Gesammelte Werke. Band 8 Offenbarung und Glaube: Schriften zur Theologie II [Reprint 2020 ed.] 9783112357064, 9783112357057


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German Pages 367 [368] Year 1970

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Gesammelte Werke. Band 8 Offenbarung und Glaube: Schriften zur Theologie II [Reprint 2020 ed.]
 9783112357064, 9783112357057

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PAUL T I L L I C H • GESAMMELTE BAND VIII

WERKE

PAUL TILLICH

OFFENBARUNG UND GLAUBE Schriften zur Theologie II

GESAMMELTE

WERKE

BAND VIII

EVANGELISCHES VERLAGSWERK

STUTTGART

Herausgegeben von Renate Albrecht An der Obersetzung dieses Bandes waren beteiligt: Renate Albrecht, Nina Baring, Hildegard Behrmann, Herbert Drube, Maria Rhine, Gertie Siemsen, Gertraut Stöber.

1. Auflage Erschienen 1970 im Evangelischen Verlagswerk G m b H , S t u t t g a r t Gesamtherstellung: Union Druckerei G m b H S t u t t g a r t P r i n t e d in Germany

Meinem Schwager ERHARD SEEBERGER gewidmet

INHALT

Vorbemerkung des Herausgebers

11

Einleitung ¡Überwindung des Provinzialismus in der Theologie . . .

13

Zum Problem der Offenbarung D I E IDEE DER OFFENBARUNG

31

OFFENBARUNG

40

N A T Ü R L I C H E RELIGION UND OFFENBARUNGSRELIGION

47

A U T O R I T Ä T UND OFFENBARUNG

59

„WORT GOTTES"

70

Zum Problem des Glaubens RECHTFERTIGUNG UND ZWEIFEL

85

I. Der Hervorgang des Zweifels aus der Rechtfertigung als Prinzip II. Der Zweifler und seine Rechtfertigung

86 89

III. Theologische Umschau

93

IV. Die Konsequenzen der Rechtfertigung des Zweiflers

96

„ G L A U B E " IN DER JÜDISCH-CHRISTLICHEN ÜBERLIEFERUNG

101

I. Die grundlegende Konzeption des Glaubens im Alten Testament 101 II. Die Entfaltung der Glaubensidee im Neuen Testament

104

III. Entstellung und Bewahrung des Glaubens in der Kirchengeschichte 106 IV. Die Wiederentdeckung der biblisdien Glaubensidee durch die Reformatoren 108 7

WESEN UND WANDEL DES GLAUBENS

Vorbemerkung

111

111

I. Was der Glaube ist

111

1. Glaube als Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angebt . . 111 2. Glaube als Akt der ganzen Person

114

3. Die Quelle des Glaubens

117

4. Der Glaube und die Dynamik des Heiligen

119

5. Glaube und Zweifel

122

6. Glaube und Gemeinsthaft

127

II. Was der Glaube nicht ist

132

1. Das Mißverständnis des Glaubens als Erkenntnisakt

132

2. Das Mißverständnis des Glaubens als Willensakt

135

3. Das Mißverständnis des Glaubens als Gefühl

137

III. Die Symbole des Glaubens

139

1. Der Begriff des Symbols

139

2. Die religiösen Symbole

141

3. Symbol und Mythos

144

IV. Typen des Glaubens

148

1. Die Elemente des Glaubens und ihre Dynamik

148

2. Die ontologischen Glaubenstypen

150

3. Die moralischen Glaubenstypen

155

4. Die Einheit der Glaubenstypen

158

V. Die Wahrheit des Glaubens

161

1. Glaube und Vernunft

161

2. Die Wahrheit des Glaubens und die wissenschaftliche Wahrheit 164 3. Die Wahrheit des Glaubens und die historische Wahrheit

168

4. Die Wahrheit des Glaubens und die philosophische Wahrheit .. 171 5. Die Wahrheit des Glaubens und ihre Kriterien

8

175

VI. Das Leben des Glaubens

177 177

1. Glaube und Mut 2. Der Glaube und die Integration

182

der Person

186

3. Glaube, Liebe und Tun 4. Die Gemeinschaft des Glaubens und ihre Ausdrucksformen

. . . . 190

5. Die Begegnung zwischen Glaubensgemeinschaften

193

Schlußbemerkung

195

Die Möglichkeit des Glaubens und seine Bedeutung in der Gegenwart 195

Spezielle theologische Probleme D A S „FREMDE W E R K " DER L I E B E

199

D I E L E H R E VON DER INKARNATION IN NEUER D E U T U N G

205

D A S NEUE S E I N ALS ZENTRALBEGRIFF EINER CHRISTLICHEN THEOLOGIE

220

ERLÖSUNG IN KOSMOS UND G E S C H I C H T E

240

D I E H O F F N U N G DER C H R I S T E N

252

D I E CHRISTLICHE H O F F N U N G UND IHRE W I R K U N G IN DER W E L T —

257

D I E VERKÜNDIGUNG DES EVANGELIUMS

265

THEOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER M I S S I O N

276

D E R B E G R I F F DES DÄMONISCHEN UND SEINE B E D E U T U N G FÜR DIE SYSTEMATISCHE T H E O L O G I E

285

J Ü D I S C H E EINFLÜSSE AUF DIE CHRISTLICHE T H E O L O G I E UNSERER Z E I T

292

D I E THEOLOGISCHE B E D E U T U N G VON PSYCHOANALYSE UND EXISTENTIALISMUS

304

SEELSORGE UND PSYCHOTHERAPIE

316

I. Das Wesen der Seelsorge

316

II. Das Ziel der Seelsorge

318

III. Die Quellen der Seelsorge

321

IV. Die innere Einstellung zur Seelsorge

322

9

D E R EINFLUSS DER PSYCHOTHERAPIE AUF DIE T H E O L O G I E

325

I. Die Lehre vom Menschen

325

II. Der Einfluß der Psychologie

326

III. Der Gottesgedanke

327

IV. Göttliche Annahme

328

V. Eine neue Bewertung des religiösen Symbols VI. Symbole des Unbewußten

330 330

VII. Der Sinn der Erlösung

331

VIII. Der göttliche und der menschliche Geist IX. Heilung der ganzen Person

333 334

10

VORBEMERKUNG DES HERAUSGEBERS Mit dem hier vorliegenden Band 8 sind 11 Bände der Gesammelten Werke von Paul Tillidi erschienen. Nach dem bestehenden Plan sollen nun noch zwei weitere Bände folgen. Nadi deren Erscheinen wird das Gesamtwerk abgeschlossen sein. Verlag und Herausgeber halten es für notwendig, im jetzigen Zeitpunkt Rechenschaft über das Geleistete zu geben und die künftigen Pläne zu umreißen. Der bisherige Plan sah vor, alle im Druck erschienenen Schriften in die Gesammelten Werke aufzunehmen. Es stellte sich jedoch heraus, daß diesem Prinzip nicht unkritisch gefolgt werden konnte. Ein Teil der in der Bibliographie aufgeführten Veröffentlichungen mußte ausgeschieden werden. Die Gründe dafür waren: 1. Ausdrückliches Verbot des Autors, 2. Geringfügigkeit in bezug auf Umfang oder Inhalt, 3. schlechter Zustand des Textes (z. B. nicht autorisierte Ubersetzung oder Übertragung eines Stenogramms, bzw. Tonbandes). Als Paul Tillich im Jahre 1958 mit Verlag und Herausgeber den Gesamtaufriß der Gesammelten Werke vornahm, gab er gleichzeitig das Versprechen, in ständigem Kontakt mit der Herausgabe zu bleiben, d. h. er fällte Entscheidungen, gab Ratschläge, versagte die Erlaubnis zur Veröffentlichung bestimmter Aufsätze - kurz, er wurde von allen Schritten unterrichtet und nahm an allen teil. In besonderem Maße galt das für die Übersetzung der ursprünglich englisch geschriebenen Texte. Jede Ubersetzung wurde von ihm einer kritischen Prüfung und Korrektur unterzogen. Dabei hat er oft ganze Abschnitte neu übersetzt und den Text mit großer Freiheit gestaltet, um seine Gedanken in der deutschen Sprache angemessen zum Ausdruck zu bringen. Die Übersetzungen in den Bänden 1 - 7 und teilweise in Band 9 sind auf diese Weise entstanden und von ihm noch autorisiert worden. Bezüglich Band 10 und Band 11 sei auf die Vorbemerkung dieser Bände verwiesen. Band 8 ist ganz ohne Einflußnahme von Paul Tillich entstanden und hat Verlag und Herausgeber vor besondere Schwierigkeiten gestellt. Herrn Professor D. Dr. Carl Heinz Ratschow ist es vor allem zuzuschreiben, daß die Ubersetzungsprobleme gemeistert werden konnten. Außer der Schrift „Wesen und Wandel des Glaubens" (von der bereits eine autorisierte Übersetzung vorlag - siehe auch bibliographische An-

11

merkungen) hat Herr Professor Ratschow mit großer Mühewaltung die Übersetzungen durchgesehen und verbessert. Ihm sei an dieser Stelle besonders gedankt. In letzter Zeit ist gelegentlich der Wunsch nach einer „kritischen Ausgabe" der Tillichschen Schriften aufgetaucht. Wenn „kritische Ausgabe" bedeutet, den »Urtext" einer Schrift herzustellen, so kann mit einem bezeichnenden Ausspruch des Autors geantwortet werden. Paul Tillidi ist im Jahre 1963 in Zürich nach einer Diskussion mit Schweizer Pfarrern auf das Problem des Urtextes seiner Schriften angesprochen worden. Er hat darauf ohne Zögern geantwortet: „Einen Urtext gibt es bei mir nidit." Damit wollte er sagen, daß sich sein spradilidier Ausdruck im Laufe der Jahre gewandelt und dem jeweiligen Stand seines Denkens angepaßt habe. Keine der verschiedenen Fassungen dürfe gegenüber einer anderen als „richtiger" angesehen werden. In diesem Sinne sei jeder Text ein „Urtext". Die damit zusammenhängenden Probleme eines textkritischen Kommentars dürften damit allerdings noch nidit abgeschlossen sein. Für weitere Mitarbeit an diesem Bande sei gedankt: Herrn Dr. Herbert Drube für die geleistete Übersetzungsarbeit und die Bearbeitung der vorliegenden Übersetzungen, Frau Dr. Gertie Siemsen für die Durchsicht der Übersetzungen und ihre kritischen Anmerkungen, Frau Hildegard Behrmann und Frau Gertraut Stöber für ihre Mithilfe beim Korrekturlesen, Herrn Oberstudienrat Adolf Müller für die Herstellung des Registers. Renate Albrecht Düren, im Dezember 1969

12

Ü B E R W I N D U N G DES P R O V I N Z I A L I S M U S I N DER T H E O L O G I E Als ich mich kurz nach dem Sieg des Nationalsozialismus und nach meiner Absetzung vom Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Frankfurt dazu entschloß, einer Einladung des Union Theological Seminary in New York zu folgen, schrieb ich einem Freund, der Deutschland schon verlassen hatte: „Oberall in der Welt gibt es Himmel, Luft und Meer." Das war mein Trost in einem der tragischsten Augenblicke meines Lebens. Ich hatte nicht geschrieben: „Oberall kann ich mein theologisches und philosophisches Werk fortsetzen", denn unbewußt zweifelte ich, ob man das auch anderswo als in Deutschland tun könne. Und eben darin kommt das zum Ausdruck, was ich unter Provinzialismus verstehe. Erst nachdem ich einige Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt und mit Kollegen und Studenten der Theologie und Philosophie zusammengearbeitet hatte, wurde mir dieser vorher unbewußte Provinzialismus bewußt. Nach weiteren Jahren des Lernens und Lehrens schwächte sich diese provinzielle Haltung ab. Heute, so hoffe ich, ist sie völlig verschwunden, was nicht heißen soll, daß meine deutsche Bildung und die Tradition des kontinentalen Europa, die für midi bestimmend waren, ihre Wirksamkeit eingebüßt haben. Wenn das der Fall wäre, würde das nur bedeuten, daß ich den einen Provinzialismus mit einem anderen vertauscht hätte und damit für das amerikanische Geistesleben nahezu bedeutungslos geworden wäre wie manche der zu eifrig um Anpassung Bemühten unter den Emigranten. Das aber ist das zweite, was ich hervorheben möchte: Amerika vermag uns vor europäischem und anderem Provinzialismus zu bewahren, ohne uns einen eigenen aufzuzwingen. Durch die ständige Auseinandersetzung mit Traditionen aus aller Welt, die es in diesem Lande stets gegeben hat und immer noch gibt, wird das Entstehen eines amerikanischen Provinzialismus außerordentlich erschwert. Das ist das Fazit meiner Erfahrung und-wie ich meine-auch anderer emigrierter Theologen und Philosophen. Diese Erfahrung bildet das Fundament der folgenden Abhandlung. Sie wird sich zuerst damit beschäftigen, wie sich unsere wissenschaftliche Blickrichtung durch unsere mehr als zwanzigjährige Arbeit in diesem Land verändert hat, zweitens wird sie diejenigen Elemente unserer Tradition erörtern, die in Amerika immer bereitwilliger aufgenommen werden. 13

I. Für denjenigen, der im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts an berühmten deutsdien theologischen Fakultäten wie Tübingen, Halle oder Berlin Theologie studierte, sdiien die Geschichte der Theologie der letzten vier Jahrhunderte mit der Geschichte der deutschen Theologie zusammenzufallen. Die deutsdie Theologie begann mit Luthers Reformation, sie übernahm einige Elemente aus dem Denken der Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin-andere verwarf sie; sie durchlief den doktrinären Legalismus der klassischen Orthodoxie, den enthusiastischen Subjektivismus des pietistischen Protestes und erlebte - beeinflußt durch die rationalistische Kritik der Aufklärungsphilosophen und ihrer theologischen Anhänger - die langsame Auflösung des reformatorischen Dogmas und des christlichen Dogmas überhaupt; sie erfuhr die Anfänge der historischen Kritik am Alten und Neuen Testament - einer Bewegung, bei der der große Lessing (der klassische Vertreter der deutschen Aufklärung) die Hauptrolle gespielt hat. Man wußte natürlich, daß es auch im westeuropäischen Calvinismus genau wie im deutsdien Luthertum eine orthodoxe Periode gegeben hat, aber man bewertete ihre dogmatische Bedeutung weit geringer als ihre praktische - so z. B. für die Kirdien- und Weltpolitik, wie für Individual- und Sozialethik. Das aber waren Bereiche, denen man in der deutschen lutherischen Theologie immer mißtrauisch gegenüberstand und noch steht. Man wußte auch, daß es auf calvinistischem Boden einen Pietismus gab so wie in England den Methodismus und in Amerika die »große Erwedkungsbewegung". Man schätzte aber die theologische Bedeutung der spiritualistisdien Bewegungen und ihrer pietistischen Nachfolger nicht allzu hoch ein. Nichts von alledem konnte sich mit der klassischen Tradition in der Theologie messen. Man wußte zwar auch, daß die Gedanken der Aufklärung in England und Frankreich und nicht in Deutschland entstanden waren, behauptete aber, daß sie im katholischen Frankreidi nur im Kampf gegen die Theologie und nidit zu ihrer Unterstützung nützlich gewesen seien und daß der britische Konformismus es verstanden hätte, die deistisdie Kritik an Bibel und Dogma zur Seite zu schieben. Allein in Deutsdiland, so meinten wir, nahm man das Problem, wie Christentum und moderner Geist vereinbar seien, absolut ernst. Das war alles ein Gemisdi von Beschränktheit, Anmaßung und etwas Wahrem. Die Auffassung, daß protestantische Theologie mit deutscher Theologie gleichzusetzen sei, war im 19. Jahrhundert tatsächlich nicht allzuweit von der Wahrheit entfernt. Die vielen amerikanischen Theo14

logen, die in jenem Jahrhundert an deutschen Universitäten studierten, bezeugen das. Sie spredien von den deutschen Theologen ihrer Zeit meist mit größerer Begeisterung, als es die Deutsdien tun. Die neue Basis, die Schleiermacher der protestantisdien Theologie gab, leitete diese ruhmreiche Zeit ein. Es war die Anpassung der protestantischen Theologie an das moderne Denken, wie sie von Ritsehl und seiner Sdiule vollzogen wurde, die der deutsdien Theologie ihre führende Rolle errang. Als Adolf von Harnadk, der Größte aus dieser Schule, im Jahre 1900 sein Werk „Das Wesen des Christentums" veröffentlichte, wurde es in mehr Spradien übersetzt als jedes andere Budi - ausgenommen die Bibel - , und im Leipziger Bahnhof stauten sich die Güterzüge, die Harnacks Buch in alle Welt trugen. Als dann später gegen diese Theologie, für die eben das Harnadksdie Buch repräsentativ ist, die Reaktion einsetzte, begann sie in Deutschland unter Führung von Ernst Troeltsch und etwas später in der Schweiz unter Führung von Karl Barth. Kein Wunder also, wenn ein deutscher Theologiestudent in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts glaubte, daß protestantische Theologie identisdi sei mit deutscher Theologie, und es ist nidit weiter erstaunlich, wenn er zum „Provinzler* wurde, da die Provinz, in der er lebte, so groß, so bedeutend und scheinbar autark war. Man kann nun die Frage stellen: Weshalb hat die Philosophie diese Haltung nidit verändert? Die Antwort ist einfach: weil die deutsche Philosophie dieselbe Einstellung hatte. Natürlidi konnte man nicht übersehen, daß es das Italien der Renaissance, das Frankreich von René Descartes und das England von John Locke war, wo die moderne Philosophie entstanden war. Man wußte auch, daß der Schwerpunkt des sogenannten „philosophischen Jahrhunderts", des achtzehnten, im Frankreich von Rousseau und Voltaire und im England von Berkeley und David Hume lag; man vergegenwärtigte sich ferner, daß die großen Wissenschaftler des 17. und 18. Jahrhunderts meistens Franzosen und Engländer waren. Aber all das wurde überschattet von Kants kritischer Philosophie, von der Wiederentdeckung Spinozas, von der klassischen deutschen Philosophie - repräsentiert vor allem von Hegel - , von der sie begleitenden Literatur und Dichtkunst, insbesondere von Goethe. Charakteristisdi für diese Situation war unser Gefühl - und hier spreche ich aus eigenem Erleben - , daß selbst Shakespeare durdi die Übersetzung des Romantikers Wilhelm von Sdilegel zu einem deutsdien Dichter geworden war. Und das ist nodi nidit alles. Als die Schulphilosophie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich im Niedergang befand, erhob sich eine Gruppe von Männern, die das Schicksal des 20. Jahrhunderts bestimmen sollten: Schopenhauer, 15

Nietzsche und Marx. Ihnen folgten im 20. Jahrhundert die Väter des modernen Existentialismus - die ins Deutsche übersetzten Schriften des Dänen Kierkegaard, die Kulturkritik des Schweizers Burdkhardt, Jaspers' Anthropologie und Heideggers Ontologie. Man wußte zwar von Bergson in Frankreich und William James in Amerika, hielt sie aber für Ausnahmen. Und ihnen gegenüber stand die Bewegung der Tiefenpsychologen - des Wieners Freud, des Schweizers Jung und die Vertreter anderer Schulen, die sidi meistens auf deutschem Boden bildeten. Wieder entstand das Gefühl, daß zumindest nach 1800 das Zentrum der philosophischen Bewegung in Deutschland lag, so wie es einst in Griechenland gelegen hatte. Wo die Griechen aufgehört hatten, fingen nun die Deutschen an: die deutschen Philosophen sind die Erben der griechischen Philosophen. Ein Zug der deutschen Philosophie bewies uns vor allem ihren Vorrang: ihr Streben nach einer großen Synthese von Christentum und modernem Geist. Das war im Grunde Religionsphilosophie, „Weltanschauung" - eine Schau der Welt als eines Ganzen. Und jede Philosophie, die weniger war, verachteten wir. Gewiß, wir wußten, daß in dieser Zeit, die so völlig anders war als die klassische Zeit um 1800, Deutschland in Roman, Lyrik und Drama nicht mehr führend war, sondern diese Kunst gleichsam aus Deutschland ausgewandert war und eine neue Heimat gefunden hatte im Rußland von Gogol und Dostojewski, im Frankreich von Flaubert und Baudelaire, im Schweden von Strindberg und im Norwegen von Ibsen. Aber alle ihre Werke waren uns in Übersetzungen und auf deutschen Bühnen zugänglich. Sie wurden zu einem Teil des deutschen Kulturlebens und trugen zur deutschen philosophischen Deutung der Welt bei. Und dann geschah es, daß am Ende dieses Weges der deutschen Philosophie und Theologie die Gestalt Hitlers auftauchte. Als wir emigrierten, erschütterte uns nicht so sehr seine Tyrannei und Brutalität als vielmehr die unvorstellbar niedrige Stufe seiner geistigen Kultur. Wir erkannten plötzlich: Wenn die deutsche Kultur einen Hitler hervorbringen konnte, dann mußte an dieser Kultur etwas falsch sein. Und das führte zu unserer Emigration nach Amerika und zu der Offenheit für die neue Wirklichkeit, die es repräsentiert. Weder meine Freunde noch ich wagten es lange Zeit, auf das hinzuweisen, was groß in dem Deutschland unserer Vergangenheit war. Wenn das Ergebnis dessen, was wir für die wahre Philosophie und einzige Theologie gehalten hatten, Hitler war, dann mußte beides falsch sein. Mit diesem reichlich verzweifelten Schluß verließen wir Deutschland. Unsere Augen waren zwar geöffnet, aber nodi getrübt, unfähig, die Wirklichkeit zu erkennen. So kamen wir in dieses Land. 16

II.

Was fanden wir nun hier in Amerika, und vor allem, was fanden wir in der Theologie? In der Tat viel Neues. Am wichtigsten aber war wohl die Berührung mit einem ganz anderen Verständnis für das Verhältnis von Theorie und Praxis. Von Deutschland her waren wir gewohnt, daß die Theorie völlig unabhängig war von jeder praktischen Anwendung. Diese Trennung wurde im Hinblick auf das pragmatisdiempirisdie Vorgehen der amerikanischen Theologie nun fragwürdig. Es war ebenso beunruhigend wie erregend, wenn nach einem höchst theoretischen Vortrag vor einer gebildeten Hörerschaft einem die Frage vorgelegt wurde: Was sollen wir nun tun? Eine solche Frage bedeutete nicht nur: Was folgt praktisch aus der Theorie? Sie bedeutete auch: Welche Geltung hat diese Theorie im Lichte pragmatischer Prüfung? Im Hintergrunde dieser allgemeinen Einstellung, besonders der theologischen Einstellung, steht die hohe Bewertung der religiösen Erfahrung im Sdiwärmertum, das den amerikanischen Geist weitgehend geformt und aus der „Erfahrung" einen Zentralbegriff in allen geistigen Bereichen gemacht hat. Der starke calvinistische Einfluß in der frühen amerikanischen Geschichte hat diesen pragmatischen Zug hervorgerufen, der die Verwirklichung des Reiches Gottes in der Geschichte proklamierte, anstatt die reine Lehre zu betonen, wie es das deutsche Luthertum tat. Während auf dem europäischen Kontinent die theologischen Fakultäten in den protestantischen Kirchen die Führung innehatten, lag in Amerika die wirkliche Macht in den Händen der Presbyterien oder entsprechender Gremien. Die Theologie wurde im amerikanischen Protestantismus zwar nicht beiseitegeschoben, aber sie spielte eine untergeordnete Rolle. Das war für uns eine neue Erkenntnis. Eine solche Denkweise bleibt nicht ohne Einfluß auf den Inhalt der Theologie. Der Ruhm der amerikanischen Theologie liegt nicht auf historischem und auch nicht auf dogmatischem Gebiet, sondern im Bereich der Sozialethik. Jeder, der einigermaßen vertraut ist mit der ökumenischen Bewegung und der Struktur des Weltrates der Kirdien, ist sich dieser Tatsache bewußt. Wenn immer die sogenannte Kontinentaltheologie (womit die Theologie des kontinentalen Europas gemeint ist) mit der angelsächsischen Theologie in Widerspruch gerät, dann geschieht das im Bereich der Sozialethik. Es liegt im Wesen der lutherischen Theologie, daß es im deutschen theologischen Denken auf diesem Gebiet zu keiner stärkeren Entwicklung gekommen ist. Später hat sich freilich die Situation geändert - einmal mit der Entstehung des Religiösen Sozialis17

mus, zum anderen durch die theologische Unterstützung, die dem Nationalsozialismus zuteil wurde. Als Deutschland nach dem ersten Weltkrieg durch eine politische und soziale Revolution eine ganz andere Struktur erhalten hatte, waren auch die Kirchen genötigt, ihre politische Indifferenz fallen zu lassen. Der preußische König, der der sttmmus episcopus der protestantischen Kirche in Preußen gewesen war, hatte abdanken müssen. Sein Sturz war für die Kirdie von existentieller Bedeutung. Die Gesellschaftsschichten, die bisher dem Gesetz nach und geistig die Hauptstützen des Protestantismus gebildet hatten, verloren ihre Macht, und an ihre Stelle traten die religionsfeindlichen Anhänger des Sozialismus. Wie sollte sich die Kirche zu den atheistischen oder völlig indifferenten Massen verhalten, deren Vertreter nun an die Macht kamen, von der sie bisher ausgeschlossen waren? Der Religiöse Sozialismus bemühte sich um eine Antwort auf diese Fragen, konnte aber nur wenig Einfluß auf die traditionell konservativen lutherischen Kirchen ausüben. Diese Kirchen konnten die Frage nach dem Verhältnis von christlicher Botschaft und sozialer Revolution nidit länger beiseite schieben. Und noch weniger konnten sie dem Problem ausweichen, das durch den Sieg des Nationalsozialismus auf sie zukam, insbesondere durch den Versuch der nationalsozialistischen Bewegung, die Kirchen unter den Einfluß neuheidnischer Ideen und Praktiken zu bringen. Sie mußten sich gegen die Eingriffe des Staates und gegen die Verfolgung durch die nationalsozialistischen Organisationen innerhalb und außerhalb der Kirche zur Wehr setzen. Sie konnten sich nicht den Staatsbehörden unterwerfen, die in Wahrheit Vertreter einer pseudoreligiösen Lehre waren. Aber selbst diese Situation löste die Kirchen eher noch stärker aus dem politischen Bereich, als daß sie den Anstoß zum Aufbau einer Sozialethik gab. Die jüngste Spaltung der Menschheit in zwei ideologische Lager - das demokratische und das kommunistische - hat nun endlich die deutschen Theologen zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dieser Situation gezwungen. Dennoch herrschen auf dem Gebiet der Sozialethik in der europäischen Theologie immer noch Unschlüssigkeit und Unentschiedenheit. Der führende Theologe des europäischen Protestantismus, Karl Barth, begann als religiöser Sozialist, wandte sich dann nach seinem Kommentar zum Römerbrief in den frühen zwanziger Jahren gegen jegliche politische Theologie, wurde durch Hitlers Angriff auf die protestantischen Kirchen wieder zur politisch-theologisdien Stellungnahme gezwungen und ist im gegenwärtigen Kampf zwischen Ost und West erneut zu einer neutralen Haltung zurückgekehrt. Diese Schwankungen sind Kenn18

zeichen der Schwierigkeiten, die für eine konstruktive Sozialethik im europäischen Protestantismus bestehen. Im Gegensatz zu dieser Eigenart der kontinentalen Theologie stellt die amerikanische Theologie die sozialethischen Probleme in den Mittelpunkt ihres Denkens. Wir waren erstaunt zu sehen, wie fast jedes theologische Problem im Zusammenhang mit der Frage des Pazifismus erörtert wurde, wie stark religiös gefärbt die Idee der Demokratie ist, wie der Kreuzfahrergeist trotz aller Enttäuschungen niemals untergegangen ist, wie sehr eine ganze Epoche der Theologie von der Lehre des social gospel bestimmt worden ist. Die amerikanische Theologie begegnete in recht geschickter Weise den von der kontinentalen Theologie hervorgehobenen Schwierigkeiten, die sich aus der Anwendung absoluter christlicher Prinzipien auf konkrete Situationen ergaben. Man fand, daß es zwischen dem absoluten Prinzip der Liebe und der ständig wechselnden konkreten Situation bestimmte Grundsätze gebe, die zwischen diesen beiden vermitteln. Derartige Prinzipien sind z. B. die Demokratie, die Menschenwürde, die Gleichheit vor dem Gesetz usw. Sie sind nicht in dem gleichen Sinne unveränderlich, wie es das absolute Prinzip der Liebe ist; sie vermitteln vielmehr zwischen ihm und einer gegebenen Situation. Diese Auffassung verhindert eine Gleidisetzung der christlichen Botschaft mit einem bestimmten politischen Programm, ermöglicht aber andererseits dem Christentum, sich den aktuellen Problemen der geschichtlichen Existenz des Menschen zu stellen. Damit hat die amerikanische Theologie einen neuen Zugang zur christlichen Sozialethik erschlossen und die Bedeutung der christlichen Botschaft nicht nur für das Verhältnis zwischen Gott und den einzelnen Menschen, sondern auch für die Beziehungen zwischen Gott und Welt herausgestellt. Den Voraussetzungen und Konsequenzen dieser Einstellung nachzuspüren, bedeutete für mich eine immer wieder neue und erregende Erfahrung. Die gesamte amerikanische Geschichte hat den amerikanischen Geist in eine horizontale Richtung getrieben: Die Eroberung eines ungeheuer weiten, scheinbar unbegrenzten Landes, die fortschreitende Verwirklichung der unendlichen Möglichkeiten im Umgang des Menschen mit der Natur und mit sich selbst, die Dynamik des Calvinismus und des Frühkapitalismus, die Freiheit von hemmender Tradition und von den Irrwegen der europäischen Geschichte - all das hat eine Denkweise hervorgebracht, die sich völlig von dem vorwiegend vertikalen Denken in Europa unterscheidet. Im Feudalsystem, das jedem einen vorbestimmten Platz anwies, gab es nur wenige Möglichkeiten horizontalen Fortschreitens: das Leben ist ein Kampf zwischen göttlichen und 19

dämonischen Mächten in der Vertikalen und nidit ein Kampf um die fortschreitende Verwirklichung menschlicher Möglichkeiten. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß derartige Gegensätze niemals absolut sind, aber die von ihnen erzeugte vorherrsdiende Haltung ist von großer theologischer Bedeutung. Für Europa liegt die Gefahr in einem Mangel an horizontaler Verwirklichung, für Amerika in dem Mangel an vertikaler Tiefe. Das zeigt sich z. B. an dem Weg, den die Kirche ging, und an der Art, wie man Theologie versteht. Das Problem der Kirche ist in Europa das Problem ihres letzten Fundaments, und die Theologie hat dieses Fundament in einem in sich schlüssigen theologischen System zu erklären. Die Kirdie hat es vor allem mit dem Seelenheil des Einzelnen zu tun, und die Theologie verschafft ihm die gültige Erkenntnis, wie er diesen Heilsweg findet. Entscheidend sind daher Predigt und Sakramente. Im amerikanischen Christentum ist die Kirdie eine soziale Körperschaft unter anderen, die sie an Anziehungskraft zu übertreffen sucht. Ihre Grundlagen werden mehr oder weniger als selbstverständlidi hingenommen; im Mittelpunkt aber stehen die praktischen Forderungen, die sidi aus ihrem Wesen ergeben. So ist es Aufgabe der Kirche, den Menschen zu bessern, ihm zu helfen, Person zu werden, seine soziale Lage zu heben und dazu beizutragen, daß das Reidi Gottes auf Erden verwirklicht wird. Nach dieser Auffassung hat die Theologie nidit so sehr die Aufgabe, sich um eine angemessene Fassung der letzten Wahrheit zu bemühen, sie soll vielmehr die Studenten der Theologie auf ihre Aufgabe als Führer der Gemeinde vorbereiten. Das Gesagte ist kein absoluter Gegensatz. Es ist recht bemerkenswert, wie sidi in den letzten Jahrzehnten amerikanische Theologen darum bemüht haben, der Theologie durch Anwendung der Methoden der empirischen Wissensdiaften wissenschaftliche Geltung zu verschaffen. Das war ein interessanter Versuch, auch wenn ihm, wie ich glaube, nidit viel Erfolg besdiieden war. Denn was aus diesen Theologien als Ergebnis wissenschaftlicher Forschung herauskam, war tatsächlidi Ausdruck der Anpassung an niditdiristlidie Ideen. Dies führt zu einer anderen überraschenden Entdeckung, die wir am amerikanischen Protestantismus machten: seine weltweiten Horizonte. Das Vorhandensein zahlreidier Denominationen macht es jedem deutlich, daß es mehr Möglichkeiten protestantischen Lebens gibt als nur die eigene. Diese Tatsache verweist uns auf kirchengeschichtliche Entwicklungen seit der Reformation und auf die Zeit davor. Zugleich wird aber ein protestantischer Provinzialismus z. B. dadurch vermieden, daß die Episkopalkirche trotz ihrer im Grunde protestantischen Theo20

logie viele katholische Elemente bewahrt hat. Aus dieser Erfahrung hat sich eines der Hauptprobleme meiner Theologie ergeben, nämlich, wie protestantisches Prinzip und katholische Substanz zu vereinen seien. Das legt die Frage nahe: Auf welche Weise läßt sich radikale prophetische Kritik, wie sie in den Prinzipien des echten Protestantismus liegt, mit der klassischen Tradition von Dogma, Kirchengesetz, Sakramenten, Hierarchie, Kult vereinen, wie sie in den katholischen Kirchen bewahrt wird? Ich hatte zu lernen, daß, wenn ich in einer Vorlesung das Wort „katholisch" gebrauche, die Mehrzahl meiner Hörer nicht an die römisch-katholische Kirche dachte, wie es jeder europäische Hörer tun würde. Ich mußte mir vergegenwärtigen, daß es Kirchen gibt, die sich katholisdi nennen, auch wenn sie sich die meisten Glaubenssätze des Protestantismus zu eigen gemacht haben. Das ist im Blick auf die inneren Schwierigkeiten der protestantischen Kirchen eine sehr ernste Frage, vor allem angesichts ihrer Gefahr, zu einer moralischen und pädagogischen Institution neben anderen zu werden. Aber ich kann mir nicht recht vorstellen, daß man diese Frage so innerhalb des europäischen Protestantismus hätte stellen können. Der ökumenische Gesichtspunkt wird ferner durch die überraschende Tatsache betont, daß eine protestantische Einrichtung wie das Union Theological Seminary eng verbunden ist mit einem griechisch-orthodoxen Institut, dem St. Vladimirs Theological Seminary. Gleichzeitig ist in Amerika der entgegengesetzte Flügel christlichen Denkens und Lebens, das Unitariertum, eine lebendige Wirklichkeit, die mittelbar und noch stärker unmittelbar die gesamte theologisdie Situation beeinflußt. Der ökumenische Gedanke wird weiterhin dadurch verstärkt, daß die Vertreter der sogenannten jungen Kirchen - der Kirchen in Asien und Afrika - regelmäßige Gäste in den großen theologischen und kirchlichen Instituten Amerikas sind. Sie bereichern die amerikanische und europäische Theologie durch Blickrichtungen, die uns im begrenzten Rahmen des deutschen Protestantismus unbekannt geblieben waren. Darüber hinaus ist zu erwähnen, daß infolge des lebhaften Austausches zwischen Amerika und dem Fernen wie auch dem Nahen Osten die amerikanischen Universitäten und andere Institutionen einen dauernden Zustrom von Vertretern aller großen Religionen erfahren. Das macht einen christlichen Provinzialismus - worunter keineswegs der Glaube an die Letztgültigkeit der christlichen Botschaft zu verstehen ist - unmöglich. Eine lebendige Berührung mit hervorragenden Vertretern nichtchristlicher Religionen führt uns die Tatsache vor Augen, daß ihnen Gott nicht ferne ist, d. h., daß es eine universale Offenbarung gibt. 21

Trotz der Vielfalt der Gesichtspunkte, die ständig innerhalb des weiten Horizonts der amerikanischen Theologie auftauchen, gibt es hier keinen Kampf aller gegen alle, sondern Diskussion, Wetteifer, Zusammenarbeit. Symbol für diese Einheit des Protestantismus, die von den meisten Denominationen bejaht wird, sind die zahlreichen theologischen Seminare, in denen sich die verschiedensten Denominationen zusammengefunden haben, und die Divinity Schools (Theologische Fakultäten) einiger großer Universitäten. Diese Einheit äußert sich da, wo Geistliche verschiedener Denominationen zusammenarbeiten - sei es auf lokaler Ebene, sei es in zentralen Organisationen wie dem National Council of Churches. Diese Einheit äußert sich in einem gewissen protestantischen Konformismus, der jedem nicht-protestantischen Beobachter deutlich wird. Im theologischen Denken hat dies zu einer äußerst weitgehenden gegenseitigen Befruchtung der verschiedenen Denominationen geführt; darüber hinaus führt es zur Gründung vorübergehender oder dauernder Organisationen, die Menschen sämtlicher großer Denominationen umfassen. Dieser Gedanke theologischer Zusammenarbeit ist im ganzen amerikanischen Leben tief verwurzelt, vor allem aber im religiösen Leben. Das steht in deutlichem Gegensatz zu den Systematikern der europäischen Theologie, deren jeder für sich sein System baut-auch das wieder eine Lektion, die nicht leicht zu lernen war. Das letzte gilt nicht nur für die Theologie, sondern ebenso für die Philosophie. Die Philosophie gründet sich auf Erfahrung und möglichst auch auf das Experiment, wenn sie die Wirklichkeit erkennen will. Die Gültigkeit einer Idee wird pragmatisch geprüft, an der Funktion nämlich, die sie innerhalb des Lebensprozesses hat. Das läuft der schon erwähnten Frage parallel: Was sollen wir tun? Die funktionale Wahrheitstheorie ist die abstrakte Formulierung der oft gestellten Frage nach den praktischen Folgen einer Idee, die meist recht primitiv in populärer Form gestellt wird. Im Hintergrunde der pragmatischen Haltung verbirgt sich - für die meisten unbewußt - der Nominalismus, der als eine der Hauptströmungen des Mittelalters zu seiner Zeit die philosophische Diskussion bestimmte. Kommt man von der großen Tradition der europäischen Philosophie her, dann wird einem schnell klar, wie stark diese Tradition von dem abhängt, was das Mittelalter Realismus nannte (und was dem modernen Idealismus näher steht als das, was wir heute Realismus nennen). Es ist jedenfalls nicht falsch, wenn man seinen amerikanischen Studenten sagt, „sie seien als Nominalisten auf die Welt gekommen". Eine Folge der nominalistischen Haltung ist das Gefühl, daß man an der Peripherie und nicht in der Mitte der Wahrheit steht, und so 22

ergibt sidi die Forderung, versuchsweise von der Peripherie zum Zentrum vorzugehen und sich dabei bewußt zu bleiben, daß es nur Versuche sind, die möglicherweise in die Irre führen. Dem entspringt o f t eine bewundernswerte Haltung der Bescheidenheit, aber manchmal auch die Ablehnung, nach der letzten Wahrheit zu suchen. Die positivistische, empirische Haltung kann beides sein: demütige Anerkennung der Endlidikeit des Menschen und überhebliche Mißachtung der Frage nach der Wahrheit, die uns letztlich angeht. Diese Haltung macht auch die beherrschende Rolle verständlich, die der logische Positivismus in den letzten Jahrzehnten innerhalb der amerikanischen Philosophie gespielt hat. Der Positivismus läßt sich auffassen als Ausdruck der Bescheidenheit bei all den Philosophen, die dem idealistisdien Anspruch entgehen wollen, dem Anspruch, daß der Mensch fähig sei, an der essentiellen Struktur der Wirklichkeit im Erkennen teilzuhaben. Der logische Positivismus läßt sich aber auch auffassen als der Wunsch, Problemen zu entfliehen, die f ü r die menschliche Existenz von hödister Bedeutung sind. Und er läßt sich auffassen als berechtigtes Mißtrauen gegen jegliche Einmischung emotionaler Elemente in Erkenntnisprozesse. Und weiterhin läßt er sich auffassen als Verweisung existentieller Probleme in die nicht-kognitive Sphäre - die Sphäre des Gefühls. Der Ernst dieser Situation gehörte zu den überraschenden Entdeckungen f ü r uns, die wir aus Traditionen kamen, in denen die Philosophie ein System errichten will, in dem man leben kann. Manche Wörter gewannen in Amerika eine Bedeutung, die sie im kontinentalen Europa nie gehabt hatten: Beobachtung, Untersuchung, Forschung, Projekt usw. Sie alle sind kennzeichnend f ü r eine Haltung, die sich des „Nicht-Habens" bewußt ist und die den Mut zur Frage und zur Suche „um des Habens willen" hat. Der Mut ist ein anderes wichtiges Element des amerikanischen philosophischen Denkens. Vielleicht kann man sagen, daß die Betonung von Werden, Wachstum, Prozeß, Fortschritt, wie sie in der amerikanischen Philosophie zu finden ist, Ausdrude eines Mutes ist, der in einer Weise Wagnisse, Verfehlungen, Rückschritte und Enttäusdiungen auf sich nimmt, wie es in den Schulen der europäischen Philosophie kaum zu finden ist. Sie widerstehen nur selten der Versuchung, sidi in die vertikale Linie zu flüchten, wenn die horizontale zu einem Zusammenbruch führt. Die Begegnung mit diesem amerikanischen „Mut zum Sein" 1 bei einzelnen und bei der Nation war und ist eine Erfahrung, die uns stark 1

Vgl. „Der Mut zum Sein*. Ges. Werke. Bd. 11. 23

berührte und veränderte. Und man fragt sich: Weldier geistigen Substanz entspringt dieser Mut samt seinem philosophischen und theologischen Ausdrude? III. Alle diese Beobachtungen liegen dem, was ich theologischen und philosophischen Provinzialismus genannt habe, zugrunde - dem kontinental-europäischen im allgemeinen und dem deutschen im besonderen. Der Eindruck, der von dieser anderen Haltung und diesen anderen Gedanken auf uns ausging, barg eine Gefahr in sich: Wir hätten nämlich von unserem Provinzialismus in einen anderen, einen amerikanischen Provinzialismus getrieben werden können. Aber das ist nicht geschehen. An der Art, wie man uns aufnahm, als wir als Flüditlinge in die Vereinigten Staaten kamen, wurde uns deutlich, daß unsere amerikanischen Freunde uns keineswegs zu amerikanisieren beabsichtigten, daß sie vielmehr von uns erhofften, wir würden für die gesamtamerikanische Situation auf unsere eigene Art unseren Beitrag liefern. Alle waren offen für das, was wir zu geben hatten, und niemand forderte von uns eine Anpassung, der wir unsere eigenen Erfahrungen und Gedanken hätten unterordnen müssen. Ich erinnere mich an Diskussionen unter den Emigranten, in denen einige rasche Anpassung, andere zähen Widerstand gegen Anpassung an die neuen Verhältnisse forderten. Es war oft nicht leicht, einen Weg zwischen diesen Extremen zu finden. Und es wäre nicht möglich gewesen ohne die Weisheit einiger unserer amerikanischen Freunde. Als sie uns bei der Gewöhnung an die neuen Verhältnisse halfen, machten sie uns klar, daß sie sich von uns keineswegs Anpassung erhofften, sondern eigenständiges Sdiaffen auf dem Boden unserer Traditionen. Mir scheint, das ist in Amerika immer so gewesen, und es hat manchmal zur Folge gehabt, daß ältere europäische Traditionen hier lebendiger waren als in Europa und Deutschland. Der deutsche Ritschlianismus z.B. war in der amerikanischen Theologie noch wirksam, als er in Deutschland seinen Einfluß schon fast verloren hatte. Alles dieses und dazu der ständige Zustrom asiatischen Denkens macht einen amerikanischen Provinzialismus außerordentlich unwahrscheinlich. Wir konnten also, statt von einem amerikanischen Provinzialismus verschlungen zu werden, Amerika jene Gedanken bringen, die auf das amerikanische theologisdie und philosophische Denken Einfluß hatten und haben werden. Ohne zwischen Theologie und Philosophie zu trennenn, will ich im folgenden einige der sichtbarsten Wirkungen schildern, 24

die von der letzten Einwanderung auf das amerikanische Geistesleben ausgegangen sind. An erster Stelle ist die Tiefenpsychologie zu erwähnen, ein Begriff, der die Psychoanalyse einschließt, aber umfassender ist. Der erstaunliche Sieg der tiefenpsychologischen Gedanken in wichtigen Gruppen der amerikanischen Gesellschaft hat mannigfache Gründe. Einer der Gründe ist sicherlich, daß sie in einem therapeutischen Zusammenhang und nicht als abstrakte Psychologie auftraten und so die für den amerikanischen Geist typische Forderung nach pragmatischer Verifikation befriedigten. Stark beeinflußt durch die Tiefenpsychologie, folgte in jüngster Zeit die Aufnahme existentialistischer Gedankengänge. Die Drohung der Sinnlosigkeit wurde immer stärker empfunden, besonders von der jüngeren Studentengeneration. Der Existentialismus gibt zwar auf die Frage nach dem Sinn der Existenz keine Antwort, formuliert aber diese Frage in jeder Richtung und Dimension menschlichen Daseins. Der Existentialismus des 20. Jahrhunderts ist keine spezielle Philosophie, auch nicht die einiger weniger europäischer Denker, sondern er spiegelt die Situation der westlichen Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider. Er beschreibt und analysiert die Angst unseres Zeitalters als eine besondere Weise der Grundangst des Menschen, der Angst, die das Bewußtwerden seiner Endlichkeit ist. In Verbindung mit der Tiefenpsychologie zeigt der Existentialismus die psychologischen und soziologischen Mechanismen, die ständig dem Entstehen einer solchen Angst Nahrung geben. Er macht offenbar, wieviel Zweifel an der menschlichen Existenz und wieviel Zynismus die westliche Welt durchzieht. Er ist ein Ausdruck des Mutes, der Sinnlosigkeit standzuhalten und sie als Antwort auf die Frage nach dem Sinn zu begreifen. Obwohl das alles der echten amerikanischen Tradition des Mutes und der Selbstbejahung sehr fremd war, konnte es aufgenommen werden, vor allem in den Formen, in denen es in bildender Kunst, Dichtung, Roman und Drama Ausdruck fand. In dieser Form reichte der existentialistische Einfluß weit über die gebildeten Schichten hinaus und hat damit deutlich gezeigt, daß die Sinnfrage unbewußt in sehr vielen Menschen der westlichen Welt lebendig ist und nicht nur in jenen, die ihrer Angst Ausdruck zu geben verstehen und den Mut haben, ihre Angst auf sich zu nehmen. Für uns, die wir das Heraufkommen des Existentialismus in Europa erlebten, war und ist es möglich, den Existentialismus unseren amerikanischen Hörern wahrhaft existentialistisch nahezubringen. 25

Man kann die Frage stellen, ob es eine „existentialistische Theologie" gibt. Bei Kierkegaard finden wir gewiß eine der tiefsinnigsten und eigenständigsten Analysen der menschlichen Situation, der Angst und Verzweiflung, wie audi eine theologische Antwort auf der Linie des lutherischen Pietismus. In der Schule von Karl Barth, die oft als neuorthodox bezeichnet wurde, stoßen wir auf dieselben zwei Elemente - existentialistische Fragen und traditionelle Antworten - letztere aber nicht auf dem Boden des Pietismus, sondern der Orthodoxie gewonnen. Mit mehr Recht als die Theologie dieser beiden könnte die Theologie von Rudolf Bultmann „existentialistisch" genannt werden. Bultmann ist sowohl von Kierkegaard wie von Barth beeinflußt, aber er steht als gelehrter Neutestamentier weit über ihnen und bedient sidi der überkommenen Textkritik in radikalster und kompromißloser Weise. Er benutzt die existentialistische Analyse der menschlichen Situation als einen Schlüssel für das Verständnis der mythologischen Elemente des Neuen Testaments. Existentialistische Analysen, die dazu dienen, biblischen Mythos zu enträtseln, könnte man unter den Begriff „existentialistisdie Theologie" bringen. Die amerikanische Theologie hat insgesamt dem Einfluß der Neuorthodoxie in ihrer starren Form starken Widerstand geleistet. Aber sie hat viele einzelne Gedanken und Akzente aufgenommen, vor allem, wenn die Form, in der sie erschienen, z. B. bei Bultmann, weniger supranaturalistisch und autoritär war als bei Barth. Das gilt z. B. für die Deutung der Geschichte. Der Niedergang der Fortsdirittsdeutung der Geschichte im amerikanischen Denken hat wiederum viele Ursachen: Da sind die ständigen Enttäuschungen über den Lauf der Geschichte seit dem Ende des ersten Weltkrieges bis hin zu den heutigen Ereignissen. Da ist die starke Wirkung des neuen Menschenbildes, wie es in Amerika durch die theologische Interpretation, die Psychologie und die existentialistisdie Literatur und Kunst geprägt wurde. Im Kampf gegen die Fortschrittsutopie verbündeten sich die Europäer, die nach Amerika gekommen waren, mit den anti-utopistischen Kräften, die in echt amerikanischen Gruppen und Persönlichkeiten (z.B. Reinhold Niebuhr) latent vorhanden waren, und verstärkten deren Reihen. Das Geschichtsbewußtsein war ganz allgemein das, was wir aus dem geschichtlich denkenden Europa in das ungeschichtlich denkende Amerika mitbrachten. Das ist keine Angelegenheit historischen Wissens, sondern die Empfindung, die jeder Europäer instinktiv besitzt, nämlich, daß Ideen ihrem Wesen nach selbst geschichtlich sind. Die Entwicklung einer Idee ist ein Wesenselement der Idee selbst. Das ist der Hinter26

grund dessen, was man Geistesgeschichte nennt. Der wahre Sinn der Geistesgeschichte ist nicht eine faktenmäßige Geschichte früher geäußerter Gedanken, sondern der Versuch, die Implikationen und Konsequenzen eines Gedankens im Lichte seiner Geschichte sichtbar zu madien. In diesem Sinne ist Geistesgeschichte Teil der systematischen Philosophie und Theologie. Amerikanischen Studenten ist diese Auffassung recht ungewohnt. In Amerika wird der Nachdruck auf den neuen Anfang gelegt, in Europa auf die Tradition, und es war eine unserer wichtigsten Aufgaben, beides miteinander in Einklang zu bringen. Und ebenso wichtig war es, den Nachdruck, den man in Amerika auf die Fakten legt, mit einer Auffassung in Einklang zu bringen, die, wie in Europa, die Interpretation der Fakten in den Vordergrund stellt. Die Frage, die wir uns stellen, nachdcm wir zwanzig Jahre lang am amerikanischen Geistesleben teilgenommen haben, lautet nun: Wird Amerika das bleiben, was es uns gewesen ist, ein Land, in dem Menschen aller anderen Länder ihren geistigen Provinzialismus überwinden können? Denn man kann sehr wohl politisch Weltmacht und zugleich geistig „Provinzler" sein. Kann etwa die Betonung der „amerikanischen Lebensform" zu einem Provinzialismus führen? Ja, es besteht ernstlidi die Gefahr, daß dies geschehen kann. Das Amerika, in das wir kamen, war weit offen. Es machte uns frei, ohne uns in neue geistige Grenzen einzuschließen. Für dieses Amerika kämpfen wir - gegen alle Gruppen, die dem amerikanischen Provinzialismus Vorschub leisten, und unsere Arbeit gilt einem Amerika, in dem jeglicher Provinzialismus (einschließlich des theologischen und philosophischen) bekämpft und überwunden wird.

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ZUM PROBLEM DER O F F E N B A R U N G

DIE I D E E DER O F F E N B A R U N G Wenn der Begriff der Offenbarung eine Realität faßt, eine Realität, die auch uns angeht, vielleicht als einzige Realität uns unbedingt angeht, so kann es nicht die Realität eines Gegenstandes sein, die ihr zukommt, sondern nur die Realität einer Idee. Ein Gegenstand kann jederzeit gegriffen werden, durch Begriffe und durch Handlungen. Eine Idee steht nicht so zur Verfügung. Sie ist nur einer bestimmten inneren Gerichtetheit, einer bestimmten Haltung, einem bestimmten Meinen zugänglich. Eine Idee ist immer korrelativ auf eine Ideenschau. Darum läßt sie sich nicht beweisen: Es läßt sich nur der Ort aufweisen, wo sie gesucht werden muß, auf den man hinschauen muß, will man sie sehen. Ob man sie aber sieht, das ist mit diesem Aufweis nicht entschieden, das hängt von der inneren Richtung ab. Offenbarung ist ein Wort und als Wort ein Begriff und als Begriff Gegenstand begrifflicher Bearbeitung; der Inhalt des Begriffs aber ist eine Idee, kein Gegenstand. Offenbarung als Idee ist so alt wie die Religion, so alt wie die Hinwendung auf ein in der Gegenstandswelt erscheinendes Jenseitiges. Offenbarung als Begriff ist sehr viel jünger. Der Offenbarungsbegriff ist eine Schöpfung der hellenistischen Philosophie. Der Ausgang der autonomen Entwicklung der griechischen Philosophie war die Skepsis, d. h. nicht das dialektische Spiel mit dem theoretischen Zweifel, wie es in der lebenskräftigen, gewalttätigen Sophistik oder in der weltmännischen Renaissance-Skepsis der Fall war, sondern der sich unter anderem auch theoretisch äußernde Zusammenbruch der gesamten geistigen Existenz. Dieser Ausgang war die Katastrophe des ersten und großartigsten Versuches der Menschheit, das Leben von der reinen Form her, dem theoretischen und praktischen Vernunftgesetz, zu gestalten. Dieser Versuch mußte und muß mißlingen - wir stehen zur Zeit mitten im Zusammenbruch seiner umfassenden abendländischen Wiederholung. Denn in ihr geht verloren der sinngebende Gehalt des Lebens, der Dinge und der Gesellschaftsformen, die heilige Tiefe des Seienden, die zugleich den Geist bannt und erfüllt, erschreckt und beseligt.

Der gebundene Geist ist zugleid) der erfüllte Geist. Der befreite Geist wird mehr und mehr entleerter Geist. Denn von der reinen Form her läßt sich kein Lebenssinn und keine 31

Lebenstiefe gewinnen. Sie ist erfüllt, solange der geistige Gehalt der Vergangenheit noch nicht erschöpft ist. Sie ist entleert, sobald das Erbe der Vergangenheit vertan ist. Und das geht reißend schnell, wenn einmal die reine Vernunft die Herrschaft angetreten hat. In dieser Lage griff der an Wahrheit und Leben verzweifelnde Geist zur Offenbarungsidee. Sie trat ihm entgegen in den religiösen Traditionen des Ostens, die sich zurückführten auf die großen Religionsstifter der Vergangenheit und die der autonomen Vernunft gegenüber einen dreifachen Vorzug hatten: Sie erhoben den Anspruch, durch unmittelbare göttliche Erleuchtung in das Bewußtsein getreten zu sein, hatten also eine Gewißheit, die sie dem Streit der rationalen Überzeugungen enthob. Sie entstammten der Urzeit, hatten also dem Bewußtsein gegenüber den Charakter des immer schon Gegebenen, dessen, was tieferen seelischen Schichten entstammt als der Oberflädienschicht autonomer Hervorbringung. Sie hatten konkret-mythische Form und waren damit jedem zugänglich, unabhängig von seiner kulturellen Höhenlage; sie konnten die Grundlage einer allumfassenden Gemeinschaft werden. So stark war die Sehnsucht nach Offenbarung, daß die späteren Philosophenschulen, die immer den Charakter von Lebens-, ja Kultgemeinschaften gehabt hatten, die Lehrsätze ihrer Schulgründer auf Offenbarung zurückführten: eine vollendete Paradoxie der geistigen Lage! Der spätantike Offenbarungsbegriff ist das Korrelat zur spätantiken Skepsis. Ihr Supranaturalismus ist das Korrelat zum Zerbrechen ihrer rationalen Zuversicht. Das Christentum übernahm den Begriff und konzentrierte ihn auf Christus. In ihm ist die übernatürliche Offenbarung vollendet. Was bei den Philosophen vorliegt und jederzeit aus der Weltbetraditung entnommen werden kann, ist natürliche Offenbarung. Beide Begriffe werden ins Mittelalter herübergenommen. Entscheidend blieb der erste. Der Eindruck der spätantiken Katastrophe schwingt ein Jahrtausend lang nach in dem Lebensgefühl der germanisch-romanischen Frühkultur, in ihrer Askese, in ihrem Supranaturalismus, wissenschaftlich in ihrem Offenbarungsbegriff. Aber auch die Erinnerung an die einmal in der Menschheit vollzogene radikale Hinwendung zur geistigen Autonomie verschwand nicht ganz: Wieder und wieder wachten klassische Traditionen auf und gründeten ihre innere Gewißheit auf die natürliche Offenbarung. Seit der Renaissance brechen diese Traditionen machtvoll hervor. 32

Die Tragik der Antike ist vergessen. Ihre autonomen Schöpfungen erhalten ein positives Vorzeichen und werden zum Ausdruck des gewaltigen Lebenswillens der abendländischen Völker. Der Ton fällt mehr und mehr auf die natürliche Offenbarung. Die übernatürliche wird ihrer selbständigen Bedeutung beraubt. Offenbarung wird zur Religionsgeschichte. Der autonome Prozeß des Geistes ist der Prozeß der Selbstoffenbarung des Absoluten. Der Offenbarungsbegriff ist nicht mehr Korrelat zur Skepsis, sondern religiöse Benennung höchster Zuversicht des Erkennens und Lebens. Demgegenüber versucht der Hauptstrom der kirchlichen Gedankenbildung die Besonderheit, Einmaligkeit, Übernatürlichkeit und Übervernünftigkeit der Offenbarung herauszuarbeiten. Ihr kontingenter Charakter, ihre Unauflöslichkeit in den allgemeinen Prozeß trat in der neuesten Wendung der protestantischen Theologie in den Vordergrund. Nicht auf der Durchbrechung des Naturgesetzes wie im älteren Supranaturalismus, sondern auf der Durchbrechung des Geschichtszusammenhanges liegt das Gewicht. Man glaube aber nicht, damit den Supranaturalismus überwunden zu haben! Es gibt keine Durchbrechung der Geschichte, die nicht auch Durchbrechung der Natur wäre. Denn aus der Naturgrundlage wächst alles Geschichtliche hervor. Ein Obergeschichtliches in der Geschichte läßt sich nicht denken ohne ein Übernatürliches in der Natur. Das ist unsere Lage: Auf der einen Seite bildet sich ein Supranaturalismus des Offenbarungsbegriffs heraus, der tief erfüllt ist von dem spätantiken Pessimismus. Auf der anderen Seite wird die Religionsund Geistesgeschichte als Geschichte der Selbstoffenbarung des Lebenssinnes idealistisch oder irrationalistisch gewertet. Der alte Gegensatz erhebt sich mit Macht und bedroht die Kultur mit weiterer Entleerung und die Religion mit weiterer Absperrung. Wir müssen neu angreifen hier wie in allen Symbolen der religiösen Erkenntnis, vom Boden unserer Geistes- und Gesellschaftslage aus, der ein anderer ist als der, auf dem die Spätantike den Offenbarungsbegriff konzipierte, die Offenbarungsidee deutete. Wir müssen neu auf die Sache schauen, mit neuen Begriffen zu deuten versuchen. Offenbar wird, was verborgen war. Aber nicht alles Offenbarwerden von Verborgenem ist Offenbarung. Auch durch Wahrnehmung, auch durch Erfahrung, auch durch Erkenntnis, durch Reflexion und Intuition wird bisher Verborgenes offenbar. Aber niemand würde hier von Offenbarung sprechen, es sei denn in pathetischer Redeweise. Was irgendwann einmal auf irgendeinem Erkenntniswege erfaßt werden kann, wird nicht durch Offenbarung offenbar. Nur das, was wesens33

mäßig verborgen ist, was auf keinem Erkenntnisweg zugänglich ist, teilt sich durch Offenbarung mit. Es hört dadurch, daß es sich offenbart, nidit auf, verborgen zu sein, denn seine Verborgenheit gehört zu seinem Wesen; und wenn es offenbar wird, so wird auch dieses offenbar, daß es das Verborgene ist. Nun führen von jedem Dinge zu jedem anderen unzählige Wege des Erkennens; was jetzt noch verborgen ist, kann einmal offenbar werden. Der Sadilage nadi wird vieles allezeit dem menschlichen Geist verborgen bleiben. Dem Wesen nach ist nichts vor ihm verborgen, was im Zusammenhang seiner Welt steht, von den entferntesten Gestirnen bis zum kleinsten Bestandteil des Atoms. Auch das ist nicht wesensmäßig vor ihm verborgen, was den Namen des Verborgenen trägt, das Okkulte, andere Natur- und Geisteswelten als die bekannten. Es gibt Organe für sie, die man ausbilden kann: es gibt ein Eingehen in sie. Sie sind darum - wie immer man sich zu ihrer Existenz stellt - jedenfalls nicht das wesensmäßig Verborgene, also nicht das, was durdi Offenbarung sich mitteilt. Nicht das Okkulte - ein relativ Verborgenes - , sondern das unbedingt Verborgene wird offenbar. Wird das Unbedingt-Verborgene offenbar, so muß es in dieser seiner Qualität als unbedingt Verborgenes offenbar werden. Es muß, wenn es erscheint, als das erscheinen, was niemals und nirgends im Zusammenhang des Bedingten auffindbar ist, was diesen gesamten Zusammenhang wesentlich und innerlich transzendiert: als solches aber muß es ganz offenbar werden. Würde es nur teilweise, würde es nur im Halbdunkel erscheinen, so würde es gar nicht erscheinen. Denn was erscheint, das ist ja das Unbedingt-Verborgene, nicht ein Halb-Verborgenes, nicht ein Halb-Dunkles. Hier steht die Idee der Offenbarung im Widerspruch gegen die moderne Vorliebe für das Halb-Dunkel als Offenbarungsort. Sie kennt nur das Unbedingt-Offenbare, weil sie nur das UnbedingtVerborgene als Subjekt der Offenbarung kennt. Als das Unbedingt-Verborgene ist das, was offenbar wird, das Unbedingt-Fremde, das, wozu es keinen Weg von unserer Wirklichkeit aus gibt. Als das Unbedingt-Offenbare ist das, was offenbar wird, das Ganz-Eigene, das, was schon immer gegenwärtig ist, wenn ein Weg beginnt. Wäre es nur das eine oder nur das andere, so könnte es nicht offenbar werden. Auf der Einheit beider Merkmale an dem, was offenbar wird, beruht die Möglichkeit der Offenbarung. Beide Merkmale haben ein Gemeinsames: die Unbedingtheit. Sie beruhen auf diesem Gemeinsamen. Denn nur von dem, was unbedingt ist, kann jene Doppelaussage sinnvoll gemacht werden; von ihm aber muß sie auch gemacht werden, wenn überhaupt ausgesagt wird. Das 34

Unbedingte ist das, wozu es keinen Weg vom Bedingten gibt, das ganz Fremde; und das Unbedingte ist das, was jedes Weges Anfang ist, das ganz Eigene. Das Unbedingte bricht als Fremdes in das herein, dessen Eigenes es ist: es offenbart sich. Ist das, was offenbar wird, das ganz Eigene, so ist es das, was midi unbedingt angeht. Es gibt keine Offenbarung, die nidit mit unabweisbarem Anspruch an den verbunden wäre, an den sie ergeht. Jede Offenbarung ist ein Angriff. Darum ist es unmöglich, sie nur betrachtend aufzunehmen. Sie läßt den Betrachtenden nicht auf diesem Platz; es gibt keinen Ort, von dem aus man das Unbedingte anschauen könnte; es würde dadurch bedingt werden, Objekt werden, es würde aufhören, das unbedingt Eigene zu sein, das, worin unser Sein wurzelt, das uns Bedingende. Darum ist in jeder Offenbarung ein Anspruch, eine unausweichliche Forderung enthalten. Diese Seite schließt nicht nur jede intellektuelle Mißdeutung der Offenbarung aus, sondern audi die naive Bezeichnung fremder Religion als Offenbarung. So wenig wir das Recht haben, irgendeiner Erscheinung die Möglichkeit abzusprechen, Offenbarung zu werden, so wenig haben wir das Recht, da über Offenbarung zu reden, wo wir keinen Anspruch erfahren; nur was midi unbedingt angeht, ist Offenbarung für mich: das trennt die Offenbarung von der Religionsgeschichte. Mit diesen Ausführungen ist auf das hingedeutet, was in der Offenbarung offenbar wird. Jede Aussage, die darüber hinaus ins Konkrete, Symbolisdie geht, spricht nicht über, sondern aus Offenbarung, ist Prophetie oder Theologie. Dagegen ist nun zu fragen: Wie wird in der Offenbarung offenbar? Zweifellos kann diese Frage weder auf eine Erklärung noch auf eine Beschreibung des Vorganges der Offenbarung zielen. Beides ist dem Wesen der Offenbarung zuwider. Die Erscheinung des Unbedingt-Verborgenen, der Einbruch des Unbedingten ins Bedingte kann weder aus Beziehungen im Bedingten erklärt, noch mit Eigenschaften des Bedingten beschrieben werden. Nur dies ist möglich, die Art aufzuzeigen, in der das Bedingte in all seinen Beziehungen und Eigenschaften aus sidi selbst geworfen und zu sich selbst gebracht wird. Das Unbedingte erscheint in der Offenbarung, es tritt in den Zusammenhang des Bedingten. Wie aber kann es erscheinen, wo es doch nichts Bedingtes, kein Gegenstand werden kann? Es kann erscheinen nur am Gegenstand, am Bedingten. Das hört nicht auf, Bedingtes zu sein. Der Zusammenhang des Bedingten wird nicht zerstört. Aber in diesem Gegenstand, in diesem Bedingten und seinen Zusammenhängen ist die Möglichkeit verborgen und wird zur Wirklichkeit, auf etwas hinzuweisen, was nicht seiner Bedingtheit angehört, was sein Eigenstes und 35

sein Fremdestes ist, was an ihm offenbar wird als das Unbedingt-Verborgene. Es ist das Geheimnis der Dinge und der Wesen, daß sie diese Möglichkeit in sich tragen; es ist das Geheimnis des Geistes, daß er diese Möglichkeit zur Wirklichkeit werden lassen kann. Es ist die innerste Mächtigkeit der Dinge, ihre Mana-, ihre Tabu-Kraft, daß sie Offenbarungsträger werden können. Es ist die innerste Mächtigkeit des Geistes, daß er Offenbarung erfahren kann. Ein Gegenstand, ein Wesen, das so zum Ort der Offenbarung wird, ist heilig. Nicht durch sidi selbst, nicht durch seine endlichen Vorzüge, auch nicht durch die höchste sittliche Formung bekommt ein Wesen Heiligkeit, sondern allein durch seinen Charakter, Träger der Offenbarung, Hinweis auf das Unbedingt-Verborgene zu sein. Aber dieses ist nicht sein empirischer Charakter; der ist das, was in der Offenbarung ergriffen, durchbrochen, zum Hinweis gemacht wird; aber er selbst ist nicht Offenbarung. Darum ist die Offenbarung an nichts Bedingtes gebunden, z. B. an nichts menschlich Hohes, und von nichts Bedingtem ausgeschlossen, z. B. von nichts menschlich Niedrigem. Darum bedeutet Hinweis auf die in Jesus Christus erschienene Offenbarung nicht Hinweis auf seinen empirischen Charakter mit all seiner historischen Problematik, bedeutet nicht Hinweis auf seine Ethik, seine Prophetie, sein inneres Leben, seine numinose Kraft - sondern bedeutet Hinweis auf das in all diesen Bedingtheiten erschienene transzendente Sein, auf die durch und gegen seinen empirischen Charakter erschienene Offenbarung. N u r darum kann sie uns Offenbarung sein, kann eindringen auf unsere Gegenwärtigkeit, weil sie nicht Vergewaltigung, Zerstörung unserer Bedingtheit durch eine fremde Bedingtheit ist, sondern Hereinbrechen des Unbedingt-Verborgenen durch jene Bedingtheit in unsere Bedingtheit. Wäre Offenbarung eins mit dem Gegenstand, an dem sie erscheint, stände nicht über jedem Träger der Offenbarung das Kreuz, an das sein empirischer Charakter geheftet wird, so wäre Offenbarung Vergewaltigung. So aber ist sie Befreiung, Zurückführung zu dem Unbedingt-Eigenen. Das setzt voraus, daß wir entfernt sind von ihm, losgelöst von unserer Seinswurzel, von dem sinngebenden Grund unseres Daseins. Offenbarung setzt Verhüllung voraus, setzt die Möglichkeit voraus, daß das Bedingte sich abwendet von dem tragenden Unbedingten. Diese Möglichkeit ist eins mit der Kreatürlichkeit, mit der Existenz als Bedingtes, Welthaftes. Wäre das Sein verschlossen in seiner Unbedingtheit, es gäbe kein Einzelnes und keine Welt. Welt ist Ausdruck der Aufgeschlossenheit des Unbedingt-Verborgenen, ist Ausdruck des In-sidi-ruhen-KÖnnens der Kreatur. Und diese Möglichkeit ist Wirklichkeit: die Dinge, die Wesen, der Geist ruhen in sich und den Formen ihrer Bedingtheit. 36

Der Welt ist ihr tragender Grund, ihr unbedingt Eigenes, nicht unmittelbar anzusehen. Der Geist weist nicht unmittelbar hin auf den sinngebenden Grund jedes geistigen Aktes. Geist und Welt ruhen in sich und ihrer Wechselbeziehung, sprechen von sich und ihrer Endlichkeit. Darum ist Offenbarung in ihrem ersten Moment Beunruhigung. Wo immer Bedingtes, Ding oder Geist beunruhigt wird - nicht durch anderes Bedingtes (diese Unruhe ist zuletzt nur verhüllte Ruhe; sie bringt nicht vom Fleck, wenn sie auch, wie es etwa die moderne Wirtschaft tut, durch die ganze Welt hindurchtreibt) - vielmehr wenn die Beunruhigung jede mögliche Ruhe und Unruhe im Bedingten trifft, wenn sie in sich unendlich ist, dann ist sie anhebende Offenbarung. Die Beunruhigung führt weiter zur Durchbrechung des in sich selber schwingenden Bedingten, der in sich selber schwingenden Welt. „Die Mauern unserer Form durchbrich!" Das ist der Ruf nach Offenbarung. Denn diese Mauern sperren ab von dem Unbedingt-Eigenen. Und das ist das dritte in der Offenbarung: das Zurückgeworfen-Werden auf dieses, auf das Unbedingt-Eigene, auf die uns tragende Wurzel unseres Seins, auf den sinngebenden Grund unseres Geistes - auf unseren Ursprung. Diese drei Momente aber der Offenbarung sind nicht drei, sondern eins: Beunruhigung, die nicht zum Durchbruch, Durchbruch, der nicht zur Umwendung führt, sind Schein von Offenbarung - und solchen gibt es viel. Mit diesem Hinweis auf wirkliche Offenbarung ist der falsche begriffliche Gegensatz von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung überwunden. Natürliche Offenbarung ist höchstens als Nachklingen ursprünglicher Offenbarung zu bezeichnen, erfüllt aber die Idee nicht. Und übernatürliche Offenbarung ist entweder Offenbarung selbst, nämlich Beunruhigung und Durchbrechung der in sich ruhenden Endlichkeit oder sie ist ein schlechter Begriff, der die Offenbarung mit ihrem Träger in eins setzt und den Zusammenhang des Bedingten, Natur- und Geistesform vergewaltigt und zerbricht. In dieser Fassung hat der Begriff unermeßliches Unheil gestiftet, Feindschaft, wo keine Feindschaft sein durfte, Friede, wo kein Friede sein durfte. Er hat den schöpferischen Geist gegen die Offenbarung aufgebracht, statt ihn unter sie zu stellen. Er hat den Sinn der Offenbarungsidee in ihrer lebendigen, gegenwartsmächtigen Bedeutung verdunkelt und entstellt. Nur wenn wir ihn ausstoßen, können wir wieder zur Schau der ewigen Idee der Offenbarung kommen. Ein letztes noch: Offenbarung ist nur, sofern sie uns angeht, auf uns zugeht. Und das kann sie nur in konkreter Form. „Offenbarung überhaupt" ist keine Offenbarung. Nur in dieser ganz konkreten Form kann ich Offenbarung erfahren. In meine Konkretheit muß sie einbrechen, 37

will sie für mich da sein, d. h. will sie überhaupt da sein. Denn abgesehen von diesem „Für midi" ist sie nicht. N u n aber ist sie immer zugleich Angriff auf meine Konkretheit, Beunruhigung, Durchbrechung derselben. Darum ist es möglich, daß dieses meine religiöse Konkretheit ist, daß ich keiner Konkretheit angehöre, daß ich zwischen den Konkretheiten stehe, daß ich zweifle an jedem „Hier" und „Dort" der Offenbarung. Das scheint sie aufzuheben, da sie doch konkret sein muß. Es kann sie aufheben, aber es muß sie nicht aufheben. Es hebt sie auf, wenn dieser Zustand in sich selbst beruhigt schwingt, hochmütig, gleichgültig, resigniert. Es hebt sie nicht auf, es kann vielmehr gerade Offenbarung sein, wenn dieser Zustand zwischen den Konkretheiten beunruhigt, durchbrochen, umgewendet ist. Für Unzählige in unserer Zeit trifft diese Lage zu. Ihre Konkretheit ist es, ringend, im Tiefsten beunruhigt, zwischen den Konkretheiten zu stehen. Sie zweifeln, aber sie ruhen nicht, wie es so oft geschieht, im Zweifel. Vielleicht sind sie beunruhigt bis zur Seinswurzel, vielleicht sind sie durchbrochen, vielleicht vernehmen sie Offenbarung. Niemand hat das Recht, es zu bestreiten von irgendeiner Konkretheit aus. Darum kann Offenbarung auch uns werden in unserer Lage, mit ihrer Zerspaltenheit, mit ihrem Fehlen einheitlicher Symbole, gemeinsamer konkreter Wege. Darum ist Offenbarung nicht angewiesen auf die Sphäre, die wir spezifisch als die religiöse bezeichnen. Sie kann in jeder Sphäre geschehen. Aber sie läßt keine Sphäre unverändert. Sie beunruhigt und durchbricht sie. Sie ist frei von der Religion, aber sie tritt darum nicht in den Dienst der Kultur. Sie weist beide zurück auf ihren Ursprung, in dem sie eins sind. Darum ist auch vollkommene Offenbarung vollkommen nur, sofern sie die Macht in sich trägt, wieder und wieder beunruhigt und durchbrochen zu werden. Wo diese Macht fehlt, bemächtigt sich der Dämon der Offenbarung, der Dämon, der ein Endliches, Bedingtes, und wäre es Christentum, die Bibel und Kirche, an die Stelle dessen setzt, was nie aufhört, das unbedingt Verborgene zu sein. Erhebung eines Bedingten zur Unbedingtheit ist Dämonie, und die religiöse Dämonie ist nicht besser, sondern böser als jede andere. Die in Dogma und Kultus sichere, nicht mehr beunruhigte Kirche hat die Offenbarung dämonisiert, auf der sie ruht. Und dieses ist die feinste, geistvollste Form, den Angriff der Offenbarung auf sich abzuschlagen, in der Kirche und im Einzelnen. Dämonisierung der Offenbarung ist der eine Weg, auf dem das Bedingte sich ihr zu entwinden sucht. Profanisierung ist der andere; er beherrscht unsere Geisteslage. Er wirkt sich aus in all unseren Lebensformen, in Wirtschaft und Technik, in Politik und Recht, in Wissenschaft und 38

Kunst. Nicht jene Lebensformen sind profan. Sie können Stätten sein tiefster Beunruhigung, mächtigsten Durchbruchs, symbolkräftigster Zurückwendung. Daß sie es werden können, ohne der Vergewaltigung religiöser Dämonie sich beugen zu müssen, sollte diese Schau der Idee der Offenbarung zeigen. Daß sie es wieder werden mögen, ist die Sehnsucht aller ringenden Geister unserer Zeit. Tief ist die Beunruhigung; aber bei niemand steht es, ob sie zu der Tiefe kommt, die zum Durchbruch, zur Umwendung führt. Denn Offenbarung kommt über uns, nicht aus uns. Sie ist unbedingt. Denn sie ist Erscheinen des UnbedingtVerborgenen in unserer Bedingtheit.

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OFFENBARUNG

1. Der Begriff der Offenbarung entstammt einer doppelten Quelle. Erstens der orientalisch-jüdischen Apokalyptik: Hier ist Offenbarung Enthüllung des göttlichen Weltplanes, namentlich in bezug auf die kommende Endkatastrophe. Träger der Offenbarung ist der Seher, dem ein Blick in die transzendenten Geheimnisse gewährt ist und der die Offenbarung in visionärem Zustande empfängt. Die zweite Quelle ist das Bedürfnis der spätgriechischen Philosophie nach einer Wahrheit, die der Unsicherheit der philosophischen Diskussion entzogen ist. Offenbarung ist hier das Korrelat zur Skepsis - dem tragischen Ausklang des autonomen Erkenntnisversuches der griechischen Philosophie. Die späten Schulen (Neupythagoräer, Neuplatonismus) führten ihre Lehren auf Offenbarungen zurück, die entweder den Schulgründern zuteil geworden oder von diesen aus uralten orientalischen Offenbarungsquellen übernommen seien. Enthüllung des verborgenen Geschehens oder Aufdeckung des verhüllten Seins sind die beiden maßgebenden Offenbarungsinhalte; sie entsprechen dem semitischen und dem griechischen Wahrheitsgedanken. Auf christlichem Boden werden beide Elemente vereinigt und durch ein drittes bereichert: die Offenbarung ist in einem personhaften Leben verwirklicht. Die Enthüllung des Weltplanes in Jesus Christus ist zugleich seine Erfüllung; und in dieser Erfüllung ist die Wahrheit gegeben, die die Griechen vergeblich gesucht haben. Der zweite Gesichtspunkt überwiegt in der Vätertheologie und führt zu einer supranatural-intellektualisierenden Fassung von Offenbarung. Diese drückt sich namentlich aus in der Unterscheidung von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung, die schon auf Paulus zurückgeht, von den Vätern durchgeführt ist, in dem Gegensatz von Vernunft und Offenbarung die Scholastik beherrscht und im 18. Jahrhundert für die theologische Diskussion zwischen Rationalismus und Supranaturalismus maßgebend ist. Gegen diese Unterscheidung, die nicht in der Sache begründet ist, sondern aus dem Zusammenstoß des griechischen Naturbildes mit der religiösen Tradition des Ostens erklärt werden muß, hat sich die theologische und philosophische Arbeit seit Schleiermacher gewendet. Eine völlige Neubegründung des Offenbarungsbegriffes ist notwendig geworden. 2. Die Frage, ob der Offenbarungsbegriff theologisch oder religionsphilosophisch sei, ist ohne Belang, sofern nicht die sachliche Frage 40

gemeint ist, ob Offenbarung eine religiöse Kategorie sei oder ein einmaliges, jede religiöse Kategorie sprengendes Ereignis. Diese, namentlich ' von der „Dialektischen Theologie" vertretene und von ihr im Sinne der zweiten Möglichkeit beantwortete Alternative ist aber falsch gestellt. Der einmalige und universale Anspruch, den Offenbarung in sich trägt und den die Theologie zur Voraussetzung hat, schließt gleichartige Ansprüche auf einmalige Offenbarung, die andernorts erhoben werden, nicht aus, sondern ein. Die Ablehnung oder teilweise Anerkennung solcher Ansprüche (z. B. der älteren Theologie gegenüber dem Judentum, ja auch dem Heidentum) setzt die Gleichartigkeit der Ebene voraus, in der bejaht und verneint wird, ermöglicht also eine kategoriale Verwendung des Offenbarungsbegriffs. Die universelle Betrachtung schließt die generelle nicht aus, sondern ein. Und das gleiche gilt umgekehrt: Der Offenbarungsbegriff teilt die Eigenschaft aller geisteswissenschaftlichen Begriffe, nicht durch Abstraktion, sondern nur durch Konkretion gewonnen werden zu können. Die Offenbarung als Kategorie ist nicht das Allgemeinste, was nach Abzug des Konkreten aller Offenbarungen übrig bleibt, sondern sie ist der begrifflich intensivierte Ausdrude der konkreten Offenbarung, in der der Erkennende steht und von der aus er überhaupt erst feststellt, was als Offenbarung in Frage kommt. Die generelle Betrachtung schließt die universelle (das Stehen auf einer bestimmten Offenbarung) nicht aus, sondern setzt sie voraus. Die Behandlung des Offenbarungsbegriffes ist also immer zugleich einmalig und kategorial, universell und generell oder - wenn man diesen Unterschied der Blickrichtung wissenschaftssystematisch ausmünzen will - theologisch und religionsphilosophisch. 3. Offenbar werden kann nur das Verborgene. Nun ist alles Seiende in irgendeiner Beziehung verborgen. Es erschließt sich aber in praktischem und theoretischem Umgang dem erkennenden Bewußtsein. Es ist nur relativ verborgen. Manches Seiende und manches am Seienden ist der Erkenntnis für immer verschlossen. Es bleibt verborgen, weil es nicht so in die Sphäre des erkennenden Bewußtseins gelangt, daß es sich ihm erschließen kann. Dieses ist zwar bleibend verborgen, aber seine Verborgenheit ist doch nur relativ, relativ nämlich auf das erkennende Bewußtsein. Das Sich-Erschließen dieses Seienden - und da jedes Seiende mit jedem Seienden in Beziehung steht, des Seienden überhaupt - ist nicht Offenbarung. Offenbarung ist die Mitteilung des Verborgenen, das durch die Mitteilung nicht aufhört, das Verborgene zu bleiben, d. h. des Unbedingt-Verborgenen. Das, was wesensmäßig verborgen ist, kann nur in einem Akt der Offenbarung aus dem Verborgenen hervortreten, das also, zu dem es keinen Weg oder Umweg gibt, 41

es der Verborgenheit zu entreißen. Alles Seiende steht in grundsätzlicher Zugänglichkeit zu dem erkennenden Bewußtsein; wenn aber das grundsätzlich Unzugängliche sich dem Bewußtsein erschließt, so geschieht es in dem Akt der Offenbarung. Das grundsätzlidi Unzugängliche oder das Unbedingt-Verborgene aber sind Bezeichnungen für das im religiösen Akt Letzt-Gemeinte, für das Unbedingte als solches. Das Woher der Offenbarung ist das Unbedingte in seiner Eigenschaft als das Unbedingt-Verborgene. Damit ist zugleich der Ort bestimmt, an dem Offenbarung als religionsphilosophische Kategorie steht. Offenbarung ist die Gegebenheitsart des im religiösen Akt Gemeinten für das aufnehmende Bewußtsein. Offenbarung ist die Gegebenheitsart des Unbedingt-Transzendenten für die Erkenntnis. 4. Wenn das Unbedingt-Verborgene offenbar wird, so kann es offenbar werden nur als das, was im Offenbarwerden verborgen bleibt. Inhalt der Offenbarung kann nur etwas sein, was die Verborgenheitsqualität nicht aufhebt, sondern gerade sie offenbar macht; aber eben offenbar macht, also an einem Offenbarungsinhalt aufweist. Offenbarungsinhalt kann also nur ein Sichzeigen des Unbedingt-Transzendenten als Unbedingt-Transzendentes sein. Daraus ergibt sich ein dreifaches: zuerst dieses, daß es nur einen eigentlichen, letztgültigen Offenbarungsinhalt geben kann. Jeder Einzelinhalt drückt eine bestimmte Beziehung aus, in der der eine Inhalt sich darstellt. Es gibt streng genommen keine „Offenbarungen", sondern nur Offenbarung des einen, was allein sich offenbaren kann, des Unbedingt-Verborgenen. - Zweitens folgt daraus, daß Offenbarung nicht Mitteilung über ein Sein, etwa über ein transzendentes Sein ist, die als Mitteilung über etwas entgegengenommen werden kann, das durch die Tatsache dieser Mitteilung selbst unberührt bleibt. Sondern Offenbarung ist ein SichGeben des Unbedingt-Verborgenen, das eben damit, daß es sich gibt, aus seiner Verborgenheit hervortritt. Offenbarung ist nicht Mitteilung über Dasein, Eigenschaften oder Handlungen eines Seienden, sondern Sich-Verwirklichen des Unbedingt-Verborgenen im Sein, Ergriffenwerden des Seienden durch ein Unbedingt-Ergreifendes. Offenbarung ist Verwirklichung, nicht Mitteilung. - Drittens gehört zum Inhalt der Offenbarung, daß in ihm das Unbedingt-Verborgene unbedingt offenbar wird. Offenbarung ist nicht teilweise oder halbdunkle Kundgebung. Offenbarung vollzieht sich nicht im Dämmer; sondern in ihr gibt sich als Unbedingt-Offenbares das, was zugleich das Unbedingt-Verborgene ist und bleibt. Um diese Unbedingtheit des Offenbarwerdens zu sichern, kämpfte die alte Kirche für die „Gottheit Christi". 5. Über die Art der Offenbarung streiten miteinander die supra42

naturalistische und die rationalistische Auffassung. Die erste denkt bei Offenbarungsvorgängen, seien es innere oder äußere, an einen wunderbar übernatürlichen Eingriff in den natürlichen Zusammenhang des Seienden. Der natürliche Zusammenhang wird durch die Offenbarung zerbrochen; die Naturgesetze des Natur- und Seelenlebens werden teilweise und zeitweise außer Kraft gesetzt. Demgegenüber versteht die rationalistische Auffassung Offenbarung als Enthüllung des Transzendenten im natürlichen Verlauf des Geschehens, also in und durch die Naturgesetze. Beide Auffassungen sind abzulehnen. Die supranaturalistische macht das Unbedingte zu einem Gegenstand neben und über dem natürlichen Zusammenhang des Seienden, dessen Dasein sidi in negativen Wirkungen gegen den natürlichen Zusammenhang dokumentiert. Die rationalistische Auffassung löst die Transzendenz in den immanenten Geschehensprozeß auf und nimmt ihr damit den Charakter der unbedingten Verborgenheit, den der Supranaturalismus, wenn auch mit unzulänglichen Mitteln, wahren wollte. Offenbarung ist weder Vollzug noch Zerbrechung des Natürlichen, sondern seine Erschütterung und Umwendung. In „Erschütterung" liegt das negative Element, auf das es dem Supranaturalismus ankam; das Natürliche bleibt nicht in seinem natürlichen Gleichgewicht. „Umwendung" ist die positive Ergänzung dazu: die natürliche Richtung des Seienden, die von dem Unbedingt-Transzendenten abgewandt ist, wird um-, d. h. ihm zugewandt. Dies alles aber, ohne daß das Natürliche als Natürliches aufgehoben wird. Offenbarung erscheint also an natürlichen Dingen und Vorgängen. Diese werden dadurch zu Offenbarungsträgern, daß an ihnen die Erschütterung und Umwendung sichtbar wird, in der sich das Unbedingt-Verborgene als Offenbares verwirklicht. Sie sind also nicht durch sich selbst, durch ihre Seinsart Offenbarungsträger, sondern dadurch, daß an ihnen etwas erscheint, was nicht aus ihnen, sondern in ihnen und immer auch gegen sie ist. Es ist der Charakter „transzendenten Bedeutens", der sie zu Offenbarungsträgern macht, nicht aber transzendenten Seins. - Da Offenbarung nicht gegenständlich ist, sondern auf einem Wechselverhältnis von Ergriffenwerden und Ergreifen beruht, so ist sie immer zugleich objektiv und subjektiv. Sie ist nicht, ohne für jemand zu sein. Die Selbstverwirklichung des Unbedingt-Verborgenen als offenbar ist immer Selbstverwirklichung für jemand. Sie ist kein Vorgang neben oder über anderen Vorgängen, sondern sie ist ein Vorgang, der durch eine bestimmte Qualität ausgezeichnet ist, die immer und notwendig Qualität für einen Ansdiauenden ist. Offenbarung ist nur in der Offenbarungskorrelation, in der Einheit von „Manifestation" und „Inspiration". 43

6. Wenn Offenbarung als religionsphilosophische Kategorie verwendet wird, so muß zugleich die konkrete Norm genannt werden, aus der die Kategorie entnommen ist und mit deren Hilfe sie kritisch gegen fremde Offenbarungsansprüche verwendet werden kann. Die konkrete Norm ist entnommen aus der christlichen Verkündigung des „Kreuzes Christi" als Offenbarungsvorgang und enthält dieses: Jede Offenbarung, in der der Offenbarungsträger durdi sich selbst Unbedingtheit beansprucht, ist dämonisierte Offenbarung; denn Prinzip des Dämonischen ist Erhebung eines begrenzten Seienden zur Unbedingtheit, zur Würde des Unbedingt-Verborgenen. Vollkommen ist eine Offenbarung, sofern sie jeden Moment ihrer konkreten Verwirklichung unter die Erschütterung und Umwendung stellen läßt, die mit der echten Offenbarung verbunden ist. Vollkommen ist eine Offenbarung, in der es nichts Unbedingtes gibt außer dem Unbedingt-Verborgenen selbst, das in ihr offenbar wird („die Ehre Gottes" im calvinistischen Sinne). Von da aus ergibt sich ein Maßstab, mit dem die Religionsgeschichte beurteilt werden kann, der aber zugleidi gegen die beurteilende Religion selbst gewendet werden muß, aus der der Maßstab entnommen ist. Denn auch die vollkommene Offenbarung ist der Dämonisierung offen, und ihre historische Existenz, die „Geschichte der Kirche", ist nichts als ein fortlaufender Kampf der Offenbarung gegen die grundsätzlich in ihr überwundene Dämonisierung. Darum stellte die christliche und insonderheit die protestantische Kirche das Kreuz in den Mittelpunkt ihrer Frömmigkeit und Theologie. Denn vollkommene Offenbarung ist Offenbarung des Kreuzes auch über den Träger der Offenbarung und über die Gemeinschaft, in der die Offenbarung weiter getragen wird. Das Unbedingt-Verborgene kann nur dadurch zum UnbedingtOffenbaren werden, daß es allen Offenbarungsbesitz als Besitz wieder und wieder erschüttert und umwendet. 7. Der Gegensatz von natürlicher und übernatürlicher Offenbarung ist aufgehoben: Jede Offenbarung ist übernatürlidi, sofern sie Erscheinung des Unbedingt-Transzendenten ist, und jede Offenbarung geschieht im natürlichen Zusammenhang des Seienden, den sie zwar erschüttert und umwendet, aber nicht zerbricht. An die Stelle jener Unterscheidung muß eine andere treten: geschichtliche und ungeschichtliche Offenbarung. Jede Offenbarung geschieht, wenn sie geschieht, in der Geschichte; denn nur in der Geschichte, sei es des Einzelnen, sei es der Gruppen, kann für diesen Einzelnen oder für diese Gruppe das Unbedingt-Verborgene offenbar werden. Aber eine Offenbarung ist darum nodi nicht geschichtlich, daß sie in der Geschichte geschieht. Das ist sie erst dann, wenn sie selbst als Geschichte wirklich ist, wenn also 44

nicht nur einzelne unzusammenhängende Offenbarungen hier und dort in der Geschichte auftauchen, sondern wenn Offenbarung selbst als Geschichte auftritt, wenn es zum Offenbarwerden des Unbedingt-Verborgenen gehört, sich in einer Offenbarungsgeschichte für das Seiende zu verwirklichen. Ungeschichtliche Offenbarung ist also nicht natürliche Offenbarung, sondern ungeschichtliche ist solche „übernatürliche", d. h. wirkliche Offenbarung, die nicht die Form einer zusammenhängenden Offenbarungsgeschichte hat. Hier entsteht nun die Frage, wie sich solche Offenbarungsgeschichte zur Geschichte der Religionen überhaupt verhält. Es gibt zwei entgegengesetzte Stellungnahmen zu dem Problem: Offenbarungsgeschichte und Religionsgeschichte. Die eine - idealistische - Auffassung, von Hegel und der liberalen Theologie vertreten, löst die Offenbarungsgeschichte in Religionsgeschichte auf; und da die Religionsgeschichte ein Element der allgemeinen Geschichte ist, so wird Offenbarungsgeschichte zur Geschichte überhaupt. Die entgegengesetzte Auffassung, von Kierkegaard und der dialektischen Theologie vertreten, stellt die Offenbarungsgeschichte als göttliche Tat in ausschließenden Gegensatz zur Religionsgeschichte als menschlichem Werk. Beide Auffassungen sind unzulänglich. Die Gleichsetzung von Offenbarungsgeschichte und Geschichte überhaupt vergißt einmal, daß Offenbarung Erschütterung und Umwendung aller menschlichen Möglichkeiten, auch der menschlichen Geschichte ist; dann, daß Offenbarung immer nur auftritt in Offenbarungskorrelation, daß es darum unmöglich ist, rechtmäßig von Offenbarung zu reden, die nicht Offenbarung für den Redenden ist. Ebenso unmöglich aber ist es, da Offenbarung zu bestreiten, wo man nicht von ihr reden kann, und die eigene Offenbarung nicht nur zur Norm, sondern zum „Existential" der Offenbarung überhaupt zu machen. Daß irgendwo Offenbarung sei, kann generell weder behauptet noch bestritten werden, denn begründetes Reden von Offenbarung gibt es nur in der Offenbarungskorrelation. Damit ist noch keineswegs entschieden, daß die Offenbarungskorrelation nur so weit reicht wie die „eigene" Religion. Deswegen nicht, weil die eigene Religion nirgends ein eindeutiges Gebilde ist, sondern immer eine fast unbegrenzte Fülle verschiedener Elemente in sich trägt. Selbst die „vollkommene", d. h. dem Dämonischen grundsätzlich entzogene Offenbarung hat als wirkliche Religion ständig dämonische Elemente in sich. Und umgekehrt haben die grundsätzlich dämonisierten Offenbarungen allenthalben Elemente antidämonischen Kampfes in sich, in denen die vollkommene Offenbarung sich wiederfinden kann. Das ergibt Möglichkeiten, die Offenbarungskorrelation jeweilig und konkret zu erweitern; 45

aber es gibt keine Möglichkeit, Offenbarungsgeschichte und Geschichte überhaupt gleichzusetzen. 8. Das Problem „Offenbarung und Vernunft" kann zweierlei bedeuten. Erstens kann es die Frage enthalten: Kann die Vernunft aus sich das erkennen, was in der Offenbarung gegeben wird? Alles vom Rationalismus bestimmte Denken bejaht diese Frage; der Supranaturalismus verneint sie. Lessing hat in der „Erziehung des Menschengeschlechts" die Antwort gegeben, daß die Offenbarung den pädagogischen Prozeß beschleunige, aber nichts gebe, was der Vernunft an sich verborgen sei. - Auch diese Frage verliert ihre Bedeutung, sobald eingesehen ist, daß Offenbarung Erscheinen des Unbedingt-Verborgenen im Seinszusammenhang ist, also niemals als Akt eines Seienden gedacht werden kann. Sie ist vielmehr Erschütterung und Umwendung jedes Seinsaktes, also auch der Vernunft als Einheit der sinngebenden Akte. Sie negiert die Vernunft nicht, stellt sich nicht gegen sie, zerbricht sie nicht - ein Gedanke, der schon deswegen unmöglich ist, weil mit dem Zerbrechen der Vernunft der Ort genommen wäre, auf dem Offenbarung allein stattfinden kann. Aber Offenbarung läßt die Vernunft auch nicht in sich selbst und ihrem Gleichgewicht und ihrer natürlichen Richtung, sie erschüttert sie und wendet sie um. — Die Frage „Vernunft und Offenbarung" kann zweitens bedeuten: Inwieweit ist es möglich, die Offenbarungsinhalte rational zu begründen und darzustellen? Dazu ist zu sagen: Die Begründung irgendeines Offenbarungsinhaltes, also irgendeiner Aussage über das Unbedingt-Verborgene auf Einsichten in die Sphäre des Relativ-Verborgenen, also auf Welterkenntnis ist unmöglich und widerspricht dem Sinn des Unbedingt-Verborgen-Seins. Wohl aber ist es möglich, die von der erschütterten und umgewendeten Vernunft vernommenen Offenbarungsinhalte zu sinnvoller, einander begründender und rechtfertigender Darstellung zu bringen. Dabei müssen die Mittel der Darstellung gerade darin ihre Vernünftigkeit beweisen, daß sie „der Sache" angemessen sind. Das heißt, es dürfen nicht Gesetze und Kategorien verwendet werden, die einer Seinshaltung entnommen sind, deren Struktur der Struktur von OfTenbarungsinhalten schlechterdings heterogen ist (z.B. dem mathematisch-physikalischen Weltbild). Die Gegenüberstellung von Offenbarung und Vernunft ist also in jedem Sinne fragwürdig. An ihre Stelle müssen die Gegensätze von erschütterter und unerschütterter Vernunft und von adäquaten und inadäquaten Vernunftkategorien in der Auffassung der Offenbarung treten.

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N A T Ü R L I C H E R E L I G I O N UND OFFENBARUNGSRELIGION Natürliche Religion ist eine Religion, die zum Menschen seiner Natur nach gehört. Der GegenbegrifT ist „Offenbarungsreligion" - eine Religion, die der Mensch von einer übernatürlichen Wirklichkeit empfängt. „Ubernatürlich" ist in diesem Zusammenhang nicht der menschliche Geist oder die menschliche Vernunft, denn diese gehören zur Natur des Menschen; übernatürliche Wirklichkeit transzendiert die menschliche Natur in jeder Beziehung - den Leib des Menschen wie seinen Geist, seine Vitalität wie seine Vernunft. Die natürliche Religion ergibt sich mit Notwendigkeit aus der menschlichen Natur. Die übernatürliche Religion ergibt sich in keiner Weise aus der menschlichen Natur, sie ist völlig kontingent vom Standpunkt der menschlichen Natur aus und hat keinerlei Verbindung mit der menschlichen Natur. In der Offenbarungsreligion ist die menschliche Natur nur rezeptiv und in keiner Weise produktiv. In der natürlichen Religion ist allein die menschliche Natur schöpferisch. Kennzeichnend für die menschliche Natur ist die menschliche Vernunft - das Vermögen des Menschen, eine sinnvolle Welt und ein sinnvolles Selbst zu haben, das heißt eine Welt, die sich auf verständlichen Kategorien, Gesetzen und Begriffen aufbaut, und ein Selbst, dessen Geist von diesen Kategorien und Gesetzen bestimmt ist. Infolgedessen ist die natürliche Religion eine Religion, die sich mit dem menschlichen Geist oder der natürlichen Entfaltung der Vernunft zugleich entwickelt. Steht die Vernunft auf einer sehr niedrigen Stufe ihrer Entwicklung, dann steht meist auch die natürliche Religion auf einer sehr niedrigen Stufe; sie kann jedoch eine sehr hohe Stufe einnehmen, wenn die Vernunft auf hoher Stufe steht. Die höchste Stufe ist im Prinzip erreicht, wenn die Vernunft sich selbst als Vernunft begreift, mit Bewußtsein ihr eigenes Wesen ergründet und sich von allen Spuren der Phantasie, des Gefühls, der Leidenschaft und des bloßen Glaubens reinigt. Auf dieser Stufe wird die natürliche Religion zur vernünftigen Religion und drückt sich in einer vernunftgemäßen Lehre von Gott — in einer sogenannten „natürlichen Theologie" - aus. Mit diesem Begriff gelangen wir zu dem Thema unserer Untersuchung, das mir von der mehr als zweihundert Jahre alten Dudley-Stiftung gestellt wurde. Es handelt sich dabei um ein Problem, das augen-

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blicklich in der deutschen Theologie am meisten erörtert wird. In der Diskussion geht es um die Frage, ob so etwas wie natürliche Religion überhaupt möglich ist oder nicht. Über diese Frage haben im letzten Jahre Karl Barth auf der einen Seite und sein früherer Anhänger und Freund Emil Brunner auf der anderen Seite eine sehr interessante und tiefgründige Debatte geführt. Aber es handelt sich hier um mehr als nur ein theoretisches Problem für Theologen. Es ist zugleich das Problem der religiösen Lage des Protestantismus in Amerika und Deutschland. Die religiöse Krise in Amerika und der mit jedem Tag sich verschärfende religiöse Kampf in Deutschland sind so eng mit dem Problem der natürlichen Religion verknüpft, daß wir bei der Behandlung dieser Frage die gegenwärtige Lage des Protestantismus behandeln. Die natürliche Theologie versucht die Gottesidee als eine notwendige Kategorie der menschlichen Vernunft zu erklären, das heißt als eine Kategorie, die mit Notwendigkeit zu einem sinnvollen Selbst und einer sinnvollen Welt gehört. Selbstverständlich kann Gott nicht mit mathematischer Notwendigkeit bewiesen werden. Aber die Gottesidee ist die notwendige Voraussetzung für ein sinnvolles Universum, in dem Handeln und Denken möglich sind. Da die Vernunft sich nicht in rein mathematischen Kategorien erschöpft, sondern auch Ethik und Ästhetik umfaßt, kann die natürliche Religion nicht allein auf der Grundlage logischer Notwendigkeit errichtet werden. Sie muß sidi auf der Gesamtheit der menschlichen Natur gründen, und das schließt die Berücksichtigung sinnvoller Kategorien und Begriffe in allen Bereichen ein. In der natürlichen Theologie müssen daher z. B. „Intuition" wie »Reflexion" mitsprechen, und Vorrang hat weder die Reflexion - wie die älteren Religionsphilosophen lehrten - noch die Intuition - wie die heutigen Religionsphilosophen meinen. Reflexion und Intuition gehören beide zur rationalen Natur des Menschen, und auch die Intuition ist keineswegs übernatürlich. Die natürliche Theologie setzt voraus, daß die Religion zur menschlichen Vernunft gehört, und folglich, daß die Entwicklung der menschlichen Vernunft zugleich die Entwicklung der Religion ist, mit anderen Worten, daß Gott dem Menschen innerhalb der geschichtlichen Entwicklung der Religionen offenbar wird. Für unsere Betrachtungsweise ist es dabei ohne Bedeutung, ob diese Entwicklung den Charakter eines ununterbrochenen Fortschritts besitzt oder ob die höchste Religion in der Vergangenheit zu suchen ist oder ob es verschiedene Typen der Religion gibt, deren jeder in sich vollkommen ist. Nach jeder dieser Auffassungen ist das Entscheidende für die Entwicklung der Religion 48

die Natur des Menschen und nichts anderes, denn die menschliche Natur schließt, indem sie Welt und Selbst hat, Gott ein. Nicht nur der Rationalismus des 18. Jahrhunderts, sondern auch die liberale Theologie des 19. und gewisse humanistische Richtungen des 20. Jahrhunderts sind Formen einer natürlichen Theologie. Und selbst die orthodoxe Theologie beider Konfessionen beruht auf einem Unterbau von natürlicher Theologie, über dem sich erst der Uberbau der Offenbarungsreligion erhebt. In der heutigen Religionsphilosophie ist der Unterbau das allein Entscheidende geworden. Offenbarung ist gleichbedeutend geworden mit Entwicklung der Religion, Erlösung mit dem angenommenen Fortschritt der menschlichen Vernunft, und Gott ist nur ein anderer Ausdruck für die sinnvolle Mitte und Totalität der Welt. I. Es ist verständlich, daß der Transzendentalismus, wie ihn Karl Barth vertritt, dieser Lage gemäß seinen Angriff nicht nur gegen die bloß natürliche Theologie richtete, sondern auch gegen jede Offenbarungstheologie, die eine natürliche Theologie als Grundlage beibehält. Die Geschichte der Theologie hat gezeigt - so lautet Barths Argumentation daß die Offenbarungstheologie nicht zu halten ist, sobald sie eine natürliche Theologie voraussetzt. Denn hätte der Mensch von Natur aus einen Gott, der wirklich Gott ist, dann bedürfte er keiner Offenbarung. Er bedarf aber der Offenbarung, weil er von Gott getrennt ist. Wegen dieser Trennung kann die menschliche Natur nur Phantasiegebilde dämonischen Charakters und damit verbunden Angst und Aberglauben hervorbringen, wie es nach Barths Auffassung jede natürlidie Religion tut. Die natürliche Religion hat Dämonen und nidit Gott. Deshalb ist eine Theologie zu verwerfen, die behauptet, die Offenbarungsreligion besitze einen Unterbau aus natürlicher Religion. Natürliche Theologie - das ist die grundlegende Auffassung von Barth und der gesamten dialektischen Theologie - verleiht dem Menschen die Macht, bis zu einem gewissen Grad sein Verhältnis zu Gott zu bestimmen. Auf diese Weise ist das Verhältnis des Menschen zu Gott abhängig von dem geistigen oder ethischen Tun des Menschen, und damit ist vorausgesetzt, daß Gott in seiner Beziehung zum Menschen in gewissem Grade vom Menschen abhängig ist. Ein Gott aber, der irgendwie vom Menschen abhängig ist, ist nicht Gott. Er ist ein Dämon. Die natürliche Theologie ist ein Angriff auf die Majestät und 49

die Absolutheit Gottes, sie ist Abgötterei. Und sie zieht die Folgen jeglicher Abgötterei nach sich: sie ist nicht imstande, unserer Existenz einen inneren Halt zu geben. Jeder sich auf natürlidie Theologie gründende Gottesbeweis - sei er rational oder irrational, sei er auf Gefühl oder Intuition gegründet - ist also nicht schlüssig. Er kann, wie die alte Theologie lehrte, eine Täuschung sein, die von Dämonen hervorgerufen wird. Diese Täuschung kann ein Komplex sein, wie es die Psychoanalyse heute nennt, oder eine Ideologie, wie es in der Soziologie heißt; sie kann ein Produkt der Libido oder des „Willens zur Macht" sein, eine Projektion natürlicher Wünsche, sozusagen auf den Himmel des Unendlichen, wie Feuerbach behauptet. Der Gott der natürlichen Theologie kann keine religiöse Gewißheit geben, etwa »Sündenvergebung" oder „Gnade". Da der Mensch von Natur aus mit Schuld behaftet ist, trägt all sein Handeln und Denken ein Element von Schuld in sich. Die Annahme, daß schuldhaftes Denken und Handeln Schuld überwinden könne, ist ohnehin ein Widerspruch in sich. Schuld kann nicht von Schuld überwunden werden, und das heißt: Schuld kann nicht von der menschlichen Natur, die durch Schuld verdorben ist, überwunden werden. Also muß die natürliche Theologie von jedem Gesichtspunkt aus verworfen werden. Sie ist Abgötterei, weil sie Gott vom Menschen abhängig macht, sie zerstört die religiöse Gewißheit, weil sie unsere Gotteserkenntnis an die trügerische Einsicht des Menschen bindet; sie zerstört die Erlösungsgewißheit, weil sie die Gnade von unserem schuldhaften Tun abhängig macht. Gott kann nur durch Gott erkannt werden, das heißt, durch Offenbarung. Gottes Vollkommenheit kann nur durch Gott selbst erreicht werden, das heißt, durch die Erlösung. Offenbarung und Erlösung übersteigen beide die menschliche Natur gänzlich. Sie sind Sache des Glaubens und nicht der Selbstentwicklung; sie setzen voraus, daß der Mensch von einer transzendenten Macht ergriffen ist und zu einem Zustand jenseits seiner selbst und jenseits aller Möglichkeiten seiner Natur geführt wird. Die natürliche Theologie verteidigt sich gegen diesen Angriff, der von Karl Barth mit wahrhaft prophetischer Kraft geführt wird, indem sie betont, daß die Offenbarung eine Voraussetzung hat, nämlich, daß der Mensch, wie es in der alten Uberlieferung heißt, das Ebenbild Gottes ist. Ist der Mensch aber Gottes Ebenbild, dann muß er, wenn er eine Vorstellung von sich und seiner Welt hat, auch eine Idee von Gott besitzen. In jeder Ähnlichkeit mischen sich Elemente der Identität mit Elementen der Nicht-Identität.Wenn der Mensch diese beiden Elemente zu scheiden vermag, dann kann er auch eine Idee von Gott gewinnen. Nur so läßt sich die Entwicklung der Religion in der Mensch50

heit und damit auch die Geschichte der Menschheit im allgemeinen verstehen. Barth erwidert auf dieses Argument, daß die Gottähnlichkeit des Menschen ein eschatologischer Begriff, also keine Erfahrung, sondern ein Gebot sei; die Sünde mache es uns unmöglich, aus unserer Gottähnlichkeit oder dem Schöpfungsgedanken irgend etwas abzuleiten. Der Mensch im Stande der Unschuld könne vielleidit ein natürliches Verhältnis zu Gott haben, die Welt in ihrem ursprünglichen Zustand der Schöpfung könne uns vielleicht eine Idee von Gott vermitteln. Aber diese Möglichkeit kann nie Wirklichkeit werden, weil der Stand der Unschuld und der ursprünglichen Schöpfung verlorenging und wir von ihm nichts mehr wissen. Deshalb ist es nicht möglich, aus der Lehre von der Schöpfung irgendwelche Satzungen einer natürlichen Gerechtigkeit, des staatlichen Lebens oder der Gesellschaftsordnung abzuleiten. Wir kennen keine göttliche Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens; weder Staat noch Familie noch die klassenlose Gesellschaft, weder Feudalismus noch Demokratie, weder Liberalismus noch Kollektivismus sind Schöpfungsordnungen. Es sind menschliche Möglichkeiten, und keine natürliche Theologie vermag ihnen die Gültigkeit göttlicher Gebote zu verleihen. Ebensowenig vermag eine natürliche Theologie irgendeiner Philosophie oder Weltanschauung, einschließlich jeder Art von Religionsphilosophie, die Gültigkeit göttlicher Wahrheit zu verleihen. Von diesem Standpunkt aus greift Karl Barth die Religionsphilosophie überhaupt an. Wenn Religionsphilosophie mehr sein will als eine Beschreibung geschichtlicher und psychologischer Tatsachen, dann ist sie natürliche Theologie und infolgedessen ebenso unmöglich wie diese. Die natürliche Theologie wiederum führt zu ihrer Verteidigung ein weiteres Argument an. Sie weist darauf hin, daß der Mensch Offenbarung empfangen kann. Wie kann das möglich sein, wenn doch behauptet wird, daß Offenbarung alle menschlichen Möglichkeiten übersteigt? Und zumal: Warum vermag allein der Mensch Offenbarung zu empfangen, nicht aber das Tier? Schließt diese Fähigkeit des Menschen nicht eine gewisse Fähigkeit zur Gotteserkenntnis in sich? Ist nicht der Mensch Gott von Natur näher, da seine Natur Offenbarung möglich macht? Barth erwidert, er stimme der Behauptung zu, daß der Mensch keine Schildkröte sei; aber er verneint, daß aus diesem Unterschied der Schluß gezogen werden könne, der Mensch besitze eine natürliche Gotteserkenntnis. Die natürliche Theologie verteidigt sich mit dem Hinweis darauf, daß 51

die Offenbarung vom menschlichen Geist empfangen werden muß, wenn sie Offenbarung für den Menschen sein soll. Folglidi muß der menschliche Geist notwendigerweise ein Element der Identität mit der Wahrheit besitzen, die ihm durch die Offenbarung mitgeteilt wird. Der Geist kann keinen ihm gänzlich fremden Inhalt aufnehmen. Die Aufnahme eines völlig fremden Inhaltes würde die Zerstörung des mensdilichen Geistes bedeuten. Diese Feststellung gilt nidit nur für den individuellen menschlichen Geist, sondern auch für die menschlidie Geschichte im allgemeinen. Offenbarung könnte kein Ereignis innerhalb der menschlichen Geschichte sein, wenn sie der mensdilidien Geschichte völlig fremd wäre. Sie könnte nicht mit Vergangenheit und Zukunft verbunden sein, wie sie es gemäß dem Neuen Testament ist; sie wäre ein Fremdkörper in der Geschichte, unverständlich, ohne Ursache und Wirkung. Barth erwidert darauf, daß der Mensdi Offenbarung nur insoweit empfangen könne, als er ein neues Gesdiöpf geworden ist. Offenbarung geschieht im menschlichen Geist jenseits des mensdilidien Geistes, in der mensdilidien Geschichte jenseits der mensdilidien Geschichte. Nidit das alte, sondern das neue Geschöpf, nidit die menschliche Natur, sondern eine Wirklichkeit jenseits der menschlichen Natur empfängt die Offenbarung. Der Heilige Geist schafft einen neuen Geist im Menschen, und er zeugt für diesen neuen Geist. Darauf muß die natürliche Theologie - wie ich meine - antworten, daß nach Paulus „der Heilige Geist unserem Geist Zeugnis gibt" und folglich unser Geist imstande sein muß, dieses Zeugnis zu vernehmen. Um diese Behauptung zu stützen, kann die natürliche Theologie auf die religiöse Sprache hinweisen. Wir wissen, daß die biblische Terminologie zu einem großen Teil aus der religiösen Sprache der Mystik und des Heidentums stammt. Natürlich haben Begriffe wie kyrios (Herr) oder hyios theou, (Gottes Sohn) in der biblischen Sprache weitgehend andere Bedeutung angenommen, sie können aber nidit gänzlich verändert worden sein, sonst wäre die Botschaft der Apostel niemandem verständlich gewesen. Wenn aber die menschliche Geschichte, insbesondere die Religionsgeschichte, der Offenbarung ein sprachliches Ausdrucksmittel liefert, dann vermittelt sie damit eine grundlegende religiöse Erfahrung, ohne die die Offenbarung für den Menschen sinnlos wäre.

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II. Mir scheint, daß diese Beweisführung vom theologischen Transzendentalismus nicht zu widerlegen ist. Ohne die vorausgehende religiöse Erfahrung der Menschheit könnte niemand die Botschaft der Offenbarung verstehen und empfangen. Weil das Werkzeug der Offenbarung die menschliche Sprache ist und Sprache nur sinnvoll ist durch gemeinsame Erfahrung, die sich in ihr verkörpert, ist Offenbarung ohne eigene religiöse Erfahrung der Menschheit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht möglich. Aber Offenbarung ist mehr als religiöse Erfahrung. Sie ist die göttliche Kritik und Neugestaltung religiöser Erfahrung. Das „Material" der Offenbarung, gleichsam der Stoff, der durch die Offenbarung eine neue transzendente Form empfängt, ist die religiöse Erfahrung. Ohne den geschichtlichen Prozeß der Religion hätte es das Offenbarungsgeschehen nicht geben können und ebensowenig die prophetische Kritik und Umgestaltung einer heidnischen Stammesreligion in das Volk Gottes und in die Kirche Christi. Von eben diesem Gesichtspunkt aus läßt sich die religiöse Situation in Deutschland leicht deuten. Weil die christlichen Kirchen es versäumten, die geschichtliche und religiöse Erfahrung des deutschen Volkes der Kritik zu unterwerfen und sie nach dem unbedingten Kriterium, das in der Offenbarung gegeben ist, umzugestalten, hat sich eine neue heidnische Stammesreligion erhoben, die die Offenbarung leugnet, indem sie sich selbst als Offenbarung ausgibt. Und weil die christlichen Kirchen in Deutschland und außerhalb Deutschlands das durch Offenbarung gegebene absolute Kriterium und zugleich die konkrete Wirklichkeit menschlichen Lebens und menschlicher Erfahrung verloren haben, ist nun in Deutschland eine Kluft entstanden zwischen einer Stammesreligion, die sich den deutschen Massen verständlich zu machen sucht, und dem Transzendentalismus von Karl Barth, der Christentum und Offenbarung ohne jede Verbindung zur gegenwärtigen Situation zu retten sucht. Es ist der Konflikt zwischen einer heidnisch gewordenen natürlichen Theologie ohne den Uberbau der Offenbarung und einer übernatürlichen Theologie der Offenbarung ohne den Unterbau der natürlichen Theologie. An diesem Beispiel wird deutlich, welch praktische Bedeutung diesem scheinbar hoch abstrakten und weltfernen Problem zukommt. Wir müssen uns jetzt fragen, wie wir heute dieses Problem deuten können. Dürfen wir auf die alten Formeln zurüdcgreifen, in denen auf den Unterbau einer natürlichen Theologie der Überbau einer Offenbarungsreligion gesetzt wird? Ich halte das für unmöglich. Ich glaube, 53

daß die Kritik Karl Barths, die mit der prophetischen Kritik an der menschlichen Religion übereinstimmt, und die Katastrophe, die das humanistische Christentum in Deutschland bedroht, gezeigt haben, daß ein solches Schema für die christliche Theologie nicht möglich ist. Wir müssen nach einem neuen Weg suchen, um die in der alten natürlichen Theologie enthaltene Wahrheit zu retten. Zunächst müssen wir die Kategorie des „Natürlichen" selbst verwerfen, denn nicht die Natur, sondern die Geschichte des Menschen ist der Ort, an dem sich sowohl Offenbarung wie religiöse Erfahrung ereignen. „Von Natur" hat die Bedeutung „mit Notwendigkeit": der Begriff der Natur setzt die griechische Idee voraus, daß es ewige Formen oder Wesenheiten gibt, die das Verhalten aller Dinge bestimmen; die Existenz ist nach dieser Auffassung die Folge der Essenz; essentielle Notwendigkeit begründet die existentielle Wirklichkeit. Existenz, Handeln, Entwicklung wie Geschichte des Menschen folgen aus der menschlichen Essenz, sie sind notwendige Folge der menschlichen Natur. Die religiöse Existenz des Menschen, die gesamte Religionsgeschichte folgen notwendig aus der religiösen Natur des Menschen; daher ist in der menschlichen Geschichte nicht mehr verwirklicht, als die Möglichkeiten in der menschlichen Natur zulassen. Es gibt nicht mehr an religiösem Gehalt in der Religionsgeschichte als in der religiösen Natur des Menschen; die Geschichte schafft keine neuen Inhalte - die Grenzen der menschlichen Natur zu überschreiten, ist nicht möglich; denn es gibt keine Freiheit, sich selbst und der eigenen Natur zu widersprechen. Aber gerade diese Freiheit ist es, die den Menschen zum Menschen macht und die die Voraussetzung seiner Geschichte ist. Die menschliche Existenz ist nicht bestimmt von der menschlichen Essenz, und die menschliche Geschichte ist nicht bestimmt von der menschlichen Natur. Die Geschichte kann nicht unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Notwendigkeit verstanden werden. Weil die Freiheit die spezifische Eigenschaft der menschlichen Natur ist, kann der Mensch eine Existenz schaffen, die über seine Essenz hinausgeht: er kann Geschichte schaffen. Das bedeutet für unser Problem, daß es keine natürliche, sondern nur eine geschichtlich gewordene Religion gibt und infolgedessen weder eine natürliche noch eine übernatürliche Theologie möglich sind. Es gibt nur eine Theologie, nämlich eine solche, die die religiöse Erfahrung des Menschen an der Offenbarung mißt und durch sie deutet - Offenbarung verstanden als Kritik und Verwandlung religiöser menschlicher Erfahrung. Ein solcher Standpunkt mag als „Methoden-Monismus" bezeichnet werden. Um ihn zu erklären, muß ich deutlich machen, was ich unter 54

Religionsgeschichte verstehe. Ich stimme mit Karl Barth darin überein, daß es keine Gotteserfahrung ohne Gottesoffenbarung und d. h. keine „natürliche Gotteserkenntnis" gibt. Aber ich stimme nicht mit ihm überein, wenn er sagt, daß es keine geschichtliche Gotteserfahrung geben könne. Es muß ausdrücklich betont werden, daß eine solche Behauptung geschichtliche Offenbarung völlig unmöglich macht. Deshalb behaupte ich, daß in jeder geschichtlichen Gotteserfahrung ein Element der Offenbarung enthalten ist oder daß Geschichte Offenbarung in jedem Augenblick empfangen muß, um sie in einem bestimmten Augenblick empfangen zu können. Denn jeder Augenblick in der Geschichte hängt von jedem anderen ab, die Gegenwart von der Vergangenheit und die Zukunft von der Gegenwart, und umgekehrt der Sinn der Vergangenheit vom Sinn der Gegenwart und der Sinn der Gegenwart vom Sinn der Zukunft. Diese wechselseitige Abhängigkeit in der Geschichte schließt in sich, daß der eine Augenblick, den wir Offenbarung nennen, nur deshalb Offenbarung für uns sein kann, weil es in jedem Augenblick schon Offenbarung gibt. III. Ich weiß, daß dieser Gedanke nicht ungefährlich ist und sehr leicht entstellt werden kann, wenn man die Religionsgeschichte an sich als Offenbarung auffaßt. Ich möchte diese Auffassung ausdrücklich zurückweisen; sie ist der Irrtum des Idealismus und des theologischen Liberalismus, sie ist natürliche Theologie, nicht die Theologie geschichtlicher Offenbarung. Offenbarung, die uns gegeben wird, die uns ergreift und uns das letztgültige Kriterium für unsere Existenz schenkt, ist auf einen Augenblick beschränkt. Denn sich widersprechende Offenbarungen können niemals Offenbarung sein. Offenbarung „für uns" läßt keine anderen Offenbarungen zu, sie gibt uns für jegliches Denken und Handeln den Maßstab, und daneben oder darüber hinaus kann es kein anderes Kriterium geben. Andererseits kann dieser eine Augenblick mit der in ihm gegebenen Offenbarung nur darum bedeutsam werden, weil in ihr die Botschaft früherer Offenbarungen „aufgehoben" ist. Diese vorausgegangenen Offenbarungen sind keine Offenbarungen für uns, sie sind nicht unmittelbar entscheidend für unsere Existenz, sie sind Voraussetzungen und wirken mittelbar, da sie in der neuen und entscheiderden Offenbarung mitenthalten sind. Daraus folgt: Wenn Christus für einen Menschen Offenbarung ist, dann ist im Bilde Christi die Religion des jüdischen Volkes und die ihm 55

in seiner Geschichte gegebene Offenbarung mitenthalten. Diese Geschichte und ihre Beurkundung, das Alte Testament, aber sind für ihn nur mittelbar Offenbarung und nicht das Kriterium selbst, sie sind vielmehr ihrerseits dem Kriterium unterworfen und werden von ihm umgestaltet. Und wenn das Wort der Propheten für einen Menschen Offenbarung ist, dann ist die Priesterreligion, die von diesem prophetischen Wort der Kritik unterworfen und umgestaltet wird, in dieser Offenbarung mitenthalten, aber nicht als Offenbarung, sondern nur als Stoff der Offenbarung. Und wenn die Botschaft des Paulus für jemanden die Offenbarung ist, dann sind die Mystik und die Ethik der damaligen heidnischen Welt mit darin enthalten, aber der paulinischen Kritik unterworfen und von ihr umgestaltet. Und wenn jemand das Wort „Sünde" gebraucht, um zu erklären, was Offenbarung bedeutet, dann ist er bewußt oder unbewußt von der allgemein-menschlichen religiösen Erfahrung der Schuld und Verzweiflung bestimmt, aber beide Worte haben einen anderen Sinn erhalten, ihr tragischer Akzent ist ihnen durch den christlichen Einfluß genommen; Hoffnungslosigkeit und Heroismus haben sich in Demut und Hoffnung gewandelt. Und wenn jemand Gott den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden, bekennt, sdiwingt in seinem Bekenntnis der mythologische Glaube an transzendente Mächte und die Schöpfung unserer Welt durch diese Mächte mit. Aber nicht dieser mythologische Glaube ist für ihn Offenbarung, er ist in seinem Bekenntnis nur mittelbar wirksam, nämlich als Dämonenglaube entlarvt und umgeformt in den Glauben an den Gott, der in Wahrheit Gott ist. Lassen Sie mich diesen Gedanken durch ein Gleichnis erklären, das aber mehr als nur ein Gleichnis ist. Offenbarung ist eine Antwort, die nur dann verstanden werden kann, wenn zuvor eine Frage gestellt wurde. Antworten ohne vorausgehende Fragen sind sinnlos. Daher muß der Offenbarung das Fragen nach der Offenbarung vorangehen, aber dieses Fragen ist nicht möglich ohne irgendeine Kenntnis des Gegenstandes, nach dem gefragt wird. Das heißt: Das Fragen nach der Offenbarung setzt Offenbarung voraus und umgekehrt; sie sind voneinander abhängig. Der Anfang der Religionsgeschichte ist eine Frage, die eine Antwort enthält, und eine Antwort, die eine Frage enthält. Der Mensch in der Geschichte ist niemals ohne Offenbarung, und er ist niemals ohne die Frage nach Offenbarung. Das letztere bedeutet, daß sich der Mensch niemals rühmen kann, daß sein Bild von Gott dem wirklichen Gott entspricht, aber das erstere bedeutet, daß der Mensdi niemals von Gott verlassen und von ihm getrennt ist. Beides bedeutet, daß es kein natürliches Verhältnis zu Gott gibt, das sich innerhalb der 56

Geschichte entwickeln und das aus der menschlichen Vernunft abgeleitet werden könnte. Jede Lehre von Gott ist eine Theologie geschichtlicher Offenbarung, weil sie in einer in der Geschichte empfangenen Offenbarung wurzelt. Jede Lehre von Gott setzt Glauben voraus, und Glaube ist der Offenbarung zugeordnet. Natürliche Theologie ohne Bereitschaft zum Glauben ist sinnlos; eine natürliche Theologie aber, deren Fundament Glaube und Offenbarung ist, ist überhaupt keine natürliche Theologie, sondern eine Theologie geschichtlicher Offenbarung - die einzige Theologie, die überhaupt möglich ist. Wenn wir die Religionsphilosophie und die Metaphysik betrachten, finden wir in jedem großen Vertreter religiöser Metaphysik ein theologisches Element, ein Element des Glaubens und der Offenbarung. So berichtet uns Parmenides, daß ihm die Wahrheit über die letzte Einheit des Seins aus dem Mund einer Gottheit in einer Vision zuteil wurde. Wenn Plato das Schicksal der menschlichen Seele nach dem Tode beschreibt, berichtet er in Mythen. Plotin bekennt, daß nur in der Ekstase, die ein Gesdienk der Gnade ist, die höchste Idee, das transzendente Eine, erfahren werden kann. Spinoza kennt außerhalb der „intellektuellen Liebe zu Gott" keinen Weg zur höchsten Einheit. Kant spricht von dem „Abgrund menschlicher Vernunft", wie es alle Mystiker tun, und von dem Glauben an ein transzendentes Gleichgewicht zwischen Sittlichkeit und Glück. Für Hegel ist, wie er nachdrücklich betont, die geoffenbarte Religion Substanz und Grundlage seiner Philosophie, und ohne dieses Fundament wäre sie nicht möglich. Und endlich nimmt die heutige Existenzphilosophie oder Lehre von der Endlichkeit des Menschen eine Haltung ein, in der wir über unsere Endlichkeit hinausschreiten zur Unendlichkeit, wenn auch im Bewußtsein dessen, daß wir von unserer Unendlichkeit ausgeschlossen sind. Ohne diesen Akt des Überschreitens unserer Endlichkeit, das heißt, ohne Glauben könnten wir niemals uns als endlich sehen und niemals eine Philosophie der Existenz erklären, die nach meiner Ansicht die heutige Form der Religionsphilosophie ist. Aber sie ist eine Philosophie, die zugleich Theologie ist; beide stimmen überein in einer Lehre von der Endlichkeit des Menschen, nach der die menschliche Existenz erklärt wird als die existentielle Frage, deren existentiell bedeutsame Antwort die Offenbarung ist. Die Erklärung der Frage ist ohne das Licht, das von der Antwort ausgeht, nicht möglich, die wissenschaftliche Deutung der Antwort hingegen ist nur möglich durch in der Frage geschaffene Kategorien. Auf diese Weise haben wir das mechanische Schema vom natürlichen Unterbau und übernatürlichen Uberbau ersetzt durch eine lebendige wechselseitige Abhängigkeit von Frage und Antwort, von Antwort 57

und Frage. Die natürliche Theologie ist zu verwerfen, ihr Anliegen aber läßt sich retten. Ich versuche diese Rettung durch eine „Theologie geschiditlidier Offenbarung", in der an die Stelle der Natur die Geschichte, an die Stelle der essentiellen Notwendigkeit die existentielle Freiheit gesetzt wird und in der die Kluft zwischen natürlicher und übernatürlicher Religion und Theologie überwunden wird durdi die eine Theologie, die zwei Pole hat: die Frage der menschlichen Existenz und die Antwort der göttlichen Offenbarung.

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AUTORITÄT UND O F F E N B A R U N G Meinen Dank für die ehrenvolle Aufforderung, ein zweites Mal im Rahmen der „Dudley-Vorträge" über Offenbarungsreligion zu sprechen, möchte ich mit der Frage verbinden, ob die Formulierung „Offenbarungsreligion" einer kritischen theologischen Prüfung standhalten kann. Ich bin der Ansicht, daß sie es nicht kann. Denn der Inhalt von Offenbarung ist nicht Religion, sondern Gott; Religion ist eine Antwort, die zwar durch die Offenbarung ausgelöst, aber vom Menschen gegeben wird. Solange wir uns im Bereich der Religion befinden, haben wir das noch nicht erreicht, was Offenbarung bedeutet. Andererseits ist jede Religion - so verzerrt sie auch sein mag - eine Antwort auf eine vorausgegangene Offenbarung. Der Mensch bleibt niemals ohne offenbarende Gegenwart des Grundes seines Seins und Sinnes. Die theologisch richtige Trennungslinie verläuft daher nicht zwischen Offenbarung und Religion, sondern zwischen göttlicher Selbstmanifestation und menschlicher Antwort. Von allen Angriffen auf die Religion ist wohl keiner häufiger und erfolgreicher als der Angriff auf ihren autoritären Charakter. Und keiner ist so gerechtfertigt. Von der Behauptung, daß die Mehrheit der Bischöfe des Konzils von Nizäa im Jahre 325 in besonderer Weise inspiriert waren, oder von der Inspiration des Papstes, der 1950 ex cathedra redete, bis hin zur Lehre von der Inspiration der Bibel, nach der ihre Verfasser gleichsam die Feder des Heiligen Geistes sind, von der Feststellung, daß der ein Ketzer ist, der mit dem Papst in Rom in der Lehre nicht übereinstimmt, bis hin zu der Behauptung, daß es eine Lästerung Christi bedeute, wenn die Methoden des Historikers auf die biblischen Schriften angewandt werden, zieht sich eine Linie radikalen autoritären Denkens durch die ganze Geschichte der christlichen Kirche. Die Religion erhebt den Anspruch, daß sie auf Offenbarung gegründet sei. Dieser Anspruch verleiht allen religiösen Formen - Riten, Mythen, Dogmen und Symbolen - unbedingte Autorität, eine Autorität, die sich von dem herleitet, was sich in der Offenbarung manifestiert: das Unbedingte selbst, der Grund allen Seins und Sinnes. Die Heiligkeit und Unbedingtheit, die das Göttliche charakterisieren, werden auch den endlichen und bedingten Mittlern der Offenbarung zugesprochen. Hier liegt die Wurzel nicht nur der religiösen autoritären Denkweise, sondern allen autoritären Denkens überhaupt. Wie die quasi59

religiösen politischen Bewegungen unserer Zeit zeigen und wie die Rolle der politischen Autorität in allen Epochen zur Genüge gezeigt hat, strebt Autorität, so weltlich sie auch in ihrem Ursprung sein mag, nach religiöser Weihe, durch die ihr der Charakter des Heiligen zuteil wird. Unter dem Schutz eines solchen Tabus fühlt sich die Autorität sicher. Heftige Angriffe gegen religiöse Autorität kamen immer schon aus dem Lager der Politik, der Pädagogik und der Psychologie, und sie wandten sich vor allem dagegen, daß bestimmte Autoritätsformen, die sidi in sozialer und auch in psychologischer Hinsidit als schädlich erwiesen haben, eine Sanktionierung durch Offenbarung beanspruchen. Der schärfste Angriff auf diesem Gebiet kommt heute von der Psydiotherapie. Der Patient, der einer unbestrittenen Autorität bedarf, ist eins der wichtigsten Probleme der Tiefenpsychologie. Sie wirft der Kirche vor, daß sie einem neurotischen Bedürfnis nach autoritärer Führung Vorschub leiste; und sogar Anhänger der Kirche fürchten eine geistige Fesselung durch eine zu enge Bindung an die Kirche. Diese Situation stellt die Theologie vor die Frage: Kann die Annahme der Offenbarung vereint werden mit der Wahrung schöpferischer Freiheit? Ist eine Religion, die den Anspruch erhebt, auf göttlicher Offenbarung zu beruhen, mit wahrhafter Menschlichkeit vereinbar? Wie verhalten sich, vom Problem der Autorität her gesehen, Humanismus und Christentum zueinander?

II. Das Wort Autorität kommt von dem lateinischen augeo, ich vermehre, kräftige, stärke. Ein „Autor" ist der, der eine Bewegung zu beeinflussen vermag, weil er sie in Gang setzt oder ihr Führer ist. Er vermag dies dank seiner inneren Kraft, seiner schöpferischen Möglichkeiten oder weil die äußeren Umstände ihn dazu befähigen. Im ersten Fall ist er Autorität aufgrund seines Seins, im zweiten Fall aufgrund seiner Position. Die Position, die ihm Autorität verschafft, beruht entweder auf einem Verwaltungssystem (z. B. beim Beamten) oder auf Symbolen, die für eine soziale Gruppe repräsentativ sind und einer Person oder Institution autoritäre Würde verleihen. Manchmal sind Autorität des Seins und Autorität des Amtes vereinigt, häufig sind sie es nicht. Diesem Unterschied in der objektiven Struktur der Autorität entspricht ein Unterschied in der subjektiven Haltung gegenüber der Autorität. Erich Fromm hat vorgeschlagen, zwischen „rationaler" und „irrationaler" Autorität zu unterscheiden. Er akzeptiert die eine als 60

psychologisch gesund und verwirft die andere als wesenhaft neurotisch. Rationale Autorität ist nach Fromm eine Autorität, die die schöpferische K r a f t in dem, der ihr unterworfen ist, bewahrt. Irrationale Autorität überzeugt nicht durch die Forderungen an sich; die ihr Unterworfenen gehorchen aufgrund der psychologischen Knechtschaft. Ein klassisches Beispiel für irrationale Autorität ist das „Vaterbild", wie es Freud beschreibt; das beste Beispiel für rationale Autorität ist der wissenschaftliche Sachverständige. Anstelle der Ausdrücke „rational" und „irrational", die man wegen der zahlreichen irreführenden Nebenbedeutungen des Begriffs „rational" vermeiden sollte, schlage ich die Begriffe „funktionale" oder „partielle" Autorität einerseits und „hypostasierte" oder „totale" Autorität andererseits vor. 1 Was diese beiden Begriffe bedeuten, wird im Verlauf der weiteren Ausführungen klar werden.

III. Die erste Frage, die wir hier stellen müssen, lautet: Wie ist die Autorität im Wesen des Menschen verwurzelt? Oder, um es abstrakter zu formulieren: Wie ist das Verhältnis von Sein und Autorität? Nach Spinoza ist der Grundcharakter des Seins seine Selbstbejahung; das gilt gleichermaßen vom unendlichen Grund allen Seins wie vom Grund jedes einzelnen Seienden. In der Selbstbejahung unserer N a t u r ist das verwurzelt, was Kant Autonomie genannt hat. Ein Seiendes ist autonom, insofern es das Gesetz seines Seins und des Seins überhaupt in sich selber findet. Es ist nicht abhängig von einem fremden Gesetz, von einer heteronomen Autorität. Autonomie bedeutet, der Struktur des Seins zu gehorchen, und diese Struktur nennen wir Vernunft. Autonomie bedeutet Unterwerfung unter die Formen und Kategorien der Vernunft, die in jedem Menschen gegenwärtig sind. Aber nun entsteht die Frage: Haben wir als Individuen an dieser Struktur des Seins in einer solchen Weise teil, daß wir fähig sind, autonom zu leben? Ist unser Sein bestimmt durch die vernünftige Struktur des Seins? G a n z offensichtlich haben wir an ihr teil: sie formt unseren Geist und bestimmt unsere eigentliche N a t u r . Aber bestimmt sie auch unsere Existenz? Wir können diese Frage nur mit Nein beantworten. Aus dieser Einsicht leitet sich alle heteronome Autorität her. 1 An anderer Stelle hat Tillich zwischen „faktischer" und „prinzipieller" Autorität unterschieden. Vgl. Systematische Theologie. Bd. III. S. 102. (D. Hrsg.)

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Die Offenbarung ist eine Antwort auf diese Situation. Sie „spricht" zum Mensdien in seiner Existenz. In seiner Existenz befindet sich der Mensch im Widerspruch zu seiner essentiellen Natur, und das ist der Grund, warum die Offenbarung dem Menschen unausweichlich in heteronomer Weise begegnet: sie spricht zu uns von außerhalb, sie verurteilt uns in unserer Existenz mit ihren Verirrungen und Verfehlungen, sie erteilt Gebote. Eine auf diese Weise begegnende Offenbarung konfrontiert uns mit dem Urproblem der »totalen" oder „hypostasierten" Autorität. Das ist nicht die Autorität „im Paradies", sondern Autorität unter den Bedingungen der Existenz, d. h. der Entfremdung von uns selbst und vom Grund unseres Seins und Sinnes. Ein Überblick über die Deutung der menschlichen Natur in der heutigen Philosophie und Politik bestätigt diese Auffassung von der Herkunft der totalen Autorität. Der Liberalismus (sowohl der pädagogische wie der politische) kennt nicht die Entfremdung des Menschen von seiner essentiellen Natur. Der Mensch wird gedacht als der, der er wesenhaft ist und daher sein soll, nämlich bestimmt durch die rationale Struktur seines Geistes und seiner Natur, selbst wenn dies nur in sehr beschränktem Maße zutrifft. Die Existenz und ihre inneren Widersprüche werden sozusagen von der Essenz verschlungen. Das ist die Grundlage allen pädagogischen und demokratischen Fortschrittsglaubens und Gesdiiditsoptimismus', die Grundlage aller nicht-autoritären Politik und nicht-autoritären Erziehung. Man glaubt an die Möglichkeit einer harmonischen Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft - sofern nur die schöpferischen Kräfte eines jeden unbehindert bleiben. Gewiß, eine solche Entwicklung ist nidit möglich ohne „faktische" A u t o r i t ä t o h n e Vertrauen zum Fachmann, zur charismatischen Persönlichkeit, zum Amt - gleich welcher Art. Niemals aber ist sie möglich unter dem Druck einer „irrationalen" oder „totalen" Autorität. Wird im liberalen, demokratischen Denken die Existenz von der Essenz verschlungen, so wird im autoritären Denken die Essenz von der Existenz verschlungen - selbst wenn die Autorität nicht totalitär ist. Die Auffassung, daß der Mensch existentiell böse ist, sei es infolge eines vorgeschichtlichen „Falles", sei es infolge seiner biologischen Struktur und ihrer unvermeidlichen Konflikte, bildet eine der wesentlichen Ursachen für einen Machtaufbau mit unterdrückenden Tendenzen in Staat und Familie. Den Staat vor allem betrachtet man als die klassische Organisation zur Unterdrückung zerstörerischer Tendenzen. Die Struktur der autoritären Familie ist von der des autoritären Staates 1

Siehe Fußnote auf S. 61

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nicht sehr verschieden. Auch sie beruht auf dem Prinzip, die chaotischen Triebe im Einzelnen zu unterdrücken. Und die Gesellschaft als ganze bringt meist mit Erfolg die Verinnerlichung der Autorität im Gewissen durch psychologische Mittel zustande. Eine Autorität dieser Art ist weder „partiell" noch „rational" noch »funktional", sondern „total", »irrational" oder „hypostasiert". Alle Probleme, die sich auf das Verhältnis von menschlicher Natur und Autorität beziehen, wurzeln in der Entscheidung, ob der Mensch von seiner essentiellen Vollkommenheit oder von seiner existentiellen Verzerrung her gesehen wird. Wie wir uns zu dieser Alternative stellen, das bestimmt unsere Antwort auf die Frage nach Autorität und Offenbarung. IV. Es gibt Auffassungen von Offenbarung, die zwangsläufig zu einem religiös-autoritären Denken führen. Wird Offenbarung verstanden als göttliche Information, als eine Mitteilung, die auf übernatürlichem Eingreifen beruht, so entsteht dadurch irrationale oder totale Autorität. Denn: göttliche Heteronomie zerstört die autonome Selbstbejahung des Menschen, die Bejahung seiner schöpferischen Seinsstruktur. Offenbarung fällt vom Himmel und schafft für sich die Möglichkeit, ohne Vermittlung, ohne geschichtliche Vorbereitung, ohne die Möglichkeit vernunftgemäßer Einsicht angenommen zu werden. Der Akt der Annahme schließt Unterwerfung unter eine totale und hypostasierte Autorität ein. Der Ort, an dem die Offenbarung sich manifestiert - sei es die Hierarchie der Kirche, sei es die Bibel - , hat teil an dieser Autorität und wird selbst eine irrationale und unterdrückende Autorität. Muß das nicht notwendig so sein? Angenommen, es gäbe einen Ort, an dem Gott selbst spricht, müßte man nicht diesem Ort unbedingte Autorität zusprechen? Unterhöhlte es andererseits nicht den Begriff der Offenbarung, wenn man Offenbarung mit dem schöpferischen Prozeß in der Geschichte, mit der Entwicklung der menschlichen Kultur gleichsetzte? Wenn es überhaupt sinnvoll wäre, für eine solche Auffassung den Begriff Offenbarung zu gebrauchen, dann hätte Offenbarung sicherlich nur funktionale und beschränkte Autorität. Sie wäre ein Ausdrude der schöpferischen Möglichkeiten des Menschen. Aber die Religion kann diesen Ausweg nicht beschreiten, weil er der existentiellen Situation des Menschen widerspricht. Er steht im Widerspruch zu der Sehnsucht des Menschen nach einer göttlichen Macht, die imstande ist, seine existentiellen Konflikte zu überwinden. Offenbarung, so erfordert es die Reli63

gion, muß fraglose und unbedingte Autorität sein. Der Ort, an dem sie erscheint, muß eine letztgültige Sanktion haben und unerschütterliche Sicherheit geben. Muß der Mensch nicht, um diese Sidierheit zu erlangen, seine Autonomie aufgeben? Gibt es aus dieser beklemmenden Alternative einen Ausweg? Der erste Schritt dazu ist die Entwicklung eines Begriffs von Offenbarung, der sowohl autonome wie heteronome Autorität hinter sich läßt und überwindet.

V. Offenbarung ist die Manifestation des Seins- und Sinngrundes, sie vollzieht sich objektiv und subjektiv, in besonderen Ereignissen und besonderen Zuständen des Geistes. Es ist eine der Hauptaufgaben der Theologie, die Voraussetzungen und Folgerungen dieser Begriffsbestimmung herauszuarbeiten. Bei der Durchführung dieser Aufgabe sieht man, daß Offenbarung notwendig durch funktionale Autorität vermittelt wird. Es liegt keine echte Offenbarung vor, wenn sie mit dem Anspruch auf hypostasierte Autorität auftritt. Wahre Offenbarung und hypostasierte Autorität schließen einander aus. Wahre Offenbarung und funktionale Autorität bedingen einander. Als erstes läßt sich aus dem Charakter der Offenbarung, wie er eben beschrieben wurde, folgendes ableiten: Wenn Offenbarung verstanden wird als die Selbstmanifestation des Grundes unseres Seins, dann kann sie nicht im Widerspruch stehen zu unserem Sein und dessen freier Selbstbejahung. Im Gegenteil, sie muß das, was wir essentiell sind, offenbaren und bestätigen. Der Grund des Seins und Sinnes kann nicht das zerstören, dessen Grund er ist. Seine Manifestation ist weder irrational noch heteronom. Das bedeutet ferner, daß die Mittler von Offenbarung nicht identisch sind mit dem, was durch sie wirkt, nämlich das göttliche Mysterium, das, was uns unbedingt angeht. Sie vermitteln es, aber sie sind nicht identisch mit ihm. Es scheint durch sie hindurch, aber sie sind es nicht selbst. Der Ort, an dem das Heilige erscheint, ist geweiht, er ist aber nicht das Heilige selbst. Daraus ergeben sich unmittelbare Folgen für das Verständnis der Offenbarung. Offenbarung drückt sich für unser Erkennen in Symbolen aus. Der sprachliche Stoff, den wir in den religiösen Symbolen verwenden - Zeit, Raum, Gefühle, Wandlungen, Entscheidungen, Handlungen, Qualitäten, Ursachen usw. - , wird symbolisch transzendiert, d. h., die Wörter werden nicht vergewaltigt, aber sie stehen für etwas anderes, 64

das sich nicht in den Kategorien endlichen Denkens ausdrücken läßt. Und das ist entscheidend für das Problem von Autorität und Offenbarung. Keine Offenbarung hat das Recht, in die wissenschaftliche Erforschung unserer Welt einzugreifen. N u r eine in ihrem Wesen verzerrte Offenbarung könnte das Recht beanspruchen, kraft ihrer Autorität physikalische, psychologische oder geschichtliche Kenntnisse zu unterdrücken, deren Gültigkeit durch methodische Forschung und stete Überprüfung erwiesen ist. Eine solche irrationale oder totale Autorität ist der Offenbarung fremd. Diese Behauptung setzt selbstverständlich voraus, daß Offenbarung den Ort, an dem sie erscheint, sowohl unter prophetische wie unter rationale Kritik stellt. Ein Beispiel: Offenbarung muß imstande sein, die Kirche einer prophetischen und die Bibel einer historischen Kritik zu unterziehen. Setzt man aber einer dieser beiden kritischen Möglichkeiten autoritäre Schranken, haben wir es mit einer hypostasierten Autorität zu tun. Aus der Natur der Offenbarung ergibt sich aber noch eine dritte Konsequenz. Offenbarung ist immer auf eine bestimmte Situation bezogen. Sie ist stets Offenbarung für jemanden in dessen konkreter Wirklichkeit, d. h. der Betreffende hat teil an dem Ereignis, das für ihn Offenbarung ist. Deshalb ist es unmöglich, von der Situation der Offenbarung abzusehen und eine Offenbarungswahrheit als stets gültige Wahrheit jemandem aufzuerlegen, der außerhalb dieser Situation steht. Die Manifestation des Seins- und Sinngrundes als das, was uns unbedingt angeht, kann nur im Zustande des unbedingten Betroffenseins empfangen werden. Das gilt sowohl für die, die eine bestimmte Offenbarung erstmalig erfahren, wie für die, die später mit dem Inhalt dieser Offenbarung vertraut gemacht wurden. Sie alle haben an dem Offenbarungsereignis teil, und aus diesem Grunde sind sie keiner heteronomen Autorität unterworfen. Aber sie partizipieren an einer „partiellen" und „funktionalen" Autorität. Da Offenbarung keine Information ist, die sich verifizieren ließe, wodurch sie in gewisser Weise überflüssig wäre, sondern ein Ereignis mit geschichtlichen Folgen, schafft sie eine Überlieferung, die Autorität ausstrahlt. Tradition ist solange nicht heteronom, wie sie unbewußt und ohne kritische Reflexion angenommen wird. In diesem Bewußtseinszustand ist Tradition die Substanz des Lebens, in die man hineingeboren wird und in der man aufwächst. Ihre Autorität ist so gegeben wie die Wirklichkeit der Natur. Offenbarung - oder Tradition oder Autorität (alle drei Wörter wurden für ein und dasselbe gebraucht) - war der geistige Gehalt des frühmittelalterlichen Lebens. Als Anselm formulierte: Credo ut intelligam, verstand er unter Glau65

ben nicht einen subjektiven Akt geistiger Selbstaufgabe, sondern er bezog sich auf die Situation des Christen, der natürlicherweise an der Substanz der Kirche teilhat. Auf dieser Grundlage konnte die Vernunft ihre spekulative Arbeit beginnen. Aber eine solche Situation ist selten geworden in unserer Zeit. Bei den meisten unserer Zeitgenossen hat sich, oft in frühester Kindheit, ein Bruch mit der Tradition vollzogen. Wenn das geschehen ist, gibt es drei Wege: entweder Rückkehr zur Tradition und zu den Autoritäten, die sie repräsentieren, oder Protest, ein Protest, der aber immer noch abhängig ist von dem, wogegen er protestiert, oder eine freie schöpferische Aufnahme und Verarbeitung der Tradition. Bei der Erörterung dieser drei Wege müssen wir die ernste Frage stellen, ob nicht für viele, vielleicht die meisten Menschen, heteronome Autorität der einzige Weg ist, um eine begrenzte Schöpferkraft zu retten. Für diese Frage bieten vielleicht Versuche mit Hirnverletzten ein Modell der menschlichen Situation überhaupt: diese Menschen sind fähig, ein beschränktes und sogar glückliches Leben zu führen in einer vollkommen festgelegten und sicheren Situation, aber es bedeutet eine Katastrophe für sie, wenn nur eine dieser Bedingungen geändert wird (Kurt Goldstein). So kann man vielleicht sagen: Wir wollen den Menschen allseitig lenken und ihn sdiützen unter der Autorität eines Wahrheitssystems, das auf Offenbarung gegründet ist, ohne ihm Alternativen offen zu lassen. Und weil es keine einheitliche Tradition mehr gibt warum tun wir nicht, was Dostojewskis Großinquisitor empfiehlt und was die heutigen autoritären Systeme zu tun versuchen, nämlich alle abweidienden Traditionen ausrotten und verhindern, daß neue entstehen? Warum nicht den Menschen mit Hilfe des Terrors auf einen psychologischen Mechanismus reduzieren? Wenn wir dies nidit tun, wenn wir die Massen nicht in eine Tradition zurückzwingen, in der es keine Alternativen mehr gibt, dann stoßen wir sie in ein Vakuum, das von einer Freiheit geschaffen ist, die sie nicht zu nutzen verstehen. Und wiederum ist die Frage: Gibt es einen Ausweg aus dieser Alternative? Ist Offenbarung dieser Ausweg, und wenn ja, in welchem Sinne? VI. Jede Offenbarung enthält Prinzipien der Kritik gegenüber dem Anspruch auf totale Autorität. Das gilt in bezug auf die Kirche, die Bibel, ja es gilt sogar für das Fundament der Kirche, den Christus, und es gilt auch für die Quelle der Offenbarung, Gott. Wie ist eine solche Behauptung zu verstehen? 66

Die Autorität der Kirche ist menschlich bedingt und steht unter dem Gericht Gottes. Kein Seiendes kann sich anmaßen, das Göttliche selbst zu sein. Die Kirche steht unter dem Gericht, d. h. nicht nur die Menschen, aus denen sie sich zusammensetzt, sondern ebenso auch ihre Institutionen und Dogmen. Nichts - auch nicht die eigene Kirche - ist identisch mit Gott. Das ist der Sinn des protestantischen Prinzips, das die Botschaft der Propheten wieder aufnimmt. Der prophetische Geist zerbricht die kirchliche Heteronomie. Der Protestantismus hat das autoritäre System der römischen Kirche durch die Kraft der biblischen Botschaft durchbrochen, in der die Reformatoren das protestantische Prinzip und das prophetische Gericht gegen die römische Kirche fanden. Aber bald wurde die Bibel selbst zu einem autoritären Prinzip, das oft noch erdrückender war als die Kirche selbst, weil die tatsächlichen Autoritäten, nämlich die offiziellen Bekenntnisse und die orthodoxe Theologie, sich hinter der Bibel verschanzten. Sie ersetzten, ohne es zu sagen, die Autorität des Papstes durch die Autorität der Bibel. Dadurch gerieten sie in Widerspruch zum protestantischen Prinzip und riefen eine Revolte nach der anderen hervor; die letzte und radikalste war die historische Kritik an der Bibel. Für viele Menschen haben diese Revolten die Autorität der Heiligen Schrift zerstört. Das konnte nur geschehen, weil man nicht verstand und auch heute noch nicht versteht, daß das protestantische Prinzip jede hypostasierte und totale Autorität als götzendienerisch ablehnt. Die Autorität der Bibel ist anderer Art, sie verwirklicht sich in der konkreten Begegnung der Kirche mit der biblischen Botschaft, und aus dieser Begegnung wird die Norm abgeleitet, nach der die Bibel interpretiert wird. Die Autorität der Bibel ist funktional und partiell und dem protestantischen Prinzip und seiner Kritik an jeder Abgötterei unterworfen. Es wird immer mehr üblich, in Bekenntnissen und Liturgien von Christus als dem „Herrn" zu sprechen. In der Wahl dieses Wortes liegt eine autoritäre Tendenz, die im Neuen Testament nicht vorhanden ist. Wenn das Neue Testament das griechische Wort kyrios gebraucht, verbindet es die Bedeutung von „Herr" im Sinne des Alten Testaments mit der Bedeutung von „Herr" im Sinne der Mysterienreligionen. Die Formel „im Herrn sein", die Paulus oft gebraucht, steht jedoch im Gegensatz zu einer heteronomen Auslegung des Wortes „Herr". Kyrios ist ein Name für Gott, aber nicht für ein individuelles Wesen, das totale Autorität ausübt. Nach dem vierten Evangelium ist es Gott, der spricht, wenn immer Jesus spricht, aber es sind nicht die individuellen Eigenschaften Jesu, deren Autorität in der Kirche anerkannt werden 67

müßte; sie sind das, was Paulus den »Christus nach dem Fleische" nennt, und sie werden am Kreuz geopfert. Deshalb sind uns weder Jesu jüdische Erziehung noch seine ethischen Prinzipien noch seine Weltanschauung noch seine Frömmigkeit hypostasierte Autorität. Sonst würde durch den Glauben an ihn eine heteronome Tyrannei errichtet, eine totale und irrationale Autorität, der gegenüber Auflehnung die notwendige Haltung wäre. Aber nach Paulus erkennen wir Christus gar nicht auf diese Weise. Wir erkennen ihn „nach dem Geist", d. h. als die Macht, an der wir teilhaben, und Teilhabe schließt heteronome Autorität aus. In der Religionsgeschichte im allgemeinen und in der Kirdiengeschichte im besonderen hat das Prinzip des Heiligen Geistes immer eine antiautoritäre Funktion ausgeübt. Das ist der Grund, warum die autoritäre Kirche stets vor allen spiritualistischen Bewegungen auf der Hut ist und warum die christliche Kirche sehr früh die Macht des Geistes durch die Autorität des Amtes ersetzt hat. Das war freilidi nie von dauerndem Erfolg, denn Gott ist Geist und bricht durch die Wälle, die durch das kirchliche Amt errichtet werden. Und selbst gegen Gott richtet sich der Angriff - und zwar der Hauptangriff - der Offenbarung, wenn er, wie die Tiefenpsychologie gezeigt hat, als Projektion des Vaterbildes erscheint. Die heteronome Autorität eines höchsten, allmächtigen, allwissenden, vollkommenen Wesens, Ursache alles dessen, was ist und sein soll, scheint keinen Widerspruch zu dulden. Seine anderen Eigenschaften, nämlich Liebe und Barmherzigkeit, nehmen sich verhältnismäßig schwach aus in diesem Bilde eines Herrn, der seine Liebe abhängig macht vom Gehorsam gegenüber seinem Willen und seine Barmherzigkeit von der völligen Selbstpreisgabe. Wenn immer Gott sich als Gott offenbart, nämlich als der unbedingte, letzte, unerforsdiliche Herr über Leben und Tod, als Herr des Seins und Sinnes, dann offenbart er sich als eine Autorität, die total und absolut ist. Der Unbedingtheitscharakter des Unbedingten, die Göttlichkeit des Göttlichen, die im ersten Gebot und in jeder Verkündigung der prophetischen Religion zum Ausdruck kommt, scheint die mensdiliche Autonomie völlig zu vernichten. Der Mensch scheint einem Gesetz unterworfen, dem er lediglich zu gehorchen hat, das er nicht ändern kann und das ihm keinerlei schöpferische Freiheit läßt. Einem solchen Absoluten gegenüber kann es nur Furcht, Reue, Gehorsam, Demut und Selbstverneinung geben. Wird diese Haltung nicht bejaht, dann bleibt nur die gegensätzliche Haltung übrig, nämlich Feindseligkeit, Verhärtung, Flucht, Selbstbehauptung. Nietzsche verrät die Gefühle eines protestantischen Pfarrersohnes, dessen Leben vom Bild eines solchen 68

Gottes bedroht ist, wenn er schreibt: „Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter." „Gott ist tot." Das ist der äußerste Ausdrude einer antiautoritären Auflehnung gegen Gott. Aber ist dieser Gott der Gott der Offenbarung? Er ist es nicht! Der dämonische Gott, den Nietzsche nicht ertragen konnte und der immer wieder in der Geschichte der Religion erscheint, ist ein Wesen neben anderen, das höchste Wesen zwar und mit einem absoluten Anspruch und darum ein polytheistischer Gott. Selbst wenn er der letzte ist, nachdem alle anderen besiegt sind - er ist ein Dämon mit einem göttlichen Namen. Er ist in der Tat das Prinzip jeglicher heteronomer Autorität, er steht hinter allen anderen heteronomen Autoritäten - vom Familientyrannen bis zum Tyrannen, der die Welt erobert. Sic sind sein Abbild und er ist ihr Vorbild, und die Massen akzeptieren dieses Bild. Sie erschaffen es in ihrem Inneren als einen Ausdrude ihrer Angst. Luther sagt: „Wie du ihn glaubst, so hast du ihn" - entweder den zornigen Gott, den niemand ertragen kann, oder den Gott, der an unseren Nöten teilnimmt, der sich für uns klein macht, klein wie ein Kind. Wie ist das möglich? Weil Gott nicht ein Seiendes ist, sondern der Grund alles Seienden, weil er als der schöpferische Grund alles Seienden auch der Grund meines Seins ist und nicht gegen mich steht. In meiner Selbstbejahung bejaht er sich selbst. Indem er an mir teilhat, ist Autorität hinfällig geworden. Das, was in mir Gott töten will, ist Gott selbst, nämlich der Grund meines Seins und Sinnes - meiner Selbstbejahung. Man könnte dies den „Gott über Gott" nennen, das heißt über jenem Gott, der ein höchstes Wesen und die Ursache jeder heteronomen und hypostasierten Autorität ist. Der wahre Gott, der Gott über jedem Gott, der ein Wesen ist, befreit uns von der totalen Autorität auch des höchsten polytheistischen Gottes, der in Wahrheit ein Dämon ist. Wahrheit befreit, weil sie uns an ihr teilhaben läßt. Die Wahrheit der Offenbarung ist die Wahrheit jenes Gottes, der an uns teilhat. Und das tiefste Symbol für diese Teilhabe ist „der Christus". Offenbarung ist der ständige Kampf gegen dämonische Autorität, eine Autorität, die den Menschen zu zerbrechen sucht, um ihn zu retten. Aber nur der ist gerettet, der frei ist und durch dessen Selbstbejahung Gott sich selbst bejaht.

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WORT

GOTTES

I. Der Ausdruck „Wort Gottes" sollte eigentlich immer in Anführungszeichen gesetzt werden, sogar im mündlichen Gebrauch. Das ist besonders zu beherzigen in einer Untersuchung über den Menschen und seine Sprache, das Thema meines Beitrags zu dem vorliegenden Budi Denn übersehen wir die Notwendigkeit der Anführungszeichen, leisten wir dem Mißverständnis Vorschub, daß Gott eine eigene Sprache habe und die heiligen Schriften der Religionen eine Übertragung der göttlichen Worte in die menschliche Sprache seien. Aber selbst wenn man eine solche Absurdität ausschließt, könnte man auf den Gedanken kommen, daß es in der mündlichen Oberlieferung und in der Literatur bestimmte Worte gebe, die von Gott selbst gesprochen sind, während alle übrigen sprachlichen Zeugnisse davon ausgeschlossen sind. Beispiele für eine solche Anschauung sind der theologische Fundamentalismus und der primitive Biblizismus, die die Summe der Worte, die sich zwischen den beiden Deckeln eines Buches - der Bibel - befinden, mit dem „Wort Gottes" gleichsetzen. Einem solchen Mißverständnis ist mit allem Nachdruck entgegenzuhalten, daß der Begriff „Wort Gottes" symbolischen Charakter hat wie alles, was der Mensch von Gott sagt. Worte gebraudien, Sprache haben ist ein Wesenszug des menschlichen Geistes. Ohne Übertreibung können wir sagen: Erst die Sprache macht den Menschen zum Mensdien. Mit der Sprache sind ihm seine Vernunft und seine Freiheit gegeben. Durch das Wort erfaßt er die Wirklichkeit; durch das Wort bringt er die verborgenen Tiefen seiner Persönlichkeit zum Ausdruck und madit sie dadurch mitteilbar. Erst das Wort ermöglicht Gemeinschaft zwischen den Menschen, und nur in der Gemeinschaft findet der Mensch das Wort und wird er Mensch, ein Wesen mit Vernunft und Freiheit. Ein Gott, dem das Wort nicht zu Gebote stünde, wäre weniger als der Mensch. Aber Gott als der schöpferische Grund des Menschen und seiner Welt kann nicht weniger sein als sein Geschöpf. Er muß der Grund von Wort, Vernunft, Freiheit und Persönlichkeit sein. Deshalb hat die antike Welt - das Griechentum, das Judentum und die frühe 1

Siehe die bibliographischen Anmerkungen auf S. 336

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Christenheit - dem logos, dem dabar, dem verbum, das Gott zukommt, Göttlichkeit zuerkannt. Die menschliche Erfahrung, das Wesen zu sein, das über das Wort verfügt, lieferte die Grundlage für das Symbol „Wort Gottes." Wenn man sagt, daß das „Wort Gottes" ein Symbol ist, so schmälert man damit nidit seine Wahrheit und Bedeutung. Anders als das Zeichen nimmt das echte Symbol teil an der Wirklichkeit dessen, was es symbolisiert. Das „Wort Gottes" bezieht sidi auf eine Wirklichkeit, aber nicht auf die Wirklichkeit, die gemeint ist, wenn man den Begriff wörtlich nimmt. Gott ist nicht jemand, der zu sich und zu seinen Geschöpfen in Worten spricht, die ein Objekt erfassen sollen und von einem Subjekt zeugen. Gott offenbart sich vielmehr in ekstatischen Erfahrungen, und wem eine solche Erfahrung zuteil wird, der faßt sie in Worte, die auf die göttliche Selbst-Offenbarung hinweisen. Diese Worte und die göttliche Selbst-Offenbarung, der sie Ausdruck geben, sind „Wort Gottes." Der Grund unseres Seins ist nicht stumm, aber er spricht nicht die Sprache endlicher Wesen, nicht einmal die Sprache jener Wesen, die „Gottes Ebenbild" genannt werden. Gott spricht nicht ihre Sprache, aber er spricht zu ihnen durch ihre Sprache. Gott offenbart sich ihnen, und sie gebraudien symbolische Worte, um seine Offenbarung erfassen und mitteilen zu können. „Wort Gottes" ist das notwendige und angemessene Symbol für den Vorgang, in dem sich der Seinsgrund dem Menschen offenbart. II. Für diese Auffassung vom „Wort Gottes" als einem Symbol spricht die religiöse und theologische Überlieferung, die den Begriff mannigfach verwendet. Wir können sedis verschiedene Bedeutungen unterscheiden, in denen „Wort Gottes" als Symbol für die göttliche Selbstoffenbarung gebraucht wird. Diese sechs Bedeutungen lassen sich in einer Hierarchie ordnen, die mit dem Mysterium des göttlichen Lebens, dem Mysterium des Seins selbst, beginnt und mit der alltäglichen Sprache endet, die das Mysterium des Seins meist verbirgt, manchmal aber auch enthüllt. „Wort Gottes" kann verstanden werden und ist verstanden worden als das „innere Wort", mit dem Gott zu sich selbst spricht und in dem er sich selbst begreift. Eine solche Aussage hat höchst symbolischen Charakter, aber sie läßt sich nach dem Satz des Parmenides verstehen, demzufolge da, wo Sein ist, auch der logos des Seins ist, das heißt, das „Wort", in dem sich das Sein selbst erfaßt. Das ist die Grundlage für die diristlidie Lehre von der Trinität, die ebenfalls das Heraustreten 71

Gottes aus sich selbst und seine Wiedervereinigung mit sich selbst in symbolischen Begriffen beschreibt. Sie ist eine Beschreibung des Lebens in seiner Polarität von Dynamik und Form und bildet die Grundlage von Philosophien, wie sie zum Beispiel Schelling, Whitehead und Heidegger in ihrer Spätzeit entwickelt haben. Sie bedeutet, sehr einfach gesagt, daß das Sein nicht nur verborgen, sondern auch offenbar ist und daß es zuerst sich selbst erscheint. „Wort Gottes" in diesem Sinne ist der symbolische Ausdruck für jenes Element im Seinsgrund, das sein ewiges Schweigen bridit und Leben und Geschichte möglich macht. Das führt zur zweiten Bedeutung des Symbols „Wort Gottes". Sie beruht auf der Manifestation Gottes, die der Existenz eines endlichen Universums zugrundeliegt: dem Schöpfungswort. Wenn es im Johannesevangelium heißt, daß alle Dinge vom logos geschaffen sind, der ewig bei Gott ist, so ist das ein Hinweis auf den Übergang der Selbstmanifestation Gottes zu seiner Manifestation im Universum. Die Welt wird durch „Gottes Wort" erschaffen. Diese symbolische Aussage bedeutet, daß die Struktur des Universums abhängig ist von der göttlichen Selbst-Offenbarung, seiner ewigen und ursprünglidien Form. In dieser Aussage liegt aber noch mehr. Sie weist auf den geistigen Charakter in der Beziehung zwischen dem Grund des Seins und allem Seienden. Das Universum ist nicht das Ergebnis einer natürlichen Emanation aus einer göttlichen oder dämonischen Substanz oder aus beidem, sondern es hat den Charakter einer geistigen Bejahung des Endlichen durch seinen unendlichen Grund. Das Symbol „Schöpfung durch das Wort" gewährleistet die Freiheit des Geschöpfes von seinem schöpferischen Grund. Der Mensch ist frei für Gut und Böse und fähig zur Sünde und zur Erlösung. »Wort Gottes", so verstanden, ist die Grundlage für das geschichtliche Denken des christlichen Abendlandes. Die dritte Bedeutung des Symbols „Wort Gottes" beruht auf einer geschichtlichen Deutung des Universums. Das Wort, durch das die Welt erschaffen ist, erscheint in der Geschichte. Es erscheint auf zweierlei Weise: als Inspiration und als Inkarnation. Es inspiriert die Propheten, deren Worte in menschlicher Sprache ausdrücken, was sie vom göttlichen logos empfangen haben: die göttliche Selbstbekundung in der menschlichen Geschichte. Inspiration bedeutet nicht: göttliches Diktat. Sie bedeutet nicht, daß den vom Geist Inspirierten durch göttliche Autorität Worte eingegeben werden, so daß ihre eigenen Worte zugleich die Worte Gottes sind, sondern Inspiration bedeutet, daß die ekstatische Erfahrung des Grundes unseres Seins in unser gewöhnliches Bewußtsein einbricht und das Bewußtsein „außer sich" bringt, ohne jedoch seine natürliche Struktur zu zerstören. Das ist gemeint, wenn 72

das Alte Testament sagt, daß Jahwe in das Ohr der Propheten sprach. Die Worte, die von den Propheten später gesprochen und aufgezeichnet wurden, sind nicht „von Gott inspirierte Worte", sondern Worte, die sie einer Inspiration verdankten. Die andere Weise, in der das „Wort Gottes" in der Geschichte erscheint, ist die Inkarnation. Im Heidentum bedeutet Inkarnation Selbstmanifestation eines göttlichen Wesens in einer endlichen - untermenschlichen oder menschlichen - Gestalt. Im Christentum bedeutet sie die einzigartige göttliche Selbstmanifestation in dem Menschen Jesus von Nazareth, der deshalb das „fleischgewordene Wort" genannt wird. Im Gegensatz zur prophetischen Erfahrung der Inspiration ist das Sein Jesu als solches „das göttliche Wort". Nicht seine Worte, sondern er selbst ist das „Wort Gottes". Seine Worte sind nur eine von vielen Ausdrucksformen seines Seins; sein Sein ist Träger des Wortes, des Prinzips der göttlichen Selbstoffenbarung. Eine der häufigsten Mißverständnisse im Christentum besteht in der Gleichsetzung der Botschaft Jesu mit seinen Worten und der Worte Jesu mit „Wort Gottes". Aber die klassische christliche Theologie wußte: Jesus als der Christus ist das „Wort Gottes", und das umfaßt sowohl sein Tun und Leiden wie seine Worte. Nichts zeigt den Symbolcharakter des Begriffes „Wort Gottes" überzeugender als die Tatsache, daß von einem Menschen ausgesagt wird: Er ist das „Wort Gottes".

III. Die drei bisher erörterten Bedeutungsebenen, die das „Wort Gottes" haben kann, stellen eine Einheit dar. Sie symbolisieren das transzendente Fundament dessen, was „Wort Gottes" genannt wird. Es gibt drei weitere Ebenen, die ebenfalls eine Einheit darstellen: sie symbolisieren die göttliche Selbstoffenbarung durch das mensdiliche Wort. Im Zusammenhang mit der Erörterung von Inspiration und Inkarnation haben wir diese Ebenen bereits vom Gesichtspunkt der göttlichen Selbstoffenbarung aus berührt. Nun müssen wir sie von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten, nämlich dem der Aufnahme und der Wiedergabe der göttlichen Selbstoffenbarung durch den Menschen. In der biblisdien Literatur wird der Begriff „Wort Gottes" einerseits für die Predigt der christlichen Botschaft gebraucht und andererseits für jedes Wort oder Ereignis, das in einer besonderen Situation einem Menschen zum „Wort Gottes" werden kann. In manchen Gottesdiensten beschließt der Geistlidie die Schriftlesung 73

mit den Worten: „Möge Gott das Lesen seines heiligen Wortes segnen!" Für eine nachdenkliche Gemeinde könnte nichts irreführender sein als dieser Satz, denn in ihm wird „Wort Gottes" mit den Worten der Schrift gleichgesetzt. Er beschränkt die verschiedenen Bedeutungen, die der Begriff „Wort Gottes" haben kann, auf eine einzige und verwischt den Unterschied zwischen dem „göttlichen Wort", wie es den Propheten und Aposteln in ihrem Zustand der Inspiration zuteil wurde, und den menschlichen Worten, in denen sie ihre ekstatischen Erfahrungen später ausgedrückt haben. Die Sprache der Bibel ist weder göttliche Sprache noch eine von Gott diktierte menschliche Sprache. Die Sprache der Bibel ist der menschliche Ausdruck für die offenbarende Ekstase, die die Schreiber der Bibel erfuhren. Sie drücken ihre Erfahrung auf menschliche Weise aus, jeder in seiner eigenen Sprache. Und jede dieser Sprachen ist geformt von ihrer Geschichte und den unzähligen Einflüssen, von denen eine jede geschichtliche Wirklichkeit bestimmt ist. Gott spricht in den Büchern der Bibel durch Menschenworte. Aber diese Worte sind zugleich „Gottes Wort", sofern sie als göttliche Selbstoffenbarung von Menschen aufgenommen worden sind. Das gilt von beiden Formen der Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte, von der Inspiration und der Inkarnation. Den biblischen Schriften liegt die Erfahrung der Inspiration zugrunde, wie sie den Propheten und Aposteln zuteil wurde. Das Neue Testament gründet in dem „Wort, das Fleisch ward", dessen erstes und entscheidendes Zeugnis es ist. Es ist die Urkunde vom Erscheinen des „Wortes Gottes", das sich in einem persönlichen Leben manifestiert und nicht nur in einem Erlebnis der Inspiration. Denen, die die Botschaft von Jesus als dem „fleischgewordenen Wort" annehmen, wird das Neue Testament dadurch in einem besonderen Sinne zum „Wort Gottes". Aber selbst für sie ist die Bibel nicht „Wort Gottes" aufgrund eines „göttlichen Diktats", sondern wegen ihres Zeugnis-Charakters für das Ereignis „Jesus der Christus". Diese Botschaft ist es auch, die die Worte des Predigers zum „Wort Gottes" macht. Wenn der Geistliche die Kanzel betritt, beabsichtigt er, der Gemeinde das „Wort Gottes" zu predigen. Das läßt zwei Deutungen offen, eine objektive und eine subjektive. Die objektive besagt: wenn der Prediger die christliche Botschaft verkündet, so hat er das „Wort Gottes" gepredigt, wobei es bedeutungslos ist, wie es auf die Gemeinde wirkt. Wenn er die Botschaft unverfälscht wiedergibt und fähig ist, die Lehre rein, vollständig und ohne Abweichung auszudrücken, dann predigt er das „Wort Gottes." (Im Protestantismus ist „Wort Gottes" identisch mit der Botschaft der Bibel; im Katholizismus mit der Botschaft, die durch die Bibel und die Tradition verkörpert ist.) 74

Eine derartige Auffassung vom „gepredigten Wort Gottes" liegt auf der Linie der klassischen Orthodoxie. Sie ist vollkommen objektivistisch. Die andere Auffassung vom „gepredigten Wort Gottes" ist subjektivistisch und besagt, daß die Predigt dem, der sie vernimmt, zum „Wort Gottes" werden kann. Nach dieser Auffassung ist es nicht der objektive Inhalt der Predigt, der sie zum „Wort Gottes" macht. Sie muß zum Hörer sprechen als eine Selbstoffenbarung Gottes, die ihm zuteil wird. Sie muß den Hörer „existentiell" treffen, damit sie ihm zum „Wort Gottes" wird. Das bedeutet, daß eine Predigt oder eine andere kirchliche Handlung einem Menschen zum „Wort Gottes" werden kann, aber nicht notwendigerweise werden muß. Diese subjektivistische Auffassung vom „gepredigten Wort Gottes" führt zum letzten Schritt dieser ganzen Analyse. Wenn irgendeine Predigt unabhängig von ihrem Inhalt einem Menschen zum »Wort Gottes" werden kann, dann ist die Grenze zwischen dem Sprechen der Kirche und jedem anderen Sprechen verschwunden. Jedes Wort und jedes Ereignis kann einem Menschen in einer besonderen Situation zum „Wort Gottes" werden. Wird es als Selbstoffenbarung Gottes erfahren, dann ist es „Wort Gottes" für den, der sie erfährt. Auf diese Weise kann alles in Natur und Kultur ein möglicher Träger des „Wortes Gottes" sein. Ein Mensch kann den letzten Sinn des Seins in einem zufälligen Gespräch erfahren oder in der Begegnung mit einem Menschen, in einem philosophischen Text, einem Kunstwerk, einem politischen Ereignis. Wenn das geschieht, dann hat er durch diese Medien das „Wort Gottes" vernommen.

IV. Wenn das „gepredigte Wort Gottes" in seiner subjektiven Bedeutung so weit gefaßt wird, müssen wir fragen: Wie verhält sich diese subjektive Bedeutung zu der objektiven Bedeutung, wie sie vorher beschrieben wurde? Wie verhalten sich das Wort der Inspiration und das Wort, das Fleisch ward, wie das biblische Wort und die Botschaft der Kirche zueinander? Wenn alles einem Menschen in einer besonderen Situation zum „Wort Gottes" werden kann, ist dann überhaupt etwas Objektives nötig? Man kann diesen Einwand stützen mit einem Hinweis auf die Lehre vom „inneren Wort Gottes" - Gott kann unmittelbar und ohne Umweg zum Menschen sprechen, unabhängig von einer objektiven Manifestation. Im Christentum wurde diese Auffassung von den Schwärmerbewegungen spiritualistischen und mystischen Gepräges 75

vertreten. Sie folgten hierin einer großen Tradition, nämlich all jenen, die das „Wort Gottes" als das „innere Wort" verstanden, die unmittelbare Erfahrung der Gegenwart Gottes im Innersten der Seele. Sie beschrieben sie mit Worten, die große Ähnlichkeit haben mit den Ausdrücken, die auch für das äußere „Wort Gottes" verwendet wurden, wie „Stimme", „Eingebung", „logos". Aber sie verbanden sie mit anderen Ausdrücken wie „Same", „Geist", „Burg", „Funken" in der Seele. Der Kampf zwischen Fürsprechern und Widersachern des „inneren Wortes" war vor allem in der Reformationszeit sehr hitzig und führte zunächst dazu, daß die Lehre vom „inneren Wort" und deren Anhänger unterdrückt wurden. Aber das änderte sidi allmählich. Das „innere Wort" der Schwärmer aus der Reformationszeit wurde immer stärker säkularisiert, und es wurde im 18. Jahrhundert zum Prinzip der Vernunft in der Philosophie und Theologie der Aufklärung. Gemäß der Anschauung jener Zeit gibt es in jedem Menschen ein „inneres Wort Gottes", nämlich die rationale Struktur seines Geistes, kraft derer er die letzten Seinsprinzipien erkennen und eine rationale Theologie, Ethik und Logik entwickeln kann. Nach dem Sieg des Empirismus und Positivismus im 19. Jahrhundert indes verschwand auch dieser säkularisierte Gebrauch des Symbols vom „Wort Gottes". Weder das „äußere" noch das „innere" Wort Gottes besaßen für die typischen Vertreter jener Zeit irgendwelche Bedeutung. Das war nicht bloß eine terminologische Wandlung, es war ein Fortschreiten der Säkularisierung über das 18. und frühe 19. Jahrhundert hinaus. Solange die logischen und ethischen Prinzipien, mit denen der menschliche Geist der Wirklichkeit begegnet, in ihrer Gültigkeit anerkannt waren, besaßen sie etwas von der Autorität und Weihe, die dem Begriff „inneres Wort" zugeschrieben wurden. Als man aber die unmittelbare Gültigkeit dieser Prinzipien durch die Methoden der wissenschaftlichen Beweisführung ersetzte, verschwand jegliche Beziehung zum „Wort Gottes". Der Mensch war nun völlig auf sich gestellt. Nichts wurde ihm gegeben, nichts ihm gesagt, nichts in ihn gelegt. Nach dieser Auffassung schuf der Mensch mittels Erfahrung und Schlußfolgerung die Normen seines Denkens und Handelns. Dies blieben fragwürdige Versuche. Es ist verständlich, daß in Abwehr gegen die Versuche einer Neuinterpretation das „Wort Gottes" antirational, supranatural und transzendent wurde. Das geschah in den zwanziger Jahren unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, als eine Theologie entstand, die nicht nur den modernen Positivismus beiseiteschob oder verwarf, sondern weit mehr noch jede Form des Rationalismus, und die höchst leidenschaftlich die 76

Lehre vom „inneren Wort" bekämpfte. Es ist die sogenannte neuorthodoxe Theologie; sie ist vornehmlich mit dem Namen von Karl Barth verbunden, der eine neue „Theologie des Wortes" zu schaffen versuchte. Diese Theologen verfochten im Gegensatz zu den Vertretern der Lehre vom „inneren Wort" den transzendenten, supranaturalen und einzigartigen Charakter des „Wortes Gottes". Gottes Wort kommt zu uns, es steht gegen uns, es übersteigt alle menschlichen Möglichkeiten. Der Ort, an dem man es findet, ist die Bibel, und deren Inhalt ist die Botschaft vom Christus. Das „Wort Gottes" wird wieder mit dem inspirierten Wort der Bibel gleichgesetzt, zwar nicht unbedingt mit den biblischen Worten, aber mit der Botschaft der Bibel von Jesus als dem Christus. Die Theologen dieser Schule nennen ihre Haltung die „Theologie des Wortes". Sie mißtrauen den Theologien des Sakraments und verwerfen Mystik und Humanismus. Das Wort, das Gott spricht, ist gegen den Menschen gesprochen. Es hat keinen Berührungspunkt im Menschen. Es kann nur angenommen oder verworfen werden. Aus dieser Interpretation des „Wortes Gottes" folgt als negative Konsequenz, daß in der Praxis der protestantischen Kirchen die Theologie des Wortes oft zu einer „Theologie der Worte" wird. Wenn das „Wort Gottes" mit dem gesprochenen Wort der Bibel und der Kirche gleichgesetzt wird, statt als symbolischer Ausdrude aller göttlichen Selbstoffenbarungen verstanden zu werden, dann läßt sidi diese Verkehrung kaum vermeiden. V. Wir müssen nun fragen: Was ist das Wesen dessen, was „Wort Gottes" genannt wird? Nur aufgrund einer solchen Betrachtung läßt sich die Frage beantworten, die mit der Vorstellung vom „inneren Wort Gottes" verbunden ist. In den biblischen Schriften hat das „Wort Gottes" eine Macht, wie sie kein anderes Wort hat. Es dringt in die Tiefe der Seele, es richtet, wo kein menschlicher Richter urteilen kann, es treibt zur Verzweiflung und gibt Gewißheit, es droht und verheißt, es verdammt und erlöst. Wenn immer es gehört wird, geht das „Wort Gottes" den, der es vernimmt, unbedingt an. Man hat es mit dem Blitz, mit einem Schwert, einem brennenden Feuer, einem Erdbeben verglichen. Es stellt die gewöhnlidie Existenz des Mensdien völlig auf den Kopf. Niemand kann sagen, wann und wo es sich ereignen wird. Es ist an keine Situation gebunden, aber es bricht in jede Situation ein. Das „Wort Gottes" zielt nicht auf Unterrichtung und Information, sondern auf Verwandlung und Sinnesänderung. Wie alles Geistige ist 77

es mit Erkenntnis verknüpft. Es offenbart etwas vom Mensdien und seiner Welt und vom Verhältnis des Mensdien zum Grunde seines Seins. Aber das Offenbarungswort vermittelt keine theoretisdie Wahrheit, die sich von seiner erschütternden und umwandelnden Kraft abtrennen ließe. Das „Wort Gottes" antwortet existentiell auf existentielle Fragen. Es duldet keine rein theoretisdie Betrachtung. Wer von Gott „ein Wort" empfängt, ist mit der ganzen Existenz in seine Wahrheit hineingezogen. Und wenn er es verwirft, so ist dies kein theoretisches Verwerfen aufgrund von Beweisen, sondern ein existentielles Verwerfen: ein Widerstand gegen den Inhalt des »Wortes" oder eine Abkehr von ihm. Theoretisdie Kritik ist möglich und notwendig, wo immer rationale Elemente im Spiel sind und dogmatisch als „Gottes Wort" ausgegeben werden. Aber der dogmatische Ausdruck ist zweitrangig gegenüber dem „Wort Gottes" selbst. Diese Überlegungen geben uns eine Antwort auf die Frage nach dem objektiven Kriterium für das, was „Wort Gottes" ist. Die Antwort ist ganz einfadi und zugleidi unerschöpflich. Ein „Wort von Gott" ist immer auch ein „Wort über Gott". „Wort Gottes" bedeutet, wenn der Genitiv in diesem Begriff nicht einseitig verstanden wird, nicht nur ein Wort, das von Gott kommt, sondern auch ein Wort, das Gott betrifft. Kein Wort über den Mensdien und seine Welt als solche kann „Wort Gottes" sein. Aussagen, die die Natur als solche, ihre Gesetze und ihre Struktur betreffen, Aussagen über die Geschichte als soldie, ihre Tatsadien und Bewegungen, über den Menschen als solchen, seine biologische und psychologische Natur, können nicht „Wort Gottes" sein. Aber Aussagen über Natur, Geschichte, Mensch können „Wort Gottes" sein, wenn sie diese Wirklichkeiten in Beziehung zur letzten Wirklichkeit setzen. Natur, geschaffen von Gott, Geschichte, gelenkt von Gott, der Mensch, gerichtet und erlöst von Gott - das alles sind Aussagen, die als „Wort Gottes" auftreten können. Deshalb kann „Wort Gottes" niemals mit wissenschaftlicher Erkenntnis in Konflikt kommen. Nur wenn es gleichgesetzt wird mit dem menschlichen Wort, durch das es zur Sprache kommt, so wie das bei den Worten der Bibel der Fall ist, sind Konflikte unvermeidbar. Die historischen und wissenschaftlichen (oder vorwissenschaftlichen) Aussagen eines religiösen Textes sind das Material, das von denen, die ein „Wort Gottes" empfangen haben, für ihre Aussage gebraucht wird, das Material ist aber nicht Teil des „Wortes Gottes" selbst. Die Dimension, aus der heraus und in die hinein das „Wort Gottes" spricht, ist nicht die Dimension der rationalen Beobachtung und Analyse. Damit ist im Prinzip ein Konflikt zwischen beiden ausgeschlossen. 78

Ein Konflikt ist jedoch unvermeidlich, wenn der Anspruch einer Gruppe oder eines Einzelnen, das „Wort Gottes" empfangen zu haben, zu dem Anspruch anderer Gruppen oder anderer Individuen in Widerspruch steht. Dann erhebt sich drängend die Frage nach objektiven Kriterien, um entscheiden zu können, was ein „Wort Gottes" sei. Aus dem existentiellen Charakter des „Wortes Gottes" folgt einleuchtend, daß ein solches Kriterium nicht von außerhalb der Offenbarungserfahrung gewonnen werden kann. Es gibt keinen „neutralen Beobachter" der Selbstoffenbarung Gottes. Die Kriterien, an denen gemessen der Anspruch erhoben wird, das „Wort Gottes" zu haben, sind Teil des „Wortes" selbst für die, die es empfangen. Daraus folgt, daß kein religiöser Anspruch einen anderen Anspruch zurückweisen kann, es sei denn mittels Kriterien, die von der anderen Religion ebenfalls anerkannt werden. Ist das aber der Fall, dann ist nicht Verwerfung, sondern Einigung unter dem gemeinsamen Kriterium möglich. Das Christentum glaubt, dieses universale Kriterium zu besitzen, und glaubt daher an die Möglichkeit, alle Religionen unter seinem Kriterium, dem „fleischgewordenen Wort", einen zu können. Das ist freilich keine Sache der Beweisführung und des logischen Denkens, sondern Sache weltgeschichtlicher Entwicklungen, auf die man im Wagnis des Glaubens hoffen kann, die sich aber nicht beweisen lassen.

VI. Wenn das „Wort Gottes" notwendigerweise ein Wort über Gott in sich schließt, dann muß seine sprachliche Form das Symbol sein, denn über Gott kann nur symbolisch gesprochen werden. Indem Gott sich offenbart, schafft er Symbole und Mythen, durch die er erkennbar wird und durch die sich der Mensch ihm nähern kann. „Wort Gottes" ist selbst ein solches Symbol, es ist das zentrale Symbol für die Weise der göttlichen Selbstoffenbarung. Das religiöse Symbol ist die Form des Sprechens über Gott. Gewiß bilden die Worte über Gott nur ein Element im „Wort Gottes". Daneben gibt es noch die zum Menschen gesprochenen Worte, die sich der nicht-symbolischen Sprache der Gebote, Drohungen und Verheißungen bedienen. Aber auch in ihnen verschwindet niemals der symbolische Hintergrund. Die Tatsache, daß Gott als sprechend gedacht wird, schafft eine symbolhafte Atmosphäre. Es ist Gott, der „droht" und „verheißt". Das erhebt symbolische Wendungen wie Drohung oder Verheißung in die Sphäre der letzten Wirklichkeit und zu unbedingter Bedeutung. Und wenn sie in die Sphäre 79

des Göttlichen erhoben sind, gewinnen sie symbolischen Charakter. „Symbol" ist die Form, in die sich jeder Ausdruck wandelt, wenn er im Bereich des Heiligen gebraucht wird. Ein prophetisches Wort droht einer Stadt mit Zerstörung. „Zerstörung einer Stadt" ist ein Geschehnis der gewöhnlichen Erfahrung, aber im Lichte einer göttlichen Drohung gesehen, ist „Zerstörung einer Stadt" ein Symbol, denn Gott wird Kausalität für die betreffende Situation zuerkannt. Sobald aber die Kategorie der Kausalität auf Gott angewandt wird, sprechen wir symbolisch. Es ist nicht möglich, hier eine vollständige Theorie der religiösen Symbole zu entwickeln; aber da das Symbol die Ausdrucksform des Religiösen ist und das „Wort Gottes", wenn es wahrhaft religiös gemeint wird, symbolischen Charakter hat, müssen noch einige allgemeine Bemerkungen über Symbole gemacht werden. Symbole sind Hinweise, sie weisen über sich hinaus auf etwas, für das sie stehen. Das haben sie mit den Zeichen gemeinsam. Aber es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Symbolen und Zeichen. Symbole haben teil an der Macht und dem Sinn dessen, was sie symbolisieren, Zeichen hingegen nicht. Symbole des Heiligen haben selbst Heiligkeit. Daraus folgt, daß Symbole nicht willkürlich oder je nach den Umständen ersetzt werden können, so wie man ein Zeichen ersetzen kann. Symbole wachsen und vergehen, aber sie werden nicht erfunden oder abgeschafft. Diese Symbolsprache der Religion ist ein Ausdruck des wirklichen Verhältnisses des Menschen zu dem, was ihn unbedingt angeht. Ändert sich der Charakter dieses Verhältnisses, dann ändern sidi auch die Symbole, und diese beiden Prozesse sind oft wechselseitig voneinander abhängig. Veränderte Symbole sind ebensowohl Ausdruck wie Ursache eines veränderten Verhältnisses zum Heiligen. Symbole können daher durch die Kritik der nicht-symbolischen Sprache nicht getroffen werden. „Göttergeschichten" (Mythen) können zwar vom Standpunkt anderer Mythen aus kritisiert werden, die einem anderen Verhältnis des Menschen zur göttlichen Sphäre entstammen, aber sie können nicht wegen ihres wunderbaren Charakters kritisiert werden, das heißt wegen ihres Widerspruchs zu den Naturgesetzen oder zu geschichtlichen Tatsachen. Eine solche Kritik ist „Sprachverwirrung" und - insofern Sprache Wirklichkeit ausdrückt - eine Verwirrung der Dimensionen der Wirklichkeit. Es ist die Funktion der Symbole, Schichten des Seins und der Seele aufzuschließen, die nur Symbolen zugänglich sind. Das gilt von allen Bereichen, in denen Symbole erscheinen. Betrachten wir zum Beispiel die künstlerische Symbolik. Ich meine nicht den sogenannten Symbolismus in der Kunst - die Erzeugnisse dieser Schule sind recht fragwür80

dig -, sondern die realistischen Richtungen der Kunst, und ich behaupte von ihnen, daß sie Symbole schaffen, insofern sie Kunst schaffen. Auch sie drücken Schichten der Realität aus, die in unserer gewöhnlichen Begegnung mit der Wirklichkeit verborgen bleiben. In ihrem Bezug zu diesen Schichten sind auch die Realisten symbolisch, selbst wenn sie so naturalistisch wie möglich zu sein versuchen. Der Baum in einem Gemälde von Ruysdael ist Symbol für die Baumheit und nicht die schöne Kopie eines möglicherweise wirklichen Baumes. Es ist der Eindruck von einer Erfahrungsschicht, der durch einen wirklichen Baum hervorgerufen werden kann. Das Bild kopiert nicht den wirklichen Baum, es verwandelt ihn in ein Symbol. Religiöse Symbole weisen auf die letzte Wirklichkeit, die tiefste Seinsschicht, die Schicht des „Seinsgrundes", die nicht eine Schicht ist, sondern der schöpferische Grund aller Schichten. Symbole öffnen diese „Schicht", und nur sie können sie öffnen. Logisch argumentierende Sprache (z. B. Beweise für die Existenz Gottes und ähnliche nichtreligiöse Bemühungen) ist nicht imstande, die letzte Wirklichkeit zu erschließen, die Schicht des Heiligen. Und solche Sprache ist nicht imstande, den Grund der Seele aufzuschließen, in der das Heilige erfahren wird. Das religiöse Symbol verwendet Stoff der gewöhnlichen Erfahrung. Aber es nimmt ihn niemals buchstäblich. Es sagt Ja und Nein zu dem Material, das es verwendet. Es sagt Ja zu ihm als einem notwendigen und angemessenen Material. Es sagt Nein zu ihm, wenn es mehr als Stoff zu sein beansprucht. In der frühen Theologie wurde zwischen positiver und negativer Theologie unterschieden. Positive Theologie sagt, was Gott ist, negative Theologie zeigt, daß er nicht das ist, was von ihm gesagt wird. Gott transzendiert alles, was über ihn gesagt werden kann. Und deshalb muß es in demselben Augenblick, in dem es gesagt wird, verneint werden. Symbolsprache vereint positive und negative Theologie. Das Symbol ist die Sprache der Religion. Das Symbol ist wahr, wenn es angemessen das Verhältnis des Menschen zu Gott ausdrückt, wie es bestand, als das Symbol erstmals entstand. Das Symbol ist absolut wahr, wenn es das Verhältnis des Menschen zu Gott in universal gültiger Form ausdrückt. Das Christentum erhebt den Anspruch, daß dies zutrifft auf den, der symbolisch der Christus genannt wird oder das „Wort, das Fleisch ward". Ob dieser Anspruch wahr ist, ist Sache des wagenden Glaubens und nie endender Erfahrung, denn das „Wort Gottes" ist keine Sammlung von Lehrsätzen, sondern ein Symbol für die dynamische, ewig wechselnde Begegnung zwischen dem Menschen und dem, was ihn unbedingt angeht. 81

ZUM PROBLEM DES GLAUBENS

R E C H T F E R T I G U N G U N D ZWEIFEL Die Frage, die unser Thema uns stellt, ist folgende: Welche Bedeutung hat die Rechtfertigung, das Durchbruchsprinzip des Protestantismus, gegenüber dem Zweifel an seinen Voraussetzungen? - Wenn unbestreitbar ist, daß unsere gesamte gegenwärtige Lage bestimmt ist durch diesen Zweifel, durch den Verlust der Voraussetzungen des Rechtfertigungsglaubens, so kann die Frage auch so gestellt werden: Was hat der articulus stantis et cadentis ecclesiae dem gegenwärtigen Protestantismus in seiner der Reformation gegenüber fundamental veränderten Lage zu sagen? Die so gestellte Frage ist nicht identisch mit der von Holl aufgeworfenen, was die Rechtfertigung dem modernen Menschen zu sagen habe. Auf diese Frage können nur individuelle Antworten gefunden werden, und wohl nur selten positive. In der Verständnislosigkeit gegenüber der reformatorischen Fassung der Rechtfertigung sind Gebildete, Proletariat und Jugend einig. Die kirchlich pietistischen Kreise aber sind nicht für unsere Geisteslage, nicht einmal nach ihrer religiösen Seite hin, maßgeblich. Das sind immer nur die vorwärtstreibenden, Ausdruck und Symbol schaffenden Kräfte. Außerdem steht gerade bei jenen Kreisen das Prinzip der Rechtfertigung nicht im Vordergrund. Diese Bemerkung führt uns zu der eigentümlichen Tatsache, daß unsere Frage nicht eigentlich als Lebensfrage empfunden wird. Längst war ja neben das Durchbruchsprinzip des Protestantismus als „Formalprinzip" die Schrift getreten und darüber die Rechtfertigung mit dem späten Ehrennamen „Materialprinzip" beiseite geschoben. Denn es kann nicht zwei Prinzipien geben: Prinzipium ist Herrschaft. Die Herrschaft aber hatte unter uns die Schrift, und als der Widerspruch gegen die Schrift und Lehrautorität sich durchgesetzt hatte, die religiöse Autonomie, der entleerte Schatten der Rechtfertigung. Hier liegen die Wurzeln der gegenwärtigen communis opinio von der wesensmäßigen Unzulänglichkeit des Protestantismus. Es ist das Verdienst der wissenschaftlichen Lutherrenaissance, das protestantische Durchbruchsprinzip rein erfaßt zu haben. Aber das ist zunächst Wissenschaft. Religiös erheblich kann nur eine Verkündigung der Rechtfertigung sein, die das reformatorische Durchbruchsprinzip auch als Durchbruchsprinzip unserer Geisteslage kundtut. Diese aber ist bestimmt durch den Verlust der Voraussetzungen, die Mittelalter und Reformation gemeinsam hatten: 85

der Gottesgewißheit und damit der Gewißheit der Wahrheit und des Sinnes. Diese Frage führt uns in das Zentrum der gegenwärtigen theologischen Debatte. I. I . D E R H E R V O R G A N G DES ZWEIFELS AUS DER RECHTFERTIGUNG ALS PRINZIP

Die Unmöglichkeit einer religiösen Lutherrenaissance ist darin begründet, daß der Weg von der Rechtfertigung zu dem Zweifel an ihren Voraussetzungen ein notwendiger war. Es handelt sich nicht einfach um einen Sündenfall des Protestantismus, wie es sich - das ist die Konsequenz, der wir endlich klar ins Auge sehen müssen - nicht einfach um einen Sündenfall des Christentums handelte, als es sich vom Paulinismus der Reditfertigungslehre wegentwickelte. Zum mindesten müßte dann dieser Sündenfall schon bei Paulus selbst und erst recht im übrigen Neuen Testament erfolgt sein. - In Wirklichkeit steht hinter dieser Entwicklung die innere Spannung der Religion selbst, die bei Paulus und Luther als Polarität von Gesetz und Evangelium erscheint und die gegenwärtig in der „dialektischen Theologie" als Gegensatz von Religion und Offenbarung bezeichnet wird. Bei den Genannten kam alles auf die Verkündigung des Gegensatzes an. Sehen wir aber genauer zu, so finden wir überall, daß der Gegensatz kein einfacher ist. Das negative Verhältnis wird dadurch zugleich positiv, daß das, was sich gegenübersteht, sich zugleich gegenseitig bedingt. Rechtfertigung, Gnade und Offenbarung sind Durdibruchsbegriffe, Begriffe, in denen ein „Dennoch" enthalten ist, in denen aber das, was durchbrochen ist, zugleich vorausgesetzt wird. Das Gesetz, d. h. die Religion als göttliche Forderung, ist die ständige immanente Voraussetzung für die Offenbarung des Evangeliums. N u r derjenige kann die Botschaft von der Rechtfertigung gläubig aufnehmen, der die unbedingte Verpflichtung zur Gerechtigkeit vor Gott kennt. Es bedurfte aber Jahrhunderte jüdischer Gesetzesverkündigung, um in Paulus die Gewalt dieser Unbedingtheit zu schaffen. Und es bedurfte Jahrhunderte des Mönchstums und des Bußsakraments, um das gleiche in Luther zu wirken. Das Gesetz, die Predigt der Gerechtigkeit vor Gott, ist die Voraussetzung der Rechtfertigung, die Religion die Voraussetzung der Offenbarung, das Katholische als Prinzip ist die Voraussetzung des Evangelischen als Prinzip, und zwar die konstante immanente Voraussetzung. Das führt nun aber sofort zu einer Umkehrung des Satzes: Die 86

Gnade ist die ständige Ursache von Gesetz, das evangelische Prinzip von katholischer Wirklichkeit, die Offenbarung von Religion. Das ist nicht Sündenfall, sondern Realisierung und hat nidit mehr, freilich auch nicht weniger Sünde in sich als eben jede Realisierung. Was Gnade an der Realisierung ist, das ermöglicht alles Leben und Glauben und jede Schöpfung in Kultur und Religion. Was Sünde an der Realisierung ist, das, wodurch sie bloß Gesetz, bloß Religion, bloß katholisch wird, das treibt zu neuen Durchbrüchen der Gnade. Die Sünde aber aller Realisierung ist die, daß das Aufnehmen der Gnade zu einem Bewirken der Gnade wird. In der gesamten Religionsgeschidite findet sich diese Mischung von Gnade und Gesetz, die die Gnade dem Gesetz unterordnet und um derentwillen es berechtigt ist, vom Standpunkt des Durchbruchs in Christo aus die gesamte Religionsgeschidite als Gesetz dem Evangelium entgegenzustellen. Denn hier allein ist keine Misdiung, sondern die reine, das Gesetz und die Religion und den Katholizismus aufhebende Tat Gottes anschaubar. Was für die Religionsgeschidite gilt, das gilt für die Kirdiengeschichte. Sie ist Realisierung, und darum muß auch sie Gesetz und Religion und katholisch werden. Eine Betrachtung der Dogmengesdiidite vom Neuen Testament an bis zur Gegenwart unter diesem doppelten Gesichtspunkt des Durdibruchs und der Realisierung würde die kleinliche und vielfach überhebliche Art der Dogmenhistorie überwinden, die, anstatt die Realisierung zu verstehen in all ihren Spannungen, nur den Sündenfall sucht und ihn schon überall da findet, wo es sich um Realisierung handelt. Das gilt für das griechische Dogma so gut wie für die Scholastik, für Augustin, die machtvollste Einheit von Durchbruch und Realisierung, wie für Melanchthon und Calvin. Die bisherige protestantische Dogmengesdiidite ist wesentlich eine solche vom Standpunkt des Durdibruchs, wir brauchen aber eine solche vom Standpunkt der Spannung von Durchbrach und Realisierung. Es besteht nun aber ein entscheidender Unterschied bezüglich dieser Spannung zwischen Urchristentum und Protestantismus. Jenes hat den entscheidenden Durchbrudi der Gnade unmittelbar aufgenommen. Audi die Paulinisdie Antithese gegen das Gesetz hinderte nicht, daß die Gnade sofort religiös realisiert wurde in Christusmystik, Sakrament und Ethos. Das antigesetzlidie Korrektiv war nicht das Ganze, im Neuen Testament nicht und vollends nicht in der Heidenchristenheit. Bei Luther erging der Widerspruch gegen die sich selbst unbedingt setzende katholische Realisierung, die durch ihre hierardiische Form jede Wirksamkeit des Korrektivs immer mehr unmöglich machte. Infolgedessen liegt im Protestantismus ein reflektiertes Verhältnis zur Realisie87

rung überhaupt, zur Religion und zum katholischen Prinzip vor. Eben darum wurde die Überwindung des Gesetzes hier zum „Protestantismus", d. h. aber zur Verneinung der Realisierung und damit zur grundsätzlichen Verneinung der eigenen Voraussetzung. Und doch konnte es nicht ausbleiben, daß auch hier die Realisierung versucht wurde; Melanchthons Lehrgesetz, sein autoritatives Lehramt und seine kirchlich geleitete humanistische Kultur, Luthers Sakramentslehre und Christusmystik, Calvins in der Schrift offenbartes Kirchengesetz, das alles sind die protestantischen Realisierungsformen, d. h. diejenigen Formen, durch die der Protestantismus als Religion, als Kirche, als Gesetz möglich wurde. Aber der eigentliche Inhalt der Verkündigung bleibt trotz aller Nebenwirkungen im Luthertum die Rechtfertigung, im Calvinismus die Erwählung. Nun aber ist sie, die Durchbruch war, Lehre geworden, also ein Ding, ein Gegenstand, von dem man weiß, also das, was ihrem Charakter am meisten zuwider ist: Man weiß um das, was absolut Überraschung, Paradoxie und Durchbruch ist. In der alten Kirche hörte man auf, dies zu wissen. Man ruhte in der Unmittelbarkeit des Gnadenbesitzes und ließ darum trotz alles gesetzlidien und katholischen Sündenfalls das Prinzip des Durchbruchs unintellektualisiert. Im Protestantismus aber wird es in dem Augenblick, wo es zur Lehre objektiviert wird, beiseite gedrängt. In den Vordergrund rücken in wechselseitiger Bekämpfung Schrift und Autonomie. Gott und sein Handeln werden zum Regulativ des Weltbewußtseins, das jederzeit bereitliegt, die im Sündengefühl liegenden Hemmungen zu beseitigen. Mit der dadurch erreichten Schwächung der Sündenfurcht und des Schuldbewußtseins tritt der Vorsehungsgedanke hervor, der gleidifalls zu einem Regulativ des Weltverhältnisses wird. Gott war Regulativ und Grenzbegriff geworden, noch ehe Kant die Formulierungen gab, die dann von den theologischen Kantianern in die Theologie eingeführt wurden. Das autonome Bewußtsein, die Loslösung von der religiösen Unmittelbarkeit, von der gesamten Sphäre der Realisierung war da. Der Humanismus, die rationale, autonome und gesetzliche Form des Gottesgedankens, die Melanchthon zur Basis gemacht hatte, wurde das Ganze. Sie konnte es aber nur werden, weil Gott durch die Objektivierung des Durchbruchsprinzips beiseite gedrängt, zu einem Gegenstand, einer Grenze, einem Regulativ gemacht war. Reaktionen gegen diese Entleerung gingen von katholisdien Elementen aus: dem Pietismus, der die Sphäre der Furcht wieder schaffen will und es doch nidit kann, weil er zu diesem Zweck das Prinzip, zu dem er hinführen will, die Gnade, zeitweise außer Kraft setzen muß; von der Mystik, die eine neue Un88

mittelbarkeit zu schaffen sucht und in der idealistisch-romantischen Reaktion weithin geschaffen hat, wenn auch ohne dauernden Erfolg. Wo Gott zum Regulativ geworden ist, da kommt der Zweifel zu religionsgeschichtlicher Bedeutung. Er läuft nicht mehr nebenher als Zufallssache, die man sittlich bekämpfen kann, er tritt ins Zentrum, er ist der Ausdruck der zerrissenen Unmittelbarkeit des Religiösen, der völligen Unterdrückung des mystischen oder katholischen Prinzips. Der Weg der Autonomie aber ist dieser: Im ersten Stadium ist das Erbgut religiöser Unmittelbarkeit noch schöpferisch wirksam; im zweiten Stadium sucht eine formale Autonomie die Wahrheit zu erweisen; im dritten Stadium ist die Unmöglidikeit dieses Weges erkannt, der Zweifel an Gott wird zum Zweifel an der Wahrheit selbst und damit in letzter Vertiefung zum Zweifel an dem Lebenssinn überhaupt. Diese Entwicklung aber bedeutet: Wird der Durchbruch statt zum Korrektiv zum Prinzip erhoben, unter Verneinung der Realisierung, so geht mit der Realisierung zuletzt auch das Prinzip verloren. Der articulus stantis et cadentis ecclesiae wird zum articulus stantis salutis et cadentis ecclesiae. Wie aber, wenn doch in einem Sinne Wahrheit ist, das: extra ecclesiam nulla salusf II. D E R ZWEIFLER UND SEINE RECHTFERTIGUNG

Der Zweifler im religiös bedeutungsvollen Sinn ist derjenige Mensch, der mit dem Verlust der religiösen Unmittelbarkeit Gott, die Wahrheit und den Lebenssinn verloren hat oder auf irgendeinem Punkte des Weges zu diesem Verlust steht und doch nicht in diesem Verlust ausruhen kann, sondern getroffen ist von der Forderung, Sinn, Wahrheit und Gott zu finden. Der Zweifler ist also derjenige, den das Gesetz der Wahrheit mit seiner ganzen rücksichtslosen Gewalt gepackt hat und der, da er dieses Gesetz nicht erfüllen kann, der Verzweiflung entgegengeht. Der Zweifler befindet sich also in der Lage dessen, der an seinem Heil verzweifelt, nur daß für ihn das Unheil nicht das Verwerfungsurteil Gottes, sondern der Abgrund der Sinnleere ist. Der Versuch, den radikalen Zweifel in die ethische Sphäre abzuschieben, ihn als einen Versuch zu werten, Gott entrinnen zu wollen, ist durchaus irrig. Es ist ein Versuch, dem Zweifel seinen Ernst zu nehmen. Aber der Zweifel steht in der theoretischen Sphäre unter dem gleidien Ernst wie die Heilsungewißheit in der praktischen. Der Zweifel ist der Kampf um das Teilhaben an dem unbedingten Lebenssinn, an der un89

bedingten Wahrheit. Ein Kampf, der in sich selber durchgekämpft werden muß, soll er nicht zur Verzweiflung oder zum Kompromiß führen. Der Name des Kompromisses aber ist: unendlicher Fortschritt im Erkennen der Wahrheit. Man will die Wahrheit schaffen, aufbauen, verbessern, man begnügt sich mit einem Teil und weiß nicht und merkt nicht, daß man damit die unbedingte Wahrheit verloren hat. Es ist noch nicht die letzte Tiefe des Zweifels, die sich mit solchem Kompromiß, mag er sich noch so vorsiditig und skeptisch darbieten, begnügt. Die Verheißung aber und die Kraft hat niemals der Kompromiß, sondern allein der radikale Durchbruch. Der Kampf um die Wahrheit und den Lebenssinn hat noch zu keinem religiös entscheidenden Ergebnis geführt. Beide Kirchen haben ihm gegenüber in gleicher Weise versagt, wie das späte Mittelalter gegenüber der Frage der Heilsgewißheit. Der Erfolg war der, daß unsere Zeit in die Mystik floh. Diese neue Mystik ist keine Ersatzreligion, aber sie ist auch nidit Wiederaufnahme der alten Mystik, die immer zugleich Askese war, sondern sie ist der Ausdruck des Ringens um einen von allen Zweifeln befreiten, völlig ungegenständlichen Sinngrund, um eine namenlose und darum dem Streit und dem Fortschritt enthobene Wahrheits- und Gottesanschauung. Mystik ist der Versuch, die verloren gegangene Unmittelbarkeit des Religiösen wiederzufinden, die die Basis für jeden Durchbruch zur Objektivität, zu Name und Form sein muß. Daher die Ablehnung Luthers durch den homo religiosus dubitans. Aber diese Flucht in die Mystik ist ja immer noch ein Festhalten an der Subjektivität und damit am Werk, wenn auch mit negativem Vorzeichen. Die Majestät des Göttlichen wird nicht erreicht, der Sinngrund wird nicht gefunden, weil man das mystische Erlebnis auch wieder beiseite schieben kann. Die Wahrheit, die nicht verzehrendes Feuer, sondern bloß wärmende Glut ist, überzeugt nicht, ihr kann eine andere Wahrheit gegenübergestellt werden. Soll aber die Wahrheit die Unbedingtheit des Göttlichen erreichen, so muß sie die Form der Gnade annehmen, die Form des Durchbruchs. Und das ist die entscheidende Frage: Wie kann die Gnade durchbrechen in der Sphäre der Wahrheit und des Sinnes? Machen wir uns zuerst deutlich, was das Gesetz in der theoretischen Sphäre ist. Es ist die Forderung, unter den übrigen Gegenständen einen solchen zu erkennen, der die Qualität Gott hat. Es ist die Forderung, Gott zu beweisen, eine Forderung, die unendlich hinausgeht über die üblichen Beweise für das Dasein Gottes. Alle Apologetik ist solches Werk. Und es kann auf dreifachem Wege versucht werden. Zuerst durch Denken, das im Endlichen oder über dem Endlichen das Unbedingte, 90

die lebendige Wahrheit, Gott und den Lebenssinn finden will und doch nicht finden kann; denn jeder Schluß im Endlichen bleibt endlich und setzt Endliches voraus und so fort ins Unendliche, aber nicht ins Göttliche, Ewige, Wahre. Die Kritik jedes theoretischen Gottesbeweises, offenen und versteckten, ist das Gericht über dieses Werk im Theoretischen selbst. Demgegenüber kann versucht werden, Gott zu erreichen durch einen Willensakt, ein sogenanntes Wagnis, das in Wirklichkeit ein Experiment mit Gott und darum gotteslästerlich ist. Es ist nicht weniger unmöglich, die Gewißheit des Unbedingten auf einen bedingten Willensakt wie auf einen bedingten Denkakt zu gründen - , und eines scheitert so notwendig wie das andere. Ebenso unmöglich ist es, Gefühle zu erwecken, in denen sich das Göttliche anzeigen soll; auch das bleibt durchaus in der bedingten Sphäre und ist nicht tragfähig für eine unbedingte Gewißheit. Mit diesen drei Wegen aber sind die Mittel jeder Apologetik erschöpft. Der Versuch zum Werk im Gotteserkennen ist mißlungen. Erst wo diese Krisis alles apologetischen Tuns wirksam ist, kann der Punkt erreicht werden, den wir als radikalen Zweifel bezeichneten und an dem die Frage nach der Rechtfertigung des Zweiflers einsetzt. Die Rechtfertigung des Zweiflers ist nur möglich als Durchbruch der unbedingten Gewißheit durch die Sphäre der Ungewißheiten und Irrungen; es ist der Durchbruch der Gewißheit, daß die Wahrheit, die der Zweifler sucht, der Lebenssinn, um den der Verzweifelte ringt, nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung alles Zweifels bis zur Verzweiflung ist. Es ist das Erfassen der Wahrheit als Gericht an jeder Wahrheitserkenntnis. Es ist das Aufbrechen des Sinngrundes als unbedingter Gegenwärtigkeit und zugleich unbedingter Forderung, um ihn zu ringen, es ist die Gegenwart der lebendigen Wahrheit als unsagbarer und doch immer vom neuen zur Aussage drängenden Tiefe. Für Luther ist der Unglaube die eigentliche Sünde. Der Unglaube ist auch die eigentliche Trennung von der Wahrheit und dem Lebenssinn. Dieser Unglaube ist identisch mit dem Willen, die unbedingte Wahrheit zu suchen, Gott zu erdenken, zu experimentieren, experiieren, und das heißt: der Wille, den eigenen, außerhalb des Sinngrundes stehenden Ausgangspunkt des Suchens absolut zu setzen und diesem endlichen Standpunkt dadurch die Weihe zu geben, daß man Gott dazu findet, d. h. erfindet. Auch die Sünde des Zweiflers ist der Unglaube, nämlich das NichtZweifeln an seinem eigenen Zweifel und der Versuch, von diesem grundsätzlich gottlosen Standpunkt Gott zu suchen. Der Durchbruch dieser göttlichen Grundoffenbarung, die vor allem Zweifeln und Suchen steht, bringt die Befreiung, daß sie jedes Tun der 91

Erkenntnis in zweite Linie rückt und die Gegenwärtigkeit Gottes vor der Gotteserkenntnis und des Sinnes vor der Sinneserkenntnis offenbart. Was hier offenbar wird, ist der Gott der Gottlosen, die Wahrheit der Wahrheitslosen, die Sinnfülle der Sinnentleerten. Das ist kein leeres Paradox, kein Gedankenkunststück, denn gerade auf das Denken als Werk ist ja verzichtet, sondern es ist der Durchbruch der Fülle und des Sinnes. Der Moment des Durchbruchs ist in bezug auf Inhalte völlig indifferent. Der Mensch hat kein Werk des Erkennens, keinen Gedankeninhalt vorzuweisen. Das Göttliche ist der Sinnabgrund und -grund, das Ende und der Anfang jedes möglichen Inhaltes. Nichts anderes ist darüber zu sagen. Es steht jenseits von Licht und Finsternis, von Natur und Persönlichkeit, von Göttlichem und Dämonischem. All dieses liegt in ihm zur Scheidung bereit, wie der Kampf gegen das Böse und die Werke der Liebe im Akt der Rechtfertigung. Aber es liegt verborgen in ihm, es ist die Geburtsstunde der Religion in jedem Menschen, der zur Tiefe der Verzweiflung aus Zweifel und Sinnentleerung gedrungen ist, der die dämonische Frage: Sollte Gott sein, sollte Wahrheit sein, sollte Sinn sein? vernommen hat. Dieses ist nidit Mystik, denn die Mystik ist Ende, dieses aber ist Anfang. Es ist die Stunde der Wiedergeburt, in der die Geburt des Menschen, nämlich des religiösen Wesens des Menschen, sich wiederholt. Es ist der Rückgang in die Tiefe und den Anfang alles mensdiheitlich religiösen Schaffens und Sehens auf der Höhe der radikalen Kritik und des Verlustes der Sinntiefe. Es ist nicht die Flucht vor den Namen und vor dem Bewußtsein, wie in der Mystik, sondern es ist die neue Geburt der Namen aus dem schöpferischen Grunde. Nicht von Mystik, sondern von Grundoffenbarung sprechen wir. Es ist die Größe der Mystik, daß sie diese Geburtsstunde der Wahrheit, des Sinnes, des Menschen immer wieder in Erinnerung ruft. Darum ist sie unsterblich und es ist göttliche Offenbarung in ihr. Aber es ist ihre Grenze, daß sie aus Furcht vor der Welt der Wahrheiten, Namen, Sinnformen in Sdiweigen versinken will. Wie sie als Askese aus Furcht vor dem Werk nichts tun will und dadurdi doch wieder zu dem schwersten der Werke wird, so will sie aus Furdit vor den Namen nichts erkennen und zwingt sich dadurch zu dem Werk des absoluten Schweigens. Aber darin wirkt noch Gesetz nach. Erst wenn der Zweifel auch hier zerstört hat, ist mit dem Durchbruch des Sinngrundes auch die Mystik, die am deutlichsten von ihm zeugt, überwunden.

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III. THEOLOGISCHE UMSCHAU

Es ist angebracht, den entwickelten Gedanken, ehe wir ihn näher ausführen, in Beziehung zur gegenwärtigen theologischen Diskussion zu stellen. Offenbar geht aus ihm hervor, daß jede theologische Richtung abgelehnt werden muß, in der die Offenbarung ausschließlich als Heilsoffenbarung, ausschließlich christologisch gefaßt wird. Die Offenbarung in Christus, der Durchbruch der göttlichen Unbedingtheit gegenüber allem Werk der Religion, setzt eine breite Basis der menschheitlichen Religion und der göttlichen Grundoffenbarung voraus. Ohne eine solche Voraussetzung ist auf die Dauer die Aufnahme der im personalen Zentrum sich vollziehenden Offenbarung in Christus unmöglich. Heilsoffenbarung ohne Grundoffenbarung, Rechtfertigungsgewißheit ohne Gottesgewißheit ist unmöglich. Ein Satz wie der, daß wir ohne Jesus Atheisten wären, ist in sich widerspruchsvoll, weil die Qualifizierung Jesu als Offenbarung Gottes nur möglich ist auf Grund eines entgegenkommenden Vermögens, eine Wirklichkeit als Offenbarung zu werten. Wären wir ohne Jesus Atheisten, so würde uns auch Jesus nicht vom Atheismus befreien können, denn es würde das Organ fehlen, ihn zu empfangen. Gemeint ist in dem angeführten Satz im Grunde auch gar nicht der Atheismus überhaupt, sondern lediglich die Unfähigkeit zur Behauptung des Gottesbewußtseins und der sittlichen Persönlichkeit gegenüber den aus dem Weltlauf stammenden Hemmungen. Der Satz stammt aus der Sphäre derjenigen Theologie, für die Gott im Sinne Kants regulativ geworden ist. Von der sittlichen Persönlichkeit geht auch Hirsch aus in seiner Schrift über den deutschen Idealismus. Er erkennt als berechtigt an, daß die idealistische Philosophie sich um eine ungegenständliche Fassung des Gottesgedankens bemüht, daß sie also in unserem Sinne Gott von der Grundoffenbarung her verstehen will. Aber er wirft ihr vor, daß sie diese Ungegenständlichkeit vermittels der intellektuellen Anschauung sucht und nicht durch Selbsterfassung der sittlichen Persönlichkeit. Nun steht aber im Idealismus die intellektuelle Anschauung freilich in religiös und philosophisch bedenklicher Weise für die Richtung auf die Grundoffenbarung, und es heißt diese Intention zerbrechen, wenn man das Ethisch-Persönliche an ihre Stelle schiebt. Außerdem ist es unzulänglich; denn auch die Persönlichkeit reicht in eine ontologische Tiefe herab, und die unbedingte Persönlichkeit würde wieder zu einem bloßen Regulativ werden, wenn ihr die Unbedingtheit des Sinngrundes fehlen würde.

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Weit eindringlicher und mit großer systematischer Kraft ist Heim auf unser Problem eingegangen, historisch und systematisch. Hier sind die Kant-Ritsdilschen Linien überwunden. Heim kennt die Unzulänglichkeit der Apologetik. Und die Frage einer andersartigen Begründung der Wahrheitsgewißheit steht bei ihm im Vordergrund. Aber er sucht die Lösung nicht in der universal-religiösen, sondern in der christologischen Sphäre. Wohl kennt er die Tiefe der Paradoxie, wohl sieht er, daß in der Grundoffenbarung alle Namen und Kategorien versinken. Er betrachtet darum die Entscheidung für Christus als eine Urentscheidung schlechthin. Aber diese Urentscheidung richtet sich auf Christus, d. h. auf ein Objekt, das durch Namen und Kategorien bestimmt ist. Darum kann sich die Entscheidung für ihn nur unter Namengebung und in kategorialen Formen vollziehen. Wenn Heim leugnet, daß die Kategorie des Möglichen hier noch eine Rolle spiele, so läßt er sich dadurch täuschen, daß für den mit Christus von vornherein Verbundenen freilich keine Möglichkeit besteht, sich anders zu entscheiden. Aber es sollte ja von dem radikalen Zweifler gesprochen werden, für den jede, auch die eigene Position versunken ist, und dazu kommt es nicht. Wohl ist Christus für den Christen der bestimmte, konkrete Name Gottes, das Bild des deus revelatus. Aber er ist es nur auf Grund des deus absconditus, des Unbenennbaren, aber als absconditus wohl erkennbaren Gottes. - Steht Heim in engem Zusammenhang mit der subjektiv-pietistischen Seite von Luthers Rechtfertigungslehre, so Gogarten mit der objektiv-orthodoxen. Ihm kommt alles auf die reine Objektivität und schledithinnige übermenschliche Gegebenheit der Offenbarung an. Es ist nun schwer, über ihn in unserem Zusammenhange zu reden, weil seine Gedanken bezüglich unseres Problems zu wenig entfaltet sind; weil vielleicht Barths Wort, daß seine Verkündigung nur eine Anmerkung zur Theologie sein wolle, auch hier gilt. Würde es gelten und würde es nicht wieder aufgehoben werden durch die dialektische Frage: Sollte vielleicht die Anmerkung das Ganze sein, so wäre es möglich, darin die hier gegebene Auffassung von dem Durchbruchscharakter der Gnade wiederzufinden. Anderenfalls aber, und fast scheint das andere gemeint zu sein, müßte auch hier die Unmöglichkeit betont werden, die Offenbarung in Christus loszulösen von der Seinsoffenbarung und Religion und Offenbarung in einen einfachen Gegensatz zu stellen. Denn auch das Gerichtetsein auf die Objektivität des göttlichen Handelns in Christus ist Sache des homo religiosus, soll es nicht eine rein intellektuelle oder willentliche, aber religiös indifferente Haltung sein. Das „Wort", das Brunner der Mystik entgegenstellt, hört nur der homo mysticus, d. h. derjenige, der nicht Mystiker im aktuell werkhaften Sinn ist, sondern der die 94

Grundoffenbarung vernommen hat und ständig vernimmt. Für jeden anderen ist das Wort von Christus ein Gesetz, und zwar ein unerfüllbares, und ist der Name Christus ein Name für vielerlei in der Welt, nur nicht für Gott. Besonders schwerwiegend wird unser Bedenken, wenn sich die Entgegenstellung von Göttlichem und Menschlichem zu einer systematischen Profanisierung der Kultur und ihres theoretischen Ausdruckes, der Philosophie, verdiditet. Diese Haltung, die in Augenblicken großer eschatologischer Durchbrüche durch eine unparadoxe und dämonische Vergöttlichung von Religion und Kultur am Platze ist und darum ein ständiges Korrektiv bleibt, wirkt verhängnisvoll, wenn sie zur einzigen Haltung gegenüber der Breite der Zeit, des Lebens und der Gesellschaft wird. Sie entheiligt die Wirklichkeit und das Leben. Sie läßt vergessen, daß Religion und Kultur von dem Wort der Grundoffenbarung leben, daß die Philosophie auch in den extremsten Polen formaler Arbeit wie bei Aristoteles und Kant der Grundoffenbarung noch machtvollen Ausdruck gibt und sich auf dem andern Pol bei Plato, Augustin, Spinoza, Hegel bewußt und unbewußt in den Dienst des Offenbarungswortes stellt. Das gleiche gilt von allen Seiten der Kultur. Wird die Kultur der Profanisierung anheimgegeben, so wird die Grundoffenbarung zum Verstummen gebracht und damit Kultus und Mythos und damit schließlich auch das Gnadenwort unhörbar gemacht: eine Lage, deren verhängnisvolle Konsequenzen wir erlebt haben und über die unsere Zeit mit Recht auf allen Gebieten hinausdrängt. Damit stehen wir bei der Frage nach der anderen großen Linie der gegenwärtigen Theologie, die von der Grundoffenbarung zu reden weiß, bei der wir aber fragen müssen, ob sie so von ihr zu reden weiß, daß die Paradoxie des Rechtfertigungsprinzips in ihr gewahrt ist. Zu den Dingen, in denen wir Brunners Schleiermacher-Kritik zustimmen können, gehört die konsequente Einreihung Schleiermachers in die Identitätsphilosophie des deutschen Idealismus. Das Prinzip der Identität ist die logisch gesetzliche und darum ungläubige Formulierung der Paradoxie, die im gläubigen Erfassen der Grundoffenbarung vorliegt. Es fehlt der Identität das Element des Abgrundes im Grunde des Vernichtenden, Zerstörenden, alles Endliche Aufhebenden des Sinngrundes. Es ist zu einem Ruhenden, Selbstverständlichen geworden, und es hat darum auch die innere Vieldeutigkeit verloren, aus der die unbedingte Forderung erwächst, die Namen zu scheiden und durch Ausscheidung der dämonischen Namen zur Offenbarung in Christus zu kommen. Sehr deutlich gemacht hat das Wesen der Grundoffenbarung Ottos Bestimmung des Heiligen als mysterium tremendum et fascinosum. Aber auch hier ist der Glaubenscharakter nicht scharf genug heraus95

gearbeitet. Das liegt an der bloß phänomenologischen Beschreibung. Sie hat zur Folge, daß das Heilige den übrigen Funktionen nebengeordnet wird. Damit aber ist die Möglichkeit gegeben, es unter den Zweifel zu stellen und beiseite zu schieben. Und umgekehrt, wenn es bejaht wird, so gelingt nur schwer, es zu den übrigen Sinngebieten in Beziehung zu setzen. Aber gerade als Durchbruch durdi die Sinngebiete, als ihr Abgrund und ihr Grund muß es gefaßt werden. Dann ist es freilich nur dem Glauben zugänglich, kann aber gerade darum nie beiseite gesdioben werden. Das ganz andere ist immer zugleich das ganz Eigene, der Abgrund ist immer zugleich der Grund. Das sind die beiden Linien der zeitgenössischen Theologie im Verhältnis zu unserem Problem. Die christozentrische Fassung der Offenbarung scheitert daran, daß sie den radikalen Zweifel nicht überwinden, zur Grundoffenbarung nicht führen kann. Die universale Fassung der Offenbarung aber bleibt unvollkommen, solange es ihr nidit gelingt, die Paradoxie der Rechtfertigung auf die Grundoffenbarung anzuwenden. Es ist die Aufgabe der protestantischen Theologie, über diesen Gegensatz hinauszukommen und damit von ihrem Zentrum aus ihre verlorengegangene Grundlage wiederzufinden. IV. D I E K O N S E Q U E N Z E N DER RECHTFERTIGUNG DES ZWEIFLERS

Die Rechtfertigung des Zweiflers, der Durchbruch des Unbedingten als das all seinen Zweifeln bejahend und verneinend Vorhergehende, das unbedingt Ferne und Nahe, das Verzehrende und Tragende - dieser Augenblick ist an nichts Äußeres und an nichts Inneres gebunden. Er kann sich an jedem Äußeren und an jedem Inneren entzünden. Denn zu seinem Wesen gehört, daß er zu keinem Namen und keiner Bestimmtheit und keiner Form gehört. Es ist audi keine der psychischen Funktionen diesem Vernehmen der Grundoffenbarung zugeordnet, genausowenig wie dem Akt des Heilsglaubens. Der Glaube ist durdi die Intention bestimmt, nidit durdi die psychische Realisierung. Wenn aber jemand sagen wollte, daß das Namenlose nicht Gegenstand eines Denkens und Wollens, sondern nur eines Ahnens und Fühlens sein könne, so weiß er nichts von dem abgründlichen Gedanken, in dem das Denken zugleich endet und sich gründet, und von dem abgründlidien Willen, in dem alles Wollen sein Ende und seinen Sinn findet. Der Wahrheitsglaube ist so objektiv und so unpsychologisch wie der Heilsglaube. 96

Wo von der Rechtfertigung des Zweiflers gesprochen wird, erhebt sich naturgemäß die gleiche Frage wie bei der Rechtfertigung des Sünders, wie das Verhältnis von Rechtfertigung und neuem Leben zu denken sei. Und es wird auch hier der Unterschied von imputativer und effektiver Auffassung eintreten und der Versuch gemacht werden, beides, das wesensmäßig zusammengehört, auseinanderzureißen. Die einseitig betonte veritas imputata führt aber wie die justitia imputata notwendig zum Intellektualismus und zur Gleichgültigkeit gegen das schöpferische Leben in der Wahrheit. Die Rechtfertigung des Zweiflers wird dann zu einer abstrakten Paradoxie, die auf die wirkliche Wahrheitserkenntnis keinen Einfluß ausübt und sie der Autonomie und dem Kompromiß überläßt. Die Rechtfertigung des Zweiflers ist aber zugleich eine Wiedergeburt des Zweiflers, sie ist die Möglichkeit, in schöpferischem Erkennen den Zweifel und Irrtum zu überwinden. Sie ist eine Neuschaffung und Wiedergeburt des gesamten Erkennens und jedes einzelnen Aktes. Und gerade das ist das Neue an ihr, daß sie nicht anders erkennen kann als aus dem Zentrum heraus der lebendigen schöpferischen Wahrheit, dem Sinngrunde und Sinnabgrunde, daß sie - wie die Liebe nicht einzelne Werke tut, sondern aus dem Zentrum der Liebe heraus handelt - so nicht einzelne Erkenntnisse wirkt, sondern in allem Gnosis ist, die aus den Tiefen der Gottheit schöpft. - Daraus kann sich die Gefahr einer rein effektiven Deutung der Rechtfertigung des Zweiflers entwickeln, die zwar einen ersten Durchbruch der Wahrheit kennt, das Leben in der Wahrheit aber nicht immer wieder auf den Glaubensakt gründet, sondern auf die Vollendung der Wahrheitserkenntnisse, auf die Fortschritte der Namengebung in Kultur und Religion, auf Geistes- und Schöpferkraft, auf Mystik und Intuition. Das alles kann Frucht sein des Lebens in der Wahrheit, aber nicht Grund des Glaubens an die Wahrheit. Wird es zum Grund gemacht, so entsteht ein Werk des Erkennens, das sich an Stelle des Wahrheitsglaubens setzt und das zerbrechen muß, und wäre es als Werk das vollkommenste, die Erkenntnis Christi als des Namens Gottes, in dem alle Namen der Dämonen überwunden sind. Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von Heilsglaube und Wahrheitsglaube, objektiv gesprochen, nach dem Verhältnis von Grundoffenbarung und Heilsoffenbarung, scharf gestellt. Sie ist so zu beantworten: Die Grundoffenbarung ist die Befreiung aus der Verzweiflung des Zweifels und der Sinnleere. Insofern ist sie der Anfang der Heilsoffenbarung. Und die Heilsoffenbarung ist Befreiung aus der Verzweiflung des Widerspruchs und der Gottferne. Es ist der eine Lebensprozeß, in dem beide stehen, die eine als Anfang und die andere als Ziel, in 97

jeder wirklichen Offenbarung aber zusammengeschlossen in einem Akt; denn jede wirkliche Offenbarung hat eine Form und einen Namen, und dieser Name gilt als heilvoller Name. Unterschieden werden können beide erst dann, wenn diese selbstverständliche Einheit aufgelöst ist und das Ganze der Offenbarung überhaupt fraglich geworden. Wo das aber geschieht, da ist die Grundoffenbarung notwendig als zweideutig zu bestimmen. Sie ist Grund und Abgrund zugleich. Noch Luther wußte, daß der deus absconditus dem Menschen als Dämon erscheinen würde. Darum sind die Götter der Völker immer zugleich göttlich und dämonisch. Dämonen bleiben auch die Lichtesten unter ihnen. Dämonische Elemente hat selbst nodi in sich die den Abgrund suchende Mystik und der mit irrationalem Willen in den Abgrund verdammende Gott der doppelten Prädestination. Um dieser Zweideutigkeit der Grundoffenbarung willen wird die Offenbarung des Göttlichen zur Heilsgeschichte, zur Oberwindung des Dämonischen in der Mensdiheitsreligion. Die Oberwindung aber des Dämonischen, die Vollendung der zweideutigen Grundoffenbarung zur eindeutigen göttlichen Heilsoffenbarung, ist da erfolgt, wo Gott sidi als Geist und Liebe zeigte, unbeschadet seiner Majestät und Verborgenheit. Eben damit aber ist audi die Grundoffenbarung vollendet. Denn zuletzt ist es nicht Wahrheit, daß Gott zweideutig, daß er auch dämonisch ist, vielmehr ist das Sinnwidrigkeit und Lüge, und die Menschen zeigen es in ihrem Handeln, daß es so ist: der Kult der Dämonen ist nie eine völlige Anerkennung der Unbedingtheit des Unbedingten, der Göttlichkeit Gottes; er ist immer auch ein Wirken auf den Dämon, ein Gottbestimmen im Kult. Dem Gott gegenüber, der Geist ist und unbedingter Sinngrund, unbedingte Gerechtigkeit und Wahrheit, ihm gegenüber ist das unmöglich; ihm gegenüber wird offenbar, daß das Dämonische nicht in Gott, sondern im Menschen liegt und daß darum der Mensch nur nehmen und nicht geben kann. Und daß die Gnade zugleich Gericht ist und der Zorn zugleich Gnade ist. Dieser Gott aber ist genannt der Vater Jesu Christi. Dieser innere Zusammenhang von Grundoffenbarung und Heilsoffenbarung ist nun entscheidend für die Lage des Protestantismus. Der Protestantismus muß wieder lernen, den deus revelatus auf dem Hintergrund des deus absconditus zu sehen. Das ist das alte und das neue trinitarische Problem. Und er muß wieder lernen, von Christus so zu reden, daß dahinter der gewaltige Klang der Grundoffenbarung in allen Religionen und Kulturen der Menschheit hörbar wird. Das macht Christus nicht geringer, aber es befreit ihn aus einer Isolierung, in der er im Neuen Testament und in der alten Kirche nodi nicht stand. Durch den Begriff des logos war er verbunden mit der gesamten Natur und 98

Geschichte; und wenn die moderne Theologie den Alten vorwirft, daß sie die Christologie kosmologisch, aber nicht soteriologisch hätten gestalten können, so ist das ein Zeichen dafür, daß man nicht mehr weiß, daß der Kosmos voll der Dämonen war, und daß selbst der Heroismus der Stoa zusammengebrochen war in der Furcht vor den bösen Geistern. Daß der logos Christus genannt wurde, war soteria im höchsten Maße damals, und wenn wir gegenwärtig in Natur und Geschichte blicken, ich glaube, auch jetzt. Die negative Voraussetzung und zugleich die Folge der Heilsoffenbarung ist das Schuldbewußtsein. Es ist nun nach dem Sieg des Humanismus und der Autonomie auf protestantischem Boden unmittelbar nicht mehr möglich, das individuelle Sündenbewußtsein zu kirchengeschichtlich durchschlagender Bedeutung zu vertiefen; alle pietistischen Versuche in dieser Richtung müssen von begrenzter Wirksamkeit bleiben. Ein Bewußtsein um die Schuld ist dennoch da und harrt der Vertiefung. Es ist das Bewußtsein um die Herrschaft des Dämonischen vor allem in den Ordnungen der Gesellschaft, unter dem jeder steht und an dem jeder sich ständig mitschuldig macht. Vertieft werden kann dies Bewußtsein aber nur in einem machtvollen Durchbruch der Grundoffenbarung, von dem aus dann auch ein neues individuelles Schuldgefühl sich durchsetzen kann. Der Durchbruch der Grundoffenbarung geschieht wohl in vielen einzelnen, aber er ist zugleich die Aufhebung des Einzelnen als solchem; denn alles Einzelne mit seiner besonderen Wahrheitserkenntnis, mit seiner schöpferischen Überzeugung und Sinnerfüllung ist unter das Gericht der unbedingten Wahrheit gestellt, und die Rechtfertigung des Zweiflers ist dieses Gericht, das jeden Einzelnen zusammenführt mit jedem Anderen unter Durchbrechung aller trennenden Formen und Uberzeugungen. Denn in dem, was mehr ist als Form und Überzeugung, ist die Einheit da in dem Vernehmen der Grundoffenbarung selbst. N u r von hier aus kann im Protestantismus die liberale Zerspaltenheit überwunden und eine neue substantielle, in die Tiefen des Sinngrundes selbst herabreichende Einheit geschaffen werden. Die christliche Gemeinde aber und die Stätte ihrer Heilsoffenbarung, die Schrift, sind nicht isolierte Wirklichkeiten, sondern Vollendung zugleich und Widerspruch gegenüber aller menschheitlichen Religion außerhalb der Kirche und in der Kirche. N u r in diesem sich ständig selbst aufhebenden Sinne ist das Christentum Menschheitsreligion und die Bibel Menschheitsbuch. Damit aber bricht der Protestantismus aus seiner Negativität durch zum Universalismus. Die Rechtfertigung des Zweiflers ist dieser Durdi99

brach. Denn die Antwort kann nur gegeben werden auf der breiten Basis der Grundoffenbarung, die dem Zweifler jede Position nimmt, von der aus er zweifeln kann. Sie wird ihm keine Position lassen in Natur und Geschichte, in Politik und Ethik, die er nicht deuten müßte als Name und Gestaltung der Grundoffenbarung, als dämonischen oder göttlichen Namen. So wird Predigt und Handeln der Gemeinde die Gesamtheit des Wirklichen umfassen als Gericht und als Schöpfung und wird keinen Winkel frei lassen, auf dem man die Grundoffenbarung nicht zu vernehmen brauchte, auf dem man mit gutem Wahrheitsgewissen profan sein dürfte. Das ist protestantischer Universalismus, universaler als der römische, weil ungebunden durch Hierarchie und rechtliche Verhärtung. Aber weil universaler und ungebundener in der Weite, ist der Protestantismus schlechthin gebunden im Zentrum, in Christus, und es ist ihm nicht erlaubt, so mancherlei dämonische Elemente der Völker aufzunehmen. Er ist enger und weiter zugleich; er beansprucht nicht den zweifelhaften Ruhm, eine complexio oppositorum zu sein, zusammengehalten durch eine äußerliche organisatorische Einheit, die sich selbst göttlich setzt. Der Protestantismus hat ein Prinzip, und dieses Prinzip ist lebendige innere Dynamik von Wahrheitsglaube und Heilsglaube, von Grundoffenbarung und Gnadenoffenbarung.

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„GLAUBE" IN DER JÜDISCH-CHRISTLICHEN ÜBERLIEFERUNG Meine Aufgabe in dieser Abhandlung ist eine doppelte: erstens, so viel Material wie möglich heranzuziehen, das dazu beiträgt, den Sinn des Glaubens zu erhellen, wie er im Prophetentum und im klassischen Christentum verstanden wurde; und zweitens, zu zeigen, wie der religiöse Grundgedanke im Glaubensbegriff sidi über die verschiedensten Geschichtsperioden hinweg gehalten und sich auch immer wieder durchgesetzt hat, nachdem er zeitweise entweder moralistisch oder intellektualistisch entstellt worden war. Heute ist es nahezu unmöglich, das Wort Glaube in Predigt oder Unterricht zu benutzen, ohne ausführlich zu sagen, was es nicht bedeutet. Es bedeutet genau das Gegenteil von „Meinung" oder von „minderem Grad von Sicherheit". Auch was sonst landläufig alles mit Glauben bezeichnet wird, hat mit der wahren Bedeutung von Glauben nichts zu tun. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Aufsatz vielleicht einige praktische Bedeutung, obgleich er nicht das Ergebnis eigener Forschung ist. Glaube, wie Jesaja ihn verstand, nämlich als Vertrauen auf Gottes paradoxes Handeln in der Geschichte, wird dem amerikanischen Bewußtsein bald sehr nottun. I. D I E GRUNDLEGENDE KONZEPTION DES G L A U B E N S IM A L T E N TESTAMENT

Die grundlegende Beziehung des Menschen zu Gott, wie das Alte Testament sie sieht, ist Ehrfurcht. Religion ist „Gottesfurcht", womit nicht eine Furcht gemeint ist, die den Menschen veranlaßt, vor Gott zu fliehen, sondern eine Furcht, die „numinos" genannt werden kann, in der sich Schrecken und Faszination mischen. Gott ist vor allem die Macht, die überwältigt. Diese Macht unterscheidet sich von allem, was in den Bereich normaler Erfahrung gehört. Sie übersteigt alle menschlichen Möglichkeiten. Ontologische und moralische Eigenschaften Gottes werden im Alten Testament nicht unterschieden. Darum ist das hebräische Wort für heilig (quadosh) nicht identisch mit dem deutschen Wort „gut" (im moralischen Sinne verstanden). Eher weist es auf die Unnah101

barkeit der göttlichen Majestät hin. Das „Heilige" erzeugt jene numinose Furdit, in der der Mensdi nicht bestehen zu können meint. 1. Sam. 6, 20 heißt es: „Wer kann stehen vor dem Herrn solchem heiligen Gott?" Und im 6. Kapitel beschreibt Jesaja in seiner Vision die Untrennbarkeit von Gottes Heiligkeit und seiner unnahbaren Majestät mit klassischen Worten: Die Menschen zittern, wenn sie Jahwes Stimme hören. Aber dieses Zittern, diese Furcht vor Gottes Heiligkeit, ist zugleich die Grundlage der Gerechtigkeit. Ohne Gottesfurcht gibt es keine Gewähr für Rechtlichkeit. Die Richter müssen Gott fürchten, sonst können sie keine gerechten Urteile fällen. In Gottes Heiligkeit sind Wert- und Machtbereiche vereint. Legt man einen solchen Gottesbegriff zugrunde, so ist eine Identität mystischer oder ontologischer Art zwischen Gott und Mensch unvorstellbar. Die biblische Religion wahrt den Abstand zwischen Gott und Mensch auch da, wo sich mystische Elemente zeigen. Paulus hat zwar eine Christus-Mystik, aber keine GottesMystik. Gottesfurcht bleibt die Grundlage der biblisdien Religion. Die Erfahrung der Majestät Gottes und seiner numinosen Gegenwart könnte man „Glauben" nennen. Aber wenn wir sie so nennen, muß uns klar sein, daß Glaube nicht eine besondere psychologische Leistung ist, die ihn vom Unglauben unterscheidet. Glaube hat keine theoretische Bedeutung, er ist das Leben in einer Wirklichkeit, das ebenso wirklich ist wie das Leben in Natur und Gesellschaft. Der Tor, der mit dem Psalmisten sagt: „Es ist kein Gott" (Ps. 14,1), zweifelt theoretisch nicht an der Existenz Gottes, handelt aber, als gäbe es Gott nicht - er hat keine Gottesfurcht. Der ursprüngliche Gottesgedanke des Alten Testaments entwickelte sich auf ganz anderer Grundlage, nämlich im Zusammenhang mit dem Gedanken des „Bundes". Gott befiehlt und verspricht zugleich. Das Vertrauen auf seine Verheißungen wird zum Bestandteil der Gottesfurcht. 2. Mos. 20,19 und 20 kommt klar zum Ausdrude, wie eng numinose Ehrfurcht und Vertrauen zusammengehören: „Und sie sprachen zu Mose: Rede du mit uns, wir wollen gehorchen; und laß Gott nicht mit uns reden, wir möchten sonst sterben. Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, daß er euch versuchte und daß seine Furcht euch vor Augen wäre, daß ihr nicht sündiget." Diese Worte enthalten die beiden Grundbestandteile der Beziehung zwischen Gott und Mensdi, die im Gedanken des „Bundes" liegen: „Fürchte dich nicht!" Das bedeutet: Fliehe nicht, habe Vertrauen! „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang." Das bedeutet: Vergiß seine unnahbare Heiligkeit nicht! Im hebräischen Wortlaut drückt sich das Gefühl des Vertrauens aus. Man findet Sicherheit in etwas, 102

man hält etwas für vertrauenswürdig, man nimmt etwas als gewiß an. Dieses Vertrauen widerspricht allerdings allen Wahrscheinlichkeiten, allen sichtbaren Ereignissen und allen in ihnen gründenden Berechnungen. Es ist „paradox" im wahren Sinne dieses griechischen Wortes, das heißt gegen die Meinung, die auf dem Augensdiein beruht. Am deutlichsten offenbart sich das in dem berühmten Wort, das von Abraham sagt (1. Mos. 15,6): „Er glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit." Abraham vertraute entgegen allen menschlichen Möglichkeiten, als Gott ihm sagte, er würde ein „Vater vieler Völker" werden (l.Mos. 17,4), obwohl er keinen Erben hatte und Sarah alt war. Solch ein Glaube, Hoffnung wider alle Hoffnung, ist das Annehmen des Paradoxes, ist nicht nur Inhalt der Religion, sondern zugleich Quelle der Rechtschaffenheit. Er bestimmt das ganze persönliche und soziale Leben. Jesaja setzt diesen Glaubensbegriff in Beziehung zur Geschichte. Jede nicht-religiöse Deutung der politischen Situation seiner Zeit muß in die Verzweiflung führen: Kluge Bündnisse und scharfsinnige Diplomatie können das Volk letztlich nicht retten. N u r der Glaube an die transzendente Macht und an das paradoxe Handeln Gottes können Vertrauen schenken: „Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nidit" (Jes. 7,9). Das Volk soll sich von den irdischen Mächten abwenden. Sie sind „Fleisch", sind vergänglich und geben weder Sicherheit noch letzte Hoffnung. Das Volk soll sich hinwenden zu Gott, der „Geist" ist und damit die ewige, sinnvolle und sdlöpferisdie Macht. Jesaja fordert den paradoxen Glauben an einen letzten Sinn der Geschichte entgegen allen immanenten Maßstäben von Sinn und Macht. Die transzendente Ordnung des Handelns Gottes verkehrt die immanente Ordnung menschlicher Möglichkeiten in ihr Gegenteil. Glaube ist das Annehmen dieser transzendenten Ordnung und das Zutrauen zu ihr - das ist die Glaubensvorstellung der Propheten und des klassischen Christentums. Deutero-Jesaja fügt diesem Grundgedanken ein besonderes Element hinzu. Er gebietet seinem Volk, auf Jahwe zu warten, nidit müde zu werden und nicht zu verzweifeln, obwohl die tatsächliche Situation, die Situation des Volkes als eines leidenden Knechtes (Jes. 53), in vollem Widerspruch zu dem großen Versprechen steht. Diese armen, in Gefangenschaft gehaltenen Reste des Volkes sollen zur rettenden Kraft der Weltgeschichte werden? Das ist äußerst paradox; es zu bejahen, ist „Glaube". In der späteren Entwicklung des Judentums wurde der Glaubensbegriff individueller. Hiob ist der fromme Mensch, der gegen den rationalistischen Moralismus seiner Freunde kämpft und für die unerforschliche Majestät Gottes und sein paradoxes Handeln eintritt. 103

Hiob bleibt bei seinem Glauben, obwohl er das Opfer von Gottes Ratschluß ist, der die moralischen Maßstäbe der geltenden Gesetzlichkeit in ihr Gegenteil verkehrt. Die gleiche Haltung zeigt der Glaube der Psalmisten an die Vergebung ihrer Sünden und an die Selbstoffenbarung Gottes, in der er einst über alle Feinde siegen wird. Die Entwicklung des Alten Testaments führt schließlich zum Paradox des Glaubens, das den gesamten Bereich der Endlichkeit transzendiert und das göttliche Versprechen an das Volk in das Versprechen an den Einzelnen verwandelt, er werde teilhaben an der Enderlösung des Volkes und der Welt. Der Glaube an die Auferstehung der Märtyrer und später auch aller Gerechten entsteht nicht aus dem Nachdenken über die Natur des Menschen, sondern ist das Annehmen der transzendenten göttlichen Ordnung, die die immanente Ordnung von Endlichkeit, Tod und Sünde in der Geschichte wie im individuellen Leben in ihr Gegenteil wandelt. Die Entwicklung dieses Gedankens zieht sich durch das ganze Alte Testament. II. D I E E N T F A L T U N G DER GLAUBENSIDEE IM N E U E N TESTAMENT

Es ist bemerkenswert, daß der Jesus, den die Evangelien schildern, das Wort Glaube (pistis) nicht auf sich selbst anwendet. Für ihn hat Gottes Handeln nicht wie für Jesaja und Hiob den paradoxen Charakter des „Dennoch". Sein Wille und Gottes Wille sind eins. Er ringt nicht um Glauben, sondern um Gehorsam. Seine natürlichen Wünsche widerspredien dem Willen Gottes, denn Gott will, daß er leidet und stirbt. Aber gerade in diesem Ringen zerbricht die Einheit mit Gott niemals. Diese Feststellung ist Beweis genug dafür, daß die katholischen und liberal-protestantischen Lehren von der „Nachfolge Christi" oder Nachfolge Jesu nidit auf dem biblisdien Bild von Jesus als dem Christus beruhen. Im Gegensatz zu ihm bedürfen die, welche ihm nadifolgen wollen, des Glaubens. Seine erste Botschaft gehört ganz in die Linie der prophetischen Glaubensvorstellung: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!" (Mark. 1,15) Tut Buße! Das bedeutet: Ändert euren Sinn, überwindet das Irdische und die Sünde und nehmt die transzendente Ordnung an, die in ihm offenbar geworden ist, der das Reich Gottes ist. Diese neue Ordnung verkehrt alles ins Gegenteil: Der Kleinste in dieser Ordnung ist größer als der Größte in der bisherigen Ordnung. Sünder werden angenommen und die Gerechten ausgeschlossen. Heiden und Kinder, 104

Samariter und Bauern empfangen das, was die bevorrechteten Nachkommen Abrahams, die frommen und moralischen Menschen, nicht empfangen. Letztere empfangen es nicht, weil sie die Haltung des reinen Empfangens ablehnen, nämlich den Glauben. Sie wollen etwas aufweisen: ihre Frömmigkeit, ihre Tugend, ihre vornehme Herkunft als Glieder des auserwählten Volkes. Glaube aber ist das Annehmen einer Gabe, die allen menschlichen Maßstäben und allen menschlichen Fähigkeiten widerspricht. Im vierten Evangelium erscheint Jesus als die alles umfassende Gabe, die im Glauben angenommen werden soll. Der Widerstand der Juden gegen ihn beruht nicht auf intellektuellen Schwierigkeiten, sondern auf dem Widerstand gegen die göttliche Ordnung im Namen der Ordnung der „Welt", deren Grundstruktur dämonisch ist. Bei Paulus wird dieser Gedanke noch deutlicher herausgearbeitet: Glaube ist nicht intellektuelle Zustimmung, sondern das Annehmen des paradoxen Gerichts Gottes, das den Sünder zum Gerechten macht, während er noch Sünder ist. Glaube ist das Annehmen der göttlichen Tat, die allen jüdischen und griechischen Vorstellungen von Gottes Tun widerspricht. Die Juden erwarten „Macht", die Griechen „Weisheit". Aber Gott handelt durch die Schwachheit und Torheit des Kreuzes. Wieder kehrt er die menschliche Ordnung um und richtet seine Macht und Weisheit auf bei denen, die sie annehmen - im Glauben. Darum ist unsere Versöhnung mit Gott, mit dem letzten Sinn unseres Lebens und als Folge davon mit uns selbst und mit den anderen nicht eine Sache unseres Strebens und Bemühens, sondern eher die Annahme eines Geschenks, durch das wir „gottselig" werden. Glaube ist kein Gefühlsakt, den wir beliebig selbst herbeiführen. Er ist auch nicht ein Verstandesakt, der Ungewisses für gewiß hält, sondern er ist eine innere Bereitschaft, die uns geschenkt wird, aber nicht von uns „gemacht" werden kann. Glaube birgt ein Element des Vertrauens in sich, ist aber nicht dasselbe wie Vertrauen. Pistis ist der Zustand des Uberzeugtseins. Darum kann das Element des Annehmens nicht aus dem Glaubensbegriff entfernt werden. Niemals aber ist der Glaube eine Lehre, immer ist er eine Wirklichkeit, die man annimmt, ein göttliches, paradoxes Tun. Glaube, der Überzeugung und Vertrauen einschließt, ist das Festhalten an einer transzendenten Ordnung. Das 11. Kapitel des Hebräerbriefs zählt verschiedene Bestandteile des Glaubensbegriffs auf: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nicht-Zweifeln an dem, das man nicht sieht" (Hebr. 11,1). Das, was man nicht sieht, ist die transzendente Ordnung, angenommen zu sein in gläubiger Überzeugtheit. Das, was man hofft, ist das paradoxe Wirken Gottes sowohl 105

im Einzelleben wie auch allgemein in der Geschichte - angenommen zu sein in gläubiger Überzeugtheit. Der Hebräerbrief bringt zahlreiche Beispiele d a f ü r und bringt damit die biblische Entwicklung des Glaubensbegriffs zum Abschluß. Diese Entwicklung zeigt eine überraschende Folgerichtigkeit von ihrem ersten Anfang bis hin zu ihrem reifen Abschluß. III. ENTSTELLUNG U N D B E W A H R U N G DES GLAUBENS IN DER KIRCHENGESCHICHTE

Als das Christentum sich in der griechischen Welt ausbreitete, mußte es sich einer fremden geistigen Atmosphäre anpassen. Das ungebrochene Leben der biblisdien Überlieferung stand in keinem Zusammenhang mit der griechischen Kultur. In dieser herrschte das rationale Denken vor. Erkennen betrachtete man als die H a u p t f u n k t i o n des menschlichen Geistes. In der Form der gnosis hatte sie sogar eine erlösende Funktion. So konnte ein Apologet, kaum hundert Jahre nach dem Abschluß des Apostolischen Zeitalters, das Glaubensbekenntnis der Christen auf folgende Sätze beschränken: „Sie erkennen Gott als Schöpfer und Urheber aller Dinge. Sie haben die Gebote ihres H e r r n Jesus Christus tief in ihre Herzen eingeprägt und beachten sie, weil sie eine Auferstehung der Toten und ein Leben der künftigen Welt erwarten" (Aristides). Für Aristides ist Glaube sowohl die intellektuelle Annahme einzelner Bestandteile einer Lehre als auch die moralische Unterwerfung unter ein neues Gesetz. In Wirklichkeit war der Glaube der Christen reicher, als es diese Worte vermuten lassen, jedoch die paradoxe Macht des biblisdien Glaubensbegriffs ging ihnen verloren. Das wird deutlich, wenn ein Mann wie Tertullian das Paradox in folgender Form betont: „Der Sohn Gottes ist gestorben. Das ist glaubhaft, weil es unwahrscheinlich ist. U n d der Begrabene ist wieder auferstanden. Das ist gewiß, weil es unmöglich ist." Das Paradox erscheint hier in seiner intellektuellen Verzerrung: Der christliche Glaube wird aus einem wirklichen Paradox zu einem logischen Paradox gemacht. Die rationale Vernunft wird geleugnet. Diese A r t Tertullians, Glauben zu verstehen, ist seitdem in der Kirchengeschichte immer wieder aufgetreten bis in unsere Zeit hinein. Audi der Neo-Supranaturalismus huldigt weitgehend dieser A u f fassung, die sich als biblisch bezeichnet, es aber nicht ist. Da diese Methode aber in Wahrheit unbiblisch ist, so f ü h r t sie zwangsläufig zu einer heteronomen Unterwerfung unter die Bibel oder die Kirche. Ter-

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tullian sagt: „Nur das zu wissen, was der Richtschnur des Glaubens entspricht, bedeutet alles zu wissen." Der Neo-Supranaturalismus könnte diesen Satz unterschreiben. Er brauchte nur für „Richtschnur des Glaubens das „Wort der Bibel" zu setzen. Das ist aber schlechthin unbiblisch. Leitet man die Autorität des Glaubens von etwas außerhalb seiner selbst ab, so tritt autonomes Denken neben den Glauben, nach griechischer Auffassung stände es sogar über ihm. So ist bei Clemens und der Schule von Alexandria Glaube das Annehmen einer auf Autorität beruhenden Überlieferung. Jenseits des Glaubens deutet die Gnosis die Überlieferung „in Übereinstimmung mit der wahren Philosophie". Glaube ist die Anerkennung einer Philosophie, die durch die Vernunft ausgelegt werden muß. - Augustin unterscheidet zwei Elemente im Glauben: erstens das Annehmen einer sich auf die Autorität der Kirche gründenden Lehre. Ohne diese Autorität, sagt Augustin, hätte er nicht an das Evangelium geglaubt. Von diesem Element des Glaubens ist ein zweites zu unterscheiden, das Augustin mit intelligere bezeichnet und das identisch ist mit dem „Glauben an die Wahrheit an sich". Weiter unterscheidet Augustin zwischen dem credere deo aut christo und dem credere in deum aut ehristum. Mit dem ersteren meint er die Unterwerfung unter Christus als Autorität, mit dem letzteren die mystische Verbundenheit mit Christus als einer lebendigen Wirklichkeit. Aber das erstere ist das Wichtigere: „Glaube, um zu verstehen!" - Mit der Forderung des „Glaubens an die Wahrheit selbst" erneuert Augustin (obwohl mit vorwiegend mystischer Betonung) ein Grundelement des biblischen Glaubensbegriffs. Zugleich aber hält er an dem autoritären Element des Katholizismus fest. Die mittelalterlichen Schulen folgen Augustin in bezug auf den supranaturalen Charakter des Glaubens, der fides formata, wie sie ihn bezeichnen. Denn der ursprüngliche Glaube der älteren Franziskaner ist in seiner höchsten Ausprägung eine unmittelbare Einheit mit der letzten Wahrheit, das heißt, mit Gott. Er ist ein tastendes Berühren der transzendenten Wirklichkeit, die ebenso unmittelbar und ebenso gewiß ist wie irgendeine Sinneserfahrung. Er wird als Süßigkeit und Freude empfunden. Von dieser fides formata ist die fides informis zu unterscheiden. Diese Form des Glaubens ist eine psychologische Reaktion auf das Hören des Wortes oder auf rationale Argumente. Sie ist eine Vorbereitung auf den wahren Glauben, und zwar auf die mystische Verbundenheit mit Christus, die Liebe einschließt. Bei Thomas von Aquino wird der Verstand zum wahren Glaubensorgan: „Der Glaubensakt besteht im wesentlichen in Erkenntnis und ihrer Vervollkommnung." Vollkommene Erkenntnis ist aber von zwei 107

Bedingungen abhängig: Da man erstens mit dem reinen Verstände übernatürliche Objekte nicht erfassen kann, muß der Wille den Verstand dahin bringen, sie - mit Hilfe der Gnade - anzunehmen. Aber - und das ist die zweite Bedingung - vollkommener Glaube - fides explicite ist nur wenigen gelehrten Menschen erreichbar. Die Massen, zu denen auch die Durchschnittsgeistlichen zu zählen sind, erreichen nur fides implicite. Sie glauben, was die Kirche glaubt, und das ist genug. Die Bereitschaft zum Übernatürlichen, die zum Glauben nach dieser Auffassung gehört, wird immer mehr zur unbewußten Neigung, den Inhalt der Bibel und seine kirchliche Deutung zum Glaubensinhalt zu machen. Hier zeigen sich schon alle Elemente dessen, was in unserer Zeit den biblisdien Glaubensbegriff fast zum Verschwinden gebracht hat: unterbewußte Tendenzen der christlichen Tradition und Verstandesakte, die nicht sehr weit führen und von dem Wunsche genährt werden, das zu glauben, was die Autoritäten sagen. Im Mittelalter war die Wirklichkeit einer religiösen Substanz noch tragender Untergrund des Glaubens. In dieser Substanz lebte jedermann als in seiner natürlichen Atmosphäre. Die Elemente der Skepsis wurden also erst gefährlich, als man autonom zu denken begann. Der moderne Humanismus aber beschrieb den Glauben als eine Verbindung von traditionsgemäßer Einstellung, intellektueller Überzeugung ohne hinreichende Evidenz und einem unterstützenden Willensakt. Das führte zum Auseinanderbrechen dieser drei Elemente und zum völligen Verlust des christlichen Glaubensbegriffs. IV. D I E WIEDERENTDECKUNG DER BIBLISCHEN GLAUBENSIDEE DURCH DIE REFORMATOREN

Luther entdeckte von neuem den Glauben als das Zentrum der Religion. Der Glaube wurzelt in der Ganzheit unserer Person. Er bewegt das Innerste unserer Person auf Gott zu. Glaube ist der revolutionäre Akt, in dem Gott sich uns schenkt in einem Akt persönlicher Begegnung. Wir haben in diesem Akt nichts zu tun, aber alles zu empfangen. Glaube ist nicht ein Akt verschwommenen Denkens, der in einem Willensakt gipfelt, sondern Glaube ist ein Empfangen von etwas, das vor jedem Verstandes- oder Willensakt liegt. Auch ist der Glaube nicht eine unterbewußte übernatürliche Fähigkeit, sondern eine lebendige Madit. Der rechte Glaube ist etwas Starkes, Mächtiges und Wirkendes, dem nichts unmöglich ist. Er kennt nicht Rast noch Ruhe. Aus dem Glauben 108

erwächst die Persönlichkeit, nicht umgekehrt. „Der Glaube schafft die Person, die Person schafft die Werke, nicht die Werke die Person", seien es sakramentale, moralische oder geistige Werke. Sie sind Folgen, nicht Vorbedingungen des Glaubens. Glauben ist Festhalten an Gott und an seinen Verheißungen. Glaube ist Religion schlechthin. Darum hat die Theologie der Reformatoren keinen Raum für den impliziten Glauben. Gemeinschaft mit Gott besteht oder besteht nicht. Da sie eine persönliche Beziehung ist, kann man sie nicht in dogmatische Einzelsätze zerlegen. Die Wiederentdeckung des personalen Glaubenscharakters zieht die Wiederentdeckung seines paradoxen Charakters nach sich. Luther erkennt mehr als jeder andere seit Jesaja und Paulus das paradoxe Handeln Gottes. In der Art, wie Gott sich in Christus offenbart, wird dieses Handeln sichtbar und verbirgt sich zugleich. „Wer an Christus glaubt, muß in der Armut den Reichtum, in der Schande die Ehre, in der Trübsal die Freude und im Tode das Leben erkennen." Das ist Gottes Art zu handeln, wo immer er handelt. Darum erscheint der Gläubige dem gesunden Menschenverstand gegenüber als närrisch und töricht. Es ist schwer zu glauben, daß der allmächtige Gott in Natur und Geschichte so staunenerregend schöpferisch und zugleich so zerstörerisch handelt und doch in seinem innersten Wesen der Gott der Liebe ist; daß er der Gott ist, der in Christus sich seiner Macht begeben und erniedrigt hat, und dann auch wieder der Gott ist, der unsere Sünden vergibt. Dadurch erlangen wir eine Gerechtigkeit, wie sie menschlicher Ordnung und menschlichem Eifer unerreichbar ist. Sie kommt zu uns, wenn wir sie annehmen, und zwar im Glauben. Es gibt nur eine Sünde: die Weigerung, Gott anzunehmen, wenn er sich selbst uns gibt und dabei unsere Schuld und Verzweiflung, unsere Unmoral und unseren Irrtum nicht beachtet. Unglaube ist die Sünde aller Sünden, weil er eine transzendente Ordnung leugnet, durch die die Ordnung der Endlichkeit, der Sünde und des Todes in ihr Gegenteil verwandelt, gerichtet und erlöst wird. Calvin betont die Objektivität des Glaubensinhalts stärker als Luther, so daß er sagen kann: „Glaube ist eine gewisse und sichere Erkenntnis der göttlichen Gnade für mich." Zu gleicher Zeit reduziert sein Biblizismus und sein systematisches Interesse den Enthusiasmus in Luthers Worten hinsichtlich des Glaubens bis zu gewissem Grade zu einer mehr lehrhaften Nüchternheit. Aber sein Biblizismus und sein systematisches Interesse hindern ihn daran, dem Enthusiasmus, der in Luthers Worten über den Glauben zum Ausdruck kommt, ganz zu folgen. Sein Glaubensbegriff ist mehr von seiner doktrinären Nüchternheit 109

bestimmt. Gleichwohl, die Idee ist dieselbe. Calvin greift besonders den „impliziten" Glauben an, in dem er eine völlige Zerstörung des lebendigen, persönlichen Glaubens sieht. Er betont den eschatologischen Charakter des Glaubens und sein Hoffnungselement. Auch weiß er sc gut wie Luther um den paradoxen Charakter des Glaubens: „Der Geist Gottes zeigt uns verborgene Dinge, die man unmöglich durch die Sinne erfahren kann." „Uns ist das ewige Leben versprochen - uns, den Toten. Man erzählt uns von Auferstehung, während wir von Untergang umgeben sind. Man nennt uns rechtschaffen - uns, in denen die Sünde wohnt. Wir sollen gesegnet sein - und sind doch von unendlichem Elend bedrückt. Ein Uberfluß an Gütern ist uns versprochen, wo unser Reichtum dodi nur Hunger und Durst ist. Gott ruft uns zu, bald wäre er bei uns, aber er scheint unser Rufen nidit zu hören." In diesen Worten ist die gesamte Entwicklung des christlichen Glaubensbegriffs noch einmal zusammengefaßt. Glaube ist das Annehmen der transzendenten Ordnung, die das Gegenteil der Ordnung ist, in die wir hineingeboren sind. Das gil: für unser persönliches Leben, für die Geschichte und für die ganze Welt. Glaube ist das triumphierende Paradox des Lebens.

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WESEN U N D

WANDEL DES

GLAUBENS

VORBEMERKUNG Es gibt kaum ein Wort der religiösen Sprache - weder der gelehrten noch der volkstümlichen - , das mehr Mißverständnissen, Entstellungen und fragwürdigen Begriffsbestimmungen ausgesetzt ist als das Wort „Glaube". Es gehört zu jenen Begriffen, die selber erst geheilt werden müssen, ehe sie zur Heilung des Menschen gebraucht werden können. Heute führt das Wort „Glaube" mehr in die Irre als zum Heil. Es verwirrt und erzeugt bald Skepsis, bald Fanatismus, Widerstand auf seiten des Verstandes und gefühlsmäßige Hingabe, Abwendung von echter Religion und unkritische Annahme von Surrogaten. Manchmal möchte man fast dazu raten, das Wort „Glaube" gänzlich aus dem Spiel zu lassen. Aber wie wünschenswert das auch sein mag, so ist es doch kaum möglich. Eine mächtige Uberlieferung schützt dieses Wort. Und außerdem besitzen wir bisher keinen anderen Begriff, der der Wirklichkeit gerecht wird, auf die das Wort »Glaube" hinweist. So gibt es zur Zeit keinen anderen Ausweg, als den Versuch zu unternehmen, dieses Wort neu auszudeuten und die irreführenden und sinnentstellenden Vorstellungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte beigesellt haben, auszuschalten. Der Verfasser hofft, daß ihm wenigstens dieses Vorhaben gelingen möge, auch wenn er sein viel weitergespanntes Ziel nicht erreichen sollte: einige Leser von der verborgenen Macht des Glaubens in ihrem Innern zu überzeugen und ihnen die unendliche Bedeutung dessen vor Augen zu führen, worauf der Glaube gerichtet ist.

I. WAS DER GLAUBE IST 1. Glaube als Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht Glaube ist das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht. Der Mensch ist wie jedes andere Lebewesen um vielerlei Dinge besorgt, vor allem sorgt er sich um so notwendige Dinge wie Nahrung und Behausung. Aber im Unterschied zu anderen Lebewesen hat der Mensch auch geistige Anliegen, ästhetische, soziale, politische, und er strebt nach 111

Erkenntnis. Manche von diesen Anliegen sind dringlich, oft sogar äußerst dringlich, und jedes von ihnen kann ebenso wie die Erfordernisse des Lebensunterhalts als unbedingt notwendig im Leben eines einzelnen Menschen wie auch einer ganzen Gemeinschaft betrachtet werden. Wenn das geschieht, fordert das Anliegen völlige Hingabe von dem, der diesen Anspruch bejaht. Aber zugleich verheißt es vollkommene Erfüllung, selbst wenn alle anderen Ansprüche dahinter zurücktreten oder sogar völlig verleugnet werden müßten. Wenn ein Volk Leben und Gedeihen der Nation zu seinem höchsten Anliegen macht, verlangt es, daß ihm alle anderen Dinge aufgeopfert werden, wie Wohlstand, Gesundheit und Leben, die Familie, Kunst und Erkenntniswerte, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Die extremen Formen des Nationalismus, wie wir sie in unserer Zeit erlebt haben, sind geradezu Musterbeispiele dafür, wie sich ein „höchstes Anliegen" auswirken kann, und zwar in allen Bereichen menschlichen Daseins bis hinab zu den trivialsten Angelegenheiten des täglichen Lebens. Alles hat dem einzigen Gott zu dienen, eben der Nation. Wenn sich auch dieser Gott schließlich als ein Dämon erweist, zeigt er doch klar den unbedingten Anspruch, den jedes „höchste Anliegen" erhebt. Aber das unbedingte Anliegen eines Menschen erschöpft sich nicht nur in der Forderung bedingungsloser Unterwerfung; es enthält auch die Verheißung höchster Erfüllung, die man gläubig erwartet. Diese Verheißung braucht durchaus nicht im einzelnen bestimmt zu werden. Sie kann in unbestimmten oder konkreten Symbolen zum Ausdruck kommen, nur darf man solche Symbole nicht wörtlich nehmen. Das gilt z. B. für die „Größe" der eigenen Nation, an der man angeblich sogar dann teilhat, wenn man für sie gestorben ist, oder für die Erlösung der Menschheit durch eine Herrenrasse usw. In jedem solchen Falle wird eine „letzte Erfüllung" verheißen und das Ausgeschlossensein von solcher Erfüllung dem angedroht, der sich der unbedingten Forderung entzieht. Ein Beispiel - und mehr als ein Beispiel - ist der Glaube, der sich in der Religion des Alten Testaments zeigt. Auch er hat den Charakter des Unbedingten in Forderung, Drohung und Verheißung. Doch das, was unbedingt angeht, ist nicht die Nation, obgleich der jüdische N a tionalismus gelegentlich versucht hat, ihm diese verzerrte Form zu geben, sondern das, was unbedingt angeht, ist der Gott der Gerechtigkeit, der der allmächtige Gott, der Gott der gesamten Schöpfung, genannt wird, weil er für jeden Menschen und für jedes Volk die Gerechtigkeit verkörpert. Er ist das unbedingte Anliegen jedes frommen Juden, und deshalb wird in seinem Namen das vornehmste Gebot 112

verkündet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen." (5. Mos. 6, 5.) Damit ist ausgedrückt, was letztes Anliegen, letztes ErgrifFensein bedeutet, und von diesem „vornehmsten" Gebot ist der Begriff des „letzten Anliegens" oder dessen, „was uns unbedingt angeht", abgeleitet. Dieses Gebot verkündet unzweideutig das Wesen echten Glaubens und die Forderung ganzer Hingabe an das, was letztes Anliegen ist. Das Alte Testament ist voller Gebote, die die Natur solcher Hingabe verdeutlichen, und es verknüpft sie mit einer Fülle von Verheißungen und Drohungen. Auch hier sind die Verheißungen von einer symbolischen Unbestimmtheit, obgleich im Mittelpunkt die Vollendung und Erfüllung des nationalen und persönlichen Lebens stehen. Als Drohung aber erscheint die Verweigerung solcher Erfüllung; sie bedeutet entweder Untergang des Volkes oder Auslöschung des Individuums. Für den Menschen des Alten Testaments ist Glaube der Zustand des letzten und unbedingten Ergriffenseins von Jahwe und von all dem, was er verkörpert in seinen Geboten, Drohungen und Verheißungen. Ein anderes Beispiel, fast ein Gegenbeispiel, obgleich nicht weniger aufschlußreich, ist die Art, wie Erfolg im Leben, Ansehen in der Gesellschaft und wirtschaftliches Vorwärtskommen zum unbedingten Anliegen gemacht werden. Das ist der „ G o t t " vieler Menschen in der vom Geist der Konkurrenz beherrschten abendländischen Welt. Auch er erheischt wie jedes letzte Anliegen bedingungslose Befolgung seiner Gesetze, selbst wenn das die Preisgabe echter menschlicher Beziehungen, eigener Überzeugungen und des schöpferischen Eros bedeuten sollte. Seine Drohung ist sozialer und wirtschaftlicher Abstieg; seine Verheißung, unbestimmt wie alle Verheißungen dieser Art, stellt die Erfüllung des eigenen Seins in Aussicht. Der Zusammenbruch eines solchen Glaubens ist ein bezeichnender Zug in unserer zeitgenössischen Literatur, die gerade hierdurch religiös bedeutsam wird. Nicht falsche Berechnung, sondern ein irregegangener Glaube offenbart sich in solchen Romanen wie John P. Marquands „Es gibt kein Zurück". Im Augenblick ihrer Erfüllung erweist sich die Verheißung als nichtig. Glaube ist der Zustand des Ergriffenseins von etwas, das uns unbedingt angeht. Der jeweilige Inhalt des Glaubens ist zwar von größter Wichtigkeit für den Gläubigen, aber dieser Inhalt ist unerheblich für die Begriffsbestimmung des Glaubens. Das ist die erste Einsicht, der wir uns öffnen müssen, wenn wir die Dynamik des Glaubens verstehen wollen.

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2. Glaube als Akt der ganzen Person Glaube als Ergriffensem von dem, was uns unbedingt angeht, ist ein Akt der ganzen Person. Er vollzieht sich in der Mitte des personalen Lebens, und alle Elemente des persönlichen Seins nehmen daran teil. Glaube ist der innerste und umfassendste Akt des menschlichen Geistes. Er ist kein Vorgang in einem Teilbereich der Person oder eine spezielle Funktion des menschlichen Seins. Alle Funktionen des Menschen sind im Akt des Glaubens vereinigt. Der Glaube ist jedoch nicht bloß die Summe ihrer einzelnen Elemente. Er überschreitet jeden Teilbereich des menschlichen Seins und wirkt zugleich auf jeden einzelnen von ihnen ein. Da Glaube ein Akt der ungeteilten Person ist, hat er an der Dynamik des persönlichen Lebens teil. Diese Dynamik ist mannigfacher Weise dargestellt worden, besonders aber haben sich die neuesten Veröffentlichungen der analytischen Psychologie damit befaßt. Das Denken in Polaritäten, die Beobachtung der sich aus ihnen ergebenden Spannungen und Konflikte ist ihnen allen gemeinsam. Das macht die Psychologie der Person zu einer äußerst dynamischen Angelegenheit und führt notwendig zu einer dynamischen Theorie des Glaubens, der mehr als jede andere Lebensäußerung des Menschen in der Mitte des persönlichen Seins wurzelt. Die erste und entscheidende Polarität in der analytischen Psychologie ist die zwischen dem sogenannten Unbewußten und dem Bewußten. Glaube als ein Ausdruck der gesamten Person ist nicht denkbar ohne die Mitwirkung der unbewußten Elemente in der Struktur der Person. Diese sind immer gegenwärtig und bestimmen weitgehend den Inhalt des Glaubens. Andererseits ist aber der Glaube ein bewußter Akt, und die unbewußten Elemente sind somit an der Entstehung des Glaubens nur dann beteiligt, wenn sie in das Zentrum der Person hineingenommen und von ihm durchdrangen werden. Wenn das nicht geschieht, wenn unbewußte Kräfte allein die innere Verfassung des Menschen bestimmen, dann entsteht kein Glaube, sondern Zwangsakte mannigfacher Art treten an seine Stelle. Aber Glaube ist eine Sache der Freiheit. Freiheit wiederum ist nichts anderes als die Möglichkeit, aus der Mitte der Person zu handeln. Diese Einsicht könnte hilfreich sein bei den häufigen Diskussionen, in denen Glaube und Freiheit als Gegensätze dargestellt werden. In dieser Sicht sind Freiheit und Glaube ein und dasselbe. Nicht minder bedeutsam für das Verständnis des Glaubens ist die Polarität zwischen dem, was Freud und seine Schule als Ich und UberIch bezeichnet haben. Der Begriff des Uber-Ichs ist reichlich zweideutig. 114

Einerseits ist es die Grundlage allen kulturellen Lebens, insofern es dem hemmungslosen Nachgeben gegenüber der stets drängenden libido Grenzen setzt. Andererseits beschneidet es die Vitalität des Menschen, erzeugt das „Unbehagen an der Kultur" und führt unter Umständen zu Neurosen. Von diesem Gesichtspunkt aus erscheinen die Symbole des Glaubens als Ausdrude des Über-Ichs oder, konkret gesagt, des »VaterBildes", das dem Uber-Ich seinen eigentlichen Inhalt gibt. Dieser unzulänglichen Theorie des Uber-Ichs liegt Freuds naturalistische Ablehnung von Normen und Prinzipien zugrunde. Wenn sich das Uber-Ich nicht durch objektive Normen rechtfertigt, wird es zum Tyrannen. Aber wirklicher Glaube vermag sich in das Vater-Bild zu kleiden, und dennoch verwandelt er es in ein Prinzip der Wahrheit und Gerechtigkeit, das gegebenenfalls selbst gegen den „Vater" verteidigt werden muß. Jedenfalls können Glaube und Kultur nur bewahrt werden, wenn das Uber-Ich die Normen und objektiven Prinzipien des Seins verkörpert. Hier erhebt sich folgende Frage: In welcher Beziehung stehen der Glaube als ein personhafter, zentraler Akt und die rationale Struktur des Menschen, wie sie sich bekundet in seiner sinnvollen Sprache, seiner Fähigkeit, das Wahre zu erkennen und das Gute zu tun sowie in seinem Sinn für Schönheit und Gerechtigkeit? All das und nicht nur sein Vermögen, zu unterscheiden, zu berechnen, zu begründen, macht den Menschen zu einem vernunftbegabten Wesen. Aber trotz dieses umfassenderen Begriffs der Vernunft ist die Auffassung abzulehnen, daß die eigentliche Natur des Menschen mit der rationalen Struktur seines Geistes gleichzusetzen sei. Der Mensch hat die Möglichkeit, sich für oder gegen die Vernunft zu entscheiden; er ist fähig, in seinem schöpferischen Tun über die Vernunft hinauszugehen oder wider alle Vernunft zu zerstören. Was dem Menschen dieses Vermögen gibt, ist die Macht seines Selbst, in dessen innerstem Kern alle Elemente seines Seins vereinigt sind. Glaube ist also nicht ein Akt irgendwelcher rationaler Kräfte, wie er auch kein Akt des Unbewußten ist, sondern er ist ein Akt, in dem sowohl die rationalen wie auch die nicht-rationalen Elemente des menschlichen Seins transzendiert werden. Glaube als der umfassende und innerste Akt der Person ist „ekstatisch". Er ist mehr als die Triebkräfte des nicht-rationalen Unterbewußten, und er geht auch über die Strukturen des rationalen Bewußtseins hinaus. Er transzendiert sie, aber zerstört sie nicht. Der ekstatische Charakter des Glaubens schließt das Rationale nicht aus, obgleich er nicht identisch mit ihm ist, und er umschließt auch nichtrationale Elemente, ohne sich in ihnen zu erschöpfen. In der Ekstase des Glaubens 115

lebt ein Bewußtsein der Wahrheit und des Sittlichen; Liebe und Haß, Streit und Versöhnung, individuelle und kollektive Einflüsse, wie sie im Verlaufe des Lebens erfahren wurden, sind im Glauben aufgehoben. „Ekstase" bedeutet »Außer-sich-Sein", ohne aufzuhören, man selbst zu sein, ohne auch nur eines der Elemente preiszugeben, die im Zentrum der Person vereinigt sind. Für das Verständnis des Glaubens ist weiterhin wichtig die Spannung zwischen der Erkenntnisfunktion einerseits und dem Gefühl und Willen andererseits. In einem späteren Kapitel will ich mich um den Nachweis bemühen, daß viele Mißverständnisse dessen, was Glaube ist, ihre Wurzel in dem Bestreben haben, den Glauben der einen oder anderen dieser Funktionen zuzuordnen. Hier sei nur mit allem Nachdruck gesagt, daß in jedem Glaubensakt auch ein Erkenntnis-Element enthalten ist, aber nicht als Ergebnis eines eigenständigen Denkprozesses, sondern als ein unentbehrliches Element in einem ganzheitlichen Akt des Empfangens und der Hingabe. Damit wird auch die Auffassung zurückgewiesen, daß der Glaube das Ergebnis eines unabhängigen Willensaktes ist. Natürlich bejahen wir auch willensmäßig das, was uns unbedingt angeht; aber der Glaube ist kein Werk des Willens. In der Ekstase des Glaubens ist die Bereitschaft zu Annahme und Hingabe nur ein Element des Glaubens, keineswegs aber seine Ursache. Und das gleiche gilt für das Gefühl. Glaube erwächst nicht aus einem Überschwang des Gefühls, das ist nicht mit Ekstase gemeint. Gewiß ist Gefühl im Glauben enthalten wie in jeder Äußerung geistigen Lebens. Aber Gefühl erzeugt keinen Glauben. Dieser enthält Erkenntnis, ist aber zugleich auch eine Entscheidung des Willens, das heißt, er ist die Einheit all dieser Elemente im „zentrierten" Selbst. Natürlich schließt die Einheit nicht aus, daß das eine oder andere Element in besonderen Formen des Glaubens vorherrscht. Dieses Element bestimmt dann den Charakter des Glaubens, aber es erzeugt ihn nicht. Das beantwortet auch die Frage nach der Möglichkeit einer Psychologie des Glaubens. Alles, was sich im personhaften Sein des Menschen ereignet, kann zum Gegenstand der Psychologie werden. Und es ist auch wichtig, daß sich sowohl der Religionsphilosoph wie auch der Seelsorger darüber klar werden, wie der Akt des Glaubens in die Gesamtheit der psychologischen Prozesse eingebettet ist. Aber im Gegensatz zu dieser berechtigten und sogar notwendigen Form einer Psychologie des Glaubens steht eine andere, die sich bemüht, den Glauben von etwas abzuleiten, was nichts mit Glauben zu tun hat, sondern in den meisten Fällen Furcht ist. Ein solches Verfahren stützt sich auf die Annahme, daß die Furcht oder irgend eine andere Seelenregung, von 116

der Glaube abgeleitet wird, ursprünglicher und grundlegender ist als der Glaube selbst. Aber eine solche Annahme läßt sich nicht beweisen. Im Gegenteil, man kann nachweisen, daß in jedem wissenschaftlichen Verfahren, das zu solchen Schlußfolgerungen führt, immer schon der Glaube wirksam ist. Der Glaube besteht vor allen Versuchen, ihn von irgend etwas anderem abzuleiten; denn diese Versuche setzen selbst den Glauben voraus. 3. Die Quelle des Glaubens Wir haben den Glauben und seine Beziehung zur Person als ganzer beschrieben. Glaube ist danach ein ganzheitlicher Akt aus der Mitte des personhaften Selbst, in dem wir das Unbedingte, Unendliche ergreifen und von ihm ergriffen sind. Was aber ist die Quelle dieses allumfassenden und alles transzendierenden Anliegens? Das Wort „unbedingtes Anliegen" weist auf zwei Seiten einer Beziehung hin, nämlich sowohl auf den, der davon ergriffen ist, wie das, was ihn ergreift. Daraus ergibt sich, daß wir uns einmal die Situation des Menschen an sich und dann in Beziehung zu seiner Welt vergegenwärtigen müssen. Die Tatsache, daß der Mensch ein unbedingtes Anliegen hat, enthüllt etwas über sein Wesen, nämlich, daß er imstande ist, das beständige Fluten endlicher und flüchtiger Erfahrungen zu transzendieren. Die Erfahrungen, Gefühle und Gedanken des Menschen sind bedingt und vergänglich. Das gilt nicht nur insofern, als sie kommen und gehen, sondern auch ihrem Inhalt nach, es sei denn, daß sie auf die Ebene unbedingter Gültigkeit erhoben werden. Das aber setzt eine besondere Fähigkeit voraus und das Vorhandensein des Elements der Unendlichkeit im Menschen. Der Mensch ist imstande, in einem unmittelbaren, personhaften und zentralen Akt den Sinn des Letzten, Unbedingten, Absoluten, Unendlichen zu erfassen. Das allein macht Glauben zu einer Möglichkeit des Menschen. Menschliche Möglichkeiten sind Kräfte, die zur Verwirklichung drängen. Der Mensch wird zum Glauben getrieben durch sein Gewahrwerden des Unendlichen, zu dem er gehört, das er aber nicht wie einen Besitz zu eigen haben kann. Damit ist in dürren Worten gesagt, was im Verlauf des Lebens als »Unruhe des Herzens" erscheint. Unbedingtes Ergriffensein - der Glaube - ist Ergriffensein durch das Unbedingte. Die unendliche Leidenschaft, wie man den Glauben auch genannt hat, ist die Leidenschaft f ü r das Unendliche; oder, um auf unsere frühere Formulierung zurückzukommen, bei dem „unbedingten Anliegen" geht es dem Menschen um das, was er als unbedingt, als 117

letztgültig erfahren hat. Damit haben wir uns von der subjektiven Seite des Glaubens als eines zentralen Aktes der Person zu seiner objektiven Bedeutung gewandt, zu der Frage, was im Akt des Glaubens erfahren wird. Es würde uns auf dieser Stufe unserer Untersuchung nicht weiterhelfen, das, was im Akte des Glaubens erfahren wird, „Gott" oder „einen Gott" zu nennen. Hier fragen wir vielmehr: Was begründet in der Idee Gottes die Göttlichkeit? Die Antwort lautet: Es ist das Element des Unbedingten, des letztlich Gültigen. Das bestimmt das Wesen der Göttlichkeit. Wenn man das begreift, versteht man auch, warum fast alles „im Himmel und auf Erden" in der Geschichte der Religion den Charakter des Unbedingten erlangt hat. Aber wir können auch verstehen, daß im religiösen" Bewußtsein des Menschen immer schon ein kritisches Prinzip am Werke war und ist, das darauf aus ist, das wirklich Unbedingte von dem zu scheiden, was zwar den Anspruch auf Unbedingtheit erhebt, in Wirklichkeit aber nur vorläufig, vergänglich und endlich ist. Der Ausdruck „unbedingtes Anliegen" umfaßt die subjektive und die objektive Seite im Akte des Glaubens, die fides qua creditur, das heißt der Glaube, durch den man glaubt, und die fides quae creditur, das heißt der Glaube, der geglaubt wird. Die erstgenannte Formel ist der klassische Ausdruck für den aus dem Innersten des Menschen kommenden Akt oder für sein unbedingtes Anliegen. Die zweite Formel ist der klassische Ausdruck für das, worauf der Akt gerichtet ist, für das Unbedingte selbst, ausgedrückt in Symbolen des Göttlichen. Diese Unterscheidung ist gewiß sehr wichtig, aber doch nicht von höchster Bedeutung, denn keine der beiden genannten Seiten des Glaubensaktes kann für sich bestehen. Es gibt keinen Glauben ohne Inhalt, der ihn erfüllt, denn im Glauben ist immer etwas Bestimmtes gemeint. Andererseits ist es unmöglich, sich den Inhalt des Glaubens anzueignen außer durch einen Akt des Glaubens. Alles Reden über göttliche Dinge ist sinnlos, wenn es nicht im Zustand letzten ErgrifFenseins geschieht. Denn das im Akte des Glaubens Gemeinte kann auf keine andere Art erlangt werden als eben durch einen Glaubensakt. In Ausdrücken wie letztgültig, unbedingt, unendlich, absolut ist der Unterschied zwischen dem Subjektiven und Objektiven überwunden. Das unbedingte Ergriffensein im Glaubensakt und das Unbedingte, das im Akt des Glaubens erfahren wird, sind ein und dasselbe. Die Mystiker drücken das symbolisch aus, wenn sie sagen, daß ihr Wissen um Gott das Wissen ist, das Gott von sich selbst hat. Und Paulus meint im Grunde dasselbe, wenn er sagt (1. Kor. 17): „dann aber werde ich erkennen, gleich wie ich erkannt bin", nämlich von Gott. Gott kann 118

niemals Objekt sein, ohne zugleich Subjekt zu sein. Nicht einmal ein Gebet dringt nach Paulus an Gottes Ohr, wenn nicht Gottes Geist in uns betet (Rom. 8). Die gleiche Erfahrung kann man abstrakt formulieren als die Aufhebung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes in der Erfahrung des Unbedingten. Im Akte des Glaubens ist der Ursprung dieses Glaubens gegenwärtig jenseits der Spaltung von Subjekt und Objekt. Diese Wesensbestimmung des Glaubens gibt uns ein zusätzliches Kriterium für die Unterscheidung von wahrer und falscher Unbedingtheit. Das Endliche, das fälschlich Unendlichkeit für sich beansprucht, wie z. B. die „Nation" oder »Erfolg im Leben", ist nicht fähig, die SubjektObjekt-Spaltung zu überwinden. Hier handelt es sich immer um ein Objekt, auf das der Gläubige als ein Subjekt gerichtet ist. Er kann es mit den gewöhnlichen Erkenntnismitteln erfassen und nach den üblichen Methoden mit ihm umgehen. Es gibt natürlich mannigfache Gradunterschiede in dem unendlidien Bereich von Werten, die fälschlich den Rang des Unbedingten beanspruchen. Die Nation kommt dem Unbedingten näher als der Erfolg im Leben zum Beispiel. Nationalistischer Rausch kann einen Zustand erzeugen, in dem das Subjekt durch das Objekt fast verschlungen wird. Aber nach einer gewissen Zeit taucht es ernüchtert wieder auf und lehnt nun in seiner Skepsis und in überscharfer Kritik auch die berechtigten Ansprüche der Nation ab. J e mehr ein Glaube zum Götzendienst wird, desto weniger vermag er die Subjekt-Objekt-Spaltung zu überwinden. Denn das ist der Unterschied zwischen wahrem und falsdiem Glauben: Im wahren Glauben ist das unbedingte Anliegen ein Ergriffensein vom wahrhaft Unbedingten; im Götzenglauben dagegen werden vorläufige, endliche Dinge zum Rang des Unbedingten erhoben. Die unausweichliche Folge solcher Verfälschung des Glaubens ist „existentielle Enttäuschung", die die Grundlagen der menschlichen Existenz unterhöhlt. Es ist die Dialektik alles Götzenglaubens, daß er Glaube ist und als solcher ein zentraler Akt der Person; aber das Zentrum, von dem er ausgeht, ist mehr oder weniger an der Peripherie, und somit führt dieser Glaube zu einem Verlust der Wesensmitte und zur Zerstörung der Person. Der ekstatische Charakter, der selbst solchem Irrglauben eignet, kann diese Folge nur vorübergehend verschleiern. 4. Der Glaube und die Dynamik des Heiligen Wer in die Sphäre des Glaubens eindringt, betritt das Allerheiligste des Lebens. Wo Glaube ist, findet sich auch ein Wissen um das Heilige. Diese Feststellung widerspricht nicht dem, was soeben über den Götzen119

glauben gesagt wurde; sie widerspricht aber der populären Auffassung des Wortes „heilig". Etwas, was uns unbedingt angeht, wird dadurch zum Heiligen. Erfahrung des Heiligen ist Erfahrung des Göttlichen. Das kommt im Alten Testament in großartiger Weise zum Ausdruck, von den Visionen der Erzväter und des Mose bis zu den erschütternden Erfahrungen der großen Propheten und Psalmisten. Das Heilige bleibt Mysterium, obwohl es offenbar wird. Wer ihm begegnet, ist von ihm angezogen und zugleich mit Schauder erfüllt. Rudolf Otto hat in seinem klassisdien Werk über »Das Heilige" diese beiden Seiten im Wesen des Heiligen das fascinosum und das tremendum genannt. Beide Seiten finden sich in allen Religionen, denn in beiden begegnet der Mensch dem, was ihn unbedingt angeht. Der Grund für diese zweifache Wirkung des Heiligen wird deutlich, wenn wir den Zusammenhang zwischen der Erfahrung des Heiligen und der Erfahrung des Unendlichen begreifen. Das menschliche Herz sucht das Unendliche, weil das Endliche im Unendlichen ruhen will. Im Unendlichen sieht es seine eigene Erfüllung. Darauf beruht die ekstatische Anziehungskraft und Faszination von allem, worin sich das Unendliche offenbart. Andererseits erfährt der Mensch zugleich den unendlichen Abstand zwischen dem Endlichen und Unendlichen, und damit zugleich das negative Urteil über alle Versuche des Endlichen, das Unendliche zu erlangen. Das Gefühl, von der Gegenwart des Göttlichen vernichtet zu werden, drückt tiefer als alles andere aus, in welchem Verhältnis der Mensdi zum Heiligen steht. Und dieses Gefühl durchdringt jeden echten Glaubensakt und jeden Zustand letzten Ergriffenseins. Diese ursprüngliche und allein zutreffende Bedeutung des Heiligen muß an die Stelle der heute üblichen Verzerrung seines eigentlichen Sinnes treten. „Heilig" ist gleichbedeutend geworden mit moralischer Vollkommenheit, besonders in einigen protestantischen Richtungen. Die geschichtlichen Ursachen dieses Sinnwandels sind wichtig für ein neues Verständnis für das Wesen des Heiligen. Ursprünglich erschien das Heilige als etwas, was von der Welt des Alltäglichen und den gewöhnlichen Erfahrungen der Menschen geschieden war. Es ist vom Bereich des Endlichen getrennt. Darum haben alle religiösen Kulte ihre heiligen Stätten und Verrichtungen abgesondert gehalten von allen anderen Orten und allem anderen Tun. In das Allerheiligste eintreten bedeutet Begegnung mit dem Heiligen. Hier zeigt sich das unendlich Ferne, nah und gegenwärtig, ohne seine Erhabenheit aufzugeben. Aus diesem Grunde ist das Heilige auch das „ganz Andere" genannt worden, das nämlich, was anders ist als das gewöhnliche Geschehen, oder, um auf eine frühere Formulierung zurückzugreifen, es ist anders 120

als die Welt, die durch die Spaltung in Subjekt und Objekt gekennzeichnet ist. Das Heilige überschreitet diesen Bereich, das ist sein Mysterium und verleiht ihm sein Unnahbares. Es besteht keine Möglichkeit, vom Bedingten her das Unbedingte zu erreichen, ebenso wie man auch nicht auf endliche Weise das Unendliche erlangen kann. Das Heilige ist wesensmäßig „Mysterium", darum begegnet es dem Menschen auf zweifache Weise. Das Heilige kann nämlich als schöpferische und als zerstörerische Kraft erscheinen. Sein faszinierendes Element kann sich schöpferisch und zerstörend auswirken - man denke nur an die Faszination, die vom Götzenglauben des Nationalismus ausgegangen ist - , aber auch das tremendum im Heiligen hat neben der schöpferischen eine zerstörerische Seite, man denke nur an die Doppelnatur der indischen Gottheiten Schiwa oder Kali. Diese Doppelnatur, von der es auch im Alten Testament noch Spuren gibt, spiegelt sich in den rituellen oder quasi-rituellen Handlungen der Religionen oder Quasi-Religionen wider, z. B. in der Opferung anderer Wesen oder des eigenen leiblichen oder geistigen Selbst, einem Ritual, das in besonderem Maße zweideutig ist. Man kann diese Zweideutigkeit als göttlich-dämonisch kennzeichnen, wobei sich das Göttliche in dem Sieg der schöpferischen über die zerstörerischen Möglichkeiten des Heiligen bekundet, während umgekehrt das Dämonische die zerstörerische Seite des Heiligen verkörpert. Diese polare Natur des Heiligen wurde am tiefsten in der prophetischen Religion des Alten Testaments erfaßt. Doch das Wissen darum wurde durch den späteren Kampf gegen das dämonisch-zerstörerische Element im Heiligen verdrängt. Damit wird das Heilige zu Gerechtigkeit und Wahrheit; es ist nun nicht mehr zerstörerisch, sondern nur noch schöpferisch. Das wahre Opfer besteht im Gehorsam gegenüber dem Gesetz. Das ist eine Denkrichtung, die schließlich zur Gleichsetzung von Heiligkeit mit sittlicher Vollkommenheit führt. Aber damit verliert das Heilige seinen Charakter als das Abgesonderte, das Transzendierende, Faszinierende und Furchterregende, das ganz Andere. All dies hat sich verflüchtigt, und das Heilige ist zum sittlich Guten und rational Wahren geworden, das heißt, es hat aufgehört, heilig im ursprünglichen Sinne des Wortes zu sein. Zusammenfassend läßt sich über diese ganze Entwicklung folgendes sagen: Das Heilige hat zunächst mit der Alternative von Gut und Böse nichts zu tun, es ist sowohl göttlich wie auch dämonisch; mit dem Zurückdrängen des dämonischen Elements wandelt sich seine Bedeutung, es wird in rationaler Weise mit dem Wahren und Guten gleichgesetzt - das alles bedeutet, daß sein ursprünglicher Sinn erst wieder neu entdeckt werden muß. 121

Was früher von der Dynamik des Glaubens gesagt wurde, wird nun durch die Dynamik des Heiligen bestätigt. Wir haben zwischen wahrem Glauben und Götzenglauben unterschieden. Das Heilige, sofern es dämonisch und damit letztlich zerstörerisch wirkt, ist mit dem Gegenstand des Götzenglaubens identisch. Dennoch ist auch Götzenglaube immer noch Glaube. Das Heilige bleibt heilig, auch in seiner dämonischen Form. Hier offenbart sich der zweideutige Charakter der Religion und damit audi die Gefahr des Glaubens in aller Schärfe. Die Gefahr des Glaubens ist der Götzendienst, und die Zweideutigkeit des Heiligen ergibt sich aus seiner dämonischen Möglichkeit. Unser letztes Anliegen - das, was uns unbedingt angeht - kann uns zerstören, wie es uns auch heilen kann. Aber ohne letztes Anliegen können wir nicht leben. 5. Glaube und Zweifel Wir kommen nun zu einer umfassenderen Darstellung des Glaubens als eines zentralen Aktes der Ganzheit des Menschen. Ein Glaubensakt wird vollzogen von einem endlichen Wesen, das vom Unendlichen ergriffen ist und sich ihm zuwendet. Es ist ein Akt im Bereich des Endlidien mit all der Begrenztheit, die ihm als solchen anhaftet; aber es ist auch ein Akt, an dem das Unendliche teilhat, indem es die Grenzen des Endlichen transzendiert. Glaube ist Gewißheit, insofern er auf einer Erfahrung des Heiligen beruht. Aber Glaube ist zugleich voll Ungewißheit, da das Unendliche, dem er zugewandt ist, von einem endlichen Wesen erfahren wird. Dieses Element der Unsicherheit im Glauben ist unaufhebbar, man muß es hinnehmen. Und daß es hingenommen wird, ist eine Tat des Mutes. Der Glaube umschließt beides: unmittelbares Wissen, aus dem die Gewißheit entspringt, und Ungewißheit. Beides annehmen ist Mut. Im mutigen Ertragen der Ungewißheit beweist der Glaube am stärksten seinen dynamischen Charakter. Wir können die Beziehung zwischen Glauben und Mut nur verstehen, wenn wir den landläufigen Begriff des Mutes in einem umfassenderen Sinne nehmen 1 . Mut als Element des Glaubens ist das Wagnis der Selbstbehauptung gegenüber den Mächten des „Nichtseins", von denen jedes endliche Sein bedroht ist. Wo aber Wagnis und Mut am Werke sind, gibt es auch die Möglichkeit des Scheiterns, und diese Möglidikeit liegt in jedem Akt des Glaubens. Es ist ein Wagnis, das in Kauf genommen werden muß. Wer sein Volk zu dem macht, was ihn letztlich und unbedingt angeht, bedarf des Mutes, um dieser Entscheidung treu i Vgl. Der Mut zum Sein. Ges. Werke, Bd. 11, S. 11 ff. 122

zu bleiben. Gewiß ist nur die Unbedingtheit an sich, die unendliche Leidenschaft als unendliche Leidenschaft. Das ist eine Realität, die dem Selbst mit seiner eigenen Natur gegeben ist. Sie ist ebenso unmittelbar und ebenso außer Zweifel, wie das Selbst dem Selbst außer jedem Zweifel ist. J a , sie ist das Selbst, insofern es sich selbst transzendiert. Aber über den Inhalt unseres letzten Anliegens, sei es die Nation, Erfolg im Leben, ein Gott oder der Gott der Bibel, gibt es keine Gewißheit dieser Art. Hier geht es überall um Dinge, die nicht unmittelbar gewiß sind. Sie als Gegenstand unseres letzten, unbedingten Anliegens anzunehmen, ist ein "Wagnis und somit ein Akt des Mutes. Das Wagnis liegt darin, daß sich der Gegenstand unseres letzten Anliegens als eine Sache von vorläufiger und vergänglicher Bedeutung erweisen kann, z. B. die Nation. Das Wagnis des Glaubens als Hingabe an etwas, das mich unbedingt angeht, ist in der Tat das größte Wagnis, das ein Mensch eingehen kann. Denn wenn sich der Glaube eines Menschen als trügerisch erweist, kann das dazu führen, daß er am Sinn seines Lebens verzweifelt. Er sieht, daß er sich selbst, daß er Wahrheit und Gerechtigkeit an etwas hingegeben hat, was diese Hingabe nicht verdiente. Ein solcher Mensch hat sein Eigenstes aufgegeben ohne jegliche Hoffnung, es wiederzugewinnen. Die Verzweiflung, die z. B. der Zusammenbruch nationaler Erwartungen und Bestrebungen in vielen Menschen ausgelöst hat, beweist unwiderleglich den abgöttischen Charakter ihres Nationalbewußtseins. Letztlich führt jedes höchste Anliegen, dessen Gegenstand in Wahrheit nicht unbedingt ist, zur Verzweiflung. Aber eine solche Möglichkeit muß der Glaube immer in Kauf nehmen. Sie ist niemals auszuschalten, wenn ein endliches Wesen Erfüllung seines Selbst erstrebt. Ein höchstes Anliegen erfordert größtes Wagnis und größten Mut. Das ergibt sich nicht aus der Hinwendung an das Unbedingte an sich, sondern aus der Bejahung einer bestimmten Sache, der Unbedingtheit zugeschrieben wird. Jeder Glaube enthält ein konkretes Element; er ist auf eine Sache oder eine Person gerichtet. Aber es kann sich herausstellen, daß diese Sache oder dieser Mensch durchaus nichts Letztgültiges an sich hat. Dann war der Glaube, was seinen konkreten Gehalt anbetrifft, ein Trug, obgleich die Erfahrung des Unbedingten, die auch in einem solchen Glauben vorliegt, an sich nichts Trügerisches ist. Ein Gott mag sich als nichtig erweisen, das Göttliche bleibt. Der Glaube nimmt das Wagnis auf sich, daß der konkrete Gott, an den geglaubt wurde, ein Trugbild war. Und es mag dann geschehen, daß der Gläubige unter dieser Enttäuschung zusammenbricht und nicht die K r a f t hat, einen neuen Gehalt für sein Verlangen nach dem Ewigen zu finden und damit wieder aus seiner Wesensmitte zu leben. Aber das 123

Wagnis des Glaubensaktes ist unaufhebbar. N u r ein Verhalten gibt es, das kein Wagnis bedeutet, sondern von unmittelbarer Gewißheit getragen ist, nämlich das Stehen des Menschen zwischen der eigenen Endlichkeit und der Möglichkeit, das Unendliche zu ergreifen. Hierin liegt die Größe und der Schmerz des menschlichen Daseins beschlossen. Im Verhältnis von Glauben und Zweifel kommt das in aller Schärfe zum Ausdruck. Versteht man den Glauben so, daß etwas in ihm f ü r wahr gehalten wird, dann sind Zweifel und Glaube unvereinbar. Versteht man hingegen den Glauben als Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, ist der Zweifel ein notwendiges Element im Glauben. Zweifel liegt im Wagnis des Glaubens beschlossen. Der Zweifel, der dem Glauben untrennbar innewohnt, ist nicht ein Zweifel an Tatsachen oder bestimmten Schlußfolgerungen. Es ist nicht der Zweifel, der die Triebkraft aller wissenschaftlichen Forschung ist. Auch ein strenggläubiger Theologe bestreitet ja keineswegs das Recht des methodischen Zweifels bei empirischer Forschung oder bei Anwendung der deduktiven Methode. Ein Naturwissenschaftler, der behauptete, daß eine bestimmte wissenschaftliche Theorie über allen Zweifel erhaben ist, würde damit als Wissenschaftler unglaubwürdig. Aber trotz seines Zweifels kann er darauf vertrauen, daß seine Theorie sich in der Praxis als verläßlich erweist, sonst wäre ihre technische Anwendung überhaupt unmöglich. Man kann darum dieser Art von Zutrauen eine pragmatische Gewißheit zuschreiben, die für die Praxis völlig ausreicht. Der auch in diesen Fällen verbleibende Zweifel richtet sich auf die zugrunde liegende Theorie. Es gibt aber noch eine andere Art von Zweifel, den wir den »skeptischen" nennen möchten, im Gegensatz zum wissenschaftlichen Zweifel, der mehr methodischer Natur ist. Der skeptische Zweifel ist eine bestimmte Einstellung gegenüber allem, was der Mensch für wahr hält, von den Sinneswahrnehmungen bis zu religiösen Überzeugungen. Er ist mehr eine Denkweise als eine Behauptung; denn als Behauptung würde dieser skeptische Zweifel in Widerspruch zu sich selbst geraten. Selbst die Behauptung, daß es für den Menschen keine allgemeingültige Wahrheit geben kann, würde vor den Richterstuhl des skeptischen Prinzips gezogen und dort als unhaltbar erklärt werden. Echter skeptischer Zweifel äußert sich nicht in der Form der Behauptung. Er ist eine Einstellung, die jede Gewißheit leugnet. Darum kann er nicht mit logischen Mitteln widerlegt werden. Er erhebt ja seine Einstellung nicht in den Rang einer nachprüfbaren These. Der skeptische Zweifel führt notwendig zur Verzweiflung oder zum Zynismus oder umschichtig zu beiden. Und wenn diese Alternative unerträglich erscheint, erzeugt er 124

häufig Gleichgültigkeit und eine Einstellung, die sich von aller Bindung fernhalten möchte. Aber da der Mensch das Wesen ist, dem es wesensmäßig um sein Sein geht (Heidegger), muß eine solche Flucht letzten Endes mißlingen. Das ist die Macht des skeptischen Zweifels. Zwar geht von ihm eine aufrüttelnde und befreiende Wirkung aus, aber er kann auch die Entwicklung zu einer zentrierten Persönlichkeit verhindern. Denn der Mensch ist als Person nicht möglich ohne Glauben. Die Verzweiflung des Skeptikers über die Unmöglichkeit der Wahrheit zeigt, daß die Wahrheit dennoch seine unendliche Leidenschaft ist. Das zynische Gefühl der Überlegenheit über jede bestimmte Wahrheit beweist, daß der Skeptiker die Wahrheit noch immer ernst nimmt und den Willen hat, nach dem zu fragen, was unbedingt gültig ist. Der Skeptiker, der wirklich Skeptiker ist, lebt nicht ohne Glauben, wenn auch dieser Glaube keinen konkreten Inhalt hat. Der Zweifel, der in jedem Glaubensakt enthalten ist, ist weder der methodische noch der skeptische Zweifel. Er ist der Zweifel, der jedes Wagnis begleitet. Es handelt sich hier weder um den ständigen Zweifel des Wissenschaftlers noch um den flüchtigen des Skeptikers; es ist vielmehr der Zweifel eines Menschen, der von einer konkreten Sache mit letztem Ernst ergriffen ist. Man könnte einen solchen Zweifel im Gegensatz zu den oben beschriebenen Formen den existentiellen Zweifel nennen. Er fragt nicht danach, ob eine bestimmte These wahr oder falsch ist, er lehnt nicht jede konkrete Wahrheit ab, doch weiß er um das Element der Ungewißheit in jeder existentiellen Wahrheit. Der Zweifel, der zum Glauben gehört, weiß um diese Ungewißheit und nimmt sie in einem Akt des Mutes auf sich; Glaube schließt Mut ein. Darum vermag der Glaube, auch dem Zweifel an sich selbst standzuhalten. Gewiß sind Glaube und Mut nicht dasselbe. Der Glaube enthält noch andere Elemente außer dem Mut, und der Mut hat noch andere Aufgaben als die, den Glauben zu stützen. Indes zum Glauben gehört der Mut, der bereit ist, ein Wagnis auf sich zu nehmen. Dieser dynamische Begriff des Glaubens scheint jenem gläubigen Vertrauen und dem Gefühl der Geborgenheit, wie wir sie in den Urkunden aller großen Religionen und natürlich auch im Christentum finden, keinen Raum zu geben. Aber das ist nicht der Fall. Denn der dynamische Begriff des Glaubens ergibt sich aus einer begrifflichen Analyse der subjektiven wie auch der objektiven Seite des Glaubens. Es wird damit nicht eine stets gegebene Verfassung des Geistes beschrieben. Eine Strukturanalyse ist nicht die Beschreibung eines bestimmten Zustandes. Die Verwechslung von Analyse und Beschreibung ist eine Quelle zahlreicher Mißverständnisse und Irrtümer in allen Bereichen des Lebens.

Ein Beispiel, das typisch für solche Verwechslung ist, zeigt sidi in der gegenwärtigen Erörterung des Wesens der Angst. Die Definition der Angst als Gewahrwerden der eigenen Endlichkeit wird gelegentlich im Hinblick auf die durchschnittliche Gemütsverfassung der Menschen als unzutreffend zurückgewiesen. Angst, so wird gesagt, tritt unter bestimmten Bedingungen auf, ist aber keine ständige Begleiterscheinung der Endlichkeit des Menschen. Sicherlich erscheint die Angst in ihrer bedrängendsten Form jeweils unter bestimmten Voraussetzungen. Aber die ihr zugrunde liegende Struktur des endlichen Lebens ist eben die universale Bedingung, die das Auftreten der Angst unter bestimmten Bedingungen erst möglich macht. Ebenso macht sich Zweifel nicht in jedem Glaubensakt geltend; aber er ist als ein Grundzug in der Struktur des Glaubens immer vorhanden. Das ist der Unterschied zwischen Glauben und unmittelbarer Gewißheit, sei es der sinnlichen oder der logischen. Es gibt keinen Glauben ohne ein wesensgemäß dazugehöriges „Dennoch" und die mutige Bejahung des eigenen Selbst im Zustand des unbedingten Ergriffenseins. Zweifel als wesentliches Element des Glaubens tritt unter bestimmten individuellen und sozialen Bedingungen hervor. Wenn sich Zweifel geltend macht, sollte man das darum nicht als Ablehnung des Glaubens auffassen, denn er ist ein Element, ohne das kein Glaubensakt denkbar ist. Existentieller Zweifel und Glaube sind die Pole, die den inneren Zustand des vom Unbedingten ergriffenen Menschen bestimmen. Die Einsicht in dieses Verhältnis von Glaube und Zweifel ist von größter praktischer Bedeutung. Viele Christen wie auch viele Anhänger anderer Religionen sind durch Angst, Schuld und Verzweiflung betroffen von dem, was sie „Verlust des Glaubens" nennen. Aber ernster Zweifel ist eine Bestätigung des Glaubens. Er beweist den Ernst und die Unbedingtheit ihres Betroffenseins. Das gilt auch für Seelsorger oder angehende Geistliche, die nicht nur vom wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Glaubwürdigkeit bestimmter Lehrmeinungen heimgesucht werden - ein solcher Zweifel ist so notwendig und unaufhebbar wie die Theologie selbst - , sondern die auch den existentiellen Zweifel an der Botschaft ihrer Kirche erfahren, so z. B. den Zweifel daran, ob Jesus der Christus genannt werden kann. Das Kriterium, nach dem sie sich selbst beurteilen sollten, ist der Ernst und die Unbedingtheit ihres Betroffenseins von dem, woran sie gleichzeitig glauben und zweifeln.

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6. Glaube und Gemeinschaft Die letzten Ausführungen über Glaube und Zweifel in bezug auf religiöse Glaubensbekenntnisse haben uns zu jenen Fragen geführt, die gewöhnlich bei der Erörterung von Glaubensproblemen im Vordergrund stehen. Der Glaube wird dabei als Lehrmeinung oder als Bekenntnis zu einem bestimmten Dogma verstanden. Sein soziologischer Hintergrund wird stärker betont als der personhafte Akt, in dem sein eigentlicher Charakter begründet liegt. Die geschichtlichen Gründe für eine solche Betrachtungsweise liegen auf der Hand. Die Zeiten, in denen die Freiheit des Denkens auf kulturellem und religiösem Gebiet im Namen eines bestimmten religiösen Dogmas unterdrückt wurden, prägen sich dem Gedächtnis der späteren Generationen ein. Der Kampf auf Leben und Tod einer aufbegehrenden Autonomie mit den Mächten religiöser Unterdrückung hat im »kollektiven Unbewußten" tiefe Narben hinterlassen. Das gilt sogar noch für unsere Zeit, die solche Unterdrückung, wie sie gegen Ausgang des Mittelalters und während der Religionskriege herrschte, weit hinter sich gelassen hat. Es erscheint darum nicht unangebracht, die dynamische Auffassung vom Glauben gegen den Vorwurf zu verteidigen, daß sie zu neuen Formen der Orthodoxie und der religiösen Unterdrückung führe. Aber so viel ist doch gewiß, wenn der Zweifel als innerer Bestandteil des Glaubens betrachtet wird, ist die Freiheit des schöpferischen Geistes im Menschen keineswegs eingeengt. Aber man wird vielleicht die Frage stellen, ob denn dieser Begriff des Glaubens mit der „Gemeinschaft des Glaubens" vereinbar ist, die eine entscheidende Wirklichkeit in allen Religionen ist. Ist nicht die dynamische Auffassung vom Glauben Ausdruck eines protestantischen Individualismus und durchsetzt mit humanistischer Autonomie? Kann eine Glaubensgemeinschaft, das heißt also eine Kirche, einen Glauben bejahen, der den Zweifel als einen wesenhaften Bestandteil einschließt und die Ernsthaftigkeit des Zweifels sogar als Ausdruck des Glaubens betrachtet? Aber selbst wenn sich die Kirche mit einer solchen Einstellung der Laien ihrer Gemeinden abfinden könnte, wäre das möglich auch bei ihren Theologen und leitenden Organen? Es gibt mannigfache und zum Teil recht gewundene Antworten auf diese Fragen, die oft mit großer Leidenschaft gestellt werden. Hier müssen wir die naheliegende und doch bedeutsame Feststellung machen, daß der Akt des Glaubens wie jede Regung des menschlichen Geistes der Sprache und damit der Gemeinschaft bedarf. Denn nur in der Gemeinschaft geistbegabter Wesen ist Sprache lebendig. Ohne Sprache 127

gibt es keinen Glauben und keine religiöse Erfahrung. Das gilt für die Sprache im allgemeinen, aber auch für alle Sondersprachen, wie sie auf den verschiedenen Gebieten des menschlichen Geisteslebens erforderlich sind. Die religiöse Sprache, die Sprache des Symbols und des Mythos, bildet sich in der Gemeinschaft der Gläubigen und ist außerhalb dieser Gemeinschaft nicht voll verständlich. Aber innerhalb der betreffenden Gemeinschaft ermöglicht sie, daß der gemeinsame Glaube einen konkreten Inhalt gewinnt. Der Glaube verlangt seine eigene Spradie, wie das auch für jede Äußerung des personhaften Lebens gilt. Ohne Sprache wäre der Glaube blind, ohne Gehalt, ohne Klarheit über sich. Hierin liegt die wesentliche Bedeutung einer Glaubensgemeinschaft. Nur als Glied einer solchen Gemeinschaft kann der Mensch einen Inhalt für sein unbedingtes Anliegen gewinnen. Das gilt audi noch für den, der von einer Gruppe getrennt oder von ihr ausgestoßen ist. Aber nun wird man vielleicht die bereits erörterte Frage in folgender Form wieder aufgreifen: Wenn es keinen Glauben ohne Glaubensgemeinschaft gibt, ist es dann nicht notwendig, den Inhalt des Glaubens als ein Glaubensbekenntnis festzulegen und die Forderung zu erheben, daß dieses Bekenntnis von jedem Mitglied der Glaubensgemeinschaft anerkannt wird? Gewiß sind auf diese Art alle Glaubensbekenntnisse entstanden, und deshalb haben sie ihre dogmatische und verbindliche Ausprägung erhalten. Aber das erklärt noch nicht die gewaltige Macht solcher niedergelegten Bekenntnisse über ganze Gruppen und einzelne, von Generation zu Generation. Es erklärt auch nidit den Fanatismus, mit dem Zweifel und abweichende Meinungen unterdrückt wurden, und zwar nicht nur durch physische Gewalt, sondern weit mehr noch durch Formen inneren Druckes. Diese Mechanismen wurden dem Bewußtsein der einzelnen Gläubigen wieder und wieder eingeprägt und erwiesen sich als ungemein wirksam, selbst ohne äußeren Drude. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, müssen wir bedenken, daß der Glaube als unbedingtes Ergriffensein die völlige Hingabe an den Gegenstand dieses Ergriffenseins bedeutet, und zwar als Ergebnis einer Entscheidung der gesamten Person. Das heißt also, daß es hier um Sein und Nichtsein der Person als solcher geht. Götzendienst vermag das Zentrum der Person zu zerstören. Wenn nun, wie das in der christlichen Kirche der Fall war, der Inhalt des gemeinsamen Glaubens jahrhundertelang gegen eindringenden Götzenglauben verteidigt werden mußte, ist es durchaus verständlich, daß jede Abweichung vom Glaubensbekenntnis als Gefährdung des Seelenheils betrachtet wurde. Man führte jede Abweichung vom Bekenntnis auf dämonische Einflüsse zurück. Kirdienstrafen erscheinen in diesem Licht als Versuche, den 128

Betroffenen vor dämonischer Selbstzerstörung zu retten. All diese Maßnahmen verraten ernste Sorge um die Substanz des Glaubens, bei dem es um das ewige Leben oder die ewige Verdammnis ging. Aber die Annahme des festgelegten Glaubensbekenntnisses ist nicht nur für den Einzelnen von entscheidender Bedeutung. Auch die Glaubensgemeinschaft als solche muß gegen verderbliche Einflüsse geschützt werden. Die Kirche schließt darum aus ihrer Gemeinschaft alle die aus, die die Grundlage der Kirche zu verleugnen scheinen. Das liegt der eigentlichen Bedeutung des Begriffes „Häresie" zugrunde. Der Häretiker ist nicht jemand, der irrige Glaubensvorstellungen hat - das ist eine mögliche Bedeutung von Häresie, aber nicht ihr Wesen sondern er ist ein Mensch, der sich vom wahren Glauben abgewandt hat und einem falschen, götzendienerischen Glauben eriegen ist. Es ist möglich, daß er auch andere in gleicher Weise beeinflußt, sie innerlich verdirbt und die Gemeinschaft gefährdet. Wenn nun die weltlichen Machthaber die Kirche als notwendige Grundlage für solche Gemeinsamkeit des Denkens und eine Einheit des kulturellen Lebens betrachten, ohne die keine Gesellschaft Bestand haben kann, verfolgen sie den Häretiker wie einen gewöhnlichen Verbrecher und greifen zu Belehrung und auch Gewalt, um die Einheit der Gesellschaft im religiösen und politischen Bereich zu sichern. Dagegen beginnen die Menschen im Namen der Autonomie des Geistes zu reagieren. Und wenn der autonome Geist sich durchsetzt, beseitigt er nicht nur den politischen Zwang, der ein bestimmtes religiöses System stützen will, sondern er wendet sich darüber hinaus gegen das religiöse System selbst und oft sogar gegen den Glauben als solchen. Aber das erweist sich als unmöglich. Denn eine Absage an den Glauben kann sich nur in der Form vollziehen, daß an die Stelle des bisherigen Glaubens ein anderer Glaube tritt. In allen weltgeschichtlichen Kämpfen zwischen der Kirche und ihren liberalen Kritikern steht Glaube gegen Glauben. Selbst der Glaube der Liberalen braucht einen Ausdruck und gewisse gemeinsame Formulierungen, er muß ja gegen autoritäre Angriffe verteidigt werden. Auch im Liberalismus muß sich das, was unbedingt angeht, in konkreten Inhalten verkörpern. Und darüber hinaus kommt der Liberalismus nicht ohne bestimmte, von der Geschichte geprägte Institutionen aus. Auch er hat eine eigene Sprache entwickelt und verwendet eigene Symbole. Sein Glaube besteht nicht in einer abstrakten Bejahung der Freiheit, sondern ist Glaube an die Freiheit als ein Element innerhalb einer bestimmten geschichtlichen Situation. Wenn er diese Bezogenheit auf das Konkrete im Namen der Freiheit leugnet, schafft er ein Vakuum, in das antiliberale Kräfte mühelos eindringen. Nur schöpferischer Glaube 129

kann zerstörerischem Glauben widerstehen. Nur das Ergriffensein von dem, was wahrhaft unbedingt ist, kann sich dämonisiertem Glauben entgegenstellen. All dies treibt zu der Frage: Wie ist eine Glaubensgemeinschaft möglich ohne Unterdrückung der geistigen Autonomie des Menschen? Die erste Antwort, die hierauf zu geben ist, ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen dem Staat und der Glaubensgemeinschaft. Sie lautet: Selbst wenn eine bestimmte Gesellschaft praktisch mit einer Glaubensgemeinschaft identisch ist und ihr Leben im wesentlichen von der geistigen Substanz einer Kirche geprägt wird, sollten sich weltliche Behörden nicht in Glaubenssachen einmischen und die Möglichkeit der Bildung von neuen Glaubensformen in Kauf nehmen. Denn wenn sie in ihrem Bemühen, Einheit in Glaubensdingen zu erzwingen, Erfolg haben, sind damit auch Wagnis und Mut, die zu jedem wirklichen Glauben gehören, ausgeschaltet. Sie haben den Glauben zu einem Verhaltensschema gemacht, das keine freie Entscheidung zuläßt und niemals den Charakter der Letztgültigkeit haben kann, selbst wenn alle religiösen Pflichten mit letztem Ernst erfüllt werden. Eine solche Lage besteht heute kaum noch. In den meisten Ländern hat es der Staat mit verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu tun und ist gar nicht imstande, ein bestimmtes Bekenntnis einem ganzen Volk aufzuzwingen. Der geistige Zusammenhang einer solchen Gesellschaft wird dann durch das gewährleistet, was die verschiedenen Bekenntnisse gemeinsam haben und durch Überlieferungen und Einrichtungen, zu denen sich alle Bürger bekennen. Dieses Gemeinsame mag mehr weltlichen oder mehr religiösen Charakter haben. Aber es ist doch in jedem Fall die Frucht eines Glaubens. Das gilt z. B. für die amerikanische Verfassung, die für manche den Charakter eines unbedingten Anliegens hat. Aber das sind Ausnahmen, in den meisten Fällen sieht man in ihr etwas Bedingtes und Vorläufiges, wenn auch von hoher Bedeutung. Deshalb sollten staatliche Autoritäten niemals versuchen, Äußerungen des Zweifels an den Grundgesetzen des Staates zu unterdrücken, obwohl sie andererseits auf die Befolgung der geltenden Gesetze dringen müssen. Der zweite Schritt zur Lösung unseres Problems betrifft Glauben und Zweifel in der Glaubensgemeinschaft selbst. Die Frage ist hier, ob die dynamische Auffassung des Glaubens überhaupt vereinbar ist mit dem Wesen der Gemeinschaft, die den konkreten Inhalt ihres höchsten Anliegens in irgendeiner Form von Bekenntnis zum Ausdruck bringen muß. Aus den vorangehenden Analysen ergibt sich, daß es keine Lösung dieses Problems gibt, wenn ein Glaubensbekenntnis die Möglichkeit des Zweifels ausschließt. Der Begriff der „Unfehlbarkeit", 130

sei er nun mit der Entscheidung eines Konzils, eines Bischofs oder mit einem Budi verbunden, läßt keinen Zweifel in Glaubensdingen bei denen zu, die sich diesen Autoritäten unterworfen haben. Sie mögen ob dieser Unterwerfung inneren Konflikten ausgesetzt sein, aber nachdem sie sich einmal entschieden haben, verdrängen sie jeden Zweifel an der Unfehlbarkeit der Autoritäten. Damit wird der Glaube statisch. Er wird zu einer blinden Hingabe, und zwar nicht nur an das Unbedingte, das im Akt des Glaubens bejaht wird, sondern auch an die konkreten Glaubensformen, wie sie von den kirchlichen Autoritäten festgelegt wurden. Auf diese Weise wird etwas Vorläufigem und Bedingtem, nämlich menschlicher Auslegung von Glaubensinhalten - angefangen bei den Verfassern der Bibel bis hin zur Gegenwart - der Charakter des Unbedingten verliehen und damit allem Zweifel entzogen. Der Kampf gegen Elemente der Vergötzung, die sich als Folge eines solchen statischen Glaubens einstellten, wurde vom Protestantismus aufgenommen und dann, als der Protestantismus erstarrte, von der Aufklärung fortgeführt. Mag auch dieser Protest nach seinem Wesen und seiner Wirkung unzulänglich gewesen sein, sein ursprüngliches Ziel war ein dynamischer Glaube und nicht die Verleugnung des Glaubens, ja nicht einmal die Ablehnung bestimmter Glaubenssätze. So stehen wir abermals vor der Frage: Wie läßt sich der Glaube, der den Zweifel als einen Bestandteil seiner selbst anerkennt, mit dem Bekenntnis einer Glaubensgemeinschaft vereinbaren? Darauf gibt es nur eine Antwort: Jeder Glaubensausdruck dessen, was eine Gemeinschaft letztlich und unbedingt angeht, muß die Kritik an sich selbst einschließen. In allen Bekenntnisaussagen, seien sie liturgischer, theologischer oder ethischer Art, muß klar zum Ausdrude kommen, daß sie nicht letztgültig, nicht unbedingt sind. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, auf das Letztgültige, Unbedingte, das sie alle übersteigt, hinzuweisen. Das ist das, was ich das »protestantische Prinzip" nenne, das kritische Element in den Bekenntnisformen der Glaubensgemeinschaft und damit das Element des Zweifels im Akt des Glaubens. Weder der Zweifel noch die Kritik sind stets in Aktion, aber als Möglichkeit sind sie zu jeder Zeit im Akt des Glaubens gegeben. Vom christlichen Standpunkt aus bedeutet das, daß die Kirche mit ihren Lehren, Einrichtungen und Autoritäten unter dem prophetischen Gericht steht und nicht über ihm. Kritik und Zweifel zeigen an, daß die Gemeinschaft des Glaubens „unter dem Kreuz steht", wenn das Kreuz verstanden wird als das göttliche Gericht über das religiöse Leben der Menschheit, ja, selbst über das Christentum, sofern es sich unter das Zeichen des Kreuzes gestellt hat. Damit wird die Dynamik des Glaubens, die wir zunächst im Hin131

blick auf den einzelnen Menschen erörtert haben, auch mit dem Leben einer ganzen Glaubensgemeinschaft in Beziehung gesetzt. Gewiß ist das Leben einer Glaubensgemeinschaft ein beständiges Wagnis, wenn der Glaube selbst als Wagnis verstanden wird. Aber das ist das Wesen eines lebendigen Glaubens und die Folgerung aus dem protestantischen Prinzip. II. W A S DER G L A U B E NICHT IST

1. Das Mißverständnis

des Glaubens als

Erkenntnisakt

Unsere bisherige positive Darstellung dessen, was Glaube ist, enthält zugleich indirekt eine Ablehnung all jener Auffassungen, die den Sinn des Glaubens gefährlich mißverstehen. D a aber die Mißverständnisse auf diesem Gebiet außerordentlichen Einfluß auf das populäre Denken ausüben und in unserem wissenschaftlichen Zeitalter hauptsächlich dazu beigetragen haben, daß sich viele Menschen von der Religion abwandten, müssen sie ausführlicher behandelt werden. Aber nicht nur das populäre Denken hat den Sinn des Glaubens entstellt; letztlich dafür verantwortlich sind philosophische und theologische Anschauungen, die, wenn auch auf höherer Ebene, ebenfalls das Wesen des Glaubens verkennen. Die verschiedenen verkehrten Deutungen des Glaubens lassen sich auf eine Wurzel zurückführen. Glaube als Ergriffensein von dem, was unbedingt angeht, ist ein zentraler Akt der ganzen Person. Wenn nur eine der Funktionen, die die Person konstituieren, mit dem Glauben gleichgesetzt wird, ist der Sinn des Glaubens verzerrt. Ein solches Verständnis ist nicht völlig falsch, weil jede Funktion des menschlichen Geistes am Akt des Glaubens teilhat. Aber die jeweilige Teilwahrheit wird dabei zum Teil eines umfassenden Irrtums. Das häufigste Mißverständnis des Glaubens besteht darin, daß man ihn als ein Erkennen mit einem geringeren Grad von Gewißheit als die wissenschaftliche Erkenntnis ansieht. Im Glaubensakt handelt es sich danach um eine mehr oder weniger wahrscheinliche Annahme, die sich im Grunde nicht beweisen läßt. Ein solcher Glaube ist freilich nichts anderes als ein Für-wahr-Halten. Man „glaubt", daß bestimmte Mitteilungen zutreffen; man „glaubt", daß geschichtliche Urkunden dem Verständnis vergangener Ereignisse dienlich sind; man »glaubt", daß eine wissenschaftliche Theorie den Zusammenhang zwischen beobach132

teten Tatsachen erhellt; man „glaubt", daß sich ein Mensch in einer bestimmten Weise verhalten wird oder daß sich eine politische Lage in dieser oder jener Richtung entwickelt. In all solchen Fällen beruht die Annahme auf Unterlagen, die eine ausreichende Wahrscheinlichkeit verbürgen. Manchmal „glaubt" man etwas, was weniger wahrscheinlich oder eigentlich unwahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich ist. Die Gründe für diese Art von „Glauben" auf theoretischem oder praktischem Gebiet sind recht verschieden. Manches „glauben" wir, weil wir gute, wenn auch nicht ausreichende Gründe dafür haben. Noch häufiger „glauben" wir, weil die betreffenden Aussagen von uns zuverlässig erscheinenden Autoritäten gemacht worden sind. Das ist z. B. immer der Fall, wenn wir dem Tatsachenmaterial vertrauen, das andere als gesichert betrachten, auch wenn wir es selbst nicht nachprüfen können, wie das z.B. für alle Ereignisse der Vergangenheit zutrifft. Hier kommt ein neues Element ins Spiel, nämlich das Vertrauen in eine Autorität, deren Aussage uns glaubwürdig erscheint. Ohne ein solches Vertrauen könnten wir nichts „glauben", was uns nicht unmittelbar begegnet. In diesem Falle würde die Welt für uns viel enger werden, als sie tatsächlich ist. Deshalb ist es vernünftig, sich auf Autoritäten zu verlassen, die unseren Horizont erweitern, ohne uns die Freiheit eigenen Denkens zu nehmen. Wenn wir das Wort „Glaube" für solche Art von Vertrauen gebrauchen, kann mit Recht gesagt werden, daß fast all unser Wissen auf „Glauben" beruht. Aber der Gebrauch des Wortes „Glaube" in diesen Fällen ist irreführend. Wir „halten für wahr", was Autoritäten auf einem bestimmten Gebiet uns sagen, wir vertrauen ihrem Urteil, wenn auch nicht blind, aber wir glauben nicht an sie. Glaube ist mehr als Vertrauen auf Autoritäten, obgleich Vertrauen immer ein Element des Glaubens ist. Diese Unterscheidung ist wichtig wegen der Tatsache, daß frühere Theologen mitunter versucht haben, die unbedingte Autorität der Bibel dadurch zu erhärten, daß sie auf die Vertrauenswürdigkeit ihrer Verfasser hinwiesen. Der Christ mag für wahr halten, was diese berichten, aber er darf das nicht bedingungslos tun. Er glaubt nicht an die Verfasser der biblischen Bücher, ja, er sollte nicht einmal an die Bibel glauben. Denn Glaube ist mehr als Vertrauen, auch mehr als Vertrauen auf religiöse Autoritäten. Glaube ist Teilhabe an dem, was unbedingt angeht - Teilhabe mit dem ganzen Sein. Darum sollte das Wort „Glaube" nicht gebraucht werden, wenn es um theoretische Erkenntnis geht, ganz gleich, ob es sich um Erkenntnis handelt, die auf vorwissenschaftlicher oder wissenschaftlicher Gewißheit oder einem Vertrauen zu Autoritäten beruht. Diese terminologische Erörterung hat uns zur Sache selbst geführt. 133

Der Glaube bejaht oder verneint nichts, was zur vorwissenschaftlichen oder wissenschaftlichen Erkenntnis unserer Welt gehört, ganz gleich, ob sie auf eigener oder fremder Erfahrung beruht. Die Erkenntnis unserer Welt (einschließlich unserer selbst, die wir ein Teil dieser Welt sind) gewinnen wir durdi eigenes Forschen oder aus Quellen, denen wir vertrauen. Sie ist keine Sadhe des Glaubens. Die Dimension des Glaubens ist nicht die Dimension der Wissenschaft. Die Annahme einer wissenschaftlichen Hypothese, die große Wahrscheinlichkeit hat, ist nicht Glaube, sondern ein vorläufiges Für-wahr-Halten, das wissenschaftlicher Nachprüfung standhalten und neue Erkenntnisse berücksichtigen muß. Fast alle Auseinandersetzungen zwischen Glauben und Wissen wurzeln in dem falschen Verständnis des Glaubens als einer Form des Wissens von geringerer Gewißheit, aber durch Autorität garantiert. Aber nicht allein diese Verwechslung der beiden Bereiche liegt den weltgeschichtlichen Kämpfen zwischen Glauben und Wissen zugrunde, sondern auch die Tatsache, daß häufig Anliegen des Glaubens sich hinter einer angeblich rein wissenschaftlichen Aussage verbergen. Wo das der Fall ist, steht Glaube gegen Glauben und nicht Glaube gegen Wissen. Der Unterschied zwischen Glauben und Erkenntnis zeigt sich in der Art der Gewißheit, die beide vermitteln. Es gibt zwei Typen der Erkenntnis, die den höchsten Grad der Gewißheit haben. Die eine ist die unmittelbare Gewißheit von Sinneswahrnehmungen. Wer eine grüne Farbe wahrnimmt, sieht Grün und ist sich dessen sicher. Er kann aber keine Gewißheit darüber haben, ob der Gegenstand, der ihm als grün erscheint, auch wirklich diese Farbe hat. Er kann sich täuschen; aber er kann nicht daran zweifeln, daß er etwas Grünes sieht. Höchste Gewißheit vermitteln ferner logische und mathematische Gesetze, die auch dann als unumstößlich vorausgesetzt werden, wenn sie in unterschiedlichen oder gar sich widersprechenden Formulierungen erscheinen. Man kann keine Fragen der Logik erörtern, ohne logische Grundstrukturen vorauszusetzen, die eine Erörterung überhaupt erst sinnvoll machen. Hier haben wir absolute Gewißheit; aber wir erfassen damit ebensowenig etwas Wirkliches, wie das bei Sinneswahrnehmungen der Fall ist. Dennoch sind diese für unser Erkennen fundamental. Denn es ist keine Wahrheit möglich ohne das Material, das uns die Sinneswahrnehmungen liefern, und ohne die Form, die diesem Material durch die logischen und mathematischen Gesetze gegeben wird, auf denen die Struktur des Denkens beruht. Einer der schlimmsten Irrtümer, den die Theologie und die landläufige Auffassung von Religion begehen kann, besteht darin, daß sie beabsichtigt oder unbeabsichtigt Gedanken ausspricht, die der Struktur des Denkens widersprechen. Solche Aussagen und die Hal134

tung, der sie entspringen, sind nicht Glaube; sie beruhen auf einer Verwechslung von Glauben und Für-wahr-Halten. Erkenntnis von konkreter Wirklichkeit hat niemals den Charakter letzter Gewißheit. Der Prozeß der Erkenntnis kommt niemals zu Ende - außer in einer Erkenntnis von „allem in allem". Aber ein solches Erkennen übersteigt jeden endlichen Geist unendlich und kann nur Gott zugeschrieben werden. Alles menschliche Erkennen der Wirklichkeit hat nur den Charakter höherer oder geringerer Wahrscheinlichkeit. Die Gewißheit hinsichtlich eines physikalischen Gesetzes, einer geschichtlichen Tatsache oder eines psychologischen Befunds kann so groß sein, daß sie praktisch völlig ausreicht. Aber theoretisch haftet einer solchen Gewißheit immer etwas Unvollkommenes an, denn sie kann jederzeit durch Kritik und neue Erkenntnisse in Frage gestellt werden. Ganz anders ist es mit der Gewißheit des Glaubens. Sie beruht auch nicht auf Formen der Anschauung und des Denkens. Die Gewißheit des Glaubens ist „existentiell", und das bedeutet, daß die ganze Existenz des Menschen an ihr teilhat. Wie das bereits festgestellt wurde, hat die Glaubensgewißheit zwei Komponenten. Die eine ist auf etwas Letztgültiges, Unbedingtes gerichtet. Hier gibt es absolute Gewißheit, Gewißheit ohne Wagnis. Die andere Komponente enthält ein Wagnis und umschließt Zweifel und Mut, weil es hier um die Bejahung von etwas Vorletztem geht, von etwas, das zerstörerisch wird, wenn es als unbedingt genommen wird. Bei der Gewißheit des Glaubens gibt es nicht das theoretische Problem von höherer oder geringerer Gewißheit, von Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit. Beim Glauben geht es um ein existentielles Problem: um die Frage von Sein oder Nichtsein. Sie gehört einer anderen Dimension an als jedes theoretische Urteil. Glaube ist nicht Für-wahr-Halten und auch keine Erkenntnis von geringerer Wahrscheinlichkeit. Glaubensgewißheit ist nicht die bedingte Gewißheit eines theoretischen Urteils.

2. Das Mißverständnis

des Glaubens als Willensakt

Es gibt einen katholischen und evangelischen T y p des voluntaristischen Mißverständnisses des Glaubens. Der katholische T y p hat in der römischen Kirche eine ehrwürdige Tradition. E r geht zurück auf Thomas von Aquino, der behauptete, daß der Mangel an Beweisbarkeit, der dem Glauben innewohnt, durch einen Willensakt ausgeglichen werden muß. Diese These beruht auf der Voraussetzung, daß der Glaube ein Akt der Erkenntnis mit beschränkter Gewißheit ist; nur wenn das vorausgesetzt wird, kann der Mangel an Gewißheit durch einen Akt 135

des Willens aufgewogen werden. Wie wir sahen, wird diese Auffassung vom Glauben seinem existentiellen Charakter nicht gerecht. Unsere Kritik an dem intellektuellen Mißverständnis des Glaubens widerlegt im Grunde zugleich das voluntaristische Mißverständnis, weil dieses aus jenem hervorgeht. Ohne einen theoretisch festgelegten Glaubensinhalt würde nämlich der „Wille zu glauben" sinnlos sein. Dieser Inhalt wird dem Willen durch den Verstand gegeben. Betrachten wir einmal die Tatsache, daß jemand an der Unsterblichkeit der Seele zweifelt. Es ist ihm bewußt, daß die Behauptung vom Weiterleben der Seele nach dem Tode des Leibes weder bewiesen noch durch verläßliche Autoritäten gesichert werden kann. Wir stehen also vor einer ungesicherten theoretischen Aussage. Aber es gibt andere Gründe, die die Menschen zu dieser Annahme drängen. Sie entschließen sich zum Glauben und füllen mit dem Willen die Lücke, die in der Beweisbarkeit besteht. In der klassischen römisdi-katholischen Theologie ist der „Wille zu glauben" nicht ein Entschluß, der aus dem Bemühen des Menschen entsteht, sondern er wird ihm durch Gnade geschenkt. Gott bewegt der Willen dazu, die Wahrheit der kirchlichen Lehre anzunehmen. Aber audi nach dieser Auffassung wird nicht der Intellekt durch Gott zum Glauben getrieben, sondern der von Gott bewegte Wille vollendet das, was der Intellekt allein nicht leisten kann. Eine solche Deutung entspricht der autoritären Haltung der römischen Kirdie. Denn es ist schließlich die Autorität der Kirche, die die Inhalte des Glaubens setzt, zu deren Bejahung der Wille den Intellekt antreibt. Wird nun der Gedanke, daß Gott den Willen bewegt, ausgeschaltet, so wird — wie im Pragmatismus - der Willensakt zu einem Akt der Willkür. Er wird zu einer Entscheidung, die zwar durch einige, wenn auch ungenügende Gründe gestützt wird, die aber mit derselben Berechtigung ganz anders hätte ausfallen können. Solch ein Akt des „Für-wahr-Haltens" auf Grund eines Willens-Aktes ist kein Glaube. Die protestantische Form des »Willens zu glauben" ergibt sich aus dem moralischen Grundverständnis der Religion. Man fordert hier „Glaubensgehorsam" in Anlehnung an ein Wort des Paulus. Dieser Begriff kann zweierlei bedeuten. Er kann einmal das Element der Hingabe betonen, das im Zustand unbedingten Ergriffenseins immer enthalten ist. Man meint dann mit Recht, daß im Zustand des unbedingten Ergriffenseins alle geistigen Funktionen des Menschen mitwirken. Oder aber das Wort „Glaubensgehorsam" bedeutet die Unterwerfung unter das Gebot zu glauben, wie es in der Verkündigung der Propheten und Apostel gepredigt wird. Gewiß, wenn ein prophetisches Wort als „prophetisch" anerkannt wird, das heißt als ein Wort, das von Gott 136

kommt, so besagt Glaubensgehorsam nichts anderes, als daß man eine Botschaft als von Gott kommend anerkennt. Aber wenn ein Zweifel darüber besteht, ob ein Wort »prophetisch" ist oder nicht, dann verliert der Ausdruck „Glaubensgehorsam" seinen Sinn. Er wird zu einem willkürlichen „Willen zu glauben". Diese Situation läßt sich noch besser verdeutlichen, wenn wir darauf hinweisen, daß wir oft von etwas ergriffen sind, so z. B. von Stellen der Bibel, die uns als objektiver Ausdruck eines Unbedingten, Letztgültigen erscheinen, aber wir zögern und gebrauchen Ausflüchte, um es nicht auch subjektiv zum Gegenstand unseres eigenen letzten Anliegens zu machen. In solchen Fällen, meint man, ist der Appell an den Willen gerechtfertigt und erscheint darum nicht als Aufforderung zu einem Willkür-Akt. Das ist gewiß richtig. Aber solch ein Willensakt erzeugt keinen Glauben, denn Glaube als unbedingtes Anliegen war bereits vor dem Willensakt da. Die Forderung, zu gehorchen, ist dann nichts als die Forderung, das zu sein, was man schon ist, nämlich ein Mensch, der sich in Wirklichkeit dem Unbedingten schon hingegeben hat, auch wenn er ihm zu entrinnen sucht. Nur in einer solchen Lage darf „Glaubensgehorsam" gefordert werden; aber sie setzt voraus, daß der Glaube dem Gehorsam vorhergeht und nicht seine Folge ist. Weder der Befehl zu glauben noch der »Wille zu glauben" können Glauben hervorbringen. Diese Tatsache ist für alle religiöse Erziehung, Seelsorge und Predigt wichtig. Man sollte niemals den Eindruck erwecken, als ob der Glaube eine Forderung sei, deren Ablehnung von bösem Willen zeugt. Der endliche Mensch kann das Ergriffensein vom Unendlichen nicht willentlich schaffen. Unser schwankender Wille kann die Gewißheit nicht erzeugen, die zum Glauben gehört. Das entspricht in jeder Hinsicht dem, was bereits über die Unmöglichkeit gesagt wurde, zum Glauben durch Beweisgründe oder durch Vertrauen auf Autoritäten zu gelangen. Weder Verstand noch Wille noch Autoritäten vermögen Glauben zu schaffen. 3. Das Mißverständnis

des Glaubens

als

Gefühl

Die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man den Glauben entweder als eine Sache des Verstandes oder des Willens oder als Zusammenwirken beider auffaßt, haben dazu geführt, ihn als Gefühl zu bestimmen. Diese Auffassung wurde zum Teil bis auf den heutigen Tag sowohl von religiöser wie auch von weltlicher Seite her gestützt. Für die Verteidiger der Religion war das ein Rückzug auf eine scheinbar sichere Stellung, nachdem der Versuch gescheitert war, den Glauben als 137

eine Sache der Erkenntnis oder des Willens zu rechtfertigen. Der Vater der modernen protestantischen Theologie, Schleiermadier, hat die Religion als ein „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit" beschrieben. Natürlich bedeutet Gefühl im Sinne Schleiermachers nicht dasselbe wie in der landläufigen Psychologie. Es ist nicht verschwommen und wechselhaft, sondern hat einen bestimmten Inhalt, nämlich „schlechthinnige Abhängigkeit", eine Wendung, die dem verwandt ist, was wir als »unbedingtes Anliegen" bezeichnet haben. Dennoch hat das Wort „Gefühl" vielfach zur Annahme verleitet, daß der Glaube lediglich eine Sache von Gefühlsregungen sei ohne Bindung an einen Inhalt, den man erkennen kann, und ohne Forderung, der Gehorsam gebührt. Diese Deutung des Glaubens wurde bereitwillig von Wissenschaftlern und Politikern anerkannt. Sie sahen darin die beste Möglichkeit, alle Einmischung seitens der Religion in die wissenschaftliche Forschung und in den politischen Bereich auszuschalten. Wenn die Religion nichts als Gefühl ist, dann ist sie harmlos. Dann sind die alten Konflikte zwischen Kultur und Religion beendet. Die Kultur kann sich, geleitet von wissenschaftlicher Erkenntnis, ungehemmt entfalten. Die Religion hingegen ist Privatsache des Einzelnen und nichts als ein Widerspiel seines Gefühlslebens. Sie hat keinen Anspruch auf Wahrheit zu erheben, und natürlich kann es dann auch keine Konflikte zwischen Religion und Naturwissenschaft, Geschichte, Psychologie und Politik geben. Nachdem die Religion so zu einem subjektiven Gefühl erklärt und aus dem Wege geräumt ist, ist sie keine Gefahr mehr für das kulturelle Leben des Menschen. Aber keine der beiden Seiten, weder die Religion noch die Kultur, konnte diese säuberliche Trennung der Bereiche einhalten. Der Glaube als Zustand des Ergriifenseins von dem, was unbedingt angeht, fordert den ganzen Menschen und läßt sich nicht auf die Subjektivität bloßen Fühlens beschränken. Ein solcher Glaube beansprucht Wahrheit für sich und fordert Hingabe an das, was unbedingt angeht. Er kann sich nicht damit abfinden, als unverbindliches Fühlen in einen abgelegenen Winkel gestellt zu werden. Wenn der ganze Mensch ergriffen ist, sind alle seine Kräfte ergriffen. Wird dieser Anspruch der Religion verneint, wird die Religion selbst verneint. Aber nicht nur für die Religion war die Beschränkung des Glaubens auf die Sphäre des Gefühls unannehmbar. Auch Wissenschaftler, Künstler und Politiker zeigten oft gegen ihren Willen, daß sie ein unbedingtes Anliegen hatten, obgleich sie ein lebhaftes Interesse bekundeten, die Religion auf das Gebiet bloßen Fühlens abzuschieben. Und das fand einen sichtbaren Ausdruck selbst in jenen Werken, in denen sie sich am 138

schärfsten gegen die Religion wandten. Eine genaue Analyse der meisten philosophischen, wissenschaftlichen und ethischen Systeme zeigt, wieviel »unbedingtes Anliegen" sie enthalten, auch wenn sie im Kampfe gegen das, was sie unter Religion verstehen, eine führende Rolle spielen. Diese Ausführungen zeigen die Unzulänglichkeit einer Auffassung, die den Glauben nur als Gefühl versteht. Gewiß ist im Glauben als einem Akt der ganzen Person das Element des Gefühls stark vertreten. Lebhaftes Gefühl zeigt stets an, daß die ganze Person an einem Erlebnis oder einer geistigen Erfahrung beteiligt ist. Aber das Gefühl ist nicht die Quelle des Glaubens. Glaube hat eine ganz bestimmte Richtung und einen konkreten Inhalt. Darum beansprucht er Wahrheit und Hingabe. Glaube ist auf das Unbedingte gerichtet, das in einer konkreten Situation erscheint, die solche Hingabe fordert und rechtfertigt.

III. SYMBOLE DES GLAUBENS

1. Der Begriff des Symbols Das, was den Menschen unbedingt angeht, muß symbolisch ausgedrückt werden, weil allein die Symbolsprache das Unbedingte auszudrücken vermag. Diese These bedarf der Erläuterung. Trotz der vielfältigen Bemühungen der zeitgenössischen Philosophie, Klarheit über Wesen und Funktion des Symbols zu gewinnen, liegen die hier vertretenen Ansichten noch weit auseinander. Wer also den Begriff Symbol verwendet, muß erklären, was er darunter versteht. Symbole haben mit Zeichen ein wesentliches Merkmal gemeinsam: sie weisen auf etwas hin, was außerhalb ihrer selbst liegt. Das rote Verkehrszeichen an der Straßenkreuzung weist auf die Vorschrift hin, nach der die Autos in bestimmten Zeitabständen halten müssen. Ein rotes Licht und das Anhalten von Wagen haben an sich keine innere Beziehung zueinander; aber nach einem Ubereinkommen werden sie beide verknüpft, und das gilt so lange, wie die Vereinbarung besteht. Das gleiche gilt für Buchstaben und Zahlen und teilweise sogar für Wörter. Auch sie weisen über sich hinaus auf Laute und Bedeutungen. Sie haben ihre besondere Funktion durch Übereinkunft innerhalb eines Volkes oder durch internationale Abmachungen erhalten, wie z. B. die mathematischen Zeichen. Manchmal werden solche Zeichen Symbole genannt. Das ist jedoch zu bedauern, weil es die Unterscheidung zwischen Zei-

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chen und Symbol erschwert. Entscheidend ist in dieser Hinsicht die Tatsache, daß die Zeichen keinen Anteil an der Wirklichkeit dessen haben, worauf sie hinweisen; bei den Symbolen hingegen ist das der Fall. Darum können Zeichen aus Gründen der Zweckmäßigkeit in freier Vereinbarung ersetzt werden, bei Symbolen ist das nicht möglich. Das führt zu einem weiteren Merkmal des Symbols: es hat einen Anteil an dem, worauf es hinweist. Die Flagge hat teil an der Macht und dem Ansehen der Nation, für die sie weht. Darum kann sie nicht ausgewechselt werden, es sei denn nach einem geschichtlichen Zusammenbruch, der die Wirklichkeit des durch die Flagge repräsentierten Volkes veränderte. Eine Mißachtung der Flagge wird als Verletzung der Würde des Volkes, das sie als Symbol gewählt hat, betrachtet. Eine solche Handlung erscheint geradezu als Frevel. Das dritte Wesensmerkmal des Symbols besteht darin, daß es Schichten der Wirklichkeit erschließt, die uns sonst unzugänglich blieben. Alle Kunst schafft Symbole für eine Dimension der Wirklichkeit, die uns auf andere Art nicht zugänglich ist. Ein Bild oder ein Gedicht z. B. offenbaren Züge der Wirklichkeit, die sich wissenschaftlich nicht erfassen lassen. Das vierte Wesensmerkmal des Symbols ist darin zu sehen, daß es Dimensionen und Strukturen unserer Seele öffnet, die den Dimensionen und Strukturen der Wirklichkeit entsprechen. Ein großes Drama gibt uns nicht nur eine neue Einsicht in die Welt des Menschen, sondern es eröffnet uns auch verborgene Tiefen unseres eigenen Seins. Dadurch werden wir befähigt, das zu verstehen, was das Schauspiel eigentlich sagen will. Es gibt Bereiche in uns, deren wir uns nur durch Symbole bewußt werden können. So können auch Melodien und Rhythmen in der Musik zu Symbolen werden. Fünftens: Symbole können nicht willkürlich erfunden werden. Sie entstammen dem individuellen oder kollektiven Unbewußten und werden nur dadurch lebendig, daß sie im Unbewußten unseres eigenen Seins Wurzel fassen. Das letzte Kennzeichen des Symbols ergibt sich aus der Tatsache, daß Symbole nicht erfunden werden können. Sie entstehen und vergehen wie lebende Wesen. Sie entstehen, wenn die Zeit reif dafür ist, und sie vergehen, wenn die Zeit über sie hinweggeschritten ist. Das Symbol „König" entstand z. B. in einer bestimmten Epoche der Geschichtc und erlosch in unserer Zeit fast überall auf der Welt. Symbole sterben nicht durch wissenschaftliche oder sonstige Kritik. Sie vergehen, wenn sie in der Gemeinschaft, deren Ausdruck sie einmal waren, keinen Widerhall mehr finden. 140

Echte Symbole gibt es in den verschiedenen Bereichen des kulturellen Lebens. Wir haben bereits die Politik und Kunst erwähnt. Wir müssen auch die Geschichte nennen, aber unser besonderes Thema sind die religiösen Symbole. 2. Die religiösen

Symbole

Wir haben bisher die Symbole im allgemeinen erörtert, aber schon im Hinblick auf die Tatsache, daß das, was den Menschen unbedingt angeht, nur symbolisch ausgedrückt werden kann. Nun könnte man fragen, warum sich das von den religiösen Symbolen Erfaßte nicht unmittelbar angemessen ausdrücken läßt. Wenn z. B. Geld, Erfolg im Leben oder die Nation das höchste Anliegen eines Menschen sind, warum läßt sich das nicht direkt und ohne Verwendung der Symbolsprache sagen? Sind wir nicht nur dann im Bereich des Symbols, wenn der Gegenstand unseres letzten Anliegens „Gott" heißt? Darauf ist zu sagen: Der Mensch macht alles, was ihn unbedingt angeht, zum „Gott". Wenn die Nation das unbedingte Anliegen eines Menschen ist, dann wird ihm der Name dieser Nation zu einem geheiligten Namen, und ihr selbst werden göttliche Eigenschaften beigemessen, die weit über Wesen und Aufgabe einer Nation hinausgehen. Die Nation tritt dann an die Stelle des wahren Unbedingten und wird dadurch zum Götzen. Erfolg als letztes Anliegen ist nicht ein natürlicher Wunsch nach Verwirklichung größerer menschlicher Möglichkeiten, sondern vielmehr die Bereitschaft, alle anderen Werte des Lebens der Macht und dem Ansehen in der Gesellschaft zu opfern. Die Angst, man könne nicht genügend Erfolg haben, ist eine verzerrte Form der Angst vor dem Gericht Gottes: Erfolg ist Gnade; Mangel an Erfolg Verwerfung durch Gott. Auf diese Weise werden Begriffe einer sehr irdischen Wirklichkeit wie Erfolg und Geld zu götzenhaften Symbolen dessen, was wahrhaft letztgültig ist. Daß solche Begriffe des alltäglichen Lebens zu Symbolen erhoben werden können, liegt im Wesen des Unbedingten und in der Natur des Glaubens begründet. Das wahrhaft Unbedingte läßt den Bereich alles Bedingten unendlich weit hinter sich. Darum kann es von keiner endlichen Wirklichkeit unmittelbar und angemessen ausgedrückt werden. Religiös gesprochen heißt das: Gott transzendiert seinen eigenen Namen. Das ist auch der Grund dafür, daß sein Name so oft mißbraucht und entweiht wird. Wie wir auch unser höchstes Anliegen bezeichnen, ob wir es Gott nennen oder nicht, unsere Aussagen haben in jedem Fall symbolische Bedeutung; und die dabei gebrauchten Symbole weisen 141

über sich hinaus und haben teil an dem, was sie bezeichnen. Der Glaube kann sich auf keine andere Weise angemessen ausdrücken. Die Sprache des Glaubens ist die Sprache des Symbols. Das könnten wir nicht sagen, wenn der Glaube nur ein Für-wahr-Halten, nur Wille oder Gefühl wäre. Aber Glaube als der Zustand des Ergriffenseins von dem, was unbedingt angeht, kennt keine andere Sprache als die des Symbols. Auf eine solche Feststellung erwarte idi immer die Frage: N u r ein Symbol? Aber wer so fragt, beweist damit, daß ihm der Unterschied zwischen Zeichen und Symbol fremd ist. Er weiß nichts von der Macht der Symbolsprache, die an Tiefe und Kraft die Möglichkeiten jeder nicht-symbolischen Sprache übertrifft. Man sollte niemals sagen „nur ein Symbol", sondern vielmehr: „nichts Geringeres als ein Symbol". Das gilt es im Auge zu behalten bei der nun folgenden Erläuterung der verschiedenen Arten von Glaubenssymbolen. Das grundlegende Symbol für das, was uns unbedingt angeht, ist Gott. Dieses Symbol ist in jedem Glaubensakt gegenwärtig, selbst wenn dieser Glaubensakt die Leugnung Gottes einschließt. Wo wirkliches Ergriffensein vom Unbedingten ist, kann Gott nur im Namen Gottes verneint werden. Ein Gott kann den anderen Gott verneinen, aber unbedingtes Ergriffensein kann seinen eigenen Charakter - sein Unbedingtsein - nicht verneinen. In dieser Tatsache liegt die Bestätigung dessen, was mit dem Wort „Gott" gemeint ist. Atheismus kann folglich nur als Versuch verstanden werden, jedes unbedingte Anliegen abzulehnen, das heißt also Ablehnung der Frage nach dem Sinn des Lebens. Gleichgültigkeit gegenüber dieser dringlichsten Frage ist die einzig denkbare Form des Atheismus. Ob ein solcher Atheismus möglich ist, soll hier nicht erörtert werden. Auf jeden Fall gilt, daß, wer Gott mit unbedingter Leidenschaft leugnet, Gott bejaht, weil er etwas Unbedingtes bekundet. Gott ist das grundlegende Symbol für das, was uns unbedingt angeht. Wiederum würde es völlig falsch sein zu fragen: Also dann ist Gott nur ein Symbol? Denn die nächste Frage müßte dann lauten: Ein Symbol wofür? Und darauf wäre nur eine Antwort möglich: Für Gott. »Gott" ist Symbol für Gott. Das bedeutet, daß wir in unserer Gottesvorstellung zwei Elemente zu unterscheiden haben, nämlich einmal das Element der Unbedingtheit, das sich uns in unmittelbarer Erfahrung erschließt und an sich nicht-symbolisch ist, und zum anderen das konkrete Element, das unserer gewöhnlichen Erfahrung entnommen ist und symbolisch auf Gott bezogen wird. Der Mensdi, dessen unbedingtes Anliegen sich in einem heiligen Baum ausdrückt, ist sowohl von einem unbedingten Anliegen erfüllt als auch von der Konkretheit des Baumes, der seine Hinwendung zum Unbedingten 142

symbolisiert. Der Mensch, der Apollo anbetet, ist vom Unbedingten ergriffen, und zwar in konkreter Weise, denn das Unbedingte ist für ihn in der göttlichen Gestalt Apollos verkörpert. Der Mensch, der Jahwe, den Gott des Alten Testaments, verehrt, hat nicht nur ein unbedingtes Anliegen, sondern auch ein konkretes Bild dessen, was ihn unbedingt angeht. Das ist der Sinn der scheinbar so paradoxen Feststellung, daß „Gott" das Symbol Gottes ist. In diesem Sinn ist Gott der eigentliche und allgemein gültige Inhalt des Glaubens. Es ist offensichtlich, daß eine solche Auffassung vom Wesen Gottes die Frage nach der Existenz oder Nicht-Existenz Gottes sinnlos macht. Es ist sinnlos, nach der Unbedingtheit des Unbedingten zu fragen. Dieses Element in der Idee Gottes ist in sich selbst gewiß. Hingegen wandelt sich der symbolische Ausdruck des Unbedingten unaufhörlich im Verlaufe der Menschheitsgeschichte. Auch hier wäre es sinnlos, zu fragen, ob die eine oder andere der Gestalten, in denen sich das Unbedingte symbolisch darstellt, tatsächlich „existiert". Wenn man unter „Existenz" etwas versteht, was irgendwo im Ganzen der Wirklichkeit auffindbar ist, dann existiert kein göttliches Wesen. Die Frage nach der Existenz Gottes kann also gar nicht gestellt werden. Die Frage muß vielmehr lauten: Welches unter den zahllosen Symbolen entspricht zutiefst dem Sinn des Glaubens? Mit anderen Worten: Welches Symbol des Unbedingten drückt das Absolute frei von götzenhaften Elementen aus? Das ist das eigentliche Problem, und nicht die sogenannte Frage nach der „Existenz Gottes", eine Redewendung, die eine unmögliche Kombination von Worten ist. Gott als das Unbedingte im unbedingten Ergriffensein des Menschen ist gewisser als jede andere Gewißheit, selbst als die des eigenen Ich. Aber Gott anzuerkennen im Symbol einer göttlichen Gestalt ist eine Sache des Glaubens, des Mutes und des Wagnisses. Gott ist das grundlegende Symbol des Glaubens, aber nicht das einzige. Alle Eigenschaften, die wir ihm zuschreiben, wie Macht, Liebe, Gerechtigkeit, sind aus dem Bereich unserer endlichen Erfahrungen genommen und symbolisch auf das übertragen, was jenseits von Endlichkeit und Unendlichkeit ist. Wenn der Glaube Gott als den „Allmächtigen" bezeichnet, verwendet er die menschliche Erfahrung der Macht, um den Gegenstand seines Ergriffenseins vom Unbedingten symbolisch zu benennen; aber er kennzeichnet damit nicht ein höchstes Wesen, das tun kann, was ihm beliebt. Und so steht es auch mit allen anderen Eigenschaften Gottes und mit allen Taten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die der Mensch ihm zuschreibt. Das sind alles Symbole, die unserer alltäglichen Erfahrung entnommen sind, und keine Aus143

sage darüber, was Gott in grauer Vorzeit getan hat oder in ferner Zukunft tun wird. Der Glaube ist nicht das Für-wahr-Halten solcher Berichte, sondern die Annahme von Symbolen, die unser unbedingtes Ergriffensein im Bilde göttlichen Handelns ausdrücken. Eine andere Gruppe von Glaubenssymbolen sind Manifestationen des Göttlichen in Dingen und Ereignissen, in einzelnen Menschen und Gemeinschaften, in Worten und Schriften. Dieser ganze Bereich geheiligter Objekte ist eine Schatzkammer voller Symbole. Aber heilige Gegenstände sind nicht an sich heilig, sondern sie weisen über sich hinaus auf die Quelle aller Heiligkeit, auf das, was das Unbedingte selbst ist. 3. Symbol und Mythos Die Symbole des Glaubens erscheinen nicht vereinzelt. Sie fügen sich vielmehr zu „Göttergeschichten'', denn das bedeutet ja im Grunde das griechische Wort „Mythos". Die Götter treten darin als individuelle Gestalten auf und ähneln menschlichen Wesen. Wie diese unterscheiden sie sich dem Geschlechte nach, haben Vorfahren und Nachkommen und sind von Liebe und H a ß zueinander erfüllt. Welt und Mensch werden von ihnen erschaffen, und sie wirken in Raum und Zeit. Sie nehmen teil an der Größe und dem Elend der Menschen, an ihrem schöpferischen wie auch zerstörerischen Tun. Sie schenken der Menschheit Kultur und Religion und schützen geheiligte Riten. Sie helfen und drohen dem Menschengeschlecht, insbesondere bestimmten Geschlechtern, Stämmen oder Völkern. Wir begegnen ihnen in Epiphanien und Inkarnationen; sie stiften geweihte Stätten und Riten, setzen Priester ein und schaffen Kulte. Aber sie selbst stehen unter der Herrschaft und Drohung des Schicksals, dem alles Bestehende unterworfen ist. Das alles ist Mythologie, wie sie am eindrucksvollsten im alten Griechenland entstand. Aber viele der hier angeführten Züge begegnen uns in jeder Mythologie. Gewöhnlich sind die Götter des Mythos nicht gleichrangig. Es besteht eine Hierarchie, deren Spitze ein höchster Gott einnimmt, wie in Griechenland, oder eine Dreiheit, wie in Indien, oder eine polardualistische Gottheit, wie in Persien. Es gibt Erlöser, die zwischen den höchsten Göttern und den Menschen vermitteln und die trotz ihrer wesenhaften Unsterblichkeit leiden, sterben und auferstehen. Das ist die Welt des Mythos, eine große und seltsame Welt, stets im Wandel begriffen und doch im Grunde sich immer gleichbleibend, ein Ausdrude des höchsten Anliegens des Menschengeschlechts, symbolisch dargestellt in göttlichen Gestalten und Taten. Mythen sind also Symbole des Glau144

bens, zu Sagen verknüpft, die von Begegnungen zwischen Göttern unter sich und zwischen Göttern und Menschen berichten. Mythen sind in jedem Akt des Glaubens gegenwärtig, weil die Sprache des Glaubens das Symbol ist. Sie werden aber auch in allen großen Religionen der Menschheit kritisiert und transzendiert. Der Grund dafür ergibt sich aus dem Wesen des Mythos selbst, der seinen Stoff aus unserer alltäglichen Erfahrung entnimmt und die Taten und Erlebnisse der Götter in Raum und Zeit geschehen läßt. Aber es gehört gerade zum Wesen des Unbedingten, daß es jenseits von Raum und Zeit ist. Vor allem aber spaltet der Mythos das Göttliche in mehrere Gestalten auf und entzieht ihnen allen damit ihre Unbedingtheit, ohne ihre Ansprüche auf Unbedingtheit aufzuheben. Das führt notwendig zu Konflikten zwischen diesen verschiedenen Ansprüchen, die so stark sein können, daß sie die Existenz des Einzelnen wie auch ganzer Gemeinschaften gefährden. Die Kritik am Mythos richtet sich in erster Linie gegen die Aufspaltung des Göttlichen und überwindet sie durch die Vorstellung eines einzigen Gottes, obgleich diese Vorstellung recht unterschiedliche Züge in den einzelnen Religionen aufweisen kann. Denn selbst der eine Gott bleibt ein Gegenstand mythischer Sprache, und wenn man von ihm spricht, wird er notwendig in Raum und Zeit hineingestellt. J a , sogar seine Unbedingtheit geht verloren, wenn er zum konkreten Inhalt eines bestimmten Glaubens gemacht wird. Daher endet die Kritik am Mythos nicht mit der Zurückweisung einer polytheistischen Mythologie. Auch der Monotheismus unterliegt nämlich der Kritik am Mythos und bedarf, wie man heute sagt, der „Entmythologisierung". Dieser Begriff ist geprägt worden im Zusammenhang mit der Aufdeckung der mythischen Elemente in den Erzählungen und Symbolen der Bibel sowohl des Alten wie des Neuen Testaments. Es handelt sich hier um Berichte wie die vom Paradies, vom Fall Adams, von der Sintflut, vom Auszug aus Ägypten, von der jungfräulichen Geburt des Messias, von vielen seiner Wunder, seiner Auferstehung und Himmelfahrt sowie seiner zu erwartenden Wiederkehr als Richter des Weltalls. Mit einem Wort, alle Erzählungen, in denen göttliches Wirken unter den Menschen geschildert wird, werden ihrem Wesen nach als mythologisch verstanden und damit dem Prozeß der Entmythologisierung unterworfen. Was ist nun zu diesem negativen und künstlich gebildeten Begriff zu sagen? Er muß bejaht werden, falls mit ihm die Notwendigkeit hervorgehoben wird, ein Symbol als Symbol und einen Mythos als Mythos zu verstehen. Der Begriff der Entmythologisierung muß dagegen abgelehnt werden, wenn mit ihm die Ausmerzung von Symbolen und 145

Mythen überhaupt gemeint ist. Ein solches Unterfangen kann niemals gelingen, weil Symbol und Mythos von Formen des Denkens und der Anschauung zeugen, die mit der Struktur des menschlichen Bewußtseins untrennbar verbunden sind. Man kann einen bestimmten Mythos durch einen anderen ersetzen, aber man kann mythisches Denken nicht aus dem geistigen Leben des Menschen lösen. Denn Mythos ist die Verknüpfung von Symbolen, die ausdrücken, was uns unbedingt angeht. Ein Mythos, der als Mythos verstanden wird, ohne verworfen oder ersetzt zu werden, kann als „gebrochener Mythos" bezeichnet werden. Seinem ganzen Wesen nadi muß das Christentum jeden ungebrochenen Mythos ablehnen; denn es beruht auf dem ersten Gebot, der Anerkennung Gottes als Gott und der Verwerfung jeglicher Art von Götzendienst. Alle mythologischen Elemente in der Bibel, der Lehre und Liturgie müssen als solche erkannt werden. Aber sie sollten in ihrer symbolischen Form bewahrt und nicht durch wissenschaftliche Formeln ersetzt werden. Denn es gibt keinen Ersatz für Symbole und Mythen, sie sind die Spradie des Glaubens. Die radikale Kritik des Mythos wird dadurch hervorgerufen, daß das primitive mythische Bewußtsein jedem Versuch, den Mythos als Mythos zu verstehen, hartnäckig Widerstand leistet. Es fürchtet jeden Akt der Entmythologisierung und glaubt, daß ein „gebrochener Mythos" seine Wahrheit und überzeugende K r a f t einbüßt. Wer in einer ungebrochenen mythischen Welt lebt, fühlt sich sicher und geborgen. Er widersetzt sich fanatisch jedem Versuch der »Brechung des Mythos", weil dadurch sein symbolischer Charakter bewußt gemacht und ein Element der Unsicherheit geschaffen wird. Ein solcher Widerstand wird von autoritären Systemen, seien sie religiöser oder politischer Art, unterstützt. Denn es liegt in ihrem Interesse, die Menschen unter ihrer Herrschaft in Sicherheit zu wiegen und denen, die die Herrschaft ausüben, unbestrittene Macht in die H a n d zu geben. Der Widerstand gegen die Entmythologisierung zeigt sich in einem starren Festhalten am Buchstaben. Die Symbole und Mythen werden wörtlich genommen. Ihr Stoff, der der Natur und der Geschichte entlehnt ist, wird im vordergründigen Sinne gedeutet. Das Wesen des Symbols, das über sich selbst hinaus auf etwas anderes verweist, wird verkannt. Man versteht dann die Schöpfung als einen magischen A k t im „Es war einmal . . . " des Märchens; der Fall Adams wird örtlich festgelegt und einem bestimmten Menschen zugeschrieben, die jungfräuliche Geburt des Messias erfährt eine biologische Deutung, Auferstehung und Himmelfahrt erscheinen als physikalische Ereignisse, und die Wiederkehr Christi begreift man als eine Katastrophe, die die Erde oder den Kosmos treffen 146

wird. Die Voraussetzung für solchen Buchstabenglauben ist die Annahme, daß Gott eine Stätte in Raum und Zeit hat und den Lauf der Dinge beeinflußt sowie von ihm beeinflußt wird wie jedes andere Wesen in der Welt auch. Solches buchstäbliche Verständnis der Bibel beraubt Gott seiner Unbedingtheit und, religiös gesprochen, audi seiner Majestät. Es zieht ihn herab auf die Ebene des Endlidien und Bedingten. In alledem handelt es sich nicht um eine rationale, sondern um eine inner-religiöse Kritik. Ein Glaube, der seine Symbole wörtlich versteht, wird zum Götzenglauben. Er nennt etwas unbedingt, was weniger ist als unbedingt. Der Glaube hingegen, der sich des symbolischen Charakters seiner Symbole bewußt ist, gibt Gott die Ehre, die ihm gebührt. Es sind nun zwei Stadien des wörtlichen Mißverstehens der Symbole zu unterscheiden, das ursprüngliche und das abwehrende. Im ursprünglichen Stadium werden das Mythische und das Wörtliche nicht voneinander geschieden. In der Frühzeit der Geschichte können weder die einzelnen Menschen noch Gemeinschaften die Schöpfungen symbolischer Einbildungskraft von Tatsachen unterscheiden, die durch Beobachtungen und Versuche beweisbar sind. Dieses Stadium hat seine Berechtigung bis zu dem Zeitpunkt, wo der forschende Geist des Menschen das wörtliche Für-wahr-Halten der Mythen überwindet. Wenn dieser Augenblick gekommen ist, eröffnen sich zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, den ungebrochenen Mythos durch den gebrochenen zu ersetzen. Das ist der von der Sache her geforderte Weg, obgleich er für viele nicht gangbar ist, weil sie lieber ihr Fragen unterdrücken, als die Ungewißheit auf sich nehmen, die aus der Brechung des Mythos entsteht. Damit werden sie in das zweite Stadium des Wörtlichnehmens der Mythen gedrängt. Sie wissen insgeheim um das Recht des Fragens, unterdrücken es aber aus Angst vor der Ungesichertheit. Gewöhnlich geschieht diese Unterdrückung mit Hilfe einer geheiligten Autorität, wie etwa der Kirche oder der Bibel, denen man bedingungslosen Gehorsam schuldet. Auch dieses Stadium ist in gewissem Sinne zu rechtfertigen, wenn das kritische Bewußtsein wenig entwickelt ist und leicht beruhigt werden kann. Es ist jedoch unentschuldbar, wenn auf dieser Stufe ein reifer Geist in seinem innersten Kern durch politische und psychologische Methoden gebrochen und in einen tiefen Zwiespalt mit sidi selbst gestürzt wird. Der Feind der kritischen Theologie ist darum nicht das naive, sondern das bewußte Wörtlichnehmen der Symbole in Verbindung mit einer kämpferischen Unterdrückung selbständigen Denkens. Die Symbole des Glaubens können nicht durch andere Symbole, 147

etwa künstlerische, ersetzt werden, und sie lassen sich auch nicht durch wissenschaftliche Kritik ausschalten. Wie Wissenschaft und Kunst sind sie im Wesen des menschlichen Geistes fest verwurzelt. In ihrem symbolischen Charakter liegt ihre Wahrheit und ihre Macht. Nichts Geringeres als Symbole und Mythen kann das zum Ausdruck bringen, was uns unbedingt angeht. Als letztes muß gefragt werden, ob Mythen imstande sind, jede Art von unbedingtem Anliegen darzustellen. Manche diristlidie Theologen vertreten die Ansicht, das Wort »Mythos" solle nur in Verbindung mit der Natur gebraucht werden, d. h., wenn es sich um die Beschreibung rhythmisch wiederkehrender Naturprozesse handelt (z. B. die Jahreszeiten), die religiös gedeutet werden. Die gleichen Theologen lehnen es ab, das Werden der Welt, das nach christlichem und jüdischem Glauben als ein geschichtlicher Prozeß mit Anfang, Mitte und Ende zu betrachten ist, einen Mythos zu nennen. Eine solche Auffassung würde den Anwendungsbereich des Begriffes Mythos ganz erheblich einschränken. Der Mythos könnte dann nicht mehr als der sprachliche Ausdruck für unser letztes Anliegen verstanden werden, sondern nur noch als ein veraltetes Idiom dieser Sprache. Doch die Geschichte beweist, daß es nicht nur Naturmythen, sondern auch geschichtliche Mythen gibt. Wenn die Welt wie im alten Persien als das Schlachtfeld zweier göttlicher Mächte aufgefaßt wird, so haben wir hier einen Geschichtsmythos. Wenn der Gott der Schöpfung ein Volk auserwählt und durch die Geschichte zu einem Ziel hinführt, das alle Geschichte transzendiert, so ist das ein Geschichtsmythos. Wenn der Christus, ein transzendentes, göttliches Wesen, in der Fülle der Zeit erscheint, lebt, stirbt und aufersteht, ist das abermals ein Geschichtsmythos. Das Christentum ist die Kritik an allen Religionen, die an Naturmythen gebunden sind. Aber das Christentum spricht wie jede andere Religion die Sprache des Mythos. Es ist zwar gebrochener Mythos, aber es handelt sich dennoch um einen Mythos, sonst würde das Christentum nicht Ausdruck dessen sein, was uns unbedingt angeht. IV. T Y P E N DES GLAUBENS

1. Die Elemente des Glaubens und ihre Dynamik Glaube als Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, ist in vielen Formen lebendig, und das gilt sowohl für den Glaubensakt wie für den Inhalt des Glaubens. Jede religiöse und kulturelle Gemein148

Schaft und bis zu einem gewissen Grad jeder einzelne Mensch hat eine besondere Glaubenserfahrung mit einem eigenen Glaubensinhalt. Der subjektive Zustand des Glaubenden ändert sich und bewirkt Veränderungen der Glaubenssymbole und umgekehrt. Um die vielfältigen Ausdrucksformen des Glaubens verstehen zu können, sollen im folgenden einige Grundtypen unterschieden und ihre dynamische Wechselbeziehung beschrieben werden. Religiöse Typen sind an sich statisch. Das ist aber nicht das letzte, was man über Glaubenstypen aussagen kann, da sie ein dynamisches Element enthalten, insoweit sie unbedingte Gültigkeit beanspruchen für den besonderen Glaubensaspekt, den sie verkörpern. Daraus ergeben sich Spannungen und Kämpfe sowohl zwischen den einzelnen Glaubenstypen innerhalb einer religiösen Gemeinschaft als auch zwischen den großen Religionen. Es darf nicht vergessen werden, daß Typen stets gedankliche Konstruktionen sind und sich als solche niemals rein in der Wirklichkeit finden. In keinem Lebensbereich gibt es reine Typen. Alle realen Dinge gehören mehreren Typen an. Es gibt aber vorherrschende Wesenszüge, die eine Sache bestimmen und sie einem bestimmten Typ zuordnen lassen. Diese Züge müssen herausgearbeitet werden, wenn die Dynamik des Lebens verständlich gemacht werden soll. Das gilt auch für die Formen des Glaubens und ihre Symbole. Grundlegend für die Unterscheidung der Typen des Glaubens sind die zwei Elemente, die in der Erfahrung des Heiligen vorhanden sind. Das eine Element ist die Gegenwart des Heiligen hier und jetzt. Es heiligt den Ort, an dem das Heilige erscheint, und die Wirklichkeit, in der es sich offenbart. Solche Erfahrung ergreift mit erschütternder und faszinierender Gewalt den menschlichen Geist. Sie bricht ein in die gewohnte Wirklichkeit und treibt sie ekstatisch über sich hinaus. Sie begründet Regeln, nach denen sich das Heilige erfassen läßt. Das Heilige muß gegenwärtig sein und muß als gegenwärtig erfahren werden, wenn es überhaupt erfahren werden soll. Gleichzeitig ist das Heilige das Gericht über alles, was ist. Es fordert Heiligkeit im Sinn von Gerechtigkeit und Liebe, sowohl für die einzelne Person wie für eine Gemeinschaft. Es verkörpert das, was wir unserem eigentlichen Wesen nach sind und deshalb auch sein sollten. Es steht als Gesetz unseres Seins gegen uns und für uns. Wo immer das Heilige erfahren wird, wird auch seine Macht erfahren, das zu fordern, was wir sein sollten. Wir wollen das erste Element in der Erfahrung des Heiligen die „Heiligkeit des Seins" nennen, das zweite die „Heiligkeit des Sollens". Man könnte die erste Glaubensform kurz als den ontologischen, die 149

zweite als den ethischen Typ bezeichnen. Die Dynamik des Glaubens in jeder Religion ist weitgehend durch das Bestehen dieser zwei Typen, ihre gegenseitige Abhängigkeit und ihren Widerstreit, bestimmt. Beide Glaubenstypen beeinflussen sowohl das innerste persönliche Glaubensleben als auch die großen historischen Religionen. Sie sind in jedem Glaubensakt gegenwärtig. Aber einer von ihnen ist immer vorherrschend, denn der Mensch ist endlich und niemals fähig, alle Elemente der Wahrheit vollständig zu besitzen. Andererseits kann der Mensch nidit bei der Erkenntnis seiner Endlichkeit verharren, weil es im Glauben um das Unbedingte und seine angemessenen Ausdrucksformen geht. Jeder unangemessene Ausdruck des Glaubens kann dazu führen, daß der Mensch das Unbedingte verfehlt und dann in seiner ganzen Existenz von etwas bestimmt wird, das hinter dem Unbedingten zurückbleibt. Deshalb muß der Mensch stets versuchen, die Grenzen seiner Endlichkeit zu durchbrechen und das zu erreichen, was niemals erreicht werden kann - das Unbedingte selbst. Aus dieser Spannung erwächst das Problem des Verhältnisses von Glaube und Toleranz. Eine Toleranz, die nichts weiter als Relativismus ist, eine Haltung, in der nichts Unbedingtes gefordert wird, ist negativ und ohne Gewicht; sie entgeht nicht dem Verhängnis, in ihr Gegenteil, eine unduldsame Herrschsucht, umzuschlagen. Der Glaube jedoch muß beides vereinigen: die Toleranz, die sich der Bedingtheit jedes bestimmten Glaubens bewußt ist, und die Gewißheit, die sich auf das Unbedingte gründet. In allen Glaubenstypen, besonders aber im Protestantismus, ist dieses Problem bedeutsam. Die Größe und Gefahr des protestantischen Glaubens beruht auf der Selbstkritik und dem Mut, die eigene Relativität anzuerkennen. Daher wird im Protestantismus die Dynamik des Glaubens stärker als irgendwo sonst offenbar: die unaufhebbare Spannung zwischen der U n bedingtheit des Glaubensanspruches und der Bedingtheit des konkreten Glaubenslebens.

2. Die ontologischen

Glaubenstypen

Das Heilige wird als gegenwärtig erfahren. Es ist hier und jetzt, das heißt, es begegnet uns in einem Gegenstand, in einer Person, in einem Ereignis. Der Glaube sieht in einem konkreten Stück Wirklichkeit den letzten Grund und Sinn aller Wirklichkeit. Kein Teil der Wirklichkeit ist von der Möglichkeit ausgenommen, ein Träger des Heiligen zu werden, und in der Tat ist fast alles Wirkliche im Lauf der Geschichte der Religionen einmal in Glaubensakten als heilig angesprochen worden, sei es von Gruppen, sei es von Einzelnen. Solch 150

ein Stück Wirklichkeit, das in einem Glaubensakt als Träger des Heiligen erfahren wird, hat, wie das traditionelle Wort lautet, „sakramentalen" Charakter. Dieser Kelch, dieses Stück Brot, dieser Baum, diese Handbewegung, dieses Niederknien, dieses Gebäude, dieser Fluß, diese Farbe, dieses Wort, dieses Buch, diese Person sind Träger des Heiligen. Durch sie erfährt der glaubende Mensch das, was ihn unbedingt angeht. Nicht Willkür macht sie zu Trägern des Heiligen, sondern die visionäre Schau Einzelner. Sie werden in gemeinsamer Zustimmung von einer ganzen Gruppe angenommen und von Generation zu Generation weitergegeben; sie werden verändert, verengt und erweitert. Die Menschen stehen ihnen gegenüber in heiliger Scheu, Faszination, Verehrung, Götzendienst und mit Kritik und ersetzen sie schließlidi durch andere Träger des Heiligen. Dieser sakramentale Glaubenstypus findet sich in der ganzen Welt und kommt in allen Religionen vor. Er ist das »tägliche Brot" des Glaubens, ohne den ein Glaube leer und abstrakt würde und seine Bedeutung für das Leben des Einzelnen und der Gruppe verlöre. Glaube im sakramentalen Religionstypus besagt nicht, daß bestimmte Dinge heilig sind und andere nicht. Glaube ist Ergriffensein, das durch ein bestimmtes Medium vermittelt wird. Die Behauptung, daß irgendetwas „heilig" sei, ist nur für den Glauben sinnvoll, der es bezeugt. Als theoretisches Urteil, das allgemeine Gültigkeit beansprucht, ist diese Behauptung eine sinnlose Kombination von Worten; nur in der Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Objekt des Glaubens ist sie sinnvoll und wahr. Der unbeteiligte Beobachter kann nur feststellen, daß eine Glaubensbeziehung vorliegt. Aber er kann niemals etwas über die Echtheit einer solchen Beziehung aussagen. Er kann nur die Tatsache als solche feststellen. Wenn zum Beispiel ein Protestant einen Katholiken vor einem Bild der Jungfrau Maria beten sieht, so bleibt er unbeteiligter Beobachter und ist nicht in der Lage, an dem Glaubensgeschehen teilzunehmen. Anders ist es, wenn ein Katholik sich in der Lage des Beobachters befindet. Er kann den Glaubensakt dessen, den er beobachtet, nachvollziehen. Ein Kriterium, durch das über den Glauben geurteilt werden könnte, gibt es nicht, wenn der Urteilende außerhalb des Glaubens steht. Andererseits kann der Glaubende sich selbst fragen oder von jemandem gefragt werden, ob das Medium, durch das hindurch er das Unbedingte erfährt, Ausdruck für das wahrhaft Unbedingte ist. Diese Frage ist die dynamische K r a f t in der Religionsgeschichte, sie wendet sich entschieden gegen den sakramentalen Glaubenstypus und durchbricht seine Begrenzung in mannigfacher Beziehung. Die Berechtigung dieser Frage beruht darauf, daß das End151

liehe - audi das heiligste Endliche - nur auf das hinweisen kann, was den Mensdien unbedingt angeht. Der Mensch aber vergißt diese Grenze und identifiziert den heiligen Gegenstand mit dem Heiligen selbst. Der sakramentale Gegenstand wird als in sidi selbst heilig angesehen. Sein Charakter, als Träger des Heiligen über sich hinauszuweisen, verschwindet. Der Glaubensakt richtet sidi nicht mehr auf das Unbedingte selbst, sondern auf den Repräsentanten des Unbedingten, den Baum, das Buch, das Gebäude, die Person. Die Transparenz im Glaubensakt ist verlorengegangen. Der protestantische Standpunkt sieht in der katholischen Transsubstantiationslehre, wonach Brot und Wein in Leib und Blut des Christus verwandelt werden, einen solchen Verlust der Transparenz des Göttlichen, insofern das Göttliche mit einem begrenzten Stück Wirklichkeit gleichgesetzt wird. Sicherlich, der Glaube erfährt die Gegenwart des Heiligen, das im Bilde des Christus erscheint, im Brot und Wein des Sakraments. Eine dogmatische Entstellung des Glaubens jedoch ist es, wenn Brot und Wein an sidi als heilige Objekte behandelt werden, die als solche wirksam sind und in einem Schrein aufbewahrt werden können. Es gibt nichts Heiliges außerhalb des lebendigen Glaubens. Sogar die Heiligen sind nur deshalb heilig, weil die Quelle des Heiligen durch sie hindurchscheint. Die Grenzen und Gefahren des sakramentalen Glaubenstypus haben in allen Zeiten der Geschichte die Mystiker zu dem radikalen Schritt bewogen, die Wirklichkeit, sei es in einem ihrer Teile, sei es als Ganzes zu transzendieren. Sie identifizierten das Unbedingte mit dem Grund oder der Substanz alles Seins und nannten es das „Eine", das „Unaussprechliche", das »Sein über dem Sein". Der Mystiker ist nicht darauf aus, die konkreten sakramentalen Formen des Glaubens zurückzuweisen, sondern sie zu überschreiten. Die mystische Erfahrung steht am Ende eines langen Weges, der von den konkretesten Formen des Glaubens zu einem Punkt führt, wo alles Bestimmte im Abgrund der reinen Göttlichkeit verschwindet. Mystik ist nicht irrational. Einige der größten Mystiker in Europa und Asien waren gleichzeitig große Philosophen, überragend in der Klarheit und Folgerichtigkeit ihres Denkens. Sie erkannten, daß das, was uns unbedingt angeht, der Gegenstand unseres Glaubens, weder mit einem Teil der Wirklichkeit gleichgesetzt werden kann, wie es der sakramentale Glaube versucht, noch sich in ein rationales System pressen läßt. Glaube ist ekstatische Erfahrung. Deshalb kann man vom Unbedingten nur in einer Sprache reden, die sich dessen bewußt ist, daß man eigentlich nicht von ihm sprechen kann. Das ist die einzige Weise, in der sich die mystische Erfahrung auszudrücken vermag. Aber man kann fragen: Ist überhaupt etwas da, 152

was zum Ausdrude gebracht werden kann, wenn der Gegenstand des mystischen Glaubens jede Ausdrucksmöglichkeit übersteigt? Beruht der Glaube nicht auf der Erfahrung des Heiligen als gegenwärtig? Wie ist eine solche Erfahrung möglich, wenn das Unbedingte dasjenige ist, das alle mögliche Erfahrung überschreitet? Die Mystiker antworten darauf, daß es einen Ort gibt, wo das Unbedingte in der endlichen Welt gegenwärtig ist: es ist die Tiefe der menschlichen Seele. Diese Tiefe ist der Ort, wo sich das Endliche mit dem Unendlichen berührt. Um zu ihm zu gelangen, muß sich der Mensch aller endlichen Inhalte entledigen. Er muß alle vorläufigen Anliegen für das letzte Anliegen hingeben. Er muß auch über alle realen Dinge hinausgehen, in denen der sakramentale Glaube das Unbedingte erfährt. Er muß die Spaltung der Existenz transzendieren, selbst die tiefste und allgemeinste aller Spaltungen, die Subjekt-Objekt-Spaltung. Das Unbedingte ist jenseits dieser Spaltung, und der Mensch, der es erreichen will, muß diese Spaltung durch Meditation, Kontemplation und Ekstase in sich überwinden. In dieser Bewegung der Seele ist der Glaube in einem Zustand des Schwankens zwischen Haben und Nichthaben dessen, was ihn unbedingt angeht. Der Glaube befindet sich in einer Bewegung gradweiser Annäherung, des Rückfalls und plötzlicher Erfüllung. Der mystische Glaube verachtet und verwirft den sakramentalen Glauben nicht, aber er geht über ihn hinaus zu dem, was in jedem sakramentalen Glaubensakt gegenwärtig ist, aber verborgen bleibt unter den konkreten Gegenständen, in denen er sich verkörpert. Die Theologen haben zeitweise Glauben und mystische Erfahrung als Gegensatz gesehen. Sie meinten, daß der Glaube in einer unüberbrückbaren Ferne von dem Unbedingten bleibe, während die Mystik die Verschmelzung des menschlichen Geistes mit dem Grund des Seins und Sinnes anstrebe. Solche Gegenüberstellung von Glauben und Mystik hat aber nur bedingte Gültigkeit. Auch der Mystiker weiß um den unendlichen Abstand des Unendlichen vom Endlichen und nimmt ein Leben hin, in dem die ekstatische Einigung mit dem Unendlichen nur selten oder niemals erreicht wird. Und der Gläubige kann nur Glauben haben, insofern er ergriffen ist von dem, was ihn unbedingt angeht. Die Mystik ist wie der Sakramentalismus ein Glaubenstypus und nicht das Gegenteil von Glauben; und es gibt ein mystisches wie auch ein sakramentales Element in jedem Glaubenstypus. Das gleiche gilt auch von der humanistischen Form des ontologischen Glaubens, dessen Würdigung besonders wichtig ist, weil Humanismus oft mit Unglauben gleichgesetzt und in Gegensatz zum Glauben gestellt wird. Das ist aber nur möglich, wenn Glaube als Glaube an die Existenz göttlicher Wesen bestimmt wird. Wird Glaube jedoch verstanden als 153

Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, dann enthält auch der Humanismus ein Element von Glauben. Unter Humanismus verstehen wir hier die Haltung, die das wahrhaft Menschliche zum Maßstab und Ziel des geistigen Lebens macht, und zwar in Kunst und Philosophie, in Wissenschaft und Politik, in den sozialen Beziehungen und in dem persönlichen Ethos. Nach humanistischer Auffassung offenbart sich das Göttliche als Menschliches und umgekehrt; das, was den Menschen unbedingt angeht, ist der Mensch. Gemeint ist damit der Mensch in seiner Essenz, der wahre Mensch, der Mensch als „Idee", nicht der wirkliche Mensch in der Entfremdung von seinem wahren Wesen. Wenn unter dieser Voraussetzung der humanistische Glaube sagt, daß Gegenstand seines höchsten Anliegens der Mensdi sei, so schaut er das Unendliche, Unbedingte in einem Endlichen, und er unterscheidet sich darin nidit vom sakramentalen Glauben, der das Unendliche in einem Stück Endlichkeit ergreifen will, oder vom mystischen Glauben, der in der Tiefe des Mensdien den Ort des Unendlichen findet. Es besteht jedoch ein Unterschied. Der sakramentale und der mystische Typus durchbrechen die Grenzen des Menschlichen, der sakramentale in Richtung auf das Universum und all seine Inhalte, der mystische Typus in Richtung auf das, was über den Menschen und seine Welt hinausgeht. Der Humanist dagegen bleibt innerhalb des Menschlichen. Aus diesem Grunde wird der humanistische Glaube als „profan" bezeichnet, während man die beiden anderen Glaubenstypen „religiös" nennt. »Profan" bedeutet in diesem Zusammenhang, im Rahmen des gewöhnlichen Ablaufes der Dinge zu bleiben und nicht darüber hinauszugehen in einen heiligen Bezirk. Im Lateinischen und in den von ihm abgeleiteten Sprachen spricht man hier von Profanität in dem ursprünglichen Sinne des Wortes, nämlich: „vor den Türen des Tempels stehen". Viele Menschen bekennen von sich selbst, daß sie „vor den Toren des Tempels leben" und ohne Glauben seien. Aber wenn man sie fragt, ob sie leben können, ohne daß sie etwas unbedingt angeht, ohne daß sie etwas unbedingt ernst nehmen, so würden sie das entschieden verneinen. Damit bezeugen sie, daß sie im Zustand des Glaubens sind. Sie vertreten den humanistischen Glaubenstypus, der verschiedener Prägung sein kann. Die Tatsache, daß jemand von sich sagt, er stehe ganz in der Profanität, schließt ihn nicht von der Gemeinschaft der Glaubenden aus. Es wäre eine endlose Aufgabe, wollte man die vielfältigen Formen darstellen, in denen der humanistische Glaube sich ausdrückt. Er ist in weiten Bereichen der westlichen Welt und darüber hinaus auch in asiatischen Kulturen verbreitet. Die auf die religiösen Glaubenstypen angewandte Unterscheidung zwischen ontologischen und moralischen Typen können wir auch 154

auf die humanistische Glaubenshaltung anwenden. - Der ontologische Typus kommt am stärksten zum Ausdruck in der romantisch-konservativen Form des Humanismus, der moralische Typus des Glaubens in der fortschrittlich-utopischen. Das Wort „romantisch" verweist in diesem Zusammenhang auf die Erfahrung des Unendlichen im Endlichen, wie es in Natur und Geschichte anschaubar ist. Das Wort „konservativ" in Verbindung mit „romantisch" betont die erfahrbare Gegenwart des Unbedingten in den bestehenden Formen von Natur und Geschichte. Wer das Heilige in der Blume sieht, wie sie sich entfaltet, im Tier, wie es sich bewegt, im Menschen, wie er eine einzigartige Individualität darstellt, oder in einem bestimmten Volk, einer speziellen Kultur, einem besonderen Gesellschaftssystem, hat Erfahrungen, die im romantisch-konservativen Typus eine entscheidende Rolle spielen. Für den Romantiker ist das Gegebene heilig und Inhalt seines letzten Anliegens. Die Analogie dieser Glaubensform zum sakramentalen Glauben ist offensichtlich. Die romantisch-konservative Form des humanistischen Glaubens ist verweltlichter sakramentaler Glaube: Das Heilige ist hier und jetzt gegenwärtig. Der kulturelle und politische Konservatismus ist letztlich von diesem Typus säkularen Glaubens abgeleitet. Er ist wirklicher Glaube, aber er verdeckt das Unbedingte, das er voraussetzt. Seine Schwäche und Gefahr besteht darin, daß er seine ursprüngliche religiöse Substanz verliert. Die Geschichte hat das an allen rein weltlichen Kulturen gezeigt, die dann immer wieder auf die früheren Stadien ihrer Religiosität zurückfielen, von denen sie ausgegangen waren.

3. Die moralischen

Glaubenstypen

Das gemeinsame Kennzeichen der moralischen Glaubenstypen ist der Gesetzesgedanke. Gott ist vor allem der, der das Gesetz gegeben hat als Gabe und Forderung. Nur, wer das Gesetz befolgt, kann zu Gott gelangen. Wohl kennen auch der sakramentale und der mystische Glaube Gesetze; auch da kann niemand das Letzte, Unbedingte erreichen, ohne diese Gesetze zu erfüllen. Es besteht aber ein wichtiger Unterschied in der Art der Gesetze. Im Falle des ontologischen Typus beansprucht das Gesetz Unterwerfung unter rituelle Ordnungen oder asketische Übungen. Im Falle des moralischen Typus beansprucht ein moralisches Gesetz moralischen Gehorsam. Zwar ist der Unterschied nicht absolut, denn das rituelle Gesetz enthält auch moralische Forderungen, und das ethische Gesetz enthält ontologische Elemente. Der Unterschied genügt jedoch, um die Entstehung der verschiedenen gro155

ßen Religionen verständlich zu madien. Sie gehören vorwiegend zum einen oder zum anderen Grundtypus. Wir können innerhalb des moralischen Glaubenstypus die juristische, die konventionelle und die ethische Form unterscheiden. Die juristische Form ist im talmudischen Judaismus und im Islam am stärksten ausgeprägt; das beste Beispiel für die konventionelle Form findet sich im konfuzianischen China; die ethische Form wird hingegen von den jüdischen Propheten verkörpert. Der Glaube des Moslem ist Glaube an die Offenbarung durch Mohammed, und diese Offenbarung ist das, was ihn unbedingt angeht. Die Offenbarung, die Mohammed brachte, bestand vorwiegend aus rituellen und sozialen Gesetzen. Die rituellen Gesetze erinnern an das sakramentale Stadium, aus dem alle Religionen und Kulturen herkommen. Die sozialen Gesetze gehen über das rituelle Element hinaus und heiligen das, „was sein solle". Gesetze dieser Art durchdringen das ganze Leben (zum Beispiel im orthodoxen Judentum). Das Gesetz erscheint immer als Gabe und als Forderung. Erst unter dem Schutz des Gesetzes ist Leben möglich und lebenswert. Das gilt ebenso für den durchschnittlichen Anhänger des Islams wie für alle die, die auf der gleichen Grundlage einen weltlichen, weitgehend vom Griechentum bestimmten Humanismus entwickelt haben. Wenn jemand von der religiösen Haltung der islamischen Völker sagt, daß ihr Glaube Glaube an Mohammed sei und insofern dem Glauben an Christus widerstreite, so muß man dem entgegenhalten: Entscheidend ist im Islam nicht der Glaube an Mohammed als den Propheten, sondern der Glaube an eine Ordnung, die geweiht ist und das tägliche Leben der meisten Menschen bestimmt. Die Glaubensfrage ist nicht Moses oder Jesus oder Mohammed, die Frage ist vielmehr: Welcher von ihnen drückt das aus, was uns unbedingt angeht? So handelt es sich bei den Auseinandersetzungen zwischen den Religionen nicht um die Glaubensinhalte als solche, sondern darum, in welcher Form das unbedingte Anliegen am treffendsten zum Ausdrude kommt. Glaubensentscheidungen sind existentielle und nicht theoretische Entscheidungen. Das eben Gesagte gilt auch für das System konventioneller Regeln, das von Konfuzius teils zusammengetragen, teils aufgestellt wurde. Man hat es oft als areligiös angesehen und von der chinesischen Lebensauffassung behauptet, daß es in ihr keinerlei Glauben gebe, jedenfalls soweit sie von Konfuzius bestimmt ist. Aber auch im Konfuzianismus gibt es Glauben, und zwar nicht nur hinsichtlich der Ahnenverehrung, die ein sakramentales Element darstellt, sondern auch hinsichtlidi der Unbedingtheit der moralischen Gebote, deren Hintergrund eine bestimmte Auffassung von der metaphysischen Struktur des Universums 156

ist. Das Staats- und Gesellschaftsgesetz ist nur eine besondere Erscheinungsform dieser Struktur. Aber trotz dieser religiösen Elemente ist der Grundcharakter des Konfuzianismus weltlich, eine Tatsache, die zwei welthistorische Ereignisse in China ermöglichte, nämlich erstens den Einfluß der sakramentalen und mystischen Religionen des Buddhismus und Taoismus sowohl in ihrer volkstümlichen wie in ihrer verfeinerten Form; ferner den leichten Sieg, den der weltliche Glaube des Kommunismus, der ebenfalls zum moralischen Typus des humanistischen Glaubens gehört, in diesem Lande errungen hat. Am einflußreichsten von allen Spielarten des moralischen Glaubenstypus hat sich die dritte Form, die Religion des Alten Testaments, erwiesen. Wie jede Glaubensform hat auch sie eine breite sakramentale Grundlage: die Idee des auserwählten Volkes, des Bundes zwischen Gott und dem Volk, und das Ritualgesetz mit all seinem Reichtum. Jedoch hat die Erfahrung der Heiligkeit des Seins niemals die Heiligkeit des Sollens beiseite geschoben. Für die Propheten und ihre Nachfolger Priester, Rabbiner, Theologen - führt der Weg zu Gott nur über den Gehorsam gegenüber dem Gesetz der Gerechtigkeit. Das göttliche Gesetz ist das höchste, unbedingte Anliegen, und zwar sowohl im Alten Testament als auch im modernen Judentum. Es ist der entscheidende Inhalt des Glaubens und liefert die Regeln für eine ständige Vergegenwärtigung des Heiligen im täglichen Leben. Das Heilige soll immer gegenwärtig sein, und man soll sich seiner auch bei dem unbedeutendsten Handeln im täglichen Leben erinnern. Und umgekehrt, alles Handeln hat nur dann einen Wert, wenn es mit Gehorsam verbunden ist gegenüber dem Moralgesetz, dem Gesetz der Gerechtigkeit. Die Größe des alttestamentlichen Prophetismus liegt darin, daß er immer wieder das Volk und auch seine Führer verurteilt, wenn sie das moralische Element des Gesetzes, das, was sein soll, zugunsten des sakramentalen Elements vernachlässigen. Es ist die welthistorische Sendung des jüdischen Glaubens, sakramentale Selbstsicherheit zu erschüttern, und zwar nicht nur im Judentum selbst, sondern auch in allen anderen Religionen. Der Einfluß des Judentums ist nicht nur im Christentum und im Islam zu bemerken, sondern auch in der fortschrittlich-utopischen Form des humanistischen Glaubens in der ganzen westlichen Welt. Der antike Humanismus kannte das Gesetz des Sollens. Sowohl die griechische Mythologie wie die griechische Tragödie, die griechische Philosophie wie das römische Recht und der politische Humanismus der römischen Stoiker betonen das, was sein soll. Aber trotzdem blieb der ontologische Typus im ganzen Altertum vorherrschend. Das beweist einerseits der Sieg der Mystik in der späten griechischen Philosophie und anderer157

seits die Bedeutung der Mysterienreligionen im Römischen Imperium sowie das Fehlen von fortschrittsgläubigem und utopischem Denken in der gesamten antiken Welt. Der moderne Humanismus, besonders seit dem 18. Jahrhundert, entfaltet sich auf einer christlichen Grundlage und legt das Schwergewicht auf das Gesetz des Sollens im Sinne der jüdischen Propheten. Er zeigt schon in seinen Anfängen stark fortschrittliche und utopische Elemente. Sein Auftakt ist eine Kritik des Feudalsystems und seiner sakramentalen Grundlagen. Er fordert Gerechtigkeit, zuerst für die Bauern, dann für die bürgerliche Gesellschaft, schließlich für die proletarischen Massen. Der Glaube der Vorkämpfer der Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert ist der moralische Typus des humanistischen Glaubens. Die Aufklärer kämpften für die Befreiung von religiös geweihter feudaler Knechtschaft und für Gerechtigkeit für jedes einzelne menschliche Wesen. Ihr Glaube war humanistischer Glaube, seine Ausdrucksformen waren mehr weltlich als religiös. Aber es war Glaube und nicht wissenschaftliche Erkenntnis, obwohl sie an die höhere Macht der Vernunft im Verein mit Gerechtigkeit und Wahrheit glaubten. Die Dynamik ihres humanistischen Glaubens veränderte das Antlitz der Erde, zunächst in der westlichen, dann in der östlichen Hälfte der Welt. Humanistischer Glaube moralischer Prägung gab den revolutionären Bewegungen der proletarischen Massen im 19. und 20. Jahrhundert ihre Leidenschaft. Seine Dynamik ist noch bis heute sichtbar. Wie in jedem Glauben, so geht es auch in der utopischen Form des humanistischen Glaubens um das, was uns unbedingt angeht. Von daher bezieht er seine ungeheure Kraft sowohl im Guten wie im Bösen. In der Sidit einer solchen Analyse sowie der vorangegangenen Betrachtungen ist es völlig unbegründet, von einem Schwund des Glaubens in der westlichen Welt zu sprechen. Sie hat einen weltlich ausgerichteten Glauben, und dieser Glaube hat die traditionelle Religion in eine Verteidigungsstellung gedrängt. Aber dieser verweltlichte Glaube ist Glaube und nicht Unglaube. Es geht in ihm um etwas Unbedingtes und um die völlige Hingabe an dieses Unbedingte. 4. Die Einheit der

Glaubenstypen

Im Erlebnis des Heiligen sind das ontologische und das moralische Element wesenhaft geeint, im Glaubensleben fallen sie auseinander und führen häufig zu Konflikten und gegenseitiger Zerstörung. Und doch kann die wesenhafte Einheit nicht vollständig aufgelöst werden, immer sind Elemente des einen Typus im andern enthalten. Der sakramentale 158

Glaubenstypus wird vom Ritualgesetz beherrscht. Es verlangt Reinigung, Vorbereitung, Unterwerfung unter liturgische Gesetze und ethische Bewährung. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, wieviele rituelle Elemente in den Gesetzesreligionen - dem moralischen Glaubenstypus - vorhanden sind. Und ähnlich ist es im humanistischen Glauben, wo fortschrittsgläubige und utopische Elemente im romantisdi-konservativen Typus vorkommen, während der progressivutopische Typus auf vorhandenen Überlieferungen beruht, von denen aus die gegenwärtige Lage kritisiert und über sich hinausgetrieben wird. Die wechselseitige Durchdringung der Glaubenstypen macht die bestehenden Glaubensformen umfassend, dynamisch und selbst-transzendierend. Die Geschichte des Glaubens, die viel umfassender ist als die Religionsgeschichte, ist ein ständiges Wechselspiel von Zusammenstreben und Auseinandertreten der verschiedensten Glaubenstypen. Das gilt von der Form des Glaubens wie vom Glaubensinhalt. Die Formen, in denen sich unbedingtes Anliegen ausdrücken kann, sind kein Wirrwarr unbegrenzter Möglichkeiten. Sie sind Ausprägungen einiger Grundhaltungen, die sich allmählich in der Geschichte des Glaubens entwickelt haben und die im Wesen des Glaubens begründet sind. Daher kann man verstehen und beschreiben, wie sie sich voneinander entfernen und zueinander hinbewegen und vielleicht einen Punkt zeigen, an dem ihre Wiedervereinigung im Prinzip erreicht ist. Die Behauptung, daß das in einer konkreten Glaubensform stattgefunden habe, hängt von dem Glaubensstandpunkt des Urteilenden ab. Ist er zum Beispiel ein christlicher Theologe protestantischer Prägung, so wird er im Christentum, und besonders im protestantischen Christentum, das Ziel sehen, auf das hin sich die Dynamik des Glaubens bewegt. Das kann nicht anders sein. Und doch muß jeder, der ein solches Urteil abgibt, objektive Gründe für seine Entscheidung anführen. „Objektiv" bedeutet in diesem Fall: abgeleitet aus dem Wesen des Glaubens, das allen Glaubenstypen zugrundeliegt. Der Katholizismus hat sich mit Recht selbst als ein System bezeichnet, das einander widerstrebende kulturelle und religiöse Elemente umfaßt. Seine Quellen sind: das Alte Testament, das selbst den sakramentalen und den moralischen Typus vereinigt, die hellenistischen Mysterienreligionen, die Mystik, der klassisch-griechische Humanismus und die wissenschaftliche Denkweise der Spätantike. Vor allem aber gründet sich der Katholizismus auf das Neue Testament, das selbst eine Reihe von Typen umfaßt und eine Verbindung von ethischen und mystischen Elementen darstellt. Das bedeutendste Beispiel dafür 159

ist Paulus' Lehre vom Heiligen Geist. Geist in diesem Sinne ist die Gegenwart des göttlichen Geistes im menschlichen Geist, und Heiliger Geist ist der Geist der Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit. Ich würde nicht zögern, in dieser Auffassung des Geistes die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Dynamik und der Geschichte des Glaubens zu sehen. Aber eine solche Antwort ist kein Punkt, auf dem man stehenbleiben kann. Sie muß immer wieder neu gegeben werden auf Grund neuer Erfahrungen und unter wechselnden Bedingungen. Nur wenn das geschieht, bleibt sie eine wirkliche Antwort und schließt die Möglichkeit der Erfüllung ein. Weder der Katholizismus noch der Fundamentalismus erkennen diese Forderung an. Beide haben Elemente, die zum ursprünglichen Glaubensbegriff gehören, durch die Vorherrschaft der einen oder der anderen Seite eingebüßt. Hier ist der Punkt, an dem der protestantische Protest in der Reformationszeit einsetzte. Und es ist der Punkt, wo sich der protestantische Protest zu allen Zeiten im Namen der Unbedingtheit des Unbedingten erheben muß. Die grundlegende Kritik aller protestantischen Gruppen am Katholizismus richtet sich dagegen, daß das autoritäre System die Selbstkritik der Kirche ausgeschaltet hat und daß die sakramentalen Glaubenselemente die prophetischen überwuchert haben. Da das autoritäre System eine grundlegende Reform unmöglich machte, blieb nur ein völliger Bruch übrig. Dieser brachte aber auch den Verlust jener Elemente mit sich, gegen die sich der protestantische Protest gerichtet hatte: den Sakramentalismus und die auf ihn gegründete Autorität der Kirche. Infolge dieses Verlustes wurde der Protestantismus zunehmend ein einseitiger Repräsentant des moralischen Glaubenstypus. Nicht nur ging die Fülle der überlieferten Riten verloren, sondern auch das rechte Verständnis dafür, daß das Heilige in sakramentalen und mystischen Erfahrungen gegenwärtig ist. Der paulinische Geist-Begriff, in dem der sakramentale und der ethische Typus zusammengefaßt sind, wurde sowohl im Katholizismus wie im Protestantismus in seiner Bedeutung verkannt. Die vorliegende Abhandlung macht den Versuch, in der Sprache unserer Zeit auf die Wirklichkeit hinzuweisen, die Paulus mit dem Wort Geist bezeichnet hat als die Einheit des Ekstatischen und Personhaften, des Sakramentalen und Moralischen, des Mystischen und des Rationalen. Nur wenn das Christentum in der Lage ist, diese Einheit der verschiedenen Glaubenstypen als lebendige Erfahrung wiederzugewinnen, kann es seinen Anspruch aufrechterhalten, die großen Fragen zu beantworten, die sich aus der Dynamik des Glaubens ergeben.

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V. D I E W A H R H E I T DES G L A U B E N S

1. Glaube und

Vernunft

Wir haben in den vorangegangenen Kapiteln auf die Vielfalt der Symbole und der Glaubenstypen hingewiesen. Das könnte als Verzicht auf den Wahrheitsanspruch der Religion gedeutet werden. Deshalb müssen wir jetzt die Frage stellen, ob und in welchem Sinn von einem Wahrheitsanspruch des Glaubens gesprochen werden kann. Bisher war es üblich, Glaube und Vernunft einander gegenüberzustellen und zu fragen, ob sie sidi gegenseitig ausschließen, oder ob sie in einer Art Vernunftglauben vereinigt werden können. Sollte das Letztere möglich sein, wie verhalten sich dann im Vernunftglauben das Vernunft- und das Glaubenselement zueinander? Wenn der Sinn des Glaubens in den früher ausgeführten Weisen mißverstanden wird, so schließen sie einander aus. Ist Glaube jedoch der Zustand des unbedingten Ergriffenseins, so stehen Glaube und Vernunft nicht notwendig im Gegensatz zueinander. Doch diese Antwort ist unzureichend, weil das geistige Leben des Menschen eine Einheit ist, die unverbundenes Nebeneinander verschiedener Elemente nicht zuläßt. Alle geistigen Funktionen des Menschen gehören trotz ihres unterschiedlichen Charakters innerlich zueinander. Das gilt auch für das Verhältnis von Glauben und Vernunft. Deshalb ist die Antwort, daß Ergriffensein von etwas, was uns unbedingt angeht, nicht im Widerspruch zur rationalen Struktur des Geistes steht, ungenügend. Man muß aufzeigen, in welcher Beziehung Glaube und die Vernunft des menschlichen Geistes zueinander stehen. In welchem Sinne, ist zunächst zu fragen, wird das Wort Vernunft gebraucht, wenn es dem Glauben gegenübergestellt wird? Wird es, wie es heute oft geschieht, im Sinne des wissenschaftlichen Verfahrens, des strenglogischen Denkens und der technischen Berechnung gebraucht? Oder wird es, wie fast in allen Epochen unserer westlichen Kultur, verstanden als die Quelle von Sinn, Normen und Prinzipien? Im ersteren Fall ist die Vernunft das Werkzeug zur Erkenntnis und Beherrschung der Wirklichkeit, während der Glaube das Ziel aufzeigt, dem alles Rechnen und Beherrschen der Wirklichkeit dienen soll. Die erste Art von Vernunft könnte man technische Vernunft nennen, da sie sich mit den Mitteln und nicht mit dem Ziel befaßt. Vernunft in diesem Sinn umfaßt das tägliche Leben eines jeden und beherrscht die technische Zivilisation

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unserer Zeit. Die zweite Bedeutung von Vernunft bezieht sich auf das, was den Menschen zum Menschen macht und ihn von allem anderen Seienden unterscheidet. Sie ist die Grundlage seiner Sprache, seiner Freiheit, seiner schöpferischen Kraft. Sie wirkt in der Suche nach Wahrheit, im Erlebnis der Kunst und in der Verwirklichung des Sittengesetzes; sie ermöglicht ein personhaftes Leben und Teilhaben an der Gemeinschaft. Stünde der Glaube im Widerspruch zur Vernunft, so müßte er zur Entmenschlichung des Menschen führen. Diese Gefahr droht tatsächlich - in der theoretischen Sphäre wie im praktischen Bereich - in allen autoritären Systemen, und z w a r sowohl auf dem Gebiet der Religion als auch der Politik. Ein Glaube, der im Gegensatz zur Vernunft steht, zerstört nicht nur sich selbst, sondern auch das eigentlich Menschliche im Menschen. Denn nur ein mit Vernunft ausgestattetes Wesen kann von etwas Unbedingtem ergriffen werden und letzte und vorläufige Anliegen voneinander unterscheiden; es kann die unbedingte Forderung des Sittengesetzes begreifen und die Gegenwart des Heiligen wahrnehmen. Dies alles trifft allerdings nur dann zu, wenn nicht die erste Bedeutung des Vernunftbegriffs, Vernunft im Sinne der technischen Vernunft, sondern die zweite Bedeutung, Vernunft als sinnvolle Struktur des Geistes und der Wirklichkeit, vorausgesetzt ist. Vernunft ist Vorbedingung für den Glauben, und Glaube ist der Akt, in dem die Vernunft ekstatisch über sich hinausgreift. Das ist die Einheit und der Unterschied beider. Die menschliche Vernunft ist endlich. Und darum tragen alle Kulturschöpfungen - solche, in denen der Mensch seine Welt erkennt, und solche, in denen er seine Welt umgestaltet - diesen Endlichkeitscharakter. Deshalb gehören sie nicht zu dem, was den Menschen unbedingt angeht. Doch ist die Vernunft nicht an ihre eigene Endlichkeit gebunden, sie erkennt sie und erhebt sich durch diese Erkenntnis über sie. Der Mensch erfährt, daß er zum Unendlichen gehört, das weder ein Teil des Menschen ist noch in seiner Macht steht. Es muß ihn ergreifen als das, was ihn unbedingt angeht. Wenn die Vernunft vom Unbedingten ergriffen wird, wird sie über sich selbst emporgehoben; doch hört sie damit nicht auf, Vernunft, endliche Vernunft zu sein. Die ekstatische Erfahrung eines letzten Anliegens zerstört die Struktur der Vernunft nicht. Ekstase ist erfüllte und nicht zerbrochene Vernunft. Vernunft kommt nur dann zur Erfüllung, wenn sie über die Grenzen ihrer Endlichkeit hinausgetrieben wird und die Gegenwart des Heiligen erfährt. Ohne diese Erfahrung verliert sie sich selbst. Sie wird schließlich von irrationalen, mythisch gesprochen, von dämonischen Inhalten erfüllt und von ihnen zerstört. Der Weg führt von der im Glauben erfüllten Vernunft über die glaubenslose Vernunft 162

zu der dämonisch zerspaltenen Vernunft. Das zweite Stadium ist nur ein Übergang; denn weder im geistigen Leben noch in der Natur gibt es ein Vakuum. Vernunft ist die Voraussetzung für den Glauben, und Glaube erfüllt Vernunft. Glaube als Zustand letzten Ergriffenseins ist ekstatische Vernunft. Zwischen dem wahren Wesen des Glaubens und dem wahren Wesen der Vernunft besteht kein Gegensatz. An diesem Punkt wird die Theologie einige Fragen stellen. Sie wird fragen, ob das Wesen des Glaubens unter den Bedingungen mensdilicher Existenz nicht entstellt ist. Weiter wird sie fragen, ob nicht auch das wahre Wesen der Vernunft im Zustand der Entfremdung des Menschen von sich selbst verlorengeht. Sie wird endlich fragen, ob die Einheit von Glauben und Vernunft und das wahre Wesen beider nicht durch die „Offenbarung", wie die Religion es nennt, wiederhergestellt werden muß. Aber wenn das so ist, muß sich dann nicht die Vernunft in ihrem verdunkelten Zustand der Offenbarung unterwerfen, und ist nicht diese Unterwerfung unter die Inhalte der Offenbarung der eigentliche Sinn des Begriffs „Glaube"? Eine Antwort auf diese Fragen wäre der Stoff für eine ganze Theologie. Hier kann nur in wenigen grundlegenden Ausführungen darauf eingegangen werden. Zunächst muß gesagt werden, daß der Mensch auch im Zustand der Entfremdung Mensch ist. Vernunft und Glaube sind nicht völlig verlorengegangen, aber sie haben ihr ursprüngliches Wesen nicht bewahren können, und Konflikte zwischen einer verkehrt gebrauchten Vernunft und einem abergläubisch verzerrten Glauben sind unvermeidlich. Die wahre Natur des Glaubens und die wahre Natur der Vernunft scheinen in dem wirklichen Leben des Glaubens und im tatsächlichen Gebrauch der Vernunft im Stande der Entfremdung nur von ferne durch. Darum muß etwas geschehen, was sowohl die Entstellung des Glaubens wie auch der Vernunft überwindet und das wahre Verhältnis zwischen beiden wiederherstellt. Die Erfahrung, in der dies geschieht, wird »Offenbarung" genannt. Der Begriff Offenbarung ist derart mißbraucht worden, daß man ihn nur mit Zögern gebrauchen kann, und ähnliches gilt für den Begriff Vernunft. Offenbarung bedeutet im populären Sprachgebraudi eine übernatürliche Mitteilung über Gott und sein Handeln. Solche Mitteilungen erfuhren nach dieser Auffassung die Propheten und Apostel und die Verfasser der Bibel, des Korans und anderer heiliger Schriften, denen der Heilige Geist selbst die Feder führte. Das bereitwillige Annehmen solcher übernatürlicher Belehrungen, mögen sie noch so absurd sein, wird dann Glaube genannt. Jedes Wort der vorliegenden Abhandlung widerspridit dieser Verzerrung des Offenbarungsbegriffs. Offenbarung ist die Erfahrung, in der ein 163

letztes Anliegen den Geist des Menschen bewegt und dadurch eine Gemeinschaft schafft, in der dieses Anliegen sich in Symbolen des Handelns und des Denkens ausdrückt. Wo immer das geschieht, werden Glaube und Vernunft erneuert. Ihre inneren Konflikte und gegenseitigen Spannungen werden überwunden, und Versöhnung tritt an die Stelle der Entfremdung. Das ist der eigentliche Sinn von Offenbarung; jedenfalls sollte sie das bedeuten. Sie ist ein Ereignis, in dem das, was uns unbedingt angeht, sich bekundet und dabei die gegebene Situation in Religion und Kultur erschüttert und verwandelt. In solch einer Erfahrung gibt es keinen Konflikt zwischen Glauben und Vernunft. Denn der Mensch wird in seiner gesamten Struktur als rationales Wesen von der Offenbarung dessen, was ihn unbedingt angeht, ergriffen und verwandelt. Und dennoch: Offenbarung ist Offenbarung f ü r den Menschen, der sich im Stande der Entfremdung befindet. Durch die Offenbarung ist die Macht der Entfremdung gebrochen, aber nicht aufgehoben. Die Entfremdung dringt in die neue Offenbarungserfahrung ein, wie sie in die alte eingedrungen war. Sie macht aus dem Glauben Götzendienst, sie verwechselt die Träger des Unbedingten mit dem Unbedingten selbst. Sie beraubt die Vernunft ihrer ekstatischen Macht und ihres Bestrebens, über sich hinauszugehen und sich dem Unbedingten zuzuwenden. Infolge dieser doppelten Entstellung fälscht sie auch die Beziehung von Glauben und Vernunft, verwandelt den Glauben in ein vorläufiges Anliegen, das sich in die vorläufigen Anliegen der Vernunft einmischt, und erhebt die Vernunft trotz ihrer wesenhaften Endlichkeit zu unbedingter Gültigkeit. Daraus entstehen neue Konflikte zwischen Glauben und Vernunft, die eine neue und höhere Offenbarung fordert. Die Geschichte des Glaubens ist ein ständiger Kampf mit der Verzerrung des Glaubens, und der Konflikt zwischen Vernunft und Glauben ist eines der deutlichsten Symptome dieser Verzerrung. Die entscheidenden Schlachten in diesem Kampf sind die großen Offenbarungsereignisse, und die wirklich siegreiche Schlacht wäre eine letztgültige Offenbarung, in der die Verkehrung von Glauben und Vernunft grundsätzlich überwunden ist. Das Christentum nimmt f ü r sich in Anspruch, auf einer solchen Offenbarung gegründet zu sein. Ein Anspruch, der sich ständig aufs neue im Verlauf der Geschichte bewähren muß.

2. Die Wahrheit des Glaubens und die wissenschaftliche Wahrheit Zwischen dem Wesen des Glaubens und dem Wesen der Vernunft gibt es keinen Konflikt. Das schließt die Aussage ein, daß es keinen wesensmäßigen Konflikt zwischen Glauben und Erkennen gibt. Dennoch 164

hat man von jeher das Erkennen als diejenige Funktion der menschlichen Funktion betrachtet, die am leichtesten mit dem Glauben in Konflikt gerät. Besonders, wenn man den Glauben als eine geringere Art von Wissen ansah, dessen Wahrheit aber durch göttliche Autorität gesichert ist. Wir haben diesen falschen Glaubensbegriff abgelehnt und damit eine der häufigsten Ursachen für die Konflikte zwischen Glauben und Wissen beseitigt. Darüber hinaus aber müssen wir die konkrete Beziehung des Glaubens zu den verschiedenen Formen der erkennenden Vernunft aufzeigen, zu der naturwissenschaftlichen, der historischen und der philosophischen. Was der Glaube als Wahrheit bezeichnet, ist verschieden von dem, was in den genannten Formen der Vernunft als Wahrheit angesehen wird. Und doch versuchen sie alle, die Wahrheit zu erreichen, und zwar Wahrheit im Sinne des wahrhaft Wirklichen, wie es vom menschlichen Geist aufgenommen werden kann. Irrtum entsteht, wenn der Mensch in seinem Streben nach Erkenntnis das wahrhaft Wirkliche verfehlt und das scheinbar Wirkliche als wirklich ansieht, oder wenn er das wahrhaft Wirkliche zwar erkennt, es aber in einer unangemessenen Form zum Ausdruck bringt. O f t ist es schwer, zu unterscheiden, ob das wahrhaft Wirkliche verfehlt wurde oder ob das als wahr Erkannte nur mißverständlich ausgedrückt ist, denn beide Arten des Irrtums bedingen sich gegenseitig. Auf jeden Fall sind Wahrheit oder Irrtum oder einer der mannigfachen Ubergänge zwischen Wahrheit und Irrtum in jedem Erkenntnisakt vorhanden. Auch im Glauben ist das Erkenntnisvermögen des Menschen wirksam. Deshalb müssen wir fragen: Was bedeutet „Wahrheit" in bezug auf den Glauben, welches sind ihre Kriterien, und welche Beziehung besteht zwischen der Wahrheit des Glaubens und den anderen Formen der Wahrheit mit ihren anders gearteten Maßstäben? Die Naturwissenschaften beschreiben Strukturen und Verhältnisse des physischen Universums, soweit sie durch Experimente überprüft und mathematisch formuliert werden können. Die Wahrheit einer naturwissenschaftlichen Aussage beruht auf der Angemessenheit, mit der Strukturgesetze beschrieben und durch wiederholte Experimente bestätigt werden. Jede naturwissenschaftliche Wahrheit ist vorläufig und ständiger Überprüfung unterworfen sowohl hinsichtlich der Erfassung der Wirklichkeit wie ihrer wissenschaftlichen Formulierung. Dieses Element der Unsicherheit verringert den Wahrheitswert einer experimentell geprüften und bewiesenen naturwissenschaftlichen Behauptung nicht. Es verhindert aber jeden wissenschaftlichen Dogmatismus. Daher ist es ein fragwürdiges Verfahren, wenn die Theologen, um die Wahrheit des Glaubens gegen die Wahrheit der Naturwissenschaft zu ver165

teidigen, auf den Vorläufigkeitscharakter einer jeden naturwissenschaftlichen Aussage hinweisen und vorgeben, damit der Wahrheit des Glaubens eine sichere Zuflucht verschafft zu haben. Denn wenn morgen der wissenschaftliche Fortschritt das Gebiet ungesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis weiter einschränkt, muß sich der Glaube abermals zurückziehen. Das ist ein unwürdiges und fruchtloses Verfahren, denn die wissenschaftliche Wahrheit und die Wahrheit des Glaubens gehören verschiedenen Dimensionen an. Weder hat die Wissenschaft das Recht oder die Macht, sich in die Belange des Glaubens zu mischen, noch hat der Glaube das Recht oder die Macht, bei der Wissenschaft mitzureden. Wenn das verstanden ist, erscheinen die im Vorhergehenden behandelten Konflikte zwischen Glauben und Wissenschaft in einem anderen Licht. Es handelt sich in Wahrheit nidit um einen Konflikt zwischen Glauben und Wissenschaft, sondern zwischen einem Glauben und einer Wissenschaft, die vergessen haben, zu welcher Dimension sie gehören. Als die Verteidiger des Glaubens das Aufkommen der modernen Astronomie zu verhindern suchten, bedachten sie nidit, daß die christlichen Symbole, obwohl sie das Weltbild der aristotelisch-ptolemäischen Astronomie widerspiegelten, von ihm nicht abhängig sind. Nur wenn Symbole wie „Gott im Himmel", »der Mensch auf der Erde" und „Dämonen unter der Erde" als Beschreibung von Räumen angesehen werden, die mit Göttern, Menschen und Dämonen bevölkert sind, muß die moderne Astronomie mit dem christlichen Glauben in Konflikt geraten. Wenn andererseits Vertreter der modernen Physik die gesamte Wirklichkeit auf die mechanische Bewegung kleinster Moleküle zurückführen wollen und damit die eigentliche Wirklichkeit des Lebens leugnen, bekunden sie ihren Glauben, und zwar subjektiv wie objektiv. Subjektiv gesehen ist die Wissenschaft für sie das, was sie unbedingt angeht und für das sie bereit sind, alles, im Notfall auch ihr Leben, zu opfern. Objektiv schaffen sie ein dämonisches Symbol des Unbedingten, ein Universum nämlich, in dem alles, auch ihre wissenschaftliche Leidenschaft, von einem sinnlosen Mechanismus verschlungen wird. Mit Recht lehnt der christliche Glaube dieses Symbol des Glaubens ab. Die Wissenschaft kann nur mit Wissenschaft und der Glaube kann nur mit Glauben in Konflikt geraten. Eine Wissenschaft, die Wissenschaft bleibt, kann nicht einem Glauben, der Glaube bleibt, widersprechen. Dies trifft auch auf andere wissenschaftliche Forschungsbereiche zu, z.B. auf die Biologie und auf die Psychologie. Der bekannte Streit zwischen der Entwicklungstheorie und der Theologie war kein Streit zwischen Wissenschaft und Glauben, sondern ein Streit zwischen einer Wissenschaft, deren unausgesprochener Glaube den Men166

sehen seiner Menschlichkeit beraubt, und einem Glauben, dessen theologischer Ausdruck durch buchstäbliches Bibelverständnis geprägt und damit entstellt ist. Unweigerlich muß eine Theologie, die die biblische Schöpfungsgeschichte als tatsachengetreue Beschreibung eines einmal geschehenen Ereignisses deutet, mit systematischer wissenschaftlicher Forschung zusammenstoßen. Und eine Entwicklungstheorie, die die Abstammung des Menschen von älteren Formen des Lebens so erklärt, daß der wesentliche Unterschied zwischen Mensch und Tier aufgehoben wird, ist Glaube und keine Wissenschaft. Unter dem gleichen Gesichtspunkt müssen wir die gegenwärtigen und zukünftigen Konflikte zwischen Glauben und zeitgenössischer Psychologie betrachten. Die moderne Psychologie scheut z. B. den Begriff der Seele, weil er eine Wirklichkeit zu begründen scheint, die durch wissenschaftliche Methoden nicht erforschbar ist. Diese Besorgnis ist nicht unbegründet, denn die Psychologie sollte sich keines Begriffes bedienen, der nicht durch ihre eigene wissenschaftliche Forschung erarbeitet ist. Sie hat die Aufgabe, die seelischen Prozesse des Menschen so angemessen wie nur möglich zu beschreiben, und sie muß jederzeit bereit sein, eine bestimmte Annahme durch eine andere zu ersetzen. Dies gilt für die Begriffe: Ich, Über-Ich, Selbst, Persönlichkeit, Unbewußtes, Bewußtsein ebenso wie für die traditioneilen Begriffe: Seele, Geist, Wille usw. Die methodisch forschende Psychologie ist der wissenschaftlichen Bestätigung ebenso unterworfen wie jede andere Wissenschaft. Und alle ihre Begriffe und Definitionen, selbst die bestbegründeten, sind vorläufig. Wenn jedoch der Glaube von der Dimension des Unbedingten spricht, in der der Mensch lebt und in der er seine Seele gewinnen oder verlieren kann, oder von dem letzten Sinn seiner Existenz, dann widerspricht er damit der wissenschaftlichen Ablehnung des Seelenbegriffs durchaus nicht. Weder kann eine Psychologie, die den Seelenbegriff ablehnt, diese Dimension leugnen noch kann eine Psychologie, die den Begriff der Seele kennt, sie bestätigen. Die Wahrheit über das ewige Schicksal des Menschen liegt in einer anderen Dimension als die Wahrheit psychologischer Begriffe. Die gegenwärtige Tiefenpsychologie ist in vielen Fällen mit vortheologischen und theologischen Aussagen des Glaubens in Widerspruch geraten. Es ist jedoch nicht schwierig, in den Feststellungen der Tiefenpsychologen zwischen dem zu unterscheiden, was wissenschaftlich gestützte Beobachtung oder wissenschaftliche Hypothese ist, und dem, was Glaubensaussagen des Psychologen sind, zum Beispiel sein Bild des Menschen, seines Wesens und seiner Bestimmung. Die naturalistischen Elemente, die Freud aus dem 19. ins 20. Jahrhundert mitbrachte, sein 167

grundsätzlicher Puritanismus im Bereich der Liebe, sein Kulturpessimismus und seine Zurückführung der Religion auf ideologisches Wunschdenken sind Glaubensaussagen und nicht Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung. Man kann einem Gelehrten, der von der Natur des Menschen und den Bedingungen seiner Existenz spricht, nicht das Recht absprechen, aus einem Glauben heraus zu denken. Wenn er aber, wie Freud und manche seiner Schüler, die Glaubensüberzeugungen anderer im Namen wissenschaftlicher Psychologie angreift, vermengt er die Dimensionen. Dann sind die Vertreter eines anderen Glaubens im Recht, wenn sie sich diesen Angriffen widersetzen. Es ist nidit immer leicht, in einer psychologischen Darstellung Glaubenselemente von wissenschaftlichen Elementen zu unterscheiden, aber es ist immer möglich und notwendig. Die Unterscheidung von Glaubenswahrheit und wissenschaftlicher Wahrheit muß die Theologen davor warnen, moderne wissenschaftliche Entdeckungen zu benutzen, um mit ihrer Hilfe die Glaubenswahrheit zu bestätigen. Die Mikrophysik hat durch die Quantentheorie und die Unbestimmtheitsrelation frühere Hypothesen über die strenge Kausalität physikalischer Prozesse fragwürdig gemacht. Daraufhin haben religiöse Schriftsteller diese Erkenntnisse zur Bestätigung ihrer Ideen über menschliche Freiheit, göttliche Schöpferkraft und Wunder heranziehen wollen. Ein solches Verfahren ist weder vom Standpunkt der Physik noch vom Standpunkt der Religion zu rechtfertigen. Die physikalischen Theorien haben keine unmittelbare Beziehung zu dem Phänomen der menschlichen Freiheit, und die Emission der Energie in Quanten hat keine direkte Beziehung zum religiösen Sinn des Wortes Wunder. Wenn die Theologie physikalische Theorien in dieser Weise gebraucht, vermengt sie die Dimensionen des Wissens mit der Dimension des Glaubens. Die Glaubenswahrheit kann durch die neuesten physikalischen, biologischen oder psychologischen Entdeckungen weder bestätigt noch geleugnet werden. 3. Die Wahrheit des Glaubens und die historische Wahrheit Historische und naturwissenschaftliche Wahrheit liegen ihrem Wesen nach auf verschiedenen Ebenen. Die Geschichte berichtet einmalige Ereignisse und keine sich wiederholenden Vorgänge, die jederzeit durdi Experimente nachgeprüft werden können. Die einzige Analogie in der Geschichtsforschung zu einem physikalischen Experiment ist die sorgfältige Prüfung und Vergleichung von Dokumenten. Wenn voneinander unabhängige Urkunden übereinstimmen, dann ist eine historische 168

Aussage in den Grenzen der historischen Methode bewiesen. Doch berichtet die Geschichtsforschung nicht nur eine Aneinanderreihung von Tatsachen. Sie bemüht sich auch um das Verständnis dieser Tatsachen hinsichtlich ihrer Ursprünge, ihrer gegenseitigen Beziehungen und ihrer Bedeutung. Geschichtsforschung beschreibt, erklärt und versteht. Und Verstehen setzt „Teilhaben" voraus. Darin liegt der Unterschied von historischer und naturwissenschaftlicher Wahrheit. An der geschichtlichen Wahrheit ist der betreffende Forscher existentiell beteiligt, an der naturwissenschaftlichen Wahrheit nicht. Da audi die Wahrheit des Glaubens den Menschen existentiell betrifft, hat man die geschichtliche Wahrheit zum Fundament der Glaubenswahrheit zu machen versucht. Und umgekehrt kam man zu der Behauptung, daß der Glaube die Wahrheit ungesicherter historischer Aussagen gewährleisten könne. Beide Behauptungen sind falsch. Echte geschichtliche Arbeit fordert eine objektive und präzise Methode, geradeso wie die Beobachtung physikalischer oder biologischer Prozesse. Historische Wahrheit ist zunächst eine Wahrheit, die sich auf Tatsachen aufbaut. Darin unterscheidet sie sich von der dichterischen Wahrheit des Epos und von der mythischen Wahrheit der Legende. Und dieser Unterschied ist entscheidend für die Beziehung zwischen der Wahrheit des Glaubens und der Wahrheit der Geschichte. Der Glaube kann nicht eine Wahrheit, die auf gesicherte Tatsachen gestützt ist, bestätigen oder zurückweisen, wohl aber kann und muß er die Tatsachen deuten im Lichte seiner eigenen Erfahrung. Dadurch nimmt er das Historische hinein in die Dimension des Glaubens. Aber er schreibt dem Historiker nicht vor, was er finden soll, noch gründet er sich auf ein Ergebnis historischer Forschung. Seitdem die historische Forschung den literarischen Charakter der biblischen Schriften entdeckt hat, ist dieses Problem mehr und mehr in den Vordergrund des populären und theologischen Denkens getreten. Es hat sich gezeigt, daß das Alte und das Neue Testament in ihren erzählenden Teilen historische, legendäre und mythologische Elemente miteinander verbinden und daß es vielfach unmöglich ist, diese Elemente mit ausreichender Sicherheit voneinander zu trennen. Die historische Forschung hat ergeben, daß die biblisdien Berichte über den historischen Jesus teilweise einen geringen Wahrscheinlichkeitsgrad haben. Ähnliche Untersuchungen über die historische Zuverlässigkeit der heiligen Schriften und Traditionen nichtchristlicher Religionen haben das gleiche ergeben. Die Wahrheit des Glaubens kann nicht von der geschichtlichen Wahrheit der Berichte und Legenden, in denen sich dieser Glaube ausdrückt, abhängig gemacht werden. Es ist eine unheilvolle Verkennung des Sinns von Glauben, wenn man ihn mit dem Für-wahr169

Halten der biblischen Geschichten gleichsetzt. Dies aber geschieht auf allen Ebenen wissenschaftlicher und populärer Darstellung. Viele Menschen sagen von sich oder von anderen, sie seien ohne christlichen Glauben, weil sie nicht glauben, daß die Wundergeschichten des Neuen Testaments zuverlässig belegt sind. Sicherlich sind sie es nicht, und man muß alle Mittel einer gründlichen philologischen und historischen Forschungsmethode anwenden, um den Grad der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlidikeit einer biblischen Geschichte zu bestimmen. Audi die Entscheidung darüber, ob die jetzt gebräuchliche Ausgabe des Korans mit dem Originaltext übereinstimmt, ist keine Angelegenheit des Glaubens, obgleich jeder gläubige Mohammedaner unerschütterlich daran festhält. Die Entscheidung darüber, ob große Teile des Pentateuchs priesterliche Weisheit aus der Zeit nach dem babylonischen Exil sind oder ob die Genesis mehr Mythen und Legenden als Geschichte enthält, ist keine Frage des Glaubens. Die Entscheidung darüber, ob die Erwartung der kosmischen Endkatastrophe, wie sie in den letzten Büchern des Alten Testaments und im Neuen Testament gesehen wird, ihren Ursprung in der persischen Religion hat, ist keine Angelegenheit des Glaubens. Die Entscheidung darüber, wieviel legendärer und wieviel historischer Stoff in die Erzählungen von der Geburt und der Auferstehung des Christus verwoben wurde, ist keine Angelegenheit des Glaubens. Die Entscheidung darüber, welche Version der Berichte über die Frühzeit der Kirche die größte Wahrscheinlichkeit hat, ist keine Sache des Glaubens. Alle diese Fragen müssen von der historischen Forschung entschieden werden, deren Aussagen stets nur mit geringerer oder größerer Wahrscheinlichkeit gemacht werden können. Es sind Fragen der geschichtlichen Wahrheit und nicht Fragen der Glaubenswahrheit. Der Glaube kann sagen, daß das alttestamentliche Gesetz für alle, die von ihm ergriffen werden, unbedingte Gültigkeit besitzt, unabhängig davon, wie viel oder wie wenig von diesem Gesetz einer historischen Gestalt, nämlich Mose, zugeschrieben werden kann. Der Glaube kann sagen, daß die Wirklichkeit, die im neutestamentlichen Bild Jesu als des Christus erschienen ist, für alle, die von ihr ergriffen werden, erlösende Kraft besitzt, unabhängig davon, wie viel oder wie wenig man mit Sicherheit über die historische Gestalt des Jesus von Nazareth aussagen kann. Der Glaube kann sein eigenes Fundament - Mose als den Gesetzgeber, Jesus als den Christus, Mohammed als den Propheten und Buddha als den Erleuchteten - verbürgen. Doch der Glaube kann über die historischen Bedingungen, die es möglich machten, daß diese Männer für große Teile der Menschheit zu Trägern des Göttlichen wurden, keine Aussagen machen. Der Glaube schließt 170

die Gewißheit über sein eigenes Fundament ein, zum Beispiel über ein Ereignis in der Geschichte, das die Geschichte wie den Glaubenden selbst umgeformt hat. Aber der Glaube kann nichts über die Art und Weise aussagen, in der dieses Ereignis stattfand. Der Glaube kann deshalb durch historische Forschung nicht erschüttert werden, auch wenn die Forschungsergebnisse die traditionelle Überlieferung des betreffenden Ereignisses in Frage stellen. Diese Unabhängigkeit von der historischen Wahrheit ist eine der wichtigsten Folgerungen aus unserem Verständnis des Glaubens als eines Ergriffenseins von dem, was uns unbedingt angeht. Das befreit die Glaubenden von einer Last, die sie nicht mehr tragen können, nachdem ihr Gewissen durch die Forderung intellektueller Redlichkeit geschärft worden ist. Stünde diese Redlichkeit in unvermeidlichem Konflikt mit dem sogenannten „Glaubensgehorsam", so müßte Gott als in sich selbst gespalten betrachtet werden. Er hätte dämonische Züge. Im Glauben würde es sich dann nicht um ein letztes Ergriffensein, sondern um den Konflikt endlicher Anliegen handeln. 4. Die Wahrheit des Glaubens und die philosophische Wahrheit Wir sahen, daß weder die naturwissenschaftliche noch die historische Wahrheit die Wahrheit des Glaubens bestätigen oder widerlegen kann. Dasselbe gilt auch umgekehrt: die Wahrheit des Glaubens kann weder die wissenschaftliche nodi die historische Wahrheit bestätigen oder verneinen. Nun erhebt sich die Frage, ob auch die philosophische Wahrheit in solcher Beziehung zur Wahrheit des Glaubens steht oder ob dieses Verhältnis verwickelter ist. Das ist in der Tat der Fall, und diese Schwierigkeit des Verhältnisses zwischen der Wahrheit der Philosophie und der des Glaubens macht auch das Verhältnis zwischen historischer sowie naturwissenschaftlicher Wahrheit und Glaubenswahrheit komplizierter, als es nach den vorangegangenen Darlegungen erscheint. Das ist der Grund f ü r die zahllosen Erörterungen über das Verhältnis von Glauben und Philosophie und für die landläufige Ansicht, daß die Philosophie der Feind und Zerstörer des Glaubens sei. Theologen sind o f t beschuldigt worden, den Glauben verraten zu haben, weil sie sich philosophischer Begriffe bedienten, um den Glauben f ü r eine religiöse Gemeinschaft verständlich zu machen. Die Schwierigkeit jeder Diskussion über das Wesen der Philosophie liegt darin, daß die Definition der Philosophie von der Philosophie dessen abhängt, der definiert. Das ist unvermeidbar. Und doch gibt es im vorphilosophischen Raum eine weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich des Wesens der Philosophie, und man kann in einer Erörterung wie 171

dieser nichts anderes tun, als sich der vorphilosophischen Auffassung zu bedienen. Man darf dann unter Philosophie den Versuch verstehen, die allgemeinsten Fragen über die Natur der Dinge und über die menschliche Existenz zu beantworten. Die allgemeinsten Fragen sind solche, die sich nicht auf ein bestimmtes Gebiet der Wirklichkeit beziehen — wie Natur oder Geschichte - , sondern auf das Sein selbst, wie es allen Bereichen des Seienden zugrundeliegt. Die Philosophie sucht nach den allgemeinen Kategorien, in denen das Seiende steht und erfahren wird. Wird diese Vorstellung vom Wesen der Philosophie vorausgesetzt, so kann das Verhältnis von philosophischer Wahrheit und Glaubenswahrheit folgendermaßen bestimmt werden: Philosophische Wahrheit ist Wahrheit hinsichtlich des Seins und seiner Strukturen; Glaubenswahrheit ist Wahrheit hinsichtlich dessen, was uns unbedingt angeht. Das Verhältnis ist so weit dem von Glaubenswahrheit und wissenschaftlicher Wahrheit ähnlich. Ein bemerkenswerter Unterschied besteht allerdings darin, daß es in dem Unbedingten, nach dem die Philosophie fragt, und dem unbedingten Anliegen, um das es in der Religion geht, einen Punkt gibt, in dem sich beide berühren. In der Philosophie und in der Religion wird letzte Wahrheit gesucht und bekundet - auf begriffliche Weise in der Philosophie, auf symbolische Weise in der Religion. Philosophische Wahrheit beruht auf wahren Begriffen, die das Letztwirkliche betreffen, die Wahrheit des Glaubens besteht in der Wahrheit der Symbole für das, was uns unbedingt angeht. Das Verhältnis zwischen Begriff und Symbol ist das Problem, mit dem wir uns nun befassen müssen. In diesem Zusammenhang wird vielleicht die Frage gestellt werden: Warum gebraucht die Philosophie Begriffe und der Glaube Symbole, wenn sie doch beide das gleiche Unbedingte ausdrücken? Die Antwort kann nur lauten: Das ist notwendig so, weil das Verhältnis zum Unbedingten in beiden Fällen nicht gleich ist. Die Philosophie bemüht sich im Prinzip um eine objektive Darstellung der Grundstrukturen, in denen das Unbedingte erscheint. Das Verhältnis des Glaubens zum Unbedingten ist im Prinzip eine existentielle Aussage über das, was den Glaubenden unbedingt angeht. Der Unterschied ist einleuchtend und grundlegend. Aber wie das Wort „im Prinzip" besagt, ist es ein Unterschied, der in der Praxis, sowohl der Philosophie wie des Glaubens, nicht durchgehalten wird. Das ist auch unmöglich, weil der Philosoph ein menschliches Wesen ist, für den etwas existiert, bewußt oder unbewußt, was er unbedingt ernst nimmt. Und der Gläubige ist ein menschliches Wesen mit der Fähigkeit und dem Bedürfnis, begrifflich zu 172

verstehen. Das hat eingreifende Folgen für das Leben der Philosophie im Philosophen und für das Leben des Glaubens im Gläubigen. Eine Analyse philosophischer Systeme und philosophischer Werke aller Art zeigt, daß die Richtung, in der der Philosoph fragt, und die Antworten, die er bevorzugt, nicht nur von logischen Erwägungen, sondern auch von dem, was ihn unbedingt angeht, abhängt. Die großen Philosophen besaßen nicht nur große denkerische Kraft, sondern auch die größte Leidenschaft in der Darstellung dessen, was sie unbedingt ergriff. Das gilt für die alten indischen und griechischen Philosophen wie auch für die modernen von Leibniz und Spinoza bis zu Kant und Hegel. Audi die positivistische Linie von Locke zu Hume bis zum heutigen logischen Positivismus ist im Grunde keine Ausnahme von dieser Regel. Das Gebiet, auf das sich diese Philosophen beschränken, Erkenntnistheorie und Analyse der philosophisch-wissenschaftlichen Sprache, ist zwar nicht Philosophie im überlieferten Sinne, aber es ist auch für sie eine Sache letzten Ernstes und philosophischer Leidenschaft. Philosophie verbindet die Leidenschaft des Erkennens mit streng sachlicher Beobachtung der Formen, in denen das Sein sich in den Prozessen des Universums offenbart. Die Erfahrung des Unbedingten in der Tiefe des philosophischen Forschens ist die Quelle der Glaubenswahrheit, die in ihnen verborgen ist. Die philosophische Schau der Natur und der menschlichen Situation ist eine Verbindung von Glauben und Denken. Die Philosophie ist nicht nur der Mutterschoß, aus dem Naturwissenschaft und Geschichtsforschung hervorgegangen sind, sie blieb auch bis auf den heutigen Tag unlösbar mit jeder Wissenschaft verbunden. Das Bezugssystem, in das die großen Physiker das Ganze ihrer Forschungen gestellt haben, ist philosophisch, selbst wenn ihre Wahrheit mit naturwissenschaftlichen Methoden erwiesen wird. In keinem Fall ist dieser Rahmen das Ergebnis ihrer Forschung, sozusagen eine naturwissenschaftliche Entdeckung. Es ist immer eine Schau der Totalität des Seienden, die bewußt oder unbewußt den Rahmen ihres Denkens bestimmt. Und weil das so ist, darf man sagen, daß auch das naturwissenschaftliche Weltbild ein Element des Glaubens enthält. Mit Recht sträuben sich die Naturwissenschaftler dagegen, daß Glaube und philosophische Voraussetzungen ihre Untersuchungen beeinflussen. Bis zu einem hohen Grade gelingt ihnen das auch. Aber selbst ein in dieser Hinsicht mit aller Behutsamkeit angestelltes Experiment ist nicht frei von subjektiven Elementen. Der Beobachter kann so wenig ausgeschaltet werden wie der Einfluß, den die Art seiner Fragestellung an die Natur auf seine Forschungsergebnisse hat. Selbst in seiner Arbeit bleibt 173

der Wissenschaftler ein menschliches Wesen, das von etwas Letztem und Unbedingtem ergriffen ist und nach dem Geheimnis des Seins fragt, und das ist eben die philosophische Frage. In derselben Weise ist auch der Historiker bewußt oder unbewußt ein Philosoph. Seine Arbeit, sofern sie über die bloße Erforschung von Tatsachen hinausgeht, beruht auf der Auswertung historischer Faktoren wie die Natur des Menschen, seine Freiheit, seine Bedingtheit, seine Entwicklung im Laufe der Zeit. Und selbst bei der Auffindung historischer Tatsachen sind philosophische Voraussetzungen gegeben. Das gilt zuallererst für die Frage, welche Fakten man aus der unendlich großen Zahl der Ereignisse jeweils als historisch bedeutungsvoll bezeichnet. Der Historiker ist ferner gezwungen, Aussagen über den Wert und die Glaubwürdigkeit seiner Quellen zu machen - ein Unternehmen, das nicht unabhängig von der Deutung der menschlichen Natur ist. Die philosophischen Voraussetzungen zeigen sich offen da, wo ein historisches Werk Urteile über die Bedeutung geschichtlicher Ereignisse für die menschliche Existenz abgibt. Wo aber Philosophie wirksam ist, da findet sich ein Glaubenselement, so verborgen es auch unter der Leidenschaft des Historikers für reine Tatsachen sein mag. Diese Betrachtungen zeigen, daß trotz ihrer bedeutsamen Unterschiede philosophische Wahrheit und Glaubenswahrheit in jeder Philosophie vereint sind und daß diese Einheit Folgen hat sowohl für die Arbeit des Naturwissenschaftlers wie für die Arbeit des Historikers. Diese Einheit ist „philosophischer Glaube" genannt worden (Jaspers). Der Ausdruck ist irreführend, weil er die philosophische Wahrheit und die Glaubenswahrheit zu vermengen scheint. Auch scheint der Begriff anzudeuten, daß es nur einen philosophischen Glauben gibt, eine „philosophia perennis", wie sie genannt wurde. Aber das Wort „perennis" gilt nur für die philosophischen Fragen, nicht für die philosophischen Antworten. Es gibt nur einen stetigen Prozeß wechselseitiger Durchdringung von philosophischen Elementen und solchen des Glaubens, aber es gibt nicht einen philosophischen Glauben. In der philosophischen Wahrheit ist Glaubenswahrheit, und in der Glaubenswahrheit ist philosophische Wahrheit enthalten. Um das zu sehen, muß man die begriffliche Ausprägung der philosophischen Wahrheit mit dem symbolischen Ausdrude der Glaubenswahrheit vergleichen. Man kann sagen, daß die meisten philosophischen Begriffe mythologische Wurzeln haben und die meisten mythologischen Symbole begriffliche Elemente enthalten. Diese werden herausgearbeitet, sobald das philosophische Bewußtsein erwacht ist. Im Gottesgedanken liegen die Begriffe des Seins, des Lebens, des Geistes, der Einheit und der Verschie174

denheit. Im Schöpfungssymbol sind die Begriffe der Endlichkeit, der Angst, der Freiheit und der Zeit enthalten. Das Symbol von „Adams Fall" enthält den Gedanken der essentiellen N a t u r des Menschen, seines Widerstreites mit sich selbst und seiner Entfremdung von sich selbst. N u r weil jedes mythologische Symbol die Möglichkeit zur Bildung philosophischer Begriffe in sich hat, ist überhaupt „Theo-logie" möglich, und in jedem liegt der Keim zu einer ganzen Philosophie. Jedoch bestimmt der Glaube nicht die Bewegung des philosophischen Denkens, ebensowenig wie die Philosophie das bestimmt, was den Menschen unbedingt angeht. Glaubenssymbole können dem Philosophen die Augen für Dimensionen der Wirklichkeit öffnen, die er ohne sie nie gesehen hätte. Aber der Glaube fordert keine bestimmte Philosophie, obwohl Kirchen und Theologien zu allen Zeiten diesen Anspruch stellten und Plato, Aristoteles, Kant oder Hume f ü r ihre Zwecke in Anspruch nahmen. Die philosophischen Keime in den Glaubenssymbolen können in vielerlei Weise entwickelt werden, aber die Wahrheit des Glaubens und die Wahrheit der Philosophie sind nicht voneinander abhängig.

5. Die Wahrheit des Glaubens und ihre Kriterien In welchem Sinn kann man nun von der Wahrheit des Glaubens sprechen, wenn er doch von keiner anderen Art von Wahrheit beurteilt werden kann - weder von der naturwissenschaftlichen noch von der historischen noch von der philosophischen Wahrheit? Die Antwort folgt aus dem Wesen des Glaubens selbst: er ist der Zustand letzten Ergriffenseins von dem, was uns unbedingt angeht. Wie der Begriff „das, was uns unbedingt angeht" hat auch die Antwort eine subjektive und eine objektive Seite, und die Wahrheit des Glaubens muß von beiden Seiten her verstanden werden. Von der subjektiven Seite her ist zu sagen: Glaube ist dann „wahr", wenn er ein unbedingtes Anliegen angemessen ausdrückt. Von der objektiven Seite aus gesehen ist Glaube dann „wahr", wenn sein Inhalt das wirklich Unbedingte ist. Die erste Antwort erkennt an, daß Glaubenswahrheit in allen echten Symbolen und Typen des Glaubens enthalten ist. Damit werden die geschichtlichen Religionen zugleich gerechtfertigt, und ihre Geschichte wird verständlich als die Geschichte von dem, was den Menschen letztlich und unbedingt angeht, als Geschichte seiner Antwort auf Bekundungen des Heiligen an vielen Orten und in vielen Formen. Die zweite Antwort weist auf ein unbedingtes Kriterium hin, durch das die geschichtlichen Religionen gerichtet werden, nicht im Sinn der Verneinung, sondern im Sinn eines Ja und Nein. 175

Glaube hat Wahrheit, insofern er ein unbedingtes Anliegen angemessen zum Ausdruck bringt. Das ist dann der Fall, wenn in ihm die Macht des Unbedingten so hervortritt, daß sie im Menschen Antwort, Handeln und Gemeinschaft bewirkt. Symbole, die imstande sind, solche Wirkungen hervorzurufen, sind lebendig. Aber das Leben der Symbole ist begrenzt; die Beziehung des Menschen zum Unbedingten unterliegt Wandlungen. Inhalte letzten Anliegens schwinden dahin oder werden durch andere ersetzt. Es kommt vor, daß die Verkörperung des Göttlichen in einer bestimmten Gestalt zu einer bestimmten Zeit kein Echo im Menschlichen mehr weckt, daß sie kein allgemeingültiges Symbol mehr ist und die Macht verliert, zum Handeln aufzurufen. Es gibt Symbole, die eine Zeitlang und an einem bestimmten Ort für eine bestimmte Gemeinschaft die Wahrheit des Glaubens ausdrücken und die heute nur noch an den Glauben einer vergangenen Zeit erinnern. Sie haben ihre Wahrheit verloren, und es ist fraglich, ob erstorbene Symbole wieder zum Leben erweckt werden können. Wahrscheinlich ist das unmöglich. Wenn wir von dieser Sicht aus die Geschichte des Glaubens bis auf den heutigen Tag betrachten, so wird deutlich, daß die Kriterien für die Wahrheit des Glaubens in seiner Lebendigkeit bestehen. Dies Kriterium ist sicher nicht exakt im wissenschaftlichen Sinn, aber es ist ein praktischer Maßstab, um die Vergangenheit mit ihrer Fülle offensichtlich erstorbener Symbole richtig zu beurteilen. Auf die Gegenwart läßt er sich allerdings nur schwer anwenden, weil man nicht mit Sicherheit sagen kann, daß ein Symbol endgültig tot ist, solange es noch irgendwo und von irgend jemand bejaht wird. Es könnte sein, daß es gleichsam nur schläft, und dann läßt sich die Möglichkeit eines Wiedererwachens nicht ausschließen. Das andere Kriterium, das über die Wahrheit eines Glaubenssymbols entscheidet, ist seine Fähigkeit, die Unbedingtheit des Unbedingten voll zum Ausdruck zu bringen und darum alles in ihm, was weniger als unbedingt ist, auszuschließen. Das Symbol darf nicht zum Götzen werden. Denn das ist die Gefahr jedes Glaubenssymbols. Calvin hat den menschlichen Geist als eine Werkstatt beschrieben, in der unablässig Götzen erzeugt werden. Kein Glaubenstyp ist erhaben über diese Gefahr, und selbst der Protestantismus, der sich ihrer besonders bewußt ist, kann ihr nicht entgehen. Auch er ist anfällig für dämonische Verzerrungen, und er muß sich mit demselben Maßstab messen, mit dem er andere Religionen mißt. Jeder Glaubenstypus hat die Tendenz, seine konkreten Symbole zu absoluter Gültigkeit zu erheben. Das entscheidende Kriterium für die Wahrheit des Glaubens besteht deshalb darin, daß er ein Element der Selbstkritik in sich enthält. Das Glaubenssymbol 176

ist der Wahrheit am nächsten, das nidit nur das Unbedingte, sondern zugleich seinen eigenen Mangel an Unbedingtheit ausdrückt. Das Christentum besitzt im Kreuz des Christus dieses Symbol in vollkommener Weise. Jesus hätte nicht der Christus werden können, wenn er sidi nicht als Jesus an sich als den Christus geopfert hätte. Jede Bejahung Jesu als des Christus, die nicht zugleich die Bejahung Jesu des Gekreuzigten einschließt, ist eine Form von Götzendienst. Das letzte Anliegen des Christen ist nicht Jesus, sondern der Christus in Jesus dem Gekreuzigten. Das Ereignis, das dieses Symbol geschaffen hat, liefert zugleich das Kriterium, von dem aus die Wahrheit des Christentums und die Wahrheit aller anderen Religionen beurteilt werden muß. Die einzige unbedingte Wahrheit des Glaubens, diejenige Wahrheit, in der das Unbedingte sich selbst als unbedingt offenbart, ist, daß jede Glaubensaussage unter einem Ja und Nein steht. Von diesem Kriterium geleitet, hat sich der Protestantismus gegen die römische Kirche gewandt. Es waren nicht so sehr die Lehrmeinungen, die die Kirchen in der Reformationszeit spalteten, es war die Wiederentdeckung des Grundprinzips, daß keine Kirche das Recht hat, sich an die Stelle des Unbedingten zu setzen. Jede Wahrheit einer Kirche wird vom Unbedingten her gerichtet, und was von der Kirche gilt, gilt auch von der Bibel. Die protestantische Forschung hat gezeigt, daß es viele Schichten innerhalb der biblischen Schriften gibt, und daß es deshalb unmöglich ist, die Bibel als Ganzes mit der Glaubenswahrheit gleichzusetzen. Auch über der übrigen Religions- und Kulturgeschichte steht das Ja und Nein. Es ist ein Ja; denn es bejaht jede Glaubenswahrheit, in welcher Form sie auch in der Religionsgeschichte erscheinen möge; und es ist ein Nein, denn es anerkennt keine Glaubenswahrheit als unbedingt, außer der einen, daß kein Mensch sie besitzen kann. Die Tatsache, daß dieses Kriterium zusammenfällt mit dem protestantischen Prinzip und im Kreuz des Christus Wirklichkeit wurde, macht die Größe des protestantischen Christentums aus.

VI. D A S L E B E N DES G L A U B E N S

1. Glaube und Mut Alles, was bisher über den Glauben gesagt wurde, ist aus der Erfahrung wirklichen Glaubens genommen oder, bildlich gesprochen, aus dem Leben des Glaubens. Diese Erfahrung soll der Gegenstand des 177

letzten Kapitels dieser Darstellung sein. Die „Dynamik des Glaubens" zeigt sich nicht nur in den Spannungen und Konflikten des Glaubensinhalts, sondern auch im Leben des Glaubens selbst. Wo Glaube ist, lebt er in Spannung zwischen Teilhaben am Unbedingten und Getrenntsein von ihm. Wir haben das Bild vom „Ergriffensein" gebraucht, um die Beziehung zum Unbedingten zu beschreiben. Im Wesen des Ergriffenseins liegt es, daß der, der ergriffen ist, und das, wovon er ergriffen ist, gleichsam einen gemeinsamen Ort haben. Ohne eine Teilhabe an der Sache, von der man ergriffen ist, ist wahres Ergriffensein nicht möglich. In diesem Sinn setzt jeder Akt des Glaubens Teilhabe an dem voraus, worauf er gerichtet ist. Ohne eine vorherige Erfahrung des Unbedingten kann es keinen Glauben an das Unbedingte geben. Der mystische Glaubenstypus hat diesen Zusammenhang mit größtem Nachdruck betont; hierin liegt seine Wahrheit, die keine Theologie des »bloßen Glaubens" zerstören kann. Ohne die Offenbarung Gottes im Menschen ist die Frage nach Gott und nach dem Glauben an Gott nicht möglich. Es gibt keinen Glauben ohne Teilhabe am Gegenstand des Glaubens. Aber der Glaube würde aufhören, Glaube zu sein, ohne das entgegengesetzte Element der Trennung. Wer glaubt, der ist audi vom Gegenstand seines Glaubens getrennt; andernfalls würde er ihn besitzen. Er wäre dann eine Sache unmittelbarer Gewißheit und nicht des Glaubens. Das Element des „Trotzdem" würde dem Glauben fehlen. Die Situation des Menschen, seine Endlichkeit und Entfremdung verhindern die unmittelbare Teilhabe am Unbedingten. Hier wird die Grenze der Mystik sichtbar. Es gibt keinen Glauben ohne das Element der Trennung vom Geglaubten. Aus dem Element der Teilhabe folgt die Gewißheit des Glaubens; aus dem Element der Trennung folgt der Zweifel im Glauben. Beides gehört zum Wesen des Glaubens. Bald siegt die Gewißheit über den Zweifel, ohne ihn je völlig aufheben zu können, bald siegt der Zweifel über den Glauben, hat aber dennoch Elemente des Glaubens in sich, sonst würde er zu völliger Gleichgültigkeit werden. Weder kann der Glaube im Zweifel noch der Zweifel im Glauben ganz verschwinden, obwohl jeder von beiden sich im Leben des Glaubens fast ganz verlieren kann. Da aber kein menschliches Wesen ohne ein letztes Anliegen zu leben imstande ist, so sind sowohl Glaube wie Zweifel im Menschen wesensmäßig stets gegenwärtig. Man hat Glaube und Zweifel einander entgegengestellt und die Gewißheit des Glaubens als Ende jedes Zweifels gepriesen. Sidierlich gibt es eine solche Gelassenheit jenseits der erregenden Kämpfe zwi178

sdien Glauben und Zweifel; und es ist ein natürlicher und berechtigter Wunsch, diesen Zustand zu erlangen. Aber selbst wenn er erreicht wird wie etwa von Heiligen oder von Menschen, die fest in ihrem Glauben stehen so fehlt das Element des Zweifels doch nie. Bei den Heiligen erscheint der Zweifel, wie die Heiligenlegenden zeigen, als Versuchung, die in dem Maße zunimmt, wie die Heiligkeit wächst. Bei den Menschen, die sich auf die Unerschütterlichkeit ihres Glaubens berufen, sind oft Pharisäismus und Fanatismus der untrügliche Beweis dafür, daß der Zweifel wohl unterdrückt wurde, aber im geheimen doch wirksam ist. Der Zweifel wird nicht durch Unterdrückung, sondern durch Mut überwunden. Der Mut verleugnet nicht, daß der Zweifel da ist; aber er bejaht den Zweifel als Ausdruck der menschlichen Endlichkeit und bekennt sich trotz des Zweifels zu dem, was unbedingt angeht. Der Mut bedarf nicht der Sicherheit einer fraglosen Überzeugung. Er schließt das Wagnis ein, ohne das kein schöpferisches Leben möglich ist. Wenn zum Beispiel das unbedingte Anliegen eines Menschen die Überzeugung ist, daß Jesus der Christus sei, so ist ein solcher Glaube nicht Sache zweifelsfreier Gewißheit, sondern des wagenden Mutes, der die Gefahr des Scheiterns in sich schließt. Auch dann, wenn das Bekenntnis „Jesus ist der Christus" voll tiefster Überzeugung ausgesprochen wird, sind Wagnis und Mut darin enthalten. Das Wort „Bekenntnis" weist selbst auf diesen Tatbestand hin. All dies gilt vom lebendigen Glauben, vom Glauben als lebendigem Anliegen und nicht als einer nur traditionellen Haltung, einer Haltung ohne Spannungen, ohne Zweifel und ohne Mut. Ein solcher herkömmlicher Glaube, das heißt die Glaubensform vieler heutiger Kirchendiristen und der Gesellschaft insgesamt, mangelt des dynamischen Charakters, wie er lebendigem Glauben eigentümlich ist. Man könnte sagen, daß dieser konventionelle Glaube ein totes Überbleibsel von früheren lebendigen Erfahrungen des Unbedingten ist. Er ist tot; aber er kann wieder zum Leben erweckt werden, denn auch der erstarrte Glaube lebt in Symbolen. In diesen Symbolen ist die Macht des ursprünglichen Glaubens noch enthalten; darum sollte man die Bedeutung einer traditionellen Glaubenshaltung nicht unterschätzen. Sie ist kein lebendiger Glaube; aber sie ist »schlafender" Glaube, der wieder zum lebendigen Glauben erweckt werden kann. Diese Tatsache ist besonders für die Erziehung wichtig. Es ist nicht sinnlos, Kindern und jungen Menschen Glaubenssymbole nahezubringen, da sich in ihnen der lebendige Glaube früherer Generationen ausdrückt. Und doch ist es zugleich gefährlich, da der so vermittelte Glaube in der Tradition steckenbleiben kann, ohne jemals zum eigentlichen Glauben durchzubrechen. Die Erkenntnis 179

dieser Gefahr hat dazu geführt, daß manche Erzieher zögern, jungen Menschen die überlieferten Symbole überhaupt zu vermitteln, und daß sie lieber warten, bis selbständige Fragen nach dem Sinn des Lebens auftauchen. Solche Haltung kann zu einem kraftvollen Glaubensleben führen; sie kann aber auch bewirken, daß Leere und Zynismus entstehen und in Reaktion dagegen konkrete, aber dämonische Symbole die entstandene Leere füllen. Lebendiger Glaube enthält den Zweifel an sich selbst, den Mut und das Wagnis, diesen Zweifel zu tragen. Gleichzeitig gibt es in jedem Glauben ein Element unmittelbarer Gewißheit, das dem Zweifel, dem Mut und dem Wagnis nicht unterworfen ist - die Gewißheit des Unbedingten selbst. Der Mensdi erfährt das Unbedingte in Leidenschaft, Angst, Verzweiflung und Ekstase; aber er erfährt es niemals unmittelbar, sondern immer in der Begegnung mit einem konkreten Inhalt. Das Unbedingte wird in, mit und durch den konkreten Inhalt erfahren, und nur der analytisch forsdiende Geist kann es theoretisch erfassen. (Eine solche theoretische Betrachtung ist das eigentliche Anliegen dieses Buches.) Auf diesem Wege sind wir dazu gekommen, den Glauben zu bestimmen als Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht. Aber das Leben des Glaubens steht jenseits einer solchen Analyse. Aus ihr folgt jedoch, daß sich der Zweifel am konkreten Inhalt eines unbedingten Anliegens gegen den Glauben in seiner Ganzheit richtet. Und Glaube als Akt des ganzen Menschen muß sich demgegenüber im Mut bestätigen. Der Gebrauch des Wortes „Mut" in diesem Zusammenhang 1 bedarf einer Erläuterung, besonders hinsichtlich seiner Beziehung zum Glauben. In aller Kürze könnte man sagen: Der Mut ist das Element im Glauben, das sich auf das Wagnis des Glaubens einläßt. Man kann den Glauben nicht durdi Mut ersetzen; aber man kann den Glauben auch nicht vom Mut trennen. In den Schriften der Mystiker wird „die Schau Gottes" als ein Sein beschrieben, in dem der Zustand des Glaubens transzendiert ist. Das ereignet sich entweder nach Ablauf des irdischen Lebens oder in seltenen Augenblicken schon hier auf Erden. In der vollkommenen Vereinigung mit dem göttlichen Seinsgrund wird die Trennung zwischen Gott und Mensch aufgehoben und damit Ungewißheit, Zweifel, Mut und Wagnis. Das Endliche ist in das Unendliche aufgenommen; es ist nicht ausgelöscht, aber auch nidit mehr vom Unendlidien geschieden. Dies ist jedoch nicht der alltägliche Zustand des Menschen, in dem vielmehr Endlichkeit und Trennung herrschen und mit ihnen Glaube und der Mut zum Wagnis. Das Wagnis bezieht 1 Vgl. die ausführliche Darstellung in meinem Buch „Der Mut zum Sein", a.a.O. S. 11 ff.

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sich auf den konkreten Inhalt eines unbedingten Anliegens. Dabei kann es geschehen, daß nicht das wahrhaft Unbedingte der Inhalt des Glaubens ist, sondern ein Bedingtes, das zum Götzen gemacht wurde. So kann das eigene Wunschdenken den Inhalt des Glaubens bestimmen; es kann aber auch geschehen, daß uns die Interessen der sozialen Gruppe, der wir angehören, an erstorbene Überlieferungen fesseln und zu einer Art Götzendienst verleiten. Oder es kann geschehen, daß ein begrenztes Stück Wirklichkeit zum Götzen gemacht wird wie im alten und neuen Polytheismus, oder es wird versucht, das Unbedingte für die willkürlichen Zwecke des Glaubenden zu mißbrauchen, wie z. B. in den magischen Praktiken aller Religionen. Vor allem aber kann der Träger, das Gefäß des Heiligen, mit dem Heiligen selbst verwechselt werden. Auch das geschieht in allen Glaubenstypen, und es war von Anfang an eine besondere Gefahr für das Christentum. Es ist ein Protest gegen solche Verwechslung, wenn Jesus im Evangelium des J o hannes sagt: „Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat." Aber Dogma, Liturgie und Volksfrömmigkeit blieben nicht frei von dieser Verwechslung. Der Christ weiß um die Möglichkeit und fast Unvermeidlichkeit götzenhafter Verzerrung. Aber er weiß auch, daß im Bild des Christus selbst das Gericht über das Götzenhafte gegeben ist - im Kreuz. Von dem Kreuz her ergeht auch die Botschaft an den Menschen, die das Kernstück des Christentums ist und den Mut zum Glauben an den Christus allererst ermöglicht: die Botschaft, daß die Trennung zwischen Gott und Mensch trotz aller trennenden Mächte der Zerstörung durch Gott selbst überwunden ist. Eine solche Macht der Trennung ist der Zweifel, der den Mut an der Bejahung des Glaubens zu hindern sucht. Aber selbst dann kann der Glaube gewagt werden, da die Gewißheit bleibt, daß sogar ein scheiternder Glaube den Menschen nicht vom Unbedingten trennen kann. Dies ist die einzige absolute Gewißheit des Glaubens, die dem einzig absoluten Inhalt des Glaubens entspricht: wir sind in Beziehung zum Unbedingten immer die Empfangenden und niemals die Gebenden. Wir sind niemals imstande, den unendlichen Abstand zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen von uns her, von Seiten des Endlichen, zu überbrücken. Das Wagnis des Scheiterns, des Irrtums und der Vergötzung kann aber getragen werden, weil auch das Scheitern uns nicht von dem trennen kann, was uns unbedingt angeht.

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2. Der Glaube und die Integration

der Person

Was soeben gesagt wurde, erklärt die Bedeutung des Glaubens für das Werden der menschlichen Person. Da Glaube das Ergriffensein von dem ist, was uns unbedingt angeht, so sind ihm alle vorläufigen Anliegen untergeordnet. Das unbedingte Anliegen verleiht allen anderen Bestrebungen Tiefe, Richtung und Einheit und begründet damit den Menschen als Person. Ein wahrhaft personhaftes Leben ist in sich geeint und ganz; die Macht, die diese Ganzheit der Person schafft, ist der Glaube. Eine solche Aussage wäre absurd, wenn Glaube das Für-wahrHalten von Dingen wäre, die sich nicht beweisen lassen. Aber die Aussage ist nicht absurd, sondern offensichtlich wahr, wenn Glaube Betroffensein von dem ist, was uns unbedingt angeht. Ein unbedingtes Anliegen bekundet sidi in allen Bereichen der Wirklichkeit und in allen Lebensäußerungen der Person. Denn das Unbedingte ist nidit ein Gegenstand unter anderen, sondern der Grund und Ursprung allen Seins und als solcher die einende Mitte des personhaften Lebens. Ohne ein unbedingtes Anliegen zu sein, bedeutet, ohne Mitte zu sein. Diesem Zustand kann der Mensch nur nahekommen, ihm aber niemals ganz verfallen; denn ein menschliches Wesen ohne jegliche Mitte würde aufhören, ein Mensch zu sein. Aus diesem Grunde kann man nicht zugeben, daß es einen Mensdien ohne unbedingtes Anliegen und darum ohne Glauben gibt. Die Mitte der Person eint alle Elemente des personhaften Lebens, die leiblichen, die unbewußten, die bewußten und die geistigen Kräfte des Menschen. Am Akt des Glaubens ist jeder N e r v im menschlichen Körper, jedes Streben der Seele, jede Regung des Geistes beteiligt. Aber Leib, Seele und Geist sind nicht drei voneinander getrennte Teile des Mensdien. Sie sind Dimensionen menschlichen Seins, und stets sind sie ineinander verschlungen; denn der Mensch ist eine Einheit und nicht aus Teilen zusammengesetzt. Glaube ist deshalb keine Sache des Geistes allein oder der Seele allein oder der Vitalität allein, sondern er ist die Gerichtetheit der ganzen Person auf das Unbedingte. Glaube ist ein Akt unendlidier Leidenschaft, und Leidenschaft ist nidit möglich ohne Bindung an einen Leib, selbst wenn sie geistige Leidenschaft ist. An jedem Akt echten Glaubens nimmt auch der Leib teil. Das kann in mannigfacher Weise geschehen, und zwar sowohl in vitaler Ekstase als audi durch Askese, die zu geistiger Ekstase führt. Aber ob in vitaler Erfüllung oder in Selbstverleugnung, immer hat der Leib am Leben des Glaubens teil. Das gleiche gilt von den unbewußten Strebungen der Seele. Durch sie wird die Wahl der religiösen Symbole 182

und der Typen des Glaubens bestimmt. Deshalb versucht jede Glaubensgemeinschaft, auf das Unbewußte ihrer Gläubigen einzuwirken, besonders bei der jungen Generation. Wenn der Glaube eines Menschen sich in Symbolen ausdrückt, die seinen unbewußten Trieben entsprechen, so hören diese Triebe auf, chaotisch zu sein. Sie braudien nicht unterdrückt zu werden, da sie eine echte „Sublimierung" erfahren haben und mit dem bewußten Handeln der Person geeint sind. Der Glaube lenkt auch das bewußte Leben des Menschen, insofern er ihm das innerste Anliegen seines innersten Wesenskerns gibt. Eins der großen Probleme alles personenhaften Lebens ist das Auseinanderstreben der Bewußtseinsinhalte. Wenn ein einendes Zentrum fehlt, so kann die unendliche Vielfalt der begegnenden Welt und der inneren geistigen Vorgänge zur Spaltung oder gar völligen Auflösung der Persönlichkeit führen. Gegen diese ständige Drohung kann nichts anderes schützen als die einende Kraft unbedingten Ergriffenseins. Das kann auf verschiedene Weise geschehen. Eine Möglichkeit ist die Disziplin, mit der ein Mensch sein tägliches Leben ordnet; eine andere ist Meditation. Auch das Streben auf ein bestimmtes Ziel hin und die Hingabe an einen Mitmenschen sind Wege, auf denen sich unbedingtes Ergriffensein verwirklichen läßt. Auf jedem dieser Wege ist Glaube vorausgesetzt; keiner von ihnen kann zum Ziele führen ohne Glauben. Das geistige Leben des Menschen, die Werke eines Künstlers, wissenschaftliches Forschen, sittliches oder politisches Handeln sind bewußte oder unbewußte Äußerungen eines letzten Anliegens. Nur dadurch erhalten sie Leidenschaft und schöpferischen eros und damit Einheit und Tiefe. Wir haben gezeigt, wie der Glaube alle geistigen, seelischen und leiblichen Elemente der Person prägt und eint und wie er die integrierende Kraft schlechthin darstellt. Dieses Bild von der Macht des Glaubens enthält aber nur die lichten Farben und nicht die dunklen Schatten der Auflösung und des Krankhaften, die den Glauben hindern können, ein volles, personhaftes Leben zu schaffen, selbst bei denen, deren Glaubenskraft am sichtbarsten hervortritt, bei den Heiligen, den Mystikern, den Propheten. Der Mensch lebt niemals gänzlich aus einer Lebensmitte. In allen Bereichen seines Seins sind Kräfte des Verfalls am Werk. Man kann sagen, daß die einende Kraft des Glaubens heilende Kraft besitzt. Diese Feststellung bedarf jedoch einer Erläuterung, und zwar wegen der vielfachen Mißverständnisse über die Beziehung zwischen Glauben und Heilen. Dem Wortgebrauch und auch der Sache nach muß man die integrierende Kraft des Glaubens von dem unterscheiden, was man „Glaubensheilung" genannt hat. „Glaubensheilung" in dem Sinn, 183

in dem das Wort gebraucht wird, ist der Versuch, anderen oder sich selbst durch seelische Konzentration auf die heilenden Kräfte in anderen oder einem selbst zu helfen. Es gibt solche heilenden Kräfte in der Natur und im Menschen, und sie können durch seelische Anstrengung gestärkt werden. Ohne jegliche Geringschätzung könnte man hier von der Anwendung „magischer" Praktiken sprechen; und sicher gibt es heilende Magie sowohl in den Beziehungen der Menschen untereinander wie auch in der Selbstbeeinflussung des Menschen. Das ist eine alltägliche Erfahrung, und es ist erstaunlich, wie groß zuweilen die Intensität und der Erfolg dieser Kräfte ist. Aber man sollte hier nicht das Wort »Glaube" gebrauchen, und man sollte diese Vorgänge nicht als Beweis für die heilende Kraft eines unbedingten Ergriffenseins verwenden. Die integrierende Kraft des Glaubens in einer konkreten Situation ist von subjektiven und objektiven Voraussetzungen abhängig. In subjektiver Hinsicht kommt es darauf an, bis zu welchem Grade ein Mensch offen ist für die Macht des Glaubens und wie stark und leidenschaftlich sein höchstes Anliegen ist. Diese Offenheit wird geschenkt und kann nicht absichtlich hervorgerufen werden, sie ist das, was die Religion als Gnade bezeichnet. Die objektive Seite ist der Grad, in welchem der Glaube die Gefahr des Götzendiensts in sich überwunden hat und auf das wahrhaft Unbedingte gerichtet ist. Götzendienst hat keinen Bestand. Er kann voller Leidenschaft sein und eine integrierende Macht ausüben. Er kann heilen und die Persönlichkeit zur Einheit führen. Die Götter des Polytheismus besaßen heilende Kräfte, nicht nur im magischen Sinn, sondern auch als Vermittler echter Erneuerung. Auch die Gegenstände des modernen säkularisierten Götzendienstes, wie etwa die „Nation" oder der „Erfolg im Leben", haben heilende Kraft, nicht nur durch die magische Faszination eines „Führers", eines Schlagwortes oder einer Verheißung, sondern auch dadurch, daß sie für sonst unerfüllte Triebkräfte sinnvolle Aufgaben und ein sinnerfülltes Leben schaffen. Aber die Grundlage solcher Integration ist schmal. Der Götzenglaube bricht früher oder später zusammen, und das Elend wird schlimmer als zuvor. Der eine begrenzte Bezirk der Wirklichkeit, den man zur Unbedingtheit erhoben hatte, wird im Namen anderer endlicher Anliegen angegriffen. Das Bewußtsein wird gespalten, gerade dann, wenn jedem der im Widerstreit liegenden Anliegen ein hoher Wert zukommt. Die Erfüllung der unbewußten Triebe ist nicht von Dauer; sie werden unterdrückt oder brechen zügellos hervor. Die richtunggebende Kraft des Geistes schwindet, weil die Sache, auf die sie gerichtet war, ihre überzeugende Kraft verlor. Das schöpferische geistige 184

Tun verflacht mehr und mehr; es wird leer, da ihm kein unendlicher Sinn Tiefe verleiht. Die Leidenschaft des Glaubens wird zu einem Erleiden unbewältigter Zweifel und zu Verzweiflung, und in vielen Fällen steht am Ende die Fludit in Neurose oder Psychose. Der Götzenglaube hat mehr auflösende und zerstörende Kraft als die Gleichgültigkeit, gerade weil er Glaube ist und eine vorübergehende Integration bewirken kann. Glaube besitzt heilende Kraft; darum müssen wir nun fragen, in welchem Verhältnis er zu anderen Heilkräften steht. Die Möglichkeit magischer Beeinflussung von Person zu Person haben wir schon erwähnt, sind aber noch nicht auf die ärztliche Kunst und ihre Anwendung sowie auf ihre wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen eingegangen. Es gibt eine Fülle sich überlagernder Methoden des Heilens, von denen keine für sich beanspruchen kann, allein gültig zu sein. Aber es ist möglich, jede von ihnen methodisch auf eine bestimmte Aufgabe festzulegen. Vielleicht könnte man sagen, daß die heilende Kraft des Glaubens sich auf die ganze Person bezieht, unabhängig von irgendwelchen besonderen Erkrankungen des Leibes oder des Geistes, und daß sie in jedem Augenblick unseres Lebens wirksam ist im positiven oder im negativen Sinne. Sie geht allen anderen Möglichkeiten des Heilens voraus, begleitet sie, geht über sie hinaus und folgt ihnen nach. Sie allein aber reicht nicht aus zur Entfaltung des Menschen als „Person"; denn der Mensch ist infolge seiner Endlichkeit und Entfremdung kein Ganzes, sondern in verschiedene Bereiche gespalten. Jeder solche Bereich kann zerfallen, unabhängig von den anderen. Einzelne Organe des Körpers können erkranken, ohne daß es zu einer Geisteskrankheit kommt; und Geisteskrankheiten sind möglich ohne sichtbare körperliche Schäden. Bei manchen Formen seelischer Erkrankung, besonders der Neurose, und bei fast allen körperlichen Krankheiten kann das geistige Leben völlig gesund bleiben und sogar an Kraft und Intensität gewinnen. Die ärztliche Kunst muß immer dann eingreifen, wenn ein Teilbezirk der ganzen Persönlichkeit aus äußeren oder inneren Gründen erkrankt. Das gilt sowohl für die Psychotherapie wie für die allgemeine Medizin. Zwischen ihren Methoden und der Heilung, die der Glaube vollbringen kann, gibt es keine Konflikte; auch ist klar, daß kein ärztliches Tun - auch nicht die Psychotherapie - eine Integration der Person als ganzer bewirken kann. N u r der Glaube vermag das. Die Spannungen zwischen den beiden Formen des Heilens würden verschwinden, wenn sie ihre besonderen Aufgaben und ihre besonderen Grenzen erkennten. Sie würden sich dann audi nicht mehr beunruhigen über die dritte Heilmethode, das Heilen durch 185

magische Konzentration. Sie würden ihre Hilfe bejahen, wenn auch unter Betonung ihrer begrenzten Möglichkeiten. Es gibt so viele Typen integrierter Persönlichkeiten, wie es Glaubenstypen gibt. Darüber hinaus gibt es aber noch einen Typus, der viele Züge der anderen Typen personhafter Integration in sich vereinigt. Es ist die Art von Persönlichkeit, die das frühe Christentum geschaffen hat und die im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder erschien und verlorenging. Ihr Wesen kann nicht allein vom Glauben her beschrieben werden; denn sie vereint noch andere Züge in sich. Um sie zu verstehen, muß die Frage nadi dem Verhältnis von Glauben und Liebe und nadi dem Verhältnis von Glauben und Tun beantwortet werden. 3. Glaube, Liebe und Tun Die Frage nadi dem Verhältnis des Glaubens zu Liebe und Tun ist immer wieder gestellt worden, seit der Apostel Paulus erlebte, daß der Glaube an die göttlidie Vergebung und nicht das Handeln des Menschen ihn für Gott annehmbar macht. Die Antworten fallen verschieden aus, je nachdem, ob man den Glauben als ein Für-wahr-Halten auffaßt, oder ob man ihn versteht als das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht. Im ersteren Falle wird jede unmittelbare Abhängigkeit der Liebe und des Handelns vom Glauben bestritten; im zweiten Falle sind Liebe und Handeln im Glauben enthalten und können nicht von ihm getrennt werden. Trotz aller Irrtümer und Mißverständnisse in der Auslegung des Glaubens ist das letztere die klassische Lehre der Kirche, die oft nur unzulänglich zum Ausdruck gekommen ist. Man ist nur von dem unbedingt ergriffen, wozu man essentiell gehört, auch wenn man von ihm existentiell geschieden ist. Wie wir sahen, ist Glaube nicht eins mit der vollkommenen Anschauung Gottes. Eine solche gibt es nicht in der Zeit. Aber es gibt ein unendliches Sehnen danadi, solch eine Schau zu erlangen, in der die Wiedervereinigung des Getrennten erreicht ist. Und der Trieb nadi der Wiedervereinigung des Getrennten ist Liebe. Das Anliegen des Glaubens fällt zusammen mit dem Ziel der Liebe: beide ersehnen die Wiedervereinigung mit dem, wozu man gehört und wovon man entfremdet ist. In dem „vornehmsten Gebot" des Alten Testaments, das Jesus bestätigt hat, ist Gott beides, der Gegenstand dessen, was uns unbedingt angeht, und der Gegenstand uneingeschränkter Liebe. Von dieser Liebe ist die Liebe abgeleitet, die sich auf das richtet, was »Gottes" ist, nämlich auf den Nächsten und die eigene Person. Deshalb sind es die „Furcht Gottes" 186

und die „Liebe Christi", die im ganzen biblisdien Schrifttum das Verhalten zu den anderen Menschen bestimmen. Im Hinduismus und im Buddhismus ist der Glaube an das „Eine", von dem alles Seiende stammt und zu dem alles Seiende zurückstrebt, das, was die Teilnahme am Nächsten bestimmt. Das Wissen um die letzte Identität im „Einen" macht die Vereinigung mit allem Seienden möglich und notwendig. Aber das ist nicht dasselbe wie der biblische Begriff der Liebe. Liebe nimmt teil, aber sie verschmilzt nicht mit dem Gegenstand der Liebe. Beiden Glaubensauffassungen ist gemeinsam, daß in ihnen Liebe und Handeln nicht geboten werden als etwas, das außerhalb des Glaubens steht (was bei jedem Glauben geschieht, der weniger ist als unbedingtes Ergriffensein), sondern sie sind Elemente des Glaubens selbst. Die Trennung von Glauben und Liebe ist immer die Folge einer Entartung der Religion. Als der jüdische Glaube zu einem System ritueller Vorschriften wurde, als die Religionen der Inder zu einem magischen Sakramentalismus entarteten und als das Christentum beiden Irrungen zugleich verfiel und ihnen noch eine starre Dogmatik hinzufügte, wurde das Verhältnis von Glauben und Liebe zu einem schweren Problem für zahlreiche Menschen innerhalb und außerhalb jeder dieser Religionen und der Anlaß dafür, daß sich viele einer nichtreligiösen Ethik zuwandten. Sie versuchten, den Irrwegen des Glaubens dadurch zu entrinnen, daß sie sich vom Glauben überhaupt abwandten. Aber die Frage ist: Gibt es so etwas wie Liebe ohne Glauben? Sicherlich gibt es Liebe ohne Bejahung von bestimmten Lehren. Ja, die Geschichte zeigt, daß die schrecklichsten Verbrechen gegen die Liebe im Namen von fanatisch verteidigten Dogmen begangen worden sind. Glaube als eine Reihe von leidenschaftlich verteidigten Lehrsätzen erzeugt keine Liebe. Aber Glaube als das, was uns unbedingt angeht, schließt Liebe ein, nämlich den Wunsch und die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung des Getrennten, sei es zwischen Gott und Mensch, sei es zwischen zwei Menschen. Aber die Frage bleibt bestehen: Ist Liebe ohne Glauben möglich? Kann ein Mensch lieben, der kein letztes Anliegen hat? Das ist die eigentlich richtige Form der Frage, und die Antwort lautet: Es gibt kein menschliches Wesen ohne ein unbedingtes Anliegen und daher ohne Glauben und ohne Liebe. Liebe ist in jedem menschlichen Wesen wirksam, wenn auch tief verborgen, denn jedes menschliche Wesen sehnt sich nach der Vereinigung mit dem Urgrund seines Seins. Wir haben die Mißdeutungen des Sinnes von „Glaube" erörtert. Ebenso notwendig wäre es nun - was allerdings in diesem Rahmen 187

unmöglich ist die Mißdeutungen aufzuzeigen, die der Sinn der „Liebe" erfahren hat. Eines der häufigsten Mißverständnisse auf diesem Gebiet muß jedoch erwähnt werden. Es ist die Beschränkung der Liebe auf das Gefühl. Wie zum Glauben Gefühl gehört, so auch zur Liebe; dadurch wird aber die Liebe selbst nicht zu einem Gefühl. Liebe ist die Macht im Urgrund alles Seins, die Macht, die das Seiende über sidi selbst hinaustreibt zur Wiedervereinigung mit dem Mitmenschen und letztlich mit dem Seinsgrund selbst, von dem es getrennt ist. Man hat verschiedene Typen der Liebe unterschieden und den griechischen eros der christlichen agape gegenübergestellt. Man hat eros definiert als Sehnen nach Selbsterfüllung durch das andere Wesen, agape als Willen zur Selbsthingabe an den anderen um des anderen willen. Aber diese Alternative gibt es nidit. Die sogenannten „Typen der Liebe" sind in Wirklichkeit „Qualitäten der Liebe", Wesenszüge, die miteinander verbunden auftreten und nur in ihrer entarteten Form in Widerstreit miteinander geraten. Keine Liebe ist wirkliche Liebe ohne die Einheit von eros und agape. Agape ohne eros ist Unterwerfung unter ein moralisches Gesetz; sie ist ohne Wärme, ohne Sehnsucht, ohne Wiedervereinigung. Eros ohne agape ist zügelloses Verlangen, das das Redit des anderen mißaditet, als eigenständig liebendes und liebenswertes Selbst anerkannt zu werden. Liebe als Einheit von eros und agape ist ein Wesenszug des Glaubens. Je mehr Liebe im Glauben vorhanden ist, um so mehr sind die dämonisch-götzenhaften Möglichkeiten in ihm überwunden. Ein Glaube, in dem ein vorläufiges Anliegen Letztgültigkeit erlangt, steht im Kampf und Widerspruch gegen alle anderen vorläufigen Anliegen; das zerstört die Möglichkeit der Liebe zwischen den Trägern solcher irrtümlichen Formen des Glaubens. Der Fanatiker kann das nicht lieben, wogegen sein Fanatismus gerichtet ist; und Götzenglaube ist notwendig fanatisch. Er muß ja in sich alle Zweifel unterdrücken, die sich insgeheim gegen die Erhebung von etwas Vorläufigem zur Unbedingtheit erheben. Der unmittelbare Ausdruck der Liebe ist das Handeln. Theologen haben die Frage erörtert, wie Glaube in Tun übergehen kann. Es ist möglich, weil Glaube Liebe einschließt und weil Liebe sich im Handeln ausdrückt. Das Bindeglied zwischen Glauben und Tun ist die Liebe. Wenn die Reformatoren glaubten, daß das Heil allein durch den Glauben erlangt werde, und wenn sie die römisch-katholische Lehre ablehnten, daß auch die Werke für das Heil notwendig seien, so hatten sie insofern recht, als kein Tun des Menschen die Vereinigung mit Gott bewirken kann. N u r Gott kann das Entfremdete mit sich selbst wiedervereinen. Aber die Reformatoren übersahen dabei etwas, was auch in 188

der katholischen Lehre nur undeutlich zum Ausdrude kommt: nämlich daß Liebe ein Element des Glaubens selbst ist, wenn Glaube als das, was uns unbedingt angeht, verstanden wird. Glaube schließt Liebe ein, Liebe lebt im H a n d e l n : in diesem Sinne verwirklicht sich der Glaube in „Werken". Wo unbedingtes Anliegen ist, besteht auch der leidenschaftliche Wunsch, dieses Anliegen zu verwirklichen. Anliegen - in des Wortes eigentlicher Bedeutung - schließt den Wunsch nadi H a n deln ein; die A r t des Handelns aber hängt von der Art des Glaubens ab. Im Glauben des ontologischen Typus wird die Rückkehr des Getrennten zur Einheit ersehnt. Der Glaube des ethischen Typus strebt nach Umwandlung der entfremdeten Wirklichkeit. In beiden Fällen ist Liebe am Werk. Im Glauben des ontologischen Typus herrscht der eros in der Liebe vor und treibt zur Vereinigung des Liebenden mit dem Geliebten in dem, was jenseits von ihnen ist, dem Grund des Seins. Im Glauben des ethischen Typus treibt agape zur Bejahung des Geliebten und erstrebt seine Verwandlung in das, was er seinem Wesen nach ist und darum sein sollte. Die Liebe im mystischen Typus eint durch die Verleugnung des Selbst; die Liebe im ethischen Typus verwandelt durch Bejahung des Selbst. Ein Handeln, das von der Liebe des mystischen Typus getragen ist, hat vorwiegend asketischen C h a r a k t e r ; ein Handeln, das aus der Liebe im ethischen Typus entspringt, wirkt gestaltend auf die Wirklichkeit ein. In beiden Fällen bestimmt der Glaube die Art der Liebe und die Art des Handelns. Das sind Beispiele f ü r grundlegende Polaritäten im Charakter des Glaubens; es gibt noch viele andere. Das lutherische Prinzip der individuellen Vergebung zum Beispiel ist weniger auf soziales Handeln ausgerichtet als der calvinistisdie Glaube, der die Ehre Gottes im Auge hat. Der humanistische Glaube an die vernünftige N a t u r des Menschen wirkt sich günstiger aus f ü r die Erziehung und eine demokratische Gesellschaftsordnung als der traditionelle christliche Glaube, der die Erbsünde und den dämonischen Charakter der irdischen Wirklichkeit betont. Der protestantische Glaube an eine unmittelbare Begegnung des Menschen mit Gott erzeugt mehr unabhängige Persönlichkeiten als der katholische Glaube, der die Mittlertätigkeit der Kirche zwischen Gott und Mensch lehrt. Aber wie verschieden auch die Typen des Glaubens sein mögen, Glaube als das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, schließt die Liebe ein und bestimmt das Handeln. Glaube ist die tragende K r a f t sowohl in der Liebe wie im Handeln.

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4. Die Gemeinsd/aft des Glaubens und ihre Ausdrucksformen Unsere Ausführungen über das Wesen des Glaubens haben gezeigt, daß Glaube nur in einer Gemeinschaft des Glaubens wirklich und lebendig ist und, genauer gesagt, nur dann, wenn er eine gemeinsame Sprache des Glaubens schafft. Die Erörterung des Verhältnisses von Liebe und Glauben hat zu dem gleichen Ergebnis geführt: Liebe als Element des Glaubens und als Streben nach der Wiedervereinigung des Getrennten schafft Gemeinschaft. Und da Glaube notwendig zum Handeln führt und Handeln Gemeinschaft voraussetzt, so ist der Zustand unbedingten Ergriffenseins nur dann echt, wenn er sich in einer Gemeinschaft des Handelns verwirklicht. Die Gemeinschaft des Glaubens und Handelns begründet sich durdi rituelle Symbole und bekundet ihr Wesen in mythischen Symbolen. Beide bedingen sich wechselseitig; was sich im Kult Ausdruck verschafft, findet sich bildhaft im Mythos und umgekehrt. Es gibt keinen Glauben ohne diese beiden Formen der Selbstdarstellung. Selbst wenn die „Nation" oder der »Erfolg" Gegenstand des Glaubens sind, sind Riten und Mythen damit verbunden. Es ist bekannt, daß totalitäre Systeme ein genau durchdachtes Gefüge ritueller Handlungen besitzen, und daß sie überdies eine Menge bildhafter Symbole haben, die - so absurd sie auch sein mögen - den Glauben, der dem ganzen System zugrunde liegt, zum Ausdruck bringen. Die totalitäre Gesellschaft lebt in rituellen Handlungen und intuitiven Symbolen, die manche Ähnlichkeit haben mit den Handlungen und Symbolen, in denen eine autoritätsgebundene religiöse Gemeinschaft lebt. Aber in allen echten religiösen Gemeinschaften findet sich ein heftiger Protest gegen die götzenhaften Elemente, die im politischen Totalitarismus hingenommen werden. Das Leben des Glaubens ist Leben in der Gemeinschaft des Glaubens; das gilt nicht nur von den gemeinschaftlichen Handlungen und Institutionen, sondern auch vom inneren Leben ihrer Glieder. Wenn ein Mensch sich vorübergehend vom gemeinschaftlichen Tun, zum Beispiel vom gottesdienstlichen Leben der Glaubensgemeinschaft, absondert, so bedeutet das nicht notwendig eine Trennung von der Gemeinschaft überhaupt. Es kann sogar dazu führen, daß das geistige Leben der Gemeinschaft dadurch gestärkt wird. Denn oft kehrt nach einer freiwilligen Absonderung ein solcher Mensch als Erneuerer der Gemeinschaft und ihrer Symbole zurück. Es gibt kein Leben des Glaubens, das nicht Leben in der Gemeinschaft wäre; das gilt auch für die Absonderung 190

und Einsamkeit des Mystikers, solange er noch die Sprache der Glaubensgemeinschaft spricht. Und weiter: es gibt Uberhaupt keine Gemeinschaft, die keine Glaubensgemeinschaft wäre. Natürlich gibt es Gruppen, die durch gemeinsame Interessen miteinander verbunden sind und die so lange eine Einheit bilden, als das Interesse dauert. Und es gibt Gruppen, die als Familien und Sippen einen natürlichen Ursprung haben und eines Tages eines natürlichen Todes sterben, wenn ihre Lebensbedingungen erloschen sind. Keine dieser beiden Arten von Verbänden ist als solche eine Glaubensgemeinschaft. Ob eine Gruppe auf natürliche Weise entsteht oder ob sie sich auf Grund eines Interesses zusammenschließt: es bleibt eine vorübergehende Verbindung. Die Verbindung hört auf, wenn die materiellen Grundlagen oder die biologischen Bedingungen ihrer Existenz aufhören. Für eine Glaubensgemeinschaft sind solche Bedingungen nicht entscheidend; allein die lebendige Kraft ihres Glaubens ist Grundlage und Maßstab für ihre Dauer. Das, was sidi auf ein unbedingtes Anliegen gründet, ist von keiner Zerstörung durch vorläufige Anliegen oder durch Mangel an Erfolg bedroht. Der erstaunlichste Beweis für diese Behauptung ist die Geschichte der Juden. Sie sind in der Geschichte der Menschheit der Beweis für den letztgültigen und unbedingten Gharakter des Glaubens. Weder ein Kultus noch die mythischen Ausdrudesformen des Glaubens sind sinnvoll, wenn man ihren symbolischen Gharakter nicht erkennt. Wir haben früher versucht, die zerstörenden Folgen des Wörtlidinehmens von Symbolen aufzuzeigen. Dagegen erhebt sich oft religiöse und philosophische Kritik. Der Mythos wird durch Religionsphilosophie ersetzt, der Kultus durch eine Reihe moralischer Vorschriften. Ein derartiger Zustand kann eine Zeitlang Bestand haben, weil der ursprüngliche Glaube in ihm noch wirksam ist. Eine Ablehnung der Ausdrucksformen des Glaubens muß nicht notwendig gegen den Glauben an sich gerichtet sein. Aber das gilt nur begrenzt. Ohne Symbole eines unbedingten Anliegens entarten Systeme reiner Moral zu einer Ethik der Anpassung an soziale Konventionen, mögen sie letztlich berechtigt sein oder nicht. Die unendliche Leidenschaft, die jeden echten Glauben kennzeichnet, schwindet nach und nach und wird durch kluge Berechnung ersetzt, die niemals imstande ist, den leidenschaftlichen Angriffen eines Götzenglaubens Widerstand zu leisten. Ein solcher Vorgang hat sich im Bereich der westlichen Kultur abgespielt; er blieb nur deshalb lange verborgen, weil bei vielen Vertretern des humanistischen Glaubens die sittliche Kraft größer war als bei vielen Gliedern mancher religiöser Gemeinschaft. In solchen Menschen lebte noch Glaube, lebte noch ein unbedingtes Ernstnehmen der menschlichen Würde und der 191

persönlichen Verantwortung; in ihnen lebte noch religiöse Substanz, und sie muß ganz verschwinden, wenn der Glaube nicht erneuert wird. Das aber kann nur in einer Glaubensgemeinschaft geschehen, unter dem beständigen Einfluß ihrer mythischen und kultischen Symbole. Einer der Gründe, warum die autonome Ethik sich gegen ihren religiösen Ursprung wandte, ist die Sinnentstellung, die die Symbole und Mythen im Lauf der Religionsgeschichte, auch in den christlidien Kirchen, erfahren haben. Die rituellen Glaubenssymbole wurden in Objekte mit magischer K r a f t verkehrt, denen man eine gleiche Wirksamkeit zuschrieb wie Naturkräften. Man sah in ihnen sakramentale Kräfte, die immer wirken, wenn nur der Mensch ihrem Wirken keinen Widerstand entgegensetzt. Diese abergläubische Deutung des sakramentalen Handelns erregte den Protest der Humanisten und führte bei ihnen zu dem Ideal einer Sittlichkeit ohne Religion. Die Verwerfung des sakramentalen Aberglaubens war ein Hauptanliegen des Protestantismus. Aber der Protestantismus beseitigte durch seinen Protest nicht nur den kultischen Aberglauben, sondern auch den echten Sinn des rituellen Handelns und der sakramentalen Symbolik überhaupt. Dadurch hat der Protestantismus gegen seinen Willen zu einer autonomen Ethik beigetragen. Aber der Glaube kann ohne sichtbare Form und persönliche Teilnahme der Gläubigen an ihnen nicht lebendig bleiben. Diese Einsicht hat im heutigen Protestantismus zu einer neuen Wertschätzung von Kult und Sakrament geführt. Ohne Symbole, in denen das Heilige als gegenwärtig erfahren wird, schwindet die Erfahrung des Heiligen überhaupt. Das gleiche gilt von den mythologischen Ausdrucksformen des Unbedingten. Wenn der Mythus wörtlich genommen wird, muß die Philosophie ihn als absurd ablehnen. Sie muß die heiligen Geschichten „ e n t m y t h o l o g i s i e r e n D a b e i geschieht es, daß sich der Mythos in Religionsphilosophie verwandelt und schließlich zu Philosophie ohne Religion wird. Aber der Mythos in seinem wahren Sinn ist die schöpferische Grundlage einer jeden religiösen Gemeinschaft; er kann weder durch Philosophie noch durch eine Sammlung von moralischen Vorschriften ersetzt werden. Kultus und Mythos halten den Glauben lebendig. Niemand hat sich gänzlich von ihnen gelöst; denn niemand ist gänzlich ohne ein unbedingtes Anliegen. Wenige allerdings verstehen den Sinn und die Macht von Kultus und Mythos, obwohl das Leben des Glaubens von ihnen abhängt. Sie verleihen dem Glauben einer Gemeinschaft sichtbaren Ausdruck und bewirken persönlichen Glauben in den Gliedern der Gemeinschaft. Und ohne eine Gemeinschaft, in der Mythos und Kultus 192

geglaubt und ausgeübt werden, würde der Glaube erlösdien, und alles Religiöse würde in die Schicht des Unbewußten sinken. Im Bewußtsein würde die Erfahrung des Heiligen noch einen vorübergehenden Einfluß auf die Ethik haben, aber der Glaube als lebendige Macht wäre beseitigt. 5. Die Begegnung zwischen

Glaubensgemeinschaften

Es gibt viele Glaubensgemeinschaften, nicht nur in der Religion, sondern auch im kulturellen Bereich. Gegenwärtig stehen die meisten von ihnen in Verbindung miteinander und sind vorwiegend tolerant in ihren gegenseitigen Beziehungen. Aber es gibt wichtige Ausnahmen, und es mag wohl sein, daß die Zahl der Ausnahmen unter den politischen und sozialen Schwierigkeiten unserer Zeit zunimmt. Ausnahmen sind vor allem die politischen, pseudoreligiösen Typen des Glaubens. Dazu gehören nicht nur die totalitären Formen, sondern - in Verteidigung ihrer eigenen Existenz - auch die demokratischen Formen politischen Glaubens. Aber auch im rein religiösen Bereich gibt es Ausnahmen, zum Beispiel die offizielle Lehre der römisch-katholischen Kirche, daß sie allein im Besitz der Wahrheit sei. Eine andere Ausnahme ist die protestantische Orthodoxie, die alle anderen Formen des Christentums und der Religion verwirft. Daß solche Unduldsamkeit auf dem Feld des Glaubens Fuß fassen kann, ist leicht verständlich. Wenn Glaube der Zustand unbedingten Ergriffenseins ist, der sich in bestimmter Form ausdrücken muß, so partizipiert das konkrete Symbol am Unbedingten, obwohl es selbst nicht unbedingt ist. Hier liegen die Wurzeln der Unduldsamkeit. Eine Ausdrucksform des Unbedingten schließt alle anderen aus und nimmt dämonische Züge an. Das ist in allen Religionen geschehen, auch im Christentum, obwohl das Kreuz das Zeichen des Widerstandes gegen die Selbsterhebung einer konkreten Religion zur Unbedingtheit ist. Die Wahrheit der Mystik besteht darin, daß sie keiner einzelnen Religion letzte Wichtigkeit beimißt und darum das System der Symbole, in dem jede Religion lebt, zu überschreiten vermag. Die Gleichgültigkeit gegenüber jedem konkreten Ausdruck des Unbedingten macht die Mystik duldsam; aber ihr fehlt die Kraft, die Entfremdung der menschlichen Existenz zu überwinden. Im Judentum und im Christentum wird die Wirklichkeit von dem Gott, der Herr der Geschichte ist, umgestaltet. Der ausschließliche Monotheismus der Propheten, ihr Kampf gegen die Gottheiten des Heidentums, die Botschaft universaler Gerechtigkeit im Alten Testament und universaler Gnade im Neuen Testament - all dies machte das Judentum, den Islam 193

und das Christentum intolerant gegen jede andere Religion. Die Religionen der Gerechtigkeit, der Geschichte und der Enderwartung konnten die mystische Toleranz etwa der indischen Religionen nicht bejahen. Sie sind unduldsam und können diese Haltung bis zum Fanatismus steigern. Das unterscheidet den Monotheismus der Propheten mit seinem Anspruch auf Ausschließlichkeit von der offenen Form des mystischen Monotheismus. Es entsteht nun die Frage: Muß die Begegnung einer Glaubensform mit einer anderen Glaubensform entweder zur unkritischen Toleranz oder zur Intoleranz ohne Selbstkritik führen? Wenn Glaube als Zustand unbedingten Ergriffenseins aufgefaßt wird, ist diese Alternative überwunden. Das Kriterium jedes Glaubens ist seine Fähigkeit, die Unbedingtheit des Unbedingten auszudrücken. Die Selbstkritik jeder Glaubensform folgt aus der Erkenntnis der beschränkten Gültigkeit der konkreten Symbole, in denen sie erscheint. Von hier aus wird der Sinn von „Bekehrung" verständlich. Das Wort „Bekehrung" hat Nebenbedeutungen, die seine Anwendung erschweren. Es kann damit das Erwachen aus einem Zustand gemeint sein, in dem das Religiöse verborgen war, und das Sich-Öffnen für das Heilige, dessen man gewahr wird. Wenn mit „Bekehrung" das gemeint wird, dann hat jede ursprüngliche religiöse Erfahrung den Charakter von Bekehrung. Bekehrung kann aber auch den Wechsel von einem Glaubensbekenntnis zu einem anderen bedeuten. Bekehrung in diesem Sinne ist fragwürdig. Von Bedeutung ist sie nur dann, wenn im neuen Glauben die Unbedingtheit des Unbedingten besser gewahrt ist als im alten Glauben. Besonders wichtig ist in der westlichen Welt die Begegnung des Christentums mit den Formen verweltlichten Glaubens. Auch der profane Glaube ist Glaube und niemals ohne ein unbedingtes Anliegen; deshalb ist die Begegnung mit ihm eine Begegnung von verschiedenen Glaubensformen. In einer Begegnung von religiösem und weltlichem Glauben müssen zwei Elemente unterschieden werden: Der Glaube selbst und die Form, in der er sich ausdrückt. Sofern es um den Glauben selbst geht, ist mit Verstandesgründen wenig auszurichten, die von außen her über seine Wahrheit oder Unwahrheit entscheiden wollen. Nur das Hinführen zu einer neuen Glaubenserfahrung kann versucht werden. Sofern es aber nur um die Ausdrucksformen des Glaubens geht, seien es nun gedankliche oder praktische, ist eine gedankliche Auseinandersetzung möglich. Es ist aber ein Irrtum, wenn man mit Verstandesgründen den Glauben selbst zu wandeln versucht. Der Glaube ist eine Sache reinen Ergriffenseins und persönlicher Hingabe. 194

Oft ist es nicht leicht, die Grenzlinie zwischen einem Glauben und seinem Ausdruck zu ziehen, aber das muß in der Begegnung der Glaubensformen immer von neuem versucht werden. Nur dann kann Fanatismus vermieden und zugleich die innere Gewißheit des Glaubens bewahrt werden. Das missionarische Werk der großen Religionen sucht durch Bekehrung zu einem Glauben die Einheit aller Glaubensformen zu erreichen. Niemand kann sicher sein, daß solche Einheit im Lauf der Menschheitsgeschichte gewonnen wird; niemand kann aber leugnen, daß sie die Sehnsucht und Hoffnung der Menschheit zu allen Zeiten und an allen Orten gewesen ist. Aber es gibt nur eine Möglichkeit, diese Einheit zu erlangen: der Glaube muß unterschieden werden von den Ausdrucksformen, in denen er jeweils erscheint. Der Weg zu einem einzigen weltumspannenden Glauben ist der Weg der Propheten, die den Götzendienst verwarfen und den Gott verkündigten, der wirklich Gott ist. Es mag sein, daß es keinem Glauben gelingt, sich in einem universal gültigen Symbol auszudrücken - wenn es auch die Hoffnung jeder großen Religion ist, das umfassende Symbol zu schaffen, in dem der Glaube der Menschheit sich ausdrücken kann. Aber eine solche Hoffnung ist nur berechtigt, wenn eine Religion sich des bedingten Charakters ihrer eigenen Symbole bewußt ist. Das Christentum hat im „Kreuz Christi" ein Symbol, das das Bewußtsein um die eigene Bedingtheit ausdrückt und das gültig bleibt, auch wenn die christlichen Kirchen den Sinn dieses Symbols vergessen und besonderen Glaubensformen Unbedingtheit zusprechen. Um seiner radikalen Selbstkritik willen ist das Christentum von allen Religionen am meisten zur Universalität berufen - solange es diese Selbstkritik als Macht im eigenen Leben wirken läßt.

SCHLUSSBEMERKUNG

Die Möglichkeit des Glaubens und seine Bedeutung in der Gegenwart Glaube ist eine Wirklichkeit in jeder Periode der Menschheitsgeschichte. Diese Tatsache beweist nicht, daß er unlösbar mit dem innersten Wesen des Menschen verbunden ist; ein bestimmter Glaube könnte - wie der Aberglaube - eine Verzerrung des wahren Wesens des Menschen sein; und das meinen auch viele, die den Glauben ablehnen. Wir haben in diesem Buch gefragt, ob solche Meinung auf Einsicht oder auf Mißverständnis beruht, und wir haben geantwortet, 195

daß die Verwerfung des Glaubens auf einer Verkennung des Wesens des Glaubens beruht. Verschiedene Formen dieses Mißverständnisses und mannigfache Verzerrungen des Glaubensbegriffs haben wir erörtert. Glaube ist schwer zu bestimmen. Fast jedes Wort, durch das der Glaube beschrieben worden ist - und das gilt auch für unsere Darstellung birgt Möglichkeiten neuer Mißverständnisse in sich. Das kann nicht anders sein, da der Glaube kein Phänomen neben anderen ist, sondern das innerste Anliegen im personhaften Leben des Menschen und darum offenbar und verborgen zugleich. Er ist Religion und zugleich mehr als Religion; er ist allgegenwärtig und konkret; er ist wandelbar und bleibt doch stets der gleiche. Glaube ist unlösbar mit dem Wesen des Menschen verknüpft und darum notwendig und universal. Er ist unbedingtes Ergriifensein, und so kann er weder durch Wissenschaft noch durch Philosophie widerlegt werden. Er ist möglich, ja notwendig auch in unserer Zeit. Er kann auch nicht durch abergläubische oder autoritäre Entstellung seines Sinnes innerhalb oder außerhalb der Kirchen, der Sekten oder weltanschaulicher Bewegungen entwertet werden. Der Glaube rechtfertigt sich selbst und verteidigt sein Recht gegen alle, die ihn angreifen, da sie ihn nur im Namen eines anderen Glaubens angreifen können. Es ist der Triumph der Dynamik des Glaubens, daß jede Verneinung des Glaubens selbst Ausdruck von Glauben ist.

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SPEZIELLE T H E O L O G I S C H E P R O B L E M E

DAS F R E M D E W E R K D E R L I E B E Als sich im Christentum die Erkenntnis durchsetzte, daß das Weltende nicht unmittelbar bevorstehe, sondern in einer unbestimmten Zukunft zu erwarten sei, erhob sich eine Frage, die in der christlichen Theologie nie wieder verstummt ist. Es ist die Frage, wie die Ethik des Reiches Gottes, die Lehre von Gnade und Liebe, in einer Welt gültig bleiben kann, deren Struktur auf Macht und strafende Gerechtigkeit gegründet ist. Für dieses Problem sind viele Lösungen versucht worden, einige sehr radikale, andere, die einen Kompromiß anstreben oder vermitteln wollen. Aber das Problem blieb bestehen, und es wird bleiben, solange es eine Christenheit auf dieser Erde gibt, wenn sich auch immer wieder Lösungen finden, die zumindest für eine bestimmte Situation und für eine bestimmte Geisteshaltung gültig sind. Eine der großartigsten Lösungen hat die Reformation, genauer gesagt, Luther, gebracht er hat eine Antwort gegeben, die ebenso genial wie paradox ist. Trotz der Verschiedenheit zwischen dem ursprünglichen Protestantismus und den amerikanischen Denominationen des 20. Jahrhunderts ist es dodh wichtig, uns mit dieser Lösung auseinanderzusetzen. Der amerikanische Protestantismus ist in einen hoffnungslosen Zwiespalt geraten: Die einen wollen die Ethik des Reiches Gottes unmittelbar und auf legalistische Weise zur Staatsethik machen; die anderen sind an der Ethik des Reiches Gottes uninteressiert und verfolgen unter dem Deckmantel christlicher Prinzipien eine nationalistische Ideologie. Mir scheint, daß der große Reformator, dem Amerika mehr verdankt, als es zugeben möchte, eine Lehre von der christlichen Liebe geschaffen hat, die für unser Problem eine bessere Lösung darstellt und der Wahrheit näherkommt als die Lösungen, die der utopische Idealismus und der zynische Realismus versucht haben. Und mir scheint, daß diese Lösung auch für unsere Zeit sinnvoll und verständlich formuliert werden kann. Alles hängt bei Luther von seinem Gottesgedanken ab. Er rang um Gott und kämpfte mit Gott sein ganzes Leben lang, und was er je sagte oder tat, war Ausdruck jener Erfahrungen, die er in diesen Kämpfen gewonnen hatte. Er erlebte Gott als den zornigen Richter, den er manchmal nicht vom Satan unterscheiden konnte, der ihn bedrängte und in Verzweiflung stürzte. Und andererseits erfuhr er ihn als den gnädigen Gott, der seine unendliche Liebe offenbart und sich selbst in 199

Jesus Christus dahingegeben hat. Beide Erfahrungen waren gleich stark in Luthers Leben und in seiner theologischen Lehre. So war für sein Sein und Denken die Frage von höchster Bedeutung: Wie sind diese beiden Seiten in Gott vereinigt? Und er fand folgende Antwort: Gottes eigentliches Werk ist Liebe, Gottes fremdes Werk ist Zorn. Aber das fremde Werk ist nur die paradoxe Form, in der er sein eigentliches Werk tut. In der lateinischen Übersetzung von Jes. 28 sagt der Prophet: „Sein Tun ist fremd, damit er sein eigenes Werk tun kann." Luther interpretiert das so: „Er zerstört, um zu erretten. Wenn er einen Menschen in tiefste Verlassenheit stürzt, so bejaht er ihn damit aufs tiefste; wenn er ganz und gar verdammt, errettet er zugleich aufs höchste." „Aber die Gnade Gottes hat größte Fülle; denn sie ist das eigentliche Wesen Gottes, während der Zorn sicherlich das fremde Tun Gottes ist." Gott handelt in Gegensätzen; er widerspricht aller menschlichen Erwartung. Und nur der, der das versteht, versteht auch das Gesetz, das alles Leben bestimmt: das Gesetz des Gegensatzes. Uns verdammen, verlassen und zerstören - das ist der Weg, uns zu heilen, zu bejahen und zur Vollendung zu führen. Die positive Seite des göttlichen Handelns wird nicht offenbar ohne die negative Seite. Durch Tod zur Auferstehung: das ist der unvermeidliche Gang des göttlichen Tuns. Christus und insonderheit sein Kreuz offenbaren den paradoxen Charakter von Gottes Handeln. Aber auch in Natur und Geschichte wird es sichtbar. Hinter den schöpferischen und zerstörerischen Kräften der Natur, hinter den Mächten und Reichen der Geschichte, ihrem Aufstieg und Niedergang, steht das Handeln Gottes. Er erhebt die Großen und erniedrigt sie wieder. Sie sind ausschließlich seine Masken. Der wahre Sinn alles Leidens und aller Tragödien in der Geschichte und im Leben des Einzelnen ist die Errichtung des Reiches Gottes. Der zerstörende und grauenvolle Lauf der Geschichte und alles Elend der Menschen ist die paradoxe Form göttlicher Liebe. Es ist das fremde Werk des verborgenen, nicht des offenbaren Gottes. Aber der verborgene und der offenbare Gott sind ein und derselbe Gott. Deshalb ist das Tun des verborgenen Gottes die Art, in der sich das Kommen des offenbaren Gottes vorbereitet; sein fremdes Tun ist Vorbereitung für sein eigentliches Tun. Gott wirkt durch diesen Gegensatz in allen seinen Taten, nicht willkürlich, sondern weil er allein durch diesen Gegensatz den Hochmut und eigensüchtigen Willen seiner Geschöpfe brechen kann. Er wirkt durch den Zorn der Liebe: „Es ist zornige Liebe; wenn die Liebe zornig ist, verursacht sie keinen Schaden. Wenn aber Haß und Neid zornig sind, zerstören und entstellen sie nach ihrem ganzen Vermögen. Denn der Zorn 200

der Liebe versucht, das Böse, das er haßt, zu scheiden vom Guten, das er liebt." Das strenge, bittere, zerstörende Tun ist das fremde Tun des liebenden Gottes, der Liebe „fremdes Werk". Dieser tiefe Gedanke ist natürlich unvereinbar mit einer utilitaristischen und eudämonistischen Lebensauffassung. Wenn der Sinn des Lebens das alltägliche Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen ist, so widerspricht Gottes Tun gänzlich dem Sinn des Lebens. Ein solcher Gott ist in dieser Sicht nicht zu rechtfertigen, man kann ihn nur verwerfen. So wurde er von unzähligen Menschen verworfen, deren Gottesvorstellung mit dem Ideal des Glücklichseins verbunden war, bis die Tragödie des Lebens sie erfaßte und ihre Vorstellung zerbrach. Im letzten Weltkrieg konnte man diesen Vorgang Tag für Tag beobachten; er war eine Versuchung für jeden von uns ohne Ausnahme. Denn wir gingen in diesen Krieg mit einem Gott, dessen Liebe sanftmütig und sentimental war. Er wurde als Mittel sittlicher Besserung betrachtet und sollte unserem persönlichen und sozialen Wohlbefinden dienen. Wir kannten den Gott nicht mehr, der Zorn und Gericht ist - nicht nur für die Bösen, sondern auch für die Guten. Wir hatten vergessen, was Hegel gewußt hat, daß die Geschichte nicht der Boden für das Glück der Einzelnen ist. Jetzt haben wir diese Lektion noch einmal gelernt, und wir werden in den nächsten Jahren weit mehr davon lernen müssen. Dann wird die Frage auf uns zukommen, ob unsere Vorstellung von Gott und der göttlichen Liebe tief genug ist, um auch in einer solchen Situation durchgehalten zu werden. Wer nicht versteht, daß Gott durch Gegensätze handelt, daß sein Zorn das Werkzeug seiner Liebe ist, kann auch das Leben und die Geschichte nicht verstehen. Sein Glaube wird unter dem Druck der kommenden Ereignisse zusammenbrechen. Die Lehre vom fremden Werk der Liebe wird von Luther mit der Frage in Verbindung gebracht, wie Liebe und Macht zusammengehören. Er beantwortet sie so: Die Werke der Macht und Gewalt sind das fremde Werk der Liebe. Sie widersprechen dem eigentlichen Werk der Liebe, der Barmherzigkeit und Selbsthingabe. Aber sie sind notwendig um der Liebe willen. Denn nicht allein die Liebe Gottes, sondern auch unsere menschliche Liebe hat paradoxen Charakter. Die Liebe des Christen ist nach Luther ebensowenig sanftmütig und sentimental wie die Liebe Gottes. Sie wirkt durch alle Formen der Macht, d.h. auch durch Gewalt, ja selbst durch Töten, obwohl das ihrem eigentlichen Wesen widerspricht. Wir könnten also im Anschluß an Luthers Denken sagen, daß auch die christliche Liebe zwei Seiten hat, das fremde und das eigentliche Werk. Luther betont den Unterschied dieser beiden Seiten 201

der christlichen Liebe; sie sollten nicht miteinander vermengt werden. Das fremde Werk der Liebe wird in Krieg und Frieden durdi den Staat wahrgenommen; es erzwingt Gerechtigkeit gegenüber dem bösen Wollen der Menschen und schützt Einzelne, Gemeinschaften und Völker vor Zerstörung von außen. Dieses Werk braucht das Schwert und muß hart, streng und mitleidslos sein. Dagegen ist das wahre und eigentliche Werk der Liebe Vergebung und Selbsthingabe; es bestimmt das Handeln des Christen in seinem Alltag und als Glied der unsichtbaren Kirche. Keine dieser beiden Seiten der Liebe soll die andere in ihrem Tun hemmen. Der Staat und seine Gewalt haben keine Stimme im Raum der persönlichen Liebe, und diese darf nicht mitsprechen, wo Gesetz und Macht herrschen müssen. Keine der beiden Handlungsweisen darf die andere in sich aufnehmen und überdecken. Der Staat und seine Macht haben keinen unmittelbaren Einfluß auf den Bereich der persönlichen Liebe, und die persönliche Liebe hat keinen unmittelbaren Einfluß auf den Bereich von Recht und Macht. „Es gibt zwei Reiche. Das eine ist das Reidi Gottes, das andere das Reich der Welt. Das Reich Gottes ist ein Reich der Gnade und Barmherzigkeit und nicht ein Reich des Zornes oder der Strafe. Denn in ihm ist nur Vergebung, Erlösung, Liebe, Dienen, Wohltun, Friede und Freude. Aber im Reich der Welt herrschen Zorn und Strenge; in ihm gibt es Strafe, Abwehr, Gericht und Urteilsspruch, damit die Bösen bezwungen und die Gläubigen beschützt werden. Deshalb hat dieses Reidi auch das Schwert und muß es gebrauchen. Die Worte der Bibel, die von Barmherzigkeit und Vergebung sprechen, betreifen das Reich Gottes und die Christen, nicht aber den Bereich des irdischen Rechts. Denn ein Christ soll nicht nur barmherzig sein, sondern er muß auch bereit sein, viel zu erdulden. Aber das Reich der Welt, das nidits anderes ist als das Werkzeug des göttlichen Zorns gegenüber den Übeltätern, muß hart sein. Es wendet sich gegen die Übeltäter, um die Gläubigen zu schützen und zu erretten." Luther bedenkt auch die Konsequenzen, die bei einer Vermengung beider Bereiche entstehen; er sieht, daß die Gläubigen immer eine kleine Minderheit sind und ohne die Macht des Staates durch die Mehrheit, die immer böse ist, von der Erde vertilgt würden. Er stellt sidi vor, wie die Türken das Christentum auslöschen würden, wenn ihnen nicht Armeen gegenüberstünden, sondern Doktoren der Theologie, die sie davon überzeugen wollten, daß sie im Unrecht wären. Liebe und Gewalt, beide müssen ihr Werk konsequent und so vollkommen wie möglich tun; aber die Gewalt ist der Liebe untenan, sie ist das fremde Werk der Liebe. Luther hat das auch noch in einem anderen Bilde aus202

gedrückt. Er sagt: „Man könnte die irdische Macht auch ein Reich Gottes nennen; denn er will, daß es dauere, und er will, daß wir im Gehorsam in ihm leben. Aber es ist nur das Reich ,zur linken Hand'. In dem Reich ,zu seiner Rechten', das er selbst regiert, gibt es nicht Vater und Mutter, Kaiser und König, Henker und Richter; denn wo er selbst ist, wird das Evangelium den Armen gepredigt." Der einzelne Christ, der ein staatliches Amt innehat, soll nicht meinen, daß die beiden Werke, die er zu verrichten hat, einander widersprechen. Als Richter und Soldat und Henker tut er ein Werk der Liebe - ein fremdes Werk der Liebe natürlich, aber ein notwendiges Werk der Liebe. „Wenn es auch so scheint, als ob Töten, Rauben und Plündern keine Werke der Liebe sein könnten und viele einfältige Gemüter denken, das sei kein christliches Handeln und solle nicht von Christen ausgeübt werden, so ist es doch in Wirklichkeit ein Werk der Liebe - und wenn ihr seht, wie dadurch die Gläubigen, die Frauen und Kinder, Haus und Land, Glück und Ehre beschützt werden und auf diese Weise der Friede bewahrt und erhalten wird, so müßt ihr zugeben, daß es ein kostbares und göttliches Tun ist." Wenn das Werk der Gewalt ein Werk der Liebe ist - wenn auch ein fremdes - , so muß es im Geist der Liebe getan werden, die hinter ihm verborgen ist. Das geschieht dann, wenn es dem Prinzip der Gerechtigkeit gehorsam ist und ohne Eigensucht und Leidenschaft verrichtet wird. Aber was Gerechtigkeit ist, kann nicht von der Liebe abgeleitet werden. Gerechtigkeit wird inhaltlich durch das positive Recht bestimmt, das durch den geschichtlichen Prozeß und durch ihn hindurch von Gottes irrationalem Willen geschaffen ist. Das vorhandene System der Macht muß daher bejaht werden. Es gibt keine Richtschnur im eigentlichen Werk der Liebe für das ihr fremde Werk. Es gibt in der Ethik vom Reich Gottes „zur Rechten" keine Richtschnur für das Handeln in seinem Reich „zur Linken", dem Staat. Hier lagen Luthers Grenzen und die der lutherischen Ethik. Sie ergaben sich zum Teil aus Luthers Abneigung gegen jedes rationale Recht als Prinzip einer Sozialethik und gegen jede legalistische unpersönliche Lösung. Sie ergaben sich andererseits aus Luthers Überzeugung von der totalen Verderbtheit des Menschen, besonders der Massen, und der daraus folgenden Notwendigkeit, den gegebenen Zustand aufrechtzuerhalten, selbst dann, wenn es ein schlechter und verkehrter Zustand ist. Das ist nötig, um Chaos zu vermeiden. Luthers Überzeugung war außerdem das Ergebnis der politischen Situation des aufkommenden Absolutismus und der patriarchalischen Struktur des sozialen Lebens in Mitteleuropa, die mehr Raum ließ für persönliche Beziehungen und Akte schöpferischer 203

Liebe als eine Gesellschaftsstruktur, in der die menschlichen Beziehungen hauptsächlich durch abstrakte Gesetze bestimmt sind. Die Schwächen von Luthers Sozialethik sind im Blick auf unsere heutige Massengesellschaft überbetont worden. In grotesker Übertreibung wurde die gesamte deutsche Geschichte, einschließlich des Militarismus und Nationalsozialismus, von Luthers Staatslehre hergeleitet. Es wäre daher jetzt an der Zeit, nach der wahren Haltung Luthers zu fragen, und zwar einerseits im Hinblick auf das angelsächsische Rechtsdenken und andererseits im Blick auf den nationalsozialistischen Zynismus. Unser neues Verständnis des dynamischen und irrationalen Charakters von Leben und Geschichte, unsere neue Erfahrung von den dämonischen Kräften in den Einzelnen und den Völkern, von ihrem zerstörerischen und zugleich schöpferischen Charakter, machen es nunmehr möglich, die tiefe Lehre des Reformators von der christlichen Kirche neu zu entdecken: die Lehre von der Liebe „fremdem Werk".

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D I E L E H R E VON D E R I N K A R N A T I O N IN N E U E R D E U T U N G I. Die Lehre von der Inkarnation bezieht sich auf ein Ereignis, das sidi tatsächlich einmal vollzogen hat und als solches unabhängig davon ist, wie wir es deuten. Die Lehre von der Inkarnation setzt dieses Ereignis voraus und versucht, es zu deuten. Das Ereignis geht der Deutung voraus, wie auch die Natur aller Naturwissenschaft vorausgeht. Diese Auffassung ist unvereinbar mit der Ansicht, daß die Inkarnation sich aus unserer religiösen Erfahrung oder einer zeitgemäßen Deutung unserer Existenz ableiten lasse oder daß ihr etwas zugrunde liege, das durch eine gründliche Analyse der menschlichen Situation oder der Struktur unserer Welt gefunden werden könne. Inkarnation ist aber auch kein universaler Begriff, keine Vernunftwahrheit, wie die Aufklärung meinte, und auch keine Idee, die der essentiellen menschlichen Natur entspricht, wie die klassische deutsche Philosophie meinte. Auf der einen Seite ist die Inkarnation ein Ereignis mit allen Charakteristika eines „Ereignisses in Raum und Zeit", nämlich, daß es nur einmal stattfand, unwiederholbar ist und nur in einer besonderen Situation und in einer besonderen, einzigartigen und einmaligen Weise möglich war, kurz, eine Sache, über die man berichtet, und nicht ein Gegenstand der Analyse oder der Deduktion. Auf der anderen Seite ist die Inkarnation ein Ereignis von universaler Bedeutung, das Ganze des Seins betreffend, ein Ereignis, das die Bedingungen unserer Existenz im ganzen verändert. Darum muß die Inkarnation mit universalen Begriffen erfaßt werden. Ohne eine solche Deutung würde sie ein Denkhindernis sein, unserem Geist völlig fremd und unzugänglich und daher ohne wirkliche Bedeutung für uns. Sie würde vielleicht nur eine Verbindung von Worten mit numinosem Anklang sein, allenfalls brauchbar in der Liturgie in Verbindung mit Musik, Kerzen und Weihraud». Damit könnte sie aber niemals in das Innere unseres Bewußtseins treten und eine Grundlage für Denken und Handeln schaffen. Vielleicht erweist sich die „schlichte" christliche Botschaft, die im Gegensatz zum theologischen Denken gerühmt wird, als nichts anderes als eine veraltete und popularisierte Form einer theo-

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logischen Auffassung, wie sie fünfzig Jahre früher in Geltung war. Die Theologie sollte sich nicht durch solche Angriffe von ihrer strengen und schwierigen systematischen Aufgabe abschrecken lassen. Aber sie sollte andererseits bedenken, daß theologische Interpretation ihren Gegenstand nicht erschafft, sondern durch ihn erst möglich geworden ist. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Lehre von der Inkarnation einer neuen Deutung bedarf. Ich muß bekennen, daß mir erstmalig in Amerika die Bedeutsamkeit aufgegangen ist, die der Inkarnationsbegriff besonders für die Theologie und Liturgie der protestantischen Episkopalkirche hat. Aber trotz des religiösen und theologischen Gewichts, das man hier der Inkarnation gibt, fiel es mir schwer, eine klare und umfassende Deutung des Inkarnationsbegriffes zu finden. Ich fand es außerdem in zunehmendem Maße verdächtig, daß viele Menschen den Begriff der Inkarnation in einer mythologisdien, beinahe abergläubischen Weise gebrauchen: Inkarnation bedeutete für sie die Verwandlung eines göttlichen Wesens in ein menschliches Wesen, ein polytheistischer Mythos, den wir überall im Heidentum wiederfinden, der aber unvereinbar ist mit der tiefsten Wahrheit der prophetischen Offenbarung. Der Gott, der alles Seiende erschafft, erhält und übersteigt, ist nicht selbst ein Seiendes, auch nicht das höchste Seiende. Er kann niemals als Subjekt einer Verwandlung erfahren werden, und er hat auch nicht die Struktur eines Dinges mit Eigenschaften, die verwandelt werden könnten. Die Mythologie der göttlichen Verwandlung hat meist ein richtiges Gefühl für diesen Sachverhalt und bezieht sich darum auf etwas über allen Gestalten, in die sich die göttlichen Wesen kleiden; sie setzt ein wirklich Göttliches, das über den menschlichen und göttlichen Wesen steht, die ineinander verwandelt werden. Die sich verwandelnden Götter sind weniger als das „Absolute", das „ewige Schicksal", das „ewige Eine" oder das „ewige Brahman". Daraus folgt, daß Götter dieser Art nur eine relative Göttlichkeit besitzen; sie sind Halbgötter, Heroen oder Dämonen wie der Logos-Gott des Arius. Als die christliche Kirche den Arianismus verwarf, war das zu gleicher Zeit die Ablehnung jener Vorstellung, nach der Inkarnation die Verwandlung eines göttlichen Wesens in ein menschliches Wesen ist. Und doch erhebt sich die Frage: Gibt es nicht Anzeichen dafür, daß Paulus und Johannes das Wesen des historischen Jesus in einer Weise auffassen, die man als halbmythologisch bezeichnen muß? Ich meine, das kann nicht geleugnet werden. Das präexistente geistige Wesen (Phil. 2,5-11), das sich seiner göttlichen Gestalt und Macht entäußert und Knechtsgestalt annimmt und von Gott erhöht wird, der ihm einen 206

N a m e n gibt, der über allen N a m e n ist; dieses Wesen, das in seinem präexistenten Zustand eine sittliche Entscheidung trifft, ist sicher nicht selbst Gott, sondern ein göttliches Wesen. Die Entscheidung, nicht Gott gleich sein zu wollen, sondern „sich selbst zu entäußern", wird als übergeschichtliches mythologisches Ereignis dargestellt, und das gleiche gilt von seiner Erhöhung zur Würde des „ H e r r n " . Die Art und Weise, wie die drei Seinsweisen unterschieden und beschrieben werden, ist mythologisch: Es werden die drei Modi der Zeit verwandt, um den Schicksalsablauf eines göttlichen Wesens zu beschreiben. U n d auch bei Johannes lesen wir: „Der logos war bei Gott." Seine Aufgabe war es, zur Schöpfung zu vermitteln. Der logos trat in die Welt ein, die durch ihn „gemacht" war, die ihn aber „nicht erkannte" und „nicht aufnahm". Hier ist das mythologische Element weitgehend herabgemindert durch die Wendungen logos, Leben und Licht, die die göttliche Selbstverwirklichung durch die Schöpfung und in der geschaffenen Welt symbolisch wiedergeben. Aber das mythologische Element ist nicht völlig verschwunden: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns." Das göttliche Wesen, das wie Gott Geist ist, wird Fleisch, aber ohne damit aufzuhören, der logos zu sein. „Im Fleisch sein" ist nur ein Übergangsstadium wie das Wohnen in einem Zelt. „Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt, wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater." (Joh. 16,28) Hier ist ganz offensichtlich der Gedanke der Manifestation entscheidend und nicht der Gedanke der Transformation. „Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat es uns verkündigt." (Joh. 1,18) Das göttliche Wesen, von dem Johannes spricht, ist ein göttliches Prinzip, in dem die mythologischen Elemente der Präexistenz so stark überwunden sind, daß sich von hier aus die spätere Logos-Lehre entwickeln konnte. Sie bedeutet einen entscheidenden Schritt über Paulus hinaus. Aber bei Paulus selbst ist ein Element, das f ü r meine eigene Inkarnationslehre von besonderer Wichtigkeit ist. Wenn es zutrifft, was Dibelius und andere meinen, d a ß die alte Idee vom „ersten Menschen" oder dem „Menschen von oben" im Hintergrund des diristologischen Hymnus (Phil. 2) steht, so würde das von unmittelbarer Bedeutung f ü r die Lehre von der Inkarnation sein. Aber wie vorsichtig wir auch die Idee des „ersten Menschen" im Judentum und ihren Einfluß auf die Idee vom Menschensohn und ihre Verschmelzung mit der Messiasidee beurteilen mögen („es kam einer in des Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn, seine Gewalt ist ewig." Dan. 7,13 u. 14), so können wir doch

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nicht eine solche Stelle wie 1. Kor. 15, 45-49 übersehen, w o Paulus schreibt: »Der erste Mensch, Adam, ,ward zu einer lebendigen Seele', und der letzte Adam zum Geist, der da lebendig macht. Aber der geistliche Leib ist nidit der erste, sondern der natürliche, darnadi der geistliche. Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der andere Mensch ist der H e r r vom Himmel. Welcherlei der irdische ist, soldierlei sind auch die irdisdien; und welcherlei der himmlische ist, solcherlei sind auch die himmlischen. U n d wie wir getragen haben das Bild des irdischen, also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen." Hier werden folgende Stadien beschrieben: Das erste Stadium ist das des himmlischen Menschen, der vor seinem Kommen geistlich und unsterblidi war; dann kommt der irdische Mensch Adam, der dem T o d unterworfen ist und den Tod in die Welt bringt, und diesem wiederum folgt der himmlische Mensdi, der den T o d überwindet. Der Nachdruck, den Paulus in geradezu polemischer Weise auf die Abfolge dieser drei Stadien legt, zeigt seine Auffassung, nach der der „Mensch von oben" in einer geschichtlichen Gestalt nach Adams Sündenfall erscheint, ein Gedanke, der im heidnischen Mythos vom „ersten Menschen" nicht vorkommt und auch nicht aufkommen konnte. Daraus ergibt sich, daß die biblisdie Lehre von der Inkarnation nicht bedeutet, Gott selbst sei Mensch geworden, sondern daß ein göttliches Wesen, entweder der himmlische Mensch oder der präexistente Christus oder der göttliche logos, in der Gestalt eines physischen oder fleischlichen Menschen erscheint. Das heißt also, daß Gott nicht selbst Mensch wird, sondern daß ein göttliches Wesen mit menschlichen Eigenschaften, der geistliche oder der himmlische Mensch, ein sittliches Wesen, das die Selbstentäußerung gewählt hat, oder die schöpferische Vernunft und das schöpferische Wort in Raum und Zeit erscheint und dem Gesetz des Fleisches und der Sünde, d.h. der menschlichen Existenz unterworfen ist. Das Paradox der Inkarnation ist nicht, d a ß Gott Mensch wird, sondern, daß ein göttliches Wesen, das Gott vertritt und ihn in seiner Fülle offenbaren kann, in einer Gestalt erscheint, die im äußersten Gegensatz zu seiner göttlichen, geistlichen und himmlischen Form steht. Nicht die Einheit von Unendlichem und Endlichem begründet das P a radox der Inkarnation, sondern die Erscheinung des „ersten", des „himmlischen Menschen" als Mensch dieser Welt oder die Manifestation der universalen schöpferischen Vernunft in der individuellen erschaffenen Vernunft oder des geistlichen, präexistenten Christus im empirischen und geschichtlichen Christus. Das mythologische Element der biblischen Lehre von der Inkarnation machte es möglich, sie als die Selbstmanifestation Gottes in der Existenz zu verstehen. G o t t manife208

stiert sich durdi ein göttliches Wesen - halb wirkliches Sein und halb Prinzip - , das zu Gott gehört und trotzdem einige wesentliche menschliche Züge zeigt. Was die Lehre von der Inkarnation ausdrücken will, ist also die ursprüngliche Gott-Mensch-Einheit oder der geistliche Gott-Mensdi oder der himmlische Mensch oder die schöpferische Vernunft, an der der Mensch als Ebenbild Gottes teilhat und die ihn darum erleuchten kann. Mythologisch gesprochen besteht eine ursprüngliche „präexistente" Beziehung zwischen Gott und Mensch. Endlichkeit und Unendlichkeit sind jedoch korrelative Begriffe: ihre Einheit ist nicht paradox, sondern, wenn ich den vielfach mißbrauchten Begriff benützen darf, dialektisch, was bedeutet, daß die eine Seite notwendig die andere bedingt in wechselseitiger Abhängigkeit.. Es gibt keine Gottesvorstellung, die nicht in diesem Sinne dialektisch wäre. Die Dialektik kommt gewöhnlich zum Ausdruck als die Spannung zwischen einem vermenschlichten und einem unbedingten Element im Gottesbild: Gott wird einmal als das höchste Wesen begriffen und symbolisch mit halbmenschlichen Zügen besdirieben, und gleichzeitig wird von ihm gesagt, daß er über jede Vorstellung erhaben ist, selbst über die eines höchsten Seienden und die des höchsten Wertes. Alle solche Vorstelungen sind dialektisch, aber nicht paradox und gehören zu jeder Idee, die den lebendigen Gott begreifen will. Aber die Idee der Inkarnation ist durchaus anderer Art. Sie ist nicht dialektisch. Sie wird nicht gefordert als der immanente Pol in einer Spannung zur göttlichen Transzendenz. Hegel und die klassische deutsche Philosophie begingen den Fehler, die dialektische Beziehung zwischen dem Endlichen und Unendlichen mit der paradoxen Lehre der Inkarnation zu verwechseln. Sie waren zwar im Recht in bezug auf den Gottesbegriff, wenn sie die dialektische Abhängigkeit von Endlichem und Unendlichem betonten, während Barth und seine Schule im Unrecht sind, wenn sie diese gegenseitige Abhängigkeit leugnen. Aber in bezug auf die Inkarnationslehre sind die Barthianer im Recht, wenn sie deren dialektischen Charakter betonen, während die deutsche klassische Philosophie und die von ihr beeinflußten Theologen in diesem Punkt im Unrecht sind. Die Einsicht, daß das Paradox der Inkarnation unterschieden werden muß von der Dialektik von Endlichem und Unendlichem, befreit die Christologie aus dem Engpass, in den sie durch die Zweinaturenlehre geraten war. Man ist nach ihr genötigt, die volle Menschlichkeit des Christus als kenosis (Selbstentäußerung) zu erklären, entweder, indem man sagt, der Christus entäußert sich seiner unendlichen göttlidien Macht, die er potentiell besitzt, oder, indem man behauptet, er verhüllt seine tatsächlich vorhandene Macht. Das führt aber zu einer 209

Christologie voller Absurditäten und zeigt, daß der Ausgangspunkt falsch war. Die Christologie ging in dem Augenblick in die Irre, als das mythologische Element in der biblischen Erzählung von dem transzendenten Ursprung Christi ausgemerzt und statt dessen eine rationale Deutung im Sinne der Logos-Lehre versucht wurde. Allerdings war dieser Deutungsversuch nicht zu umgehen, weil sidi die mythologischen Elemente in dem Augenblick als gefährlich erwiesen, als sie sich auf ursprünglich heidnischem Boden verbreiteten, wo die monotheistischen Sicherungen des Alten Testaments den polytheistischen Tendenzen nicht entgegenwirken konnten. Der Prolog des vierten Evangeliums ist der erste Sdiritt in der Richtung einer solchen Rationalisierung. Wir haben hier den Versuch, die Absolutheit des Christus gegenüber relativistischen heidnischen Tendenzen zu verteidigen. Je stärker in der folgenden Entwicklung die Wesensgleichheit (homoousios) von Gott und Christus betont wurde (was notwendig war gegenüber dem Heroen-Kult des Arianismus), desto mehr wurde das Problem der Paradoxie in der Inkarnationslehre vermengt mit dem Problem des dialektischen Verhältnisses von Endlichem und Unendlichem. In dieser Hinsicht war die klassische, griechische Theologie ein Vorläufer der klassischen deutschen Philosophie. Beide konnten sie nicht begreifen, daß die Inkarnation das Paradox der essentiellen Gott-Mensch-Einheit ist, die sich verwirklicht unter den Bedingungen menschlicher Existenz, was der ursprünglichen GottMensch-Einheit widerspricht. Wahrscheinlich konnten beide Formen der „Klassik" das Problem in dieser Weise nicht begreifen, weil sie zwischen Essenz und Existenz nicht unterschieden, d. h. zwischen dem, was der Mensch gemäß seiner essentiellen, „geistlichen" und „himmlischen" Natur und was er seiner existentiellen, „fleischlichen" und „irdischen" Natur nach ist. Sie sehen nicht, daß dies das Hauptproblem der Theologie überhaupt und der Christologie im besonderen ist. Statt dessen stand in der Lehre von der Inkarnation das metaphysische Problem des Verhältnisses von Endlichem und Unendlichem im Vordergrund und nicht das soteriologische Problem der in der Existenz erscheinenden essentiellen Gott-Mensch-Einheit. Athanasius war hier eine Ausnahme, aber dafür ist seine Lösung in metaphysischer Hinsicht höchst unbefriedigend. Diese biblischen und historischen Betrachtungen deuten die Möglichkeit eines neuen Ansatzpunktes für die Deutung der Inkarnation an. Ein solcher Deutungsversuch müßte einerseits die fast unausweichlichen Absurditäten vermeiden, die sich ergeben, wenn man mit einer Art höherer Chemie das Verhältnis von Endlichem und Unendlichem im 210

Christus zu lösen versucht, und er müßte andererseits den Fehler des Hegelianismus vermeiden, der das Paradox der Inkarnation auf dialektische Notwendigkeit zurückführt.

II. Die Inkarnation ist das Offenbarwerden der ursprünglichen und essentiellen Gott-Mensdi-Einheit unter den Bedingungen der Existenz. Wenn ich das ausspreche, möchte ich nochmals betonen, daß sich diese Aussage im Rahmen des biblischen Denkens bewegt, während die Behauptung, daß Gott Mensch geworden ist oder Fleisch und Blut angenommen hat, auf keinen Fall biblisdi ist. Der transzendente Mensdiensohn, der „himmlische Mensch", der „geistliche Mensch", der „logos* wurden zum immanenten Menschensohn, zum irdischen Menschen, zum geschichtlichen Menschen, zum Menschen aus Fleisch und Blut. Mit dieser Aussage müssen wir unsere Deutung beginnen, und zwar müssen wir in der Weise vorgehen, daß wir die mythologische, liturgisdie und numinose Ausdrucksweise in eine rationale und theologisdie Form bringen. Vorerst ist es notwendig, einige Begriffe zu erörtern, die wir in der allgemeinen Grundlegung gebraucht haben. Der erste dieser Begriffe ist existentielles und essentielles Sein. Ich möchte midi bei ihrer Definition auf eine meiner früheren Vorlesungen über „Die Existenz und der Christus" beziehen. Dort heißt es erstens, Existenz bedeutet zunächst einmal Sein im Untersdiied zum Nichtsein; zweitens, Existenz bedeutet Sein in Raum und Zeit im Untersdiied zum essentiellen Sein; drittens, es besteht anscheinend ein Gegensatz zwischen Existenz und Essenz, der das eigentliche Problem der Existenz darstellt. In gewissen philosophischen Richtungen unserer Zeit, besonders unter dem Einfluß von Kierkegaard, hat der Begriff Existenz eine bestimmte Färbung angenommen. Er umfaßt mehr als die Aussage, daß etwas in den Zusammenhang der Bedingungen von Zeit, Raum, Kausalität und den übrigen Kategorien der Endlichkeit gehört. Er besagt, daß eine Beschreibung unseres essentiellen Seins niemals auf unsere wirklidie Situation zutrifft, die gerade dadurch bestimmt ist, daß sie unserem essentiellen Sein widerstrebt. Der deutsche Idealismus wie der Positivismus in England und Frankreich versuchen, das Sein als essentielle Notwendigkeit zu charakterisieren. Aber sie verfehlen dabei die wesentlichste Aussage des Existentialismus, nämlich, daß die Macht des Seins, im besonderen die Macht des menschlichen Seins, die Grenzen des essentiel211

len Seins zu durchstoßen vermag. Der Idealismus hat vom Menschen ein Bild gezeichnet, nach dem die menschliche Existenz und die Existenz im allgemeinen die notwendige Verwirklichung von dem sind, was der Mensch und seine Welt essentiell sind: der Unterschied von Existenz und Essenz ist letztlich nur ein Unterschied der Entwicklung und nicht der Qualität. Der Positivismus hat ein Bild vom Menschen gezeichnet, in dem die menschliche Existenz und die Existenz im allgemeinen den Charakter der Notwendigkeit haben, ohne daß es ein Zurückbleiben hinter dem essentiellen Charakter des Menschen und seiner Welt gibt. Der Positivismus erkennt den Unterschied zwischen essentiellem und existentiellem Sein nicht an, nicht einmal in der gemäßigten Form, wie es der Idealismus tut. Darum hat der Positivismus keinen Maßstab für die tatsächliche menschliche Existenz, während ihn der Idealismus im Begriff der essentiellen Natur des Menschen besitzt. Aber er sieht nicht den tiefen Gegensatz zwischen Essenz und Existenz. Das Christentum dagegen hat einen treffenden Begriff sowohl von der essentiellen Natur des Menschen wie von seiner Existenz, und es kennt den radikalen Unterschied zwischen beiden. Das ist der Grund für die Unmöglichkeit, eine Lehre von der Inkarnation oder irgendeine andere Lehre im Christentum in idealistischer oder positivistischer Weise zu entwickeln oder eine der unzähligen Verbindungen beider dabei zu Hilfe zu nehmen. Es gibt keine Lehre von der Inkarnation, wenn nicht die Freiheit des Menschen, seiner essentiellen Natur zu widersprechen, und das menschliche Schicksal, unter der Knechtschaft dieses Widerspruchs zu stehen, recht begriffen werden. Auf solchem Verständnis jedoch und mit Hilfe der entsprechenden philosophischen Kategorien kann eine neue Deutung der Inkarnationslehre versucht werden. Die Inkarnation ist die Manifestation essentieller Gott-Mensch-Einheit in der Existenz und unter den Bedingungen der Existenz, ohne daß sie dabei ihren essentiellen Charakter verliert. Die Erklärung dieser Paradoxie und ihre Folgen für die Umwandlung der Existenz ist die Aufgabe der Lehre von der Inkarnation. Diese Lehre muß damit beginnen, daß sie das essentielle Sein als essentielle Gott-Mensch-Einheit darstellt. Eine solche Darstellung kann nur bruchstückhaft und negativ gegeben werden, weil wir nicht wissen, was der Mensch und seine Welt ursprünglich und essentiell sind. Wir haben kein vollständiges Bild einer solchen Welt, sondern nur vereinzelte Einsichten, Gebote und Urteile, die sich gegen unsere existentielle Situation richten. Das Gewissen z.B. gibt uns Zeugnis von einer anderen Seinsordnung, und unser Verlangen nach einem Zustand, der die Tragik unserer Existenz hinter sich läßt, führt zur Vorstellung 212

von einem vergangenen oder zukünftigen Paradies, einem zurückliegenden oder zu erwartenden Utopia. Wir wissen, daß die zerreißenden und widerstrebenden Elemente der Existenz essentiell zu einer Einheit gehören, einer Einheit von Selbst und Welt einschließlidi der uns fremden und fernliegenden Bereiche unserer Welt, z.B. des anorganischen Bereichs. Und mehr: diese Einheit verbindet unsere gesonderte und einsame Individualität mit der universalen Gemeinschaft, zu der wir alle gehören. Diese Einheit umfaßt vor allem unsere Endlichkeit und unsere Unendlichkeit, unsere Vergänglichkeit und unsere Ewigkeit, unsere Zufälligkeit und unser schöpferisches Vermögen, unsere Trauer und unseren Mut, unsere Befindlichkeit, wie sie allen Geschöpfen eigen ist, und unser Sein in der Mitte der Welt, die uns über alles Seiende hinaushebt. Wir wissen, daß diese Einheit unser essentielles Wesen ausmacht. Wir wissen, daß auch noch im existentiellen Zustand der zerrissenen Einheit ein Rest ihrer ursprünglichen Kraft die Existenz trägt. Wir wissen das, weil diese Einheit uns als Gesetz und Gebot erscheint, als Gericht und Drohung, als Verheißung und Erwartung. Aber sie erscheint niemals als Sein, als Neues Sein, das den Gegensatz zwischen existentiellem und essentiellem Sein überwindet, das Gesetz und Drohung und bloße Erwartung überwindet - mit einer Ausnahme: in der Inkarnation. Oder, um es noch klarer zu sagen: die Inkarnation ist die Manifestation dieser Einheit als Neues Sein gegenüber Essenz und Existenz. Das Neue Sein steht über der Essenz, weil es aktuelle Wirklichkeit ist. Es ist eine Tatsache, während das essentielle Sein als solches nur potentiell und nicht aktuell ist. Die Beschreibung der Kluft zwischen Essenz und Existenz setzt nidit voraus, daß der Mensch in seinem essentiellen Sein oder essentielles Sein als solches irgendwann einmal in der Vergangenheit oder irgendwo in der Welt existiert haben; essentielles Sein ist potentiell und nicht aktuell. In dem Moment, da es sidi verwirklicht (der kein Moment in der Zeit ist), ist sdion die existentielle Situation gegeben. Der Ubergang von der Essenz zur Existenz, in weldien mythischen Wendungen er auch symbolisch formuliert werden mag, ist der Ubergang von der Potentialität zur Aktualität. Der »Fall" des Menschen, sowohl in christlicher wie auch in nichtchristlicher mythologischer Darstellung, ist die Voraussetzung der Existenz. Es gibt keine Existenz vor der Existenz und keine aktuelle Wirklichkeit vor dem „Fall". Wir dürfen nicht die der Zeit verhafteten Symbole des Mythos mit der ontologischen Beziehung von Essenz und Existenz verwechseln. Unsere empirische Welt ist die einzig existierende Welt, aber gerade 213

diese empirische Welt birgt in sich den seltsamen Widerspruch zwischen dem, was sie aktuell, und dem, was sie essentiell ist. Die empirische Welt hat einen tragischen Charakter, weil die Widersprüche, die zu Selbstzerstörung und Tod treiben, notwendig zu ihr gehören. Aber tragische Notwendigkeit ist das Gegenteil von natürlicher Notwendigkeit. Sie ist verbunden mit Schuld und infolgedessen mit Freiheit. Ohne Freiheit könnten essentielles und existentielles Sein nidit unterschieden werden, und weder Idealismus noch Positivismus sind in der Lage, die geheimnisvolle Verbindung von Freiheit und Notwendigkeit im tragischen Charakter der Existenz zu erklären. Allein die Unterscheidung von Essenz und Existenz befähigt uns dazu; und das allein berechtigt uns, diese beiden Kategorien in der Theologie zu verwenden. Das Neue Sein, das eine Schöpfung der Inkarnation ist, steht über dem essentiellen Sein, weil es aktuell und nidit bloß potentiell ist, und gleichzeitig steht es über dem existentiellen Sein, weil es essentielles Sein oder essentielle Gott-Mensch-Einheit in die Existenz bringt. Die Gleichsetzung von essentiellem Sein mit essentieller GottMensch-Einheit bedarf weiterer Erklärung. Zum Menschen in seiner Essenz gehört die Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit, und genau diese Einheit meine ich, wenn ich von Gott-Mensch-Einheit spreche. Ich habe dieses Wort gewählt, weil es ein Ausdruck für die dialektische wechselseitige Abhängigkeit von Endlichem und Unendlichem ist. Der Mensch ist das einzige Wesen, das echte Endlichkeit besitzt, weil er das einzige Wesen ist, das potentielle Unendlichkeit besitzt, denn Endlichkeit ist sinnvoll nur in Wechselbeziehung mit Unendlichkeit und umgekehrt. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß Endlichkeit und Unendlichkeit eine Vermischung zulassen, denn dialektische wechselseitige Abhängigkeit ist genau das Gegenteil von Vermischung. Barth hat Recht, wenn er darauf besteht, daß Gott im Himmel und der Mensch auf Erden ist, daß Gott der Schöpfer und der Mensch Geschöpf ist, aber er ist nicht im Recht, wenn er diese beiden Behauptungen einfach nebeneinander stellt, ohne die dialektische Beziehung zwischen ihnen zu untersuchen. Barths Denken ist nicht im eigentlichen Sinne dialektisdi, und diesen Mangel teilt er mit der liberalen Theologie, die er bekämpft. Wenn man aber dialektische Begriffe bei der Beschreibung der Beziehung zwischen Gott, Mensch und Welt vermeidet, ist dem Irrweg des Barthschen Supranaturalismus oder des liberalen Naturalismus Tor und Tür geöffnet. Außerdem muß beachtet werden, daß der Himmel nur im Verhältnis zur Erde Himmel ist und der Schöpfer nur im 214

Verhältnis zum Geschöpf Schöpfer ist. Daraus folgt, daß man von Gott als dem Schöpfer nicht ohne Bezug auf das Gesdiöpf sprechen kann, denn Göttlichkeit und Gesdiöpflichkeit können nicht voneinander getrennt werden. Wenn man das verstanden hat, verliert der biblische Gedanke des „ewigen Menschensohns", des „himmlischen Menschen", des „Christus im Geist", des „ewigen Wortes" oder der „ewigen Vernunft" und unsere Gleichsetzung von essentiellem Sein und essentieller Gott-Mensch-Einheit ihre Befremdlidikeit. Sie bedeuten einfach, daß göttliche Selbstverwirklidiung und essentielles Menschsein zusammengehören, weil der Mensch seinem eigentlichen Wesen nach das Ebenbild Gottes ist. Der Anthropomorphismus enthält eben ein unwiderlegbares Element der Wahrheit. Aus dem Gesagten folgt, daß sich die essentielle Gott-Mensch-Einheit innerhalb der Existenz nur in einem menschlichen Wesen und seinem Leben zeigen kann. Die Frage der Scholastiker, ob die Inkarnation auch in einem nicht-menschlichen Wesen hätte geschehen können, ist ganz unerheblich. Die essentielle Gott-Mensch-Einheit kann sich nur in einem wirklichen Menschen manifestieren, nicht in einem Halbgott und auch nicht in einem Tier. Darin besteht das humanistische Element der Lehre von der Inkarnation. Sie ist essentielle Menschlichkeit und darum essentielle Gott-Mensch-Einheit, die als Neues Sein erscheint, als ein Sein, das über Essenz und Existenz steht. Eine Christologie, die den Gedanken der essentiellen Gott-Mensch-Einheit nicht in sich aufnimmt, ist eine falsche Christologie und führt notwendig zu einer barbarischen und entmenschlichten Form von Christentum. Sie endet Im Fanatismus und begreift den Gott der Inkarnation als einen willkürlich schaltenden Tyrannen. Das Neue Sein, das durch die Inkarnation geschaffen ist, steht über dem existentiellen Sein, weil es den Zwiespalt zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, der die Existenz kennzeichnet, ebenso überwindet wie die anderen Spaltungen, die die Einheit des essentiellen Seins gefährden. Der Sieg des Neuen Seins über die Existenz, und zwar im Rahmen der Existenz, ist das Paradox der Inkarnation. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Erörterungen will ich nun die wirkliche Bedeutung und das Eigentümliche der Inkarnation darstellen.

III. Die christliche Botschaft sagt, daß Jesus der Christus ist und als solcher der Ort, an dem sich essentielles Sein in der Existenz inkar215

niert hat. Essentielle Gott-Mensdi-Einheit ist in dem Menschen Jesus geschichtliche Gott-Mensch-Einheit geworden, und darum wird Jesus als der Christus bezeichnet. Das Paradox der Inkarnation ist das Bild des Mensdien Jesus als des Christus, das Bild essentieller Gott-MenschEinheit, die in der Existenz und unter den Bedingungen der Existenz erscheint, aber ohne dabei ihren essentiellen Charakter zu verlieren. Darum schafft sie in der Existenz eine neue Wirklichkeit, die die Macht in sich trägt, die Existenz zu verwandeln. Das Neue Sein, wie es offenbar ist in dem Bilde Jesu als des Christus, verkörpert die essentielle Einheit zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit oder die unzerreißbare Einheit zwischen Mensch und Gott. Es repräsentiert die essentielle Einheit zwischen Individualität und Universalität oder die unverlierbare Zusammengehörigkeit von Liebe und Erkennen. Es verkörpert die essentielle Einheit zwisdien Zufälligkeit und Schöpferkraft oder den freien Obergang von Angst in Mut und von Sterblichkeit in Ewigkeit. All dies ist verkörpert und sichtbar in dem Bilde Jesu als des Christus. Es wäre unangemessen, das Neue Sein im Christus in negativen und statischen Ausdrücken zu beschreiben, z. B. als „Sündlosigkeit" oder „Freiheit von Irrtum". Sein Bild zeigt uns zutiefst die unzerstörbare Einheit alles dessen, was wir als „essentielle Einheit" dargestellt haben. Wir sehen keine Spur von Verzweiflung oder Getrenntsein von Gott in diesem Bild, keine Absicht der Auflehnung des Endlichen gegen seine Zugehörigkeit zum Unendlichen (die grundlegende Eigenschaft alles Existierenden), keine Züge selbstischer Begierde, z. B. als Wille zur Macht oder als Lusttrieb, die ihre Träger in Widerspruch zu ihren Mitmenschen bringen und die Einheit und Geschlossenheit der Persönlichkeit sprengen würden. Das, was an ihm endlidi ist, ordnet er dem Unendlichen unter, und die Liebe bestimmt sein Leben in jedem Augenblick. So ist das Bild des Neuen Seins, das uns gegeben wurde, und es gibt keine Veranlassung, es zu hinterfragen und im Interesse theologischer Forschung gleichsam ein „photographisch getreues Bild" herzustellen, um das religiöse Bild zu ergänzen. Ein historisch echtes Bild in diesem Sinne hat es niemals gegeben, weder von Jesus nodi von den Aposteln; das Bild, das es von Anfang an gab, war schon verquickt mit dem Versuch der Deutung, die dem Wunsch entsprang, das „Numinose" begreiflich zu machen. Und es war dieses Bild und kein anderes, das seine Kraft erwies, die Existenz zu wandeln. Was auch immer die wissenschaftliche Forschung herausfinden mag, z. B. die Herausarbeitung gesicherter historischer Tatsachen, es bleibt bestehen, daß das 216

Neue Sein, das in Jesus Christus verkörpert ist, sidi in dem religiösen Bild zeigt, das zu allen Zeiten die Grundlage der christlichen Verkündigung war. Die Inkarnation ist die Erscheinung essentieller GottMensdi-Einheit in dem Bilde Jesu als des Christus. Die Inkarnation ist ein geschichtliches Ereignis und ereignete sich nur einmal in Raum und Zeit. Von Anfang an spielte bei dem Verständnis dieses Ereignisses historische Treue eine ganz unwesentliche Rolle gegenüber der Auffassung, daß die Erscheinung des Christus als die Inkarnation zu gelten habe. Was sich tatsächlich ereignet hat, wissen wir nicht, aber das religiöse Bild, das von diesem Ereignis geprägt wurde, hat sich als eine Kraft erwiesen, die die Existenz zu wandeln vermag. Diese Betrachtungsweise müssen wir bei unserem Deutungsversuch der Inkarnation unbedingt festhalten, und es ist meine Hoffnung, daß dabei die falsche Auffassung vermieden wird, als sei das Bild des Neuen Seins in Jesus als dem Christus eine Schöpfung unseres existentiellen oder empirischen Denkens. Wenn dies der Fall wäre, wäre es ebenso entstellt und schuldbeladen wie die Existenz selbst, und dann könnte es die Existenz nicht überwinden. Das religiöse Bild des Neuen Seins in Jesus ist dagegen eine Schöpfung des Neuen Seins selbst, es stellt den Sieg über die Existenz dar, einen Sieg, der wirklich stattgefunden hat und nur darum das Bild schaffen konnte. Es muß noch etwas gesagt werden über das Verhältnis des Neuen Seins zum essentiellen und existentiellen Sein, denn der Begriff des Neuen Seins spielt in der Lehre von der Inkarnation eine wichtige und vielseitige Rolle: Erstens eröffnet er ein neues Verständnis für Jesus als den Christus, denn er besagt, daß Jesus in der Totalität seines Seins der Christus ist, und nidit nur in bezug auf einzelne Wesensäußerungen. Weder seine Worte an sich noch sein inneres Erleben oder sein Handeln noch sein Leiden an sich machen ihn zum Christus, sondern das Neue Sein, das in diesem allen zum Ausdruck kommt. Seine Worte allein würden ihn zu einem heiligen oder sittlichen Vorbild machen, sein Leiden allein würde ihn als Märtyrer oder religiöses Genie erweisen, aber keine dieser Betrachtungsweisen versteht ihn als das Neue Sein oder als den Christus. - Zweitens besagt der Begriff Neues Sein, daß unsere Existenz tatsächlich verwandelt ist. Er bringt eine Wirklichkeit zum Ausdruck und steht darum gegen die Auffassung, als sei der Christus ein neues Gesetz, ein verfeinertes Gebot oder eine neue Deutung des Lebens, die das Leben selbst unverändert läßt. Das Neue Sein ist eine Wirklichkeit, die weder durch eine richtige philosophische Theorie noch durch eine ursprüngliche religiöse Erfah217

rung hervorgebracht werden kann. Es ist ein Ereignis, wenn es auch niemals zum Ereignis hätte werden können ohne die Menschen, die es als Ereignis erfuhren. Der Begriff Neues Sein schließt die Auflösung des Ereignisses in idealistisdier oder subjektivistisdier Weise aus, wie es in der Lehre von der Inkarnation oft geschehen ist. - Drittens, der Begriff Neues Sein bezeichnet die Realität der Inkarnation vom Standpunkt dessen, der jenseits des Gegensatzes von Essenz und Existenz an ihr partizipiert. Das gilt für das Leben des Einzelnen ebenso wie für die Geschichte, denn „Sein in Christo" bedeutet eine „Neue Kreatur" sein, und ein Christ sein bedeutet, am Neuen Sein teilzuhaben, das als Wirklichkeit in der Geschichte erschienen ist. Teilnahme am Neuen Sein ist nur möglich, indem man von ihm aufgenommen wird, aber nicht, indem man sich bemüht, es selbst herzustellen. Jeder solche Versuch würde nur die widerstreitenden und tragischen Elemente der Existenz aufs neue hervorkehren. Aus diesem Grunde ist der Begriff Neues Sein von besonderer Wichtigkeit für die Deutung der Kirche als der Wirklichkeit, in der die Existenz überwunden ist, ohne daß eigenes religiöses Tun dazu beiträgt. Religiöse Betriebsamkeit mit dem Ziel, Kirche zu schaffen, ist vergebliches Bemühen; sie unterstützt nur die Kräfte der Existenz und verhindert darum das Entstehen von Kirche. Kirdie dagegen ist die geschichtliche Verkörperung des Neuen Seins, das durch die Inkarnation in die Welt gekommen ist. Schon der Begriff Neues Sein bewahrt uns vor jeder Lehre von der Kirche, nach der die Kirche durch Willensentscheidung entsteht. Das Neue Sein geht der Kirche voraus, wie es auch der christlichen Erfahrung vorausgeht. Viertens ist der Begriff Neues Sein auch in eschatologischer Hinsicht bedeutsam. Die Inkarnation ist ein esdiatologisches Ereignis in dem Sinne, daß die Geschichte von ihm ihren Sinn und ihr Ziel erhalten hat. Das Neue Sein, das sowohl essentielles wie auch existentielles Sein überwindet, könnte auch teleologisches oder esdiatologisches Sein genannt werden, in welchem das Sein sich prinzipiell erfüllt hat, weil es auf das Endziel ausgerichtet ist. Wenn die Inkarnation die Erscheinung des Neuen Seins ist, so bildet es die Mitte der Geschichte, d.h., es gibt ihr ihren Sinn und ihre letzte Erfüllung. Was wir unserem Wesen nach sind, ist in der Existenz erschienen, und dadurch ist die Existenz überwunden und die neue Wirklichkeit geschaffen worden. Sie ist nicht nur etwas Neues in der Existenz, sondern das Neue schlechthin, das die Existenz insgesamt überwindet. Dieser eschatologische Aspekt der Inkarnation, der in dem Begriff Neues Sein zum Ausdruck kommt, hat eine innere Beziehung zu dem Begriff „Anfang der Geschichte". Als der Mensch seine existentielle Situation verstand, als 218

Widerspruch und Tragik und als die Sehnsucht, davon befreit zu werden, und als er die Frage nadi einem neuen Sein stellte, erschien das Neue Sein zunächst als Gebot und Erwartung. Jedodi dieser Eindruck als Gebot oder Verheißung besitzt lediglich vorbereitenden Charakter und ist nicht die wirkliche Erlösung selbst. Erst die Inkarnation war die erlösende Wirklichkeit. Von keinem anderen Ereignis vorher oder nachher kann dies gesagt werden. Damit bin idi am Ende meiner Erörterung. Viele Probleme sind von mir nicht berührt worden. Das ist ein unvermeidbares Mißgeschick jedes systematischen Theologen. Idi habe bewußt viele traditionelle Begriffe der christlichen Theologie vermieden, weil mir scheint, daß jeder Versuch, die christliche Lehre auf neue Weise zu deuten, neue Begriffe benutzen muß. Sonst wäre meine Darstellung keine neue Deutung, sondern bloße Wiederholung. Die von mir in dieser Abhandlung gebrauchten Begriffe sind nach meiner Ansicht geeignet, die Lehre von der Inkarnation auf eine neue Weise verständlich zu machen. Sie sind Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger, ebenso wie das für die griechischen Begriffe gilt, die die frühe Kirche gebrauchte. Wenn sie diesem Zweck nicht mehr dienen, können sie fallen gelassen werden. Die Wirklichkeit, der sie zu dienen haben, bleibt: das Neue Sein im Christus, die Erscheinung der essentiellen Gott-Mensch-Einheit in der Existenz - die Inkarnation.

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DAS N E U E S E I N ALS Z E N T R A L B E G R I F F EINER CHRISTLICHEN THEOLOGIE In dieser Reihe von Rednern, die den Vorteil haben, ein historisches Referat vorlegen zu können, fühle ich mich ein wenig als Fremdling. Im Unterschied zu ihnen soll ich eine systematische Vorlesung halten, bei der die Hilfe eines gegebenen Materials nicht vorliegt. Meine einzige Hoffnung ist, daß sich manche von denen, die hier historisch geredet haben, vielleicht zum Teil in diesem Fremdling selber wiederfinden, weil es keinen Historiker gibt, der nicht - zumindest im Verborgenen Systematiker ist. Was ich tun möchte, ist, diese verborgene Systematik ans Licht bringen für Zustimmung und Widerspruch. Das Thema könnte so verstanden werden, als ob ich meinte, das Neue Sein ist der Zentralbegriif der Theologie. Aber das wäre eine unhaltbare Behauptung. Ich kann nur sagen: das Neue Sein soll der Zentralbegriif der Theologie werden; und idi will versuchen zu begründen, warum idi glaube, daß er es werden soll. Man kann systematische Theologie audi auf andere Art durdiführen, aber ich glaube, die Möglichkeit, die ich hier vorlegen will, hat den Vorteil, zugleich auch für unsere gegenwärtige Situation eine Antwort zu geben. Zu jeder Theologie gehören drei Elemente. Das erste ist theos, Gott, das heißt Gott, sofern er sich mitteilt, das Offenbarungselement. Das zweite ist logos, das vernünftige Wort über das, was Gott mitteilt, wenn er sich mitteilt. Und das dritte ist kairos, der richtige Zeitmoment, in dem der Theologe zu seiner jeweiligen Gegenwart sprechen muß. In keiner systematischen Theologie dürfen diese Elemente fehlen. Wenn das T&eoi-Element, das Offenbarungselement, fehlt, dann haben wir es nicht mit Theologie, sondern vielleicht mit Religionsphilosophie zu tun. Wenn das Logos-Element fehlt, das vernünftige Wort, dann haben wir nicht Theologie, sondern entweder Ekstase oder Unsinn oder beides. Wenn das dritte Element, das ÄiizYos-Element, fehlt, dann haben wir die tote Tradition, wie sie uns so oft in systematischer Theologie dargeboten wird. Im folgenden werde ich erst die beiden Begriffe „das Sein" und „das Neue" behandeln, begründen und, was die Hauptsache ist, verteidigen. Denn ein solcher Versuch, einen Zentralbegriif wie das Neue Sein in der Theologie durchzuführen, stößt naturgemäß auf heftigen Wider220

stand und scharfe Kritik. In einem zweiten Teil will ich einige Andeutungen geben - mehr kann es nicht sein die zeigen, wie diese beiden Begriffe innerhalb der systematischen Theologie durchgeführt werden können. Wenn immer der Seinsbegriff eingeführt wird, dann wird eine universale Frage aufgerissen, die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie. Von der theologischen Seite kann gegen den Seinsbegriff sowohl von der Methode als auch vom Inhalt her der Angriff geführt werden. Wenn er die Methode betrifft, sagt man: Sein ist ein philosophischer Begriff, geschaffen durch menschliches Werk, das Werk des Denkers, und nicht empfangen durch Offenbarung, in jener ekstatischen Erfahrung, die die Selbsterschließung Gottes für das menschliche Bewußtsein bedeutet. Wenn aber menschliches Werk einen Begriff schafft, dann steht dies im Widerspruch zu der Unmöglichkeit, durch irgendein menschliches Werk Gott zu erreichen. Darauf ist meine Antwort: Theologie ist der logos der Offenbarung, ist das vernünftige Wort über das, was in der Offenbarung erscheint. Das vernünftige Wort, der logos, ist rationales Werk, und dies rationale Werk findet sich in jeder Theologie, auch in der antiphilosophischen. Die andere Antwort, die ich gebe, geht tiefer. Ich glaube, daß eine angemessene rationale Darstellung der Selbsterschließung Gottes grundsätzlich darin gegeben ist, daß der Charakter der göttlichen Selbstmitteilung logos ist. Logos ist Vernunft, nicht Verstand. Der Verstand analysiert, die Vernunft vernimmt. In dem Augenblick freilich, wo diese Beziehung umgekehrt wird, wo es der Verstand ist, der durch Argumente an das Göttliche heran will, ist der Sinn des Logos-Gedankens verzerrt. Und darum ist jede Theologie Wagnis und dem Irrtum ausgesetzt - selbst wenn ihre Resultate durch Synoden und andere Autoritäten bestätigt sind. Und trotzdem: man darf rationale Begriffe gebrauchen, man muß sie gebrauchen, und man kann sie mißbrauchen. Dies ist das menschliche Element in dieser Situation, und es ist unvermeidlich. Aber man kann den Seinsbegriff nicht nur von der Methode her verneinen, sondern auch vom Inhalt her. Sein steht jenseits von Ding und Person. Die biblische Religion aber, die Offenbarungsreligion überhaupt, ist personalistisch, ist begründet auf ein Idi-Du-Erlebnis zwischen Gott und Mensch. Der Seinsbegriff macht das Verständnis eines solchen Erlebnisses unmöglich. Dieser Angriff erfolgt mit besonderer Schärfe von der Seite der biblischen Theologen. Hier ist meine Antwort die folgende: In dem Personalismus der bi221

blisdien Religion findet sich auch immer ein ontologischer Seinsbegriff und ein ontologischer Weltbegriff. Audi die biblische Religion muß sagen, daß Gott ist. Was bedeutet das, wenn man sagt, daß Gott ist, daß die Welt ist? Haben wir ein Recht, das Wörtchen „ist", das das ontologische Geheimnis in sich schließt, f ü r beides zu gebrauchen, für Gott und Welt, f ü r uns und die Dinge? Diese Frage ist in jeder religiösen Aussage eingeschlossen. Und kein Theologe, so antiphilosophisch er sich auch gebärden mag, kann dieser Frage entrinnen. Der Unterschied ist nur, ob er sie unbewußt beantwortet oder ob er sich diese Frage bewußtmacht. Diese Frage sich bewußtzumachen, auf die er auf alle Fälle eine unbewußte Antwort geben muß, ist aber die Pflicht des Theologen. In dem Augenblick, in dem der Theologe sagt: „Gott ist", wird er zum Ontologen. Er kann Gott niemals verstehen als ein Seiendes. Hier wird auf philosophischer Seite sehr oft ein Fehler gemacht. Im Alten Testament gibt es die berühmte Definition des Namens Jahwe: „Ich bin, der ich bin." Manche Philosophen und manche Mystiker berufen sich darauf und sagen: Da haben wir mitten im Alten Testament eine bewußte ontologische Aussage, da steckt der Grieche Parmenides im Alten Testament. Das ist Unfug. Die Stelle heißt: »Ich werde sein, der idi sein werde," ich bin der, auf den man sich verlassen kann, der sich nicht ändert. Und das ist, nebenbei gesagt, der alttestamentliche Wahrheitsbegriff. Es ist nicht der Begriff des Unverborgenen, der griechischen aleteia, des aus der Verborgenheit Herauskommenden; sondern es ist der Begriff dessen, was feststeht, was ein Versprechen hält, was seine Drohung ausführt, was schließlich seine Verheißung erfüllt. Wenn wir von Ontologie im Alten Testament reden, wollen wir dies nicht äußerlich exegetisch begründen, sondern gestehen, daß die biblische Religion durch und durch personalistisch ist und daß der griechische Seinsbegriff als solcher nicht vorkommt. Zugleich aber müssen wir sehen, daß er implizit da ist und niemals vermieden werden kann, wenn wir das vernünftige Wort, den logos, über theos gebraudien wollen. Da aber die Frage nach dem Sein unvermeidlich ist, sollte man sie nicht nur beantworten, sondern den Seinsbegriff zentral werden lassen, wie er es in der Theologie des Mittelalters war. Es gibt aber auch einen philosophischen Angriff auf den Seinsbegriff, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Dieser Angriff kommt von einer anderen Fassung des Seinsbegriffs, als ich sie eben voraussetzte, nämlich von dem Verständnis des Seins als Daseinsurteil, oder, wie es auch genannt wird, Existentialurteil. Es ist die nomina222

listische Kritik am Seinsbegriff, die von der Philosophie her die Verwendung des Seinsbegriffes für die Theologie ausschließen will. Sie sagt: Das Sein ist ein Name (nomen), der etwas Gemeinsames bezeichnet für alle Dinge, der aber selbst keine ontologisdie Realität hat. Demgegenüber lautet meine Antwort: Die nominalistische Kritik ist berechtigt, sofern man das Sein als hödiste Abstraktion versteht, sofern man sagt, daß eins, nämlich das Sein, übrigbleibt, wenn man von allem abstrahiert. Diese Voraussetzung aber ist der Fehler des Nominalismus. Das Sein ist nicht die höchste Art des Seienden, sondern ist das, was Seiendes überhaupt erst möglich macht. Darum kann das Sein nidit definiert, sondern nur umschrieben werden. Und ich umschreibe es als Madit des Seins, als das Urpositive, das dem Negativen, dem möglichen Nicht-Sein, entgegensteht. Dieser Begriff der Macht des Seins ist nicht durch Abstraktion gefunden und daher nicht der nominalistischen Kritik unterworfen. Er wird vielmehr gedadit und erlebt in der Angst möglichen Nichtseins. Nur wenn der Seinsbegriff aus der Angst möglichen Nichtseins verstanden wird, hat er seine wirkliche Gewalt. Und das ist derjenige Seinsbegriff, der immer in der klassisdien Theologie für das Sein-Selbst, das Göttliche, verwendet wurde. Der philosophische Angriff kann jedodi nodi von anderer Seite kommen. Der Seinsbegriff kann mit dem Werdensbegriff konfrontiert werden. Man kann sagen: Warum nicht zuerst Werden, warum zuerst Sein? Und man kann sagen, daß der Werdensbegriff der vollere, der dynamischere Begriff ist. Dem könnten die Theologen mit Freuden zustimmen: Wenn man vom lebendigen Gott spricht, soll man besser nicht vom Sein, sondern eher vom Werden sprechen. Audi dazu möchte ich eine Antwort geben: Das Sein, die Macht des Seins, die in der Angst möglichen Nichtseins entdeckt wird, ist jenseits von Statik und Dynamik. Dieses Sein ist das, was im Mittelalter „Transcendentale" genannt wurde, das, was alle abstrakten Begriffe übersteigt. Das Sein-Selbst, die Macht des Seins-Selbst vollzieht sich an etwas, was in gewisser Weise dauernd sein muß, weil es sonst nicht einmal als Werden erkannt werden könnte. Oder, um es mythisch auszudrücken, das Werden ist jünger als das Sein, wie das Sein auch älter ist als der Wert. (Und damit kann, dies nur als Anmerkung, die Wertphilosophie aus den Angeln gehoben werden.) Sein als Seinsmächtigkeit ist jenseits von statisch oder dynamisdi. Oder man kann sagen: Es ist statisch, es ist das ewig Dauernde, und es ist zur selben Zeit das, was in einer ständigen Äußerung seiner Seinsmächtigkeit das Nichtsein überwindet. Und darum ist dieser Seinsbegriff und seine Bejahung eine Sache des Mutes. 223

So bleibt nach dieser theologisdien und philosophischen Kritik der Seinsbegriff als der vornehmste Begriff bestehen, als das, was mehr ist als ein Begriff, und kann als soldier zum Zentralbegriff einer Theologie werden. Nun komme ich zu dem anderen Begriff, dem des Neuen. Die Frage ist nicht, ob der Begriff des Neuen religiös möglidi ist - er ist religiös sehr real - , sondern die Frage ist, ob er philosophisch erlaubt ist. Der Mythos ist voll von Kategorien des Neuen. In ihm erscheint das Neue in drei Richtungen: das Neue als Schöpfung, das Neue als Wiederherstellung, das Neue als Erfüllung. Das Neue als Schöpfung kann in doppeltem Sinn gebraucht werden. Der eine Sinn ist Urschöpfung, demgegenüber das Chaos „die alte Nacht" genannt wird, wie es im Faust so schön ausgedrückt ist. Die Nacht ist älter als der Tag, der Tag ist das Neue, und da es immer wieder Nadit wird, so ist jeder Tag etwas Neues. Das leitet über zu dem zweiten Gedanken, nämlidi dem Gedanken der kontinuierlidien Schöpfung. Das Neue ist das, was im Lebensprozeß neu produziert wird. Das können Arten sein, es kann auch das Individuell-Einmalige sein. „Einmalig" kann ein Einzelding, eine Situation genannt werden. Man kann das Sein verstehen als den Prozeß, in dem eine Folge wechselnder einmaliger Situationen gezeitigt wird, wie es etwa Whitehead gesagt hat. Aus all dem folgt: das Schöpferisch-Neue ist das Neue im Prozeß, und der Prozeß ist nichts als das Sdiaffen des Neuen. Die Form des Prozesses ist die Zeit, und die erinnerte Zeit ist Geschichte. Und darum können wir den Prozeß in einem allgemeinsten Sinn Geschichte nennen. Das Neue im Sinn des Schöpferischen macht das Universum geschiditlidi, so wie es der Mythos allenthalben beschreibt. Aber das ist nur ein erweiterter Begriff von Geschichte. Der Grundbegriff von Geschichte muß mit dem Phänomen des Menschen in Zusammenhang gebradit werden. Das führt uns zu dem zweiten Begriff des Neuen, nämlidi dem Neuen der Wiederherstellung. Der Mensch hat die Freiheit der Entscheidung und die Freiheit des Entwurfs. Beides bedeutet, daß er falsch entscheiden und falsch entwerfen kann. Falsch heißt wesenswidrig, das heißt entgegen unserem eigenen Wesen und entgegen dem Wesen der Situation und ihrer Forderung. Wahr und gut sind nur andere Worte für erfüllte Wesensforderung, falsch und böse ist das Verfehlen von Wesensforderungen. Menschliche Geschichte ist eine ständige Misdiung von Erfüllung und Verfehlung von Wesensforderungen im Erkennen und im Handeln. In dieser Mischung das eine wirklich vom anderen zu trennen, ist niemals möglidi. Jede Wirklichkeit ist zweideutig, und 224

es gibt keinen einzigen Lebensprozeß, bei dem wir einfach schwarzweiß malen könnten. Diese Mischung von Wesenserfüllung und Wesensverfehlung ist das, was Existenz ausmacht und ihr den Charakter der Zweideutigkeit gibt. Ihr gegenüber sprechen wir vom Neuen der Wiederherstellung. Das klingt paradox: wiederhergestellt. Das heißt ja: zurück zum Alten! Aber das bedeutet es gerade nicht. Wir haben analoge Begriffe für dasselbe Phänomen: Erlösung, Befreiung des gefangenen Wesens, redemption, Loskaufen des in Sklaverei gefallenen Wesens, salvation, was im Ursprung Heilung bedeutet. Diese Symbole bezeichnen die Grenzen für die Neuheit des Neuen. Es ist nicht absolut neu - es gibt etwas Altes, das nicht veraltet, es gibt etwas Altes, das das Neue allererst möglich macht. Und dies Alte, das das Neue möglich macht, ist das Wesen. Aber das Wesen selbst ist nicht das Neue. Das Neue steht ebenso wie das, was veraltet ist, in der Geschichte. Das Wesen hat zwar teil an der Geschichte, aber es steht nicht in der Geschichte, sondern macht Geschichte möglich. Damit verstehen wir, was das Neue der Wiederherstellung ist. Es ist dasjenige Geschichtliche, das die Wesensverfehlung überwunden hat. Es ist in der Geschichte, es ist neu als Wiederherstellung, und es hat das überwunden, was Verfehlung bedeutet. Diese Überwindung der Wesensverfehlung ist nicht die Wiederherstellung des Geschiditlich-Alten. Das Geschichtlich-Alte ist veraltet, denn es stand in jenem Prozeß, in dem immer auch Wesensverfehlung vorliegt, und es gibt keinen Moment dieses Prozesses, in dem es keine Wesensverfehlung gibt. Damit ist die rückwärts gewandte Utopie ausgeschlossen. Das Paradies, das Goldene Zeitalter sind Symbole für das Wesen, das noch nicht Realität geworden ist. N u r wenn es nicht Realität wird, erhält sich das Wesen rein, aber dann bleibt es Möglichkeit und wird nicht Wirklidikeit. Das Neue, das in der Geschichte geschaffen wird, ist nicht Rückkehr zu einer Möglichkeit. Wiederherstellung ist nicht Rückkehr, denn das Neue, das in der Geschichte geschaffen wird, hat Aktualität, hat in sich überwundene Verfehlung. Ein besonders starkes Symbol dafür ist das Symbol der Wiedergeburt - anakainosis, Regeneration, neue Kreatur, auch Renaissance, rinascimento, Reformation, all diese Worte meinen ein und dasselbe. Was zum Beispiel bedeutet Renaissance, dieser Begriff, den wir landläufig gebrauchen? Er wurde ursprünglich wie das Wort Reformation gebraucht und bedeutete Wiedergeburt aus den Quellen, nicht aber Wiederholung des Veralteten. Er bedeutet genau das, was ich hier als das Neue der Wiederherstellung meine. Sowohl die Menschen, die die 225

Renaissance trugen, als jene, die die Reformation trugen, taten es aus dem Gefühl heraus, daß das Zeitalter neu geboren ist. Sie benutzten diesen Begriff der Wiedergeburt, um das Ereignis, das sie erlebten, verständlich zu machen. Wiedergeburt in diesem Sinn ist das Neue in der Geschichte, das einerseits bestimmt ist von der vorhergehenden Geschichte und andererseits von der Wesensforderung. Das Neue der Wiederherstellung hat in sidi die Problematik, daß es, obgleidi es Wiederherstellung ist, sidi im Prozeß befindet und damit immer wieder der Zweideutigkeit verfällt, der Misdiung der Wesensverfehlung mit der Wesenserfüllung. Eine neue Realität ist verkündigt, ein Neues Sein ist gegeben, aber das Alte sdieint unersdiüttert zu sein, sowohl im individuellen wie im historischen und im kosmischen Leben. Und darum geht der Gedanke darüber hinaus zu dem Neuen der Erfüllung und blickt auf einen neuen Himmel und eine neue Erde als den Zustand der ungemisditen Erfüllung. In dieser Sidit ist die Essentialstruktur, das Wesen, das vorher nur Potentialität, nur Möglichkeit war, wirklich geworden und dodi nicht abgefallen von sidi. Die eschatologische, die letzthinnige Erwartung ist Erwartung einer vollen Einigung des Essentiellen mit dem Existentiellen. Aber wie ist das zu denken? Wir können es nidit denken; alle Versudie, dem neuen Himmel und der neuen Erde einen konkreten Inhalt zu geben, enden in wuchernder Phantastik, und dies hat den Naditeil, daß sie nichts sind als eine Intensivierung von Wunschelementen des alten Veralteten und keineswegs das Neue ausdrücken. Damit ist ungefähr geschildert, was im religiösen Mythos der Gedanke des Neuen besagt: das Neue der Schöpfung des Individuellen und alles dessen, was immer neu aufspringt aus dem Grund des Seins; das Neue der Wiederherstellung, in dem nidit nur zurückgegangen wird; und das Neue der Erfüllung, das über die Grenzen von Zeit und Raum hinausgeht. Der Begriff des Neuen ist genauso wie der des Seins schärfster Kritik ausgesetzt. Ich beginne mit der mystischen Kritik. Die Mystik spricht in all ihren Formen audi von dem Neuen der Wiederherstellung; es wird aber aufgefaßt als die Verneinung des Neuen der Schöpfung. Schöpfung und Verfall werden identisdi gesetzt. Das hat den großen Vorteil, daß es das Bewußtsein von der Phantastik jenseitiger Utopien befreit. Aber dies ist nicht die Theologie, die die westlidie Welt geschaffen hat. Wir müssen uns darüber klar sein, daß eine Theologie, die den Begriff des Neuen in den Mittelpunkt stellt, verschieden ist von allen Formen der Mystik. Und nichts ist entscheidender für die Würdigung des Verhältnisses von Ost und West als der Begriff des Neuen, als 226

das Neue Sein, ob man es verwirft oder annimmt, ob man, was das gleiche bedeutet, die Geschichtlichkeit der Geschichte bejaht oder verwirft. Ich halte diesen Begriff des Neuen Seins deshalb für so wichtig, weil er eine Grenze gegen eine Mystik zieht, die den Prozeß des Seins selbst verwirft und die Wiederherstellung in der Verneinung des Prozesses sieht. Der Begriff des Neuen ist ebenso wie der Seinsbegriff auch philosophischer Kritik ausgesetzt. Da ist zunächst die deterministische Kritik, die sagt, daß das Neue eine Konstellation der immer sdion gegebenen Elemente ist, deren Bewegung durch ihr Anfangsstadium und die Bewegungsgesetze determiniert ist. Diese Bewegung ist letztlich kreisförmig. Darauf ist zu antworten: Der Determinismus vollzieht im Grund einen Trick. Er muß alles Neue in ein Anfangsstadium legen, das aber völlig imaginär ist. In diesem imaginären Anfangsstadium ist sozusagen alles potentiell vorhanden. Damit ist aber das alte Schema von Potentialität und Aktualität heimlich in den Determinismus aufgenommen, womit er sich im Grunde selbst widerlegt hat. Durch das Symbol des Anfangsstadiums, das nicht zu vermeiden ist, wird das Neue eingeschmuggelt. Nachdem es einmal eingeschmuggelt ist, hat man es leicht, alles Folgende streng deterministisch abzuleiten und alle Relationen der Dinge als berechenbar zu behandeln. Auf diese Weise wird eine Abstraktion, nämlich die Abstraktion der berechenbaren Relationen, über die Wirklichkeit geworfen wie ein Netz, in dem alles Konkrete gefangen werden soll. Aber das Konkrete zerreißt das Netz und hat es sogar in der Physik zerrissen. Die anderen Angriffe gegen den Begriff des Neuen kommen teils vom Naturalismus, teils vom Idealismus. Sie wenden sich gegen das Neue der Wiederherstellung und der Erfüllung. Naturalismus wie Idealismus verneinen die Entfremdung der Existenz von der Essenz, die fundamentale und universale Wesensverfehlung und damit das fundamental Neue der Wiederherstellung. Der Naturalismus sieht die Wesensverfehlung als natürlich an und hebt daher den Verfehlungsbegriff selber auf; der Idealismus erkennt zwar partiell Wesensverfehlung, aber sieht die Geschichte als eine prozessuale Uberwindung der Wesensverfehlung an. Beide sind in einem Punkt mit dem Mythos und dem Begriff des Neuen in seinen drei Formen verbündet. Der Naturalismus - den ich für theologisch wahrer halte als den Idealismus ist imstande, die Wirklichkeit des Menschen wahr zu sehen, aber nicht imstande, die Unterscheidung zwischen Essentiellem und Existentiellem zu machen. Der Idealismus sieht zwar den essentiellen Charakter, 227

aber er sieht nidit den Zwiespalt zwischen Existentiellem und Essentiellem. Daher sind wir in der Philosophie, aber auch als Theologen dem Existentialismus zu großem Dank verpflichtet - jener Bewegung, die etwa mit Pascal beginnt, im 19. Jahrhundert in einigen prophetischen Vorwegnahmen wie Sdielling, Kierkegaard, Marx erscheint und im 20. Jahrhundert die gesamte Literatur, Kunst und Philosophie beherrscht. Der Existentialismus sieht wie die Theologie die menschliche Situation als die Entfremdung der Existenz vom Wesen. Mit Hilfe des Begriffs des Neuen, wie er durch den radikalen Freiheitsbegriff des Existentialismus formuliert ist, und der Sicht des Menschen in seiner Endlichkeit, seiner Sinnlosigkeit, seiner Schuldhaftigkeit hat die Theologie die Möglichkeit, die Fragen neu zu stellen oder neu gestellt zu übernehmen, auf die die religiösen Begriffe die Antwort geben. Was heute in der Theologie getan werden muß - und das ist ein Strukturelement meiner eigenen Arbeit - , ist nichts anderes, als daß wir die Existentialanalysen, die so reichhaltig in der existentialistisdien Literatur (zu der ich auch die Tiefenpsychologie rechne) Stedten, als die Fragen übernehmen, auf die die theologischen Symbole die Antwort sind. Ein theologisches System hat daher heute die Aufgabe, die Fragen, die in jeder Existentialanalyse gegeben sind, darzustellen. Letztlich sind diese Fragen viel älter als selbst die eben genannte Linie - ich weise auf den platonischen Mythos und auf den Mythos überhaupt hin - , sie sind aber heute in neuer Form gegeben. Die Theologie hat die Aufgabe, diese Situation zu benutzen und erneut klarzumachen, daß die religiösen Symbole und ihre theologische Ausformung einmal Antworten auf wirkliche Fragen der Menschen waren. Wie die Entdekkung der Mathematik, nach Kant, ein Glücksfall für die Vernunft war, so glaube ich, daß die Entdeckung der Existentialanalyse ein Glücksfall für die Theologie ist. II. Nachdem der Begriff des Seins und der Begriff des Neuen begründet und verteidigt worden sind, möchte ich auf ihre Anwendung im theologischen System eingehen. Dabei muß ich midi hier selbstverständlich auf Gesichtspunkte beschränken-nicht einmal ein vierstündiges Kolleg eines ganzen Jahres könnte eine systematische Theologie erschöpfen. Und ich kann nicht verheimlichen - dies zur Existentialanalyse der Endlichkeit gehörige Geständnis muß ich im voraus machen - , daß ich hier nicht von Theologie überhaupt spreche, sondern von protestantischer Theologie, und zwar von meiner protestantischen Theologie. 228

Ich werde in drei Teilen über den Begriff des Neuen Seins reden: seine Anwendung auf den Gottesgedanken, seine Anwendung auf den Erlösungsgedanken, seine Anwendung auf den Erfüllungsgedanken, also entsprechend der Dreiheit der Richtung, in denen der Mythos den Begriff des Neuen verwendet. Wir hatten Sein als Macht des Seins umsdirieben, um zu verhindern, daß Sein als höchste Abstraktion aufgefaßt und vom Nominalismus zerstört wird. Von der Macht des Seins sagt eine klassische Formulierung - und ich nehme diese Aussage an - , daß das Sein jenseits von Essenz und Existenz steht, jenseits von Potentialität und Aktualität. Das Sein ist die erste Aussage, die theologisch über Gott gemacht werden muß. Wenn man sagt: Gott ist, und wenn man dann fragt: Ist Gott? dann müßte diese Frage sofort beseitigt werden. Denn sie legt die Voraussetzung nahe, daß Gott ein Seiendes ist. Aber die Grundaussage über Gott, nämlich, daß er das Sein-Selbst oder die Macht des Seins ist, sdiließt aus, daß er ein Seiendes ist. Und damit ist ungeheuer viel ausgeschlossen: der Götzendienst. Götzendienst kann sidi genau so gut im Monotheismus wie im protestantischen Theismus wie im Judentum und überall finden. Er ist nicht gebunden an Vielgötterei. Es kann auch ein Gott sein, der ein Götze ist, nämlich ein Gott, der ein Seiendes neben anderem Seienden ist und nicht das Sein-Selbst, umschrieben als die Macht des Seins oder der Grund oder der Sinn des Seins, oder wie immer wir es umschreiben wollen. Das ist die erste und fundamentale Aussage über Gott. Ohne diese fundamentale Aussage verliert alles andere seine theologische Qualität. Meine ganze Bemühung zu Anfang dieses Vortrags, den Seinsbegriff gegen theologische und philosophisdie Angriffe zu schützen, war begründet in diesem Satz, daß Gott das Sein-Selbst ist und nidit ein Seiendes, und daß damit alles andere, was wir über ihn aussagen, überhaupt erst seine „numinose" Qualität erhält. Andernfalls machen wir nur eine Aussage über ein kosmisdies Ding neben anderen. Das heißt also, Gott ist jenseits von Essenz und Existenz, er ist der Grund beider und als solcher auf beide bezogen, und er ist bezogen auf beide nidit in der Form der Identität, sondern der des Teilhabens. Dieser Begriff der Teilhabe, der bei Plato vorkommt, wenn er über das Verhältnis der Ideen zu den Einzeldingen spricht, scheint mir einer der Begriffe zu sein, mit deren Hilfe wir dem Nominalismus entgehen, der unser aller Erbe ist und zur Folge hat, daß der Erkenntnisakt, der Akt der Gemeinschaft, der Liebesakt unverständlich werden. Deshalb ist es überaus wichtig, den Begriff der Teilhabe wieder zu betonen und einzuführen. Wenn wir sagen: Gott hat teil als Grund von Essenz und 229

Existenz an beiden, dann ist es klar, daß er der schöpferische Grund aller Essentialstruktur ist, alles dessen, was im Wesen steht und möglich ist; aber er hat auch eine Beziehung zur Existenz und hat teil an der Existenz, nicht nur an der Potentialität, sondern auch an der Aktualität, an dem Widerspruch, in den die Menschheit mit sidi selbst und ihrem Grund gefallen ist. Wenn man das aber durchdenkt, dann muß man einen weiteren Satz sagen: Wenn das, was jenseits von Essenz und Existenz ist, an der Existenz teilhat, dann kann es daran nur teilhaben in der Form, daß es den Zwiespalt von Essenz und Existenz überwindet. Die Art, wie das Göttliche an der Existenz teilhat, ist die Überwindung der Entfremdung, die Schaffung des Neuen Seins. Hier sind wir wieder bei unserem Zentralbegriff. Möglidie Teilhabe an der Existenz ist Schaffung des Neuen Seins. Gott kann nicht anders an ihr teilhaben, weil er nicht an der Entfremdung teilhat. Und er kann auch nur teilhaben, weil er der Grund ist, der die Existenz überhaupt erst möglich macht. Wenn wir von Gott sagen, daß er der Grund des Seins ist, sagen wir zugleich, daß er als Kraft des Neuen Seins das ist, was das Neue der Wiederherstellung schafft. Damit ergibt sich eine weitere theologische Aussage, nämlich, daß die Heilsgesdiichte die Entstehung des Neuen Seins ist und daß diese Heilsgesdiichte der Kern und das Innerste der Geschichte selbst ist. Die Geschichte selbst ist universale Wiederherstellung, das Neue im Sinn der Heilung, der Befreiung, des Loskaufs, der Erlösung. Aber auf der anderen Seite ist Geschichte immer konkret, und zwar ganz konkret, und sudit, wie es Aristoteles schon wußte, als telos, als Ziel, das Individuelle und nidit das Allgemeine. Damit kommen wir zu dem Kern der christlichen Botschaft, daß das Sein im Konkreten universal sein kann. Der Titel für das, was man im Judentum als das Konkret-Universale erwartet hat und noch erwartet und was im Christentum als schon erschienen bezeichnet wird, ist Messias oder Christus. Vom Standpunkt des Neuen Seins aus ist es möglich, viel Absurdes und Flaches - das sind immer die beiden Versuchungen - vom Christusgedanken fernzuhalten. Absurd ist jeder wörtlich verstandene Mythos, und damit stelle ich midi ganz auf die Seite des berühmt gewordenen Entmythologisierungs-Programms meines Kollegen und Freundes Bultmann. Die dreigeteilte Welt der biblisdien Anschauung, die Teilung in göttliche, dämonische und menschliche Sphäre, die Welt, in der Götter und Dämonen herauf- und herniedersteigen, in die ein Sohn Gottes im spezifischen Sinn in einem feierlichen Akt geschickt wird, in der der Teufel verfolgt wird - all dies ist absurd, wenn es wörtlich genommen wird. All dies ist Symbol 230

des Neuen Seins, wenn es verstanden wird. Und das scheint mir heute in der Tat eine unentbehrliche Aufgabe der Theologie zu sein, neu zu verstehen, was die Symbole bedeuten. Meine Kritik an der Barthschen Theologie - von der ich viel in ihren prophetischen Anfängen gelernt habe - ist, daß sie keinen methodischen Weg gefunden hat, das Mythische von dieser Absurdität des Buchstäblichen freizuhalten. Darin unterscheidet sich grundsätzlich meine theologische Bemühung von der seinen. Aber wir haben auf der anderen Seite genauso die Fladiheit in bezug auf das christologische Denken abzulehnen. Flach ist jede gesetzliche oder lehrhafte Deutung der Erscheinung Jesu. Hier ist der Quellpunkt, aus dem mir selbst ursprünglich der Gedanke des Neuen Seins entstanden ist. Er ist ursprünglich der Versuch, christologisdi zu denken. Wenn man Christus als neuen Lehrer oder Gesetzgeber betrachtet, kann man ihn annehmen oder ablehnen. Es gibt kein Gesetz, dem ich mich unterwerfen müßte, selbst wenn es von einem Gott kommt - sofern er ein Seiendes ist. Ein Gott, der ein Seiendes ist, ist ein Tyrann, der midi vielleicht vernichten, der aber nicht Gehorsam fordern kann. Wenn dagegen das zentrale neue Ereignis der Existenz Sein ist, dann ist es nicht ein fremdes Gebot, das mir gegenübersteht, sondern dann ist es die Realität des Seins-Selbst, in der ich stehe. Und das ist etwas völlig anderes. Dann erscheint das Neue als Mittelpunkt der Geschichte und als Mittelpunkt der Heilsgeschichte, und es erscheint in der paradoxen Weise, daß hier das Essentielle des Menschseins unter den Bedingungen der entfremdeten Existenz erscheint und diese entfremdete Existenz überwindet. Infolgedessen ist dies Sein nicht sein Reden, nidit sein Handeln, nicht sein Leiden, sondern das Sein, dessen Ausdruck und Erscheinung diese dreifachen Äußerungen sind. Von da aus haben wir eine Möglichkeit für das Verständnis dieses so oft durch die Kirchengeschichte verdunkelten Phänomens. Der Begriff des Neuen Seins kann Licht werfen auf dieses Phänomen, das unverständlich bleiben muß, solange es gedeutet wird in buchstäblich genommenen Mythen oder (wie in der liberalen Theologie) in einem neuen Gesetz oder einer neuen Lehre oder einem magischen Blutopfer oder ähnlidiem, wo immer die Polarität zwischen Absurdität und Flachheit auftritt. Das Ziel der Theologie muß sein, beide fernzuhalten. Wenn ich sage, es ist das Sein des Christus und nicht irgendetwas, was er tut, leidet oder sagt, dann meine ich mit dem Sein das Ganze; ich meine nicht ein psychologisches inneres Leben, wie gewisse liberale Theologen, sondern das ganze Sein einschließlich des sogenannten Unbewußten, des Körperlichen, des Sozialen, alles dessen, was das Sein eines vollen Menschen aus231

macht. Das Bild, das sidi seinen Anhängern eingeprägt hat, über dessen historische Exaktheit wir weder etwas wissen nodi wissen müssen, ist das Bild eines realen persönlichen Lebens, das diejenigen, die an ihm teilhaben, neu macht, in die Sphäre des Neuen hineinzieht. Das einzige Argument für die Wahrheit dieser Botschaft vom Neuen Sein ist, daß die Botschaft sich selbst wahr macht. Die historische Kritik kann diese Gewißheit weder widerlegen noch bestätigen. Und so war es immer in der Geschichte der Kirche, daß das Teilhaben das Zeugnis ermöglicht, daß hier Neues Sein geschehen ist. Das ist eine Andeutung, aber wie ich glaube, eine sehr zentrale Andeutung. Ich kann Ihnen bekennen, daß für midi Christologie überhaupt erst möglich geworden ist, nachdem mir der Begriff des Neuen Seins den Schlüssel dazu gegeben hat. Bis dahin oszillierte ich, wie wohl alle jüngeren Theologen in jenen Jahren zu Anfang unseres Jahrhunderts, zwischen der Plattheit einer sich liberal nennenden Theologie und der Absurdität einer sich behauptenden Orthodoxie. Der Begriff des Neuen Seins als Schlüssel der Christologie - das ist eine der entscheidenden Funktionen, die dieser Begriff auszuüben hat. In welcher Weise nun vollzieht sidi die Teilhabe? Die Teilhabe vollzieht sich nicht im Befohlensein und nicht im Belehrtsein, sondern im Ergriifensein. Ergriffensein ist eine Seinsrelation. Befehle erhalten und befolgen, Lehren erhalten und anerkennen sind Sollensrelationen. Hier ist wieder der Begriff des Neuen Seins von entscheidender Bedeutung. Er befreit uns von Sollensrelationen und damit überhaupt. Denn das, von dem wir befreit werden müssen, ist unser essentielles Sein, das gegen uns steht als Forderung und das wir, weil es uns gegenübersteht, nicht erfüllen können. Denn das Gesetz ist nicht eine von außen her gegen uns gestellte Forderung, sondern unsere eigene Essentialstruktur, von der wir entfremdet sind und die, weil wir entfremdet sind, uns nun als Gesetz gegenübersteht. Da wir aber entfremdet sind, können wir sie nicht erfüllen, denn wir sind ja den zerstörerischen Strukturen der Existenz unterworfen. Hier haben wir eine weitere entscheidende Konsequenz des Begriffs des Neuen Seins. Wir begreifen, daß es sich in der Religion um Seinsrelationen handelt, daß die Sollensrelationen sekundär sind. Sie sind nicht ausgeschlossen - und wo sie auftreten müssen, darauf werde ich noch hinweisen —, sie dürfen aber niemals das Primäre sein. Sind sie es, dann entsteht der ganze psychologische Ablauf, bei dem die Forderung den Widerstand erweckt und nicht die Heilung bringt. Teilhabe, Ergriffensein - das sind Begriffe, bei denen Protestantismus und Mystik zusammengehen können. Ich formulierte vorhin beim 232

Schöpfungsgedanken, bei der Schaffung des Neuen, den Unterschied bestimmter, besonders asiatischer Formen der Mystik von der Theologie des Neuen Seins. Hier kann idi das mystische Element hereinnehmen in die Beschreibung dessen, was ich als Ergriffensein oder Teilhabe bezeidinen würde. Die paulinisdie Geistlehre, das Zentrum seiner Theologie, verbindet das Personale und das Mystische. Wenn Paulus den Begriff der Teilhabe implizit sehr deutlich gebraucht - daß man „in Christus" sein muß dann meint er damit, daß man teilhat an dem Neuen Sein, und das ist wiederum keine Sollensrelation. Was ist dann Geist? Für Paulus, für die christliche Kirche ist er die Gegenwart Gottes unter den Bedingungen der Existenz, durchbrechend durch die Entfremdungsstruktur der Existenz und die Wesensstruktur wiederherstellend. Eine andere Formulierung, die ebenso deutlich auf Seinsund nicht Sollensrelationen hinweist, findet sich im vierten Evangelium, wo von Christus gesagt wird: er ist die Wahrheit - nicht: er hat die Wahrheit, er sagt die Wahrheit, sondern: er ist die Wahrheit. Und es gibt Mensdien, die „aus der Wahrheit sind" und die infolgedessen an ihr teilhaben. Dieser Wahrheitsgedanke ist durch und durch ontologisch und keineswegs eine Sollensrelation, bei der die wahre Struktur des Seins unserem Denken gegenübertritt, so daß wir sie annehmen sollen. Vielmehr nehmen wir teil an einer Realität, die an und für sich die Wahrheit ist, das wahre Sein, in der die Entfremdung aufgehoben ist. Geht man mit diesem Schlüssel des Neuen Seins an die Bibel heran, so wird man sich wundern, wie wenig Sollensrelationen und wieviel Seinsrelationen in ihr vorliegen und wie immer die Seinsrelationen, auch wenn Sollensrelationen da sind, als die fundamentalen und die Sollensrelationen als die abgeleiteten angesehen werden. Das Neue Sein in diesem Sinne ist Wiederherstellung. Diese Wiederherstellung ist Wiedergeburt, Geburt des Neuen. Dies Phänomen kann in drei Schritten beschrieben werden. Der erste Schritt ist die Gewißheit, daß das Essentielle und das Existentielle in uns, die einander entfremdet sind, im Neuen Sein versöhnt sind. Das heißt, der erste Schritt des Neuen Seins in jedem Mensdien ist die Anerkennung, daß er angenommen ist. „Accepting acceptance" habe ich es im Englisdien genannt, was schwer zu übersetzen ist - „das Annehmen, daß man angenommen ist". Damit ist der erste Schritt, ein fundamentaler Schritt, zur Heilung geschehen. Ohne diesen fundamentalen Schritt gäbe es keine Heilung. Hier berufe ich midi wieder auf die tiefenpsychologische Einsicht. Man darf dem Patienten nicht als Fordernder gegenüberstehen, er muß „angenommen" werden, wirklidi akzeptiert werden; es genügt nidit, daß der Analytiker nur den Eindruck erweckt, 233

als ob er den Patienten annimmt, und in Wirklichkeit voller Forderungen ist. Diese Annahme ist nodi nicht echt. Wirklich echt ist die Annahme unter dem »Trotzdem". Trotz der Tatsache, daß die Entfremdung da ist, die Existenz im Widerspruch zur Essenz steht, ist man angenommen und infolgedessen fähig, sidi selbst anzunehmen. Damit sind wir an einem Zentralpunkt aller religiösen Heilungsphänomene: der Möglichkeit, Ja zu sich selbst zu sagen. Es gibt eine Möglichkeit, Ja zu sich zu sagen, die sehr einfach ist, nämlich, daß man mit sich zufrieden ist. Es gibt eine andere Möglichkeit, und das ist die schwerste: daß man sich im inneren Spiegel sieht und dennoch Ja zu sich sagt. Wenn man das kann, dann ist das Neue Sein schon in einem mächtig, und das ist der erste Schritt. Und nun der zweite Schritt: Er wird im Hebräisdien schub genannt und im Griechischen metanoia, was „Wechsel der Richtung" bedeutet. Metanoia wird irreführend mit Reue oder ähnlich übersetzt. In Wirklichkeit handelt es sich um etwas Fundamentaleres als eine Emotion. Eine Emotion ist oft überhaupt nicht dabei; es ist sogar schlimm, wenn solche Emotionen künstlich zum Zwecke der Bekehrung produziert werden. Vielmehr ist es eine fundamentale Änderung der Richtung auf das, was in allem Seienden die ursprüngliche Einheit von Essentiellem und Existentiellem darstellt. Es ist nidit eine Wegkehr von allem Seienden - darin unterscheidet es sich grundsätzlidi von der Askese - , sondern eine Hinkehr zu dem,was in allem Seienden jenseits der Spaltung von Essenz und Existenz steht, zum Sein-Selbst, das zugleich die Prädikate „das Gute" und „das Wahre" hat. Das sind keine Werte, sondern das Sein-Selbst und die Macht des Seins, und kann nur sekundär für uns zum Wert werden. Was ist damit eigentlich konkret gewonnen, wenn man von einem solchen Wechsel der Richtung spricht? Darauf gibt es nur eine Antwort, die leicht zu sein scheint und die doch eine unendlich schwierige Antwort ist: das Wort Liebe. Der Wechsel der Richtung ist die Wiederherstellung der Liebesrelation, die in der Essenz da ist, jedoch nur potentiell oder, wie ich manchmal sage, als träumende Unschuld, aber noch nicht wirklich, das heißt in der Aktualität. Lassen Sie mich hier ein paar Worte über Liebe sagen, weil sie zum Begriff des Neuen Seins so sehr gehört, daß man das Neue Sein auch als das Sein der Liebe bezeichnen kann. Liebe ist der Drang nadi Wiedervereinigung des Entfremdeten. Wenn man die Liebe so auffaßt, dann ist die Liebe ein ontologisdies Phänomen und kein emotionales. Das Emotionale ist dann etwas, was mitsdiwingt, was aber nicht fundamental ist. Das ist das erste, was man vom Standpunkt des Neuen 234

Seins über die Liebe sagen muß: das Emotionale schwingt mit, das Fundamentale aber, das im Sein-Selbst wurzelt, ist der Drang, der Trieb oder audi der Wille zur Wiedervereinigung dessen, was entfremdet ist. Da wir alle demselben Sein angehören und durch den Prozeß der Entfremdung einander und dem Grund des Seins entfremdet sind, bedeutet dies, daß wir alle essentiell zueinander gehören. Wenn wir zu einem anderen Menschen kommen oder zu Gott oder zu uns selbst, ist es daher nidit das Finden eines Fremden durch ein Fremdes, sondern ein Wiederfinden von etwas, das entfremdet ist, aber in der Wesensstruktur zueinander gehört. Dieser LiebesbegrifF ist jenseits der falschen Scheidung, die von gewissen protestantischen Theologen zwischen eros und agape, der „irdischen" und der „himmlischen" Liebe vorgenommen worden ist. Eine agape, in der kein eros ist, hat keine Wärme. Ein eros, in dem keine agape ist, hat kein Kriterium. Sie gehören zusammen und können nicht auseinandergerissen werden. Gegen ihre Trennung müssen wir ebenso Front machen wie gegen die Trennung von Theologie und Philosophie. Und nun komme ich zu dem dritten, dem Ergriffensein, das ins Zentrum der Persönlichkeit übergeht. Hier entstehen alle die Probleme, die man im weitesten Sinn mit aktueller Heilung bezeichnen kann. Hier entsteht das Problem, das heute auch in Amerika stark diskutiert wird und viele Äußerungen gefunden hat, nämlich das Problem, wie sidi tiefenpsychologische Heilung und religiöse Heilung zueinander verhalten. Der Heilungsprozeß hat eine psychologische und eine ontologische Seite. Die Persönlichkeit in ihrem Zentrum kann in Zersetzungsvorgänge aufgelöst sein, die als solche genauso ein Heilen durch den Arzt verlangen wie physische Zersetzungsvorgänge. Durch die psychologische Heilung kann erreicht werden, daß das persönliche Zentrum von begrenzten Überwältigungen durch bestimmte zwangshafte Elemente freigemacht wird. Psychologische, tiefenpsychologische Heilung kann zur Freisetzung führen, aber Heilungspsychologie kann als solche nicht das Persönlichkeitszentrum retten; sie kann nicht im absoluten Sinne erlösen oder heilen. Sie kann nicht die Wiedervereinigung des Entfremdeten erzeugen, und zwar deswegen nicht, weil sie aus endlichen Relationen herkommt. Im Heilen der Persönlichkeit selbst müssen sich das Psychologische und das Ekstatische durchdringen. Idi hatte von Liebe gesprochen und möchte hier, wieder von der Ontologie des Seins her, ein Wort über „Selbstliebe" sagen. Es gibt kaum ein Wort, das mehr mißbraucht wird. Es sei erwähnt, daß schon Augustin zwei Arten von Selbstliebe unterschied, eine, die er geordnet, und eine, die er ungeordnet nennt. Ich schlage vor, daß wir das Wort Selbst235

Hebe vermeiden, weil es nicht zu retten ist - es gibt Worte, die so krank sind, daß sie nidit mehr zu retten sind. Statt dessen möchte ich das, was in dem Wort Selbstliebe in konfuser Weise vermischt ist, in drei Begriffe auflösen. Der erste ist die natürliche Selbstbejahung (liebe deinen Nächsten wie dich selbst!), die jedes lebende Wesen hat und die nidits ist als der natürliche Mut zum Sein und damit die Wurzel alles Lebendigen. Der zweite ist die Selbstsucht - dies deutsche Wort ist sehr viel ausdrucksvoller als das englische selfishness, da in der „Sucht" das Getriebensein liegt. Und Selbstsucht ist immer verbunden mit Selbstverachtung oder gar Selbsthaß und ist keineswegs Selbstliebe. Und dann der dritte Begriff: im Englischen self-acceptance, das besser ist als im Deutschen „Selbst-Annahme"; nämlich Selbstannahme, obgleich man sich im Spiegel gesehen hat, obgleich man den Ekel, selbst den H a ß an sich selber erlebt hat. Und diese drei Begriffe könnten, wenn man sie statt der (vor allem in Predigten) unendlich mißbrauchten „Selbstliebe" verwendet, die Bedeutung des Neuen Seins in ganz anderer Weise zum Ausdruck bringen. Das Neue Sein ist aber nicht nur im Individuum, sondern auch in der Gemeinschaft wirklich, und als Gemeinschaft ist es das, was wir Kirche nennen. Man hört gelegentlich von jemand sagen, daß er „nicht gegen Religion oder Theologie" sei, sondern „nur gegen Kirche". Hier kann uns wieder der Begriff des Neuen Seins helfen. Kirche heißt ursprünglich „Gemeinde Gottes" oder „Gemeinde Christi", das heißt Gemeinde derer, die vom Neuen Sein ergriffen sind. Diese Gemeinde kann überall sein, in jeder Form sich äußern. Sie kann latent oder manifest sein. In der organisierten Kirche ist sie manifest, in den niditorganisierten Gruppen von Menschen, die vom Neuen Sein ergriffen sind, ist sie latent. Aber beide Seiten gehören zusammen. Die latente Kirche ist der ständige Kritiker und Richter der manifesten Kirche, und die manifeste Kirche ist das Ziel, zu dem implizit die latente Kirche immer hinstrebt. Wenn wir sagen, daß die Kirche in diesem weitesten Sinne die Gemeinschaft des Neuen Seins ist, dann verstehen wir, was Augustin gesagt hat, nämlich, daß sie die Gemeinschaft der Liebe ist, die Gemeinschaft der Liebe in dem Sinne, daß hier, wo immer wirklich Kirche ist, manifest oder latent, eine Wiederherstellung, eine Wiedervereinigung des Entfremdeten vorliegt. Wie verhält sidi nun diese latente oder manifeste Verwirklichung des Neuen Seins in einer Gemeinschaft zu der Weltgeschichte, zu den großen Gruppen, Organisationen und Nationen, die die Weltgeschichte ausmachen? Gibt es so etwas wie Heilung der Nationen? - ein Wort, das aus der biblischen Literatur stammt. Die Antwort ist: Zunächst 236

einmal darf man die Analogie zwischen persönlichem und sozialem Leben nicht übertreiben. Man darf keine soziale Gruppe wie eine Person behandeln, denn jeder sozialen Gruppe fehlt, was die Person besitzt, die Einheit der Entscheidungsmöglidikeit. Sagt man: Das ist die Regierung, so ist das eine vage Metapher, nichts weiter. Denn die Regierung ist nicht nur der Repräsentant der Gruppe, sie ist zugleich eine spezielle Gruppe, die vielleicht gegen die Gesamtgruppe steht - und in sehr vielen Fällen es auch wirklich tut. Darum darf man diesen Mythos der Personhaftigkeit von Gruppen nicht anerkennen (er war eine gefährliche Waffe des Faschismus). Aber wenn das so ist, dann folgt daraus etwas sehr Wesentliches: Die Heilung einer sozialen Gruppe ist nicht in dem Sinne möglich, in dem die Heilung des Einzelnen möglich ist, nämlich als eine fundamentale Riditungsänderung, ein fundamentales Schuldbewußtsein, ein fundamentales Versöhnungsbewußtsein. Daraus ergibt sich nun - bisher hatte ich die rückwärts gewandten Utopien bekämpft - die Unmöglichkeit der vorwärtsgewandten Utopie, nämlich die Unmöglichkeit, einen sozialen Zustand in Zeit und Raum zu benennen, in dem das Neue Sein die geschichtliche Wirklichkeit bestimmt. Das Neue Sein in der Geschichte muß man sich immer als kämpfend vorstellen. Und je stärker und maditvoller das Neue Sein ist, desto machtvoller können, nach einem tiefen ontologischen Gesetz, audi die Verzerrungen des Neuen Seins sein, die wir dämonisdi nennen. Für die Zukunft der Geschichte ergibt sidi daraus, daß in ihr kein Stadium der Erfüllung vorkommen kann. Wir könnten übermorgen zugrunde gehen durch die Waffen, die wir haben, und doch wäre damit der Sinn der Geschichte nicht verloren. Denn alles, was geschieht, hat eine unmittelbare eschatologische Beziehung zu dem, was jenseits von Raum und Zeit steht. Nun komme ich zum Schluß und kann auch hier nur Andeutungen geben. Erfüllung ist nicht nur vom Einzelnen ausgesagt und nicht nur von der Gemeinschaft, wenn auch niemals im fortschrittlichen, sondern immer im fragmentarischen Sinn, sondern es gibt audi so etwas wie kosmische Erfüllung, in die die individuelle und gesdiiditlidie Erfüllung einbegriffen ist. Damit komme ich zurück auf eine Frage, die ich im ersten Teil stehen ließ. Was bedeutet es, daß der religiöse Mythos einschließlich des biblischen von kosmischer Erfüllung spricht, daß er das Universum geschichtlich macht und damit auf ein Ziel hinstreben läßt, das symbolisch bezeichnet wird als neuer Himmel und neue Erde? In Amerika gibt es kaum eine theologische Frage, die zu behandeln so außerordentlich schwer wäre wie diese Frage, wegen der calvinistischen und cartesianischen Trennung des Menschen von der Natur. Diese 237

Trennung ist in Amerika so radikal, daß der Versuch, diesen Mythos der Teilnahme des Universums, und das heißt der Natur, an dem Neuen Sein verständlich zu machen, fast hoffnungslos ist. Trotzdem versuche ich es, und vielleicht wird es mit Hilfe der Dinge, die in unserem Denken neu geworden sind, auch in Amerika möglich werden - vielleicht wird mit Hilfe der Psychologie des Unbewußten, insbesondere mit dem Begriff des Kollektiv-Unbewußten, mit Hilfe der psychosomatischen Medizin und noch vieler anderer Dinge, die die Natur im Mensdien sehen und infolgedessen wieder den Mensdien in der Natur sehen, für diese Symbolik eine neue Basis gefunden. Das ist meine Hoffnung. Idi weiß, daß es ein Kampf gegen zwei mächtige Traditionen ist, die calvinistische und die cartesianisdie. Gewinnen wir diesen Kampf nidit, wird es unmöglidi sein, das Neue Sein als Erfüllung zu unterscheiden von einem Bild, das idi einmal von einem repräsentativen amerikanischen Theologen gezeidinet bekam. Danach besteht das Neue Sein darin, daß unsere unsterblichen Seelen weiter soziale Fürsorge treiben. Das ist natürlidi eine Karikatur. Was der Amerikaner sagte, war symbolisch gemeint. Aber solch ein Symbol widerspricht allem Mythos und allem tiefen Verständnis von Leib und Seele, Individuum und Natur. Darum stehe ich auf dem Boden des Mythos, der das Neue Sein universal auffaßt. Wir können vielleicht folgendes Positive sagen (und wir können nur unendlich wenig Positives sagen): Die Geschichte läuft nach vorn, sie läuft unausweidibar und kann nicht zurück. Aber dies „Vorn" ist nicht ein Vorn in der Zeit, dies Vorn ist wie eine Kurve, die, wenn sie sich zeitlich verwirklicht, immer nach oben hin angezogen wird und in die Ewigkeit übergeht. Das Ewige ist nicht das Zeitlose, aber auch nicht das immer sidi wiederholende Zeitliche. In dem Augenblick aber, in dem wir über Zeit und Ewigkeit sprechen, können wir immer nur sagen, was wir nicht denken sollen, aber nidit, was wir denken sollen, sonst kommen wir in Phantastereien. Ich kann sagen: das Neue Sein als Erfüllung ist die Ewigkeitsdimension der Geschichte, in der die Zweideutigkeit der Geschichte aufgehoben ist. Diese Ewigkeitsdimension wirkt hinein in die Gesdiichte und schafft Neues Sein in der Geschichte, aber wird wieder und wieder verzerrt durdi das Dämonische in der Geschichte. Die christliche Hoffnung ist nidit die Hoffnung auf eine Fortsetzung des Lebens nach dem Tode - das ist kein Neues Sein, es ist eine höllenartige Wiederholung des alten Seins. Sondern die Ewigkeit ist das Hineinnehmen in eine andere Dimension, von der wir symbolisch reden müssen, weil wir ja „zeitlich" reden müssen. Und in dieser Einheit sehe ich die Erfüllung der Gesdiidite, und nicht nur der 238

Geschichte im menschlichen Sinn, sondern auch der Geschichte im kosmischen Sinn. Nicht nach vorn allein - das „nach vorn" muß immer wieder umgebogen werden in ein „nach oben". Aber auch nicht nur nach oben, wie die Mystik will, sondern zugleich auch nach vorn, indem das Neue Sein sich immer wieder durchsetzt und damit den Sinn des Ewigen schafft. Vielleicht kann man es audi so ausdrücken: Das Ewige oder das Reidi Gottes, das Symbol der Bibel, ist die Einheit und Wahrheit, das Unzweideutige aller Elemente, die in der Geschichte stehen. Nichts ist in der Erfüllung, was nicht in der Geschichte ist, aber niemals ist die Erfüllung in der Geschichte selbst. Und nun lassen Sie midi zuletzt auf die Zeitsituation von heute kommen. Ich glaube, daß der Begriff des Neuen Seins eine Antwort auf die Zeitsituation sowohl im Psydiologisdien wie im Historischen ist. Das alte Sein erweist sich als alt - selbst in einem neuen Land wie Amerika zerbrechen psychologisch die Dinge, die sinngebend waren für Generationen. Die ungeheure Resonanz, die zur Zeit in diesem angeblich neuen Erdteil die tiefenpsychologische Arbeit gefunden hat, bedeutet, daß ein Sinnentleerungsprozeß stattgefunden hat, daß Altes sich als veraltet erwiesen hat und daß Neues nicht da ist. Und das Neue kann ja audi nicht von der horizontalen Linie kommen. Wenn nicht von der Vertikalen her das Ewige, das Essentielle einbricht, kann das Neue sich nicht erfüllen. So ist es auch weltgeschichtlich. Die tellurische Schizophrenie, in der wir leben, die Spannung zwischen Ost und West, produziert unendliche Schizophrenien in den Einzelnen, den Völkern, im Aufbau der Nationen. Infolgedessen entsteht audi hier die Frage nach dem Neuen Sein, was es vielleicht reditfertigt, wenn wir sagen: Nicht nur aus systematisdien, sondern audi aus Gründen unserer Situation kann das Neue Sein der Zentralbegriff einer neuen Theologie werden.

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E R L Ö S U N G IN KOSMOS U N D G E S C H I C H T E Mit dieser Darstellung befinde ich mich am Anfang und nicht am Ende einer Untersudiung, der idi in der gegenwärtigen theologischen Situation großes Gewicht beimesse. Es gibt eine Reihe grundlegender christlicher Begriffe, die vor allem im modernen Protestantismus viel von ihrer ursprünglichen Bedeutung verloren haben. Hierher gehören u.a. Erlösung, Wiedergeburt und der Begriff des Heils, der umfassendste und wichtigste von ihnen. Sie alle werden hauptsächlich, vielfach sogar ausschließlich, so verstanden, als ob sie sich auf die religiöse Situation des Einzelnen beziehen, auf seine Nöte und die Befreiung von diesen Nöten durch die christliche Botschaft. Damit werden aber diese Begriffe ihres volleren Sinnes beraubt, nämlidi ihrer kosmischen Bedeutung, ihrer Beziehung zu Natur, Menschheit und Geschichte. Wenn wir uns vor Augen halten, wie sie in früheren Epochen der Kirdiengeschichte verstanden wurden und welche Rolle sie in der Bibel spielen, finden wir z.B., daß das Heilsgeschehen vorwiegend als kosmischer Vorgang verstanden wird. Der einzelne Mensch spielt demgemäß in ihm nur insofern eine Rolle, als er aufgerufen ist, subjektiv an dem objektiven und universalen Heilsgesdiehen teilzunehmen. Die philologische Begründung für diese Auffassung hat in dem Maße an Überzeugungskraft gewonnen, wie die Forschung die Fülle des Materials berücksichtigte, das wir der Religionsgeschichte für die Deutung der frühchristlichen BegrifTsspradie verdanken. Das bezieht sich vor allem auf die hellenistischen Religionen und ihre asiatischen und griechischen Quellen. Die Philologie als solche ist zwar nidit berufen, Lösungen für theologische Probleme aufzuzeigen, aber sie vermag doch den ursprünglichen, oft sehr tiefen und später vielfach vergessenen Sinn grundlegender religiöser Begriffe zu enthüllen. Bei der Anwendung der philologischen Methode bin ich auf eine schier unerschöpfliche Fülle von Material gestoßen, dessen verschiedene Aspekte ebenso erregend wie aufschlußreich für die religiöse Existenz des Menschen sind. Und das gleidie gilt für die Nebenbedeutungen vieler neutestamentlicher Ausdrücke. Nur ein verschwindender Bruchteil dieses Materials, das uns von Philologen und Historikern erschlossen wurde, konnte hier gesichtet werden, und davon konnte wiederum längst nicht alles in dieser Abhandlung berücksichtigt werden. Aber es erhebt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob diese

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Methode wirklich f ü r unsere Zwecke geeignet ist. H a t denn dieses Material, das aus verschütteten Kulturen ausgegraben wurde, und zwar im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn, f ü r uns noch irgendwelche Bedeutung? Auf diese Frage lassen sich drei Antworten geben. Erstens: Das Neue Testament ist das klassische Zeugnis von Jesus als dem Christus; deshalb muß die Theologie jedes Hilfsmittel verwenden, das zum Verständnis seines ursprünglichen Sinnes beiträgt. Zweitens: Das Christentum hätte nicht die wichtigsten Begriffe des nachbiblischen Judaismus und des hellenistischen Synkretismus verwenden können, ohne ihren Gehalt in sich aufzunehmen, sei es auch nur in umgewandelter Form. Drittens: Überall in der Welt haben die Grundbegriffe der Religionen einige wesentliche Elemente gemeinsam. Sie sind Archetypen, wie C. G. Jung sie genannt hat in Anlehnung an Augustins Umschreibung der platonischen »Ideen". Es lohnt sich, bei diesem Punkt ein wenig zu verweilen. Jung sagt: „Die Entwicklungsgeschichte des Protestantismus ist ein chronischer Bildersturm... Wir alle wissen, wie die jetzt herrschende, erschreckende Symbolarmut zustandekam. Damit ist auch die K r a f t der Kirche geschwunden" 1 . Ferner: »Die entsymbolisierte Welt des Protestantismus hat zunächst eine ungesunde Sentimentalität hervorgebracht und sodann eine Verschärfung des moralischen Konfliktes, der logischerweise zum Nietzscheschen ,Jenseits von Gut und Böse' führte, und zwar lediglich infolge seiner Unerträglichkeit." 2 . Jung empfiehlt den Weg ins kollektive Unbewußte, den Mutterboden der Archetypen. Die Aufgabe der protestantischen Theologie heute scheint mir zu sein, die Situation, wie sie von Jung beschrieben wurde, anzuerkennen und die verlorenen Symbole in einer Weise neu zu interpretieren, daß ihr archetypisdier Charakter wieder durchsichtig und damit ihre christliche Umformung auf der Grundlage ihrer universalen Bedeutung erneut sinnvoll wird. Im folgenden wird dieser Versudi unternommen, und zwar sollen hierbei die in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander stehenden Begriffe Heil, Erlösung und Wiedergeburt erörtert werden. Es ist hierbei zu bemerken, daß ursprünglidi jeder dieser Begriffe unendlich viel mehr bedeutete, als sidi der durchschnittliche Christ von heute klarmacht, und vielleicht auch mehr, als irgendein Mensch unserer Zeit existentiell in sich aufzunehmen vermag. 1

C. G. Jung, Uber die Archetypen des kollektiven Unbewußten, Psychologischen Abhandlungen IX, Zürich 1954, S. 17. 2 ebd. S. 39.

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II. Heil, Erlösung und Wiedergeburt sind eschatologisdie Begriffe. Sie weisen auf etwas hin, was dem gegenwärtigen Zustand der Welt und allem, was in ihr ist, widerspricht. Der kosmischen Esdiatologie verdanken wir die meisten der Symbole, die den Sinn dieser Begriffe erhellen. Es erweist sich darum als unbedingt erforderlidi, die Methode zu erläutern, durch die der Sinn der Esdiatologie aus einem erneuten Verständnis dieser Symbole erschlossen wird. Idi verstehe Esdiatologie so, wie ich es in einem Satze meines Buches The Interpretation of History ausgedrückt habe, daß nämlich nichts im Eschaton ist, was nicht in der Gesdiichte ist. Das heißt, daß die transzendenten Symbole der eschatologisdien Schau die Wirklichkeiten der Gesdiichte ins Absolute erheben. Diese Verknüpfung deutet an, daß es auf der Ebene der Geschidite nur eine fragmentarische und antizipatorisdie Erfüllung geben kann. Andererseits erweist sich darin, daß der Bereich jenseits der Geschichte nicht eine Welt neben dieser Welt, sondern ihre Ewigkeit und Ganzheit ohne die Zweideutigkeiten der zeitlich-räumlichen Existenz ist. In diesem Sinne müssen die eschatologisdien Symbole des Heils, der Erlösung und der Wiedergeburt verstanden werden. Sie verweisen einerseits auf fragmentarische und antizipatorisdie Wirklidikeiten in Raum und Zeit, andererseits aber auf den überzeitlichen Sinn dieser Wirklichkeiten. Diese Auffassung von Esdiatologie schützt vor einem innerweltlichen und utopischen Verständnis der Geschidite. Das Heilsgesdiehen, das Erlösung und Wiedergeburt einschließt, muß daher verstanden werden als die heilende Macht, die in Raum und Zeit wirksam ist, zugleich aber audi darüber hinaus als die transzendente Einheit des in dieser Welt unvollkommenen Heilsgeschehens. Audi das Heilen von Krankheit hat unter diesem Gesichtspunkt sowohl eine immanente wie audi transzendente Dimension, und das gleiche gilt von allen anderen Symbolen des Heilsgesdiehens. So kann Geschichte ebensogut wie Esdiatologie ernst genommen werden.

III. Das griechische Wort soter, das lateinische salvator und „Heiland" im Deutschen sind abgeleitet von saos, salvus, „heil", das übrigens auch im englischen healing enthalten ist. Soteria und salvation bedeuten im Grunde „heilen". Asklepios, der Gott der Heilkunde, erscheint schon sehr früh unter den theoi-soteres, den Heilsgöttern, er spielt dann 242

eine noch bedeutungsvollere Rolle in den späteren Heilsmysterien der Hermetiker. In der Apokalypse des Baruch wird vom neuen Äon gesagt, daß alsdann »Gesundheit herabsteigen und Krankheit sidi entfernen wird" (Syr. Bar. 73,2). Jesus ist besonders bei Markus weitgehend der Heilende. In seiner Antwort auf die Frage von Johannes dem Täufer begründet er den Beginn des neuen Äon durch die ihm gegebene Macht zu heilen. Während Männer wie Empedokles und Paracelsus zugleich Priester und Arzt waren und deshalb wie Heilbringer verehrt wurden, ist in jüngster Zeit die Verbindung zwischen Heil und Gesundheit fast in Vergessenheit geraten. Aber es scheint, daß wir wieder im Begriffe stehen, wenigstens einige der Beziehungen zwischen Heilsidee und Gesundheit wiederzuentdecken. Der Zusammenhang von Schuld, Geisteskrankheit und körperlicher Erkrankung, wie er in den Berichten der Evangelien anklingt (vgl. Matth. 12 und Mark. 2) wird heute von der Seelsorge, der analytischen Psychotherapie und der Medizin anerkannt und hat eine Zusammenarbeit zwisdien ihnen eingeleitet. Die englische Übersetzung von sesoken se (Matth. 9,22) lautet made thee whole, d. h. hat dich ganz gemacht, was darauf hindeutet, daß Krankheit Zerfall, Auflösung, Spaltung bedeutet, während soteria Heil, Wiederherstellung, Vereinigung des Getrennten, Ganzsein heißt. Die neuere Gestaltpsydiologie und die Gestaltmedizin haben im Begriff der Ganzheit das Grundprinzip aller Heilkunst erkannt. Diese Ganzheit bedeutet nicht nur einen Gleichgewichtszustand des Leibes und die Zentriertheit des Geistes, sondern auch die Einheit dieser beiden Seiten der menschlichen Natur. Religiös gesprochen ist heilende Macht im Sinne von „Ganzmachen" erlösende Macht, und sie hat kosmische Bedeutung. Sie ist die fragmentarische Vorwegnahme des .Neuen Seins* in einem Sonderbereich des Lebens. Das verleiht der Medizin etwas von der Würde der Religion.

IV. Soteres nannte man nicht nur diejenigen, die Körper und Geist heilten, sondern ebenso diejenigen Männer, die die Gesundheit des Staatskörpers gewährleisteten, indem sie durch Stärke, Gesetz und Ordnung seine Ganzheit begründeten und bewahrten. So wurden die griechischen Diadochen und die römischen Herrscher Heilbringer genannt, die Ptolomäer sogar theoi-soteres (Gott-Heilbringer). Von Augustus sagt die Inschrift von Priene: „Die Vorsehung hat diesen Mann zum Heil des Volkes mit solchen Gaben ausgestattet, daß er als Heiland gesandt 243

wurde. Er soll allem Streit ein Ende machen." Der altjüdisdie Messias ist ebenfalls ein Beispiel für diese Idee des Heilbringer-Königs. Auch er wird soter genannt. Er besiegt die Feinde, die die politische Existenz Israels zerstören, und er sidiert dem Volk Frieden und Gereditigkeit. Der Heilbringer ist in allen Epochen der israelitischen und jüdisdien Eschatologie in erster Linie eine Gestalt des staatlich-gesellschaftlichen Bereichs. Er bleibt das selbst in den apokalyptischen Visionen, wo er als Sieger über die dämonischen Mächte erscheint, als Richter und universaler Friedensfürst, der alles Sinnen auf Krieg verbannen und die Schwerter in Pflugsdiaren verwandeln wird. Und selbst dann nodi, wenn der soziale Bereich überschritten wird, verwendet man Symbole aus dem gesellschaftlichen Leben zur Bezeichnung der kosmischen Ordnung. Isis wird Heilbringerin genannt, weil sie Menschen und Sternen Ordnung bringt, und Zoroaster nennt sich der .Heiler des Lebens', das durch die dämonischen Devas in Unordnung gebracht worden ist. Die soziale Bedeutung des Heilsgedankens ist von den Kirchen entschieden unterdrückt worden, allerdings ohne wirklichen Erfolg. Der Heilsgedanke wurde von ihnen ins Geistige übertragen und individualisiert. Der Chiliasmus wurde weginterpretiert, am nachdrücklichsten von Augustin. Das Luthertum, nicht Luther selbst, hat fast ausschließlich das Heil des Einzelnen betont. Die Erde wird in der Endkatastrophe zerstört, nicht verwandelt werden, im Unterschied zur Ansicht einiger Calvinisten. - Entgegen diesem konservativ-individualistischen Verständnis der Erlösung durch die Kirchen haben einige Sekten das soziale Element des Heilsgedankens bewahrt, wie das auch der fortwirkende Einfluß von Joachim von Floris zeigt, der z.B. nodi in den Ideen des modernen Religiösen Sozialismus sichtbar ist. Heute ist es Allgemeingut, daß das geistig-religiöse Leben des Einzelnen weitgehend bestimmt wird von den Einflüssen seiner Familie sowie seiner gesellschaftlichen Umwelt und im besonderen von den wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Auffassung von der Erlösung als einem rein geistigen Vorgang wird als Ideologie entlarvt, die nicht nur der prophetischen und apokalyptischen Verheißung einer kosmischen Erlösung widerspricht, sondern auch Jesu Seligpreisungen der Armen und Hungernden, denn diese sollen ja nicht arm und hungrig bleiben, sondern ihr Hunger soll in einer neuen Ordnung der Dinge gestillt werden. V. Voraussetzung für die Heilung des Körpers und eine gerechte soziale und wirtschaftliche Ordnung ist die Heilung der zerfallenen Natur 244

ganz allgemein. Das Heilsgeschehen meint nicht nur den Frieden innerhalb der Natur, sondern auch den Frieden zwischen Mensdi und Natur; beide sind vielfach nicht voneinander zu trennen. In vielen Religionen wird Bedeutsames gesagt über den Frieden in der Natur, seine Zerstörung und seine Wiederherstellung. Der Friede unter den Tieren, wie ihn Jesaja 11,6 beschreibt, ist allgemein bekannt. Auf ihn bezieht sich Hosea 2,20, wo Gott erklärt, daß er zur selbigen Zeit einen Bund machen will mit den Tieren auf dem Felde. „Bund" gibt diesem wie in anderen Zusammenhängen dem Naturgesetz und der ewigen Naturordnung einen sozialen Akzent. Diese Ordnung ist zerbrochen, sowohl in der Natur wie im Menschen, und nun bricht Gott ihn seinerseits und überantwortet Natur und Geschichte dem Chaos. Die Folge ist, daß nach Jes. 24,4 das Land jämmerlich steht und verderbet, Himmel und Erde vergehen und die Welt zerfällt. Und in gleicher Weise, mit sehr ähnlichen Worten, beschreibt das indische „Mahabharata" das Kaliyuga, das Zeitalter der völligen Sündhaftigkeit. Die Erlösung kommt von göttlichen Heilsbringern, die den „ewigen Bund", die ursprüngliche Harmonie, den Frieden in der Natur und mit der Natur wiederherstellen. Die wilde Natur der Tiere wird durdi einen Hirtenkönig überwunden, sei es nun Orpheus, Poimandres, David oder Jesus. In vielen Legenden wird das innige Verhältnis zwischen Heiligen und Tieren beschrieben. Der Heilige versteht die Sprache der Tiere und predigt ihnen, denn wie Clemens von Alexandrien sagt, sind die Tiere nicht von der Gotteserkenntnis ausgeschlossen (Strom. V,13). Die vom göttlichen Hirten gezähmten Tiere werden oft gedeutet als die Völker, die gegeneinander und gegen das Reidi Gottes kämpfen. Oft werden sie aber auch als das „Tier in uns" aufgefaßt, als die wilden Begierden in uns, die durdi die Kraft des Erlösers gezähmt werden. In beiden Fällen wird die vitale Grundlage der menschlichen Existenz, die animalische Natur des Individuums und der Völker anerkannt. N u r durdi eine kosmische Verwandlung der animalischen Natur kann der Friede der Seele und der Friede unter den Menschen ermöglicht werden. Der Mythos vom Frieden unter den Tieren ist realistischer als ein Utopismus, der einen Frieden unter den Menschen ohne vorherigen Frieden in der Natur erwartet, obgleich Natur sowohl im Mensdien wie auch außerhalb von ihm ist. Die Erlösung des Menschen ist nicht von der Erlösung der Natur zu trennen, obgleich beim Sündenfall wie auch bei der Erlösung die Kraft, die eine Wende herbeiführen kann, im Menschen liegt. Sehr deutlich wird das in zwei Mythen zum Ausdruck gebradit, die auf diese Beziehung zwischen Mensch und Natur hinweisen. Es handelt 245

sich einmal um den Mythos vom „himmlischen Menschen", dem theosanthropos, dem Menschensohn, der im Zeitalter des Zerfallenseins nicht siditbar ist, der aber als Kind mit dem neuen Äon geboren wird, in dem er sich offenbart und in dem er den allgemeinen Frieden wiederherstellt. Verwandt mit diesem Mythos ist die Vorstellung vom Mensdien als Mikrokosmos, einem Menschen, der im Zentrum der kosmischen Kräfte steht. Er vereint sie in sidi und ist gleichzeitig dazu berufen, sie in der gesamten Natur durch ihre Erkenntnis und Beherrschung in Einklang miteinander zu bringen. Die lange Gesdiichte dieser Ideen verläuft wie ein teils unter- teils oberirdischer Strom von ihren persisch-apokalyptischen Anfängen über Paulus und Irenaus zu Nicolaus Cusanus, wo er sich in zwei Arme teilt, von denen der eine über Jakob Böhme zu Schelling und der romantischen Naturphilosophie, der andere über die mathematischen Naturwissenschaften zur technischen Beherrschung der Natur führt. Beide Riditungen sehen den Mensdien sowohl als Zerstörer wie als Vollender der Natur. Bei Nicolaus Cusanus wird diese Vorstellung gemäß dem Gedanken vom Gottmenschen diristologisdi ausgedrückt, später wird sie in vorwiegend humanistisdien Begriffen formuliert. Eine zweite Gruppe fordert dagegen, daß die Natur dem Menschen angepaßt werde, in der Meinung, daß dies ihre Erlösung sei. Marx hat in diesem Sinne betont, daß es überhaupt keine Natur gebe außer in Beziehung auf den Mensdien oder in der Form einer vom Menschen geformten Natur. Aber ganz offensichtlich ist die Herrschaft des Mensdien über die Natur audi in vieler Hinsidit für die Natur zerstörerisdi. Der Mensch nimmt die Natur nicht nur in Pflege (der Garten als Symbol und Wirklichkeit), sondern er bewirkt auch ihre Zerstörung (wie es das Schlachthaus, die medianistische Abriditung von Tieren usw. zeigt). Dagegen wendet sidi die romantisdi-vitalistisdie Auffassung mit der Forderung, die Wirklichkeit der Natur an sidi wiederzuentdecken und Natur wie Mensdi dadurch zu heilen, daß sie wieder in ein unmittelbares Verhältnis zueinander gebracht werden. Die Theologie sollte in diese Diskussion eintreten. Ihre Lösung birgt unzählige ethische Konsequenzen. Es ist die Aufgabe der christlichen Theologie, die Bedeutung der Erlösung in der Natur herauszustellen.

VI. Eine universale kosmisdie Macht, die vom Erlöser-Gott überwunden wird, ist der Tod. Der Tod ist eine halbpersonifizierte Wirklichkeit. 246

Er wurde zum Herrscher über N a t u r und Mensdien, als das Paradies durch den Fall Adams verlorenging. Alles, was von Staub ist, muß wieder zu Staub werden (Gen. 3). Aber in der ursprünglichen Vollkommenheit, im Garten der Götter verliehen dessen Früchte und andere Götterspeise tatsächliche, wenn auch keine ontologische Unsterblichkeit. Bei der Erlösung des Menschen wird diese tatsächliche Unsterblichkeit durch die sakramentale Speise von denen wiedererlangt, die sie im rechten Geist empfangen (Ignatius: Pharmakon athanasias). Aber im Zeitalter zwischen Sündenfall und Erlösung ist jedes Geschöpf - außer einigen Heroen, die in die Gemeinschaft der Götter erhoben werden - der Gewalt des Todes unterworfen, der ebenfalls personifiziert wird, und zwar als der dämonische „Thanatos" oder als »Hades". Das Gegenteil von Tod ist Ewiges Leben, das gleichfalls eine objektive Macht ist und im Grunde mit dem kommenden Äon oder der H e r r schaft Gottes zusammenfällt. Die kosmische Wirklichkeit des Ewigen Lebens spiegelt sich in den Verben, mit denen es verbunden wird. Es wird ererbt, wir gehen in es ein, wir ergreifen es, oder wie das Buch Henoch sagt: Alles Vergängliche wird verschwinden, und Ewiges Leben wird sein. Damit ist offensichtlich nicht die ontologische Unsterblichkeit der Seele gemeint. Vielmehr führt die Auferstehung f ü r alle, die vor dem Beginn des neuen Äon gestorben sind, zur Teilnahme am Ewigen Leben. Es bedeutet keine fälschliche Vergeistigung dieser Vorstellung, wenn im Johannesevangelium das Ewige Leben zugleich als gegenwärtig und zukünftig gedacht wird. Hierin drückt sidi vielmehr die Paradoxie aller christlichen Eschatologie aus, jene Einheit, des „Schon" mit dem „Noch nicht". Der Ewige Tod ist eigentlich ein rein negativer Begriff, er meint das Ausgeschlossensein von dem neuen Äon, in welchem allein das Ewige Leben herrscht und der Tod ausgelöscht ist. Ein Zustand ewiger Verdammnis in einem positiven ontologisdien Sinn wäre aber nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern bedeutete audi den Sieg des Todes über das Ewige Leben, weil er die Macht behielte, die Schöpfung immerwährender Entzweiung zu unterwerfen. Diese Einsicht führte zur Lehre von der apokatastasis panton (»Wiederherstellung aller"), deren Gefahr allerdings darin besteht, daß sie die Freiheit der Kreatur in einem mechanistischen Sinne auffaßt und damit den letzten Ernst der Verantwortlichkeit schwächt. VII. Heil ist, wie bereits anfangs gesagt, ein komplexer Begriff, der audi jene Vorstellungen enthält, die ihren Ausdruck in den Symbolen der 247

Erlösung und Wiedergeburt gefunden haben. Erlösung weist auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen die zerstörerisdien Kräfte in unserem Äon hin und auf den Preis, der für die Überwindung dieser übermächtigen Kräfte der Zerstörung entrichtet werden muß. Als eine solche Macht ist bereits der Tod genannt worden. Er gehört in den dämonischen Bereich, der Erlösung notwendig macht. Denn hier herrscht das Prinzip des Bösen, das sidi in Gestalten wie Ahriman, Satan oder dem Antichrist verkörpert. Dieses Prinzip ist eine kosmische Wirklichkeit und wirkt als die negative Macht in Geschichte und Natur wie auch im einzelnen Mensdien. In der Geschichte zeigt sich das in den großen Reichen, ihren Tyrannen, die zu Götzen gemacht werden, und in ihren falschen Propheten und Messiasgestalten. Im einzelnen Mensdien bekundet sich das böse Prinzip als eine überpersönliche Macht, die sich seiner bemächtigt, ihn spaltet und ihn Dinge sagen und tun läßt, die ihm wesensfremd sind. In der Natur ist dieses Prinzip die Wurzel aller Übel. Deren Gewalt zeigt sich besonders am Ende unseres Zeitalters, wenn die Welt alt geworden ist, ihrer vitalen Kräfte beraubt und allen Formen von Abgötterei, Sünde, Verbrechen, Haß und Selbstzerstörung zugeneigt. Das Neue Testament enthält eine große Fülle von Beispielen für diesen Zustand, so daß sidi Textbelege hier erübrigen. Nur auf zwei Tatsachen sei hingewiesen: Für Jesus ist der eigentliche Prüfstein für die Ankunft des Reiches Gottes seine Macht über den Satan und die Dämonen (Matth. 12,28; Joh. 12,31). Und Paulus beschreibt den Sieg des Heilands über die dämonischen Mächte in Worten des höchsten Triumphes (Rom. 8). Der Mensdi kann sich durch eigene Kraft nicht von diesen Mäditen befreien. Sie müssen objektiv durch ein neues Sein überwunden werden, erst dann kann der Mensdi subjektiv an den Früchten der Erlösung teilhaben. Das Bedürfnis nach einer solchen objektiven und universalen Erlösung, die allem menschlichen Tun und Streben vorausgeht, ist unserer Zeit hauptsächlich durch zwei Forsdiungsriditungen zum Bewußtsein gebracht worden, nämlich durch Sozio- und Psychoanalyse. Die klassischen Vertreter dieser Richtungen sind Marx und Freud. Beide haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen so tiefen Einfluß ausgeübt und sind durdi die Gegenwart so umfassend bestätigt worden, daß es der Religiöse Sozialismus vermochte, den Begriff des Dämonischen einer Generation von Menschen wieder verständlich zu machen, die in ihm nur den Ausdruck eines primitiven Aberglaubens gesehen hatte. Immer weniger konnten die Strukturen des Bösen in unserer individuellen und gesellschaftlichen Existenz übersehen werden, Strukturen, von denen sich die nicht befreien können, die von ihnen gefesselt 248

sind, da sie sich nur durch Strukturen der Gnade, durch Erlösung überwinden lassen. Die kosmische Bedeutung der Erlösung wird noch tiefer sichtbar, wenn wir die Erlösergestalten betrachten. In seinem berühmten Buch vom Ursprung der israelitisch-jüdischen Esdiatologie hat Hugo Gressmann die Ebed-Jahwe-Lieder in ihrem ursprünglichen Sinn gedeutet als rituelle Hymnen, die sich auf Tod und Auferstehung eines Erlösergottes beziehen. Er vergleicht den Ebed mit Adonis, Thamuz, Baidur und anderen ähnlichen Gestalten und gibt uns damit eine Erklärung, wonach die Heranziehung von Jes. 53 usw. zur Deutung von Tod und Auferstehung Jesu als des Christus grundlegend, d. h. im ardietypischen Sinne gerechtfertigt wäre. Es gibt jedenfalls im religiösen Bewußtsein der Menschheit ein weithin anerkanntes Prinzip, wonach der Erlösergott an den Übeln, von denen er befreit, teilhaben muß, damit der Erlöste Zugang zu ihm finden kann. Das versetzt den Vorgang der Erlösung in die Tiefe des Göttlichen selbst. Es überträgt die unendliche Spannung zwischen dem Endlichen und Unendlichen in den „Grund des Seins" und macht sie universal gültig für die Struktur des Seins als solchen. Das Ziel der Erlösung ist das „Neue Sein" im Kosmos, in der Natur, im Menschen und in der Geschichte. Das ist der Sinn der Wiedergeburt. Diese Betrachtungen sollen nodi durch eine Bemerkung ergänzt werden. In Deuterojesaja werden die erlösenden Eigenschaften des Ebed teilweise Israel zugesprochen. Hier taucht der Gedanke auf, daß das Leiden einer menschlichen Gruppe erlösende Kraft für andere Gruppen hat. In der frühen Kirche und im Gedankengut verschiedener Sekten sind ähnliche Vorstellungen hervorgetreten. Das letzte große Beispiel hierfür ist Marx' Lehre von der erlösenden K r a f t des Leidens des Proletariats für die menschliche Gesellschaft.

VIII. Palingenesia oder Wiedergeburt ist vor allem ein eschatologischer Begriff und beschreibt die Erneuerung der Welt. „In der Wiedergeburt" wird des Menschen Sohn auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit sitzen (Matth. 19,28). Bei Markus und Lukas wird das gleiche gemeint mit der Wendung „in dem kommenden Äon". In der Apostelgeschichte (3,21) wird die Wiedergeburt gleichgesetzt mit der »Zeit, da herwiedergebracht werde alles". Die Taufe bewirkt Wiedergeburt, weil sie Teilhabe am Tod und an der Auferstehung Christi vermittelt und damit 249

die „Neue Kreatur" schafft. Erst verhältnismäßig spät wurde dieser Begriff für die ethisch-religiöse Erneuerung der einzelnen Person gebraucht. Aber es gilt hier, wie übrigens bei all den anderen in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffen, daß das objektive und universale Ereignis am Anfang steht und daß die persönliche Partizipation folgt. Man könnte dies vielleicht das „Modell der Partizipation" nennen, doch nicht in dem ontologischen Sinn wie bei Plato. Das Bewußtsein vom transsubjektiven Sinn der Wiedergeburt ist im Selbstverständnis der Renaissance noch lebendig. „Renascimento" ist die Wiedergeburt einer ganzen Epoche, einer Kultur aus den Quellen ihres Seins. Es ist ein sozial-religiöser Begriff und nicht ein historischphilologischer, nämlich die Wiederbelebung der Antike, wie uns das Burdach gezeigt hat. Die Wiedergeburt ereignet sich, wenn der alte Äon an sein Ende gekommen ist und der neue Äon geboren wird. Aber bevor das geschieht, wird ein Chaos, dem Chaos vor der ersten Schöpfung vergleichbar, über Kosmos, Natur und Menschheit hereinbrechen. Alsdann, nach dem Weltgericht, wird sidi die „Neue Schöpfung" vollziehen, ähnlich der ersten vor dem Fall Adams, aber befreit von der dämonischen Bedrohung durdi Sünde und Tod. Es zeigt sich somit klar, daß in all diesen Symbolen Wiedergeburt das Eintreten der neuen Schöpfung und „des neuen Himmels und der neuen Erde" bedeutet. In Christus ist dies „Neue Sein" bereits verwirklicht, und zwar in einer Weise, wie es dem paradoxen Charakter der christlichen Eschatologie entspricht. Der Ausdruck „Neues Sein", den ich seit langem in meinen Vorlesungen über systematische Theologie gebrauche, hat durch diese Untersuchung der ursprünglichen Bedeutung der Begriffe Heil, Erlösung und Wiedergeburt eine unwiderlegbare Bestätigung gefunden. Es würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen, wollte ich hier zeigen, wie der Einzelne nach dem oben aufgezeigten „Modell der Partizipation" von der Macht des „Neuen Seins" ergriffen wird, wie er die Botschaft von diesem Sein anzunehmen vermag trotz des paradoxen Elements in seiner Eschatologie und vor allem trotz der Erfahrung von Schuld und unaufhebbarer Sündhaftigkeit. Aber idi bin davon überzeugt, daß der subjektive Vollzug der Erlösung verständlich wird, wenn man ihren objektiven und universalen Charakter verstanden hat. Der umgekehrte Weg ist dagegen kaum möglich. Die moderne Philosophie hat zwei Berührungspunkte mit den Ideen der kosmischen Erlösung und Wiedergeburt. Der eine ist die hauptsächlich von Kant gewonnene Einsicht, daß „Welt" nicht etwas un250

geheuer Großes oder eine Aneinanderreihung von Dingen außerhalb unseres Ichs ist, sondern daß sie bezogen ist auf ein Selbst, dessen Welt sie ist. Diese Vorstellung schafft eine feste Verbindung zwischen dem, was im Menschen, und dem, was im Kosmos vorgeht. Unsere Welt ändert sich, wenn wir uns ändern. Das heißt, daß nicht wir allein in diesem Verhältnis die Abhängigen sind. Der zweite Berührungspunkt liegt in der Tatsadie, daß die moderne Physik den mechanistisch verstandenen Determinismus als Ursprung aller physikalischen Vorgänge abgelegt zu haben scheint. Damit hätte sie sich dem Neuen gegenüber geöffnet, während ihr früheres Weltbild ein wesentlidier Grund für die Entfremdung zwischen Mensdi und Natur war und der Idee einer kosmischen Wiedergeburt im Wege stand.

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D I E H O F F N U N G DER C H R I S T E N Paulus sagt in dem großen Kapitel über die Auferstehung, 1. Kor. 15: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die elendesten unter allen Mensdien." Das ist ein starkes Wort, und es scheint die Hoffnung der Christen auf das Leben nach der Auferstehung von den Toten zu beschränken. Es scheint die populäre Auffassung vieler Christen und vieler Gegner des Christentums zu bestätigen, daß das Ziel des diristlichen Lebens das Jenseits des Lebens ist, wie immer man sich dieses „Jenseits des Lebens" vorstellt. Sicherlich, niemand kann bestreiten, daß die Ausrichtung des Lebens auf das Jenseits des Lebens ein starkes Element in der Entwicklung des Christentums ist. Christliche Hoffnung ohne Hoffnung auf ewiges Leben ist undenkbar. Darin stimmen das Neue Testament in allen seinen Teilen und die Lehre der Kirchen in allen Perioden überein. Aber damit ist wenig gesagt, wenn nicht zugleich drei Fragen beantwortet sind: die erste nach dem Verhältnis dieses Lebens mit seinen Hoffnungen zu der Hoffnung des ewigen Lebens; die zweite nadi dem, was mit dem Wort, genauer mit dem Symbol »ewiges Leben" gemeint ist, und die dritte nadi den Bedingungen, unter denen die christliche Hoffnung erfüllt ist. Wenn die ersten Worte Jesu lauten: „Die Zeit ist erfüllt und das Reidi Gottes ist herbeigekommen", so sind das nidit mehr Worte der Hoffnung, sondern Worte der erfüllten Hoffnung. Das, was die Hoffnung der Völker und Israels war, ist jetzt Ereignis, hier in Raum und Zeit. Aber es ist nodi verborgen; es ist Geheimnis, das nur der erkennen kann, dem der göttliche Geist die Augen öffnet und der sieht, daß er in ihm, in Jesus und seiner Botschaft, da ist. Darum gilt die zweite Bitte des Vaterunsers „Dein Reich komme" auch jetzt, nachdem das Reidi gekommen ist. Es ist da und nicht da; es wirkt und ist verborgen. Darum ist das Leben der Christenheit die Spannung zwischen dem „Schon" und dem „Noch-nicht", zwischen Empfangen-Haben und Hoffen. Gegenstand der Hoffnung ist das Reich Gottes; aber nicht als etwas, das jenseits von Raum und Zeit einer anderen Ordnung angehört, in die der Einzelne eingeht oder nicht eingeht. Das Reich Gottes in der Hoffnung des Neuen Testaments ist nicht der jenseitige Himmel, in den der Einzelne nach seinem Tode kommen möchte, sondern es ist die 252

Herrschaft Gottes auf Erden wie im „Himmel". Das bedeutet aber, daß die christliche Hoffnung sich nicht nur auf das Jenseits von Raum und Zeit richtet, sondern auch auf etwas innerhalb der menschlichen Geschichte, und daß es nicht nur die Hoffnung des Einzelnen ist, am ewigen Leben teilzuhaben, sondern die Hoffnung aller Menschen der Menschheit und des Universums, verwandelt zu werden durdi die Aufrichtung der Herrschaft Gottes auf Erden. Dieser Gedanke liegt in der Linie der alttestamentlichen Propheten, für die der Berg Zion das Zentrum der Gottesherrschaft auf Erden war. Und doch ist die christliche Hoffnung etwas anderes; sie ist universal menschlich, nicht an das jüdische Volk gebunden, und sie ist unpolitisch, nicht von menschlichem Handeln abhängig. Dadurch enstand für das Christentum ein schweres Problem, nämlich die Frage: Wo ist das Reich Gottes auf Erden zu finden? Es ist da in dem Christus, wenn auch als Mysterium; aber ist es auch sonst da? H a t die Erscheinung des Reiches Gottes in dem Christus Wirkungen in der Geschichte gehabt? Ist etwas in ihr verwandelt? Wenn nichts geschehen ist, hat dann die jüdische Kritik nicht recht, wenn sie bestreitet, daß in Jesus der Christus (das griechische Wort für Messias) gekommen ist? Müssen wir dann nicht eines anderen warten - wie die Jünger Johannes' des Täufers skeptisch fragen? Die christlichen Antworten auf diese Frage waren und sind mannigfach. Sie alle aber haben zwei Seiten: Etwas ist geschehen, und auf Grund dessen, was geschehen ist, wird mehr und Größeres geschehen. Das, was geschehen ist, ist am machtvollsten von Paulus ausgedrückt, wenn er von dem Sieg des Christus über die dämonischen Mächte spricht. Ihre Herrschaft über die Erde ist gebrochen. Sie sind nicht verschwunden, aber die Menschheit ist nicht mehr ohnmächtig gegen ihre zerstörerischen Strukturen im persönlichen und sozialen Leben - denn das ist mit den Dämonen gemeint. Das Gottesreich hat den entscheidenden Sieg errungen; aber der Kampf geht weiter. Und jeder einzelne Christ muß an dem Kampf „mit den Fürsten und Gewaltigen, den Herren der Welt, die im Finstern herrschen", wie der Epheserbrief sagt, teilnehmen. Der Endsieg ist gewiß, aber der Einzelne kann nicht ohne eigenen Kampf Sieger sein. Worin denn zeigt sich der Sieg, der grundsätzlich errungen ist, tatsächlich in der Geschichte? Darauf sind zwei Antworten gegeben worden, eine konservative und eine revolutionäre. Die erste, in der Kirche vorherrschende, sagt, daß in der Kirche das Reich Gottes da ist; beide sind nicht identisch, denn zu der Kirche gehören viele, die nicht Christen sind. Aber in der Hierarchie und den Sakramenten und dem Wort 253

ist das Reich Gottes da. In dieser Beziehung ist die Hoffnung des Christen in Raum und Zeit erfüllt. Aber die Erfüllung ist mehr verborgen als offen. Sie ist zweideutig und fragmentarisch. Unwahrheit, Ungerechtigkeit, Sünde und Tod sind nicht beseitigt. Daher muß die Hoffnung über dieses Leben und die Geschichte dieser Welt hinauslangen nach dem ewigen Leben, zunächst jedes Einzelnen, dann, am Ende, der ganzen Welt. Es ist verständlich, daß diese konservativ-kirchliche Lösung die christliche Hoffnung praktisch auf die Hoffnung des Einzelnen reduzierte, jenseits dieser Welt am ewigen Leben teilzunehmen. Die innergeschichtliche Hoffnung, die mit dem Gedanken des Kommens des Reiches Gottes verbunden war, versdiwand. Katholizismus und Luthertum sind typisch für diese Haltung. Gegen sie ist von jeher die revolutionäre Lösung aufgetreten, getragen von Einzelnen und Gruppen. Sie ist schon im Symbol des Tausendjährigen Reiches im Buch der Offenbarung ausgedrückt. Eine letzte Periode der Geschichte, eine Endzeit innergeschichtlicher Erfüllung wird erwartet. Von Bewegungen in der Frühzeit der Kirche an bis zu den religiös-sozialistischen Gruppen in der Gegenwart ist diese Hoffnung immer wieder lebendig geworden, besonders in Krisenzeiten wie dem 13. Jahrhundert, der Reformation und dem 20. Jahrhundert. Oft drückt sich die Hoffnung auf die Endzeit in dem Symbol eines „dritten Zeitalters" aus, das unmittelbar bevorsteht. Die revolutionären Franziskanermönche nannten es das Zeitalter des Heiligen Geistes gegenüber den Zeitaltern des Vaters und des Sohnes. Später, unter dem Einfluß der Aufklärung, wurde das Symbol des dritten Zeitalters von den revolutionären Gruppen der modernen Periode gebraucht, als „Zeitalter der Vernunft" oder als „Klassenlose Gesellschaft". Das Kommen des Reiches Gottes wurde als Verwirklichung einer gesellschaftlichen Utopie verstanden. Mit dem Zusammenbruch so vieler Utopien in unserem Jahrhundert und der Enttäuschung und Verzweiflung, die ihm folgten, hat die Frage nach der christlichen Hoffnung eine neue Dringlichkeit erhalten und mit ihr, auch außerhalb der christlichen Kirchen, die Frage nach dem Sinn der Geschichte überhaupt. Die christliche Theologie versucht zur Zeit, einen Weg zu finden, der die Wahrheit der konservativen und der revolutionären Deutung der Reichs-Gottes-Hoffnung vereinigt. Daneben aber steht die christliche Hoffnung auf das Reich Gottes jenseits der Geschichte, das ewige Leben. N u r in den säkularen Umformungen der Idee des dritten Zeitalters ist die Idee einer übergeschichtlichen Erfüllung der Geschichte fallen gelassen. - Was bedeutet das Symbol des ewigen Lebens? Auf diese Frage muß man zunächst 254

negativ antworten. Es bedeutet nicht, was populärer diristlidier Aberglaube mit Hilfe eines mißverstandenen Plato daraus gemadit hat: Es bedeutet nicht zeitliche Fortdauer des Einzelnen nach dem Tode. Es würde das auch dann nicht bedeuten, wenn okkulte Erfahrungen die Fortdauer einer geistigen „Substanz" nach dem Tode wahrscheinlicher madien könnten. Ewiges Leben ist Leben in der Gegenwart Gottes, in der Zeit und in Ewigkeit, aber es ist nidit endlos verlängerte Zeit. Es reicht zurück in die Ewigkeit, aus der alles Zeitliche kommt, und es reicht vorwärts in die Ewigkeit, zu der alles zurückkehrt. Die christliche Hoffnung ist die Hoffnung, an dem ewigen Leben, dem Leben Gottes, teilzunehmen. Ewiges Leben ist nicht endloses Leben. Was endlich ist, bleibt endlich in sich selbst; aber es kann teilhaben an dem, was jenseits von Endlichem und Unendlichem liegt, dem Ewigen. Ewigkeit ist nicht Zeitlosigkeit. Zeitlos sind mathematische Sätze. Ewiges Leben ist Leben, und Leben schließt Zeitlidikeit ein; aber nicht unsere Zeitlichkeit, nicht die Zeitlichkeit des Nacheinander, der vergangenen Vergangenheit und der unbekannten Zukunft, der endlosen Wiederholung endlicher Erlebnisse. Sondern eine Zeitlichkeit, wie wir sie zuweilen wahrnehmen, wenn Ewiges in unsere zeitliche Existenz einbricht. Mehr können wir nidit sagen; denn all unser Sagen ist ans Endliche gebunden und kann das Ewige nicht erreichen. Darum ist es unmöglich, aus der christlidien Hoffnung eine himmlische Utopie zu machen, und wenn es versucht wird, kann es nur in reiner Poesie geschehen, die keinen Zweifel läßt, daß es sich um dichterische Bilder für das Unaussprechliche handelt. Jedes Wort darüber hinaus ist absurd und verfällt der Lächerlichkeit. Etwas muß jedoch noch gesagt werden über die christliche Hoffnung auf die Auferstehung des Leibes und das Ende der Zeit. Paulus kritisiert zwei Mißdeutungen dieser Hoffnung. Die eine ist die spiritualistisdie, die andere die materialistische. Gegen die erstere, die griediisdiplatonische, sagt er, daß ohne Leib der Geist nackt ist, ohne Verkörperung und darum ohne Erfüllung. Seine Auffassung des Menschen verträgt nicht die Trennung von Geist und Leib. Seine jüdische Tradition schützt ihn gegen den Gedanken einer leiblosen unsterblichen Seele. Der ganze Mensdi stirbt, und der ganze Mensdi wird auf erweckt. Und der ganze Mensch, das heißt seine einmalige, unvergleichliche, unwiederholbare Individualität, die sich im Leibe ausdrückt, gehört zur Ewigkeit. Das ist der tiefe Sinn des Symbols der Auferstehung des Leibes. Paulus wehrt sich aber zugleich dagegen, daß dieses Symbol wörtlich, und das heißt materialistisch aufgefaßt wird. Er spricht von einem 255

geistlichen Leib - ein Wort, das nur negativ verstanden werden kann: Leib? Ja! Aber nicht materieller Leib. Geist? Ja! Aber nicht leibloser Geist. Und wieder gilt: Mehr können wir nicht sagen, denn hier geht das Zeitliche über in das Ewige. Wir müssen nun noch von dem Übergang des Zeitlichen in das Ewige sprechen, symbolisch genannt der „Jüngste Tag". Er kann Gegenstand der Hoffnung sein; so wie Luther sagte, daß er sidi nach dem „lieben Jüngsten Tag" sehne, in dem die Schrecknisse der Weltgeschichte zu Ende kommen. Gewöhnlich aber ist das, was der Jüngste Tag bedeutet, nämlich der Übergang des Zeitlichen in das Ewige, ein Gegenstand der Angst; denn dieser Übergang bedeutet Gericht, das heißt Scheidung dessen, was wahrhaft ist, von dem, was nichtig ist. Nur das Wahrhafte hat Ewigkeit; das Nichtige ist vom Ewigen ausgeschlossen. Hier sind die Wurzeln der Angst, die der Hoffnung entgegensteht und die zu Hoffnungslosigkeit, also zu Verzweiflung treiben kann. Die Hoffnung des Christen ist nichts Selbstverständliches; sie ist ein Element des Glaubens und ist gegründet in dem Mut des Glaubens, der das Ewige bejaht, auch wenn alles Endliche dagegensteht. Wer diesen Mut hat, erfährt das Ewige hier und jetzt und kann dem Ende des Zeitlichen entgegensehen. Und er kann über sich hinaussehen auf die andern, die Nächsten und die Fernsten, und auf die Welt als Ganzes. Und er kann hoffen, daß alles Zeitliche, wie es aus dem Ewigen kommt, in das Ewige zurückkehrt - so daß, wie Paulus sagt, Gott sein wird alles in allem. Das ist die Hoffnung der Christen.

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DIE CHRISTLICHE HOFFNUNG IHRE WIRKUNG IN DER

UND

WELT

In der Serie »Die Hoffnungen unserer Zeit" hat das Thema, zu dem ich sprechen werde, eine besondere Stellung. Es ist das einzige, das ausdrücklich die religiöse Hoffnung zum Gegenstand hat. Das allein ist bemerkenswert. Es zeigt, und mit vollem Recht, daß die Religion, die ursprüngliche Quelle aller menschlichen Hoffnung, sich für das Bewußtsein unserer Zeit erschöpft hat und daß sie ersetzt ist durdi innergeschichtliche Gegenstände des Höffens, politische Ordnungen, geistige Wandlungen, menschliche Einsichten und menschliche Vervollkommnung. Jedoch, es ist meine Uberzeugung, daß all diese Hoffnungen, so profan sie scheinen mögen, eine religiöse Dimension in sich haben. Um sofort das schwierigste Beispiel zu geben, verweise ich auf das fünfte Thema „Die Hoffnung auf eine geistige Wandlung in Rußland". Die Hoffnung kann nicht die sein, daß der Kommunismus in Rußland beseitigt wird. Aber es kann die sein, daß der prophetisch-religiöse Hintergrund des kommunistischen Glaubens gegen seine wissenschaftliche und politische Profanisierung durchbricht. Und Ähnliches trifft auf alle endlichen Gegenstände der Hoffnung zu. Hinter ihnen, durch sie durchscheinend steht eine religiöse Hoffnung, nämlich die Hoffnung auf eine Erfüllung dessen, was der letzte Sinn menschlichen Daseins ist. Mit anderen Worten: Das religiöse Thema ist in allen Vorträgen da, aber nur in einem ist es ausdrücklich da, und in ihm ist es genannt: „Die christliche Hoffnung." Naturgemäß fragt man: Ist dies die einzige Form der religiösen Hoffnung, die wert ist, erwähnt und den profanen Hoffnungen entgegengesetzt zu werden? Man wird auf die jüdische Hoffnung hinweisen, aus der die christliche hervorgegangen ist, oder auf die Hoffnung der in Indien geborenen Religionen, die zur Zeit einen großen Einfluß auf die westliche Welt ausüben, oder auf die Hoffnungen der weiten, uns so schwer zugänglichen Welt des Islam, die sehr ausgeprägt sind und wie die christliche Hoffnung starke Wirkungen der spätjüdischen, persisch beeinflußten Jenseitshoffnung zeigen. In all dem sind Hoffnungen lebendig, die zu unserer Zeit gehören und in ihr wirksam sind. Die Beschränkung unseres Themas und meiner Zeit machen es unmöglich, auf die nicht-christlichen Formen der religiösen Hoffnung 257

direkt einzugehen. Aber es gibt etwas, das über diese Grenze hinweghilft: die unendliche Vielfältigkeit des Christentums, das, wie der große Theologe um die Jahrhundertwende, Adolf von Harnack, gesagt hat, selbst ein Kompendium der Religionsgesdiichte darstellt. Und das gilt in ganz besonderer Weise von dem »Prinzip Hoffnung", wie es Ernst Bloch genannt hat. Es ist die Größe des Christentums, daß es mehr ist als irgendeine seiner geschichtlichen Formen und jede von ihnen einer radikalen Kritik unterwerfen kann, ohne sein Fundament zu verlieren. Das beantwortet auch die Frage, die sicher von vielen von Ihnen in diesem Moment gestellt wird: Von weldiem theologischen Standpunkt aus wird die diristlidie Hoffnung gesehen? Offenbar von einem protestantischen aus, da der Verfasser der Rede ein protestantischer Theologe ist. Aber das protestantische Prinzip hat die Kraft, von der Enge auch der protestantischen Wirklidikeit zu befreien und den Blick zu öffnen für die Fülle der Symbole, in denen sich die diristlidie und religiöse Hoffnung in der Geschichte ausgedrückt hat. II. Die diristlidie Hoffnung ist, wie die jüdische und islamische, im alttestamentlidien Schöpfungsgedanken begründet. Der Glaube, daß Gott, der das Gute selbst ist, die Welt geschaffen hat, schließt den weiteren Glauben ein, daß die Welt selbst in ihrer geschaffenen Natur gut ist. Denn nur Gutes kann von der Quelle kommen, die das Gute ist. Keine verneinende Kraft ist an der Schöpfung beteiligt, kein Gegengott, keine Materie, die sich dem Guten widersetzt. Audi die Materie ist göttliche und darum gute Kreatur. Daher ist es undiristlich, wie es unjüdisdi und unislamisch ist, die Materie dem Geist gegenüberzustellen und den Geist gut, die Materie sdiledit zu nennen. Der Mensch, zum Beispiel, ist gut in der Einheit von Geist und Leib, die für die christliche Hoffnung audi ewige Gültigkeit hat. Und was vom Menschen gilt, das gilt von allen Teilen des Universums: sie sind gut, wie der Mensch gut ist, der aus ihnen hervorgegangen ist. Das ist der Hintergrund der christlichen Hoffnung. Ohne ihn zu verstehen, ist alles Reden über sie irreführend oder sinnlos. Auf diesem Hintergrund aber erscheinen die dunklen Schatten: Übel, Tod, Schuld, die das Christentum auf den Sündenfall zurüdcgeführt hat, ein Symbol, für das wir heute den Begriff „Entfremdung" gebrauchen können. Welt und Menschheit und jeder einzelne Mensch sind entfremdet von dem, was sie schöpfungsgemäß sein sollten. Das Gute 258

ist nicht ausgelöscht, sonst könnten sie nidit sein, denn das Sein als Sein ist gut, wie Augustin gesagt hat. Aber das Gute ist verzerrt und wird in seiner Verzerrtheit zum Bösen und verfällt der Selbstzerstörung und dem Elend des entfremdeten Daseins. Weniger als je ist es heute nötig, ein Bild der Selbstentfremdung zu geben. Die Literatur, Kunst und Philosophie der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts haben das in überwältigender Weise getan. Sie haben einen Stil geschaffen, den man den existentialistischen nennt, weil er alle Tiefen und Dunkelheiten und Schrecken der Existenz aufzuzeigen sucht. Es ist ein Stil der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, in dem aber eins zu neuer Hoffnung Anlaß gibt, nämlich der Mut, die menschliche Entfremdung so hinzustellen, wie sie ist. Denn nur aus Hoffnungslosigkeit kann eine Hoffnung sich erheben, die Bestand hat; wie in der christlichen Symbolik nur in der Hoffnungslosigkeit des Kreuzes die Auferstehungshoffnung geboren werden konnte. Darum ist unsere Zeit trotz der allbeherrsdienden Symbole der Entleertheit und Verzweiflung eine Zeit, die reif ist für eine Neugeburt der Hoffnung. Auf dem Hintergrund des Schöpfungsgedankens, im Bewußtsein um die Entfremdung der Kreatur von ihrem wahren Wesen erhebt sidi die christliche Hoffnung. Wo die eine oder die andere Seite fehlt, mag es wohl Hoffnung geben, aber keine, die christlich genannt werden könnte. Wo mit dem Schöpfungssymbol das Gutsein alles Geschaffenen aufgegeben wird, fehlt das Recht zur Hoffnung. Denn wenn das Seiende in seinem innersten Wesen nicht gut ist, wie kann es je gut werden? Wenn, wie im Hinduismus, das Dasein selbst Abfall ist, wie kann es je Erfüllung im Dasein geben? Dann ist Oberwindung des Daseins die einzige mögliche Hoffnung, und das Ziel alles Endlichen muß sein, als Endliches zurückzukehren zu dem, wovon es abgefallen ist, dem Ewig-Einen, dem Grund alles Daseins. Audi das ist Hoffnung, aber nicht christliche. Und vielleicht ist es im Tiefsten mehr Verzicht als Hoffnung. Wer kein Ja zu seinem Ursprung hat, der kann auch kein Ja zu seinem Ziel haben. Aber auch die andere Seite darf nicht fehlen: Wer nur Licht oder langsam weichendes Dunkel im Dasein sieht, hat keinen Anlaß zur Hoffnung im christlichen Sinne. Für ihn ist die Welt so eingerichtet, daß sich das Bessere mit Notwendigkeit durchsetzt. Das Kommen der Erfüllung kann soziologisch berechnet werden. Man kann es mit Sicherheit erwarten, sei es als Fortschrittsgläubiger, der zwar für den Fortschritt arbeitet, aber seines Kommens gewiß ist, sei es als Revolutionär, der zwar nicht des nächsten oder übernächsten, aber des endgültigen Sieges gewiß ist. Beide sehen nicht die universale Tragik der Entfrem259

dung, auch wenn sie das Wort gebrauchen. Beide haben Hoffnung, aber es ist nidit die christliche Hoffnung. Denn es fehlt der Abgrund der Hoffnungslosigkeit. Es ist mehr Berechnung als Hoffnung.

III. Das sind die Voraussetzungen der christlichen Hoffnung: die Güte der Schöpfung und die Entfremdung der Existenz. Was ist der Inhalt dieser Hoffnung? Die allgemeine Antwort ist klar: Christliche Hoffnung ist Hoffnung auf Überwindung der Entfremdung und Erfüllung des Zieles, für das jede Kreatur gesdiaffen ist. Aber diese allgemeine Bestimmung ist zu weit. Sie ist auch gültig für manche nicht-christlichen Formen der Hoffnung. Weitere Merkmale des spezifisch Christlichen in der Hoffnung müssen genannt werden. Ich möchte diese Merkmale zusammenfassen in einem zentralen Begriff der christlichen Symbolik, dem des Reidies Gottes. Das Ziel der christlichen Hoffnung ist das Kommen des Reiches Gottes: „Dein Reich komme" ist das tägliche Gebet des Christen. Es ist die prophetische Hoffnung, die im Zusammenhang mit harter Verurteilung der geschichtlichen Wirklichkeit ihrer Zeit von den israelitischen und jüdischen Propheten ausgesprochen und vom Christentum übernommen wurde. Dieses Reich ist das Reich der »Himmel", ein anderes Wort für „Gott". Im Grunde bedeutet es kein Reich im Sinne eines Gebietes, sondern es bedeutet die Herrschaft Gottes über alles, was ist. Wo diese Herrschaft aufgerichtet ist, da herrscht Friede, Gerechtigkeit, Liebe, Freude, auf Grund der Gemeinschaft mit Gott. Das Kommen dieser Gottesherrschaft, dieses Reiches Gottes, ist die christliche Hoffnung. Und nun erhebt sich die Frage: Wo ist dieses Reich Gottes und was bedeutet die Teilnahme an ihm? In der Entwicklung des Christentums sind naturgemäß zwei Antworten auf diese Frage in Erscheinung getreten: die eine, in der das jenseitige, und die andere, in der das diesseitige Element der Reich-Gottes-Idee im Vordergrund steht. Von frühen Zeiten an bis zur Gegenwart beherrscht diese Spannung das christliche Denken. Sie liegt schon der dritten Bitte des Vaterunsers zugrunde: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden." Es ist eine Spannung, die von größter Bedeutung für die Entwicklung nicht nur der Kirche, sondern der ganzen westlichen Gesellschaft war und ist. Wenn das jenseitige Element des Symbols „Reich Gottes" betont wird, nimmt die christliche Hoffnung die folgende Form an: „Die Welt liegt im Argen", wie das vierte Evangelium sagt. Erlösung ist Erlösung von 260

den dämonischen Mächten, die die Welt regieren. Obgleich durch das Kommen des Christus ihre Macht grundsätzlich gebrochen ist, sind es nur einzelne, die ihrer Macht entronnen sind und die in das jenseitige Reich Gottes eingehen. Diese urchristliche Stimmung kehrt im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder. Sie hat zum weltentsagenden Mönchstum und im späten Mittelalter zu mystischen Bewegungen geführt, in denen das Reich-Gottes-Symbol des Alten Testaments, Jesu und des Urchristentums fast entwertet und die Güte der Materie zweifelhaft wurde. Jenseits-Stimmung war auch herrschend im deutschen Luthertum und hat dazu geführt, daß die Kirchen - genau wie die russische orthodoxe Kirche - die weltlichen Mächte ohne prophetische Kritik hinnahmen. Die christliche Hoffnung war klassisch ausgedrückt in dem Kindergebet meiner Jugend: „Lieber Gott, mach midi fromm, daß ich in den Himmel komm." Das ist weit entfernt von der Bitte des Vaterunsers: „Dein Reich komme." Vom Kommen des Reiches war kaum die Rede und das Symbol „Reich Gottes" war ersetzt durch das jenseitige Paradies, in das der Gläubige eingeht. Das war anders in der römischen Weltkirche, die sich selbst als das Reich Gottes auf Erden betrachtete. Und es war radikal anders in den Sekten und Laienbewegungen des Mittelalters sowie im reformierten und sektiererischen Protestantismus, wo die Aufrichtung der Gottesherrschaft auf Erden das Hauptanliegen war. Die Hoffnung richtete sich auf etwas, das in der Geschichte erwartet wurde, nicht auf das Ubergeschichtlich-Jenseitige. Die dynamische, kämpferische Seite der Reich-Gottes-Idee kommt hier überall in den Vordergrund. Und sie hält sich nicht im Rahmen der Kirche. Die Herrschaft Gottes soll auf der Erde aufgerichtet werden, durch Vermittlung der Hierarchie im Katholizismus, durch Vermittlung der christlichen Prediger und Laien im Protestantismus. Die Aufrichtung der Gottesherrschaft über die ganze Welt nach dem Vorbild von Calvins Genf, Cromwells England, der Puritaner und Pietisten in Amerika ist das Ziel der innerweltlichen christlichen Hoffnung. Von hier aus müssen die politischen Maditansprüche Roms und der Kreuzzugsgeist der Angelsachsen verstanden werden, von hier aus auch die Wirkung der christlichen Hoffnung auf die Welt. IV. Es wäre unmöglich, im Rahmen eines noch so langen Einzelvortrags über die Wirkung des Christentums als ganzen auf die Welt zu sprechen. Da wir hier aber von der christlichen Hoffnung reden, ist es 261

möglich, wenigstens folgendes zu sagen: Die christliche Hoffnung auf das Kommen des Gottesreiches in die Welt hat der Kultur des Westens eine Ausrichtung auf das Zukünftige gegeben. Das unterscheidet die jüdisdi-diristlidi beeinflußte Kultur von allen anderen, in denen das Vergangene oder das ewig Gegenwärtige entscheidend sind. Die ungeheure welterobernde und naturunterwerfende Dynamik des Westens ist nicht zu verstehen ohne ihre Quelle in der Hoffnung der jüdischen Propheten und der christlichen Verkündung des kommenden Reiches. Sowohl die utopischen Hoffnungsbilder der Renaissance wie der Glaube an das hereinbrechende Zeitalter der Vernunft im 18. Jahrhundert, wie der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts und die sozialistischen Bilder von der klassenlosen Gesellschaft sind abhängig von der religiösen Reich-Gottes-Erwartung. In diesen Bewegungen, die die Welt verwandelt haben, ist die Wirkung der christlichen Hoffnung auf die Welt am greifbarsten. Es wird aber audi deutlich, daß die innerweltlichen Hoffnungen, je mehr sie sich von dieser ihrer religiösen Wurzel entfernen, desto technischer, fragwürdiger, entleerter und enttäuschender werden. Denn es fehlt ihnen mehr und mehr der Blick auf das jenseitige Element der Reich-Gottes-Erwartung und damit eine Antwort auf die Frage nach der Hoffnung des Einzelnen in einer Welt, in der Sinnlosigkeit, Schuld und Tod mehr Anlaß zu Hoffnungslosigkeit als zu Hoffnung geben und in der der heute lebende Einzelne von einer fernen zukünftigen Erfüllung doch ausgeschlossen wäre. Mit dieser Frage kehren wir wieder zurück zu der christlidien ReidiGottes-Hoffnung in ihrer Bedeutung für den Einzelnen jenseits des ihn verschlingenden Flusses der Zeit. V. Man hat der christlichen Hoffnung vorgeworfen, daß sie rein jenseitig ist und dadurch von den ethischen, sozialen und politischen Aufgaben in der Welt ablenkt. Namentlich von sozialistischer Seite, und keineswegs immer mit Unrecht, ist dieser Vorwurf erhoben worden. Die rein jenseitige und, damit verbunden, rein individuelle Ausrichtung der christlichen Hoffnung hat den Blick abgezogen von dem in der Geschichte kämpfenden Gottesreich. Nach dem, was vorher gesagt ist, sollte deutlich sein, daß solche Haltung dem Wesen der christlichen Hoffnung widerspricht. Aber auch das andere muß deutlich werden, daß es zur christlichen Hoffnung gehört, auf die Teilnahme des Einzelnen am vollendeten Gottesreich hinzublicken. Über diese Teilnahme möchte ich am Ende dieser Rede noch etwas sagen. 262

Sie ist sowohl durch abergläubisch-populäre Entstellungen als durch die Ängstlichkeit der Theologen, ihnen entgegenzutreten, vielfach zu einer Karikatur ihres ursprünglichen Sinnes geworden und in dieser Form mit Recht von der modernen Welt abgelehnt worden. Der Inhalt der christlichen Jenseitshoffnung ist „Ewiges Leben". Und ewiges Leben ist nicht endlose Fortdauer, wie Ewigkeit nicht endlose Zeit ist. Im ewigen Grund und Ziel alles Seins ist unsere Zeitlidikeit aufgehoben. Ewigkeit ist nidit Zeitlosigkeit, so wenig wie sie endlose Zeitlidikeit ist. Ewigkeit ist jenseits beider. Gott ist ewig, und ewiges Leben ist Teilnahme am göttlichen Leben, aus dem unser zeitliches Leben kommt und zu dem es zurückkehrt. Teilnahme an diesem Leben, nidit allein und nidit mit einigen Auserwählten, sondern letztlich mit allem, was am göttlichen Seinsgrund teilhat, ist der Inhalt der christlichen Hoffnung, soweit sie ins Jenseits der Zeit blickt. Solche Hoffnung ist nidit ein Wunschtraum, sondern das in die Zukunft gerichtete Element des Glaubens selbst. Darum ist sie, wie der Glaube, ein Gegenstand unmittelbarer Erfahrung, nämlich der Erfahrung des ewigen Lebens, die hier und jetzt geschieht - wie schon das vierte Evangelium in unausgesprodiener Kritik des abergläubischen Bildes einer endlosen Dauer nach dem Tode betont hat. Von dem Inhalt des ewigen Lebens kann im Geiste der christlichen Hoffnung nur eins gesagt werden: es ist Teilnahme an dem Göttlichen, nicht Auflösung in das Göttliche. Es ist die Einheit der Liebe, nicht die Identität des Einen, in das alles zurückgenommen wird. Die unendliche Bedeutung des Einzelnen für das Christentum bleibt in der christlichen Hoffnung erhalten. Aber über das „Wie" kann nichts ausgesagt werden, und wo es versucht wird, ist es dichterische Symbolik, deren Schönheit Absurdität wird, wenn man sie wörtlich nimmt. Darum muß der Theologe hier schweigen und mit allen Kreaturen auf das hoffen, was nicht gesehen und gesagt werden kann. Mit den beiden großen Symbolen des Reiches Gottes und des ewigen Lebens, die beide Teilnahme am göttlichen Leben aussagen, drückt die christliche Hoffnung etwas aus, was sie von allen anderen Formen religiöser Hoffnung unterscheidet. In jeder religiösen Hoffnung, auch der christlichen, ist Wiedervereinigung mit dem göttlichen Seinsgrund erstrebt. Aber die Art der Wiedervereinigung ist verschieden. Sie kann mehr das Aufgehen des Einzelnen im Ewigen und mehr sein Bestehen im Ewigen betonen. Das erste ist die Form der Hoffnung in den mystisch beeinflußten Religionen; das zweite ist die Form der Hoffnung in den prophetisch beeinflußten Religionen. Es ist kein einfaches Entweder-Oder. Aber oft hat eine verschiedene Betonung letzter menschlicher 263

Einsichten unermeßliche geschichtliche Folgen. Und so ist es mit den Symbolen der Hoffnung. Die Wertung der Geschichte, des Individuellen in der Persönlichkeit, der Umwandlung des Wirklichen im Dienste des letzten Zieles, all das gehört zu den Auswirkungen der prophetischen Hoffnung auf die Weltgeschichte. Und wenn die großen Religionen in naher Zukunft in einen geistigen Wettbewerb eintreten werden, dann werden die Symbole der christlichen Hoffnung, Ewiges Leben und Reich Gottes, von entscheidender Bedeutung sein. Ihre Wirkung in der Welt, auch unserer Welt, sei sie offen oder verborgen, sei sie direkt oder indirekt, kann nicht aufhören.

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DIE

VERKÜNDIGUNG

DES

EVANGELIUMS

Die Frage, von der hier die Rede ist, lautet nicht: Was ist eigentlich die christliche Botschaft? - sie lautet vielmehr: Wie soll und kann die Botschaft - die vorausgesetzt wird - den Menschen unserer Zeit nahegebracht werden? Mit anderen Worten, uns beschäftigt hier die Frage: Wie kann das Evangelium heute verkündigt werden? Wie läßt sich die Botschaft so sichtbar und vernehmbar machen, daß sie entweder angenommen oder verworfen werden kann? Die Frage kann nicht lauten: Wie verkünden wir das Evangelium, so daß andere es annehmen? Denn dafür gibt es keine gültige Methode. Das Evangelium verkündigen heißt, es den Menschen so darzustellen, daß sie sich für oder gegen das Evangelium entscheiden können. Das christliche Evangelium ist Sache einer Entscheidung. Es kann nur angenommen oder verworfen werden. Und wir, die wir das Evangelium verkündigen, können nur eines tun: eine echte Entscheidung ermöglichen. Eine solche Entscheidung ist auf Verstehen und partieller Partizipation gegründet. Wir alle kennen den Schmerz, wenn wir Menschen begegnen, die das Evangelium verwerfen, ohne es eigentlich zu kennen, oder solchen, die keine echte Entscheidung treffen können, weil ihnen das Evangelium nicht eigentlich nahegebracht worden ist. Eine andere, kaum weniger schmerzliche Erfahrung ist es, Menschen zu begegnen, die das Evangelium unbesehen angenommen haben, ohne sich jemals recht entschieden zu haben, weil es für sie Zweifel überhaupt nicht gegeben hat. Das Evangelium war ihnen zu selbstverständlich als überlieferte Sitte oder gesellschaftliche Konvention. Das aber kann das Evangelium niemals sein. Wirkliche Verkündigung des Evangeliums heißt: eine klare Entscheidung für oder gegen das Evangelium ermöglichen. Wir, die wir das Evangelium verkündigen, müssen die anderen verstehen, wir müssen an ihrer existentiellen Situation so teilnehmen, daß ihr „Verwerfen" des Evangeliums gleichsam ein „Herauswerfen" ist, ein Ausstoßen des Evangeliums in dem Moment, in dem es in ihnen Wurzeln zu schlagen beginnt. Bis zu diesem Punkt können wir sie bringen - und das ist es, was mit „Verkündigung des Evangeliums" gemeint ist.

265

I. Wir kommen nun zu der Frage: Wo stehen die Menschen, denen wir das Evangelium so verkündigen können, daß sie eine echte Entscheidung zu treffen vermögen? Darauf können wir ohne weiteres eine allgemeine Antwort geben: Sie alle haben teil an der menschlichen Existenz. Das ist eine sehr allgemeine, aber keineswegs eine einfache Antwort. Wir wollen nun näher betrachten, was diese Antwort besagt. Wir sprechen zum Beispiel von der Angst, endlich zu sein, von der Angst, dem Verhängnis und dem Schicksal ausgeliefert zu sein, von der Angst vor dem Sterbenmüssen. Die Pfarrer behandeln diese Angst in ihren Predigten. Aber angenommen, wir behaupten, daß sie zu aller menschlichen Existenz gehöre, und es spräche jemand im Namen der indischen Menschen und sagte: „Was da von der Angst behauptet wird, gilt nidit für Indien, wo es diese Art der Todesangst, die wir in der westlichen Welt finden, nicht gibt." Oder angenommen, wir sprächen von unserem Schuldgefühl als von etwas, das von keiner menschlichen Existenz zu trennen ist. Da erhöbe sich vermutlich Protest von Seiten unserer modernen Psychologen mit dem Argument: »Jedes Schuldgefühl stammt aus einer Neurose, die sidi in unseren frühesten Lebensjahren gebildet hat, oder aus einer anderen, individuellen oder sozialen Ursache; Sdiuldgefühl läßt sich beseitigen, es ist kein Wesensmerkmal der menschlichen Natur." Oder nehmen wir schließlich an, wir sprächen angesichts der Situation in der Welt von der tragischen Existenz des Menschen. Sobald wir sagen, daß das Tragisdie ein Merkmal der menschlichen Situation ist, wird uns entgegengehalten werden, diese Situation gehe auf besondere, ungünstige Umstände zurück, die im Verlauf der Geschichte zu beseitigen sind. Alle diese Kritiker könnten sich gemeinsam gegen uns wenden und erwidern, daß unsere Auffassung von der menschlichen Existenz nicht allgemeingültig sei, sondern abhängig vom Zufall des Raumes und der Zeit, in denen der Mensch lebt. Diese Kritiker heben hervor, daß sich im Hinblick auf die verschiedenartigen Umweltsbedingungen der Menschen eine allgemeingültige Antwort auf die Frage seiner Existenz nicht geben lasse und daß wir daher von einer allgemeingültigen menschlichen Natur und einem allgemeingültigen menschlichen Schicksal nicht sprechen dürfen. Nach ihrer Ansicht gibt es vermutlich nur eines, was allgemeingültig ist, und das ist die Tatsache, daß der Mensch veränderlich, daß er zu unendlidien geschichtlichen Wandlungen fähig ist, daß sich der Mensch selbst „machen" kann und muß. Aber wenn dies zu-

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trifft, dann gibt es keine „menschliche Natur", zu der wir sprechen und die wir als allgemeingültig voraussetzen können. Wenn wir diese Argumente ernst nehmen, was für ein Evangelium können wir dann verkündigen? Wenn es zutrifft, daß das biblische und kirchliche Evangelium einen besonderen Typ, eine besondere Natur und Existenz des Menschen voraussetzt, was ist dann unser Evangelium? Als christliche Theologen glauben wir nicht, daß diese Kritiker recht haben. Wir glauben, daß selbst dann, wenn wir das Universale in der Natur des Menschen auf seine Veränderlichkeit in der Geschichte reduzieren, noch genug über den Menschen ausgesagt werden kann, um unsere Deutung der menschlichen Natur zu rechtfertigen. Dies läßt sich gewiß theoretisch vertreten, und wir haben es ja auch getan. Was aber sollen wir den Menschen sagen, die das Gefühl haben, daß sie nicht zu jenen gehören, zu denen das Evangelium spricht, Menschen, denen wir immer wieder begegnen. Zunächst müssen wir das Evangelium verkündigen als eine Botschaft vom Menschen, der seine eigene Not versteht. Was wir tun müssen und mit Erfolg tun können, ist dies: die Strukturen der Angst, des Zwiespalts, der Schuld aufzeigen. Diese Strukturen sind gleichsam ein Spiegel dessen, was wir sind, sie sind in uns und - wenn wir recht haben - auch in anderen Menchen vorhanden. Wenn wir den anderen diese Strukturen vor Augen stellen, dann halten wir ihnen einen Spiegel vor, in dem sie sich selbst sehen können. Ob wir damit Erfolg haben, weiß niemand. Das ist das Wagnis, das wir auf uns nehmen müssen, ein Wagnis, das die Missionare immer auf sich genommen haben. Es kann nicht durch Beweise ersetzt werden. Wir können den Menschen keinen Beweis liefern, daß die menschliche Natur so beschaffen ist. Wir können nur das Wagnis auf uns nehmen, auf diese Weise zu ihnen zu sprechen. Und das sollte uns sehr bescheiden machen; wir können wohl wissen, was wir sind (obwohl das die schwerste aller Erkenntnisse ist), aber wir können nicht wissen, was wir werden können. Und wir sollten das, was wir werden können, einfach an dem messen, was wir heute sind. Weiter erhebt sich die Frage: Welches Evangelium sollen wir verkündigen? Da gibt es einen Trost für uns. Von keinem von uns wird verlangt, überall und allezeit zu jedem zu sprechen. Verkündigung ist eine Sache der Partizipation. Wo es keine Partizipation gibt, da gibt es auch keine Mitteilung. Diese Bedingung bedeutet wiederum eine Einschränkung, weil unsere Partizipation zwangsläufig Grenzen hat. Ein Missionar, der jahrzehntelang in China war, hat einmal gesagt: »Jetzt, nach dreißig Jahren, fange ich gerade an, die Anfangs267

gründe chinesischer Kultur und chinesisdien Denkens zu verstehen." Und dodi war er einer der größten Kenner der chinesisdien Kultur. Für uns ist Partizipation das eigentliche Problem. Für die frühe Kirdie war es viel einfacher, weil in der frühen Kirche jeder Mensch zur hellenistischen Welt gehörte, die geeint war unter dem römischen Imperium, in dem sich schon lange vor dem Christentum Juden und Griechen gemisdit hatten. Das große Beispiel hierfür ist Paulus. Aber das ist nicht unsere heutige Situation. Verkündigung unter primitiven Völkern ist auf allen Missionsgebieten leichter als Verkündigung unter mehr entwickelten und gebildeten Völkern, und zwar deswegen, weil der Charakter der primitiven Völker weniger geformt ist. Die Schwierigkeit bei den hochentwickelten Religionen Asiens z. B. besteht weniger darin, daß sie die christliche Antwort als Antwort verwerfen, als vielmehr, daß sie aufgrund ihrer Natur die Fragen nicht stellen, auf die das Evangelium die Antwort gibt. Die christliche Antwort ist für sie keine Antwort, weil sie nicht die Frage gestellt haben, auf die das Christentum antwortet. Das ist ein Beispiel für das Problem der Partizipation. Es gibt auch nodi andere Beispiele. Im Jahre 1880 lehnte das Proletariat die europäischen Kirchen bedingungslos ab, denn sie bewiesen eine Haltung vollständiger Nicht-Partizipation gegenüber dem Proletariat. Die Kirchen waren leer. Zu den größten Kirchengemeinden in den proletarischen Vierteln gehörten überhaupt keine Arbeiter. Und die Geistlichen donnerten gegen die gottlosen Massen, aber diese Massen hörten sie nicht, denn sie kamen nie, um ihnen zuzuhören. Es gab keinerlei Partizipation. Auf der anderen Seite stand die europäische Intelligenz. Für sie wurden wenigstens einige Versuche unternommen durdi die theologische Arbeit an den Universitäten. Für den weitaus größten Teil aber gab es keinerlei Partizipation. An der hohen Kultur der europäischen Intelligenz vor fünfzig Jahren gemessen, mußten diesen Mensdien die Kirchen als kleinbürgerliche Barbarei erscheinen. Wir braudien unsere Untersuchung über das Problem der Partizipation nicht noch auf andere Gruppen auszudehnen. Wir kennen es auch in Amerika zur Genüge! Wir kennen das bittere Gefühl und das Ressentiment einiger Gruppen unter uns, nidit, weil es an gutem Willen fehlte, sondern weil wir unfähig zur Partizipation sind. Denken Sie an Gruppen wie die Juden, die Farbigen und mandimal auch die Katholiken. Partizipation heißt teilnehmen an ihrer existentiellen Situation, aus der heraus die Fragen kommen, auf die wir Antwort geben sollen. 268

Lassen Sie mich diesen Gedanken einmal auf unsere Kinder anwenden. Bei Kindern haben wir eine ähnliche Situation vor uns. Es gibt in der religiösen Erziehung unserer Kinder zwei Prinzipien, denen wir folgen sollten. Erstens sollten wir die Fragen beantworten, die wirklich in den Herzen der Kinder vorhanden sind, und ihnen zeigen, daß die biblischen Symbole und die diristliche Botschaft; eine Antwort auf eben diese Fragen sind. Und zweitens sollten wir danach streben, sie in Richtung jener Fragen zu formen, von denen wir glauben, daß sie allgemein menschlich sind. Das wäre dem sehr ähnlich, was wir in der Mission bei den primitiven Völkern tun. Wir suchen die Antwort auf ihre Fragen, und während wir das tun, verändern wir zugleich langsam ihre Existenz, so daß sie nun dazu kommen, die Fragen zu stellen, auf die die christliche Botschaft die Antwort gibt. Manchmal fehlt es aber nicht an der Partizipation, es ist vielmehr zu viel davon vorhanden. Und das ist für die Situation des Geistlichen ebenso ernst und ebenso schwierig. Geistliche bilden eine Gesellschaftsklasse an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Sie gehören nicht zur gutsituierten Mittelklasse, stehen aber audi nicht allzuweit unter ihr. Sie leben in einem protestantischen Land, das eine puritanisch-evangelistische Geschichte durdilaufen hat und später zu einer industriellen Gesellschaft geworden ist. Wir gehören einer Gesellschaft an, die - unbewußt und manchmal sogar bewußt - mit allen Mitteln versucht, alles zu standardisieren mit Hilfe der Massenmedien, von denen die Luft, die wir atmen, in jedem Augenblick erfüllt ist. Hier ist also die Partizipation sehr leicht! Tatsächlich ist sie so leicht, daß wir zur Verkündigung des Evangeliums der Nicht-Partizipation bedürfen. Die Geistlidien müssen sich von diesen ständig auf sie eindrängenden Einflüssen zurückziehen und abschließen können. Das ist vielleicht die schwierigste Aufgabe: Geistliche gehören zu denen, die partizipieren, und sie haben nur schwache Waffen, dieser Partizipation zu widerstehen. II. Der voraufgegangene Teil unserer Betrachtung hat einige Grenzen der Verkündigung gezeigt. Jetzt können wir aber eine positivere Note anschlagen. In unserer Zeit ist etwas geschehen, wodurch viele Menschen in einer Weise aufgeschlossen worden sind, daß wir wieder zu ihnen sprechen und an ihrer Situation partizipieren können. Heute gibt es viele Menschen, die sich derart ihrer menschlichen Existenz bewußt geworden sind, daß sie die Frage stellen, auf die wir Antwort 269

geben können. Wenn wir auf ihre Fragen eingehen, folgen wir damit den Seligpreisungen. In ihnen weist Jesus stets auf die Situation hin, in der sidx die Menschen befinden und in der sie nadx dem Reiche Gottes fragen. Auf diese Weise können sie die Antwort verstehen und werden daher selig. Dieser Methode sollten wir alle viel bewußter folgen, denn sie zielt darauf ab, heute wie damals, die Situation der existentiellen Konflikte aufzuweisen - der Sehnsucht, der Angst und der drohenden Verzweiflung. In der westlichen Welt hat sich um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine Bewegung gebildet, die die Angst um den Sinn unserer Existenz einschließlich des Problems von Tod, Glauben und Sdiuld ausdrückt. Diesem Phänomen werden in der Literatur von heute viele Namen gegeben. So heißt es bei dem einen das „wüste Land", ein anderer spridit vom „Zeitalter der Angst" oder benutzt das Bild der verriegelten Tür (»Geschlossene Gesellschaft"). Ein anderer spricht vom „neurotischen Charakter unserer Zeit" oder gebraucht die Wendung „der Mensch gegen sich selbst", und wieder ein anderer spricht von der „Begegnung mit dem Nidits". 1 Wir können zu den Mensdien nur sprechen, wenn wir an ihren Anliegen partizipieren, und zwar nicht, indem wir uns zu ihnen herablassen, sondern indem wir ihre Nöte mit ihnen teilen. Andererseits können wir nur dann die diristlidie Antwort nachhaltig vertreten, wenn wir uns mit ihnen nidit identifizieren. Und drittens können wir die Gedanken dieser Menschen fruchtbar machen, um diejenigen unter uns aufzurütteln, die noch in einem sicheren Turm leben. Wir können sie wachrufen und dazu auffordern, die Konflikte in sich selbst zu entdecken, die gewöhnlidi verdeckt sind durch das angeblidie Wissen um sämtliche Antworten. An diese drei Phasen müssen wir immer denken. Wir müssen partizipieren, aber wir dürfen uns nidit identifizieren, und wir müssen diese zweifache Haltung einnehmen, um die Selbstgefälligkeit derer zu entkräften, die glauben, sie wüßten alle Antworten und die sich doch ihrer eigenen existentiellen Konflikte nicht bewußt sind. Unsere Antworten müssen so viele Formen haben, wie es Fragen und Situationen gibt - seien es individuelle oder soziale. Aber es gibt vielleicht eins, das allen unseren Antworten gemeinsam ist, wenn wir im Sinn der christlichen Botschaft antworten. Die diristlidie Botschaft ist die Botschaft von einer neuen Wirklichkeit, an der wir partizipie1

Gemeint ist: The Wüste Land von T. S. Eliot, The Age of Anxiety von V. H. Auden, Huis clos von J. P. Sartre, Man against himself von Karl Menninger und L'être et le néant von J. P. Sartre (Anm. d. Hrsg.).

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ren können und die uns die Macht verleiht, Angst und Verzweiflung auf uns zu nehmen. Das müssen und das können wir verkündigen.

III. Aber wir müssen uns nun fragen: Ist dies wirklich die christliche Botschaft, wenn wir sie an der Bibel und der Geschichte messen? Dieser Frage können wir eine andere entgegenstellen: Wer kann diese Botschaft messen? Im Protestantismus gibt es keinen Papst, und wenn die Bibel spricht, spricht sie zu uns. In dieser Sache gibt es nicht nur keinen Papst, sondern es gibt auch kein Bischofskonzil, keine Presbyter, keine Abstimmung unter den Kirchenmitgliedern. Das ist immer so gewesen. In den früheren Jahrhunderten christlicher Geschichte haben Autoritäten - oft unbewußt - als biblische Botschaft das formuliert, was Antwort gab auf die zeitliche und räumliche Situation ihres Volkes und ihrer selbst. Sie formulierten als biblische Botschaft das, was ihnen wie auch den Massen verkündet werden konnte. In der frühen griechischen Kirche war es die Angst vor Tod und Zweifel, die zu dem Doppelgedanken führte, den wir bei allen frühen griechischen Kirchenvätern finden, nämlich, daß die Botschaft des Christentums „Leben" und „Licht" sei. Für die griechisch-orthodoxe Kirche ist das heute noch entscheidend; Ostern ist weitaus das wichtigste Fest in der russischen Kirche. In der Kirche des Mittelalters war es die Angst, die dem gesellschaftlichen und geistigen Chaos nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches entsprang und die transzendent-sakramentale Grundlage für ein hierarchisches System schuf, das dem Einzelnen und der Gesellschaft Halt gab. In der Reformation war es die Angst vor der Schuld und die Botschaft von der Rechtfertigung, die für jede Aussage der Reformatoren entscheidend war. Im modernen Protestantismus ist es die Botschaft von einer religiös-kulturellen Einheit angesichts einer stärker personalistisdien (und in Amerika einer betont sozialen) Auffassung vom Reich Gottes. Wenn man daraus ein Schema machen will, könnte man sagen: Es war Johannes, der den ersten Teil der Kirchengeschichte prägte, und es war Petrus, der das Mittelalter beeinflußte, es war Paulus, der den Grundgedanken für die Reformation lieferte, und es war der Jesus der Synoptiker, der den beherrschenden Einfluß in unserer modernen Zeit ausübte. Wir wenden uns nochmals Paulus zu, aber nicht in der gleichen Weise, wie es die Reformation getan hat. Die Botschaft des Paulus, von der ich glaube, daß sie den heutigen Menschen verkündet werden sollte, 271

ist die Botschaft von der neuen Schöpfung, die Botschaft vom Neuen Sein. Um Mißverständnissen vorzubeugen, müssen wir zugleich hinzufügen, daß diese verschiedenen Botschaften einander nicht widersprechen. Jede von ihnen enthält Elemente aller anderen. Der Ausdruck „Neues Sein" schließt auch die Versöhnung mit ein, womit das gemeint ist, was die Reformatoren „Rechtfertigung durch den Glauben" und „Vergebung der Sünden" genannt haben. Und in diesen Begriff eingeschlossen sind audi die Wahrheiten, nach denen die frühe Kirche gesucht hat. Eingeschlossen ist auch die Partizipation am Ewigen, Partizipation am Reich Gottes, dem innerhalb der Geschichte wirkenden, kämpfenden und auf allen kulturellen Inhalt bezogenen Reich Gottes. Der Schwerpunkt in dem Ausdruck „Neues Sein" ist anders gesetzt als bei den übrigen Begriffen. Er liegt auf dem, was wir die „heilende Wirklichkeit" nennen können, auf dem Mut, Ja zu sagen in der Begegnung mit dem Nichts, der Angst und der Verzweiflung.

IV. Welche Folgerungen ergeben sich nun aus dem Begriff des Neuen Seins für einige wichtige Dogmen? Nehmen wir zunächst das Dogma von der Erbsünde: Von allen Dogmen ist seit Beginn des 18. Jahrhunderts dieses stets am stärksten angegriffen worden. Man betrachtete einen Ausdruck wie Erbsünde als Unsinn und als lächerlich. In dieser Hinsicht hat sich heute ein ungeheurer Wandel vollzogen. Wir sollten Worte wie Erbsünde vielleicht nicht allzu häufig gebrauchen, weil sie traditionalistische und moralistische Untertöne enthalten und deshalb Protest hervorrufen. Trotzdem können wir heute in jeder Predigt und Rede alle Phasen jenes Aspektes der menschlichen Situation schildern, den das Christentum „Erbsünde" nennt. Wir können die sinnliche Begierde, den Willen zur Macht, die hybris beschreiben, die Selbsterhöhung des Menschen mit ihren negativen Begleiterscheinungen wie Selbsthaß, Feindseligkeit, Selbstabschließung, Hoffart und Verzweiflung. Heute können wir die Bedeutung der Erbsünde - ihre Universalität, ihre tragische Rolle in der Geschichte - in einer Weise betonen, wie das vor zwanzig Jahren noch nicht möglich gewesen wäre. Denn wir können heute einen Begriff verwenden, den jeder versteht: den Begriff der Entfremdung - Entfremdung von uns selbst, von dem anderen Menschen und Entfremdung von dem Grund, aus dem wir kommen und zu dem wir zurückkehren. Darüber hinaus hat die moderne Literatur eine tiefe Einsicht entwickelt, nämlich die Einsicht, daß es eine der tiefsten 272

Ausdrucksformen der Sünde ist, den anderen Menschen zu einem O b jekt, zu einem Ding zu machen. Das ist vielleicht die größte Versuchung in einer industriellen Gesellschaft, in der jeder in den Prozeß mechanischer Produktion und Konsumtion hineingezogen wird, einer Gesellschaft, in der selbst das Geistesleben in allen seinen Formen kommerzialisiert und dem gleichen Prozeß unterworfen wird. Selbst die Begegnung von Mensch zu Mensch ist davon nicht ausgenommen. Das zweite, was sich uns durdi unsere Situation erschlossen hat und sich als Folgerung aus einem Begriff wie „Neues Sein" ergibt, ist das Verhältnis von Religion und Medizin. Dies Verhältnis war völlig durchsichtig in einem Zeitalter, in dem für das Ganze des Christentums ein Wort wie „Erlösung" bestimmend war. Erlösung ist Heilung. Das haben wir wiederentdeckt: ein neuer Zugang zum Sinn der Erlösung, den ursprünglichen Sinn. Das Christentum ist nicht ein System von Verboten und Geboten, und Erlösung bedeutet nicht, den Menschen besser und besser zu machen. Das Christentum ist die Botsdiaft von einer neuen heilenden Wirklichkeit, die die Erfüllung unseres essentiellen Seins möglich macht. Ein solches Sein transzendiert alle einzelnen Verbote und Gebote durch das eine Gesetz, das kein Gesetz ist, nämlich die Liebe. Die Medizin hat uns geholfen, in unserer Theologie den Sinn der Gnade wiederzuentdecken. Das ist vielleicht ihr wichtigster Beitrag. Man kann Menschen, die in einer psychosomatischen Störung befangen sind, nicht dadurch helfen, daß man ihnen sagt, was sie tun sollen. Man kann ihnen nur dadurch helfen, daß man ihnen etwas gibt, nämlich sie annimmt. Das aber bedeutet: Helfen durch Gnade. In jedem solchen Heilungsprozeß ist Gnade wirksam, gleichgültig, ob ein Geistlicher oder ein Arzt der Heilende ist. Von hier aus ist es nicht schwer, Zugang zu einem Grundgedanken der Reformation zu finden, wozu uns die Medizin in großem M a ß verholfen hat: man muß spüren, daß man angenommen ist. N u r dann kann man sich selbst annehmen. Niemals geht es umgekehrt. Darum ging es Luther in seinem Kampf gegen die verzerrte spätmittelalterliche römische Kirche, die verlangte, „daß die Menschen sich zuerst annehmbar machen sollten, um dann von Gott angenommen zu werden". Es geht aber immer umgekehrt vor sich: Erst muß der Mensch angenommen sein, dann kann er sich selbst annehmen, und das heißt, er kann geheilt werden. Krankheit - im weitesten Sinne: des Leibes, der Seele und des Geistes - ist Entfremdung. Ein dritter Gesichtspunkt hat mit der Christologie zu tun. Wenn wir von der Manifestation des „Neuen Seins in Christo" sprechen, dann brauchen wir uns nicht mit den Argumenten zu befassen, die die 273

frühe Kirche bei ihrer Auseinandersetzung mit der griechisdien Philosophie gebrauchte. Die damalige Zeit bedurfte zu Recht einer Art „Chemie des göttlich-menschlichen Wesens". Für uns wäre sie falsch. Den Menschen unserer Zeit müssen wir etwas anderes sagen, etwas, das ihnen verständlich ist: es ist die Botschaft von einer Wirklichkeit, die die existentiellen Konflikte und die Entfremdung überwindet. Da ist eine Macht jenseits unserer Existenz, die für uns durch Partizipation nachweisbar wird. Aus diesen Gedankengängen ergibt sich ein anderer Typus von Christologie. Christus ist der Ort, an dem das Neue Sein in Vollkommenheit erscheint, weil in ihm in jedem Augenblick die Angst der Endlichkeit und die existentiellen Konflikte überwunden sind. Darin besteht seine Göttlichkeit. Und das bedeutet: Er ist kein neues Gesetz. Wäre er das, dann wäre er das alte und nicht das Neue Sein. Er wäre gerade das, um dessentwillen wir einen neuen Heiland brauchen; er kann Heiland sein, weil er nidit Gesetz ist. Für eine soldie Christologie brauchen wir das sacrificium intellectus nicht zu bringen. Das wäre wiederum menschliches Werk - es wäre altes Sein. Und wir bedürften wieder eines Heilands, der uns von diesem alten Sein befreite. Christus aber ist die heilende Kraft, die die Entfremdung überwindet, weil er selbst nicht entfremdet ist. Zum Sdiluß noch einige Worte über die Kirche im Lichte dieses Gedankens vom Neuen Sein. Die Kirche ist die Gemeinschaft des Neuen Seins. Immer wieder höre ich sagen: „Ich mag die organisierte Religion nicht." Die Kirche ist nidit organisierte Religion. Die Kirche ist keine hierarchische Autorität. Die Kirche ist nicht soziale Organisation. Tatsächlich ist sie dieses alles auch, aber in erster Linie ist sie eine Gemeinschaft von Menschen, die durdi eine neue Wirklichkeit ergriffen sind und ihr Ausdruck verleihen. Das allein bedeutet Kirche. Sie ist der Ort, an dem die Macht der neuen Wirklichkeit - der Christus der in aller Geschichte und speziell in der Geschichte des Alten Testaments vorbereitet war, auf uns zukommt und bei uns bleibt. Was bedeutet das für uns heute? Wir können z.B. sagen, daß die Kirche der Ort ist, an dem ein Akt der Liebe die dämonische Macht der Objektivation, die Menschen zu Objekten und Dingen macht, überwindet. Die Kirche ist nicht ein neues Gesetz für rechtes soziales Handeln; sie ist der Ort, an dem wir ein Doppeltes tun können: uns aus der Situation zurückziehen und die Situation angreifen. Sie ist der Ort, an dem das Neue Sein ständig fortwirkt, selbst wenn sie ständig als Verrat am Neuen Sein erscheint. Und das Neue Sein ist göttliches Sein. Aber göttliches Sein ist nicht ein Seiendes neben anderem Seienden. Es ist die Seinsmacht, die das Nichtsein überwindet. Es ist Ewigkeit, die die 274

Zeitlidikeit überwindet. Es ist Gnade, die die Sünde überwindet. Es ist die letzte Wirklichkeit, die den Zweifel überwindet. Vom Neuen Sein aus gesehen ist sie der Grund des Seins und deswegen der Schöpfer des Neuen Seins. Aus diesem Grunde empfangen wir den Mut zum Sein, zur Bejahung des Seins selbst im Zustand des Zweifels, selbst mitten in Angst und Verzweiflung. Das Neue Sein eröffnet einen neuen Zugang zu Gott, der auch jenen offen ist, die unter der Verzweiflung des Zweifels stehen und keinen Ausweg wissen. Nun noch ein Wort über den Begriff „Stein des Anstoßes". Christliche Pfarrer sagen oft, wenn sie ihr vergebliches Mühen fühlen, das müsse so sein, denn das Christentum müsse für die meisten ein Stein des Anstoßes sein. Trotzdem gibt es immer ein paar, die in unsere Kirdien kommen, für die es kein Stein des Anstoßes ist. Und das tröstet die Geistlichen. Es gibt aber zweierlei „Steine des Anstoßes". Der eine ist der echte, nämlich jener, der gemeint war mit dem, was wir zu Beginn über die echte Entscheidung gesagt haben. Es gibt immer eine echte Entscheidung gegen das Evangelium bei jenen, denen es ein Stein des Anstoßes ist. Aber diese Entscheidung sollte nicht abhängig sein vom falschen Stein des Anstoßes - nämlich von einer falsdien Art unserer Verkündigung des Evangeliums, von unserer Unfähigkeit der Verkündigung. Was wir tun müssen, ist dies: den falschen Stein des Anstoßes beisei tesdiaffen, um die Menschen vor den wahren Stein des Anstoßes zu stellen, damit sie eine echte Entscheidung treffen können. Werden die christlichen Kirchen bei ihren Versuchen zur Verkündigung des Evangeliums imstande sein, diese falschen Steine des Anstoßes wegzuräumen?

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THEOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER M I S S I O N Alles Handeln der Kirche muß sich von ihrem Fundament herleiten. Es muß notwendig aus ihrem ureigensten Wesen folgen. Darum sind nicht ihre zufälligen, sondern ihre notwendigen Funktionen Gegenstand theologischer Betrachtung. Das theologische Problem der Mission gehört zu zwei theologischen Problemkreisen: der erste betrifft die Lehre der Kirche, der zweite die christliche Deutung der Geschichte. Die folgende Abhandlung stammt nidit aus der Feder eines Fachmanns, denn idi habe auf dem Missionsfeld nicht gearbeitet, sondern bin systematischer Theologe. Als solcher versuche ich die ganze Realität der Mission in den Rahmen der christlichen Interpretation von Geschichte und der christlichen Lehre von der Kirche zu bringen. Für die christliche Geschichtsdeutung liegt der Sinn der Geschichte in dem, was „Reich Gottes" genannt wird. Diese Behauptung bedarf näherer Erläuterung. Es gibt drei große Rätsel der Geschichte: Die Geschichte eilt einem Ziel entgegen, das in der Geschichte nie verwirklicht wird; die Geschichte verläuft in einer bestimmten Richtung, die unumkehrbar ist; die geschichtliche Zeit bewegt sich auf etwas Neues zu, auf das „Reich Gottes". Auf die Frage: „Welchem Ziel eilt die Geschichte entgegen?" lautet die Antwort: „der Verwirklichung des Reiches Gottes in der Geschichte und jenseits der Geschichte." Die Geschichte ist in zahllose große und kleine, voneinander verhältnismäßig unabhängige geschichtliche Bewegungen aufgespalten, die sich in verschiedenen Weltteilen und verschiedenen Epochen ereignen. Die Frage ist nun, ob wir nicht, wenn wir von der Geschichte sprechen, eine Einheit der Geschichte voraussetzen. Aber diese Einheit ist niemals verwirklicht. Es sind immer auseinanderstrebende Tendenzen vorhanden; denn ständig ist der menschlichen Freiheit Madit und Möglichkeit gegeben, jegliche vorläufige Einheit der Geschichte aufzulösen. Trotzdem ist diese Einheit stets erstrebt, das „Reich Gottes" ist ein Symbol für die Einheit der Geschichte - in ihr und jenseits von ihr. In der Geschichte besteht ein ständiger Kampf zwischen den Mächten, die nadi Erfüllung im Reich Gottes und seiner Einheit streben, und solchen, die diese Einheit zu sprengen suchen und die Gesdiidite 276

daran hindern wollen, sich auf das Reich Gottes zuzubewegen. Religiös mythologisch gesprochen heißt das: immer stehen in der Geschichte göttlidie und dämonische Mächte im Kampf miteinander. Daher vermischt sich in der Geschichte Gutes und Böses unaufhörlich miteinander, in jeder sozialen Gruppe, in jeder Epoche und in jedem geschichtlichen Prozeß. Die Geschichte steht unter einer tragischen Zweideutigkeit. Dagegen ist das Reich Gottes das Symbol für eine unzweideutige Situation, für eine geläuterte Gesdiidite, für etwas, worin das Dämonische überwunden, Erfüllung erreicht und das Zweideutige ausgeschieden ist. In diesem dreifachen Sinn, als Läuterung, Erfüllung und Einheit der Geschichte, ist das Reich Gottes die Antwort auf die Rätsel der Geschichte. In diesem Licht ist das Reich Gottes natürlich nicht eine Stufe in der Geschichte. Es ist keine Utopie, die irgendwo verwirklicht ist. Auch in ferner geschichtlicher Zukunft gibt es keine verwirklichte Utopie als Stufe der Geschidite, denn immer wird die Geschichte ein Kampfplatz göttlicher und dämonischer Mächte bleiben. Dodi eilt die Gesdiidite dem Reich Gottes entgegen. Erfüllung überschreitet die Geschichte, sie geschieht aber durch die Gesdiidite. Die zweite Aussage der christlichen Geschichtsdeutung ist, daß die christliche Kirche als eine in der Gesdiidite kämpfende Macht der geschichtliche Repräsentant des Reiches Gottes ist. Die christliche Kirche, die Verkörperung des Neuen Seins in einer Gemeinschaft, verkörpert das Reich Gottes in der Gesdiidite. Die Kirche ist nicht selbst das Reidi Gottes, sie ist aber sein Werkzeug, seine Vorwegnahme, seine fragmentarische Verwirklidiung. Sie kämpft in der Geschichte; und da sie das Reidi Gottes vertritt, kann sie zwar entstellt, aber nie eigentlich besiegt werden. Und wir behaupten drittens hinsiditlidi der diristlichen Deutung der Gesdiidite, daß der Augenblick, in dem der Sinn der Gesdiidite in voller Klarheit erscheint, die „Mitte der Gesdiidite" genannt werden muß. Für uns ist diese Mitte das Neue Sein, das in Jesus als dem Christus erschienen ist. In dieser Mitte sind die Widersprüche der geschichtlichen Existenz „im Prinzip", d. h. „in Ursprung und Kraft" überwunden. Wir behaupten viertens im Hinblick auf die christliche Deutung der Geschichte, daß die Geschichte durdi ihre Mitte in zwei Perioden geteilt wird: in die Periode vor dem zentralen Ereignis und in die Periode nach dem zentralen Ereignis. Das gilt jedoch unterschiedlich für Einzelne und ganze Völker. Auch heute leben viele Menschen nodi vor dem zentralen Ereignis, das bestimmt ist durch „Jesus als den Chri277

stus", während viele andere, die ihn als den Christus anerkannt haben, nach der „Mitte der Geschichte" leben. Die Periode von der Manifestation der Mitte der Geschichte kann - unabhängig davon, ob man von der Gesdiichte in universaler Sicht spricht oder im Hinblick auf Einzelne, Nationen oder Gruppen - die Periode genannt werden, in der der Träger des Reiches Gottes in der Gesdiidite latent ist. Es ist die Periode der latenten Kirche, die Periode, in der die kommende Kirche in allen Völkern vorbereitet wird. Dies gilt in gleicher Weise für Heidentum, Judentum und Humanismus. In allen drei Formen menschlicher Existenz ist die Kirche noch nicht manifest, sondern erst latent gegenwärtig und bereitet sich auf das Kommen der „Mitte der Gesdiichte" vor. Nachdem aber die „Mitte der Gesdiichte" erschienen ist und von Heiden, Juden und Humanisten aufgenommen wurde, gibt es eine christliche Kirdie in ihrem „manifesten Stadium", eine Kirche, die die Periode der Vorbereitung hinter sich gelassen hat und in das Stadium der „Aufnahme" eingetreten ist - Aufnahme des Neuen Seins in Jesus als dem Christus. Aus dieser grundlegenden Feststellung folgt unmittelbar, was Mission bedeutet: Mission ist das kirchliche Tun, durch das in der ganzen Welt „latente Kirdie" in „manifeste Kirche" umgewandelt wird. Aus dieser These ergeben sich viele Folgerungen. Die ersten Folgerungen sind kritischer Art. Sie wenden sich gegen ein falsches Verständnis von Mission. Zunächst: man sollte Mission nicht in einem weiteren Sinn verstehen, als eben erwähnt ist. Vor allem sollte man sie nicht als den Versuch mißverstehen, möglichst viele Menschen aus allen Völkern der Welt aus „ewiger Verdammnis" zu retten. Ein derartiges Mißverständnis setzt Getrenntsein des Einzelnen von seiner sozialen Gruppe voraus. Und sie setzt den Gedanken einer Prädestination voraus, die die meisten Menschen tatsächlich von der ewigen Erlösung ausschließt und nur den wenigen - es sind in der Tat nur recht wenige, auch wenn es Millionen sind - Hoffnung auf Erlösung gibt, nämlidi denen, die von der Botschaft von Jesus als dem Christus wirklich erreicht werden. Dieser Gedanke ist der Ehre und Liebe Gottes unwürdig und muß im Namen der wahren Beziehung Gottes zu der von ihm geschaffenen Welt abgelehnt werden. Die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts versuchte, den Sinn der Mission so zu begreifen, daß sie einer gegenseitigen Durchdringung und Befruchtung der Kulturen - vor allem der christlichen und der asiatischen - diene. Bei den primitiven Kulturen konnte allerdings davon weniger die Rede sein. Hier sprach man davon, daß die Mission den betreifenden Völkern kulturellen Fortschritt bringe. Gegen 278

eine soldie Auffassung müssen wir einwenden: Mission dient zunächst nicht der Verbreitung der Kultur; sie ist vielmehr eine Funktion der Kirche, nämlich eine der Funktionen der Ausbreitung. Sie ist ein Element des Wachstums der Kirche, wie es zu jedem Lebewesen gehört, wenn es nicht sterben soll. Insofern ist Mission etwas völlig anderes als gegenseitige Durchdringung und Befruchtung, die nur eine gegenseitige Ergänzung kultureller Werte bedeuten würde. Die Kultur ist aber nidit das Kernproblem des Verständnisses der Geschichte. Kulturen kommen und gehen, und die Frage nach dem Sinn der Geschidite überschreitet jede Kultur und jede Beziehung der verschiedenen Kulturen untereinander. Insofern von der Mission ein Beitrag zum Verständnis der Geschidite erwartet wird, ist die Antwort der liberalen Theologie, d. h. die Theorie der gegenseitigen kulturellen Befruchtung, unangemessen. Ferner ist die Mission keineswegs das Bemühen, die verschiedenen Religionen zu vereinigen. Wäre dies der Sinn der Mission, so müßte es einen Einigungspunkt, eine gemeinsame Mitte geben. Dann wäre jedoch diese einigende Mitte das entscheidende Ereignis der Geschichte, und der Christus wäre nicht mehr die Mitte der Geschichte, sondern etwas anderes, das über ihm und auch über Buddha, Mohammed und Konfuzius stünde. Dann wäre die christliche Kirche zu einer religiösen Gemeinschaft unter anderen geworden und repräsentierte nicht mehr das Reich Gottes in dem Sinne, in dem wir es beschrieben haben und in dem sich die Kirche selbst versteht. Nach christlicher Oberzeugung ist der Christus die Mitte der Geschichte und deshalb das einigende Zentrum, in dem alle Religionen geeint werden könnten, wenn sie das Kriterium des Neuen Seins, das im Christus erschienen ist, anerkannt haben. So können wir sagen: Mission ist weder der Versuch, einzelne Seelen zu erretten, noch der Versuch gegenseitiger kultureller Befruchtung, noch der Versuch einer Vereinigung der Weltreligionen. Mission ist vielmehr der Versuch, die in den Weltreligionen (Heidentum, Judentum und Humanismus) schon vorhandene latente Kirche in etwas Neues, nämlich die „neue Wirklichkeit in Jesus als dem Christus", umzuwandeln. Der Sinn der Mission ist Verwandlung. Deshalb ist die Mission eine zur Kirche wesensgemäß gehörende Funktion und eines ihrer grundlegenden Elemente. Wenn idi sagte, daß Mission Umwandlung der Kirche aus dem Zustand der Latenz und Verborgenheit, so wie sie in Heidentum, Judentum und Humanismus gegeben ist, in ihr manifestes Stadium ist, so gilt das nicht nur für die außerchristlidien Völker und Gruppen, sondern auch für die christlichen Völker selbst. Audi in ihnen muß es Missionen 279

geben als den Versudi, das Vorbereitungs-Stadium zu beenden und in das manifeste Stadium der Kirdie überzuleiten. Denn es gibt zu allen Zeiten inmitten der diristlichen Völker Heidentum, Judentum und Humanismus. Eine soldie Umwandlung ist eine notwendige und stets vorhandene Aufgabe der Kirche. Sie ist eine Aufgabe, die ständig vorhanden ist und niemals verlorengeht. Natürlich gab es Zeiten ohne besondere Einrichtungen für die Mission. Während aber Institutionen dem geschichtlichen Wandel unterworfen sind, bleiben grundlegende Aufgaben unwandelbar, solange Kirche besteht, denn sie gehören zum Wesen der Kirche. Audi in Zeiten, in denen kaum Mission gegenüber Niditchristen getrieben wurde, fehlte sie nie gänzlich, denn es gab immer Berührungen zwischen Christen und Nidit-Christen. Wo aber soldie Kontakte bestehen, wird das Christentum bezeugt, und wo das Christentum bezeugt wird, wird in gewisser Hinsicht auch Mission getrieben. In diesem Sinne können wir sagen, daß der Prozeß der Umwandlung immer weitergeht, sowohl innerhalb wie außerhalb der christlichen Kulturen. Der Anspruch der Kirdie, daß Jesus der Bringer des Neuen Seins für das ganze Universum ist, ist gleichbedeutend mit dem der Kirche gegebenen Auftrag, sich über die ganze Welt auszubreiten. Und gerade dies tut die Mission. Wir wollen jetzt das, was ich „Verwandlung" nannte, auf ihre theologisdie Bedeutung hin befragen. Die Absolutheit des Christentums wurde, vor allem in der letzten Periode der liberalen Theologie, eingehend erörtert. Ist das Christentum die absolute Religion? Ist Christus die Mitte der Geschichte? Ist er der Bringer des Neuen Seins? Oder gibt es andere gleichwertige Religionen, und hat jede Kultur ihre eigene besondere Religion? Unter solchen Gesichtspunkten gehört das Christentum nur der westlidien Welt an und sollte sidi nidit in die religiösen Entwicklungen der östlichen Welt einmischen. Damit würde natürlich auch der Ansprudi entkräftet, daß Jesus der Christus, der Bringer des Neuen Seins ist. Aber der Bringer des Neuen Seins ist keine relative, sondern eine absolute Gestalt von weltumfassender Bedeutung. Das Neue Sein ist eines, ebenso wie das Sein selbst eines ist. Diese Universalität der diristlidien Botschaft, dieser weltumspannende Ansprudi umsdiließt das, was man mit einem wenig glücklichen Ausdruck die „Absolutheit des Christentums" genannt hat. Wir wollen es besser seine Universalität nennen. Wie kann man aber heute als Christ und Theologe beweisen, daß die diristlidie Botschaft universal und für alle Kulturen und Religionen bindend gültig ist, so daß der Christus das werden muß, was er potentiell von Anfang an ist: die Mitte der 280

Geschichte für alle geschichtlichen Entwicklungen? Wie kann man das beweisen? Die Antwort, daß dieser Beweis niemals mit wissenschaftlichen Gründen geführt werden kann, ist einleuchtend, da die Beweisgründe für die Universalität des Christentums selber dem Christentum entnommen sind. Daher beweisen sie nichts, außer für die, die schon Christen sind. Das bedeutet, daß kein wissenschaftliches Argument die Universalität des Christentums und die Behauptung, daß Jesus der Christus sei, beweisen kann. Nur die Mission kann diesen Beweis erbringen. Denn die Mission ist das Wirken der Kirche, in dem die „potentielle Universalität" des Christentums Tag für Tag in Erscheinung tritt, in dem sich die Universalität des Christentums mit jedem neuen missionarischen Erfolg erweist. Die missionarische Tätigkeit erbringt den praktischen Beweis für die Universalität des Christentums. Sie ist ein praktischer Beweis. Sie ist in der Sprache der Bibel ein „Beweis des Geistes und der Kraft". Aber sie ist kein theoretischer Beweis, der sich ergibt, wenn man die Geschichte lediglich theoretisch aus der Studierstube betrachtet. Vielmehr erbringt der in der konkreten Situation der Mission Stehende gerade durdi sein Wirken einen fortgesetzten, nie endenden Beweis für den universalen Charakter des Christentums. Dabei ist das Element des Glaubens stets mit im Spiel. Und Glaube ist Wagnis. Ein Wagnis aber muß sich rechtfertigen, und diese Rechtfertigung erfolgt durch die Mission. In ihr wird offenbar, daß Jesus als dem Christus und als Bringer des Neuen Seins die Macht verliehen ist, die Welt zu überwinden. Und in dieser Oberwindung der Welt durch die Mission liegt der dauernde pragmatische Beweis für die Universalität des Christus, für die Wahrheit der christlichen Verkündigung, daß Jesus der Christus ist. In gleicher Weise legt die Mission Zeugnis ab für die Wirksamkeit der Kirche im Dienste des Reiches Gottes. Auch dies kann nicht abstrakt wissenschaftlich bewiesen werden. Nur die Mission kann beweisen, daß die Kirche die Kraft ist, durch die das Reich Gottes sidi ständig in der Geschichte verwirklicht. Die Missionare kommen in ein Land, in dem sich die Kirche noch im Stadium der Latenz befindet. In einer solchen Lage fördert die manifeste Kirche das zutage, was in den verschiedenen außerchristlichen Religionen und Kulturen unerschlossen verborgen liegt: Jeder Mensdi sehnt sich in irgendeiner Weise nach einer neuen Wirklichkeit, die das Gegenteil seiner tatsächlichen, brüchigen Wirklichkeit ist. Die Menschen sind nicht ohne Gott, sie werden in der Weise von Gott ergriffen, wie sie ergriffen werden können - in dem Bereich des Heiligen, wo sie das Göttliche erfahren haben, wo sie leben und erzogen sind, wo sie das Göttliche verehrt, wo sie gebetet 281

und ihren Kult verrichtet haben, mögen uns auch ihre Symbole für das Heilige außerordentlich primitiv und götzenhaft erscheinen. Ihre Religion war zwar ein Zerrbild, sie war aber Religion! Das Göttliche war in ihr wirksam und bereitete auch im Heidentum den Boden für das Kommen der manifesten Kirdie und durch sie für das Kommen des Reiches Gottes. Diese Situation allein macht Mission möglich. Man könnte dieses vorbereitende Stadium, das in allen Völkern gegeben ist, als das „Alte Testament" dieser Völker bezeichnen. Doch scheue ich den Ausdruck „Altes Testament" in diesem Zusammenhang, denn er ist nach allgemeinem und korrektem Sprachgebrauch auf ein ganz bestimmtes Stadium der Vorbereitung beschränkt, nämlich auf die Vorbereitung für das Kommen des Christus als Mitte der Geschichte im „auserwählten Volk". Das führt mich zu der zweiten Betrachtung. Die Kirche ist auch im auserwählten Volk, d.h. im Judentum, latent vorhanden. Sie wird in ihm vorbereitet und kann daher in ihm voll zur Erscheinung kommen, ist es aber im vollen Umfang des Wortes noch nicht. Sie strebt ihrer vollen Verwirklichung zu. Das jüdische Volk und die Synagoge, in die hinein Jesus geboren wurde, sind ohne Frage Vorbereitungs-Stadien für die kommende Mitte der Geschichte, die Kirche und das Reich Gottes. Aber sie bleiben doch Vorbereitung. Sie sind im Prophetismus als Ahnung vorweggenommen und mit vielen Verzerrungen bruchstückhaft in der Gesetzesreligion verwirklicht. Jedoch sind sie nicht die manifeste Kirche; sie sind immer noch latente Kirche. Wenn das Christentum zu ihnen kommt, können sie die Umwandlung der latenten in die manifeste Kirche annehmen oder ablehnen. Wir wissen, daß manches, was in gewissen Formen des Heidentums verhältnismäßig einfach ist, im Judentum nahezu unmöglich ist. Paulus machte diese Erfahrung. Er erörtert in Römer 9 - 1 1 (einem der großen und seltenen Beispiele von Geschichtsdeutung im Neuen Testament) die Frage der Judenmission. Erst dann, so meinte er, würde die Judenmission Erfolg haben, wenn die Heiden Glieder der manifesten Kirche geworden sind. Eines der großen Probleme der heutigen Judenmission besteht darin, daß wir oft das Gefühl haben, den Juden sei durch die geschichtliche Vorsehung eine ewige Aufgabe in der Geschichte zugedacht. „Ewig" heißt in diesem Fall: solange es überhaupt Geschichte und daher Heidentum gibt. Die Funktion des Judentums wäre dann, kraft seines prophetischen Geistes diejenigen Tendenzen im Christentum zu kritisieren, die zum Heidentum und zum Götzendienst hinneigen. Gegen beide Verzerrungen der Religion hat sich das Judentum immer schon gewandt, durch seine Existenz und durch seine Kritik. Und viel282

leicht liegt der Sinn der geschichtlichen Vorsehung darin, daß dies so bleiben soll, solange es Geschichte gibt. Immer werden sich einzelne Juden zum Christentum bekehren; die Frage jedodi, ob das Christentum den Versuch machen sollte, das Judentum als Ganzes zu bekehren, ist zumindest eine offene Frage, die von vielen heutigen Theologen außerordentlich skeptisch betrachtet wird. Ich möchte diese Frage offen lassen. Persönlich aber neige ich aufgrund meiner vielen Begegnungen und Freundschaften mit Juden zu der Ansicht, daß man den Juden, die gerne Christen werden möditen, bereitwillig entgegenkommen sollte. Aber wir sollten nicht den Versuch machen, sie zu bekehren, sondern uns selbst als Christen der Kritik ihrer prophetischen Botschaft unterwerfen. Die dritte Form, in der die latente Kirche zu finden ist, ist der Humanismus. Dabei denke ich nicht nur an den griechischen, römischen und asiatischen Humanismus, sondern auch an den Humanismus der christlichen Völker. Es gibt viele Menschen, die der Kirche, dem Christentum und der Religion im allgemeinen kritisch gegenüberstehen. Vielfach kommt diese Kritik aus der latenten Kirche und richtet sich gegen die manifeste Kirche; und oft beruht sie auf den Prinzipien, die zur manifesten Kirche gehören und in ihr wirksam sein sollten. Trotz ihrer so wichtigen Funktion ist die latente Kirche, wie auch das Wort „latent" zum Ausdruck bringt, nicht das letzte Stadium. Denn das, was latent ist, soll manifest werden; und oft sehnen sich die Menschen der latenten Kirche heimlich danach, Glieder der manifesten Kirche zu werden. Das kann jedoch nur geschehen, wenn die manifeste Kirche die Kritik der latenten Kirche annimmt. Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, daß Mission keinesfalls einseitig ist. Es gibt auch missionarischen Dienst an Christen durch Nicht-Christen, an die sich die christliche Mission wendet. Was christliche Mission bieten sollte, ist nicht „Christentum" - weder amerikanisches, noch britisches, noch deutsches - , sondern die Botschaft von Jesus als dem Christus, die Botschaft vom Neuen Sein. Und das ist die Botschaft von Jesus als Mitte der Geschichte, die Tag für Tag von der Mission bezeugt wird. Diese Mitte der Geschichte ist jedoch nicht das Christentum in seiner geschichtlichen Wirklichkeit. Das Ziel der Mission ist auch nicht die gegenseitige Durchdringung und Befruchtung der asiatischen Kulturen durch die amerikanische Kultur, sondern die Vermittlung einer Wirklichkeit, die der Prüfstein für die ganze Menschheitsgeschichte ist. Und diese Wirklichkeit steht nicht nur dem Heidentum, Judentum und Humanismus - wo es auch sein mag - kritisch gegenüber, sondern sie richtet ihre Kritik auch gegen das Christen283

tum, sowohl innerhalb wie außerhalb der christlichen Völker. Die ganze Menschheit untersteht dem Kriterium des Neuen Seins im Christus. Diese Betrachtung führt mich zum letzten Punkt, nämlich zur hohen Anerkennung dessen, was die Mission dadurch geleistet hat, daß sie Kirchen auch außerhalb des westlichen Kulturkreises ins Leben rief, die schon jetzt in der Lage sind und es auch in Zukunft sein werden, die unbewußte Arroganz vieler christlicher Missionare zu entkräften. Idi meine die unbewußte Arroganz, die behauptet, das Christentum, wie es sich in der westlichen Welt entwickelt hat, sei identisch mit der Wirklichkeit des Neuen Seins in Christus. Aber es ist nur - ebenso wie das griechische, römisdie und mittelalterliche Christentum - eine seiner Ausdrucksformen, eine vorläufige und vergängliche. Es ist noch nicht die letzte Erfüllung. Diese jungen christlichen Kirchen liefern nodi einen der größten und wichtigsten Beweise dafür, daß Jesus die Mitte der Geschichte ist. Denn an ihnen wird offenbar, daß seine Botschaft und das Neue Sein in ihm nicht nur den Widerstand der Nicht-Christen zu überwinden vermag, sondern auch die unbewußte und wohl fast unvermeidliche Arroganz der Kirchen, die bisher Mission trieben. Die Tatsache der jungen Kirchen in anderen Kulturkreisen, die sich eigenständig entwickeln und die sich der Gleichsetzung des Reiches Gottes mit einer bestimmten Form von Christentum widersetzen, ist vielleicht die größte Bestätigung der christlichen Mission.

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DER B E G R I F F DES D Ä M O N I S C H E N UND S E I N E B E D E U T U N G FÜR D I E SYSTEMATISCHE T H E O L O G I E In einem Aufsatz über Augustins Staatslehre habe ich in diesen Blättern 1 darauf hingewiesen, daß ohne den Begriff des Dämonischen mit seiner eigentümlichen Dialektik die urchristliche Stellung zum Staat nicht zu verstehen ist. Schon vorher hatte ich in meinen „Grundlinien des religiösen Sozialismus" 2 jenen Begriff in den Mittelpunkt der sozialethischen Zeitkritik gestellt, und in meiner soeben erschienenen Darstellung der Religionsphilosophie in Dessoirs „Lehrbuch der Philosophie" 8 hat der Begriff des Dämonischen sowohl für die Wesenslehre wie für die Geistesgeschichte der Religion entscheidende Bedeutung. Es ist meine Überzeugung, daß dieser Begriff nicht nur historisch, sondern audi dogmatisch und vor allem ethisdi wichtig ist, und daß er nidit wie die „Lehre vom Teufel" in einem Anhang zur Sündenlehre erscheinen darf, sondern von der Grundlegung der Religionsphilosophie an durch alle Hauptteile der Systematik hindurch verfolgt werden muß. Diese Auffassung steht der biblischen und urchristlidien Tradition wie audi der Gottesanschauung Luthers zweifellos näher als die aristotelisch oder kantisch beeinflußte Theologie mit ihrer Ablehnung jenes Begriffes. Natürlich kann es sich an dieser Stelle nur um Andeutungen handeln, deren Sinn es ist, zum Mitdenken aufzufordern, nicht um Begründungen und Resultate. Die Wichtigkeit des Begriffes des Dämonischen ging mir zuerst auf an dem religionsphilosophischen Grundproblem, der Frage nach dem Verhältnis von heilig und profan, von Religion und Kultur. Wenn das Heilige nicht eine Sphäre neben anderen sein soll, die man also audi beiseite schieben kann, wenn die Religion nicht nur ein Kulturgebiet neben anderen sein soll, für oder gegen das man sich auf Grund seiner Anlage entscheiden kann, wenn vielmehr das Heilige das mich unbedingt Beanspruchende, mich unbedingt Angehende ist, dann kann von einer Nebenordnung jener scheinbar polaren Begriffe keine Rede sein, dann kann das Profane nur eine nie ganz realisierbare Tendenz innerhalb des tragenden Heiligen, die Kultur nur eine Wirklichkeitsform des substantiell Religiösen sein. Ist das aber der Fall - den Nachweis kann nur 1 Die Staatslehre Augustins nach de civitate Dei. In: Theologische Blätter, Jg. 4, 1925, Sp. 77-86. 2 Ges. Werke, Bd. 2. 3 Ges. Werke, Bd. 1.

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die durchgeführte Religionsphilosophie geben so erhebt sich notwendigerweise die Frage, wie denn von hier aus der Widerspruch des Wirklichen gegen das tragende Heilige und seinen unbedingten Anspruch zu verstehen sei. Die Kategorien profan, kulturell, autonom, humanistisch (mit denen z. B. Gogarten und Emil Brunner das Problem zu lösen suchen) genügen offenbar nicht, sobald erkannt ist, daß es neben dem uns unbedingt Angehenden keinen „Ort" geben kann, von dem aus wir ihm widersprechen können. Jene Begriffe drücken ja an und für sidi nur eine vom Heiligen getragene Existenzform aus, und der Widerspruch gegen das Heilige ist nicht nur in ihnen wirklich, sondern in jeder Existenzform, in der religiösen wie in der kulturellen. Es ist der Widerspruch gegen den unbedingten Anspruch des Unbedingten, es ist die Erhebung eines Bedingten zur Unbedingtheit und darum die Zerstörung der Sinneinheit und Wesensgestalt alles Wirklichen. Ein solcher Widerspruch aber, eine solche Durchbrechung der Sinnform hat seine Kraft aus dem, dem er widerspricht, dem tragenden Grunde und Abgrunde. Nicht die „Weltlichkeit" ist der Grund des Widerspruchs; denn Weltlichkeit - noch so profan gedacht - hebt nicht die Kreatürlichkeit, das Getragensein auf. Und umgekehrt, noch so reine Kreatürlichkeit, nodi so intensives Erfülltsein vom tragenden Grund und Abgrund, hebt nicht die Weltlichkeit auf. Der Widersprudi gegen den unbedingten Ansprudi des Heiligen ist also selbst getragen vom Heiligen, ist „heiliges Widergöttliches", d. h. Dämonisches. Es ist selbstverständlich, daß dieser Begriff nichts mit der mythischen Vergegenständlichung des Dämonenglaubens zu tun hat. Das Dämonische hängt nicht an einer metapsychischen Existenzform, sondern an einer bestimmten Richtung dem Unbedingten gegenüber. Die Möglichkeit des Dämonischen beruht darauf, daß das Heilige immer zugleich das unbedingt Tragende und das unbedingt Beanspruchende ist, daß es zugleich Tiefe und Form, Abgrund und Grund ist, und daß in der Kreatur beides auseinanderfallen kann; daß die Kreatur die Unerschöpflichkeit der göttlichen Tiefe in sich hineinreißen, für sich als einzelnes haben will und dadurch die schöpferische Potenz zerstörerisch wird. Denn Schöpfung ist, wo Abgrund und Gestalt in einem Wesen eins sind, Zerstörung, wo der Abgrund sich erhebt und die Gestalt zerbricht. Für eine Weltauffassung, in der nur noch die rationale Gestalt, nicht auch die schöpferische Tiefe der Dinge sichtbar ist, kann es den Begriff des Dämonischen nidit geben. Für sie kann Chaos, nodi nicht geformter Stoff, unendliche Aufgabe, Kritik denknotwendig sein, nicht aber aktiver Widerspruch gegen die Form und zwar ein Widerspruch, der gerade von dem ausgeht, was zugleich der tragende Grund 286

der Form ist. Der zweibegrifflichen Weltanschauung (unbedingtbedingt, heilig-profan, Form-Stoff, rational-irrational usw.) stellen wir eine dreibegriffliche Weltanschauung gegenüber, in welcher der dritte Begriff (das Dämonische, das Zerstörerische, das Sinnwidrige usw.) nicht etwa die Antithese ist, die zur Synthese kommen soll, sondern der aktuelle Widerspruch, der schlechthin bekämpft werden muß. Freilich haben auch diese Begriffe ihre Dialektik. Denn das Dämonische ist ja das Hervorbrechen dessen, was zugleich das Schöpferische ist. Und so hat denn auch der Sprachgebrauch z. B. bei Sokrates, Plato, Goethe u. a. den Dämon zum Schicksals träger oder das Dämonische zur genial-produktiven Kraft werden lassen. Auch hier handelt es sich um Hervorbrechen des tragenden Grundes und Abgrundes durch die Ebene der rationalen Form, aber nicht im zerstörerischen, sondern im schöpferischen Sinn. Es ist wohl zweckmäßig, den Sprachgebraudi in der ersten Richtung zu fixieren und dem schöpferischen Hervorbrechen des Grundes seine zerstörerische Erhebung als das Dämonische gegenüberzustellen, sich dabei aber der Dialektik des Dämonischen bewußt zu bleiben. Zu dieser Dialektik gehört weiter folgendes: Das bloß Zerstörerische hat als solches keine Existenzmöglichkeit. Denn zur Existenz kommen heißt zur Gestalt kommen. Das Dämonische ist darum nur wirklich an einer Gestalt, einer persönlichen oder sozialen. Nur in Einheit mit den Sinnformen kann das Dämonische seine heilige Widergöttlichkeit entfalten als Kirche und Kultus, als Staat und Recht, als Wirtschaft und Technik. Nicht das Herausfallen aus der Sinnhaftigkeit, nicht Minderwertigkeit, Trägheit, Schwäche ist dämonisch, sondern das Hereinbrechen des Abgrundes in die höchsten Sinnformen und ihre Perversion zur Sinnwidrigkeit ist dämonisch. Dämonie ist metaphysische Perversion, nicht ethischer Mangel. Darum steht das Dämonische auch nicht in der persönlichen Entscheidung, sondern es hat den Charakter überpersönlicher Macht, es wird wirklidi als „Besessenheit". Damit sind wir ganz in der Nähe der neutestamentlichen Auffassung, die ja zugleich die allgemein religionsgeschichtlidie ist und der sich die psydiopathologisdie und metapsychische Forschung der Gegenwart in wachsendem Maße nähert. Der Tatbestand der Besessenheit im persönlichen Leben wird am besten verdeutlicht durch die extrem pathologischen Fälle der Ichzerspaltung oder der radikalen Komplexverhaftung, also der Aufhebung bzw. Bindung des verantwortlichen Persönlichkeitszentrums. Es ist nun nicht die Meinung, daß diese Dinge von „bösen Geistern" verursacht sind, wie das mythische Weltbild will. Sondern dies ist gemeint, daß das Dämonische in seinem Wesen und in seiner Wirklichkeit an derartigen Be287

sessenheiten des persönlichen Zentrums symbolkräftig zum Audruck kommt. In analoger Weise wirken sich die sozialen Dämonien als Besessenheit aus. Und auch hier können uns Psychoanalyse und Metaphysik tiefgehende Aufschlüsse über Massendämonien geben. Auch hier ist die Freiheit weithin ausgeschaltet. Darum können die sozialen Dämonien nicht Gegenstand weltverbessernden Handelns werden, denn sie kommen aus einer Tiefe, deren Wesen es gerade ist, das formende Gesetz zu durchbrechen, und ihre Macht zeigt sich darin, daß sie gerade „den guten Willen" gegen seinen Willen in ihren Dienst stellen. Dämonien sind „Mächte, Herrschaften, Gewalten", die für das Gesetz unüberwindlich sind, weil sie selbst im Namen des Gesetzes, des sakralen oder profanen, auftreten. Der Besessenheit steht nicht gegenüber die Freiheit, sondern die Begnadetheit. Audi Begnadigung ist Hervorbrechen des Abgrundes, aber nicht als Zerstörung, sondern als Neuschöpfung. Freiheit ist nur das Formale, durch das die Persönlichkeit zur Persönlichkeit, zum verantwortlichen Zentrum wird, an das der Anspruch des Heiligen ergeht. Ohne Freiheit hätte der unbedingte Anspruch des Unbedingten keinen Sinn. Aber die Freiheit ist nicht materielle Möglichkeit, sich beliebig zu entscheiden. Die Freiheit des Einzelnen, sein persönliches Zentrum ist kein isolierter Punkt, sondern ist eingebettet in größere dämonisch oder göttlich beherrschte Zusammenhänge. Das Dämonische ist das zerstörerische Hervorbrechen des Sinnabgrundes. Gegenstand der dämonischen Zerstörung ist Sinnform und Gestalt, also das, wodurch der tragende Grund tragend, Sein- und Sinnschaffend ist. Nun ist aber nicht jede Zerstörung dämonisch. Die Grenze, die jedem Seienden innewohnt, der Ausdruck dieser Grenze in Schmerz und Tod ist Kreatürlichkeit, nicht Dämonie. Dämonisch wird die Zerstörung erst da, wo sie sich dem Sinn entgegenwirft, wo sie die Seinseinheit und die Personeinheit als solche in Frage stellt. Dämonie ist Angriff auf die sinnerfüllende Persönlichkeit und den sinnerfüllten Kosmos, ist nicht der dialektische endliche, sondern der eindeutige unendliche Widerspruch. Natürlich ist es in keinem Fall möglich, a priori zu sagen, wo dämonische Zerstörung und Besessenheit vorhanden ist. An und für sich ist Dämonie wie das Heilige überhaupt an jedem Gegenstand anschaubar. Ob es aber zur Anschauung kommt, das ist abhängig von der Stärke und Symbolkraft seines Hervorbrechens und von der Aufnahmefähigkeit des anschauenden Geistes einer Zeit oder eines Einzelnen. Es hat zu allen Zeiten symbolkräftige Dämonien gegeben, wie es symbolkräftige Heiligkeiten gegeben hat. Und das eine 283

ist für das Wesen einer Zeitlage nicht weniger wichtig als das andere. Von hier aus fällt ein starkes Licht auf die Religionsgeschichte und die Stellung des Christus innerhalb der Religionsgeschichte. Für die heidenchristliche Botschaft war die Aussage, daß in Christus die Dämonen überwunden sind, von grundlegender Bedeutung. Darin liegt eine bestimmte Auffassung der Religionsgeschichte. Sie wird ernst genommen. Sie ist wirklich Geschichte von Religion. In ihr handelt es sich um Heiliges, aber eben um heiliges Widergöttliches, um Dämonie. Selbst im Judentum und in seiner Form der Gesetzeserfüllung sieht Paulus Dämonendienst. Wir können dieser Beurteilung der Religionsgesdiichte von unserer Fassung des Dämonischen aus gerecht werden, ohne doch die praktisch-polemische Entwertung der Religionsgesdiichte bejahen zu müssen. Die Geschichte der Religion, einschließlich der Geschichte der profanen Kultur, ist ein ständiger Kampf gegen das Dämonische, gegen das Heilig-Sinnwidrige, Sein und Persönlichkeit Zerstörende. Die verschiedenen Formen der Entdämonisierung, die mystische, die mysterienhafte, die kulturreligiöse, die prophetische, die profan-autonome, ihre Grenzen und ihre Zusammenhänge und damit die wichtigsten Typen und Linien der Religions- und Kulturgeschichte können von hier aus verstanden und gewertet werden. Vor allem aber gewinnt das urchristliche Bekenntnis und die christologische Entwicklung einen neuen Sinn: In Christus wird diejenige Wirklichkeit angeschaut, in der Grund und Abgrund in Einheit gegenwärtig sind, in der der Durchbruch des Sinnabgrundes sich ergießt in die vollkommene Sinnform, in die Persönlichkeit, die die messianische Berufung verbindet mit dem Todeswillen und damit die Dämonie der Religion in sich zerbricht und überwindet. Der Kampf um das christologische Dogma aber hat den Sinn, eine Dämonisierung des Christus, seine Erhebung - oder Erniedrigung - zu einem Halbgott, also einem dämonischen Mittelwesen, und seine Profanisierung in der zweibegrifflichen Weltanschauung zu verhindern. Die begrifflich mythologischen Mittel, mit denen das geschehen ist und aus denen sich zahlreiche innerchristliche Dämonien entwickelt haben, können um so leichter abgestreift werden, je deutlicher wir die Dämonien unserer Zeit sehen und ihre Überwindung in Christus anschaubar machen können. Dann wird vor allem klar, daß auch das Christentum als historische Erscheinung der Dämonisierung verfällt wie jede andere Religion und daß es, wie jede andere Religion, nur insoweit frei ist vom Dämonischen, als es teilhat an der Einheit von Begnadung und Todesbereitschaft im Leben und Denken. Denn dämonisch ist die Religion, insofern sie sich selbst als Religion zur Unbedingtheit erhebt. Von da aus ergeben sich wichtige Folgerungen für die Lehre von der 289

Kirche, von der Mission, vom Sinn des Dogmas usw. Aber audi in die protestantischen Zentrallehren von Sünde und Gnade greifen die Konsequenzen ein. Der Realismus der Begriffe „Besessenheit" und „Begnadetheit" macht die Uberbetonung des Persönlich-Moralischen in der Sündenlehre ebenso unmöglich wie die Überbetonung des Imputativen in der Gnadenlehre. Und doch bedeutet der Begriff des Dämonisdien in seiner radikalen Anwendung audi auf das Christentum die vollkommene Durchführung des Prinzips der Rechtfertigung - auch dem Erkennen gegenüber. Entscheidende Bedeutung hat der Begriff des Dämonisdien für die Sakramentslehre im positiven wie im negativen Sinne. Es ist die Grenze aller mystisch-sakramentalen Auffassung, daß sie die Verbindung mit dem Heiligen abgesehen von dem Persönlichkeitszentrum sucht. Sie gerät dadurch ständig in die Gefahr, sich mit Hilfe eines heiligen Gegenwärtigen dem unbedingten Anspruch des Heiligen zu entziehen, d. h. sie gerät fortwährend in Gefahr der sakramentalen Dämonie. Der radikale Kampf der Propheten und Reformatoren gegen das KultischSakramentale hat hier seine Wurzel, zugleich aber audi der Verlust des gegenwärtigen Heiligen zugunsten des unbedingten Anspruches. Damit ist das Verhältnis zu Gott ausschließlich in das persönliche Zentrum gestellt, eine heroische, aber gegenüber den Tatbeständen der personalen und sozialen Besessenheit untragbare Auffassung. Der Weg zu einer undämonischen sakramentalen Gegenwärtigkeit des Heiligen muß in der Sakramentslehre gesucht und um der Existenz des Protestantismus willen gefunden werden. Sonst überflutet uns der stark dämonisierte Sakramentalismus der Vergangenheit und neuesten Gegenwart (Rittelmeyers „Christengemeinschaft"). Die Bedeutung, die der Begriff des Dämonischen für die Schöpfungsund Vollendungslehre hat, zeigt sich besonders klar in der Ethik, speziell in der Sozialethik: Für die zweibegriffliche Weltauffassung ist die soziale Wirklichkeit entweder Gegenstand des gestaltenden Handelns, das fortschreitend die Mängel und Sinnlosigkeiten überwinden will, oder ist die soziale Wirklichkeit Gegenstand einer Resignation, die die Mängel der sozialen Machtverhältnisse anerkennt, möglichst eingrenzt, ihnen aber keine entscheidende religiöse Bedeutung beimißt. Beide Auffassungen sind sozial-ethisch unfruchtbar. Die erste Auffassung weiß nichts von den Dämonien der Gesellschaft. Sie ist darum immer irgendwie, wenn auch noch so abgeschwächt, utopisch und steht enttäuscht vor dem offen zerstörerischen Hervorbrechen der großen sozialen Dämonien. Die zweite Aufassung sieht mit Scharfblick die Tatbestände des Dämonisdien, etwa unter dem Symbol des Willens zur Macht; aber sie 290

erkennt sie nicht als dämonisch. Sie rechnet infolgedessen mit ihnen als profanen Tatsächlichkeiten, die man bedauern, benutzen, eindämmen kann, denen gegenüber aber die Hoffnung auf jenseitige Vollendung die einzige religiöse Haltung ist. Für unsere Auffassung ist die eine wie die andere Stellung unmöglich. Das Wissen um die soziale Dämonie macht Utopie und eigentlichen Fortschrittsglauben unmöglich. Ein rationaler Gestaltungswille, der nichts weiß von dem tragenden Abgrund des Seins, auch des sozialen Seins und seinem schöpferischen und zerstörerischen Hervorbrechen, fällt hin. Das Wissen um die soziale Dämonie macht aber auch die religiöse Indifferenz oder gar die religiöse Weihung der dämonisierten sozialen Mächte unmöglich und zwingt zum antidämonischen Kampf, in dem zwar ein machtvoller Gestaltungswille am Platze ist, der aber nur dann sieghaft sein kann, wenn er getragen ist von Begnadetheit. Denn nicht das Gesetz erlöst von der Besessenheit durch soziale Dämonie, sondern die Begnadung. Es ist offenbar, daß hinter allen ausgesprochenen Gedanken ein Gottesgedanke steht, der sich von dem üblichen dogmatischen Gottesbegriff nicht unwesentlich unterscheidet. Dieser entstammt dem zweibegrifflichen Denken der Spätantike und ist unlöslich geknüpft an den Monotheismus der reinen Form, des actus purus, wie ihn Aristoteles entsprechend der fast völlig entdämonisierten und entgöttlichten Rationalität seiner Philosophie faßte. Von diesem Gottesbegriff müssen wir uns losringen und zwar nicht nur, wie es in ihrer Weise die Mystiker von Plotin bis Ekkehard taten - sie blieben infolge ihrer statischen Weltauffassung im Grunde dem zweibegrifflichen Denken verhaftet - , sondern so, wie es die protestantische Mystik auf Grund des dynamischen spannungsreichen Gottesgedankens von Luther versuchte, nur mit schärferen begrifflichen Mitteln und in ständiger Abwehr gegen die Gefahr, der jene zum Teil erlegen ist: Gott selbst zu einem Dämon zu machen und über der Tiefe Gottes seine Klarheit zu verleugnen.

291

JÜDISCHE

EINFLÜSSE

AUF

DIE

THEOLOGIE UNSERER

CHRISTLICHE ZEIT

Es ist mir eine Ehre und Freude, im Rahmen dieser Vorlesungsreihe, die der jüdischen Theologie gewidmet ist, über die Beziehungen zwisdien protestantischem und jüdischem Denken zu sprechen. Ich bin dieser Aufforderung gerne gefolgt, da idi seit einigen Jahrzehnten in einem nie abreißenden Gespräch mit jüdisdien Freunden über die Beziehung des jüdisdien Geistes, so wie sie ihn verstehen, zu meiner Auffassung des Protestantismus stehe. Und ich bin sidier, daß diese lebendige Auseinandersetzung bis zu unserem Tode fortgeführt wird. Die Probleme, die uns bewegen, sind so alt wie das Christentum und in mancher Beziehung nodi älter. Erst mit dem Ende der Gesdiichte wird diese Auseinandersetzung aufhören. Denn die Konflikte, von denen sie zeugt, sind in der mensdilichen Existenz selbst, in den tiefsten Schichten mensdilichen Seins verwurzelt. Ich glaube nicht, daß man von mir erwartet, daß ich hier über den Einfluß einiger jüdischer auf einige protestantische Theologen spredie, und zwar im Hinblick auf Spezialprobleme der historischen oder philosophischen Forschung. Idi denke, es sollte meine Aufgabe sein, diejenigen Elemente im religiösen Denken herauszuarbeiten, in denen sidi das Judentum als ständiges Korrektiv der christlichen und besonders der protestantischen Theologie erweist. Denn nidit der zufällige Einfluß, den Gelehrte des gleichen Arbeitsgebietes aufeinander ausüben, ist wichtig, sondern allein der grundlegende Einfluß, den die bloße Existenz des Judentums und seiner Theologen auf das Christentum ausgeübt hat und weiterhin ausüben sollte.

I. Jedoch soll weder diese Auffassung nodi die Tatsache, daß idi kein Fadimann der exegetisdien und historisdien Theologie bin, midi davon abhalten, die Dankbarkeit meiner Kollegen der alt- und neutestamentlidien Exegese und der Kirchengesdiidite für die auf diesen Gebieten geleisteten Beiträge jüdischer Gelehrter zum Ausdruck zu bringen. Einige dieser Beiträge möchte ich erwähnen: Bezüglich des Verständ292

nisses des Alten Testaments hat sich die Zusammenarbeit auf zwei Gebieten als fruchtbar erwiesen, auf dem Gebiete der biblisdien Archäologie und der Textkritik. So wurden durch gemeinsame Arbeit jüdischer und christlicher Archäologen in Palästina Ausgrabungen gemadit, die gewisse biblische Berichte bestätigt haben, die vom exegetischen Standpunkt aus fragwürdig erschienen. Gleichzeitig trugen jüdische Theologen dazu bei, durch eine intensive Analyse biblischer und anderer Quellen bessere Texte für viele schwierige Bibelstellen zu erstellen. Dieser Teil der Zusammenarbeit war mehr konservativ. Denn die jüdischen Theologen, die unmittelbar und unaufhörlich in der Tradition des Judentums stehen und dadurdi ihren protestantischen Kollegen überlegen sind, können echte Überlieferung auch bei solchen Stellen nachweisen, deren Echtheit von der protestantischen Forschung bezweifelt wurde. Andererseits - als Beweis für die Wechselseitigkeit des Zusammenarbeitens - hatten es die christlichen Theologen durdi ihre relative Unabhängigkeit von der jüdischen Überlieferung leichter, das Alte Testament in den Rahmen der allgemeinen Religionsgeschichte zu stellen. Soldie Zusammenarbeit brachte als Ergebnis die Unterscheidung der dem Pentateuch zugrundeliegenden Quellen und damit die Herausarbeitung eines allgemeinen Entwurfs der alttestamentlich-jüdischen Religion und ihrer Entwicklung. Beides wurde von allen Wissenschaftlern anerkannt, die die Methoden historischer Forschung bei der Interpretation der heiligen Schriften anwenden. In diesem Zusammenhang möchte ich nur die Professoren Ginsberg und Morgenstern erwähnen. Und als gebürtiger Deutscher möchte ich auf die Bibelübersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig hinweisen, in der hebräischer Rhythmus und hebräische Bildersprache so wiedergegeben wurden, daß audi in dem des Hebräischen Unkundigen ein Eindruck vom biblischen Originaltext erweckt wird. Natürlich hat die jüdische Theologie bei der Exegese des Neuen Testaments sehr viel zum Verständnis der jüdischen Umwelt beigetragen, in der die frühe Kirche entstanden ist und der sie entgegentrat. Diese immer wichtiger werdenden Forschungen haben ergeben, daß manche dem griechischen Einfluß zugeschriebenen neutestamentlidien Gedanken mit größerer Berechtigung jüdischen Quellen zugeschrieben werden müssen. Das widerlegt keineswegs die Behauptung, daß das Judentum zur Zeit des Neuen Testaments tief unter dem Einfluß persischer und griechischer Ideen gestanden hat. Aber die jüdische Theologie hat eine noch weit wichtigere Funktion für das Verständnis des Neuen Testaments. Sie erhellt sozusagen die jüdische Seite des Bildes, das tragische Element im Konflikt zwischen Jesus und den 293

Juden. Fast ausnahmslos hat die Kirche die Ablehnung Jesu als des Messias den Juden als Schuld vorgeworfen. Aber die protestantische Theologie, die an keine Tradition dieser Art gebunden ist, muß die tragisdie Seite der Ereignisse in der apostolischen und nachapostolischen Zeit durchaus in ihre historische und systematische Betrachtung einbeziehen. Mir selbst wurde die praktische Bedeutung dieses Problems in seiner ganzen Tragweite erst deutlidi, als idi vor einigen Jahren von einer repräsentativen jüdischen Gruppe zu einem Vortrag über die Einstellung der diristlidien Kirchen zum Judentum gebeten wurde. Dabei entdeckte ich neben vielem anderen, daß bereits bei der Entstehung des vierten Evangeliums eine Entwicklung einsetzte, die in dem römischen Prokonsul Pilatus, der Jesus kreuzigen ließ, ein unsdiuldiges Opfer jüdischen Druckes sah, der gezwungen wurde, entgegen seinem eigenen Willen zu handeln. In einer späteren Legende erscheint er als christlicher Märtyrer und in der äthiopischen Kirche sogar als „Heiliger Pilatus". Auf diese Weise rechtfertigte die Kirdie ihren religiösen Anti-Judaismus, auf dessen Boden der politische Antisemitismus der letzten hundert Jahre wachsen konnte. Hier möchte ich die Namen der beiden Neutestamentier Monteiiore und Klausner nennen, die die wichtigsten Beiträge zur Erhellung der Ereignisse beigesteuert haben, auf die sich die Kirdie gründet. An dieser Stelle halte idi es für dienlich, ein grundlegendes Problem zu erörtern, das sich aus der historischen Bibelkritik ergibt. In der jüdischen wie in der diristlidien Theologie besteht theologisch ein großer Unterschied zwischen einem liberalen und einem orthodoxen Flügel. In dieser Hinsicht läuft die Trennungslinie nicht zwischen Judentum und Protestantismus, sondern zwischen jüdischem und protestantischem Liberalismus einerseits und jüdischer und protestantischer Orthodoxie andererseits. Und es scheint jetzt in der jüdischen wie in der protestantischen Theologie Bewegungen zu geben, die diese überholten Spaltungen zwischen einem veralteten Liberalismus und einer verhärteten oder fanatischen Orthodoxie zu überwinden suchen. Auch in dieser Beziehung wird die Zusammenarbeit protestantischer und jüdischer Theologen zu einem sehr wichtigen Faktor, worauf ich noch eingehen werde. Zuvor aber muß ich noch ein drittes Gebiet behandeln, auf dem eine ständige fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der protestantischen Theologie und jüdischen Theologen notwendig ist, wie sidi das schon in der Vergangenheit erwiesen hat: die Kirchengeschichte. Sowohl die protestantischen wie die jüdischen Theologen haben die Aufgabe, sich mit dem sogenannten Judenchristentum - den von der 294

Synagoge kommenden Christen - zu beschäftigen und seine Bedeutung darzustellen. Diese Judendiristen, die in der frühen Kirdie eine wichtige Gruppe bildeten, verschwanden, als die sogenannten Heidenchristen - die aus dem Heidentum kommenden Christen - die Oberhand gewannen. Die protestantische Theologie sollte nicht nur diese frühere Bedeutung des Judenchristentums würdigen, sondern auch seine bleibende Rolle anerkennen, die in der Wachhaltung des prophetischen Geistes in den christlichen Kirchen liegt. Dazu bedarf es der Hilfe der jüdischen Theologie. Ein anderes historisches Problem der Kirche, zu dessen Lösung die protestantische Theologie von der jüdischen Forschung Hilfe empfing und auch weiterhin benötigt, ist die Beziehung zwischen Mystik und biblischer Religion. Manche jüdischen wie auch protestantischen Theologen verstehen diese Beziehung nur als Gegensatz. Doch haben wir jetzt durch die Arbeit jüdischer Gelehrter, von denen ich besonders meinen Freund Gerhard Scholem von der Universität Jerusalem nennen möchte, mehr über die jüdische Mystik erfahren. Man weiß jetzt, daß die von dem großen Arzt und Philosophen Paracelsus und von dem protestantischen Mystiker Jakob Böhme vertretene Mystik, die die deutsche klassische Philosophie, die französische Lebensphilosophie und die russische Religionsphilosophie auf das stärkste beeinflußt hat, in einem tiefen Zusammenhang mit der Kabbala und ihren mystischen Spekulationen über das Leben und das Böse steht. Wir haben zu akzeptieren, daß zumindest eine Linie des protestantischen Denkens vorhanden ist, die protestantische Mystik in einem speziellen Sinne genannt werden kann. Damit wäre auch die Meinung mancher protestantischer Theologen, mit denen ich völlig übereinstimme, bestätigt, daß nämlich prophetische und mystische Religion einander nicht ausschließen und daß deshalb die protestantische Theologie ihre ablehnende Haltung gegenüber der Mystik überprüfen sollte. Diese Auffassung wird durch einen anderen Typ der jüdischen Mystik gestützt, der nicht spekulativer, sondern praktischer Art ist. Diese Form der Mystik ist vom Gesetz geprägt und bestimmt das tägliche Leben ganz schlichter Menschen. Es ist der von Martin Buber neu gedeutete Chassidismus. Wie man auch über Bubers Gesdiiditsanalyse denken mag, sie ist von einer tiefen religiösen Erfahrung getragen. Und für die protestantische Theologie war die Erkenntnis von größter Tragweite, daß solche lebendige religiöse Erfahrung das wiedervereinigen kann, was durch theologische Abstraktion getrennt wurde: das mystische Erlebnis der göttlichen Gegenwart und die Anerkennung des moralischen Gesetzes im täglichen Leben. Dies vor 295

allem sollte die heutige protestantische Theologie von den mystischen Elementen der jüdischen Theologie lernen. Schließlich möchte ich noch ein Gebiet nennen, auf dem die protestantischen Theologen wertvolle Anregung von der historischen Forschung der jüdischen Theologie empfangen können: das ist die Beziehung zwischen Religion und bildender Kunst. Seit der Ausgrabung der Synagoge von Dura Europos haben jüdische Theologen die Frage künstlerisch geformter Symbole in der prophetischen Religion erörtert. Daß sowohl das Judentum wie der Islam und der Protestantismus, besonders der Calvinismus, ängstlich vor der künstlerischen Darstellung des Göttlichen zurückschrecken, ist allgemein bekannt. Die Angst vor einem Rückfall in die Vergötzung, möglidierweise sogar die Unterdrückung einer verborgenen Sehnsucht nadi Vergötzung, steht dahinter. Diese Angst kann zwei Folgen haben: Entweder kann der Tempel, in dem das Göttliche gegenwärtig ist und ein Gegenstand der Anbetung und der inneren Schau sein sollte, in eine Gesetzessdiule verwandelt werden wie im Judentum, oder in eine Stätte dogmatischer Unterweisung, wie das vorwiegend im Protestantismus geschah. Mit dieser Entwicklung schwindet die Erfahrung des Heiligen, und die Religion wird säkularisiert, sei es nun in moralistischer oder in intellektueller Weise. Doch kann die Ablehnung bildhafter Darstellung des Göttlichen auch zu etwas Positivem führen. Diese Ablehnung jeglichen Bildschmucks bringt das Heilige zur Geltung, indem sie einen leeren Raum schafft. Aber diese Leere ist gerade deswegen mit Unendlichem erfüllt, weil alle Darstellung von Endlichem, handelt es sich nun um Mensch, Tier oder Pflanze, ausgeschlossen ist. Dies entspricht der geheiligten Ferne zwischen Gott und Mensch, der Tatsache, daß das Göttliche alles Menschliche und Untermenschliche transzendiert. Ich kann hier nicht weiter auf die Frage eingehen, ob die bildende Kunst trotz dieser Tatsachen noch eine Rolle im Judentum und Protestantismus spielen kann, eine Rolle, die natürlich die Mängel und Verzerrungen, denen sie heute in beiden Religionen ausgesetzt ist, vermeiden müßte. Doch möchte ich ein Beispiel für die Zusammenarbeit jüdischer und christlicher Theologen auf diesem Gebiet anführen. Vor einigen Jahren lud der Leiter des Jüdischen Theologischen Seminars, Dr. Finkelstein, einige Theologen und Künstler, die sich für die Frage der Beziehung zwischen Religion und bildender Kunst interessierten, zu einer Diskussion in sein Seminar ein. Vertreter des Judentums, des Protestantismus, des Katholizismus und des Islam kamen zusammen; einer lernte vom anderen, und jeder brachte als Anregung das mit heim, was in anderen Gruppen versucht und erarbeitet worden war. 296

II. Alles bisher Erörterte hatte im wesentlichen historischen Charakter. Da jedoch Geschichte nicht nur Bericht, sondern auch Deutung ist, habe ich vielfach systematische Probleme angeschnitten, die von jetzt an im Mittelpunkt unserer Betrachtung stehen sollen. Ich will beginnen mit dem meines Wissens stärksten Einfluß, den die jüdische Theologie auf die protestantische Theologie ausgeübt hat, der Religionsphilosophie Martin Bubers und besonders seiner Lehre von der Ich-Du-Beziehung zwischen Gott und Mensch. Durch die großen Schweizer Theologen Barth und Brunner ist Bubers Grundgedanke zum Allgemeingut der protestantischen Theologie geworden und gewinnt dort steigende Bedeutung. Bubers Lehre wendet sich gegen die Richtung unserer heutigen industriellen Gesellschaft, alles in ein Objekt, ein „Es", zu verwandeln. Menschen werden zu Dingen, lebendige Wesen zu Mechanismen, das Denken in Allgemeinvorstellungen ersetzt die Begegnung mit Individuen. Menschen werden zu Gegenständen der Berechnung und der Manipulation gemacht, man stellt wissenschaftliche Untersuchungen über sie an und experimentiert mit ihnen, sie erscheinen nur noch als Mittel, aber nicht mehr als Zweck. Die Ich-Du-Beziehung, die personhafte Begegnung ging dabei verloren. Gott selbst wurde zu einem moralischen Ideal oder einem philosophischen Begriff oder einem Wesen, dessen Existenz oder Nicht-Existenz man zu beweisen sucht. Ein Gott aber, der in diesem Sinne zum Objekt geworden ist, ist nicht Gott! Man begegnet Gott, bevor man irgendetwas anderem begegnet, und diese Begegnung ist existentiell und nicht theoretisch. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß Buber den existentialistisdien Gesichtspunkt in das theologische Denken einführte, bevor Kierkegaards Bedeutung erkannt wurde. Von neuem machte er deutlich, was die Theologie immer hätte wissen müssen, daß Gott ein leerer Begriff bleibt, wenn ich ihm nicht in der Mitte und Tiefe meiner Person begegne. Diese Einsicht wurde für eine neue Deutung des Offenbarungsbegriffs in der protestantischen Theologie entscheidend. Vom existentiellen Gesichtspunkt aus ist es unmöglich, Offenbarung mit Belehrung über göttliche Dinge gleichzusetzen. Der Gott der Propheten und der Reformatoren ist kein Gegenstand der Information; ich erfahre ihn in einer persönlichen Begegnung, und diese Begegnung wird für mich zu einer Offenbarung. Nur in der lebendigen Begegnung können wir die Macht der Offenbarung erfahren. Es muß nicht jeder eine neue Offenbarung empfangen, aber er muß an der Ich-Du-Beziehung zwischen Gott und 297

Mensch teilhaben, die den großen Offenbarungen der Vergangenheit zugrundeliegt. Wir hören hierüber im Religionsunterricht, im Studium und beim Lesen der Bibel. Aber wenn es nur dabei bleibt, erfahren wir selbst noch keine Offenbarung. Der Gott, der durch die Offenbarung bezeugt wird, bleibt dann ein »Es" für uns, ein Objekt neben anderen, über das wir unterrichtet worden sind; doch ist er kein „Du" für ein „Ich", wie er kein „Ich" ist für ein »Du". Die Bedeutung dieser Einsicht kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Sie befreit die Religion von den zwei hauptsächlichen Formen einer „Idi-Es-Beziehung" in dem Verhältnis zu Gott, mit denen das Judentum wie der Protestantismus im vergangenen Jahrhundert zu kämpfen hatte. In beiden Religionen ist sowohl der sogenannte orthodoxe wie der sogenannte liberale Flügel in ständiger Gefahr, Gott zu objektivieren. Beide bedürfen der existentialistischen Kritik, in der Buber und Kierkegaard übereinstimmen und die die neuere protestantische Theologie stark beeinflußt hat. Für die in Amerika als „Fundamentalismus" bezeichnete protestantische Orthodoxie ist Offenbarung ein göttlidies Vermächtnis, das wir aus der Hand der Propheten und Apostel empfangen und das nun im geschichtlichen Raum steht als ein unfehlbares Dokument, durch einen Bund besiegelt und verkündet. Gott ist danach an seine Worte gebunden, sei es, daß sie in einem Buch stehen oder in den Sdiulen gelehrt werden, sei es, daß sie in rituelle und sakramentale Formen eingegangen sind. Er ist sozusagen an seine eigene Selbst-Manifestation gekettet. Nur hier, an keinem anderen Ort ist er zu finden. Er ist ein Stück der gegenständlichen Wirklidikeit. In Dogma und Kult kann man über ihn verfügen. Gegen eine solche Auffassung richtete sich der ganze Zorn der Propheten, und die existentialistisdie Theologie eines Martin Buber gibt uns neue Waffen gegen sie an die Hand. Doch braucht man nicht in das andere Extrem zu fallen und den Gott der Ich-Du-Beziehung in ein normatives Prinzip oder in ein logisches Ideal umzuwandeln. Dieser Gefahr war leider der liberale Flügel des Judentums und des Protestantismus ständig ausgesetzt. Gott wurde mehr und mehr zu einem Symbol für das Gute im Menschen. Als ethisches Prinzip stand er hinter den Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft, für die es eine geringe Rolle spielte, ob ihr jüdisdies oder puritanisches Gesetzesdenken zugrundelag. Denn in beiden Gruppen spielte die religiöse Seite des Gesetzes eine ganz unwesentliche Rolle, selbst wenn man ihr formal im konventionell besuchten Gottesdienst Respekt bezeugte. Der Ruf des Existentialismus brachte den prophetischen Geist zur Geltung auf dem verdorrten Boden einer solchen moralischen, sich als aufgeklärt ausgebenden Religion. Dadurch 29S

wurde der Weg frei für eine Religion, in der die Macht des Geistes und Redlichkeit des Denkens vereint sind. Hinter dieser ganzen Entwicklung steht die Gotteserfahrung des Judentums, die sich das Christentum aneignete, als es das Alte Testament annahm und es gegen die in die Kirche eindringenden heidnischen Tendenzen verteidigte. Dodi läuft das Christentum selbst ständig Gefahr, solchen Tendenzen zu unterliegen. Das christliche Dogma von der Dreifaltigkeit kann seine eigene monotheistische Grundlage gefährden. Zwar ist nicht die christliche Theologie, wohl aber das volkstümliche Christentum heidnischen Einflüssen sehr zugänglich. Und häufig wird den Theologen durch eine volkstümliche Religiosität eine Lehre aufgezwungen, gegen die sie sich zu wehren versuchen. In dieser Lage kann die Kraft der jüdischen Gotteserfahrung die christliche Theologie im Kampf gegen ihre eigenen volkstümlichen und hierarchischen Entstellungen unterstützen. Ich meine hier nidit den dürren und abstrakten Monotheismus in der Theologie des 19. Jahrhunderts von einem Gott, der neben der Welt stand, sie meist sich selbst überließ und nur von Zeit zu Zeit als Gesetzgeber und Richter auf sie einwirkte. Dieser Gott ist nidit der Gott der biblischen Religion. Was ich meine, ist der Gott als schöpferischer Grund von allem und in allem, er ist der allzeit Gegenwärtige, Schöpferische und Zerstörende; er ist uns näher, als wir selbst uns sind, aber audi der allzeit Unnahbare, der Heilige, der geheimnisvoll Anziehende und Erschreckende, der Grund und Sinn alles dessen, was ist. Er ist der lebendige Gott, dynamisch in sidi selbst, lebendig als der Grund des Lebens und darum nidit so fern von dem dreieinigen Gott, wie volkstümliche Verzerrungen und abstrakte theologische Begriffe es andeuten. Und es ist sehr eindrucksvoll zu spüren, wie in den prophetischen Menschen des modernen Judentums dieser Gott eine sehr lebendige Kraft ist. Das kann in den protestantischen Theologen einer Gotteserkenntnis zum Durchbruch verhelfen, die nicht ohne tiefen Einfluß auf ihr religiöses Leben und auf ihre Theologie bleiben wird. Teilweise ist dies schon geschehen. Dies ist aber nicht der letzte und wichtigste Punkt, in dem sich jüdischer Einfluß auf die protestantische Theologie zeigt. Die Idi-DuBeziehung ist nicht nur eine Beziehung zwischen Gott und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Mensch. Mit Recht hat man das Judentum als „ethischen Monotheismus" gekennzeichnet. Der Monotheismus des Alten Testaments ist kein Monotheismus der Zahl, sondern der Qualität. Er behauptet nicht, ein Gott sei besser als viele Götter. Warum auch? Sondern er behauptet, der Gott Israels sei der Gott der Welt, weil er der Gott der Gerechtigkeit ist. Dies allein macht 299

ihn universal. Denn Gerechtigkeit ist ihrem Wesen nach allgemeingültig. Der Gott des ethischen Monotheismus ist sowohl ein exklusiver wie ein universaler Gott; und er kann exklusiv sein, weil er universal ist, weil er Gerechtigkeit auch gegen sein eigenes Volk verkörpert. Dieses ethische Element im Judentum steht im Konflikt mit dem sakralen Element in allen Religionen, einschließlich des Christentums und des Judentums selbst. Dieser Gegensatz muß eingehender behandelt werden, denn nur von ihm aus kann die ganze Bedeutung des Judentums als Korrektiv für das Christentum verstanden werden. Das Heilige steht in einer doppelten Beziehung zum Menschen: als schenkende Gegenwart und als fordernde Transzendenz. Auf jener beruht die religiöse Erfahrung des sakramentalen Typs der Religion, auf dieser die des ethischen Typs. Wohl vereint jede lebendige Religion beide Typen in sich, im allgemeinen ist jedoch der eine oder der andere vorherrschend. Sobald er aber nicht nur vorherrschend ist, sondern allein bestimmt, hört jede echte religiöse Erfahrung auf. Sie wird zur Magie, wenn die sakramentale Seite alles andere verdrängt, oder zur bloßen Moral, wenn das Ethische alles bestimmt. In manchen ins Primitive abgesunkenen Formen des sakramentalen Christentums haben magische Praktiken die echte religiöse Erfahrung verdrängt, wie das in gewissen Formen des ethischen Judentums durch moralisches Gesetzesdenken geschehen ist. Diese Extreme aber sind kein ernstes Problem für die Theologie. Das stets gegenwärtige Problem aller Religionen ist ein ausgewogenes Verhältnis von sakramentalen und ethischen Elementen. Und ganz offensichtlich liegt im Judentum das Schwergewicht mehr auf der ethischen, im Christentum mehr auf der sakramentalen Seite. Deshalb ist das Judentum das ständige Korrektiv für das sakramentale Christentum und von allergrößter Bedeutung für die protestantische Theologie. Jede Wirklichkeit, in der das Heilige als gegenwärtig erfahren wird, ist sakramental. In diesem Sinne hatte das Judentum starke sakramentale Elemente, die auch jetzt in ihm noch vorhanden sind. Denn Israel ist die Religion des „Bundes", und der Bund ist eine Gabe, noch bevor etwas gefordert wird. Auch das Gesetz wurde zuerst als Gabe empfunden - als eine in der Geschichte erschienene ewige göttliche Wirklichkeit. Es hat sakramentale Qualität, ehe es Forderungen stellt. Audi hier könnte die christliche von der jüdischen Theologie lernen. Denn vielfach beurteilen lutherische Theologen das Gesetz nur vom Standpunkt der paulinisch-lutherischen Kritik am Gesetzesdenken, obwohl ihnen natürlich bekannt ist, daß Gesetze nicht notwendig zu starrem Gesetzesdenken führen müssen. Da aber Gesetzesreligionen tatsächlich 300

zu legalistischen Religionen geworden sind, wird oft vergessen, daß für den frommen Juden das Gesetz nichts Bedrückendes, sondern etwas Befreiendes ist. Zunädist ist es Gnade und danach erst Forderung. Betrachtet man den Inhalt des Gesetzes genauer, so sieht man, daß sakramentale und rituelle Elemente in ihm eine bedeutende Rolle spielen. Und es ist allgemein bekannt, daß das in der Geschichte der jüdischen Religion bis auf den heutigen Tag der Fall gewesen ist. Seit der scharfen Kritik der großen Propheten am Kult aber weiß das Judentum, daß die Bedingung für seinen Bund mit Gott Gerechtigkeit ist und daß auch die peinlichste Erfüllung des rituellen Gesetzes ohne Gehorsam gegen das moralische Gesetz wertlos wäre. Das Judentum ist die Religion der Erwartung. Obwohl das Heilige gegenwärtig ist, ist die göttliche Verheißung nicht erfüllt. Noch ist das mcssianisdic Zeitalter nicht angebrochen, der Messias wird erst erwartet. Auch in allen sakramentalen Handlungen liegt ein Element der Vorwegnahme, sie sind, wie es Albert Schweitzer ausdrückt, „esdiatologische Sakramente". Jedoch ist das, was sein sollte, die neue Welt, das Reich Gottes, noch nicht Wirklichkeit geworden. Im Christentum aber ist das entscheidende Ereignis schon eingetreten. Der Messias ist in einer geschichtlichen Person erschienen. Das Heilige ist gegenwärtig in seiner Fülle. Das zukünftige Zeitalter ist bereits angebrochen. Das verändert das Verhältnis des Ethischen zum Sakramentalen. Die Bedeutung des Sakramentalen hat außerordentlich zugenommen. In der sakramentalen Gewalt des Priesters verwirklicht sich die Herrschaft des Christus. Das letzte Stadium der Geschichte ist angebrochen. Die Kirche und ihre Institutionen sind mit dem Reich Gottes identisch. Sie ist über alle Kritik erhaben - sie ist unfehlbar und unveränderlich. Prophetische Verheißungen, Forderungen nach Gerechtigkeit, Kritik am Kultus - all dies wurde in den Hintergrund gedrängt. Zwar trat es immer wieder hervor - mit revolutionärer Gewalt in der Reformation - , immer aber blieb das sakramentale Prinzip, die Gegenwart Christi, die Grundlage auch für die protestantischen Kirchen. In ihnen aber verkörpern Bibel und reine Lehre, nicht Hierarchie und Kultus, die Gegenwart des Heiligen. Weniger stark kam in ihnen das soziale Element, die Forderung nach Gerechtigkeit, zur Geltung. An die Stelle der römischen Hierarchie traten die Fürsten oder die oberen Gesellschaftsklassen. Schon dies machte eine scharfe prophetische Kritik fast unmöglich. Die protestantischen Kirchen fügten sich der sozialen und kulturellen Struktur der Völker ein, in denen sie wirkten. Sie wurden nationalistisch und gaben einem heidnischen Nationalismus religiöse Weihe. Hier liegen die Wurzeln für die Spannung zwischen 301

Judentum und nationalistisdiem Christentum. Es ist die Spannung zwischen dem ethischen und sakramentalen Element. Der Nationalismus verleugnet die Gerechtigkeit und fürchtet den prophetischen Angriff auf seine Heiligung der Ungerechtigkeit. Dies erklärt den schwachen protestantischen Widerstand gegenüber den Nationalsozialisten und die nahezu kritiklose Hinnahme ihres Versudis, das gesamte jüdische Volk auszurotten. Durch die Gleichsetzung von Nation und Religion wurden Widerstand und Kritik gebrochen. In Deutschland verstärkte sich diese gefährliche Haltung des Protestantismus durch die lutherische Haltung gegenüber dem Staat und seinen Autoritäten. Selbst der schlechtesten Obrigkeit wurde göttliche Autorität zuerkannt, der man in allem Gehorsam schuldet, außer in den geistlich-kirchlidien Angelegenheiten. Die protestantische Theologie war gezwungen, ihre Sozialethik im Hinblick auf diese Ereignisse neu zu durchdenken. Das tat sie jedoch erst, nachdem die Kirche selbst durdi den heidnischen Nationalismus verfolgt wurde. In dieser Situation lag das Hauptgewicht des jüdischen Einflusses vielleicht weniger in der Aussage jüdischer Theologen als vielmehr in der bloßen Existenz des Judentums. Dadurch wurden der christlichen Welt die Augen für eine Tradition geöffnet, bei der in dem Wechselspiel von ethischen und sakramentalen Elementen das Schwergewicht stets auf der ethischen Seite lag. Das Judentum zeigte den christlichen Kirchen, daß sie ein Prinzip ständiger prophetischer Selbstkritik nötig haben - einer Kritik, die in ihnen selbst wirksam ist und sich auch gegen Volk und Staat richtet. Man könnte nun aber fragen, ob es für die Kirche nicht genüge, daß sie das Alte Testament besitzt. Ist es nicht das Zeugnis prophetischer Selbstkritik, die auf unsere heutige Kirche ebenso anwendbar ist wie einst auf den religiösen Nationalismus und das Heidentum des alten Israel? Die Geschichte aber hat gezeigt, daß dem nicht so ist. Selbstkritik ist gut, aber sie ist, wie wir wissen, so stark mit Selbstrechtfertigung verknüpft, daß sie nur eine sehr geringe umwandelnde Wirkung hat, wenn sie nicht durch Kritik von außen unterstützt wird. Dies ist keine abstrakte Betrachtung, es ist eine eigene Erfahrung, die ich mit dem europäischen, vor allem mit dem deutschen Protestantismus der vergangenen Jahrzehnte gemacht habe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Bewegung des Religiösen Sozialismus, an der ich nach dem ersten Weltkrieg großen Anteil hatte, ohne den ständigen unmittelbaren und mittelbaren Einfluß des prophetischen und kritischen Geistes im damaligen Judentum möglich gewesen wäre. In den Gruppen dieses Religiösen Sozialismus bestand von ihrem Anfang nach dem ersten Weltkrieg an ein lebhafter geistiger Austausch zwischen Christen und 302

Juden. Die neue Deutung der Geschichte, wie sie von diesen Gruppen entwickelt wurde als eine Bereicherung ihrer theologischen Substanz, wäre ohne jüdischen Einfluß nidit möglich gewesen. Und da viele der Ideen des Religiösen Sozialismus in alle protestantischen Kirchen Eingang gefunden haben, und zwar in Europa wie auch in Amerika, kann man hierin den Höhepunkt des jüdisdien Einflusses auf die protestantische Theologie erblicken. Das Erwadien des prophetischen Geistes in den protestantischen Kirchen ist die wichtigste Frucht der Aufnahme jüdischer Elemente in die protestantische Theologie unserer Zeit. Es ist nidit meine Aufgabe und würde hier audi zu weit führen, wenn ich noch die andere Seite des Bildes, den zweifellos vorhandenen christlichen Einfluß auf die jüdische Theologie, aufzeigen würde. Aber es würde mir für heute genügen, wenn mir in diesem kurzen Überblick der Nachweis gelungen sein sollte, daß heute in der Begegnung zwischen jüdischem und christlichem Geist etwas vor sich geht, das nie wieder erlebt wurde, seit sich die Wege unserer beiden Religionen im ersten und zweiten Jahrhundert trennten. Heute besteht eine neue Situation: Jüdisches Denken kann von protestantischer Theologie aufgenommen werden. Als protestantischer Theologe bin ich glücklich und dankbar für die Gaben, die wir stets empfangen haben.

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D I E T H E O L O G I S C H E B E D E U T U N G VON PSYCHOANALYSE UND EXISTENTIALISMUS Es wird in dieser Darstellung von Psychoanalyse und Theologie die Rede sein. Aus der Natur der Sache ergeben sich dabei Schwierigkeiten hinsichtlich der genauen Bedeutung dieser beiden Begriffe. Das Wort Psychoanalyse kann in einem sehr speziellen Sinn gebraucht werden, und es wird oft einseitig von der Freudsdien Schule beansprucht, indem sie erklärt, daß keine andere Richtung berechtigt sei, diesen Ausdruck zu verwenden. So verlief zum Beispiel eine Diskussion mit einem Vertreter dieser Richtung zunächst durchaus freundschaftlich. Als aber Menschen wie Karen Horney, Fromm, Jung und Rank Psychoanalytiker genannt wurden, platzte der Anhänger Freuds heraus: „Es ist unredlich, wenn sich diese Leute Psychoanalytiker nennen. Sie tun das nur, um besser zu verdienen." Dieser Vorfall zeigt deutlich, wie nötig eine Klärung des Begriffes Psydioanalyse ist. Er soll hier nicht in einem engen Sinne gebraudit werden, sondern in der erweiterten und abgewandelten Bedeutung, die dieses Wort im Verlauf der letzten fünfzig Jahre angenommen hat. Gewiß spiegelt diese Verschiebung der Wortbedeutung jene Entwicklungen, die auf der entscheidenden Freudsdien Entdeckung beruhen, nämlich der Rolle des Unbewußten. Aber wir haben zwei andere Begriffe, die etwas über die Sadie selbst aussagen und hier angeführt werden können. Einer dieser beiden Begriffe, dem man häufig begegnet, lautet „Psychotherapie", der andere „Tiefenpsychologie". Was nun den Begriff der Theologie betrifft, so ist darauf hinzuweisen, daß in unseren theologischen Seminaren und Hodischulen dieses Wort häufig nur im Sinne der systematischen Theologie verstanden wird, wobei man dann die historische und praktische Theologie überhaupt nicht zur Theologie rechnet. Im Rahmen dieser Erörterung über das Verhältnis der Theologie zur Tiefenpsychologie soll der Begriff der Theologie so weit gefaßt werden, daß er verflossene religiöse Bewegungen und große religiöse Gestalten der Vergangenheit sowie natürlich auch die Schriften des Neuen Testaments einschließt. Daneben ersdieint es uns angebracht, auch die praktische Theologie dort zu berücksichtigen, wo ihre Beziehung zur Tiefenpsychologie am augenscheinlichsten hervorgetreten ist, nämlich in der Rolle des Beraters, 304

der in seiner Beratung sowohl mit religiösen wie auch psychoanalytischen Mitteln arbeitet. Schließlich ist hier noch der Unterschied zu betrachten, der sich zwischen Existentialismus und Psychoanalyse ergeben hat. Es handelt sich um einen wirklichen Unterschied, weil der Existentialismus heute in einem viel weiteren Sinne verstanden wird, als das einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg der Fall war. Zu jener Zeit identifizierte man den Existentialismus mit der Philosophie Sartres. Aber in seinen Grundzügen erscheint der Existentialismus bereits im 17. und später im 19. Jahrhundert, und er findet sich in fast allen großen schöpferischen Leistungen des 20. Jahrhunderts. Wenn man den Existentialismus in diesem erweiterten Sinne versteht, zeigt sich sehr klar ein Zusammenhang zwischen Existentialismus und Psychoanalyse. Was nun das Verhältnis zwischen Theologie und Psydioanalyse betrifft, so darf gesagt werden, daß die letztere ihrem ganzen Wesen nach zur gesamten existentialistisdien Bewegung des 20. Jahrhunderts gehört und daß somit zwischen der Psychoanalyse und der Theologie das gleiche Verhältnis besteht wie zwischen dem Existentialismus ganz allgemein und der Theologie. Diese Tatsache wirft einiges Licht auf die innere Verbindung zwischen Philosophie und Tiefenpsychologie, aber auch auf die gegenseitige Abhängigkeit von Tiefenpsychologie und Existentialismus im 19. und 20. Jahrhundert. In der Tat waren diese beiden Bewegungen von Anfang an miteinander verbunden. Sie haben sich aufs tiefste gegenseitig befruchtet. Jeder, der sich mit den Werken existentialistisdier Schriftsteller von Dostojewski bis zur Gegenwart befaßt hat, weiß, daß in ihren Romanen, Dramen und Gedichten eine Fülle tiefenpsychologischen Materials enthalten ist. Und das gleidie gilt für die bildende Kunst; denn was wir moderne Kunst nennen, ist schließlich nur die existentialistische Form der bildenden Kunst. Das alles wird jedoch nur dann verständlich, wenn man die gemeinsame Wurzel und das gemeinsame Ziel von Existentialismus und Psychoanalyse erkennt. Damit wird aber auch die Frage nach der Beziehung zwischen Psydioanalyse und Theologie in einen umfassenderen und bedeutsameren Zusammenhang gestellt. Erst dadurch sind wir in der Lage, den Theologen und Psychologen entgegenzutreten, die diese beiden Gebiete unbedingt voneinander trennen und jedem von ihnen einen eigenen Bereidi zuweisen möchten. Man braucht also keineswegs auf jene Leute zu hören, die da fordern, daß man sich entweder für das eine oder das andere entscheiden müsse: entweder für ein System 305

theologischer Lehrsätze oder für eine Fülle psychologischer Erkenntnisse. Theologie und Psychoanalyse bestehen nidit beziehungslos nebeneinander; sie sind vielmehr aufs engste miteinander verflochten. Sowohl Existentialismus wie Psychoanalyse wurzeln in dem Protest gegen den wachsenden Einfluß der Bewußtseinsphilosophie in der modernen Industriegesellschaft. Der Konflikt zwischen dieser Philosophie und der Opposition dagegen ist natürlich viel älter. Er zeigte sidi bereits im 13. Jahrhundert in jenem berühmten Streit um den Vorrang des Verstandes oder des irrationalen Willens, wie er zwischen Duns Scotus und Thomas von Aquino ausgetragen wurde. Beide waren sie Theologen, und ich erwähne sie hauptsächlich deshalb, um zu zeigen, wie -unhaltbar theologische Positionen sind, die philosophische und psychologische Probleme in der Theologie nicht gelten lassen wollen. Der Streit zwischen diesen beiden Grundauffassungen, nicht nur vom Wesen des Menschen, sondern auch vom Wesen Gottes und der Welt, ist bis auf den heutigen Tag noch nicht zur Ruhe gekommen. Auch in der Renaissance finden wir Bewußtseinsphilosophen, so z. B. die Humanisten vom Typ des Erasmus von Rotterdam oder Naturforscher wie Galilei. Aber gegen sie stellten sich andere Denker. Mit seiner Philosophie der Medizin bekämpfte Paracelsus eine zergliedernd-mechanistische Auffassung der Heilkunst und die schroffe Trennung von Körper und Geist. Auch Jakob Böhme muß hier erwähnt werden. Vor allem mit seiner in mythologischen Wendungen gehaltenen Beschreibung der unbewußten Elemente im Urgrund des göttlichen Lebens und damit allen Lebens überhaupt beeinflußte er die nachfolgende Zeit aufs nachhaltigste. Der gleiche Konflikt begegnet uns in der Reformation. Hier betonen, in Abhängigkeit von Erasmus, Reformatoren wie Melanchthon, Zwingli und Calvin den Vorrang des Bewußtseins, während Luther den Nachdruck auf den irrationalen Willen legt, und von ihm wurde wiederum Jakob Böhme stark beeinflußt. Die Geschichte der industriellen Gesellschaft, deren Ende wir jetzt erleben, erweist sich als ein Sieg der Bewußtseinsphilosophie über die Philosophie des unbewußten und irrationalen Willens. Das Symbol für den entscheidenden Sieg der Bewußtseinsphilosophie ist Descartes. Und dieser Sieg wurde noch vollständiger, selbst im Religiösen, als sich die protestantische Theologie dem Cartesianismus verschrieb, der den Menschen einerseits als reines Bewußtsein begreift, andererseits seinen Körper ausschließlich durch mechanische Prozesse bestimmt sieht. Im Luthertum verdrängte vor allem die Erkenntnisfunktion des menschlichen Bewußtseins das Verständnis für die Bedeutung des 306

irrationalen Willens, wie wir es beim jungen Luther antreffen. Für Calvin stand das moralische Bewußtsein, d.h. die moralische Selbstbeherrschung als Mittelpunkt des Bewußtseins, an erster Stelle. Im vorwiegend vom Calvinismus und von verwandten Denkrichtungen geprägten Amerika entwickelten sich moralistische und rigoristische Ausprägungen des Protestantismus als Ergebnis des vollständigen Sieges der Bewußtseinsphilosophie im modernen Protestantismus. Dennoch ist der Protest gegen diese Einstellung niemals verstummt. Im 17. Jahrhundert stand Pascal in bewußter Opposition zu Descartes. Ihm verdanken wir die erste existentialistische Analyse der menschlichen Situation. Er kennzeichnete sie, ähnlich wie die späteren existentialistischen und auch manche nicht-existentialistischen Philosophen, mit den Begriffen der Angst, der Endlichkeit, des Zweifels, der Schuld und der Sinnlosigkeit in Übereinstimmung mit einer Weltanschauung, nach der sidi Atome und Himmelskörper im Sinne der Newtonsdien mechanischen Gesetze bewegen. Und wie uns das zahlreiche Aussagen bestätigen, fühlte sich der Mensch, für den die Erde bis dahin der Mittelpunkt der Welt gewesen war, audi seiner eigenen Mitte beraubt und völlig verloren in dieser mechanistisdien Welt, angsterfüllt und von Sinnlosigkeit bedroht. - Viele existentialistische Ideen wurden auch im 18. Jahrhundert vorweggenommen, so z.B. von Hamann, einem prophetischen Geist, der außerhalb Deutschlands wenig bekannt ist. Aber der entscheidende Widerspruch erfolgte in dem Augenblick, als die Bewußtseinsphilosophie in Hegel ihren Höhepunkt erreidite. Es war Schelling, der sich gegen diese siegreiche Bewußtseinsphilosophie wandte und der Kierkegaard nebst vielen anderen die Grundbegriffe des Existentialismus vermittelte. Es sind ferner in diesem Zusammenhang Schopenhauers irrationaler Wille, Nicolai Hartmanns Philosophie des Unbewußten sowie sdiließlich auch Nietzsches Analysen zu nennen, die fast alle Ergebnisse der späteren tiefenpsychologischen Untersuchungen vorwegnahmen. Den gleichen Protest finden wir auch bei Kierkegaard und Marx, wenn sie die Existenz des Menschen durch Ausdrücke wie Endlichkeit, Entfremdung und Ich-Verlust kennzeichnen. Dostojewski wiederum enthüllt uns die dämonischen Tiefen des Unterbewußten, wie das in der französischen Lyrik Rimbaud und Baudelaire tun. Hier wird überall der Grund bereitet für das, was im 20. Jahrhundert kommen sollte. Was bei den genannten Männern ontologische Intuition oder theologische Analyse war, wurde durch Freud mit wissenschaftlicher Methodik erfaßt. In seiner Entdeckung des Unbewußten fand er etwas, das seit langem bekannt war, und Einsichten erschlossen sich ihm, 307

die bereits seit Jahrzehnten, ja Jahrhunderten im Kampf gegen die immer stärker vordringende Bewußtseinsphilosophie dargelegt worden waren. Freuds eigentliche Leistung bestand darin, daß er diesem Kampf nun eine wissenschaftliche Grundlage gab. Sein ganzes System wiederholt den alten Protest gegen die Bewußtseinsphilosophie. Besonders bei Männern wie Heidegger und Sartre sowie in der gesamten Literatur und Kunst des 20. Jahrhunderts sehen wir die existentialistische Denkweise in voller Klarheit entfaltet. Sie wurde nun bestimmt und zielbewußt vertreten und beschränkte sich nicht länger auf die Rolle des ohnmächtigen Protestes. Diese gedrängte Übersicht zeigt die unlösbare Verflechtung von Tiefenpsychologie und Philosophie und die enge Verbindung beider mit der Theologie. Ferner wird es dadurch klar, daß sich diese Gebiete nicht trennen lassen, wenn wir uns darum bemühen, in einem Vergleich von Tiefenpsychologie und Existenzphilosophie die verwandten und unterschiedlichen Züge in beiden Richtungen herauszuarbeiten. Der entscheidende Punkt ist, daß sowohl für den Existentialismus als audi für die Tiefenpsychologie das gemeinsame Anliegen die Darstellung der existentiellen Situation des Menschen ist. Diese Existenz wird als Dasein in Raum und Zeit, in Endlidikeit und Entfremdung erfaßt, im Gegensatz zur essentiellen Natur des Mensdien. Wenn die Situation des Mensdien zur Darstellung kommen soll, muß man allerdings eine Vorstellung von seiner essentiellen Natur haben. Aber diese steht nicht im Mittelpunkt des Interesses von Existentialismus und Tiefenpsychologie. Der gesamten existentialistischen Literatur geht es vielmehr in erster Linie um den Mensdien unter den Bedingungen der existentiellen Entfremdung, deren hervorstechende Merkmale herausgearbeitet werden. Der Begriff „Psychotherapie" zeigt deutlidi, daß es sich hier um etwas handelt, das von der Norm abweidit und der Heilung bedarf. Dieser Begriff verweist auf die Beziehung zwischen der Krankheit - handele es sich nun um psychosomatische und organische Störungen oder um Geisteskrankheiten - und der bedrängten existentiellen Lage des Menschen. Es ist somit einleuchtend, daß sich alle existentiellen Aussagen mit der Grenze zwischen „gesund" und „krank" befassen und im Grunde die eine Frage stellen: Wie kommt es, daß die Situation eines Lebewesens so beschaffen ist,daßsiezupsychosomatisdienKrankheitenführenkann? Bei der Beantwortung dieser Frage weist der Existentialismus auf die Erfahrung der Sinnlosigkeit, der Einsamkeit und auf das unter den Mensdien weit verbreitete Gefühl der Leere hin. Nach existentialistischer Ansicht ergibt sich diese Befindlichkeit aus der Endlichkeit, aus 308

dem Gewahrwerden dieser Endlichkeit, die Angst bedeutet, ferner aus der Entfremdung des Menschen von sich selbst und seiner Welt. Der Existentialismus deckt die Möglichkeiten und Gefahren der Freiheit auf, die Drohung des Nichtseins in all seinen Formen, von der Schuld bis zum Tod. Alle diese Nöte sind kennzeichnend für die menschliche Situation, und in dieser Hinsicht stimmen Tiefenpsychologie und Existentialismus überein. Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden. Der Existentialismus als Philosophie spricht von der Situation der Menschheit, die für jeden gilt, sei er nun krank oder gesund. Die Tiefenpsychologie dagegen zeigt die verschiedenen Verfahren auf, wie Mensdien ihrer Situation zu entrinnen suchen, indem sie sich in Neurose oder Psychose flüchten. Es ist sdvwierig, in der existentialistisdien Literatur - und das gilt nicht nur für die Dichtung, sondern auch für die Philosophie - klar zu unterscheiden zwisdien der allgemeinen menschlichen Situation der Endlichkeit und Entfremdung einerseits und jenen psychosomatischen Störungen, die auf den Versuch zurückgeführt werden, dieser Situation durch die Flucht in eine innere Festung zu entkommen. Wie verhält sich nun theologisches Denken zur Tiefenpsychologie und zum Existentialismus, die natürlich als eine Einheit zu betrachten sind? Die Beziehung zwischen der essentiellen Natur des Menschen und seiner existentiellen Lage ist das erste und entscheidende Problem, das die Theologie zu behandeln hat, wenn sie auf existentialistische Analysen oder psychoanalytisches Material stößt. Hier ist nun folgendes zu bedenken: Die christliche Religion wird durch drei grundlegende Thesen bestimmt. Die erste davon lautet: Esse qua esse bonum est. Dieser Satz enthält ein Grunddogma des Christentums. Er besagt, daß das Sein als Sein gut ist. Die mythologische Sprache der Bibel drückt das so aus: Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut. Die zweite grundlegende Aussage betrifft die Lehre vom Sündenfall, das heißt, dem Fall vom essentiellen Gutsein in die existentielle Selbstentfremdung, der sich immer wieder in jedem lebenden Wesen und zu jeder Zeit ereignet. Die dritte These bezieht sich auf die Möglichkeit der Erlösung (engl, salvation). Es ist mit gutem Grund daran zu erinnern, daß das Wort salvation von lat. salvus oder salus herkommt, was soviel heißt wie »geheilt" oder „ganz" im Gegensatz zum Zustand der Spaltung oder Trennung. Die folgenden drei Annahmen über die menschliche Natur sind demnach in jedem echten theologischen Denken vereint: das essentielle Gutsein, die existentielle Entfremdung und die Möglichkeit eines Drit309

ten jenseits von Essenz und Existenz, das die Spaltung überwindet und heilt. Philosophisch gesprochen bedeutet das nichts anderes, als daß sowohl die essentielle als auch die existentielle Natur des Menschen unter dem Gesetz des telos stehen, also ein Ziel haben, dem die menschliche Entwicklung zustrebt. Wer zwischen diesen drei Elementen in der menschlichen Natur nidit zu unterscheiden vermag, unterliegt zahllosen Mißverständnissen. Jede Kritik am Existentialismus und an der Psychoanalyse aus theologisdier Sicht richtet sich gegen die mangelnde Klarheit über diese drei wesentlichen Elemente, die stets sorgfältig auseinandergehalten werden müssen, obgleich sie immer in jedem Menschen vereint auftreten. Freud fehlte es in dieser Hinsicht an Klarheit, weil er nicht zwischen der essentiellen und existentiellen Natur des Menschen unterscheiden konnte. Daraus ergibt sich die grundsätzliche theologische Kritik, die sich nicht gegen eine einzelne Position seines Denkens richtet, sondern gegen seine Lehre vom Menschen und gegen die intuitiv gewonnene Grundauffassung seines Wesens, die diese Lehre beherrscht. In Freuds Libido-Theorie tritt die Schwäche dieses Denkens sehr deutlich zutage. Nach Freud wird der Mensch von einer unstillbaren libido beherrscht, die gerade deshalb in ihm das Verlangen hervorruft, von sich selbst befreit zu werden, ein Verlangen, das er als Todestrieb bezeichnet hat. Und dieser Trieb findet sich nicht nur im Individuum, sondern er beeinflußt auch das Verhältnis des Menschen zur gesamten Kultur. Freuds Unbehagen an der Kultur zeigt, daß er sehr folgerichtig in seiner negativen Beurteilung des Menschen in seiner existentiellen Entfremdung ist. Wenn man allerdings den Menschen nur unter dem Gesichtspunkt seiner Existenz sieht und seine essentielle Natur nicht berücksichtigt, wenn man ausschließlich seine Entfremdung betrachtet und sein essentielles Gutsein aus dem Auge verliert, kann man in der Tat zu keiner anderen Beurteilung kommen. Das soll durch einen sehr alten und klassisch gewordenen theologischen Begriff verdeutlicht werden, nämlich den der „Konkupiszenz". Dieser Begriff wird in der christlichen Theologie durchaus im gleichen Sinne gebraucht wie die libido bei Freud. Doch für die Theologen bezieht er sich nur auf den Menschen im Zustand seiner existentiellen Entfremdung, und als solcher bezeichnet er das unstillbare und unaufhörliche Verlangen nach einer Befriedigung, das keine Grenzen kennt. Nach theologischer Auffassung ist der Mensch aufgrund seines essentiellen Gutseins nicht an den Zustand solcher sinnlichen Begierde oder unbegrenzten libido gefesselt. Vielmehr ist er einem bestimmten Seienden zugewandt, einem Menschen oder einer Sache, denen er in 310

Liebe, eros oder agape verbunden ist, und er sucht Befriedigung. Wenn das aber der Fall ist, dann stehen wir vor einer gänzlich anderen Situation. Dann kann man durchaus libido haben; aber die erfüllte libido ist wirkliche Erfüllung, und der Mensch ist nicht einem unstillbaren Verlangen ausgeliefert. Das heißt also, daß in theologischer Sidit Freuds Auffassung von der libido nur auf den Menschen in seiner existentiellen Selbstentfremdung zutrifft. Freud kannte allerdings keinen anderen Menschen, und das ist der entscheidende kritische Einwand, den die Theologie gegen diese Seite seines Denkens vorzubringen hat. Doch wie die meisten großen Männer war Freud glücklicherweise nicht konsequent. Wenn es um das Heilen ging, wußte er etwas vom geheilten Menschen, dem Menschen, der im „dritten Zustand" unter dem telos steht. Und insofern er an die Möglichkeit des Heilens glaubte, befand er sich in schroffem Widerspruch zu seiner Grundauffassung, die nur einen existentiell entfremdeten Menschen kennt. Freuds Pessimismus hinsichtlich der eigentlichen Natur des Menschen und sein Optimismus, wenn es sich um die Möglichkeit des Heilens handelt, stehen sich bei ihm wie bei seinen Anhängern unversöhnt gegenüber. Aber einige seiner Anhänger haben eine andere Position bezogen. Sie haben Freuds tiefe Einsicht in das Wesen der libido und des Todestriebes verworfen und damit gerade das aus seinem System herausgenommen, was ihn zum tiefgründigsten aller Tiefenpsychologen macht. Das gilt sogar für Jung, der der Religion gegenüber viel aufgeschlossener ist als Freud. Aber dieser wußte, theologisch gesprochen, mehr von der menschlichen Natur als alle seine Anhänger, die sich nach der Preisgabe des existentiellen Elements in Freuds Lehre mehr einer essentialistischen und optimistischen Auffassung vom Menschen zuwandten. Dieselbe Kritik können wir gegen Sartres reinen Existentialismus und seine subtilen psychologischen Analysen vorbringen. Die Bedeutung dieses Mannes liegt darin, daß er der psychologische Interpret Heideggers wurde. Obwohl Sartre in vieler Hinsicht vielleicht mißverstanden wird, verdanken wir ihm tiefe psychologische Einsichten. Dennoch gilt von ihm das gleiche, was über Freud zu sagen war. Sartre vertritt die These, daß die „Essenz des Menschen seine Existenz ist". Damit macht er jede Rettung oder Heilung des Menschen unmöglich. Sartre ist sich dessen bewußt, jedes seiner Stücke zeigt das. Aber auch bei ihm finden wir eine erfreuliche Inkonsequenz. Er bezeichnet seinen Existentialismus als Humanismus. Das bedeutet, daß er eine Vorstellung vom eigentlichen Wesen des Menschen hat; er muß die Möglich311

keit in Betracht ziehen, daß das essentielle Sein des Menschen, seine Freiheit, verlorengehen kann. Und wenn das möglich ist, dann unterscheidet er, gegen seine ursprüngliche Absicht, zwischen dem Menschen, wie er essentiell ist, und dem Menschen, der sich selbst verlieren kann. Aber der Mensch soll frei sein und sich selbst erschaffen. Dasselbe Problem begegnet uns bei Heidegger. Auch er argumentiert so, als ob es keinerlei Normen und keine essentielle Natur des Menschen gebe, gleichsam als ob sich der Mensch gänzlich aus sich selbst erschafft. Andererseits spricht er vom Unterschied zwischen „eigentlicher" und „uneigentlicher" Existenz, vom Verfallensein an durchschnittliches, konventionelles Denken, an Sinnlosigkeit und ein Dasein, in dem der Mensch sich selbst verloren hat. Das ist insofern bemerkenswert, als es zeigt, daß selbst der radikalste Existentialist nicht ohne essentialistische Begriffe auskommt, wenn er überhaupt etwas sagen will. Andere Psychoanalytiker haben die menschliche Situation als verbesserungsfähig bezeichnet, weil sie in ihr nur eine aufhebbare Schwäche sehen. Aber wir sind doch zu fragen berechtigt, ob der Mensch essentiell gesund ist. Wenn das zuträfe, brauchte nur seine existentielle Angst von ihm genommen zu werden. Es würde zum Beispiel genügen, ihn von den verderblichen Einflüssen der Gesellschaft, des Existenzkampfes und ähnlichen Mißlichkeiten zu befreien, um alles ins rechte Lot zu bringen. Männer wie Erich Fromm vertreten die Ansicht, daß der Mensch kraft eigener Vernunft die Fähigkeit habe, sich zu einer autonomen, keiner Autorität unterworfenen Persönlichkeit zu entwickeln. Und selbst Jung, der so viel mehr über die Tiefen der menschlichen Seele und die religiösen Symbole weiß, glaubt an das Vorhandensein essentieller Strukturen im Menschen und an die Möglichkeit, sich als Person zu verwirklichen. Alle diese Vertreter der heutigen Tiefenpsychologie lassen die Tiefe Freuds vermissen. Es fehlt ihnen der Sinn für das Irrationale, den man bei ihm und in der existentialistischen Dichtung findet, so, wie bereits erwähnt, bei Dostojewski, aber auch bei Kafka und vielen anderen. Es soll nun die Rede von dem dritten Element, dem teleologischen sein, wobei es um die Möglichkeit der Erfüllung, die Frage der Heilung geht. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen dem Heilen einer akuten Krankheit und dem Heilen der existentiellen Voraussetzungen, denen jeder Mensch unterworfen ist, sei er nun krank oder gesund. Es gibt akute Krankheiten, die zu psychosomatischen Störungen und sogar zum völligen Zerfall führen. Es gibt gewaltsame Unterdrückungen der menschlichen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, die Neurosen 312

und schließlich Psychosen im Gefolge haben. Aber daneben gibt es doch die ursprünglichen existentiellen Gegebenheiten. Weder die Methoden Freuds noch irgendwelche andere im existentialistischen Denken verwurzelte Lehren können diese Gegebenheiten aufheben. Viele Psychoanalytiker versuchen das. Mit ihren Mitteln wollen sie die existentielle Herrschaft des Negativen, die Herrschaft von Angst, Entfremdung, Sinnlosigkeit und Schuld, überwinden. Sie wollen es nicht wahrhaben, daß diese universal und somit existentiell unaufhebbar sind. Sie nennen Angst, Schuld und Sinnlosigkeit Krankheiten, die sich wie alle Krankheiten heilen lassen. Und sie versuchen das. Doch damit versuchen sie das Unmögliche. Die existentiellen Strukturen des menschlichen Daseins können auch mit noch so vollkommenen Tediniken nicht geheilt werden. Hier kann nur Erlösung helfen. Natürlich kann auch der Psychotherapeut, geradeso wie jeder Freund, wie Vater und Mutter oder ein Kind, zum Werkzeug der Erlösung werden. Aber das geschieht dann nicht in seiner Eigenschaft als Psychotherapeut mit Hilfe seiner Heilkunst, denn diese Erlösung erfordert die Heilung des Zentrums der Person. Soviel als Kritik. Wie kann sich nun die Theologie die Tiefenpsychologie nutzbar machen? Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Existentialismus und Tiefenpsychologie von unendlichem Wert für die Theologie sind. Beide Bewegungen haben zunächst der Theologie etwas in Erinnerung gerufen, das ihr immer hätte bewußt bleiben müssen, das sie aber aus dem Gedächtnis verloren oder verdrängt hat. Mit ihrer Hilfe wurde die unendliche Fülle tiefenpsychologischer Einsichten wieder entdeckt, die in der religiösen Literatur der letzten zweitausend Jahre vorliegen oder bereits davor anzutreffen sind. Fast jede Erkenntnis über das Leben der Seele findet sich in dieser Literatur. Das klassische Beispiel hierfür ist wohl Dantes „Göttliche Komödie", vor allem in ihrer Beschreibung von Hölle und Fegefeuer und der Darstellung der Selbstzerstörung des Menschen in seiner Entfremdung von seinem essentiellen Sein. Zweitens haben Existentialismus und Tiefenpsychologie die Theologie die eigentliche Bedeutung des Wortes „Sünde" wiederentdecken lassen. Hier wurde zunächst Sünde mit Sünden gleichgesetzt, die dann als Verstöße gegen die Moral oder als ungehörige Handlungen verstanden wurden. Aber Sünde ist etwas ganz anderes. Sie ist die universale und tragische Entfremdung, die mit der Freiheit und dem Schicksal aller Menschen unlösbar verknüpft ist, und deshalb sollte das Wort niemals in der Mehrzahl gebraucht werden. Sünde ist Trennung und Entfremdung des Menschen von seinem essentiellen Sein. Und wenn uns Tiefenpsychologie und Existentialismus das Wort wieder in diesem Sinne 313

verstehen lehren, haben sie in der Tat der Theologie einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Ferner, und das ist der dritte Punkt, hat die Tiefenpsychologie der Theologie geholfen, sich wieder der dämonischen Strukturen zu erinnern, die unser Bewußtsein und unser Handeln bestimmen. Auch das ist von großer Bedeutung. Die Tiefenpsychologie hat uns gezeigt, daß unser Glaube an die Freiheit unserer bewußten Entscheidungen trügen kann, da sich erweisen läßt, daß etwas in uns diese Entscheidungen lenkte, bevor sie zu Entschlüssen unseres bewußten Willens wurden. Die Einsicht, daß es eine Illusion ist, die Freiheit absolut zu setzen, hängt damit zusammen. Das ist kein Determinismus. Existentialismus und Determinismus sind keineswegs dasselbe. Aber der Existentialismus und besonders die Psychoanalyse wie auch die gesamte Philosophie des Unbewußten haben zur Wiederentdeckung der Totalität der Person geführt, in der nicht nur die bewußten Elemente maßgebend sind. Der vierte Punkt, der mit dem eben genannten in Verbindung steht, besagt, daß der Moralismus in der christlichen Theologie weitgehend überwunden werden kann. Die einseitige Zuwendung zum Moralismus war eine der folgenreichsten Formen der Selbstentfremdung der Theologie von ihrer eigentlichen Ganzheit. Es darf in der Tat nicht übersehen werden, daß die heutige Theologie von der analytischen Psychotherapie erst wieder lernen mußte, was Gnade und was Vergebung als die Annahme derer, die im Grunde unannehmbar sind, eigentlich bedeuten. Denn es geht ja hier nicht so sehr um die Gerechten, sondern vor allem um die Ungerechten, die angenommen werden oder, wie es in der religiösen Sprache heißt, denen Vergebung zuteil wird. Das Wort Gnade, das völlig sinnlos geworden war, hat einen neuen Sinn erhalten durch die Art, wie der Psychotherapeut mit seinem Patienten umgeht. Er sagt nicht: „Sie können angenommen werden", sondern er nimmt ihn einfach an. Und das ist die Art, wie - in der Sprache des religiösen Symbols - Gott mit uns verfährt. In derselben Weise sollte sich auch jeder Geistliche und jeder Christ seines Nächsten annehmen. Vor der Wiederentdeckung der Beichte und der persönlichen Beratung, deren Sinn der Protestantismus lange Zeit hindurch völlig verkannte, wurde von jedermann verlangt, bestimmte Dinge zu tun. Und wenn er das nicht tat, wurde er getadelt. Jetzt kann der Mensch zu einem anderen Menschen gehen, sich mit ihm aussprechen und auf diese Weise objektivieren, was ihn bedrängt. Das ist ein Akt innerer Befreiung. Ist der Berater ein Mensch, der mit der menschlichen Situation 314

vertraut ist, kann er zu einem Mittler der Gnade für den werden, der sich an ihn wendet; er kann das Bewußtsein stärken, daß die Kluft zwischen Essenz und Existenz überbrückbar ist. Zum Schluß soll der Einfluß der Psychoanalyse auf die systematische Theologie zur Sprache kommen. Die Art, wie der Psychotherapeut die menschliche Situation deutet, führt zur Frage nach den existentiellen Bedingungen der menschlichen Entfremdung. Die systematische Theologie hat zu zeigen, daß die religiösen Symbole auf diese Frage antworten. Wer das Verhältnis von Theologie und Psychoanalyse so sieht, begreift, wie grundlegend und entscheidend all diese Zusammenhänge für die Theologie sind. Existentialismus und Psychoanalyse sind weder theistisch noch atheistisch. Sie analysieren lediglich die menschliche Situation. Wenn aber Psychotherapeuten oder Existenzphilosophen Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen und dem Sinn seines Lebens geben wollen, tun sie das nicht als Existentialisten. Sie greifen dann auf andere Quellen zurück, auf katholische, protestantische, humanistische oder sozialistische Lehren. Solche Lehren können die mannigfaltigsten Wurzeln haben, aber niemals entstehen sie aus der existentiellen Frage. In einem langen Gespräch mit T. S. Eliot, den man wohl mit Recht einen Existentialisten nennen darf, wurde dieses Problem erörtert. Ich sagte ihm: „Ich glaube, daß Sie das Grundproblem, das Sie in Ihren Stücken und Gedichten aufwerfen, im Rahmen Ihres dichterischen Werkes nicht lösen können. Ihre Dichtung zeigt nur das Problem auf; sie beschränkt sich darauf, die menschliche Situation zu beschreiben. Aber wenn es eine Antwort auf Ihre Frage geben soll, muß sie aus einem anderen Bereiche kommen." Er antwortete darauf: »Wie Sie wissen, bin ich ein überzeugter Anhänger der anglikanischen Kirche." Und so ist es in der Tat, und darum beantwortet er die von ihm aufgeworfenen Fragen aus dem Glauben des Anglikaners und nicht als ein Existentialist. Das zeigt also, daß der Existentialist das Problem aufzeigt und die menschliche Situation beschreibt, daß aber dann der Theologe kommen muß mit seiner Antwort. Diese Antwort ergibt sich nicht aus der Natur der Frage, auch nicht aus der menschlichen Situation selbst. Sie muß aus einer anderen Dimension kommen. Die Theologie ist somit durch Existentialismus und Psychoanalyse in einer Weise bereichert worden, wie wir uns das vor wenigen Jahrzehnten nicht hätten träumen lassen. Wir verfügen nun über ihre unschätzbaren Gaben. Die Existentialisten und Psychotherapeuten brauchen nicht zu wissen, daß sie die Theologie in so bedeutsamer Weise bereichert haben. Aber die Theologen sollten sich darüber im klaren sein. 315

SEELSORGE UND

PSYCHOTHERAPIE

I. D A S W E S E N DER SEELSORGE

Wenn idi das Wort „Seelsorge" höre, stelle ich mir zuweilen vor, daß ich mich selbst in einer Lage befinde, in der mir Seelsorge zuteil wird, und diese Vorstellung erzeugt in mir irgendwie ein Gefühl der Demütigung. Ein anderer Mensdi macht mich zum Objekt seiner seelsorgerischen Bemühung; aber kein Mensch möchte Objekt sein und setzt daher den Bemühungen der Seelsorge inneren Widerstand entgegen. Ist nun ein soldies Empfinden und ein soldier Widerstand eine notwendige Begleiterscheinung der Seelsorge? Vielleicht läßt sie sidi nie ganz ausschalten, aber ihre Wirkung kann doch weitgehend abgeschwächt werden. Für diese Möglichkeit gibt es zwei Gründe. Der erste ist die Tatsadie, daß Fürsorge einschließlich der Seelsorge etwas allgemein Menschliches ist. Sie vollzieht sich in jedem Augenblick menschlicher Existenz. Der zweite und wichtigere Grund ist der, daß Fürsorge ihrem Wesen nach etwas Gegenseitiges ist: Wer Hilfe gibt, erfährt auch Hilfe. Und wenn wir uns eines Menschen helfend annehmen, geschieht es fast immer, daß dieser Mensch nicht nur Objekt bleibt, sondern zum Subjekt wird. Wir wollen auf diese beiden Tatsachen, die die mit der Seelsorge verbundenen Gefahren einschränken, näher eingehen. Die Besorgnis um den Mitmenschen ist etwas allgemein Menschliches. Niemand ist in der Lage, in jeder Beziehung für sich selbst zu sorgen. Niemand kann audi nur mit sich selbst sprechen, ohne daß andere zuvor zu ihm gesprochen haben. Man kann nidit Person werden, ohne einer anderen Person zu begegnen und die Grenze des eigenen Anspruchs im Anspruch des anderen zu erfahren. Wir können uns nicht voll entfalten, es sei denn, daß wir die Seinsmächtigkeit, die uns fehlt, in der Seinsmächtigkeit anderer finden, denen wir begegnen, und daß wir jene anderen an unserer Seinsmächtigkeit teilhaben lassen. Diese Begegnung kann sich in Worten und auch im Schweigen vollziehen. Schweigen ist häufig entscheidender für das menschliche Miteinander als Mitteilung durch Worte. 316

Hieraus folgt, daß auch wir Hilfe empfangen, wenn wir anderen helfen. Fürsorge ist ein unteilbares Geschehen, sie läßt sich nicht in zwei verschiedene Akte zerlegen, und nur weil das der Fall ist, wird wirkliche Fürsorge möglich. Sonst würden wir nur in eine neue Abart der Versadilichung verfallen - der Fluch, der auf unserer industriellen Gesellschaft liegt. Es gehört zu meinen ersten Erlebnissen in diesem Lande, in aller Schärfe erfahren zu müssen, daß die Emigranten, die sich ja als Person fühlten, nunmehr zu »Fällen" wurden, und zwar zu nichts anderem. Als solche mußten sie von dem betreffenden Fürsorgebeamten in zwanzig Minuten erledigt werden. Dieses Verfahren zerstörte nicht selten in den Emigranten das Bewußtsein, Person zu sein. Dieses Beispiel zeigt, daß die Gefahr, bloßes Objekt zu werden, mit allen Formen der Fürsorge verbunden ist, - handelt es sich nun um soziale, pädagogische, politische, ärztliche oder psychotherapeutische Betreuung. In all diesen Fällen ist die Problematik der SubjektObjekt-Beziehung von entscheidender Bedeutung. Fürsorge auf allen Gebieten des Lebens gehört zum Wesen des Menschen. Jeder übt sie in irgendeiner Weise aus. Jeder ist in gewissem Sinne ein Sozialhelfer, ein Lehrer, ein Heilender, ein Seelsorger. Der Unterschied zwischen jenen, die das beruflich tun, und den übrigen Menschen liegt nicht etwa darin, daß die einen Fürsorge ausüben und die andern nidit. Der Unterschied besteht vielmehr darin, daß Fachkräfte das Amt des Helfens im vollen Bewußtsein ihres Auftrags ausüben, während die anderen das mittelbar, mehr zufällig und meistens unbewußt tun. Das bedeutet, daß diese Fachkräfte keinen Alleinanspruch auf Fürsorge für den Menschen haben. Alles bisher Gesagte trifft auch auf die Seelsorge zu. Sie ist hilfreiche Begegnung in der Dimension des Unbedingten. Dabei wendet sie die überlieferte religiöse Terminologie an. Religion ist jedoch keine Funktion neben anderen Funktionen, sondern eine Dimension, die alles menschliche Tun durchdringt. In allen Funktionen des menschlichen Geistes bringt die Religion die Dimension des Unbedingten zur Geltung; sie strahlt aus bis auf den Grund und Sinn unserer Existenz selbst. Ein Geistlicher, der sich der Seelsorge widmet, ist Helfer in einer Lage, in der die Beziehung zum Unbedingten problematisch geworden ist, und mit diesem Problem hat es jedes menschliche Wesen zu tun. Wo das verstanden wird, hat die Seelsorge einen umfassenden Sinn und hohen Rang gewonnen. Aber wie in allen allgemein menschlichen Verpflichtungen ist auch seelsorgerisdie Tätigkeit nicht auf den Fadimann, in unserem Fall den Geistlichen, beschränkt. Jeder Christ ist nach protestantischer Auffassung ein Priester für jeden anderen Chri317

sten, und daher hat jeder, nicht nur der Pfarrer, die Möglichkeit der Seelsorge. Das gibt uns ein Kriterium zur Beurteilung der Beziehung von berufsmäßiger Seelsorge zu allen anderen Arten mitmenschlicher Fürsorge. Die Fadileute in den anderen Bereichen der Fürsorge sind zwar nicht bewandert auf dem Gebiet der Seelsorge, aber sie sind menschliche Wesen, und als solche haben sie teil an der Seelsorge als einer allgemein menschlichen Aufgabe. Das ist heute von entscheidender Bedeutung für die Beziehung zwischen Geistlichem und Psychotherapeuten. In seiner Eigenschaft als Mensch kann es dem Geistlichen gelingen oder mißlingen, heilende Kräfte auf Menschen seiner Gemeinde auszustrahlen, und so ist es dem Psychotherapeuten gegeben oder auch nicht gegeben, Seelsorge an seinem Patienten zu üben. Aber der Pfarrer sollte nicht das Heilen als seine eigentliche Aufgabe ansehen, wie auch der Psychotherapeut seine ihm gemäße Aufgabe nicht als Seelsorge verstehen sollte. Was in einer einzelnen Person vereinigt sein kann, muß in bezug auf die Fachgebiete auseinandergehalten werden. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Zusammenarbeit zwischen Religion und Psychotherapie möglich.

II. D A S Z I E L DER S E E L S O R G E

Das Ziel jeder Fürsorge ist die Erfüllung menschlicher Möglichkeiten. Helfen bedeutet Kraft geben zur Überwindung von Hemmungen und Schwächen, die die Erfüllung menschlichen Seins zu verhindern drohen. Wo Hilfe erfolgreich ist, überwindet sie negative Elemente, die in allen Bereichen menschlicher Existenz zu finden sind und die überwunden werden müssen, selbst wenn nur eine teilweise Erfüllung erreicht werden kann. Seelsorge richtet sich auf die Erfüllung in der Dimension des Unbedingten oder des Ewigen. Das erste und in gewissem Sinne auch das letzte Ziel, auf das hin wir in der Seelsorge zu wirken haben, ist „Annahme". Der Mensch muß sich selbst mit all seinen Mängeln annehmen, aber er kann das nur tun, wenn er erkennt, daß er trotz dieser Mängel schon angenommen ist. So hat Annahme immer diese beiden Seiten. Sie bedeutet nicht nur, daß jemand sich selbst sagt: „Ich bin schwach, daher nehme ich mich in all meiner Schwäche an." Sie bedeutet auch: „Ich habe den Mut, mich in meiner Schwachheit anzunehmen, und indem ich das tue, bin ich stark". Darin liegt Mut, nicht Resignation. 318

Ich mödite hierfür drei Beispiele anführen, die sich aus der menschlichen Situation ergeben. Erstens: der Mensch ist ein Geschöpf, und er ist sich seiner Geschöpflichkeit bewußt. Die Tatsache, daß er Geschöpf ist, wird in dem Begriff Endlichkeit zum Ausdruck gebracht. Ihr Gewahrwerden drückt sich im Begriff der Angst aus. Angst ist das Gewahrwerden der Endlichkeit. Der Mensch kommt aus dem Nichts und geht auf das Nichts zu. Immer lebt er in der bewußten oder unbewußten Angst vor dem Sterbenmüssen. Nichtsein ist in jedem Augenblick seines Seins gegenwärtig. Die Wechselfälle seines Lebens bedrohen ihn von allen Seiten. Leiden, Unglücksfälle, Krankheit, Verlust der Beziehung zur Umwelt und zum Mitmenschen, Einsamkeit, Unsicherheit, Schwachheit und Irrtum sind seine ständigen Begleiter. Schließlich wird die Drohung des Todes zur Wirklichkeit des Sterbens. All das muß der Mensch ertragen, und all das kann er nur ertragen in der Macht dessen, in dem das Nichtsein in Ewigkeit überwunden ist - der Macht des Göttlichen. Es ist Aufgabe der Seelsorge, dem Hilfesuchenden etwas über diese Macht zu sagen und ihm den Mut zu geben, die Endlichkeit auf sich zu nehmen. Wo das geschieht, kann das Leben ebenso wie der Tod angenommen werden. Man kann nun sich selbst als Geschöpf annehmen und damit die Endlidikeit und Angst aller Geschöpflichkeit. Das zweite Beispiel, das ich geben möchtc, ist die Tatsache der menschlichen Schuld. Alle haben wir teil an der Existenz in ihrer Entfremdung. Alle Menschen sind entfremdet von dem, was sie essentiell sind. Ihre tragische Situation kommt darin zum Ausdruck, daß sie schuld sind an der Entfremdung, obwohl diese etwas Universales und Unausweichliches ist. Seelsorge muß auch in dieser Hinsicht zu einem Sich-Annehmen hinführen. Wir müssen die Tatsache annehmen, daß wir entfremdet sind und daß wir verantwortlich sind für das, was zugleich unausweichlich ist. Wir müssen die Tatsache annehmen, daß wir schuldig sein werden, solange wir leben, und daß niemand das Verhaftetsein an die Entfremdung aus eigener Kraft überwinden kann. Viele Menschen, die den Pfarrer aufsuchen, streben bewußt oder unbewußt nach Vollkommenheit. Sie können sich mit ihrer Unvollkommenheit nicht abfinden. Sie können die Zweideutigkeit nicht annehmen, die auch ihren besten Taten anhaftet. Sie sehen das Leben nur in Schwarz oder Weiß, und ihr Bestreben geht dahin, zu denjenigen zu gehören, die sie für vollkommen halten. Wenn ihnen das nicht gelingt, geraten sie in Verzweiflung. Aus solchem Streben nach Vollkommenheit entsteht entweder Gleichgültigkeit und vorschnelle Kompromißbereitschaft oder Zynismus und Verzweiflung. Seelsorge führt zur Selbstannahme trotz der Zweideutigkeit des eigenen Seins. Aber natürlich 319

ist diese Selbstannahme keine leichtfertige Hinnahme der Entfremdung und Schuld. Sie ist nicht die zynische Behauptung, daß die Dinge so sind, wie sie eben sind, und daß nichts daran geändert werden kann; vielmehr ist Selbstannahme die Gewißheit, daß wir durch Vergebung angenommen sind. Selbstannahme ist letztlich nur möglich in der Macht dessen, was uns annimmt, obwohl wir unannehmbar sind. Nidits ist schwerer als „ja" zu sagen zu sich selbst, vor allem dann, wenn wir uns im Spiegel dessen sehen, was wir essentiell sind und sein sollten. Aber es ist die Aufgabe der Seelsorge, diese Schwierigkeit zu überwinden und dem Ratsuchenden zu helfen, sidi zu bejahen audi im Zustand der Entfremdung. Die dritte große Aufgabe der Seelsorge ergibt sich aus der Situation dessen, der im Zweifel lebt. Wir müssen gerade in unserer heutigen geistigen Not dem Ratsuchenden zeigen, daß, obwohl der Zweifel an sich selbst - am Sinn seines Lebens und an der Wirklichkeit des Göttlichen - angenommen und ertragen werden muß, bevor er überwunden werden kann, dieser Zweifel dennoch nur zum Teil überwunden werden kann, ebenso wie Entfremdung und Schuld. Dies ist vor allem aus folgendem Grunde wichtig ¡Viele Menschen sind der Meinung, Seelsorge versuche durch die Autorität eines Menschen, der selbst nicht im Zweifel lebt, den anderen zu einer Glaubensgewißheit jenseits alles Zweifels zu bekehren. Dieses Bild des Seelsorgers muß berichtigt werden. Dann würden vielleicht mehr Menschen den Wunsch nach seelsorgerischer Beratung haben, als es jetzt der Fall ist. Aber auch hier wiederum müssen wir sagen, daß Angenommensein eine negative und eine positive Seite hat. Man kann den eigenen Zweifel nur annehmen im Bewußtsein einer Macht, die auch im radikalsten Zweifel gegenwärtig ist und die gerade in der Ernsthaftigkeit des Zweifels fühlbar wird. In allen drei Fällen ist Selbstannahme das Ziel der Seelsorge. Sie mögen nun vielleicht fragen: Ist das alles? In gewissem Sinne könnte ich antworten, daß dem so sei, weil Selbstannahme nur möglich ist im Hinblick auf eine Macht, die Endlichkeit, Schuld und Zweifel transzendiert. Annehmen des Negativen setzt eine annehmende Macht voraus, die selbst etwas Positives ist; und etwas von dieser Macht zu vermitteln, die das Sich-selbst-Annehmen ermöglicht, ist das allumfassende Ziel der Seelsorge.

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III. D I E Q U E L L E N DER SEELSORGE

Diejenige Macht, die Selbstannahme ermöglicht, ist auch die Kraftquelle aller Seelsorge. Sie muß wirksam sein in dem, der hilft, und sie muß wirksam werden in dem, dem geholfen wird. Sie kann lebendig werden in jedem, der von ihr ergriffen ist, sei er ein Glied der Kirche oder nicht, sei er Arzt oder Geistlicher, Psychotherapeut oder nur Ratgeber. Dies setzt voraus, daß demjenigen, der seelsorgerisch hilft, auch selbst geholfen wird. Der Seelsorger muß auch sich selbst verstehen als „Objekt" der Seelsorge. Das ist nicht so zu verstehen, daß der Helfer nur darum zum Helfer werden konnte, weil ihm selbst irgendwann einmal geholfen wurde, vielmehr ist er auch im erfolgreichsten Werk der Hilfe einer, der ständig Hilfe empfängt. Das bedeutet, daß sowohl der Pfarrer wie der Ratsuchende, der Psychotherapeut wie der Patient, unter einer Macht stehen, die sie beide transzendiert. Diese Macht kann als neue Schöpfung oder neues Sein bezeichnet werden. Der Seelsorger kann nur dann Hilfe gewähren, wenn er selbst von dieser Madit ergriffen ist und in ihrem Namen dem Ratsuchenden nahekommt. In diesem Zusammenhang muß auf eine Sdiwierigkeit hingewiesen werden, die sich bei dem „Angenommensein" eines Patienten durch den Psychotherapeuten ergibt. Man kann im Grunde einen anderen Menschen nur annehmen in der Madit des Letztgültigen. Aber diese Macht kann in der psychoanalytischen Methode an sich nicht vorausgesetzt werden. Daher ist Annahme im psychoanalytischen Sinn immer etwas Vorläufiges und kann leicht zu einem „Es ist alles erlaubt" führen. Der Seelsorger hingegen sieht sich einer Grenze gegenüber - nicht, weil er „besser" ist als der Psychoanalytiker, sondern weil er im Namen jener Macht sprechen kann, die über ihm und dem Ratsuchenden steht. Seelsorge setzt, wie alle angeführten Beispiele gezeigt haben, Theologie voraus. Aber die Theologie setzt auch Seelsorge voraus. Seelsorge trägt dazu bei, die Fragen zu stellen, auf die die religiösen Symbole Antwort geben sollen. Im seelsorgerischen Akt wird die menschliche Situation, auf die die göttliche Offenbarung gerichtet ist, am bestimmtesten und tiefsten erfaßt. Nur im Lichte dieser Situation können die religiösen Symbole verstanden und gedeutet werden. In dieser Hinsicht ist Seelsorge eine wirklich theologische Arbeit. Kein Theologe sollte sich fernhalten von dieser ständigen Quelle seiner systematischen Arbeit, und kein Seelsorger sollte die Gelegenheit versäumen, sein 321

theologisches Denken im Licht seelsorgerisdier Erfahrungen zu überprüfen. Die Macht des neuen Seins im Heiligen Geist, die allein eine erfolgreiche Seelsorge möglich macht, transzendiert die persönliche Existenz des Seelsorgers. Er muß weder eine bedeutende Persönlichkeit noch ein großer Theologe noch ein wortgewaltiger Prediger sein, um Erfolg in seinem Wirken zu haben. Denn er hat dem Ratsuchenden nicht sidi selbst mitzuteilen, sondern auf etwas hinzuweisen, was jenseits von ihnen liegt. Dies ist eine Warnung gegenüber jenen, die viel geben müssen und die in Versuchung sind, sich selbst zu geben; und ein Trost für jene, die wenig haben und die daher nicht sich selbst zu geben braudien, die aber zu Vermittlern werden müssen für das, was größer ist als sie selbst. IV. D I E INNERE EINSTELLUNG ZUR SEELSORGE

Das grundlegende Prinzip der Seelsorge ist Gegenseitigkeit. Der Seelsorger muß innerlich teilhaben an der Lage dessen, der ihn aufsudit. Diese Teilhabe drückt sich nicht nur in Worten aus, die die Tatsache des Angenommenseins aussprechen, sondern auch darin, daß der Seelsorger dem Ratsuchenden vor Augen führt, daß er selbst in der gleichen Lage war und ist. Das kann in der Form geschehen, daß berichtet wird, wie der Seelsorger die gleichen Nöte erfahren hat, für die der Ratsuchende Hilfe begehrt. Es kann audi durch Worte vermittelt werden, die es dem Ratsuchenden deutlich machen, daß ihn der Seelsorger aufgrund seiner eigenen Erfahrung gut versteht. Wenn das geschieht, ist die Subjekt-Objekt-Situation, diese große Gefahr aller Seelsorge, überwunden. Aber die Gemeinsamkeit besteht nicht nur unter dem Zeichen gemeinsamer Sdiwädie; auch die Gemeinsamkeit im Positiven überwindet das Subjekt-Objekt-Verhältnis. Der Seelsorger entdeckt in dem Menschen, dem er helfen will, positive Kräfte, die nur der Bewußtwerdung bedürfen, um wirksam zu werden, und er kann solche Kräfte in dem anderen entdecken, wenn er sich ihrer zugleidi in sich selber bewußt wird. Teilhabe im Positiven wie audi im Negativen ist für den Akt der Seelsorge entscheidend. Heilen vollzieht sich auf drei Ebenen: der rein medizinisdien, der psychotherapeutischen und der religiösen. Zwisdien diesen drei Ebenen muß man unterscheiden; sie sind aber nicht voneinander zu trennen. Obwohl sie sich grundsätzlich in ihrer Bedeutung unterscheiden, 322

überschneiden sie sich im Heilungsprozeß selbst. Das wirft viele Probleme auf und enthält manche Gefahren. Der Unterschied der Aufgaben muß im Hinblick auf den Heilenden als einer personalen Einheit klar erkannt werden. Der Pfarrer übt Seelsorge aus, und er sollte sich davor hüten, so etwas wie ein Arzt oder Psychotherapeut werden zu wollen. Er würde dann nicht heilen, sondern der Heilung im Wege stehen. Selbst wenn er genug weiß, um festzustellen, daß ein Patient den Arzt oder den Psychotherapeuten braucht, so ist er nicht dazu berufen, selbst das Amt des Arztes auszuüben. Andererseits sollte auch der Arzt oder der Psychotherapeut, selbst wenn von ihm starke geistliche Kräfte ausstrahlen, seinem Patienten nicht religiöse Symbole aufdrängen, seien es christliche oder nicht-christliche Symbole. Immer muß er sich auf den Bereich medizinischen Heilens beschränken, selbst wenn er Heilung durch indirekte Seelsorge bewirkt. Die persönlichen Möglichkeiten und die berufliche Aufgabe dürfen nicht verwechselt werden. Aussprachen mit dem Geistlichen können zuweilen eine positive Wirkung auf den körperlichen oder geistigen Zustand eines Menschen haben, der in einer oder in beiden Beziehungen krank ist; und psychoanalytische Sitzungen oder ärztliche Beratungen können wichtige geistliche Wirkungen bei einem Menschen erzeugen, der auf diesem Gebiet in Verwirrung geraten ist. Das kann geschehen, geschieht auch oft und ist sogar ein wünschenswertes Ergebnis. Aber es sollte nicht im Sinne der Vermischung einzelner Berufe erstrebt werden. Auf diese Weise ist eine Zusammenarbeit ohne Konkurrenz und Konflikte möglidi. Und heute wissen wir wieder, wie notwendig das ist. Heilung durch Seelsorge ist nidit „Glaubensheilung". Glaubensheilung ist zu einem Begriff geworden, der die magische Konzentration auf sich selbst, auf andere oder auch auf Gott bezeichnet, um heilende Wirkungen zu erzielen. Niemand wird bezweifeln, daß solche Methoden häufig Erfolg haben; aber Seelsorge heilt auf andere Weise. Seelsorgerisches Heilen wirkt durch das Zentrum des Bewußtseins, nicht durch magische Beeinflussung des Unbewußten. Solche Einflüsse können sich zwar auch in Verbindung mit Predigt und Unterricht einstellen, aber sie sind dann nicht als solche intendiert, und es sollten keine Konzentrationsübungen veranstaltet werden, um sie zu erreichen. Der göttliche Geist wirkt auch durdi das Unbewußte, aber niemals umgeht er das Zentrum des Bewußtseins, in dem der Glaubensakt sich vollzieht. Eine äußerst wichtige Frage der Seelsorge ist der rechte Gebrauch der religiösen Sprache. Wir müssen uns davor hüten, daß wir Menschen, denen wir seelsorgerisch helfen wollen, von vornherein zurück323

stoßen durch Worte und Symbole, mit denen wir vertraut sind, die aber vielleicht für sie jeden Sinn verloren haben. Der Seelsorger heute muß über die menschliche Situation in Begriffen sprechen, die uns durch eine Art glücklicher Fügung von der Tiefenpsychologie, dem Existentialismus und dem literarischen und künstlerischen Stil der Gegenwart geschenkt werden. Diese haben viele Züge der menschlichen Situation wiederentdeckt, die die Theologie vergessen hatte. Wenn Sie diese Begriffe gebraudien, werden Sie feststellen, daß die Menschen auf Sie hören. Sie haben sie an der Stelle getroffen, wo sie sich bedrängt fühlen. Nicht immer, aber doch bei vielen Gelegenheiten sollten wir Bibelsprüche vermeiden und in einer Sprache reden, die jene Wirklichkeit erfaßt, auf die es uns ankommt. Das Problem rechter Mitteilung ist eines der größten und schwierigsten im religiösen Leben der Gegenwart, besonders aber in der Seelsorge.

324

DER EINFLUSS DER AUF DIE

PSYCHOTHERAPIE

THEOLOGIE

In den letzten zehn Jahren hat sidi die Psychotherapie als ein bedeutsamer Zweig der praktischen Theologie durchgesetzt. Deshalb ist die Frage berechtigt: Was bedeuten diese Entwicklungen in der seelsorgerisdien Beratung, und was bedeutet die Psychotherapie für die systematische Theologie? An der Bedeutung dieser Entwicklung für die systematische Theologie kann kein Zweifel sein. Aber es sollte andererseits auch klar sein, daß die Theologie, die der seelsorgerischen Beratung zugrunde liegt, selbst durch die Einsichten der Psychotherapie beeinflußt sein muß. Es gilt dies nicht nur hinsiditlidi der Fragen, die der systematische Theologe stellt, sondern auch für die Formulierung der Antworten, die den Fragen entsprechen. Dann würde nämlich der systematische Theologe seinerseits der Psychotherapie eine theologische Basis geben, die schon durch die psychotherapeutischen Einsichten mitbestimmt ist. I. DIE LEHRE VOM MENSCHEN

Der Einfluß der Psychotherapie auf die systematische Theologie ist in der Lehre vom Menschen am unmittelbarsten. Trotz der Bedeutung der Tierpsychologie für bestimmte Dimensionen der psychosomatischen Natur des Menschen ist die Psychologie wesentlich „Lehre vom Menschen". Audi wenn die Pastoralpsychologie die Einsichten der allgemeinen Psychologie benutzt, hat sie es doch vor allem mit dem Menschen zu tun, sowohl was seine essentiellen Möglichkeiten als auch was seine existentielle Wirklichkeit angeht. Wenn wir fragen, welche Einsichten der Psychotherapie die systematische Theologie aufnehmen sollte, so steht an erster Stelle die Wiederentdeckung der Wahrheit der Lehre von der menschlichen Verlorenheit, wie sie Augustin und die Reformatoren vorgetragen haben. Wie der ursprüngliche Pelagianismus betont auch der Semipelagianismus der römisch-katholischen Theologie die teilweise Freiheit des Menschen in seiner Beziehung zu Gott. Der Gehorsam oder Ungehorsam gegenüber dem Liebesgebot ist 325

eine Sache der bewußten Entscheidung des Einzelnen. Dabei wurde nicht bestritten, daß die erschaffene Natur des Menschen verdorben ist und die Gnade mit der menschlichen Freiheit zusammenwirken muß. Aber im pelagianischen Sünden- und Gnadenverständnis war beides abgeschwächt, sowohl die verborgene Macht der Sünde wie die bedingungslose Macht der Gnade, die den Menschen mit Gott und somit auch mit sich selbst und der Welt versöhnt. Der heutige Protestantismus vereinigt eine im Grunde pelagianische Auffassung vom Menschen (so wird jedenfalls die protestantische Botschaft, wenn auch nicht von der offiziellen Theologie, so doch praktisch allgemein verstanden) mit einer nachdrücklichen Betonung des sittlichen Gebotes, im individuellen wie im sozialen Bereich. Die bezeichnendste symbolische Ausprägung dieser Haltung ist die Vorstellung, daß das Reich Gottes auf Erden „durch die Menschen guten Willens" fortschreitend verwirklicht werde. Dabei tritt offen oder verborgen der Anspruch auf, daß „wir" und die auf unserer Seite Stehenden die Menschen guten Willens sind.

II.

D E R EINFLUSS DER PSYCHOLOGIE

Alle diese Formen von offenem oder verborgenem Pelagianismus verlieren durch die zeitgenössische Psychologie und in der Erfahrung eines jeden, der seelsorgerisch beratend wirkt, den Boden unter den Füßen. Wenn ein tragendes Glied einer Vorortgemeinde, das sich durch vorbildliche Moral und soziale Arbeit auszeichnet, zugibt, daß es sich mit Selbstmordabsichten trägt, oder wenn die Mutter einer glücklichen Familie absichtlich oder unabsichtlich verrät, daß sie ihre Kinder haßt, bricht alle pelagianische Deutung dieser Situationen und jeder Appell an den „freien Willen" zusammen. Das einzige, was der Helfer tun kann, ist, die noch in dem Ratsuchenden wirksamen heilenden Kräfte, die Macht der Gnade, zu mobilisieren. Diese Kräfte können durch die Art, wie der Berater den Ratsuchenden ohne alles Moralisieren annimmt, gestärkt werden. Wer sich so in der Situation der Seelsorge verhält, befindet sich in der Nachfolge der augustinisch-reformatorischen Theologie und steht der römisch-legalistischen wie der protestantisdi-moralistischen Haltung in gleicher Weise kritisch gegenüber. Es ist erstaunlich, daß der amerikanische Protestantismus die Psydiologie des Unbewußten brauchte, um seine protestantische Tradition 326

hinsichtlich dessen, was der Mensdi ist und was Heilkräfte sind, wiederzuentdecken. Je mehr man die unbewußten Triebkräfte auch in unseren bewußten Handlungen entdeckte, desto unmöglicher wurde der Appell an den „freien Willen". Fragte man: Wie können die unbewußten Motivierungen geändert werden?, so war die Antwort: Es müssen Einflüsse auf das Unbewußte ausgeübt werden, auch wenn als Eingangstür nur das Bewußtsein zur Verfügung steht. Damit begann die Suche nach diesen Kräften, die in allen theologischen Disziplinen, besonders aber in der systematischen Theologie ein völlig neues Klima schuf. III. D E R GOTTESGEDANKE

Will man auf die Frage der Heilung im Sinne von Erlösung eine Antwort geben, so ist dafür die Voraussetzung, daß unsere Vorstellung von Gott neu geprägt wird. Die Erfahrung der seelsorgerischen Beratung und ihre theoretische Stütze, die Psychotherapie, haben außerordentlichen Einfluß auf die Gottesvorstellung, genauso wie audi Augustins Erkenntnis der Labyrinthe von Sünde und Schuld und seine Erfahrung der rettenden Kräfte in der Gemeinschaft der Kirche seine Gottesidee beeinflußt haben. So war Luthers Erlebnis, daß ihm der Wille zum Guten zusammenbrach und er die Botschaft von der Vergebung hören mußte, für sein Gottesbild entscheidend. In gleicher Weise wurde auch Kierkegaards Gottesidee geformt sowohl durch das Gefühl der Verzweiflung an der Möglichkeit der Vereinigung des Endlichen und Unendlichen in seinem Innern als auch durch die Notwendigkeit des „Glaubenssprunges". In all diesen Fällen führen grundlegende Einsichten in die menschliche Situation zu grundlegenden Erkenntnissen über die unausschöpflichen Tiefen der Gottesidee. Vielleicht wird hier eingeworfen, daß es nicht die Erkenntnis der menschlichen Lage war, die neue Einsichten in die Gottesidee hervorrief, sondern daß eine neue Gotteserfahrung neue Einsichten in die menschliche Natur erzeugte. Ein solcher Einwand führt jedoch lediglich zu einem Streit um Worte, weil doch keine Aussage über Gott getroffen werden kann, die nicht in Wechselbeziehungen von menschlicher Selbsteinsicht und der Erfahrung der göttlichen Gegenwart begründet ist. Jede Änderung auf einer Seite dieser Beziehung ändert die ganze Beziehung. Dieses Verständnis vorausgesetzt kann man von einer Änderung im Gottesverständnis sprechen, das wenigstens teilweise von den 327

psychotherapeutischen Einsichten unserer Generation und ihrer Verwendung in der seelsorgerischen Beratung bedingt ist. Man kann sagen, daß die Psychotherapie den Nachdruck von dem Gehorsam heischenden, aber fernen Gott auf seine sidi selbst sdienkende Nähe verlegt hat. Das Bild des Gehorsam heischenden Vaters, das für Freuds Angriff auf die Religion so wichtig war, ist durdi das Bild der umarmenden und bewahrenden Mutter abgewandelt worden. Von da aus gesehen möchte ich die kühne These aufstellen, daß die Psychotherapie und die Erfahrung der seelsorgerischen Beratung dazu beigetragen haben, das weibliche Element, das so offensichtlich im Protestantismus fehlte, wieder in der Gottesidee zur Geltung zu bringen. Der Einfluß der Psychotherapie und der Erfahrungen der seelsorgerischen Beratung auf das Gottes- und Menschenbild wirken sich notwendigerweise auf das Verständnis des Gott-Mensch-Verhältnisses aus. Das liegt bei zwei Lehren, die ganz verschiedenen Gebieten anzugehören scheinen, aber in Wirklichkeit zusammengehören, auf der Hand: der Lehre von Gottes Annahme und der Lehre vom religiösen Symbol. IV. GÖTTLICHE ANNAHME

Die Lehre von der göttlichen Annahme des entfremdeten Menschen, nach der Tradition die Lehre von der „Rechtfertigung aus Gnaden durch Glauben" genannt, ist die zentrale Lehre des Protestantismus. Für die Reformatoren in der Tat der Satz, mit dem die Kirche steht oder fällt, wird sie dennoch gewöhnlich in der protestantischen Predigt und Lehre fast völlig übersehen. Selbst wenn die Formulierung als Lehre weithin im Luthertum bewahrt blieb, wurde der Geist der Lehre - die frohe Botschaft, daß der, der sich der Annahme für unwürdig hält, sicher sein kann, angenommen zu werden - unter der Dürre lehrhafter Starrheiten begraben. In vielen Kirchen mit calvinistischer und evangelisch-pietistischer Tradition dagegen war es nicht die Gesetzlichkeit der Lehre, sondern die der Moral, die die Botschaft von der Annahme entwertete. Man verstand z. B. die Worte Jesu nicht so, daß sie eine neue Wirklichkeit ausdrückten, in der das Gesetz überwunden ist, sondern man sah in ihnen eine Sammlung von moralischen Vorschriften, die man „Lehren Jesu" nannte. In einigen Fällen, so in den fundamentalistischen Gemeinden Amerikas, kam zur Last des Moralgesetzes die Bürde des Lehrgesetzes. Verständlicherweise sind viele Menschen unter diesen Lasten zusammengebrochen, die das Gegenteil 328

von dem sind, was Jesus meint, wenn er von der „leichten Last" und dem „sanften Joch" spricht, das er seinen Nachfolgern auferlegt. Das ungeheure Anwachsen der seelischen Störungen auf protestantischem Boden ist wenigstens teilweise durch die legalistisdie Verzerrung der protestantischen Botschaft bedingt. Vergeblich betonten biblisch orientierte Theologen den Vorrang des Bundes zwischen Gott und Mensch im Alten Testament und den des „neuen Äon" vor den moralischen Geboten des Neuen Testaments wie auch den Vorrang der Sündenvergebung vor den guten Werken bei den Reformatoren. Diese Theologen wurden nidit verstanden, da diese Symbole der Denkweise in der Periode der industriellen Gesellschaft nicht entsprachen. Aber als die seelischen Erkrankungen eine Massenerscheinung wurden, die sowohl den Einsatz im Krieg als audi den wirtschaftlichen Fortschritt zu beeinträchtigen drohten, und als die betroffenen Theologiestudenten und mit ihnen viele aktive Glieder der Gemeinden Hilfe nun gerade nicht bei ihrem Pfarrer, sondern bei Psychoanalytikern zu suchen begannen, fing man audi in den Kirchen an zu begreifen, daß etwas mit Predigt und Lehre nicht stimme. Diese Einsicht wurde in den theologischen Versuchen deutlich, die Frohe Botschaft der christlichen Verkündigung, die Lehre von der Annahme, neu zu verstehen. Die psychoanalytische Verfahrensweise, den seelisch Gestörten ohne Verurteilung und Anweisung anzunehmen, wurde das Vorbild für die Seelsorge. Von ihr wurde der Einfluß an den katechetischen Unterricht und von diesem an die theologische Forschung weitergegeben. So kann die heutige Theologie wieder sagen, daß Gottes Annahme dessen, der sich selbst nidit annehmen kann, der Mittelpunkt der christlichen Verkündigung ist und zugleich das theologische Fundament sowohl für die Predigt wie für die Seelsorge. Da aber jede Wirkung viele Ursachen hat, wäre es übertrieben zu behaupten, dies alles sei allein durch den Einfluß der Psychotherapie entstanden. Der Existentialismus in allen seinen Verzweigungen und die Theologie der Krise - die dialektische Theologie - müssen mit einbezogen werden. Ganz besonders wichtig aber sind die Weltkriege, die schizophrene Spaltung der Menschheit in Ost und West und die Drohung der atomaren Selbstzerstörung, in denen sich die Krise zeigt. Wenn audi all dies eine Rolle gespielt hat, so war doch der Einfluß der psychotherapeutischen Ideen und Erfahrungen auf die theologische Deutung der christlichen Botschaft beträchtlich. Trotz Freuds eigener antireligiöser Anschauung war seine Umgestaltung des intellektuellen Klimas der größte geistige Beitrag für die Wiederentdeckung des Zentrums der christlichen Botschaft, des Evangeliums von der Annahme des Sünders.

329

V. E N E NEUE B E W E R T U N G DES RELIGIÖSEN SYMBOLS

Die Neubewertung des religiösen Symbols war die zweite Weise, in der die Theologie auf die Psychologie des Unbewußten reagierte. Audi hier gab es, besonders von der Erkenntnistheorie und der Semantik her, neue Anstöße. Entscheidend aber war der Zusammenbruch der Auffassung, man könne kraft der Vernunft die Richtung des Willens bestimmen. Verstand und Moral in den Predigten erreidien jene Bereiche des persönlichen Lebens nicht, die durch echte Symbole sehr wohl geöffnet werden können. Solche Symbole haben ihre Wurzeln in den unterbewußten Tiefen des Einzelnen und der Gruppe. Der Einfluß der Symbole auf das Ganze des persönlichen Lebens gibt ihnen sowohl enthüllende als auch heilende Kraft. Sektierer und radikale politische Bewegungen waren sich dieser Kraft stets bewußt, und auch in den Kirchen sind die traditionellen Symbole nie völlig verschwunden. Man hielt sie aber für unvollkommen und ersetzte sie immer mehr durch Worte und Begriffe. Die Betonung der Predigt im Protestantismus, verbunden mit der humanistischen Vorliebe für verstandesmäßige Belehrung, entleerte und verkleinerte den Raum der symbolischen Ausdrucksformen. Liturgische und sakramentale Symbole büßten ihre Bedeutung ein. Heute ist die Lage anders. Das sakramentale Denken hat an Einfluß zugenommen, die großen liturgischen Traditionen werden wieder entdeckt und dem Leben der Kirche zugeführt, künstlerische und religiöse Symbole werden in ihrer Zusammengehörigkeit gesehen. In all diesen Bemühungen ist der Geist, aus dem heraus man handelt, entscheidend. All das geschieht nämlich nicht zur „Bereicherung" oder „Verschönerung" - vielleicht ist das eine der Folgen, sicher aber nicht die ursprüngliche Absicht - , sondern es wird als „ Gnadenmittel" angesehen und dem Wort gleichgestellt und mit ihm verbunden, nicht aber ihm untergeordnet. Die Einwirkung der Symbolwelt auf das Unbewußte wird anerkannt. VI. SYMBOLE DES U N B E W U S S T E N

Vielleicht ist es hilfreich, hier zu fragen, in weldier Beziehung künstlerische und religiöse Symbole zu solchen Symbolen stehen, die durch 330

das Unbewußte in Träumen und spontanen Assoziationen erzeugt werden. Die Antwort scheint zu sein, daß die Symbole des Unbewußten etwas über innere Vorgänge einer Person offenbaren, deren sie sich normalerweise nicht bewußt ist. Allerdings sagen sie über die Wirklichkeit an sich nichts aus; dagegen drücken historische, künstlerische und religiöse Symbole in strenger gegenseitiger Bezogenheit Dimensionen der begegneten Welt und des begegnenden Selbst aus. So gesehen sind die „Symbole des Unbewußten" eher Symptome als echte Symbole. Es kann aber wohl sein, daß viele dieser Symptome von Archetypen, wie Jung sie benannt hat, abgeleitet werden müssen, und daß sie insofern Symbole sind, als sie auf die Situation des Menschen in seiner Welt hinweisen. Auf die Theologie angewandt bedeutet dies, daß ein Verständnis des Ausdruckes „Wort Gottes" in dem Sinn, daß gewisse Worte von Gott inspiriert seien, ein entscheidendes Element im Verhältnis von Gott und Welt übersieht, nämlich die Einwirkung der Gegenwart Gottes auf das Unbewußte. Das geschieht nidit magisch, indem das Bewußtsein ausgeschlossen wird, sondern so, daß alle Seiten des persönlichen Lebens erfaßt werden. Der Theologe, der ohne nähere Erklärung von den „Lehren Jesu" spricht, zeigt, daß er von der Psychotherapie und der Wiederentdeckung des Unbewußten im 20.Jahrhundert nichts gelernt hat. VII. D E R SINN DER ERLÖSUNG

Der entscheidende Prüfstein dafür, wieweit der Einfluß der Psychotherapie auf das theologische Denken reicht, ist aber die Deutung der Erlösung. Die Erlösung von Menschen — Gruppen und Einzelnen - ist letztlich das Ziel aller Tätigkeit Gottes in Zeit und Raum. Nach christlidiem Glauben ist sie das Werk des Christus, und durch ihn vollzieht sich das göttliche Schaffen eines neuen Seins. Während in der alten Kirche die Erlösung noch als ein kosmisches Ereignis, in das Welt und Mensch eingeschlossen sind, verstanden wurde, wurde der Begriff der Errettung zunehmend auf den Einzelnen und sein himmlisches Ziel eingeschränkt. Erlösung wurde identisch mit der Aufnahme in den Himmel, wohingegen Verdammnis bedeutete, daß man zur Hölle fuhr. In dieser Idee von der Erlösung vernachlässigte man die Wurzel des Wortes salvus („heil und ganz" sein) völlig. Als Folge davon büßten Theologie und Medizin die innige Verbindung ein, die sie ursprünglich 331

besaßen. Sie hätten sie erhalten müssen, denn Retten und Heilen ist dasselbe. Man kann die große Bedeutung der Heilungsgesdiiditen im Neuen Testament nur verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Reich Gottes als Heilungsmacht zur Erde kommen sollte. Wenn audi die Kirdie eine dieser Geschichten fast in jedem Sonntagsgottesdienst verlesen ließ, so betonte sie dodi nidit den Heilungsaspekt, sondern das Wunderbare an ihnen. Man sah die Wunder in so übernatürlichem Licht, daß zahllose Prediger, die verpflichtet waren, diese Texte zu deuten, in einen Gewissenskonflikt gerieten, weil sie starke Zweifel hinsichtlich dieser Wunder hatten. Im Blick auf den Gebrauch der Heilungsgesdiiditen als Predigttexte hat die Annäherung zwisdien Theologie und Medizin in unserer Zeit solchen Männern die große Befreiung gebracht: Die Heilungskraft des Neuen Seins in dem Christus und nidit ein übernatürlicher Eingriff Gottes in die Naturvorgänge ist die religiöse Aussage dieser Geschichten. Die Aufgabe des Theologen, der den psychotherapeutischen Einsichten Rechnung tragen möchte, stellt sich dar als eine intensive Oberprüfung der Lehren, die sidi mit der „Heilsordnung" (ordo salutis) und dem „Christenleben" befassen und die den Weg des Christen von der „Bekehrung" zur „Heiligung" und darauf seine Handlungen und Erfahrungen als reifer Christ beschreiben wollen. Die allgemeine Richtung der dogmatischen Theologie zielte auf das Verständnis der objektiven Tatsachen, die das Christenleben bestimmen: den Heiligen Geist, das Wort, die Sakramente, die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, den Angriff der dämonischen Mächte im Christen selbst und in seiner Welt, den Bildern christlicher Vollkommenheit usw. All das wurde sozusagen nicht aus der Sicht des Menschen, sondern aus der Perspektive Gottes gesehen. Eine Ausnahme sind die Beichtbücher, die den Beichtvater über die endlose Zahl menschlicher Situationen, Abirrungen und Tugenden unterrichteten und berieten. Auf der religiösen Ebene nehmen sie viel von dem, was sich in der psychotherapeutischen Praxis und Theorie findet, vorweg. Das meiste ging freilich durch Mißbrauch, Schematisierung und Erstarrung und vor allem durch die protestantische und humanistische Mißachtung der unbewußten und unterbewußten Elemente in der dynamischen Struktur der Person verloren. Die Psychotherapie ist einer der Faktoren, die sowohl die Praxis wie die Theorie gezwungen haben, die subjektive Seite der christlichen Existenz mindestens so ernst zu nehmen wie die objektive. Kein Theologe sollte heutzutage von den Heilkräften des Glaubens reden, ohne auf die Zweideutigkeit des Religiösen hinzuweisen und 332

die Fluchtwege aufzuzeigen, die die Religion denen bietet, die der Heilung ausweichen, weil sie nicht geheilt sein wollen. Der neurotische Rückzug von der Wirklichkeit kann sich nämlich als fanatische Verteidigung einer nicht völlig bejahten Haltung oder auch als unfreies Gesetzesdenken in der Erfüllung vermeintlicher Gebote Gottes tarnen, oder gar in einer Anzahl von unangebrachten Schuldgefühlen gipfeln. Damit will idi natürlich nicht einer sogenannten Nützlichkeitsreligion das Wort reden, die nervöse Störungen eines Beamten oder Managers beseitigt und es ihm erleichtert, sich den Forderungen seiner Berufswelt anzupassen. Aber die theologische Frage nach Reife und innerer Entfaltung des Christen, nach dem Stande des „Heil-Seins" kann ohne die Anerkennung der durch die Mischung von heilenden und zerstörenden Kräften bestimmten Situation des Menschen nicht beantwortet werden.

VIII. D E R GÖTTLICHE UND DER MENSCHLICHE G E I S T

Eine andere Frage in diesem Zusammenhang ist die nach der Beziehung von Gottes Geist und menschlichem Geist. Die Psychotherapie macht zwei Antworten unmöglich: die neuorthodoxe und die humanistische. Jene vertritt die These, daß der Geist Gottes nie in den menschlichen Geist „eingeht" (übrigens eine fragwürdige räumliche Metapher). Eine wirkliche Vereinigung kann nicht stattfinden: „Ich glaube, daß ich glaube", aber ich bin auch in den Augenblicken des Glaubens und der Liebe nicht von der Gegenwart des göttlichen Geistes ergriffen. Es ist unvorstellbar, wie eine solche Beziehung von Gott und Mensch Heilungskraft haben kann. Eine Religion, die keine heilende und rettende Kraft hat, ist bedeutungslos. - Die humanistische Antwort ist allerdings auch unangemessen. Nach ihr ist der göttliche Geist nur die religiöse Funktion des menschlichen Geistes. Dann ist Heilung Selbstheilung. Aber nur Heiles kann Krankes wiederherstellen. Das Kranke kann sich nicht selbst überwinden. Es kann die Heilungskraft nur von außerhalb seiner selbst empfangen. Schon die Existenz der psychotherapeutischen Praxis bezeugt das. Aber wenn wir nun sagen, daß Gottes Geist den Geist des Menschen ergreift, ihn über sich selbst hinausführt und ihn durch die Erweckung von Glaube und Liebe heilt, fragt der Psychotherapeut mit Recht: Was hat das mit dem zu tun, was idi über die psychosomatischen Störungen meiner Patienten weiß? In seiner Antwort muß der Theologe 333

zeigen, wie die Erschaffung eines zentrierten Selbst durch die Erfahrung dessen, was uns unbedingt angeht, heilende Kräfte in allen Dimensionen der Person zur Wirkung bringt. Er muß dies für die Dimensionen des Geistes, des Psychischen, der Körperfunktionen, der sozialen Bindungen und der geschichtlichen Selbstverwirklichung nadiweisen. Der allgemeine und etwas vage Begriff des Geistes Gottes muß mit konkretem Material gefüllt werden, das den vielen Dimensionen der menschlichen Existenz und den mannigfachen Bereichen des Lebens entstammt. Auf diesem Weg könnte dann das Bild des reifen Christen, das zusammen mit dem Bild des reifen Menschen überhaupt lange verlorengegangen war, wiedergewonnen werden und uns eine Antwort auf die Frage nach einer reiferen Menschheit geben.

IX. H E I L U N G DER GANZEN P E R S O N

Ein drittes Problem, das die Frage nach der Beziehung zwischen Gottes Geist und menschlichem Geist aufwirft, ist das der Heilung in den verschiedenen Dimensionen der menschlichen Existenz, durch die der Mensch an allem Leben teilhat. Die Psychotherapie setzt voraus, daß die gegenseitige Beziehung aller Elemente des menschlichen Lebens nidit einem Schichtenaufbau entspricht, wobei die Schichten übereinanderliegen und darum miteinander in Konflikte geraten können, sondern daß diese Elemente verschiedene Dimensionen einer Einheit darstellen. Man kann in diesem Sinn von einer vieldimensionalen Einheit des Lebens sprechen, so wie sie im Menschen erscheint. Aus diesem Grunde gehören alle Heilfunktionen zusammen. Der Helfer muß die ganze Person heilen. Eine teilweise Erlösung gibt es nicht. Wohl aber kann in je einer Dimension fragmentarische Heilung eintreten. Der Geist Gottes, wo immer er wirkt, steht in Beziehung sowohl zu den geistigen wie zu den psychischen Funktionen, wie zu den körperlichen Vorgängen. Er wirkt ein auf den Gesichtsausdruck, auf die Weise, wie Vergangenes erinnert und Zukünftiges erwartet wird, auf das sittliche Verhalten und die kulturelle Produktivität und vor allem auf das Selbsttranszendieren in der Religion. In allen Dimensionen gibt es Heilung, freilich nur fragmentarisch, da wir in Zeit und Raum und unter den Bedingungen des Endlichen leben. Darum kann es vorkommen, daß in einem Fall die Tuberkulose eines Patienten geheilt wird, nicht aber sein neurotischer Zustand. Oder es kann die zwangs334

neurotische Flucht geheilt werden, nicht aber die Arteriosklerose. Sollte diese in einem anderen Fall geheilt werden, so kann jedoch Heilung der durch das bedrohende Moralgesetz hervorgerufenen Angst und der Verzweiflung über die Sinnlosigkeit der Kultur ausbleiben. Audi das kann geheilt werden, aber das mag diesmal nicht gelten für den Zweifel an Gültigkeit und Wert religiöser Symbole, der mit einem tiefen Schuldgefühl eben dieser Zweifel wegen verbunden ist. Wenn auch dieser Zweifel geheilt werden könnte, so dodi nicht das völlige Verzweifeln am Sinn der Geschichte und der eigenen geschichtlichen Existenz. - Alle Heilung ist bruchstückhaft und vorläufig. Darum sind jeweils besondere Heiler notwendig. Allen anderen Fragen voran steht jedoch die nach der Partizipation des ganzen Seins am unzweideutigen oder ewigen Leben. Die Psychotherapie hat diese Frage nicht beseitigen können; aber sie hat sie zu all den anderen Nöten der menschlichen Existenz in Beziehung gesetzt. Das ist eines ihrer Geschenke an die Theologie. Mir scheint, daß eine Theologie, die in dieser Weise Impulse von der Psychotherapie erhält, besser ist als eine ohne solchen Einfluß. Der Theologe täte darum gut daran, mit der psychotherapeutischen Bewegung in Verbindung zu bleiben. Der Seelsorger und Pfarrer sollte sich aber darüber im klaren sein, daß er in seiner Arbeit nicht nur einzelnen Menschen, sondern auch der Theologie dient und dadurch vielen Menschen hilft, die er persönlich nicht erreichen kann. Es könnte sehr wohl sein, daß sie durch ein Predigen geheilt werden, das auf einer Theologie fußt, in der die Ergebnisse und Erfahrungen des psychotherapeutischen Denkens lebendig sind.

335

BIBLIOGRAPHISCHE

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NAMEN- U N D SACHREGISTER Bearbeitet von A. Müller

Äon 243,246, 247, 248, 249,250,329 Ästhetik 48 Äthiopische Kirche 294 Abendland, abendländisch 31, 33, 72, 113 Aberglauben 49, 163, 192, 195, 206, 248, 255, 263 Abgrund 286, 287, 288, 289, 291 — der reinen Göttlichkeit 152 — der Sinnleere 8 9 , 9 8 — der Vernunft 57 Abraham 103, 105 Absolute, das 33, 68, 117, 143, 206, 242 Absoluter Anspruch 69, 81, 193 Absolute Gewißheit 181 Absolute Gültigkeit 176 Absoluter Inhalt des Glaubens 181 Absolutes Prinzip (der Liebe) 19 Absolutes Schweigen 92 Absolute Überraschung 88 Absolutheit — des Christentums 280 — Christi 210 — Gottes 50 Absolutismus 203 Abstammung des Menschen 167 Accepting acceptance 233 Actus purus 291 Adäquate Vernunftkategorien 46 Adam 208, 247, 250 Adonis 249 Afrika 21 Agape 188, 189, 235, 311 Ahnenverehrung 156 Ahriman 248 Akt 37, 41, 42, 46, 57, 63, 66, 92, 96, 97, 98, 108, 114, 115, 116, 117,

118, 119, 122, 123, 125, 127, 132, 135, 136, 139, 145, 146, 180, 182, 203, 229, 230, 274, 317, 321, 322 Aktualität 213, 225, 227, 229, Aktuell 19, 213, 214, 235 Aleteia ( = Wahrheit) 222 Alexandrien, Schule von 107 Alte, das 225, 226, 239 Altes Sein 274

131, 162, 314, 234

Altes Testament 14, 56, 67, 73, 101, 102, 104, 112, 113, 120, 121, 143, 145, 157, 159, 169, 170, 186, 193, 210, 222, 253, 258, 261, 274, 282, 292, 293, 299, 302, 329 Amerika, amerikanisch 13, 14, 16,

338

17, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 48, 101, 130, 199, 206, 235, 237, 238, 261, 268, 271, 283, 298, 303, 307, 326, 328 Amt 68 Analogie, analog 155, 168, 225, 237 Analyse, analytisch 26, 75, 78, 125, 130, 139, 158, 173, 180, 205, 243, 293, 295, 307, 309, 311 Analytische Psychologie 114 Anfang 27, 218 Anfangs-Stadium 227 Angelsächsisches Rechtsdenken 204 Angelsächsische Theologie 17 Angelsachsen 261 Angst 25, 26, 49, 69, 175, 180, 216, 223, 270, 271, 272, 274, 309, 312, 313, 319, Anliegen -endliches 171, 184

126, 141, 147, 256, 266, 267, 275, 296, 307, 335

— höchstes 111, 112, 141, 144, 154, 157, 186 — innerstes 183, 196 - l e t z t e s 112, 11,3, 122, 123, 148, 153, 155, 162, 163, 164, 176, 177, 178, 184, 187 — transzendierendes 117 - u n b e d i n g t e s 112, 117, 122, 123, 137, 141, 142, 143, 156, 157, 159, 172, 175, 176, 178, 181, 182, 187, 189, 191, 192, 194 — vorläufiges 162, 164, 182, 188, 191 Annahme 314, 318, 321, 328, 329 Anpassung 20, 24 Anschauung Gottes 186 Anschauung, intellektuelle 93 Anselm von Canterbury 65 Ansprudi, unbedingter 286,290, 326 Anthropologie 16 Anthropomorphismus 215 Antiautoritär 68 Antichrist 248 Antidämonisch 291 Antijudaismus 294 Antiliberal 129 Antisemitismus 294 Antiutopisch 26 Antiphilosophisch 221,222 Antike, antik 33,, 70, 157, 158, 250, 291 Apokalypse des Baruch 243 Apokalyptik, orientalisch-jüdische 40, 244 Apokatastasis panton 247 Apollo 143 Apologetik, Apologeten 90, 91, 94, 106 Apostel, apostolisch 52, 74, 136, 163, 186, 216, 295, 298 Apostolisches Zeitalter 106 Archäologie 293 Archetypen, archetypisch 241, 249, 331 Arianismus 206, 210

Aristides 106 Aristoteles 95, 175, 230, 285, 291 Arius 206 Articulus stantis et cadentis ecclesiae 85, 89 Asien, asiatisch 21, 152, 154, 233, 240, 268, 278, 283 Askese, asketisch 185, 189, 23,4 Asklepios 242 Astronomie 166 Athanasius 210

32, 90, 92, 155,

Atheismus, Atheist, atheistisch 93, 142 Atom 34

18,

Auferstehung 104, 106, 110, 145, 146, 170, 200, 247, 249, 252, 305 Auferstehungshoffnung 259 Aufklärung 14, 76, 131, 158, 205, 254 Aufklärungsphilosophie 14 Augustin, Aurelius 87, 95, 107, 235, 236, 241, 244, 259, 285, 325, 327 Augustinisch-reformatorisdie Theologie 326 Augustus 243 Autonomie, autonom 31, 32, 33., 40, 61, 64, 68, 85, 88, 89, 97, 99, 107, 108, 127, 130, 192, 286, 289, 312 Autor 60 Autoritär 26,59, 60, 62, 63, 6 7 , 6 8 , 107, 129, 146, 160, 162, 196 Autorität 59, 60, 61, 62, 63, 65, 66, 67, 72, 76, 107, 108, 130, 131, 133, 134, 136, 137, 147, 160, 165, 221, 271, 274, 302, 312 — absolute 68 — autonome 64 — beschränkte 63 — dämonische 69 — faktische 61, 62 — fraglose 64 — funktionale 61, 64, 65, 67 — heteronome 64, 65, 66, 68, 69

339

— hypostasierte 61, 63, 64, 65, 67, 68, 69 — irrationale 61, 63, 65, 68 — partielle 61, 63, 65, 67 — rationale 61,63 — totale 61, 63, 65, 67, 68, 69 Autorität, unbedingte 63, 64 Autoritativ 88

257, 259, 306, 307, 314, 317, 320, 323, 327, 339 Bewußtseinsinhalt 183 Bewußtseinsphilosophie 306,307,308 Bibel 14, 15, 38, 59, 63, 65, 66, 67, 70, 74, 75, 77, 78, 99, 105, 106, 107, 108, 123, 131, 133, 137, 145, 146, 147, 163, 167, 169, 177, 202, 233, 239, 240, 271, 281, 293, 298, 301, 309

Babylonisdies Exil 170 Baidur 249 Barmherzigkeit 68, 201, 202 Barth, Karl 15, 18, 26, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 77, 97, 209, 214, 231, 297 Baudelaire, Charles 16, 307 Bedingte, das 34, 35,36, 37, 38,91, 117,131,141,147,181 Bedingtheit 35, 36, 39, 150 Begegnung 75, 81, 108, 145, 180, 189, 193, 194, 195, 270, 272, 297, 303 Begierde 216, 272 Begnadetheit 290, 291 Begriff 172, 219, 221, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 286, 287, 297, 304, 324, 330 — religiöser 240 (s. a. Symbol) Bejahung 72, 123, 129, 135, 136, 177, 181, 187, 189, 223, Beichte 314 Bekehrung 194, 195, 234, 332 Bekenntnis, Bekenntnisse 67, 131, 179, 194 Bergson, Henri 16 Berlin 14 Berkeley, George 15 Besessenheit 287, 288, 290, 291 Betroffensein, unbedingtes 65,182 Bewußtsein 32, 41, 42, 65, 72, 88, 92, 114, 116, 118, 146, 167, 174, 183, 184, 193, 205, 221, 226, 249,

— kritik 294 — sprüche 324 — Stellen: 1. Mose 3: 247 1. Mose 15,6: 103 1. Mose 17,4: 103, 2. Mose 20,19 ff.: 102 5. Mose 6,5: 113 1. Samuel 6,20: 102 Psalm 14,1: 102 Jesaja 6: 102 Jesaja 7,9: 103 Jesaja 11,6: 245 Jesaja 24,4: 245 Jesaja 28: 200 Jesaja 53: 103,249 Hosea 2,20: 245 Daniel 7,13.f.: 207 Matthäus 9,22: 243 Matthäus 12: 243 Matthäus 12,28: 248 Matthäus 19,28: 249 Markus 1,15: 104 Markus 2: 243 Johannes 1: 210 Johannes 1,18: 207 Johannes 12,31: 248 Johannes 16,28: 207 Apostelgeschichte 3,21: 249 Römer 8: 119,248 Römer 9 - 1 1 : 282 l.Korinther 15,45-49: 208,252 1. Korinther 17: 118 Philipper 2,5-11: 206, 207

340

Hebräer 11,1: 105,106 1. Johannes 5,19: 260 Bibelverständnis 167 Bibelwort 107 Biblizismus 70, 109 Biblisch 267, 269, 293, 295, 299, 329 Biblische Anschauung 230 Biblisches Denken 211 Biblische Erzählung 210 Biblischer Gedanke 215 Biblische Geschichten 170 Biblische Lehre 208 Biblische Literatur 73, 236 Biblische Religion 102, 221, 222 Biblisches Schrifttum 187 Biblische Terminologie 52 Biblische Theologen 221 Biologie, biologisch 166, 169, 191, 213 Biologische Struktur 62, 146 Bloch, Ernst 258 Böhme, J a k o b 246, 295, 306 Böse, das 1 2 1 , 1 5 8 , 2 0 1 , 2 0 2 , 2 2 4 , 241, 248, 259, 295 Brahman 206 Brunner, Emil 48, 94, 95, 286, 297 Buber, Martin 293, 295, 297, 298 Buddha, Gautama 170, 279 Buddhismus 157, 187 Bund 102, 157, 245, 298, 300, 301 Bultmann, Rudolf 26, 230 Burdach, Konrad 250 Bürgerliche Gesellschaft 158 Burdchardt, J a k o b 16 Bußsakrament 86

Calvin, Johannes 14, 87, 88, 109, 110, 176, 261, 306, 307 Calvinismus 14, 19, 88, 296, 307 Calvinist, calvinistisdi 17, 44, 189, 237, 238, 244, 3.28 Cartesianismus, cartesianistisch 237, 238, 306

341

Chaos, chaotisch 203, 224, 250, 271, 286 Chassidismus 295 Chiliasmus 244 China, chinesisch 156, 267, 268 Christ 66, 106, 126, 181, 218, 241, 252, 254, 256, 281, 295, 302, 314, 317, 332 Christengemeinschaft 290 Christenheit 71, 199 Christenleben 332 Christentum 14, 16, 19, 20, 32, 38, 54, 60, 73, 75, 79, 81, 86, 99, 103, 106, 125, 131, 146, 148, 157, 159, 160, 164, 177, 181, 186, 187, 193, 194, 195, 199, 202, 212, 215, 230, 241, 253, 257, 258, 260, 261, 263, 268, 271, 272, 277, 280, 281, 283, 284, 289, 292, 299, 300, 301 Christentum, humanistisches 54 Christentums, Wesen des 15 Christlich 18, 40, 44, 54, 56, 68, 71, 72, 73, 74, 99, 101, 108» 128, 131, 148, 158, 159, 166, 170, 192, 199, 202, 204, 205, 206, 213, 215, 217, 218, 219, 220, 230, 233, 238, 240, 241, 246, 247, 250, 252, 253, 254, 255, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 265, 269, 271, 275, 276, 277, 278, 279, 283, 284, 289, 292, 294, 303, 309, 314, 323, 329, 331, 3.32 Christologie, christologisch 93, 94, 99, 197, 209, 210, 215, 231, 232, 246, 273, 274, 289 Christozentrisch 96 Christus, der 32, 36, 40, 42, 44, 53, 55, 59, 66, 68, 69, 73, 77, 81, 87, 93, 94, 95, 97, 99, 100, 101, 104, 107, 109, 126, 146, 148, 152, 170, 177, 179, 181, 187, 195, 200, 208, 209, 210, 211, 215, 216, 217, 218, 219, 230, 231, 241, 249, 250, 252, 253, 261, 273, 274, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 289, 301, 331

Christus der Herr 67, 68 Christus, in 233 Christus im Geist 215 Christus nach dem Fleisch 68 Christusgedanke 230 Christusglaube 107 Christusmystik 87, 88, 102 Clemens von Alexandrien 107, 245 Complexio oppositorum 100 Credo ut intellegam 65 Cromwell, Oliver 261

Dämon 38, 49, 50, 56, 69, 97, 98, 99, 112, 166, 230, 248, 289, 291 Dämonie 38, 39, 288, 289, 290, 291 Dämonisch 20, 45, 49, 69, 95, 98, 100, 105, 121, 122, 128, 129, 162, 176, 180, 188, 189, 193, 204, 230, 237, 244, 247, 248, 250, 253, 260, 274, 277, 285, 286, 287, 290, 314, 332 Dämonische, das 44, 45, 92, 99, 121, 238 Dämonisierung 38, 44, 45, 130 Dante Alighieri 313 Dasein 25, 36, 42, 43, 90, 124, 257, 259, 308, 312, 313 Daseinsurteil 222 David, König von Israel 245 Deismus 14 Demokratie, demokratisch 18, 19, 51, 62, 189, 193 Denomination 20, 22, 199 Descartes, René 15, 306, 307 Determinismus 227, 251, 314 Deus absconditus 94, 98 Deuterojesaja 249 Deutschland, Deutsch 14, 16, 17, 18, 21, 24, 48, 53, 93, 95, 204, 205, 209, 210, 211, 261, 302, 307 Dessoir, Max 285 Devas 244 Diadodien 243 Dialektik, dialektisch 31, 41, 45, 49,

86, 94, 209, 210, 211, 214, 286, 329 Dibelius, Martin 207 Dimension 25, 78, 80, 134, 140, 167, 168, 169, 175, 182, 238, 257, 315, 317, 318, 325, 331, Ding 31, 34, 36, 37, 54, 72, 88, 144, 146, 151, 153, 154, 172, 221, 222, 223, 227, 229, 251, 297, 320 Divinity Schools 22 Dogma 14, 21, 59, 67, 87, 127,

285,

166, 242, 334 123, 206, 273,

165,

181,187,272,289,298, 299 dogmatisch 17, 78, 109, 152, 285, 291, 296 Dogmengeschichte 87 Dostojewski), Feodor Michailowitsch 16, 66, 305, 307, 312 Drama 16, 25, 140 Dreifaltigkeit 71, 98, 299 Du, das 221 Dudley-Stiftung 47, 59 Duns Scotus 306 Dura Europos 296 Durchbruchsbegriff 86 Durchbruchscharakter 94 Durdibruchsprinzip 85, 88 Dynamik, dynamisch 19, 72, 81, 100, 113, 114, 119, 122, 127, 130, 131, 149, 150, 151, 158, 159, 160, 178, 179, 196, 204, 223, 261, 262, 299, 332 Dynamik des Glaubens 178

Ebed-Jahwe-Lieder 249 „Ehre Gottes" 44, 147, 189, 278 Eckehart, gen. Meister 291 Ehrfurcht 101, 102 Eigene, das ganz 34, 35, 96 Eigene, das Unbedingt- 37 Eigene, das Eigenste 35,123 Einheit 213, 214, 216, 234, 238, 239, 242, 243, 258, 263, 276, 277, 287, 289, 334

342

- Gott-Mensch- 209,210,211,212, 214,215,216,217,219 — religiös-kulturelle 271 Eine, das 187,206,259,263 Einzelne, der 44, 62, 63, 99, 104, 112, 129, 145, 149, 150, 151, 158, 200, 201, 202, 204, 218, 239, 240, 2+4, 250, 252, 253, 254, 255, 261, 262, 263, 277, 278, 279, 326, 330, 331 Ekstase, ekstatisch 57, 71, 74, 115, 116, 119, 120, 149, 152, 153, 160, 162, 163, 164, 180, 182, 220, 221 Eliot, Thomas Stearns 315 Emanation 72 Emmission 168 Emotion, emotional 23, 234, 235 Empedokles 243 Empirismus, empirisch 17, 20, 22, 36, 76, 124, 208, 213, 214, 217 Enderwartung 194 Endliche, das 72, 90, 91, 95, 119, 120, 122, 147, 151, 152, 153, 154, 155, 180, 181, 208, 214, 215, 216, 249, 255, 259, 296, 327, 334 Endliches Denken 65,90 Endliches Universum 72 Endliche Wirklichkeit 141 Endlichkeit 23, 37, 57, 104,109, 124, 126, 143, 150, 154, 162, 164, 175, 178, 179, 185, 209, 211, 213, 214, 216, 228, 274, 307, 308, 309, 319, Endlichkeitscharakter 162 Energie England 14, 15, 211, 261 Entfremdung 62, 154, 163, 164, 175, 178, 185, 193, 227, 228, 230, 233, 235, 251, 258, 259, 260, 272, 273, 274, 275, 307, 308, 309, 310, 313, 319, 320 Enthusiasmus 109 Entmenschlichung 162 Entmythologisierung, entmythologisieren 146, 154, 192, 230 Entscheidung 64, 116, 121, 122,128,

130, 131, 136, 170, 207, 224, 265, 266, 287, 3.14, 326 Entwicklung 31, 48, 49, 50, 54, 62, 63, 79, 86, 89, 103, 104, 106, 110, 121, 166, 174, 212, 281, 289, 293, 294, 296, 299, 304, 310, 325 Entwicklungsgeschichte 241 Entwicklungstheorie 167 Epheserbrief 253 Epiphanie 144 Episkopalkirche 20, 206 Episcopus, Summus 18 Epoche 59, 140, 161, 240, 250, 276 Epos 169 Erasmus von Rotterdam 306 Erbsünde 189, 272 Ereignis 52, 65, 73, 74, 75, 103, 133, 144, 150, 164, 167, 168, 171, 174, 177, 201, 205, 207, 217, 218, 219, 226, 250, 252, 277, 301, 3,31 Ereignis 41,150 Erfahrung 22, 24, 33, 51, 53, 71, 75, 76, 81, 100, 117, 119, 120, 122, 123, 134, 139, 142, 143, 145, 149, 152, 153, 155, 157, 163, 169, 173, 179, 184, 192, 193, 204, 250, 263, 295, 296, 299, 300, 302, 322, 327, 329, 334, 335 Erfahrung — christliche 218 — ekstatische 71, 72, 73, 152, 162, 221 — mystische 152, 153, 160 — prophetische 73, — religiöse 17, 52, 53, 54, 56, 128, 177, 194, 205 — sakramentale 160 „Erfolg im Leben" 113, 119, 123, 141, 184, 190 Erfüllung 218, 224, 226, 227, 237, 238, 239, 242, 254, 255, 257, 259, 260, 277, 284, 301, 318 Erfüllungsgedanke 229 Ergreifen 43 Ergriffenheit 175

343

Ergriffensein 1 1 1 , 1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 7 , 1 1 8 , 119, 120, 124, 126, 128, 132, 136, 138, 142, 143, 144, 148, 151, 154, 161, 171, 178, 180, 182, 183, 184, 186, 187, 189, 190, 193, 194, 196, 232, 233, 235 Ergriffenwerden 43 Erkennen 33, 34, 64, 90, 92, 9 7 , 1 0 6 , 132, 164, 173, 216, 290 Erkenntnis 20, 23, 33, 40, 41, 42, 78, 92, 107, 109, 111, 116, 132, 133, 135, 138, 162, 168, 179, 194, 199, 246, 267, 295, 327 Erkenntnisakt 132, 135, 165, 229 Erkenntnisfunktion 116,306 Erkenntnistheorie 173 Erkenntnisvermögen 165 Erkenntniswerte 112 Erlöser 144, 245 Erlösergestalten 249 Erlösergott 249 Erlösung 49, 50, 202, 219, 225, 230, 240, 241, 242, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 260, 273, 278, 309, 313, 318, 327, 331, 334 Erlösungsgedanke 229 Erlösungsgewißheit 50 Eros 113, 183, 188, 189, 235, 311 Erscheinung 289 Erschütterung 43, 44, 45, 46 Erwählung 88 Erwartung 200, 213, 219, 226, 301 Erweckungsbewegung 14 Erziehung 46, 62, 179, 189, 269 Erzväter 120 Esdiatologie 240, 242, 244, 247, 249, 250 Eschatologisch 51, 95, 110, 218, 237, 242, 249, 301 Eschaton 242 Essentialstruktur 226, 230, 232 Essentiell 23, 54, 58, 62, 63, 64, 186, 210, 211, 212, 213, 214, 216, 217, 219, 226, 227, 228,

226,

175, 215, 231,

344

233, 312, Essenz 214, 311,

234, 235, 239, 308, 309, 310, 313 54, 62, 154, 210, 211, 213, 218, 227, 229, 23.0, 234, 310, 315

Ethik 36, 48, 56, 76, 100, 187, 191, 192, 193, 199, 203, 290 Ethisdi 68, 76, 89, 93, 131, 139, 150, 155, 156, 159, 189, 250, 262, 285, 287, 299, 300, 302 Ethos 87, 154 Eudämonistisch 201 Europa, Europäer, europäisch 1 7 , 1 8 , 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 182, 302, 303, 319 Evangelisch 86, 87, 107 Evangelium 265, 266, 267, 268, 275 Ewige, das 54, 72, 81, 91, 103, 123, 167, 206, 223, 238, 239 — das Ewig-Eine 259, 263 Ewiges Leben 110, 129, 247, 252, 254, 255, 263, 264, 335 Ewige Verdammnis 129 Ewigkeit 213, 216, 23,8, 242, 255, 256, 263, 274, 319 Ewigkeitsdiraension der Geschichte 238 Existential 45 Existentialanalyse 228 Existentialismus 16, 25, 211, 228, 298, 304, 305, 308, 309, 310, 311, 313, 3,14, 315, 324, 329 Existentialistisdi 25, 26, 259, 298, 305, 307, 311,313 Existentialurteil 220 Existentiell 18, 23, 54, 57, 58, 62, 63, 75, 78, 79, 119, 125, 126, 135, 136, 156, 169, 172, 186, 210, 211, 213, 214, 217, 226, 227, 228, 233, 234, 241, 265, 268, 270, 274, 297, 308, 309, 310, 311, 312, 313, 315 Existenz 19, 23, 25, 31, 34, 3,6, 44, 50, 54, 55, 57, 58, 61, 62, 72, 77, 102, 111, 135, 143, 145, 150, 153, 163, 167, 168, 174, 191, 193, 205,

208, 210, 216, 218, 231, 232, 255, 259, 274, 278, 307, 308, 322, 332, Existenz

211, 219, 234, 260, 282, 310, 334,

212, 225, 240, 266, 290, 311, 335

213, 227, 242, 267, 292, 315,

214, 229, 244, 269, 297, 317,

215, 230, 245, 270, 302, 318,

— eigentliche 312 — uneigentliche 312 Existenzform 286 Existenzmöglichkeit 287 Existenzphilosophie 57, 308 Experiment 22, 91, 165, 168, 173 Extra ecclesiam nulla salus 89

Form — ethische 156 — ewige 54 — hierarchische 87 — juristische 156 -konkret-mythische 32 — konventionelle 156 — reine 31 — religiöse 59 — des Durchbruchs 90 — des Glaubens 159 — der Gnade 90 — der Vernunft 61 Formalprinzip 85 Fortschritt 23, 26, 48, 49, 90, 97, 166, 278, 329

Fakten 27, 80 Faktische Autorität 62 Fall Adams 62, 86, 175,208, 213 Familie 51, 62, 112, 191 Fanatiker, Fanatismus, fanatisch 111, 128,146,179,188,194,195,215,333 Farbige 268 Fascinosum 120 Faschismus 237 Faszination 101, 120, 121, 149, 184 Faust, Goethes 224 Feudalismus 51 Feudalsystem 19, 158 Feuerbach, Ludwig 50 Fides — formata 107 — informis 107 — qua creditur 118 — quae creditur 118 Finkelstein, Dr. 296 Flaubert, Gustave 16 Form 72, 74, 81, 96, 98, 99, 107, 124, 126, 127, 129, 135, 136, 145, 146, 148, 149, 153, 154, 155, 158, 165, 173, 175, 177, 188, 192, 193, 196, 200, 201, 208, 210, 212, 224, 226, 257, 258, 260, 263, 270, 273, 278, 286, 287, 288, 289, 291, 298

345

Fortschrittsglaube 62, 157, 159, 259, 262, 291 Fortschrittsutopie 26, 155, 157, 159 Fragmentarische Heilung 334, 335 Frankfurt/M. 13 Frankreich 14, 15, 16, 211 Franziskaner 107, 254 Freiheit 19, 54, 58, 60, 66, 68, 70, 114, 127, 129, 162, 168, 174, 175, 212, 214, 216, 224, 228, 247, 276, 288, 309, 312, 313, 314, 325, 326 Fremde, das 36, 235 Freud, Sigmund 16, 61, 114, 115, 167, 168, 248, 304, 307, 310, 311, 312, 328 Frieden 202, 203, 244, 245, 246, 260 Fromm, Erich 60, 304, 312 Frühkapitalismus 19 Frühkultur 32 Frühmittelalter 65 Fundamentalismus 70, 160, 298 Funktion 68, 80, 96, 114, 116, 132, 136, 139, 161, 164, 165, 232, 276, 279, 282, 283, 293, 3,17, 333, 334 Funktionale Autorität 61, 63, 64, 65, 67 Furcht 88, 92, 99, 101, 102, 116 Fürsorge 316, 317, 318

Galilei, Gailileo 306 Ganze, das 256,273 Ganze, das ganz andere 120,121 Ganze, das ganz eigene 34, 35 Ganzheit 243, 3.14 Geborgenheit 125 Gebot 51, 62, 79, 106,136,146, 212, 213, 217, 218, 273, 333 - d a s erste 68, 112, 113, 146, 186 Gefühl 23, 50, 64, 91, 105, 116, 117, 120, 125, 137, 138, 139, 142, 188, 206 Gegenseitigkeit 322 Gegenstand 31, 35, 36, 43, 56, 88, 90, 96, 123, 128, 134, 137, 141, 144, 145, 150, 152, 153, 155, 177, 178, 182, 186, 187, 190, 205, 206, 253, 257, 263, 276, 288, 297 Gegenstandswelt 31 Gegenwart 53, 55, 76, 87, 91, 92, 102, 120, 131, 143, 152, 160, 162, 176, 195, 220, 233, 242, 247, 248 gegenwärtig 254, 255, 256, 287, 290, 295, 300, 301, 305, 326, 327, 331, 333 Gehalt 31, 32, 54, 123, 128 Gehorsam 104, 121, 138, 147, 157, 231 Geist 31, 32, 33, 34, 36, 37, 47, 52, 64, 68, 70, 72, 76, 98, 103, 106, 115, 125, 127, 132, 135, 149, 159, 160, 161, 163, 165, 167, 174, 180, 185, 205, 233 — amerikanischer 19, 25 - d e r Heilige 52, 59, 68, 86, 159, 163 — der Konkurrenz 113 — forschender 147 - G o t t e s 110, 119 — Lehre, paulinische 233 — menschlicher 148 — moderner 14, 16 Geistbegriff, paulinisdier 160 Geister 99 Geistesform 37

Geisteshaltung 199 Geistesgeschidite 27, 33, 285 Geisteslage 85 Geistesleben 25, 27, 273 Geisteskrankheit 185 Geisteswelten 34 Geistige, das 244 Geistiges Anliegen 111 Geistige Autonomie 130 Geistige Existenz 31 Geistiger Gehalt 32 Geistige Kräfte 182 Geistige Lage 32,33,38 Geistiges Leben 116,161,163,183 Geistiger Leib 256 Geistige Selbstaufgabe 65 Geistige Substanz 24 Geistiges Tun 185 Geistiger Vorgang 183 Geistige Werke 109 Gelassenheit 178 Gemeinde Christi oder Gottes 236 latente 236 manifeste 236 Gemeinsamkeit 322 Gemeinschaft 32, 44, 70, 112, 127, 128, 129, 131, 140, 144, 145, 148, 149, 154, 162, 164, 171, 176, 190, 191, 192, 202, 213, 229, 236, 237, 247, 260, 274, 277,279, 327,332 generell 41, 45 Genesis 170 Gerechtigkeit 51, 86, 102, 103, 109, 112, 115, 121, 123, 143, 149, 157, 158, 160, 193, 194, 203, 244, 260, 299, 300, 301 — strafende 199 Gericht Gottes 67, 91, 98, 99, 100, 105, 131, 140, 149, 181, 201, 213, 256 Geschehensprozeß, immanenter 43 Geschichte 17, 26, 27, 33, 44, 45, 46, 49, 51, 52, 54, 55, 56, 57, 58, 63, 69, 72, 74, 78, 99, 100, 103, 105, 109, 110, 129, 138, 140, 146,

346

147, 148, 150, 155, 159, 160, 164, 168, 170, 171, 172, 175, 187, 191, 193, 194, 200, 201, 204, 218, 224, 225, 226, 227, 230, 237, 238, 239, 240, 242, 246, 248, 249, 253, 254, 258, 261, 262, 264, 266, 267, 271, 272, 276, 277, 279, 282, 283, 289, 301, 302, 335 Geschichtlich 33, 48, 53, 55, 57, 58, 63, 65, 72, 74, 80, 148, 169, 203, 208, 211, 217, 224, 237 Geschichtlichkeit 227 Geschichtsbewußtsein 26 Geschichtsforschung 169, 173 Geschichtsoptimismus 62 Geschichtsmythus 148 Geschichtsperiode 101 Geschiditszusammenhang 33 Geschöpf, altes 52, 70, 200, 213, 214, 215 Geschöpf, neues 52 Gesellschaft 18, 25, 51, 62, 63, 95, 99, 102, 129, 130, 140, 158, 179, 244, 248, 249, 254, 260, 262, 265, 269, 273, 290, 297, 301, 312, 317, 329 Gesellschaft, klassenlose 51 Gesellschaft, totalitäre 190 Gesellschaftsform 31 Gesellschaftsgesetz 157 Gesellschaftslage 33 Gesellschaftsordnung 51, 189 Gesellsdiaftsstruktur 204 Gesellschaftssystem 155 Gesetz, gesetzlich 46, 47, 61, 68, 86, 87, 88, 89, 90, 92, 95, 106, 121, 130, 135, 149, 155, 156, 157, 158, 170, 188, 200, 202, 213, 217, 231, 232, 237, 243, 274, 288, 291, 295, 300, 3.01, 307, 328 Gesetzesreligion 159, 282, 300, 333 Gesetzesschule 296 Gestalt 286, 287, 288 Gestaltpsychologie 243 Gestirn 34

Gesundheit 243 Gewißheit 320 — innere 195 — letzte 135 — pragmatische 124 - r e l i g i ö s e 50, 77, 86, 91, 122, 123, 124, 126, 134, 135, 143, 171, 178, 180, 181 — wissenschaftliche 132, 133, 135 Gewissenskonflikt 332 Ginsberg, Prof. 293, Glaube 50, 56, 57, 65, 68, 79, 81, 83, 87, 96, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 122, 124, 125, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 141, 142, 143, 144, 147, 148, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 158, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 170, 171, 173, 175, 176, 177, 178, 181, 182. 184, 185, 186, 187, 188, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 256, 257, 262, 263, 270, 281, 331, 332, 333 Glaube — calvinistischer 189 — dynamischer 131 -ekstatischer 95, 109, 115, 116, 119 — expliziter 108 - f a l s c h e r 119 — humanistischer 154, 155, 157, 158, 159,189,191 — impliziter 108,109, 110 — jüdischer 157,187 — katholischer 189 — lebendiger 132,152,179,199 — mystischer 152,153,154, 155 — philosophischer 174 — politischer 193 — protestantischer 150,189 — sakramentaler 153,155 — schöpferischer 129 — wagender 81,179

347

- w a h r e r 119,122,130 - w e l t l i c h e r 155, 157, 158, 194 Glaubensakt 97, 107, 118, 120, 122, 124, 125, 126, 127, 131, 13.2, 142, 145, 148, 150, 151, 152, 153, 323 Glaubensausdruck 127, 131, 149, 167, 168, 177, 191, 194, 195, 196 Glaubensbegriff 101, 103, 105, 106, 108, 109, 125, 160, 165, 196 Glaubensbekenntnis 106, 127, 128, 129, 130, 194 Glaubensbeziehung 151 Glaubenscharakter 189 Glaubenselemente 168, 174, 180, 187,189 Glaubenserfahrung 107, 149, 194 Glaubensentscheidung 156 Glaubensform 149, 156, 159, 195 Glaubensgehorsam 136, 137, 171 Glaubensgemeinschaft 127, 128, 129, 130, 131, 132, 183, 190, 191, 192, 193, Glaubensgewißheit 135 Glaubensheilung 184 Glaubensidee 104, 108 Glaubensinhalt 108, 109, 113, 114, 118, 136, 143, 148, 149, 156, 157, 159, 178, 181 Glaubensleben 150, 158, 163, 177, 180, 190, 192 Glaubensorgan 107 Glaubensquelle 117, 139 Glaubenssprache 141, 145,146 Glaubenssprung 327 Glaubensstruktur 126 Glaubenssymbol 144, 147, 149, 176, 179 Glaubenstypen 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 157, 158, 160, 161, 176, 178, 181, 183, 186, 189 Glaubensüberzeugung 168 Glaubensvorstellung 104, 128 Glaubenswahrheit 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177 Glaube als Fürwahrhalten 132, 134,

135,136,142,144,147,148,169, 182,186 Glaube als das, was uns unbedingt angeht 187,189 Glaube und Tun 186, 188 Glaube und Wissen 136 Gleichheit 19 Glück 57, 201 Gnade 56, 57, 86, 87, 88, 90, 94, 98, 108, 109, 136, 141, 184, 193, 199, 249, 273, 275, 289, 301, 314, 315, 326 Gnadenbesitz 88 Gnadenmittel 330 Gnadenoffenbarung 100 Gnadenwort 95 Gnosis 97, 106, 107 Goethe, Johann Wolfgang von 15 Gogarten, Friedrich 94, 286 Gogol, Janovskij 16 Goldstein, Kurt 66 Götter 69, 98, 144, 145, 166, 184, 206, 230, 247 Götzendienst 119, 128, 146, 164, 177, 181, 184, 195, 229, 248 Götzendienerisch 67, 122, 129 Götzenglauben 147, 184, 185, 188 191 Gott 17, 19, 20, 21, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 56, 57, 59, 63, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 75, 76, 78, 79, 80, 81, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 98, 101, 102, 103, 104, 106, 107, 109, 110, 112, 113, 118, 119, 123, 135, 136, 137, 141, 142, 143, 144, 145, 147, 155, 163, 178, 180, 181, 186, 187, 188, 189, 195, 199, 200, 201, 206, 207, 208, 209, 210, 214, 215, 216, 220, 221, 222, 229, 231, 233, 235, 245, 247, 253, 255, 256, 258, 260, 273, 275, 278, 281, 291, 296, 297, 298, 299, 300, 309, 314, 323, 325, 326, 327, 328, 329, 331, 332, 333, 334 Gott-Heilbringer 243

348

Gottmensch 246 Gott über Gott 69 Gottesbeweis 50, 91 Gottes Ebenbild 50, 71, 209, 215 Gotteserfahrung 55, 327 Gottesgedanke 93, 102, 174, 199, 229, 327 Gottesidee 48, 51, 118, 327 Gottessohn 52, 106, 230 Gottesverständnis 327 Gottesvorstellung 142, 201, 209, 327 Gott, dämonischer 69 Gott, lebendiger 223 Gott, offenbarer 200 Gott, polytheistischer 69 Gott, verborgener 200 Gottheit Christi 42 Grenze 54, 88, 92, 203, 211, 225, 226 Greßmann, Hugo 249 Griechen, griechisch 31, 70, 87, 103, 105, 106, 107, 157, 159, 173, 210, 219, 222, 240, 243, 255, 268, 271, 274, 283, 284, 293 Griechenland 16, 144 Griechentum 156 Grund 70, 92, 96, 97, 98, 150, 157, 226, 229, 230 Grund des Menschen 70 Grund des Seienden 69 Grund des Seins 59, 61, 62, 64, 71, 72,78, 152, 153, 182, 226,229, 230, 235, 249, 259, 263, 275, 286, 287, 289, 299 Grund des Sinns 153 Grund jedes geistigen Aktes 37 Grundgesetz 130 Grundoffenbarung

91, 92, 93, 94,

95, 96, 97, 98, 99, 100 Grundprinzip 177 Grundstruktur 134, 172 Gruppe 44, 60, 79, 128, 150, 151, 160, 181, 191, 236, 237, 249, 254, 349

268, 277, 278, 279, 294, 302, 330, 331 Gute, das, gut 101,115,121,124,158, 201, 234, 241, 258, 259, 277, 298, 309

Häresie, Häretiker 129 Halle/Saale 14 Hamann, Johann Georg 307 Harmonische Entwicklung 62 Harnack, Adolf von 15,258 Hartmann, Nikolai 307 Hegel, Friedrich Wilhelm 15, 45, 57, 95, 173, 201, 209, 307 Hegelianismus 211 Heidegger, Martin 16, 72, 125, 308, 311, 3,12 Heiden, Heidenchristen, Heidentum 41, 52, 53, 56, 73, 87, 104, 193, 206, 208, 210, 278, 279, 280, 282, 295, 302 Heil 89, I I I , 188, 240, 241, 242, 243, 244, 247, 250, 331 Heiland 242, 243, 248, 274 Heilig, das Heilige 31, 36, 52, 59, 60, 64, 74, 80, 81, 95, 96, 101, 102, 119, 120, 121, 144, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 157, 158, 160, 162, 281, 282, 285, 288, 289, 290, 296, 299, 300, 301 Heilige Schrift 67, 70, 74, 85, 88, 99, 163, 169 Heiliger Geist 52, 59, 68, 159, 163, 254, 322, 332 Heiligkeit 36, 59, 80, 102, 121, 144, 149, 157, 179 Heiligung 332 Heilsgedanke 244 Heilsgeschehen 240, 242, 245 Heilsgeschichte 230, 231 Heilsgewißheit 90 Heilsglauben 96, 97, 100 Heilsgott 242 Heilsmysterien 243,

Heilsoffenbarung 93, 97, 98, 99 Heilsordnung 332 Heilsungewißheit 89 Heilung 225, 230, 232, 233, 234, 235, 237, 244, 273, 311, 312, 323, 329, 332, 334, 335 Heilungsaspekt 332 Heilungsmacht 332 Heilungspsychologie 235 Heilsein 333 Heim, Karl 94 Hellenistisdi 39, 159, 241, 268 Heroenkult 216 Heroismus 56 Herr, der 6 7 , 6 8 , 207 Heteronomie 61, 62, 63, 64, 65, 67, 68, 69, 106 Hierardiie 21, 63, 87, 100, 144, 253, 271, 274, 299, 301 Hinduismus 259 Hirsch, Emanuel 93 Hitler, Adolf 16, 18 Hoffnung 103, 110, 123, 195, 217, 220, 238, 252, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 278, 291 Holl, Karl 85 Horizont, horizontal 19, 20, 22, 23, 239 Horney, Karen 304 Humanismus, humanistisch 49, 54, 60, 77, 88, 99, 108, 127, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 189, 192, 215, 246, 278, 279, 280, 283, 286, 311, 333 Humanisten 306 Hume, David 15, 173, 175 Hybris 272 Hyos theu = Gottes Sohn 52,106,230 Hypostasierte Autorität 6 1 , 6 2 , 6 3 , 6 4

Ibsen, Henrik 16 Idi, das 114,143, 167, 221, 251, 287, 307

Ich-Du-Beziehung 297, 298, 299 Ich-Du-Erlebnis 221 Ich-Es-Beziehung 298 Idealismus 22, 55, 93, 95, 199, 211, 212, 214, 227 Idealistisch 23, 33, 45, 89, 93, 217 Idee 22, 26, 31, 37, 50, 51, 54, 57, 110, 143, 154, 168, 207, 209, 229, 241, 244, 246, 250, 251, 254, 293, 303, 307, 329, 331 Ideal 298 — der Offenbarung 34, 37, 39 Ideenschau 3,1 Identität, identisch 50, 52, 91, 102, 187, 226, 229, 263 Identitätsphilosophie 95 Ideologie, ideologisch 18, 50, 168, 244 Ignatius von Antiochien 247 Immanent 43, 103 Imperium, römisches 268, 271 Implikation 27 Impulse 335 Inadäquate Vernunftkategorien 46 Inder 187, 266 Indien 144, 173, 257, 266 Indische Gottheiten 121 Indische Religionen 194 Individualethik 14 Individualismus 127 Individualität 155, 213, 216, 224, 255 Individuell, Individuum 61, 79, 85, 103, 116, 126, 144, 189, 208, 226, 230, 236, 237, 238, 245, 248, 264, 266, 270, 297 Industriegesellschaft 306, 329 Inkarnation 72, 73, 74, 144, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 266, 270, 297 Inspiration 43, 59, 72, 73, 74, 75 Integration, integrierend 182, 183, 184, 185, 186 Intellektuelle Ansdiauung 93

350

Intellektuelle Redlichkeit 171 Intellektualismus, intellektualistisdi 97, 101 Intoleranz 194 Intuition, intuitiv 33, 38, 40, 97,190 Irrational, »rationalistisch 33, 50, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 98, 152, 162, 203, 204, 306, 307, 312 Irenaus 245 Isis 244 Islam 156, 157, 193, 257, 258, 296 Israel 244, 249, 252, 299, 300, 301 Italien 15

Jahrhundert 25, 40, 49, 76, 86, 158, 167, 199, 228, 232, 248, 254, 259, 262, 272, 278, 298, 299, 303, 305, 306, 307, 308 Jahwe 73, 102, 103, 113, 143, 222 James, William 16 Jaspers, Karl 16,174 Jesaja 102, 103, 104, 109 Jesus 36, 40, 67, 68, 73, 74, 93, 98, 105, 106, 126, 156, 169, 170, 171, 179, 181, 200, 206, 215, 216, 217, 231, 241, 243, 244, 245, 248, 249, 252, 253, 261, 270, 271, 277, 278, 280, 281, 283, 284, 293, 294, 328, 329, 3.31 Joadiim von Floris 244 Johannes 206, 207, 271 Johannes der Täufer 243, 253 Johannesevangelium 67, 72, 105, 181,233,247, 294 Jüdisches Volk 55, 68, 86, 101, 105, 112, 148, 156, 158, 244, 253, 255, 257, 258, 262, 268, 282, 283, 292, 294, 296, 297, 298, 299, 301, 302, 303 Judentum 41, 70, 103, 105, 156,157, 191, 193, 207, 229, 230, 278, 279, 280, 282, 283, 289, 292, 293, 294, 296, 298, 299, 300, 301 Judaismus 241

Judenchristentum 294, 295 Jung, Karl Gustav 16, 241, 304, 311, 312, 331 Justitia imputata 97

Kabbala 295 Kairos 220 Kali ( = indische Gottheit) 121 Kaliyuga ( = das Zeitalter der völligen Sündhaftigkeit) 245 Kafka, Franz 312 Kant, Immanuel 15, 57, 61, 88, 93, 94, 95, 173, 175, 228, 250, 285 Kantianer 88 Kategorie 41, 42, 44, 46, 47, 48, 54, 57, 61, 65, 80, 94, 172, 211, 212, 214, 224 Katholik, katholisdi 21, 86, 87, 88, 89, 100, 104, 151, 152, 189, 268, 325 Katholizismus 74, 87, 107, 160, 254, 261, 296 Kausalität 80, 168, 211 Kenosis ( = Selbstentäußerung) 209 Kierkegaard, Sören 16, 26, 45, 211, 228, 297, 298, 307, 327 Kirche 17, 18, 20, 21, 38, 42, 44, 53, 59, 60, 63,, 65, 66, 67, 68, 75, 88, 90, 99, 107, 108, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 135, 136, 147, 160, 170, 175, 177, 186, 189, 192, 193, 202, 204, 206, 218, 219, 233, 236, 241, 244, 249, 252, 253, 254, 260, 261, 268, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 284, 287, 289, 293, 294, 295, 299, 301, 3,15, 321, 327, 328, 329, 330, 331, 332 Kirche — alte 88,98 — anglikanische 315 — junge 21 — latente 236

351

- m a n i f e s t e 236, 278, 279, 280, 281, 282,283 — russisdi-orthodoxe 261 — griechisch-orthodoxe 271 Kirdiengesetz 21, 88 Kirchengeschichte 68, 87, 106, 186, 231, 232, 240, 261, 271, 294 Kirchenstrafen 128 Kirchenväter 271 Klassik, klassisch 14, 15, 16, 21, 32, 61, 62, 75, 101, 102, 103, 118, 136, 159, 186, 205, 209, 210, 223, 229, 241, 261, 295 Klausner, Prof. 294 Kollektiv, Kollektivismus 51, 116, 140, 241 Kollektiv-Unbewußte, das 238 Kommunismus, kommunistisch 18, 157, 257 Komplex 50 Komplexverhaftung 287 Kompromiß 90, 97, 199 Konfession 49 Konflikt 138, 145, 163, 164, 165, 166, 167, 171, 178, 241, 270, 274, 292, 293, 300, 306, 323, 334 Konformismus 22 Konformismus, britischer 14 Konfuzianismus, Konfuzius 156, 157,279 Konkret, Konkretheit, Konkretion 32, 35, 37, 38, 41, 44, 45, 65, 67, 123, 125, 129, 130, 131, 135, 139, 142, 143, 152, 153, 159, 165, 176, 180, 181, 184, 193, 194, 196, 227, 230, 234, 281 Konservativ 253, 254 Kontinental, Kontinentaltheologie 17, 19, 24 Kontingent, kontingenter Charakter 33, 47 Konvention 265 Konzil 131 — von Nicäa 325 Koran 163, 170

Körperfunktion 3,34 Korrektiv 87, 89, 95, 292, 300 Korrelat 32, 33, 40 Korrelativ 39 Kosmisch 170, 226, 229, 237, 238, 240, 242, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 251, 331 Kosmos 99, 146, 240, 249, 250, 251, 288 K r a f t 90, 162, 183, 184, 185, 189, 191, 192, 213, 245, 246, 248, 281, 286, 287, 299, 319, 321, 327, 330 — numinose 36, 60, 61, 185, 217 Krankheit 242, 243, 273, 308, 312, 313, 319 Kreatur 36, 225, 258, 260, 263 Kreatiirlichkeit 36, 286, 288 Kreuz 3,6, 44, 68, 105, 131, 177,181, 193, 195, 200, 259 Krieg 201, 202 Kriterium, objektives 55, 56, 78, 79, 119, 126, 151, 165, 175, 176, 177, 194, 235 Kritik 14, 53, 54, 56, 65, 66, 67, 78, 91, 92, 119, 131, 135, 136, 140, 145, 146, 147, 148, 158, 160, 191, 221, 223, 224, 226, 227, 232, 253, 258, 263, 282, 283, 284, 286, 298, 301, 310 Kritik — deistisdie 14 — existentialistische 298 — historische 14, 67 — mystische 226 — prophetische 21, 53, 54, 65, 261 — rationale 32, 46, 48, 50, 60, 61, 63, 65 Kultgemeinschaft 32 Kultus, kultisch 21, 95, 98, 120, 144, 190, 191, 192, 282, 287, 290, 298, 301 Kultur, kulturell 16, 32, 33, 38, 63, 75, 87, 88, 95, 97, 98, 106, 115, 138, 140, 144, 148, 154, 155, 161, 164, 191, 241, 250, 262, 268, 278,

352

279, 280, 281, 285, 289, 310, 335 Kultur — germanisch-romanische Frühkultur 32 Kulturkreise 284 Kulturpessimismus 168 Kunst 25, 26, 38, 80, 81, 112, 140, 148, 154, 162, 228, 259, 296, 305, 3,08 — ärztliche 185 Künstlerischer Stil 324 Künstlerische Symbole 330 Kyrios ( = Herr) 52, 67 Lage 32, 33, 48, 85, 130, 133, 137, 159, 309, 322, 327 Latente Kirche 26, 278, 279, 282, 283 Latenz 279, 281 Leben 31, 32, 33, 36, 65, 72, 87, 95, 97, 102, 110, 112, 115, 116, 117, 123, 125, 126, 138, 141, 142, 156, 157, 163, 167, 173, 174, 177, 180, 182, 183, 185, 192, 199, 200, 201, 204, 207, 215, 226, 231, 232, 252, 254, 263, 264, 306, 319, 334 Leben, gottesdienstliches 190 Leben, personhaftes 40, 74 Lebendigkeit 176 Lebensfrage 85 Lebensform 27, 39 Lebensgefühl 32 Lebensgemeinschaft 32 Lebensmitte 183 Lebensphilosophie 295 Lebensprozeß 224 Lebenssinn 3,1, 33, 89, 90, 91 Lebenstiefe 32 Lebenswillen 33 Leere, leer 180, 185, 296, 308 Legalismus, legalistisdi 14, 199, 203 Legendär, Legende 169,170, 294 Lehrautorität 85, 87 Lehre, reine 17, 74, 88, 105, 106, 107, 136, 146, 159, 187, 188, 189, 199, 200, 301

Lehre des social gospel 19 Leib, leiblich 47, 136, 182, 185, 231, 238, 243, 244, 255, 256, 258, 273, 306 Leibniz, Johann Gottfried 47, 173 Leidenschaft, unendliche 117, 123, 125, 142, 173, 174, 180, 182, 185, 191 Leipzig 15 Lessing, Gotthold Ephraim 14, 46 Letztes Anliegen 112, 113, 122, 123, 137, 140, 153, 155, 162, 163, 164, 177,178,187 Letzte Erfüllung 112 LetzterSinn 103, 105,167 Letztgültigkeit 21, 64, 123, 130, 131, 137,188,191,321 Letztwirkliche, das 172 Liberal, Liberalismus 45, 49, 51, 55, 62, 99, 104, 129, 214, 231, 232, 294 Liberale Theologie 278, 279, 280, 294, 298 Libido 50, 115, 310, 311 Liebe 19, 57, 68, 92, 97, 98, 107, 109, 116, 143, 144, 149, 160, 168, 186, 187, 188, 189, 190, 199, 200, 201, 202, 204, 216, 229, 234, 235, 260, 263, 273, 274, 278, 311, 332, 333 Liebesbegriff 235 Liebesgebot 325 Liebesrelation 234 Literatur, literarisch 26, 70, 73, 113, 169, 228, 259, 270, 272, 308, 309, 313, 3.24 Liturgie, liturgisch 67, 131, 146, 159, 181, 205, 206, 211 Locke, John 15, 173 Logik, logisch 23, 76, 79, 81, 106, 124, 126, 134, 173 Logos 71, 72, 76, 98, 99, 134, 207, 210, 211, 220, 221, 222 Logos-Gott 206 Lukas 249

353

Luther, Martin 14, 69, 86, 87, 88, 90, 91, 94, 98, 108, 109, 110, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 244, 256, 273, 285, 291, 3,07, 327 Lutherische Ethik 203, Lutherische Kirdie 18 Lutherisdier Pietismus 26 Lutherisches Prinzip 189 Lutherische Theologie 17 Lutherrenaissance 85, 86 Luthertum 14, 17, 88, 244, 254, 261, 302, 306, 328 Lyrik 16 — französische 307

Macht 38, 50, 68, 80, 101, 103, 105, 106, 108, 109, 111, 115, 140, 142, 146, 148, 149, 158, 162, 164, 166, 176, 179, 182, 183, 184, 188, 193, 199, 201, 202, 203, 206, 209, 211, 216, 242, 243, 246, 247, 248, 250, 261, 271, 274, 276, 281, 288, 299, 319, 320, 321, 322, 326 Macht des Seins 223, 229, 23,4 Mächte 244, 248, 276, 288, 332 — irdische 103, 200 — transzendente 56, 181 Magie, magisch 146, 181, 184, 185, 186, 187, 192, 231, 300, 323, 33,1 Mahabharata 245 Mana-Kraft 36 Manifestation 43, 64, 65,72, 75,144, 207, 208, 212, 213, 273, 278 Markus 243, 249 Marquand, John P. 113 Marx, Karl 15, 228, 246, 248, 249, 307 Masken Gottes 200 Masse 18, 53, 66, 69, 108, 158, 203, 268, 271 Massendämonien 288 Massen-Erscheinung 329 Massen-Gesellschaft 204 Massen-Medien 269

Material der Offenbarung 53 Materialprinzip 85 Materialistische Hoffnung 255 Materie 258, 261 Materielle Grundlage 191, 256 Medianismen 25, 128, 297 Meditation 183 Medium 151 Medizin 185, 243, 273, 306, 331, 332 Melanchthon, Philipp 87, 88, 306 Mensch 48, 49, 50, 51, 52, 54, 56, 57, 61, 62, 63, 66, 67, 69, 70, 73, 74, 75, 77, 78, 81, 85, 92, 98, 101, 102, 104, 108, 111, 112, 114, 115, 117, 120, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 130, 132, 135, 136, 137, 138, 139, 141, 142, 144, 145, 147, 149, 150, 151, 152, 153, 155, 156, 161, 162, 163, 166, 168, 175, 176, 178, 180, 181, 182, 184, 185, 187, 189, 195, 196, 203, 206, 207, 208, 210, 211, 212, 213, 214, 218, 221, 224, 225, 228, 231, 233, 235, 240, 241, 245, 246, 247, 248, 251, 252, 253, 255, 258, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 273, 274, 278, 281, 283, 296, 297, 298, 307, 308, 309, 311, 312, 315, 316, 318, 3.19, 325, 326, 327, 328, 329, 334, 335 Mensch — der erste 207,208 — der himmlische 208,209,211,215, 246 — der irdische 208 — von oben 207, 208 Menschensohn 207,211, 215, 246,249 Mensdienwort 74 Menschenwürde 19, 191 Menschheit 51, 53, 98, 143, 145, 170, 191, 195, 23.0, 240, 249, 250, 253, 258, 284, 334 Menschheitsbuch 99 Menschheitsgeschichte 195 Menschheitsreligion 99 Menschliche, das 95,113

354

Menschlichkeit 60, 112, 167, 215 Messias 207, 230, 244, 248, 253, 289, 294, 301 Metanoia ( = Sinnesänderung) 234 Metaphysik, metaphysisch 57, 210, 288

Methode, methodisch 65, 124, 125, 147, 167, 168, 170, 173, 185, 221, 231, 241, 265, 270, 293, 307, 313, 321 Methoden-Monismus 54 Methodismus 14 Mikrokosmos 246 Mikrophysik 168 Militarismus 204 Mission, Missionar 267, 268, 269, 276, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 289 Mitte des personhaften Selbst 117, 182 Mitte der Geschichte 218, 231, 277, 278, 279, 280, 282, 283, 284 Mitte der Welt 49,213 Mittelalter, mittelalterlich 22, 32, 85, 90, 107, 108, 127, 222, 223, 261, 271, 284 Mitteleuropa 203 Mittler 59, 64 Möglichkeit 51, 63, 65, 94, 96, 101, 103, 117, 122, 123, 124, 138, 141, 159, 181, 183, 185, 186, 188, 195, 196, 220, 225, 226, 228, 231, 234, 276, 288, 309, 311, 312, 318, 327 Mönchtum 86, 261 Mohammed, Mohammedaner 156, 170 Monotheismus 145, 193, 194, 210, 229, 291, 299, 300 Montefiore, Prof. 294 Moral, moralisch 101, 241, 295, 300, 301, 307, 326, 328, 330 Moralgesetz 335 Moralismus 103, 120, 136, 155, 157, 158, 159, 160, 188, 191, 192, 314 Mose 102, 120, 156, 170

Moslem 156 Mut 23, 24, 25, 122, 123, 125, 130, 135, 143, 150, 177, 179, 180, 181, 213, 223, 256, 259, 272, 318 — zum Sein 236 Mutter 328 Mysterienhaft 289 Mysterienreligionen 67, 157, 159 Mysterium 64, 120, 121, 253 — des Seins-Selbst 71 — fascinosum 95 — tremendum 95 Mystik, mystisch 52, 56, 75, 77, 88, 89, 90, 92, 97, 98, 102, 107, 152, 153, 157, 159, 160, 178, 193, 194, 226, 227, 232, 233, 23,9, 261, 263, 289, 290, 291, 295, 296 Mystiker 57, 94, 118, 152, 153, 180, 183, 190, 222 Mythisch 32, 145, 146, 162, 169, 190, 191, 192, 209, 213, 223, 231, 286 Mythologie, mythologisch 26, 56, 145, 157, 174, 175, 192, 206, 207, 208, 210, 211, 213, 277, 306, 309 Mythos 26, 57, 59, 79, 80, 95, 128, 144, 145, 146, 147, 148, 170, 190, 191, 192, 206, 208,213, 224, 226, 227, 228, 229, 23.0, 231, 237, 238, 245, 246 — gebrochener 146, 147, 148 — platonischer 228 — ungebrochener 146, 147

355

Nachapostolisch 294 Nachfolge Jesu 104 Nation 23, 112, 119, 123, 141, 190, 236, 239, 278, 302 National Council of Churches 22 Nationalbewußtsein 123 Nationalismus 112, 119, 121, 302 Nationalsozialismus 13, 18, 204, 302 Nationalsozialistische Ideologie 199 Natur 19, 33, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 54, 58, 62, 63, 65, 75, 78, 92, 98,

100, 102, 104, 109, 113, 123, 146, 148, 155, 163, 168, 172, 175, 184, 189, 200, 205, 212, 240, 243, 244, 245, 246, 247, 249, 250, 251, 258, 267, 308, 327 Naturalismus, naturalistisch 81, 214, 227 Naturbild 40 Naturform 37 Naturgesetz 33, 43, 80, 245 Naturgrundlage 33 Naturkraft 192 Naturleben 43 Naturmythen 148 Naturordnung 245 Naturphilosophie 246 Naturprozeß 148 Naturwelten 34

141, 173, 238, 248, 326, 167,

Naturwissenschaft, naturwissenschaftlich 138, 165, 168, 169, 173, 205, 246 Neosupranaturalismus 106, 107 Neue, das 218, 220, 224, 225, 226, 227, 228, 230, 231, 232, 233, 239, 251, 276, 279 Neue Kreatur 218, 225, 250 Neue Schöpfung 250, 272 Neues Sein 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 226, 227, 229, 230, 231, 232, 233,, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 243, 248, 249, 250, 272, 273, 274, 275, 277, 278, 279, 280, 281, 283, 284, 321, 322, 331, 332 Neues Testament, neutestamentlidi 14, 26, 52, 67, 74, 86, 87, 98, 104, 145, 159, 169, 170, 193, 240, 241, 248, 252, 282, 287, 292, 293, 304, 329, 332 Neuorthodoxie, neuorthodox 26, 77, 333 Neuplatonismus 40 Neupythagoräer 40

Neurose, neurotisch 60, 61, 115, 185, 266, 309, 312, 333, 334, 335 Newton, Isaak 307 New York 13, Nicht-Identität 50 Nichts, das 272, 319 Nichtsein 128, 135, 211, 223, 274, 309, 319 Nietzsche, Friedrich 15, 68, 69, 241, 307 Nikolaus Cusanus 246 Nominalismus, nominalistisdi 22, 222, 223, 229 Norm 44, 45, 67, 115, 161 Norwegen 16 Notwendigkeit 54, 58, 70, 212, 214, 248, 259, 327 — dialektische 211 — essentielle 211 Numinos 36, 101, 102, 205, 211, 216, 229 Nützlichkeitsreligion 333

Oberfiädiensdiicht 32 Objekt 192, 273, 297, 316, 317, 321 Objektiv 43, 60, 64, 74, 75, 79, 94, 96, 115, 118, 125, 137, 151, 159, 169, 172, 175, 184, 240, 247, 248, 250, 332 Objektivierung 88 Objektivität 35, 71, 94, 108, 109, 119, 152 Offenbare, das unbedingt 44 Offenbarung 21, 29, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 3.8, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 86, 87, 92, 93, 94, 95, 96, 98, 156, 163, 164, 178, 206, 221, 297, 298, 321 Offenbarung — dämonisierte 44 — geschichtliche 44, 55, 57, 58 — natürliche 32, 33, 37, 40, 43, 44, 45

356

— prophetische

— der Nahe 21

206

Ostern

— supranatural-intellektualisierende Auffassung der 4 0

271

Otto, Rudolf 95, 120

— übernatürliche 32, 37, 40, 43, 44, 45 — ungesdiiditliche 44, 45

Pädagogik

— wahre 64

Palästina 293 Papst 59, 67, 271

— Buch der Offenbarung 254 — Material der Offenbarung Offenbarungsanspruch Offenbarungsbegriff

Paracelsus 243, 295, 306

53

44

Paradies 213, 225, 247, 261

32, 33, 40, 41

Paradox,

Offenbarungsbesitz 44 220

Offenbarungserfahrung

Paradoxie 32, 88, 94, 95, 96, 97, 103,

78

104, 208, 209, 210, 212, 215, 247

Offenbarungsgesdiehen 53,

Parmenides 57, 71, 222

Offenbarungsgeschichte 45, 46 Offenbarungsidee 32, 33, 34, 37, 39

Partizipation, partizipieren 65, 193, 250, 265, 267, 268, 269, 272, 274,

Offenbarungsinhalt 42, 46 Offenbarungskorrelation

335

43, 45

47, 49, 53, 59

Offenbarungsträger 43, 44 Offenbarungstheologie

Pascal, Blaise 228, 307 Pastoralpsychologie 325 Patriarchalische Struktur

49

86, 87, 102, 105, 109, 118, 119,

65

136, 159, 160, 186, 206, 207, 208,

78, 95

233, 246, 248, 253, 255, 256, 268,

Okkulte, das 34

271, 282, 289

Ökumenische Bewegung 17

Paulinismus

ökumenischer Gesichtspunkt 21

Pazifismus

Ontologie 16, 222

153, 154, 155, 158, 189, 213, 222, 223, 233, 234, 235, 247, 250, 307 Opfer 104, 121, 231

Pentateuch

170

Persien, persisch 144, 148, 170 Persisch-apokalyptisch 246, 257, 293 Person, persönlich, personhaft

20,

60, 93, 103, 108, 109, 110, 114,

Optimismus 3.11

116, 117, 119, 123, 125, 128, 132,

103, 104, 105, 109, 110,

139, 150, 151, 152, 154, 182, 183,

155, 156, 243, 244, 245, 247

185, 187, 194, 201, 202, 203, 221,

Orpheus 245

237, 250, 271, 287, 290, 297, 301,

Orthodox, Orthodoxie

14, 26, 49,

67, 75, 94, 127, 156, 193, 232, 261,

312, 314, 3,16, 331, 332, 334 Personalismus,

93,

183, 186, 196, 221, 222, 223

Osten 32, 40, 226, 239, 280, 329 21

personalistisch

109, 114, 115, 116, 127, 160, 182,

271, 294, 298 — der Ferne

86 19

Pelagianismus 325, 3.26

235

Ontologisch 93, 101, 102, 149, 150,

Ordnung

203

Paulus, paulinisch 40, 52, 56, 67, 68,

Offenbarungsvorgang 43, 44 Offenbarungswahrheit

— des Seins

109,

225, 23.1, 2 5 0

Offenbarungsereignis 65, 164

Offenbarungswort

103, 104, 105, 106,

110, 143, 199, 200, 209, 211, 216,

Offenbarungselement

Offenbarungsreligion

60

Persönlichkeit 92, 93, 109, 125, 167,

35 7

183, 184, 186, 288, 289, 290, Person-Zentrum Perversion 287 Pessimismus 33, Petrus 271

189, 216, 235, 264, 312, 322 287 311

Phänomenologische Beschreibung 96 Pharisäismus 179 Philologie, philologisch 170, 191, 240, 241 Philosophie, philosophisch 15, 16, 22, 23, 24, 25, 27, 31, 32, 40, 51, 57, 62, 72, 75, 76, 93, 95, 107, 139, 154, 157, 171, 172, 173, 174, 175, 192, 196, 205, 209, 210, 217, 221, 222, 223, 227, 228, 235, 250, 259, 274, 285, 291, 295, 305, 308, 309 Philosophia perennis 174 Physik, physikalisch 65, 166, 168, 169, 227, 251 Pietismus, pietistisdi 14, 26, 85, 88, 94, 99, 261, 328 Pilatus, Pontius 294 Piaton 57, 95, 175, 229, 241, 250, 255 Plotin 57,291 Poimandres 245 Polarität, polar 86, 114, 189, 231, 285 Politik, politisch 18, 38, 60, 62, 75, 100, 103, 111, 128, 132, 13.8, 140, 147, 154, 157, 162, 183, 193, 203, 244, 262, 294 Polytheismus, polytheistisch 69, 145, 181, 184, 206, 210 Positivismus 23, 76, 173, 211, 212, 214 Potentialität, potentiell 213, 214, 226, 227, 229, 230, 234, 280, 286 Prädestination 98, 278 Präexistent, Präexistenz 206, 207, 209 Pragmatismus, pragmatisch 22, 25, 124, 136

Praktisch, Praxis 17, 31, 124, 133, 135, 172, 181, 184 Preußen 18 Priene 243 Priesterreligion 56 Prinzip 19, 44, 63, 66, 68, 69, 73, 76, 78, 85, 86, 87, 88, 89, 95, 100, 115, 118, 131, 132, 159, 161, 172, 189, 199, 203, 207, 209, 248, 249, 258, 269, 277, 283, 290, 298, 302, 322 Prinzip, protestantisches 21, 67, 131, 132,177,258 Profan, Profanisierung, Profanität 38, 39, 95, 100, 154, 257, 285, 286, 289, 290 Proletariat 85, 158, 249, 268 Projektion 50,68 Propheten, prophetisch, Prophetismus 56, 72, 73, 74, 103, 120, 136, 156, 157, 158, 163, 183, 193, 194, 195, 244, 253, 262, 263, 264, 282, 283, 290, 295, 296, 297, 298, 301, 302, 303, 3,07 Prophetischer Geist 67,228 Prophetisches Gericht 67 Prophetische K r a f t 50 Prophetische Kritik 21, 53, 54, 65, 131,160 Prophetische Offenbarung 206 Prophetische Religion 121 Protestantisch 15, 20, 21, 33, 44, 67, 85, 96, 99, 100, 127, 131, 132, 136, 138, 150, 151, 152, 159, 160, 177, 189, 193, 206, 228, 240, 241, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 302, 303, 317, 326, 329 Protestantischer Protest 14, 66, 131, 160, 190, 192 Protestantismus 17, 18, 19, 20, 21, 22, 48, 67, 74, 85, 86, 87, 88, 98, 99, 100, 131, 150, 160, 176, 177, 192, 199, 232, 261, 269, 271, 289, 292, 296, 298, 301, 307, 328 Protestantismus — reformierter 261 358

— sektiererischer 261 Provinz, Provinzialismus 13, 15, 20, 21, 24, 27 Prozeß — biologischer 169 — geschichtlicher 23, 33, 53, 80, 97, 135, 148, 167, 173, 203, 224, 225, 2 2 6 , 2 2 7 , 235, 277, 280 — pädagogischer 46 — physikalischer 168, 169 Psalmist 104, 120 Psychische, das 96, 334 Psychoanalyse 25, 50, 248, 288, 304, 305, 306, 310, 314, 315, 321, 329 Psychologie 25, 26, 60, 114, 116, 138, 166, 167, 168, 238, 326, 330 Psychologische Medianismen 25, 60, 61, 63, 65, 66, 102, 107, 135, 147, 168, 231, 232, 235, 239 Psychose 185, 309, 313 Psychosomatische Medizin 238, 273, 308, 3,09, 312, 325, 333 Psychopathologie 287 Psychotherapie 60, 185, 243, 308, 314, 316, 318, 321, 323, 327, 3.28, 329, 331, 332, 333, 335 Ptolemäer 243 Puritaner, puritanisch 168, 261, 298

304, 325, 334,

269,

Qualitäten 64, 90, 188, 212, 229 Quanten, Quantentheorie 168 Quasi-religiös-politische Bewegungen

60

Quasi-rituelle Handlungen 121 Quelle des Glaubens 117 Radikaler Durchbruch 90 Radikale Kritik 9 2 , 1 4 6 Radikaler Zweifel 91, 94, 96 Rank, Psychologe 304 Rational, Rationalismus 32, 40, 46, 48, 49, 50, 60, 61, 63, 65, 76, 78,

88, 106, 115, 121, 147, 160, 161, 164, 203, 210, 211, 221, 286, 291 Rationalisierung 210 Rationalistisch 14, 43, 103 Rationalität 291 Raum 64, 144, 145, 147, 205, 208, 211, 217, 226, 237, 242, 252, 253, 254, 266, 298, 308, 331, 334 Reaktion 89 Realismus, realistisch 22, 81, 153, 199, 224, 232 Realität 31, 81, 123, 218, 223, 225, 226, 231, 233, 276 Realisierung 87, 88, 89, 96 Recht 38, 157, 166, 168, 173, 196, 202, 203, 287 Rechtfertigung 85, 86, 88, 89, 91, 92, 96, 97, 99, 271, 272, 281, 290, 328 — des Sünders 97 — des Zweiflers 99 Rechtfertigungsgewißheit 93: Rechtfertigungsglaube 85 Rechtfertigungslehre 94 Rechtfertigungsprinzip 95 Redemption (Loskauf) 225, 230 Reformation, Reformatoren 14, 20, 67, 76, 85, 108, 109, 160, 177, 188, 189, 199, 204, 225, 226, 254, 271, 272, 273, 290, 297, 301, 306, 325, 328, 329 Regulativ 88, 89, 93 Reich Gottes 17, 20, 104, 199, 200, 202, 203, 239, 245, 248, 252, 253, 254, 260, 261, 262, 263, 264, 270, 271, 272, 276, 277, 279, 281, 282, 284, 3,01, 326 Reich-Gottes-Hoffnung 254 Reich der Welt 202 Religion 21, 31, 33, 35, 38, 44, 45, 47, 53, 54, 55, 57, 58, 60, 63, 69, 70, 79, 80, 86, 87, 88, 92, 93, 94, 97, 98, 102, 108, 109, 111, 112, 120, 121, 122, 125, 127, 132, 134, 136, 137, 138, 13,9, 144, 145, 148,

359

149, 162, 181, 221, 273, 289, 311,

150, 163, 184, 232, 274, 296, 3,17,

155, 156, 157, 158, 164, 168, 175, 176, 187, 192, 193, 194, 240, 241, 243, 257, 279, 280, 281, 282, 298, 299, 300, 301, 318, 328, 333, 334

161, 177, 196, 263, 285, 309,

— Erziehung 137 — Existenz 240 — Formen 59 - G e b i e t 127,128 - G e h a l t 54

Religion — als Gefühl sdilechthinniger Abhängigkeit 138 — echte 111 — Entartung der 187 — Entwicklung der 48, 49, 50 — geoffenbarte 57 — geschichtlich gewordene 54, 175 — hellenistische 240 - n a t ü r l i c h e 47, 48, 49, 54, 58 — Offenbarung der 4 7 , 4 9 , 5 3 , 5 9 — prophetische 68 — Sprache der 81 — übernatürliche 58 — vernünftige 47 Religionsgesdiidite 33, 35, 44, 45, 52, 54, 55, 56, 68, 69, 87, 89, 118, 150, 151, 159, 192, 240, 258, 287, 288, 289, 293 Religionsphilosophie 16, 40, 41, 42, 44, 48, 49, 51, 57, 116, 191, 192, 2 2 0 , 2 8 5 , 2 8 6 , 295 Religionsstifter 32 Religionstypus 151 Religiös - A k t 42 — Autonomie 85 — Autorität 60, 6 3 , 1 3 3 — Begriffe 228 — Benennung 33, — Betriebsamkeit 218 - B e w u ß t s e i n 32, 41, 42, 65, 72, 118 - B i l d 216,217 — Dämonie 38, 39 — Erfahrung 17, 52, 54, 56, 128, 205, 217 — Ergebnis 90 — Erkenntnis 33

-Gemeinschaft 148, 171, 190 — Genie 217 — Gewißheit 50 - H e i l u n g 234,235 — Kampf 48 — Konkretheit 38 - K r i e g 127 - K r i t i k 191 - K u l t 120 — Lutherrenaissance 86 — Metaphysik 57 - M y t h o s 226,237 — Natur 54 -Sozialismus 244, 248, 254, 285, 302, 303. - S u b s t a n z 108,155, 191 - S p r a c h e 52, 111, 128, 324 - S y m b o l 79, 81, 141 — Tradition 32, 40, 71 — Unmittelbarkeit 88, 89, 90 — Unterdrückung 127 — Weihe 60 — Wesen des Menschen 92, 172, 174, 175, 178, 182, 187, 189, 195, 196 Renaissance 15, 31, 32, 225, 250, 262, 306 Richter 199, 203 Rimbaud, Arthur 307 Riten, rituell 59, 121, 144, 155, 156, 159, 187, 190, 192, 249, 301 Ritsehl, Albrecht 15, 24, 94 Rittelmeyer, Friedrich 290 Römisch, Rom 243, 261, 268, 271, 273, 283, 284, 301, 325 Römisch-katholisch 21, 67, 100, 135, 136, 177, 188, 193 Römische legalistische Theologie 326 Roman 16, 25 Romantisch 89, 155, 246 Rosenzweig, Franz 293

360

Rousseau, Jean-Jacques 15 Russisch-orthodoxe Kirdie 261, 295 Rußland 16, 257 Ruysdael, Jakob van 81

Sacrificium intellectus 274 Sagen 145 Salvation 225 Sakral 300 Sakrament, sakramental 20, 21, 77, 87, 109, 151, 152, 153, 154, 156, 157, 158, 159, 160, 192, 247, 253, 290, 300, 301, 302, 332 Sakramentalismus 153, 160, 187 Säkular, Säkularisierung 76, 254 Sarah 103 Sartre, Jean Paul 305, 308, 311 Schelling, Friedrich Wilhelm 72, 228, 246, 307 Schichten der Realität, der Seele und des Seins 80, 81 Schicksal 57, 144, 167, 206, 212, 266, 313 Sdiiwa 121 Schizophrenie 239 Schlegel, Friedrich von 15 Schleiermacher, Daniel Friedrich 15, 40, 95, 138 Scholastik 40, 87, 215 Stholem, Gerhard 295 Schöpfer 56, 106, 214, 215, 275 Schöpferkraft 66, 168, 216 Schöpfung 33., 51, 72, 87, 100, 112, 146, 148, 207, 214, 217, 224, 226, 247, 250, 258, 259, 260, 286, 321 Schöpfungsgedanke 51, 233 Schöpfungsgeschichte 167 Schöpfungssymbol 175 Schopenhauer. Arthur 15,307 Schrift, Heilige 85, 88, 99 Schuld 50, 56, 109, 126, 214, 243, 250, 258, 262, 266, 267, 270, 271, 294, 307, 309, 313, 319, 320, 327 Schuldbewußtsein 88, 99, 237

Schuldgefühl 266, 333, 335 Schuldhaftigkeit 228 Schweden 16 Schweitzer, Albert 301 Seele 80, 136, 153, 167, 182, 238 Seelenheil 20 Seelenleben 43 Seiendes 31, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 61, 69, 72, 162, 172, 173, 187, 188, 206, 209, 213, 222, 223, 228, 229, 231, 234 Seiende, das 259, 274, 288, 310 Sein, das 35, 36, 40, 42, 43, 57, 60, 61, 64, 68, 69, 71, 72, 73, 80, 113, 114, 115, 116, 125, 128, 133, 135, 140, 149, 157, 172, 173, 174, 180, 200, 205, 209, 211, 212, 213, 214, 217, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 226, 229, 230, 231, 23.5, 249, 250, 259, 263, 273, 274, 280, 289, 291, 292, 312, 313, 318, 319, 335 Sein der Liebe 234 Sein, essentielles 232 Sein in Christo 218,233 Seinsbegriff 221, 222, 223, 224, 227, 229 Seinseinheit 288 Seinsgrund 36, 59, 61, 62, 64, 65, 69, 71, 72, 81, 180, 187, 188 Seinshaltung 46 Seinsmächtigkeit 223 Seinsmacht 223 Seinsmacht 223,229,274,316 Seinsoffenbarung 94 Seinsordnung 212 Seinsprinzip 76 Seinsrelation 232,233, Seinsstruktur 63 Seinsschicht 81 Seinsweisen 207 Seinswurzel 36, 37, 38 Seinszusammenhang 46 Selbst 47, 48, 49, 115, 116, 117, 121, 123, 126, 167, 188, 189, 213, 251, 331, 334

3 61

Selbstannahme 236, 320, 321 Selbstaufgabe 65 Selbstbeeinflussung 184 Selbstbehauptung 68 Selbstbejahung 25, 61, 63, 64, 69, 236 Selbstbekundung 72 Selbstdarstellung 190 Selbstentäußerung 208, 209 Selbstentfremdung 311, 314 Selbstentwicklung 50 Selbsterhebung 193 Selbsterschließung 221 Selbstheilung 333 Selbsthingabe 201 Selbstkritik 150, 160, 176, 194, 195 Selbstliebe 235, 236 — geordnete 235 — ungeordnete 235 Selbstmanifestation 59, 64, 72, 73, 208 Selbstmitteilung 221 Selbstoffenbarung 33, 71, 72, 73, 74, 75, 79, 104 Selbstpreisgabe 68 Selbstsicherheit 157 Selbstsucht 236 Selbsttranszendenz 334 Selbstverneinung 68 Selbstverwirklidiung 43,207,215,334 Selbstzerstörung 129 Sekten 196, 249, 261, 330 Seligpreisungen 270 Semipelagianismus 325 Sentimentalität 241 Shakespeare, William 15 Sinn 25, 27, 36, 55, 59, 62, 68, 75, 80, 89, 90, 92, 103, 105, 121, 123, 132, 137, 142, 143, 146, 150, 153, 160, 161, 163, 164, 167, 175, 178, 180, 185, 195, 196, 200, 201, 218, 224, 229, 235, 237, 239, 240, 241, 242, 249, 254, 255, 257, 270, 273, 276, 278, 279, 283, 295, 3,04, 309, 312, 317, 324, 331, 335 Sinnabgrund 92, 97, 288, 289

Sinneinheit 287 Sinnentleerung 92 Sinnentstellung 192 Sinnform 286, 287, 288, 289 Sinnfülle 92 Sinnfrage 25 Sinngebiet 96 Sinngrund 64, 65, 69, 90, 91, 92, 93, 95, 97 Sinnhaftigkeit 287 Sinnlosigkeit 25, 52, 56,57,136,151, 179, 228, 262, 290, 307, 308, 312, 3.13, 335 Sinntiefe 92 Sinnwidrigkeit 18, 287 Sinnesänderung 77 Sinneserfahrung 107 Sinneserkenntnis 92 Sinneswahrnehmung 134 Sittengesetz 162 Sittlich, Sittlichkeit 57, 89, 93, 116, 121, 183, 191, 192, 201, 207, 208, 334 Situation 17, 18, 19, 21, 23, 24, 25, 26, 60, 62, 63, 65, 66, 73, 75, 77, 80, 103, 117, 137, 139, 164, 173, 178, 184, 199, 203, 205, 211, 212, 213, 218, 220, 221, 224, 228, 240, 241, 265, 266, 268, 269, 270, 271, 274, 277, 281, 282, 302, 303, 307, 308, 309, 311, 312, 315, 319, 320, 324, 326, 327, 333 Social gospel 19 Sollensrelation 232, 233 Sophistik 31 Sozial 18, 20, 60, 103, 111, 113, 126, 154, 156, 181, 189, 193, 201, 231, 237, 244, 253, 262, 266, 270, 271, 274, 277, 278, 287, 290, 291, 301, 326,334 Sozialethik 14, 17, 18, 19, 203, 204, 290, 302 Sozialismus, religiöser 17, 18, 240, 244, 248, 250, 285 Sozioanalyse 248

362

Soziologie, soziologisch 25, 50, 127, 259 St. Vladimir's Theological Seminary

109, 110, 250, 254, 272, 273, 289, 313, 314, 326, 327 Sündenfall 62, 86, 87, 245, 247, 250, 258, 309 Sündhaftigkeit 250 Symbol, symbolisch 22, 33, 35, 38, 59, 60, 64, 70, 71, 72, 73, 76, 77, 79, 80, 81, 85, 112, 115, 118, 128, 129, 139, 140, 141, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 161, 164, 166, 172, 174, 175, 176, 177, 179, 180, 182, 183, 190, 192, 193, 194, 195, 207, 209, 213, 225, 227, 228, 230, 231, 23.8, 239, 241, 242, 244, 246, 247, 250, 252, 254, 255, 256, 258, 259, 260, 261, 263, 264, 269, 276, 277, 282, 296, 298, 306, 312, 314, 315, 321, 322, 323, 324, 328, 329, 330, 33,1, 335 Synagoge 282, 295 Synkretismus 241 Synoptiker 271 Systematische Theologie 27,146, 159, 160, 162, 187, 190, 193, 203, 220, 221, 228, 285, 294, 297, 304, 3.15, 322, 325, 327

21 Spätantike 32, 33, 159 Spätgriechische Philosophie 40 Spinoza, Baruch de 15, 57, 61, 95,173 Spiritualistische Bewegung 14, 68, 75 Spiritualistische Hoffnung 255 Sprache 52, 53, 64, 70, 71, 74, 78, 79, 80, 81, 111, 127, 128, 129, 139, 140, 142, 145, 146, 148, 152, 162, 190, 324 Staat 18, 51, 62, 130, 202, 203, 243, 244, 285, 287, 302 Staatsethik 199 Staatsgesetz 157 Stammesreligion 53 Statik, statisch 131,149, 223 Stoa, Stoiker 99, 157 Strindberg, Johann August 16 Strukturen 23, 46, 61, 62, 63, 72, 76, 114, 115, 126, 134, 140, 146, 156, 157, 161, 162, 165, 172, 199, 203, 205, 206, 232, 233, 248, 249, 253, 267, 3.01, 312, 313, 332 Subjekt, subjektiv 34, 43, 60, 64, 71, 74, 75, 90, 94, 118, 119, 125, 137, 138, 149, 173, 175, 184, 206, 218, 240, 248, 316, 332 Subjekt-Objekt-Beziehung 317 Subjekt-Objekt-Situation 322 Subjekt-Objekt-Spaltung 119, 121, 151, 153 Subjektivismus 14 Substanz 255, 285, 302 — der Kirche 66 -geistige 24, 13.0, 152, 155 -katholische 21, 108, 129 — religiöse 191 Supranaturalismus, supranaturalistisch 26, 32, 33, 40, 43, 46, 76, 77, 107, 214 Sande 51, 56, 67, 87, 88, 91, 104,

Tabu 60 Talmud 156 Taoismus 157 Taufe 249 Tausendjähriges Reich 254 Teufel 230 Tertullian 106 Textkritik 26, 293 Thamuz 249 Theismus 229 Theologe, theologisch 14, 15, 16, 17, 18, 20, 21, 22, 24, 26, 27, 33, 35, 40, 41, 44, 45, 47, 48, 49, 54, 57, 60, 64, 70, 71, 76, 77, 86, 88, 93, 94, 96, 99, 109, 126, 131, 134, 136, 138, 147, 163, 166, 167, 168, 175, 199, 202, 206, 210, 211, 214, 219,

363

220, 221, 222, 223, 224, 226, 228, 231, 233, 235, 239, 241, 246, 250, 254, 273, 278, 279, 285, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 302, 303, 304, 305, 306, 308, 309, 310, 313, 314, 321, 324, 325, 329, 330, 332, 335 Theologie — dialektische 49, 86,94 - l i b e r a l e 45, 49, 55, 214, 231, 232 - n a t ü r l i c h e 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 58 — negative 81 — neuorthodoxe 26, 77 — orthodoxe 49, 67 — positive 81 — des bloßen Glaubens 178 — des Wortes 77 Theos ( = Gott) 220, 222 Thomas von Aquino 107, 135, 306 Teilhabe 68, 69, 89, 133, 162, 169, 178, 218, 229, 230, 232, 233, 249, 322 Teilnahme 262, 263 Tiefe 20, 31, 39, 90, 91, 92, 93, 94, 97, 140, 142, 153, 154, 173, 182, 185, 249, 259, 286, 288, 291, 297, 312, 327, 330 Tiefenpsychologie, tiefenpsychologisch 16, 25, 60, 68, 167, 228, 233, 235, 239, 304, 305, 308, 309, 313, 314, 324 Tier 51, 155, 167, 215, 245, 246 Tierpsychologie 325 Tod 109, 136, 191, 200, 208, 214, 246, 247, 248, 249, 250, 252, 254, 255, 258, 262, 263, 270, 271, 288, 292, 309, 319 Todestrieb 310, 311 Tolerant, Toleranz 150, 193, 194 Totalitarismus — des Seienden 173 — der Welt 49, 190, 193 Totalität 217, 314 Tradition 13, 19, 21, 22, 24, 25, 26,

27, 32, 65, 66, 70, 74, 75, 106, 108, 135, 169, 179, 219, 220, 238, 255„ 293, 294, 3.02, 326, 328, 330 Tragik, tragisch 33, 40, 56, 212, 214, 218, 219, 259, 266, 272, 277, 293, 294, 313, 319 Tragödie 157,200,201 Transformation 207 Transparenz 152 Transsubstantiationslehre 152 Transzendent-sakramental 271 Transzendente, das 42, 43, 44, 57, 242 — das transzendente Eine 57 Transzendente Form 53 Transzendentes Fundament 173 Transzendente Geheimnisse 40 Transzendentes Gleichgewicht 57 Transzendente Macht 50,56 Transzendenter Menschensohn 211 Transzendente Ordnung 103, 104, 105,110 Transzendentes Sein 36, 42,43 Transzendenter Ursprung 210 Transzendente Wirklichkeit 107 Transzendenter Charakter des Worts 77 Transzendenz, transzendieren 34, 43, 47, 64, 76, 81, 104, 117, 121, 122, 123, 141, 145, 148, 153, 159, 180, 296, 300, 320, 321, 322 Trennung 178, 180, 181, 190, 235, 238, 255, 309, 313 Trieb 62, 183, 184, 185, 186, 235, 310 Trinität 71,98 Troeltsdi, Ernst 15 Trotzdem, das 178, 23,4 Tübingen 14 Typen - d e s Glaubens 148, 149, 150, 154, 175, 183, 186, 189, 193, 274, 300 — der Religion 48, 154 - e t h i s c h e 160, 189, 300 — evangelische 135 — integrierter Persönlichkeiten 186

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— katholische 135 - m o r a l i s c h e 154, 155, 157, 158, 159 — mystische 154, 189 — ontologische 154, 155, 157, 189 — progressiv-utopische 159 -romantisch-konservative 159 — sakramentale 154, 158, 159, 160, 300 Obergeschichtlich 33, 207 Ober-Ich, das 114,115,167 Übernatürliche Offenbarung 32, 33, 47, 63,108 Übernatürliche Theologie 53, 54 Umwendung 43, 44, 45, 46 ünbedingte, das 35, 36, 42, 43, 44, 59, 68, 90, 91, 96, 98, 112, 117, 118, 119, 121, 123, 131, 137, 139, 141, 142, 143, 144, 145, 150, 151, 153, 154, 158, 160, 162, 164, 167, 172, 173, 174, 175, 177, 178, 180, 182, 184, 192, 193, 194 — das Unbedingt-Eigene 36, 37 — das Unbedingt-Fremde 3,4 — das Unbedingt-Offenbare 34, 42, 44 — das Unbedingt-Verborgene 34, 35, 36, 38, 3.9, 41, 42, 43, 44, 45, 46 Unbedingtes Anliegen 117,118,119, 128,138, 139,159,175, 176 Unbedingte Bedeutung 79 Unbedingtes Ergriffensein 117, 126, 128, 132, 136, 138, 142, 143, 144, 161 Unbedingte Gerechtigkeit 300 Unbedingte Verborgenheit 43 Unbedingte Wahrheit 90,98, 99 Unbedingt — was uns unbedingt angeht 31,35, 64, 65, 80, 81, 111, 112, 113, 116, 120, 122, 123, 124, 129, 130, 131, 132, 133, 138, 141, 142, 143, 148, 149, 151, 152, 153, 154, 156, 158, 162, 164, 171, 173, 175, 179, 180, 181, 182, 186, 187,189

Unbedingtheit 34, 36, 38, 44, 59, 86, 93, 98, 118, 119, 123, 126, 143, 145, 147, 156, 160, 176, 177, 184, 188,194, 195,286,289 Unbedingtheitscharakter 68 Unbestimmtheitsrelation 168 Unbewußte, das 114, 115, 127, 140, 167, 183, 193, 231, 238, 241, 304, 307, 323, 326, 327, 330, 331 — das kollektive Unbewußte 241 Unendliche, das 50, 91, 117, 120, 121, 124, 153, 155, 162, 180, 181, 208, 214, 215, 216, 249, 255, 296, 327 Unendliche Bedeutung 211 Unendlicher Fortschritt 90 Unendliche Leidenschaft 117, 123, 125 Unendlichkeit 57,119,143, 209, 213, 214, 216 Unfehlbarkeit 130, 131 Unglaube 91, 102, 109, 153, 158 Union Theological Seminary 13, 21 Unitariertum 21 Universal 24, 41, 79, 100, 193, 195, 196, 205, 208, 213, 221, 230, 238, 240, 241, 244, 246, 248, 249, 250, 253, 259, 267, 278, 300, 313, 319 Universal-religiös 94, 96 Universalismus 99, 100 Universalität 195, 216, 272, 280, 281 Universum 48, 72, 154, 156, 165, 173, 224, 227, 238, 258, 280 Unmittelbarkeit 88, 89, 90 Unschuld, träumende 51,234 Unsterblichkeit 136, 144, 247 Urchristentum 87, 261 Ursprung 37, 38, 192, 210 Utopie, utopisch 155, 157, 158, 199, 213, 225, 237, 242, 261 Utopismus 245

Vakuum 66, 129, 163 Vaterbild 61, 68, 115

365

Vaterunser, das 252, 260, 261 Verantwortung 191 Verantwortlichkeit 247 Verborgene — das relativ Verborgene 46 — das unbedingt Verborgene 34, 35, 36, 3 8 , 4 1 , 4 2 , 43,, 4 4 , 4 5 , 4 6 Verborgenheit 41, 42, 43 Verdammnis 129, 278, 331 Verfall 226 Vergangenheit 32, 48, 52, 53, 55, 133, 143, 176, 213 Vergänglichkeit 117, 118, 123, 213 Vergebung 50, 104, 186, 189, 202 Vereinigte Staaten von Nord-Amerika 24 Vereinigung 243,279 Verifikation 25, 65 Veritas imputata 97 Vernunft 40, 46, 47, 48, 49, 57, 61, 66, 70, 76, 107, 115, 158, 161, 162, 163, 164, 208, 221, 228 — autonome 32 — dämonisch-zerspaltene 162 — ekstatische 163 — erkennende 165 — historische 165 — naturwissenschaftliche 165 — philosophische 165 — rationale 106 — reine 32 — schöpferische 208, 209 — technische 161, 162 Vernunftgesetz 31 Vernunftglauben 161 Vernunftkategorien 46 Vernunftwahrheit 205 Versöhnung 105, 116, 164, 237, 272 Verstand 107, 108 Verstandesakt 105, 108 Vertikale 19, 20, 23, 239 Vertrauen 102, 103, 105, 125, 133, 137 Verwandlung 77, 206, 279, 280 Verwerfungsurteil 89, 141

Verwirklichung 20, 42, 212 Verzweiflung 26, 56, 77, 89, 90, 91, 92, 97, 103, 109, 123, 124, 125, 126, 180, 185, 199, 216, 254, 256, 259, 270, 271, 272, 275, 319, 327, 335 Vision, visionär 57, 102, 120, 151 Vitalität,, vital 47, 115, 182 Völker 53, 122, 130, 139, 140, 144, 155, 202, 204, 239, 245, 252, 268, 277, 278, 279, 282, 284, 301 Volk Gottes 53, 103, 104, 105, 148, 157 Voltaire, François Marie (Arouet) 15 Vorsehungsgedanke 88

Wagnis 23, 79, 91, 122, 123, 124, 125, 130, 132, 135, 143, 179, 180, 181, 221, 267, 281 Wahrheit 20, 22, 23, 32, 40, 51, 52, 56, 57, 65, 69, 71, 78, 86, 89, 90, 91, 92, 97, 99, 107, 115, 116, 121, 123, 124, 125, 133, 134, 136, 138, 148, 150, 158, 160, 161, 162, 164, 165, 166, 168, 169, 172, 173, 175, 176, 177, 178, 193, 206, 215, 224, 227, 232, 233, 234, 239, 272, 281 Wahrheit — dichterische 169 -geschichtliche 168, 169, 170, 171, 175 — mythische 169 — naturwissenschaftliche 169, 171, 175 -philosophische 171, 172, 174, 175 — wissenschaftliche 168, 171, 172 Wahrheitsansdiauung 90 Wahrheitsanspruch 161 Wahrheitsbegriff 222 Wahrheitsgedanke 233 Wahrheitsgewissen 100 Wahrheitsgewißheit 94 Wahrheitsglauben 97, 100 Wahrheitssystem 66

366

Wahrheitstheorie 22 Wahrheitswert 165 Wahrscheinlichkeit 132,

133,

134,

135, 169, 170 Wandel des Glaubens 1 1 1 , 1 4 4 , 2 3 7 Weisheit 105, 170 Welt 19, 25, 34, 36, 37, 47, 48, 49, 50, 51, 65, 72, 78, 92, 95, 104, 105, 106, 110, 113, 117, 133, 134, 140, 144, 147, 148, 158, 183, 194, 199, 202, 205, 207, 212, 213, 222, 226, 242, 245, 248, 250, 251, 254, 256, 257, 258, 261, 262, 263, 266, 278, 280, 281, 299, 301, 306, 309, 326, 331 Weltanschauung 16, 287 — dreibegriffliche 287 -zweibegriffliche 289, 290, 291 Weltbegriff 222 Weltbetrachtung 32 Weltbewußtsein 88 Weltbild 166, 173, 251 Weltende 199 Weltgeschichte, weltgeschichtlich 79, 105, 236, 256, 264 Weltkirche, römische 261 Weltkrieg 18, 26, 76, 201, 302, 305, 329 Weltrat der Kirchen 17 Weltreligionen 279 Werdensbegriff 223 Werk 90, 91, 92, 93, 97, 109, 188, 189, 195, 199, 200, 201, 221, 274 — eigentliches, der Liebe 200, 201,

225, 226, 228, 230, 236, 259, 274, 276, 280, 284, 329 Wesen — des Christentums 15 - d e s Glaubens 111, 119, 132, 159, 162, 163, 190 — der Göttlichkeit 118 — der Philosophie 171, 172 — der Vernunft 163, — höchstes 68, 69, 73, 143, 209 Wesensäußerungen 217 Wesenselement 26 Wesenserfüllung 225, 226 Wesensforderung 224, 226 Wesensgestalt 286 Wesensgleichheit ( = homoousios) 210 Wesenslehre 285 Wesensstruktur 233, 235 Wesensverfehlung 225, 226, 227 Wesenszüge 188 Westen, westlich 25, 161, 191, 194, 226, 239, 262, 266, 270, 280, 284, 329 Widergöttlichkeit 287 Widerspruch 63, 219, 230, 234 Widerstand 78, 146, 191, 192, 193, 220,232 Widerstreit 175, 184, 188 Whitehead, Alfred North 72, 224 Wiedergeburt 92, 97, 225, 226, 233, 240, 241, 242, 248, 250, 251 Wiederherstellung 224, 225, 227, 230, 233, 234, 235, 236, 243, 245, 247

202

— fremdes, der Liebe 199,200, 202, 203, 204 Wert 174, 185, 209, 223, 234 Wertphilosophie 223 Wesen 36, 70, 71, 73, 77, 96, 122, 125, 127, 129, 131, 132, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 153, 158, 162, 164, 168, 172, 175, 178, 182, 187, 189, 195, 206, 207, 208, 209, 213, 218,

201,

118, 141, 149, 174, 196, 224,

Wiedervereinigung 159, 186, 187, 188, 234, 236, 263 Wille 91, 96, 98, 104, 108, 116, 125, 136, 137, 138, 142, 167, 203, 235, 288, 306, 307, 314, 326, 327, 330 Wille zu glauben 136,137 Wille zur Macht 5 0 , 2 1 6 , 2 7 2 , 2 9 0 Willkür, willkürlich 136, 137, 151 Wirkliche, das 286

367

Wirklichkeit 16, 21, 22, 23, 34, 35, 36, 47, 51, 54, 65, 70, 71, 74, 76, 78, 80, 81, 86, 93, 95, 99, 105, 140, 141, 143, 149, 150, 151, 152, 160, 161, 162, 165, 172, 175, 181, 184, 189, 193, 195, 213, 216, 217, 218, 219, 224, 225, 227, 237, 242, 246, 247, 248, 258, 270, 272, 273, 274, 275, 279, 281, 283, 287, 289, 290, 298, 300, 301, 319, 320, 328, 333 Wirtschaft 37, 38, 287 Wissenschaft 20, 38, 65, 85,133, 148, 154, 166, 167, 173, 196 Wissenschaftlich 78, 132, 133, 138, 139, 140, 148, 161, 164, 168, 170, 172, 183, 185, 216 Wort 70, 71, 72, 73, 74, 75, 78, 80, 95, 136, 137, 151, 220, 221, 222, 254, 330, 332 — das äußere 76 — das Fleisdi gewordene 73, 74, 75, 79, 81 — das innere 7 1 , 7 5 , 7 6 , 7 7 Wort Gottes 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 94 Wunder 168, 170, 332 Wurzel des Seins 37

Zeit 64, 95, 104, 112, 145, 147, 148, 160, 176, 186, 195, 199, 213, 217, 223, 224, 239, 241, 242, 248, 254, 255. 257, 259, 269, 271, 274, 276, 294, 299, 303, 308,

127, 162, 205, 226, 249, 262, 280, 309,

140, 144, 174, 175, 208, 211, 237, 238, 252, 253, 265, 266, 288, 292, 33.1, 334

Zeitalter 226, 245, 246, 247, 254, 273, 301 — apostolisches 106 — goldenes 225 — nachapostolisches 294 — wissenschaftliches 132 Zentralbegriff — das Neue Sein als 220,224, 230, 239 Zentrum 86, 89, 93, 96, 97, 100, 108, 114, 116, 119, 128, 183, 233, 235, 246, 253, 279, 287, 288, 290, 317, 323, 329 Zion 253 Zorn Gottes 199,200,201 Zoroaster 244 Zufall, Zufälligkeit 89, 213, 216,

266

Zukunft, zukünftig 52, 53, 55, 143, 144, 199, 237, 247, 255, 262, 263, 277, 284, 301, 334 Zweck 140, 175, 181, 219 Zweideutig, Zweideutigkeit 98, 114, 121, 122, 224, 225, 226, 238, 242, 254, 277, 319, 332 Zweifel 25, 31, 38, 85, 86, 89, 90, 91, 92, 96, 97, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 130, 131, 135, 137, 178, 179, 180, 181, 185, 188, 255, 261, 275, 307, 320, 332, 335 Zweifel — existentieller 125,126 — methodischer 124, 125 — skeptischer 124, 125 Zweifler 89, 91, 94, 96, 97, 99, 100 Zweinaturenlehre 209 Zwingli, Huldreich 14, 306 Zynisch, Zynismus 25, 124, 180,199, 204, 319