos COMENIUS insperierten Humanitäts-Idee gestützt: die Sehnsucht des Menschen nach der „Weltfrömmigkeit" 57 , nach dem verborgenen Gesetz unseres Daseins. Dies deutet möglicherweise auf das „Unum necessarium" von COMENIUS hin: ein Prinzip, durch welches COMENIUS sein Testament abgeschlossen hat. Diese Weltfrömmigkeit ist sodann „...nichts Gegenständliches, in jenem Sinne, daß sie vom Menschenwesen nicht abhängt... Sie trägt ihren Sinn selbst in sich, und in ihrer Subjektivität existiert sie... Als „weltfrommer Mensch" wird derjenige bezeichnet, in welchem sich das göttliche Wesen, die Kraft und Wirksamkeit am genauesten und am lebendigsten auswirkt." 58 Eine nahezu pragmatische Sehnsucht einen, dem göttlichen Wesen ähnlichen, doch im Grunde sehr tüchtigen tschechischen Kulturzeitgenossen zu erziehen, schwebt durch diese sonst hochmetaphysischen Zeilen hindurch... Die Menschenatur, so PALACKY, geht aus einem zweifachen Grund hervor: der Mensch sei gleichzeitig als Einzelner und als ein Teil des Allgemein-Seienden zu betrachten.59 Aus diesem zwangsläufigen Dualismus heraus, aus der bloßen Not, den menschlichen Geist als Subjekt und Objekt der gleichen Tätigkeit zugleich zu denken, sieht sich PALACKY der Aufgabe gegenüber gestellt, das Hauptproblem der philosophischen Menschenauffassung zu artikulieren: „Aus dem Kampf dieser zwei Elemente - dem Streben nach der Freiheit und der Notwendigkeit - geht das Gesamte des Menschenlebens hervor." Der hegelsche Ansatz dieser These PALACKYs kann kaum bestritten werden. Nun, PALACKY ist, wenn auch in diesem indirekten Sinne, nicht engkonfessionell eingeschränkt: sein persönlicher Evangelizismus ist für ihn das gleiche wie der Weg ins tiefste Herz seines Volkes, eine Heimatmission, die PALACKY mit anderen, sicher nicht zufällig eben brüderlich-denkenden Autoren-Erweckern seiner Generation vereinigt. COMENIUS ist für ihn keineswegs nur ein großer Bischof und Theologe, sondern auch ein patriotisch denkender, tschechischer Schriftsteller, dessen zwei erste in Tschechisch verfaßten Werke - „Labyrinth der Welt" (1623) und „Die Abgrundtiefe der Sicherheit" (1625) - PALACKY einen der entscheidenden Ausgangspunkte der tschechischen Philosophie ganz besonders hoch geschätzt hat. Im Vergleich mit dem seitwärts stehenden (aber philosophisch bedeutenden) BOLZANO ist die Geschichtsphilosophie PALACKYs zwar gesellschaftlich wirksam, jedoch theoretisch unwichtig. So erreicht bei Frantisek PALACKY der tschechische Traditionalismus - im Programm eine tschechischen Nationalselbständigkeit - seinen Höhepunkt. Es gibt keine unpolitische Philosophie, gemäß PALACKY, die man innerhalb der tschechischen Geschichte suchen dürfte. Aus den Maximen der christlichen Religion und der KANT sehen Ethik wird in der abgründlichen Tiefe der Geschichte nach einem freien Raum für den tschechischen Geist gesucht. So betont PALACKY die „Wahrheit und Freiheit" und die Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft der Zukunft. Die bestehende Grundstruktur Europas wird dabei als eine Bedingung des Friedens vorausgesetzt. - Diese innerlich stabile, gesicherte Gewißheit der politischen 56 57
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PALACKY, Fr.: „Das Leben COMENIUS'" (,¿iwot J.A. KOMENSKÉHO. Od. Frant. PALACKého", tsch.), ÈSWM w Cechách, 3, 1829, Bd. 3, 19-55. Opus zit., 23-25. „Die Weltfrömmigkeit"-ein schwerverständliches, weil künstlich geschaffenes Wort, in welchem das Unpersönlich-Providentiale der Schöpfung erklingt.. PALACKY, Fr.: „Ästhetik", ibid., 103. Ibid., 88.
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Orientierung ist bei den Nachfolgern P A L A C K Y s in der tschechischen Politik kaum mehr zu finden. Aus dem gleichen Grund heraus wird jedoch auch ein „Kampf um die nationale Selbständigkeit" der Tschechen, als ein politisches Credo einer mit P A L A C K Y beginnenden Geschichtsauffassung, mit zunehmender Deutlichkeit durchgesetzt. So wurde von den tschechischen Patrioten - vom konservativen Liberalen 6 0 P A L A C K Y bis zu den radikalsten Gestalten der Revolution von 1848 - die anti-germanisch ausgespitzte Ausformung dieses P r o g r a m m s als Kampfidee uneingeschränkt vertreten. A m Rande dieser dynamischen politischen Geschichte entstand, als Kind ihrer Zeit, auch die tschechische Philosophie. Die bestehende Kluft zwischen der praktisch-politischen Dimension der „tschechischen Frage" und den Möglichkeiten der Philosophie, sich selbst als eine übernationale, europäische geistige Struktur zu artikulieren, war nicht einfach zu überbrücken. Unter dem Einfluß P A L A C K Y s verschob sich d e r Schwerpunkt der tschechischen Politik immer mehr in den Bereich der geschichtlich-wissenschaftlichen Probleme und wurde auch mit zunehmender Kraft durch die rasch sich entwickelnde historiographische Forschung bestätigt. Ein interessantes Paradox kann man dabei betrachten: j e mehr man nach einer oder anderen selbständigen tschechischen Terminologie zu forschen begann, desto mehr wurde nun die tschechische Philosophie durch die von der deutschen philosophischen Literatur angebotenen (und ganz besonders durch die Romantik und Halbromantik artikulierten) Muster geprägt. Nicht nur Frantisek P A L A C K Y - „der Liberale" - auf dessen Erbschaft sich später Thomas M A S A R Y K gestellt werden sieht (und dessen „Liberale Partei" der Alttschechen noch später zu den Hauptgegnern von M A S A R Y K zählen wird), sondern auch ein anderer Zeitgenosse von PALACKY, der Dichter Jan K O L L Á R , gilt als der Mitbegründer der selbständigen tschechischen Denkkultur. Ján KOLLÁR, der letzte Punkt der Sicherheit innerhalb eines politisch unsicheren Zeitalters. Ján K O L L Á R 6 1 , der authentische Begründer des Panslawismus: ein Author, welcher 60
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Das Wort „Liberalismus" ist da gut zu verstehen. So liest man z.B. bei MASARYK: „PALACKY wurde einem philosophischen Liberalismus nicht in dem Maße wie HAVLÍCEK zugänglich: beide haben jcdoch beine sozialen und politischen Resultate ... aufgenommen. ... Durch diese Zerstörung der erweckerischen Gedanken ... durch einen fremden (sie!) Liberalismus entstand der schicksalhafte Gegensatz innerhalb der Grundideen unseres Nationalprogramms." MASARYK, T.G.: „Jan HUS", Abs. 13, 3. - Was heißt da eigentlich „fremd"? KOLLÁR, Ján, am 29.7.1793 in Mossoc (Ungarn) geboren, wurde schon zu seiner Gymnasialzeit in Deutsch unterrichtet (Kremnitz/Neusohl). In den Jahren 1817-1819 studierte er in Jena (evangelische Theologie vor allem) - in dieser Zeit verkehrte er wiederholt mit GOETHE in Weimar und blieb von ihm sein ganzes Leben lang beeindruckt. Mit der deutsch-lutherischen Kultur vielseitig und eng verbunden (u.a. hat er die Deutsche Friederike SCHMIDT geheiratet) schuf er jedoch eine, ja die einzig konsequente und scharf ideologische Geschichtsauffassung, in der er den slawischen Freiheitsanspruch zum deutlichen Ausdruck gebracht hat. Andererseits ist dieser „Pan-Slawismus" keineswegs gegen die deutsche Kultur gerichtet: dieser Mitbegründer einer erneuerten tschechischen Sprache schrieb einige seiner wissenschaftlichen Abhandlungen in Deutsch und hat in seiner Pfarrei, im ungarischen Pest, zweifelsohne nicht nur in beiden Sprachen seiner Gemeinde (slowakisch, deutsch), sondern auch ungarisch gepredigt. Und Deutsch war in seinem Haus auch die Familiensprache. - Das Werk: „Die Tochter des Ruhmes" („Sláwy deera", tsch., 1824 (2. Bearbeitung 1832) - ein Sonettenzyklus zu Ehren des Slawentums. „Über die litterarische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slawischen Nation" (dt., 1837). Zwischen 1823 und 1827 gab KOLLÁR zwei Bände slowakischer Volkslieder heraus. Seine
den Ausgangspunkt einer Neuen tschechischen Kultur in der „slawischen Wechselseitigkeit" sieht, deren Grundlage die HERDERsche „Humanität" sein soll. KOLLAR wurde sich noch der Möglichkeit bewußt, daß Slawenphänomen mit der Hilfe der, wie er glaubte, fortschrittlichsten Philosophie: der Philosophie des deutschen Neuhumanismus - lösen zu können. 62 Deutlicher als bei den anderen komm bei Ján KOLLÁR die „Brückenidee" und „Brückenrolle" der Tschechen in Europa 63 zum Vorschein. - Nun, um das gleiche haben sich auch die Deutschen in Böhmen ihrerseits bemüht.
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„Gesammelten Werke" (4 Bde.) wurden bereits in den Jahren 1862-1863 herausgegeben. MASARYK, T.G.: „Jan HUS", Abs. 4, 16. Ján KOLLAR, nach einer Bemerkung MASARYKs (die als sehr wichtig fürs wahre Begreifen der politischen Konzeption MASARYKs erscheint) hat sich „gegen die Orthodoxie" (d.h. russisch orthodoxe Kirche) „ausgesprochen, wenn er auch ... in der tschechischen Reformation ein seit der Zeit METHODIOS' in Böhmen sich haltendes Kind der östlichen Kirche gesehen hat ..." („Jan HUS", Abs. 15,^ 67). - Zweifelsohne ein Abzeichen einer erhaben-distanzierten geistigen Position KOLLARs.
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4. Bernard BOLZANO und sein Einfluß ( B O L Z A N O und sein Kreis. D i e nachbolzanische P h i l o s o p h i e in Prag. D i e Schüler J A C O B I s . D e r Beitrag des Hl. C l e m e n s Maria H O F B A U E R s . A n t o n G Ü N T H E R und s e i n e Schule. J.E. V E I T H , J.N. E H R L I C H )
„Ein merkwürdiges Schicksal: Die deutsche Philosophie mußte die philosophische Grundlage für die antideutschen nationalen Bemühungen liefern; für ihre tschechische Kultur mußten unsere Erwecker die deutsche Philosophie verwenden." (T.G. MASARYK, Die Tschechische Frage)
„Sein schönstes und dauerndstes Denkmal ist, daß die freiheitliche Geistesbewegung in inserem Vaterland eine Frucht der Saat ist, die er ausgestreut hat." (Karel HAVLÍCEK, „Národní noviny", 21.12.1848)
„Es findet ein sehr genauer, inniger Zusammenhang zwischen der Tugend und einer
richtigen,
geschärften Urteilskraft statt. Daß Menschen gewissen Lastern fröhnen - davon liegt der Grund am Ende immer nur in irgend einer bald gröberen, bald feineren Täuschung ihres Verstandes, in einer Schwäche ihrer Urteilskraft." (Bernard BOLZANO, ..Erbauungsreden")
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Die b ö h m i s c h e Philosophie, im Vergleich mit der geistigen Situation in Deutschland und Österreich, f a n d kurz vor d e m stürmischen Jahr 1848 f ü r ihre Ansätze recht interessante B e d i n g u n g e n . Bevor wir das ganze geistige Klima dieser unruhigen Zeit einer A n a l y s e unterziehen, müssen wir zuerst an e i n e einflußreiche philosophische Ausstrahlung d e n k e n , die als ein Ferment, innerhalb der allgemeinen politischen Erregung, die geistige R e i f e der philosophischen Entwicklung B ö h m e n s beschleunigte und intensivierte. Diese fruchtbare Kraft ist zu e i n e m Gutteil auf die hervorragende denkerische Persönlichkeit von Bernard B O L Z A N O 1 „einen der größten Logiker aller 1
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BOLZANO, Bernard, am 5.10.1781 in Prag geboren, teilweise italienischer Herkunft, studierte zuerst am Piaristischen Gymnasium (nicht aber im theologischen Seminar) in Prag, dann an der Prager Universität Theologie (bei M. MIKA), später auch Mathematik (bei St. WYDRA). 1805 philosophisches Rigorosum, Dr.phil. und Priesterweihe. Bald wurde er als Nachfolger von Stanislav WYDRA auf den Lehrstuhl für Mathematik berufen. Zugleich wurde das junge Genie, noch vor seiner eigentlichen Priesterweihe, am 13.2.1805 zum Lehrstuhl für Philosophie und katholische Religionslehre der Prager Karl-Ferdinand Universität bestellt: offiziell wurde er in sein Amt zwei Tage nach seiner Doktorpromotion, am 19. April 1805, eingeführt. Die wenig glückliche Verbindung von wissenschaftlichen und theologischen Motiven, ebenso wie die schwierige geistige Atmosphäre im Prag der napoleonischen Kriege, ließen den neuen Professor bald in die Konflikte mit der kirchlichen Obrigkeit ungewollt verwickelt, die er nur mühsam, selber überempfindlich, austragen mußte. Als er nach seiner kurzen, schmerzhaften Laufbahn, am 24.12.1819 endgültig seines Amts enthoben und vorzeitig, in der Blüte seines Lebens, pensioniert wurde, gab es in Böhmen schon eine nicht mehr verschwindende Tradition einer tief religiösen Philosophie, der BOLZANOs Gegner und Feinde (vor allem der Studiendirektor WILHELM und der Wiener Hofkaplan FRINT) im ohnmächtigen Zorn stumm gegenüber standen. - Dieser Philosophie schrieb der Hl. Clemens Maria HOFBAUER später einen hohen glaubenstheologischen Stellenwert zu. Die Frühpensionierung eines unbequemen, genialen Mannes: ein Ereignis, das die kleinkarrierten Prager Umstände der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts charakterisiert. Erst dann konnte sich BOLZANO jedoch seiner wissenschaftlichen Sendung widmen. Für angebliche Anstiftung einer geheimen Gesellschaft, „Der Christenbund", seines Amts enthoben, lebte er zuerst in Prag, später auf dem Gut seines Freundes HOFFMANN in Tëchobuz bei Prag. In den Jahren 1820-1830 arbeitete BOLZANO an seinem Hauptwerk. „Wissenschaftslehre" (1837). Abgesetzt wurde zur gleichen Zeit auch der Schüler und Anhänger BOLZANOs, Präfekt des Theologischen Seminars in Leitmeritz, Michael FESL: Des Deismus' angeklagt, wurde er im Karzer des Servitten-Klosters in Wien bis 1825 gefangen gehalten. Danach wurde ihm der Aufenthalt in Prag nicht erlaubt. Bernard BOLZANO selbst wurde durch den Prager Erzbischof CHLUMCANSKY (der sonst an seiner Seite stand) dazu bewogen, seine Lehre öffentlich abzurufen, was er auch am 31.12.1825 (nicht ohne Rücksicht auf das Schicksal FESLs) in einer feierlichen Sitzung des Prager Konsistoriums getan hat. Dabei hatte er auch ein Glaubensbekenntnis laut dem Tridentinum abzulegen. In den späteren Jahren wurde er vorwiegend im Bereich der Mathematik tätig, mit der Absicht, ein vollständiges System einer neuen mathematischen Wissenschaft zu bilden. Bernard BOLZANO starb am 18.12.1848 in Prag. Aus dem Kreis der „Bolzanisten" sind zumindest die Gebrüder NAHLOWSKY zu nennen: Frantisek NAHLOWSKY (geb. 1807 in Sykorice bei Turnau, gestorben 1853 in Prag), katholischer Geistlicher (Böhmisch Aicha), später Religionslehrer (Dresden, Leipzig und Freiburg i. Brsg.); spiritus agens der „Bolzanisten", der auch zwei Protokolle über die „Versammlung der Geistlichen" (gehalten zu Prag am 18. und 24. Mai 1848) herausgab. Sein Bruder Winzenz (geb. 1817 daselbst, gestorben 1891 in Prag), ebenso Priester, später Studium der Theologie (ThDr 1845 in Wien) und Dogmatiker im Seminar Leitmeritz, dann Prag; zuletzt Abt bei St. Margarethen in Brewnow, hat BOLZANOs Ideen weiter gepflegt.
Zeiten" (Edmund HUSSERL), zurückzuführen. BOLZANO ist die bedeutendste Gestalt der Philosophie, der Logik und Religionsphilosophie in Böhmen am Bruch des 18./19. Jhs. In seiner Philosophie vereinigen sich die Gedankenimpulse der Philosophie und Theologie mit den geistigen Motiven der zeitgenössischen Wissenschaft, Logik und Mathematik. Zweifellos gehört BOLZANO der deutsch-sprechenden philosophischen Kultur in Prag an. Nun, Bernard BOLZANO ist duch seine ganze Orientierung, durch seine Muttersprache, Herkunft und nationale Aufgabe, mit welcher er sich den aufgeklärten Zielen seiner Zeit in Böhmen gewidmet hat, ein echter Europäer der böhmischen philosophischen Tradition: keineswegs nur ein geistiger Deutscher. Zweifelsohne, der bedeutendste Vertreter der deutsch sprechenden und schreibenden Philosophie in Böhmen: aber nicht nur das ... Im gleichen Maße ist BOLZANO ein wichtiger Autor auch der tschechischen Philosophie. Seine Schönheitsfehler ( - er schrieb deutsch und wurde katholischer Priester) haben ihn zwar für manchen patriotisch orientierten Historiker wenig 2 interessant gemacht. Es ist doch klare Tatsache, daß BOLZANO in Prag der ersten Hälfte des 19. Jhs. die erste philosophische Autorität wurde. Sogar Franz EXNER selbst, der Landesvater der böhmischen Philosophie, hat die bolzanische Richtung dankbar anerkannt. 3 Im merkwürdigen Einklang damit hat auch die garnicht loyale Rebellengeneration einen Menschen BOLZANO, den einsamen Kämpfer gegen den bigotten österreichischen Obscurantismus, beinahe wie einen revolutionären Helden gefeiert. Das Hauptwerk BOLZANOs, „Wissenschaftslehre" 4 , ist ein Entwurf einer Gedankenkonzeption, die dem wissenschaftlichen Denken neue Wege zeigt. „Philosophie ist die Wissenschaft von den objektiven Zusammenhängen aller derjenigen Wahrheiten, in deren letzten Gründen nach Möglichkeit einzudringen wir uns zu einer Aufgabe machen, um dadurch weiser und besser zu werden." 5 Eine scheinbar sokratische Definition der Philosophie, die das Vollkommene mit dem Guten verbindet, läßt jedoch garnicht vergessen, daß es für BOLZANO keineswegs „Wahrheit", sondern nur „Wahrheiten" gibt. Zum Gegenstand des Denken BOLZANOs wird einerseits Mathematik (die er als eine rein begriffliche, von der „Auffassung" unabhängige Wissenschaft erklärt), andererseits auch Philosophie: vor allem Metaphysik und Religionsphilosophie (die er als „Wissenschaftslehre", dh. die Einheit von Logik, Noetik und Psychologie bezeichnet). BOLZANO stellt sich scharf der Philosophie HEGELs gegenüber, wie er auch im übrigen eine kritische Einstellung dem deutschen Idealismus entgegen einnimmt: diese Philosophie scheint ihm zu dunkel, zu unklar zu sein. 2
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Im Jahre 1831 erscheint, anonym, in „Krok" die tschechische Übersetzung der Abhandlung BOLZANOs „Über die Logik" („O logice"); erst aber fünfzig Jahre danach (im Jubiläumsjahr 1881) sind diesem Beispiel weitere, kleinere, tschechische Übersetzungen gefolgt („Logika u kratiòkém vytahu", Prag 1883, hrsg. Emilie SCHMUTZER); die „Erbauungsreden" („Reci vzdelávací akademické mládezi", hrsg. Κ. TIPPMANN und Josef SAUER von Augenburg) erschienen in 4 Bden. in den Jahren 1882-1888. Siehe „Der Briefwechsel B. BOLZANOs mit F. EXNER" (Hrsg. von Eduard WINTER), 4 Bde., Prag 1935. Die vier Bände der „Wissenschaftslehre" erschienen 1837 in Sulzbach: im österreichischen Bereich wurde das Werk zensuriert. - In Sulzbach gaben auch die BOLZANO Schüler (Franz SCHNEIDER und Josef DITTRICH) anonym auch sein dreibändiges „ Lehrbuch der Religionswissenschaft" (1834) heraus. BOLZANO, Β.: „Was ist Philosophie?", Wien 1849, 30.
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Demgegenüber kehrt er bis an LEIBNIZ zurück (selber „LEIBNIZ auf dem böhmischen Boden" genannt...), dessen Lehre, vor allem aber seine „Monadologie" und Rationalismus, er zu erneuern versucht. Obgleich Bernard BOLZANO gleichzeitig auch scharf gegen jeglichen Subjektivismus und Psychologismus in der Philosophie (besonders gegen KANT) eintritt, begründet er in der Tat eine andere, deutlich auf einer subjektiven Skepsis beruhende Weltauffassung, in der das vermutlich Objektivste, dh. Gott, die insgesamt unsichere und durch die Mittel einer dogmatischen Wissenschaft kaum feststellbare Wirklichkeit garantieren soll. So unterordnet er Gott die Kompetenz „gedachter Wahrheiten" - sie sind im Denken Gottes bereits gegeben, wovon wohl für die menschliche Chance, etwas als Wahres festzustellen, nicht hervorgeht. 6 „Es ist nicht wahr, weil es Gott so erkennt; sondern im Gegenteil Gott erkennt es, weil es so ist." 7 Eine unverkennbar wissenschaftliche, zumal auch sehr wissenschaftlich konstruierte Theologiekonzeption. Die Suche nach einer wissenschaftlichen Logik wurde für BOLZANO wohl bitter nötig. Die ganze Wahrheitstheorie und -thematik wurde ihm nur zum Beweiswerk der Gottesexistenz. Sein durch die Aufklärungstheologie geprägtes Gottesbild unterscheidet ihn wesentlich vom philosopischen Standpunkt eines Thomas AQUINA. Das Descartessche etwas skeptisch aufgegriffene „clare et distincte" kommt dabei bei BOLZANO nicht selten zum Ausdruck: ein Umstand, der BOLZANO mit HUSSERL eng verbindet. 8 Es war nicht sosehr die „Wissenschaftslehre" als die Ethik und Religionsphilosophie BOLZANOs, die den „BOLZANO-Prozeß" verursachte. Die heute wenig bekannte Ethik BOLZANOs wurde allmählich zum kriterialen Punkt der öffentlichen Habilitât seiner Philosophie. In einer Zeit, in welcher der KANTsche „"Kategorische Imperativ" noch ganz modisch ist, versucht auch BOLZANO seine höchste Maxime zu artikulieren: „Wähle von allen möglichen Handlungen immer diejenige, die, alle Folgen erwogen, das Wohl des Ganzen, gleichviel in welchem Teil, am meisten begründet." 9 Eine echt rationalistische Definition, die BOLZANO nicht nur mit dem Geiste der Ethik KANTs, sondern auch mit einem Utilitarismus von Jeremy BENTHAM verbindet: der Akzent wird dabei auf die „Wahl" gelegt. Ein sittlich-pragmatischer Standpunkt übrigens ist in der philosophisch-theologischen Lehre BOLZANOs ganz markant: seiner Meinung nach ist eine theologische Lehre schon dann für den Menschen akzeptabel, wenn man beweisen kann, daß das Glaubenselement in dieser Lehre auch für die Moral nützlich ist. (Auf solche Art pragmatisiert BOLZANO die ganze Passionsgeschichte der Evangelien - es liegt nicht sosehr an ihrer geschichtlichen Wirklichkeit, als an ihrer ethischen Sendung und Auswirkung.) Die ethischen Postulate BOLZANOs bleiben dabei keineswegs nur auf halbem Weg theoretischer Empfehlungen stehen. 6
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BOLZANO selber, ein Mann von heiliger Bescheidenheit, gab als Autor wenig aus seinem Werk heraus. Anonym erschien schon „Athanasia oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele" (1827); erst die 2. Aufl. (1838) hat der Autor unterzeichnen können. - „Wissenschaftslehre": „... von einigen seiner Freunde herausgegeben ...", 4 Bde., 1837; Neuausgabe 1. Bd., 1914, 2. Bd. 1915. - Sein „Lehrbuch der Religionswissenschaft" (4 Bde., 1834) wurde von einigen Schülern BOLZANOs herausgegeben. „ Erbauungsreden an die Hörer der Philosophie an der Prager Universität" (3 Bde., 1851); 4. Bd., 1852) wurden „... von einigen seiner Freunde herausgegeben ..."- Der Hauptgrund lag wohl in der Zensur und in der polizeilichen Persekution des bolzanischen Werkes. BOLZANO, Β.: „Wissenschaftslehre", I, § 25, d. HUSSERL, E.: „Logische Untersuchungen", I, Wien 1900, 225. BOLZANO, Β.: „Religionswissenschaft", I, 236.
Die Religionsphilosophie B O L Z A N O s ist von seiner Ethik nur kaum zu trennen: wobei es vor allem die charitative und wirksame Sozialethik ist, die, seiner Meinung nach, d i e höchste Achtung verdient. Besonders die „Erbauungsreden" B O L Z A N O s bieten ein umfangreiches Material an, von welchem her die großartige Dimension eines Ethikers B O L Z A N O s 1 0 deutlich erkennbar ist. In seinen sozialpolitischen Schriften 1 1 gelangt B O L Z A N O an die Schwelle einer sozialen Utopie. Daraus zieht B O L Z A N O eine Reihe praktischer Konsequenzen (z.B. die Ablehnung des Reliquienkults, überzeremonieller Gottesdienste und der ganzen überspannten, exaltierten Spiritualität, die noch auch für seine Zeit ganz häufig vorfand, überhaupt). Sogar d i e ganze Religionsauffassung B O L Z A N O s - Religion als die „Gesamtheit aller Lehren und Meinungen eines Menschen, die seine Tugend und Glückseligkeit beeinflussen" 1 2 (wie dies in einer echt aufklärerischen Formulation zum Vorschein bei B O L Z A N O kommt) ist, seiner Meinung nach, ethischer Abstammung. Das alles hätte leicht d e n Verdacht einer Häresie veranlassen können. Diese äußerst rationalistische und durch einen pragmatischen Ansatz geprägte Religionsauffassung kommt bei B O L Z A N O auch durch seine persönliche Religionsüberzeugung vor: es liegt ihm vor allem an einer subjektiven 1 3 Realitätskonstruktion eines religiösen Weltbildes; eine naiv-realistische Auffassung des Wortes Gottes ist f ü r ihn wenig relevant. Mit der gleichen Logik lehnt der Josephinist B O L Z A N O einen Ultramontanismus grundsätzlich ab 14 , obgleich über seine katholische Selbstidentität kein Zweifel besteht. Mit dieser Überzeugung verbindet B O L Z A N O die Auffassung, daß die Existenz Gottes als möglich zu beweisen sei. Die Ethik ist in dieser Auffassung B O L Z A N O s ein Bestandteil der Religionswissenschaft - sie beruht nicht auf der Offenbarung selbst ( - nicht nur...), sondern (auch...) auf der rationellen Begründung, von welcher her Gott selbst als philosophische Kategorie zu fassen ist. Für d a s beste Mittel zur Föderung des Gemeinwohls hält B O L Z A N O die Erziehung in der Politik (zu welcher er einen gleichgültigen Standpunkt einnimmt) neigt er zu den
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BOLZANO, Β.: „ Erbauungsreden", I.-VII., Prag 1849 1855. „Wer nicht arbeitet, ist der Gabe des Lebens nicht würdig." - Ein evangelischer Satz aus der Studie BOLZANOs „Über den besten Staat" (die bereits 1822 geschrieben, jedoch erst 1832 herausgegeben wurde.) - Seine Abhandlung „Über das Recht der Geistlichkeit, ihren Lebensunterhalt von Personen zu beziehen, welche nicht ihres Glaubens sind" (in: „Freimütige Blätter über Theologie und Kirchentum", Neue Folge 11, Stuttgart 1838) betrifft die aktuellen sozial-politischen Probleme, u.a. auch das religiös-politische Problem Irlands der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts. BOLZANO hat sogar beabsichtigt, diese Studie ins Englische zu übersetzen und an den Führer der irischen Aufständischen, Daniel O'CONNELL zu schicken. BOLZANO, Β.: „Religionswissenschaft", I, 3. „... daß es sich in der Religion, besonders in einer göttlichen Offenbarung, so gar nicht darum handle, wie eine Sache geschaffen sei, sondern vielmehr nur darum, was für eine Vorstellung von ihr für uns die erbaulichste ist". BOLZANO, Β.: „ Selbstbiographie", in: „Ausgewählte Schriften" (Hrsg. von E. WINTER), Berlin DDR 1976, 76. BOLZANO, Β.: „Ausgewählte Schriften" (Hrsg. von E. WINTER), Berlin DDR 1976,45. Der beste BOLZANO-Kenner aller Zeiten, Eduard WINTER, hat sich trotzdem in manchen Details geirrt; erst die neue kritische Ausgabe des bolzanischen Werkes (bei FROMMANNHOLZBOOG in Stuttgart) hat die ganze BOLZANO-Forschung ins klare Licht gestellt. Einen besonders wichtigen Beitrag hat dabei der tschechische Forscher Jaromir LOU¿IL geleistet. Siehe die „Editionsbemerkung" in: „Bernard BOLZANO. Vybor ζ filozofickych spisû", Prag 1981, 434f.
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demokratischen und sozialen Ansichten, wobei ihm die konkrete charitative Tätigkeit viel bedeutet. Bernard BOLZANO gehört jenem deutsch-böhmischen Kulturbereich an, in dem sich die deutsche philosophische Tradition nicht nur mit dem gemeinsamen Kulturerbe Böhmens mühelos verband, sondern in welchem es auch noch möglich war, die tschechisch- sprachige Bedürftigkeit angesichts den germanophilen Bestrebungen deutlich zu akzentuieren: ein Beweis einer gemeinsamen Tradition und Perspektive, die damals in Böhmen denkbar und vorstellbar war. Ganz besonders in seinen „Erbauungsreden" 1 5 folgte BOLZANO dem FTCHTEschen „ Begriff eines Gelehrten" nach, um aufgrund des gemeinsamen Humanum, der gemeinsamen Kultur, dem Streben nach Vollkommenheit, im Rahmen eines toleranten ,.Landespatriotismus" Raum genug zu schaffen. Diesen Patriotismus stellt BOLZANO einem eng begrenzten Sprachpatriotismus entgegen 1 6 wenn er auch dabei die defavorisierte tschechisch-sprachige Bevölkerung eindeutig unterstützt. Der Kreis der „Bolzanisten" sammelte sich um den Denker in der letzten Periode seines Lebens, als sich BOLZANO nicht mehr öffentlich betätigen durfte. 17 Bernard BOLZANO, eine originelle und außergewöhnliche philosophische Persönlichkeit seiner Generation, wurde also abgesetzt: es wurde aber kein gleichwertiger Ersatz für ihn gefunden. Im Gegenteil, seine Nachfolger (die nicht zufälligerweise eine antibolzanische Rolle zu spielen hatten) vertraten eine auffällig eklektische Philosophie. Ein markanter Mann dieser sonst farblosen Richtung in Prag am Anfang des 19. Jhs. war Josef K. LIKAWETZ (1773 - 1856), ein schlichter piaristischer Ordensmann, der im erwünschten Sinne einer konservativen Restauration vergeblich versuchte, die durch Aufklärung erweckte tschechische Philosophie in die alten Bahnen zurückzuführen. Im ähnlichen Sinne wirkten in Prag auch die Schüler JACOBIs: Adalbert SCHWIPPEL, Anton SPIRK und Johannes PEITHNER Ritter von Lichtenfels (1793 - 1866). Letztgenannter setzte die Philosophie JACOBIs gegen den Kantianismus durch und betonte die Rolle des Glaubens und des Gemüts für die ethischen und religiösen Begriffe. 18 Das neuhumänistische Erbe das in BOLZANO in reinster Form weiterlebte (und das seine Philosophie mit GOETHE, HERDER, SCHILLER und FRIES vereinigte), machte noch eine synthetische tschechisch-deutsche Kultur in der böhmischen Philosophie möglich. Der Einfluß BOLZANOs in Böhmen äußerte sich nicht sosehr unmittelbar und direkt als eher dadurch, daß diese Philosophie sich als eine Abwehr dem KANT und Kritizismus entgegenstellte. Die KANTsche Philosophie wurde in ihrem Glanz und Ruhm für die tschechische Kultur erst in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. entdeckt. BOLZANO wies auf die LEIBNIZsche Metaphysik hin und dementsprechend hat auch die neue Generation der Schüler BOLZANOs (ua. K. HAVLÍCEK und Fr. CUPR) aus LEIBNIZ f ü r ihren Kampf gegen die Hegelianer viel geschöpft: ein einmaliges Phänomen übrigens, das kaum in einem anderen Land Europas zu dieser Zeit zu finden ist. So war es eigentlich die Philosophie BOLZANOs, unter deren Einfluß die geistige Umwelt der tschechischen Kultur für den späteren Herbartismus vorbereitet wurde. 15 16 17 18
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BOLZANO, Β.: „Erbauungsreden", I, Prag 1849, 48; II. Teil Prag 1850, 163. Ibid., II. Teil, 163f. WINTER, E.: „BOLZANO und sein Kreis", Leipzig 1933, 230ff. Nichts charakterisiert das Niveau dieser Philosophen so deutlich als die bloße Tatsache, daß sogar bei UEBERWEG von ihren Namen jegliche Spur fehlt.
Die Philosophen der Generation HAVLICEKs, vor allem der geniale Robert ZIMMERMANN, haben sich sodenn mit KANT noch früher auseinandergesetzt, als er in Böhmen tatsächlich anerkannt wurde. Die direkte bolzanische Auswirkung hat auf allen Universitäten Österreichs, vor allem aber in Prag und Wien, eine philosophische Kettenreaktion verursacht. Der fruchtbare Einfluß von dem Hl. Clemens-Maria HOFBAUER 1 9 , dem letzten Heiligen der Donaumonarchie, ist dabei nicht zu unterschätzen: man muß wissen, daß der, angeblich katholische österreichische Staat, es nicht wagte, Clemens-Maria HOFBAUER zu den polizeilichen Verhören zu zitieren und den gerechten Priester Bernard BOLZANO zu persekuieren... Unter solchen Umständen hat sich der Gedanke einer inneren Reformation, auch innerhalb der christlichen Philosophie, tief eingewurzelt. Unter den direkten Schülern BOLZANOs ist es vor allem Anton GÜNTHER, welcher diesen Gedanken einer ethischen Katharsis tief und breit fortgesetzt hat. Anton GÜNTHER 2 0 eine der interessantesten Gestalten der neuzeitlichen Theologie, 19
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HOFBAUER, Johannes Clemens Maria („Jan DVORAK", wie er ursprünglich hieß), Hl., CSSR (seit 1784), Ordensgeistlicher des Ordens von Hl. Alfons di Liguori (der bei MASARYK so übel behandelt wird), in der deutsch-tschechischen Familie am 26. Dezember 1751 in Taßwitz (Mähren) geboren; ein Heiliger von vielen Nationen; der Stadtpatron von Wien (seit 1914), ein einfacher Bäckerlehrling und -geselle, später Student in Wien, dann Einsiedler, seit 1779 wieder Studierender der Wiener Universität (bis 1784), weiter in Rom tätig, 1785 zum Priester geweiht. Dieser beispielhafte Mann von Mähren, ein tatsächlicher Apostel von unermüdlicher Nächstenliebe, Gründer von Schulen, Lateinschulen, Waisenhäusern, zuletzt einer der ersten Theologen seines Ordens und Generalvikar; ein Klostergründer (vor allem in der Schweiz und in Süddeutschland - Wollerau, Jestetten, Triberg, Babenhausen, Chur u.a.) hat sich auf einmalige Art um die Menschheit seiner Zeit verdient gemacht: sein Beitrag zu BOLZANOs Geschichte ist ein kleiner Beweis dafür. Er starb am 15.3.1820 in Wien. Heiliggesprochen 1909. - Siehe: Monumenta Hofbaueriana, 15 Bde., Thoern-Krakau-Rom 1915-1951. GÜNTHER, Anton, geboren am 17.11.1783 in Lindenau (Böhmen), studierte Philosophie und Jura an der Präger Universität, wo er unter dem Einfluß von Bernard BOLZANO sein Interesse um die zeitgemäß aktuelle Thematik der „Wissenschaftslehre" vertieft hat. Durch Clemens Maria HOFBAUER veranlaßt, den er in Wien kennengelernt hat, setzte GÜNTHER seine Studien im Bereich der Theologie (in Raab) fort und wurde 1821 zum Priester geweiht. Zwischen 1822-1824 verblieb er als Novize im Jesuitenorden in Wien, sein Verhältnis zu diesem Orden blieb jedoch nicht ungestört. In diesen Jahren hat sich GÜNTHER für die Laufbahn eines Gelehrten entschieden, wobei er lange Jahre, doch zuletzt vergeblich, einen Ruf zur Professur in Wien erhofft hatte. Aus diesem Grund ist er auch den wiederholt angebotenen Berufungen von München (es haben GOERRES und SAILER arrangiert), Bonn (wo er zum Nachfolger von HERMES werden sollte), bzw. von Breslau und Tübingen, nicht gefolgt. Statt dessen blieb er als Privatgelehrter tätig, wobei ihm das Zensoramt (im Bereich der philosophischen und rechtswissenschaftlichen Literatur) gewährt wurde. Mit der Theologie unzufrieden, studierte er, unter dem denkerischen Einfluss von DESCARTES, die naturwissenschaftlich-medizinische Literatur (wo er Ph. HARTMANN besonders hoch geschätzt hat) einerseits; andererseits - um die Ergebnisse dieser sonst wenig geordneten Studien letzlich theologisch doch auszuwerten - hat er sich mit den sozialwissenschaftlichen Theorien (mit A. MÜLLER u.a) befaßt: da ist er wohl auf Schritt und Tritt unzähligen Gegnern begegnet. Aus seinem Werk siehe vor allem: „Vorschule zur spekulativen Theologie", Wien 1828, bzw. 1846 - 1848; „Peregrins Gastmahl", Wien 1830; „Süd- und Nordlichter am Horizont spekulativer Theologie", Wien 1832; „Janusköpfe für Philosophie und Theologie" (Mitautor J.H. PABST), Wien 1832; „Thomas a Scrupulis", Wien 1838; „Die Juste-Milieu in der deutschen Philosophie gegenwärtiger Zeit", Wien 1838; „Anti-Savarese" (aus dem Nachlass), Wien 1883; „Gesammelte Werke", 9 Bde., Wien 1882. - Über GÜNTHER und seine geistigen Kämpfe siehe: KNOODT, P.: „Anton GÜNTHER",
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hat seine Zeit auch im philosophischen Sinne deutlich abgezeichnet. GUNTHER, dieser Begründer der sg. „Wiener theologischen Schule" und des philosophischen „Güntherianismus", zu dem sich zahlreiche Anhänger und Freunde GÜNTHERS (ua. Johann Heinrich PABST, Johann Joseph von GÖRRES, Christoph Bernard SCHLÜTER, Johann Emmanuel VEITH, J.H. LÖWE, Johannes Nepomuk EHRLICH, Johannes Baptist Β ALTZER, Franz Peter KNOODT, K. WERNER, Franz Anton STAUDENMAIER, Joseph Huber REINKENS (der erste Bischof der „Altkatholischen Kirche"), Theodor GANGAU uma.) bekannt haben, hat sich zum Ziel seiner Tätigkeit gestellt, dem „modernen philosophischen Pantheismus" und dem „Theologischen Semipantheismus" vom Standpunkt einer „tatsächlichen und ehrlichen Philosophie" entgegenzutreten, das „Warum" der Offenbarung ernst zu beantworten und die Thematisierung der neuen Theologie mit dem Niveau der zeitgemäßen Philosophie gleichzusetzen. Aus dem cartesianischen Ansatz heraus versucht GÜNTHER einen ähnlichen Dualismus (von „Geist und Natur") als ontologische Grundlage der Weltauffassung zu begründen: der Mensch sei als eine Synthese dieser beiden Prinzipien zu betrachten. GÜNTHER unterscheidet den (unmittelbar von Gott geschaffenen) Geist grundsätzlich von der „Seele" (die als das wahre Subjekt der Empfindungen, Vorstellungen und Begriffe doch nicht geschaffen, sondern „erzeugt" wird): zum Unterschied von dem durch den Willen begabten Geiste ist der Seele das sinnliche Begehrungsvermögen eigen. So differenziert GÜNTHER auch das logische (begriffliche) Denken von dem Ideellen (metalogischen), um das Kantianische Dilemma zu beseitigen. GÜNTHER will so Gott als „antipantheistisches", über die Welt erhabenes Prinzip postulieren, im Sinne eines „Kreativismus", der aus der Offenbarung die richtigen Konsequenzen ziehen soll, und welcher vor allem dem Atheismus der modernen Philosophie erfolgreich gegenüber gestellt werden kann. Demzufolge hat dieses philosophische System gleichzeitig eine entscheidende Kritik provoziert, die von den bedeutenden theologischen Vertretern des status quo (OISCHINGER, CLEMENS, Fr. MICHELIS, DIERINGER, HITZFELDER, KLEUTGEN uma.) geübt wurde. Aus der Schule GÜNTHERS ist Johann Emmanuel VEITH 21 hervorgegangen, der seiner Herkunft nach dem böhmischen Denken angehört. VEITH, ein faszinierender Prediger und Mann von allseitigem Wissen - einer der Klassiker der modernen Homiletik - hat sein wohlhabendes Ann (im Bereich der Tiermedizin) aufgegeben, um sich der unsicheren Laufbahn eines philosophischen Schriftstellers und Predigers völlig widmen zu dürfen: einer der unruhigen Geister - einer
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2 Bde., Wien 1881; WINTER, Eduard: „Die geistige Entwicklung A. GÜNTHERs und seiner Schule", Prag 1931. - Die Literatur über A. GÜNTHER ist sonst immens. VEITH,Johann Emmanuel, am 10.7.1787 in Kuttenplan (Böhmen) geboren, studierte in Wien Medizin (1812 Dr.med.) und wurde 1816 zum Direktor des Tierarznei-Instituts in Wien ernannt; bereits 1820 aber pensioniert. Das hing zweifellos mit der neuen Orientierung VEITHs zusammen, die ihn mit zunehmender Kraft ins Feld der Theologie trieb. - In seiner Kindheit orthodox-jüdisch erzogen wurde er dann unter dem Einfluß von ClemensMaria HOFBAUER von demselben getauft. Kurz danach begann J.E.VEITH Theologie zu studieren. Am 21.6.1821 trat er in den CSSR-Orden ein, und schon am 28.8.1821 folgte seine Priesterweihe. Im Jahre 1830 trat er aber aus dem Orden wieder aus. Zwischen 1831 - 1845 wurde er Domprediger bei St.Stephan in Wien: im unruhigen Jahre 1848 hat er (gemeinsam mit S. BRUNNER und J.M. HÁUSLE) den nichtorthodoxen „Katholikenverband" (und zugleich auch das "Volksblatt für Glauben, Freiheit und Gesittung") gegründet. Weiterhin wurde er vorwiegend als Schriftsteller und Journalist tätig. Er starb 1870 in Wien. Zu VEITH siehe: LOEWE, J.H.: „J.E.VEITH", Wien 1879; VIDMARJ.: „J.E.VEITH", Wien 1887; HOSP, E.: „Erbe des Klemens M.HOFBAUER", Wien 1953.
solcher, ohne welchen es keinen Fortschritt in der Religionsphilosophie des 19. Jhs. gegeben hätte. Ebenso stand ein anderer Nonkonformist, Johannes Nepomuk EHRLICH 22 dem Giintherianismus nahe. Dieser philosophisch orientierte Fundamentaltheologe gilt als der Mitbegründer dieser theologischen Disziplin. Nicht nur Tschechen also, sondern auch die deutschen „Böhmer" des 19. Jhs. waren mit dem Charisma begabt, von welchem her alles Großartige der Gedankengeschichte notwendig hervorgehen muß ...
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EHRLICH, Johann Nepomuk, am 21.2.1810 in Wien aus gemischter deutsch-tschechischen Ehe geboren, studierte Theologie in Wien und wurde 1834 zum Priester geweiht. 1836 zum Professor für Philosophie in Krems ernannt, 1850 Professor für Moral in Graz (wo einst auch Johannes KEPLER diese Disziplin zu unterrichten hatte.) Seit 1857 als Professor für Fundamentaltheologie an die Universität Prag berufen. Er starb in Prag am 23.10.1864. Aus seinem Werk siehe: „Fundamental - Theologie", 2 Bde., Prag 1859 - 1862.
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5. Am Anfang der tschechischen Philosophie (Der Streit um die Nationalphilosophie: V. GABLER, J. FIDRMUC, K. HAVLÍCEK, V. NEBESKY, K.B. STORCH, K. SABINA. Eine kritische Stimme: A. S METANA.)
„Car necar, svátek nesvátek, ze mi väechno rovno: ne, a ne, a nebudu hrmít! Co ζ toho mám?" (Karel HAVLÍ0EK, „Die Taufe des Hl. WLADIMIRS")
„Zumindest KOLLÁR, PALACKY, HAVLÍCEK - so sollte man denken - sollte bei uns jeder Gebildete kennen; ja - aber nicht einmal einer von Hundert kennt sie ..." (T.G. MASARYK, „Die Tschechische Frage", 1895, 6)
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Es kommt auf den HAVLÍCEK an: es kommt darauf an, welchen HAVLÍCEK man gemeint hat ( - der echte ist nicht immer zitierbar...) ... wenn man einen HAVLÍCEK, ohne Gloriola, erkennen will. - Oder umgekehrt: wenn man konsequenterweise das HAVLÍCEKs Kreuz auf sich nehmen will. Hätte auch MASARYK die „Tschechische Frage" eben in diesem Sinne gemeint, wäre er doch wahrscheinlich nicht bereit gewesen, die vital-anarchistischen Ausdrücke eines jungen Radikalen ans Wort zu nehmen. Man hat sich lieber nach einem hochidealistisch gesinnten Image eines Naationalhelden gesehnt, um eine neue, glorreiche Legende zu erreichen - nun, dem lebendigen, tatsächlichen HAVLÍCEK hat man, nach seiner Rückkehr von Brixen nach Prag, befürchtet, auf der öffentlichen Straße die Hand zu reichen... Schon HAVLÍCEK und sein Schicksal innerhalb seiner Zeitgenossen ist ein Beispiel des halbherzigen Zutritts der tschechischen Geschichtsschreiberei - zu einem vollblutigen, echt bäuerlichen, scharfsinnigen Intellektuellen (mit allen seinen Irrtümern), der sich zu einer nationalen Selbstidentität hoch gedient machte, und der doch vor seinem frühen Tode beinahe von allen verlassen wurde... Mit dem Name HAVLÍCEKs ist auch der ruhmlose Streit um eine „Nationalphilosophie", der in der Mitte des 19. Jhs. in Böhmen aufbrach, kaum geglückt verbunden: obwohl Karel HAVLÍCEK selbst nur am Rande der literarisierten Spur dieser Geschichte geblieben ist. Die Verantwortlichkeit für diesen Streit (als Schöpfer der tschechischen Generallinie) fällt auf ihn zurück. (Nur sofern, übrigens, ist diese Diskussion auch wichtig, da sonst die meisten ausführenden Personen von einer zufälligen Randbedeutung sind: zeitweise in den Vordergrund der Geschichte geraten, verschwinden sie bald wieder in deren Schatten...) „... es hat sich auch bei uns, in Böhmen, gewisses verdeutschtes Denken über die sg. Wissenschaft der Wissenschaften verbreitet", schreibt der kaum bedeutende (und doch lautstarkste) Protagonist dieser Tragikomödie, „... so daß ein freimütiger Patriot mit Empörung jene gewisse Abart der Lehrlinge an unterschiedlichen deutscher philosophischer Schulen beobachten muß, die in unsere, bis dahin immer noch vernünftige Literatur, ein deutsches philosophisches System um jeden Preis hineinpflanzen wollen - in der Meinung, daß es ohne solche Philosophie kaum ein Wohl gibt ..."' Bei uns. - In Böhmen. - „... so eine gute Logik wie die Deutschen haben wir auch", meint GABLER darüberhinaus, wenn auch vergeblich, so doch eindrucksvoll - „... gute Psychologen haben wir auch, und eine Metaphysik deutscher Auffassung wird bei uns nicht gebraucht ,.." 2 Nur diese letztliche Aussage (da sonst zu suspekt) kann man vielleicht bestätigen: es gab zu jener Zeit eigentlich keine Metaphysik, mit welcher man einen tschechischen Namen verbinden können hätte - nun, das genuin tschechische Milieu hätte man einer tatsächlichen philosophischen Kultur (die zufälligerweise aus dem deutschen Kontext herkam) kaum gegenüberstellen können. - Zu eng waren die Grenzen der eigenen Welt, zu kleinlich. Das Schicksal von MÁCHAs „Mai" in hiesiger Umwelt, das künftige persönliche Schicksal von Bozena NEMCOVA (die unter ihren Mitbürgern beinahe aus Hungersnot starb), und übrigens auch das Zuerwartende im Leben HAVLÍCEKs: das alles sprach eine klare Rede...
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GABLER, Vilém: „Einiges über die Philosophie" („Nëco o filosofii", tsch.), ÖÖM, 21, 1847, Teil 1, Bd. 3, 273. Ibid., 291.
Um des Charakters dieses im Prager Biedermeier gründenden Streits willen (der gleichermaßen gegen die „verdeutschte Kultur" als auch gegen die Philosophie schlechthin orientiert wurde), sollte man auf gewisse paradigmatische Koordinaten der böhmischen Geistesgeschichte zurückkehren. Die Entstehungsgeschichte der tschechischen Philosophie reicht nicht weit zurück. Ein Prozeß, innerhalb dessen sich seit dem 17. Jhs. die selbstständige tschechische Nation ihr Bewußtsein schuf, brachte als seine späten Früchte auch die Philosophie hervor, die seit etwa der Mitte des 19. Jhs. 3 in der Muttersprache abgefaßt wurde. Unter diesen Umständen ist es gut zu begreifen, daß es am Anfang praktisch keine tschechisch gedachte und geschriebene philosophische Theorie gab, die nicht im Großen und Ganzen vom europäischen Denken abhängig gewesen wäre. Es ist auffällig, wie sich die tschechische Philosophie als ein Echo der westlichen (vor allem deutschen), und nur zum Teil auch östlichen geistigen Strömungen Europas entwickelte: 4 von der deutschen Philosophie inspiriert, manchmal deutlich überstrahlt, jedoch mit der ständigen Perspektive, die Lebensfähigkeit einer tschechischen Literatur zu beweisen. Das begrifflich-philosophische Denken der tschechisch schreibenden Autoren folgte den Vorbildern der deutschen Kategorienlehre; die Möglichkeit einer genuin tschechischen bergifflichen Struktur bot sich erst später. So finden wir bei den ersten Autoren der tschechischen Protophilosophie auch einen ziemlich hohen Anteil einer deutschtschechischen Buchstäblichkeit, die von den Übersetzungen der deutschen philosophischen Muster herkam. 5 3
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Zába, Gustav: Philosophie („Filosofie", tsch.); in: Památník CA, Prag 1898, Bd. I. Tschechische Philosophie; s. Ueberweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, IV, Berlin 1916, 726 f. Pelikán, Ferdinand: Kampf um die Freiheit der Tschechischen Philosophie („Boj za svobodu ceské filosofie", tsch.), Prag; -Tschechische Philosophie; s. Ueberweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, V, Berlin 1928, 290 - 291; Neumann, L.: Ein Hundert Jahre der Tschechischen Philosophie („Sto let ceské filosofie", tsch.), in: Casopis éeského Musea, 1926 (C), 249-311. „Es ist zu bemerken, dass die tschechoslowakischen ideologischen Anführer das Humanitätsideal auch dann bewahren, wenn die Deutschen, unter dem Einfluß von HEGEL und anderer Denker, von ihm abzutreten beginnen; so leben HERDER, GOETHE, SCHILLER, FRIES, BOLZANO in den Tschechen ununterbrochen, durch gegensätzliche Einflüsse noch nicht ausgedrückt, jedoch durch die verwandten Inspirationen verstärkt ..." CAPEK, J.B.: „Geist der tschechischen Vormärzliteratur" („Duch Êeské literatury predbreznové a píedmájové. Ideové proudy a osobnosti 1825-1858", tsch.), Prag 1938, 146. Bereits in der Mitte des 19. Jhs. gab es in Böhmen einen entscheidenden Streit um den grundlegenden Charakter der tschechischen Sprache. Es wurde vor allem Karel Jaromir ERBEN, der in der patriotisch orientierten Revue „Obzor"(„Umschau", 1855, 21 lf.) einem Verfasser des eben neu erschienenen, zeitgemäßen Lehrbuches der tschechischen Sprache, „Syntax der tschechischen Sprache" („Skladba jazyka öeskeho", tsch.), Prof. Martin HATTALA, vorgeworfen hat, sein Buch durch die zu sehr „modern" schreibenden Autoren begründet zu haben. (Über das abenteuerliche Experiment einer „slowakischen" Sprache hat sich ERBEN dabei besonders tief geärgert.) ERBEN, ein typischer Purist, befürchtete (nicht grundlos übrigens) „... den Einfluß von Germanismen und sprachlichen Vulgarismen..." Gemäß ERBEN sollte man (als Ausgang für die Vorbilder der tschechischen Sprache die Autoren höchstens bis zum 17. Jahrhundert gewählt haben: seit jener Zeit, so ERBEN, wurde die tschechische Sprache allmählich verdorben. (Den gleichen Standpunkt vertrat schon früher auch Josef JUNGMANN, der in einer Polemik gegen J. NEJEDLY und Georg PALKOVIC die strategisch-sprachlichen Umstände einer tschechischen Syntax betont hat.) ERBEN, ein hervorragender Kenner des Tschechischen und Slowakischen hat sich mit seinem Standpunkt nicht durchgesetzt: die Einflüsse der westlichen und insbesondere
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Daher kommt es, daß man bei den Vertretern der tschechischen Philosophie etwa in der Mitte des 19. Jhs. noch zahlreiche fast wörtliche Entsprechungen zwischen tschechischen und deutschen Begriffen vorfand, die von der Übersetzung deutscher Werke deutlich herrührten. So brach in Böhmen zu Ende der 40er Jahre eine unglückliche philosophische Diskussion - über die sogenannte „nationale Philosophie" - auf, die in Verbindung mit den zeitgenössischen liberalistischen Strömungen in Europa stand.6 Mit einem kraftvollen, optimistischen, aber zum Teil auch echt aggressiven Patriotismus wandten sich die philosophischen Sprecher neuer intellektuellen Generation der deutschen Tradition gegenüber: ein prägnanter Exponent dieser Position, Wilhelm GABLER (1821 1883), ein imgrunde wenig bekannter und bedeutender Schriftsteller, hat in seinem Artikel „Etwas über die Philosophie"7 die Existenz der deutschen Philosophie in Böhmen grundsätzlich in Frage gestellt. Schon der Titel der später von Fr. CUPR zusammengesetzten Publikation, „Sein oder Nichtsein der deutschen Philosophie in Böhmen" deutet die, etwas überschwenglichen Dimensionen des GABLERs patriotischen Enthusiasmus an: es gab einfach keine andere als eben nur deutsche Philosophie in den böhmischen Ländern jener Zeit... Die eigentliche Diskussion begann zum Thema „Nationalphilosophie": mit einer massiven Simplifikation, die sich mit dem Namen Wilhelm GABLERs unseligerweise verbindet: der junge, ambitiöse Philosoph hat sich der Patriotismus-Idee mit einem grenzlosen Eifer angeboten. Die hintergründigen Emotionen haben nun seinen Gedankenweg garnicht geebnet: statt die erste Diskussion in der tschechischen Philosophiegeschichte mit der Kanonade aus den großkalibrigen Waffen zu öffnen, wäre es wahrscheinlich besser gewesen, ein Paar Jahre noch weiter zu forschen, was besonders auf GABLER zurückfällt. Der unglücklich berühmte Artikel „Einiges über die Philosophie" 8 erschien nichtdestotrotz im offiziellen Organ der tschechischen Wissenschaft, in der „Zeitschrift des Tschechischen Museums", und wurde zweifelsohne nicht ohne PALACKYs Zustimmung veröffentlicht. Die von GABLER vertretene Linie hat auch nicht eben unwichtige Stützen in der tschechischen Politik gefunden: ein Beweis für die antideutsche Stimmung der jungen Generation der Tschechen jener Zeit. Es muß nicht viel zitiert werden, um die Idee und die ideologische Position GABLERs zu fassen: „Unter dem „rozum" 9 möchte ich gerne das ausdrücken, was die
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deutschen Sprachkultur wurden im wissenschaftlichen und philosophischen Bereich voll akzeptiert, und auch die Belletristik blieb durch die Neologismen nichttschechischer Herkunft nicht unberührt. Vgl. JAKUBEC, Jan: „Geschichte der tschechischen Literatur" („Dëjiny literatury íeské, tsch.), Prag 1934, 1007. Vgl. Eduard WINTER: „Der Josefinismus", Berlin 1962, V. Kap. („Spätjosefinismus"), 286f. Vgl. Vilem GABLER, „Einiges über die Philosophie („Nëco o filosofil", tsch.), CCM 1846. - Gabler war als Erzieher im Haus Rohan, später bei einer anderen adeligen Familie in Prag, Lobkowicz-Wrtba, tätig. Vgl. auch seine anderen Werke: „Prager Briefe über die böhmische Frage" („Prazské dopisy o í e s k é otázce", tsch.), in: Reform, Wien 1869; „Le royaume de Bohème et l'état autrichien", Prag 1867. GABLER, Wilém: „Nëco o filosofii" („Einiges über die Philosophie"), CCM, 21, 1847, Teil 1, Bd. 3, 2 6 9 - 2 9 1 . „Rozum" = „der Verstand" bzw. (!) „die Vernunft". Da kommt bald die grundlegende Schwierigkeit der tschechisch- philosophischen Terminologie zum Ausdruck, die bereits die ersten Übersetzungen von K A N T und HEGEL ins Tschechische mit einer sprachlichen Erbsünde belastet, und natürlich auch dem öffentlichen Interesse entfernt hat. Der (sonst entscheidend wichtige) Unterschied zwischen „Verstand" und „Vernunft" wurde nämlich
Franzosen den „esprit" nennen: unser tschechischer Sinn ist eben von dem deutschen „Verstand" allzusehr angesteckt ... 1 0 Der französische „esprit" ist ein Widerpart zum deutschen „Verstand": der trennt, was jener vereinigt hat; der hält jenen für einen oberflächlichen, da er selber sehr schwerfallig arbeitet . . . " u „Es haben sich, unter anderem auch bei uns, in Böhmen, gewisse verdeutschte Meinungen über die sg. Wissenschaft der Wissenschaften beheimatet, so daß ein ehrlicher Patriot mit Empörung auf eine gewisse Art von Lehrlinge unterschiedlicher deutscher philosophischer Schulen schauen muß, die in unsere bis dahin immer noch vernünftige Literatur ein deutsches philosophisches System ... hineinpflanzen wollten, in der Überzeugung, daß es ohne solche Philosophie kein Wohl gibt .,." 1 2 „Erst unser Jahrhundert führt uns die Schulphilosophen..., dh. die Männer, ein, die nichts anderes als bloß Philosophen sind. Diese Art von Philosophieren kann ohne Zögern auf die Deutschen zurückgeführt werden: die Engländer und Franzosen befassen sich mit solcher Philosophie nicht mehr, weil sie Nützlicheres zu tun haben. Und wir, arme Slawen, sind immer noch nicht so weit, daß wir unsere Nationalphilosophie besitzen können .,." 1 3 So lehnt GABLER, „im Namen des Volkes", die deutsche Philosophie als solche ab: abgesehen davon, ob sie von HERBART (welchen er für den ersten deutschen Philosophen hält...), von HEGEL oder von anderswo hervorkommt. Ganz besonders bissig greift er aber HERDER und KRAUSE an, denen er einen Alexander von HUMBOLDT als „Wissenschaftler" entgegenstellt. Aus dieser allzuleichten Feder des Essayisten GABLER ist also die erste wichtige philosophische Diskussion der tschechisch geschriebenen Literatur entflossen, die das neutschechische philosophische Denk-Sein und -Wesen wesentlich bis in unser Zeitalter 14 geprägt hat. Es bleibt zu bemerken, daß Wilhelm GABLER bereits im Jahre 1844 (und zwar auch in der „Zeitschrift des Tschechischen Museums") einen Wegbereiter hatte: einen Anonymus in der Tat 15 der in einem Artikel - unter dem Titel „Ob der tschechischen Literatur eine Philosophie nötig ist?" eine heftige anti-deutsche Tirade zog. Das ungewöhlich niedrige Niveau des genannten Artikels hinterließ im öffentlichen Gedächtnis keine sichtbare Spur und die ganze Sache wurde eben im Zusammenhang mit GABLER als eine Vorarbeit erneut (als ein Beweis der unermüdlichen geistigen Op-
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im Stammschatz der Tschechensprache noch nicht stabilisiert, ja, kaum noch festgestellt: die bloße Differenzierung stieß aber gleich an den notwendigen Vorwurf, man wollte die „tschechisch-nationale" Denkweise mit der untschechisch-verdeutschen verpesten. Erst in den 90er Jahren hat sich der kalte Verstand in der tschechischen Philosophie endgültig durchgesetzt (oder war es doch die Vernunft?) „... w§ak ten náS íesky rozum jií príliS nakaïen jest nëmeckym .Verstand' ..." Ibid., 272. Ibid., 272. Ibid., 272. Ibid., 277. Ein tschechisches Schicksal: noch im Jahre 1958 begann die - allerdings wieder einmal erste, diesmal erst-marxistische, Diskussion in Liblitz (Böhmen) mit der Frage, ob einer tschechischen Kultur eine Nationalphilosophie entspräche ...? Siehe: LOBKOWICZ, Nikolaus: „Der Marxismus-Leninismus in der CSR", Dordrecht 1961. Der Autor ließ sich als J.F. (IDRMUC) unterzeichnen: wobei also unklar bleibt, (a) ob er eine ironisch-„phiIosophische" Anspielung improvisieren wollte, oder (b) ob er tatsächlich so schön philosophisch hieß? - Jedenfalls blieb den späteren Historikern der tschechischen Philosophie nichts anderes übrig, als einen gewissen „Fidrmuc" zu nennen... - Der Artikel (,Je-li potrebi filosofie ν literature òeské") erschien in: ¿CM, 18, 1844, Bd. 2, 236-245.
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position...) in den Vordergrund gebracht. - Ein bitterer Vorgeschmack eines aggressivnationalistischen Appetits... An die Seite GABLERs trat nun scharf auch Karel HAVLÍCEK 1 6 , der junge Journalist und anführende Geist der jungen nationalen Generation, der deutschen Kultur in Böhmen entgegen. Ihm schlössen sich bald auch andere Autoren an. Der Standpunkt GABLERs sollte nicht als das Repräsentative, schon nicht seiner Generation, eben nur als Ausdruck eines nationalen Radikalismus betrachtet werden. Noch vor GABLER hat ein anderer tschechischer Autor (und es sei zu staunen, daß es kein anderer als ein enfant terrible des damaligen Prags, Václav Bolemír NEBESKY, wurde), tief in die schmerzhafte Wunde der heimatlichen Philosophie gegriffen: in einem Artikel, der als „Einige Worte über die Philosophie" 17 (haargenau bescheiden und laienhaft wie die übrigen) benannt wurde, stand er deutscher Philosophie in der Form entgegen, „in re" aber eindeutig zu (wobei er Vieles über seine ungewöhnlich gute philosophische Erudition verraten hat). Die Frage, „ob uns die Philosophie nötig ist", scheint, so NEBESKY, als eine etwas komische Rebellion gegen die Logik des Denkens selbst zu sein. Niemand fragt, so NEBESKY, „ob ein Volk philosophieren will oder es nicht will? Von selbst muß es kommen." Statt der großen Persönlichkeiten der Vergangenheit (am Ende deren wohl ein HEGEL steht...) „...wird nun die abendländische Menschheit durch einen Gedankenschatz bewogen" 18 und die Frage nach der Rolle der großen Persönlichkeit wird folgendermaßen ganz anders gestellt. NEBESKY kennt und würdigt KANT, FICHTE, HEGEL und SCHELLING, ebenso wie JACOBI und HERBART: bei diesem zuletzt genannten schätzt er hoch, daß sein System „... auf lautlose und wesentliche Art seinen Boden erwirbt ,.." 1 9 Bei SCHELLING würdigt er wieder seine „prophetische Gabe" und versucht ihn sogar gegen CUVIER zu verteidigen. HEGEL bekommt bei NEBESKY nicht nur Anerkennung sondern auch eine differenzierte Bewertung, wodurch er sich gegenüber der „hegelschen Rotte" auszeichnet. Ganz besonders schätzt aber NEBESKY einen J.G. FICHTE hoch, einen echten Mann „von größter Gedankenkraft", von brennendem Herzen und einer stählernen Willensenergie. NEBESKY bringt auch jene unpopuläre Frage aus, die die Bedeutung der Philosophie für die Gesellschaft betrifft: da findet er, daß „... die Philosophie nicht ein direktes Auswirken auf die Massen beantraten kann und will, obwohl ihr auch da eine indirekte Auswirkung nicht abzusprechen wäre." Angesichts dieser Position kann man dann den abschließenden Absatz des NEBESKYs Artikel - „... trotzdem sind wir sicher, daß unser reges, begabtes und unnachgiebiges Volk die philosophische Bewegung (die bereits begonnen hat) nicht unbeachtet läßt" 20 - als ein schlichtes und wohlgemeints patriotisches Klischée lesen: der Autor wußte 21 , daß er über eine noch weit entfernte Zukunft spricht... Eine noch viel ernstere Stimme ist um ein weiteres Jahr 16
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HAVLÍÓEK, Karel: „Filosofie a nase literatura. Nëkolik myslenek, snad vías" („Philosophie und unsere Literatur. Einige Gedanken, hoffentlich zur rechten Zeit"), Musejnik, 1848, 3, 123f. - Im übrigen gibt es nur wenige spätere Verarbeitungen dieser Diskussion, die man als neutrale (weder von einer deutschen noch tschechischen Einseitigkeit betroffene) Ansichten bezeichnen darf. - Siehe zumindest: RAUPACH, H.: „Der tschechische Friihnationalismus", Prag 1939; WINTER, Eduard: „Der Josefinismus", Berlin 1962, 296-298. NEBESKY, Václav Bolemír: „Nëkolik slow o filosofii" („Einige Worte über die Philosophie"), ÖCM, 20, 1846, Bd. 2, 231-248. Ibid., 233. Ibid., 248. Ibid., 248. Der Beitrag NEBESKYs illustriert nicht sosehr die tatsächliche philosophische Basis der tschechisch geschriebenen Kultur Böhmens als eben nur die nebenläufigen Aspekte (und den
zu hören: Karel Boleslav STORCH wurde es aufgetragen, zur genannten Diskussion 22 einen neuen Ton anzusetzen: im Bewußtsein dessen zweifelsohne, was für ein Echo bei der deutschsprachigen böhmischen Literatur die Truismen von J.F., bzw. die Attacken von Wilhelm G A B L E R et consortium erwecken können. Im gut patriotischen Tone wohl, doch in aller Ruhe und mit der Übersicht der relevanten Zusammenhänge, versucht K.B. STORCH die Grundfragen der Diskussion zu resümieren. Ein polemischer Ton der andersdenkenden Landsleute scheint ihm als wohl unvermeidliche Dimension in der sowieso zu hoch entflammten Diskussion zu sein. „Was Herr Dr. CUPR mit seiner Schrift „Sein und Nichtsein der deutschen Philosophie in Böhmen" gewinnt", sagt STORCH zum Auftakt seiner Studie, „das weiß ich nicht: wer zur Sache gehen wird, wird bedauern, daß sich zur deutschen Philosophie solcher Vertreter" (dh. „Vertreter der tschechischen Sache", KM), „hineingeschlichen hat... Aus folgendem Artikel kann er sich wieder einen neuen Kranz winden und ihn auf den Altar der philosophischen Heimat als Beweis seines „Tschechentums" bringen ,.." 2 3 STORCH setzt die Fragen nach dem Gegenstand und Werden der Philosophie, nach ihrem Verhältnis zur Literatur u.a. zusammen um den harten Kern der Diskussion, „wie nämlich unsere Philosophie sein kann . . . ? " 2 4 zu reflektieren. Die Frage nach dem Verhältnis der Philosophie zur Poesie scheint ihn dabei ganz besonders zu regen: „Deutlich ist ... wie das Wort „national" in der Poesie bedeutend, in der Philosophie jedoch unbedeutend ist ,.." 2 5 „Wenn schon ... das Wort „nationale Wissenschaft" ein Unsinn ist ... sollte sich dann nur die Philosophie allein von den anderen Wissenschaften unterscheiden ... daß sie sich in nationale, dann wohl ... zufällige Systeme differenzieren könnte?" 26 Das Wort STORCHs kam tatsächlich zur rechten Zeit - die unecht eröffnete Animosität gegen eine deutsche Philosophie war jedoch zu spät zu klären. Die unverkennbar dilletantischen Zeilen von G A B L E R wurden von den Exponenten der deutschen Seite spöttisch zitiert... STORCH hat sich vergeblich bemüht, die deutschgeschriebene Philosophie der neuen Generation tschechischer Intellektueller als einen unvermeidlichen Ausgangspunkt jeglicher philosophischer Bildung zu zeigen: da ging die ganze Schar der tschechisch-nationalen Politiker unterschiedlicher Richtungen: von dem liberalen P A L A C K Y bis zum militanten HAVLÍCEK und dem auffällig abenteuerlichen Frühsozialisten SABINA geschlossen dem Einfluß der deutschen Kultur in Böhmen entgegen. STORCH selber sah dabei auch die schwachen Momente der deutsch philosophischen Tradition im richtigen Licht: „In deutscher Philosophie herrscht, bei dem höchsten Grad der Abstraktion, die größte Majorität der Subjektivität überhaupt,
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allgemeinen Werthintergrund) der Philosophendiskussion. Dieser Hintergrund war übrigens nicht schlecht. - Nun, NEBESKY selber wurde tatsächlich nur ein „czechischer Litterat", ohne theoretische Vorhaben und wissenschaftliche Ambitionen (obwohl er in privaten philosophischen Gesprächen - wie es z.B. aus seiner Korrespondenz mit der Schriftstellerin Bozena NËMCOVÀ sichtbar ist - für einen originellen, aufgeklärten Denker galt), kein Fachphilosoph also, von dem man ein autoritäres Wort befürchten müßte. - Zu NEBESKY siehe weiter auch seinen zeitgemäßen Artikel „Literatur dem Volke" („Literatura lidu"), ÖCM, 21, 1847, Teil 2, Bd. 4, 337-361. STORCH, Karel Boleslaw: „Filosofie a naie literatura. Nëkolik mySlenek, snad vías" („Philosophie und unsere Literatur. Einige Gedanken, vielleicht zur rechten Zeit"), èÔM, 22, 1848, Teil 1, Bd. 1, 53-73. Ibid., 53. Ibid., 55. Ibid., 59. Ibid., 65.
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welche ... als erhebliche Parteilichkeit der Standpunkte ... und als das Favorisieren der eigentümlichen philosophischen Sprache erscheint", sagt er so nebenher. 27 Es läßt sich dabei ersehen, wie der Autor selber über die bestehende philosophische Lage in Mitteleuropa enttäuscht ist. Den Beitrag STORCHs kann man, mit dem Abstand der vielen Jahre, als einen ehrlichen und emsten Versuch der Diskussion die richtigen Kriterien anzusetzen verstehen - der jedoch nichts anderes als eben die Stimme des Rufenden in der Wüste blieb. Es ist übrigens nicht uninteressant, daß der Name eines Bernard BOLZANO im Verlauf der ganzen Diskussion überhaupt nicht fiel: obwohl deutsch-schreibend, obwohl der einzige tatsächlich Große unter den lebenden Prager Philosophen ... Man wandte sich gegen die Klassiker der deutschen Spekulation, doch die präsente Art und Weise der deutsch-schreibenden Philosophen in Prag wurde zum empfindsamen Punkt der Diskussion - hätte man nicht auch einem BOLZANO eine „verdeutschte Philosophie" vorwerfen können? Nicht nur dieser Punkt allein wird zum indirekten, psychologischen Beweis dessen, daß die „philosophische Diskussion" von keinen Philosophen, höchstens von einigen philosophisch denkenden Schriftstellern hervorgerufen wurde. Kein notwendiges Element der tschechischen Philosophiegeschichte also: eher eine Randerscheinung der patriotischen Kulturpolitik auf Kosten einer Tradition, die (ein Bummerangeffekt der Diskussion) für die junge Generation der Philosophiestudierenden wieder einmal unpopulär gemacht worden ist. Man könnte kaum die Motive dieser Diskussion auf die Begrenztheit des Prager Biedermeier zurückführen: die Wurzeln schlugen tiefer, und sind eigentlich der tausendjährigen Aversion beider Sprachtraditionen entwachsen. Es wurde doch die derzeit junge Generation der tschechischen Literatur, auf deren Verantwortung die Neuorientierung der tschechischen Philosophie zurückgeht - Karel HAVLICEK, Jan Erazim W O C E L und Karel SABINA, diese drei Wichtigen in der kommenden Mai-Revolution 1848 in Prag, vor allem. Vor allem ist es Karel HAVLÍCEK, jener große radikale Repräsentant der tschechischen Kultur, der als ein echter Soter vor seiner Generation steht. Er vertritt die ganz konsequenten Vorbilder der tschechischen Geschichte - das des Hussitismus vor allem, und versucht sie mit seiner breit demokratischen Politik zu verbinden. 28 Für seine Zeit ist HAVLICEK jedoch ein typischer Außenseiter: seine politischen Ideale, vor allem das eines selbständigen Tschechentums, sind in eine noch nicht absehbare Zukunft projektiert, und der Autor selbst hätte sich als ein freiwilliges Opfer seines Volkes halten müssen. Die tschechische Politik erstreckt sich zeitgemäß zwischen einer innerlich ausgewogenen, nun konservativen, zwischen einer zum Kompromiß immer bereitwilligen Konzeption von PALACKY einerseits, und einem uferlosen, kompromißlosen Idealismus von HAVLICEK andererseits, innerhalb deren sich wohl ein abtrünniger, extremer Nationalismus leicht erlesen läßt. Der Mann HAVLICEK, der seltene politische Charakter, ist dabei beinahe alles: seine Staatskonzeption wurde in Böhmen nie mehrheitlich akzeptiert, der magische Name blieb jedoch für immer. Am Rande dieser makropolitischen Richtlinien liegt Karel HAVLÍCEKs zeitgeschichtliches philosophisches Engagement. Den Reformkatholiken BOLZANO und
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Ibid., 67. Vgl. Karel HAVLICEK: „Slawe und Tscheche" („Slovan a Cech", tsch.), Prager Zeitung („Prazské nowiny"), 1846, 23. Vgl. auch von demselben seine literatur-geschichtlichen Richtlinien in: „Karel HAVLICEK BOROVSKY O literature" (tsch.), Prag 1955, 27f.
NAHLOWSKY 2 9 nahe, versucht er eine gerechte philosophische Position zu markieren, von welcher her die innerliche Verbindung einer tschechisch-evangelischen Tradition mit der streng antireligiösen Kritik verständlich wäre: die bitteren persönlichen Erfahrungen, die der Autor innerhalb seines kurze Seminaraufenthalts gewonnen hat, sind dabei nicht zu vergessen. So vertritt dieser Epigrammatiker, im Kampf gegen alle Kirchen übrigens, eine hoch persönlich stilisierte Idee, daß „die Religion die erhabendste aller Menschenerbschaften ist." 30 So kämpft er wieder gegen beide Extreme - gegen ein Kirchlich-patriotisch-österreichisches und gegen ein Voltairianisch-religionsloses zugleich. So ist zuletzt der Beitrag Karel HAVLICEKs, auch zur tschechischen Philosophiegeschichte, als eine indirekte, aus einer kritischen Position gewonnene, Mitwirkung, nicht jedoch als eine sensu stricto kategorielle Linie, zu betrachten. 31 Es liegt in der Logik dieser Position, daß sich HAVLICEK zu einem intellektuellen Exponenten des tschechischen Volkes erklärt hat. So saß er sowohl in der Literatur als auch in der tschechischen Politik unter allen Stühlen, so wurde er auch bei der ersten Gelegenheit, in seinem Brixener Exil, von allen tschechischen Parteien verlassen. Seine Enttäuschung über die kleinkarierte Politik, seine tiefgehende Skepsis angesichts eines optimistischen tschechischen Gründertums (die er eben in seinen drei Exiljahren in Südtirol gewann), das alles ist von diesem Standpunkt her leicht zu begreifen. Für HAVLICEK war es noch klar, zum Unterschied zur harmlosen Politik eines tschechischen Patriotismus zur Jahrhundertwende, daß Böhmen keineswegs jenseits der Welt, sondern zwischen Deutschland und Rußland liegt. So versuchte er auch auf persönliche Art die Konsequenzen aus dieser Maxime zu ziehen, als er, am Anfang seiner Laufbahn, die Stelle eines Erziehers in Moskau aufnahm. Es ist dabei kaum zu bezweifeln, daß es für HAVLICEK sowohl ein Erkenntnisexperiment als auch eine Flucht - die Flucht aus einer häßlichen, unerträglichen Atmosphäre eines immer zu kleiner werdenden Prags, in welchem ein in sich geschlossener JUNGMANN· Klan herrschte, und wo HAVLICEK nicht mehr leben wollte, war. Das des lauteren Himmels gefallenes Angebot, in einer wohlhabenden russischen Familie als Hauserzieher leben und wirken zu können, hielt der junge Idealist für die Bestätigung seiner schönsten Vorstellung, die er über die breite russische Seele hatte. - Bald kehrte er gerne nach Böhmen zurück. 29
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Havliòek hat sich um die tschechische Übersetzung der „Erbauungsreden" Bolzanos bemüht, in denen er die eigene philosophische Basis einer radikalen Moral gesehen hat. (Vgl. Eduard WINTER: „Der Josefinismus", 341.) Ebenso wurde er sich um eine aufrichtige Erklärung der Reform (die von Jos.Wilh. Nahlowsky , 1807-1853 entworfen wurde), eingesetzt. Vgl. seinen Artikel in „Volkszeitung" („Narodni noviny"), am 6.April 1849. Vgl. Karel Havlicek: „Die Kuttenberger Episteln" („Kutnohorské epistoly", tsch.), Kap. 5 ; in: Gesammelte Werke (hrsg. K.Tuma), Bd 4, 19. In seinem Kirchenpolitischen Programm erscheint da ein typischer junger Mann (einst Alumnus im Priesterseminar) selbst: so fordert er die Abschaffung des Zölibats; so will er eine demokratische Kirchenreform (durch die die Kirche dem Volke näher gebracht wäre); so verlangt er eine volkserzieherische Rolle des Geistlichen und ruft nach seinem vollendeten Identitätsbild ... Ibid., 18 f. - Die Spuren von Bernard Bolzano sind dabei leicht zu entdecken. Vgl. auch Eduard WINTER: „Der Josefinismus", 340-343. Die berühmtesten Werke HAVLICEKs sind dabei die fragwürdigsten: wie verträgt sich z.B. „Die Taufe des Zaren Wladimir" mit der am innigsten geistigen Position des HAVLICEKs selbst? Vgl. Karel HAVLICEK: „Die Taufe des Hl. Wladimirs" („Krest svatého Vladimíra", tsch.), übersetzt von Dr. Victor Vohryzek, Prag 1905. Vgl. auch „Der König Lauron" („Král Lávra", tsch.), übersetzt von Ed. Albert; in: „Poesie aus Böhmen", Prag 1893.
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In seiner Abhandlung „Slawe und Tscheche", einer Zwischenbilanz seiner russischen Reise, hat HAVLICEK mit seinem panslawistischen Fiktionalismus massiv abgerechnet: statt dessen begann er nun die europäischen Horizonte eines kulturellen Tschechentums in Angirff zu nehmen. - Einem Austroslawismus blieb er jedoch fern. Karel HAVLICEK ist einer der tschechischen Höhepunkte, die die Spätaufklärung im böhmischen Raum erreicht hat. 32 Karel HAVLICEK vertritt durch sein Werk eine ethische Position, die an BOLZANO erinnert. Der tiefste philosophische Geist in Böhmen, Bernard BOLZANO, sein Lehrer, ließ ihm die hohe Zielsetzung einer humanistischen Philosophie nie in Vergessenheit verloren gehen. Und ein anderer hoher Ästhetiker aus dem platonschen Geisteskreis, Ephraim Gotthold LESSING, wurde dem in seinem Alter überreifen jungen Literaten zum stilistischen Vorbild. So hat HAVLICEK auch im härtesten Kampf gegen die österreichische Bürokratie den Einfluß deutscher Kultur nie bestritten; und schon dadurch unterscheidet er sich von der Schule JUNGMANNs. So ist es überhaupt kein Zufall, daß zu seiner Zielscheibe eben die kleinkarrierten Umstände einer tschechischen Sprachaufklärung werden. Der unbestreitbare Ästhetizismus HAVLICEKs unterscheidet diesen grundsätzlich, auch in den revolutionärsten Jahren 1848-1849, von einer bäuerlichen Gemeindedemokratie (einerseits), die wieder der beginnenden Sozialdämagogie (eines Karel SABINAS etwa, andererseits) ratlos gegenüber stand. Unter den jungen tschechischen Politikern war es auch Jan Erazim WOCEL 3 3 , ein eifriger Journalist und als Patriot bekannter Schriftsteller seiner Zeit, der in der „Zeitschrift des Tschechischen Museums" (deren Redakteur er war), eine nationalphilosophische Thematik pflegte: 34 das Problem „tschechische Nation" steht darin im Vordergrund. WOCEL, ein typischer Autor großräumiger politischer Programme, deutet die ganze Stimmung der konservativen Partei (und vor allem ihre anti-deutsche Neigung) in seinem pragmatisch-politischen Artikel: „Es werde Licht!" 35 , an. Zur „hervorragenden Aufgabe der tschechischen Literatur", gemäß WOCEL, wird die politische Bildung des Volkes... „damit nämlich ... das Ideal eines konstitutionellen Staates möglichst tief das Volksbewußtsein durchdringe..." WOCEL wendet sich dabei streng gegen „das 32
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Siehe dazu: JAKUBEC, Jan: „Geschichte der tschechischen Literatur" („Dëjiny literatury ceské", tsch.), Bd. 2, Prag 1934, 960-965. Siehe auch: MÉSÍAN, Antonin: „Geschichte der tschechischen Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Köln 1985, 96-102. Zu den deutschen Einflüssen auf HAVLICEK siehe: JAKUBEC, J.: Drei tschechische Epigramatiker („Tri cesti epigramatikové", tsch.); in: „Geschichte der tschechischen Literatur". IV. (Es geht um die Einflüsse von Friedrich LOGAN und Johann Christian Friedrich LANG); vgl. auch von demselben Autor: Die politische Poesie K.HAVLÍCEKs („Politická poesie Karla HAVLl'ÖKA", tsch.), ND 1905, 96f. (es geht um den Einfluß von L. BÖRNE). Siehe auch: HANIKA, Josef: „K. HAVLICEKs 'Taufe des Hl. Wladimir's" in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen, 65, 1927, 79f. (der Einfluß des Satirikers L. BLUMAUERs). VOCEL („WOCEL"), Jan Erazim, 1802-1871, im Bereich der politischen Publizistik und Pädagogik tätig. Im Jahre 1850 zum Professor der Archäologie an der Prager Universität ernannt. VOCEL, J.E.: „Slowo o ëeské národnosti. Od J.Er. Wocela" („Ein Wort über die tschechische Nation"), ¿ÔM, 19, 1845, Bd.2, 258-267; -: „Zacátkowé òeského umëni. Od J.Er. Wocela" („Die Anfänge der tschechischen Kunst"), CCM, 21, 1847, Teil 1, Bd. 3, 308-322; -: „Budaucnost ceské národnosti. Od J.Er. Wocela") („Die Zukunft der tschechischen Nation"), CCM, 21, 1847, Teil 1, Bd.6, 652-666. „Budiz swëtlo!" („Es werde Licht!", ÖÖM, 22, 1848, Teü 1, Bd.5, 532-540.
deutsche Volk", welches „das Slawengeschlecht ... verachtet hat und es für unfähig zu einer höheren Kultur bis heute hält ,.." 3 6 WOCEL spricht wohl in dem gleichen Ton in welchem auch PALACKY sprechen dürfte (ja, man könnte voraussetzen, daß PALACKY durch seinen Redakteur das Unangenehme erledigen ließ, was er selber zwar, als Autor, nicht gerne unterzeichnet, doch als Politiker gerne gehört hätte...) An W O C E L findet man dermaßen einen Repräsentanten eines tschechisch-selbständigen Denkens, welcher eine künftige „nur-tschechische Philosophie" in Böhmen zu begrüßen ständig bereit erschien, damit man den Ton GABLERs nun besser verstehen könne. WOCEL bemüht sich um das Theater für das tschechische Volk (besonders für die Handwerker), um das Erwecken einer volkstümlichen Menschenanteilnahme im breitesten Sinne - WOCEL gehört den „bürgerlichen Erweckem" im reinsten und idealistischsten Sinne des Wortes an. Dank seiner Initiative findet im Prag des Jahres 1848 der „Slawische Kongreß" 37 statt: WOCEL wird zu einem der bedeutendsten Ideologen 38 dieser Art des Panslawismus. WOCEL wird Autor einer abschließenden Deklaration, die einstimmig akzeptiert wurde. 39 Das Programm des „Slawischen Kongresses", ein Schmuckstück der Politik PALACKYs, wurde wohl garnicht revolutionär: die Teilnehmer haben sich wörtlich zur „Treue zum Haus Habsburg- Lothringen" bekannt; 40 sie haben „die Verteidigung der Ganzheit und Selbstständigkeit des kaiserlichen Reiches Österreichs mit allen möglichen Mitteln" betont; sie haben sich entschieden von „Separatismus, Panslawismus, Russismus" distanziert; sie unterstreichen, daß es nicht ihre Absicht sei, „... eine nichtslawische Nation zu gefährden..."; es sei also der „Slawische Kongreß" als ein Gegenstück zum allein- deutschen „Frankfurter Parlament", im Sinne der Unterstützung eines integrierten Nationalbewußtseins der österreichischen Slawen zu verstehen, nicht aber als ein Zeichen der Revolution: da sind wieder die gut-slawischen Konservativen der tschechischen Bourgeoisie manches, wenn nicht eben alles, schuld geblieben. Die bloße Tatsache, daß die Verhandlung des „Slawischen Kongresses" durch die Mai-Revolution 1848 und durch deren blutige Niederlage unterbrochen wurde, kann an diesem beinahe legitimistisch-loyalen Ton der „österreichischen Slawen" nichts ändern. - Und, nach 36 37
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Ibid., 535. WOCEL, J.E.: „Slowansky sjezd" („Slawischer Kongress"), £ÖM, 22, 1848, Teil 1, Bd. 5,541-543. "O iem by se mëlo jednati na Slowanském sjezdu?" („Worüber der Slawische Kongress tagen sollte?"), ÖCM, 22, 1848, Teil 1, Bd. 5, 544 -545. Die „Deklaration" aus dem 5.Mai 1848 wurde von den folgenden Personen unterzeichnet: Josel Matthias Graf von THUN. - Jan Ritter von NEUBERG. - Wojtëch Graf von DEYM. - Hanuä Graf von KOLOWRAT-Krakow. - Karel Maria Frh. von VILLANI. - Bedrich Graf von RUMMERSKIRCH. - Wáclaw HANKA. - Robert Frh. von HILDPRANDT. Jan Erazim WOCEL. - Jan Franta SUMAVSKY. - Matous FrantiSek KLÁCEL. - Wáclaw STULC. - Wáclaw STANËK. - Karel Jaromir ERBEN. - Frantisek PALACKY. - Wácslaw Wladiwoj TOMEK. - Wáclaw NEBESKY. - Med. Dr. FANTA. - Dr. FrantiSek Ladislaw RIEGER. - Karel Wladislaw ZAP. - Pawel Josef SAFARÍK. - Karol MALISZ, Czlonek delegacji polskiej („Mitglied der polnischen Deputation"). - Ludevít STÚR. - Jan Petr JORDAN. - Witalis GRZYBOWSKI. - Stefan ARANITSKI. - Michail PANIC. - Dr. Fr. MIKLOSIÖ. - Dr. Ant. Jaroslaw BEK. - Dr. Jan DVOMCEK na MareySi, Morawan ζ Tiänowa. - Jerzy LUBOMIRSKI. - Jan DOBRZAÑSKI, jako pelnomocnik rady narodowéj Lwowskiej („als Bevollmächügter des Nationalrats von Lemberg"). - Winzenz Graf von WALDSTEIN. - Maxim PAPIÖ, Protopresbyter. Siehe: ÖCM, 22, 1848, Teü 1, Bd. 5, 542-543. „Slowo o slowanském sjezdu" („Ein Wort über den Slawischen Kongress"), èCM, 22, 1848, Teil 1, Bd.6, 642-646.
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d e m „Mai 1 8 4 8 " w e n d e n sich d i e tschechischen Patrioten e n d g ü l t i g den, z w a r strateg i s c h w i c h t i g e n , d o c h politisch neutralen, T h e m e n k r e i s e n zu. S o z B auch ein Jan E r a z i m W O C E L 4 1 , bald K . K . P r o f e s s o r für Archäologie. - Junge Revolutionäre, nicht v i e l später d o c h a n g e s e h e n e Hofräte. N u n , nicht nur der N a t i o n a l h e l d H A V L Í C E K , nicht nur der Landesvater P A L A C K Y und d i e übrigen, i m m e r m e h r mythologisierten, Leuchter der Nation, sondern auch der A u s w u r f der G e s e l l s c h a f t , Karel S A B I N A , gehört einer durchaus patriotischen F a m i l i e der j u n g e n t s c h e c h i s c h e n Schriftstellern an; nicht nur die ehrenwürdigen, bürgerlich t a d e l l o s e n K ö p f e der n e u e n tschechischen Gesellschaft, sondern auch der V a t e r l o s e Bastard aus e i n e m Prager Elendsviertel ist für seine Zeit als großer Schriftsteller und Politiker bekannt. - N i c h t nur das: dank s e i n e m Libretto für die Nationaloper, „ D i e verkaufte Braut", ist er, a l s eigentlich dienstältester Z e u g e a u s d e m Jahre 1848, e i n m a l für e w i g 4 2 , in der G e s c h i c h t e der tschechischen Kultur g e b l i e b e n . . . N i c h t nur d i e gutbürgerlichen der t s c h e c h i s c h e n Bourgeoisie, sondern auch ihre Außenseiter, Mitläufer und w e n i g e r w ü n s c h t e a r m e Verwandte haben d i e Entstehungsgeschichte des t s c h e c h i s c h e n p h i l o s o p h i s c h e n B e w u ß t s e i n s mitunterzeichnet... D a s „Rätsel S A B I N A " , e i n Streitapfel einer j e d e n der künftigen t s c h e c h i s c h e n Schriftstellergenerationen, m a c h t es j e d o c h m ö g l i c h , d i e t i e f p s y c h o l o g i s c h e n A s p e k t e d e s W e r d e g a n g s einer allzu mononational aufgefaßten Kulturhoffnung zu fassen.
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„Nase doba. O d J.Er. W O C E L A " („Unsere Zeit"), C C M , 23, 1849, Bd. 1, 141-157; „Skoly a lid. O d J.Er. W o c e l a " („Die Schulen u n d das Volk"), C C M , 23, 1849, Bd. 3, 7 3 - 1 1 4 ; „Nase minulé boje. O d J.Er. Wocela" („Unsere vergangene K ä m p f e " ) , ÖÖM, 23, 1849, Bd. 4, 144—171. S A B I N A , Karel, am 29.Dezember 1813 in Prag als uneheliches Kind eines Dienstmädchens geboren, erlebte er e i n e schwere Kindheit eines Proletariers. Er hat trotzdem die G y m nasialausbildung erfolgreich absolviert u n d sogar das Studium an der Prager Philosophischen Fakultät begonnen; nach einigen Semestern lebte er von seiner literarischen Tätigkeit für unterschiedliche Zeitschriften (deren Mitarbeiter er übrigens seit seinen „Frühjahren" wurde). In der Revolution 1848 ist er, mit dem achzehnjährigen Josef Václav F R I C zum Hauptführer der Rebellierenden Prager Studenten geworden, folgendermaß auch entsprechend bestraft (die langen Jahre 1 8 4 8 - 1 8 5 7 im Kerker.) Nach der Entlassung, arm, krank, skeptisch, immoralisch, von den Landsleuten nicht m e h r erkannt, begann er sich zu rächen: zumindest ab 1859 nahm er den Dienst bei der österreichischen Geheimpolizei (unter dem KonfidentenPseudonym „ R o m a n " ) auf. Nach langen Jahren, 1872, als ihm diese Tätigkeit von den Patrioten bewiesen wurde, lebte er als Auswürfling und Bettler von allen verlassen. Er starb in A r m u t am 9.11.1877 in Prag und wurde in einen kolektiven Armutsgrab bestattet. Der sog. „ S A B I N A s - V e r r a t " wurde mehrmals zum T h e m a politischer Auseinandersetzungen der tschechischen Literaturgeschichte (die bekannteste dieser Studien k o m m t von Julius F U C I K her); heute gilt als erwiesen, daß sich S A B I N A , als Bediensteter der Prager Geheimpolizei, an manchen konspirativen Aktionen der tschechischen Patrioten beteiligt hat. - Nun, die zwei berühmten Opern von Friedrich S M E T A N A ( neben der „Verkauften Braut" auch eine nicht minder national herauspointierte O p e r „Die Brandenburger in Böhmen", „Branibori ν Cechách") werden, seit A n f a n g an ununterbrochen, gespielt... - A u s dem W e r k SABINAS siehe: „ H r o b r n V („Der Totengräber", tsch.), Prag 1844 - „Ozivené hroby" („Belebte Gräber", tsch.), Prag 1870; „Morana cili s vêt a jeho nicoty" („Morana oder die Welt und ihr Nichstein"), I—II, P r a g 1874; "Geschichte d e r tschechoslowakischen Literatur" („Dëjiny ceskoslovanské literatury", tsch., 2 Bde., Prag 1860-1866, unvollendet). S A B I N A schrieb auch deutsch - unter d e n N a m e n „Leo B L A S S " . - Aus seiner deutschsprachigen Produktion (die er vorwiegend in Wien, und zwar erfolgreich, herausgab), sei folgendes zu nennen: „Die Sturmvögel der Revolution in Österreich vor d e m M ä r z 1848", W i e n 1879; „Das Theater in B ö h m e n bis zum A n f a n g des 19. Jahrhunderts", Wien 1877. Seit 1910 wurden seine „Gesammelte Schriften" (tschechisch) herausgegeben.
Der fleißige Mitarbeiter der „Zeitschrift des Tschechischen Museums" hat zahlreiche Beiträge geleistet, von denen her ganz besonders die Thematik „Mystik" seiner Feder für die ersten tschechischen Bearbeitungen verdankt. 43 Der unruhige, unglückliche, leidenschaftliche Geist verbindet dabei einige originelle Einfälle mit allgemein bekannten Phrasen und Vermutungen, und erweist, wie sonst überhaupt in seinem Werk, einen starken Hang zum Ideologisieren. Von den Konservativen der tschechischen Bourgeoisie unterscheidet sich SABINA erheblich darin, daß er die „soziale Frage" als das Bedürftigste der zeitgemäßen Gesellschaft sieht. 44 SABINA mischt eklektisch die Elemente einer pseudochristlichen Ethik, eines „christlichen Kommunismus" (die AUGUSTINsche „Civitas Dei" zB. zitierend), der geschichtlichen Vorbildern des Kommunismus („Hussitischer Kommunismus") mit der Lehre von Lorenz von STEIN und der utopistischen Sozialisten im übrigen mit der patriotischen Nationalideologie zusammen. Besondere Bedeutung schreibt dabei SABINA der Universitätsausbildung und der Wissenschaft als solcher zu: im Jahre 1848 hat er sogar „die Nationalisierung der Prager Universität" verlangt... Ob man die Philosophiegeschichte dermaßen personalisieren darf, wie es eine jede der späteren Generationen im „Fall SABINA" gesetzmäßig getan hat, bleibt zu überlegen: SABINA ebenso wie GABLER (oder HAVLICEK) ist eine untypische Gestalt einer typisch-unreifen geistigen Situation des tschechischen Denkens, in der Mitte des 19. Jhs. etwa, in welcher man sich - von nur einem scheinbar-hegelschen Standpunkt her - mit der deutschen, vor allem mit der KANTschen Philosophie auseinanderzusetzen versuchte; früher, als man einen KANT gekannt, ja gelesen hat. Demzufolge hat sich doch KANT als die letzte Autorität in Böhmen durchgesetzt... Die Ergebnisse von Mai 1848 wirkten sich auf die mühsam gewönne deutschtschechische Koexistenz in den böhmischen Ländern unselig aus. So herrscht im Bereich der tschechischen Philosophie der 50er Jahre eine tote Ruhe: mittlerweile wird jedoch in Böhmen eine bedeutende philosophische Literatur verfaßt. So wurde die „Diskussion Uber die Nationalphlosophie in Böhmen" auf eine eigentlich nichtphilosophische, doch in der Tat entsprechende Art abgeschlossen: katastrophisch nämlich... Es bleibt hinzuzufügen: dem etwas naiven antideutschen Nihilismus von GABLER et cons. trat auf konsequente Weise nur ein einziger, und zwar nicht unbedingt tschechischer, Philosoph, der Klostergelehrte Augustin SMETANA 4 5 , ein in Prag deutsch geborener und ebenso deutsch schreibender Ordensgeistlicher entgegen, welchem später auch einige tschechische Autoren gefolgt sind. 46 SMETANA hat die objektiven, sowohl intellektuell als auch moralisch höheren Ansprüche, besonders aber den allgemein- menschlichen oder „panhumanen" Sinn der 43
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„Procházky w oboru mystiky, romantiky a bájení" („Spaziergänge im Bereich der Mystik, Romantik und Fabeln"), CCM, 21, 1847, Teil 1, Bd. 4, 311-324; Teil II. in CCM, 21, 1847, Teil 2, Bd. 4, 347-365; III. Teil in: CCM, 21, 1847, Teil 1, Bd. 6, 569-583. „Duchovny komunismus", tsch.), Prag 1861; zu diesem Buch hat sich später Zdenëk NEJEDLY (siehe sein Nachwort zur Ausgabe aus dem Jahre 1928), im Auftrag der tschechischen marxistichen Linke, gemeldet. - „Sociální Studie" („Soziale Studie", tsch.), Prag 1870. SMETANA, Augustin: „Wie einige cechische Literaten die deutsche Philosophie nehmen" (dt.); in: „Ost und West", Prag 1848, 2, 2, 27ff. Da ist vor allem Karel Boleslaw STORCH (siehe) zu nennen. - SMETANA ist sodenn als ein Schlüsselwort für die, ansonsten von Fr. CUPR ein bißchen harmlos zusammengefaßte Diskussion, zu verstehen. - Siehe: ÖUPR, FrantiSek: „Sein oder Nichtsein deutscher Philosophie in Böhmen. Ein Beitrag zur Geschichte utilistischer Tendenzen der Jetztzeit" (dt.), Prag 1848.
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Philosophie für die tschechische Kultur beansprucht. SMETANA empfahl der slawischen Philosophie eine universell-europäische Orientierung: nicht nur die deutsche, sondern auch die französische und englische Philosophie, so SMETANA, sollte man studieren, um das ganze Spektrum der Zusammenhänge erfassen zu können. Um zwei Jahre später kehrt SMETANA noch einmal, mit einem sachlich einwandfreiem, doch politisch kompromißlosen Artikel, auf die National-Philosophie Diskussion zurück 47 , um seinen Standpunkt ganz klar zu machen. Die Argumentation SMETANAs hätte man folgendermaßen zusammenfassen können: man sollte nicht nach einer direkten Nützlichkeit der Philosophiegeschichte fragen; so fragen - leider - „die Politiker", unter denen SMETANA besonders (ohne Einen oder Anderen mit Name zu nennen...) „... jenen politischen Köpfe..." meint, „... die um den Frühling der Nationalfreiheit Sorge tragen..."; man sollte „die Franzosen" oder „die Engländer" den „Deutschen" nicht unkritisch gegenüberstellen: eine jede von diesen Philosophien ist, auf ihre eigene Art, einseitig; - SMETANA selber (als deutschsprachiger Österreicher) meldet sich zum Slawentum: „... unsere Zeit, die Zeit des Slawentums, scheint jene Aufgabe bestimmt zu haben, die unterschiedlichen Richtungen einzelner Völker in eine selige Ganzheit zu vereinigen .. ," 48 - die gesellschaftliche Freiheit (bzw. die freiheitlich-sozialistische Gesellschaft) wäre jenseits vom „Prinzip der Liebe" nicht zu verwirklichen, und dieses Prinzip „... ist ohne der Kenntnis der letzten Ursachen unmöglich zu begreifen. Und diese Rolle hat „das Genie der Menschheit dem deutschen Volke zugeteilt..." - Insofern das deutsche Volk, so SMETANA, „ . . . in der Philosophie die fremde Sprache benutzte, hatte er in der Wissenschaft eine untergeordnete Stelle einzunehmen. Wenn aber seine Sprache mit der Philosophie vereinigt wird, wenn es Beides zur höchsten Vollkommenheitsstufe entwickelt hat ,.." 4 9 , dann sei die deutsche Philosophie als eine hervorragende Erscheinung auf dem Felde der Wissenschaft zu betrachten. „Dem deutschen Volk wurde zum Schicksal", sagt SMETANA, „... seine Rolle früher als es die Slawen getan, erfüllt zu haben: die Tiefen des Lebens und der Natur zu erforschen... Die Aufgabe der Slawen scheint demgegenüber darin zu liegen, die geistigen Errungenschaften des Deutschtums ins Leben zu übertragen... Dies zu behaupten, dazu berechtigt uns die nicht ermüdete Kraft der Slawen, ihre tiefgehenden Gaben und ihre innige Liebe zur Kunst, die mit der Liebe zur Natur in Lines zusammenfällt..." 5 0 Der Hegelianer SMETANA versucht dabei die gesamte deutsche klassische Tradition in einen Strang des Gedankens zu vereinigen: „Die Metaphysik KANTs ... das unendliche Meer, an dem keine Spur des Fortschritts zu bezeichnen wäre und an dessen Horizont kein Ziel zu sehen ist, an das wir uns annähern könnten..." wurde gemäß SMETANA „... durch HEGEL vollendet: dadurch ist auch der Ausgangspunkt der philosophischen Wissenschaft bestimmt; das Wissen sei dabei vom Standpunkt seiner göttlichen Herkunft zu sehen..."
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SMETANA, Augustin: „Kriticky rozbor dëjepisu filosofie" („Kritische Analyse der Philosophiegeschichte"), ÖÖM, 24, 1850, Bd. 1, 91-98; diesem Artikel sind nun in den Nummern CCM 25 bzw. 26 weitere Sequenzen gefolgt. Der Artikel wurde tschechisch geschrieben: der Autor der tschechischen Version wurde, möglicherweise, SMETANA (sonst deutsch sprechender Philosoph) selber. Ibid., 92. Ibid., 92-93. Ibid., 95-98.
Soweit SMETANA: der, leider Gottes, für das tschechisch- sprechende Prag bloß ein sonderlicher Prager Deutscher wurde: deswegen vielleicht, daß er versucht hat, den Slawentum-Begriff in einem übernational-europäischen Sinne zu deuten: der Zutritt zur tschechischen Zeitschrift wurde ihm zwar nicht von vornherein abgesprochen, man sollte aber nicht erwarten, daß die Meinung SMETANAs (obwohl die einzig qualifizierte der gesamten Diskussion) mehr als ein Maßstab der sonst ganz anders motivierten Polemik sein könnte. Imgrunde ist der Streit um die Nationalphilosophie in Böhmen als ein, durch seine Zeit sehr betroffenes, Gedankenmaterial zu sehen: als ein elementares Dokument einer geistigen Situation, in welcher das Problem einer Philosophie vor die tschechische Öffentlichkeit zum ersten Mal, und zwar nur unter der politischen Aspektation, auftrat.
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6. D i e H E G E L s c h e P h i l o s o p h i e in B ö h m e n
(Erste Anhänger: I.A. H A N U S , Fr.M. K L Á C E L . E i n e p h i l o s o p h i s c h e Persönlichkeit: A. SM E T A N A )
„Wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben und Selbstständigkeit gewinnen, entsteht das Bedürfnis der Philosophie". (G.W.Fr. Hegel, „Erste Druckschriften", 14)
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Uber die Auswirkung der Philosophie HEGELs in Böhmen besteht heute kein Zweifel mehr: diese einst ernst diskutierte Frage (die zugleich mit einer Kryptofrage nach möglicher Inadäquatheit des Hegelianismus einer „tschechischen Denkweise" verbunden war) 1 ist mit deutlichem „Ja" zu beantworten, möge man sich dabei auch immer eine Zusatzfrage nach der Art und Weise, auf welche HEGEL in Böhmen vertreten war, stellen. Nun, der böhmische (und besonders der tschechische) Hegelianismus wurde jedoch, zumindest bis um Ende des 19. Jhs., zu einer ausgesprochenen Randerscheinung: zu einem spärlichen Echo einer Idee, die sonst überall, besonders im deutschsprachigen Raum, eine unvergleichbar größere und tiefe Antwort fand. Die Beziehung der böhmischen Philosophie zu HEGEL war noch in der Mitte des 19. Jhs. mit Komplikationen belastet, die eine gradlinige Nachfolge dieser Philosophie beinahe unmöglich machten: der neue Patriotismus ist hier vor allem zu nennen. Doch stimmte die Freiheitsidee HEGELs mit dem freiheitlichen Geist der neuen patriotischen Generation der Tschechen wunderbar zusammen. Einen zusätzlichen Grund dafür hat die österreichische Regierung geliefert, als man die Philosophie HEGELs auf den Universitäten nicht zugelassen hatte. So begann HEGEL, sonst von den Stockkonservativen als Vertreter einer „Slawenfeindlichen, germanischen" Philosophie genannt, auch innerhalb der tschechischen philosophischen Literatur Fuß zu fassen. Als der historisch erst bekannte tschechische Hegelianer wird meistens Ignaz Jan HANUS genannt. 2 HANUS, obgleich er in der traditionellen Auffassung der tschechischen Philosophiegeschichte als Hegelianer gilt 3 , orientierte sich in der Tat nach den Themen, die 1
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Vgl. FAJFR, Frantisek: „Hat HEGEL die tschechische Literatur beeinflußt?" („Mël HEGEL vliv na íeskou literaturu?", tsch.), CM 28, 1932, 8f. Ignaz Jan HANUä, 1812 in Prag tschechisch geboren, studierte zuerst am Prager Akademischen Gymnasium (unter seinen Lehren sind ua. F.J.SVOBODA und Josef JUNGMANN zu nennen). 1831 trat er in den Prämonstratenser Orden (Kloster Strahow) ein; schon ein Jahr später ist er jedoch ausgetreten. Seit 1833 studierte er Jura an der Prager Universität, darüberhinaus Historiographie, Literaturgeschichte, Philologie und Mathematik. 1833 - 1836 setzte er sein Studium an der Philosophischen Fakultät (unter Franz EXNER und Josef LICHTENFELS) fort. 1836 verteidigt er seine, deutsch geschriebene Dissertalion („Uber die Selbstbeherrschung") und wird „Adjunkt" bei EXNER im Philosophischen Seminar der Universität Wien. 1838 wird HANUS als Professor für Philosophie an die Universität Lemberg berufen; 1847 als Professor für Philosophie and der Universität Olmütz. Zuletzt wird er Professor für Theoretische Philosophie, Moralphilosophie und Geschichte an der Prager Universität, jedoch nicht lange. - Unter dem, nicht unberechtigen Verdacht, daß er die Philosophie HEGELs (wenn auch nicht ex cathedra) gelesen hat, wird er 1852 abgesetzt. Danach wirkte HANUS seit 1853 als Bibliothekar der ^Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften", seit 1860 dann (als P.J. SAFÁRIKS Nachfolger) als Bibliothekar der Universitätsbibliothek in Prag, und widmete sich vorwiegend den ethnographischen und historischen Wissenschaften. - I.J. HANUà starb 1869 in Prag. Das Werk: „Grundzüge eines Handbuches der Metaphysik", Lemberg 1845; „Handbuch der wissenschaftlichen Denklehre", Lemberg 1843; „Handbuch der philosophischen Ethik", Lemberg 1845; „Handbuch der Erfahrungs-Seelenlehre", Lemberg 1846; "Vorlesungen über die allgemeine Cultur-Geschichte der Menschheit", Prag 1849. (Alle Werke in Deutsch.) Die in Tschechisch veröffentlichten Werke HANUS sind meistens Varianten der genannten Schriften. Siehe: „Abriss der Psychologie" („Nästin dusewëdy s pokusem o wyswëtlenj wyrazü dusewëdnych", tsch.), Prag 1849; „Abriss der Logik auf metaphysicher Grundlage" („Nästin logiky na zàkladë metafysickém", tsch.) Prag 1850. Als ein Proton der tschechischen philosophischen Literatur wird die Schrift HANUS „Analyse der Thomas von STÍTNÉ Philosophie" („Rozbor filosofie Tomáse ze Stítného podle rukopisû 'Recí besednjeh'", tsch.), Prag 1852.
im Zwischenbereich von HEGEL und HERBART zu finden sind: die neue Psychologie und Logik hat ihn dabei besonders stark geprägt. In seinen Handbüchern findet man eine Menge Spuren, die keineswegs bloß von der Schule HEGELs abhängen. So würde man vielleicht nicht mit Unrecht bemerken können, daß es nicht sosehr der Hegelianismus, als vielmehr ein gewisser Eklektizismus war, der H A N U S zum Schicksal wurde: die gut bekannte Geschichte mit einer hegelianischen Vorlesung scheint, nach einem langen Zeitabstand, eher ein erwünschter Grund für die Obrigkeit zu sein, das Feld der Philosophie von einem harmlosen Würdenträger zu befreien. Die Einflüße von HEGEL scheinen am deutlichsten in der Ethik 4 von HANUS zu sein, einem standesgemäßen philosophischen Werk auf deutsche Art, in welchem der Autor selbst kaum etwas Neues zu bieten hatte. Interessant bleibt die Tugendlehre HANUS', innerhalb welcher die Tugend als „ethische Weisheit", „ethische Seligkeit" und als Erfüllung der ethischen Pflicht begriffen wird. Im Sinne einer hegelianischen Triade unterscheidet HANUS dreimalige (und zwar: religiöse, menschliche und soziale) Moral. Imgrunde geht es jedoch um eine, dutzendweise den philosophischen Vorbildern der Zeit naheliegende Theorie, die sowohl in Prag als auch in irgendeiner anderen Universitätsstadt Europas zeitgemäß fleißig produziert wurde: es besteht kaum ein zureichender Grund, in HANUS den absoluten Anfang der tschechischen Philosophie, wenn auch nur der Sprache nach, zu sehen. Innerhalb der unreifen Kulturumständen Böhmens war übrigens seine philosophische Konzeption kaum verständlich. Sonderbar ist auch das Leben eines anderen hegelschen Philosophen dieser Zeit, Frantisek Matous KLACELs. 5 4
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Vgl. „Handbuch der philosophischen Ethik", dt. 1845. Vgl. auch: „Geschichte der Philosophie von ihren Uranfängen bis zur Schliessung der Philosophenschulen durch Kaiser JUSTINIAN", dt., Prag 1850. Aus dem späten Werk von HANUS siehe: „Der mythologische slawische Kalender" („Bájeslowny kalendár slowansky", tsch.), Prag 1850; „Die Stellung der Kritischen Blätter für Literatur und Kunst zu einer Fraktion der neuböhmischen Literatur", Prag 1858; „Über die methodische Deutung der slawischen Mythen" („O metodickém wykladu powestí slowanskych wübec a o wykladu powësti „Tri zlaté vlasy Dëda Wsewëda" zwlást, tsch.), Prag 1862; „Das Schriftwesen und Schrifttum der böhmisch-slovenischen Volksstämme in der Zeit des Überganges aus dem Heidentume in das Christentum", dt., Prag 1867. KLÁCEL, Frantiäek Matou§, 1808 in Böhmisch Trübau geboren, studierte er am Gymnasium in Leitomischl (1817-1827), trat dann in das Augustinerkloster in Alt-Brünn ein (Gelübde 1830). 1834 promovierte er an der Philosophischen Fakultät in Olmütz und wurde nachträglich Professor für Philosophie an der Bischöflichen Philosophischen Anstalt in Brünn. 1844 seines Lehramts aus politischen Gründen enthoben widmete er sich vorwiegend der patriotisch-politischen Publizistik in Prag (1848) und Brünn (1849-1853). Seit 1853 lebte er ein privates Ordensleben im Augustinerkloster in Brünn. Mit seinem Leben unzufrieden und über die politische Athmosphäre in den böhmischen Ländern enttäuscht trat er schließlich aus dem Orden aus und ist nach Amerika ausgewandert: dort hat er eine Kolonie „ethischer Positivisten" („Die Einheit der Freidenker"), im Sinne eines utopischen Sozialismus gegründet; nach dem Zerfall der Gemeinde starb er in Einsamkeit 1882. - Aus seinem jugendlichen Werk verdient eine Gedichtesammlung, „Lyrische Gedichte" (" Lyrické bàsnë", tsch.), Prag 1836; eine Notiz - dies wurde, per Zufall, im gleichen Jahr wie das „Mai" MÁCHAs herausgegeben. - Fr. M. KLÁCEL ist doch kein Romantiker mehr: er sucht nach einem realistischen tschechisch-nationalen Programm und wendet sich scharf gegen die Tyrannei, gleichzeitig aber auch gegen die Mentalität einer tschechischen Kleinlichkeit. - Das Augustinerkloster in Brünn bot KLÁCEL ganz besonders günstige Bedingungen für seine geistige Tätigkeit an. Es ist wenig bekannt, daß KLÁCEL auch in den Jahren seines inneren Klosterexils sich z.B. an den botanischen Experimenten seines Ordensbruders Gregor MENDELS hilfreich und aktiv beteiligte. Nicht nur dieser hervorragender Wissenschaftler,
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KLÁCEL, der Zeitgenosse MACHAs, ein geistiger Verwandter der polnischen Revolutionäre von 1830: es ist leicht zu verstehen, daß sich KLÁCEL auch dem russischen Tzarismus kritisch gegenüberstellt, und daß er für die tschechisch- panslawische Idee kein Verständnis hat. KLÁCEL, ein typischer Provinzial und etwas unangenehmer Einzelgänger, wurde von der patriotischen Prager Kultur zwar toleriert, nie jedoch völlig akzeptiert. In diesem Sinne hat er auch seine Rolle bald verstanden und eine dementsprechend distanzierte Position, jenseits von Politik und Kirche, für sich gewählt. Dieser Mann ist eine der Ausnahmen, die in der tschechischen Philosophie seiner Generation nur selten zu finden sind. Die philosophische Entwicklung KLÁCELs verläuft von der Philosophie JACOBIs zu einem anderen Gegenspieler des Kantianismus, G.W.Fr. HEGEL. 6 KLÁCEL hat sich bald an den linken hegelianischen Hügel angeschlossen, und im Geiste eines Bruno BAUER einen zwar nicht deutlich artikulierten, doch erkennbaren Pantheismus für sich selbst gefunden. 7 Neun Jahre eines philosophischen Professionalismus an der „Bischöflichen Anstalt" in Brünn boten K L Á C E L eine hervorragende Chance an, sein philosophisches Werk vollständig zu verfassen. Aus dieser Zeit stammen ein Versuch der „Philosophie der tschechischen Sprache" und einige Essays. 8 Nun, KLÁCEL widmete sich darüberhinaus der Poesie und Literatur 9 , und auch dem öffentlich-politischen Engagement ist er nicht ferngeblieben. Den zunehmenden Anklagen zufolge wurde er (eines ganz unwahrscheinlichen Verdachtes von „Panslawismus" wegen ...), wie manche andere Hegelianer seiner Zeit, zuerst seines Lehramts enthoben, später ist ihm auch die kirchliche Zustimmung, sich öffentlich betätigen zu können, entzogen. 10 In den 40er Jahren hat sich KLÁCEL vor allem der ethischen und sozial-politischen Philosophie gewidmet. Nach einigen vorläufigen Studien verfaßte er in der Mitte der 40er Jahre seine „Ethik", die wahrscheinlich sein bestes Werk überhaupt ist. 11 Die Ethik, der Begründer moderner Genetik, gehörte dem genannten Konvent der Augustiner an. An zeitgemässer Daguerrotypie (Anfang der 50er Jahre) sind darüberhinaus noch Dr. Antonin ALT, Anselm RAMBOUSEK, Benedikt VOGLER, Dr. Fr. Th. BRATRANEK, Dr. Josef LINDENTHAL, Václav SEMBERA, Pavel KRÍZKOVSKY, Jan VORTHEY und der Abt Dr. Cyrill Ν Λ Ρ Ρ zu erkennen ... 6
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Für den Hegelianismus hat ihn sein älterer Freund und erster seiner Philosophielehrer, Bonifaz BUZEK (1788-1839), ein piaristischer Priester in Leitomischl gewonnen. Die Spuren dieser Philosophie sind bei KLÁCEL bald merkbar. Siehe: „Erklärungen der wichtigeren philosophischen Ausdrücke, gesammelt und zum Gebrauche für Anfänger bestimmt", Brünn 1836. Siehe das Werk „Wissenschaftliche Anfangsgründe der böhmischen Sprachforschung" („Poöätky wèdeckého mluwnictwj íeského", tsch.), Brünn 1843. - Aus den Abhandlungen KLÁCELs in ÒÓM (aus dem psychologischen und ästhetischen Bereich vor allem) ist eine durch die deutsche Metaphysik geprägte Studie, „Über den Tod" („O smrti", tsch.), 1841,4, 56f zu nennen. Zum hegelschen Standpunkt bekennt sich KLÁCEL auch in anderen, kleineren Studien dieser Jahre. Siehe seine Spätschrift „Vorschule der Ästhetik", Brünn 1868, deren Manuskript aus der genannten Zeit stammt. Anstelle KLÁCELs unterrichtete an der Brünner „Bischöflichen Anstalt" im Fach der Philosophie Franz Thomas BRATRANEK (1813-1884), ursprünglich einv Ordensbruder KLÁCELs in Brünn. BRATRANEK wurde zuerst Adjunkt bei HANUS in Lemberg (1839-1844), dann Professor in Brünn (1844-1851). Zwischen 1851-1881 wirkte er als Professor für deutsche Literatur an der Universität in Krakau. Vgl. F.M.KLÁCEL, „Ethik" („Dobrowëda, tsch. - das Wort selbst wurde erst durch KLÁCELs Engagement in die neu entstehende tschechische Terminologie eingeführt, und
„... die Lehre des Guten", ist, von Winzenz ZAHRADNÍKs „Ethik" (die jedoch anderen Zielen folgte) abgesehen, die erste systematisch dargestellte tschechische Abhandlung der klassisch-ethischen Thematik. Die Ethik, so KLACEL, soll „... ein Bild des guten Lebens", ein durchaus geistiges Abbild einer vollkommenen Lebensweise sein. Als „gut" soll infolgedessen nur solche Tat anerkannt werden, die die beim Menschen zum Teil schon zerstörte Einheit von Geist und Natur wiedervereinigen sucht. Aus diesem zwar hochstilisierten, jedoch etwas zu einfach konzipierten Grund heraus sind auch die späteren Versuche KLACELs zu verstehen, die sich eine grundlegende Reform der Gesellschaft zum Ziel setzen. 12 Die kontemplative Lebensweise eines Klosters hat jedoch KLACELs philosophischen und sozialpolitischen Ansprüchen nicht genügt. Es begann seine letzte, utopistisch geprägte Lebensperiode. Die unrealen, wahrlich utopistischen Züge der Denkweise KLÁCELs sind wohl schon seit den 40er Jahren gut zu erkennen: in einem seiner Artikel empfiehl er zB. als die einzige, gemeinsame Sprache des politischen und wissenschaftlichen Europas das Klassisch-Griechische. 13 In der gleichen Richtung trägt sich sein Kosmopolitismus, den er seinen mährischen Landsleuten bona fide als Vorbild für patriotische Bewußtseinsbildung vor Augen stellt. 14 Erst im Jahre 1869 entscheidet sich der enttäuschte F.M. KLACEL aus den bisherigen Mißverständnissen die letzten Konsequenzen zu ziehen. Mit einundsechzig Jahren wandert er mit einer Gruppe seiner Anhänger nach Amerika, dem ersehnten Vaterland einer Traumfreiheit aus, um dort eine geistig-religiöse Gemeinde nach seinen Vorstellungen zu gründen. Nur noch diese Tat hat dem Gründer Glück gebracht. - Nun, in seinen letzten Jahren in der Neuen Welt von allen verlassen, starb er einen schwierigen Tod, vergessen, einsam und arm. Sein hundertjähriges Jubiläum wurde aber schon in seiner alten Heimat, besonders in Mähren, ruhmreich gefeiert. Einziger bemerkenswerter Hegelianer im Prag der 1. Hälfte des 19. Jhs. ist der schon erwähnte Augustin SMETANA. 1 5 SMETANA schuf ein System der Philoso-
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bald wieder vergessen...), Prag 1847, Spisy musejni 26. Vgl. auch: „Brückel" („Mostek aneb sestawenj skrownych mySlenek o torn, na Cem kazdému zálezeti má") Brünn 1832 (bzw. Olmütz 1842). Vgl. seinen Artikel „Druck, Drängen, Willkür und Religion" („Tlak, puzení, svévolnost a nábozenství", tsch.) CÖM 1842, Bd. 4, 57f. Ibid., 17f. Vgl. „Kosmopolitismus und Patriotismus, mit besonderer Rücksicht auf Mähren" („Kosmopolitismus a wlastenectwí s obzvlàâtnim ohledem na Moravu", tsch.), ÖCM 1842, Bd. 5, 24f. Augustin SMETANA, 1814 als Sohn des deutschen Messners bei St.Heinrich in Prag, in einer armen, kinderreichen Familie geboren, trat er 1826 den Orden „Böhmische Kreuzherren" in Prag ein; anschließend studierte er an der Prager Universität. Sein Talent wurde bald entdeckt: nach der Promotion wurde er demzufolge Adjunkt bei Prof. F.EXNER am Lehrstuhl für Philosophie (1842-1845), seit 1849 auch als EXNERs Supplent tätig. Als er sich jedoch in dem gleichen Jahre um die Privatdozentur in Prag bewarb, wurde er - als Hegelianer eben - aus politischen Gründen seines Amts enthoben. (Die Rolle EXNERs bleibt dabei im Schatten des ministerialen Hintergrunds in Dunkel gehüllt.) - So trat SMETANA aus seinem Orden (dessen Ordensobere sich für ihren Ordensbruder überhaupt nicht engagiert hatten), und anschließlich auch aus der Kirche aus: er versuchte sich jetzt als Redakteur der Zeitschrift „Union" in Prag eine neue Existenz zu schaffen. Durch die Zensur persekuiert und von der Kirche nachträglich feierlich exkommuniziert, gab er zuletzt auch seine neue Arbeit auf. Statt dessen wurde ihm die Stelle eines Erziehers in Hamburg-Altona angeboten, die er gerne aufnahm. Des harten Klimas wegen kehrte er jedoch nach drei
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phie 16 im Geiste HEGELs; der Grund dieses Systems ist die „relative Identität des Endlichen und Unendlichen". Der ganzen Seinsphilosophie liegt bei SMETANA der Begriff des „Konkreten" zugrunde, welcher die innerlich- widersprüchliche Einheit des Endlichen und Unendlichen ist. Von diesem Grundgegensatz her versucht SMETANA auf höchst systematische Art alle Konsequenzen, im Einklang mit der zeitgemäßen Naturwissenschaft, herauszuziehen.17 Sein Vorbild, in System und Methode, bleibt HEGEL: in der Naturwissenschaft und -philosophie vor allem SCHELLING. Neben diesen Einflüssen sind bei SMETANA auch Spuren von spinozischen Monismus und Pantheismus zu finden. In der Ethik und Sozialphilosophie bleibt SMETANA jedoch auf dem Boden der katholischen Menschenauffassung und christlichen Philosophie. Eine Art von Geschichtsphilosophie etwas utopistischer Prägung versucht SMETANA in seiner Schrift „Die Bedeutung des gegenwärtigen Zeitalters"18 zu artikulieren. Die Menschengeschichte (jedoch auch die Natur, insoweit sie in der Menschengeschichte erscheint) sei als ein Gegensatz des Unendlichen und Endlichen, des Göttlichen und Irdischen zu betrachten. Der erwünschte Übergang erscheint, so SMETANA, vor unseren Augen, im „gegenwärtigen Zeitalter" des 19. Jhs. - die Kräfte dieses Prozesses sind „Kunst und Liebe", die Träger dieses geschichtlichen Übergangs sind die philosophischen Deutschen. Die wirklichen Täter des zukünftigen Reiches der Liebe sollen die Slawen (insofern sie die Idee einer westeuropäischen Freiheit zu verwirklichen vermöchten) sein. In einem ähnlich utopistischen Ton wurde auch eine andere Schrift SMETANAs, in der Tat ein Abriß seiner Geschichtsphilosophie - „Die Katastrophe und der Ausgang der Geschichte der Philosophie" 19 verfaßt. Nicht ohne Bedeutung sind sie Bemerkungen SMETANAs zur Philosophie SCHELLINGs. 20 Die patriotischen Ideen des Jahres 1848 werden durch die Reflexionen SMETANAs in seiner Abhandlung „Die Bestimmung unseres Vaterlandes Böhmen"21 berücksichtigt,
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Monaten seines Tätigkeit nach Prag zurück, wo er nach einigen Wochen, im Jahre 1851, an den Folgen einer Lungen-TB starb. - Seine Lebensgeschichte hat SMETANA in einer Autobiographie, „Geschichte eines Exkommunizierten" festgehalten. - Siehe „Geschichte eines Exkommunizierten" (Hrsg. A. MEISSNER, Leipzig 1863; ins Tschechische von V.BAMBAS 1863, von L.POHORSKÁ 1901, von L. MILDE 1926, unter dem Titel „Pamëti knëze ζ církve vyobcovaného" übersetzt.) SMETANA, Α.: „Der Geist, sein Entstehen und Vergehen. Philosophische Enzyklopädie", Prag 1863. (Ins Tschechische unter dem Titel „Vznik a zánik ducha. Filosofická encyklopedie" übersetzt; Prag 1926, Filosofická bibliotéka Ôeské Akademie, Reihe I, Nr. 6; neu hrsg. in: „Augustin SMETANA, GW Π" („Sebrané spisy 2"), CSAV, Prag 1962. Ibid., 181. „Die Bedeutung des gegenwärtigen Zeitalters", CCM 1850; ins Tschechische als „Vyznam souôasného vëku" übersetzt. Sh. GW I, Prag 1960, 158-179. „Die Katastrophe und der Ausgang der Geschichte der Philosophie", Hamburg 1850. - Ins Tschechische als „Obrat a vyustëni dëjin filosofie" übersetzt. - Sh GW Π, Prag 1962. Siehe die „Anthologie aus SCHELLINGs Werken. Mit Gemehmigung des Hrn Verfassers, Berlin 1844, Verlag von Wilhelm HERMES. Angezeigt durch Dr. Augustin SMETANA in Prag; in: „Österreichische Blätter für Literatur und Kunst", Wien 1844, IV, Nr. 62, 63, 64, 65 und 67. - Die tschechische Übersetzung (von Dr. Julius GLÜCKLICH) wurde in CM Prag 1903, 2, 23f veröffentlicht („Dra Aug. SMETANY Referát o SCHELLINGovi"). Neu hrsg. in GW I, Prag 1960. „Die Bestimmung unseres Vaterlandes Böhmen", Verlag Fr. EHRLICH, Prag 1848. - Ins Tschechische von J.V. FRIC unter dem Titel „Powolanj naäi wlasti íeské ζ wSeobecncho stanoviska pojaté doktorem Augustem SMETANOU" bereits 1848 übersetzt. (Der Ar-
in denen er auch seine innigsten Gedanken zum deutsch-tschechischen Problem in Böhmen ausgedrückt hat. Augustin SMETANA beeinflußte auf bedeutende Art nicht nur die Studentengeneration im Jahre 1848: 22 er fand viele Nachfolger, im gesamtösterreichischen Bereich, auch in der späteren Philosophie. Als Gelehrter und Erzieher wurde SMETANA zum überzeugenden Beweis dafür, daß eine wirkliche und fruchtbare Synthese der tschechischen und deutschen Philosophie in Böhmen möglich war: in einer unglücklichen Zeit, die sich nach einer Menschenfreiheit vergeblich sehnte: „Millionen wunde Herzen seh' ich bluten, So viel Thränenströme seh' ich fluten. Von frecher Willkür weit die Welt zerrüttet. Der Menschheit Freudenschlösser rings verschüttet. Ich seh' gepeitscht von hochgestellten Zwergen Gefang'ne Riesen, knirschend ihren Schergen." 23 Von den nichttschechischen Hegelianern dieser Generation ist Gustav BIEDERMANN 2 4 , ein philosophierender Arzt zu nennen.
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tikel erschien anonym in Berlin 1848 als Beilage zum Nr. 1 der Revue „Blanik"); in 2.Aufl. in "Blanik 1868; in 3.Aufl. in „Slovanské listy", Prag 1887. Noch später von Julius GLÜCKLICH 1897 im „Studentischen Sammelband" („Studentsky sbornik", tsch.) unter dem Titel „Ükol nasi òeské vlasti pojaty se vseobecného stanoviska of Dra Aug. SMETANY"; neu hrsg. in GW I, Prag 1960. Siehe die Immatrikulationsrede SMETANAs „Über die Bestimmung der Universitäten. Eine Rede gehalten an der k.k. Universität zu Prag vor der Immatrikulation den 8.Januar 1848 von Dr. Augustin SMETANA, Kreuzherrnordenpriester und damaligen Dekan der philosophischen Fakultät"; in: GW 1, Prag 1960, 111-132. Siehe auch das deutsch-tschechische Flugblatt aus dem März 1848, „Worte zur Todten-Feier für die am 13. März als Freiheitsopfer gefallenen Wiener Studenten. Gesprochen in der Teynkirche von Dr. Augustin SMETANA, Decan der philosophischen Fakultät" (die Rede wurde deutsch gesprochen). GW. 1, Prag 1960, 133-136. LENAU, N.: Die Albigenser, Wien 1843. - Diese Stelle, die bei SMETANA in seiner Schrift „Die Bedeutung des gegenwärtigen Zeitalters" zitiert wird, erklärt manches von dem Ethos der Philosophie SMETANAs. BIEDERMANN, Gustav (geboren 1815 in Böhmisch Aicha, gestorben 1890 in Bodenbach). - Aus seinem Werke siehe: „Die spekulative Idee in HUMBOLDTS Kosmos. Ein Beitrag zur Vermittelung der Philosophie und der Naturforschung", Prag 1849; „Die Wissenschaftslehre", 3 Bde. I: „Lehre vom Bewusstsein", Leipzig 1856; II: „Lehre des Geistes", Leipzig 1858; III: "Seelenlehre", Leipzig 1860; „Die Wissenschaft des Geistes", Prag 1861; 3.Aufl. 1870; „KANTs Kritik der reinen Vernunft und die HEGELsche Logik", Prag 1869; „Metaphysik in ihrer Bedeutung für die Begriffs Wissenschaft", Prag 1870; "Zur logischen Frage", Prag 1870; „Die Naturphilosophie", Prag 1875; "Philosophie als Begriffswissenschaft", 3 Bde., Prag 1878-1880; „Philosophie der Geschichte", Prag 1884; „Philosophie des Geistes. Des Systems der Philosophie 1. Teil", Prag 1886; „Naturphilosophie. Des Systems der Philosophie 2. Teil", Prag-Leipzig 1888; „Philosophie des menschlichen Lebens. Des Systems der Philosophie 3. Teil", Prag 1889; „Religionsphilosophie", Prag-Leipzig 1887; „Philosophie als Begriffs Wissenschaft. - Moral-, Rechts- und Religionsphilosophie", Prag-Leipzig 1890.
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7. Die Philosophie J.G. HERBARTs im böhmischen Raum (Franz EXNER und sein Einfluß. Die Begründung einer theoretischen Philosophie: R. ZIMMERMANN, W. VOLKMANN. Am Anfang der philosophischen Propädeutik: M.A. DRBAL. Erste tschechisch gelesene Universitätsvorlesungen. J. DASTICH. Der Versuch einer Synthese: G.A. LINDNER. Ein Systematiker: J. DURDÍK. Die deutschen Herbartianer: J.W. NAHLOWSKY, O. WILLMANN, W. TOISCHER)
wie anders ist alles in der tschechischen Literatur, wenn sie nach den Richtlinien HERBARTs strebt! Hier lebt man!" (Josef DURDÍK, „Über die Bedeutung der Philosophie HERBARTs", CCM L, 1876, 322)
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Z u m hundertjährigen Geburtstagsjubiläum J.G. H E R B A R T s verfaßte sein damals berühmtester böhmischer Vertreter Josef DURDÍK, ordentlicher Professor f ü r Philosophie in Prag, eine feierliche Abhandlung, die er „über die Bedeutung der Theorie H E R B A R T s , hinsichtlich besonders der tschechischen Verhältnisse" 1 betitelt hat: es war der erste Höhepunkt einer einflußreichen Philosophie, die auf überraschende Art lange Jahre die österreichischen philosophischen Fakultäten beherrschte. Diese Abhandlung D U R D I K s ist die erste tschechisch verfaßte Philosophiegeschichte des böhmischen Raumes: ihr Autor sucht nach einer geschichtlichen Logik des philosophischen Gedankens bei den Tschechen, und versucht, über die Grenzen seiner Aufgabe hinaus, die spezifischen Merkmale der tschechischen Philosophie (einer „deutschen Philosophie in B ö h m e n " gegenüber) festzustellen. Mit dem N a m e n SEIBTs beginnend schildert D U R D I K den gesamten Werdegang einer tschechischen Philosophie, die wohl, seiner Meinung nach, alles den Herbartianern verdankt. Alles, was in der Vor-HERBART-Periode in tschechischer Sprache verfaßt wurde, so D U R D I K , wurde nicht nur unvollendet, nicht nur weit von den tatsächlichen Kriterien des philosophischen Denkens entfernt, sondern manchmal auch echt unphilosophisch oder sogar falsch gedacht und geschrieben. Erst mit H E R B A R T wurde dem tschechischen Geist die rettende Alternative einer methodischen und systematischen Philosophie angeboten. Und die tschechischen Spezifitäten? - Gemäß D U R D I K sind es „die Kraft der Wahrheit", und „die bekannte Eigenschaft des tschechischen Geistes, nämlich seine Begabung zum exakten Denken", die eine tschechische Philosophie besonders von einer deutsch-spekulativen Denkweise günstig unterscheiden. 2 Kein Zufall, so D U R D I K , daß eben Böhmen zum Stützpunkt der Philosophie H E R B A R T s , der einzig realistischen und konkret- wissenschaftlichen Philosophie, wurde. So wirkte sich in der Generation D U R D I K s in den böhmischen Ländern der Herbartismus - als Gegenbegriff eines Hegelianismus - aus, mit der unverhüllten Absicht übrigens, einer rebellierenden Dialektik der Hegelianer eine loyal-österreichische Idee gegenüberstellen: so suchten die tschechischen Protophilosophen nach einer denkerischen Basis, die die immer noch bescheidene tschechische philosophische Kultur vor der massiven Anziehungskraft einer herrlich-germanischen Philosophie zu beschützen vermöchte. Nun, es ist kaum zu bestreuen, daß beide diese Alternativen, sowohl Hegelianismus als auch Herbartismus dem gleichen deutschen Sprachbereich angehörten. 3 Das Problem H E R B A R T : in der „praktischen Philosophie" hieß es, eine Ethik zu finden, die unabhängig davon gilt, ob moralische Handlungen empirisch nachweisbar sind oder nicht. Im Vergleich zu S C H O P E N H A U E R , der dieses Referieren der KANTschen Philosophie (in der die Idee HERBARTs schon in nuce vorhanden ist) nicht erkannt oder bloß ignoriert hat und statt dessen eine Theorie der „intelligibilen Freiheit" schuf, und im Gegensatz zu seinem Jenaer Lehrer J.G. FICHTE, versucht H E R B A R T eine zwar systematisch-begriffliche Philosophie, vor allem aber eine „realistische" und praktisch-anwendbare Theorie zu schaffen, die das Menschenleben mit 1
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DURDIK, Josef: „O vyznamu filosofie HERBARTovy, hledic zvlàstë k pomërûm ceskym", ÔCM L, 1876, 294-328. Ibid., 322. So schrieben allerdings auch die typischen herbartischen Philosophen (wie z.B. G.A. LINDNER) sogar für die damals einzige tschechische philosophische Revue, CCM, in Deutsch. Siehe: NEUMANN, Ladislav: „100 Jahre tschechischer Philosophie in CCM („Sto let ceské filosofie ν CCM", tsch.) 100, 1926, 249-311.
seiner Arbeit und Erkenntnis ins Eine verbinden kann. Zum Vergleich mit der Verherrlichung des „Widerspruchs" in der HEGELschen Philosophie sucht H E R B A R T nach der Möglichkeit einer Metaphysik, die die ganze Erkenntnis als widerspruchslose Ganzheit auslegen könnte. Zum Vergleich mit den spekulativen, doch von der Gefahr der Revolution belasteten deutschen Theorien bot die Philosophie H E R B A R T s die Garantie, das Leben der Gesellschaft auf harmonische und positive Art zu fassen: mit aller Wahrscheinlichkeit war dies der Hauptgrund, warum sie für das Gebiet der österreichischen Monarchie wesentlich fähiger, als irgendeine der frequenten Theorien wurde, eine erbauliche Rolle in der Wissenschaft und Pädagogik zu spielen. - Der sittlich strenge Autor dieser Theorie, selbst eine Verkörperung des „kategorischen Imperativs" KANTs, wurde seiner Lehre zur besten Stütze. So wurde die Philosophie H E R B A R T s zu einer beinahe offiziellen Philosophie der Donaumonarchie. Es gibt dabei, als rein metaphysisches Problem, die Frage, warum es eben der friesische Evangeliker Johann Friedrich H E R B A R T ( 1 7 7 6 - 1 8 4 1 ) war, der die Rolle einer philosophischen Opposition, dem schwäbischen Evangeliker Georg Wilhelm Friedrich H E G E L ( 1 7 7 0 - 1 8 3 1 ) gegenüber, im katholischen Österreich-Ungarn zu spielen hatte: weder die „Linken" (Atheisten, Freimaurer, Realisten, Sozialisten) noch die christliche Philosophie (besonders die spätere Neuscholastik) waren mit dieser HERBARTschen Alternative fertig. Ein wichtiger Unterschied, von weitgehenden ideologischen Konsequenzen, ist bei H E R B A R T wohl leicht zu finden: H E R B A R T erkannte neben dem kosmischen Prinzip auch einen persönlichen Gott an: und dieses Element hat den HERBARTschen „Realismus" von einer zu sehr anonym-pantheistischen Konzeption eines HEGELs deutlich getrennt. Noch viel wichtiger scheint dabei die politische Gefahr, die bekanntlich mit den radikalen Schülern HEGELs verbunden wurde, und die diese Philosophie im habsburgischen Reich so auffällig defavorisiert hat. - Zu einer ausreichenden Erklärung der Frage, warum es eben H E R B A R T (und kein anderer) wurde, welchem die genannte Rolle einer konservativen Philosophie zufiel, reicht diese Antwort doch nicht, mag dabei auch Franz E X N E R s persönliche Vorliebe für H E R B A R T und die schicksalhafte Bedeutung seiner Philosophie für lange siebzig Jahre ( 1 8 3 2 - 1 9 0 2 ) in Böhmen ihrerseits eine Rolle gespielt zu haben. Vielleicht hat auch der vorzeitige Tod SMETANAs den siegreichen Weg des Herbartismus mitbedingt. Es gab in Böhmen kaum noch eine überlegene Gestalt, die einer noch nicht ausgereiften tschechischen Philosophie den Leitfaden zu bieten gehabt hätte. Darüberhinaus sollte man die offensichtlichen Vorteile der HERBARTschen Denkweise - die Nüchternheit und den Realismus, die wissenschaftlichen Ambitionen und Charakteristiken, seine Unparteilichkeit, seine Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Bedingungen und Kulturtraditionen unterschiedlicher Völker, seine Vielseitigkeit - im richtigen Licht sehen. Durch alle diese Aspekte schien die Philosophie H E R B A R T s am besten den Bedürfnissen und Interessen, den Denktraditionen und Wertauffassungen der böhmischen Länder zu entsprechen. Es läßt sich leicht ersehen, daß - wenn sich auch die hervorragenden Persönlichkeiten der böhmischen Kultur dieser Philosophie eifrig ergaben - der Herbartismus zu einem objektiven, wissenschaftlich-philosophischen Charakteristikum des tschechischen 19. Jhs. wurde. Auch im ideologisch-politischen Sinne entsprach der Herbartismus der unstabilen und noch nicht endgültig artikulierten Position einer tschechischen Kultur. Sein Pluralismus (wonach das Sein aus einer Vielfalt der „Realen", dh. konstitutiven Elemente, unzerstörbaren, ewigen Atome bestand) schuf, einem HEGELschen monistischen Idealismus oder einer SCHELLINGschen „Identität" gegenüber, eine denkerische Basis
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für die eben beginnenden Geisteskämpfe, innerhalb welchen das tschechische Nationalbewußtsein allmählich zu seinem glaubwürdigen Selbstbildnis und Selbsterkenntnis kam. Darüberhinaus bot die HERBARTsche Gottesauffassung (Gott als ein ordnendes Prinzip der Realen des Seins) immer noch größere Chancen für eine theologische Auseinandersetzung mit den dogmatisch-kirchlichen Richtungen als die eben genannten philosophischen Alternativen eines deutschen Idealismus. Ebenso könnte man die pädagogisch und erkenntnistheoretisch günstigen Aspekte des Herbartismus (seinen Empirismus, seine innige Verwandschaft mit naturwissenschaftlichen und mathematischen Neigungen) als deutliche Vorteile, im Kampf um die philosophische Oberhand in Österreich, bezeichnen. So wurde der „Preuße" HERBART doch für die Monarchie zur etwas akzeptableren Alternative als der,.Preuße" HEGEL selbst... 4 Der philosophische „Mann der ersten Stunde" des böhmischen Herbartismus war ein Wiener: Professor Franz EXNER. 5 EXNER, ein typischer Mann des philosophischen Biedermeiers, ein im Ausdruck vorsichtiger, in der politischen Position restlos loyaler Professor, theoretisch wenig fruchtbarer Autor: er wurde trotzdem für eine ganze Generation zur ausschlaggebenden Persönlichkeit der böhmischen Philosophie. Unter EXNER las man in Prag Philosophie allerdings deutsch: die deutsch idealistische Klassik (nicht aber HEGEL) wurde auch zur Dominante der Vorlesungen EXNERs. Der Philosophie JACOBIs ursprünglich angehörend, wandte sich EXNER später HERBART deutlich zu, um ein wirksames Gegenmittel gegen die behagliche hegelianisch-revolutionäre Idee zu finden. Um das Haus HABSBURG höchstens verdient, wurde EXNER seit 1848 nach Wien, in das Kultusministerium berufen: zuerst ließ er sich in Prag durch seine Assistenten A. S MET ANA und J. NAHLOWSKY vertreten, seit 1849 hat er seinen Lehrstuhl zur Verfügung gestellt. Mit großem Geschick und pädagogischem Sinn hat EXNER der jungen Generation zwischen dem Konservatismus einer LEIBNIZ- WOLFF-Schule und dem späteren Konservatismus einer BACH-Ära vermittelt. Der pädagogische Akzent seiner Tätigkeit bleibt dabei unverkennbar. Diese seine Konzeption erweiterte er dann auch in seiner Reform des philosophischen Studiums an den Gymnasien Österreichs: so hat er, im eigentlich HERBARTschen Sinne das Studium der „philosophischen Propaedeutik" der Logik, Psychologie und einer Einleitung in die Philosophiegeschichte als Lehrgegenstände des Gymnasialstudiums als wichtige Bestandteile der Erziehungslehre eingeführt: ein Akt, durch den die Schüler EXNERs ein breites Feld für ihre Tätigkeit fanden. So bekam EXNER, trotz seines Konservatismus und offensichtlichen Monarchismus, auch viel Anerkennung bei den Studenten: so beeinflußte er auch eine Reihe von prägnanten Persönlichkeiten der 4
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Im Bereich der Pädagogik (übrigens: einer der damaligen „philosophischen" Disziplinen) wurde diese ausschlagebende Richtung als die „HERBART - ZILLER - STOYs Schule" bezeichnet. Siehe: KACHNÍK, Josef: "Historia philosophiae", Prag 1896, 235-236. EXNER, Franz - geboren 1802 in Wien, wo er auch studierte; seit 1827 Professor für Philosophie in Wien; seit 1831 (bis 1848) Professor für theoretische Philosophie und Moralphilosophie in Prag; seit 1848 Ministerialrat im Kultusministerium in Wien; er starb plötzlich 1853 in Padua. - Aus seinem Werk: „Über Nominalismus und Realismus", in: „Abh. d. Königl. Böhm. Ges.d.Wiss.", Prag 1842; „Die Psychologie der HEGELschen Schule", 2 Bde., Leipzig 1842-1844; „Über LEIBNIZens Universalwissenschaft"; in: Abh.d. KBGW, Prag 1843; „Die Lehre von der Einheit des Denkens und des Seins", ebd. 1845.
böhmischen Philosophie - darunter auch G. A. LINDNER, Karel HAVLÍCEK, Frantisele CUPR, aber auch die Deutschen Wilhelm VOLKMANN, Robert ZIMMERMANN, Josef W . NAHLOWSKY u. m. a. Die herbartische Philosophie wurde in der folgenden Generation der Schüler EXNERs vor allem durch Robert ZIMMERMANN 6 vertreten. ZIMMERMANN gehört zu den „namhaftesten Herbartianern" (UEBERWEG) überhaupt, und sein Name wurde in einem Atem mit DROBISCH, HARTENSTEIN, STRÜMPELL, THILO, STEINTHAL, LAZARUS, ZILLER, FLÜGEL, REIN (um die Wichtigsten zu nennen) zitiert. Diese Bedeutung ZIMMERMANNS für die Philosophie seiner Zeit wurde zwar von den tschechischen Philosophiegeschichtlern kaum rezipiert: das ändert wenig an der Tatsache, daß es ZIMMERMANN ist, der, in der Nachfolge BOLZANOs und als der zweitwichtigste im Böhmen des 19. Jhs. nach BOLZANO, eine europäisch wichtige Rolle spielt. ZIMMERMANN, dieser „späte Herbartianer", hat sich der Philosophie HERBARTs aus Dankbarkeit gegen seinen Lehrer und Protektor, Franz EXNER, zugewandt: ZIMMERMANN selber neigte eher zur Philosophie BOLZANOs 7 , dessen beliebter Schüler er einst war. BOLZANO hat den begabten Jurastudierenden zum Studium der Philosophie überredet. So sah sich ZIMMERMANN zuerst verpflichtet, sich der philosophischen Nachfolge BOLZANOs zu widmen. Bernard BOLZANO orientierte seinen jungen Pausanias in der Richtung von KANTs kritischer Philosophie und machte ihn mit dem Sinn der Philosophie LEIBNIZens vertraut. ZIMMERMANN hat auch tatsächlich die begründende Arbeit für den Leibnizianismus in Böhmen getan: die ersten Übersetzungen der LEIBNIZischen Werke ebenso wie ihre Analysen und Deutungen verdanken der Initiative ZIMMERMANNS beinahe alles. 8 Doch im Umkreis EXNERs wurde ZIMMERM A N N noch für den Herbartismus gewonnen und ist auch ein bedeutendster Vertreter im böhmischen Raum geworden. Zwar hat er nie BOLZANO vergessen und verlassen, und sogar in seiner Prager Antrittsrede an das Ethos und die Tiefe der Philosophie BOLZANOs programmatisch erinnert. 9 Er selbst fühlte sich jedoch als ein weiteres Kettenglied in der Reihe SEIBT-BOLZANO-EXNER und versuchte dieser gesamten Tradition gerecht zu werden. So verbindet ZIMMERMANN bereits in seiner Philosophiedefinition den Standpunkt BOLZANOs („Philosophie behandelt die letzten Seins6
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Robert ZIMMERMANN, am 2. November 1824 in Prag geboren, wo er auch Akademisches Gymnasium und später Philosophie studierte. 1846 als Dozent für Ästhetik in Prag habilitiert, 1850 als Professor für Philosophie nach Olmütz berufen, 1852 als Professor für Philosophie in Prag ernannt; 1861 Ordinarius in Wien; gestorben am 1.September 1898 in Wien. Zu Robert ZIMMERMANN siehe: Fr. UEBERWHGs „Grundriß der Geschichte der Philosophie von Beginn des neunzehnten Jahrhunderts bis auf die Gegenwart", 11. Aufl., Berlin 1916, 144, 170, 230, 239f„ 696, 729, 800 Siehe: „Über BOLZANOs wissenschaftlichen Charakter und philosophische Bedeutung", in: „Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, philosophisch historische Klasse, Oktober 1849; „Über einige logische Fehler der Spinozistischen Ethik", ebd. Oktober 1850 und April 1851; „Der Kardinal Nikolaus CUS ANUS als Vorläufer Leibnizens", ebd. April 1852; „Über LEIBNIZens Konzeptualismus", ebd. April 1854; „Geschichte der Ästhetik als philos. Wissenschaft", Wien 1858; „SCHILLER als Denker. Ein Vortrag z. Feier seines 100jährigen Geburtstages", in: „ A b h a n d l u n g e n der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften", V. Folge, XI. Bd., Prag 1859. Siehe: „LEIBNIZ' Monadologie mit einer Abhandlung über LEIBNIZens und HERBARTs Theorien des wirklichen Geschehens", Wien 1847; „LEIBNIZ und HERBART. Eine Vergleichung ihrer Monadologie", Wien 1849; „Das Rechtsprinzip bei LEIBNIZ", Wien 1852. Vgl. „Was erwarten wir von der Philosophie", Wien 1852.
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und Wahiheitsgründe") mit der Definition HERBARTs („Philosophie, als reine Begriffswissenschaft, beschäftigt sich mit der Deutung und Klärung der Begriffe") 10 , um seinen Abstand von diesen beiden Bestimmungen (doch aber seinen guten Willen zur womöglichen Synthese beider) anzumerken. Im innersten Herzen ist ZIMMERMANN jedoch der philosophischen Klassik LEIBNlZens treu geblieben.11 Robert ZIMMERMANN: nach BOLZANO der bedeutendste Denker aus dem böhmischen Raum. Als Nachfolger ZIMMERMANNS übernahm den Lehrstuhl für Philosophie an der Prager Universität ein anderer Schüler EXNERs, Wilhelm VOLKMANN. 12 Seine Forschungstätigkeit betrifft vor allem den thematischen Umkreis Psychologie (die VOLKMANN im Sinne HERBARTs als philosophische Disziplin begreift). Ein theoretischer Beitrag zur Theorie des Herbartismus ist eher in den Einzelheiten als in der Grundkonzeption VOLKMANNs (der sich auf die Aufgabe eines Lehrers begrenzte) festzustellen. Viel markantere Persönlichkeit des böhmischen Herbartismus, Josef DASTICH, war ein favorisierter Schüler ZIMMERMANNS. Josef DASTICH, der im engsten Sinne allererste „tschechische" Ordinarius für Philosophie (dem es also bewilligt wurde, tschechisch zu lesen: von dem wenig bedeutenden Privatversuch Fr. CUPRs aus dem Jahre 1846 abgesehen), philosophiert im Sinne eines systematischen Herbartismus; wobei er an den Grundlagen seines philosophischen Altmeisters kaum etwas ändern will. Trotzdem wurde ihm, als dem allerersten Einheimischen, das Ursprüngliche zum Los: mit einem jeden seiner Bücher hat er der tschechischen Kultur etwas Neues geschenkt.13 Ganz besonders im Bereich der „praktischen Philosophie", der Ethik, sah DASTICH seine Berufung. Zu den Prinzipien einer praktischen Philosophie werden in der Auffassung DASTICHs die ästhetischen Urteile, deren Subjekt das Inhaltliche des „Guten" und deren Prädikat das Wohltun oder Nichtwohltun ist. Die Ethik ist die Ästhetik des Willens. Der Begriff des Guten darf sich nur auf den Willen selbst beziehen: dieser kann nur durch sein Verhältnis zu einem anderen Willen auch gut sein. Es ist nicht nötig, sagt er, daß das, was wir beurteilen, bereits in unserer Erfahrung existiert, es reicht, wenn wir davon ein gutes Bild bekommen. ,n 11
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Siehe: „Philosophische Piopaetieulik fur Obergymnasieu", Wien 1852. Siehe vor allem die Werke seiner Wiener Periode: „Philosophie und Erfahrung. Eine Antrittsrede", Wien 1861; „Allgemeine Ästhetik als Formwissenschaft", Wien 1865 (in ergänzter Fassung als „Studien und Kritiken zur Philosophie und Ästhetik", 2 Bde., Wien 1870); „Anthroposophie im Umriß. Entwurf eines Systems idealer Weltansicht auf monistischer Grundlage", Wien 1882. V O L K M A N N , Wilhelm Fridolin, Ritter von Volkmar, 1822 in Prag geboren: dort studierte er Gymnasium und Philosophie. 1846 als Dozent für Ästhetik in Prag habilitiert, 1856 zum Außerordentlichen, 1860 zum Ordentlichen Professor für Philosophie in Prag ernannt. V O L K M A N N starb 1877 in Prag. - Aus seinem Werk siehe: „Die Lehre von den Elementen der Psychologie", Prag 1850; „Lehrbuch der Psychologie", 2 Bde., Prag 1856 (2. Aufl. 1875-1876); „Die Grundzüge der aristotelischen Psychologie", Prag 1858. - Mit dem Herbartismus, besonders mit VOLKMANN und LINDNER, setzte sich in seinen römischen Vorlesungen auch Antonio LABRIOLA auseinander. DASTICH, Josef (1834-1870). Sein Werk: „Über das Verhältnis der empirischen Forschung zur philosophischen Reflexion" („O pomeru zkoumání empirického k bádání filosofickému", tsch.) CCM X X X V , 1861; „Logik" („Logika", tsch.), Prag^ 1862; „Psychologie" (tsch.), Prag 1862; „Die Analyse philosophischer Ansichten von Th. Stitny" („Rozbor filosofickych náhledü Tomáse ze Stítného o pojmu krásy a o pomëru víry k rozumu", tsch.) Prag 1863; „Die Grundlagen der praktischen Philosophie" („Základové praktické filosofie ve smyslu vseobeené ethiky", tsch.) Prag 1863.
So geht die Ethik in der Auffassung DASTICHs aus den grundlegenden, einfachsten Willensverhältnissen hervor, um dann auch die weiteren, komplizierteren Probleme zu beurteilen. 14 DASTICH bot der tschechischen philosophischen Literatur zugleich die erste systematische Übersicht der Moralgeschichte, mit SOKRATES und ARISTOTELES beginnend, über das Christentum bis zu KANT, FICHTE, SCHELLING und HEGEL. In HERBART sieht er wohl erst den Höhepunkt der modernen Ethik. Als Herbartianer stellt DASTICH die Philosophie KANTs dem deutschen Idealismus streng gegenüber: in KANT sieht er den genialen Urheber einer Willensethik, wogegen jedoch, so DASTICH, die deutschen Idealismen vom echten Wege abwichen. In seiner Philosophieauffassung vertritt DASTICH einen gemäßigten Empirismus, der eine metaphysische Spekulation zwar nicht bestreitet (ja, verlangt), jedoch nach einer nichtmetaphysischen Synthese der philosophischen Erkenntnis sucht, und dadurch auch die scholastisch-aristotelsche Methode nicht mehr akzeptiert. Der Hauptgrund der bisherigen Mißverhältnisse liegt, nach DASTICH, im Begriff der Philosophie selbst 15 , derart, daß die „reale" und „formelle" Welt verwechselt wird. Andererseits hält DASTICH den Empirismus nicht für eine absolut selbständige Möglichkeit, die Welt erkennen und deuten zu können: die Berufung der Philosophie beginnt gemäß DASTICH erst mit der Aufgabe, zwei gleichwertige empirische Vorstellungen vergleichen zu können. Man könnte da leicht die HERBARTsche Idee spüren, es gehöre zur Rolle einer Metaphysik, die erkenntnis-theoretischen Begriffe zu korrigieren, die von der empirischen Forschung selbst zu bekommen seien. Josef DASTICH, der direkte Zeitgenosse von TYRS und Friedrich S MET ANA (die, jeder auf seine Art, die neue tschechische Kultur so einflußreich wie kaum ein Anderer mitbeeinflußt haben), gehört zwar nicht zu den Urentdeckern neuer philosophischer Horizonte: sein Ehrgeiz wurde eher auf jene Richtung gelenkt, die einen ehrwürdigen Ausgleich des neuen Tschechentums mit der deutschen Kultur in Böhmen suchte. Man sollte jedoch nicht das Verdienst DASTICHs um die neu entstehende tschechische Philosophie vergessen, der DASTICH nicht nur mit seiner unermüdlichen pädagogischen Arbeit, nicht nur mit den neuen Themen und Theorien, sondern auch mit manchen terminologischen und kategoriellen Entwürfen fruchtbar beigetragen hat. Neben seiner empirisch-fachlichen philosophischen Tätigkeit hat DASTICH auch eine grundlegende und gesamtwissenschaftlich orientierte Grundforschung im Bereich der „Humanwissenschaft" (im Sinne HERBARTs) entwickelt, die den Nachfolgern eine Vielfalt von denkerischen Impulsen angeboten hat. So hat DASTICH seine Rolle (innerhalb eines ungewöhnlich kurzen philosophischen Lebens) für die nun „tschechische" (und nicht nur böhmische) Philosophie zweifelsohne erfüllt: so wird auch DASTICH bei einigen Historikern nicht ganz zu unrecht als der, sensu stricto erste tschechische Philosoph der böhmischen Geistesgeschichte genannt. Der Einfluß der Philosophie HERBARTs in Böhmen wurde bald durch die institutionelle Struktur der tschechischen Philosophie behauptet. Die förmliche Trennung der tschechischen Universität von ihrer deutschen pars erfolgte in Prag zwar erst im Wintersemester 1884 (und wurde im Sommersemester 1885 vollendet) - dieser Schritt 14
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Vgl. „Die Grundlagen der praktischen Philosophie" („Základové praktické filosofie", tsch.) Prag 1863. Vgl. „Über das Verhältnis der empirischen Forschung zur philosophischen Reflexion" („O pomëru zkoumání empirického k bádání filosofickému", tsch.) COM XXXV, 1861, 54-71.
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wurde jedoch durch die ganze geistige Entwicklung der böhmischen Philosophie, seit der Mitte der 60er Jahre wenigstens, vorbedingt. Eine der ersten Konsequenzen, die man (im Bereich der Geisteswissenschaften, denen damals auch die „Naturphilosophie und -Wissenschaft" angehörte) aus der Verdoppelung der universitären Unterrichtssprache gezogen hat, war die Errichtung neuer Lehrstühle tschechischsprachiger Art. So entstanden fünf Lehrstühle „für Philosophie", deren Inhaber - Josef D U R D Í K (habilitiert 1869, Außerordentlicher Professor 1874, Ordinarius 1880); Gustav Adolf L I N D N E R (Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik; Außerordentlicher Professor 1876, Ordinarius 1882); Thomas M A S A R Y K (Außerordentlicher Professor 1882, Ordinarius 1896 - Lehrstuhl für Philosophie, viel später auch für Soziologie), mit den zwei weiteren tschechischsprachigen Professoren - Otakar H O S T I N S K Y (Lehrstuhl für Musikgeschichte und -ästhetik; habilitiert und Außerordentlicher Professor 1877, Ordinarius 1883); Miroslav T Y R S (habilitiert und Außerordentlicher Professor 1880, Ordinarius 1883, Lehrstuhl für Kunstgeschichte); das tschechische Element für die Zukunft der „Universitas Carolo- FeTdinandea Pragensis" zu vertreten hatten: drei davon Herbartianer. Für die Entwicklung der HERBARTschen Idee in Böhmen ist besonders Gustav A d o l f L I N D N E R 1 6 von unverkennbarer Bedeutung. Dieser tschechisch geborene, in den beiden Landessprachen schreibende und lesende Herbartianer hat durch sein umfangreiches, zu einem guten Teil recht populär geschriebenes Werk, die tschechische (nicht nur philosophische sondern auch pädagogische und soziologische) Literatur mitbegründet. Über die Horizonte eines Herbartismus hinaus hat er seine Philosophie an die zeitgemäß einflußreichen Richtungen angeknüpft. Der spekulative W e g der Philosophie ist nach seiner Auffassung irrig; eine auf Syllogismen gründende Philosophie ist reduktionistisch und entspricht dem „induktiven Geist unserer Gegenwart" längst nicht mehr. So bleibe uns nur, die umwälzenden Entdeckungen der neuen, auf exakte Art denkenden Naturwissenschaft ( F E C H N E R ) mit dem großzügigen, ordnenden und übersichtlichen Geist der tatsächlichen (dh. K A N T - H E R B ARTschen) Philosophie zu verbinden, um den geistigen Aufgaben der Zeit gerecht zu werden. L I N D N E R versucht die ursprüngliche (vorwiegend „statische") Wirklichkeitsauffassung mit den neuen, evolutionistischen Gesetzen (eines D A R W I N s , später auch eines H A E C K ü L s etwa) zu verbinden, und so sucht er, im Sinne dieser durchaus biologischen Weltauffassung, das traditionelle Individuumsproblem als integrierende Zusammenfassung aller Entwicklungsstufen der Menschheit zu erfassen. Die Autoritäten der modernen Wissenschaft (neben den genannten auch L O T Z E , H A R T M A N N ua.) werden durch die Vorlesungen und Schriften L I N D N E R s in die tschechische Literatur manchmal erstgeführt. W e i l L I N D N E R seine Werke typischerweise in zwei Sprachen verfaßt wirkt seine Philosophie symmetrisch sowohl in der tschechischen Literatur als auch an den deutschen Universitäten Österreichs und so hilft den Anschluß an eine europäischmoderne Wissenschaft zu schaffen.
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LINDNER, Gustav Adolf, 1828 geboren, studierte Philosophie in Prag; dann Gymnasiallehrer in Jitschin. Aus politischen Gründen (von denen die kirchliche Persekution nicht die letzte wurde), wurde er 1855 nach Zilli/Celje (ehemaliges Südsteiermark, später Jugoslawien) strafversetzt, von wo er erst 1871 wieder nach Böhmen zurückkehren durfte. Dann Gymnasialdirektor an dem Deutschen Gymnasium in Prachatitz, seit 1872 Direktor an der Lehranstalt in Kuttenberg. Nach zehn Jahren wurde er als Professor für Philosophie und Pädagogik an die Karl-Ferdinand-Universität in Prag berufen: bereits nach fünf Jahren erschöpfender Lehr- und Forschungstätigkeit starb er 1887 in Prag einen plötzlichen Tod.
LINDNER bedeutet für die tschechische Philosophie den Anbeginn einer Vermittlung zwischen der deutschen Tradition (welche diesmal durch die Philosophie HERBARTs vertreten, wenn auch nicht adäquat repräsentiert ist) und der, damals für das tschechische Denken neuen Tradition des europäischen Abendlandes, besonders der englischen und französischen Philosophie. 17 Diese andere, imgrunde empiristische Tradition war ein Ausweg aus einer sonst herrlichen Spekulation, die auch unter der Schirmherrschaft HERBARTs keine grundlegende Alternative zum ebenso spekulativen deutschen Idealismus bot. Philosophie ist für LINDNER eine „Wissenschaft", die aufgrund einer ganzheitlichen Weltanschauung ihrem Ziele der Umgestaltung wissenschaftlicher Begriffe folgt. 18 Dabei blieb LINDNER den dunklen philosophischen Residuen der zeitgemäßen Naturwissenschaft manches schuld: so hat sein Versuch, „die vier grundlegenden Gesetze einer exakten Philosophie" festzustellen, die Grenzen der metaphysischen Spekulation 19 nicht überwunden. Im Bereich der Psychologie (die LINDNER als eine philosophische Disziplin der partikulären Sozialwissenschaften überordnet) hat LINDNER einen entscheidenden Fortschritt durch den Begriff einer „Sozialpsychologie" (unter diesem Titel erschien in der tschechischen Literatur) durchgesetzt. Im Bereich des Sozialen sucht er nach dem Unbehagen 2 0 jeglicher psychischen Motivation: so kommt im Bereich der bewußten Vorstellungen der Faktor „Interesse" als dunkler gesellschaftlicher Hintergrund der individuellen Tätigkeiten und Ziele zu seinem Ausdruck. Seinen psychologischen Induktionismus und Empirismus sucht LINDNER in und durch die Theorien von Francis BACON und J.A. COMENIUS zu unterstützen: aus diesen Impulsen erfolgt die Bemühung LINDNERs für die Psychologie eine neue begriffliche Basis, ja eine neue Sprache zu schaffen. In seinem Buch „Ideen zur Psychologie der Gesellschaft als Grundlage der Sozialwissenschaft" 21 hat er den bisherigen Höhepunkt der böhmischen sozialwissenschaftlichen Literatur erreicht. Dieses Werk stellt sich zur Aufgabe, die vollständige Übersicht der relevanten Theorien zu erreichen und aufgrund dessen ein Modell der psychologischen Soziologie - im Rahmen der HERBART sehen Weltauffassung - anzubieten. Nicht ohne Bedeutung scheint dieser Versuch (historisch prius vor SCHÄFFLE und LILIENFELD, ja sogar vor SPENCERschen Synthese des Organizismus) zu sein, den LINDNER in seine „Ideen" unternommen hat. Die Gesellschaft, so LINDNER, stellt eine höhere organische Ganzheit (als Analogie anderer organischen Strukturen der lebendigen Natur) dar, dies ist der Gegenstand einer „Physiologie der Gesellschaft" - deren Ethos und Seinsgrund die moralischen Ideen (die Idee einer innerlichen Freiheit insbesondere) sind. „Soziale Psychologie" studiert demgemäß die geistigen Strukturen und die psychische Organisation der Gesellschaft. 17 18
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Vgl. z.B. LINDNERs Übersetzung der Schrift HELVETIUS' „De l'homme", Prag 1877. Vgl. seine „Einleitung in die Philosophie", Prag 1866, 5. (Ins Tschechische als „Filosofie ucitelkou ucitelû" 1891 übersetzt. Diese vier Gesetze heißen: (1) das Gesetz allgemeinen wechselseitigen Wirkens; (2) qualitative Identität der Materie und Kraft; (3) quantitative Beständigkeit der Materie und Kraft; (4) es gibt ein „allgemeines Gesetz der Entwicklung". Vgl. „Über den gegenwärtigen Zustand der Philosophie", CCM 1882, 14. Vgl. die Werke LINDNERs: „Über latente Vorstellungen", Prag 1875; „Über die Wechselseitigkeit der Kräfte in der Natur" („O vzájemnosti sil ν prírode", tsch.), Prag 1878. Das Werk erschien in Wien 1871. - Ins Tschechische als „Myslenky k psychologii spoleinosti" von Josef KRÁL, Prag 1929, übersetzt.
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In einer minuziösen Analyse der Unterschiede und Analogie zwischen dem individuellen und gesellschaftlichen Bewußtsein erreicht LINDNER neue Horizonte des Herbartismus: die „Ideen" sind dabei keineswegs als bloß empirische Wahrnehmungen sondern als „Begriffe" (als imgrunde platonsche Ideen also) zu verstehen. So wurde die „soziale Psychologie" als eigentlich angewandte „soziale Philosophie" (eher als eine „Sozialphilosophie") von LINDNER als allgemeine Begründung der praktisch-sozialen Disziplin (inclusive einer Pädagogik) 22 zur begrifflichen und methodischen Basis der Forschung konstituiert. Am Hintergrund der Theorie DARWINs („struggle for life") und SPENCERs („sociability") versuchte LINDNER aus dem „Realismus" HERBARTs jene Konsequenzen zu ziehen, die die herbartische Pädagogik mit der neuen Gedankenwelt Europas verbanden. Nicht nur das. Einer kirchlich-staatlichen Pädagogik Österreichs gegenüber hat LINDNER die Basis für eine ethische Reform angeboten 23 , die das Religionsproblem von neuem als eine imgrunde ethische Frage zu artikulieren versuchte. Im Sinne eines aufgeklärten Humanismus sieht LINDNER die Quelle religiöser Bedürfnisse in der Begrenztheit (physicher, intellektueller und moralischer Einschränkung) des Menschen bestehen, die jedoch als möglicher Ausgangspukt einer höheren, philosophisch interpretierten Religion (einer Sehnsucht nach der innigen Gemeinschaft mit Gott, mit der Mitte des Seins, mit dem Kosmos selbst) sein sollte. LINDNER unterscheidet zwischen der „Kirchlichkeit" und „Religion", wobei er die Idee einer kultischen Verehrung des göttlichen Prinzips nicht ablehnt, sondern sie als soziale Stütze der individuellen Religionsauffassung zu erklären sucht. Die neue Religion ist die „Religion der Ethik". So wird die Ethik bei LINDNER, wie bei den Herbartianem im übrigen, als die letzte Sinndeutung aller Philosophie und als die einzig wirksame philosophische Disziplin überhaupt interpretiert. LINDNER schätzt besonders die praktische Orientierung und Bedeutung der Ethik HERBARTs hoch, über die Grenzen des Herbartismus hinaus versucht er den ethischen Eudaimonismus (unter dem Namen einer „Eubiotik") auch im Horizont einer förmlichen Einschränkung (die mit KANT als notwendige Folge einer Gewissensethik in der Literatur erschien) zu retten. Das Ziel des Menschenlebens: das „Glück", die Seligkeit. - Es gibt keine Treimungsiinie zwischen der lugendhaiten Sittlichkeit und einer sinnvollen Glücksethik - die logischen Bereiche beider seien als identisch zu verstehen. Zum psychologischen Grund solcher durchaus praktisch orientierten Ethik sei das geistig-seelische Gleichgewicht, ausgewogene Kontinuität des Lebens gewählt. Es ist der Mensch selbst, der seine Moral zu bestimmen habe. 24 Dem Pessimismus eines SCHOPENHAUERS etwa versucht LINDNER sodann eine fruchtbare und beruhigende ethische Konzeption gegenüber zu stellen. 22
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Als Editor der „pädagogischen Klassiker" sorgte LINDNER für systematische Kenntnis der aktuellen Literatur. Darüberhinaus hat er eine neue pädagogische Zeitschrift („Paedagogium") gegründet, die er zwischen Oktober 1879 - Dezember 1881 selber herausgab. Siehe „Die Kirche der Zukunft, eine Encyklika an alle denkenden Christen", anonym 1868 in Prag hrsg. (Ins Tschechische als „Cirkev budouenosti" übersetzt). Siehe: „Das Problem des Glücks. Psychologische Untersuchungen über die menschliche Glückseligkeit", Prag 1868. (Ins Tschechische als „Záhada stesti" durch Josef KRAL übersetzt; in: Filosofická bibliotheka Ceské Akademie, I, 9, Prag 1931.) - Vgl. auch relevante Teile seiner „Einführung in die Philosophie", Prag 1866 (ins Tschechische als „Úvod do studia filosofie" übersetzt.), bzw. das Werk „Die ethischen Grundlagen der Erziehung" („Ethické zásady vychování", tsch.), Pädagogium 1881.
LINDNER sieht in seiner Gegenwart eine „Krise der Philosophie" sich auswirken 25 , die nur durch einen konsequenten ethischen Standpunkt und durch eine Umgestaltung der spekulativen, nicht mehr fruchtbaren, nicht mehr dienlichen philosophischen Wissenschaft zu lösen sei: so vertraut er auf die neuen Disziplinen, besonders auf die (durch neue Psychologie geprägte) Soziologie, eine Zukunftsdisziplin, in der die neue Wissenschaft die neuen Gesellschaftsphänomene beschreiben und erklären könnte. Gustav Adolf LINDNER, ein vielseitig begabter und weltoffener Geist, dem seine Zeitgenossen Manches verdanken, hat jedoch die tschechische Philosophie nur indirekt und in beschränktem Maße tatsächlich beeinflußt: sein Standpunkt schien den Zeitgenossen zu wenig tschechisch-patriotisch (trotz LINDNERs offensichtlicher Mühe), zu viel „österreichisch" zu sein. Darüberhinaus trägt der Herbartismus LINDNERs einige Zeichen eines gelehrten Eklektizismus, von welchem her die Konzeption LINDNERs zwar als Ermutigung zum weiteren Studium, nicht sosehr jedoch als eine wirklich originelle philosophisch-pädagogische Theorie gesehen wurde. Der Name ,,LINDNER" bleibt jedenfalls mit dem Werdegang einer neuen, modernen und nicht eng lokal- böhmischen Philosophie im Prag der 70er - 80er Jahre untrennbar verbunden. Unter die zeitgemäß bekannten Autoren der böhmischen Länder gehört auch Matthias Amos DRBAL 2 6 , Philosoph und Pädagoge, ein besonders von der deutschen Seite der böhmischen Philosophiegeschichte viel geschätzter Autor, dessen tschechische Herkunft doch unverkennbar war. Auch dabei bleibt wohl als ein nahezu bedenkliches Anzeichen die Gleichgültigkeit, mit welcher die tschechische philosophische Historiographie, auch in den anerkannten Lehrbüchern (KRAL) diesen hochverdienten Mann behandelt, wenn überhaupt: ein gehässiger Spitzname „verdeutschter Tscheche" blieb ihm dabei nicht erspart. DRBAL hat sich besonders um die (imgrunde sehr demokratische) Struktur des mittleren und höheren Schulwesens in den böhmischen Ländern verdient gemacht. Nicht weniger verdienstlich sind seine Werke, vor allem seine Lehrbücher der Philosophie (die für lange Zeit als vorbildliche Werke an allen Gymnasien Österreich-Ungarns verbreitet worden waren). Nun, das Unbehagen der tschechischen philosophischen Historiographie liegt eben darin, daß alle möglichen, auch die rein hypothetischen, doch politisch orientierten Broschüren der manchmal zweitrangigen patriotischen Autoren in der Wertskala höher als sachlich gewissenhafte und übernational konzipierte Lehrbücher gestellt wurden. Matthias Amos DRBAL wurde kein bloß lokal orientierter Autor von engstirniger Weltanschauung und professioneller Blindheit - besonders sein Interesse an „Verfallsphänomenen" der Philosophie im deutschsprachigen Raum (das Manches vom überzeugten Konservatismus DRBALs andeutet) ist von einem, ungewöhnlich breiten Spektrum der relevanten Zusammenhänge, und mit guter Kenntnis der deutschen philosophischen Tradition konzipiert. 25
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Vgl. „Über den Verfall der Philosophie" („O úpadku filosofie", tsch.), CCM LVI, 1882, 489-495. - Die Inaugurationsvorlesung LINDNERs übrigens. DRBAL, Matèj Amos, geboren am 20. Februar 1829 in Prödlitz (Brodek u Prerova), Mähren, gestorben am 17. April 1885 in Brünn. DRBAL studierte Philosophie in Olmütz, er wurde dann Gymnasialprofessor in Linz a.d. Donau (1857), Gymnasialdirektor in Iglau (1868), zuletzt Landesschulinspektor in Brünn. -Aus seinem Werk: „Über die Ursachen des Verfalls der Philosophie in Deutschland", dt., Prag 1856; „Lehrbuch der propädeutischen Logik", Wien 1865, 2.Aufl. 1868; „Empirische Psychologie", Wien 1868; „Darstellung der wichtigsten Lehren der Menschenkunde und Seelenlehre, nebst einer Übersicht der Geschichte der Erziehungs- und Unterrichtslehre, 3 Bde., Wien 1872.
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Mit Josef D U R D Í K 2 7 erreicht die herbartische Philosophie in Böhmen ihren Höhepunkt. V o m Anfang der 70er Jahre, als DURDÍK sein Werk zu veröffentlichen begann, über die „Gründerperiode" der 80er Jahre in der neuen tschechischen Wissenschaft bis zum Jahr 1894 (als in der gleichen „Zeitschrift des Tschechischen Museums", die mittlerweil zur ersten philosophischen Revue der Tschechen wurde, Frantisek KREJCI, einer der späteren bedeutendsten Positivisten in Böhmen, seine Abhandlungen zu veröffentlichen begann) erstreckt sich eine beinahe geschichtliche Grenze, an welcher sich das Schicksal der philosophischen Idee im böhmischen Raum neu gestalten begann. Mit Josef D U R D Í K kulminiert der tschechische Herbartismus: mit ihm geht eine ganze Epoche der Philosophie zu Ende. Mit Fr. K R E J C Í beginnt sich der tschechischen Philosophie eine neue, diesmal wirklich philosophische Welt zu öffnen. Mit M A S A R Y K wird dabei, mit einer hierzulande noch nie geahnten Kraft, das ganze kulturelle Vermächtnis der tschechischen Tradition neu geprägt. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Wesen und die Rolle der Philosophie J. DURDÍKs zu betrachten. Ebenso wie DASTICH gehört auch DURDÍK zu den Schülern E X N E R s . So ist auch leicht zu verstehen, daß sich in seinen ersten Werken der Einfluß von L E I B NIZ mit dem von H E R B A R T verbindet. Darüberhinaus ist in seiner ersten 28 großen Arbeit klare Beeinflußung von NEWTON zu finden: im Sinne eines NEWTONschen 27
DURDÍK, Josef, geboren am 15.10.1837 in Horice (Böhmen), gestorben am 30.6.1902 (ΖΑΒΑ führt seltsamerweise das Jahr 1903) in Prag; seit 1869 Professor (seit 1874 Ordinarius) für Philosophie in Prag. - Das Werk: „LEIBNIZ und NEWTON. Ein Versuch über die Ursachen der Welt auf Grundlage der positiven Ergebnisse der Philosophie und der Naturforschung", dt., Prag 1869; „Geschichtlicher Abriß der neuen Philosophie; I. Von DESCARTES bis KANT" („Dejepisny nástin filosofie novovëké; I. Od DESCARTESa ke KANTovi"), Prag 1870; auch dt.; II. "Geschichte der neuesten Philosophie" („Dëjiny filosofie nejnovëjsi"), Prag 1887; „Über die Kallilogie" („O Kallilogii cili o vyslovnosti"), Prag 1872; „Über die Fortschritte der Naturwissenschaften" („O pokrocích prírodních vëd"), Prag 1874; „Kritik" („Kritika"), Prag 1874; .Allgemeine Ästhetik" („Vseobecná aesthetìka"), Prag 1875; „Über die Bedeutung der HERBARTschen Philosophie" („O vyznamu nauky HERBARTovy"), Prag 1876; „Philosophische Aufsätze" („Rozpravy tilosofické), Prag 1876; „Thomas von STÍTNE" („Tóma zc Slitncho"), Prag 1878; „Über das Gesamtkunstwerk als Kunstideal", Prag 1880; „Poetik als Ästhetik der Dichtkunst" („Poetika jakozto aesthetìka umëni básnickéno"), Prag 1881; „Über die Philosophie und Tätigkeit von Bernard BOLZANO" („O filosofii a cinnosti B. BOLZANA"), Prag 1881; „Über die Methode des philosophischen Studiums" („O metodicnosti studia filosofie") Prag 1882; "Lehrbuch der Psychologie" („Psychologie"), 3.Aufl., Prag 1882; „Über die Temperamente" („O temperamentech"), 2.Aufl., Prag 1882; „Über die moderne Philosophie" („O modni filosofii nasi doby"), Prag 1883; „Die Monadologie LEIBNITZ" („LEIBNIZova Monadologie", tsch.-französisch), Prag 1884; „Über den Fortschritt in der Moral" („O pokroku mravnosti"), Prag 1889, 2.Aufl. 1896; "Charakter" („Karakter"), 4.Aufl. Prag 1895; „Über die Bedeutung der Philosophie DESCARTES'" („O vyznamu filosofie DESCARTESovy"), Prag 1897; „Über das Verhältnis der Pädagogik zu anderen Wissenschaften" („O pomëru paedagogiky k ostatním naukám"), Prag 1898; Aus dem Nachlaß: „System der Philosophie" („Soustava filosofie"), in: J. DURDÍKs Sammelband" („Sbornik DURDIÌKùv"), Prag 1906, hrsg. von Antonín PAPÍRNÍK; Ibid.: "DARWIN und KANT. Ein Versuch über das Verhältnis des Darwinismus zur Philosophie", dt. Zu Josef DURDÍK siehe: „J. DURDIKs Sammelband" („Sbornik DURDÍKüv"), hrsg. von Frantisek KREJCI - J. KAMPR, Prag 1906.
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Siehe seine Habilitationsschrift „LEIBNIZ und NEWTON. Ein Versuch über die Ursachen der Welt auf Grundlage der positiven Ergebnisse der Philosophie und der Naturforschung", Prag 1869.
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Mechanizismus versucht DURDÍK die Welt als eine grenzlose Ganzheit einer atomaren Struktur zu erklären, deren innere Kontinuität in Raum und Zeit beweisbar ist. Diese Ergebnisse des Zeitalters eines klassischen Mechanizismus verbindet DURDÍK mit dem gnoseologischen Ehrgeiz des KANTschen Kritizismus: im Brennpunkt seiner Weltbetrachtung steht sodann die Frage, inwieweit die von LEIBNIZ und NEWTON konstruierte Wirklichkeit erkennbar, wahrnehmbar und denkbar ist. Das Ethos dieser Hypothese DURDIKs ist optimistischer Art: die Unbegrenztheit der Welt heißt nicht, daß diese Welt unerkennbar wäre. Es geht nun, so DURDÍK, um zwei Dimensionen (und zwar um eine NEWTONsche und eine LEIBNIZens-psychische Dimension) des Gleichen. Man hätte wohl leichten Herzens diesem Versuch DURDIKs einen Eklektizismus vorwerfen können: abgesehen von dieser ahistorischen Möglichkeit wäre es jedoch unrecht nicht anzuerkennen, daß es sich diesmal in der tschechischen Philosophie nicht mehr um den Akt einer Verehrung der Klassik, sondern - zum ersten Male - um einen selbständigen Versuch einer originellen Philosophie handelt: aller Anfang ist schwer. Auf ähnliche Art denkt nun DURDÍK weiter. Im Sinne eines geistigen Griindertums (das zu einem Charakteristikum tschechischer Kultur der 60er Jahre wurde) beginnt er zuerst eine systematische Klassifikation der Wissenschaften zu begründen, die sich Auguste COMTE zum Vorbild nimmt. Der herbartischen Tradition getreu stellt er nunmehr die Psychologie, Pädagogik und Ethik in den Vordergrund jener Wissenschaften, die sich zwischen der Logik (als einem Ausgangspunkt) und Metaphysik (als einer synthetischen, nicht aber über die Wissenschaften erhobenen Disziplin) erstrecken. Der Philosophie (deren Teile Logik, Physik und Metaphysik sind) stellt er die Aufgabe zugrunde, eine einheitliche Weltanschauung (im Einklang mit den ,.konkreten Wissenschaften") zu finden. Von jeglicher metaphysischen Eitelkeit befreit versucht sodann DURDÍK die Philosophie als eine dienliche, nüchterne und wissenschaftliche Disziplin zu artikulieren, die auch von den empirischen und exakten Wissenschaften ernstgenommen werden sollte.29 Die von DURDÍK entworfene Klassifikation der Wissenschaften galt in der tschechischen Fachliteratur bis 1885 (als MASARYK seine „Konkrete Logik" veröffentlicht hat) für die einzige haltbare tschechische wissenschatliche Klassifikation. Es ist noch heute nicht uninteressant, die Hypothese DURDÍKs, in ihrer Gründlichkeit und Einfachheit, darzustellen: Außere
Aspektation
I. Zeit und Raum: Mathematik
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Einteilung der Wissenschaften Innere Aspektation Metaphysik I. Der Begriff: Logik
Vgl. die folgenden Aufsätze DURDIKs: „ A r c h i t e k t o n i k der Wissenschaften" („Architektonika vëd", tsch.), Prag 1874, ¿ÖM XLVin, 343 - 360; „Über die Stufenreihe philosophischer Wissenschaften" (dt); in tsch. Fassung als „O poradi vëd fllosofickych", Prag 1886; „Über die Metaphysik" („O metafysice", tsch.), Krok 1887; „Über das Verhältnis der Metaphysik zu anderen Wissenschaften" („O pomëru metafysiky k ostatnim vëdàm", tsch.), Prag 1896.
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II. Beschreibende Wissenschaften: Physische Geographie Naturkunde Sectio Äußeres III. Erklärende Wissenschaften: Mechanik Physik Chemie IV. Resultierende Wissenschaften: Astronomie Geologie Physiologie V. Angewandte Ökonomie Medizin Usw.
Wissenschaften:
II. Beschreibende Wissenschaften: Politische Geographie Historiographie Beschreibende Psychologie Inneres III. Erklärende Wissenschaften: Erklärende Psychologie Ästhetik (Ethik) Pragmatische Historiographie IV. Resultierende Wissenschaften: Grammatik Ethnopsychologie Soziologie V. Angewandte Wissenschaften: Pädagogik Rechtswissenschaft Usw. 30
Die Ansätze COMTEs sind zwar unverkennbar: man darf nunmehr beobachten, wie gering DURDIK die Rolle der Soziologie (und wie hoch er die Rolle der psychologischen Disziplinen demgegenüber) schätzt. Darüberhinaus scheint die praxeologische Hinsicht des Entwurfs DURDIKs, zugunsten eines imgrunde praktischen Interesses der tschechischen wissenschaftlichen Öffentlichkeit, ganz deutlich zu sein. Die in der Literatur verbreitete Meinung, Josef DURDIK habe über die Grenzen des Herbartismus hinaus, auch die Einflüsse des Positivismus COMTEs in die tschechische Philosophie hineingetragen und an sie adaptiert, sollte man der einfachen Tatsache gegenüberstellen: der Autor selbst hat nichts anderes als eben eine wissenschaftlichmoderne Begründung für die KAM-HERBART-Philosophie gesucht.3'' Im Gegenteil: man hätte nicht vergessen sollen, daß es eben Josef DURDIK war, der einem MASARYKschen „Realismus" den hartnäckigsten Widerstand geleistet hat. Josef DURDIK, sicher kein Bahnbrecher der westeuropäischen Philosophie; ein loyaler Professor im Sinne einer tschechischen Kulturautonomie im Rahmen der alten Monarchie: er hat doch das Wichtigste aus den neuen philosophischen Theorien Englands und Frankreichs registriert. Es lag ihm fern, die herbartische Tradition aufzuheben, wenn er sich auch ihrer Grenzen bewußt wurde. Es wurde zu seiner, etwas patriarchalisch stilisierten Aufgabe, die Urschöpfung Gottes auf eigene Faust, in der tschechischen philosophischen Terminologie, mitzumachen. Es wurde ihm zum feierlichen Ehrendienst, die Oberpriester aller seiner Philosophie, KANT und HERBART, in seinen Vorlesungen zu ehren. Die schmalspurige Denkweise der einen oder anderen 30 31
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Siehe „Architektonik der Wissenschaften" (tsch.), ÖCM XLVIII, 1874, 343-360 Siehe die Abhandlung DURDIKs „Über die Reihenfolge der philosophischen Doktrinen nach dem Komplikationsgrade ihres Stoffes", in: Zeitschrift für exakte Philosophie, 1886, 7; verkürzt in: „Internationales Säkularalbum", Berlin 1892, S. 73ff. Siehe auch: „Über den Fortschritt der Naturwissenschaften" („O pokroku pfírodních vëd", tsch.), Prag 1874. Vgl. auch: „Philosophische Aufsätze" („Rozpravy filosofické", tsch.), Prag 1876, 27-28.
tschechischen politischen Partei waren ihm zu unwichtig, um die erhabenen Ziele der Philosophie der Politik, wenn auch patriotisch-stilisierten, zu unterordnen. Seine Bedeutung für die tschechische Philosophie ist doch unbestreitbar. 32 Otakar HOSTINSKY 3 3 , gemeinsam mit Josef DURDÍK als einer der bedeutendsten Herbartianer in Böhmen zitiert, hat sich besonders im Bereich der Ästhetik bekannt gemacht. Dieser direkte Vermittler des Herbartismus und der tschechischen Philosophie des 20. Jhs. (Zdenëk NEJEDLY hat ihn als seinen geliebten Lehrer verehrt) hat sich eifrig für die neuen Strömungen in der Musik (vor allem Richard WAGNER, im Bereich der tschechischen Musik dann Friedrich SMETANA) eingesetzt. Theoretisch ging HOSTINSKY aus der Lehre von Gottfried SEMPER, in der Musikologie aus der Doktrin von Richard WAGNER hervor und versuchte beide mit dem Formalismus von HERBART zu verbinden. Otakar HOSTINSKY neigte demzufolge besonders zum ästhetischen Empirismus und Experiment. Sein theoretisches Ziel war es, eine Gesamtästhetik (aufgrund genauer Differenzierung der partikulären Ästhetiken) als, einem Gesamtkunstwerk adäquate, Wissenschaft zu gründen. Dabei hat HOSTINSKY manches von dem zeitgemäßen Evolutionismus rezipiert: einem metaphysisch-ästhetischen Idealismus gegenüber versucht er die „praktischen Ideen" HERBARTs auf die neuen natur- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse anzuwenden. Ganz besonders wurde er durch die Kunst der Musik beeinflußt. So gilt er als einer der Mitbegründer der tschechischen Musikologie. Aus der großen Anzahl anderer Herbartianer sind vor allem zu nennen: Karel Antonin MADIERA 3 4 , Emanuel MAKOVICKA 3 3 , Ignaz KADLEC 3 6 , Jan PRAZÁK 3 7 , Jan
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Als einflußreicher Literaturkritiker (und selber Autor von zwei dramatischen Werken) hat DURDÍK auch die zeitgemäße tschechische Literatur mitgeprägt. Otakar HOSTINSKY, geboren am 2. Januar 1847 in Martinëves, gestorben am 19. Januar 1910 in Prag; seit 1877 Dozent, seit 1883 Professor für Musikologie und Ästhetik an der Universität in Prag. - Das Werk: „Das Musikalisch-Schöne und das Gesamtkunstwerk vom Standpunkt der formalen Ästhetik" (dt.), Prag 1877; „Sechs Aufsätze aus dem Gebiete der Ästhetik und der Kunst" („Sest rozprav ζ oboru krasovëdy a umëni", tsch.), Prag 1877; „Lehre von den musikalischen Klängen" („Nauka o hudebních zvucích", tsch.), Prag 1879; „Über die Bedeutung der praktischen Ideen HERBARTs für die allgemeine Ästhetik" („O vyznamu praktickych ideji HERBARTovych pro vSeobecnou aesthetiku", tsch.) Prag 1881; „HERBARTs Ästhetik in ihren grundlegenden Teilen quellenmäßig dargestellt und erklärt" (dt.), Prag 1891; „Vier Aufsätze" („Ctyri rozpravy"), Prag 1894; „Volkslied und Volkstanz der Slawen" („Lidová píseñ a tanec u Slovanû"), Prag 1895; „Zur experimentellen Ästhetik" („O experimentální estetice"), CM 1900; „Friedrich SMETANA und sein Kampf um die böhmische moderne Musik" („Bedrich SMETANA a jeho boj o ceskou moderni hudbu", Prag 1901; „Die Sozialisation der Kunst" („O socializad umëni"), Prag 1903; „Kunst und Gesellschaft" („Umëni a spolecnost"), Prag 1907; „Allgemeine Ästhetik" („Vseobecná aestetika"), hrsg. von Zdenëk NEJEDLY, Prag 1919. Über HOSTINSKY siehe: „Otakar HOSTINSKY. Festschrift zu seinem 60. Geburtstag", CM 1907. MADIERA, Karel Antonin (1831-1899). Siehe: .Abhandlungen aus dem Bereich der Ästhetik" („Rozpravy ζ oboru aesthetiky", tsch.), Prag 1897. MAKOVIÖKA, Emanuel (1851-1890). Siehe: „Aus dem Reich der Vorstellungen und Gefühle" („Z rße predstav a pocitû", tsch.), Prag 1880; "Populärer Abriß der Philosophie HERBARTs" („Populámí nástin filosofie HERBARTovy", tsch.), Prag 1884; „Zur Kritik des 'reale' HERBARTs" („Kritika HERBARTova 'reale'", tsch.), Prag 1897. „Die Metaphysik HERBARTs und KANT' („HERBARTova metafysika a KANT', tsch.), Ôè.M LXII (III), 1888-1889. „KANT und HERBART über das Rätsel der Ethik" („KANT a HERBART o zàhadë ethické", tsch.), Kolin 1892.
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Baptist DVOftÁK 3 8 , V. PTÁCEK. 39 Diese und zahlreiche andere Schüler HERBARTs in Böhmen haben sich um die tschechische philosophische Literatur sehr verdient gemacht. Dem tschechischen Herbartismus gehört auch der in Warschau wirkende Slawist F.B. KVËT 40 an, der in seinem Werk die Richtlinien HERBARTs mit dem philosophischen Erbe von Jan Amos COMENIUS verband. KVET schätzt dabei COMENIUS' Wissenschaftsklassifikation und -lehre ganz besonders hoch ein. Unter diesem, imgrunde systematisch-herbartischen Paradigma, sucht KVËT nach metaphysischen Gründen der Philosophie COMENIUS': zuletzt stellt er die geistige Verwandtschaft COMENIUS' mit der Lehre von PLATO (die Metaphysik der Ideenlehre) und ARISTOTELES (sein „Realismus"...) fest. Diesem überaus durch die HERBARTsche Philosophie geprägten Bild einer Philosophie COMENIUS' liegt jene geschichtlich-philosophische Linie zugrunde, die, von der griechischen Klassik hergeleitet, von LEIBNIZ, KANT und HERBART als Meilensteine der Entwicklung dergleichen Idee bis zu uns selbst rührt: ein offensichtlich einseitiger Abweg des Gedankens, der jedoch für die tschechischen Herbartianer wohl als eine goldene Regel galt. Gustav ZÁBA 4 1 , wichtiger Übersetzer der Werke KANTs ins Tschechische und erster geschichtlich bekannter Autor der Versuche einer tschechischen Philosophiegeschichte, hat sich kritisch einem „Dogmatismus" im erkenntnis-theoretischen Sinne gegenübergestellt. Aufgrund der Ansätze von PYRRHON versuchte ZÁBA eine nicht-dogmatische Metaphysik (unter dem Gesichtspunkt einer „realistischen" Anerkennung der „letzten Reale" HERBARTs) zu rechtfertigen - nun, auch dieser Versuch blieb bei ΖΑΒΑ als ein etwas kurioses Esquisse dieser ansonsten wichtigen Thematik, stehen. Durch DURDÍK und seine Interpretation des Herbartismus beeinflußt, hat sich die Philosophie HERBARTs noch bei anderen interessanten Autoren der tschechischen Philosophie gegen Ende des 19. Jhs. als vertrauensvoller Ausgangspunkt der philosophischen Forschung erwiesen. Es ist besonders Oldrich KRAMAR 42 , ein 38
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„Die praktischen Ideen HERBARTs in der Schrift CICEROs „De officiis" („HERBARTovy praktické ideje ν CICEROnovë knize Ό povinnostech'", tsch.), Hohenmaut 1889. „Die mathematischen Gedanken H E R B A R T s " ( „ H E R B A R T o v y mySlenky o matematice",
tsch.), Pädagogium IX, Prag 1887. Siehe weiter: F.X. PROCHÁZKA, „KANT über Mathematik" („KANT o matematice", tsch.), 1887; SEDLÁCEK, Josef: „Logik", Prag 1857; KHÉRES, Johann: „Versuch eines Systems der Wissenschaft",,, Ungarisch Hradisch 1904; SLAVIK, Jan: „Experimentelle Psychologie" („Zkusebné dusesloví", tsch.), Prag 1876; SCHULZ, Aemilian: „Grundlagen der Psychologie und Pädagogik" („Základy psychologie a pädagogiky", tsch.) Prag 1877. Frantisek Bolemir KVËT (1825-1864). Friedrich Ueberwegjl 1. Aufl., Berlin 1916, 240) führt F.B. KVËT (irrtümlich unter dem Namen „F. L. KVËT zitiert) nicht unbedingt als einen tschechischen Herbartianer; seine geistige Präsenz im herbaitischen Umkreis scheint jedoch für UEBERWEG klar zu sein. Siehe die Werke KVËTs: „Metaphysischer Kern von COMENIUS" („Jádro metafysiky Jana Amóse Komenského", tsch.), CCM XXXIII, 1859, 468—479; „Abriß der Naturphilosophie COMENIUS" („Obrys filosofie prírodní Jana Amóse Komenského", tsch.), CÖM XXXIV, 1860, 489-501. Gustav ΖΑΒΑ, 1854-1924. - Aus seinem Werk siehe: „Der Pyrrhonismus: eine Disputation über das philosophische Zweifeln" („Pyrrhonismus, rozprava o pochybování filosofickém", tsch.) Prag 1890. Oldrich KRAMAR, 1847-1924. Aus seinem Werk siehe: „Das Problem der Materie" („Problém hmoty", tsch.), Prag 1871; „Über Schlaf und Traum" („O spánku a snu", tsch.), Prag 1882; „Über unbewußte Vorstellungen" („O predstavách nevëdomych", tsch.), 2 Bde., Prag 1889-1891; „Die Hypothese der Seele, ihre Begründung und metaphysiche Bedeu-
zeitweise hoch geschätzter Autor, der sich besonders im Zwischengebiet von Philosophie und Psychologie engagierte. In seinem Hauptwerk „Die Hypothese der Seele" versuchte KRAMÁR ein Modell naturwissenschaftlicher Metaphysik zu entwerfen, die in der Lage gewesen wäre, auf der KANT-HERBART-Basis die Neuerscheinungen der Naturwissenschaften zu integrieren. Diese Metaphysik ist durch die Forschungsbedürfnisse der ,.konkreten Wissenschaften" vorausbestimmt: jegliche „reine Spekulation" sei, gemäß KRAMÁR, als „unfruchtbare Scholastik" zu betrachten. Zum Gegenstand dieser, von KRAMAR empfohlenen Metaphysik, werden die „Erscheinungen", nicht die Materie schlechthin: die wirkliche Natur der „Dinge" (d.h. der HERBARTschen „Reale") ist sodann ein „Ding an sich", dessen unmittelbare Wirklichkeit jedoch keine Barriere der wissenschaftlichen Erkenntnis der Gesetzmäßigkeit des Seins ist. Die Nichtexistenz der transzendentalen „Realen" kann uns nicht hindern, die bloße Tatsache anzuerkennen, daß das Bewußtsein (als eben die einzig transzendente Wirklichkeit), als „Kraft und Wirksamkeit der Natur" existiert. Die Kontinuität des Bewußtseins setzt die kontinuierliche Materie voraus. Die diskrete Natur der Welterscheinungen veranlaßt uns zur Hypothese, daß der existente gemeinsame Nenner aller Materie psychischer Art ist: diese „Weltseele", individuell nur teilweise erreichbar, ist nur als unpersönliches Prinzip anzunehmen. Diese Weltseele dringt durch alles Seiende als beseelende Kraft hindurch; sie ist als letzte Begründung aller Organismen zu verstehen. So läuft die Konzeption KRAMÁ&s über die Grenzen des nicht nur tschechischen Herbartismus hinaus: so verläßt zuletzt KRAMAR diese Basis, um mit Hilfe eines ParaPantheismus eine solche metaphysische Synthese auf naturphilosophischer Grundlage zu suchen: ein einmaliger Versuch im Umkreis der böhmischen Philosophie im 19. Jahrhundert. Der deutsche Herbartismus in Böhmen kam zuerst auf die Spuren der deutschen philosophischen Tradition Böhmens, die an der Prager Universität seit Ch.H. SEIBT und A.G. MEISSNER ihre eigenen Wege einschlug. 43
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tung", dt., 3 Bde., Leipzig 1898; „Grundzüge der Metaphysik" („Základy metaphysiky", tsch.), CM 1900, 2; „Das Verhältnis des Organischen zum Kosmos" („Pomër üstrojenstva k vesmiru", tsch.) Prehled 1906, Nr 7. Der Ch.H. SEIBTs Nachfolger, der tschechisch geborene F.X. NÈMECEK (er lebte am Bruch des Jahrhunderts; geboren in Sadowa, das Geburtsjahr ist nicht bekannt), las an der Prager Universität die Philosophie zwischen den Jahren 1802-1820. Sein Repertoir wurde breit gespannt: er las sowohl die „theoretische" Philosophie (d.h. die Logik, Psychologie, Metaphysik, Natürliche Theologie) als auch die „praktische" (die Ethik, die Religionsphilosophie) - bei seinen Vorlesungen bediente er sich der Lehrbücher von Johannes G.H. FEDER (1740-1821), Philosophieprofessor in Göttingen, welcher ein Schüler von Chr. WOLFF und Gegner von I. KANT war. 1820 nach Wien berufen, ist er kurz darauf einen unerwarteten Tod gestorben. - Dieser merkwürdige, deutsch und lateinisch schreibende „Deutschböhme" wurde ein großer Verehrer von J. VAVÁK (dessen Biographie er geschrieben hat), eines tschechischen Landespatrioten des 18. Jahrhunderts. - Sonst wurde er vor allem als ein Mozartianer hoher Klasse und Mozart-Biograph bekannt. Aus seinen philosophischen Werk siehe: „Elementa logicae in commodum studiosae juventutis", 2.Aufl., Prag 1813. Der vorübergehende Nachfolger MEISSNERS, der deutschgeborene K.A. SCHNEIDER (1766-1839) wurde bereits nach einem Jahr ausgewechselt, und der Lehrstuhl wurde von J.G.MEINERT (geboren in Leitmeritz 1773-1844 in Prag gestorben) bestiegen: er las zwischen den Jahren 1806-1811 die Philosophiegeschichte und Ästhetik; ihm folgte Johann Heinrich Matthias DAMBECK (geboren 1774 in Brünn - gestorben 1820 in Prag). Gleichzeitig wurde die griechische Philosophie von Alois KLAR (1763-1833)
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Bis zum Abschluß der Lehrtätigkeit BOLZANOs war es vor allem LEIBNIZ und seine Philosophie, die zum Tenor der philosophischen Vorlesungen wurde. Die Philosophie HERBARTs hat für ihren siegreichen Einzug nach Prag beinahe alles Fr. EXNER zu bedanken. Weniger ist bekannt, daß auch der ehemalige Adjunkt EXNERs, Josef Wilhelm NAHLOWSKY 4 4 , es war, der in einer, für den Herbartismus eigentlich kritischen Periode, die Kontinuität dieser Lehre bewahrt hat. J.W. N A H L O W S K Y spielte eine wichtige Rolle in der Verbreitung der Lehre BOLZANOs, nicht nur in Böhmen, und wird zu unrecht in seiner Bedeutung für den Werdegang der böhmischen philosophischen Geschichte vernachlässigt. Ein bekannter Rechtsphilosoph, August GEYER 4 5 , gehört ebenso der Tradition des böhmischen Herbartismus an. Otto WILLMANN 4 6 versuchte die Lehre HERBARTs mit der Philosophie des Thomismus zu vereinigen. WILLMANNs soziologisch gedeutete „pädagogische Philosophie" nahm die Ansätze nicht nur von HERBART selbst, sondern auch von einem Lorenz von STEIN auf. Der Nachfolger WILLMANNs in seinem Lehrstuhl,
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gelesen. Anton MÜLLER (1792-1843), seiner Herkunft nach von Osecná bei Böhmisch Aicha, Professor für Klassische Philologie und Ästhetik, las zeitweise Philosophie an der Prager Universität (vor allem die Philosophiegeschichte und Ästhetik) in den 30er Jahren. Nun, im Vergleich mit BOLZANO sind alle diese Genannten kaum bedeutend, obwohl sie zweifelsohne auch dem gelehrten Körper, unter welchem sich die Generation MÄCHAs philosophisch herangebildet hat, angehörten. NAHLOWSKY, Josef Vilém (1812 in Prag tschechisch geboren - er bekannte sich aber zur deutschen Sprache und Kultur.) Nach zwei Jahren des theologischen Studiums wird er 1837 zum vertrauten Mitarbeiter EXNERs, und wirkt sich unter seinem Einfluß bis 1845 aus: infolgedessen wird er 1845 EXNERs Adjunkt, im Jahre 1848 auch Supplent. 1849 Gymnasialprofesor in Przemysl, dann Gymnasialdirektor in Czernowitz. 1852 als Professor für Philosophie nach Olmütz berufen; nach Aufhebung der Universität 1855 wurde er Professor für Philosophie an der ersten ungarischen Universität in Pest: bis zum Jahr 1860. Aus gesundheitlichen Gründen zuerst zeitweise beurlaubt (er schrieb in Böhmen sein Buch „Das Gefühlsleben",), wurde er 1862 wiederum nach Graz als Professor für Philosophie berufen; 1878 aus gesundheiüichen Gründen pensioniert; er starb 1885. - Aus seinem Werk siehe: „Das Gefühlsleben", Leipzig 1862; 2. Aufl. 1884, 3. Aufl. 1907; „Das Duell, sein Widersinn und seine moralische Verwerflichkeit", Leipzig 1864; „Die ethischen Ideen, als die waltenden Mächte im Einzelnen wie im Staatsleben nach ihren verschiedenen Richtungen beleuchtet", Leipzig 1865; 2. Aufl. Langensalza 1904; „Grundzüge zur Lehre von der Gesellschaft und dem Staate", Leipzig 1865; „Allgemeine praktische Philosophie (Ethik), pragmatisch bearbeitet", Leipzig 1903. GEYER, August (1831 in Asch in Böhmen geboren-1885 in München gestorben); aus seinem Werk siehe: „Geschichte und System der Rechtsphilosophie", Innsbruck 1863; „Über die neueste Gestaltung des Völkerrechts. Eine Rede in Innsbruck 1866", in: „Zeitschrift für exakte Philosophie", 1873, Heft 1; „Einleitung in die Rechtswissenschaften", in: „Enzyklopädie der Rechtswissenschaften" (hrsg. v. Prof. HOLTZENDORFF). WILLMANN, Otto (1839-1920), Professor für Pädagogik zwischen den Jahren 1872-1910. - Aus seinem Werk s.: „Die Didaktik als Bildungslehre", 3 Bde., Braunschw. 1882-1889; „Geschichte des Idealismus", 2 Bde., Frb. 1894-1897; „Aus der Werkstatt der Philosophia perennis", Frb. 1912 (mit diesem Werk, wie auch mit seinen Vorlesungen, wirkte sich WILLMANN als einflußreicher Lehrer auf den neothomistischen Philosophen Josef KRATOCHVIL aus.) - Siehe auch die frühere Studie WILLMANS, „Über die Dunkelheit der 'Allgemeinen Pädagogik' HERBARTs", in: .Jahrbücher des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik, 1875, 5. Jg., 124-150.
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Wendelin TOISCHER 47 , versuchte die herbartische Tradition mit der neueren Philosophie und Pädagogik zu verbinden. Das herbartische Erbe übernahm der Positivismus, der später zur überragenden philosophischen Richtung der deutschen Philosophischen Fakultät wurde.
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TOISCHER, Wendelin (1855-1922), ab 1896 Dozent, ab 1904 Professor für Pädagogik an der Universität Prag. - Aus seinem Werk siehe: „Theoretische Pädagogik und allgemeine Didaktik", Prag 1905; 2. Aufl. 1912 (in: „Handbuch der Erziehung und Unterrichtslehre", Hrsg. Prof. BAUMEISTER).
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8. Die Philosophie Α. SCHOPENHAUERS und ihr Einfluß im böhmischen Bereich (M. TYRS, Fr. CUPR)
„Überhaupt hat Prag große Ähnlichkeit mit Paris: die Häuser sind weiß wie dort, die Straßen ebenso kotig, auch sieht man hier wie dort die Fiaker dutzendweise auf den Gassen warten. - Niemand, außer die niedrigeren Klassen von Handwerkern u.s.w. heißt hier Herr und Madam, sondern alles ist Ihro Gnaden, Exzellenzen u.s.w. Die Moldau fließt mitten durch die Stadt. Über sie führt eine überaus prächtige Brücke. Diese ist ganz von Stein, fast unübersehbar lang und so breit, daß drei Wagen sich darauf vorbeifahren können ..." (Arthur Schopenhauer)
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Die kulturkritische und -pessimistische Philosophie Arthur SCHOPENHAUERS und ihre Akzeptation in Böhmen steht in einem innerlichen Gegensatz zur Person ihres Hauptvertreters in der tschechischen philosophischen Literatur: Miroslav TYRS 1 , einer für seine Generation viel wichtigerer Körpererzieher und militanter nationalistischer Tschechenvertreter, wurde es eben, der die Philosophie SCHOPENHAUERS in Böhmen großgeschrieben hat. Die spannungsvolle Laufbahn des Ästhetikers TYRS deutet die geistige Situation Böhmens am Anfang der selbständigen tschechischen Kultur an, wie sie sich nach der Trennung der Tschechischen Philosophischen Fakultät der Karls-Universität von der Deutschen, zu gestalten begann. Die Inaugurationsvorlesung des neu ernannten Professoren für die Kunstgeschichte wurde unter dem Titel „über die Bedeutung des Studiums altertümlicher orientaler Kunstgeschichte" 2 veranstaltet: der kaum erreichbare Gegenstand der zitierten Antrittsvorlesung wurde vom gelehrten Körper schweigsam 1
Friedrich Emmanuel TIRSCH, am 17.9.1832 als Sohn des praktischen Arztes J.V. TIRSCH und seiner Frau Winzenzia (geb. KIRSCHBAUM) in Tetschen tschechisch geboren und auf tschechisch getauft (sein Taufpate hieß übrigens Heinz HUEBNER...), wuchs in der nordböhmischen Provinz heran und begann nach dem Abitur an der Philosophischen Fakultät in Prag zu studieren: eine der ersten Folgen dessen wurde, daß er sowohl seinen Familiennamen (nun „TYRS") als auch seinen Taufnamen („Miroslav") geändert hat. Ein typisches Phänomen für die philosophische Generation der 60er Jahre in Prag. 1861 begann TYR§ für die neugegründete tschechisch-nationale Zeitschrift „Nationale Blätter: (Národní Listy") eifrig-patriotische Beiträge zu schreiben. - Nun, das Schwergewicht der Tätigkeit TYRá hat sich bald ins Gebiet der Körperkultur (mit deutlich-politischer Zielsetzung, ein „Tschechenheer" unter dem Namen einer paramilitärischen Organisation, nun „SOKOL" - „FALKE" - genannt, aufzubauen) verlagert. Mit seinem Schwiegervater, einem Prager Kaufmann, Jindrich FÜGNER (1822-1865) hat TYRá das seit 180 in Prag existierende „Ständeturninstitut" („Stavovsky ûstav tëlocvicny") - wo die Mitglieder, Tschechen und Deutschen zusammen, unter der Führung von zwei deutschen Turnlehrern (STEFANY und STEGMAYER) in der eben neuen Turnkunst unterrichtet wurden - übernommen. Am 11. November 1861 wurde demzufolge erster tschechischer Turnverein („Spolek pro tëlocvik") gegründet, am 16.Februar 1862 dann zum „SOKOL" umgenannt. (Als Vorsitzender wurde J. FÜGNER, und als Geschäftsführer der, aller tschechischen Nationale militantester, Eduard GREGR, gewühlt. Nachuäglich wurde am 13.5.1 i>02 auch ein weiteres Amt, „der Obere", abgestimmt, und zum ersten Oberhaupt „Bruder Dr. Miroslav TYRS" gewählt. So wurde auf echt tschechisch-nationale und doch auf stuhrteutonische Art eine Organisation gegründet, die sich bald darauf als ein Deutschenschreck, nicht nur in Böhmen, zu entfalten begann. TYR§ gab dem Verein die erste tschechische Tumterminologie in die Wiege; später, 1871, hat er sein, zuerst von Turnvater JAHN treu übernommenes Turnsystem geändert und ein neues System eingeführt. Miroslav TYR§ wurde ebenso Initiator des ersten „Pan SokolTreffens", das am 18.Juni 1882 auf der „Schützeninsel" in Prag stattfand: ein Ereignis von geschichtlicher Bedeutung für die Weiterentwicklung des tschechisch-nationalen Selbstbewusstseins... TYRS selber hat doch bald mit seiner Turntätigkeit abgerechnet, seinem neuen Amt in der tschechischen Philosophischen Fakultät verpflichtet. Das intensive Studium hat nun seine, nie eben ausgezeichnete Gesundheit, schwer beschädigt. Im Sommer 1884 kam er nach Oetz/Tirol zur Kur - dort starb er am 8.8.1884, unter nicht eben abgeklärten Umstanden, einen plötzlichen Tod (sein Leichnam wurde am kommenden Tag aus dem Fluß Aach geborgen ). Zuerst in Oetz begraben, wurde er später nach Prag übertragen und auf einer Ehrenstätte, neben dem Mitbegründer von „Sokol", FÜGNER, beigesetzt. Als Philosoph wurde TYRS im 1880 als Dozent für Kunstgeschichte an das Tschechische Technikum in Prag, im 1882 dann als Professor der Karls-Universität in Prag berufen; 1883 wurde er zum Ordentlichen Professor ernannt.
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TYRS, M.: „O vyznamu studia dëjin starého umëni orientálního" (tsch.), CCM LVII, 1883, 285-301.
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abgestimmt: ebenso die, von T Y R S vertretene, in Böhmen echt ungewöhnliche philosophische Basis der genannten Vorlesung, eines Kulturpessimismus eben, der sonst im krassen Gegensatz zur berühmten TYRS Turntätigkeit stand. - Nun, das Entscheidende dieser Habilitation: die charismatische Persönlichkeit und ihre Ausstrahlung. Eine solche herrliche Persönlichkeit, als diejenigen, von denen her die Anfangsgeschichte der tschechischen Kultur geprägt wurde. Solcher wurde schon dieser etwas abenteuerliche Geist der Zeit, in welcher der deutsch-tschechische Konflikt in eine nahezu titanische Dimension hochstilisiert wurde. So hat sich in dieser Zeit die tschechische Philosophie, unter einem deutlichen politischen Abzeichen (und auf Kosten der gemeinsamen böhmisch-philosophischen Tradition des Landes) als ein selbständiges ens konstituiert: und, der neue Professor TYRS - dazwischen zu einem lebendigen Symbol eines extremen, absolut gewinnlosen Patriotismus geworden - hat sein A m t nicht nur f ü r seine wissenschaftliche Tätigkeit, sondern wohl auch als eine Anerkennung seines Engagements für die kämpfende Nation, bekommen. Von diesen ungewöhnlichen Umständen, unter denen sich die weit- und menschenfremde Philosophie A. SCHOPENHAUERS in Böhmen zu verbreiten begann, kann auch heute kaum abgesehen werden. T Y R S stützt sich in seiner programmatischen 3 Vorlesung auf die kulturellen Zusammenhänge des antiken Griechenlands und der Kultur des alten Orients; nach den gemeinsamen Verbindungslinien, im Sinne einer Evolutionsidee, suchend, die sich auch für die tschechische Kultur fruchtbar auswirken dürfte: eine ungewöhnliche, eine anspruchsvolle Aufgabe Zweifels ohne. Nun, die neuen kräftigen Ansätze einer tschechischen philosophischen Orientierung scheinen keine Grenzen gehabt zu haben. Die philosophischen Anfange T Y R S sind seltsam und für die geistige Situation in Böhmen wenig typisch. Einer der Paten ist Ludwig F E U E R B A C H und seine atheistische Philosophie. Einer andere, der Entscheidende, ist der Privatierer der deutschen Philosophie, Arthur S C H O P E N H A U E R : 4 eine sowohl indirekt Hegeische als auch Kantsche Vermittlung von zwei Konzepten, die beide bei TYRS am Rande seines philosophischen Interesses geblieben sind. O b T Y R S dabei den quietistischen Charakter der Philosophie S C H O P E N H A U E R S berücksichtigt hat, bleibt zu überlegen: ein ganz anderes Vorbild T Y R S ' , Charles D A R W I N , hat seine Geschichtsphilosophie durch eine deutlich 3
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Es ist kaum zufallig, daß Gustav ZÁBA in seinem Bericht „Slawische Philosophie in Böhmen" den Namen „TYRS" überhaupt nicht führt: statt dessen werden bei ZÁBA, aus dem Bereich der Ästhetik, zahlreiche andere (wenig oder kaum bekannte Autoren) zitiert: die Posivivisten Peter DURDÍK (1853-1909, „ROUSSEAU und PESTALOZZI" in ihrem Verhältnis zu KOMENSKY", 1888; „Pädagogik für Mittelschulen", 3 Bde., 1882-1890; „Grundzüge der Ethik", 1893) und Musikwissenschaftler Otokar ZICH (geboren 1879, „Ästhetisches Wahrnehmen der Musik. Psychologische Analyse auf experimentaler Grundlage", 1910); die Publizisten F.X.SALDA (geboren 1867, „Kämpfe um die Zukunft. Meditationen und Rhapsodien", 1905) und F.V.KREJCÍ (geboren 1867, „Das Kunstwerk in der Literatur und sein Einfluß auf die Erziehung", 1903; „Das ewige Morgen der Kunst", 1903; „Die Erziehung neuer Generationen", 1904; „Der Traum einer neuen Kultur", 1906; alle zitierte Werke tschechisch geschrieben und in Prag herausgegeben). Siehe: UEBERWEG, 11.Aufl., 733. Vgl. das Manuskript seiner Schrift, die, ursprünglich für eine Habilitation geschrieben, zuletzt doch ein Fragment eines nie wollendeten Werkes blieb: „Geschichtliche Einleitung in die Philosophie Arthur Schopenhauers" („Dëjepisny úvod ve filosofii Arthura Schopenhauera", tsch.).
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aktivistische L e b e n s i d e e erfüllt. E s wurde also vor allem D A R W I N , d e s s e n E i n f l ü ß e in der G r u n d l e g u n g der nationalistischen Organisation „ S o k o l " zu f i n d e n sind, kein S C H O P E N H A U E R w o h l . In d e m gleichen Sinne sind auch die M o t i v e und A n s ä t z e der T Y R S e n H u m a n i t ä t s p h i l o s o p h i e an einen etwas idealistisch konzipierten sozialen D a r w i n i s m u s zurückzuführen. D e r Gesamtrahmen einer antiken Kalokagathia verleiht der M e n s c h e n a u f f a s s u n g T Y R S ' d e n Charakter beinahe s c h ö n g e i s t l i c h e r P h i l o s o p h i e , d i e paradoxalerweise vor a l l e m auf die p h y s i s c h e Vorbereitung d e s V o l k e s gerichtet ist. D i e I d e e e i n e r Brüderlichkeit und freiwilliger D i s z i p l i n k o m m e n aus e b e n s o unterschiedlichen E c k e n der europäischen Tradition: die e i n e ist eher als Erbe des böhmische-brüderlichen E v a n g e l i z i s m u s , die andere als e i n e Parallele zur J A H N s c h e n Idee verständlich zu begreifen. S o wurde T Y R S ' Tat und Idee, die N a t i o n a l b e w e g u n g „Sokol", z w a r v o n allen guten Geistern, nicht aber von d e m alten Skeptiker S C H O P E N H A U E R geprägt: s o haben auch die t s c h e c h i s c h e n Schüler T Y R S ' zuletzt e i n e diametral antischopenhauersche Wirkung geleistet, o h n e dabei d i e P h i l o s o p h i e S C H O P E N H A U E R S a b z u l e h n e n . . . Anders gesagt, z w i s c h e n „ S o k o l " u n d S C H O P E N H A U E R besteht überhaupt k e i n e B e z i e h u n g , v o n d e m Autoren T Y R S selbst diesmal abgesehen. T Y R S hat s i c h unter anderem auch i m Bereich der R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e als Autor versucht, w o er e i n e R e l i g i o n wahrer Humanität (die dabei zu Islam 5 n a h e steht) e n t w o r f e n hat. Viel deutlicher ist die Spur e i n e s p h i l o s o p h i s c h e n K u l t u r p e s s i m i s m u s bei Frantisek C U P R 6 z u erkennen. Ursprünglich Herbartianer, g e l a n g allmählich unter den Einfluß v o n Arthur S C H O P E N H A U E R und hat sich in s e i n e m S i n n e auf die religionsphilosophis c h e n A s p e k t e der Kulturentwicklung konzentriert. D a s W e s e n der R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e 5
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Vgl. seine Abhandlung „Mohammed und seine Lehre" („Mohamed a nauka jeho", tsch.), Kvëty 1870; als selbständige Broschüre in Prag 1875 herausgegeben. Geboren 1821, studierte das Gymnasium in Leitomischl und Philosophische Fakultät in Prag. Er wurde Gymnasialprofessor (zuerst am Lyzäum in der Prager Kleinseite, später am Akademischen Gymnasium) bis zu den revolutionären Ereignissen 1848, denen zufolge er seines Amtes — daß er sich den rebellierenden Jugendlichen wenig entscheidend entgegenstellte ... enthoben wurde. Als Forscher ist er jedoch auch im Weiteren tätig geblieben: demzufolge später als Privatdozent (für Logik, Methodik und Hodegetik) an der Prager Philosophischen Fakultät habilitiert. CUPR bemühte sich, eine Professor an der Universität zu erwerben, wobei er mit den zeitgemäßen anführenden Personen der Prager Philosophie gut vergleichbar wurde: seine Anträge wurden jedoch alle abgelehnt (vielleicht auch deswegen, daß er, als der Allererste, für die tschechischen Studenten in tschechischer Sprache seine Vorlesungen las), sodaß er 1854 seine Lehrtätigkeit freiwillig aufgab: er hat sich dann nur privater Forschungstätigkeit gewidmet. Seine pädagogische Sendung fühlte er wohl auch dann: in Prag-Libeñ hat er aufgrund der modernen Lehrprinzipien eine vorbildliche Lehranstalt (später noch ein weiteres Privatgymnasium) gegründet. In demgleichen Sinne hat er sich als tschechischer Landestagsabgeordnete im Gebiet der Schulwesensreformen einen Namen gemacht. Nach 1872 lebte er nur als Privatgelehrter und widmete sich vorwiegend den Studien aus dem Bereich altindischer Philosophie. (Diesem Themenkreis gehört auch sein größtes Werk, „Die altindische Lehre" („Uceni staroindické, jeho vyznam a vznikání názoru, zvlàstë krestanskych a vubec nábozenskych", tsch,; I. Teil Prag 1876, II. Teil Prag 1878, III. Teil Prag 1884) an. Siehe: LINDNER, G.A.: Fr. CUPR (tsch.), Paedagogium 1880; JASEK, M.: Fr. CUPR (tsch.), CM 1906, Nr. 7; 1907, Nr. 8 JANÁCEK, Α.: Fr. ÖUPR und Schopenhauer (tsch.), CM 1929, 25, 12 f.; KREDBA, V.: Fr. CUPR (Nástin zivotopisny, tsch.), Paedagogium 1882, 407 f. Die Autobiographie CUPRs heißt „Plan und Einrichtung der in der Nähe von Prag neubegründeten Lehr-Erzieherischen Anstalten von Fr. CUPR" (dt.), Prag 1854.
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CUPRs besteht in der Betonung menschlicher Intentionalität: die Religionen sind ein Menschengeschöpf, sie unterliegen der Kulturentwicklung, den Reformen und Korrekturen, sie entspringen dem menschlichen Willen und der Vernunft. Das Christentum sei als die vollkommenste aller Religionen zu sehen. Die Quelle der Religionen sind Furcht und Trauer der Menschen, die der dunklen Tiefe menschlicher Intentionalität entstammen: der Bereich einer tatsächlichen menschlichen Wissenschaft bleibt dabei eng begrenzt. CUPR hat sich tätig an der tatsächlichen Begründung der tschechisch geschriebenen Philosophie, schon seit seinen jungen akademischen Jahren beteiligt. Den Ausgangspunkt und -Kriterium sucht er in der vorsokratischen griechischen Philosophie und folgendermaßen in SOKRATES und PLATON 7 : als einer der ersten sucht er nach einem systematischen Studium der griechischen Quellen (dem er sich, leider, selber nicht gewidmet hat). Er beteiligt sich ebenso an zeitgemäßen Versuchen, in THOMAS von Stítná 8 die Anfänge aller tschechischer Philosophie zu suchen, und auch in diesem Bereich erweist er eine entsprechende Kompetenz. Es fehlt dabei nicht die patriotische Neigung, in STÍTNY einen nicht nur originellen, sondern sogar einen äußerst wichtigen Philosophen seiner Zeit zu sehen - auch CUPR teilt die allgemeine Begeisterung der tschechischen Patrioten für die Reformation, und an einem scharf anti-scholastischen 9 Ton der beginnenden tschechischen Philosophie: die Folgen der PALACKYs 1 0 Regie in der „Zeitschrift des Tschechischen Museums" machen sich schon auch bei der jüngsten philosophischen Generation sichtbar... Im übrigen neigt CUPR zu übersichtlichen, breit orientierten Studien, von denen her aber seine erkenntnistheoretische Basis - typischerweise analoge deutsch- geschriebene Kompendien und Übersichte - immer durchsichtiger wurde. Ein echtes Quellenstudium fehlte den ersten zwei Generationen der tschechisch schreibenden Philosophen beinahe vollständig, keiner ihrer Zeitgenossen hat jedoch darin einen Schönheitsfehler gesehen... So findet man in den vielleicht bedeutendsten CUPRs Studien, welche er im Jahre 1850 in der „Zeitschrift des tschechischen Museums" veröffentlichte, zwar verächtliche Skepsis zu „einseitigen Systemen von PLATON, ARISTOTELES, Johannes Scotus ERIUGENA und LEIBNIZ" ( - weil alle diese „Mißglückte" Versuche gewesen sind...) 1 1 , die eigentliche Kompetenz solcher scharfen Verurteilungen ist jedoch nicht überzeugend bewiesen worden.
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ÒUPR, FrantiSek: j.Pocátkowé filosofowání reckého" („Die Anfänge des griechischen Philosophierens"), CCM, 21, 1847, Teil 1, Bd. 1, 22-37. „Tómy ze Stítného wyznam we filosofii" („Die Bedeutung von Thomas von Stítná für Philosophie"), CCM, 21, 1847, Teil 2, Bd. 3, 249-276. Ibid., 257. Auch wenn der reife Frantisek PALACKY mit der hegelschen Philosophie nichts mehr zu tun haben wollte (ohne dabei seine ursprüngliche Weltanschauung zu ändern), hat er doch immer seine private Unterstützung für die gut-deutsch inspirierten und von dem klassischen deutschen Erben begeisterten jungen Männer der tschechischen Phüosophie beibehalten: ein Grund dafür vielleicht, warum er dem jungen, eben sechsundzwanzigjährigen CUPR so viel Raum in der „Zeitschrift des Tschechischen Museums" gewährt hat. Der Junge wußte schon, wie mit dem alten Herrn umzugehen ist. - Ein nicht unbekannter Fall: die Vernunft wurde immer konservativer, das Herz PALACKYs schlug aber immer noch liberal... CUPR, Frantisek: „Rozbor wywinu filosofie" („Die Analyse der Entwicklung der Philosophie"),Π, CCM, 24, 1850, Bd. 2, 400-430.
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Etwas ähnliches hätte man auch über die Gründerversuche CUPRs im Bereich der Ethnologie 12 bemerken können. Die letzliche Zuneigung CUPRs zur Philosophie von Arthur SCHOPENHAUER würde man sodann als eine begreifbare Reaktion auf das herbartische Establishment der Universität sehen können, die die Anträge CUPRs um eine Philosophieprofessur wiederholt ablehnte 13 : so wuchsen die Motive einer Kulturskepsis bei CUPR nicht nur aus der SCHOPENHAUERS Ansprache, sondern auch aus seiner persönlichen Geschichte heraus. Der Einfluß SCHOPENHAUERS wurde innerhalb der tschechischen Philosophie zu einem immer weniger bedeutenden Thema: der Geist der tschechischen Gründerzeit rief nach einer realistischen, „praktischen" Antwort...
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CUPR, Frantiäek: „O nàrodowëdë" („Über die Volkskunde"), CÔM, 22, 1848, Teil 2, Bd. 2, 113-142. Ein merkwürdiges Schicksal des ersten, künftig tschechischen, Lehrstuhls für Philosophie in Prag: Nach Franz EXNER (der vorzeitig auszog, um in Wien zu regieren zu können), kam Ignaz J.HANUá, ein Hegelianer, wenn auch ein unkonsequenter: in der Athmosphäre nach der Rebellion von 1848 eine unmögliche Sache. - Abgesetzt ... - Der einzig kompetente, Augustin SMETANA, durfte überhaupt nicht mehr in der Philosophie lesen: eine merkwürdige Parallelle zur Situation, die in Prag nach 1970 entstehen sollte... Der einzig unkompetente ÔUPR hat sich wohl laut gemeldet - den mochte man aber nicht, sogar Franz EXNER warnte davor... So erst ab 1852, als der Weg für Robert ZIMMERMANN endgültig gebrochen wurde, bekam Prag wieder seinen würdigen Professoren: der einer tschechischen Sprache, leider Gottes, kaum kundig wurde...
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9.
Die panentheistische Richtung: Fr.W. S C H E L L I N G , K.Chr.Fr.
KRAUSE,
F r . X . B A A D E R u n d i h r E i n f l u ß in B ö h m e n
(Karel S l a w o j A M E R L I N G , K . B . S T O R C H , J.J. K A L I N A . D i e d e u t s c h e n Panentheisten: J.K. L Ö W E , W . K A U L I C H , H.K.v. L E O N H A R D I . )
„Die Hoffnung ist die Befriedigung der Seele, wenn sie an etwas Genuß denkt, den sie der Wahrscheinlichkeit nach von Etwas haben muß, das ihr Lust zu gewähren geeignet ist; und die Furcht ist eine Unruhe der Seele, wenn sie an ein zukünftiges Uebel denkt, das sich ereignen kann." (G.W. v. Leibniz, „Von den Vorstellungen", 151)
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Die panentheistische Richtung innerhalb der tschechischen Philosophie: ein besonderes Kapitel der Geistesgeschichte des tschechischen 19.Jahrhunderts. - Zu den Vorbildern gehört Friedrich Wilhelm SCHELLING vor allem aus seinem naturwissenschaftlichen Stadium - ebenso aber wirken sich als attraktive Muster die Systeme von Karl Christian Friedrich KRAUSE, von Franz Xaver BAADER, von Wilhelm OKEN u.a. aus. Vor diesem ruhmreichen Hintergrund vertrat ein Mensch seinen philosophischen Standpunkt, wenig sich dabei um eine Originalität kümmernd: einer der interessantesten Männern der Tschechen seiner Generation, Karel Slawoj AMERLING. 1 Dieser, philanthropisch orientierte Humanist ein bißchen pansophischer Prägung, der sich um die Entwicklung der tschechischen Philosophie, Wissenschaft, und um die Vertiefung der zeitgemäßen tschechischen Kultur bemühte, schöpfte vor allem aus der deutschen Naturphilosophie. AMERLING versuchte in der Tat eine „slawische Philosophie" zu begründen, wobei sein erstes Vorbild Karl Christian Friedrich KRAUSE wurde: im Geist seiner Philosophie erklärt AMERLING die Natur und das Weltall als eine beseelte Ganzheit, durch die ein göttliches Prinzip durchdrängt. Aufgrund dieser Inspiration versuchte AMERLING die Möglichkeit einer „Diasophie" zu finden.2 Zur Unterstützung dieser Idee hat er die „Physiokratische Gesellschaft" in Prag gegründet. Unter dem Einfluß der panentheistischen Philosophie KRAUSEs stand in Böhmen ebenso Karel Boleslaw STORCH. 3 STORCH sehnte sich nach der Fortsetzung der Ideen 1
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Karl (Karel) Slawomil (Slawoj, Slavoj) AMERLING, 1807 in Klattau tschechisch geboren; er studierte Philosophie und (die damals von der Philosophie nicht getrennten) Naturwissenschaften in Prag. Um eine akademische Würde hat er sich nie ernst beworben sein ganzes Leben lang blieb er als Privatgelehrter tätig, obwohl er mit seinen berühmten Zeitgenossen gut vergleichbar wurde. - AMERLING schrieb in beiden Landessprachen, sein Werk trug sich jedoch in Richtung der Begründung einer selbständigen tschechischen Kultur. - Er starb in Prag im Jahre 1884. - Das Werk: „èlovëk velká pohádka" („Der Mensch: ein großartiges Märchen"), Prag 1840; „Skizze zu einem biologisch-harmonischen Natursystem" (dt.), Prag 1852; „Einziges über das Qualitative und Quantitative in der Natur" (dt.), Prag 1870; „Orientierungslehre oder Diasophie", Prag 1874 (2.Aufl. 1891); „Vermächtnis an mein engeres und weiteres Vaterland und an die Menschheit", Prag 1877; „Der Gott des Christentums als Gegenstand streng wissenschaftlicher Forschung", Prag 1880; Zu AMERLING siehe: CENSKY, F.: „K.S. AMERLING" (tsch.), Prag, Osvëta 1885; „Zum Gedächtnis AMERLINGs" („Památce AMERLINGovë", tsch., Sammelband), Prag 1908; ÖÄDA, FrantiSek: „AMERLINGovy názory pedagogické" („Die pädagogischen Ansichten von AMERLING"), Prag 1908; PRAZÁK, Albert: „K.S. AMERLING und J.M. HURBAN" (tsch.); in: „Slowakische Studien", X, Sammelband der Philosophischen Fakultät der KOMENSKY-Universität, 4, Bratislava 1926, 126 f. Siehe schon ein umfangreiches Zyklus Abhandlungen, welche der junge AMERLING in der „Zeitschrift des Tschechischen Museums" unter dem Titel „Zpráwy o duchownjm ziwotë nynëgsjch casû" („Berichte über das geistige Leben der gegenwärtigen Zeit") veröffentlicht hat: „Zum Geleit", CCM, 11, 1837, Bd. 1, 9-22; „Mudrctwj" („Die Weisheit"), CCM, 11, 1837, Bd. 2, 169-182; „Silozpyt" („Physik"), CCM, 11, 1837, Bd. 4, 4 1 8 ^ 4 1 ; „Hwëzdàrstwj" („Astronomie"), CÔM, 12, 1838, Bd.2, 163-176; „Hmotozpyt òili lucba". („Chemie"), CCM, 12, 1838, Bd. 1, 62-83; „Twarozpyt" („Morphologie"), CCM, 12, 1838, Bd. 4, 513-534; „Twarozpyt" („Morphologie"), Fortsetzung, CCM, 13, 1839, Bd. 3, 322-337; „Twarozpyt" („Morphologie"), 2. Fortsetzung, CCM, 13, 1839, Bd. 3, 322-337; „Twarozpyt" („Morphologie"), 2. Fortsetzung, CCM, 13, 1839, Bd. 1, 22-44. STORCH, Karel Boleslaw, 1812 geboren, Privatgelehrter und philosophischer Schriftsteller. - Aus seinem Werke siehe: „Zemëpis filosoficky pojaty" („Philosophische Geographie"), Prag 1853, tsch.; „Historie a wzdélanost" („Geschichte und Zivilisation"), CCM, 1856, 91 f.; „Velké a malé literatury s obzwlástním ohledem na nasi" („Große und Kleine Lite-
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von COMENIUS, besonders seiner „Pansophie", „Panegersie", die er mit der KRAUSEschen Philosophie zu vereinigen suchte: dies erscheint sowohl in der STORCHs literarisch- und philosophisch- geschichtlichen Betrachtungen als auch in seinen anthropologischen Abhandlungen. Besonders für diese andere pars seiner Philosophie hat er auch die Zeitschrift „Umschau" gegründet. Ebenso Josef Jaroslav KALINA 4 , ein patriotischer Dichter, dachte unter dem Einfluß der panentheistischen Philosophie: die für seine ganze Generation zu einem, an Karel Hynek MACHA erinnernden, weltanschaulichen Hintergrund geworden ist. Ein merkwürdiges Schicksal dieser bewußt militant patriotischer Generation: sie lebte von der, aller tschechischen Tradition am weitesten entfernten, philosophischen Richtung Europas... Nun, nicht nur bei den Tschechen - auch bei einigen bedeutenden deutschen Philosophen der zeitgemäßen reifen Generation spielte der Panentheismus eine beachtliche Rolle. An erster Stelle ist hier Hermann Karl Freiherr von LEONHARDI 5 zu nennen. LEONHARDI hat sich mit aller Kraft in den Dienst von KRAUSschen Philosophie, vor allem ihrem Humanismus, Pazifismus, ihrer Pansophie, gestellt. In dem gleichen Sinne hat er auch die panegersischen Ansichten von COMENIUS aktualisiert.6 Unter dem Einfluß von LEONHARDI standen u.a. auch die tschechischen Philosophen AMERLING und STORCH. Ebenso Johannes Heinrich LOEWE, ein Anhänger von A. GÜNTHER 7 , stand einem
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raturen, mit besonderer Rücksicht auf die unsrige"), CCM, 1861, 36 f.; STORCH starb in Prag im Jahre 1868. Über STORCH siehe: VLCEK, Jaroslav: „Karel STORCH za konstituce 1848-1849" („Karel STORCH unter der Konstitution 1848-1849", tsch.); in: „Nëkteré kapitoly ζ dëjin naSí slovesnosti" („Einige Kapitel aus unserer Literaturgeschichte", tsch.), Prag 1912, 2.Aufl.; PF.SEK, Josef - CÁDA, Frantisek : „Karel B. STORCH jako filosof („Karel B. STORCH als Philosoph", tsch.), CM 14, 1913, lf.; CADA, Frantisek: „Soustavny nákres filosofie STORCHovy" („Systematischer Abriß der Philosophie STORCHs", tsch.), CM 15, 1914, 29f.; PESEK, Josef: „Casopis „OBZOR" ζ r. 1855 a tvûrce jeho programu" („Die Zeitschrift 'Umschau' aus dem Jahre 1855 und der Schöpfer ihres Programms", tsch.), LF 1915, 369; „Z literární cinnosti K.B. STORCHa" („Aus der literarischen Tätigkeit von K B . STORCH", tsch.), osvëta 1915. KALINA, Josef (mit patriotischem Beinamen auch .Jaroslav" genannt), 1816-1847, er lebte in Prag. Siehe: „Upominka na Jaroslava KALINU. Filosofické drobnûstky ζ pozûstalosti" („Erinnerung an Josef Jaroslav KALINA. Kleinere philosophische Schriften aus seinem Nachlaß"), Prag 1870. LEONHARDI, Hermann Karl Frhr. von, geboren 1809, studierte bei K. KRAUSE (und hat später auch seine Tochter geheiratet). 1849 Außerordentlicher Professor für theoretische und praktische Philosophie in Prag. Die ihm angebotene ordentliche Professur hat er, bescheidenerweise, zuerst abgelehnt und erst 1866 angenommen. LEONHARDI hat sich auch als Organisator des philosophischen Lebens eifrig betätigt: 1868 hat er in Prag den ersten, 1869 in Frankfurt am Main den zweiten Philosophenkongreß veranstaltet. Siehe: „Der Philosophen-Congress als Versöhnungsrath. Beiträge zur religiösen Frage", Prag 1868. LEONHARDI, H.K.v.: „Die Neue Zeit", Prag 1869; in dieser Schrift hat LEONHARDI die „Panegersie" COMENIUS' zu einem guten Teil neudrucken lassen. Die Berufung von LOEWE nach Prag ist auf die zeitgemäßen weltanschaulichen Umstände zurückzuführen. Der Herbartismus wurde dem katholischen Kultusministerium in Wien nicht in allem angenehm, und überhaupt nicht der katholischen Hierarchie. So strebte Kardinal SCHWARZENBERG eine Vertiefung der christlichen Spiritualität, auch um den Preis, daß er mit der römischen Kurie in einen Konflikt kommt, an, und versuchte, als einen andersdenkenden Partner der Herbartianer, nach Prag, Anton GÜNTHER zu gewinnen: nun, der hat stuhrerweise immer nur auf seinen Wiener Ruf gewartet: Prag schien ihm etwas provinziell zu sein. Da hat SCHWARZENBERG zumindest einen Mann aus der
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Panentheismus nahe. Vorwiegend als theoretischer Forscher tätig, hinterließ er ein nicht unbedeutendes Werk, ein welchem er die Spur von KRAUSE und den Seinen in Prag endgültig markiert hat. 8 Der Lehrer lebt in seinen Schülern: unter die Hörer von LOEWE gehörte der, an der Münchner Universität später tätige Rechtsphilosoph Augustin GEYER. 9 Noch viel bedeutender wurde Wilhelm KAULICH 1 0 , später Professor für Philosophie in Graz. KAULICH, ebenso wie beinahe alle deutschgeborene Philosophen seiner Generation in Böhmen, stand unter dem Einfluß von A. GÜNTHERS Philosophie: einer besonderer Nachfolge von Bolzanismus (die sich um eine Verbindung zwischen der cartesianischen Logik und thomistischen Ontologie versucht hat). Ebenso wie GÜNTHER, stand auch KAULICH dem Pantheismus, ob hegelscher oder schellingscher Herkunft, scharf gegenüber. Im Sinne von GÜNTHER und LOEWE bemühte sich auch KAULICH um gewisse Annäherung von Glaube und Vernunft. In einem Atem verband er damit seinen Kampf gegen den (seiner Überzeugung nach) pantheistischen Herbartismus, gegen den Atheismus und Materialismus. Infolgedessen, trotz seiner zahlreichen Bücher, in Prag unpopulär geworden, entschied er sich lieber Böhmen zu verlassen."
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Schule GÜNTHERS berufen: kein Glück für LOEWE, der Prag als unerwünschter Exponent von Altar und Thron gesehen wurde... LOEWE selber, ein äußerst toleranter Mensch, versuchte eine Versöhnung mit den Prager Patrioten zu erTeichen. Danach, als LEONHARDI seinen Lehrstuhl verlassen hat, hat er sich für G.A. LINDNER (einen eifrigen Patrioten und Herbartianer) als Nachfolger von LEONHARDI eingesetzt: nun, diesmal hat es wieder der Erzbischof nicht zugestimmt... Ein Zipfel der politischen Thematik, in welche Prag Ende der 60er Jahre verwickelt wurde... LOEWE, Johannes Heinrich, 1808 geboren; 1851 nach Prag berufen; 1863-1864 Rektor der Prager Universität (wobei er auch als Experte im Landtag ums Wort gebeten wurde: da vertrat er das Interesse der Tschechen und hat den Vorschlag von WENZIG, daß nämlich beide Landessprachen als gleichwertig in den böhmischen Schulen anerkannt werden sollen, vertreten. Doch hat er das Herz der Tschechen für sich nicht gewonnen, obwohl er sich äußerst bescheiden und zurückhaltend verhielt, und obwohl er lange Jahre nur kleinere, nahezu private Studien herausgegeben hat... Erst in späteren Jahren hat er sich entschlossen, sein großes Werk zu veröffentlichen. - Siehe vor allem: „Über den Begriff der Logik", Prag 1849; „DESCARTES", Prag 1854; „FICHTE", Prag 1862; „Der Kampf zwischen dem Realismus und Nominalismus im Mittelalter: sein Ursprung und Verlauf, in: "Abhandlungen der KBGW VIH", Prag 1876; „Über den Ursprung der Menschheit", ibid. Prag 1867; „Lehrbuch der Logik", Prag 1881; „Die spekulative Idee der Freiheit, ihre Widersacher, ihre praktische Verwertung" in: „ A b h a n d l u n g e n der KBGW ΧΠΙ", Prag 1890 ( - schon davor unter dem Titel „Die Idee des Menschen zur Grundlegung der Ethik" als Privatdruck herausgegeben). Über A. GEYER siehe: Fr. UEBERWEG, 11. Aufl., 234. KAULICH, Wilhelm, 1819 in Teplitz/Mettau (Böhmen) deutsch geboren, studierte in Prag und wurde 1861 Dozent der Philosophischen Fakultät in Prag, ab 1870 Professor der Philosophie in Graz, wo er bis zu seinem letzten Tag geblieben ist. Siehe: „Geschichte der scholastischen Philosophie", I: Entwicklung der scholastischen Philosophie von Johannes Scotus ERIUGENA bis ABAELARD", Prag 1863; „Die Lehren des HUGO und RICHARD von St. Victor", Prag 1864; „Über die Freiheit des Menschen", Prag 1866; „Über die Möglichkeit, das Ziel und die Grenzen des Wissens", Prag 1868 (2.Aufl. 1870); „Handbuch der Logik", Prag 1869; „Handbuch der Psychologie", Prag 1870; „System der Metaphysik", Prag 1874; „Handbuch der Ethik", Prag 1877. Wilhelm KAULICH starb 1881 in Graz. Ob Wilhelm KAULICH tatsächlich im Zustand einer geistigen Umnachtung starb, wie einige seiner Historiker vermuten, ist nicht mit Sicherheit zu behaupten. - Siehe die Ergänzungen zu seiner Schrift „Contra Glaubensbekenntnissen eines modernen Naturforschers", 2.Aufl. Graz 1880.
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Insgesamt könnte man die panentheistische Richtung in der zeitgemäßen böhmischen Philosophie für eine, wenig bedeutende, wenn auch in aller Ernst genommene Hypothese und christlich-ethisch konzipierte Reformphilosophie halten.
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Die Naturphilosophie. D e r Darwinismus. Der evolutionistische Positivismus. Die A n f ä n g e des Vitalismus in Böhmen. (Jan Ev. PURKYNË. Ernst MACH. Ladislav J. CELAKOVSKY. J.A. BULOWA. J. MIKS. Fr. MARES)
„Allmählich hat sich mir herausgestellt, was jede große Philosophie bisher war: nämlich das Selbstbekenntnis ihres Urhebers und eine Art ungewollter und unvermerkter mémoires; insgleichen, daß sie moralischen (oder unmoralischen) Absichten in jeder Philosophie den eigentlichen Lebenskeim ausmachten, aus dem jedesmal die ganze Pflanze gewachsen ist." (Fr. Nietzsche, „Von den Vorurteilen der Philosophie", 6)
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Jan PURKYNÉ 1 , ein Physiologe und später Naturphilosoph, hat sich um eine würdige Stelle dieses Bereichs der Philosophie in der Geistesgeschichte Böhmens bestens verdient gemacht. PURKYNE kam nach Prag von Breslau her, wo er ab 1850 Professor für Physiologie wurde. In Prag hat sich PURKYNÉ mit zunehmender Intensität auch den philosophischen Themen gewidmet: denen, übrigens, bereits ab der Mitte der 30er Jahre seine Aufmerksamkeit galt. So findet man schon im Jahre 1836 eine „Abhandlung über die menschliche Sprache" 2 in „Krok", wo der Autor sein Thema als ein grundlegend naturwissenschaftliches Problem behandelt. In weiteren Jahren folgen dann die physiologisch-psychologischen Erwägungen des „Raumes" (unter sichtbarem Einfluß von SCHELLING) 3 und, als gewisse Art von Visitenkarte für Prag, die noch in Breslau verfaßten und herausgegebenen „Papierstreifen eines verstorbenen Naturforschers"; 4 die, vielleicht bekannteste, philosophische Abhandlurig von PURKYNÉ. In allen diesen, ebenso in allen späteren Werken PURKYNËs scheint als wichtigstes, als sinnbegründendes Problem der Philosophie die Beziehung MENSCH-WELT zu sein. 5 Die Natur behält, gemäß PURKYNE eine wunderbare, verborgene Sinnvölligkeit, welche durch den Menschen zu entdecken sei: die wahre Erkenntnis beruht dann nicht nur auf einer, imgrunde mechanischen empirisch-intellektualistischen Erkenntnistheorie, sondern muß auch die Mitwirkung der göttlichen Kräfte einbeziehen. Es ist das Prinzip „Gott", von welchem her die, seit Ewigkeit bestehende materielle (und auch geistige) Tätigkeit - der Natur - kommt. So auch die unbewußten Kräfte der Natur (sei es Licht, Elektrizität, molekulare Kräfte u.a.) sind auf das Göttliche der Natur zurückzuführen, das wir gleichsam als eine kosmische Vernunft begreifen können. Auch die menschliche Vernunft ist - in ihrer vormenschlichen Vorstufen - durch alle wichtigen Stadien dieser kosmischen Kraft (- durch die Stufen „Mineral", „Pflanze", „Tier") hindurchgekommen: diese Stadien sind wieder nur Teilchen des gesamten „Erdgeistes", der wieder nur ein Aspekt des .Allgeistes" ist. So scheint PURKYNÉ nahe einem FECHNER zu stehen, und von einem SCHELLING eben nur sein Naturphilosophicum akzeptiert zu haben, ohne dabei 1
PURKYNÉ (PURKINJE), Jan (Johannes- Evangelist), Ritter von, 1787 in Libochowitz bei Leitmeritz (Böhmen) geboren. Seit 1813 Professor für Physiologie in Breslau, 1850 nach Prag berufen. Er starb 1869 in Prag.
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Siehe: „Sebrane spisy" („Gesammelte Schriften"),
Prag 1914; „Opera omnia", 4 Bde., Prag 1918-1941; „Jana PURKYNÉ dvé pojednání fysiologická ζ roku 1837 a 1840 s autobiografií" ( „J.PURKINJEs zwei physiologische Abhandlungen aus 1837 und 1840, mit einer Autobiographie"), Akademische Bibliotheque, 2, Prag 1920. Über PURKYNE siehe: Vom Standpunkt seiner Zeitgenossen: AMERLING, K.S.: ,J.E. PURKYNÉ" (tsch.), in: „Duch a svët", Bd. 37, Prag 1928. Vom Standpunkt der späteren Literatur: JOHN, H.J.: „J E. PURKYNÉ" (englisch), Philadelphia 1959. PURKYNÉ, J.E .: "Pogednánj prjrodoslowné o mluwë lidské" („Naturwissenschaftliche Abhandlung der menschlichen Sprache"), Krok, 4, 1836, Nr. 1, 15-30. „Psychologické badánjo prostorozoru. Od Jana PURKYNE" („Psychologische Erforschung des Raum-Sinnes"), ÈCM, 11,1837, Bd.2, 191; „Dalsi psychologické badánj o prostorozoru. Od Jana PURKYNÉ" („Weitere psychologische Erforschung des Raum-Sinnes"), Ö t M , 14, 1840, Bd. 4, 355-375. „Papierstreifen aus dem Portefeuille eines verstorbenen Naturforschers", dt. (ins Tschechische 1910 übersetzt), Breslau 1850. Siehe: „Clowëk a prjroda. Ölowek prjrody wládce a pán" („Der Mensch und die Natur. Der Mensch als Herr und Herrscher der Natur"), Ziwa, I, 1853; „O smyslech wubec" („Über die Sinnen im Allgemeinen"), Ziwa, II, 1854; „Pojem fysiologie" („Der Begriff der Physiologie"), CCM, 7, 1851, Bd. 2, 74-89; „O ζ pros ton árodño wánj wëd, obzwlásté prjrodnjch" („Über die Popularisation der Naturwissenschaften"), CCM, 10, 1853, Bd 4, 154-165.
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an seinem System beteiligt zu sein: so hat er auch den extremen Dimensionen der SCHELLINGschen, bzw. OKENschen Naturspekulation ausweichen dürfen. So wäre ihn auch allzusehr simple nur auf die Einflüße des Panentheismus zu reduzieren: eher begründet er selber eine neue Naturphilosophie. Zum Vergleich mit seinen tschechisch schreibenden philosophischen Zeitgenossen ist PURKYNE ein selbständig sich orientierender und originell denkender Autor von Weltbedeutung für die Wissenschaft, nicht nur seiner Generation: auch dann, wenn er sich nur scheinbar populär-wissenschaftlichen Aufgaben stellt, denkt er ursprünglich. Sein Beitrag für die tschechische Geistesgeschichte ist bis heute nur zu einem kleineren Teil erforscht und geschätzt. PURKYNE hat zwar eine wichtige Thematik für die tschechische Wissenschaft die Psychologie nämlich - gefunden, sie aber nicht als der Allererste entdeckt. Der Protopsychologe der tschechischen Psychologie, Karel Ferdinand HYNA 6 , ein Priester, den man als einen Philosophen kaum bezeichnen dürfte, hat seinen ersten philosophischen Rezensenten in Frantisek CUPR gefunden. CUPR hat die psychologische Orientierung von HYNA mit einer logischen Reflexion verbunden und, auf solche Art, eine tschechische natur-phylosophische Terminologie versucht. Aus einem anderen Bereich her, durch Alexander von HUMBOLDT inspiriert, hat F.J.SMETANA in seinen zwei Abhandlungen die kosmologisch-astronomische 7 Thematik aufs Tschechische getauft. So entstand stückweise, nicht eben systematisch, doch mit dem Willen zur endgültigen wissenschaftlichen Begründung der Naturforschung, auch die tschechische naturphilosophische Kategorienlehre. Die tschechische Naturphilosophie bekam, nach ihren bescheidenen Anfängen, in PURKYNË eine große Gestalt: die böhmische Naturphilosophie in Prag bekam sie in der Gestalt eines, in Mähren geborenen, Deutschen, der später auf unecht (weil politisch) philosophische Art bekannt werden sollte: Ernst MACHs. 8 Die Philosophiekonzeption MACHs ist zwar bekanntlich auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie („Empfindungslehre") konzentriert, erschöpft sich jedoch mit der Gnoseologie nicht: MACH sah den Menschen als ein System der natürlichen Bedürfnisse, die nach ihrer natürlichen Befriedigung suchen, und die man auf geistige Art (der geistigen Natur der Welt entsprechend) auch artikulieren muß. So sollte auch die Wissenschaft diesen Bedürfnissen entgegenkommen, und - da setzt MACH den Schwerpunkt seiner Naturphilosophie an - mit der denkbar geringsten Denkenergie die wahren Ursachen der
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„Ferdinanda HYNY duseslowí zkusebné" („Die Ferdinand HYNAs empirische Psychologie"), „Od Frant. ÔUPRa, doktora fil.", ÖCM, 20, 1846, Bd.5, 657-661. „Alexandra ζ HUMBOLDTa Kosmos. Sdëluje F J . SMETANA" („Der Kosmos von A.v. HUMBOLDT'), CCM, 20, 1846, Bd. 2, 201-213; ibid. 20, 1846, Bd. 3, 300-312; ibid. 20, 1846, Bd. 4, 433-451. MACH, Ernst, am 18.Februar 1838 in Turas (Mähren) deutsch geboren, studierte Physik und Philosophie in Wien; 1865 Professor für Physik in Graz; 1869 ordentlicher Professor für Physik in Prag (wo bis 1897 das Mehrheitliche seiner Philosophie enstand); ab 1897 nach Wien berufen, doch bereits 1901, durch die kleinlichen Konflikte enttäuscht, und durch Intrigen des klerikalen Milieus ständig in seiner Forschung gestört, hat er sein Amt und Beruf aufgegeben. - Ernst MACH starb am 19.Februar 1916 in Haar bei München. Aus seinem Werke siehe: „Die Mechanik in ihrer Entwicklung", Prag 1883; „Die Analyse der Empfindungen", Wien 1886; „Erkenntnis und Irrtum", Wien 1905. Über MACH siehe: HENNING, E.M.: „Ernst MACH", Wien 1915; DINGLER, Α.: „Die Grundgedanken der MACHschen Philosophie", Wien 1924.
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Menschenexistenz erforschen. Diese „Denkökonomie" soll aber keineswegs im Bereich der bloßen Lebensexistenz des Menschen verwendet werden, sondern sie muß von der Untersuchung der religiös- metaphysischen Grundlagen und Umständen der menschlichen Existenz hervorgehen. Das Human-natürliche der Philosophie MACHs ist durch seine Erkenntnistheorie eher erst nachträglich unterstützt worden: so nimmt er, im Sinne PLATONs eigentlich (und auf der britisch- empiristischen Tradition bauend), die Welt als eine Gesamtheit von „Empfindungskomplexe" an; so versucht er sogar das Letzliche der objekthaften Physik auf geistig-sublime Art zu erklären, wobei im Zentrum seiner Aufmerksamkeit das „Ich und die Welt" liegt. Die tschechische Naturphilosophie wurde später stark auch durch DARWIN geprägt; mit DARWIN sind es auch H AECKEL und SPENCER, die zumindest seit 1862 9 ihre Spur in der tschechischen naturwissenschaftlichen und -philosophischen Literatur hinterlassen haben, zu nennen. Unter den bedeutenden Autoren der tschechisch geschriebenen philosophischen Literatur wurde es G.A.LINDNER, der zu Ende der 60er Jahre die Theorie DARWINs in seinen ethisch-pädagogischen Schriften 10 berücksichtigt hat. Am Rande dieser Thematik hat auch Miroslav TYRS gewisse, wenn auch nicht bedeutende Konzessionen der Theorie DARWINs gemacht. Von der Seite der Naturwissenschaftler wurde es der Botaniker Ladislav J. CELAKOVSKY 1 1 , welcher die Theorie DARWINs systematisch erklärt und akzeptiert hat. Unter der Mitwirkung der zeitgemäß starken evolutionistischen Richtung in der Naturwissenschaft (und besonders unter dem Einfluß des Münchner Forschers NÄGELI) hat L.J. CELAKOVSKY ab Ende der 60er Jahre in seinen Arbeiten 12 den Darwinismus als hoffnungsreiche Konzeption der Naturwissenschaft und -philosophie verteidigt. Das versuchte er auch durch seine eigene Forschungsarbeit zu beweisen. In ähnlicher Richtung (und unter Mitwirkung der Theorie HAECKELs) hat der philosophierende Prager Arzt Josef Adam BULO W A in seinem, mehr populär als genuin wissenschaftlich orientierten Buch über DARWIN und HAECKEL 1 3 , der tschechischen naturphilosophischen Terminologie beigetragen. Der Autor selber hat sich später vor allem als religiös orientierter Schriftsteller engagiert. 9 10 11
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Siehe des Stichwort „DARWIN" in „RIEGERüv slovnik naucny", Prag 1862. LINDNER, Gustav Adolf: „Etika" („Ethik"), Prag 1868; „Sociologie", Prag 1871. ÍELAKOVSKY, Ladislav J., Professor für Botanik an der Prager Universität; er lebte zwischen 1834-1902. Siehe: „Vyvinování se rosüinstva s ohledem na DARWINovu theorii" („Die Entwicklung der Flora mit Rücksicht auf die Theorie DARWINs"), ¿iwa 1869; „Úvahy prirodovëdecké o DARWINovë theorii" („Naturwissenschaftliche Erwägungen über die Theorie DARWINs"), Osvëta 1877; „O zákonech fyziologického vyvoje rostlinstva" („Über die Gesetze der physiologischen Entwicklung der Flora"), Ziwa 1893; als Buch alle diese drei Abhandlungen des Darwinismus (in ergänzter und umgearbeiteten Form) unter dem Titel „Rozpravy o DARWINovë teorii a o vyvoji rostlinstva" ( „ A b h a n d l u n g e n über die Theorie DARWINs und über die Entwicklung der Flora"), Prag 1894, herausgegeben. BULOWA (BULOVA), Josef Adam, geboren 1840, gestorben 1903; „Vyklad zivota ze zákonú prírodních. Trest ze spisû DARWINovych a HAECKELovych" („Die Erklärung des Lebens aufgrund der Naturgesetze: eine Essenz aus den Ansichten von DARWIN und HAECKEL"), Prag 1879; „Die Einheitslehre (Monismus) als Religion. Eine Studie", dt., Prag 1897; 2.Aufl. Prag 1904 (ergänzt um „Monistische Religion"); „Leták vyznání monismu" (parallellerweise in Deutsch als „Glaubensbekenntnis des Monismus"), Prag und New York 1899.
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Die Philosophie des Positivismus wurde in Böhmen allererst durch Josef MIKS 14 vertreten. Der sprachlich ungewönlich reich begabte Philosoph J. MIKS liest und erklärt nicht nur die Theorien von Auguste COMTE und John Stuart MILL, sondern auch damals ganz aktuelle philosophische Literatur - die Ansichten von Herbert SPENCER, Hyppolite TAINE, Alexander BAIN, George Henry LEWES, Emile LITTRÉ, Thomas Henry HUXLEY u.a..Bereits neun Jahre vor MASARYK befaßt sich MIKS in seinen Abhandlungen mit der positivistischen Thematik, vor allem mit der Frage der „Klassifikation der Wissenschaften". Im Sinne dieser, vor allem anglosächsischen Philosophie, lehnt MIKS die Metaphysik (- welche er als „die Sache der subjektiven Bestimmung und des Glaubens" bezeichnet) ab, und sehnt sich nach einer neuen, objektiven Bestimmung der Philosophie. MIKS, ein geistiger Verwandte von Paul JANET und Alexander BAIN, nimmt das „Relativitätsprinzip" der Erkenntnis auf und deutet dieses Prinzip im Geiste H. SPENCERs an: die Wissenschaft bestimmt er als eine „...Gesamtheit der Gesetze im gewissen Bereich, die systematisch und methodisch, und auf dem Prinzip gegenseitiger Abhängigkeit, geordnet sind" - zum Vergleich von BAIN hält er doch die Logik keineswegs für eine selbständige Wissenschaft, sondern (ähnlich wie andere Schüler von A. COMTE) für einen Bestandteil der Psychologie (und in engem Zusammenhang mit der Soziologie sich betätigende Disziplin). Der Hauptakzent bei MIKS liegt immerhin auf der Botschaft der Philosophie: einer „vollständig einheitlichen Erkenntnis", die ihre Beschlüsse aufgrund der „geordneten und integrierten Wissenschaften" findet. So bleibt dieser, jenseits Böhmens lebende tschechische Philosoph, der wichtigste Vertreter des philosophischen Positivismus überhaupt: sein wenig glückliches Schick14
Josef MIKS (er veröffentlichte auch unter dem Pseudonym „Vojtëch KALINA"), 1853-1923. Im Jahre 1878 wandert er, in Böhmen keine Chance für seine philosophische Tätigkeit bekommend, nach Rußland aus (wozu er sich im russistischen Seminar in Leipzig sprachlich vorbereitet hat) und bleibt dort sein ganzes Leben lang. Seit 1913 wurde er als Mitarbeiter der Petersburger Akademie der Wissenschaften tätig. Im Jahre 1917 hat er sich der Unterrischtslinie der neuen Sowjetrepublik angeschlossen und wurde so zum Professoren einer neu gegründeten Hochschule in Nowotscherkassk ernannt. Mit angeschlagener Gesundheit kehrt er 1921 nach Prag zurück, mit der Absicht, an der Karls-Universität über die russische Philosophie zu lesen, nun stirbt er bald darauf. - Aus seinem Werk siehe: „Wissenschaft und Philosophie unter dem positivistischen Gesichtspunkt betrachtet" („Veda a filosofie se stanoviska positivismu", tsch.), in: Osvëta, 1876,4, 161-179, 360-375, 405-426; „Aus der neuen Literatur des Positivismus" (,,Z nové literatury positivismu", tsch.), in: Osvëta, 1893, 21, 531 f.; „Die Philosophie von Graf Leo Tolstoi" („Filosofie hrabëte Lva Tolstého", tsch.), in: Osvëta 1893, 643 f.; „Alexander HERZEN" (tsch,), in: CM Jg. Χ, ΧΠ, XIII, XIV (unvollendet); „Wladimir SOLOWJEW" (tsch.), in: CM 1901, 3, 27 f.; „Nikolaj RADISCHTSCHEW" (tsch.), in: CM 1904, 3, 125 f.; „S.N. TRUBECKOJ" (tsch.), in: ¿M 1906, 4, 237 f. Siehe auch andere Aufsätze (über M.M. FILIPOW, D.N. ClÖERIN, F.M. DOSTOJEWSKIJ u.a. in den Revuen „Osvëta" und CM). Unter dem Pseudonym V. KALINA erschien: „Der fröhliche Skeptiker" („Radostny skeptik", tsch. - Über Ernest RENAN), Osvëta 1893, 3; „Der unversöhnliche Skeptiker" („Nesmiritelny skeptik", tsch. Über H.TAINE, Osvëta 1893,4; „Friedrich Wilhelm NIETZSCHE: ein psychologisches und Kulturbild" („Bedrich Vilém NIETZSCHE: obraz kulturni a psychologicky", tsch.), Osvëta 1897, 2. Josef MIKS war zweifelsohne der beste Kenner russischer philosophischen Literatur in seiner Generation, und über die abendländische philosophische Produktion seiner Zeit überdurschnittlich informiert. MIKS schrieb später auch russisch, und hinterließ nicht eben unbedeutende Anzahl seiner (wohl in Böhmen nie gelesener) Aufsätze und Bücher als seinen literarischen Nachlaß. - Französisch erschien sein Buch „Wurzel und Begriff' („Koren i ponjatie", russisch, Petersburg 1882) in „Revue de linguistique", 1884, 5.
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sal deutet die Lebensumstände der tschechischen humanistischen Intelligenz der letzten Jahrzehnten des 19Jahrhunderts im böhmischen Bereich - eine arbeitslose Periode für die Akademiker - an. Eine wichtige Rolle für das, neu sich begründende, Nationalbewußtsein der tschechischen Philosophie (und für das philosophische Selbstbewußtsein der Tschechen überhaupt) hat der Präger Physiologe und Philosoph Frantisek MARES 1 5 erfüllt. MARES, ein breit orientierter Forscher im Bereich der Naturwissenschaften, wurde einer der wenigen theoretischen Gegner MASARYKs, die auch nach 1918 ihrem anti-masarykischen Standpunkt (trotz allem) treu geblieben sind. MARES vertritt einen starken Antipositivismus: er weisst auf die „empirische Naivität" der „positiven Wissenschaft" hin. MARES glaubt am Hintergrund der „Fakten" die verborgenen Gesetze der Natur zu finden. Dieser ausgezeichneter Denker und Kenner der zeitgemäßen, neuesten naturwissenschaftlichen Literatur, zeigt als der allererste in Böhmen auf die Gründe, von welchen her die „positive Wissenschaft" (auf den Spuren von DESCARTES und LOCKE schreitend) vor manchem Problem ratlos steht, das eher unter dem Gesichtspunkt von HUME oder KANT zu begreifen wäre: nicht sosehr „Fakten" als eben die „Erfahrung", gemäß MARES, bietet eine reale erkenntnistheoretische Chance der neuen Wissenschaft an. So steht MARES im gleichen Sinne auch dem Materialismus, Energetismus usw. entgegen, so ruft er nach der Bereinigung der naturwissenschaftlichen Terminologie von den unecht metaphysischen Zutaten überhaupt. Unter diesem Kriterion beruft sich MARES auf de Thesis KANTs, wonach die synthetischen Urteile a priori an und für sich noch keine, als allgemein gültige, Erkenntnis, garantieren, sondern eben eine Erkenntnis bloß, die für unsere Erfahrung von gewisser Geltung ist. So verlangt MARES eine entscheidende Trennung des theoretischen Wissens von den „praktischen" Wissenschaften, dessen bewußt, daß - andererseits - der Standpunkt KANTs nur dann zu halten sei, um der Forderungen der Wissenschaften willen, wenn die untereinander unvergleichbaren Resultate der Wissenschaften nicht unkritisch beobachtet werden. Fr. MARES war die erste kritische Stimme, innerhalb der böhmischen Philosophie überhaupt, die auf die beinahe snobistisch übernommene Mode eines „Positivismus" hinwies, und sich demzufolge der kritischen Suche nach einem tiefgehenderem philosophischen Prinzip verpflichtet hat. MARES, eine starke denkerische Persönlichkeit, hat zahlreiche Anhänger gefunden: darunter auch einige später bedeutende Namen. 1 6
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MARES, Frantisek, geboren 1857, Professor für Physiologie in Prag (später zeitweise auch Rektor der Karls- Universität in Prag). Aus seinem Werk siehe: „Idealismus und Realismus in der Naturwissenschaft" („Idealismus a realismus ν prirodovëdë", tsch.), Prag 1901; „Prinzipien der theoretischen Erkenntnis und des sittlichen Handelns nach KANT" („Základy poznání teoretického a mravného konání die KANTa", tsch.) Prag 1902; "Der Naturalismus und die Willensfreiheit" („Naturalismus a svoboda vule", tsch.), Prag 1904. Es sind in diesem Zusammenhang zumindest der Physiologe Eduard BABAK, der Chemiker FrantiSek WALD und der Naturphilosophe Emanuel RÁDL zu nennen. Zur ausführlicheren Information siehe „GLAUBE UND VERNUNFT', III. Teil (1900-1945).
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Die Anfänge einer katholischen in den b ö h m i s c h e n
Philosophie
Ländern
( W . Z A H R A D N Í K . D i e . Z e i t s c h r i f t für katholische Geistlichkeit". K. W I N A R I C K Y . Ein G e g n e r v o n P A L A C K Y : Fr. S U S I L )
„Dále také patmo, î e by pauhé blauznêni ba nerozum to byl, na to se stawêti a snad wJelijak opírati, jakoby prwní pocátky naseho krestanstwi, owäem w smyslu církewním, ne od západu, nybrz od wychodu, ne ζ Rima, nybrz ζ Cáihradu pocházely." („Sw. Cyrillus a Methodius apostolé slowanstí. Nátin k obSínéjSímu pojednání historickému. Od J. Krbce", è é M , 21, 1847, Teil 2, Bd. 1, 41)
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Die neuhumanistische Idee, die im Priester Bernard BOLZANO auf solche unorthodoxe, und doch rein geistige Art wiedererlebt hat, und die seine, sonst gar nicht deutschnationale Philosophie mit GOETHE, HERDER, SCHILLER, FRIES vor allem aber mit G.W. LEIBNIZ verband: diese Idee machte nun eine synthetische deutsch- tschechische Kultur im böhmischen Bereich noch möglich. Der Einfluß BOLZANOs äußerte sich zuerst nicht sosehr direkt, als eher dadurch, daß seine Philosophie ihre Aufgabe darin fand, sich selbst als eine Abwehr, einem KANT und dem „Kritizismus" überhaupt gegenüber, darzustellen. BOLZANO weiste auf die LEIBNIZsche monistische Metaphysik hin, und dementsprechend hat er auch seine Schülergeneration (unter denen auch einen Karel HAVLÍCEK oder Fr. CUPR) für ihren Kampf gegen die, wohl deutsche, idealistische Metaphysik ausgerüstet. Dadurch wurde vor allem HEGEL, als synthetische Gestalt dieser Metaphysik, betroffen. So knüpfte sich spontanerweise in Prag zuerst die slawische Philosophie an BOLZANO an - ein einmaliges Phänomen in Europa - so wurden aber die Hegelianer, wenn aus ganz anderen Gründen, durch Franz EXNER und die Seinen, des Feldes der Donaumonarchie verwiesen. Nun, eben aus demselben Grund hat sich die künftige böhmische Philosophie ihren Werdegang so schwer gemacht, und deswegen sind die ersten tschechischen Philosophen (aus der Schule JUNGMANNs) der tatsächlichen europäischen Philosophie noch lange fern geblieben. Aus dieser vielfach komplizierten Situation heraus ist erst die Gestalt des ersten, im wahren Sinne katholischen, Philosophen Winzenz ZAHRADNIK sinnvoll zu begreifen. - Winzenz ZAHRADNIK (1790-1836), der „bedeutendste unter den Schülern BOLZANOs" (E.WINTER), schrieb lateinisch, deutsch und tschechisch (er verfaßte u.a. auch die erste tschechisch geschriebene Ethik)17 und suchte in seiner philosophischen Konzeption ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen der Sympathie zu DOBROVSKY und dem Respekt seinem Altmeister gegenüber zu bewahren. Winzenz ZAHRADNIK 18 stand denkerisch wesentlich höher als JUNGMANN, 17
„Filosofické pojednání o vnitrní a zevnitrní povaze ctnosti" („Betrachtungen über den inneren und äußeren Charakter der Tugend"), Casopis katolického duchovenstva 1836 (geschrieben 1829); s. auch: „Anfangsgründe der Denkkunst"; weitere Schriften von ZAIIRADNÍK bekamen das wichtige „Nihil obstat" von der kirchlichen Obrigkeit nicht mehr: es wurde ihnen die geistige Verwandschaft mit BOLZANO zugemutet. Das Thema „Winzenz ZAHRADNIK" gehört zu den Erbsünden der tschechischen philosophischen Historiographie: sowohl vor 1948 als auch in der Nachfebruarperiode wurde ZAHRADNIK totgeschwiegen... - Das Werk: Filosofické spisy Vincence Zahradnika" („Philosophische Schriften von Winzenz Zahradnika" („Philosophische Schriften von Winzenz ZAHRADNIK", Hrsg. Fr. ¿ A D A , 5 Bde., Prag 1907-1918. Siehe auch: ÖAPEK, J.B.: „Duch ceské literatury predbreznové" („Geist der tschechischen Vormärz-Literatur"), Prag 1938, 127 ff.
18
ZAHRADNIK, Winzenz, geboren 1790 in Jungbunzlau, wo er auch das Gymnasium besuchte. Es folgte das Theologiestudium in Prag (Priesterweihe 1813); dann, nach kurzer seelsorgerischen Praxis, wurde er vom konzilianten Bischof von Leitmeritz, Josef HURDÁLEK, zum Sekretär, Zeremonniar und Bibliothekar der Diözäse berufen (1816). - 1820 wurde ZAHRADNIK zum Professor für Pastorale Theologie am Theologischen Institut in Leitmeritz ernannt (das unter dem Bolzanisten Michael FESL am Höhepunkt seiner Existenz stand). In demgleichen Jahr wurde Fesl als Ketzer und Hochverräter angeklagt, seines Amts enthoben, verhört, verhaftet - mithin auch sein Kreis (dem auch ZAHRADNIK angehörte); obwohl Z A H R A D N I K nichts bewiesen wurde, wurde er seiner Professur enthoben und zum Pfarrer im Dorf Zubernitz (ab 30. September 1820) bestimmt. - In weiteren zehn Jahren Pfarrer in Kresice bei Leitmeritz, wo er am 31.August 1936 (möglicherweise durch Typhus angesteckt) gestorben ist.
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dessen patriotischen Philosophie gegenüber er nur eine zurückhaltende Position vertrat, den Engpässen einer künstlichen Pseudokultur gut bewußt: vor allem lag ZAHRADNÍK aber jegliche Falschheit und kleinnationalistischer Haß fern. Andererseits behielt er einen ebenso zurückhaltenden Abstand zu den national-lauwarmen, selbstzufriedenen Dogmatikern der katholischen Restauration in Österreich, und wurde folgendermaßen von ihnen, einem BOLZANO nahe, persekuiert. Z A H R A D N Í K gehört jener nachjosephinischen Generation der aufgeklärten Priester an, die zwar auf eine radikal- institutionelle Reform der Kirche verzichtet, nicht aber auf eine inniggeistige Reform des dogmatisch erstarrten Christentums selbst. So vertritt ZAHRADNÍK die Position eines goldenen Schnitts zwischen dem radikalen Rationalismus einerseits und einer unkritischen Auffassung der Theologie andererseits - die er durch seine eigentümliche Philosophie eines „gesunden Verstandes" korrigiert. Von Anfang an konzentriert sich ZAHRADNÍK auf das Problem der menschlichen Ethik: 19 der Mensch vor seinem Gott. - Darüberhinaus interessiert er sich um die Fragen der Logik, Psychologie und Pädagogik. Z A H R A D N Í K versucht seine, sonst treu katholisch-ethische Auffassung (- die vor allem auf einem echt theologischen Apriorismus gründet: das moralische Gefühl und das Gewissen sind als die von oben her gegebenen Elemente des Menschenwesens zu betrachten) mit den zeitgemäß populären Thesen des deutschen Utilitarismus (vor allem Christian GARVE, 1742-1798) zu verbinden. Als interessant erscheint dabei, daß ZAHRADNIK z.T. die Ansichten KANTs akzeptiert, andererseits nimmt er aber die Ansichten des Kritikers KANTs, GARVE, auf: das gilt vor allem über die ethische Maxime d e r „Utilitas" 20 - heißt es, daß eine menschliche Tat desto sittlicher ist, j e mehr und dauerhafter die Menschen (und die empfindsamen Lebewesen überhaupt) beglückt. Eine wichtige Rolle hat für die katholische Philosophie in Böhmen die „Zeitschrift für katholische Geistlichkeit" 21 gespielt. Zum Programm und Ziel der Zeitschrift wurde 19
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„Rozjímání o nékterych stránkách praktycké Filozofie" („Überlegung über einige Aspekten der praktischen Philosophie"), „Illasatel èesky", 1818, 2, 23 ff. (Hrsg. V. NEJEDLY); „O povolání ilowëka ke ctnosti" („Über die Berufung des Menschen zur Tugend"), „Slowesnost", 1820, 3, 34 f. (Hrsg. J.JÜNGMANN); „O nejvySsim pravidle mravû" („Über die höchste Regel der Sitten"), geschrieben 1829; erschien 1834, teilweise (nur ein Kapitel) unter dem Titel „O vnitrni povaze ctnosti" („Über die innige Natur der Tugend")", Casopis katolického duchovenstva", IX, 1836; „O prisaze" („Über den Eid"), erschien posthum, als 7. Nr. des „Dëdictvi svatojanské" (Hrsg. J.JIRSÍK), Prag 1839. Im Alttschechischen: "blahodatnost"... Sonst erscheint ZAHRADNIK auch als ein tüchtiger Autor von theologischen Abhandlungen, von denen da herauszunehmen sind: „Über den hohen Wert der göttlichen Verkündigung" („O veliké cené boíského zjevení", 1832; „O spojení dogmatiky s mravoucením („Über die Verbindung der Dogmatik mit der Sittenlehre"), 1832; „Dükaz boiství Pána naSeho Jeííse Krista ζ mravní povahy jeho u i e n f („Der Beweis der Göttlichkeit unseres Herrn Jesus Christus von der moralischen Natur seiner Lehre"), 1833; „O dëdiSném hnchu" („Über die Erbsünde"), 1836; alles in ÖKD; „Krátky katechismus k utvrzení katolíkú ve vffe jejich zvlásté pro ty, jiz katolickou víru prijímají nebo opouStëjf ' („Kurzer Katechismus für die katholischen Christen"), Prag 1830; „DoStëpenà zahrádka dítek dobrych, obsahující ν sobë vysvëûeni nëkterych clánkü pravé, ëisté a dokonalé víry Kristovy" („Kurze Erklärung einiger Dogmen"), Prag 1836. „Casopis pro katolické duchovenstvo" - eine Ausnahme der tschechischen theoretischen Publizistik, zumindest durch die Gesamtdauer der Zeitschrift - einhunderteinundzwanzig Jahre insgesamt (mit zweimaliger Unterbrechung: 1853-1859, und 1939) - gemessen. Schon im Jahre 1828 durch einen jungen Theologen Karel WINAfclCKY (1803-1869), unter der Schirmherrschaft des Erzbischofs von Prag, Václav Leopold CHLUMÖANSKY und des zuständigen Weihbischofs Frantisek PISTEKS gegründet, wurde die Zeitschrift bald zur
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es, den höheren Zielen der theologischen Ausbildung der tschechischen Geistlichen zu verhelfen, vor allem aber der tschechischen theologischen Terminologie den Weg zu ebnen. Bald hat sich am Rande der Zeitschrift ein Kreis der patriotischen Autoren und Redaktoren versammelt 22 , unter denen auch manche bedeutende und namhafte Persönlichkeiten der tschechisch geschriebenen Literatur als aktive Mitarbeiter galten.23 Die Zeitschrift wurde durch das gemeinsame Interesse der Theologie (bzw. theologischer Philosophie) und das der praktischen Pastoration charakterisiert. Die einhundertdreizehn abgeschlossenen Jahrgänge der CKD stellen eine wichtige Quelle der besseren Erkenntnis des tschechischen theologischen Lebens und Geistes des tschechisch-christlichen Böhmens im 19. und auch 20. Jahrhunderts dar. Im übrigen ist es kein Zufall, daß unter den ersten tschechischen Denkern der Philosophie des 19. Jahrhunderts viele Priester eine bedeutende Rolle spielen - u.a. J.DOBROWSKY, J.JUNGMANN, W.ZAHRADNÍK, J.L.ZEEGLER, Fr. M.KLÁCEL, Fr.Th. BRATRANEK, A.MAREK, K.F.HYNA, um nur die Bekanntesten zu nennen. Aus dieser Basis heraus hat sich bald eine theologisch-bewußte Gruppe herauskristallisiert, die sich gegen die streng-national- evangelische Richtung der tschechischen patriotischen Literatur kritisch orientierte. - Logischerweise wurde wohl die erste Generation der tschechischen Patrioten deistisch, atheistisch, agnostisch oder einfach antiklerikal orientiert... Der „tschechischen" Patriotismusidee stand aber eine „mährisch-patriotische", fromme und eindeutig katholische Philosophieschule entgegen, die in einem jeden Punkt ihres Programms anti- protestantisch, anti-tschechisch aber z.T. auch anti-deutsch war. Das „Mähren" als denkerisches und politisch-philosophisches Thema in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dabei keineswegs ein unwichtiges Thema. Die zentrale Figur wurde da Frantisek SUSIL.24
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beliebten Revue der tschechischen Geistlichkeit. Als die Redaktoren des 1. Jgs. wurden Prof. Nikolaus TOMEK und der Spiritual des Theologischen Seminars, Ignat MRAZ, genannt. Zum Korrektoren des l.Jgs. (der Sprache nach) wurde Josef JUNGMANN selber, im zweiten Jahr hat diese Funktion Frantisek Ladislav ¿ELAKOVSKY (einer der Inspiratoren der Zeitschriftgründung) übernommen, der sie erfolgreich lange Jahre ausgeübt hat: die Redaktionsarbeit ist ihm darüberhinaus zur Vcrpflegungsbasis auch für sein persönliches Leben geworden. ÖELAKOVSKYs Aufgabe wurde auch, die, von den tschechischen Autoren deutsch geschriebenen Beiträge, ins Tschechische zu übersetzen... Karel WINARICKY hat für die neue Zeitschrift zuerst seinen Freundeskreis gewonnen: u.a. sind es, neben JUNGMANN und CELAKOVSKY, folgende Personnen zu nennen: Josef Krasoslav CHMELENSKY, Josef Wlastimil KAMARYT, Václav Alois SWOBODA, Frantisek Alois WACEK, Winzenz ZAHRADNÍK, Frantisek SLAMA, Josef ¿ E R N Y , Jan KÖRNER. - Seit dem 2. Jg. wurde als Mitredaktor anstelle von Ignát MRAZ der systematische Arbeiter Wáclaw WILÉM WÁCLAWÍCF.K genannt, der seine Tätigkeit bis zum 5. Jg. (1832) ausübte. Dann hat ein sehr wichtiger Herausgeber und Redaktor, WÁCLAW PESINA, seine Stelle übernommen und die Zeitschrift bis 1847 herausgegeben. - Nach PELINA erschien die erste Krisis: die Zeitschrift 1852 (für eine schon allzusehr winzige Zahl der Abonenten) aufgehoben, und, bis 1859 nicht mehr existent, wurde zum zweiten Male von Karel WINA&ICKY erneut gegründet: dieser ist auch bis 1868 ihr Redaktor (und „Mitredaktor", sit venia verbo, zugleich...) geworden. - Erst im Jahre 1948, im Rahmen der Abrechnung mit der Kirche, wurde die Zeitschrift aufgehoben ... Die ganz ruhmreiche Geschichte einer Revue. Dieser brüderfeindliche Kleinnationalismus ging sogar so weit, daß auch der, sonst objektiver Philosophiehistoriker J. KRÁL, in seiner umfassenden (und an manchen Gymnasialprofessoren auf dem böhmischen Lande errinnernde) „Tschechoslowakischen Philosophie"
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Fr. SUSIL wurde der eigentliche Widersacher eines anderen Mährers, Frantisele PALACKYs: 2 5 in einer Zeit, in welcher das Schicksal einer „tschechischen Sprache" überhaupt noch nicht entschieden wurde, und als noch nicht ganz klar wurde, ob z.B. das „Mährische" ein Dialekt oder eine selbständige Sprache sein sollte. SUSIL, ein Märchen- une Liedersammler, der die Volksseele intim gekannt hat, hat auch gewisses Recht gegen die abstrakt-historische Konstruktion einer tschechischen Geschichte, eben unter dem Gesichtspunkt der tschechisch-volkstümlichen Sprache, aufzutreten. „Das Volk" wurde zum allerletzten Kriterium der patriotischen Idee, denn: Prag wurde vorwiegend durch die deutsche Kultur geprägt (- das „Sokol-Lied" der TYRSMänner, „Den Sokol hol, vom slawischen Prag her..." ist kaum anders als ein frommer Wunsch zu verstehen.) - Und Brünn war als auffallig deutsche Stadt bekannt. Die größere und ältere beider böhmischen Universitäten, die in Prag, hieß „CaroloFerdinandea", und die andere, im vorwiegend deutschen Olmütz, wurde beinahe komplett durch die deutsche Sprache und Denkweise geprägt... In dieser Situation vertrat SUSIL eine andere Alternative als der aggressive Patriotismus zu bieten hatte: auf dogmatisch- katholischer und österreichisch-loyaler Basis wohl. Folgendermaßen ging von SUSIL und seinen Anhängern eine durchaus andere Philosophie hervor, die einem Fr. M. KLACEL scharf entgegen ging, und die in KLACEL keineswegs einen Repräsentanten von Mähren (- wie man es in Prag geme nahm) sehen wollte. Der Unterschied dieser katholischen Philosophie zu dem übrigen Ganzen des tschechischen Philosophiegeschichte ist sodenn nicht sosehr auf die weltanschaulichen als eher auf die andersartikulierten Elemente der Patriotismusidee zurückzuführen. SUSIL als Philosoph wurde in erster Linie ein Klassizist: seine „Anthologie" 26 klassischer Texte faßt u.a. CATULLUS, OVIDIUS, PROPERTIUS und MUSAEUS zusammen. Als Priester wendet sich SUSIL gegen den „HUS'-Kult" als gegen die Vergötzung der unechten Tradition entgegen, und die Flamme von Konstanz läßt ihn an die unselige Tat von HEROSTRATOS erinnern. Andererseits stellt sich SUSIL auch einem nationalgleichgültigen katholischen Rom gegenüber 27 , in welchem die Päpste und Kardinäle, „die den Geist von CHRISTUS verachten", das Schicksal der Kirche entscheiden. Es besteht keinen Zweifel darüber, daß in dem Streit zwischen SUSIL und PALACKY auch einige persönliche Momente erklingen, die mit einer Philosophiegeschichte kaum etwas zu tun haben: die grundlegend konträre weltanschauliche, und auch politische, Position ist jedoch eine bloße Tatsache. Die sonst wenig originelle Philosophie des tschechischen Katholizismus wurde doch zum wichtigen Kriterium der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der philosophischen Disziplinen und verdient sodenn auch entsprechende Aufmerksamkeit.
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für den wichtigen Fr.SuSlL nur eine winzige und imgrunde verächtliche bibliographische Notiz hat... Zum Thema ,.Mähren" siehe vor allem: HYSEK, M.: „Literami Morava 1849-1885" („Litterarisches Mähren", tsch.), Prag 1911; DVORAK, R.: „Fr.M. KLACEL a zalození „Moravskych novin" ν r. 1848" („Fr.M. KLACEL und die Begründung der „Mährischen Zeitung" 1848), ÖMM XXXII KLÁCEL, Fr.M.: „Kosmopolitismus a vlastenectví s obzvlástním ohledem na Moravu". („Kosmopolitismus und Patriotismus, mit besonderer Rücksicht auf Mähren", tsch.), ÖÖM, 1842. Unter diesem Gesichtspunkt scheint der Gesamttitel des Hauptwerk PALACKYs, „Geschichte des tschechischen Volkes, in Böhmen und Mähren", eine neue Bedeutungsdimension zu gewinnen ... SUSiL, Frantisek: Anthologie", Brünn 1864. SU§IL, Franti Sek: „Rüie a trní" („Die Rose und die Dornen"), Brünn 1851. Zum Thema „Katholische Philosophie" siehe ein selbständiges Kapitel im III.Teil meiner Trilogie.
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II.
Der Heiland ( T . G . M A S A R Y K : T s c h e c h i s c h e G e s c h i c h t e als p h i l o s o p h i s c h e s T h e m a )
„Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken. Nehmet mein Joch auf euch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen." (Matth 11, 28)
1.
Ein unzeitgemäßer Charismatiker ( D i e Persönlichkeit und ihre Bedeutung in der t s c h e c h i s c h e n Kultur: T.G. M A S A R Y K und sein b e s o n d e r e r Stellenwert)
„Seid hait! Vernunft nimmt der Schädel der Tschechen nicht an, aber für Schläge ist auch er zugänglich ... Wer nachgibt, der muß es wissen, daß er entweder seine Kinder oder wenigstens seine Enkel tschechisiert." (Theodor MOMMSEN, „Neue Freie Presse", Nr. 11932, 31. Oktober 1897)
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Unruhig war die Zeit. Nach der verlorenen Schlacht bei Solferino (1859) sah sich der Kaiser Franz- Joseph I. der Notwendigkeit gegenübergestellt, etwas mehr Freiheit „seinen Völkern" anzubieten, um die Integrität des habsburgischen Reiches weiter noch zu bewahren. So wurde am 20. Oktober 1860 das sog. „Oktober-Diplom" erlassen, wonach der Kaiser zugunsten dem Wohl des Reiches auf das Absolutismusprinzip verzichtet hat. Gleichzeitig wurden die neuen Prinzipien der Staatsverwaltung (im Sinne der reichseinheitlichen Interessen - vor allem im Bereich der Finanzen, der Armee, der auswärtigen Interessen, des Handels und des Verkehrs) artikuliert: die einzelnen Länder haben sich nun über die besseren Aussichten der Kulturautonomie freuen dürfen. Vor allem wurde zugestimmt, die Landtage der einzelnen Länder der Donaumonarchie als eigentliche Subjekte der Gesetzgebung zu befördern. Die neue, die „oktroyierte" Staatsverfassung (deren Urheber Anton SCHMERLING wurde) hat den „nicht-ungarischen" Ländern der Monarchie doch allzuwenig von diesen zugesprochenen Freiheiten zugeteilt.1 So war die „Februarverfassung" (vom 26.2.1861) von Anfang an gescheitert: der kaiserliche „Reichsrat" wurde von den Ungarn und Italienern boykottiert, und auch die Tschechen, die zuerst zu einem möglichen Kompromiß neigten, haben den Reichsrat später verlassen. Erst die folgende, um sechs Jahre später erlassene „Dezember-Verfassung" (aus dem 21.12.1867), die imgrunde bis zum letzen Ende der Monarchie galt, hat für gewissen „Ausgleich" gesorgt: zumindest von den ungarisch verwalteten Ländern. Weil dieser Ausgleich aber ohne die tschechische Teilnahme abgeschlossen wurde, sind die tschechischen Reichstagsabgeordneten in ihrer Opposition gegen Wien geblieben und haben schon 1868 ihren selbständigen Standpunkt in einer „Deklaration" formuliert. Der Kaiser versprach demzufolge „schon" 1870 sich bald zum tschechischen König krönen lassen. Das komplizierte und schwerfällige hin und her der Prag-Wien-Politik der 70er Jahre hat zuletzt einen gewissen Erfolg in den sog. .fundamental-Artikeln" gebracht: nach der Veröffentlichung der, nun immer noch unwesentlichen Freiheiten, wonach die tschechischen Länder den anderen imgrunde gleichgestellt worden waren, hat sich bald darauf wieder eine mächtige Protestwelle - sowohl in Ungarn, als auch in den deutsch-sprachigen Ländern der Monarchie - erhoben. So ließ der schwer geprüfte Kaiser die fundamental-bodenlosen Artikel wieder fallen. Die Abgeordneten von Mähren haben den Reichstag bereits 1873 wieder betreten, die Politiker von Böhmen sind ihnen 1879 gefolgt. - Solcherart war die Kulisse für die Uraufführung der neuen, nun echt politischen Philosophie in Böhmen. Es ist die Persönlichkeit, die der absolute Anfang des Gedankens ist. Alle großen Bewegungen, alle großen Initiativen gehen von der Persönlichkeit aus und über sie hinaus. Und es ist „die Welt im Menschen", in ihrer unwiederholbaren Gestalt, die ein zureichender Grund für die Überzeugung von der Grenzlosigkeit des Menschen ist. Nun, es wurde doch, gemäß poetischer Erzählung des Buches „Genesis", nicht eine intellektualle Tat, sondern ein Liebesakt des Schöpfers, durch welchen die Welt in ihre Existenz gesetzt worden ist: so bleibt dies auch als ein grundlegendes Gesetz der Weltbewegung, durch welches die Welt feststeht. 1
Das Flüsschen Leitha hat dabei eine schicksalhafte Rolle gespielt: demgemäß wurde die ganze Mocharchie auf eine „Vorlitauische" und „Hinterlitauische" d.h. ungarische Hälfte verteilt.
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- Der Mensch und seine Welt. Es gibt etwas wie eine bilateral verpflichtende Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Welt als Existenzprinzip des Seins: sofern dies für den Menschen auch sinnvoll ist. An dem Namen dieses Prinzips liegt nicht so viel, wie man auch glauben dürfte: es gibt viele Namen für das, was unter dem „Prinzipiellen" des Seins, als „Anfang", als Ausgangspunkt gedacht wird. Das Prinzip bleibt jedoch, in seiner einzig wichtigen Bedeutung, als das Gemeinsame bestehen, was den Menschen mit seiner Welt, was ihn mit seinem Mitmenschen verbindet. Und nur in dieser Ich-Welt-Beziehung ist auch nach dem Begriff eines Charisma zu suchen.
Das eben muß gesagt werden, um die besondere Bedeutung und den besonderen Stellenwert Thomas Garrigue MASARYKs für die Kultur, für die Philosophie und Wissenschaft seiner Zeit besser zu begreifen. Das Charisma MASARYKs gehört zu jenen seltenen, denen man in der Philosophiegeschichte nur ausnahmsweise begegnet (und denen man im böhmischen Kulturraum kaum einmal überhaupt eine Chance geboten hat): der Denker (nicht so sehr ein „Philosoph" bloß ein „Denker" eben) MASARYK ist nahezu ein Proton aletheion des tschechischen Denkens und ein Synonymum einer idealistisch-gewinnlosen und überpersönlich hoch engagierten Idee einer tschechischen Erneuerung. In einer Berufung erklingt die evangelische Ansprache des Göttlichen: es ist ein spirituelles Prinzip (trotz allem gewollten „Realismus"), als ein an der sozialen Pseudowirklichkeit unabhängiges Sein, das sich in seiner Persönlichkeit konzentriert, und das zum leitenden Motiv der Auswirkung MASARYKs wird. Es ist das gleiche Prinzip, das die Persönlichkeit zur absoluten Einheit mit ihren Werken bringt, und durch welches der Mensch in unmittelbare Verbindung mit dem Akt der Schöpfung tritt, keiner äußerlichen Institution Untertan. Nur unter diesem Standpunkt ist der hartnäckige Individualismus MASARYKs zu verstehen, mit dem er sein Programm einer nationalen Selbstständigkeit durchkämpft. Thomas MASARYK ist ein Individualist des guten alten Schlages. In der Mitte des „Zeitalters des Dampfes und der Zivilisation" geboren, behielt er in seinem Zugang zur Realität philosophischer Werte eine denkerische Großzügigkeit, die die Begründer des Individualismus - vor allem Jeremy BENTHAM, Adam SMITH, Auguste COMTE, John Stuart MILL charakterisiert, und die den wenig glücklicheren tschechischen Zeitgenossen nicht gegeben zu sein scheint. Als Attribute derer kann man MASARYKs Respekt gegenüber der ganzheitlichen philosophischen Tradition (möchten ihr auch sympathische oder asympathische philosophische Muster innewohnen) und seine Entschlossenheit betrachten, einen kompromißlosen Kampf gegen jeglichen intellektuellen Nihilismus (und für jede, nur echte) Modernität zu führen. Einen Kampf: keine monologische Plauderei, die die vier Wände des Forschungszimmers nicht überragt - denn dieser Mann ist als „ein Mensch geboren, und das heißt ein Kämpfer sein" (SCHILLER). Die denkerische Bedeutung MASARYKs liegt nicht nur auf der Linie seiner Generation. Sie gehört schon bald nach seinem Tode der großen Geschichte der europäischen idealistischen Philosophie an (sofern man die Persönlichkeits- Idee unter diesem einfachen Begriff bezeichnen darf), in einem noch bedeutenderen Sinne bleibt jedoch sein Werk als ein Zeugnis für die Kommenden, als ein Beweis der möglichen praktischen Auswirkung einer politischen Philosophie, im Guten und im Schlechten, beste-
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hen. Thomas MASARYK lebt, in seiner Philosophie und in seinem Werk, in einer überzeitlichen Gegenwart der moralischen Werte - diese absolute Gegenwärtigkeit ist dasselbe wie das unbedingte Verlangen nach dem Göttlichen im Menschen - und wagt man heute noch überhaupt zu glauben, ob dieser Mann ein Bote Gottes oder bloß ein Mensch gewesen war... Nun, die in die Zeit geworfene und durch die Zeit stilisierte Philosophie, wenn sie auch vollständig artikuliert wäre, verlangt doch nach einem solchen Menschen, der sagen dürfte, „Früher als Abraham geboren wurde, war ich..." Und dieses, MASARYKs, rein schöpferisches Ego, dieses manchmal unterträglich unangenehmes und den Zeitgenossen moralistisch widriges „Ego sum", wurde eben mit jener innerlichen Stimme identifiziert, die zum Philosophen spricht und ihm das Geheimnis des Göttlichen mitteilt. So kennt er kein besonderes Synonymum für Modernität, so erkennt er nur das Große und das Kleine der Werte an. So kümmert er sich kaum um ideologische Kriterien der zeitgenössischen Kritik, und greift, in sicherer Intuition, über den Zeitpunkt des gegenwärtigen Augenblicks hinaus, um den moralischen Wert des Denkens unmittelbar, gnadenlos unpersönlich und doch rein subjektiv auszudrücken. Man könnte kaum sagen, in MASARYK ist das tschechische Denken zu seinem Höhepunkt gelangt: solch einer wurde, nach wie vor, dem tschechisch sprechenden Kulturkreis, noch nie gegeben. Und er übrigens, gehört nicht sosehr dem lokal-tschechischen als eher einem böhmisch-österreichischen, und, über die Grenzen der Donaumonarchie hinaus, doch von ihr heraus, einem europäischen denkerischen Typ an ja, er gehört dem nur-tschechischen Denken ebenso wenig an, wie ein KANT der preußischen, ein Jean PAUL der deutschen Philosophie, ein Giovanni MYSLIVECEK der italienischen, ein J.V. STAMIC der deutschen und ein Frederic HAENDEL der englischen Musik angehörten. Nun, eben solche sind zu den allerhöchsten Aufgaben vorausbestimmt geworden. Oft, allzu oft zitiert, wenig verstanden, oft angegriffen, später tabuisiert und mißbraucht: solches war das Schicksal seines Gedankens, seines Erbes. Und er selber hat das mitverursacht: da er sich so restlos, so offenherzig der Geschichte eröffnet hat. Thomas MASARYK: eine imgrunde rätselhafte Figur der böhmischen Denkgeschichte. * * *
Ein unbefangener Beobachter der Geschichte und Leser der zeitgenössischen Literatur am Bruch des 19./20. Jahrhunderts hätte leicht den Eindruck gewinnen können, es gab in Prag damals nur einen einzigen Philosophen, Soziologen und Politiker: und der hieß MASARYK. Dieser Eindruck entspricht jenem Nimbus, mit welchem sich dieser Mann, nach seinem entscheidenden Sieg im Jahre 1918 umhüllt und mit welchem ihn die eifrige, begeisterte, aber auch unkritische patriotische Öffentlichkeit überflutet hat.2 2
Um diesen Eindruck loszuwerden, bedarf es einer ungewöhnlich gründlichen Erfahrung mit der tschechischen Literatur, einer vorbehaltlosen Efahrung, die nicht leicht zu gewinnen ist (und die kaum von der unterschiedlich stilisierten MASARYKs-Literatur zu gewinnen wäre). Die vielfache Empfindlichkeit der tschechischen Politik hat sich dazwischen, in den nahezu fünfzig Jahren nach dem Tode MASARYKs, neue traumatische Affinität zugebracht, durch welche der Name „MASARYK" in einem Atem mit einer politischen Opposition, dem Kommunismus gegenüber, nach 1948 stets in Verbindung steht. - Die sonst sehr bedürftige Distanz zum wahren Sinn und zur historischen Rolle der politischphilosophischen Konzeption MASARYKs hat die neueste tschechische Literatur (Josef KALVODA, Eva SCHMIDT-HARTMANN, MiloS VITULA u.a.) zurecht betont.
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Daß man jedoch - den sonst ganz großen Mann vom Hradschin 1918 - im Kontext der tschechischen Kultur und Politik gegen Ende des 19. Jahrhunderts gleichwohl als einen Außenseiter der tschechischen Politik, als ein durchaus fremdes Element der tschechischen Philosophie, als einen unbequemen politischen Draufgänger, und gleichsam etwas romantisierten „Realisten" und harmlosen Idealisten seiner Generation, zu betrachten habe, dies blieb einem breiten Strang der tschechischen Literatur verschwiegen und tabuisiert. Nun, erst von dem wirklich geschichtlichen Standpunkt her: um es einfacher zu sagen — erst dann, wenn wir den Philosophen MASARYK mit einem DURDÍK oder HOSTINSKY; den Psychologen MASARYK mit einem KUFFNER; den Historiker MASARYK mit PEKAR; den Politiker MASARYK mit einem KAIZL, KRAMÁR (aber auch anderen, nicht so hochkaratigen doch erfolgreichen Männern der tschechischen Politik der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts) vergleichen - erst dann taucht die allereinfachste Möglichkeit auf, das bloß-Tschechische einer imgrunde internationaldenkenden Persönlichkeit MASARYKs auch besser zu verstehen, und demzufolge dem Charakter und Sinn der Bedeutung MASARYKs für die böhmische Philosophiegeschichte mehr gerecht zu werden. - Schwierige, undankbare Aufgabe. Nun, eine unbefangene Betrachtung dieser Ausnahmepersönlichkeit der tschechischen Geistesgeschichte kann uns somit gleichsam eine grundlegende Polarität der politischen Philosophie MASARYKs offenbaren, als auch die Zwiespältigkeit seiner tatsächlichen Wirksamkeit, im Rahmen der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, im inneren Widerstreit der Tendenzen MASARYKs zur innerlichen Integration seines Werkes und zur Selbstbehauptung seiner politischen Konzeption der „tschechischen Frage" zu erkennen geben.
„Der gesamte Sinn unserer Geschichte liegt darin: das humanitäre Ziel von der moralischen und rationalen Seite zu begreifen; völlig das begreifen, daß die reine Menschlichkeit keineswegs zum bloßen aufklärerischen Stichwort werden kann, sondern daß die Mühe von DOBROVSKY, KOLLÁR, PALACKY, HAVLÍCEK zum Streben eines Jeden von uns, unser aller Streben werden muß: daß die Humanität, als Ziel und Programm des Volkes, auch unsere Volkstaktik regeln muß". (Th.G. MASARYK, „Tschechische Frage", Prag 1969, 154.) Der „Sinn der tschechischen Geschichte" (MASARYK glaubt in diesem Thema die Schlüsselfrage der tschechischen Philosophie entdeckt zu haben) hängt in einem jeden Werk MASARYKs mit der Frage nach dem Religiösen dieser Geschichte untrennbar zusammen. Nun, schon in der Suche nach dem „Sinn" erhebt sich die Frage, was eigentlich unter dem religiösen Element der tschechischen Geschichte verstanden werden soll: da sollte gleich von Anfang an klar sein, daß die Sinnfrage nicht einfach ein Problem ist, das nur die Historiographie, nur die Geschichtsschreiberei anginge. Da hat der Soziologe MASARYK in seinem Streit gegen J. PEKA& zweifelsohne Recht gehabt. „Heute lautet das religiöse Problem: Kann es eine nicht-offenbarte Religion geben? Kann der wissenschaftlich, der kritisch Denkende, kann der Philosoph eine Religion haben, und welche?"3
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MASARYK, Th.G.: Rußland und Europa, I, 178-179.
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Allerdings, es handelt sich bei MASARYK um eine keineswegs traditionelle Religiosität, sondern um eine „philosophische Religion" von einem zeitgemäß modischen Anschlag 4 , welche die säkulare Philosophie nach 1900 in Europa stark geprägt hat. Dies Philosophisch-Religiöse kommt bei MASARYK, in seinem Werk, nicht eben sporadisch zum Vorschein: vielmehr durchdrängt es sein Werk im wachsenden Maße als tragendes, sinnbestimmendes Ferment. Es bedarf keiner besonderen Betonung und nicht ausdrücklicher Artikulation, um diese „Religiosität" zu finden - es reicht einfach irgendein Buch M A S A R Y K s aufzuschlagen - denn es ist ihm als eine von innen her belebende Idee eingehaucht. Zur selbständigen Formulierung seines religiösen Standpunktes gelangt MASARYK erst später; besser gesagt, lange Zeit hat er es gewagt mit seinem, deistisch-wissenschaftlichen Glaubensgeständnis öffentlich aufzutreten. In einem, in moderner Zeit wohl bekannten Sinne, verlangt MASARYK einer, auf wissenschaftlicher Kenntnis, auf Überzeugung und Rationalität begründeten Weltanschauung als eine Art von philosophischer Religion „des modernen Mesnchen", genug Raum zu bieten, wobei er an die von William JAMES gefundene „religiöse Erfahrung" erinnert. (Die „außergewöhnliche Erfahrung" von JAMES lehnt er doch ab.) Das religiöse Problem erscheint für MASARYK vor allem unter dem Gesichtspunkt seiner konkret-politischen Aspektation: als der wichtigste Akzent der MASARYKschen Politik schlechthin. - „Zur Idee der Brüderlichkeit", sagt er in „Jan HUS", „sind wir durch unsere religiöse und moralische Entwicklung geraten; die religiöse Idee doch, die Idee einer religiösen und moralischen Reform, wurde über mehr als 400 Hundert Jahre lang zum sichtbaren und lesbaren Inhalt unserer Geschichte." 5 Ein typisches Merkmal des Ideologen: auch religionsphilosophisch wird das für MASARYK die „Humanität" zu einem zentralen Begriff. Bezeichnend ist für ihn, daß „Humanität" vielfach in Zusammenhang mit dem aus HUS' Idee stammenden Begriff der geistigen „Besserung" auftritt und als eine dauern zu leistende Aufgabe verstanden wird. 6 Im Bezug darauf findet bei MASARYK eine subjektivierte und psychologisierte, j a geradezu sentimentalisierte, Auffassung dieses Begriffes statt. Ergebnis ist, daß die „Humanität" nicht mehr im Objektiven, auf die Politik als Ganzes bezogen betrachtet, sondern vielmehr auf die Erregung der philosophisch- religiösen Gefühle im Individuum eingeschränkt wird. Beachtet man die Entstehungsfolge der einzelnen Werke 7 , so erkennt man die 4
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Vor allem die Einflüsse der „Völkerpsychologie" sind da bei MASARYK von bedeutender Relevanz: seine Beschreibung „des Russen" (gemeint DOSTOJEWSKY) in seiner Religiosität, zum Unterschied zum „Germanen"oder „Slawen", seine Darstellung der „tschechischen Religiosität", seine Reflexionen zum „Katholiken" und „Protestanten", schon der ganze Ausdruck „der moderne Mensch", das alles bringt zahlreiche Beweise darüber, mit welcher Leichtfertigkeit MASARYK die „Soziologie" mit den halbjournalistischen Betrachtungen identifiziert hat. - Siehe die Vorträge MASARYKs aus dem Jahre 1898 (in der Auswahl „Jak pracovat?"(„Wie zu arbeiten?"), Zürich 1977, 20f MASARYK, Th.G.: „Jan HUS", Abs. 10, 49. „Unsere Religion stellt nicht den Glauben an Gott, sondern die Hoffnung an ein ewiges Leben auf die erste Stelle... Die Religion ist das Bewußtsein des Lebenssinnes: sie ist zentrale und führende Kraft des Lebens, sie ist das Anstreben eines neuen Lebens, neuer, höherer Werte..." MASARYK, T.G.: „V boji o nábozenství" („Im Kampf um die Religion"), Prag 1904, 27. Siehe: „Der moderne Mensch und die Religion" (Moderni clovëk a nábozenství"), ND 1897; als selbständige Broschüre Prag 1934.
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wachsende polemische Stimmung gegenüber dem Christentum (und ganz besonders gegenüber dem katholischen Christentum) seiner Zeit, die mit dem Standpunkt einer „humanen Religion" kaum etwas zu tun hat: innerhalb dieser Polemik ist M A S A R Y K s Darstellung des Christlichen immer mehr auf das politisch-äußerliche der Kirchenstruktur gerichtet - das Innigste des Christentums wird doch kaum bemerkt. E s ist als wesentlich festzuhalten, daß M A S A R Y K zur Verbreitung seiner religiösen Überzeugungen eine weitverbreitete Literaturform wählt: dem Leser sollte sich dadurch die Möglichkeit eröffnen, den Weg zum humanitären Religionsverständnis über die ihm erreichbaren und vertrauten Wege zu finden. So knüpft M A S A R Y K bewußt an die evangelische Ansprache des tschechischen Hussitismus an. Besonders die faszinierende Sprache der Reformation offenbart den Willen M A S A R Y K s , eine schlichte, aber gleichwohl als deutlichen Hinweis des Ewigen im Menschen zu verstehende Neureligion zu begründen. Es sollte dem Leser der Bücher M A S A R Y K s , auch dem allereinfachsten, mit klar verständlichen Worten die Möglichkeit angeboten werden, nicht die christliche Lehre nahe, näher zu bringen, sondern (nicht aber „im Gegenteil" zum Christentum eben: dieser Unterschied bleibt bei M A S A R Y K ziemlich verdunkelt) „die wahre Lehre", den wahren Weg der Wahrheit zu zeigen, das Wahre der Philosophie - und Religion - vor Augen führen. Durch gute Vorbilder sollten dem Menschen Zeichen und Hinweise des aufrichtigen Existierens vorgeführt werden. In dieser Überzeugung werden nicht nur die pädagogischdidaktischen Aspekte M A S A R Y K s deutlich, sondern gleichsam auch der „missionarische Anklang", der für seine Lehre der ,bleuen Humanität" kennzeichnend ist. 8 Zum ersten ist dies von der direkten Ablehnung der „Römischen Kirche" getragen, die, in Österreich-Ungarn de facto zu einer Staatskriche erhoben, im Bewußtsein vollkommener Selbstgerechtigkeit lebte (so zumindest empfand es M A S A R Y K ) : besonders die kirchliche Obrigkeit, mit dem Vatikan obenan lebte M A S A R Y K zufolge in der selbstzufriedenen Sicherheit, daß alles in der rechten Ordnung sei. M A S A R Y K wendet sich nun gegen diese institutionalisierte Kirchenlehre, die das Christentum zu einer historisch gewachsenen Veranstaltung werden läßt, auf der sich jedermann gerne zeigt, mit der man sich arrangiert und die zu einem beruhigenden Sicherheitsposten in der menschlichen Existenz geworden ist. So kehrt M A S A R Y K auf das Urevangelische der tschechischen Reformation zurück und erklärt, im Sinne von HUS, Christ sein heißt existenzbedrohendes Leiden, hieße Angst bis zum Tode, qualvolles Offenbaren der menschlichen Sündhaftigkeit, endlich auch Negation des irdischen Daseins und all seiner fadenscheinigen Werte (und damit eigentlich die Sehnsucht nach dem Tode): so stellt er dann logischerweise dem Christentum eine lebenswürdige Humanität gegenüber. 9
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- „Die religiöse Frage und moderne Philosophie"(„Nábo£enská otázka a moderni filosofie") ND 1897. - „Im Kampf um die Religion" („V boji o náboíenství"), Prag 1904. - „Die neueste Religionsphilosophie" („Nejvovejsi filosofie nábozenství"), Chicago 1907. - „Die Intelligenz und die Religion" („Inteligence a náboíenství"), Prag 1907. - „Die Wissenschaft und die Kirche" („Vëda a církev"), Prag 1908 - alle zitierten Werke tsch. „Das Humanitätsideal - dies heißt Leben, nicht Tod. ... Der Tod weicht dem Leben aus. Diese Hoffnung, diese Aufgabe, dies ist das Erbe der tschechischen Reformation." MASARYK, Th.: „Vortrag zum 6. Juli 1915"; in: „Jan HUS", 1979, 183. Außer acht ist bei MASARYK wohl das geblieben, daß es nicht nur der Tscheche HUS, sondern noch viel deutlicher der Deutsche LUTHER wurde, welcher dieses Religionsverständnis zum Vorschein gebracht hat: „... Wer nicht in Christo Gott findet oder kriegt, der solle außer Christo nimmermehr und nirgend Gott haben noch finden, wenn er gleich über den himmel,
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Grundsätzlich für MASARYKs Religionsverständnis also ist es, dem Menschen keine verstandesmäßig erfahrbare „Kenntnis" Uber das bloß Religiöse nahe zu bringen. Sondern, ihm geht es um das Einüben eines echt menschlichen Grundverhaltens, um die Forderung, der Mensch müsse seine Religion im Vollzug seines Lebens ausdrücken: es geht MASARYK um das religiöse Dasein des Menschen als persönliche Leistung. So verbindet MASARYK mit seinen religiös orientierten Werken eine Wirksamkeit, die über das bloß Philosophische einer Humanitätsreligion hinauszielt, indem sie eine „erzieherische" Absicht verfolgt: die Menschheit zur humanen Religion zu erziehen, besser gesagt, zurückzuführen. Diese missionärische Sendung von MASARYK ist im Sinne einer einst hussitischen Idee zu verstehen, in welchem das Hussitentum nicht die Schaffung einer neuen Kirche angestrebt, sondern die Wiederherstellung der alten, in ihrer ursprünglichen und wahren Form, verlangt hat. So wurde die böhmisch-brüderliche Idee mit der Mahnung einer zweiten Mission, und zwar innerhalb der mittelalterlichen Kirche, innigst verbunden. So versucht nun MASARYK die verlorene Kontinuität und die noch nicht erneute National- und Volksidentität aufgrund der wahren Religion 10 , des Urchristentums zu schaffen, derart, daß er die Reformation und die Gegenwart keineswegs als zwei klar voneinander abzugrenzenden Epochen, sondern als eine, über die Jahrhunderte hinausragende und in der Abgrundtiefe der Weltanschauung engst verbundene Stadien desgleichen geschichtlichen Prozesses, nimmt. „Tábor ist unser Programm!" - Ein merkwürdiger Politiker, für welchen die Zeitgeschichte nahezu keine, die groß geschriebene „Geschichte" (in der Rolle einer Übergeschichte wohl) die allerentscheidendste Rolle zu spielen hat. Sich für oder gegen Christus zu entscheiden: also die Freiheit. Hier stimmt MASARYK wunderbar mit allen Religionsgründern der modernen Zeit, mit HUS, LUTHER, ZWINGLI, CALVIN ua. zusammen. In solch einer Religionsphilosophie vertritt MASARYK, nur scheinbar einem Christentum gegenüber, einen, auf dem persönlichen Glauben an persönlichen Gott beruhenden, Theismus; verlangt doch im gleichen Atemzug nach einer „freien Religion", im Rahmen deren ein jeder Mensch Uber seine religiösen Äußerungen verfügen könnte, und sie auch seiner persönlichen Kritik unterstellen dürfte. Dieser „Theismus" steht wohl einem aristotelischen το πρβχον κινούν selir nahe ... So erscheint, unter diesem „wissenschaftlichen Vorbehalt", die humanitäre Religion MASARYKs als ein imgrunde philosophisch konstruiertes Prinzip, das das Ewigkeitsproblem auf dem durchaus irdischen Wege eines aufrichtigen Lebens, doch „sub specie aeternitatis" aufräumen soll.
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unter die helle, außer der Welt führe..." - So sehr chistlich ist die „Humanitätsreligion", so wenig tschechisch die „Tschechische Frage"... Vom Standpunkt des Katholizismus hat die politischen Aspekte der MASARYKschen Stellungnahme zur Religion vielleicht am konsequentesten Josef KALVODA, in den USA lebender tschechischer Politologe und Historiker analysiert. Siehe vor allem seine Vorlesung „Der Kampf um die geistige Orientierung der Nation" („Zápas o duchovní orientaci národa") auf dem Symposium der „Konföderation der tschechischen christlichen Exil-Mitarbeiter", Lisle (Illinois), 23.10.1983; tschechisch erschien in „Nase Hlasy", 29.10.83, bzw. die Fortsetzung am 12.11.1983. Dies hat MASARYK gegen die pseudopatriotische Ideologie, gegen den „patriotischen Jesuitismus" (wie er es überschwenglich nennt) eines JUNGMANNs, und gegen die liberalistisch- neutralen Elemente „voltairianisch-wielandischer Art" überhaupt zugespitzt: der geistige Vorgang eines ketzerischen Theologen in der Tat ... Siehe: , Jan HUS", Abs. 9, 42-43.
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Im Sinne seines geliebten Lehrers Franz BRENTANOs suchte M A S A R Y K nach einem goldenen Schnitt zwischen philosophischen Dogmatismus und einem Subjektivismus der freien Menschenwahl: nach einer Synthese von Empirismus und Rationalismus, Sensualismus und Intellektualismus, die Gefahr des Eklektizismus dabei offensichtlich unterschätzend. Das tertium comparationis dieser Mühe: die neue Philosophie sollte, über die Grenzen einer bloßen wissenschaftlichen Erkenntnis hinweg, eine metaphysisch-politische Aufgabe erfüllen, um ihrer Sendung gerecht zu werden - dies hat M A S A R Y K auf dem Wege seiner philosophischen Religion in die Nähe einer mittelalterlich-christlichen Philosophie gebracht ... So HUS, so COMENIUS werden bei M A S A R Y K zwar zu Vorarbeitern der tschechischen „humanitären Idee", gleichsam aber infiltriert aus diesen Quellen die heilige Philosophie einer Versöhnung von ratio und intuitio, eine Synthese der Erfahrung und Gedanken, der logischen Evidenz und moralischen Gewißheit her. Diese überraschende Übereinstimmung M A S A R Y K s mit der scholastischen Philosophie des europäischen Mittelalters 11 , sein Streben nach einem „milden Rationalismus", ist wahrscheinlich auf die Auswirkung von Franz BRENTANO im Innern der Philosophie M A S A R Y K s zurückzuführen. Weil M A S A R Y K aber das Religionsproblem in den Bereich der Gefühle auswies, hat er unter den katholischen Philosophen seit Anfang an kompromißlose Kritiker gefunden. 12
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Darauf hat Josef KRATOCHVIL in seinen „Meditationen" hingewiesen; siehe: „Meditace vëkù" („Meditationen der Jahrhunderte"), IV, 355-356. Siehe: KONEÖNY, Frantisek Filip OP: „Jak pise prof. Dr. MASARYK o katolické vëdë a vffe?" („Wie schreibt M. über die katholische Wissenschaft und den katholischen Glauben?"), Prag 1891; siehe auch: JEMELKA, Alois: „MASARYKüv boj o nábozenství" („Der Kampf MASARYKs um die Religion"), Prag 1905.
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2. Das religiöse Problem der tschechischen Geschichte (Das Problem einer nicht-offenbarten Religion. Die Religion der „Humanität": zum Problem einer religiösen Freiheit. Die Religion und die Politik.)
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Aus dieser Auffassung heraus muß sich M A S A R Y K gegen die christliche Kirchenlehre wenden, denn diese eben vermeint, das Absolute, also „Gott", müsse durch eine Legende bewahrt werden (die fundamentale Absage M A S A R Y K s an die scholastische christliche Religion läßt sich erkennen). So stellt M A S A R Y K Christus in die Reihe „großer Männer" der Geschichte schlechthin ... Demnach steht Christus nicht in der Verlorenheit der Zeit, sondern in der, alle zeitlich aufeinanderfolgenden Geschehnisse aufhebenden, Zeitlichkeit, in einer alle Räume überwindenden Gegenwärtigkeit: der wahren Geschichtlichkeit eben . . . Die Religion: die Aufforderung zu glauben ... Und sonst kaum auch etwas anderes, so M A S A R Y K . 1 3 Die Religion ist für M A S A R Y K ein totaler Ausdruck der Totalität der Menschenexistenz. - In dieser deutlichen Distanz zur theologisch philosophischen Tradition stellt M A S A R Y K das Problem der Religionsphilosophie zur Erörterung: das Phänomen der Religion ist für ihn eines der Hauptthemen der modernen Philosophie, und man habe ihm einen überragenden Rang einräumen müssen. Dabei werden besonders die anthropologischen Aspekte, und die aktuell politischen Fragezeichen der religiös gestellten Welt- und Menschenfrage akzentuiert. 14 Weit über eine bloß-menschliche Welt hinaus sollen sodenn die apriori gegebenen Werte hinausgehen, sollten ihre Gründe - nicht nur im begrenzten Bereich der anthropologisch-menschlichen Existenz, sondern eher im Bereich eines menschlich-Sinnvollen, gefunden werden. Nicht nach seinem eigenen Bild, wie es F E U E R B A C H vorausgesetzt hat, sondern nach dem Paradigma des göttlichen Kosmos hat sich der Mensch, so M A S A R Y K , gestaltet. Es läßt sich leicht ersehen, wie wenig es M A S A R Y K um eine bloße Annahme einer philosophischen Lehre und das Verständnis einer, irgendeiner Philosophie geht: es geht ihm allein um die Verwirklichung der wahren Humanität. Aus dieser Grundorientierung M A S A R Y K s entsteht auch seine Frage nach dem Sinn der Geschichte, der tschechischen im Besonderen 1 5 , und wird zur Frage nach dem menschlichen „Selbst" schlechthin. Aus diesen Vorstellungen heraus versucht M A S A R Y K auch die Wahrheitsfrage zu entwickeln: denn, und dort ergibt sich das Kernwesenhafte der „Tschechischen Frage", es geht nicht darum, die Wahrheit zu wissen, sondern die Wahrheit - und in der Wahrheit - zu leben . . . Der Gegensatz von Wissen und Glauben ist daher auf den Gegensatz der Existenz eines Volkes und eines Menschen zurückzuführen. So kann auch die Religion der Humanität (die christliche Religion, unter Umständen, einbezogen) nicht die Wahrheit sein im Sinne eines Ergebnisses, sondern sie muß als
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Eine ganze Reihe von Ungereimtheiten, oberflächlicher Charakteristiken, politischer Strittigkeiten und persönlicher Bemerkungen verbindet sich bei MASARYK dort, wo er das Problem des Katholizismus behandelt. Da sollte bemerkt werden, daß diese Frage bei MASARYK, vielleicht am schwersten von seiner Religionsauffassung überhaupt, durch zeitgemäße Themen (zB. Unfehlbarkeitsdogma ua.) belästigt wird: so fühle ich mich auch nicht verpflichtet, diese zeitbedingten kurzlebigen Polemiken in allem Ernst abzuhandeln. Siehe zB. „Jan HUS", S. 50-51. Siehe die Bemerkung MASARYKs zur kultur-anthropologischen Umgebung des zeitgemäßen russischen Marxismus: „Die Krise innerhalb des Marxismus" („Krise ν marxismu", tsch.), ÖM 17, 1921, 145f. Siehe zB. „Jan HUS", 48: „Dieses philosophische Streben, welches nach dem Sinn der tschechischen Geschichte und nach der Sendung des tschechischen Volkes sucht, führt uns zum religiösen Problem: es ist das Problem des tschechischen Lebens und seiner Erklärung überhaupt ..."
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Weg verstanden werden - als gelebte Religion, in der Nachfolge Christi - auf dem der Mensch seiner Zukunft entgegengeht. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten wie sehr sich MASARYK mit diesen sonst religiösen Gedanken und Postulaten über alle zeitlichen und weltlichen Bildungsinhalte der Religionsphilosophie des Christentums hinwegsetzt, daß das Fortschreiten (oder zumindest die Versuche dessen) auf dem Wege des Heils nicht mit den Begriffen der Kultur- und Geistesgeschichte, geschweige schon mit der offiziellen Kirchenlehre, zu fassen ist: der Mensch, so MASAR YK, ist hierbei in eine zutiefst existentielle Krise hineingestellt. Die Religion der Humanität setzt demgegenüber voraus: im Zusammenstoß des irdischen, menschlichen Daseins mit seiner Sicherheit, seinen positiven Werten, die durch die bequeme Falschheit der Kirchenlehre sanktioniert wird, und dem Ewigen und seiner Möglichkeit des Heils, verliert der Mensch den Boden unter den Füßen. So sieht MASAR YK die Einübung in die Humanitätsidee - in einem und demgleichen Atem mit dem Gedanken an eine Tschechentradition - als den Akt der Selbsterziehung und Selbstbestimmung in einer Entscheidungssituation zwischen der Skepsis und dem Glauben: im Gegenüber mit der „Einheit von Gott und Menschen" darf die echte Menschlichkeit entstehen. 16 Nun, die philosophische Sprache MASARYKs scheint sozusagen zu aufrichtig, zu eindeutig, zu redlich zu sein, um bei allem Versöhnungswillen und Einverständnis, die Religion und Wissenschaft unter einen Hut zu bringen, nicht das Mysteriöse des Daseins wie eine Wunde der begrifflichen Philosophie offen zu lassen. Daraus lassen sich manche Ansätze und Anregungen, welche den Denker MASARYK wiederholt nicht nur gegen die „geoffenbarte Religion" trieben, erklären, sondern auch seine ganze Polemik, die ihn wiederum gegen die allzusehr materialistische Wissenschaft trieb: in nahezu systematischer Form wiederholt sich diese Frage in jedem Werk, in jedem Jahr bei MASARYK, auf jedem Schritt seiner sonst par excellence politischen Karriere und die Religion wird eben unter einem unecht religiösen Gesichtspunkt behandelt. Ob es also tatsächlich ,.religiöse Motive" bei MASARYK gibt, die seine politische Konzeption provozieren (oder ob es eher eine nachträgliche Religionisierung einer politischen Philosophie ist), diese Frage scheint überhaupt nicht einfach zu beantworten zu sein. 17
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„Nur so werden wir die Angst vor unserer Kleinheit los, die als ein ... Wurm in selbigen Innern der tschechischen Seele sitzt..." - Eine politische, eine echt religiöse Erklärung gleichzeitig... MASARYK, Th.: „Jan HUS", Abs. 9, 45. Doch wurde MASARYK einer der wenigen großen Charismatiker tschechischer Politik aller Zeiten: und meine vorhergehende Kritik sollte gleichzeitig als mein Ausdruck des Respekts zu seinem persönlichem Format und zur Reinheit seiner philosophischen Motive begriffen werden. Ja, dürfte ich es auch so sagen: es liegt mir, aus der neueren böhmischen Geschichte, persönlich kein Anderer als eben MASARYK näher. - Nun, amicus PLATO, Veritas amicior...
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3. Das Programm einer europäischen Philosophie in Böhmen (Ein Prophet aus der mährischen Provinz und sein Programm. Der Einfluß von J.G. HERDER: die Humanitätsidee. Zwischen Philosophie und Theologie. Die Revue „Athenaeum". Der dritte Wege der tschechischen Politik: der „Realismus".)
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Thomas MASARYK 1 8 kommt nach Prag auf die Art alter Propheten (die unbedingt 18
Keine andere tschechische Biographie als die von MASARYK klingt so märchenhaft, seit Anfang an und in einem jeden Punkt der Lebensgeschichte: die Vermutungen, es sollte sogar um einen illegitimen Sohn Kaiser Franz Joseph I. von Österreich gehen, obgleich nie bestätigt, haben die merkwürdige Lebensgeschichte umhüllt. (Da Seine kaiserliche Majestät, im blutjungen Alter der ganzen neunzehn Jahre, ihre Güter in Südmähren ungefähr neun Monate vor der Geburt des Philosophen visitiert hat... Da schweigt der Historiker, beschämt.) MASARYK, Thomas Garrigue (diese im böhmischen Bereich ungewöhnliche Namensverdopplung verdankt MASARYK seiner Frau, einer intellektuellen Amerikanerin, die er 1878 in den USA geheiratet hat und deren Namen er zu seinem eigenen einmal für ewig angeknüpft hat), am 7. März 1850 an einem Landhof am Rande eines winzigen Dorfes 6ejö (Göding, Südmähren), in allereinfachsten Verhältnissen geboren: sein Vater, Slowake, war ein Kutscher, seine tschechisch geborene, doch mit dem Söhnchen deutsch sprechende Mutter war eine Landarbeiterin: eine einfache Magd. - Sollte, nach einer, anderen Version, sein wirklicher Vater ein gewisser REDLICH sein (dem er anatomisch sehr ähnlich war), hätte man beide vorhergehenden Versionen beiseite zu legen ... Der Knabe, der sogar die Grundschule mit Verspätung zu besuchen begann, wurde zuerst Lehrling in einer dörfischen Schmiederei; dann - da kommt die erste Überraschung ein verspäteter, spätberufener Gymnasiast in Brünn (erste Konflikte mit den deutschsprechenden Professoren ...), noch später in Wien. Da hat sich ihm, aus unbekannten Gründen, eine wohlhabende Familie angenommen und ließ ihn, kostenlos, weiter studieren. Nicht nur das - es folgte das Philosophiestudium an der Wiener Universität (der Ersten der ganzen Monarchie), das mit dem „PhDr" Titel 1876 abgeschlossen wurde. Da hat sich der durchschlagkräftige, energische junge Gelehrte bereits um die Dozentur beworben, die er auch zwei Jahre später an der gleichen Universität erlangt hat. Mit der frischen venia docendi hat MASARYK seine Amerika-Reise (1878) unternommen und begann eine eifrige wissenschaftliche Tätigkeit (zwei Bücher im jährlichen Durchschnitt) zu entwickeln, die seine ganze Ausstrahlung wie nichts anderes charakteristisch geprägt hat. Der Ruf nach Prag folgte 1882: eine Kompromißlösung doch zuletzt - denn eine ständig unsichere finanzielle Situation zwang MASARYK (und, nicht vergessen, seine Familie), die Stelle in einer sonst fernen „Provinz" aufzunehmen, die einem „mährischen Slowaken" nahezu wie ein Anderes Deutschland kam. - Was wäre aus der tschechischen Politik MASARYKs geworden, hätte er einen Ruf nach Wien bekommen? Wäre er dann nicht dem Thron und Machtzentrum näher gewesen? Er sprach übrigens ein spärliches Tschechisch - seine grammatisch- reformatorischen Versuche späterer Jahre sind auf diesen gemeinsamen Nenner seines Sprachgefühls, das durch die südmährische Mundart mitbeeinflußt wurde, zurückzuführen. In Prag den Universitätsvätern bald unbequem, durfte er doch (wohl als nur Außerordentlicher Professor, für vierzehn Jahre ...) bleiben: die Politik ist ihm zum Ausweg aus den sonst wenig sinnvollen intrauniversitären Konflikten geworden. In der Tat war er ein politischer, und erst dann ein philosophischer Denker, im engeren Sinne des Wortes, geworden. Nach weiteren vierzehn Jahren nun schon ordentlicher Professur, immerhin noch im kleinen Prag, wurde er für die hiesige Kulturöffentlichkeit, mit seinen sechzig Jahren, zu einer Antiquität, die man lieber schon loswerden wollte: so wurde sein 60jähriges Lebensjubiläum mit solch einer unverdeckten Intention veranstaltet, daß der empfindsame mährische Hufschmied, mit Tränen in Augen, zu sagen hatte, „Ich glaube, ich muß noch zeigen, was ich kann ..." Das folgte im Jahre 1910. Ein undankbares Geschäft der Politik - an der Moldau vielleicht ein bißchen mehr bitteres Brot als woanders sonst. Nach dem Kriegsbeginn hat der vierundsechzigjährige als Emigrant seine tschechische Heimat verlassen, um gegen Osterreich, von außen her, kämpfen zu können: wäre das Motivhafte dieser Entscheidung in der Abschiedsfeier in Prag 1910 zu suchen? Nun, da beginnt erst die große Sage: aus dem sonst eleganten Schweizer Exil her, auf alle Seiten ausstrahlend, als freiwilliger doch wichtiger diplomatischer Reisender und Vertreter
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aus der Wüste unter die Menschen zu kommen hatten) und mit einem prophetischen Spruch - „Nicht Frieden, sondern Schwert", „Nicht Jesus, sondern Caesar!" - auf den Lippen. Vertieft und verinnerlicht bringt er die „Ideale der Humanität"mit sich nach Prag hinein, von den Ideen einer stoischen Ethik ausgehend und, wie er glaubt, über die geschichtlich bedingten Grenzen der christlichen Moral bis zu den Idealen des europäischen Neuhumanismus hinein, sein Programm einer neuen Philosophie erklärend. Doch die imgrunde christliche Auffassung vom Wesen der Menschenliebe und von Befreiung des armen Gläubigen vom Joch der Ausbeutung, erklingt bei MASARYK an manchen Stellen seiner Jugendwerke: die Idee einer allmenschlichen Verbrüderung scheint ihm das Allereinfachste der Ethik zu sein - die Menschen sollen nach einer Bruder-Gemeinschaft suchen, nicht einem besseren Dasein willen, sondern deswegen, weil sie schon Brüder sind. Hätte das Christentum dies nicht verloren, wäre es immer das Beste der Moral geblieben. - „Par cette Réligion sainte, sublime, véritable ... les hommes, enfants du même Dieu, se reconnaissent tous pour frères", sagt J.J. Rousseau 19 , und da kann mit ihm ein offenes mährisches Herz dergleichen Zunge sein, eine christliche Moral immerhin ... Das Humanitätsideal MASARYKs scheint zwar unbedeutend irdischer und nichtgöttlich-menschlicher als das von ROUSSEAU zu sein, doch der Grundtenor hat dengleichen Klang: einen Sinn bekommt die Brüderlichkeitsidee nur von oben her, und nur durch diese transzendentale Begründung kann sie sich auch im Leben des Menschen wirksam durchsetzen. Der Leitfaden der Humanität kommt wohl von HERDER her: von jenem Denker, der von ausschlaggebender Bedeutung bereits für die Protogeneration tschechischer Erwecker war. Mit HERDER glaubt er an die Wirklichkeit der höchsten Vollkommenheit, bereits im Leben der Menschen selbst, denken zu dürfen: an die hohe Sendung des menschlichen Wesens für die ganze Natur, für den Kosmos schlechthin: „... oh, Du gütige Gottheit, ... den Tieren gabst Du Instinkt, dem Menschen gibst Du Dein Bild, Religion und Humanität in die Seele: der Umriß der Bildsäule liegt im dunkeln Marmor da..." 2 0 „Wir sind Kinder des Ewigen, den wir hier nachahmend erkennen und lieben lernen sollen, zu dessen Erkenntnis wir durch alles erweckt, zu dessen wir durch Liebe und Leid gezwungen werden ..." 21
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in aller Welt, zwischen Amerika und Rußland, erreicht er allmählich das, worum sich die binnentschechische anti-österreichische Opposition in Prag so schwer bemühte. So kehrt MASARYK nach Prag 1918 als eindeutiger Sieger zurück: diejenigen politischen Gegner, die noch vor ein paar Wochen mit Prof. MASARYK höchstens für das Amt des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften gerechnet haben, haben sich verrechnet: er selber aber auch, da statt der Rolle eines „amerikanischen Präsidenten" ihm nur die „Rolle" eines „französischen" Präsidenten zuteil wurde ... Das Werk: Es wäre unzweckmäßig, an dieser Stelle alle Werke aufzuführen (siehe Bibliographie); es sollte von vornherein bemerkt werden, daß die gesamte Bibliographie der „Masarykiana" (sofern es sie überhaupt heute noch geben kann) Folianten hätte umfassen müssen: es gab keinen Bedeutenden der Tschechen, an beiden Seiten vom Böhmerwald, der zumindest einmal im Leben „etwas" zum Thema ,.MASARYK" nicht verfaßt hätte ... Trotz allem versuche ich, in den anschließenden Bibliographie das Wichtigste im kurzen Überblick zusammenzufassen. ROUSSEAU, Jean-Jacques: „Du contrat social", Livre IV, Chapitre Vili. HERDER, J.G.: „Ideen ...", 9. Buch V. Ibid., 4. Buch VI. 145
So teilt M A S A R Y K in einer plausiblen Idee seiner Zeit mit: in der Menschheit vollzieht sich eine allmähliche Annäherung an das Ideal, mit dessen Erfüllung sie reif wird, in eine höhere Sphäre der Existenz einzusteigen, die näher „der Gottheit", der unpersönlichen Providenz seiner Zeit, ist. S o H E R D E R , so M A S A R Y K . - Den Höhepunkt der Humanitätsidee, wie er bei Wilhelm von H U M B O L D T erscheint, hat M A S A R Y K , überraschenderweise, nicht mehr registriert (mag sein deswegen, daß auch K O L L Á R mit H E R D E R sein Humanitätsprogramm abgeschnitten hat. So entstand das Programm „eines realen Humanismus" (um es mit den ursprünglichen, doch nahezu provokativ aktuellen Worten zu sagen , . . 2 2 ) , an welchem sich bald die politische Auffassung M A S A R Y K s herauskristallisiert hat. Das zweite Thema, von welchem her die Kompetenz M A S A R Y K s für seine philosophische Laufbahn als sichtbar erscheint, ist „Religion". - Weder Theologe noch ein Philosoph sensu stricto: an der Schwelle von beiden Dimensionen desgleichen eben, erst da durfte sich die eigentliche Botschaft M A S A R Y K s als authentisch erweisen. „Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen unterstehen, bleibt der Konflikt des Unglaubens und G l a u b e n s . . . " 2 3 unter diesem Stichwort kündigt T.G. M A S A R Y K das Zentrale seiner philosophischen Orientierung an, vor welche er sich nun gestellt sieht, und mit deren Auseinandersetzung er das Gebiet kontemplativen und meditativen Denkens betritt: die Sendung fühl ich wohl . . . Über das hinaus fühlte sich M A S A R Y K einer „Religion der Humanität" verpflichtet: einem Joseph D I E T Z G E N , zB. in diesem Punkt, nicht weit entfernt, wonach die Humanität „anstelle der Religion" 2 4 gesetzt werden sollte. Daß er sich im gleichen Moment und aus demgleichen Grund von einer deutschen Sozial-Demokratie abgesetzt hat, das ist nicht eben klar geworden (aus demgleichen Grund wurden M A S A R Y K später auch sozialdemokratische Ideen, irrtümlich, unterstellt). Da wurde, in Prag zum ersten Male, ein mächtiges W o r t gesagt, das zum ersten Fünklein eines bald allgegenwärtigen Feuers werden durfte. Das Streitwort, in diesem religiös-philosophischen Bereich, heißt „Positivismus". Noch ein Josef D U R D I K wandte sich entschieden jeglichen philosophischen Versuchen entgegen, die in Böhmen - besonders seit dem Beginn der Tätigkeit M A S A R Y K s an der Präger Universität - mit zunehmend zustimmenden E c h o , eine imgrunde antireligiöse Reaktion provozierten, das spontan Religiöse auf unecht begriffliche Art zu artikulieren und sodenn die Thematik des religiösen Gefühls auf inandäquate Weise abzureagieren versuchten. D U R D I K war kein besonders religiöser Mensch. Es wurde ihm doch noch ganz klar, daß die Verwendung des Begriffs einer Tradition das Kontemplative der Philosophie (dh die philosophische Reflexion schlechthin) mit dem religiösen Hintergrund dergleichen Philosophie essentiell verbindet. Zwar greift auch D U R D I K hier und da auf die Motive seiner beliebten Freethinkers und Deisten zurück - doch vergißt er nicht, mit dem neuen Wein einer von ihm selber im Sinn der L E I B N I Z s c h e n Tradition geprägten Philosophie „den alten Schlauch" der imgrunde noch A R I S T O L E L s c h e n Theorie und Methode zu füllen, in guter Überzeugung, daß nur auf solche Art eine Wertekontinuität erhalten werden könne. 22
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Der Ausdruck selbst kommt von J.G. HERDER her - dürften wir es so auch nennen, dann ist der „tschechische reale Humanismus" am besten wohl als der unrealistische, romantische deutsche Neuhumanismus des 18. Jahrhunderts zu begreifen ... Oder, die Irrwege der durchaus falsch verpolitisierten Geschichtsphilosophie ... „Die Weltrevolution", II, 505. DIETZGEN, J.: „Die Religion der Sozialdemokratie", 2. Kanzelrede.
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Mit MASARYK tritt ins tschechische philosophische Denken ein grundlegend neues Element hinein. Der Anstifter der „neuen Methode" MASARYKs heißt Auguste COMTE. Zwar noch Josef DURDIK selbst, in seiner „Archtektonik der Wissenschaften", hat die COMTEsche Wissenschaftsklassifikation für die wichtigste Richtlinie einer „praktischen" (d.h. antideutschen, tschechischen) Philosophie gewählt, um mit der Idee des „Fortschritts" in Einklang zu gelangen: zwar hat erst mit DURDIK die tschechische Philosophie in Böhmen ihr zweites Leben zu leben versucht: doch wurde der ehrwürdig klassische und in der Tat gut konservative DURDIK bald ausgespielt, als der zweiundreißigjährige MASARYK mit seinen Vorlesungen, und zwar ausgerechnet über COMTE, vor den Scharen neuer Philosophen in Prag begann. Mit MASARYK beginnt eine neue Ära der Prager Philosophie: das alles, was von den hiesigen Dozenten mühsam über die deutsch-philosophische Vermittlung aus der westeuropäischen Philosophie exzerpiert und nur ungenau weitergegeben wird, wird nun aus der ersten Hand, und von einem zwar jungen, doch bereits weltgereisten Professoren als seine persönliche Erfahrung mit der neuen, positiven Philosophie verkündigt. 25 Mit MASARYK wird den neuen Disziplinen der Philosophie (die bis dahin im Schatten der HERBARTschen Klassik vegetierten) - der Religionsphilosophie, Geschichtsphilosophie, philosophischen Politologie, der Sprachphilosophie, vor allem aber der Soziologie (die MASARYK als allererste in Prag zu lesen begann) die Bahn gebrochen. Mit dem MASARYKschen politischen Sprich- und Zauberwort, mit dem „kritischen Realismus", wird auch die traditionelle philosophische Thematik ins neue Licht gestellt. Und die neue, von MASARYK gegründete, philosophische Revue „Athenaeum" wird zur Tribüne der aktuellsten Themen der tschechischen Kulturpolitik. 26 Zwar nicht nur der Philosophie - doch den philosophischen Themenkreisen der tschechischen Politik vor allem - gewidmet, hat sich „Athenaeum" zu einem Katalysator 25
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MASARYK las an der Karls- Universität im Fachbereich der Philosophie (siehe sein Lehrbuch „Kurze Übersicht der Philosophiegeschichte", tsch., Prag 1889), und auch im Fachbereich der Soziologie (siehe seine Habilitation „Der Selbstmord als soziale Massenerscheinung der modernen Zivilisation", Wien 1881). Die bisherige Tribüne der tschechischen akademischen Philosophie, „Casopis èeského Musea" („Zeitschrift des tschechischen Museums"), reichte MASARYK nicht mehr: sie war ihm vor allem zu lokal begrenzt und unecht konservativ. Auf den Seiten von ÖÖM veröffentlichten, seit 1827, die vornehmsten Geister der tschechischen Kultur ihre Esquisses, um das noch nicht für die neue Kultur gewonnene Volk aufzubilden - ua Fr. PALACKY, A. SMETANA, F.M. KLÁCEL, I.J. HANUS, K.B. STORCH, J.E. PURKYNË, K.S. AMERLING, Fr.L. CUPR, G.A. LINDNER, M. TYRS, J. DASTICH, F.B. KVÈT, J. DURDIK und weitere - alles, was von Rang und Namen in Böhmen vorhanden^ war, nahm sich die Ehre unter die berühmten Teilnehmer der Publikationstätigkeit von ÖCM mal zu kommen. Die ÖCM ist die erste tschechische philosophische (obwohl nicht nur philosophische) Revue. Dem neuen Philosophen wurde der thematische Rahmen von ÖCM zu eng und zu oberflächlich-weit zugleich: der Einfluß der deutschen Tradition in der Denk- und Schreibweise dieser Revue wurde ihm darüberhinaus zu einem Verhängnis - und der Einfluß der „Alt-Tschechen" in der CÖM zu stark. - Die von MASARYK gegründete Revue „Athenaeum" hat die geistigen Grundlagen für das politische Programm eines „kritischen Realismus", binnen neun Jahren ihrer Existenz (1884-1893) gelegt Auf den Seiten dieser Revue, ebenso wie auf den Seiten der Zeitschriften „Öas" („Die Zeit") und „Nase doba" („Unsere Gegenwart") wurde zB. der berühmte Streit um die Echtheit der „Manuskripte" (die sich später als Falsa erwiesen haben) geführt: diese, scheinbar nur antipatriotische, in der Tat für das geistige Wesen des Tschechentums strategisch wichtige Operation hat das tschechische Identitätsbild auf entscheidende Weise vorbedingt, und, auch der „Realistischen Partei" ihr raison d'être in der tschechischen Politik legitimiert.
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der Idee des „Tschechentums" entwickelt, und wurde sodenn zum logischen, letztlich vorbereitenden Schritt des „Tschechischen Gedankens", einer genuin philosophischen Revue, in welcher die tschechische philosophische Öffentlichkeit ihre endgültige Separation von der deutschen Philosophie in Böhmen vollendet hat. Mit dergleichen kompromißlosen Entschiedenheit hat MASARYK auch die verbreitete Ideologie des Antisemitismus angegriffen und im einmaligen, auf persönliches Engagement gegründeten Kampf das Recht der Juden auf völlige Selbständigkeit vertreten.27 Indessen wird MASARYK auch den Konflikt „Glaube contra Vernunft" kennenlernen, sobald er sich, jenseits der etwas gelassenen Unbekümmertheit seiner Jugendwerke, an die Aufgabe nicht sosehr der böhmischen als eher einer genuin „tschechischen" Tradition heranwagt und dabei die Herausforderung von HUS zu bestehen hat. Zwar hat MASARYK dabei auch die Motive des britischen Empirismus und französischen Positivismus mehrfach aufgegriffen und in gültige Fassungen für das tschechische Denken zu bringen gesucht: doch findet sich erst in der Auseinandersetzung mit den großen Vorbildern der Tschechengeschichte die endgültige Entscheidung MASARYKs, die „Tschechische Frage" in ihrem positiven Sinne zu erklären. Da wendet sich MASARYK, von der zuvor behandelten grundlegend-philosophischen Thematik, dem Bewußtsein der tschechisch-religiösen Orientierung zu, in welcher er die letzten Motive der tschechischen Geschichte zu finden glaubt. Hierbei geht es ihm um eine Darstellung der geistigen Lage des tschechischen Volkes aus der ihm (wie er es zu sehen glaubt) eigenen Natur heraus: so werden über das Studium des britischen Empirismus und der französischen Soziologie die eigentlichen Voraussetzungen für die neue Auffassung der „tschechischen Frage" gegeben ...
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Nicht zuletzt diese Momente sind es gewesen, die die politische Einsamkeit MASARYKs verursacht haben. Zuerst mit der .Jungtschechischen Partei" in seinem politischen Programm einig (und von dieser Partei auch 1893 in den „Reichstag" Österreich-Ungarns in Wien gewählt), wandte er sich später zum politischen Realismus - wie er glaubte - zurück und, nach erbitterten Polemiken gegen die führenden Intellektuellen der Jungtschechen, hat er auf sein Mandat verzichtet. - 1907 wurde er wieder in den Reichsrat gewählt
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4. Zur Struktur und Herkunft der Philosophie MASARYKs. (Ein Schüler von Franz BRENTANO. Französischer Rationalismus und britischer Empirismus. Russische philosophisch-psychologische Literatur.)
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So kommt mit MASARYK nach Prag wieder einmal ein authentischer Philosoph, der mit den großen Gestalten der denkerischen Zeitgeschichte auch authentisch, persönlich verkehrt: ein Vorteil eines Fremdlings. Die tschechische Philosophie wurde unter anderem auch deswegen provinziell genug, weil ihre direkten Kontakte mit den wichtigen Schöpfern der geistigen Grundlagen des 19. Jahrhunderts fehlten 28 - die indirekten, rein literarischen Kenntnisse der deutschklassischen Philosophie haben das gesamte Epigonentum von Böhmen notwendig vorbedingt. MASARYK, ein unmittelbarer Schüler29 von Franz BRENTANO, welchem er sein ganzes Leben lang treu geblieben war, verband in seiner Weltanschauung die Einflüsse eines aufgeklärten christlichen Sokratismus (wie er sie von seinem katholischen Philosophie- und Religionslehrer BRENTANO bekam 30 ) mit einer äußerst provokativen freidenkerisch-voltairianischen Idee einer „Gewissensfreiheit" (die einem 28
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Einer der Wenigen, wenn nicht gerade die einzige Ausnahme aus diesem allgemeinen Zustand wurde der sonst wenig bedeutende Philosoph und Germanist Franz Thomas BRATRANEK: Dank dem Altphilologen Theodor GOMPERZ („Essay und Erinnerungen", Stuttgart und Leipzig 1905) blieb eine Skizze BRATRANEKs erhalten, die seine persönliche Begegnung mit SCHELLING, und zwar mit dem alten SCHELLING in Berlin, schildert. Siehe: LOUZIL, Jaromfr: „Frantiäek Tomás BRATRÁNEK", Nachwort zu: BRATRÁNEK, Frantisek Tomás: „Vyklad GOETHEova Fausta" („Erläuterungen zu GOETHEs Faust"), Prag 1982, 170-171. BRENTANO, Franz (geb. 16. Januar 1838 in Marienberg bei Boppard - ein genauer Zeitgenosse von Ernst MACH, gestorben am 17. März 1917 in Zürich) ist 1866, als eben frisch habilitierter Privatdozent der Wiener Universität, zum Gymnasiallehrer MASARYKs geworden - die Einflüsse der Philosophie und Religion sind dabei wohl kaum zu trennen. Der faszinierende Redner BRENTANO, ein katholischer Priester von hoher kircherlicher Sprachkultur (er legte doch 1873, im dritten Semester seiner Würzburger Professur, sein geistliches Gewand ab), ein heftiger Kritiker von KANT (den er für einen bloß gleichgültigen Deisten hielt) - ein Vertreter des Aristotelschen methodischen Empirismus und Sympathisant mit der modernen „positiven Philosophie" von Auguste COMTE - dieser Mann hat seine Spuren in der Weltanschauung MASARYKs unverkennbar abgezeichnet. Siehe aus dem Werke BRENTANOs: „Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach ARISTOTELES". Wien 1862; „ARISTOTELES und sein Weltanschauung", Wien 1911; „ARISTOTELES' Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes", Wien 1911; „Von der Klassifikation der psychischen Phänomene", Wien 1911 (neu hrsg. O. KRAUS, 1925). Es gibt, in dieser Hinsicht, zumindest zwei Merkmale, die für die weltanschauliche Konzeption BRENTANOs von ausschlaggebender Bedeutung sind: erstens, BRENTANO geht davon aus, daß es ein „psychischer Akt" (nicht also sein Inhalt schlechthin: eine Differenz von HERBART zB) ist, was im selbigen Sinne eine psychische Erscheinung begründet. Sodenn, der Konzeption von Wilhelm WUNDT gegenüber (die sich zeitweise mit unglaublichem Erfolg unter den Wissenschaftlern verbreitete), konzentriert sich BRENTANO auf die innerliche Aspektation der Menschenwissenschaften, vor allem der Psychologie: einer Disziplin, die für MASARYK übrigens nie so weitgehend bedeutend als für seine Zeitgenossen geworden ist. So ist, im Sinne BRENTANOs eine mögliche „Realität" des psychischen Aktes eine imgrunde außerpsychologische („physikalische") Erscheinung, welche die Philosophie von der wahren Suche nach dem ursprünglich-Menschlichen („Göttlichen") der Menschenseele wegführt. Zweitens, BRENTANO akzentuiert die „intentionale Orientation" eines jeden psychischen Aktes (mit und gegen KANT): diese Orientation wird durch den Bezug des Bewußtseins (zu seinem Gegenstand eben) gegeben: es gibt keine Erscheinungen, die jenseits dieses Bezugs stünden. - Das Intenzialitätsprinzip also, dem BRENTANO nach, gilt für die psychischen Akte im Allgemeinen. - Die Ähnlichkeit mit der intentionalen Moral MASARYKs, ebenso wie mit seinem - antiherbartisch, obwohl schweigsam herauspointierten - „realistischen" Positivismus, ist geradezu auffällig.
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BRENTANO imgrunde krass gegenüberstand): ein Abzeichen des tiefen innerlichen Spalts der letzten Motive der Weltanschauung eines militanten Politikers. Die Spur BRENTANOs ist - kurioserweise und doch, unter MASARYKs Präsidentenschaft im Hradschin - ganz logisch an der Prager Deutschen Universität als ein philosophisches Abzeichen geblieben, (unter den Schülern Fr. BRENTANOs sind, im gelehrten Körper dieser Universität, ua Carl STUMPF (Doktorvater von Robert MUSIL), Emil UTITZ, Anton MARTY, der Pädagoge und Philosoph Alois HÖFLER, Christian von EHRENFELS, Alfred KASTIL, Oskar KRAUS zu nennen; zu BRENTANO haben sich aber auch Edmund HUSSERL, Alexis MEINONG, Alfred HILLEBRANDT, der Münchner Professor Georg von HERTLING ua bekannt.) Es läßt sich leicht ersehen, daß diese erlesene Gesellschaft hoher Geister 31 wahrscheinlich nicht sosehr durch einen schlichten Demokratismus als ehr durch einen platonischen geistigen Aristokratismus innerlich verbunden wurde: ein anderes Abzeichen der wahren Weltanschauung. Es ist vor allem der britische Empirismus und französischer „Positivismus" (eines Auguste C O M T E und seiner Schule), die in der Humanität MASARYKs eine deutliche Spur hinterlassen haben 32 , so wie übrigens die gesamte Tradition des französischen Rationalismus nach DESCARTES von MASARYK sehr hoch geschätzt worden ist. Ebenso wurde Herbert SPENCER und seine „social science", neben der COMTEschen „philosophie positive", zum entscheidenden Ausgangspunkt der geschichtlich-politischen Orientierung MASARYKs. Durch SPENCER kommt der philosophische Geist des Empirismus - von John LOCKE, SHAFTESBURY, HUTCHESON, Adam SMITH (nicht sosehr von David HUME und überhaupt nicht von Bernard MANDEVILLE), der Empirismus und Moralismus des 17. und 18. Jahrhunderts der britischen Inseln, bei MASARYK zum Vorschein: ganz besonders fühlt er sich dann dem Jeremy BENTHAM dankbar dafür verpflichtet, daß er ihm die Idee einer „praktischen Philosophie" angeboten hat. Und John Stuart MILL, einer der späten Nachfolger BENTHAMs, ist für MASARYK sogar zu einer Antizipation seiner eigenen Philosophie geworden: in ihm glaubt M A S A R Y K das gefunden zu haben, was er als ein philosophisches Programm andeutete, bevor er den MILL für sich selbst entdeckte. 33
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Siehe dazu die Werke BRENTANOs: „Psychologie vom empirischen Standpunkt", Bd. 1, Wien 1874 (neu hrsg. von O. Kraus, 1924); „Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis", Wien 1889 (neu hrsg. von O. Kraus, 1922); „Untersuchungen zur Sinnespsychologie", Wien 1907. Von neuem hat diese heute kaum noch bekannte Thematik, mit dem Akzent auf das Sprachphilosophische, Savina RAYNAUD in ihrer interessanten Dissertation über A. MARTY behandelt. Siehe: RAYNAUD, Savina: „Anton MARTY, filosofo del linguaggio. Uno strutturalismo presaussuriano", La Goliardica editrice, Urbino 1982, 318 S. Siehe: „Versuch einer concreten Logik. Klassifikation und Organisation der Wissenschaften", dt. Wien 1885, ergänzt 1887. - Im Sinne der COMTEschen Klassifikation hat MASARYK eine neue Klassifikation der Logik - nämlich auf „theoretische Logik" (diese weiter als „abstrakte" und „konkrete Logik" differenziert) und „praktische Logik"(dh. „Wissenschaftslehre" bzw. Lehre der Klassifikation der Wissenschaften ...) entworfen. Philosophie selbst wird dabei, auf quasi-aristotelsche Art, als „Metaphysik", dh. „scientia generalis" bestimmt. In einem späteren Versuch aus dem Jahre 1902 hat MASARYK den aristotelschen Ansatz noch zugespitzt, derart, daß er auf die letztlich abschließende Stelle der Wissenschaften die (nicht-offenbarte...) „Theologie" stellt, und daß er die Ethik einer Metaphysik gleichwertig bestimmt. Siehe: „Ke klasifikaci vëd" („Zur Klassifikation der Wissenschaften"), CM 1902, 4, 23f. Siehe schon die Ausgangsschrift MASARYKs: „David HUMES Skepsis und die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ein Beitrag zur Geschichte der Logik und Philosophie", dt. Wien 1884.
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Die deutsche philosophische Tradition lag MASARYK ziemlich fremd: da erscheint das Unbehagen einer peinlichen Erinnerung an das verdeutschte Gymnasium in Brünn, wo der trotzige Gymnasiast einen patriotischen Streit gegen seine Lehrer zu führen hatte. Die Beziehung MASARYKs zur deutschen philosophischen Tradition blieb durch das verdoppelte Residuum - einer österreichischen, und auch slawisch-tschechischen point de vue - belastet: so ist es am Hintergrund seiner „Humanitätsidee" (wie sie übrigens zum ersten Male von HERDER artikuliert wurde - seine Bedeutung bestreitet MASAR YK nicht) 34 ein ressentiment gegenüber einer „slawenfeindlichen" deutschen Kultur, als unterschwellige Grundlage zur Interpretation der deutschen philosophischen Klassik überhaupt zu spüren. Besonders HEGEL wurde von MASARYK als solcher abgelehnt. Die HEGELsche „philosophische Spekulation" (dies Wort wurde nicht von den Marxisten, sondern von dem Marxismus-Feind MASARYK zum ersten Male im Tschechischen benutzt), seine „zerstörerische Dialektik", seine anstifterische Rolle bezüglich der marxistischen Theorie, und - nicht zuletzt - der politische Umstand, HEGEL sei als die Stütze des preußischen Staates zu betrachten, das alles ist für MASARYK als Argumentation für die entscheidende, eindeutig negative Kritik an den Hegelianismus (und folgendermaßen auch an die ganze deutsche philosophische Klassik) dienlich geworden. Im übrigen kommt bei MASARYK eine deutlich westeuropäische Werte- und Kulturorientierung zum Vorschein: einer der Gründe vielleicht, warum er den Ruf zur Prager Universität überhaupt bekam. Dann fällt die sonst auffällige Gleichgültigkeit zur deutschen philosophischen Tradition wieder nicht sosehr auf.. , 35 Das klassische Erbe der deutschen Philosophie ist dem Autoren der „Tschechischen Frage" ferngeblieben. Die russische Philosophie, ihr religiöser Geist und psychologischer Charakter, ihre mystische Tiefe und anthropologische Veranlagung, hat bei MASARYK ein zustimmendes Echo gefunden: 36 „Die Russen sind durch ihre Kirche Platoniker ..., die 34
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... und sogar betont er die Bedeutung HERDERs für KOLLÁR und PALACKY - siehe: „Jan HUS", Abs. 20, S. 79. Dies Problem wäre einer ausführlichen Analyse wert, die wohl den Umfang der vorliegenden Studie zu sprengen drohte: MASARYK verbindet da in eine Ganzheit Politik, Religion und Philosophie. Der Marxismus scheint ihm zugleich ein Produkt des Hegelianismus und des deutschen Protestantismus zu sein, und sodenn die Freiheitsidee indirekt zu gefährden. Andererseits ist sich MASARYK dessen bewußt, daß es eben die Philosophie KANTs (durch die Vermittlung von PALACKY; von dergleichen Vermittlung von HEGEL bei PALACKY schweigt er aber...) wurde, die auch der tschechischen Protophilosophie zugrunde liegt. - Zum typischen Ausweg aus dieser grundlegend ambivalenten Situation wird der Patriotismus: so nimmt MASARYK ausnahmsweise den (deutsch schreibenden) Prager Ex-Priester A. SMETANA aus dem deutsch-philosophischen Umkreis zur Kenntnis, weil er mit der katholischen Kirche abgerechnet hat. Nun, bei aller Unklarheit der Motive, die MASARYK von der deutschen philosophischen Tradition abgesetzt haben, scheint ganz klar zu sein, daß es nicht sosehr theoretisch- weltanschaulichen als eben die praktischpolitischen Gründe wurden, die - statt der deutschen philosophischen Klassik - ins Böhmen die Philosophie von A. COMTE und J.St. MILL hineingeführt haben. - Siehe: „Jan HUS", Zürich 1979, 65, 67. - Eine wichtige Analyse widmet der Kathedersozialist W. SOMBART dem Standpunkt MASARYKs in seinem Werk „Der proletarische Sozialismus" (1. Bd., Jena 1924, 77-78 uaaO.) Der Hang zur russischen Literatur (die von MASARYK in der Originalsprache gelesen wurde) ist bereits für den jungen Forscher charakteristisch: so reagiert er ausführlich auf die schicksalhafte politische Diskussion in Rußland (zwischen „Westlern" und den „Sla-
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griechisch-orthodoxe Theologie huldigt dem platonischen Mythus...", schreibt er in „Rußland und Europa" 3 7 Der russischen philosophischen Tradition gilt auch das Opus Magnum MASARYKs, „Rußland und Europa", ein riesiges (und, leider, nie von dem Autoren selbst zu Lebzeiten abgeschlossenes) Werk 38 , in welchem er sich der Frage gegenüber gestellt gesehen hat, die Richtlinien der europäischen Politik zu markieren. „Die bedeutendsten russischen Denker haben", sagt MASARYK, „kein Interesse für erkenntnistheoretische Fragen: sie beschäftigten sich mit den sozialpolitischen Fragen und Tagesfragen; die russische Philosophie hat einen entscheidend praktischen Charakter,es ist die Behandlung des ethischen Problems, die sie vorwiegend charakterisiert." 39 Nahezu eine Selbstcharakteristik der sozialpolitischen Position MASARYKs: in welcher er sich selbst als logisches Glied der ur-tschechischen Linie KOLLÁRHAVLÍCEK-PALACKY ansehen zu dürfen glaubt. Da kommt die Humanitätsidee von der russischen Philosophie her, durch andere als die westeuropäische, und doch auf imgrunde die gleiche Art bestätigt: „Wissen, kritisches Wissen, ist Demokratie; der Aristokratismus entspringt der mythischen Welt- und Lebensauffassung..." 4 0 MASARYK beobachtet die globalen Horizonte des russischen philosophischen Denkens fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer sozial-ethischen und politisch-
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wophilen" nämlich) mit seinem Kommentar: „Slawische Studien. I. Das Slawophilentum Iwan Wassiljewitsch KIRËJEWSKIJ", dt. Wien 1889. Ebenso sehr fühlt sich Thomas MASARYK von den Neuentdeckungen der russischen psychologischen Literatur in seiner Schrift „Die Schriften F.M. DOSTOJEWSKIJs" (dt. Wien 1892) gefangen, in denen er das Tiefste der slawischen Kultur der zeitgemäßen Gegenwart gefunden zu haben glaubt. Und, als eine Parallele zu seiner anti-marxistischen Studie, findet er noch Kraft, die religiösen Ansätze der russischen Philosophie in der Schrift „Der moderne Mensch und die Religion" (dt. Wien 1897) zu analysieren. Opus zit. II, 432. „Rußland und Europa. Studien über die geistigen Strömungen in Rußland. Zur russischen Geschichts- und Religionsphilosophie. Soziologische Skizzen", 2 Bde. (der 3. Bd. unvollendet), verlegt bei Eugen DIEDERICHS in Jena, 1913. Englisch unter dem Titel „The Spirit of Russia. Studies in History, Literature and Philosophy", transi, by E.A.C. PAUL, 2 vols. G. ALLEN & UNWIN, London 1919. Italienisch unter dem Titel „La Russia e l'Europa. Studi sulle correnti spirituali in Russia", trad, di Ettore lo Gatto, Pubblicazioni dell'Istituto per l'Europa Orientale a Roma, 2 vol, R. RICCIARDI, Napoli 1922. Serbo- kroatisch unter dem Titel „Rusija i Evrope. Studije o duchovnim strujama ν Rosiji". Preveo Stjepan Musulin. Isbrana djela T.G. MASARYKa II, Zagreb 1923. Tschechisch unter dem Titel „Rusko a Evropa", I., Prag 1919, 2. Aufl. 1930; II. Prag 1921. „Rußland und Europa", Π, 428-429. - Man vergißt manchmal, daß das - eigentliche - Hauptwerk MASARYKs, „Rußland und Europa", aus aktuell-politischen Motiven (dh. als Kritik an dem weltanschaulichen Ausgangspunkte des russischen Marxismus) verfaßt (oder zumindest vollendet-unvollendet) ist. Es ist der „Atheismus" der russischen „Rasnotschitzen" und Anarchisten („Zur russischen Geschichts- und Religionsphilosophie", 2, 15); es ist die „aggressive Aufklärungsphilosophie" von TSCHERNYSCHWESKU (ibid. 2, 41), es ist der „Nihilismus von PISSAREW" (ibid. 2, 86f), was MASARYK äußerst empört; es sind „die russischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts", BELINSKIJ, HERZEN, TSCHERNYSCHWESKIJ, LAWROW, MICHAJLOWSKIJ (ibid. 2, 195), die, gemäß MASARYK, einem Ludwig FEUERBACH (!) Stoff und Motive für seinen Atheismus geliefert haben... - Ob die tschechische Öffentlichkeit diese sonst tiefsinnigen, doch wenig bekannten Akzente verstanden hat, bleibt zu bezweifeln. Übernational sind sie doch sehr wirksam geworden. „Rußland und Europa", Π, 466.
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philosophischen Charakteristiken, wobei das eigentlich Philosophische manchmal etwas zu kurz kommt: so spielen im Rahmen seiner Analyse die „Rasnotschintsen" BELINSKD, HERZEN, DOBROLJUBOW, PISSAREW ua eine bedeutende Rolle, die eigentlichen Theoretiker - wie LAWROW oder SOLOWJEV bleiben jedoch jenseits, von Betrachtungen MASARYKs kaum berührt, stehen. Das Interesse MASAR YKs an der russischen Philosophie läßt sich unverkennbar durchschauen: es geht um eine absichtlich eingeschränkte Analyse der, seiner Meinung nach relevanten, ganz bestimmt politischen (und, leider; in die politische Konzeption MASARYKs passenden) denkerischen Persönlichkeiten, deren Rolle darin besteht, ein erwünschtes Gegenüber der abendländischen Kultur darzustellen. Es ist aber auch eine ganz spontane, heiß-slawische Zuneigung zur russischen Kultur, die den sonst sehr deutsch ausgeprägten Professoren MASARYK mit magischer Anziehungskraft in die Tiefe der authentischen41 russischen Kultur treibt: „Der Soziologe und Geschichtsphilosoph kann an Rußland viel lernen. Die Vergleichung Europas mit Rußland ist an und für sich methodologisch von großem Vorteil; die eigenen Probleme werden dem Europäer durch die russischen Analogien lebendiger." 42
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Nicht uninteressant klingt, daß MASARYK, trotz allem, zB. mit Maxim GORKIJ lange Jahre, zwischen 1910 und 1936, dh bis zum Tode GORKIs, im Korrespondenzwechsel stand. Siehe: MËSÎAN, Antonin: „MASARYK und GORKIJ", in „Literary Theory and Criticism. Festschrift in Honor of René WELLEK", Peter Lang Verlag 1984, 991f. MASARYK, Th.G.: „Rußland und Europa", I, 7.
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5. Die Tschechische Frage: auf der Suche nach einer demokratischen Tradition (Jan HUS, Karel HAVLÍCEK, Frantisele PALACKY. Der Streit um den „Sinn der tschechischen Geschichte". Der Kritiker MASARYKs: Josef PEKAft. MASARYK als tragische Gestalt der tschechischen Geistesgeschichte.)
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Jan HUS, Karel HAVLÍCEK, Frantisek PALACKY ... Die Neuauffassung des Subjektbegriffs der Geschichte - der menschlichen Persönlichkeit, um mit MASARYK zu sprechen - wird Th.G. MASARYK zum Ausgangspunkt für die Frage nach dem Wesen des gesellschaftlichen Gestzes: zu einer Ontologie der Menschenwissenschaft schlechthin. Zentral ist hier der Begriff der „Erfahrung", die gleichsam mit dem moralischen Bewußtsein (ihrer Verpflichtung eben) der Persönlichkeit - der Gesellschaft, der Kultur, der Zeit, dem höheren Gebot gegenüber - in innerlichen Verbindung steht. Der magische Punkt der geistigen Sicherheit heißt da „Jan HUS": „Wir sind ein HUS'-Volk, und gerne heißen wir auch so - nun, sind wir das HUS'-Volk wirklich? Wir sind es nicht. Noch nicht." 43 - Ein Zauberwort, ein HUS'-Zitat steht am Kopf der „Tschechischen Frage" : „Suche die Wahrheit, höre die Wahrheit, lerne die Wahrheit, sprich die Wahrheit, halt die Wahrheit, verteidige die Wahrheit: bis zum Tode." Die „Tschechische Frage", ein monumentales Torso, eine faszinierende, in kurzen, eindrucksvollen Zügen skizzierte Quadrillogie44, die den Jahren 1894-1896, einer stürmischen und, nicht nur für Böhmen bedeutenden Zeitperiode entstammt, darin faßt Thomas MASARYK, im Zug seines Vorhabens, dem europäischen Publikum einen Einblick in das Innere der tschechischen Kultur zu vermitteln, den Plan, das Porträt einer religiös-philosophischen Tradition der tschechischen Kultur, wie er sie sah, unter dem Streitthema einer „geistigen Reformation" zu vollenden. Ungeachtet der vorbewußten Verfremdung des wirklichen Geistes der böhmischen Tradition bringt die „Tschechische Frage" zwei tragende Momente der bisherigen Interpretation zum Vorschein: einmal den radikalen Bruch mit dem historiographischen Klassizismus und der loyal- österreichischen Geschichtsauffassung (wie sie vor allem bei W.W. TOMEK und H. JIRECEK erscheint), dem sie ihre Existenz verdankt; zum anderen den Rückblick auf eine evangelische Tradition der tschechischen Reformation, durch den sie im Bruch mit der Nahvergangenheit ihre Identität zu wahren sucht. Dieser Orientierung, diesen Richtlinien der Auffassung MASARYKs gehören ebenfalls spätere Schriften, in denen er sich die Frage nach einem neuen Europa (und nach der Chance der Slawen im neuen Europa) stellt, an:45 ein langjähriger Kampf MASARYKs, sowohl gegen die Austrophilen als auch gegen die Panslawisten, um die Anerkennung seiner - dritten, „realistischen"- Position. Dies alles mit und gegen PALACKYs Konzept der tschechischen Geschichte zugleich. PALACKY betonte die schicksalhafte Rolle einer Kultursymbiose der slawischen Völker mit der Kultur des europäischen Abendlandes, wobei er gleichsam die 43 44
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MASARYK, Th.G.: „Jan HUS", Zürich 1979, 9. „Tschechische Frage. Bestrebungen und Sehnsucht der nationalen Wiedergeburt", Prag 1985; „Jan HUS. Unsere Wiedergeburt und unsere Reformation", Prag 1896; „Karel HAVLÍ0EK. Bestrebungen und Sehnsucht der nationalen Wiedergeburt", Prag 1896; „PALACKYs Idee der tschechischen Nation" , Wien 1898 („PALACKÉho idea Ceského národa", tsch. Prag 1912. „Die Ideale der Humanität", dt., übersetzt von H. HERBATSCHEK, Wien 1902; „Rußland und Europa. Studien über die geistigen Strömungen in Rußland. 1. Folge: Zur russischen Geschichts- und Religionsphilosophie. Soziologische Skizzen", 2 Bde., Jena 1913, dt.; „Das neue Europa. Der slawische Standpunkt", dt. (übersetzt von E. SAUDEK, Berlin 1922; „Die Weltrevolution. Während des Krieges und im Kriege. Erinnerungen und Betrachtungen 1914-1918", dt. übersetzt von C. HOFFMANN, Berlin 1925; „Der Weg der Demokratie", Ι.-ΙΠ., Prag 1933-35 („Cesta demokracie"); „Das Problem der kleinen Völker in der europäischen Krisis", Prag 1922; „Les problèmes de la démocratie. Essais politiques et sociaux", Paris 1924.
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schützende Funktion des österreichischen Staates für die Stabilität Europas für unvermeidlich hielt: ein tschechischer Standpunkt vor allem ... Der berühmte Spruch PALACKYs, „hätte es eines Österreichs nicht gegeben, hätten wir eines schaffen müssen", heißt vor allem, „wir Tschechen" hätten dies gemacht haben müssen. Wie dieser Pluralis Majestatis Bohemicus gegen Ende des 19. Jahrhunderts von allen möglichen Seiten kompliziert wurde, hat Jan HERBEN, ein alter Mitkämpfer von MASARYK (und das Gegenüber der Realisten-Politik zugleich), in einer Teilbilanz bereits 1898 angedeutet:46 es gab kein gemeinsames tschechisches „Wir" mehr ... In Fr. PALACKYs monumentalem geschichtlichen Werk kommen noch alle tragenden Ideen und Motive einer metyphysisch konzipierten Geschichtsphilosophie im Sinne eines J.G. HERDER zu Wort. Folgen wir der Suche PALACKYs nach den Motiven und Gründen einer tschechisch-selbständigen Geschichte nach, können wir als charakteristische Züge seines politischen Programms das erkennen, was er aus dem komparativen Studium der deutschen und tschechischen Historie herausgegriffen hat. Es ist aber vor allem die Demokratismusidee, die bei PALACKY als ein beinahe spezifisches Merkmal der slawischen Kultur im böhmischen Raum massiv betont wird. Diese Idee einer traditionell-slawischen demokratischen Ordnung hat PALACKY in einem kontrastreichen Vergleich einer, ihrer Herkunft nach fremden Aristokratie (man verstehe, der Habsburger) herauspointiert: so ist folgendermaßen in der Geschichtsauffassung PALACKYs ein charakteristischer Gegensatz zwischen einer plebäischen („hussitischen") Tendenz einerseits, und der aristokratischen („Nach-Weißen-Berg-Tendenz") leicht zu finden. 47 In dieser geschichtlichen Metaphysik der „Humanität" gründet das Gemeinsame von PALACKY und MASARYK: 48 es heißt, auf den Sinn und die Sendung, auf die Moral und Werte des Geschehens Akzente zu setzen, es heißt die Auswirkung der ethischen Motive der Geschichte in allem Ernst zu erforschen, es heißt den geschichtlichen Platonismus in einer altertümlichen, überhaupt nicht modernen Form zu akzeptieren. So interpretiert MASARYK das alles, was er aus der weiten Literatur nach Böhmen bringt, unter dem Stichwort „der moderne Mensch", „die moderne Wissenschaft" in der Tat sehr traditionell. Dies gilt als die entscheidende Erklärung der gesamten erweckerischmoralischen Konzeption der tschechischen Philosophie, wie sie sich in ihrer äußerlichen Auswirkung recht ambivalent ausgeprägt hat. Ein Pech: das alles, was in der tschechischen Geschichte (gemäß zitierter Sichtweise) „anders" als von der geschichtlichen Providenz vorgesehen verlief, hat man doch imi Sinne eines Gesamtparadigmas erklärt... Die politische Position MASARYKs wird durch gewissen ethischen Negativismus vorbestimmt, der dem Gefühl eines „kleinen Volkes" entstammt, und von welchem her jegliche politische Freiheit als ein ethisches Defizit betrachtet wird: Verlust von tschechischer Freiheit (der in der geschichtlichen Auffassung PALACKY auf Kosten der „dreihundertjährigen Unterdrücken" durch Habsburger zurückgeht) wird bei MASARYKals Ursache und Anzeichen des Niedergangs von Kunst und Wissenschaft, im sittlichen und wirtschaftlichen Leben betrachtet. So findet der PALACKYMASARYKs Begriff der tschechischen Geschichte (als eben Begriff der freiheitlichen 46
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HERBEN, Jan: „Zehn Jahre gegen den Strom. Erinnerungen und Erfahrungen eines tschechischen Journalisten" („Deset let proti proudu. Vzpomínky a zkuäenosti èeského novináre", tsch.), Prag 1898. MASARYK, Th.: J a n HUS", Abs. 12, S. 56f. MASARYK, Th.: „Jan HUS", Abs. 5, S. 13: „Das humanistische tschechische Ideal geht, sowohl geschichtlich als auch inhaltlich, von unserer Reformation, nicht von der französischen Revolution her..."
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Entwicklung) seine eigentliche Begründung in der Freiheit als sittlicher Forderung: es ist eine allmähliche, evolutionäre Entwicklung von der Freiheit als Vorrecht (eines jeden Volkes) zu der Freiheit als geschichtlich gewordenem Naturrecht, und von da weiter zu der geistigen Freiheit der konkreten Persönlichkeit. Im Sinne seiner Zeit meint auch MASARYK, daß solche Freiheit keine empirischen Eigenschaftsbestimmungen verträgt, sondern daß die Freiheit ihrem Wesen nach das Unendliche sei. Die Geschichte wirkt sich dabei keienswegs als eine automatische und von vornherein vorgeplante Freiheitsbewegung nach vorwärts aus: im Gegenteil, man müsse vielmehr den erreichten Stand der Geschichte als vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung dahin verstehen. Ebenso sei die Idee der Freiheit nicht mit juristischen Unterscheidungen zu fassen, sondern man müsse sich um den geistesgeschichtlichen Gehalt dieses Gedankens bemühen. Solcherart ist die Geschichtsphilosophie, die der „Tschechischen Frage", nicht ganz ausdrücklich artikuliert, doch wirksam ausgeprägt, voransteht. Das, was HEGEL unter der Freiheitsfrage anscheinend objektiv-inhaltlich verstanden hat, wendet MASARYK in das Sittlich-Existenzielle: er fragt nicht sosehr nach dem geschichtlichen Werden als eher nach dem Subjektiv-Menschlichen der Freiheit. Denn, wie es MASARYK zweifelsohne auch meint, es kommt ja nicht darauf an die Freiheit zu wissen, sondern die Freiheit zu leben. So gibt es für M A S A R Y K kein anthropologisches Problem an sich, dh. jenseits der Geschichte existierende Frage nach dem Menschenwesen: das Individuell- Egoistische des Menschen zerschmolz sich in der geschichtlichen Freiheit, im gerechten Drang zur Freiheit, zu welcher der Mensch (dh die Völker), zwar mit manchen rückläufigen Abweichungen doch gesetzmäßig, zuletzt kommt. Bei MASARYK scheint die „evangelische Ansprache" immer noch zu stimmen, die den Denker daran erinnert, seiner Stellung in der psychischen Welt der menschlichen Geistesgeschichte, seiner Verpflichtung gegenüber dem providentiellen „Gesetz" bewußt zu sein. Im konkret-politischen Sinne: MASARYK begreift den Kampf um die Verwirklichung des selbständigen tschechoslowakischen Staates als den Sinn und die höchste Erfüllung seiner sozial-politischen Philosophie. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit verlagerte sich, seit dem Anfang der 80er Jahre, immer mehr in den Bereich der politischen Theorien, die von MASARYK nur nachträglich ontologisiert, psychologisiert und elhisiert w urden, um die erlösende Idee der tschcchisch-nationalen Tradition als eine absolut einzig mögliche und geschichtlich-notwendige Folge der Humanitätsentwicklung Europas darzustellen: die größte Stärke und größte Schwäche der MASARYKschen Philosophie zugleich. 49 Auf diese Gedanken aufbauend formuliert M A S A R Y K später: „Bei meinen geschichtsphilosophischen Erklärungsversuchen gehe ich von der Anschauung aus, daß die Religion die zentrale und zentralisierende geistige Macht im Leben des Einzelnen und der Gesellschaft ist: die ethischen Ideale der Menschen werden religiös geformt, die Religion bildet die Geistesrichtung, die Lebensbestimmung des Menschen." 50 Unter diesem Gesichtspunkt scheint interessant zu sein, das Echo der „Tschechischen Frage" in Kreisen der tschechischen evangelischen Philosophie zu betrachten: inner49
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Das bemerkt PEKAR; eine „... künstliche, agitatorische Schöpfung des 'Sinnes' der Geschichte..." sei als die allergrößte Gefahr, nicht nur MASARYKs, sondern der patriotischtschechischen Historiographie überhaupt, zu sehen. Der gleiche PEKAR verteidigt doch die wirklich-nationale Geschichtsauffassung gegen den deutschen Historiker BRETHOLZ. - Siehe: „Smysl ceskych dëjin", („Sinn der tschechischen Geschichte"), 401. MASARYK, Th.G.: „Die Weltrevolution. Erinnerungen und Betrachtungen", II, Berlin 1925, 504.
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halb einer geistigen Atmosphäre, in welcher die Richtung MASARYKs ursprünglich nicht besonders hoch geschätzt wurde. - Es wurde genau der ontologische Widersacher von MASARYK, der Philosoph Emanuel RÁDL, der den ethischen Standpunkt von MASARYK erörtert hat. In diesem Sinne, meint RADL, sei die „Tschechische Frage" MASARYKs als Beweis der Vitalität einer tschechisch-evangelischen Tradition in Böhmen zu schätzen... Ähnlicherweise hat sich Jan HERBEN, der Parteifreund und -gegner MASARYKs, in der Sache der „Tschechischen Frage" vor MASARYK gestellt, wenn auch sonst der ganze Zyklus im Bannkreis der politischen Polemiken stehen blieb. - So ist der spätere Ruhm der „Tschechischen Frage" vor allem auf den Einfluß von MASARYK-Staatspräsident zurückzuführen. „Für mich ist die tschechische Frage eine Frage nach dem Schicksal der Menschheit, sie ist für mich eine Frage des Gewissens. Ich glaube mit KOLLÁR, daß die Historie der Völker nicht zufällig ist, sondern daß in ihr ein bestimmter Plan der Vorsehung zum Ausdruck kommt und daß es deshalb Aufgabe der Historiker und der Philosophen, Aufgabe jedes Volkes ist, diesen Weltplan zu erfassen ..." Wäre dies Problem tatsächlich nur eine „Glaubens"frage, wäre es dann nicht sosehr eine Aufgabe für den Philosophen als eher eine für den Theologen (im Sinne KOLLARs eben) gewesen ... Und wäre man dabei nach den tatsächlich geschichtlich-notwendigen Elementen zum Forschen verpflichtet, wäre es wieder schwer, die tausendjährige Geschichte des böhmischen Raumes als eine bloß „tschechische Frage", jenseits des europäischen Kontextes, und ohne Rücksicht auf den Anteil anderer Populationen in diesem Raum, zu betrachten. Ein unterschwelliger Zweckreduktionismus von MASARYK macht sich da sichtbar.51 So hat MASARYK die „tschechische Frage" in seinem gleichnamigen Buch, mit deutlich moralistischem Abzeichen, als eine imgrunde „religiöse Frage" 52 aufgegriffen: so wurde die anspruchsvolle Idee einer „Religion der Wahrheit" (und in demgleichen Sinne auch die Freiheits- und Nationalselbständigkeitsidee), und zwar am Hintergrund eines Positivismus- Avantgardismus in der Philosophie (!) als die echte Botschaft der tschechischen Geschichte für die Gegenwart deklariert. So heißt bei MASARYK, wenn er „tschechisch" sagt, „menschlich" zu sein; ja, dagegen ist schwer etwas zu sagen. Da spricht sich die Seele eines MASARYK-Europäers aus, welcher, aus dem geschichtlichen Kontext heraus, eine gleichwertige tschechische Partnerschaft für das Europa herausprofitieren wollte. - Ein slawisch-religiöses Wunschdenken? Und durchaus demokratische und weitsichtige Denkweise vielleicht? Der ehrwürdigste Gegner MASARYKs, Josef PEKAR, hat in seiner Festrede (zum Abschluß des Franz-Joseph I. Regierens) diese Anti-MASARYK-Idee in seinem Satz zum Ausdruck gebracht: „Die Monarchie bietet dem tschechischen Volk so viele Freiheiten an, daß die Unabhängigkeitsidee zu ihnen nichts mehr hinzuzubringen hat" - da hat PEKAR wohl doch noch einmal etwas angesprochen, was für einen Jeden zu Ende des 1. Weltkrieges bereits tabu wurde.
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entfallt Und eben in diesem Punkt hat sich der imgrunde religiös denkende Historiker PF.KAR von dem historisierenden Soziologen MASARYK endgültig getrennt. „... aber es gab auch absichtliche Benutzung der Historie, wo ein - durch ein national-kulturelles Streben getragenes - Ziel immer die Oberhand über die Sorgfalt hatte ... ob nämlich ... die „durch die Geschichte gewonnene" Begründung auch mit der Wirklichkeit stimmt. - Hierher gehört auch die These MASARYKs. daß der Sinn der tschechischen Geschichte religiös sei." PEKAR, Josef: „Smysl ieskych dëjin", 401.
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Aber auch MASARYK selbst, einige Jahre davor, wurde in seiner „Tschechischen Frage" dessen bewußt, daß „Unser Volk ... im Konstitutionalismus, obwohl unvollkommen, so viel Freiheit gewonnen hat, daß es ... zu einer gewalttätigen Taktik keinen Grund g i b t . . . " . 5 3 Im Jahre 1916 ist aber von diesem Standpunkt nichts mehr geblieben: als sich das Schicksal der Donaumonarchie zu entscheiden begann, da sind nur die ganz Wenigen der kühlen politischen Vernunft - unter ihnen Karel KRAMAR vor allem treu geblieben. Es ist nicht uninteressant, daß MASARYK, der auf dem Thema „Rußland und Europa" die zentralistisch-koordinierenden Motive des Staates, des Glaubens, der gemeinsamen Kultur als klare Vorteile festgestellt hat, im Fall der „Tschechischen Frage" eben die gegenteiligen Akzente - „Unabhängigkeit",,.Freiheitsidee" und „Sprache" (dh. lokal wichtige aber schon bei den Nachbarn kaum verständliche Sprache) vertrat. Bereits 1869 hat es einer der bekannten Politiker Österreichs, Adolf FISCHHOF in den Worten artikuliert: „Kein anderes der Völker Österreichs besitzt solch ein starkes österreichisches Bewußtsein als die Tschechen selbst. Da sie nur und einzig in diesem Staat ein nicht ganz unwichtiges Element ... sind ... Der Untergang Österreichs wäre auch ihr Untergang geworden". Nun, diesem Untergang ging MASAR YK in einem jeden seiner Werke dynamisch entgegen. Zum Unterschied zu den ortskundigen Politikern (typisch ist der Satz von Graf Leo THUN, der sich selber weder als „Tschechen" noch als „Deutschen", sondern als „Böhmer" bezeichnete), die sich der Schwierigkeiten jeglicher Volksdefinition im böhmischen Bereich gut bewußt waren, stürzte sich der ,realistische" Politiker, z.T. im Widerspruch mit der von ihm renovierten tschechischen Tradition54 immer tiefer in eine pseudogeschichtliche Metaphysik hinein, aufgrund welcher er die „Tschechische Frage" in aller ihrer Kompliziertheit lösen und positiv vollenden wollte. Die Sprache - das nationale Heiligtum der tschechischen Intellektuellen seit BALBIN, ja seit HUS sogar, wurde dabei zum problematischsten Argument der tschechischen Politik überhaupt. Die „Hl. Wenzels-Sprache", die imgrunde tschechischlithurgische Sprache, in jedem Jahrhundert mühsam rekonstruiert und korrigiert, hat bei MASAR YK eine ideologisch-neue Rolle bekommen: nicht mehr als Schutzschild des tschechischen Christentums anerkannt, hätte sie doch eine schützende und in letzter Instanz argumentative Rolle spielen sollen. Daß diese Sprache, zwischen DOBROVSKYJUNGMANN und der Generation MASARYKs von neuem de facto entstand, und daß sie im sprachlich bizzaren Österreich- Ungarn keineswegs kommunikative, sondern eben eine trennende55 Rolle spielen müßte, das hat MASAR YK kaum ernst beachtet: in keinem anderen Punkt seiner tschechischen Politik hat er sich so weit von der geschichtlichen Realität als eben in seinem verfehlten 56 Sprachpatriotismus abgesetzt. 53 54
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„Die tschechische Frage", 57. So begründet z.B. Jan Amos COMENIUS, einer der Vorbilder MASARYKs, seine Zugehörigkeit zum Tschechentum überhaupt nicht durch Sprache und „historisches Recht", sondern durch die „gemeinsame Heimat"; die durch „gemeinsame Liebe, Eintracht und Streben nach gemeinsamen Gut" charakterisiert ist. COMENIUS übrigens, der einem MASAR YK noch am nähesten (als Moravus natione, lingua Bohemus ...) stand. Aus der Gesamtzahl der österreichischen (ohne Ungarn) Bevölkerung fiel an die Tschechen 23 %; zum Vergleich damit: Deutsche - 35,6 %; Polen - 17,8 %; Ukrainer - 12,6 %; Serben und Kroaten - 2,8 %; Italiener - 2,8 %; Rumänen - 1,0 %. Keiner der Stützpunkte der tschechisch-nationalen Argumentation entspricht der Faktizität: (1) es war nicht die Aristokratie, die nicht-Tschechisch sprach: im Gegenteil, zwischen dem Aufstand der „tschechischen Stände" aus 1618 und dem Jahr 1848 gibt es, als das überhaupt einzig-Kontinuierliche, die patriotische Initiative der Adeligen (aus den Häusern LOBKO-
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So auf dem Holzweg der Holzwege betont MASARYK seine eigenartige politische Konzeption als den einzigen Punkt der Sicherheit, von welchem her die Vollendung der tschechischen Selbständigkeit überhaupt möglich ist. Der erste, der schärfste Beobachter dieser Orientierung MASARYKs, der Historiker Josef PEKAR, hat dazu bemerkt, daß „... MASARYK ... das eigene, zweifelsohne edle Erziehungsziel durch die Scheinzustimmung der vergangenen Generationen..." 5 7 bestätigen will . Nun, ob es diese gab? Leichterhand überträgt MASARYK, auf ahistorische Art eigentlich, die jenseitsgeschichtlichen Akzente des Evangeliums, der Bergpredigt vor allem, auf die Denk- und Glaubensweise seiner Zeitgenossen: er selber hat diesen methodischen Fehler überhaupt nicht bemerkt - um diesen Zeitgenossen an seine Verpflichtung der göttlichen Providenz zu erinnern. 58 Nun, die einfachsten politischen Konsequenzen schon: das Alltägliche der tschechischen Politik hat den Mann MASARYK darüber überzeugen müssen, daß er in seiner Heimat (so hat er auch das Tschechische immer gesehen) nie ein Prophet werden kann. So greift MASARYK auf die beinahe schon vergessenen Aspekte der tschechischen Religionsgeschichte zurück, um, im Sinne von PALACKY, den Kampf der
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WICZ, SCHWARZENBERG, THUN, SPORCK, NOSTIZ, STERNBERG, WRTBA, KIN SKY, CLARY u.a.) wie es J. PEKAR bewiesen hat; die aristokratisch-tschechische Opposition gegen den Josephinismus (der zur tragenden Kraft der Germanisierung Österreichs wurde) hat möglicherweise die tschechische Sprache im entscheidenden Zeitpunkt gerettet; (2) es war nicht die evangelisch-brüderliche Tradition (die Evangeliker haben zwangsläufig emigrieren müssen), sondern eben die Jesuiten-Gegenreformation, die die sprachliche Erneuerung wieder begonnen hat (die Jesuiten sprachen mit dem Volk in seiner Mundart, um sodenn auch den weltanschaulichen Anschluß zu finden); (3) es war nicht der „nationale Kampf' als eben die globale Toleranz Österreichs, die eine Freiheitsbewegung überhaupt möglich gemacht hat: kein Anderer als eben der Historiker PALACKY wurde sich dessen besser bewußt. (Am „Kremsier-Reichstag" hat PALACKY drei Vorschläge insgesamt vorgelegt: alle drei mit dem Ziel, das Reich durch Dezentralisation wohl zu retten.) Nun, MASARYK glaubt, auf den Spuren von PALACKY zu gehen, auch wenn er das Gegenteilige vorschlägt. Dies austroslawistische Programm - dessen Hauptverkünder kein Anderer als der Radikale Karel HAVLÍCEK wurde - galt unter den vernünftig urteilenden tschechischen Politikern für die optimale Hypothese bis 1918 ... Nicht bei MASARYK. Es läßt sich ersehen, wie die dunkle Mythologie von „Finsternis" der katholischen Gegenreformation: eine eng-nationalistische falsche Idee, die die Tschechen auf unechte Art verband - zur Grundursache der politischen Fehler MASARYKs geworden ist. Nun, wäre unter diesem Gesichtspunkt die Grundidee der „tschechischen Selbständigkeit" und des „nationalen Erwachsens" nicht in Frage gestellt? Nicht zu unrecht wagt der tschechisch-kanadische Historiker dr. Miloä VITULA nicht, diese Konsequenzen aus der Vorgeschichte der „Tschechischen Frage" MASARYKs zu ziehen. PEKAR, Josef: „Sinn der tschechischen Geschichte" („O smyslu èeskych dëjin", tsch.), Vortrag vom 5. November 1928; in: „O smyslu òeskych dëjin", Rotterdam 1977, 383. „Der tschechischen Reformation ging es vor allem um die moralische Besserung des Einzelnen ... Durch seine Reformation hat sich das gesamte Volk die Frage der Autorität gestellt, so, wie wir sie eben heute verstehen. Und eben um diese Frage geht es uns in unseren Tagen - um eine Frage, die keine Verzögerung duldet und die nach einer Auflösung, koste es auch was es kostet, verlangt." MASARYK, Th.: „Zum 6. Juli 1415"; ein französisch gelesener Vortrag im „Großen Saal der Reformation" in Genf (es ging ein Vortrag von Ernest DENIS voraus); in: „Jan HUS", Zürich 1979, 182. Hierhin gehört die ganze, politisch tendenziöse Polemik MASARYKs gegen Josef PEKAÈ und Josef KALOUSEK; siehe ibid., 93f.
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Tschechen gegen das Deutschtum, als das vermeintliche Hauptproblem der tschechischen Geschichte, zu unterstützen. Bereits mit Fr. PALACKY beginnend, hat sich in der tschechischen patriotischen, vor allem historischen Literatur die Tendenz breitgemacht, den „Sinn der tschechischen Geschichte" im Kampf gegen die deutsche Kultur und Politik, vor allem im böhmischen Raum, zu suchen: „... es läßt sich sagen, daß die tschechische Geschichte vor allem auf dem Kampf gegen das Deutschtum ... gründet ..." artikuliert PALACKY eine seiner Hauptthesen.59 Keine kleinpatriotische These übrigens, sondern ein Versuch, die historische Wende in der politischen Orientierung der Tschechen, nach Westen hin, zu verwirklichen. (Die unterstützende Rolle der Beziehung zu Rußland wurde dabei nicht vergessen.) Auf den Spuren von PALACKY sieht sich MASARYK der Aufgabe eines verspäteten, doch historisch notwendigen „Erweckers" gegenübergestellt, immer überzeugt davon, daß die Auffassung PALACKYs (das „schlafende Volk" muß bloß erweckt werden), aus wirklichen Gründen hervorgeht: vor der Präsenz der mitbeeinflussenden deutschen Kultur sind seine Augen keineswegs verschlossen. „Das tschechische Volk ... vermag bis heute seine Nationalität zu verteidigen. Obwohl dieses Volk in sein Leben viel Deutsches übernommen hat, ist es doch immer ein slawisches Volk geblieben ,.." 60 So sucht MASARYK nach der Möglichkeit, diesen „tausendjährigen Fluch" der tschechischen Geschichte mit Hilfe der Philosophiegeschichte61, aufzuheben. Doch stellte MASARYK mit dieser These - die „tschechische Frage" sei vor allem als „religiöse Frage" (eine ziemlich konfuse Charakteristik übrigens) zu betrachten - nicht nur zwei isolierte, jenseits ihres geschichtlichen Kontextes getrennte Scheinkonstitutiva der neueren tschechischen Geschichte heraus; darüber hinaus leistete er damit auch einer bis heute wirkenden Fehleinschätzung der tschechischen Reformation Vorschub. Damit hat MASARYK zu einer Gesamtverwirrung der Diskussion über den „Sinn der tschechischen Geschichte" nicht wenig beigetragen. Es genügte MASARYK nicht, einige Truismen der österreichisch-loyalen Historiographie kritisch herzustellen: vielleicht kam es ihm mehr darauf an, die Zentralmotive des tschechisch-politischen Bewußtseins ausfindig zu machen. In diesem Interesse sollten, gemäß seiner Konzeption, drei Leitgestalten der tschechischen Tradition befragt werden, von denen her wohl eine ganz globale Orientierung herkommt: HUS, HAVLÍCEK und PALACKY. Bereits dieser Reduktionismus einer Auswahl scheint charakteristisch zu sein. Nun, auch wenn sich von diesen drei nur der Letztere voll in das gängige Paradigma der politischen Konzeption MASARYKs einfügt, sind doch die beiden Anderen nicht weniger wichtig (sofern man sie unter dem thematischen Stichwort „evangelische Tradition" betrachtet, was bei HAVLÍCEK allerdings schwer zu beweisen sein dürfte ...) Die gesamtchristliche Tradition Böhmens, die fünfhundert Jahre vor dem Hussitismus neue Akzente setzt, scheint MASARYK überhaupt nichts zu sagen, obwohl man die urevangelischen Motive im Mähren des 9. Jahrhunderts und in Böhmen um fünfzig 59
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„Dëjiny národu íeského ν Cechách a na Moravë", tsch., Verlag Β. Κοδί, Prag 1908, 8. Die letzte Version seines Opus Magnum schrieb PALACKY übrigens nicht im Böhmischen Königtum, dessen „Königlicher Historiograph" er wurde, sondern im Ausland: in Rom (zwischen den Jahren 1838 und 1839) und in Nizza (1844-1845). PALACKY, Fr. ibid., S. 8. Siehe seine später veröffentlichte Teilbilanz der Patriotismusidee in: „PLATO jako vlastenec" („PLATO als Patriot"), CM 1921, 17.
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Jahre später mit der gleichen Authentizität als in der Reformation des 14. Jahrhunderts zu suchen hätte. So kommt in der „Tschechischen Frage" nicht nur jenes dynamische Selbstverständnis, sondern auch eine Selbsteinschränkung gleichsam, von welcher her MASARYK den Sinn des tschechischen Menschseins erst im Kampfe HUS' um den Glauben erblickt und auf die Formel eines „Tábor-Programms" bringt.62 Nebst der Linie „HUS-HAVLÍCEK" ist es Jan KOLLÁR, welcher für MASARYK zum Ausgangspunkt der „tschechischen Frage" wird. Da es darüberhinaus einem jeden Historiker kaum möglich ist, die durchleuchtende Gestalt von Josef DOBROVSKY auszulassen (er selber ist eine Wende der böhmischen Geschichte), so übernimmt Jan KOLLÁR, gemäß MASARYK, das DOBROVSKYs Programm einer sprachlichen Erneuerung und - da folgt ein Kurzschluß - setzt, gegen die Kräfte des gelehrten Obscurantismus, die Linie der Reformation fort ... Über die sonst kaum versöhnlichen Gegensätze von zwei Konfessionen im böhmischen Raum leichtfertig hinweg versucht MASARYK mit dem Gedanken zu spielen, daß Karel HAVLICEK (in seinen „Kuttenberger Episteln") sogar eine eigenartige Religionsphilosophie zu entwerfen dachte: derjenige HAVLICEK, bei welchem, so MASARYK, die Idee einer tschechischen Selbständigkeit ihre Wurzeln schlägt. Zwischen dem Jesuitenpater DOBROVSKY, dem evangelischen Pfarrer KOLLÁR und dem voltairianisch sarkastischen Atheisten HAVLICEK scheint, in der Auffassung MASARYKs, ein nahtloser Zusammenhang des „Tschechentums" zu bestehen; ja, wenn es auch so wäre, wird man dann auch fragen können, in welchem Sinne eigentlich die „tschechische Frage" eine ,.religiöse" Frage sei, und wenn ja, auf welcher Religion dann die „Tschechische Frage" eigentlich gründet ... So kann über eine „tschechische Frage" überhaupt nur unter dem Standpunkt einer rein politischen Motivbildung auch die Rede sein. So sollte man die Linie, die von MASARYK mit den drei genannten Namen markiert wird, als politisches Programm der Tschechen sehen: eine „religiöse Frage" scheint doch jeinseits der Grenzen der Logik zu stehen. So ist von MASARYK her die „tschechische Frage" nicht sosehr auf echt religiöse, sondern eher auf eine unmittelbar-anthropologische Art gestellt. Es geht bei MASARYK nicht eben um jene religiösen Geistesbeiträge, die das Wirklichkeitsgefüge des Tschechentums von Grund aufprägen, sondern, im wachsenden Maß, um jene, die durch das unmittelbar menschliche Zutun ihrer großen Protagonisten in die Welt der tschechischen Tradition hineingetragen worden sind. So wird der Name „HUS" selbst zu einem Zauberwort der tschechischen Politik: so werden auch die Namen CHELCICKY, COMENIUS, DOBROVSKY, KOLLÁR, HAVLICEK, PALACKY zum symbolischen Ersatzausdruck für das ganze tschechische Volk - andererseits begeht MASARYK die Gefahr einer bloßen Personalisierung der tschechischen Geschichte, sofern er in diesen Persönlichkeiten nicht das zeitgemäße politische Interesse sucht, sondern eben das Gegenteilige: das Übergeschichtlich-Ideale einer Nationalkultur, die sich auf die Idee einer moralischen Reformation stützt. Nun, eben das scheint der kardinale Irrtum einer MASARYKschen Politik, und aus ihr 62
„Die Nachfolger der (Böhmischen-)Brüder, der HUS- Nachfolger (auch der Konfession nach - KOLLÁR, SAFA&ÍK, PALACKY) haben uns das erste nationale Programm herausgearbeitet. Vor allem PALACKY, der Vater der Nation, hat uns als Erster den Sinn unserer Geschichte und Reformation ausgelegt und den Gipfelpunkt ... und den Grundstein der tschechischen Geschichte dargestellt: das religiöse Brüder-Ideal." MASARYK, Th.: „Jan HUS", 8.
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hervorgehenden Geschichtskonzeption zu sein - zumal er von dieser Position her alle andere Alternativen ausschließt. „Die tschechische Frage fasse ich nicht in einem politischen Sinn, im Sinn einer politischen Praxis auf, sondern ich verstehe darunter eine soziologische Analyse aller Probleme, die sich dem aufdrängen, der den Sinn der tschechischen Historie begreifen will, der erkennen will, wie das eigene Volk kulturell lebt, was wir wollen, was wir erhoffen." 6 3 Nun, „Der Sinn setzt einen 'sinnverleihenden Akt' voraus" M , durch den der Mensch - oder das Volk - die „Sache" zu seinem „Mikrokosmos in Beziehung bringt" - in diesem Fall die ganze Geschichte und die Gesamtkultur, nun, wurde eben Böhmen nicht ein nahezu schulhaftes Beispiel für longitudinales Mit- und Zusammenwirken von verschiedenen Kulturen, und von zumindest zwei Völkern? Und - hat Josef PEKAR nicht bewiesen, wie ambivalent sich alles in der böhmischen Geschichte, zumindest seit dem Mittelalter, gestaltet hat? Hat er auf das äußerst Problematische einer einseitig hussitischen Tradition nicht hingewiesen? - Man würde, unter diesem Licht der Polemik um den „Sinn der tschechischen Geschichte", bezweifeln, ob die „politische Praxis" M A S A R Y K s eine genügend breite Basis für seine allzusehr allgemeinen Konsequenzen, die er aus seinen Reflexionen zog, darstellte. Um diese Gedanken vollständig auszuführen, bedürfe es, so Th.G. M A S A R Y K , einer „politischen Psychologie", nun diese ist noch nirgendwo entwickelt worden. M A S A R Y K s objektive Werttheorie ist ein Versuch (einer der zeitgemäßen Versuche, die später mit Max SCHELER ihre Synthese erreichen), aus der Krisis des Subjektivismus, in der die Philosophie gegen Ende des 19. Jahrhunderts stecken blieb, herauszugehen. Es ist gleichsam ein Versuch, das Wertvollste von der Subjektivität (wenn auch nicht eben im Sinne der Entdecker und Bahnbrecher der subjektiven Philosophie: im Sinne von K I E R K E G A A R D , SCHOPENHAUER, NIETZSCHE, D I L T H E Y z.B., zu denen M A S A R Y K wenn nicht einen gleich negativen, dann zumindest einen zurückhaltenden Standpunkt einnähme, auf konkret-menschliche, „demokratische, humanitäre" Art zu retten und unter einem neuen Gesichtspunkt umzuformulieren. „Die Tschechische Frage" ist nun für M A S A R Y K nicht nur ein Gelegenheitsthema, an welchem man die allgemeinen Probleme, als geschichtliche Beispiele einer konkreten Geschichte, darstellen kann; das wäre eben ein „philosophischer" Zutritt gewesen - nein, für M A S A R Y K ist die „Tschechische Frage" ein wirklicher Höhepunkt des Werdeganges einer Humanitätsidee, ein einmaliges und einzig wirkliches Phänomen Europas überhaupt, durch welches die Humanistätsidee, bei H E R D E R bloß angedeutet, „zu sich selbst" kam - und eben deswegen (da erkennt man den Politiker) ist dies Thema als der gordische Knoten der Geschichte Europas zur Analyse gewählt worden. Die „tschechische Frage" als Freiheitsfrage. - Nun, eine tiefere Reflexion des Begriffs „Freiheit" führt zum Gedanken einer „offener Gesellschaftsstruktur". Offenheit ist ein Wesenselement der „Zukunft" wie die Abgeschlossenheit ein konstituierendes Merkmal der Vergangenheit ist. Bei aller dieser Pionierarbeit, die M A S A R Y K für die Eröffnung der tschechischen Tradition in Richtung abendländische Kultur geleistet hat, ist er der üblichen Gefahr nicht ferngeblieben, die darin besteht, der Frage nach dem „Sinn tschechischer 63 64
„Die tschechische Frage", 253. „Philosophisches Wörterbuch", gegründet von Heinrich SCHMIDT, 17. Aufl., hrsg. von G. SCHISCHKOFF, Stuttgart, Kröner 1965, 551.
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Geschichte" (in der Polemik gegen PEKAR z.B.) die in der Tat allgemeinere Frage nach einer Menschen- und Menschheitsmöglichkeit in der Geschichte unterzuordnen. Es ist dann auch nicht merkwürdig, daß die Hauptfrage: nämlich die strukturell (und mit Rücksicht auf den europäischen Kontext) artikulierte Sinnfrage der böhmischen Kultur außer acht gelassen, und daß das erwünschte anthropologische Problem eines Tschechentums in Europa auf eines seiner Teilbereiche, die „tschechische Frage", reduziert wird. Schon dadurch hat sich MASARYK an allen seinen wesentlichen Konstitutiven Positivismus, Wissenschaft, kritische Vernunft, Humanität - grundlegend versündigt. Eine vielleicht überflüssig-ambivalente Konsequenz muß aus dieser Situation gezogen werden: über die epochale Spannung hinaus wird bei MASARYK das zur Sprache gebracht, was in der weiteren Abfolge der tschechischen Geschichte ihre leibhaftige Entwicklung in Richtung „Demokratie" ausmacht - doch wird zubald wieder auf die Pauke eines „Antigermanismus" und „Los-von-Rom-Bewegung" Grobianismus, auf die Momente also, die die MASARYKsche Geschichtsauffassung miniaturisieren, ja entwerten - geschlagen, die den ganzen Kampf der Tschechen um ihre Selbständigkeit gefährlich und militant reduziert. Die Spannung, von welcher her die Idee eines MASARYKschen Realismus lebt, ist von manchen Residuen belastet: es ist die Spannung zwischen geschichtlich gegebenem Dasein des böhmischen Raumes (eines Zwei-Kulturen-Raumes) einerseits und einer geistig-sittlichen Anstrengung der errungenen Vollendung einer bloß-slawischen Tradition andererseits. Es ist allerdings auch die Spannung zwischen totaler Reflexion der böhmischen Geistesgeschichte und einer begrenzt-politischen Naivität, infolge deren immer ein Deus ex machina, ein russischer Großfürst oder serbischer KARADJORDJE als letztes Heilsmittel gesucht wird. Das viel von MASARYK zitierte „sub specie aeternitatis" blieb, als letzte Ermahnung, und meistens als ein Postulat bestehen: „Meine Prinzipien und mein Programm sind aus unserer Geschichte gewachsen, in die ich mich eingekeilt, und aus der ich mein politisches und kulturelles Programm geschöpft habe." 65 Es wäre trotz alledem und gegen den Geist der Philosophie MASARYKs, nach einem „Historismus" bei ihm zu suchen. Der Historismus, dieses typisch deutsche Produkt (das seine höchste Ausdrucksform in der Geschichtsdialektik HEGELs fand) ist MASARYK fem geblieben: ja, man könnte in seiner „Sozialen Frage" die Beweise sammeln, daß MASARYK eben im Historismus den Grund und Boden einer marxistischen Revolutionstheorie gesehen hat. So wurde es nicht sosehr der Begriff einer „Geschichte" an sich, als eben die innige Verbundenheit MASARYKs mit dem „Geist der tschechischen Geschichte" 66 , was als entscheidende Inspiration der „Tschechischen Frage" zum Vorschein kommt. Nur von einem kritischen Abstand her ist also die „tschechische Frage"von MASARYK als legitime Nachfolge der tschechischen Tradition zu sehen - da würde man eben das bezweifeln müssen, was als allergrößte politische Leistung MASARYKs galt, d.h. der Weg zu Europa; der Gewinn eines Liberalismus 67 ; die Anknüpfung an die 65 66 67
„Tschechische Frage", 17. Siehe die Polemik MASARYKs gegen die Historiker Josef KALOUSEK und Josef PEKAft in seiner Schrift , Jan HUS", Abs. „Unsere Wiedergeburt und unsere Reformation", 95f. für Liberalismus und gegen den Indifferentismus..." gegen den „... lauwarmen Liberalismus" der Tschechen - Mag es auch so paradoxal Idingen, der überzeugte Europäer
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Aufklärung und freidenkende britische und französische Philosophie; ja sogar das Programm der tschechischen Nationalselbständigkeit überhaupt - alle diese Töne kehren in einem überschwenglichen und falschen Echo im Jahre 1918 auf den Gründungsakt des tschechoslowakischen Staates zurück. MASARYK, diesem etwas zu „rastlos sich betätigenden Mann" (GOETHE), war es in keinem Augenblick darum zu tun, einer von dem politischen Interesse befreiten Metaphysik der böhmischen Geistesgeschichte auf den Grund zu gehen und ein zutreffendes Paradigma, jenseits aller „cui prodest", von ihr zu liefern. Statt dessen hackte er an jenen seiner beliebten Stellen ein, die sich seinem kritischen Interesse besonders günstig dargestellt haben. Das radikal-patriotische Moment erlaubte ihm wohl, manches Idol der Geschichte von seinem unberührten Postament herabsteigen zu lassen. Nun, der naiv-romantisierte Zug seiner politischen Konzeption ließ sich bereits damals, in der 2. Hälfte der 90er Jahre, durch die Metaphern seiner Terminologie aus der „Tschechischen Frage" ablesen. Schon deswegen, daß der Aufruf MASARYKs nach einer grundlegenden Reformation in capite et membris (den er an die römisch-katholische Kirche richtet) hätte im gleichen Maße auch auf den tschechisch-nationalen Hintergrund seiner selbigen Politik bezogen werden können: kaum ein anderer Politiker der tschechischen Geschichte insgesamt ist in den entscheidenden Momenten seiner Tätigkeit so einsam und isoliert als eben MASAR YK gewesen. So scheint es ein charakteristischer Zug der tschechischen Kulturatmosphäre zu sein, daß z.B. solch ein Ernest DENIS' Werk „Böhmen nach dem Weißen Berg"68 ein günstigeres Echo bei den Lesern als die gesamte Quadrillogie MASARYKs 69 fand: es ist nicht nur der einzige Beweis der - eben politischen - Isoliertheit MASARYKs in der tschechischen Literatur. Was wieder nur eine logische Konsequenz dessen wurde, daß sich MASAR YK politisch sowohl von den Alt-Tschechen als auch von den JungTschechen 70 distanziert hat.
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M A S A R Y K hat gegen die „Liberalen " in Böhmen als gegen seine Hauptgegner zu kämpfen (die er gleichzeitig als nicht-genug-radikale Patrioten sieht) - ein deutliches Zeugnis der konfusen geistigen Situation Böhmens, in welcher alle Begriffe der europäischen Poliük ein bißchen falsch erklangen. Siehe vor allem die Polemik M A S A R Y K s gegen den „Liberalismus" in „Jan HUS", Abs. 22, 81f. DENIS, Ernest: „Cechy p o Bílé höre", I-VI, Prag 1904-1906. Es war imgrunde nur F.X. Saida, der in seiner Rezension in der Zeitschrift „Rozhledy" („Umschau") das Buch M A S A R Y K s hoch geschätzt hat. Und parallelerweise im Bereich der Politik Josef KAIZL, der - allerdings polemisch - in seinem Buch „Tschechische Gedanken" („Ceské myslenky") die Konzeption MASARYKs als eine bedeutende Tat bezeichnet. Siehe KAIZL, Josef: „Ceské my s leaky", Prag 1896. M A S A R Y K antwortete in einem Vortrag („O nové literature obrozenské"- „Über die neue Aufklärungsliteratur"), dessen Text in der Revue „CAS"(„Die Zeit"), Nr. XI, 1897, 51-56 veröffentlicht wurde. Das sei nicht nur als Beweis der Kompromißlosigkeit der Politik M A S A R Y K s zu sehen, sondern als ein Zeugnis seiner Unterschätzung der vis inertiae der - tatsächlichen - tschechischen politischen Tradition, wie diese, über das 19. Jahrhundert hinweg, das Gesamtbild der tschechischen Kultur geprägt hat. Ja, man könnte leicht den Eindruck gewinnen, Professor M A S A R Y K hat eigentlich nie begriffen (weil er es auch nicht begreifen wollte), mit wem er in der tschechischen Politik zu tun hatte. So verhält sich M A S A R Y K nicht nur zum Auftakt seiner Mission als ein typischer Ausländer in Prag, sondern auch dann, wenn er auf dem Höhepunkt seiner Tätigkeit steht. So ist auch zu begreifen, warum die sachkundige politische Öffentlichkeit in Böhmen einen Karel „KRAMAR - mit seinen sonst kaum akzeptablen Konzepten - immer für eine realistischere politische Alternative als einen „realistischen" Idealisten M A S A R Y K hielt.
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So ist nicht nur der politische „Realismus" MASARYKs, sondern auch die ganze „Tschechische Frage" eben eher ein Ausdruck einer politischen Exklusivität als ein Dokument einer tschechisch-demokratischen politischen Linie. Nicht zuletzt deswegen, weil MASARYK sich selbst als eine religiöse Persönlichkeit verstand. Mit dieser von MASARYK so kompromißlos geschichtlich aufgefaßten Aufgabe der tschechischen Tradition wird jedoch die Frage gestellt, ob und wie es gerade im Hintergrund seiner politischen Konzeption einen tatsächlich religiösen Ansatz geben kann: würde man darunter das Eingeständnis eines streng religiös-konfessionell-geprägten Glaubens verstehen, würde man wohl mit einer Fehlanzeige rechnen müssen; nun, versteht man unter ,.religiös" jedoch die tief fromme Annahme, die Welt sei als ein Geschöpf Gottes zu betrachten, versteht man unter „religiös" die restlose Ergebenheit der innigsten Berufung und Selbstaufopferung zugunsten dem höheren Prinzip, dann ist das philosophische, auch philosophische Selbstzeugnis MASARYKs eindeutig religiöser Art.71 Worin übrigens nicht nur das Wort „Religiosität" bei MASARYK, sondern seine ganze Geschichtsauffassung zu sehen ist. Das sind - in großen Zügen - die Konsequenzen, die Thomas MASARYK als Endergebnis aus seinem langjährigen, umfangreichen, ausführlichen und skrupellosen Studium, nicht nur der Tschechengeschichte, gezogen hat: „Die Tschechische Frage" blieb auch dann als Frage bestehen. Nun, der leidenschaftliche Objektivist hat sich dabei von seinem typischen ethisierenden Subjektivismus kaum befreit. So nimmt er, unterschwellig, seine politische Konzeption stets als ein letztes Kriterium der Geschichte an: so befaßt er sich fast ausschließlich mit den Persönlichkeiten, mit den tragenden Personen der tschechischen Geistesgeschichte, wobei er, leider Gottes, auch die Gabe besitzt, die nicht-passenden Persönlichkeiten der gleichen Geschichte, wenn sie auch wichtige sind (ein Joh. NEPOMUCENUS etwa) überhaupt nicht zu sehen.72 Nur mit großer Reserviertheit hätte man solchen Zugang zum Geist der tschechischen Geschichte für einen Weg der Wissenschaft halten können. Die großen Männer irren sich großartig. *
Versuchen wir nun von einem genügend langen geschichtlichen Abstand her, die Dimension der „Tschechischen Frage" mit der ihrer Kritiker, Josef PEKAft und Josef KAIZL vor allem, zu vergleichen, dann scheint allem voran die fachwissenschaftliche, präzise und hochstilistisch distanzierte Art der Auseinandersetzung zu dominieren, auf welche PEKAR das Mangelhafte und Vereinfachte der Auffassung MASARYKs, seinem selbigen Positivismus und den Sympathien mit den Freidenkern zum Trotz, entdeckt hat: PEKAR hat dabei die wirklich grundlegenden Probleme und Motive der tschechischen Geschichte unterstrichen.73 - Ein Josef KAIZLs Buch hat wieder 71
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Ein typischer Passus aus „Jan HUS" dazu: „... zur Aufgabe wird es, einen tatsächlich tschechischen Menschen in sich herauszuarbeiten ... einen modernen philosophischen Fortläufer auf dem Wege unserer Vorläufer, der Bruder!" (Abs. 17, S. 73). Besondere Aufmerksamkeit verdient da der Standpunkt MASARYKs zum Problem ,Josef JUNGMANN" - es ist als kein Zufall zu sehen, daß, einerseits, MASARYK so viel einen (sonst deutsch schreibenden) KOLLAR betont, wie er auch, andererseits, einen tschechisch schreibenden und ins Tschechische übersetzenden JUNGMANN in unverdeckten Worten in den Hintergrund der tschechischen Geschichte verdrängt ... Siehe den wichtigen Abs. 23 zum Thema „tschechischer Liberalismus" - in „Jan HUS" (S. 84f.) PEKAÈ, Josef: „Vom Sinn der tschechischen Geschichte" („O smyslu íeskych dëjin", tsch.), Prag 1912, 56f.
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auf gelassene, erhabene, wahrlich europäisch-höhere Art und Weise jene Kriterien der tschechischen Politik angesetzt (vor allem in Richtung Donaumonarchie), von denen her, vielleicht, am Bruch des Jahrhunderts die „tschechische Frage" als Bestandteil einer abendländischen Kulturganzheit noch zu lösen war. 77 Tschechische Historiographie schloß in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Reihe von bedeutenden Wissenschaftlern ein, die für die Gestaltung des tschechischen politischen Bewußtseins eine maßgebende Rolle zu spielen hatten. Es lag in der Logik einer politischen Konzeption des tschechischen Staates, die sich auf die Parole der historischen Rechte der tschechischen Nation stützte, die Historiographie im Sinne der Ersten Wissenschaft zu fördern. Es war nicht nur PALACKY, ganz im Gegenteil, er selber wurde von den Historikern als einer der politisierenden Geschichtsphilosophen (die sich mit der geschichtlichen Empirie nur nachträglich ausweisen) gesehen. Vor allem wurde es Wácslaw Wladiwoj TOMEK 7 5 , der Ehrwürdigste der tschechischen Historiker, welcher die Gesamtdiskussion, der die über lange Jahre hinweg sich durchziehenden Polemik über den Charakter und die Periodisation der tschechischen Geschichte, mit seinen schlüssigen Notizen mitgeprägt hat. TOMEK, ein typischer, in der deutsch-österreichischen Geschichtswissenschaft geschulter Empiriker von unerbittlicher Gewissenhaftigkeit und politischer Unbestechlichkeit wurde - vor allem im methodischen Sinne - zur allerersten Autorität der tschechischen Historiographie, auch dann noch, wenn der Ruhm des königlichen Historiographen PALACKY über alles ging. Der Schüler TOMEKs, Hermenegild JIRECEK 7 6 , setzte in seiner Politik die Richtung von W.W. TOMEK 7 7 fort, ebenso sein Bruder Josef JIRECEK - beide gehörten zu den Stützen des österreichischen Konservativismus, von welchem her ein PALACKY nahezu ein radikales Element sein dürfte. 77
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Siehe das opus zitatum. - Josef KAIZL übrigens wirft MASARYK die Heterogenität der behandelten Elemente ebenso wie die Stillosigkeit seiner Auffassung vor. TOMEK, Wácslaw Wladiwoj (wie er sich mit Vorliebe auf Alttschechsiche orthographische Art nannte), geboren am 31. Mai 1818 in Königgrätz, starb am 12. Juni 1905 in Prag, Professor für die Österreichische Geschichte an der Karls-Universität in Prag; 1882 ali. der erste Rektor der neu verselbständigten Tschechischen Karls-Universität (in dieser Rolle war es eigentlich TOMEK, welcher den jungen Professor MASARYK nach Prag zu berufen hatte), TOMEK, ein präsentes Gedächtnis des 19. Jahrhunderts, hat an der tschechisch-österreichischen Politik aktiv teilgenommen: in den Revolutionsjahren 18481849 als Parlamentsabgeordneter im ersten österreichischen Reichstag; 1861-1866 als Mitglied des österreichischen Reichsrats und des böhmischen Landtags; 1885 als Mitglied des österreichischen Herrrenhauses. - Aus seinem Werk: „Grundlagen der alten Topographie Prags" („Základové starého prazského místopisu", tsch.), 5 Bde., Prag 1865-1875; „Dëjepis mèsta Prahy" („Geschichte der Stadt Prag", tsch.), 12 Bde., Prag 1855-1901; 1. Bd. dt., Prag 1856; „Pamëti ζ mého zivota" („Denkwürdigkeiten aus meinem Leben", tsch.), 2 Bde., Prag 1904-1905; und ganz besonders interessant: „Styky mé s PALACKYm", Prag 1898. JIREÖEK, Hermenegild, Ritter von, JUDr, geboren 1827, gestorben 1909 in Prag; 18541894 Ministerialrat für Schulwesen, gab seit 1850 eine konservative Zeitung „Vidensky denik" für tschechische Politik heraus; Bruder von Josef JIRECEK (1825-1888), Pädagoge und Staatsmann; 1850-1871 Ministerialrat im Wiener Kulturministerium (davon ab 1874 in Prag tätig); 1878-1888 Mitglied des tschechischen Landtags, 1879-1888 Mitglied des Reichsrats. Einen adäquaten, im großen und ganzen vergleichbaren Nachfolger hat TOMEK nicht gefunden. Eine viel karrikierte, kaum nur einmal auch richtig beschriebene Persönlichkeit. - Eine objektive Studie kommt aus der Feder des Philosophen Julius LIPPERT: „W.W. TOMEK. Ein Lebensbild aus bedeutungsvoller Zeit", dt., in: ,deutsche Arbeit", 7. Jg., 8ff.
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So entstand eine politisch streng konservative, loyal österreichische, jedoch unverkennbar tschechische „historische Schule", deren Tätigkeit sich in der Abfassung der „Fontes rerum bohemicarum" (als ein Gegenüber zu den „Monumenta Germaniae histórica") konzentriert, nicht unbedeutend, hat. Auf dem Horizont solcher und ähnlicher, rein wissenschaftlicher und politisch unbeweglicher Historiographen (die andererseits von übernationalem Ruhm beschenkt worden waren) taucht zu Ende des 19. Jahrhunderts eine neue markante Persönlichkeit der tschechischen historischen Wissenschaft auf, von welcher viel erwartet wurde: Josef PEKAR. 78 PEKAR, aus einem tadellosen Hause der Wissenschaft, ein objektiver Historiker, ein Schüler von Jaroslav GÖLL79 und Antonin REZEK 80 , gehört zu den am selbständigsten denkenden Persönlichkeiten der tschechischen Kultur des 19. Jahrhunderts überhaupt. PEKAR (übrigens: direkter Generationsgenosse von LENIN, wie auch W.W. TOMEK direkter Generationsgenosse von Karl MARX war) hat bereits sehr früh die romantisierenden und idealisierenden Züge der Geschichts- und Gesellschaftsauffassung von PALACKY-MASARYK festgestellt und demzufolge sich als anführende Persönlichkeit einer tatsächlich kritischen historischen Richtung zugewandt, die auch den nationalistischen Vorurteilen gegenüber ihren gnadenlosen, objektiven Standpunkt zu wahren suchte. Das von MASARYK bewunderte Dreigestirn PALACKY - KOLLÁR - SAFARÍK hat, gemäß PEKAft, auf die Interpretation der tschechischen Tradition die Merkmale HERDERS auf ahistorische Art einfach übertragen: infolge ihrer ideologischen Verbundenheit, so PEKAR, haben alle diese drei Namen - jeder auf seine Art - die Linie einer tschechisch- selbständigen Tradition weitgehend reduziert. KOLLAR und SAFARIK haben, im Sinne der Humanitätsidee HERDERs, ein tschechischpanslawistisches Programm als letzte Konsequenz gezogen. Demgegenüber hat PALACKY (als allereinziger weil es am besten die Erbschaft des Hussitentums bewahrt hat) nach einer „Slawendemokratie" gesucht und ihr dann auch seine Interpretation der tschechischen Geschichte unterordnet. So steht PEKAR, logischerweise und imgrunde überparteilich, dem politischen Programm MASARYKs scharf gegenüber: er konzentriert sich auf die Streitpunkte einer tschechischen politischen Geschichte, wie sie durch PALACKY begründet und von MASAR YK mit geschichtlich-philosophischem Anspruch interpretiert wurde: die 78
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PEKAR, Josef, geboren am 12. April 1870 in Klein Rohozec bei Turnau (Böhmen), gestorben am 23. Januar 1937 in Prag, wurde er (nach seiner Habilitation 1897 in Prag Professor für Geschichte an der Karls-Universität·, er schrieb vorwiegend tschechisch. - Aus seinem Werk: „Tschechoslovakische Geschichte" („èeskoslovenské dSjiny"), Prag 1921; ,¿iika a jeho doba" („Zischka und seine Zeit"), 2 Bde., Prag 1927-1929. GÖLL, Jaroslav: geboren in Chlumetz am 11. Juli 1846, starb in Prag am 8. Juli 1929; Professor für Geschichte an der Prager Universität (1885-1910), einer in beiden Landessprachen Böhmens schreibender Autor von wertvollen historischen Studien; der Mitkämpfer MASARYKs im Streit um die „Manuskripte"; ein Synonym für seriöse Historiographie in Prag. Darüberhinaus ein patriotischer Dichter und Übersetzer aus der polnischen und russischen Poesie ins Tschechische. - Aus seinem Werk: „Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der böhmischen Brüder", 2 Bde., dt., Prag 1878-1882; „Bàsnë" („Gedichte"), Prag 1874. REZEK, Antonin, geboren 1853, gestorben 1909 in Prag, tschechischer Historiker und Pädagoge; ab 1883 Professor für Geschichte an der Prager Universität (bis 1896, dann Ministerialrat im Schulwesensministerium); 1900-1903 österreichischer Minister sans portefeuüle.
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PALACKY-MASARYK haben erstens, so PEKA&, die tschechische Geschichte unter einer ahistorischen und lokal- patriotischen Sichtweise dargestellt. „Ahistorisch" derart, daß PALACKY-MASARYK auf die Betrachtung der Geschichte solche Maßstäbe übertragen, die eher der gegenwärtigen tschechischen Politik, nicht sosehr dem tatsächlichen Inhalt, Charakter und Geist der Geschichte Böhmens auf adäquate Weise entsprechen. Dies ist vor allem für die „Demokratismus"-Idee der Fall: eines Begriffs, der erst im 19. Jahrhundert in Böhmen zu finden wäre. „Lokal-patriotisch" derart, daß (wie es PEKAR vermutet) PALACKY-MASARYK die „tschechische Frage" jenseits des europäischen Kontexts betrachten.81 Zum zweiten Male, PEKAR unterscheidet sich von MASARYK grundsätzlich und programmatisch. Den Meilenstein der tschechischen Geschichte, der unter dem Namen „Schlacht am Weißen Berg" in der breiten Literatur bekannt ist, diesen Moment begreift PALACKY als den schicksalhaften Anfang des „Dunkeln", der „Finsternis", der dreihundertjährigen Versklavung Böhmens unter dem Hause Habsburg. PEKA& demgegenüber sucht den „Weißen Berg" als Vollendung jener Prozesse, die bereits mit der Niederlage der Hussiten bei Lipan (1434) in Kraft traten, zu begreifen82, wobei er der hiesigen „Schlacht am Weißen Berg" keinen besonderen Stellenwert zutrauen will. So deutet er die Schlacht am Weißen Berg als den Sieg des „... vorwiegend aristokratischen Ideals über das Ideal, das vor allem demokratisch eingefärbt wurde".83 So sucht PEKAR, um die wissenschaftliche Bestimmung der von ihm selbst so genannten „tschechischen Frage" auf objektive Art zu setzen, nach gewissen höheren, über-tschechischen Begriffen, von denen her das Wesen der tschechischen Tradition besser zu begreifen wäre. Seine Kategorienlehre und seine Terminologie führt ihn dann in einen ganz anderen Bereich als es bei der PALACKY-MASARYK-Partei möglich war: so stellt PEKAR in den Vordergrund seiner Geschichtsauffassung die (europäisch wesentlich verständlicheren) Begriffe einer „Gotik-" und „Renaissancekultur" statt sich mit den von einer parteilichen Unversöhnlichkeit beladenen Begriffen „hussitische Reformation" und „Nach-Weißen-Berg- Gegenreformation" zu bedienen. So sucht PEKAR nach den europäisch- tragfähigen Kriterien der tschechischen Geschichtsauffassung, um das Unbehagen der „tschechischen Frage" einigermaßen korrekt loszuwerden. Es konnte nicht anders sein als daß sich, dem PEKAR entgegen, nicht nur einige Schüler MASARYKs, sondern eine ganze Protestwelle von MASARYK beeinflußten Historikern und Philosophen hervortat - nun, diese Geschichte wäre einer anderen Abhandlung wert. Der Standpunkt von PEKAR ist eine verständlich erklärbare Frühreaktion auf einen im Entstehen begriffenen unechten Ehrgeiz MASARYKs, als dem, einer tschechischen Kultur, Lebensspender und Retter. So scheint die von MASARYK aus provozierte Diskussion vom „Sinn der tschechischen Geschichte", unter dem Gesichtspunkt PEKAR' eine allzu flott gestartete und seit Anfang an undeutliche, von unanalytischen Begriffen belastete Diskussion zu sein, die ihren Zweck kaum erreichen kann. Für PEKAR ist MASARYK „... ein Philosoph, 81
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Als Beispiel: das Phänomen „Leibeigenschaft", dessen Anfang PALACKY in das Jahr 1487 legt, vermag PEKAR als eine der allgemeinen Verarmung des Bauernvolkes in Europa entsprechende Erscheinung, zu beweisen - so wagt er auch keine solch weitgehenden Konsequenzen aus diesem Phänomen zu ziehen, wie es PALACKY getan hat. PEKAR, Josef: „Kniha o Kosti" (,3uch der Burg Kost" ), Π, 124, 142-149. PEKAÍ, Josef: ,3flá Hora" („Am Weißen Berg"), Prag 1921, S. 105. „Kniha o Kosti" („Buch der Burg Kost"), II, 124, 142f.
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der als erster in den Neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts diese Frage in unseren Kreis getragen hat .,." 84 , nun doch wohl kein Historiker, den man ohne Wenn und Aber auch ernst zu nehmen hat. PEKAft unterstreicht, mit leichter Ironie, die Versuche MASARYKs, die Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen zu interpretieren. Für den Politiker MASARYK, so PEKAR, sei „... die Weltgeschichte ... das Weltgedicht." 85 *
Die Größe MASAR YKs lebt, im Gedächtnis der Generationen, aus der Einheit von Lehre und Leben: in der Einfachheit seiner Lebens- und Wahrheitsauffassung, in der Reinheit seines Charakters gründete die Wirksamkeit und Überzeugungskraft seiner Worte. Er kannte nur ein Ziel, und jeglicher Kompromiß lag ihm fern. Nicht „in eigenem Namen" lebte MASARYK sein Leben, sondern im Bewußtsein seiner höheren Berufung und Sendung - im Bewußtsein seines Charismas als Dienst an der Aufgabe, die ihm zuteil wurde, als unbedingte Nachfolge und Imitatio Christi auf andere Art. Angesichts dieser Aufgabe, deren Bild ihn gleichsam von innen heraus formte, mußte das Leben MASAR YKs zu einem Opfer werden, und seine politische Zielsetzung - angesichts der geistigen Situation seiner Zeit - zugleich zu einer inneren Notwendigkeit. Das Engagement MASAR YKs hat für das zeitgemäße philosophische Bewußtsein, nicht nur das der Tschechen, sicher einen sichtbaren Beitrag geleistet: schon vor dem Versuch MASAR YKs her, den Menschen seiner Zeit als das eigentliche Subjekt der Geschichte zu fassen, zu beschreiben, zu ermuntern und ihn gleichsam in der Tiefe der existenziellen Grundlage des Menschseins zu begreifen, gab es viel zu lernen. Doch wendet sich der denkerische Ansatz MASARYKs vor allem gegen die philosophischen Strömungen seiner Gegenwart, sofern sie versuchen, die Denksysteme zu errichten, in denen die Totalität des Seins, gleich einer kurzen Formel, zu fassen. So setzt der philosophische Individualist MASARYK den Menschen als pure Einzelexistenz voraus. Es geht ihm um die Suche nach einem den Menschen beherrschenden und einigenden Prinzip, von dem her man auch einen gemeinsamen Bezugspunkt finden könnte, auf den hin sein Sein orientiert ist und von dem her man sich selbst als Menschen charakterisieren könnte. Dieser Orientierungspunkt heißt bei MASARYK „Reformation": „In die Augen schlägt die Unfähigkeit eines sonst weltkundigen Liberalismus, die, vor allem religiöse, Ausprägung unserer Reformation anzuerkennen, und deshalb auch die ganze Fülle zu begreifen, welche die religiöse Reform direkt und indirekt beinhaltet. ... Obwohl die Reformation religiöser Art war, war sie nicht... gegen die Philosophie und Wissenschaft orientiert: die Religion und die Wissenschaft, echte Religion und echte Wissenschaft, schließ sich nicht aus."86 In seiner Selbstaufopferung sucht MASARYK übrigens keineswegs nach einem asketisch-mittelalterlichen Vorbild, ganz im Gegenteil, er versucht, seine eisern strenge Privatphilosophie mit den modernsten philosophischen Strömungen zu verbinden - vermochte auch sein inneres Wesen zu seinem vollsten und klarsten Ausdruck zu gelangen: Selbstaufopferung nicht als bloße Selbstverleugnung, sondern im tiefsten Sinne gleichbedeutend mit Selbstfindung und Selbstbehauptung, von denen her das Charismatische des Philosophen wiederum von neuem bestätigt wird. 84 85 86
PEKAR, Josef: „Der Sinn der tschechischen Geschichte", Neuausgabe München 1961, 6. Ibid., 7. MASARYK, Th.: J a n HUS", Abs. 4, 16.
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So kennt er nur einen Sieg, kein Ende: so steht er immer nur wieder am Anfang, immer gescheitert und doch nie geschlagen. So ist auch so schwer festzustellen, was er eigentlich entdeckt, originell formuliert, denkerisch begründet hat: alles andere sonst, die ganze politische Geschichte, scheint ein Prachtstück der Lebensfähigkeit und als aufs reinste angewandte kritische Vernunft zu sein. Ein faustisches Drama, bei welchem das Mephistophelische nicht ganz fehlt. Denn eben das Schicksal einer politischen Philosophie darf nicht eine lineare Funktion des persönlichen Engagements sein: dem Charismatiker zum Trotz. Kaum hätte er es nicht wissen können. MASARYK ist ein durchaus politischer Denker. Für die Probleme der theoretischen Philosophie weist er ein geringes Interesse auf, desto mehr ist er aber um die praktischpolitischen und (nicht weniger praktisch-) religiösen Aspekte der „tschechischen Frage" interessiert. So bietet die Auffassung dieser Thematik ein imgrunde doppelsinniges Bild einer scharf-politisch gedachten, in den letzten Begriffen doch ziemlich problematischen und undeutlichen Analyse an, die jedoch mit den höchsten, geschichtlich verpflichtenden Ansprüchen hervortritt. An den politischen Radikalismus und moralischen Rigorismus MASARYKs schließt sich die etwas konfuse Vorstellung über die geistige Tradition Böhmens an, die zwischen den zwei Polen der Geschichte des böhmischen Raumes - dem lateinisch-europäischen einerseits und dem tschechisch-slawischen andererseits - unbeholfen schwanken bleibt. Dem Mythos einer „tschechischen Tradition" scheint dabei MASARYK wesentlich näher als einem objektiv- geschichtlichen Standpunkt (der Wissenschaft eben) zu stehen. Und das tschechisch-deutsch-Grundsätzliche wird beinahe als ein schwarzweiß-stilisiertes patriotisches Gemälde für die Ermunterung des tschechischen Volkes dargestellt. Bei alledem ist er doch zur ersten Autorität der offiziellen tschechischen, patriotischen, doch nicht unkritischen Philosophie geworden, und nicht nur der Philosophie. Nicht geringere Bedeutung, als die um die tschechische politische und Moralphilosophie hat MASARYK auch für die Entwicklung der tschechischen Soziologie, Pädagogik und einer weiteren Reihe von humanphilosophischen Disziplinen gehabt: er erfüllte in seinem Philosophiekonzept das Ideal eines platonischen, weisen und vernünftig herrschenden Philosophen, der mil seinem Geist die Ganzheit der menschlichen Kultur durchdringt. 87 In seinem Denken und Fühlen gehört MASARYK noch ganz der großen Geistestradition des Humanismus und des aufgeklärten Christentums an. Doch gerade seine Liebe zu den Idealen dieser untergehenden, bereits fast vergangenen Zeit ließ ihn das Ungenügen an der Gegenwart und das Verlangen nach ihrer Reinigung und Erneuerung umso stärker empfinden. Seinem Naturel nach ein Protestler, seinem Wesen nach doch kein Revolutionär, auch noch kein Reformator der neuen Kirche, wie sie Luther oder 87
Das Verdienst MASARYKs muß trotzdem als eine problematische Leistung eines Freidenkers betrachtet werden: weil er, als die meisten Philosophen seiner Zeit, die Offenbarungsreligion in Mißkredit zu bringen suchte. Von den Entwicklungstheorien beeinflußt, sah auch MASARYK die Religionspädagogik als nutzlos an, und meinte, man könne sie durch „wissenschaftlichen Fotschritt" ersetzen. Als er vor dem universalen Phänomen der religiösen Erfahrung stand, griff er zu psychologischen und soziologischen Theorien, um die geoffenbarte Religion als eine Illusion zu erklären. Es kann gar nicht verwundem, daß die Theologen und Religionswissenschaftler beider großen Konfessionen in den böhmischen Ländern sich im allgemeinen weigerten, die Philosophie MASARYKs auch in diesem Zusammenhang als verpflichtende Orientierung ernst zu nehmen.
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Calvin begründeten, war MASARYK doch der allerbeste Vertreter der geschichtlichen Wertekontinuität, was gleichsam nichts anderes als eben eine Mühe um ununterbrochene Reformen bedeutet. Sein Hang am unerschütterlich Moralischen, seine Treue zum Bestehenden (sofern dies auch moralisch und vernünftig genug ist), ließ ihn noch nicht zu einer totalen Verzweiflung gelangen, die die radikale Umkehr und Gegnerschaft ermöglicht. Doch deutlicher als viele seiner Zeitgenossen fühlte er sich in die Widersprüche der Zeit verwickelt, die ihn - halb unfreiwillig - dazu trieb, als eine führende Persönlichkeit aus ihr herauszutreten. Ohne es zu wissen, und wohl ohne daß er es so gewollt hätte, wurde er zu einem Wegbereiter der „Reformation" (was man so unter den etwas idealistisch angelegten Kommunisten als Wegbereitung der proletarischen Revolution manchmal verstand), und zum Anlaß einer nicht nur religiösen, sondern gleichsam sozialen und politischen Bewegung, die seinen Namen und Züge seines Wesens trug, in ihrer nationalen Radikalität jedoch weit über die Grenzen einer bloß allgemein menschlichen Demokratie hinausging. Bei MASARYK geht sein Rationalismus mit dem eifrigen Glauben an Charisma, Persönlichkeit, Charakter und Wahrhaftigkeit (plus göttliches Gesetz) Hand in Hand: so verbindet er absichtlich die Idee einer Providenz (COMENIUS) mit seiner Ehrfurcht vor dem verborgenen Sinn der Geschichte (PALACKY) und maximalem persönlichen Ansatz (HAVLICEK), ohne dabei der Widersätzlichkeit dieser Komponenten ganz bewußt zu sein. Seine Geschichtsphilosophie befindet sich viel zusehr im Einverständnis mit dem sozialpolitischen Interesse des zeitgenössischen tschechischen Patriotismus, als daß man bloß über die unpersönlich-forscherischen Motive sprechen dürfte. Andererseits, gerade diese politisch-charismatischen Anklänge wirken sich auf jenen - imgrunde säkularen - Bereich der „Tschechischen Frage" aus, in welchem sich MASARYK vollgültig, mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit, selbstverwirklicht hat, und in welchem demgemäß auch die persönlich- religiösen Akzente seines Werkes gesucht werden müssen. Und, was die inspirative Kraft des Patriotismusbewußtseins noch mehr unterstreicht: sie steht in keinem Widerspruch zur ungewöhnlich breiten thematischen Orientierung, die trotz allen Versuchungen der tschechischen Politik in ihrem wissenschaftlichen Anschlag nicht verloren hat. Wenn auch MASARYK, nach Böhmen hinein, die Welt- und Großdimensionen der Philosophie mitgebracht hat, wenn er auch in einem sonst jenseitsgeschichtlichen Kulturkreis ganz ungewöhnlich moderne Akzente einer modernen Denkweise gesetzt hat, bei alledem wäre es doch schwierig, in seiner eigenen und eigentlichen Philosophie das Allergrößte des philosophischen Gedankens zu finden: vielleicht einer persönlichen Bescheidenheit zufolge? Sein Verzicht auf das rein-philosophisch-Experimentelle den Denkens, seine Abneigung vom Abenteuer der geistigen Erkenntnis, zugunsten der Suche nach den sicheren Sützen seines politischen Programms, seine nur halbvollendeten Ausbrüche in ständig neue Themenkreise, die nie bis zur allerletzten Konsequenz durchgeführt worden sind: das Gros der Philosophie MASARYKs scheint sein Anstreben einer philosophischen Synthese mehr mit einem Herbert SPENCER oder John Stuart MILL, weniger mit HEGEL, KANT oder SCHELLING zu verbinden: das denkerische Format MASAR YKs ist kaum mit einem FEUERBACH oder KIERKEGAARD, eher mit einem SCHLEIERMACHER u.a. Philosophen-Theologen überhaupt vergleichbar zu machen. So bleibt auch die philosophische Orientierung MASARYKs nicht sosehr mit der innerlichgeistigen Leidenschaft der großen denkerischen Charismatiker als mehr mit einem zweckmäßigen und pragmatisch-utilitaren Eklektizismus innerlich verwandt.
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Das Schicksal einer brennenden, leidenschaftlich suchenden Seele, die sich auf das förmlich Begriffliche wenig besinnt und alle Mühe der Aufgabe widmet, einen wirksamen menschlichen Enthusiasmus bei seinem Nächsten zu erwecken. Im Sinne seiner metaphysischen Ansprüche hätte M A S A R Y K selber kaum leben können, so wurde er doch zum geistigen, in alle Richtung ausstrahlenden Zentrum der humanistischen Initiative seiner Zeit. *
Ob ein Philosoph auch ein Staatspräsident sein darf ... „Keiner ist Prophet in seiner Heimat ...". So kehrt M A S A R Y K , vom weiten Amerika her, nach Prag zurück, um seine Prophetie zu vollenden. So ist er an einem herrlichen (und sonst geschichtlich rein zufälligen) Tag, an einem zum nationalen Gedenktag erklärten und in die Ewigkeit eingravierten „28. Oktober 1918", zum lebendigen Halbgott, „Präsident Befreier", aufgerufen. - Nicht ganz zwei Jahre später sind in der Nähe Prags, bei einem nun demokratischen Protestzug die unschuldigen Kinder von der neuen CSR-republikanischen Gendarmerie erschossen worden, und der siebzigjährige Staatspräsident T G M hat endlich begriffen, daß man in Böhmen kaum eine HERDERK O L L Á R Politik verwirklichen darf - so hat sich der alte Philosoph in sein wissenschaftliches Jenseits zurückgezogen, und die Macht und Herrschaft an seinen treuen Helfer, Edward B E N E S de facto anvertraut. - Zwei Jahre der Humanität nach Tausend Jahren der Unterdrückung ...
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m. V o m Sinn der Utopie
„Der Abschluß der Philosophie erscheint als ein Triumpf der Welt, die sich von den Anforderungen der technisierten Wissenschaft unterdrücken ließ", sagt der vielfach enttäuschte, einsame, alte Mann, ein Martin HEIDEGGER aus dem Jahre 1965, als er seinen Abschied von der glanzvollen Welt der Universität, ungewollt, doch freiwillig, in seiner Schwarzwaldhütte vollendet hat - stirb und werde ... Der Abschied von der großen Metaphysik hat keineswegs das endgültige Ende der Philosophie bedeutet: die Philosophie begnügt sich immer nur damit, was sie selbst auch ist, und der Philosoph tut immer nur das, was er einfach ohnehin auch tun muß. Nun, die tschechische Philosophie begann sich, auf gut metaphysische Art, erst dann zu gestalten, als die großartige Metaphysik bereits verabschiedet wurde. Niemand im Königtum Böhmen hat es bemerkt. Die pseudogeschichtliche Kulisse eines halbklassischen Herbartismus hat die Ausschau über den Zaun des Böhmerwaldes gründlich verhindert: und die „preußische" Philosophie wurde nicht gefragt. Die neuen Bahnbrecher des philosophischen Denkens - Ludwig FEUERBACH, S0ren KIERKEGAARD, Friedrich NIETZSCHE finden im Böhmischen erst bei Fr. KREJCÍ in seiner „Philosophie der letzten Vorkriegsjahre" überhaupt ein, unbedeutendes, Echo. Daß dazwischen eine bereits reichlich differenzierte marxistische Philosophie, auf den Spuren des Junghegelianismus, entstand, begannen die ersten sozialdemokratischen Theoretiker mit Verspätung zu registrieren: für MASARYK gab es diese Philosophie nie. Die Akzeptanz von HEGEL wurde durch die Herbartianer, die freie Orientierung in den späthegelianischen Richtungen durch den HERBART- Gegner MASARYK verhindert. Dazwischen wurde fleißig kopiert, erklärt, Gott sei Dank auch übersetzt, nun, ein Weg geistiger Originalität war es gerade nicht. Der Kampf um die „historischen Rechte" hat auf indirekte Art den provinziellen Charakter der tschechischen Tradition wieder bestätigt. „Der Werdegang einer Hoffnung". - In der Tat war es eine Utopie, mit vielen Unbehagen, eine Utopie der Freiheit, der Menschenwürde und Größe, eine Utopie der freiheitlichen Erziehung und Entscheidung, und, erreichbarer gesellschaftlicher Veränderungen - aber nur sofern eine Utopie kein τόπος findet, kann sie auch als eine freie Suche nach neuen Horizonten gelten. - Der Ort und die Stelle wurden doch bekannt, und die freie Entscheidung vielfach manipuliert. Man lehnte die HEGELsche Geschichtsauffassung - als die innerlich-dialektische Freiheitsentwicklung - ab, man sehnte sich doch nach einer die gesamte Gesellschaft umfassenden Freiheit als nach einer sittlichen Forderung, die in den fernen Ursprüngen der slawischen Kultur und Sprache gesucht wurde. Man glaubte eine schrittweise „evolutionistische" Entwicklung von der Freiheit als Vorrecht zu der Freiheit als Natuirecht und von da weiter zu der geistigen Freiheit der konkreten Persönlichkeit anstreben zu dürfen. - Nun, wie gesagt, man wollte dabei nicht der Skepsis HEGELs zustimmen, wonach der Freiheitsbegriff keine empirischen Eigenschaftsbestimmungen verträgt, und die Freiheit, ihrem Wesen nach, als das Unendliche schlechthin zu denken sei. Und vor allem, man wollte von einer deutschen Philosophie gar nichts hören: die Freiheit gab's im 19. Jahrhundert in Böhmen auf zweierlei Art, auf die tschechische und deutsche Art, immer falsch. - „Die Wahrheit ist das Ganze." (G.W.Fr. HEGEL, „Phänomenologie des Geistes"). Es wurde der utopische Versuch einer tschechischen Selbstbegegnung, im Sinne eines ethischen Radikalismus, von welchem her erst die Freiheitsidee als zugleich geschichtlich und geschichtlich - primordial - zu verstehen sei: einer Selbstbegegnung mit der slawischen Natur der tschechischen Kultur selbst. Einer „slawischen Natur" übrigens, die zwar als eine allmenschliche Eigenschaft
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(im Sinne HERDERs) kaum aber noch als vollwertiger Weg zur europäischen Spiritualität, nach wie vor, existierte, und die man zu einem guten Teil aufgrund riesiger spekulativer Konstruktionen (ebenso aufgrund, wie später entdeckt, zum Teil fiktiver empirischer Voraussetzungen) zusammenzufassen hatte: eine typische Erscheinung der ersten dreißig Jahre des 19. Jahrhunderts, die Hand in Hand mit den zeitgemäßen ideologischen Strömungen ging, um die alten Rudimente zu beleben. „Die Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen", hat später Theodor LESSING (ein Freund MASARYKs übrigens) sein berühmtes Buch betitelt, um dem heiß aktuellen Problem eines neuen Europas den Namen zu geben. Nun, man hätte solch eine Idee in Prag der 60er Jahre mit Verachtung abgelehnt: man wollte einfach nicht die bloße Annahme - die logisch gleichwertige Hypothese - akzeptieren, es gäbe unter Umständen zumindest keinen greifbaren Sinn des Tuns; und trotzdem muß man weiter leben. Die tschechische Sinnfrage wurde mit deutlichen geschichtlichen Akzenten versehen, und glich der Suche nach dem Absoluten: nach dem Sinn verbürgenden Absoluten der Menschenexistenz. Obgleich die geschichtliche Dimension der Sinnfrage, zumindest seit NIETZSCHE und HUSSERL, mit methodischen Vorbehalten und sogar mit Ängstlichkeit markiert wurde, wurde noch viel später ein riesiger Streit mit unverdeckter Naivität, aber auch mit brisanter Emotionsimpulsivität gestartet, in welchem die „Sinnfrage der tschechischen Geschichte" allen anderen Themen der Philosophie als weit überlegen dargestellt wurde. Daß dabei ein Josef PEKAR die Idee einer geschichtlichen Kontinuität scharf von den Möglichkeiten jeglicher Geschichtsphilosophie (mit einem Anspruch auf eine Sinndeutung der Menschengeschichte als Totum) getrennt hat, das hat seinen Kontrahenten MASARYK wenig interessiert. MASARYK lehnte NIETZSCHE ab, selber philosophierte er aber mit dem Hammer. Und, daß ein von der „Humanitätsidee" her zu erziehendes Volk einen Sinn bloß in seiner (nicht aber ganzheitlichen Geschichte, der Geschichte Böhmens) suchte, eben deswegen, weil man die Hypothese überhaupt nicht zugelassen hat, der Geschichte stehe lediglich ihr immanenter Un-Sinn zu, eben deswegen stand man eines Tages der Idee einer „revolutionären Utopie" nahe. Die Donaumonarchie wurde sicher kein Ideal. Doch die Art und Weise, mit welcher ihre gesamte Tradition, im Namen einer durchaus abstrakten Humanität, verschmäht wurde, wurde zu einem Mißanfang der längst ersehnten Republik: am Tage der Scheinverwirklichung starb die Utopie.
Ob die „tschechische Frage" eine religiöse Frage ist und war? Das πρΠτον ψευδών der römischen Religion bestand für MASARYK im Absolutismus einer von der tschechischen religiösen Tradition nur scheinbar unabhängigen Christentumsauffassung. Zum eigentlichen Gegenstand der „tschechischen Frage" wird bei MASARYK die „Wahrheit", das HUS'sche „Suche die Wahrheit!" - dadurch erfüllt sich bereits die tschechische Botschaft für die Welt schlechthin, darin liegt ihr religiöser Kern. - Nun, der pragmatische Charismatiker hat dem Interesse-Prinzip zwar nicht gehuldigt, hat es aber auch nicht abgelehnt. „Die wahrhafte Wirklichkeit ist Notwendigkeit" (G.W. HEGEL, Staatsrecht, 363). - „Die Wirklichkeit ist nichts Unvernünftiges". - Die Frage nach dem letztlichen „Woher" der nun tschechischen Tradition wurde sogar bei MASARYK nicht als interessenlose, bodenlose Frage einer humanitären Reli-
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gion betrachtet. Nicht die MASARYKsche Providenz stand jenseits vom „System der Bedürfnisse" - denn „Dies Bedürfnis, das Subjektive und Objektive, die Empfindung und die Forderung derselben nach Gegenständen, den Verstand durch die Phantasie in einem Schönen, einem Gotte zu vereinigen, dies Bedürfnis, das höchste des menschlichen Geistes, ist der Trieb nach Religion." (G.W.F. HEGEL, „Frankfurter Fragmente", 1798) In diesem Sinne ist Gott nicht „an und für sich" begreifbar, sondern allein in seiner Beziehung zum Menschen. So geht es in MASARYKs anthropologisch-motivierter „religiöser Frage" darum, das Allgemeine der Religion mit der geschichtlich-nationalen, ja mit der persönlichen Erfahrung des Menschen mitteilbar und nachvollziehbar zu machen. Es ist jedoch das Vernünftige dieser Erfahrung, was uns wieder zur praktischen Welt zurückführt. - „Die Vernunft ist der Boden, auf dem die Religion zu Hause sein kann." (G.W.Fr. HEGEL, „Religionsphilosophie"). - Nun, ganz zuhause ist sie da jedoch nicht. Dies Ambivalente der geschichtlichen Philosophie MASAR YKs, dieses zwangsläufige Schwanken zwischen einer realen „Rechtspolitik" einerseits und einem religiösunpersönlichen Fundament der „tschechischen Frage" andererseits, eben das bot dem späteren politischen Pragmatismus, der im Geiste MASARYKs praktizierten Politik, eine ziemlich zweideutige Chance. In einem Punkt hat sich MASARYK von der übrigen tschechischen Politik ganz scharf getrennt: es sei nicht sosehr die dubiose Frage nach den „Rechten", als nach der Wahrheit, die das Motivhafte der MASARYKschen Anthropologie verständlich macht. Weil er aber gleichzeitig auch eine „praktische, realistische" Politik zu treiben versuchte, blieb er auch dem Gesetz des politischen Alltags Untertan: diese kryptische Ambivalenz der „tschechischen Frage" ist jener bekannter Unterschied, um mit HEGEL zu sprechen, zwischen dem „wirklichen Geiste" und dem, „der sich als Geist weiß" - dieser Unterschied ist nur in dem Geiste aufgehoben, der sich „nach seiner Wahrheit weiß". (G.W.Fr. HEGEL, „Rede beim Antritt des Rektorats an der Berliner Universität") - Und übrigens ist es nicht notwendig, einen HEGEL da zu zitieren, wo HEGEL nicht besonders originell erscheint: er selber wollte hier, vielleicht, bloß an das allgemein Bekannte erinnern. Nun, kaum ein anderer Denker der tschechischen Geschichte ist geradezu durch die HEGELsche Terminologie so genau faßbar wie der Anti-Hegelianer MASARYK selbst. Um es mit anderen Worten zu sagen, es entsteht die unvermeidliche Frage, ob die MASARYKsche Geschichtsauffassung, sofern das Religiöse, das wahrhaft Fromme der tschechischen Geschichte von dem wesentlichen - eben geschichtlichen - Gehalt getrennt wird, ob also das willkürlich und lückenhaft konstruierte Paradigma einer „tschechischen Frage", ob solch eine Operation überhaupt nicht anders als ein bloßer Eklektizismus denkbar ist. - Ein Wunschdenken in der Role einer zweiten Schöpfung. Das MASARYKsche Denken erzeuge einerseits seinen Gegenstand: MASARYK selber aber fühlt sich diesem von ihm bereits gewählten Gegenstand gegenüber bis zum Äußersten zur Wahrheit verpflichtet, derart, daß jegliche Subjektivität ihren Gegenstand als unerzeugbar vorfindet. Daraus ergibt sich, nach dem Schema des mittelalterlich-scholastischen OCCAMsRasiermessers, die zweimal absurde Möglichkeit: daß, einmal, die Rekonstruktion der „historischen Rechte" nicht möglich sei (war es auch nicht: eben in ihrer empirischgeschichtlichen Gestalt), oder daß, zum zweiten Male, diese Rekonstruktion (in einer modernisierten Form) zwar möglich, nicht aber (in der einzig historisch-gegebenen, als „möglichen" negatio negationis, als Destruktion Österreich-Ungarns) sinnvoll ist. Dieser Widerspruch läßt erkennen, welche Abgründe sich dem denkenden Leser
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der Schriften MASARYKs auftun, wenn dieser gleichzeitig auf das WahrhaftGeschichtliche verwiesen wird. MASARYK suchte in der tschechisch-religiösen Frage" die Bestätigung für die nationale, und - darin besteht das Scheinproblem dieser Frage - menschliche „Selbstbestätigung". - Nun, um da noch einmal mit einem wirklichen Philosophen zu sprechen, „Religion ist nun eben dies, daß der Mensch den Grund seiner Unselbständigkeit sucht; er findet erst seine Beruhigung, indem er das Unendliche vor sich hat." (G.W.Fr. HEGEL, „Religionsphilosophie").
Der Philosoph begeht immer die Doppelgefahr: sowohl einer illusionären Realitätskonstruktion, die ihn in die Einsamkeit führt und schließlich auch auf die Einsamkeit an sich hinausläuft, als auch die Gefahr einer plausiblen politischen Theorie, die ihn wiederum mit der defizienten Struktur der Gesellschaft verbindet, welche er nicht akzeptiert und welche ihn zuletzt auch unfrei macht. Oder macht er von der Möglichkeit des Schweigens Gebrauch: dies allerdings käme einer Selbstentmündigung gleich, und es kann da kaum die Rede von einer tatsächlich philosophischen Rolle sein. Die Stimme demnach ist der Philosoph jedenfalls (wobei von dem prophetischen Ansatz, dem unpersönlichen Anspruch einer Erlösung wohl nicht ganz abgesehen werden darf): es wird doch mehr als nur die Stimme erwartet. Es wird von ihm erwartet, daß er Freidenker, ein frei denkender Mensch sei und sein muß. Ja, er muß dermaßen frei in seinem Denken vorgehen, daß seine Rolle auf ein endgültiges Nein, auf seine Nichtigkeit also reduziert wird, und es ist dies eigentlich das zu Erwartende seiner Rolle. Es sei hier demzufolge an das Göttliche und nicht an das Persönlich-Mitteilbare der Philosophie zu denken. „Zu einem Geist kann man nur ein geistiges Verhältnis haben", sagt S0ren KIERKEGAARD. In Beziehung zum Prinzip des Seins ist der Mensch ein Wesen, das sich durch die „un-vernünftige" Leidensfähigkeit auszeichnet, die gerade eine Nachfolge Christi ermöglicht. Sagt der Theologe. Aber auch wenn eine durchaus säkulare Denkweise demselben Problem folgen würde, würde man sagen können: diese Leidensfähigkeit des Menschen sei ais eine mitkonstituierende Kraft des Menschwerdens zu betrachten - die Leidensfähigkeit aber als kein Innbegriff der Menschenohnmacht, einem blinden Schicksal gegenüber, vorgesehen, sondern als eine der Seinsdimensionen, als ein immer neuer Ausgangspunkt neuer, imgrunde ethischer Potenzionen, und, zuletzt, auch als eine Erkenntnismöglichkeit, im Erlebnis der Macht und Ohnmacht, im Grenzbereich der Mensch-Kosmos-Beziehung, das Allerletzte, das Tiefste seines Wesens zu durchschauen, zu erkennen und anzuerkennen. So ist die höchste Stufe der Subjektivität, ja der menschlichen Innigkeit, die Leidenschaft (es erklingt dabei ein Hauch von antiken παδός) - dieser Leidenschaft entspricht die menschliche Wahrheit als ein Paradox: hört die Leidenschaft auf (d.h. wenn der Mensch vergißt, nur ein denkendes Subjekt zu sein), dann wird aus dem Menschen nur ein phantastisches „Etwas" und die Wahrheit wird zum phantastischen Gegenstand seiner Erkenntnis. So muß das erkennende, ja - das glaubende! Subjekt „in der Wahrheit", in der pathetischen Suche nach der Wahrheit seiner Existenz sein ... An der Grenze. Da erst erscheint die Frage nach dem Absoluten, nach dem Ewigen, nicht nur des Menschen. Da kommt auch die abschließende Bestimmung des Menschen her: daß er, einem
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ewigen Prinzip gegenüber, eben ein Nicht-Gott-Mensch ist, ja, sogar, daß der Mensch nicht allein seine Geschichte bestimmen kann. So umkreist der Mensch sein eigenes Selbstbewußtsein, und „so flüchtet er zu und vor seinem Ursprung, zu und vor sein reales Selbst" (Felicitas SCHMID, „Der Wendekreis des Selbst"), oder zu seinem bloßen Da-sein. Da sind wir, so sind wir.
München-Pasing, am 2. Januar 1986.
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Bibliographie Auswahl1
Zur Konzeption der böhmischen Geistesgeschichte: eine Bemerkung zur vorliegenden Bibliographie Die Geschichtsauffassung des böhmischen Geisteslebens im 19. Jahrhundert gründet auf den historiographischen Konzeptionen der gesamten Böhmengeschichte überhaupt, wie sie, mit PALACKYs „Geschichte Böhmens" beginnend, die Richtung der tschechisch-selbständigen Philosophie vorgezeichnet haben. Der Auffassung PALACKYs hat schon der berühmte französische Historiker Böhmens, Ernest DENIS, vorgeworfen, Fr. PALACKY „lebt zu viel vor dem Jahre 1526", und infolgedessen hat er auch seine Konzeption der tschechischen Politik zu hoch, zu unerreichbar angesetzt, wie es an den tschechischen Mißerfolgen von 1848, 1861, 1867, 1871 zu merken ist. - Eine nicht zu unrecht artikulierte Glosse. - Nun, zwischen dem Liberalen PALACKY und dem liberalistischen Freund MASARYKs, Ernest DENIS, zieht sich doch ein unverkennbarer Zusammenhang hindurch, der in den Ausgangspunkt der tschechischen ,,Erneuerung"die böhmisch-brüderliche Tradition dem vermeintlich „saeculum obscurum" der Gegenreformation scharf gegenüber stellt. So kommt noch merkwürdiger vor, daß die gut katholischen Historiker österreichischpatriotischer Provenienz - aus der Schule W.W. TOMEKs etwa, nicht weniger altertümlich and platonisch historisieren: da sind, möglicherweise, die allerersten Anfánge der typisch tschechischen Uneinigkeit, in der politischen Zielsetzung vor allem, zu finden: es gab kein machbares Programm, an welchem sich die tschechische Kultur integralisieren ließe. Unter diesem Standpunkt wäre der apodiktische, zuletzt nahezu despotisch unwiderstehliche Ton der politischen Konzeption MASARYKs zu begreifen: ein spontan-demokratisches Wunder war in Böhmen nicht zu erwarten. So lag die Geschichtsauffassung der böhmischen Geistestradition zwar zwischen PALACKY und TOMEK, man hätte aber ähnliche Konsequenzen für die Zukunft der tschechischen Kultur - eine freie Autonomie innerhalb der Donaumonarchie - erwarten können. Die Versuche, eine tschechische (eine „böhmische" wurde noch nie geschrieben ...) Philosophiegeschichte zu schreiben, gehen aus der gegebenen Situation hervor. Die ältere vor allem durch die Herbartianer geprägte und die aus ihren Kreisen zum Thema „Slawische Philosophie in den böhmischen Ländern" gelieferte geschichtliche Literatur (G. ZÁBA, F.X. PROCHÁZKA u.a., bis an den „letzten Herbartianer" Josef KRÁL heran) besteht dermaßen streng auf einer impliziten Auffassung ihres Gegenstandes, daß mancher Gymnasialprofessor aus der tiefst böhmischen Provinz hochachtungsvoll zitiert (warum nicht...), die unpopulären „transzendenten" Philosophen jedoch dabei ganz außer Acht bleiben. So ein „nachmaliger Historiograph" (G. ZÁBA) Fr. PALACKY nur zurückhaltend und am Rande der damals einzigen deutsch-geschriebenen Information über die „slawische Philosophie" erwähnt wird: sein Stellenwert und die Konsequenzen seiner Philosophie werden überhaupt nicht richtig begriffen. - Dieser gelehrten Selbsteinschränkung (im deutschsprachigen Bereich unhöflicherweise auch als „Fachidiotismus" genannt...) liegt ein Philosophiebegriff zugrunde, gemäß welchem die Philoso1
Die sekundäre, zur gesamten Trilogie „Glaube und Vernunft" bezogene Literatur der besonders nach 1948 schreibenden tschechischen Autoren wird als Anhang zum ΙΠ. Teil als solche berücksichtigt.
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phie nicht sosehr als Denkkunst und Weisheitslehre, als eben „als B e r u f ' und sozioprofessionell charakterisierbare gesellschaftliche Tätigkeit zu begreifen wäre. Diesem par excellence methodischen Fehler werden auch manche späteren Informationen über die tschechische Philosophie des 19. Jahrhunderts (J. LAVICKA, F. PELIKAN, Fr. FAJFR, J. PATOCKA, T. TRNKA, J. TVRDY u.a.) untergeordnet. Merkwürdigerweise die „unorthodoxen" - E. CHALUPNY, E. RÁDL - nicht die Klassizisten, bringen in die Zunft neue Gedanken herein. - Und als die einzige spirituelle Ausnahme aus der ,realistischen" Regel sind die „Meditationes" von Josef KRATOCHVIL zu schätzen. Die neue, zeitgenössische tschechische Philosophie behielt und bestritt das gleiche Problem der tschechischen geistigen Historiographie im höheren Maße, als man gerne gestehen würde. Die traditionell-tschechische (wohl kurzschlüssige) Verbindung „Hussitismus - das Tschechentum des 19. Jahrhunderts" findet bereits bei einem Schüler aus dem Hause HERBART, bei Zdenëk NEJEDLY, statt: ja, eben dieser methodischer Kapriz der Richtung „PALACKY-MASARYK", wonach die ganze „Erweckung" eindeutig antikatholisch geprägt wurde, hat die Auffassung NEJEDLYs unverkennbar abgezeichnet. Die hussitisch-evangelische Tradition (deren Bedeutung man nie zu bestreiten hat) wird bei NEJEDLY zum einzigen „Spiegel", in welchem sich „... das tschechische Volks an das Beste seiner Vergangenheit zu erinnern hätte" 2 , dies erwies sich als ein unzuverlässiges Instrument, mit welchem sich NEJEDLY bei seiner Auseinandersetzung mit der tschechischen „bürgerlichen Philosophie" auf äußerst unglückliche Art bedient hat: da wurde einmal wieder die Rechnung ohne GastwirtHOSTINSKY gemacht... Das Interesse um die Anknüpfung an eine tschechisch-optimistische Tradition des 19. Jahrhunderts kommt auch bei dem Zd. NEJEDLYs Schüler Milan MACHOVEC zum Vorschein. MACHOVEC hat, in seinen jungen Jahren durch die erweckerische Tradition begeistert, auf den Spuren von HUS, DOBROVSKY, PALACKY und MASARYK den halsbrecherischen Versuch unternommen, die tschechische Tradition nahtlos an das Modell einer proletarischen Kulturrevolution anzunähern. 3 Daß dieser Versuch zu einem frühen Scheitern von vornherein verurteilt wurde, haben dem jungen atheistischen Konvertiten bald seine patent-marxistischen Kollegen bewiesen: das Thema „tschechische Philosophie" ist auch in unserer Zeit zu einem deutlichen Politicum geworden. Die Studie von Otto URBAN", „Tschechische Gesellschaft 1848-1918" 4 , ein umfangreicher und an empirischen Angaben ungewöhnlich reichlich begnadeter Text, gehört zu den Neuerscheinungen tschechischer historischer Literatur letzter Jahre, die die bestehenden Lücken zu überbrücken hat. Dieses zweifelsohne fachlich tadellos und sorgfältig bearbeitete Werk hätte doch einen zweiten Teil vorauszusetzen, um das Nicht Erwähnte zum Vorschein zu bringen. Von der hintergründigen Begriffsschicht abgesehen (von welcher her die „ganze bürgerliche Gesellschaft" in Böhmen mit gewissem aprioristischen Mißtrauen beobachtet wird), und nur vom Standpunkt einer methodischimmanenten Kritik gesehen (und an den vom Autor selbst gebrauchten Kategorien und Kriterien gemessen) läßt sich doch ersehen, wie URBAN, auf sonst unvermeidliche Art, die Geschichte der „tschechischen Gesellschaft" im verflachten Spiegel der
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NEJEDLY, Zdenëk: „Geschichte der tschechischen Nation" („Dëjiny národa ceského", tsch.) I, Prag 1949, 129. - Siehe auch: „Das Wort über die tschechische Philosophie" („Slovo o ëeské filosofii", tsch.) VAR 1950, Nr. 1, 3-10. MACHOVEC, Milan: Fragen der Bearbeitung der tschechischen Philosophiegeschichte („Otázky zpracování dëjin Êeské filosofie", tsch.), FC 1953, 3/4, 181. URBAN, Otto: „Ceská spolecnost 1848-1918", Prag, Svoboda 1982, 690 S.
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äußeren Politik, überhaupt nicht aber als eine Geistesgeschichte der tschechischen Kultur, behandelt hat: da steht er sogar um eine Stufe tiefer, als Zdenëk N E J E D L Y vor siebzig Jahren stand. Ein beiläufiges Moralisieren, von welchem her der Autor einen schwarz-weißen Gegensatz der „bürgerlichen" Welt und der sozial-motivierten Arbeiterbewegung zieht, gehört zu den üblichen Klischées der heutzutage geschriebenen historischen Literatur, und wurde von U R B A N nicht erfunden: ein Vorteil dieser, sonst sehr instruktiv geschriebenen und nicht uninteressanten Studie ist es nicht. Die .Anthologie aus der Geschichte des tschechischen und slowakischen Denkens" 5 , ein kommentiertes Lesebuch wichtiger Texte, an sich wertvoll und instruktiv, gehört zu den perfekten Produkten des gegenwärtigen tschechischen akademischen Schriftwesens, für welche das alles erlaubt, was schriftlich und wörtlich nicht verboten wird. So hat der denkende Leser nur seinen Kopf zu schütteln und das zu bedauern, wie ein K . K . Gymnasialprofessor Gustav ZÁBA unserer Gegenwart immer noch überlegen steht... Aus dem Bereich der deutsch-geschriebenen Literatur ist es vor allem Eduard W I N T E R , welcher sich dem Problem eines „tausendjährigen Kampfes" zwischen dem deutschen und tschechischen Element in den böhmischen Ländern systematisch gewidmet hat: ohne WINTERS Grundforschung (besonders im Bereich der Bolzaniana und Günteriana) wäre jegliche Philosophiegeschichte zumindest unvollständig. Im ähnlichen Sinne ist die Forschungsarbeit von K. B O S L , Ferd. S E I B T , H. SLAPNICKA, Fr. PRINZ, W . SCHAMSCHULA, R.G. P L A S C H K A , H. RAUPACH u.a. Autoren hochzuschätzen Unter dem erwähnten Gesichtspunkt und aus der bevorstehenden Literatur heraus ist die folgende Bibliographie (aus dem gleichen Paradigma einer integral anthropologischen Basis, wie es bereits im 1. Teil von „Glaube und Vernunft" angedeutet wurde, ausgehend) zu verstehen. Die unvermeidlich unvollständige Bibliographie geht auf die Notwendigkeit einer Quellen- und Literaturauswahl zurück, von welcher her ich auf die Zitation der sekundären Literatur (des greifbaren Umfangs meiner Studie willen) zumeist zu verzichten hatte. Trotzdem versuche ich eine repräsentative Übersicht der relevanten Literatur dem Leser etwas näher zu bringen: die erschöpfende Bibliographie würde wohl einen selbständigen Band verlangen. 6 K.M.
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„Antologie ζ déjin Seského a slovenského filozofického mySlení", bis zum Jahr 1848, tsch.; Prag, Svoboda 1981, 679 S. Für manche Grundhinweise bin ich meinen zwei urväterlichen Vorbildern, Prof. Dr. Josef KRÀL (Prag) und Prof. Dr. Herbert CYSARZ (München) dankbar. Dr. Vladimir NEUWIRTH (Frankfurt/M.) danke ich für seine Hinweise im Themenbereich der tschechischen katholischen Philosophie. Ganz besonders bin ich meinem Freund Klaus THOMSEN (Ahrensburg) für seine Gastfreundlichkeit dankbar in seinem Haus entstand im Winter 1982/83 die 1. Variante dieses Buches. Für die sprachliche Mitarbeit an dem Text gilt mein Dank meinen lieben Hörern A. LOBINGER (Freiburg i.Brsg.), Gabrielle BRUNNER (Bern), Gerlinde CLAUß, Elke BECK, Elke WACHENDORFF, Sigmund BONK, Werner GILLWALD, Jan GRIBBOHM, Karlwemer JAUD und Stephan KOWARIK (München). Für seine unersetzliche Mitarbeit bin ich meinem langjährigen Freund Ant. Jerábek dankbar.
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/. Das 19.
Jahrhundert
Quellen: Maaß, Fr.: Der Josephinismus. 5 Bde. Wien 1951-1961 Tobolka, Zd.: Tschechische Politik. („Öeskä politika", tsch.) Π,Ι Prag 1907 Π.2 Prag 1907 IV Prag 1911
Bibliographien: Roubik, Fr.: Das Zeitungswesen in Böhmen 1848— 1862. („Öasopisectvo ν Ôechâch ν letech 1848-1862", tsch.) Prag 1930 Bibliographie des Zeitungswesens in Böhmen 1863-1895. (Bibliografie Casopisectva ν Ôechâch ζ let 1863-1895", tsch.) Prag 1936 Wurmová, M.: Bibliographie der mährischen Zeitungen und Zeitschriften 1848-1918. („Soupis moravsk^ch novin a Sasopisû ζ let 1848-1918", tsch.) Brünn 1955 Kubiòek, J.; Simeíek, Ζ.: Die Brünner Zeitungen und Zeitschriften seit der ältesten Zeit bis 1975. („Bmënské noviny a Casopisy od doby nejstarSI ai do roku 1975", tsch.) Brünn 1976
Handbücher: B o s l , K.: H a n d b u c h der G c s c h i c h t c der b ö h m i s c h e n
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Gesamtdarstellungen,
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Handbücher
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II.
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Der Werdegang
einer
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Král, J.: Ceskoslovenská Prag 1937
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filosofie.
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Vernunft
und
die
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Günther, Α.: Vorschule zur spekulativen Theologie. Wien 1828 - : Peregrins Gastmahl. Wien 1830
-: Süd- und Nordlichter am Horizont spekulativer Theologie. Wien 1832 - : Janusköpfe für Philosophie und Theologie. (Mitautor J.H. Pabst) Wien 1832 Thomas a scrupulis. Wien 1835 - : Die Juste-Milieu in der deutschen Philosophie gegenwärtiger Zeit. Wien 1838 - : Gesammelte Werke. 9 Bde. Wien 1882 - : Anti-Savarese. (Aus dem Nachlaß) Wien 1883 Hanka, W.W.: Das Johannes-Evangelium, (tsch.) CSWM w Cechách 3, 1829, Bd. 2 - : Die St. Petersburger-Legende des Hl. Wenzels. („Petrohradská legenda o swatém Wáclawu", tsch.) CSWM w Cechách 4, 1830, Bd. 4 Die Legende der Hü. Cyrill und Method. ^„Legenda o sv. Cyrillovi a Methodovi", tsch.) CÖM 20, 1846, Bd. 1 HanuS, I.J.: Handbuch der wissenschaftlichen Denklehre. Lemberg 1843 - : GrundzUge eines Handbuchs der Metaphysik. Lemberg 1845 - : Handbuch der philosophischen Ethik. Lemberg 1845 - : Handbuch der Erfahrungs-Seelenlehre. Lemberg 1846 - : Vorlesungen über die allgemeine Cultur-Geschichte der Menschheit Prag 1849 - : Abriß der Psychologie. („Nástin duSewèdy s pokusem o wyswètleni wyrazû duâéwëdnych", tsch.) Prag 1849
- : Die Stellung der kritischen Blätter für Literatur und Kunst zu einer Fraktion der neuböhmischen Literatur. Prag 1858 - : Über die methodische Deutung der slawischen Mythen. („O metodickém vykladu povéstí slovanskych vûbec a o vykladu povèsti „Tri zlaté vlasy Dèda Vâevëda" zvläät", tsch.) Prag 1862 Das Schriftwesen und Schrifttum der böhmischslowenischen Volksstämme in der Zeit des Ueberganges aus dem Heidentume in das Christentum. Prag 1867 Havlíiek, K.: Slawe und Tscheche. („Slovan a Cech",tsch.) „Prager Zeitung", 1846, Nr 17 in: K.H. Borovsky, „O literatuie", Prag 1955 - : Philosophie und unsere Literatur. („Filosofie a naäe Literatura" , tsch.) „Musejnlk", 1848, 3 - : Der Geist der „Nationalen Zeitung". („Duch „Národních novin"", tsch.) Prag 1851 - : Kuttenberger Episteln. („EpiStoly kutnohorské a vybrané Clánky politické", tsch.) Prag 1852 - : Der König Lauron. („Král Lávra", tsch.); ins Deutsche übersetzt von Ed. Albert) in: „Poesie aus Böhmen" Prag 1893 - : Politische Schriften. („Politické spisy K. Havlííka Borovského", hrsg. Zd. Tobolka, tsch.) 3 Bde. Prag 1901-1903 - : Die Taufe des Hl. Wladimir. („Kiest svatého Vladimíra", tsch.); ins Deutsche Ubersetzt von V. Vohryzek) Prag 1905 - : Epigramme. („Epigramy", tsch.) Prag 1845
- : Abriß der Logik auf metaphysischer Grundlage. („Nästin logiky na zàkladè metafysickém", tsch.) Prag 1850
- : Tiroler Elegien. („Tyrolské elegie", tsch.) Prag 1870
- : Das mythologische slawische Kalender. („Bájeslowny kalendáf slowansky", tsch.) Prag 1850
Hostinsky, O.: Das Musikalisch-Schöne und das Gesamtkunstwerk vom Standpunkt der formalen Ästhetik. Prag 1877
- : Geschichte der Philosophie von ihren Uranfangen bis zur Schliessung der Philosophenschulen durch Kaiser Justinian. Prag 1850 Analyse der Thomas von Stint's Philosophie. („Rozbor filosofìe Tomàie ze Stítného podle Rukopisû Reíí besedních", tsch.) Prag 1852
- : Sechs Aufsätze aus dem Gebiet der Ästhetik und der Kunst. („Sest rozprav ζ oboru krasovëdy a uméní", tsch.) Prag 1877 - : Lehre von den musikalischen Klängen. („Nauka o hudebních zvucích", tsch.) Prag 1879
193
- : Ober die Bedeutung der praktischen Ideen Herbarts filr die allgemeine Ästhetik. („O vyznamu praktickych ideji Herbartovych pro vSeobecnou aesthetiku", tsch.) Prag 1881 - : Herbarts Ästhetik in ihren grundlegenden Teilen quellenmäßig dargestellt und erklärt. Prag 1891 - : Vier Aufsätze. („Ctyfi rozpravy", tsch.) Prag 1894 - : Volkslied und Volkstanz bei den Slawen. („Lidová píseft a tanec u Slovanil", tsch.) Prag 1895 - : Über die experimentelle Ästhetik. [„O estetice experimentální", tsch.) C M 1900, 3 -:
Friedrich Smetana und sein Kampf um die böhmische moderne Musik. („Bedfich Smetana a jeho boj o èeskou moderni hudbu", tsch.) Prag 1901 Über die Sozialisierung der Kunst. („O socializad umëni", tsch.) Prag 1903
- : Kunst und Gesellschaft. („Umëni a spoleinost", tsch.), hrsg. von Zd. Nejedly) Prag 1919 Otakar Hostinsky's Festschrift zu seinem 60. Geburtstag. ÔM 1907 1-112, (tsch.) Husserl, E.: Logische Untersuchungen. I, Wien 1900 Hyna, K.F.: Empirische Psychologie. („DuSeslowj zkuSebné", tsch.) Prag 1844 Jungmann, Α.: Die Menschenlehre oder Anthropologie^ („Clowëkoslowj tili Antropologie", tsch.) Krok 2, 1831 Jungmann, ).: Über die Differenzierung der tschechischen Schriftsprache. („O rûznênj íeského pjsemnjho gazyka", tsch.) C C M 6, 1832, Bd. 2 : Tschechisch-deutsches Wörterbuch. („Cesko-nëmecky slownjk") 5 Bde. Prag 1834-1839 Gesammelte Schriften. Sebrané SDÌSV". tsch. Prag 1841
Kaiina, J.J.: Erinnerung an J J . Kaiina. („Upominka na Jaroslava Kalinu. Filosofîcké drobnùstky ζ pozAstalosti", tsch.) Prag 1870 Kaulich, W.: Geschichte der scholastischen Philosophie. I. Entwicklung der scholastischen Philosophie von Johannes Scotus Eriugena bis Abälard. Prag 1863 - : Die Lehren von Hugo und Richard von S t Victor. Prag 1864 - : Über die Freiheit des Menschen. Prag 1866 - : Über die Möglichkeit, das Ziel und die Grenzen des Wissens. Prag 1868 (2. Aufl. Prag 1870) - : Handbuch der Logik. Prag 1869 - : Handbuch der Psychologie. Graz 1870 - : System der Metaphysik. Prag 1874 - : Handbuch der Ethik. Prag 1877 -:
Contra Glaubensbekenntnissen eines Naturforschers. 2. Aufl. Graz 1880
modernen
Klácel, Fr.M.: Brückel. („Mostek aneb sestavení skrovnych mySlenek o tom, na í e m kazdému záleíeti má", tsch.) Brünn 1832 (2. Aufl. Olmütz 1842) - : Briefe eines Freundes an eine Freundin über den Ursprung des Sozialismus und Kommunismus. („Listy ph'telt k ph'telkyni o pûvodu socialismu a komunismu", tsch.) Prag 1849 Khéres, Johann: Versuch eines Systems der Wissenschaft. Ungarisch Hradisch 1904 - : Lyrische Gedichte. („Lyrické bàsnë", tsch.) Prag 1836 - : Druck, Drängen, Willkür und Religion. („Tlak, puzení, svévolnost a nábozenství", tsch.) è C M 7, 1842, Bd. 2 - : Kosmopolitismus und Patriotismus, mit besonderer Rücksicht auf Mähren. („Kosmopolitismus a Patriotismus s obzwláJtním ohledem na Morawu", tsch.) CCM 9, 1842, Bd. 4
Kadlec, I.: Die Metaphysik Herbarts und Kant. („Herbartova metafysika a Kant", tsch.) C 6 M LXII (III), 1888 (-1889)
- : Wissenschaftliche Anfangsgründe der böhmischen Sprachforschung. („Poíátky vëdeckého mluwnictwi íeského", tsch.) Brünn 1843
Kamaryt, J.V.: Tschechische geistliche Volkslieder. („Ccské národní duchovni pisnë", tsch.) Prag 1831
- : Ethik. (,,Dobrowëda",tsch.) Prag 1847
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- : Vorschule zur Ästhetik. Brünn 1868 Kollár, J.: Über die litterarische Wechselseitigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slawischen Nation. Prag 1837, 2. Aufl. 1844 -: Die Tochter der Sláva. („Sláwy dcera", tsch.) Prag 1824, 2. Aufl. 1832 - : Gedichte. („Bàsnë", tsch.) Prag 1821 Gesammelte Werke. („Sebrané spisy", tsch.) 3 Bde. Prag 1862-1863 Kramáf, O.: Das Problem der Materie. Prag 1871
- : Einleitung in die Philosophie. Prag 1866 (tsch. als „Filosofie uíitelkou uiitclû", Prag 1891, Ubersetzt) - : Das Problem des Glilcks. Psychologische Untersuchungen über die menschliche Glückseligkeit Prag 1868 (tsch. als ./¿hada âtësti" durch J. Král, Prag 1931, übersetzt) Ethik. („Ethika", tsch.) Prag 1868 - : Ideen zur Psychologie der Gesellschaft als Grundlage der Sozialwissenschaft. Wien 1871 (ins Tschechische als „MySlenky k psychologii spoleínosti"durch J. Král, Prag 1929, übersetzt) Soziologie. („Sociologie", tsch.) Prag 1871
- : Die Hypothese der Seele, ihre Begründung und metaphysische Bedeutung. Leipzig 1898
- : Die Kirche der Zukunft. Eine Enzyklika an alle denkenden Christen. (anonym in Prag 1868 herausgegeben; tsch. als „Cirkev budoucnosti", Prag 1871, übersetzt)
- : Grundlegung der Metaphysik. („Základy metafysiky", tsch.) CM 1900, 16, 81, 175, 249, 344
- : Über latente Vorstellungen. Prag 1875
Das Verhältnis des Organischen zum Kosmos. („Pomêr ústrojenstva k vesmíru", tsch.) Pfehled 1906, Nr. 7 Krejíí, F.V.: Das Kunstwerk in der Literatur und sein Einfluß auf die Erziehung. („Umèlecké dflo ν literatuïe a jevo vliv na vychovu", tsch.) Prag 1903 - : Das ewige Morgen der Kunst. („Vèiné jitro umèni", tsch.) Prag 1903 - : Die Erziehung neuer Generationen. („Vychova novych generaci"', tsch.) Prag 1904 Der Traum einer neuen Kultur. („Sen nové kultury", tsch.) Prag 1906 Kvët, F.B.: Die nationale Erziehungslehre. („Prostonárodnj nauka o wychowánj", tsch.) Prag 1849 - : Der Kern von Metaphysik Comenius'. („Jádro metafysiky Jana Amóse Komenského", tsch.) CCM ΧΧΧΠΙ, 1859, 2 Abriß der Comenius' Naturphilosophie. („Obrys filosofie pHrodní Jana Amóse Komenského", tsch.) CCM XXXIV, 1860, 5 Lindner, G.A.: Lehrbuch der empirischen Psychologie. Prag 1858 (11. Aufl. Prag 1898, von J. Fröhlich bearbeitet)
Allgemeine Untenichtslehre. Prag 1877 (10. Aufl., Prag 1915, von Fröhlich bearbeitet) - : Über die Wechselseitigkeit der Kräfte in der Natur. („O vzäjemnosti sil ν pïfrodë", tsch.) Prag 1878 - : Die ethischen Grundlagen der Erziehung. („Ethické základy vychování", tsch.) Prag 1881 : Enzyklopädisches Handbuch der Erziehungskunde. Prag 1882, 4. Aufl. 1891 - : Über den Verfall der Philosophie. („O úpadku filosofie", tsch.) C6M LVI, 1882 Leonhardi, H.K.V.: Der Philosophen-Congress als Versöhnungsrath. Beiträge zur religiösen Frage. Prag 1868 Loewe, J.H.: Über den Begriff der Logik. Wien 1849 Descartes. Prag 1854 - : Fichte. Leipzig 1862 Uber den Ursprung der Menschheit, in: Abhandlungen der KBGW, 4 Prag 1867 - : Der Kampf zwischen dem Realismus und Nominalismus im Mittelalten sein Ursprung und Verlauf. in: Abhandlungen der KBGW VIII Prag 1876 - : Lehrbuch der Logik. Prag 1881
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- : Die spekulative Idee der Freiheit, ihre Widersacher, ihre praktische Verwertung, in: Abhandlungen der KBGW XIII, Prag 1890 Mach, E.: Erkenntnis und Irrtum. Wien 1905 - : Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Wien 1883 Die Analyse der Empfindungen. Wien 1886 Mâcha, K.H.: Der Mai. („Máj", tsch.) Prag 1836 (dt. Prag 1844) - : Die Zigeuner. („Cikáni", tsch.) Prag 1835 Madiera, K.A.: Abhandlungen aus dem Bereich der Ästhetik. („Rozpravy ζ oboru aesthetiky", tsch.) Prag 1897 MakoviCka, E.: Aus dem Reich der Vorstellungen und der Gefühle. („Z f ß e predstav a pocitû", tsch.) Prag 1880 - : Populärer Abriß der Philosophie Herbarts. („Populámí nástin filosofie Herbartovy", tsch.) Prag 1884 - : Zur Kritik der Herbartschen „Reale". („Kritika Herbartova reale", tsch.) Prag 1897 Marek, Α.: Logik. („Umnice", tsch.) Prag 1820 MareS, Fr.: Idealismus und Realismus in der Naturwissenschaft. („Idealismus a realismus ν pHrodovèdè", tsch.) Prag 1901 - : Prinzipien der theoretischen Erkenntnis und des sittlichen Handelns nach KANT. („Základy poznání theoretického a mravného konání die KANTa" , tsch.) Prag 1902 - : Der Naturalismus und die Willensfreiheit. („Naturalismus a svoboda vûle", tsch.) Prag 1904 MikS, J. (Pseudonym V. Kaiina): Wissenschaft und Philosophie unter dem positivistischen Gesichtspunkt betrachtet. („Vëda a filosofie se stanoviska positivismu", tsch.) in: Osvéta, 1876, 4, 161-179, 360-375, 405426
- : Alexander HERZEN (tsch.) in: ÖM Jg. X, XII, ΧΠΙ, XIV (unvollendet) - : Wurzel und Begriff. („Koreñ i ponjatie", russisch) St. Petersburg 1882 - : Wladimir SOLOWJEW (tsch.) in: ÒM 1901, 3, 27f. - : Nikolaj RADISCHTSCHEW (tsch.) in: ÖM 1904, 3, 125f. - : S.N. TRUBECKOJ (tsch.) in: ÖM 1906, 4, 237f. (unter dem Namen „V. Kaiina"): Der fröhliche Skeptiker. („Radostn? skeptik", tsch.) in: Osvëta 1893, 3 - : Der unversöhnliche Skeptiker. („Nesmifiteln^ skeptik", tsch.) in: Osvèta 1893, 4 - : Friedrich Wilhelm NIETZSCHE: ein psychologisches und Kulturbild. („Bediich Vilém NIETZSCHE, obraz kultumi a psychologicky", tsch.) in: Osvèta 1897, 2 Nahlowsky, J.W.: Das Gefühlsleben. Leipzig 1862; 2. Aufl. 1884, 3. Aufl. 1907 Das Duell, sein Widersinn und seine moralische Verwerflichkeit. Leipzig 1864 - : Die ethischen Ideen, als die waltenden Mächte im Einzel- wie im Staatsleben nach ihren verschiedenen Richtungen beleuchtet. Leipzig 1865; 2. Aufl. Langensalza 1904 -: Grundzüge zur Lehre von der Gesellschaft und dem Staate. Leipzig 1865 - : Allgemeine praktische Philosophie (Ethik), pragmatisch bearbeitet. Leipzig 1870; 3. Aufl. Leipzig 1903 Nebesk^, V.B.: Einige Worte über die Philosophie. („Nèkolik slov o filosofa", tsch.) CÖM 20, 1846, Bd. 2 - : Literatur dem Volke. („Literaturu lidu", tsch.) CÈM 21, 1847, Teil 2, Bd. 4 Némcová, Β.: Die Großmutter. („Babiika", tsch.) Prag 1855 (dt. Prag 1885)
- : Aus der neuen Literatur des Positivismus. („Z nové literatury positivismu", tsch.) in: Osvèta, 1893, 21, 531f.
- : Gesammelte Schriften. („Sebrané spisy", tsch.) 8 Bde. Prag 1862-1863 (2. Aufl. in 14 Bden. Prag 1904-1920)
- : Die Philosophie von Graf Leo TOLSTOI. („Filosofie hrabéte Lva Tolstého", tsch.) in: Osvèta 1893, 643f.
Nëmeiek, F.X.: Elementa logicae in commodum studiosae juventutis. Prag 1810; 2. Aufl. 1813
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Palacky, Fr.: Allgemeine Untersuchung des menschlichen Geistes in seinen Tätigkeiten. („PowSechné zkaumanj ducha ëlowëëjho w jeho iinnostech", tsch.) Krok 1, 1823, Nr. 2 - : Versuch einer tschechischen philosophischen, insbesondere ästhetischen Terminologie. („Okus ëeské terminologie filosofické, obzwláStè krasowèdné", tsch.) CS WM w Cechách 1, 1827, Bd. 2 - : Ästhetik. („Kràsowëda, íili o kráse a umënj knihy paler}'". tsch.) CSWM w Cechách 1, 1827, Bd. 1 - : CSWM w Cechách 3, 1829, Bd. 1 - : Das Leben Comenius'. (,¿iwot J.A. Komenského", tsch.) CSWM w Cechách 3, 1829, Bd. 3 - : Über den Ursprung des Komischen und Tragischen. („O pûwodu komiònosti a tragiínosti", tsch.) CSWM w Cechách 4, 1830, Bd. 3 - : Copernicus. („Kopemjk, pûwodem snad Òech", tsch.) CÖM 5, 1831, Bd. 4 - : Geschichte von Böhmen. 5 Bde. Prag 1836-1847 (ins Tschechische unter dem Titel „Dëjiny národu íeského w Cechách a na Morawè" übersetzt; erschien in Prag 1848-1876) - : Die Idee eines österreichischen Staates. („Idea státu rakouského", tsch.) Prag 1865 - : Radegast. („Radhost. Sbirka spisûw drobnych", tsch.) 3Bde. Prag 1871-1873 - : Précis de l'histoire de Prague (ins Französische Ubersetzt aus dem deutsch geschriebenen Manuskript „Skizze einer Geschichte von Prag") Prag 1836 (ins Tschechische übersetzt unter dem Titel „StruCné dëjiny Prahy", hrsg. - der Übersetzer unbekannt - Prag 1985) - : Gedenkblätter. Auswahl von Denkschriften, Aufsätzen und Briefen aus den letzten fünfzig Jahren. Prag 1874 - : Erwägungen. („Üvahy a projevy. Ζ ëeské historie, literatury a politiky", hng. J. Spiíák, tsch.) Prag 1977 Pekaï, J.: Der Sinn der tschechischen Geschichte. („O smyslu òeskych dëjin", tsch.) Prag 1909, 2. Aufl. 1929 (neu hrsg. Rotterdam 1977) ins Deutsche übersetzt München 1961; siehe auch ÖCM 1926, 7
- : Tschechoslowakische Geschichte. („Ceskoslovenské dëjiny", tsch.) Prag 1921 - : Das Buch der Burg „Kost". („Kniha o Kosti", tsch.) Prag - : Am Weißen Bexg. („Bílá Hora", tsch.) Prag 1921 - : Zischka und seine Zeit. (,¿iíka a jeho doba", tsch.) 2 Bde. Prag 1927-1929 Pelzel, Fr.M.: Geschichte der tschechischen Literatur. Prag 1825 Procházka, F.X.: KANT Uber Mathematik (tsch.) 1887 Ptáíek, V.: Die mathematischen Gedanken Herbarts. („Herbartovy mySlenky matematické", tsch.) Paedagogium IX, Prag 1887 Purkynë, J.Ev.: Naturwissenschaftliche Abhandlung der menschlichen Sprache. („Pogednánj prjrodoslowné o mluwë lidské", tsch.) Krok 4, 1836, Nr. 1 - : Psychologische Erforschung des Raum-Sinnes. G,Psychologické bádanj o prostorozoru", tsch.) CÖM 11, 1837, Bd. 2; CCM 14, 1840, Bd. 4 (mit einer „Autobiographie"neu hrsg. Prag 1920) Purkynë, J.Ev.: Papierstreifen aus dem Portefeuille eines verstorbenen Naturforscheis. Breslau - : Der Begriff der Psysiologie. („Pojem fisiologie", tsch.) CÖM 7, 1851, Bd. 2 - : Der Mensch und die Natur. („Clowjk a pfjroda. Ölowjk prjrody wládce a pán", tsch.) Ziwa I, 1853, 4 Über die Popularisation der Naturwissenschaften. („O zprostonárodñowánj wëd, obzwlá^tj pfjrodnjch", tsch.) CÖM 10, 1853, Bd. 4 - : Über die Sinnen im Allgemeinen. („O smyslech wûbec", tsch.) Ziwa II, 1854, 2 - : Gesammelte Schriften. („Sebrané spisy", tsch.) 4 Bde. Prag 1914 - : Opera omnia. 4 Bde. Prag 1918-1941 Sabina, K.: Der Totengräber. („Hrobnik", tsch.) Prag 1844 - : Spaziergänge im Bereich der Mystik, Romantik und Fabeln. („Procházky ν oboru mystiky, romantiky a bájenf', tsch.) CCM 21, 1847, Teil 1, Bd. 4, Bd. 6
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: Geschichte der Literatur der alten und mittleren Zeit der Tschechen in Böhmen und Mähren. („Dëjepis literatury Ìeskoslovanské stare a stfední doby", tsch.) 2 Bde. Prag 1860-1866 - : Geistiger Kommunismus. („Duchovny komunismus", tsch.) Prag 1861 - : Zum Leben erweckte Gräber. („Oïivené hroby", tsch.) Prag 1870 - : Soziale Studie. („Sociální Studie", tsch.) Prag 1870 Morana oder die Welt und ihr Nichtsein. („Morana tili svèt a jeho nicoty", tsch.) 2 Bde. Prag 1874 - : Gesammelte Schriften. („Sebrané spisy", tsch.) Prag 1910-
-: Gesammelte Schriften. („Sebrané spisy", tsch.) 3 Bde. Prag 1863-1865 - : Geschichte der sudslawischen Literatur. 3 Bde. Prag 1864-1865 Salda, F.X.: Kämpfe um die Zukunft. Meditationen und Rhapsodien. („Boje o zitfek. Meditace a rhapsodie", tsch.) Prag 1905 Sedláéek, J.: Logik (tsch.) Prag 1857 Schulz, Aemilian: Grundlagen der Psychologie und Pädagogik. („Zäklady psychologie a pedagogiky", tsch.) Prag 1877 Slavfk, J.: Experimentelle Psychologie. („ZkuSebné duäeslovi", tsch.) Prag 1876 Smetana, Α.: Anthologie aus den Werken SCHELLINGs. Österreichische Blätter f. Literatur und Kunst Wien 1844, IV, Nr. 62-65, 67
Safárik, P J . (Mitautor Fr. Palacky): Die Anfänge der tschechischen Dichtkunst. („Poòàtkowé òeského básnjctwj, obzwláSté prozódie", tsch.) Prag 1818
-: Die Bestimmung unseres Vaterlandes Böhmen. Prag 1848
-: Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten. Prag 1826
- : Wie einige òechische Literaten die deutsche Philosophie nehmen, in: Ost und West, Prag 1848, 2
- : Über Aristophanes und seine „Wolken". („O Aristofanesovi a jeho Oblacjch", tsch.) 1. Teil: CSWM w Cechách 4, 1830, Bd. 4 2. Teil: 6ÈM 5, 1831, Bd. 1
- : Die Katastrophe und der Ausgang der Geschichte der Philosophie. Hamburg 1850
-: Über die Nymphen. („O Rusalkách", tsch.) ÒÒM 7, 1833, Bd. 3 - : Gedanken über die Altertümlichkeit der Slawen in Europa. („MySlenky o starobylosti SlowanA w Evropü", tsch.) CCM 8, 1834, Bd. 1
- : Kritische Analyse der Philosophiegeschichte. CCM 24, 1850, Bd. 1 -: Die Bedeutung des gegenwärtigen Zeitalters. CCM 1850, 26, Bd. 2 - : Der Geist, sein Entstehen und Vergehen. Philosophische Enzyklopädie. Prag 1863 (tsch. Prag 1926)
- : Slawische Ethnographie. („Slowansky národopis", tsch.) Prag 1842
Storch, K.B.: Philosophische Geographie. („Zemëpis filosoficky pojaty", tsch.) Prag 1853
- : Slawische Altertümer. („Slowanské staroíitnosti", tsch.) 2 Bde. Prag 1827 (dt. in 2 Bden. Prag 1843-1844)
-: Geschichte und Zivilisation. („Historie a vzdèlanosl", tsch.) CCM 11, 1856, Bd. 2
- : Sprachkundliche Analyse der Zahllehre. ¡„Mluwo/pvtny rozbor Cisloslowa", tsch.) ¿CM 22, 1848, Teil 1, Bd. 3 - : Denkmäler des alten Schrifttums der Südslawen. („Pamätky drewnjho pjsemnictwj Jihoslowanû", tsch.) Prag 1851 - : Denkmäler des glagolitischen Schrifttums. („Památky hlaholského pjsemnjctwj", tsch.) Prag 1853
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- : Große und kleine Literatur. („Velké a malé literatury s obzwláStnim ohledem na naíi", tsch.) CÖM 23, 1861, Bd. 2 SuSil, Fr.: Mährische Volkslieder. („Moravské národní písné", tsch.) Prag 1835 -: Neue Sammlung. („Sbirka nova", tsch.) Prag 1840 - : Anthologie (tsch.) Brünn 1864
Toischer, W.: Theoretische Pädagogik und allgemeine Didaktik. Prag 1905; 2. Aufl. 1912 Tomek, W.W.: Geschichte der Stadt Prag. („Dèjiny mèsta Prahy", tsch.) 12 Bde. Prag 1855-1901 - : Grundlagen der alten Topographie Prags. („Základové starého praíského místopisu", tsch.) 5 Bde. Prag 1865-1875 Tomiíek, J.S.: Über die Entstehung der Menschengesellschaft. („O wznikánj lidské spoleínosti", tsch.) CCM 16, 1842, Bd. 4 Tyrs, M.: Mohammed und seine Lehre. („Mohamed a nauka jeho", tsch.) Kwêty, Prag 1870 (selbständig Prag 1875) Über die Bedeutung des Studiums alter Kunstgeschichte des Orients". („O vyznamu studia starého umëni orientálního", tsch.) CCM LVII, 1883 -: Geschichtliche Hinleitung in die Philosophie Arthur Schopenhauers. („Dëjepisny úvod ve filosofii Arthura Schopenhauera", tsch., Manuskript) Volkmann, W.: Die Lehre von den Elementen der Psychologie. Prag 1850 Lehrbuch der Psychologie. 2 Bde. Cöthen 1875 - : Die Grundzüge der aristotelischen Psychologie. Prag 1858 Willmann, O.: Über die Dunkelheit der „Allgemeinen Pädagogik" HERBARTs. in: Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik 1873, 5. Jg., 124-150 - : Die Didaktik als Bildungslehre. 3 Bde. Braunschweig 1882-1889 - : Geschichte des Idealismus. 2 Bde. Braunschweig 1894-1896 - : Aus der Werkstatt der Philosophie perennis. Freiburg 1912 Winaficky, K.: Exzerpta aus Strabo. („Wypisky ze Strabona", tsch.) 6 6 M 13, 1839, Bd. 3 - : Über die Siedlungen und Sitten germanischer Völker. C. Cornelius Tacitus' Schrift „Germania". („C. Cornelia Tacita spis o sjedlech a mrawech národú Germanskych", tsch.) 6 6 M 14, 1840, Bd. 4
Wocel, Jü.: Ein Wort über die tschechische Nation. („Slowo o Ceské národnosti", tsch.) C 6 M 19, 1845, Bd. 2 Die Anfänge der tschechischen Kunst („ZaCátkowé íeského umëni", tsch.) 6 6 M 21, 1847, Teil 1, Bd. 3 - : Die Zukunft der tschechischen Nation. („Budaucnost Ceské národnosti", tsch.) C6M 21, 1847, Teil 1, Bd. 6 -: Es werde Licht! Ç,Budiï swétlo!", tsch.) CCM 22, 1848, Teil 1, Bd. 5 Slawischer Kongreß. („Slowansk^ sjezd", tsch.) C6M 22, 1848, Teil 1, Bd. 5 -: Worüber der slawische Kongreß verhandeln sollte. („O 6em by se mèlo jednati ne slowanském sjezdu", tsch.) CCM 22, 1848, Teil 1, Bd. 5 Ein Wort über den Slawischen Kongreß. („Slowo o slowanském sjezdu", tsch.) 6 6 M 22, 1848, Teil 1, Bd. 6 -: Unsere Zeit. C,NaSe doba", tsch.) 6 6 M 23, 1849, Bd. 1 Die Schulen und das Volk. C,Skoly a lid", tsch.) 6 C M 23, 1849, Bd. 3 -: Unsere vergangenen Kämpfe. („NaSe minulé boje", tsch.) CCM 23, 1849, Bd. 4 Zahradník, W.: Überlegungen über einige Aspekte der praktischen Philosophie. („Rozjímání o nèkterych slránkách praktycké filosofie", tsch.) Hlasatel ¿esky, 1818, 2 -: Über die Berufung des Menschen zur Tugend. („O powolanj ilowëka ke etnosti", tsch.) Slowesnost 1820, 3 -: Kurzer Katechismus. („Králky katechismus k utvrzení katolíkil ve vire jejich", tsch.) 6KD 1830, 2 -: Über die Verbindung der Dogmatik mit der Sittenlehre. („O spojeni dogmatiky s mrawouíením", tsch.) Prag 1832 Über den hohen Wert der göttlichen Verkündigung. („O veliké cené bozského zjevenf, tsch.) 6KD 1832, 3 - : Der Beweis der Göttlichkeit Christi. („Dükaz bozstwj Pirna naSeho Jezße Krista ζ mrawnj powahy jeho uienj", tsch.) 6KD 1833, 2 -: Betrachtungen Uber den inneren und äußeren Charakter der Tugend. („Filosofické pojednánj o wnitrnj a zewnitrnj gowaze etnosü", isch.) CKD 1836, 3
199
Über die höchste Regel der Sitten. („O nejwySSim prawidle mrawü", tsch.) CKD 1836, 9 - : Über die Erbsünde. L O dédiíném Hfjchu", tsch.) CKD 1836, 4 - : Die Dogmenerklärung. („DoStépená zahrádka dítek dobrych etc.", tsch.) CKD 1836, 7 - : Die Anfangsgründe der Denkkunst. (,,Základowé logiky", tsch.) CKD 1837, 3 - : Über den Eid. („O prjsaze", tsch.) Prag 1839 - : Philosophische Schriften W. Zahradniks. („Filosofické spisy Vincence Zahradnika", tsch.) 5 Bde. Prag 1907-1918 Zieh, O.: Ästhetisches Wahrnehmen der Musik. Psychologische Analyse auf experimenteller Grundlage. („Aesthetické vnímání hudby. Psychologicky rozbor na zkuSebném základé", tsch.) Prag 1910 Zimmermann, R.: LEIBNIZ* Monadologie mit einer Abhandlung Uber LEIBNIZens und HERBARTs Theorien des wirklichen Geschehens. Wien 1847
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Monographien, Abhandlungen,
Literatur:
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Brandl, V.: Beiträge zur Biographie F.M. Klácels. LPHspèvky k iivotopisu F.M. Klácela", tsch.) CMM 1882, 3
- : Über einige logische Fehler der Spinozistischen Ethik. ebd. Oktober 1850 und April 1851 - : Der Kardinal Nikolaus Cusanus als Vorläufer Leibnizens. ebd. April 1852
Cáda, Fr.: Die erste neutschechische philosophische Abhandlung. („Prvni novoíeské pojednání filosofické", tsch.) ÖM 1917, 6 - : Die Kosmosidee Klácels. (pKlácelova idea vesmëmosti", tsch.) CM 9, 1908
- : Über Leibnizens Konzeptualismus. ebd. April 1854
- : F.M. Klácel (tsch.) in: Hlidka Casu 14, 1908
- : Leibniz und Lessing, eine Studie, ebd. Mai 1855
- : Die pädagogischen Ansichten von Amerling. („Amerlingovy názory pedagogické", tsch.) Prag 1908
Das Rechtsprinzip bei Leibniz. Wien 1852 - : Philosophische Propaedeutik für Obergymnasien. Wien 1852 3. Aufl. ebd. 1867 (Prolegomena; Logik; Empirische Psychologie; Zur Einleitung in die Philosophie) - : Über das Tragische und die Tragödie. Wien 1856
200
- : Systematischer Abriß der Philosophie Storchs. („Soustavny nákres filosofie ätorchovy", tsch.) CM 15, 1914 èenskf, F.: K.S. Amerling (tsch.) Osvèta 1885 - : Zum Gedächtnis Amerlings. („Památce Amerlingovë", tsch.) Sammelband Prag 1908
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- : Fr.M. Klácel (tsch.)
Chalupny, E.: Josef Jungmann (isch.) Prag 1919-1920
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Prag 1908 Svètozor 1887 Knoodt, P.: Anton Günther. 2 Bde. Wien 1881 Kopeck^, VI.: Der geheimnisvolle Hanka. („Pino záhad kolem Hanky", tsch.) Zürich 1981 Král, J.: Dastich über Schiller. LDastich o Schillerovi", tsch.) CM 1905, 401 - : Die Soziologie Herbarts. („Herbartovská sociologie", tsch.) Prag 1921 - : Einige Bemerkungen zum Streit über Kant. („Nèkolik poznámek ke sportm o Kanta", tsch.) RF 1924, 3 - : G.A. Lindner. Sein Leben und seine Philosophie. („G.A. Lindner, ìivot a filosofie", tsch.) Prag 1929 - : Studie Uber G.A. Lindner. („Studie o G.A. Lindnerovi", tsch.) Prag 1930 Kredba, V.: Fr. 6upr. (Biographie) ( . i r . Cupr. Nástin íivotopisny", tsch.) Paedagogium 1882 Krejöi, Fr.: Über die Philosophie Smetanas. („O filosofii Smetanovè", tsch.) Prag 1901 - : Augustin Smetana im Kampf um die Religion. („Augustin Smetana ν boji o náboíenství", tsch.) Prag 1905 Lindner, G.A.: Fr. Cupr (tsch.) Paedagogium 1880 Lippert, J.: W.W. Tomek. Ein Lebensbild aus bedeutungsvoller Zeit in: Deutsche Arbeit, Jg. 7, 3 Lochmann, J.M.: Bernard Bolzano. (In: Geistiger Nachlaß unserer Erneuerung „Duchovni odkaz naSeho obrozenf', tsch.) Prag 1964 - : Das Lebenswerk B. Bolzanos. Basel 1981 Louiil, J.: Bernard Bolzano (tsch.) Prag 1978 - : Fr.Th. Bratránek. („FrantiSek TomáJ Bratránek. - Nachwort in: Fr.Th. Bratránek, „Erläuterungen zu Goethes Faust"- „Vyklad Goethova Fausta" , tsch.) Prag 1982 Löwe, J.H.: J.E. Veith. Wien 1879 MaSláñ, Fr.: Das Leben und die Tätigkeit Smetanas. („2ivot a Cinnost A. Smetany", tsch.) Prag 1920
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Memoiren,
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202
Korrespondenz:
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Havlííek, Κ.: Korrespondenz. („Korespondence Κ. Havlííka", hrsg. L. Quis, tsch.) Prag 1903 Némcová, Β.: Briefe und Tagebücher. („Dopisy a deníky", tsch.) Prag 1914 Palacty, Fr.: Korrespondenz. („Palackého korespondence a zápisky", hrsg. V. Nováíek, tsch.) 3 Bde. Prag 1898-1911 Pelzel, Fr.M.: Notizen. („Zápisky", tsch.) Prag 1817 Sabina, K.: Erinnerungen. („Vzpominky", tsch.) Prag 1937 - : Familienbriefe. („Rodinné listy Karla Sabiny", hrsg. J. Thon, tsch.) Prag 1947 Smetana, Α.: Geschichte eines Exkommunizierten. (Hrsg. A. Meissner) Leipzig 1863 Safafík, P.J.: Korrespondenz. 2 Bde. Prag 1927 Tomek, W.W.: Meine Beziehungen zu Palacky. („Styky mé s Palackym", tsch. in: Památník Palackého, Prag 1898 - : Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. („Pamêti τ mého ïivota", tsch.) 2 Bde. Prag 1904-1905
III. Der
Heiland
Die Werke Masaryks (in Auswahl). Plato als Patriot („Plato jako vlastenec", tsch.) Almanach Zora Prag 1878 Über den Hypnotismus. („O hypnotismu (magnetismu zvffecim). Rozprava psychologická", tsch.) Prag 1880
(tschechisch als „Sebevraida hromadnyni jevem spoleienskym moderni osvèty", tsch., Prag 1904) Blaise Pascal. („Blaise Pascal, jeho zivot a filosofie", tsch.) Prag 1883 Ernest Renan über die Nation. („Ernest Renan o národnosti. Qu'est-ce qu'une nation?", tsch.) in: Sbomík historicky 1883, 1 Über das Studium dichterischer Werke. („O studiu dèi básnick^ch", tsch.) 2 Bde. Prag 1884-1886 T.H. Buckle's Theorie der Geschichte. („Theorie dëjin die zásad T.H. Bucklea", tsch.) Prag 1884 Eine Untersuchung Uber die Principien der Moral von David Hume. Wien 1885 Slawische Studien I. („Slovanské Studie I. Slavjanofilstvi Ivana Vasil. Kiréjevského", tsch.) Prag 1880 Versuch einer concreten Logik. Klassifikation und Organisation der Wissenschaften. Wien 1885 (ergänzt 1887) tsch. als „Základové konkrétné logiky: Th'dèni a soustava véd" Prag 1885 Kurze Übersicht der Philosophiegeschichte. („Struiny prehled dèjin filosofie", tsch.) Prag 1889 J.A. Komensky (tsch.) Prag 1892 Die Schriften F.M. Dostojewskis. Wien 1892 Über die neuzeitliche Philosophiegeschichte. („O dëjinâch filosofie novovëké. Vyñatek ζ pfednáäek", tsch.) Prag 1892 Unsere heutige Krisis. (,J4a5e nynijäi krise. Pád strany staroíeské a poíátkové smèrù nov^ch", tsch.) Prag 1895 Tschechische Frage. („Ccská otázka, Snahy a tuiby národniho öbrozem", tsch.) Prag 1895 (letzte Neuausgabe Zürich 1979)
David Humes Skepsis und die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ein Beitrag zur Geschichte der Logik und der Philosophie. („Poiet pravdëpodobnostni a Humova skepse. Historicky úvod ν theoriì indukce", tsch.) Prag 1880 (dt. Wien 1884)
Jan Hus. („Jan Hus. Naie obrození a naie reformace", tsch.) Prag 18% Karel Havlííek. („Karel Havlííek. Snahy a tuzby politického probuzeni", tsch.) Prag 18%
Der Selbstmord als soziale Erscheinung der modernen Zivilisation. Wien 1881
Über die gegenwärtige Evolutionsphilosophie. („O nynëjSi filosofii evoluíní", tsch.) Prag 18%
203
Der moderne Mensch und die Religion. („Moderni ílovék a náboienství", tsch.) ND 4, 1897 ND 5, 1898 Die religiöse Frage und die moderne Philosophie. („Nábozenská otázka a moderni filosofie", tsch.) ND 4, 1897 Die Idee Palacky's der tschechischen Nation. („Palackého idea národa íeského", tsch.) ND 5, 1898 Die wissenschaftliche und politische Krisis des gegenwärtigen Marxismus. („Védecká a filosofická krise souíasného marxismu", tsch.) ND 5, 1898 Die Kirche und der Staat. („Cirkev a stát", tsch.) ND 5, 1898 Soziale Frage. („Otázka sociálnf. Základy marxismu sociologické a filosofické", tsch.) Prag 1898 Zur Krisis im Marxismus. (,,Ke krisi ν marxismu", tsch.) ND 6, 1899 Deutsche Einflüsse in unserer Wiedergeburt („Nëmecké vlivy na na§e obrozeni", tsch.) Moravská orlice 1, 1899 Die Entwicklung der europäischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert („Vyvoj evropské spoleínosti ν devatenáctém stoletf', tsch.) in: Ceská stráz 1899, 15 Das Naturrecht und das geschichtliche Recht. („Privo pïirozené a historické", tsch.) Prag 1900 Manual der Soziologie: das Wesen und die Methoden. („Rukovéi sociologie: podstata a metody sociologie", tsch.) ND 8, 1901 Die Ideale der Humanität (Ideály humanitní. Nèkolik kapitol", tsch.) Prag 1901 (dt Wien 1902) Zum Streit über Kant. („Ke sporn o Kanta", tsch.) ND 10, 1902 Zur Klassifikation der Wissenschaften. (,JCe klasifikaci véd", tsch.) CM 1902, 1
Obersicht der neuesten Religionsphilosophie. ( J f e h l e d nejnovëjSi filosofie náboienství", tsch.) Prag 1905 Die politische Lage. („Politickä situace. Poznámky ku poznámkám", tsch.) Prag 1906 Die Intelligenz und die Religion. („Inteligence a náboienstvi", tsch.) Prag 1907 Die Vorlesungen von Prof. Masaryk. („PfednáSky profesora Masaryka", tsch.) Chicago 1907 (siehe auch „Americké pfednääky", tsch. Prag 1929) Die Wissenschaft und die Kirche. („Vëda a cirkev", tsch.) Prag 1908 Zum Streit Uber den Sinn der tschechischen Geschichte. („Ke sporn o smysl £eskj>ch déjin", tsch.) ND 20, 1912 Der Demokratismus in der Politik. („Demokratism ν politice", tsch.) Prag 1912 Die Schwierigkeiten der Demokratie. („Nesnáze demokracie", tsch.) Prag 1913 Rußland und Europa. Studien Uber die geistigen Strömungen in Rußland. Erste Folge: Zur russischen Geschichts- und Religionsphilosophie. Soziologische Skizzen (unvoll.) 2 Bde. Jena 1913 (englisch: The Spirit of Russia. Studies in History, Literature and Philosophy", 2 Bde., London - New York 1919; 2. Aufl. 1961-1967) tschechisch: „Rusko a Evropa", 2 Bde., Prag 1919; 2 Aufl. 1921; 3. Aufl. 1931 italienisch: „La Russia e l'Europa. Studi sulle correnti spirituali in Russia", Napoli 1922 serbo-kroatisch: „Rusija i Evropc. Studìje o ducho\nim stnijama ν Rosiji", Zagreb 1923 Das Problem der kleinen Völker in der europäischen Krisis, dt. Prag 1922 Das Neue Europa. Der slawische StandpunkL Berlin 1922 Les problèmes de la démocratie. Essais politiques et sociaux. Paris 1924 Die Weltrevolution. Berlin 1925 The Making of a State. Memories and Observations 1914-1918. London 1927
Im Kampf um die Religion. („V boj o náboZenství", tsch.) Prag 1904
La resurrection d'un état Souvenirs et reflections 1914-1918. Paris 1930
Über die religiöse Freiheit. („O svobodè nábozenské a volnosti presvëdieni", tsch.) Prag 1904
Der Weg der Demokratie. („Cesta demokracie", tsch.) 3 Bde. Prag 1933-1935
204
Aus den
Neueditionen:
Suicide and the Meaning of Civilization. The University of Chicago Press 1970 MASARYK on MARX. An abridged Edition of T.G. MASARYK, „The Social Question: Philosophical and Sociological Foundations of Marxism". Ed. by Erazim V. KOHÁK Bucknell University Press 1972 The Meaning of Czech History. Ed. and with an Introduction by René Wellek. The University of North Carolina Press 1974
Masarykiana-Bibliographien: Tomââ Garrigue Masaryk - zum 75. Geburtstag. („TomáS Garrigue Masaryk. Ústfední knihova hlavního mèsta Prahy k narozeninám presidentovym", tsch.) Prag 1925 Kozák, J.B.: Masaryk - Philosoph. („Masaryk filosof', tsch.) Prag 1925 ákrach, V.K.; Rambousek Α.: T.G. Masaryk. („T.G. Masaryk. Rukovët pofadatelAm oslav jeho 75. narozenin", tsch.) Prag 1925 „Die Literatur Masaryks". („Masarykova literatura, 1850-1930", tsch.) Prag 1930 Pokomy, F.: Bibliographie... („Bibliografie literámích prací (kniínfch i ílánkú) T.G. Masaryka a monografií o ném", tsch.) „NaSe kniha IX", Prag 1930, Nr. 6-9, 16 Doleïal, J.: Fremdsprachige Masarykiana (dt.) Prag 1930 Jakovenko, Β.: La bibliographie de T.G. Masaryk. Prag 1935 Laichter, Fr. und M.: Bibliographie der Aufsätze Masaryks. („Bibliografie Masarykovych ílánkú ν pfedváleíné Naif Dobè", ND, XL, 1935, sep. 1936) T.G. MASARYK - Champion of Liberty. Research and Studies Center of CFTUF New York 1960
BeneS - Fr. Drtina - Jan Herben - Fr. Krejii, tsch.) Prag 1910 Masaryk Befreier. („Masaryk Osvoboditel", tsch., hrsg. K. Veleminsky, tsch.) Prag 1920 Der Almanach Masaryks. („Masaryküv Almanach", hrsg. V. Altmann Doleial - AnL Horcj§f - J. Seemann, tsch.) Wien 1925
J.
Masaryk Journalist. ( „ M a s a r y k ζ um alista". Sbomlk stati k 81, narozeninám T.G. Masaryka, tsch.) Prag 1930 Sammelband der Vorlesungen über T.G. Masaryk. („Sbornik píednáSek o T.G. Masarykovi, proslovenych J. Králem, J.B. Kozákem, J. Horákem, J. Bidlem, M. Paulovou a A. Stefánkem, hrsg. M. Weingart, tsch.) Prag 1931 Der Anführer der Generationen. („Vüdce generaci-", I.-II., hrsg. V.K. S krach, tsch.) Prag 1930-1931 Sammelband der Erinnerungen an T.G. Masaryk. („Sbomik vzpominek na T.G. Masaryka", hrsg. P. Maxa und L. Sychrava, tsch.) Prag 1930 Der Sammelband Masaryks. (, .Masaryküv sbomik", hrsg. V.K. S krach, tsch.) I. - Prag 1924-1925 II. - Prag 1926-1927 III. - Prag 1928-1929 IV. - Prag 1930 V., VI. - Prag 1930 Festschrift Th.G. Masaryk zum 80. Geburtstag, ( d l ) I.-II. Bonn 1930 Masaryk, Staatsmann und Denker (dt.). Die Gesamtausgabe von Masaryk dt. verfaßter Aufsätze für die „Prager Presse", zum 7.3.1925 und zum 7.3.1930 Prag 1930 Masaryk und die Frauen. („Masaryk a ieny", tsch.) I. Teil, Prag 1930 Die Karls-Universität T.G. Masaryk. („Universita Karlova T.G. Masarykovi", tsch.) Prag 1935
Die
Zeitschriften
Sammelbände und Festschriften Die Beiträge einzelner Autoren werden nicht mehr widerholt.
Athenaeum. Blätter für Literatur und wissenschaftliche Kritik.
T.G. Masaryk. ÖM 1910, 3-4
Prag 1883-1893 „Die Zeit" („Gas"), Prag 1886-1901
T.G. Masaryk zum 60. Geburtstag. („T.G. Masarykowi k 60. narozeninám", hrsg. E.
„Tschechische Revue" („Òeskà revue"). Monatsschrift der Jung Tschechen-Partei, Prag 1897-1900
(„Athenaeum. Listy pro literatum a kritiku vèdeckou")
205
„MASARYKs-Sammlung" („MASARYKùv sbomik. èasopis pro Studium íivota a dfla T.G. MASARYKa) Prag 1925-1931
Òapek, J.M. - Hruby, Κ.: T.G. MASARYK in Perspective. Comments and Criticism. S VU Press 1981
„Unsere Zeit" (,,NaSe doba. Revue pro vëdu, umëni a íivot sociálnr') Prag 1894-1900
Herben, J.: T.G. MASARYK (tsch.) Prag, CM 1910, Nr. 4
Memoiren,
Erinnerungen
Òapek, Κ.: Gespräche mit T.G. MASARYK. („Hovory s T.G. MASARYKem", tsch.) 3 Bde. Prag 1928, 1931, 1935 Heiben, J.: Zehn Jahre gegen den Strom. („Deset let proti proudu", tsch.) Prag 1898 Kaizl, J.: Aus meinem Leben. („Z mého iivota", tsch.) 3 Bde. (hrsg. Zd. Tobolka) Prag 1909-1914 Kramáf, Κ.: Memoiren. („Pamèti", tsch.) Prag 1937 Machar, J.S.: Dreißig Jahre. („Tricet rokû", tsch.) Prag 1922 MattuS, K.: Memoiren. („Pamëti", tsch.) Prag 1921 Susta, J.: Erinnerungen. („Vzpominky", tsch.) 1. Bd. - Prag 1947 2. Bd. - Prag 1963 Livre d ' o r du voyage de Monsieur T.G. Masaryk en France, en Belgique et en Grande Bretagne, Octobre 1923 Prag 1924 Seton-Wattson, R.W.: Masaryk in England. Cambridge University Press 1943
Handbücher,
Gesamtdarstellungen:
Dessoir, M.: Einleitung in die Philosophie. (IV. Der gegenwärtige Stand) Berlin 1824 Krejòi, Fr.: „Philosophie der letzten Vorkriegsjahre" („Filosofie posledních let pfed válkou", tsch.) Prag 1918
- : T.G. MASARYK (tsch.) 3 Bde. Prag 1926-1927 - : Skizzen über MASARYK. („Skizzäf k Masarykovu iivotopisu", tsch.) Prag 1930 Heiben, J. - HartI, J. - Bláha, In.A.: T.G.MASARYK. Sa vie, sa politique, sa philosophie. Prag 1923 Horky, K.: MASARYK redivivus? (tsch.) Prag 1926 Hromádka, J.L.: MASARYK zwischen Gestern und Morgen. („MASARYK mezi vCerejJkem a zítfkem", tsch.) Chicago 1940 Kwietniowski, Α.: T.G. MASARYK. Zycie i dzielo. FrySuäk 1926 Lowrie, Donald Α.: MASARYK. Genève - Paris 1929 - : MASARYK of Czechoslovakia. Oxford 1930 Ludwig, E.: Der Geist und die T a t („Duch a Sin", tsch.) aus dem dL Manuskript von F.K. und V.K. S KRACH übersetzt) Prag 1935 Nejedlf, Zd.: T.G. MASARYK (tsch.), unvollendet I., 1 (1850-1876) Prag 1930 I., 2 (1876-1877) Prag 1931 II. (1877-1882) Prag 1932 III. (1882-1886) Prag 1935 Pogonowski, J.: T.G. MASARYK (poln.) Warszawa 1927 Rychnowsky, E.: MASARYK (dt.) 2 Bde. Prag 1930 Street, C J . C . : T.G. MASARYK. London 1930
Merz, Th.J.: A History of European Thought in the XIXth Century. London 1896
Sychrava, Lev: T.G. MASARYK 1850-1930 (tsch.) Prag 1930
Machovec, M.: T.G. MASARYK (tsch.) Prag 1968
Vesely, F.: MASARYK, sein Leben und sein Werk. („MASARYK, jeho iivot a dílo", tsch.) Prag 1918
Das Leben und Werk:
Die Persönlichkeit
Betts, Reginald R.: M A S A R Y K ' s Philosophy of History. University of London 1947
d'Arms, Jean: T.G. MASARYK. Proletariersohn, Professor, Präsident. Berlin 1924
206
MASARYKs:
Denis, E.: Der erste Präsident der CSR MASARYK. („Prvni president republiky íeskoslovenské MASARYK", tsch., aus dem Französischen von J. Vaniura übersetzt) Prag 1919
Jakubec, J.: Masaryk und die tschechische Literatur. („Masaiyk a íeská literatura", tsch.) Slavia, Prag 1922
Denis, E. - Foumol, E.: Le Président MASARYK. Paris 1923
Král, J.: Der Streit um K a n t („Spor o Kanta. K. déjinám íeské filosofie ζ poíátku stoletf', tsch.) RF 1923, 241
Doleìal, J.: Der Weg MASARYKs. („MASARYKova cesta íivotem", tsch.) 2 Bde. Prag 1920-1921
- : Die erste Periode des philosophischen Schaffens Masaryks und die Wiener Umgebung. („Prvni období Masarykovy tvorby filosofické a prostfedi vídeñské", tsch.) Prag 1925
- : Achtzig Jahre T.G. MASARYKs. („Osmdesät let T.G. MASARYKa", isch.) Prag 1929 - : Der achtzigjährige MASARYK. („MASARYK osmdesátilety", tsch.) Prag 1931 Dvornikovié, V.: MASARYK als Philosoph und Soziologe. („MASARYK ako filozof a sociolog", slow.) Bratislawa 1927 Hommage au président MASARYK à l'occasion du 90. anniversaire de sa naissance le 7 mars 1940. Paris 1940 Hromádka, J.L.: Masaryk (tsch.) Prag 1930 Krejéí, Fr.: Über Masaryk. („O Masarykovi. Soubor stati", tsch.) Prag 1927 Krofta, K.: Masaryk und sein wissenschaftliches Werk. LMasaryk a jeho dflo vëdecké", tsch.) CA Prag 1930
- : Randbemerkungen zum Masarykschen „Selbstmord". („Na okraj Masarykovy „Sebevraidy"", tsch.) in: Sammelschrift der Universität zu Bratislava, V, 1927 Lacko, J.: Plato und Masaryk. („Piaton a Masaryk. K idealistickej podstate Masarykovej filozofie", slow.) Roienka University Komenského, Bratislava 1933-1934 MareS, Fr.: Das Ende des Streits um Kant. („Konec sponi o idealism a realism ν prírodní vèdë, ktery pozvedli prof, Β. R^man a T.G. Masaryk", tsch.) Prag 1903 Méâïan, Α.: Masaryk und Gorkij. in: Literary Theory and Criticism, Bern 1984 Chalupny, E.: Masaryk als Soziologe. („Masaryk jako sociolog", tsch.) Prag 1937 Silberstein, J.: Tolstoi et Masaryk. in: Le Monde Slave 1933 Skrach, V.K.: E. Radlow und Th.G. Masaryk. in: Der russische Gedanke, I, Bonn 1929-1930
Ludwig, E.: Die Anfuhrer Europas. („Vùdcové Evropy", tsch., aus dem d t Original Ubersetzt von O. Ràdi) Prag 1934
Tvrdy, J.: Zur Diskussion über Masaryk. („K diskusi o Masarykovi", tsch.) Moravskoslezská Revue 1923, 4
Tvrdy, J.: Die Philosophie Masaryks. („Masarykova filosofie", tsch.) Prag 1935
Weingart, M.: Das Slawentum Masaryks und die slawische Philologie. („Masarykovo slovanství a slovanská filologie", tsch.) Prag 1935
Utitz, E.: Masaryk als Volkserzieher (dt.) Prag 1935
Ethik und
Religionsphilosophie:
Vorovka, K.: Zwei Studien über die Philosophie Masaryks. („Dvê Studie o Masarykovè filosofii", tsch.) Prag 1926
Cemy, V.: Essai sur le Titanisme dans la Poésie Romantique Occidentale entre 1813 et 1850 (La critique Masarykienne du titanisme romantique, S. 122-136) Prag 1935
MASARYK in den tschechischen Humanwissenschaften und in der Philosophie:
Ehrenfels, Chr.: Die Religion der Zukunft. Zwei Funksprüche und ein offener Brief an den Präsidenten der Tschechoslovakischen Republik T.G. MASARYK. Prag 1930
Bláha, In.Α.: La pensée philosophique de MASARYK. Revue Internationale de Sociologie XVIII, 1918 Horák, J.: T.G. Masaryk und die slawischen Literaturen. („Masaryk a slovanské literatury", tsch.) Prag 1931
Hromádka, J.L.: Die zentrale Religionsfrage bei Masaryk. („Masarykova úsffední otázka náboienská", tsch.) Prag, Kaiich 1919
207
Kantorek, J.: T.G. Masaryk als religiöse Persönlichkeit. („T.G. Masaryk jako náboíenská osobnost", tsch.) Prag 1919, 2. Aufl. 1920 Kraus, O.: Die Religion Masaryks und die Ethik. („Masarykovo náboíenstvf a ethika", tsch.) KalendáF íesko-íidovsky Prag 1910 Kozák, J.Β.: Masaryk als Ethiker und religiöser Denker. (,.Masaryk jako ethik a náboíensky myslilel", tsch.) Prag 1931 Linhart, F.: Masaryk und das Christentum. („Masaryk a kfesianstvftsch.) ND XXXIV, 1927 Müller, Α.: T.G. Masaryk, religiöser Denker. („T.G.Masaryk, náboíensky myslitel", tsch.) Prag 1920 Jemelka, Α.: Der Kampf Masaryks um die Religion. („Masaryküv boj o nábozenství", tsch.) Prag 1905 Koneíny, Fr.Ph. OP: Wie schreibt Prof. Masaryk über die katholische Wissenschaft und den katholischen Glauben? („Jak pße Prof. Masaryk o katolické vëdë a vffe?", tsch.) Prag 1891 Pelikán, F.: Über die Humanitätsphilosophie Masaryks. („O Masarykovè humanitní filosofii", tsch.) NÒ 1921 Rychnowsky, E.: Masaryk und das Judentum. („Masaryk a ïidovstvf', tsch.) Prag 1931 Spisar, Α.: Präsident Masaryk, ein religiöser Mensch und Denker. („President Masaryk, nábozensky ilovëk a myslitel", tsch.) Prag 1925 Tvrdy, J.: Die Religionsphilosophie. („Filosofie náboienstvf, tsch.) S. 59f. Brünn 1921 ¿ilka. Fr.: Die tschechischen Evangeliker ihrem Masaryk. („Ceäti evangelici Masarykovi", tsch., Sammelband, hrsg. von Fr. ¿ilka) Prag 1930
Die politische
Philosophie
Masaryks:
Baemreither, J.M.: Zur böhmischen Frage. Politische Studie. Wien 1910 Fischer, J.L.: Die Glossen zur tschechischen Frage. („Glossy k 6eské otázce", tsch.) Prag 1926
208
- : T.G. Masaryk. Die Anfänge und die Einflüsse. („T.G. Masaryk. Poíátky a vlivy. Studie filosofická", tsch.) ÒM 1930, 132 Fajfr, Fr.: Masaryk und Comte (tsch.) Prag 1925 Göll, J.: T.G. Masaryk, Soziale Frage. C,T.G. Masaryk, Otázka sociálnf, tsch.) CÖH VI, 1900 (später in: Vybrané spisy drobné, I. Prag 1928) KaizI, J.: Tschechische Gedanken. („Ceské mySlenky", tsch.) Prag 1896 Kalvoda, J.: Der Kampf um die geistige Orientierung der Nation. („Zápas o duchovní orientaci národa", tsch.) Vorlesung in Lisie (Illinois), 23.10.1983; in: „NaSe Hlasy", 29.10.1983 Kramáí, Κ.: Das tschechische Staatsrecht. („Ceské státnl piávo", tsch.) Prag 1896 -: Bemerkungen zur tschechischen Politik. („Poznámky o éeské politice", tsch.) Prag 1906 MattuS, Κ.: Einige Gedanken Uber den tschechischen StaaL („Nèkolik myälenek o íeském stàtè", tsch.) Prag 1870 Nejedly, Zd.: Der Streit um den Sinn tschechischer Geschichte. („Spor o smysl iesk^ch dèjin", tsch.) Prag 1914 Patoíka, J.: Zwei Studien Uber Masaryk. („Dvê Studie o Masarykovi", tsch.) Toronto 1977 Pekaí, J.: Die tschechische Philosophie von Masaryk. („Masarykova íeská filosofie", tsch.) Prag 1912 P m ? ñ k , Α.: Ma^an-k u n d die S l o w a k e i .
(„Masaryk a Slovensko", tsch.) Prag 1937 Reimann, P.: Marx oder Masaryk? („Marx nebo Masaryk?", Vorwort zur tschechischen Ausgabe der Studie Fr. Engels' „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der deutschen klassischen Philosophie", übersetzt B. LaJtovitka G. Ôemy) Prag 1932 siehe auch den Sammelband „Marx und Masaryk" („Marx a Masaryk", hrsg. J. Stolz H. Dobevsky; die kritischen Aufsätze von G. Plechanow, K. Kautsky, A. Labriola, H. Cunow und die Antwort Masaryks) Prag 1933 Stloukal, K.: Tschechoslowakischer Staat und T.G. Masaryk. („Ceskoslovensk^ stát ν pfedstavách T.G. Masaryka za války", tsch.) Prag 1930 Stern, E.: Die Ansichten Masaryks über Sozialismus. („Názory T.G. Masaryka na socialismus", tsch.) Prag 1925
Stefánek, Α.: Masaryk und die Slowakei. („Masaryk a Slovensko", slow.) Prag 1931 Tomsa, B.: Der Kampf Masaryks um das Naturrecht. („Masarykûv zápas o právo pfirozené. Souêasnê pHspèvek k ideologii ieskych politick^ch stran", tsch.) Prag 1928 Tvrdy, J.: Masaryk liber die Demokratie. („Masaryk o demokracii", tsch.) Brünn 1925 Vozka, J.: Masaryk und die Sozialdemokratie. („Masaryk a sociální demokracie", tsch.)
Prag 1933 Werstadt, J.: Von der „Tschechischen Frage" bis zum „Neuen Europa". („Od „Ceské ocázky" k „Nové Evropë". Linie politického vyvoje Masarykova", tsch.) Prag 1920 - : Über die Philosophie tschechischer Geschichte. („O filosofa ieskych dêjin. Palacky - Masaryk - Pekaf", tsch.) Prag 1937 Schmidt-Hartmann, E.: Thomas G. Masaryk's Realism. München 1984
209
Namenregister
Abälard, P. 122 Alt, Ant. 78 Amerling, K.S1. 109-111, 147 Aranitski, St. 69 Aristophanes 40 Aristoteles 89, 98, 107, 146, 150 Augustinus, Aurelius HI. 30, 71 Baader, Fr.X. 17,109,110 Babák, Ed. 120 Bach, A. 31, 43, 86 Bacon, Fr. 27, 91 Bain, A. 119 Β albín, Β. 160 Baltzer, Joh.B. 56 Bambas, V. 80 Bauer, Β. 78 Beck, E. 185 Bek, AntJ. 69 Bèlinskij, V. 153, 154 Beneä, Ed. 9, 174 Bentham, J. 19, 52, 131, 151 Biedermann, G. 80 Bismarck, O. Fürst v. 14 Blumauer, L. 68 Bolzano, Β. 17, 49-55, 61, 66, 67, 87, 88, 94, 100, 122, 123 Bonk, S. 185 Börne, L. 68 Bosl, Κ. 185 Bratranek, Fr.Th. 78, 124, 150 Brentano, Fr. 137, 149-151 Β retholz, Β. 158 Brunner, St. 56 Bulowa, J.A. 115,118 Buzek, B. 78 Byron 32
Çàda, Fr. 1 1 0 , 1 1 1 , 1 2 2 Calvin, J. 136, 172 Catullus 125 ¿ech, Sv. 17 Celakovskf, Fr.Lad. 25, 26, 30, 31, 124 èelakovsky, L a d J . 115,118 Censky, F. 110 Cemy, V. 124 Cervantes, Miguel de Saavedra 15 Chateaubriand 27 Chelíick?, P. 163 Chlumíanskf, V.L. 123 Chmela, J. 37 Chmelensty, J.K. 124 Cicero, Marcus Tullius 98 Ôiierin, D.N. 119 Clemens, H. 56 Comenius, J.A. 21, 44, 45, 91, 98, 105, 110, 111, 137, 160, 163, 172 Comte, A. 19, 95, 96, 119, 131, 147, 151, 152 Copernicus, N. 44
Öupr, Fr. 54, 64, 71, 87, 88, 106-108, 117, 122, 147 Cusanus, Ν. 87 Cuvier, Ch. 64 Cyrill und Method, HU. 47, 121 Cysarz, H. 185
Dambeck, J.H.M. 99 Darwin, Ch. 90, 92, 94, 106, 118 Dastich, J. 83, 88, 89, 94, 147 Denis, E. 161, 166, 183 Descartes, R. 5 5 , 9 4 , 1 1 2 , 1 2 0 , 1 5 1 Deym, W. Graf v. 69 Dieringer, J. 56 Dietzgen, J. 146 Dilthey, W. 164 Dingler, A. 117 Dittrich, J. 51 Dobicer, Fr.J. 33 Dobner, G.J. 15 Dobrowsky, 3. 13, 15, 28, 35, 38, 39, 122, 124, 133, 160, 163, 184 Dobrzanski, J. 69 Dostojewskij, F.M. 119,134,153 Drbal, M.A. 83, 93, 94 Drobisch, W. 87 Durdik, 1. 83, 84, 90, 94-97, 133 Durdik, P. 146, 147 Dvoráíek, J. 69 Dvorák, Α. 22 Dvorák, Jan, s. Hofbauer, Cl.M. Hl. Dvorák, J.B. 97, 98 DvofiSk, R. 125
Ehrenfels, Chr. Frh. v. 151 Ehrlich, J.N. 151 Erben, K.J. 25, 32, 36, 61, 69 Eriugena, Joh. Scottus 107, 112 Exner, Fr. 51, 76, 79, 83, 86-88, 100, 108, 122
Faifr, Fr. 76, 184 Fanta, K„ Dr.med. 69 Fechner, G.Th. 90,116 Feder, G.H. 99 Fesl, M. 50 Feuerbach, L. 105, 140, 153, 173, 177 Fichte, J.G. 18, 54, 64, 84, 89, 112 Fidrmuc, J. 59, 63 Filippow, M.M. 119 Fischhof, A. 160 Flügel, H. 87 Franz-Joseph I. von Österreich 130, 144, 159 Frió, J.V. 70, 80 Fries, J. 54, 61, 122 Frint, J. 50 Fügner, J. 104
211
Gabler, V. 59, 60, 6 2 - 6 5 , 71 Garve, Chr. 123 Gebauer, J. 21, 39 Geyer, A. 100,112 Gillwald, W. 185 Glücklich, J. 80, 81 Goethe, J.W. 27, 54, 61, 122, 150, 166 GoU, J. 38, 39, 169 Gomperz, Th. 150 Gorkij, M. 154 Görres, JohJ.v. 55, 56 Grégr, Ed. 104 Gribbohm, J. 185 Grybowski, V. 6 9 Guardini, R. 17 Guido von Ravenna 37 Gunica, S. 27 Günther, A. 49,55,56,111,112
Haeckel, E. 90,118 Haendel, Fr. 132 Hanka, W.W. 27, 31, 35, 37-39, 69 HanujS, I.J. 7 5 - 7 7 , 108, 147 Hartenstein, J. 87 Hartmann, Ph. 9 0 Hattala, M. 61 Häusle, J.M. 56 HavlKek, Κ. 20, 21, 33, 41, 46, 49, 54, 55, 59, 60, 6 4 - 6 8 , 70, 71, 87, 122, 133, 153, 155, 156, 161-163, 173 Hegel, G.W.Fr. 1 5 , 1 8 , 1 9 , 4 3 , 5 1 , 62, 6 4 , 7 5 - 7 7 , 81, 85, 87, 89, 122, 152, 158, 165, 173, 177-179,
180 Heidegger, M. 177 Helvétius, Cl.A. de 91 Henning, E.M. 117 Herbart, J.G. 17, 18, 61, 76, 83-92, 94, 96, 101, 147, 150, 177, 184 Herbatschek, H. 156 Herder, J.G. 21, 29, 43, 44, 54, 63, 122, 143, 145, 146, 152, 157, 164, 169 Hermes, G. 55 Herostrates 125 Hertling, G.v. 151 Herzen, A. 119, 153, 154 Hilleprant, A. 151 Hildprandt, R.Frh.v. 69 Hitzfelder, J. 56 Hofbauer, Cl.M. Hl. 49, 50, 55, 56 Hoffmann, C. 156 Hoffmann, J. 50 Höfler, A. 151 Hölderlin, Fr. 11 Holtzendorff, S. 100 Horneros 27,37 Horatius 31 Hosp, E. 56 Hostinskji, O. 90, 97, 133, 184 Hromádka, J.N. 38 Huebner, H. 104 Hugo de St. Victore 112 Humboldt, A.v. 117 Humboldt, W.v. 81, 146 Hume, D. 120, 151 Hurban, J.M. 110
212
Hurdálek, J. 122 Hus, J. 14, 32, 36, 134-137, 140, 141, 152, 155, 156, 160-163, 165, 167, 171, 184 Husserl, E. 51, 52, 151, 178 Hutcheson, Fr. 151 Huxley, Th.H. 119 Hyna, K.Ferd. 2 8 , 1 1 7 , 1 2 4 H^sek, M. 125
Jacobi, H. 49, 54, 64, 78, 86 Jahn, Fr.L. 106 Jakubec, J. 62, 68 James, W. 134 Janáíek, Α. 106 Janet, P. 119 JaSek, M. 106 Jaud,Κ. 185 Jean Paul 132 Jemelka, A. SJ 137 Jefábek, Ant. 185 Jireíek, Η. 156, 168 Jireíek, J. 168 Jirsík, J, 123 Johannes Nepomucenus 167 Jordan, J.P. 69 Jungmann, AntJ. 27, 29 Jungmann, J. 25-30, 36, 61, 67, 68, 76, 122-124, 136, 160, 167
Kachnik, J. 86 Kadlec, I. 97 Kafka, Fr. 17 Kaizl, J. 133, 166, 167 Kaiina, J.J. 109,111 Kalina, Vojtëch s. MikS, J. Kalousek, J. 161, 165 Kalvoda, J. 132, 136 Kamanít, J.W1. 124 Kampr, J. 94 Kant, I. 17-19, 28, 41, 42, 45, 52, 55, 62, 64, 71, 81, 84, 85, 87, 89, 90, 94 96, 9S, 99, 120, 122, 123, 132, 150, 152, 173 Karadordje 165 Kastil, A. 151 Kaulich, W. 109,112 Kepler, Joh. 57 Khéres, J. 98 Kierkegaard, S. 7, 10, 33, 164, 173, 180 Kiréjewskij, I.W. 153 Klácel, Fr.M. 69, 75-79, 124, 125, 147 Klar, Α. 99 Kleutgen, Jos. 56 Klima, Lad. 2 0 - 2 2 Knoodt, Fr.P. 55, 56 Kollár, J. 18, 20, 28, 30, 33, 35, 36, 39, 41, 46, 47, 133, 146, 152, 153, 159, 163, 169, 174 Kolowrat, H. Graf v. 69 Koneín?, Fr.F. OP 137 Kopitar, B. 39 Körner, J. 124 Kowarik, St. 185 Kril, J. 91-93, 183, 185 Kramáf, Κ. 133, 160, 166 Kramáf, O. 98, 99 Kratochvil, Jos. 14, 100, 137, 184
Kraus, O. 150, 151 Krause, K.ChrJ. 17, 63, 109, 110 Krbec, J. 121 Kredba, V. 106 Krejíí, Fr. 94 Krejíf, F.V. 105 Kriikovsky, P. 78 Kuffner, K. 133 Kvèt, Fr.Β. 98, 177 Labriola, Ant. 88 Lang, J.Chr. 68 LaviCka, J. 184 Lawrow, P. 153, 154 Lazarus, M. 87 Leibniz, G.W. 52, 54, 86, 87, 95, 98, 100, 122, 146 Lenau, N. 81 Lenin, V.l. 169 Leonhardi, H.K. 109,111 Lessing, Ephr. G. 68 Lessing, Th. 178 Lewes, G.H. 119 Lichtenfels, J. s. Peithner, J.v. Liguori, Alfons di, Hl. 45 Likawetz, J.K. 54 Lilienfeld, P.v. 91 Lindenthal, J. 78 Lindner, G.A. 83, 87, 88, 90-93, 106, 112, 118, 147 Lippert, J. 168 Littré, E. 119 Lobinger, Α. 185 Lobkowicz, Ν. 63 Locke, J. 120, 151 Logan, Fr. 68 Lotze, R.H. 90 Louzil, J. 53, 150 Löwe, J.K. 109,111,112 Lubomìrski, J. 69 Luther, M. 15, 135, 136, 172 Mach, E. 115,117,118,150 Mâcha, K.H. 25, 32, 33, 60, 77, 78, 100, 111 Machovec, M. 184 Madiera, K.Ant. 97 MakoviCka, E. 97 Malisz, K. 69 Mandeville, B.de 151 Marek, Ant. 28, 124 MareS, Fr. 115, 120 Marty, A n t 151 Marx, Κ. 169 Masaryk, Th.G. 7-9, 16, 18-22, 35, 38, 39-41. 44, 46,47,49, 55, 59, 60, 90, 94-96, 119, 120, 127, 131-180, 183, 184 Meinen, J.G. 99 Meinong, A. 151 Meissner, A.G. 80, 99 Mendel, G. 77 MèSïan, Ant. 14, 154 Michajlovskij, Ν. 153 Michelis, Fr. 56 Mika, M. 50 Miklo5i¿, Fr. 69 Mikä, J. 115,119 Mill, J.St.
19, 119, 131, 151, 152, 173
Mommsen, Th. 129 Mráz, Ign. 124 Müller, Α. 55 Musaeus 125 Mysliveíek, G. 132
Náhlowsky, Fr. 50 Náhlowsk?, W. 50 Nahlowsky, J.W. 67, 83, 86, 87, 100 Napp, C. 78 Nebesk?, V.B. 59, 64, 69 Nejedl?, V. 123 Nejedly, Zd. 71, 97, 184, 185 Némcová, Β. 25. 32, 60, 65 Nèmeiek, F.X. 79 Nestroy, J. 11,28 Neuberg, J., Ritter v. 69 Neuwirth, VI. 185 Newton, 1. 94, 95 Nietzsche, Fr. 9, 115, 119, 164, 177, 178 Novalis 11
Occam, W. 179 O'Connell, D. 53 Oischinger, J.N.P. 56 Oken, W. 17, 110 Ovidius, Publius Naso 27, 37, 125
Pabst, J.H. 55, 56 Palacky, Fr. 16, 19-21, 25, 29-33, 35-39, 41-46, 59, 62 65, 66, 69, 70, 107, 121, 125, 133, 147, 152, 153, 155-157, 161-163, 168-170, 172, 183, 184 Palkoviò, J. 61 PaniC, M. 69 Papií, Max 69 Papímík, Ant 94 Pascal, Β. 10 Patoíka, J. 184 Peithner, J., Ritter von Lichtenfels 54, 76 Pekaî, J. 22,133,155, 158, 159,161, 164, 165, 167, 169-171, 178, 184 Pelikán, Ferd. 184 Pelzel, Fr.M. 28 Peäek, J. Ill Pelina, W. 124 Pestalozzi, J.H. 105 Pissarew, D. 153, 154 PiStèk, Fr. 123 Plaschka, R.G. 185 Plato 21, 37, 43, 98, 107, 118, 141, 162 Plautus 31 Plutarchos 31 Pohorská, L. 80 Praíák, A. 97, 110 Prinz, Fr. 185 Procházka, Fr.X. 98, 183 Procopios 37 Propertius 125 Ptáíek, V. 98 Pulkawa, Pfibik 13, 35 Purkynè, J ü v . 115-117,147 Pyrrhon 98
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RadiSíew, Α. 153 Ràdi, E. 120, 159, 184 Rambousek, A.A. 78 Raupach, H. 64, 185 Raynaud, S. 151 Reim, Th. 87 Reinkens, J.H. 56 Renan, E. 119 Rezek, Ant. 169 Richard de S t Victoire 112 Rieger, Fr.Lad. 69 Rieger, Lad. 17 Rousseau, J J . 21, 105, 145 Rummerskirch, B. Graf v. 69
Sabina, K. 59, 65, 66, 68, 70, 71 Safárik, P.J. 28, 35, 37-41, 69, 76, 163,, 169 Salda, Fr.X. 105, 166 Sauer von Augenburg, J. 51 Schaffte, A. 91 Schamschula, W. 185 Scheler, Max 164 Schelling, Fr. W. 17,19, 20, 64, 80, 85, 89, 109, 110, 116, 117, 150, 173 Schiller, Fr. 27, 40, 54, 61, 87, 122, 131 Schleiermacher, E.D. 173 Schlüter, Chr.B. 56 Schmerling, A. 130 Schmid, Felicitas 181 Schmidt, Friederike 46 Schmidt-Hartmann, E. 132 Schneider, Fr. 51 Schneider, K.A. 99 Schopenhauer, A. 17, 84, 92, 103, 106, 164 Schulz, Ae. 98 Schwarzenberg, Fr. Fürst v. 111 Schwippel, A. 54 Scott. W. 30 Sedláíek, J. 98 Seibt, Ch.H. 27, 84, 99 Seibt. F. 185 Sembera, V. 78 Semper, G. 97 Shaftesbury, Ashley Earl of Α. 43, 151 Sláma, Fr. 124 Slapnicka, Η. 185 Slavík, J. 98 Smetana, Aug. 59, 71-73, 75, 79-81, 85, 108, 147, 152 Smetana, F.J. 117 Smetana, Friedrich 70, 97 Smith, A. 131, 151 Sokrates 89, 107 Solowjew, W. 119,154 Sombart, W. 152 Spencer, H. 91, 92, 118, 119, 151 Spinoza, B. 20 Spiik, A. 54 Stamic, J.V. 132 Stanèk, V. 69 Staudenmeier, Fr.A. 56 Stefany & Stegmayer 104 Stein, Lorenz v. 71, 100 Steinthal, Η. 87 Sternberg, C. Graf v. 41
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Steward, Dugall 27 Stifter, A. 17 Stítn?, Th. 76, 94, 107 Stölzl, Chr. 25 Storch, K.B. 59, 65, 66, 71, 109-111, 147 S toy, K.V. 86 Strabo 37 Strümpell, L. 87 Stulc, W. 33, 69 Stumpf, C. 151 Stúr, L. 41, 69 Sumavsty, J.Fr. 69 Suüil, Fr. 37, 121, 124, 125 Swoboda, F J . 76 Swoboda, W.A. 124 Tacitus 37 Taine, H. 119 Tasso, Torquato 27 Terentius 31 Thilo, C.A. 87 Thomas Aquino, Hl. 52 Thomsen, Klaus 185 Thun, J.M. Graf v. 69 Thun, Leo Graf v. 132 Tippmann, K. 51 Tirsch, J.W. & W. 76 Toischer, W. 83, 101 Tolstoj, L.N. 119 Tomek, N. 124 Tomek, W.W. 69, 156, 168, 169, 183 Tomííek, J.S1. 29 Tmka, T. 184 Trabeckoj, S.N. 119 Tschernyschewskij, N.G. 153 Tvrd?, J. 184 Tyrä, M. 17, 90, 103-106, 118, 125, 147 Urban, O. 184, 185 Utitz, E. 151 Vavák, J. 99 Veith, J.F.. 49, 56 Vidmar, J. 56 Villani, K.M. Frh. v. 69 Vitula, M. 132, 161 Vogler, B. 78 Vohryzek, V. 67 Volkmann, W.Fr. (Ritter v. Volkmar) Voltaire, Fr.M. Arouet, de 27 Vorthey, J. 78 Wacek, Fr.A. 124 Wáclawííek, W.W. 124 Wachendorff, E.A. 185 Wagner, R. 97 Wald, Fr. 120 Waldstein, W. Graf v. 69 Wenzig, J. 113 Werner, K. 56 Wilhelm, S. 50 Willmann, O. 83, 100 Winaficky, K. 37, 121, 123, 124
83, 87,
Winter, E. 51, 53, 54, 56, 61, 64, 67, 122, 185 Wocel, J.E. 66, 68, 69 Wolff, Chr. 86, 99 Wundt, W. 150 Wydra, St. 27, 50
Zába, G.
61, 98, 105, 183, 185
Zahradník, W. 78, 121-124 Zap, K.W. 69 Zieh, 0. 105 Ziegler, J.L. 124 Ziller, T. 86, 87 Zimmermann, R. 83, 87, 88, 108 ¿iika, J. 169 Zwingli, J. 136
saur BRIEFWECHSEL DEUTSCHSPRACHIGER PHILOSOPHEN 1750 -1850 Band 1: Register Verfasser/Adressaten und Adressaten/Verfasser Band 2: Nachweise, Briefe, Briefsammlungen Herausgegeben von Norbert Henrichs und Horst Weeland 1987.2 Bände, zus. X X , 1150 Seiten. Leinen. Subskriptionspreis bis zum 31.12.1987: Zus. D M 596.-; danach D M 796.ISBN 3-598-21910-5
In dieser Epistolographie werden für die in der abendländischen Geistesgeschichte «ächtige Zeitspanne von 1750 bis 1850 Einzelbriefe, Briefwechsel und Briefsammlungen deutschsprachiger Philosophen nachgewiesen, sofern die brieflichen Zeugnisse in gedruckter Form vorliegen. Insgesamt ca. 12 000 Eintragungen ergeben ein in diesem Umfang und in dieser Ausführlichkeit bisher einmaliges Nachschlagewerk. Der Registerteil führt die Verfasser bzw. Adressaten auf, unter denen in alphabetischer Anordnung die Namen einzelner Briefpartner und in
zeitlicher Reihung die Abfassungsdaten der Briefe verzeichnet sind. Mittels der Identifikationsnummer jedes Briefes kann in Band 2 (Nachweise) die nähere Beschreibung der Briefe und deren Quellen nachgeschlagen werden. Die so dokumentierten Briefe und Briefwechsel sind für die philosophie-, Uteraturund kulturgeschichtliche Forschung des "philosophischen Jahrhunderts", dessen hier zusammengestellte Briefliteratur weit verstreut und zum Teil schwer zugänglich ist, von großem Wert. Diese Epistolographie ist ein nützliches geisteswissenschaftliches Referenzwerk.
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