Gespräch und Erzählung: Strategien und Funktionen des Narrativen im antiken Dialog 3515132457, 9783515132459

Trotz seiner beachtlichen Konjunktur von der Antike bis zur Moderne hat die literaturwissenschaftliche Forschung die gat

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German Pages 298 [302] Year 2022

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VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG (Peter v. Möllendorff / Gernot Michael Müller)
I. ANTIKE METAREFLEXIONEN ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON DIALOG UND ERZÄHLUNG
DIALOGUE ET NARRATION DANS LA CORRESPONDANCE DE CICERON. Remarques sur un emploi du terme dialogus (Jean-Pierre de Giorgio)
DIALOGUE DANS LA NARRATION, NARRATION DANS LE DIALOGUE. L’exemple du De oratore (Mélanie Lucciano)
II. ERZÄHLUNGEN IM ANTIKEN DIALOG UND IHRE FUNKTIONEN
ERZÄHLEN ALS ZUGABE. Elemente des Erzählens in Platons Dialogen und ihre Funktionen (Michael Erler)
XENOPHONS HIERON ALS DIALOGISIERTE ERZÄHLUNG ZUR THERAPIERUNG DES TYRANNISCHEN MENSCHEN (Johannes Sedlmeyr)
FUNKTIONEN DES ERZÄHLENS IM ELEGISCHEN DISKURS. Ovids heroi(di)sche Briefpaare (Peter v. Möllendorff)
DIE LIEBESGESCHICHTE IM EROTIKÓS DES PLUTARCH. Dialogstruktur und Charakterzeichnung (Anna Ginestí Rosell)
III. MODELLIERUNGEN DES ERZÄHLERS IM ANTIKEN DIALOG
DAS ‚THEATER‘ IM DIALOG: VISUALISIERUNG DURCH ERZÄHLUNG (Sabine Föllinger)
DIALOGFORM UND ERZÄHLUNG IM HAGIOGRAPHISCHEN LEHRDIALOG GREGORS DES GROSSEN (Jochen Sauer)
IV. EXPERIMENTELLE VERKNÜPFUNGEN VON DIALOG UND ERZÄHLUNG
EPISTLE, NARRATIVE, DIALOGUE. Generic interplays in Pseudo-Hippocratic Letter 17 (Katarzyna Jażdżewska)
RECITS COLLABORATIFS CHEZ LUCIEN : L’EXEMPLE DU NAVIRE (Anne-Marie Favreau-Linder)
EPOS UND ERZÄHLUNG IN PHILOSTRATS EPISIERENDEM DIALOG HEROIKOS (Manuel Baumbach)
V. STRATEGIEN UND FUNKTIONEN DIALOGÜBERGREIFENDER ERZÄHLUNGEN
NARRATIVE KONSTRUKTIONEN EINER GESCHICHTE DER RÖMISCHEN PHILOSOPHIE IN CICEROS DIALOGEN (Gernot Michael Müller)
DER PHILOSOPH UND SEINE MUTTER. Erzählte philosophische Erkenntnis in den augustinischen Frühdialogen De ordine und De beata vita (Therese Fuhrer)
ORTS- UND NAMENREGISTER
STELLENREGISTER
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 3515132457, 9783515132459

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Gespräch und Erzählung Strategien und Funktionen des Narrativen im antiken Dialog Herausgegeben von Peter v. Möllendorff und Gernot Michael Müller

Klassische Philologie Franz Steiner Verlag

Palingenesia | 133

Palingenesia Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft Begründet von Rudolf Stark Herausgegeben von Christoph Schubert Band 133

Gespräch und Erzählung Strategien und Funktionen des Narrativen im antiken Dialog Herausgegeben von Peter v. Möllendorff und Gernot Michael Müller

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Coverabbildung: Phönix aus einem byzantinischen Mosaik aus Antiochia am Orontes, jetzt im Louvre (Paris) © akg-images / Erich Lessing Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022 Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13245-9 (Print) ISBN 978-3-515-13248-0 (E-Book)

VORWORT Der vorliegende Band versammelt dreizehn Beiträge, die aus einer von den Herausgebern organisierten internationalen altertumswissenschaftlichen Tagung zum Thema „Erzählen im Dialog“ hervorgegangen sind. Sie fand vom 21. bis 23. März 2019 in Schloss Rauischholzhausen statt, dem Tagungszentrum der Universität Gießen. Die Tagung und der aus ihr hervorgegangene Sammelband hätten ohne die mannigfaltige Unterstützung vieler nicht realisiert werden können. Ein herzlicher Dank geht an Katrin Dolle für Design und Produktion sehr ansprechender Plakate und Flyer, an Elisabeth Horz und Elina Günther für ihre effiziente Unterstützung der Tagungsorganisation in Gießen. Für die großzügige Finanzierung der Tagung sei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt gedankt. Für die Aufnahme des vorliegenden Bandes in die Reihe „Palingenesia“ gilt herzlicher Dank deren Herausgeber Christoph Schubert. Für das Lektorat haben die Herausgeber vor allem den Bonner Hilfskräften Iustus Immanuel Köhler, Jan Scheidig und Bastian Wagner zu danken. Sie haben sich auch der beschwerlichen Arbeit der Registererstellung unterzogen. Ebenso herzlich sei schließlich dem SteinerVerlag, namentlich Frau Katharina Stüdemann, für die hervorragende Zusammenarbeit und professionelle Betreuung des Projekts gedankt. Gießen und Bonn im Oktober 2021

Peter v. Möllendorff Gernot Michael Müller

INHALTSVERZEICHNIS Peter v. Möllendorff / Gernot Michael Müller Einleitung.................................................................................................................9 I. ANTIKE METAREFLEXIONEN ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON DIALOG UND ERZÄHLUNG Jean-Pierre de Giorgio Dialogue et narration dans la correspondance de Cicéron. Remarques sur un emploi du terme dialogus.........................................................31 Mélanie Lucciano Dialogue dans la narration, narration dans le dialogue. L’exemple du De oratore.......................................................................................45 II. ERZÄHLUNGEN IM ANTIKEN DIALOG UND IHRE FUNKTIONEN Michael Erler Erzählen als Zugabe. Elemente des Erzählens in Platons Dialogen und ihre Funktionen........................71 Johannes Sedlmeyr Xenophons Hieron als dialogisierte Erzählung zur Therapierung des tyrannischen Menschen.......................................................87 Peter v. Möllendorff Funktionen des Erzählens im elegischen Diskurs. Ovids heroi(di)sche Briefpaare............................................................................103 Anna Ginestí Rosell Die Liebesgeschichte im Erotikós des Plutarch. Dialogstruktur und Charakterzeichnung..............................................................121

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Inhaltsverzeichnis

III. MODELLIERUNGEN DES ERZÄHLERS IM ANTIKEN DIALOG Sabine Föllinger Das ‚Theater‘ im Dialog: Visualisierung durch Erzählung..................................141 Jochen Sauer Dialogform und Erzählung im hagiographischen Lehrdialog Gregors des Großen..............................................................................................157 IV. EXPERIMENTELLE VERKNÜPFUNGEN VON DIALOG UND ERZÄHLUNG Katarzyna Jażdżewska Epistle, narrative, dialogue. Generic interplays in Pseudo-Hippocratic Letter 17............................................181 Anne-Marie Favreau-Linder Récits collaboratifs chez Lucien : l’exemple du Navire......................................197 Manuel Baumbach Epos und Erzählung in Philostrats episierendem Dialog Heroikos.....................217 V. STRATEGIEN UND FUNKTIONEN DIALOGÜBERGREIFENDER ERZÄHLUNGEN Gernot Michael Müller Narrative Konstruktionen einer Geschichte der römischen Philosophie in Ciceros Dialogen..............................................................................................239 Therese Fuhrer Der Philosoph und seine Mutter. Erzählte philosophische Erkenntnis in den augustinischen Frühdialogen De ordine und De beata vita......................273 Orts- und Namenregister......................................................................................287 Stellenregister.......................................................................................................291

EINLEITUNG Peter v. Möllendorff / Gernot Michael Müller 1. DAS VERHÄLTNIS VON GESPRÄCH UND NARRATION ALS OFFENE FRAGE DER DIALOGFORSCHUNG Die systematische Erschließung des literarischen Dialogs datiert, von Ausnahmen abgesehen, erst in die letzten Jahrzehnte.1 Ausgangspunkt hierfür war die Einsicht, dass die für ihn charakteristische Wechselrede zwischen zwei oder mehreren Sprecherinstanzen kein nur gefälliges Gestaltungselement darstellt, sondern den Schlüssel für sein Verständnis und seine Interpretation.2 Die darauf folgende Konzentration der Dialogforschung auf die Gesprächshandlung hat eine Vielzahl von Aussageebenen freigelegt, die über diese organisiert und miteinander verschränkt werden. Diese reichen exempli gratia von der kommunikativen Interaktion selbst über Hinweise zu Ort und Zeit des Gesprächsgeschehens bis hin zu den Sprecherinstanzen und ihrem Beitrag zu dessen Gelingen oder aber auch Scheitern.3 Die gattungstypologische Profilierung des literarischen Dialogs über sein zentrales Gestaltungsmerkmal wurde ergänzt durch seine Abgrenzung von solchen Textsorten, zu denen er jeweils gewisse Affinitäten aufweist. Hierzu zählt vorderhand der Traktat, dessen Argumentation in der Regel linear und ohne Mar1

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Für einen Überblick der Gattungsgeschichte von der Antike bis an den Beginn der Moderne immer noch maßgeblich Hirzel (1895) (ND 1963); vgl. auch Guellouz (1995) und die Beiträge in Hempfer/Traninger (2010) sowie Hösle (2006) mit Blick auf den philosophischen Dialog. – Aus der relativen Fülle der inzwischen erschienenen Literatur seien hier beispielhaft erwähnt: zum Dialog der Antike die Beiträge in Föllinger/Müller (2013), Dubel/Gotteland (2015) und De Giorgio/Laurent/Le Borgne (2016) (mit Ausblicken auf den nachantiken Dialog); speziell zum Dialog in der Spätantike und in der frühchristlichen Literatur Schmidt (1977) und Cameron (2014); zum mittelalterlichen Dialog die Beiträge in Jacobi (1999) sowie umfassend Cardelle de Hartmann (2007); zum Dialog in der Renaissance Marsh (1980), Cox (22008), die Beiträge in Hempfer (2002) und in Buron/Guérin/Lesage (2015); zum Dialog der Aufklärung Wertheimer (1990) und Fries (1993). Vgl. hierzu grundlegend Hempfer u. a. (2001) und Hempfer (2002) sowie speziell mit Blick auf die Antike die Einleitung in Föllinger/Müller (2013) 1–19 und die Einleitung von Sandrine Dubel in Dubel/Gotteland (2015) 11–23; für eine antike Definition des Dialogs s. Diog. Laert. 3,48–49. S. paradigmatisch Häsner (2002) mit Blick auf den Dialog der Renaissance, hinsichtlich der Ergebnisse aber generalisierbar für die gesamte Gattungsgeschichte; s. jetzt auch zum Lachen und damit zur Bedeutung nonverbaler Kommunikation im Dialog die Beiträge in Briand/Dubel/Eissen (2017).

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kierung der sie steuernden Instanz verläuft.4 Dann ist das Drama zu nennen, dessen Gesprächshandlung zur Aufführung bestimmt ist, wohingegen diese im literarischen Dialog ungeachtet einiger gegenteiliger Beispiele5 der Lektüre vorbehalten bleibt und somit als sich allein auf der Ebene des Texts realisierende Performance im Modus fingierter Mündlichkeit zu verstehen ist,6 in der die (imaginierte) Handlung gegenüber der Gesprächsinteraktion unterschiedlich gewichtet sein kann.7 Ein Bereich literarischer Textualität gerät im Hinblick auf seine Beziehungen zum literarischen Dialog indes kaum in den Blick, nämlich die vielfältigen Erscheinungsformen des Narrativen. Zwar weisen einschlägige gattungstheoretische Untersuchungen durchweg auf die Bedeutung von Dialogsequenzen als geläufigem Bestandteil von narrativen Texten hin und grenzen diese vom literarischen Dialog ab, der abgesehen von der Möglichkeit einer Rahmung oder kurzer auktorialer Zwischenbemerkungen ausschließlich als Wechselrede realisiert sein muss, um als solcher gelten zu können. Jedoch wird kaum diskutiert, ob und inwieweit umgekehrt der formale Spielraum des literarischen Dialogs auch narrative Elemente umfasst und welche eigenen, von genuin narrativen Gattungen zu unterscheidende Gesetzmäßigkeiten er bei deren Adaptation ausbildet. Dementsprechend hat der literarische Dialog auch in der Narratologie bislang keine nennenswerte Aufmerksamkeit gefunden.8 Dieser auffällige Befund mag seine Ursache darin haben, dass der literarische Dialog – und dies sicherlich mit einigem Recht – vor allem als Gattung des philosophischen Diskurses oder allgemein der Wissensliteratur wahrgenommen wird,9 sodass die Frage nach den ihm eigentümlichen Formen des Argumentierens und infolgedessen seine spezifischen Gestaltungsweisen im Vergleich zum Traktat bei seiner Interpretation und gattungstheoretischen Systematisierung im Vordergrund 4 5 6

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S. die konzisen Ausführungen in Hempfer u. a. (2001) 74–76 und Häsner (2004) insb. 19–23; vgl. auch Gill (2002) speziell zu Platon. Plutarch berichtet von der Aufführung Platonischer Dialoge in Plut. symp. 7,711c. Zur fingierten Mündlichkeit im Dialog vgl. Westermann (2002) 10–15 und Hösle (2006) 38– 41. Grundsätzlich zur Abgrenzung zwischen mündlichem Gespräch und Dialog als literarischer Gattung s. ferner Bauer (1969) 10; Hösle (2006) 32–33 sowie mit Auswertung der bisherigen Forschungsliteratur Humar (2017) 15–19. Die Unterscheidung zwischen dem mündlichen Gespräch und dem Dialog als literarischer Gattung findet im Reallexikon der germanistischen Literaturwissenschaft ihren Niederschlag darin, dass dieses zwei Lemmata „Dialog1“ und „Dialog2“ führt, von denen das eine das linguistische Phänomen, das andere die literarische Gattung bespricht. Zur linguistischen Dialoganalyse vgl. exemplarisch den Überblick in Hess-Lüttich/Fricke (1994) 606–621 und Fries/Weimar (31997) 354–356. Vgl. Häsner u. a. (2011). Für einen Überblick über Themen und Perspektiven der aktuellen narratologischen Forschung s. Hühn u. a. (2009) sowie die Beiträge in The Living Handbook of Narratology (vgl. http://www.lhn.uni-hamburg.de/index.html). Für eine Adaptation auf die Belange des literarischen Dialogs bieten sich vor allem einschlägige Zugänge zum Drama an, die in der Narratologie aber ihrerseits eher am Rande eine Rolle spielen (s. de Jong [1991] zu Euripides und allgemein Korthals [2003]). So bereits bei Diog. Laert. 3,48.

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stehen.10 Zudem scheint in der Forschung gerade das Verhältnis von Dialog und Narration als grundsätzlich gegensätzlich angesehen zu werden, und dies schon in der antiken Reflexion über die Gattung, wenn Platon – etwa im Politikos 277a–c – über Problematik, Bedeutung und Leistungsfähigkeit narrativer (mythischer und traktatartiger) Einschübe in die argumentative Entwicklung des Dialogs reflektiert. 2. MÖGLICHKEITEN DES NARRATIVEN IM LITERARISCHEN DIALOG Allerdings lässt bereits ein nur flüchtiger Blick auf einschlägige Fälle der Gattung erkennen, dass im literarischen (wie ja auch im lebensweltlichen) Dialog verschiedenste Formen des Narrativen realisiert werden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Möglichkeit, der eigentlichen Gesprächshandlung eine narrative Einleitung im Sinne eines Proömiums voranzustellen, in der wesentliche Hintergrundinformationen über das Zustandekommen der in der Folge inszenierten Unterredung, wie etwa über deren Ort und Zeitpunkt, über Rahmenbedingungen oder die Gründe für deren spezifische Personenkonstellation gegeben werden, sowie mit einem dazu komplementären, in der Regel aber sehr knappen Abschluss zu versehen.11 Doch obwohl sich in der Dialogforschung für solche Gattungsexemplare die Bezeichnung „narrativer Dialog“ etabliert hat, sind diese bislang ebenso wenig systematisch im Hinblick auf Formen- und Funktionsspektren untersucht worden, wie auch die Frage selten gestellt wird, wie sich Rahmung und dazwischenliegendes Dialoggeschehen wechselseitig bedingen und beeinflussen. Das gleiche Desiderat betrifft noch mehr jene narrativen Elemente, die in die dialogische Interaktion integriert sind und dort auf den ersten Blick als Gegenstück zu jenem Verfahren erscheinen, das nach übereinstimmender Forschungsmeinung den Wesenskern eines Dialogs ausmacht, nämlich zur Argumentation. In der Tat ist eine Erzählung grundsätzlich anders aufgebaut als eine argumentative Sequenz. Zudem stellt sie zunächst einmal einen monologischen Akt dar, der anders als jene nicht auf Antwort und Diskussion abgestellt ist. Entsprechend kann die (an sich dialogkonstitutive) Unterbrechung einer solchen Erzählung durch den Dialogpartner als Störung wahrgenommen werden, und tatsächlich stellt sie potenziell eine Aneignung von mehr als eigentlich zustehender Dialogzeit dar und kann daher als diskursive Strategie argumentativer Vorteilsgewinnung fungieren. Wird sie aber als Gesprächsbeitrag einer oder mehrerer Figuren in kooperativer Ergänzung realisiert, so wird sie zu einem Teil des Gesprächs und kann im Vorgang der wechselseitigen Überzeugungsversuche verschiedene Funktionen übernehmen, die es zu klären gilt.

10 Vgl. nochmals Hösle (2006) sowie Föllinger (2005 und 2006) und mit Blick auf Platon beispielsweise die Beiträge in Cornelli (2015). 11 Vgl. erneut Häsner (2004) für eine Typologie von narrativem und dramatischem Dialog; für eine antike Definition s. Plut. symp. 7,711c mit Blick auf das Dialogœuvre Platons.

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Narrative Partien können zum einen das für das inszenierte Gespräch nötige Vorabwissen durch entsprechende Erzählungen der beteiligten Figuren generieren und zum anderen auf vielfältige Weise Verlauf und Argumentationsgang der Dialoghandlung prägen: als Berichte von biographischen Ereignissen, die dem Gesprächspersonal Kontur verleihen und ihre den Gang der Unterredung beeinflussende Wesensart erläutern können; als solche, die von nicht anwesenden Personen handeln oder historische Vorkommnisse reflektieren und den inhaltlichen Horizont des Gesprächs damit über die Erfahrungswelt der an diesem beteiligten Figuren hinaus erweitern können; als argumentationsstützende Paradigmata; schließlich als Imaginationen zukünftiger Entwicklungen oder gar als mythologischer Bericht im Sinne der Entwicklung umfänglicherer Zusammenhänge und der Einziehung einer Deutungsebene philosophischer Reflexion, um hier nur einige Möglichkeiten anzudeuten. Dabei können derartige Erzählungen je nach Umfang und Bedeutung, die ihnen im Dialoggeschehen beigemessen werden, beträchtliche Eigenständigkeit gegenüber der eigentlichen Gesprächshandlung gewinnen, und zwar so, dass sie sogar eine eigene Rezeptionsgeschichte begründen können, wie dies bei Aristophanes’ Mythos von den archaischen Doppelmenschen in Platons Symposion12 oder beim so genannten somnium Scipionis aus dem sechsten Buch von Ciceros De re publica der Fall ist.13 3. FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN In all den genannten Fällen stellt sich die grundsätzliche Frage, welche Konsequenzen es für die narrativen Partien zeitigt, dass diese aus einem Gesprächskontinuum heraus motiviert und in einem solchen realisiert werden. Zu erproben ist folglich, ob sich über eine breite Analyse von Erzählweisen im literarischen Dialog eine dialogspezifische Variante des Narrativen herausarbeiten lässt, wie es auch im Vergleich zum Traktat dialogtypische Formen des Argumentierens gibt. Umgekehrt gilt es zu klären, in welcher Weise die verschiedenen Möglichkeiten des Erzählens, die sich im literarischen Dialog greifen lassen, dessen grundlegende Strukturebene der Gesprächsinteraktion beeinflussen, etwa indem eine Erzählung zu einer klaren Zuspitzung im Hinblick auf das argumentative Überzeugungsziel einer Figur führt. Somit ist – analog zur Analyse des Argumentationsverlaufs – stets darauf zu achten, was erzählt wird und was nicht, wo und wie Anfang, Höhepunkt und Ende der Narration gewählt werden; ebenfalls ist zu prüfen, inwiefern sich ein narrativer Beitrag unmittelbar rhetorischer Mittel bedient. Und schließlich ist das Verhältnis von Erzählung und ihrem figuralen Erzähler in den Blick zu nehmen und herauszuarbeiten, wie sich die Tatsache, dass gerade er zum Erzähler wird, auf sein Auftreten und seine Autorität im dialoginternen Ge-

12 Z. B. bei Simone Weil und Sigmund Freud, aber auch im Musical und im Film: vgl. Hunter (2004) 67. 13 Vgl. etwa Munk Olsen (1976) zur Rezeption des somnium Scipionis im Mittelalter.

Einleitung

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schehen auswirkt, bzw. weshalb und durch wen er zur Übernahme dieser Rolle motiviert wird. Schließlich lassen solche narrativen Teile, die dialogintern einen (figuralen) ‚Autor‘ aufweisen, der zum intradiegetischen Erzähler der Narration selbst in ein dann näher zu bestimmendes Verhältnis tritt, die schwierige Frage nach dem Autor des Dialogs selbst und seiner Präsenz im Text in einem neuen Licht erscheinen.14 Eine in der neueren Narratologie untersuchte ästhetisch orientierte Fragestellung betrifft die ‚narrative Person‘ des Erzählers und ihre Gestaltung in den verschiedenen Erzählformen, nicht zuletzt in der als selbstständige Narration raren und komplexen ‚Du-Erzählung‘, die aber im Dialog deutlich präsenter sein kann.15 Um die gattungsspezifische Relevanz narrativer Elemente im literarischen Dialog darzulegen, gilt es folglich den Spielraum der strukturellen, rhetorischen, motivischen und thematischen Verbindungslinien zwischen der Narration und der Gesprächsinteraktion, in die sie eingebunden ist, sowie ihrer funktionalen Dimensionen auszumessen. Dabei ist das Augenmerk vor allem auf die wechselseitigen Interdependenzen zwischen Narration und Gespräch zu legen. Im Hinblick auf eine Typologie des ‚Erzählens im Dialog‘ ist ergänzend dazu eine narratologische Bestandsaufnahme der spezifischen narrativen Möglichkeiten zu leisten. Aus diesem Blickwinkel kann dann, mit Blick auf das Verhältnis von Narration und kontextuellem Dialoggeschehen, gegebenenfalls auch jenes Dialoggeschehen selbst zum Gegenstand narratologischer Überlegungen werden (transgenerische Narratologie),16 umgekehrt aber auch die Narration als dialogisch orientierte Äußerung verstanden werden. Somit wird eine Analyse der spezifischen Erzählformen im literarischen Dialog nicht nur das Verständnis seiner Gattungspoetik wesentlich befördern, sondern darüber hinaus auch einen Beitrag zur Erforschung narrativer Verfahren in der antiken Literatur im Allgemeinen leisten. 4. ZU KONZEPTION UND AUFBAU DES VORLIEGENDEN BANDES An den soeben skizzierten Fragen und Problemfeldern setzen die dreizehn Beiträge dieses Sammelbandes an, indem sie in exemplarischen Fallstudien eine formale und funktionale Bestandsaufnahme des Narrativen im literarischen Dialog leisten. Ihr Gegenstand sind die vielfältigen Ausprägungen der Gattung in der Antike und damit in jener Epoche, in der sie nicht nur entstanden ist, sondern in der sich auch bereits ihr gesamtes für ihre Wirkungsgeschichte bis in die Moderne prägendes Formen- und Funktionsspektrum herausgebildet hat. Dabei kommt in ihnen zum 14 Vgl. v. Möllendorff (2013). 15 S. etwa Petersen (2010). 16 Zu finden unter: https://d-nb.info/965320316/04. Im Fokus steht hier, hervorgehend aus dem Theater der Avantgarde, meist das ‚dramatische Erzählen‘, vgl. etwa Weber (2017); zum Erzählen in der Lyrik vgl. bspw. Hühn (2004) und Dueck (2019). Solche Ansätze werden aktuell ergänzt, verstärkt durch transmediale Fragestellungen – etwa: Erzählen im Text und Erzählen im Film.

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einen die soeben dargestellte systematische Breite der Fragestellung zur Sprache. Zum anderen decken sie beinahe die gesamte antike Gattungsgeschichte des Dialogs ab; sie erfassen somit Realisationsformen des Narrativen im literarischen Dialog auch in ihren diachronen Schwerpunktbildungen und nehmen ihre wechselnden geistes- und kulturgeschichtlichen Bedingungen in den Blick. Schließlich skizzieren sie œuvre- und autorspezifische Eigentümlichkeiten des Narrativen im antiken Dialog. Ziel der Beiträge ist es, einem bislang noch nicht gebührend gewürdigten Aspekt des antiken Dialogs die ihm angemessene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und so einen Beitrag zu einem vertieften Verständnis seiner Poetik, aber auch der Poetik des literarischen Dialogs insgesamt, zu leisten. Die Beiträge sind im Folgenden in fünf Sektionen untergliedert, die eine systematische Ordnung etablieren. Ein abschließender Abschnitt dieser Einleitung bündelt die Ergebnisse der Beiträge zu Elementen einer Theorie des Narrativen im antiken Dialog. Die erste Sektion des Bandes trägt den Titel „Antike Metareflexionen über das Verhältnis von Dialog und Erzählung“. Sie enthält zwei Beiträge, die aus unterschiedlicher Perspektive darlegen, dass sich Cicero in seinem Œuvre nicht nur theoretisch mit den Möglichkeiten des Dialogs selbst auseinandergesetzt, sondern auch dem Verhältnis von Dialog und Erzählung Aufmerksamkeit geschenkt hat. Im ersten untersucht Jean-Pierre de Giorgio unter dem Titel „Dialogue et narration dans la correspondance de Cicéron. Remarques sur un emploi du terme dialogus“ (S. 31–43) einen Brief Ciceros an Atticus (Att. 13,42), in dem er seinem Adressaten von einer Begegnung mit dem gemeinsamen Neffen Quintus berichtet und dafür den Modus des dramatischen Dialogs verwendet. Ausgangspunkt für de Giorgios Überlegungen ist die Frage, warum Cicero ihn abschließend mit dem griechischen Lehnwort dialogus und nicht mit dem Begriff sermo bezeichnet, den er ansonsten zur Bezeichnung seiner Dialoge verwendet. Um sie zu beantworten, geht er im Zentrum seines Beitrags den Verständnisweisen von dialogus bzw. διάλογος in der antiken rhetorischen Theorie nach und analysiert zu diesem Zweck die einschlägigen Passagen in Demetrios’ Traktat De elocutione, Dionysios’ von Halikarnassos Überlegungen zu Thukydides in dessen rhetorischem Œuvre und in den Progymnasmata des Aelius Theon. Ergebnis ist, dass der Terminus διάλογος zum einen stets das literarische inszenierte und nicht das realiter geführte Gespräch, also eine Variante des schriftlichen Diskurses meint und zum anderen als eine Realisierungsform der Erzählung verstanden wird, die sich vor allem zur Erzeugung von Anschaulichkeit und Evidenz eignet. In der Tat kann de Giorgio abschließend nahelegen, dass Cicero mit der Gestaltung seines Berichts über sein Treffen mit dem jüngeren Quintus in Form des dramatischen Dialogs genau dieses Ziel verfolgt hat. Angesichts einer positiven Nachricht des gemeinsamen Neffen über sein Fortkommen, der ansonsten eher Anlass zur Sorge bot, wollte Cicero diese seinem Freund offensichtlich entsprechend eindrücklich übermitteln. Die explizite Verwendung des Begriffs dialogus appelliert dabei einerseits spielerisch an den gemeinsamen Verständnishintergrund zweier literarisch versierter Briefpartner, andererseits weist sie darauf hin, dass Cicero die Wiedergabe seiner Unterredung mit Quintus als Dialog dezidiert im Sinne der von de Giorgio ausge-

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werteten theoretischen Äußerungen als wirkungsästhetisch bedingte Modifikation seines Berichts verstanden wissen wollte. Im Anschluss daran arbeitet Mélanie Lucciano einen komplementären Befund an Ciceros frühestem Dialog De oratore heraus. Ausgangspunkt ihres Beitrags mit dem Titel „Dialogue dans la narration, narration dans le dialogue. L’exemple du De oratore“ (S. 45–68) ist die Beobachtung, dass die Neuerungen von De oratore gegenüber Ciceros frühem rhetorischen Traktat De inventione nicht nur die Dialogform, sondern auch die herausgehobene Rolle, die Erzählungen darin einnehmen, betreffen. Vor diesem Hintergrund erschließt sie, dass in De oratore das Verhältnis von narratio und Dialog in zweifacher Weise thematisiert und diskutiert wird. Zum einen wird in der rhetorischen Diskussion der Dialogfiguren die Wechselrede analog zum Ergebnis von Jean-Pierre de Giorgios Deutung von Att. 13,42 als mögliches Stilmittel einer narratio konfiguriert, die den Inhalt einer Rede anschaulicher machen und ihr zudem einen kurzweiligeren Duktus verleihen kann. Zum anderen vermag Lucciano in der Gesprächshandlung von De oratore eine umgekehrte Wechselbeziehung zwischen Dialog und Erzählung zu erkennen. Denn ausgehend von der Tatsache, dass in Dialogen die Figuren die auctoritas einer Aussage garantieren, legt sie anhand einer Lektüre einschlägiger Passagen aus den Reden des Crassus und des Antonius dar, dass diese beiden Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft vorrangig aus wiederholten und einander ergänzenden Erzählungen beziehen, mit denen sie Einblicke in ihre rhetorische Bildungsbiographie geben. Diese Funktionalisierung autobiographischer Erzählung zur Konstruktion von auctoritas beobachtet Lucciano nicht zuletzt im Hinblick auf Cicero selbst in den Proömien von De oratore, die als Briefe zwischen Autor und Bruder im Sinne der Brieftheorie ebenfalls den Charakter eines Dialogs, wenngleich inter absentes, aufweisen. De Giorgio und Lucciano zeigen somit an unterschiedlichen Gattungen und Werken aus Ciceros Œuvre, dass der römische Autor dem Dialog nicht nur im Sinne der rhetorischen Theorie Bedeutung für die Gestaltung einer narratio beimisst und sich dessen Potenzial dabei selbst bedient, sondern dass Erzählungen umgekehrt auch wesentlich dazu beitragen, das Aussageziel seiner Dialoge zu realisieren. Beide Beiträge belegen damit exemplarisch, dass das Verhältnis von Dialog und Erzählung in der Antike nicht als Gegensatz, sondern als komplementäres und sich wechselseitig bereicherndes wahrgenommen wurde. Auf der Basis dieser theoretischen Grundlegung enthält die zweite Sektion vier Beiträge, die beispielhaft den Funktionsspielraum von Erzählung in antiken Dialogen aufzeigen („Erzählungen im antiken Dialog und ihre Funktionen“). Den Auftakt macht Michael Erlers Beitrag „Erzählen als Zugabe. Elemente des Erzählens in Platons Dialogen und ihre Funktionen“ (S. 71–85). In ihm geht Erler von der Beobachtung aus, dass der platonische Sokrates zwar in seiner Auseinandersetzung mit den Sophisten bei der Frage nach dem adäquaten Medium für Genese und Vermittlung philosophischen Wissens der Wechselrede grundsätzlich den Vorzug gegenüber der Erzählung gibt, er in Platons Dialogen aber hin und wieder dennoch längere Reden oder Erzählungen akzeptiert. Die Gründe hierfür erschließt er sodann durch die Relektüre der Überleitung zum Mythos von der Jen-

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seitserfahrung des Er in der Politeia sowie durch ergänzende Ausblicke auf die Nomoi und den Timaios. In allen drei Fällen arbeitet Erler heraus, dass die jeweiligen Erzählungen als absichtsvolle Ergänzungen der zuvor deutlich zum Abschluss gebrachten philosophischen Argumentationen zu verstehen sind, die es einem philosophisch weniger versierten Publikum, zu dem auch Sokrates’ Gesprächspartner in den Dialogen zu zählen sind, erlauben, den Gehalt der vorangehenden philosophischen Ausführungen zu erfassen und anzunehmen. Auf diese Weise erfüllen diese Erzählungen die Funktion rhetorischer persuasio. Nachdem Erler seine Deutung der Erzählungen in Platons Dialogen an einem Ausblick auf den pseudo-platonischen Dialog Axiochos verifiziert hat, schließt er seine Ausführungen mit der These, dass letztlich auch die Gestaltung der Dialoge Platons als historische Erzählungen über Sokrates jenseits ihres Traditionsbezugs auf die Sokratikoi logoi im dargelegten Sinne zu verstehen seien: nämlich als Versuche, die philosophischen Konzepte des Sokrates einem breiten Publikum verständlich und plausibel zu machen. Johannes Sedlmeyr analysiert in seinem Beitrag „Xenophons Hieron als dialogisierte Erzählung zur Therapierung des tyrannischen Menschen“ (S. 87–102) mit dem im Titel genannten Werk einen Dialog, der auf ein prominentes Erzählmodell, jenes vom Gespräch des Weisen mit einem Mächtigen, zurückgreift, und arbeitet die Gründe für den Gattungswechsel heraus. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass Xenophon im Hieron nicht einfach nur die genannte Erzähltradition mit der Form des sokratischen Dialogs kombiniert, sondern dies mit dem Ziel tut, auf diese Weise gleichzeitig auch Platons Modell einer therapeutischen Philosophie zu adaptieren. Hierzu beginnt er mit einem Blick auf die Solon-KroisosEpisode in Herodots lydischem Logos, um an ihr die typischen Elemente des topischen Gesprächs zwischen Weisem und Mächtigem vorzustellen. Daraufhin legt er anhand einer Lektüre einschlägiger Passagen des Hieron dar, wie Xenophon mit der Transformation des Erzählschemas zu einem Dialog eine therapeutische Schrift generiert. Ausgangspunkt hierfür ist der Aufweis der charakteristischen Unterschiede zwischen Dialog und Erzähltradition, die sich vor allem in einer durch die Möglichkeiten des Dialogs begünstigten Umgestaltung der Rollen niederschlägt. So erlaube die Gestaltung des Simonides als Fragenden, diesem ein ironisches Profil im Sinne des platonischen Sokrates zu verleihen und ihn zum Akteur eines therapeutischen Kurses für den Ausweg aus dem Unglück des Tyrannen über eine Wandlung seines Herrschaftsverständnisses zu modellieren. Gleichsam als Absicherung für seine Lektüre des Hieron schließt Sedlmeyr mit einem Ausblick auf das Gespräch des Sokrates mit Perikles in den Memorabilien Xenophons, in denen ersterer ebenfalls als therapeutischer Ratgeber auftritt, um Xenophons Vertrautheit mit Platons therapeutischer Philosophie nachzuweisen. Der folgende Beitrag von Peter v. Möllendorff wendet sich unter dem Titel „Funktionen des Erzählens im elegischen Diskurs. Ovids heroi(di)sche Briefpaare“ (S. 103–119) mit den Briefpaaren in Ovids Heroides einer Gattung zu, die der rhetorischen Theorie zufolge enge Affinitäten mit dem Dialog aufweist. Insofern Briefe dort als Hälfte eines Dialogs verstanden werden, lassen sich die ovidischen Briefpaare als veritable Dialoge verstehen. Als Kontrastfolie zu den Briefpaaren

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wirft v. Möllendorff zunächst einen kurzen Blick auf die Einzelbriefe, die eingelegte Narrationen sehr unterschiedlicher Länge erst ab Brief Nr. 10 kennen. Hier geht es grundsätzlich um die Erzeugung von Pathos und die Stiftung emotional aufgeladener Erinnerung, zum Ausdruck hassvoller Frustration oder im Gegenteil zum Zweck der Werbung, zur verlassenen Geliebten zurückzukehren. Die drei Briefpaare bilden auf der Basis der in ihnen enthaltenen Erzählungen ein Triptychon: Im Briefpaar Paris-Helena erzählt der Mann, in dem von Hero und Leander erzählen beide, im letzten Briefwechsel zwischen Acontius und Cydippe erzählt die Frau. Die Zwecke sind jeweils unterschiedlich: Hero und Leander erzählen komplementär und auf der Grundlage einer gemeinsamen Wertebeziehung, Cydippe erzählt ihre Version der Apfel-Geschichte, um durch Andeutungen eine Interpretationsnotwendigkeit beim Adressaten zu erzeugen, die es ihr ermöglicht, in der sich anbahnenden Liebesbeziehung ihren Status als naive und ehrbare Frau authentisch zu bewahren. Paris’ Erzählung seiner Vergangenheit bis zu seiner Begegnung mit Helena erweist ihn als materialistischen vir in einer elegischen Beziehung, deren mit dieser Festlegung verbundene Eckdaten von Helena explizit akzeptiert werden: Die so distanziert anmutende Erzählung des Paris-Urteils erweist sich in einem rhetorischen Sinne als der Adressatin angemessen und dient einerseits der indirekten Charakterisierung des Absenders, andererseits wird hier auch einmal die Reaktion einer strategischen Leserin erkennbar – eine Rolle, die in eigenständigen Narrationen üblicherweise erst von den Rezipierenden rekonstruiert werden muss. Der letzte Beitrag der Sektion von Anna Ginestí Rosell („Die Liebesgeschichte im Erotikós des Plutarch. Dialogstruktur und Charakterzeichnung“, S. 121–137) kehrt in gewisser Weise zur Fragestellung von Johannes Sedlmeyrs Beitrag zurück, indem auch er die Verschränkung von Erzählung und Dialog thematisiert, wobei hier nicht die Transformation einer Erzähltradition in einen Dialog, sondern deren Zusammenführung Gegenstand ist. In Plutarchs Erotikos sind es die philosophische Traktatliteratur über die Ehe und die platonischen Schriften über die Macht des Eros, die der Autor virtuos miteinander kombiniert, indem er ein auf dem Helikon stattfindendes philosophisches Gespräch und eine sich parallel dazu in Thespiai ereignende Liebesgeschichte so miteinander verschränkt, dass letztere Gehalt und Fortgang des ersteren nachgerade bedingt. Um dies darzulegen, beginnt Ginestí Rosell mit einer Vorstellung der Rahmenhandlung, die die Ebene der durch den Sohn Plutarchs vermittelten Haupterzählung konstitutiert, wonach dessen Vater zum Erosfest nach Thespiai gereist sei und daraufhin eine Wanderung auf dem Helikon unternommen habe. Der sich dadurch ergebenden Dichotomie von Stadt und Land, in der die Stadt den Chronotop der Begegnung und des Alltagsgesprächs und das Land jenen der philosophischen Reflexion markiert, gilt der nächste Abschnitt. Nachdem Ginestí Rosell im Folgenden die Einflüsse von Platons Symposion und Phaidros auf die Gestaltung des Beglaubigungsapparats in der Rahmenhandlung sowie des locus amoenus als Realisationsraum des philosophischen Gesprächs auf dem Helikon aufgezeigt hat, legt sie dar, dass und auf welche Weise die Verbindung der Liebesgeschichte zwischen Ismenodora und Bakchon mit der philosophischen Reflexion durch Dialogfiguren realisiert wird,

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die beiden Ebenen angehören. In der Tat wird die Diskussion auf dem Helikon über den Eros durch die Ankunft zweier Personen aus der Stadt angestoßen, die von der Liebesgeschichte zwischen Ismenodora und Bakchon berichten, und in ihrem Verlauf von weiteren Gästen beeinflusst, die über den Fortgang der Ereignisse in der Stadt Auskunft geben können. Die Zusammenführung beider Ebenen des Werks an dessen Ende durch die Einladung der vom Helikon zurückkehrenden Wanderer zur Hochzeit bezieht Ginestí Rosell abschließend auf Plutarchs Philosophieverständnis, wonach die Philosophie ihren Ausgangspunkt bei Alltagserfahrungen nehmen soll, sie sodann aber Abstand von diesem einnehmen muss, um zu universellen Aussagen zu gelangen, am Ende aber wieder in das Alltagsleben zurückwirken soll. Die dritte Sektion mit der Überschrift „Modellierungen des Erzählers im antiken Dialog“ beinhaltet zwei Beiträge, die exemplarisch der Frage nachgehen, welche Funktion dem Erzähler bei der Organisation narrativer Elemente im Dialog bzw. eines Dialogs als Erzählung zukommt. Sabine Föllingers Beitrag, „Das ‚Theater‘ im Dialog: Visualisierung durch Erzählung“ (S. 141–156), untersucht die Rolle der Sokrates-Figur als homodiegetischen Erzählers der Platonischen Dialoge Protagaras und Phaidon sowie von Xenophons Dialog Oikonomikos. Diese situiert Föllinger vorrangig in der Visualisierung, die zum einen durch die Art der Schilderung, zum anderen durch die Verwendung von Metaphern aus dem Bereich des Theaters und von Verben des Schauens unterstützt wird. Indem der Rezipient das geschilderte Geschehen aus der Perspektive des Erzählers wie ein Theaterstück verfolgen kann, entsteht in ihm, so die These Föllingers, ein ‚mentales Bild‘ bzw. eine ‚mentale Theatralisierung‘ des Dialogs. So erlebt er aus Sokrates’ Perspektive das arrogante Gehabe der Sophisten im Protagoras und aus Phaidons Blickwinkel die Inszenierung von Sokrates’ Tod, oder er sieht in Xenophons Oikonomikos mit den Augen des Sokrates den als Vorbild für vorbildliche Haushaltsführung herangezogenen Ischomachos als Person auf der Agora. Diese Strategie dient außerdem, so die abschließende Deutung Föllingers, einer Veranschaulichung des auf der diskursiven Ebene erarbeiteten propositionalen Gehalts des Dialogs. Gleichzeitig wird durch den Umstand, dass es sich um Modi der Visualisierung in einer Erzählung und nicht um ein veritables Theaterstück handelt, eine Distanz hergestellt, die den Rezipienten einerseits zur Reflexion motivieren soll, andererseits aber auch dessen Lenkung durch den Erzähler und seinen Blick auf das dargestellte Dialoggeschehen ermöglicht. Der zweite Beitrag der Sektion von Jochen Sauer („Dialogform und Erzählung im hagiographischen Lehrdialog Gregors des Großen“, S. 157–177) untersucht die Rollen, in denen sich Gregor der Große in seinen Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum auftreten lässt. Dabei konzentriert sich Sauer auf die ersten drei Bücher dieser in den Jahren 593/594 n. Chr. während Gregors Pontifikat entstandenen Sammlung. Sie umfassen fünfzig Heiligenerzählungen unterschiedlicher Länge, die durch einen Lehrer-Schüler-Dialog zwischen Gregor und dem Diakon Petrus gerahmt werden. In einem ersten Schritt differenziert Sauer drei Rollen, in denen Gregor im Dialog auftritt: Als Vorredensprecher (‚präfatorischer Gregor‘) gibt Gregor dem Leser unter Verwendung traditioneller Topoi der

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Dialogvorreden Rezeptionshinweise für die Heiligenviten. Als Dialogfigur (‚dialogischer Gregor‘) nimmt er Fragen des Diakons Petrus zum Anlass, einzelne Elemente von Heiligkeit näher zu erklären. Als ‚erzählter Gregor‘ tritt er schließlich innerhalb seiner Berichte als Zeuge auf, der die kursierenden Erzählungen über das Wirken heiliger Männer Italiens festhält und sie durch seine Reisen und Erkundigungen dem Vergessen entreißt. Vor dem Hintergrund dieser drei Gregorpersonae betrachtet Sauer in einem zweiten Schritt jene Erzählungen, die durch die dialogische Interaktion miteinander verbunden werden. Sie unterscheiden sich nicht nur durch eine große Variationsbreite im Umfang, sondern auch in Erzähltechnik und Stil. Die Stilvariation erhöht dabei den Eindruck der Authentizität der Viten, die, so der präfatorische Gregor, unterschiedlichen Quellen entstammen. Speziell die Sprache der Heiligen orientiert sich in ihrer Prägnanz und Schlichtheit an den einfachen Worten Jesu. Ganz im Gegensatz dazu verwendet Gregor in den dialogischen Passagen, welche die einzelnen Wundererzählungen rahmen, einen komplexeren Stil. Er gestaltet sie somit als gebildetes, intellektuell anspruchsvolles Gespräch. Sie geben Gregor nicht nur Gelegenheit, über die Rückfragen seines Gesprächspartners Petrus Anlässe und Elemente der Heiligenerzählungen zu erläutern sowie die erzähltechnisch und stilistisch heterogenen Erzählungen miteinander zu verknüpfen, sondern auch, sich als Papst und gebildeter Theologe zu inszenieren. Im Darstellungsmittel der semantisierten Stilvariation, die über die variable Gestaltung der Gregor-Figuren realisiert wird, verortet Sauer abschließend den innovativen Charakter der Dialoge, mit denen sich Gregor von seinen christlichen Vorgängern abgrenzt, bevor er in einem Ausblick darlegt, wie sich Gregor in bestimmten Gesprächspartien seiner Dialogi die Möglichkeit eröffnet, auf andere theologische, insbesondere homiletische Werke aus seiner Feder zu verweisen. Die vierte Sektion beinhaltet drei Beiträge, die sich experimentellen Verbindungen von Erzählungen und Dialog widmen („Experimentelle Verknüpfungen von Dialog und Erzählung“). Im ersten untersucht Katarzyna Jażdżewska („Epistle, narrative, dialogue. Generic interplays in Pseudo-Hippocratic Letter 17“, S. 181–195) die gattungsspezifischen Komponenten des pseudo-hippokratischen Briefs 17, einer pseudepigraphischen Epistel, die Teil einer Briefserie ist, die eine Zusammenkunft des Arztes Hippokrates mit dem Philosophen Demokrit in Abdera schildert. Als Anlass der Begegnung wird darin die Bitte der Bürger von Abdera genannt, den scheinbar verrückt gewordenen Philosophen einer ärztlichen Visite zu unterziehen. Brief 17, der die Begegnung der beiden schildert, weist zunächst einen typischen Rahmen mit epistolographischem Prä- und Postskript auf. Darin eingebettet ist eine fiktive Erzählung, die von jener Visite berichtet. Es folgt ein (berichteter) Dialog zwischen den beiden Protagonisten. Diese drei Komponenten des Briefs ordnet Jażdżewska den drei Gattungsrepertoires Epistolographie, fiktionale Erzählung und Dialog zu und untersucht deren Wechselbeziehungen. Besonderes Augenmerk richtet sie dabei auf die Spannungen zwischen den Modi der Erzählung und des Dialogs, die sich zwischen den Polen einer narrativen Handlung, die anders als die Einleitung narrativer Dialoge Eigengewicht beansprucht, und einer philosophischen Wechselrede artikulieren, in der die argu-

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mentative Annäherung der beiden Protagonisten im Mittelpunkt steht und die sich als eigenständig im Sinne eines literarischen Dialogs erweist. Diese Eigenständigkeit wird durch die unterschiedlichen Personenkonstellationen unterstrichen: Handelt der narrative Teil vom Eintreffen Hippokrates’ bei den Abderiten und dem Ausdruck ihrer Sorge um Demokrits Geisteszustand, den sie zusammen mit dem angereisten Arzt aus der Distanz beobachten, inszeniert der Dialog die Unterhaltung zwischen Hippokrates und dem Philosophen, in dessen Folge Hippokrates die Gründe für Demokrits Gelächter, die Lächerlichkeit der Welt und die Notwendigkeit der Distanzierung von ihr, einsieht. Statt der Heilung des Philosophen steht am Ende die Überzeugung des Arztes, dass Demokrits zunächst zur Sorge Anlass gebendes Verhalten seine Berechtigung hat. Der pseudohippokratische Brief erweist sich somit als virtuoses Beispiel hellenistischer Gattungsmischung, in der, wie Jażdżewska abschließend festhält, auch die jeweiligen gattungstypologischen Möglichkeiten implizit reflektiert und hinsichtlich ihrer wirkungsästhetischen Potenziale verhandelt werden. Im folgenden Beitrag mit dem Titel „Récits collaboratifs chez Lucien : L’exemple du Navire“ (S. 197–216) beleuchtet Anne-Marie Favreau-Linder das komplexe Verhältnis von Gesprächshandlung und Erzählung in Lukians Dialog Navigium. Es resultiert daraus, dass die Unterredung zwischen vier Sprechern während ihres Rückwegs vom Piräus nach Athen und ihre jeweiligen Erzählungen über ihre Vorstellungen vom idealen Leben, deren Diskussion sie, zum Zeitvertreib, verabreden, zunehmend stärker interferieren. Dies liegt zum einen daran, dass die Gesprächspartner ihr Lebensideal nicht nur beschreiben, sondern dieses gleichsam narrativ inszenieren; sie avancieren somit gleichermaßen zu Erzählern und Protagonisten ihrer Erzählungen in einem. Komplementär dazu bleiben die jeweils anderen nicht auf die Rolle der Zuhörer beschränkt, sondern sie werden ihrerseits als Akteure in die imaginierten Handlungen integriert und akzeptieren bereitwillig das damit verbundene Doppelspiel. Die Verwendung des Präsens in den Erzählungen und deren wiederholte Kontamination miteinander unterstützen als weitere Komponenten die Strategie des Textes, die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit über weite Strecken zu verwischen. Als ein Ziel des Werks hält Favreau-Linder denn auch fest, seine Rezipienten zur Reflexion über die Konstitutionsbedingungen von Fiktion und ihre Regeln anzuregen. Indem sie in einem zweiten Schritt einerseits intertextuelle Bezüge zu Platons Dialogen, insbesondere zum Einleitungsgespräch der Politeia, und andererseits motivische Anklänge an die römische Satire nachweist, kann sie der ambitionierten Poetik des Navigium darüber hinaus auch einen ethischen Gehalt nachweisen. Dabei trägt die spezifische Faktur des Textes wiederum zur Komplexitätspotenzierung seiner Vermittlung bei. Denn Lukian beschränkt sich nicht darauf, die Fragwürdigkeit der einschlägigen Vorbilder für die von den Dialogfiguren inszenierten Imaginationen des idealen Lebens offenzulegen, sondern die Erzählungen lassen die erzählenden Figuren selbst fragwürdig werden. Vor diesem Hintergrund fungiert beispielsweise nicht mehr Alexander d. Gr. selbst als warnendes Beispiel der vanitas, sondern bereits die Dialogfigur, die ihr Lebensideal an ihm ausrichtet. Der Dialog erweist sich somit nicht nur als Amalgam, in dem Gesprächsinszenierung und Erzählung

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nachgerade zum Konvergieren gebracht werden, sondern als Reflexion über Bedingungen und Wirkmechanismen der Vermittlung ethischer Inhalte. Im letzten Beitrag der Sektion untersucht Manuel Baumbach unter dem Titel „Epos und Erzählung in Philostrats episierendem Dialog Heroikos“ (S. 217–235) vor dem kultur- und literaturgeschichtlichen Hintergrund der Zweiten Sophistik die Poiesis des Heroikos, einer Unterhaltung zwischen einem Kaufmann und einem Winzer, die mit Alltagsthemen beginnt und in Erzählungen des Letzteren von Protesilaos und anderen Helden des trojanischen Sagenkreises übergeht. Dabei legt Baumbach besonderes Augenmerk auf die kreative Auseinandersetzung mit dem (platonischen) Dialog und dem (homerischen) Epos. Die inhärente Offenheit des Erzählens im Heroikos versteht er zunächst als Mittel der Spannungserzeugung, da der Dialog weder dem fiktiven Zuhörer noch den textexternen Rezipienten eine Orientierungshilfe bietet, in welche Richtung sich das Gespräch entwickeln wird. Der Kaufmann kann an jeder Stelle einhaken und der Winzer ist nur allzu bereit, aus der Fülle seines mythischen Wissens zu schöpfen. Seine Erzählungen über den trojanischen Mythos selbst haben ergänzenden Charakter, insofern sie Lücken in der literarischen Tradition füllen und infolgedessen als Arbeit am Mythos verstanden werden können. Als Neuheit dieser Form des Erzählens identifiziert Baumbach eine literarische Technik, in der er Analogien zu Lukians Erfindung des komödischen Dialogs erkennt: Der Heroikos schreibt sich auf formaler Ebene in die literarische Tradition des platonischen Dialogs ein und verknüpft diesen durch Anspielungen auf Aristophanes mit der Komödie, um dann in einen kreativen Dialog mit dem homerisch-mythischen Erzählen einen neuen Gattungshybrid zu schaffen, der als episierender Dialog bezeichnet werden kann. Die fünfte und letzte Sektion des Bands mit dem Titel „Strategien und Funktionen dialogübergreifender Erzählungen“ versammelt zwei Beiträge, die exemplarisch darlegen, wie die Gesprächshandlungen mehrerer Dialoge eines Autorœuvres so verzahnt werden können, dass sie sich zu einem werkübergreifenden Narrativ verbinden. Der erste Beitrag von Gernot Michael Müller, überschrieben mit: „Narrative Konstruktionen einer Geschichte der römischen Philosophie in Ciceros Dialogen“ (S. 239–272), weist diese Strategie in Ciceros philosophischem Œuvre nach. In einem ersten Schritt wendet er sich den Erzählungen der zentralen Figuren in den beiden frühen Dialogen De oratore und De re publica über einschlägige biographische Erfahrungen zu und weist diese als wesentliche Elemente der kulturgeschichtlichen Aussageebene jener Werke nach, auf der Cicero seine Gesprächsgemeinschaften die Rahmenbedingungen für eine die griechischen Vorbilder überbietende Konzeption einer römischen Philosophie entwickeln lässt. In diesem Horizont dienen die biographischen Erzählungen der Dialogfiguren dazu, den gleichsam als Momentaufnahmen gestalteten Gesprächshandlungen historische Tiefe zu verleihen und diese als entscheidende Meilensteine längerfristiger kulturgeschichtlicher Prozesse erscheinen zu lassen, in denen die Hauptredner der Dialoge die zentralen Akteure darstellen. Hierdurch unterstützen sie die von Cicero in seinen frühen Dialogen verfolgte Absicht, mit ihren Protagonisten Archegeten eines philosophischen Diskurses römischer Prägung und also wirkmächtige Vorbilder für seine weitere Etablierung zu modellieren. Die Funktion der narrati-

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ven Exkurse in Ciceros späten Dialogen, denen sich Müller im zweiten Schritt zuwendet, verortet er vor allem in der Profilierung der Dialogfigur des Autors selbst, die sich durch ihr umfassendes Interesse an griechischer Philosophie seit ihrer Jugend zur kompetenten Nachfolgerin der in Ciceros Frühdialogen inszenierten Dialoggemeinschaften und als wirkmächtige Fortsetzerin der von diesen angestoßenen philosophischen Gesprächskultur präsentiert. Auf diese Weise modelliert sich Cicero nicht nur zum zentralen Sachwalter einer römischen Philosophie in seiner Gegenwart, sondern auch zu einem sich hierfür in vorbildlicher Weise an den exempla der Vorfahren orientierenden Römer, die er in seinen frühen Dialogen selbst erschaffen hat und in deren Nachfolge er selbst zum Vorbild für seine Rezipienten werden will. Das für dieses komplexe self-fashioning relevante narrative Kontinuum zwischen frühen und späten Dialogen wird dabei einmal durch das erneute Auftreten von aus jenen bereits bekannten Figuren und zum anderen durch direkte oder implizite Rückverweise hergestellt. Den sich über Ciceros Dialoge erstreckenden Erzählstrang und die biographischen Einlagen der Dialogfiguren kann Müller somit als komplementäre Strategien zur Konstitution einer Geschichte der römischen Philosophie identifizieren, deren spezifische Inszenierung in Ciceros Dialogen darauf zielt, ihren Rezipienten Identifikationsfiguren anzubieten, die in ihnen die Bereitschaft entfachen, ihre Vorbehalte gegenüber der Philosophie abzulegen und den durch sie idealtypisch realisierten philosophischen Diskurs als aristokratische Praxis selbst umzusetzen. In einem letzten Schritt legt er schließlich nahe, dass Cicero hiermit auf die für das Wirkungspotenzial römischer Historiographie zentrale Kategorie des exemplarischen Verhaltens angesehener Vorfahren als Richtschnur, an der das eigene Handeln auszurichten sei, zurückgreift und auf die für eine weitere Etablierung der Philosophie in Rom aus seiner Sicht notwendigen Haltungen überträgt. Im letzten Beitrag des Bandes weist Therese Fuhrer unter dem Titel „Der Philosoph und seine Mutter. Erzählte philosophische Erkenntnis in den augustinischen Frühdialogen De ordine und De beata vita“ (S. 273–286) eine ähnliche Strategie in Augustinus’ Frühdialogen nach. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die These, dass die Modellierung der fiktiven Figur ‚Heilige Monnica‘ durch ihren Sohn Augustinus nicht erst in dessen Confessiones erfolgt sei, sondern bereits in den philosophischen Frühdialogen De beata vita und De ordine vorbereitet wurde, in denen Augustinus sie im Rahmen bestimmter philosophischer Argumentationen als Teilnehmerin der Dialoge neben seinen Schülern und anderen Verwandten auftreten lässt. Fuhrer argumentiert, dass die Abfolge von Monnicas Auftritten in den beiden Dialogen ein argumentativ strukturiertes und erzählbares Geschehen ergibt, das den speziell auf die Rolle der Mutter zugeschnittenen Erkenntnisprozess nachzeichnet. In De beata vita ist sie die Mutter des ‚Geburtstagskindes‘ Augustinus, die nicht nur das Essen für das Geburtstagsmahl zubereitet, sondern auch die philosophischen Tischgespräche mit grundlegendem Wissen ‚alimentiert‘. In De ordine wird sie ‒ mit Verweis auf die bestehende Tradition, Frauen in philosophischen Gesprächen auftreten zu lassen ‒ durch ihre Liebe zur ‚Weisheit‘, die an anderer Stelle als Liebe zum ‚Sohn Gottes‘ definiert wird und die sie auch über die Liebe zu ihrem leiblichen Sohn stellt, als wahre Philosophin

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im Sinne einer Liebhaberin der Weisheit modelliert. Durch diese ‚Liebe‘ ist es gerade sie, so die zusammenfassende Folgerung Fuhrers, die der intellektuellen Argumentation entscheidende Impulse gibt und damit zur Garantin des über die beiden Dialoge hinweg inszenierten intellektuellen Entwicklungsprozesses der Dialogfiguren avanciert. 5. ELEMENTE EINER THEORIE DES NARRATIVEN IM DIALOG Es liegt in der Natur von Sammelbänden, dass sie ein Thema nicht erschöpfend, sondern nur exemplarisch behandeln können. Dies gilt auch für den vorliegenden Band. Dennoch erlaubt der Durchgang durch die gesamte antike Gattungsgeschichte, den seine Beiträge realisieren, sowie die Vielfalt der Perspektiven, von denen aus sie sich der ihm zugrunde liegenden Fragestellung annähern, eine repräsentative Skizze der Möglichkeiten der Verbindung von Dialog und Erzählung zu zeichnen. Im Folgenden soll auf Beziehungen der Beiträge untereinander hingewiesen werden; darauf aufbauend sollen, mit Blick auf einige der einleitend formulierten Fragestellungen, erste Koordinaten einer Theorie des Verhältnisses von Gesprächsinteraktion und Erzählung im antiken Dialog entwickelt werden. Das betrifft insbesondere Fragen nach dem Einfluss der Narration auf die Gesprächsinteraktion und der Auswirkung von Erzählung auf die erzählenden Gesprächspartner, außerdem dort, wo es um die Gestaltung der Figuren und der Gesprächsatmosphäre durch den Einsatz von Erzählungen geht, auch die Frage nach der Manifestion des Autors im Dialog. So ist grundsätzlich zu beobachten, dass die Integration von Erzählungen in Dialogen ganz unabhängig von ihren inhaltlichen Absichten eine poetologische Herausforderung und gleichzeitig experimentelle Chance darstellt, indem sie zu einer Transformation der grundlegenden Dialogstruktur führt. Die beiden kommunikativen Ausdrucksformen werden gewissermaßen miteinander verschmolzen, und dies weit darüber hinaus, dass in einem Gespräch immer auch erzählt werden kann und in einer Erzählung immer auch Personen miteinander sprechen können – eine Konstellation, die nicht Gegenstand dieses Buches ist. Die Anwendung narratologischer Kategorien auf Dialoge (hier verstanden als Trägergattung von Erzählungen) erweist sich vor allem deswegen als sinnvoll, weil in ihnen meistens eine implizite oder explizite Erzählerinstanz (Mediator) vorhanden ist, die im poetologisch in anderer Hinsicht affinen Drama häufig oder sogar meistens fehlt bzw. nur in der Form des folgenden Punktes (a) vorhanden ist. Solche Mediatoren können sein: (a) der Autor, der als Mediator selbst höchstens phraseologisch und dispositorisch in Erscheinung tritt, (b) der Erzähler als Berichterstatter und als Gestalter eines narrativen Rahmens oder (c) Figuren, die identisch mit dem Erzähler sein können. Je stärker dramatisiert ein Dialog ist, je stärker folglich seine Figuren als Charaktere profiliert sind, die nicht nur reden, sondern auch handeln oder jedenfalls handeln könnten oder als ‚historische‘ Charaktere gehandelt haben oder handeln, und je stärker aktionale Momente, chronotopische Settings ausgearbeitet sind und sich auch auf die Dialogführung auswir-

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ken, desto mehr lässt sich ein Dialog auch im transgenerischen Sinn narratologisch betrachten, weil er durch die genannten Aspekte offensichtlich selbst seine generische Hybridisierung anstrebt. Entsprechend lassen sich die meisten narratologischen Kategorien auch ohne große Veränderung auf das Drama als ‚gestaltete Handlung‘ übertragen, wie übrigens auch die Aristotelische Forderung nach dem εἰκός. Geht man nun eine Stufe tiefer und fragt nach Erzählungen in solchermaßen narratologisch analysierbaren Dialogen, so lässt sich das Verhältnis von Erzählung und Dialog zunächst unter rein einem quantifizierenden Aspekt betrachten. Hier zeigt sich, dass die Bandbreite möglicher Kombinationen sehr groß ist, was die Erfassung und Systematisierung ihrer inhaltlichen wie poetologischen Implikationen zu einer Herausforderung macht. Erzählungen können in den Gesprächsbeiträgen der Figuren nur angedeutet oder lang ausgeführt sein. Es kann entweder nur eine oder eine Vielzahl von Erzählungen realisiert werden. Letzteres kann so weit gehen, dass das dialogkonstitutive Gespräch hinter dem Erzählen zurücktritt, die Erzählungen sozusagen zum tatsächlichen Anliegen des Textes werden und dialogische Teile nur noch als Rahmungs- und Ermöglichungsstrukturen fungieren. In der Forschung ist demgegenüber bisher vor allem die umgekehrte Situation auf Interesse gestoßen: ein narrativer Rahmen oder zumindest eine narrative Einleitung, womöglich ergänzt durch narrative Überleitungspassagen, als Trägerstruktur für ein Gespräch als dem eigentlichen Anliegen des Texts. Neben solchen (notwendigerweise skalaren) Erfassungen quantitativer Verhältnisse treten in einem nächsten Schritt zwei qualitative Zugriffe: Zum einen kann man fragen, wie sich narrative und dialogische Partien zueinander inhaltlich oder thematisch-motivisch verhalten, zum anderen, worin sich die narrativ oder dialogisch transportierten Inhalte gegebenenfalls unterscheiden. Anders formuliert: Selbst wenn Narrationen ad hoc leichter räumlich-zeitliche Umstände und in Raum und Zeit stattfindende Handlungen darstellen können – eine Darstellung, die aber grundsätzlich, wie das Drama zeigt, auch dialogisch geleistet werden kann –, so transportieren sie doch üblicherweise auch Argumente. Denn nur im schlichtesten Fall ist der narrative Teil eines Dialogs einfach die verbalisierte Form dessen, was im Drama Skenographie und Requisite sind. Des Weiteren kann man fragen, ob die narrativ vorgetragenen Argumente sich substanziell oder nur akzidentiell (etwa hinsichtlich ihrer Explizit- oder Implizitheit) voneinander unterscheiden. Instruktive Beispiele hierfür sind die Mythenerzählungen der Platonischen Dialoge (Beitrag Erler), in denen die philosophischen Gehalte der vorangehenden dialogischen Teile zu Gestalten und Handlungen kondensieren und durch diese Anschaulichkeit intensiviert und plausibilisiert werden. Ist das Verhältnis von Erzählung zu Dialog hier also ein didaktisch-illustratives, so ermöglichen die Erzählungen des Paris und der Cydippe in Ovids heroidischen Doppelbriefen (Beitrag v. Möllendorff) ihren Erzählern durch Fokussierungen verschiedenster Art eine Positionsnahme, die dadurch, dass sie nicht expliziert wird, vom Rezipienten der Erzählung (Helena, Acontius) auch kaum dialogisch hinterfragt werden kann. Sie bilden gewissermaßen eine unhintergehbare diskursive Basis des in diesem

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Falle brieflichen Gesprächs. Hier substituiert mithin die Erzählung implizit ein explizit-argumentativ Unsagbares. In Lukians Navigium schließlich (Beitrag Favreau-Linder) durchdringt das Erzählen den Dialog nicht nur formal, sondern greift geradezu auf die erzählenden Dialogteilnehmer über und nimmt sie gewissermaßen in seinen Dienst: Die jeweilige Erzählung illustriert den Lebenstraum des Sprechers nicht nur, sondern zwingt ihn unmittelbar dazu, das Erzählte, von ihm Fingierte und Erträumte, verantworten zu müssen. Weitere Aufgaben dialoginterner Narrationen bestehen in der Schaffung einer Atmosphäre vor allem visueller, aber auch emotionaler Natur. Diese Atmosphäre kann gesprächsbestimmend sein, wie es etwa gut an Platonischen Dialogen zu sehen ist, oder auch einen Hintergrund bilden, vor dem die dialogischen Erörterungen weitere Bedeutungsnuancierungen gewinnen, entweder durch Konkretisation oder auch durch gleichsam pragmatische Hinterfragung der abstrakteren Überlegungen des Gesprächs. Dies lässt sich eindrucksvoll an Plutarchs Erotikos zeigen (Beitrag Ginestí Rosell). Dort wird der Hintergrundcharakter der erzählten Handlung durch seine räumliche Distanzierung manifest; zugleich greift jene Handlung immer wieder konkret auf das Gespräch über, indem sie ihm Personen zuführt und abzieht. Die Rahmenerzählungen Platons (Beitrag Föllinger) liefern zur Forcierung des oben bereits erwähnten Veranschaulichungspotentials eine dihegetisch gelenkte Dramatisierung und Theatralisierung der Gesprächsverhandlungen und verleihen ihnen eine Dimension existentieller Bedeutsamkeit. Das gilt erst recht dann, wenn sich durch den Einfluss der Erzählung der Charakter der beteiligten Gesprächspartner zu wandeln beginnt; in Lukians Navigium (s. o.) dient die Erzählung hier nicht nur der Illustration einer theoretischen Position, auch nicht nur der Steigerung der Relevanz der Dialogteilnehmer durch ihre Verlebendigung, sondern verändert ihr Auftreten und Wesen: Die Erzählungen der Freunde lassen ihr zu Beginn des Dialogs gutes Verhältnis zunehmend unfreundlicher werden, ja es sind diese Erzählungen als solche und ihre spezifische Auswahl und Gestaltung durch die Gesprächsteilnehmer, die ihr Miteinander erschweren und schließlich zum polemischen Abbruch der Unterhaltung führen. Der entscheidende Punkt ist, dass die Erzählungen im Navigium persönlicher Natur sind, also aufs engste an die je erzählende Figur und ihren Charakter gebunden sind; hier erfinden die Figuren ihre Geschichten, während sie in Ovids Heroides ihre eigene Geschichte erzählen. In den Dialogi Gregors des Großen wiederum (Beitrag Sauer) wird eine solche starke personale Bindung der Erzählungen durch die Präsenz des Erzählers auf mehreren textuellen Ebenen erzeugt: Er changiert zwischen den Rollen des Gestalters, des Erklärers und des selbst Erlebenden und Bezeugenden, wodurch der Autor Gregor seine biographische Authentizität erhöht und seinen Lebensweg und die verschiedenen in ihm erreichten Autoritätsstufen ästhetisch reinszeniert. Deutlich stärker idealisiert, ja beinahe auf die Ebene einer spirituellen Biographie verlagert erscheint diese Personalisierungsstrategie in den Frühdialogen des Augustinus (Beitrag Fuhrer): Die ‚Auftritte‘ von Augustinus’ Mutter arrangieren sich zu einem Ganzen, das den dialogisch vollzogenen Erkenntnisprozess gleichsam in eine narrative Struktur umbaut, und so übernimmt

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Monnica ein Stück der Verantwortung für die geistige Entwicklung der Gesprächsteilnehmer: eine spiritualisierende Narrativierung der Mutterrolle. Aus solchen wechselseitigen Durchdringungen von Dialog und Erzählung lässt sich ableiten, dass in den hier besprochenen Texten die beiden Modi der Darstellung und ihre Kombination auch als eine formalästhetische Herausforderung aufgefasst werden, deren Bewältigung ein dem eigentlichen Thema des Textes durchaus vergleichbar eindringlich verfolgtes Anliegen darstellt. In Ciceros Briefen (Beitrag de Giorgio) korrigiert gewissermaßen der Dialog die Erzählung, diese wiederum steigert die Spannung durch die Weckung falscher Erwartungen bei den Figuren wie auch bei den Lesern. Ganz ähnlich verwenden die Figuren in Ciceros De Oratore (Beitrag Lucciano) den Dialog als erzählerisches Stilmittel, zugleich wird in den Dialogpartien autobiographisch, also genuin narrativ, erzählt, und dadurch, dass sich hier Erzähler und Empfänger von Erzählung als aktive Dialogpartner gegenüberstehen, wird besondere Eindrücklichkeit und auctoritas erzeugt. Umschreibungen ursprünglicher – traditioneller – Erzählungen in Dialogform wie in Xenophons Hieron (Beitrag Sedlmeyr) ermöglichen ihre Refiguration zu neuen, hier therapeutischen Zwecken. Die Briefe des Hippokrates (Beitrag Jażdżewska) steigern dieses Miteinander zu einer Gattungsmischung von Epistolographie, Erzählung und Dialog, in der die Figuren in immer wieder neuen Rollen und Konstellationen erscheinen und damit gegenüber dem Thema des Textes einen formalen, der wirkungsästhetisch orientierten Reflexion dienenden Überschuss produzieren. Auf eine generische Verschmelzung von Dialog und Erzählung arbeitet auch Philostrat hin, der in seinem Heroikos (Beitrag Baumbach) das Gespräch zwischen Winzer und Phönizier immer wieder neue Erzählungen hervortreiben lässt und dabei im Spiel von Frage und Antwort die mythische Tradition um- und neuschreibt: Hier beginnt der Dialog selbst, epische Züge anzunehmen, einfach deshalb, weil er sich an die Stelle eines Epos setzt, epische Geschichten erzählt und eine Auseinandersetzung mit anderen epischen Varianten führt. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des philosophischen Dialogs intendiert auch Cicero, wenn er seine philosophischen Gespräche sich zu einer werkübergreifenden kulturhistorischen Erzählung zusammenschließen lässt (Beitrag Müller). Hieraus lässt sich eine transgenerische Perspektive entwickeln, die es erlaubt, Dialoge aus narratologischer Sicht, Erzählungen aus dialogtheoretischer Sicht zu betrachten und diese methodischen Konzepte miteinander in Verbindung zu bringen. LITERATURVERZEICHNIS Bauer (1969): Gerhard Bauer, Zur Poetik des Dialogs. Leistung und Formen der Gesprächsführung in der neueren deutschen Literatur, Darmstadt (Impulse der Forschung 1). Briand/Dubel/Eissen (2017): Michel Briand, Sandrine Dubel und Ariane Eissen (Hgg.), Rire et dialogue, Rennes (La Licorne 126). Buron/Guérin/Lesage (2015): Emmanuel Buron, Philippe Guérin und Claire Lesage (Hgg.), Les états du dialogue à l’âge de l’humanisme, Rennes/Tours. Cameron (2014): Averil Cameron, Dialog und Debatte in der Spätantike, Stuttgart (SpielRäume der Antike 3).

Einleitung

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I. ANTIKE METAREFLEXIONEN ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON DIALOG UND ERZÄHLUNG

DIALOGUE ET NARRATION DANS LA CORRESPONDANCE DE CICERON Remarques sur un emploi du terme dialogus Jean-Pierre de Giorgio La lettre Cic. Att. 13,42, datant de décembre 45, illustre parfaitement l’idée qu’une lettre amicale est une conversation entre des personnes qui ne sont pas ensemble, colloquium absentium1, et qu’elle peut se dérouler sur un ton enjoué, si la proximité entre les interlocuteurs le permet.2 Avec Atticus, Cicéron aime expérimenter l’art du récit, tant dans le domaine politique (on le constate en particulier dans le cas de ses démêlés avec Clodius)3 que dans le cadre privé. Dans la lettre qui nous occupe, Cicéron aborde justement un aspect de la vie familiale qui le concerne tout autant qu’Atticus, puisqu’il s’agit de leur turbulent neveu, Quintus le jeune, fils du frère de Cicéron et de Pomponia, la sœur d’Atticus. Plusieurs lettres, dès les premiers temps de leur correspondance, avaient déjà abordé les problèmes de ce qu’on appellerait aujourd’hui cette famille dysfonctionnelle, avec un couple qui ne s’entendait guère4 (mais qui tint bon pendant près de vingt-cinq ans), et un jeune neveu, pris dans les conflits de ses parents, et qui causa longtemps du souci à son père et à

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Cic. Phil. 4,7. Sur les genera epistularum, voir la lettre adressée à Curion, Cic. fam. 2,4,1. Sur l’art du récit politique dans la correspondance et sur l’épisode qui oppose Cicéron à Clodius, voir De Giorgio (2018). Dès l’année 68, Cicéron évoque dans sa correspondance les conflits entre les deux époux et les tentatives de réconciliation, grâce à l’intervention des beaux-frères, Cicéron et Atticus. En Att. 1,5,2, il explique que son frère a en effet un caractère difficile : Quod ad me scribis de sorore tua, testis erit tibi ipsa quantae mihi curae fuerit ut Quinti fratris animus in eam esset is qui esse deberet. Quem cum esse offensiorem arbitrarer, eas litteras ad eum misi quibus et placarem ut fratrem et monerem ut minorem et obiurgarem ut errantem. Itaque ex iis quae postea saepe ab eo ad me scripta sunt, confido ita esse omnia, ut et oporteat et uelimus (« Tu m’écris à propos de ta sœur : elle te dira à quel point je me suis employé à faire en sorte que mon frère Quintus se comporte comme il se doit à son égard. Alors que je le trouvais trop dur, je lui ai envoyé une lettre pour le calmer, comme on le fait avec un frère, pour l’avertir, comme on le fait avec un petit frère, et pour lui faire des reproches, comme on le fait avec quelqu’un qui se trompe. D’après les courriers que j’ai régulièrement reçus ensuite, j’ai bon espoir que tout se passe comme il faut et comme nous le souhaitons »). En Att. 5,1,3‒4, Cicéron évoque également une célèbre scène de ménage en public, où Pomponia clame qu’elle ne se sent plus chez elle. Suzanne Dixon a consacré quelques pages très éclairantes sur cette relation tempétueuse, voir Dixon (1992) 141.

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ses oncles.5 Ici, Cicéron relate à Atticus, sur le ton du badinage, une rencontre avec son neveu, dont Atticus est aussi l’oncle, sur le mode dialogué : il y est question de dettes, de départ en Orient pour suivre César, et de mariage. Lorsque le récit (ou plus exactement la « scène ») est terminé, Cicéron conclut en employant le terme dialogus : Hic dialogus sic conclusus est.6 L’objet de cet article est de s’interroger sur les raisons de l’emploi de ce terme, au lieu de sermo, au sens de conversation, d’entretien. Pourquoi Cicéron emploiet-il le terme d’origine grecque7 et quel est son sens précis ? On sait que l’emploi du grec dans la correspondance avec Atticus est usuel, au moins pendant certaines périodes, et fait partie de l’art du code-switching. Mais l’emploi d’un terme grec à la place d’un mot latin est souvent porteur de connotations savantes, dans le cadre d’un badinage érudit, notamment avec Atticus, et qui restent à déterminer. Dans la lettre qui nous occupe, en employant dialogus et non sermo, Cicéron fait-il allusion au genre littéraire dans lequel Platon s’est illustré et qu’il a lui-même beaucoup pratiqué (avec, peut-être, des connotations philosophiques) ? Ou est-ce d’un usage plus rhétorique du terme dialogus qu’il est question, qu’il faut alors envisager comme figure ou comme modalité discursive ? Car une chose est certaine : en employant, pour conclure son récit d’entretien, le terme dialogus, Cicéron entend dire plus que « conversation » car dialogus ne désigne presque jamais, en grec, une conversation réelle entre plusieurs interlocuteurs, mais son traitement rhétorique ou littéraire, comme l’avait déjà parfaitement montré Jean-Pierre Aygon.8 Cicéron fait donc ici probablement une allusion méta-textuelle que nous voudrions expliciter, en espérant contribuer ainsi à l’histoire des théories du dialogue. L’emploi de dialogus dans la correspondance n’est pas unique. En Att. 5,5,2, il est employé pour désigner un entretien ayant réellement eu lieu avec Pompée, en lieu et place du terme sermo (nos Tarenti quos cum Pompeio διαλογούς de re publica habuerimus ad te perscribemus),9 mais avec une référence implicite au dia-

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Cicéron explique d’ailleurs (Att. 6,7,1) que le jeune Quintus est très affecté par le mauvais ménage que forment Quintus et Pomponia et qu’il a essayé de les réconcilier : Quintus filius pie sane, me quidem certe multum hortante, sed currentem, animum patris sui sorori tuae reconciliauit. Eum ualde tuae litterae excitauerunt. Quid quaeris ? Confido rem ut uolumus esse. (« Quintus fils a fait son devoir de fils. S’il est vrai que je l’ai beaucoup encouragé en ce sens on peut dire qu’il ne m’a pas attendu et il a ramené son père à de meilleurs sentiments pour ta sœur. Ta lettre l’a bien motivé. Bref, j’ai bon espoir que notre affaire se passe comme nous le souhaitons ».) Cicéron sait que le jeune homme est tiraillé dans ce conflit entre ses parents, ce qui est l’une des causes de son mal-être (Att. 14,10,4, juin 44) : Quintus pater ad me grauia de filio, maxime quod matri nunc indulgeat, cui antea bene merenti fuerit inimicus. Ardentes in eum litteras ad me misit. (« Quintus m’a fait parvenir des propos sévères sur son fils, notamment parce que, selon lui, ce dernier n’en voudrait maintenant plus à sa mère, alors qu’il lui en avait voulu quand elle se comportait bien. Il m’a envoyé une lettre pleine de colère contre lui ».) Cic. Att. 13,42. Voir la citation à p. 34. Il est le premier à importer le terme dialogus à Rome. Aygon (2002). « Quant à nous, nous te raconterons comment s’est passé notre dialogue sur la République avec Pompée. »

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logue philosophique (la conversation avec Pompée porte justement sur l’Etat). Katarzyna Jażdżewska10 souligne que les autres emplois de dialogus dans les textes latins (dans le reste de l’œuvre de Cicéron,11 chez Sénèque, Quintilien, Fronton, Apulée, Aulu-Gelle ou encore Suétone) renvoient majoritairement au genre littéraire, et parfois à une figure rhétorique, proche de la prosopopée ou de la sermocinatio. Ainsi, dialogus peut avoir, chez un même auteur, des significations différentes. Chez Quintilien, il peut renvoyer à la figure du dialogisme (dans le livre 9 de l’Institution oratoire, il est employé conjointement avec le terme sermocinatio, dans le cadre d’un développement sur la prosopopée)12 ou au genre littéraire, lorsqu’il s’agit de désigner les Entretiens de Sénèque (Quintilien parle alors de dialogi).13 Mais, dans le cas qui nous occupe, c’est peut-être moins au genre philosophique que le terme renvoie, qu’à une modalité discursive, à une figure bien identifiée chez les rhéteurs. L’emploi de dialogus comme modalité discursive pouvant apparaître dans plusieurs genres (le dialogue philosophique, mais aussi l’éloquence et, bien entendu, le théâtre), est en effet attesté à la fois chez Démétrios de Phalère, dans son traité Sur le style (il fut peut-être le maître de Cicéron sur ses vieux jours, si l’on suit la datation proposée par Pierre Chiron)14 et chez Denys d’Halicarnasse (Thucydide), deux auteurs qui ont pu écrire au Ier siècle av. J.-C.15 Dans les deux textes, le terme peut renvoyer non seulement à une période stylistique mais également à une modalité discursive spécifique, avec un potentiel narratif important. En outre, l’étude des Progymnasmata d’Aelius Théon et celle d’une scène d’exposition d’une comédie de Plaute, dont le caractère métadiscursif est évident, nous permettront de mieux cerner le discours théorique qui sous-tendait l’emploi du terme διάλογος/dialogus. 1. LE RECIT EPISTOLAIRE D’UN ENTRETIEN REEL SOUS LA FORME D’UN « DIALOGUE » : QUAND LE NEVEU RENCONTRE L’ONCLE Pour bien comprendre le problème, voici un large extrait du récit de la lettre Att. 13,42, qui commence d’ailleurs par un passage en grec, qu’on pourra identifier comme une citation. Cicéron relate une rencontre inattendue avec son neveu, Quintus le fils :16 10 Jażdżewska (2014) 31. 11 Dans orat. 44, Cicéron propose en effet un équivalent entre sermones et dialogi : Plato […] in iis sermonibus qui dialogi dicuntur […] (« Platon, dans ces conversations que l’on appelle dialogues »). 12 Quint. inst. 9,2,29‒32. 13 Quint. inst. 10,1,129. 14 Chiron (1993) XXXIX‒XL. C’est l’édition de Pierre Chiron que nous utilisons dans la suite de notre analyse, lorsqu’il s’agit de Démétrios. 15 L’opuscule rhétorique de Denys est dédicacé à Lucius Aelius Tubero, lui-même historien. 16 Cic. Att. 13,42.

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Jean-Pierre De Giorgio Venit ille ad me « καὶ μάλα κατηφής ». Et ego : « Σὺ δὲ δὴ τί σύννοuς ; » « Rogas ? inquit, cui iter instet et iter ad bellum idque cum periculosum tum etiam turpe ! » « Quae uis igitur ? » inquam. « Aes, inquit, alienum et tamen ne uiaticum quidem. » Hoc loco ego sumpsi quiddam de tua eloquentia ; nam tacui. At ille : « sed me maxime angit auunculus. » « Quidnam ? » inquam. « Quod mihi, inquit, iratus est. » « Cur pateris ? inquam, malo enim ita dicere quam cur committis ? » « Non patiar, inquit, causam enim tollam. » Et ego : « Rectissime quidem ; sed si graue non est, uelim scire quid sit causae. » « Quia, dum dubitabam quam ducerem, non satis faciebam matri ; ita ne illi quidem. Nunc nihil mihi tanti est. Faciam quod uolunt. » « Feliciter uelim, inquam, teque laudo. Sed quando ? » « Nihil ad me, inquit, de tempore, quoniam rem probo. » « At ego, inquam, censeo prius quam proficiscaris. Ita patri quoque morem gesseris. » « Faciam, inquit, ut censes. » Hic dialogus sic conclusus est. Il est venu chez moi, ‘l’air plutôt abattu.’ Moi : « Dis donc, toi, qu’est-ce que c’est que cette tête ? ‒ Tu en as des questions ! Je suis bon pour prendre la route, et c’est pour aller faire la guerre : le voyage sera dangereux et en plus, il me fait honte. ‒ Alors pourquoi veux-tu y aller ? ‒ Les dettes, il me dit, je n’ai même pas de quoi financer mon voyage. » Là, j’ai fait un emprunt à ton éloquence : je me suis tu. Lui : « Ce qui m’inquiète le plus, c’est le frère de maman. » Moi : « Ah bon ? ‒ Il est en colère contre moi. » Je lui réponds : « Pourquoi accepter ça ? » (Je préfère cette question à : « Pourquoi tu fais ça ? ») Lui : « Je ne vais rien accepter et je vais en finir avec ce qui le met en colère. » Moi : « Bravo ! Et si le problème n’est pas trop grave, je peux savoir de quoi il s’agit ? ‒ Je n’avais pas trouvé avec qui me marier, maman n’était pas contente. Et lui non plus. Maintenant, pour moi, rien n’est plus important que ça : je ferai ce qu’ils veulent. ‒ Tous mes vœux de bonheur ! », lui dis-je, « je te félicite. Mais c’est pour quand ? ‒ Peu importe, puisque je suis d’accord.’ J’ajoute : ‘A mon avis, il faut le faire avant de partir. Comme ça, tu feras plaisir à ton père aussi.’ ‒ Je suivrai ton avis. » Fin du dialogue.17

Ce récit complète un tableau peu flatteur du jeune Quintus, dont Cicéron a parlé plusieurs fois à Atticus. Le jeune homme est turbulent, au sein d’une famille perturbée (ses parents ne s’entendent pas, comme on l’a dit plus haut). Par exemple en Att. 10,6,2 (mi-avril 49) : De Quinto filio fit a me quidem sedulo ; sed nosti reliqua. Magnum opus est, mirabilia multa, nihil simplex, nihil sincerum. Vellem suscepisses iuuenem regendum ; pater enim nimis indulgens, quidquid ego adstrinxi, relaxat. Si sine illo possem, regerem ; quod tu potes. Sed ignosco. En ce qui concerne mon neveu Quintus, je fais tout ce que je peux ; mais tu connais toute l’histoire. Lourde charge, et de quoi s’étonner – zéro sincérité, zéro franchise. J’aurais voulu que tu t’occupes de diriger le jeune homme ; de fait, son père est trop indulgent ; chaque fois que moi, je lui serre la vis, il fait preuve de laxisme. Si je pouvais intervenir seul, j’arriverais à mes fins ; toi, tu le peux, mais je ne t’en veux pas.

17 Il s’agit d’une traduction personnelle.

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Cet autre exemple donne une image des difficultés relationnelles de Cicéron avec son neveu :18 Iuuenem nostrum non possum non amare, sed ab eo nos non amari plane intellego. Nihil ego uidi tam ἀνηθοποίητον tam auersum a suis, tam nescio quid cogitans. O uim incredibilem molestiarum ! Sed erit curae et est, ut regatur. Mirum est enim ingenium, ἤθους ἐπιμελητέον. Je ne peux m’empêcher d’aimer notre neveu, mais je me rends parfaitement compte qu’il ne nous aime pas. Moi, je n'ai jamais vu autant d’instabilité, d’aversion pour sa famille, d’hypocrisie. Que de tracas, c’est incroyable ! Mais je m’appliquerai, je m’applique déjà à le diriger. En effet, il est très intelligent, il faut surveiller son comportement.

On comprend mieux alors pourquoi le récit de la lettre qui nous occupe est inattendu et pourquoi Cicéron y déploie tant d’effets : on a peine à croire que le jeune homme ait à ce point radicalement changé (il évoque son propre mariage) et se montre si conciliant envers ses oncles et peut-être, à l’avenir, envers son père. Ce récit est une fabula, non dépourvue d’ironie, car Cicéron n’est pas dupe. L’emploi du terme dialogus vient peut-être souligner le caractère irréel ou artificiel de cette scène. C’est en tout cas la connotation métadiscursive que nous voudrions ici expliciter, en étudiant les textes théoriques, antérieurs, contemporains ou postérieurs, qui ont cherché à définir plus ou moins directement l’art du dialogue, lorsqu’il s’agit d’une modalité discursive et non du genre où Platon s’est illustré, même s’il est difficile souvent de séparer l’un de l’autre. 2. DIALOGUE ET EPISTOLAIRE FONT-ILS BON MENAGE ? L’APPROCHE DE DEMETRIOS (SUR LE STYLE) 2.1. Le style du dialogue ne peut être celui de l’épistolaire19 Dans son traité Sur le style, Démétrios est catégorique : le dialogue, envisagé comme l’un des modèles de la prose, n’est pas une modalité discursive appropriée pour le genre épistolaire.20 De ce point de vue, Cicéron, en racontant une rencontre sur le mode exclusivement dialogal, transgresse, si l’on peut dire, les codes du sermo epistolaris tels que Démétrios les expose. En effet, celui-ci récuse la formule de l’éditeur des lettres d’Aristote, Artémon : « une lettre, c’est la moitié d’un dialogue ». Le motif, aux yeux de Démétrios, est que, d’un point de vue stylistique, le dialogue,21 conçu comme une imitation de parole improvisée, ne convient pas au code graphique de l’épistolaire. Marqué par des disjonctions nombreuses, le 18 Cic. Att. 10,10,6. 19 Notre analyse des emplois de διάλογος chez Démétrios, Denys d’Halicarnasse et Aelius Théon est tributaire des développements que Sandrine Dubel a consacrés à cette question, notamment dans deux articles fondamentaux : Dubel (2011) et Dubel (2014). 20 Demetr. eloc. 223. 21 Démétrios ne précise pas s’il s’agit du genre littéraire illustré par Platon ou de la modalité discursive du dialogue, telle qu’on peut la trouver dans la bouche d’un orateur qui reconstitue un échange ou dans une scène de théâtre.

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dialogue convient mieux dans la bouche d’un acteur (dont le jeu, en un sens, doit compenser l’absence de liens entre les éléments du propos)22 que sous le stylet d’un épistolier,23 qui doit privilégier une écriture avec des liens entre les propositions et la clarté du propos. 2.2. L’exemple d’un dialogue-cadre chez Platon pour expliquer ce qu’est la modalité dialogale : quand faire dialoguer, c’est amorcer un récit Démétrios cite alors un échange dialogué extrait de l’Euthydème de Platon,24 pour illustrer le style disjoint, théâtral, propre à la modalité discursive du dialogue :25 Criton interroge Socrate sur un dialogue ayant eu lieu la veille – sa question ouvre le dialogue, cherchant à susciter l’information, le récit de l’entretien de la veille. On comprend pourquoi Démétrios choisit ce moment précis des dialogues de Platon pour illustrer ce que vise l’imitation du dialogue comme modalité discursive (le genre du dialogue est ici utilisé comme illustration de la modalité dialogale) : la rencontre sans concertation préalable des personnages des dialogues-cadres (on ignore souvent, comme dans le cas de l’Euthydème, pourquoi les personnages des dialogues-cadres sont ensemble, et souvent leur rencontre est fortuite)26 permet de mettre en valeur la parole non préméditée qui est échangée, ce qui est le propre du dialogue.27 On parle comme cela vient, ce qui distingue foncièrement le dialogue de l’éloquence et du propos épistolaire. Les questions sont ici le marqueur de cette esthétique de la rencontre, de la volonté de savoir ce que l’on ignore. Dans

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Sur la disjonction et le jeu théâtral, voir Demetr. eloc. 194. Demetr. eloc. 226. Plat. Euthyd. 271a. C’est Criton qui interroge Socrate. Demetr. eloc. 226. La rencontre avec Criton a lieu dans l’apodyterion, tout comme celle qui a eu lieu la veille et dont Socrate s’apprête à faire le récit : [272e] Κατὰ θεὸν γάρ τινα ἔτυχον καθήμενος ἐνταῦθα, οὗπερ σύ με εἶδες, ἐν τῷ ἀποδυτηρίῳ μόνος […]. (« Je m’étais assis d’aventure seul où tu me vis, dans l’endroit où l’on quitte ses habits […] ».) 27 Sur l’échange de questions et de réponses comme représentation de la parole non préméditée, voir également l’analyse, par l’anonyme du Traité du sublime, de la figure des questions et des réponses, chapitre 18. L’auteur anonyme rappelle qu’employées comme figures, les questions et les réponses apportent de la véhémence et de l’efficacité au discours. Ainsi, elles peuvent servir, par leur effet de rapidité à soutenir une objection, et donnent un effet d’authenticité. Adressées à soi-même, les questions et les réponses au contraire produisent un effet pathétique parce qu’elles imitent la passion naissante. Enfin, dans la mesure où elles supposent une absence de préparation, les questions et les réponses donnent une impression d’improvisation et d’authenticité : « A peu de choses près, de même qu’un homme provoqué par les interrogations d’autrui est incité à répliquer sur-le-champ avec chaleur et avec l’accent même de la vérité, ainsi la figure de l’interrogation et de la réponse entraîne l’auditeur à croire que chacun des traits soigneusement étudiés est le fruit de l’improvisation et se présente comme tel et contribue à lui faire illusion. » (traduction Lebègue [1939]).

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l’exemple choisi par Démétrios, sont associés dialogue et embrayage de la narration, le jeu des questions et des réponses permettant d’amorcer le récit.28 Les effets sur l’auditeur (ou le lecteur) de ce type de modalité discursive sont suggérés dans un autre contexte. Plus loin en effet, lorsqu’il évoquera, dans le cadre des différents modelages possibles du discours29 (l’assertion accusatrice, le principe, les questions-réponses), la modalité socratique, qui permet de mettre un énoncé sous la forme de questions et de réponses, Démétrios insiste sur le fait que ce type de λόγος frappe le public par sa vertu imitative et son évidence.30 Ainsi, pour Démétrios, le dialogue, conçu ici à la fois comme une modalité discursive propre au théâtre et au dialogue philosophique, est lié au jeu des questions et à la possibilité de délivrer des informations. Du point de vue des effets, par sa nature fortement imitative, il donne une impression d’évidence, que le lecteur est là, présent avec les personnages. Ceci explique que Cicéron avoue avoir l’impression de vivre avec Platon, quand il le lit, et avec son personnage principal.31 Démétrios ajoute d’ailleurs que, comme la lettre, le dialogue doit faire une large place au caractère des personnages. 3. LA MODALITE DIALOGALE DANS DEUX AUTRES TRAITES DE RHETORIQUE Les éléments dégagés par Démétrios trouvent des échos dans des traités postérieurs, qui confirment les liens qui ont pu être faits, à divers degrés, entre le dialogue et l’art du récit. Avant de revenir sur la narration de Cicéron dans sa lettre, nous voudrions rappeler ces textes qui emploient eux aussi le terme dialogus au sens de modalité dialogale. Deux autres textes importants ont en particulier recours au terme dialogos pour manifester son intérêt dans une narration : l’étude de Thucydide par Denys d’Halicarnasse, à peine postérieure aux écrits de Cicéron, et les progymnasmata d’Aelius Théon, plus tardifs. 3.1. Denys d’Halicarnasse : le dialogue dans le récit historique, marqueurs et enjeux Chez Denys d’Halicarnasse, le terme διάλογος est employé pour désigner une modalité discursive liée à l’art du récit chez Thucydide.32 Une fois encore, ce n’est pas pour désigner un échange réel mais une imitation d’échange que διάλογος est employé. Au chapitre 34, il est question en effet d’analyser les harangues de 28 Plat. Euthyd. 272d : καί σοι πειράσομαι ἐξ ἀρχῆς ἅπαντα διηγήσασθαι. (« Et je m’efforcerai de t’en faire un récit fidèle depuis le commencement ».) 29 Demetr. eloc. 296. 30 Demetr. eloc. 298. 31 Voir Cic. ac. 2,74, en parlant de Platon et Socrate, dans la lecture des dialogues : Vixisse cum eis equidem uideor. (« A vrai dire, j’ai l’impression d’avoir vécu avec eux ».) 32 Nous nous référons à l’édition de Aujac (1991).

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Thucydide. Le terme διάλογος n’intervient, dans ce contexte d’analyse, qu’au chapitre 37 : quand il emploie le terme, Denys prend soin d’indiquer à quoi cette modalité discursive est reconnaissable de prime abord. Il distingue en effet clairement le passage du narratif, où le narrateur parle en son nom propre, au dialogal, où il fait parler les personnages directement,33 faisant indirectement écho aux distinctions opérées par Socrate dans la République entre les différentes formes de μίμησις.34 Διάλογος est alors lié au théâtre, sous la forme d’un hendiadyn : « il fait ensuite dialoguer des personnages, adoptant la forme dramatique. »35 Le dialogue, dans le cadre d’un récit historique, c’est lorsqu’un personnage parle au style direct, ce qui renvoie au théâtre (au dramatique). Plus tard, le dialogue est associé à deux autres traits : l’échange de répliques (ἀμοιβαῖα), qui renvoie à la propriété d’alternance de la parole du dialogue (chapitre 40)36 et la convenance des propos à la situation et aux personnages. Contrairement à ce que l’on observe chez Démétrios, le terme de dialogue n’est pas ici lié au genre philosophique, mais il est en revanche bien associé au mode dramatique. L’échange de questions et de réponses n’est pas mentionné, ni suggéré, comme chez Démétrios, mais il est fait allusion à l’alternance des tours de parole entre les interlocuteurs. Enfin, alors que Démétrios indiquait que le dialogue fait une large place aux caractères, Denys indique un lien entre les paroles prononcées d’une part et, de l’autre, la situation dans laquelle se trouvent les personnages. Une différence fondamentale entre les deux auteurs tient cependant à la manière dont ils conçoivent le dialogue par rapport à d’autres modalités discursives : pour Démétrios, un marqueur évident est stylistique (les fréquentes disjonctions). Pour Denys, le marqueur est dans la place du narrateur, qui ne parle plus en son nom propre lorsqu’il y a dialogue. Cet aspect de la place du narrateur par rapport à ses personnages est également développé chez Cicéron, lorsqu’il évoque ses dialogues philosophiques.37

33 Dion. Hal. Thuc. 37 : καὶ κατ´ ἀρχὰς μὲν ἐκ τοῦ ἰδίου προσώπου δηλοῖ τὰ λεχθέντα ὑφ´ ἑκατέρων, ἐπὶ μιᾶς δ´ ἀποκρίσεως τοῦτο τὸ σχῆμα διατηρήσας, τὸ διηγηματικόν, προσωποποιεῖ τὸν μετὰ ταῦτα διάλογον καὶ δραματίζει. (« Au début, parlant en son nom propre, il indique la teneur des propos tenus par les uns et les autres ; mais, ne conservant cette formule, celle du récit, que pour un seul échange, il fait ensuite dialoguer des personnages, adoptant la forme dramatique » [trad. G. Aujac, CUF, 1991]). 34 Plat. rep. 392c sq. 35 Dion. Hal. Thuc. 37,2. 36 Dion. Hal. Thuc. 40 : Τούτοις ἕτερα προσθεὶς πάλιν ἀμοιβαῖα περίεργα καὶ πικρά […]. (« Après un nouvel échange de répliques, prétentieuses ou arides […]. » [trad G. Aujac, Cuf, 1991]) 37 Nous avons développé cette question dans notre mémoire d’Habilitation à Diriger des Recherches (Une contribution à l’histoire des théories du dialogue à Rome), présenté à l’Université de Rouen en novembre 2019, devant un jury composé de Clara Auvray-Assayas, Gernot Michael Müller, Virginie Leroux, Anne Balansard, Dominique Ducard, notamment dans la troisième partie du mémoire.

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3.2. Aelius Théon, Progymnasmata : le dialogue comme embrayeur de récit Un dernier texte, certes plus tardif que la lettre de Cicéron qui nous occupe, emploie à nouveau le terme διάλογος et nous permet de mettre en perspective ce que nous avions déjà observé chez Démétrios et Denys, en mettant l’accent clairement sur le rôle narratif du dialogue. Après la fable, Aelius Théon propose d’étudier le récit, qu’il définit comme « un discours qui expose des faits réels ou donnés comme tels ». A partir du chapitre 87, l’auteur s’intéresse aux différents modes énonciatifs qui peuvent composer un récit : il peut être assertif, mais aussi dubitatif, jussif, optatif, etc. A la fin de la liste, l’auteur ajoute qu’il peut être dialogué. Le dialogue comme modalité discursive est l’une des options à la disposition d’un narrateur. Ce mode dialogué du récit est ensuite analysé au chapitre 89. L’enchaînement de questions et de réponses, constitutif du dialogue, y apparaît comme un bon moyen d’échanger des informations et donc d’entrer dans la narration (87,14–91,12). Le dialogue y est recommandé, entre autres modes énonciatifs, pour raconter un événement qui a déjà eu lieu.38 L’exemple donné est celui d’un échange entre deux personnages anonymes, dont l’un s’enquiert des événements survenus entre les Thébains et les Platéens. L’échange de questions et de réponses, qui permet au récit d’être livré par analepse (on raconte ce qui s’est passé antérieurement), est soutenu par les motivations psychologiques des personnages, un procédé qui relève de l’éthopée et qui fait que l’échange verbal n’est pas qu’un prétexte : ce qui se passe entre les personnages (plaisir de l’auditeur d’entendre à nouveau le récit, mention du loisir de faire ce récit par le narrateur, anticipation des événements chez l’auditeur, permettant des enchaînements plus vifs entre les parties du récit) est également souligné et fait partie du récit. On retrouve donc, comme chez Démétrios, l’association entre dialogue et successions de questions et de réponses, on retrouve également le principe de la parole improvisée, puisque c’est l’occasion qui crée la conversation (« j’en ai le loisir ») et, comme chez Denys d’Halicarnasse, le dialogue joue un rôle dans l’art du récit historique. Mais alors que Denys insistait sur l’opposition entre narration (où le narrateur parle en voix propre) et discours direct (le dialogue étant une rupture par rapport au récit classique), Aelius Théon fait du dialogue la matrice même du récit, une modalité discursive par laquelle le récit peut naître, comme le dialoguecadre permet parfois chez Platon de mettre en évidence le récit d’un dialogue qui a eu lieu antérieurement entre Socrate et quelque interlocuteur : c’est le cas de l’Euthydème, exemple donné par Démétrios pour expliquer ce qu’est la disjonction dans le dialogue. Ces textes emploient tous le terme διάλογος dans le contexte d’un dialogue recréé ou inventé, jamais à propos d’une conversation réelle. Si la référence au 38 Εἰ δέ καὶ διαλογικῶς ἀπαγγέλλειν βουλοίμεθα, ὑποθησόμεθά τέ τινας ἀλλήλοις διαλεγομένους περὶ τῶν πεπραγμένων, καὶ τὸν μὲν διδάσκοντα τὸν δὲ μανθάνοντα τὰ γεγενημένα (« Dans le cas d’un énoncé dialogué, nous imaginerons que des personnes discutent entre elles des événements et que l’on instruit de ce qui s’est passé alors que l’autre s’en enquiert »).

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théâtre et au dialogue philosophique est parfois suggérée, c’est bien, à chaque fois, à une modalité discursive que le terme est associé, par opposition à d’autres modalités. Un point apparaît clairement chez Démétrios et chez Aelius Théon : le dialogue peut être une matrice du récit, au sens où la rencontre fortuite, l’occasion, peut susciter l’envie d’entendre un récit, voire le récit d’un autre dialogue. Parole improvisée, dont la modalité privilégiée est le discours direct, le dialogue exerce un attrait particulier sur le lecteur, par sa force imitative et sa capacité à générer de l’évidence. Ces textes peuvent laisser penser que Cicéron et Atticus connaissaient les théories rhétoriques à propos du dialogue comme modalité discursive et les effets dans le récit de ce type de modalité. Un indice de cela est à chercher dans le théâtre de Plaute. 3.3. Un indice romain : le dialogue vu par Plaute Dans le Pseudolus, Plaute, que Cicéron connaît bien, n’emploie pas le terme dialogus, mais il fait dire à son personnage éponyme que la stratégie des questions et des réponses pour faire émerger le récit de l’exposition est un procédé déjà usé. Cette distance métadiscursive face au dialogue comme figure suggère que διάλογος, représentation littéraire de l’interaction interhumaine, est bien identifié dès le IIe siècle av. J.-C. On trouve en effet déjà dans la bouche du personnage éponyme une référence assez comique à cette forme, même si le terme dialogus n’est pas employé. Pseudolus aimerait éviter d’endosser le rôle de celui qui interroge et préconise au fond de se passer de la scène d’exposition, ou en tout cas des formules d’usage. Peut-être fait-il une allusion au domaine du dialogue philosophique, avec l’emploi du terme necessitas et la référence à l’ignorance et au savoir ? Le dialogue de comédie pourrait ici se mesurer, pour rire, au dialogue philosophique (il se trouve que, plus tard, dans la pièce, Pseudolus est comparé à un Socrate, ramené à une figure du bavard) :39 PS. Si ex te tacente fieri possem certior, / ere, quae miseriae te tam misere macerent, / duorum labori ego hominum parsissem lubens, / mei te rogandi et tis respondendi mihi ; / nunc quoniam id fieri non potest, necessitas / me subigit ut te rogitem. Responde mihi : / quid est quod tu exanimatus iam hos multos dies / gestas tabellas tecum, eas lacrumis lauis, / neque tui participem consili quemquam facis ? / eloquere, ut quod ego nescio id tecum sciam.40 PS. Tu gardes le silence… Pourtant, si je pouvais apprendre, / Seigneur, quels maux te tourmentent si fort, / Je ferais une double économie bienvenue : / Moi, plus de questions à te poser et toi, plus de réponses à me donner… / Bon, puisqu’il n’y a pas moyen, je cède à la grande Nécessité / et je te passe à la moulinette des questions. Réponds : / qu’est-ce que tu as à errer comme un mort-vivant depuis tout ce temps, / ces lettres à la main que tu inondes de tes larmes, / sans en parler à personne ? / Parle ! Comme ça, ce que je ne sais pas, c’est toi qui me l’apprends.

39 Plaut. Pseud. 464‒465. 40 Plaut. Pseud. 1‒10.

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La connaissance par l’esclave du procédé dialogal consistant à donner des informations au spectateur sous forme de questions et de réponses est un bon indice des conceptions du dialogue à l’œuvre au IIe siècle av. J.-C. Cette ouverture du Pseudolus rappelle, s’il s’agit bien d’un clin d’œil à la littérature socratique, que la culture de la question est intrinsèquement liée à la culture du dialogue grec, qu’elle est, pour les auteurs, un outil fantastique pour donner à la narration un relief dramatique immédiat, rendant le dispositif d’entrée dans la fiction presque invisible. La lecture de ces textes nous permet assurément de mieux comprendre pourquoi Cicéron, qui relate à Atticus une conversation réelle, emploie le terme dialogus. Si notre analyse est pertinente, le terme n’est pas, sous son stylet, l’équivalent du terme sermo au sens d’entretien réel, mais il est chargé de connotations littéraires et rhétoriques : il renvoie à une modalité discursive spécifique et très efficace, lorsqu’on veut faire un récit, avec, sans aucun doute, une référence au théâtre et au dialogue philosophique, deux genres qui ont massivement eu recours à cette modalité discursive, sans se confondre pleinement avec elle. 4. DIALOGUS DANS UNE CORRESPONDANCE ENTRE AMIS : BADINAGE ET ERUDITION Dans la lettre qui nous occupe, dialogus désigne une modalité discursive qui passe par la forme des questions et des réponses et vise la transmission d’informations à Atticus, lui aussi oncle du jeune Quintus. Cicéron est surpris de voir arriver son neveu. Il n’y a pas d’indication spatio-temporelle : le personnage arrive comme sur une scène. La référence au dialogue philosophique n’est pas impossible et l’allusion au théâtre est assez claire : nous sommes, avec ces oncles et ces pères qui se fâchent, cette histoire de mariage et de départ du jeune homme pour l’Orient,41 dans un univers de comédie nouvelle. Les deux groupes de mots grecs au début du récit sont d’ailleurs peut-être des citations de Ménandre.42 Le choix de la forme dialoguée crée un dispositif complexe d’euidentia,43 que Démétrios avait également associé au dialogue, lorsqu’il évoque, comme on l’a vu, la modalité socratique, marquée par le jeu des questions et des réponses.44 Cicéron 41 César préparait une expédition contre les Daces et les Parthes. Il devait partir, le 18 mars, pour prendre la tête des légions rassemblées en Macédoine. Voir Beaujeu (1988). 42 Voir Shackleton-Bailey (1966) 397. Pour le premier groupe de mots grecs, cf. Men. Dysk. 602 et Körte (1937) 740,13. Pour le second groupe de mots, cf. Körte (1937) 722,1 et Men. Epitr. 85. 43 Sur cette notion, l’ouvrage de référence est Lévy/Pernot (1997). 44 D’autres auteurs, dont l’anonyme du Traité du sublime ont par ailleurs identifié une figure semblable. 44 Voir Demetr. eloc. 296, où il définit la « modalité socratique », faite de questions et de réponses, pratiquée par Eschine et Platon, par opposition à l’assertion d’un fait et à l’énonciation d’un principe général. Démétrios insiste sur le fait que ce type de λόγος frappe le public par sa vertu imitative et son évidence.

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aurait pu donner des nouvelles de son neveu à Atticus sur un mode strictement narratif : « ton/notre neveu (me raconte qu’il) se marie et (qu’il) suit César, etc. » En reconstituant la scène dialoguée, il met Atticus en situation de voir, autant que de savoir, et rappelle l’un des éléments constitutifs du dialogue littéraire : sa capacité à mettre en place un dispositif qui permet de voir et d’entendre des conversations auxquelles on n’a pas assisté. L’emploi du terme dialogus pour évoquer une conversation quotidienne vise à faire sourire Atticus : il ne s’agit évidemment pas d’un dialogue philosophique ; mais en employant ce terme, Cicéron attire malicieusement l’attention de son interlocuteur sur le procédé d’écriture qui sous-tend son récit épistolaire. La rencontre fortuite, l’échange par questions et réponses, qui permet de faire avancer le récit en faisant du destinataire un spectateur de l’événement, toutes ces stratégies relèvent des caractéristiques développées par le dialogue philosophique et semblent parfaitement présentes dans l’esprit des deux correspondants, qui veulent bien jouer le rôle des vieux oncles de comédie, l’un, interlocuteur du jeune homme inconséquent, l’autre, caché dans les coulisses. Au fond, l’intérêt de la question qui découle de la rencontre fortuite est de mettre en place un dispositif narratif aussi efficace que discret. Le lecteur, happé par la force dramatique de l’échange suscité par la question, oublie qu’il est en train d’intégrer des informations. En s’appuyant sur une esthétique de la rencontre, l’auteur peut peindre l’ἦθος de ses personnages, manifester leur surprise et les liens qu’ils entretiennent entre eux. Mais il peut aussi raconter sans avoir besoin de décrire, créer une entrée en matière efficace dans l’action. 5. CONCLUSION Du point de vue de l’histoire des théories du dialogue, on voit clairement que le terme dialogus à Rome, dès son introduction avec Cicéron, ne désigne pas seulement un genre littéraire mais aussi une modalité discursive propre à motiver une narration, même si la référence au genre philosophique et au théâtre est inévitable. Les deux sens de dialogus (genre littéraire ou modalité discursive au sein d’un discours, d’un récit ou au théâtre) ne sont pas toujours superposables et Cicéron a recours, selon les cas, soit à l’un, soit à l’autre. Il n’y a pas, cependant, de frontière hermétique entre les deux, et le dialogue comme genre sert souvent de modèle ou de référence, dans les textes théoriques, lorsqu’il faut expliquer ce qu’est la modalité dialogale dans un discours ou un récit. Cicéron ne croit sans doute pas que le jeune Quintus soit enfin devenu meilleur et la suite lui donnera raison. Mais dans cette séquence, à laquelle il donne un tour irréel, Cicéron veut donner à Atticus une bonne nouvelle et souhaite qu’il soit témoin de cette rencontre inattendue, sans faire un récit lourd et ennuyeux. Le recours au dialogue lui permet de mettre en œuvre l’euidentia du récit (Atticus et lui n’en croient pas leurs yeux – le jeune homme va enfin se marier), de souligner le caractère inattendu et « dramatique » de la rencontre, en renvoyant à l’ironie des dialogues platoniciens et au stéréotype de la comédie nouvelle. Dialogus, terme

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dont les effets dans le récit ont été plusieurs fois analysés dans les traités de rhétorique, modalité discursive faite de questions et de réponses destinée à motiver, chez l’auditeur ou le lecteur, le désir de savoir, est ici employé à dessein de manière métadiscursive : Cicéron ne raconte pas seulement un entretien réel, un sermo, il exhibe les procédés narratifs par lesquels il cherche à capter l’attention de son correspondant, ce qui est l’une des marques du badinage savant entre les deux amis dans leur relation épistolaire. Cicéron déconstruit ses effets aussitôt qu’il les a mis en œuvre : qualifier cette rencontre de dialogus, c’est ainsi une manière de ne jamais croire que son correspondant est un lecteur captif de ses effets rhétoriques ou littéraires. BIBLIOGRAPHIE Sources antiques et traductions Aujac (1991) : Germaine Aujac (éd.), Denys d’Halicarnasse, Opuscules rhétoriques. IV. Thucydide, Seconde lettre à Ammée, Paris. Beaujeu (1988) : Jean Beaujeu (éd.), Cicéron. Correspondance, Paris. Chiron (1993) : Pierre Chiron (éd.), Démétrios, Du style, Paris. Körte (1937) : Alfred Körte (éd.), Menanders fabula incerta, Berlin. Lebègue (1939) : Henri Lebègue (éd.), Dionysius Longinus. Du sublime, Paris. Shackleton Bailey (1966) : David R. Shackleton Bailey (éd.), Cicero’s Letters to Atticus. V, Cambridge.

Études secondaires Aygon (2002) : Jean-Pierre Aygon, « Le dialogue comme genre dans la rhétorique antique », Pallas 59, 197‒208. De Giorgio (2018) : Jean-Pierre de Giorgio, « Clodius le scandaleux d’après la Correspondance de Cicéron (58 et 56 av. J.-C.) », dans : Paul M. Martin, Emilia Ndiaye (éds.), Scandales, justice et politique à Rome. Textes inédits d’Alain Malissard suivis d’hommages en son honneur, Paris (POLEN ‒ Pouvoirs, lettres, normes 9), 165‒183. Dixon (1992) : Suzanne Dixon, The Roman family, Baltimore/London. Dubel (2011) : Sandrine Dubel, « Définir le dialogue antique comme mimésis, entre forme théâtrale et conversation : des sokratikoi logoi (Aristote) au style du dialogue (Ps.-Démétrios) », dans : Alain Létourneau, François Cooren et Nicolas Bencherki (éds.), Representations in Dialogue, Dialogue in representations. Proceedings of the 13th Conference of the International Association for Dialogue Analysis on Dialogue and Representation, Montréal, 249‒264. Dubel (2014) : Sandrine Dubel, « La voix de Socrate. Remarques sur le dialogue socratique comme forme dramatique », dans : Michel Briand et Ariane Eissen (éds.) : Cahiers FoReLLIS. Dialogue et théâtralité : interactions, hybridations, réflexivité. De Socrate à Derrida, publié en ligne le 28 avril 2014, URL : http://09.edel.univpoitiers.fr/lescahiersforell/index.php?id=226. Jażdżewska (2014) : Katarzyna Jażdżewska, « From dialogos to dialogue : the use of the term from Plato to the second century C.E. », Greek, Roman and Byzantine Studies 54, 17–36. Lévy/Pernot (1997) : Carlos Lévy et Laurent Pernot (éds.), Dire l’évidence (Philosophie et rhétorique antiques), Paris/Montréal (Cahiers de philosophie de l’Université de Paris XII, 2).

DIALOGUE DANS LA NARRATION, NARRATION DANS LE DIALOGUE L’exemple du De oratore Mélanie Lucciano Lorsque, en 55 av. J.C., Cicéron fait le choix de revenir au traitement de la matière oratoire avec les trois livres du De oratore – une trentaine d’années après l’écriture du traité rhétorique le De inuentione – dans lequel il traite de l’ars dicendi dans une volonté affichée d’exhaustivité de ses sources,1 il met en place une nouvelle rupture formelle. En effet, en plus du choix innovant de la langue latine pour traiter de la matière rhétorique,2 Cicéron recourt alors au genre du dialogue, qualifié tour à tour de disputatio ou de sermo,3 entre grands orateurs romains, dialogue qu’il va luimême raconter comme témoin de seconde main.4 Ce sont donc deux nouvelles modalités de traitement pour une même thématique qui se font jour dans ce texte :5 le dialogue, mais aussi la narration – même si chaque prologue des deux livres du De inuentione utilisaient déjà le ressort narratif par le biais du récit mythique.6 Non complectar in his libris amplius quam quod huic generi, re quaesita et multum disputata, summorum hominum prope consensu est tributum, repetamque non ab incunabulis nostrae ueteris puerilisque doctrinae quendam ordinem praeceptorum, sed ea quae quondam accepi in nostrorum hominum eloquentissimorum et omni dignitate principum disputatione esse uersata ; non quo illa contemnam quae Graeci dicendi artifices et doctores reliquerunt, sed cum illa pateant in promptuque sint omnibus neque ea interpretatione mea aut ornatius explicari aut planius exprimi possint, dabis hanc ueniam, mi frater, ut opinor, ut eorum, quibus summa dicendi laus a nostris hominibus concessa est auctoritatem Graecis anteponam. En écrivant ce livre, je m’abstiendrai donc de franchir les bornes que les meilleurs esprits, après un long examen et de profondes discussions, ont posées de concert. Toutefois, je n’irai pas, remontant au berceau de mon instruction technique, jusqu’à ces temps déjà lointains de mon enfance, reprendre toute la série des règles enseignées dans l’école ; j’exposerai les principes que discutèrent un jour, ainsi que je l’ai appris, quelques-uns de nos orateurs les plus éminents, 1 2 3 4 5 6

Guérin (2007), qui montre que c’est par cette mise en avant de l’exhaustivité de ses sources que Cicéron construit l’autorité textuelle du De inuentione. Voir aussi Guérin (2010) 118‒119. Guérin (2016) 60 n°3. Sur les différents noms utilisés pour qualifier le dialogue romain, cf. Guérin (2016) 66 ; De Giorgio (2015a) 109‒111 ; De Giorgio (2012) ; Kennerly (2010) ; Lévy (1993). Cic. de orat. 1,23 : ea quae quondam accepi. Cf. De Giorgio (2015a) 115. Cic. de orat. 1,22‒23. Nous citons le texte de la Collection des Universités de France, dont nous modifions au besoin la traduction. Nous soulignons par l’italique les termes sur lesquels nous revenons dans l’analyse. Lévy (1995).

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Mélanie Lucciano et d’ailleurs les premiers de Rome en tout genre de mérite. Non point que je dédaigne ce que les Grecs ont laissé sur ce sujet, auteurs de traités et professeurs d’éloquence ; mais leurs ouvrages sont accessibles, se trouvent même dans toutes les mains, et je ne saurais me flatter, par mes explications, de donner à ce qu’ils ont dit plus d’élégance ou de clarté. Tu me pardonneras donc, mon cher Quintus, je l’espère, de m’en rapporter à des hommes éprouvés, reconnus par nos concitoyens comme les maîtres de la parole, et de préférer leur jugement à l’autorité des Grecs.

Dans la préface de ce premier livre qu’il adresse à son frère Quintus, Cicéron met en avant plusieurs principes d’écriture : tout d’abord, l’affirmation d’une primauté de la forme dialogique par rapport à celle des traités de rhétorique antérieurs – grecs donc : les disputationes entre les grands orateurs du De oratore sont, dans le cadre du projet cicéronien, supérieures à la doctrina que Cicéron et Quintus ont reçue dans leur enfance. En effet, Cicéron met en avant, d’une part, le fait que le traitement de la matière oratoire sous la forme de manuel est déjà disponible, ce qui explique le changement de forme d’écriture,7 mais surtout le fait que le recours au dialogue (comme le montre l’emploi des termes disputatio, mais aussi re quaesita) permet une exposition qualifiée d’ornatius et planius. L’association de ces deux qualités, qui désignera dans la suite du texte un impératif stylistique adressé à l’orateur,8 recouvre donc également une dimension didactique dans l’exposition de la doctrine voulue par Cicéron. De fait, le choix du traité-dialogue permettrait donc un dépassement des limites pédagogiques qui,9 comme le montre l’emploi des

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Achard (1987). Cic. de orat. 1,144 : Audieram etiam quae de orationis ipsius ornamentis traderentur : in quo praecipitur primum, ut pure et Latine loquamur, deinde ut plane et dilucide, tum ut ornate, post ad rerum dignitatem apte et quasi decore. « J’avais aussi entendu des leçons touchant les beautés du style : recommandation d’être d’abord pur et correct, d’être ensuite net et clair, puis de viser à l’élégance, enfin d’adapter le langage avec une parfaite convenance à la dignité du sujet » ; 3,37 : Quinam igitur dicendi est modus melior – nam de actione post uidero – quam ut Latine, ut plane, ut ornate, ut ad id, quodcumque agetur, apte congruenterque dicamus ? « En quoi consiste le meilleur mode d’élocution (car je parlerai plus tard de l’action), sinon dans la bonne latinité, la clarté, le brillant, enfin la convenance et l’accord du style avec le sujet, quel qu’il soit ? ». Sur l’influence aristotélicienne dans ce passage mettant en avant l’unité du style, cf. Fantham (1988), Guérin (2011) 310‒314. La même association d’adjectifs se retrouve dans le Brut. 40, où Homère est décrit comme un poeta ornatus in dicendo ac plane orator ; elle est en revanche logiquement dénoncée par le stoïcien Caton dans fin. 3,19, où la nécessité de parler ornate est vue comme puerile puisqu’il suffit à l’homme sage et intelligent de plane autem et perspicue expedire. Nous empruntons ici le terme de « traité-dialogue » (dialogue-treatise) à Schofield (2008) 64‒ 70. Nous retrouvons dans cette forme la double exigence du plane et du ornate ; ainsi 69 : « For a philosophical position to be presented properly, it must be developed logically and systematically, and also with an elegant and full persuasiveness that will appeal to the liberally educated person. » Steel (2013) 221‒223 souligne néanmoins que le terme de « traité » appliqué aux œuvres de Cicéron ne peut être défini que négativement ; la mention de dialogue philosophique est également problématique puisque tous les textes philosophiques de Cicéron ne sont pas des dialogues et que tous les dialogues ne traitent pas de philosophie.

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comparatifs ornatius et planius, semblent avoir été atteintes, du moins pour l’Arpinate, dans la forme du traité rhétorique.10 De plus, dans cette forme du traité-dialogue, l’articulation entre le dialogue et la narration se fait particulièrement sentir : en effet, Cicéron ne fait plus seulement le choix d’explicare ou d’exprimere, mais surtout de repetere, de faire revenir, de raconter une discussion. La dimension mémorielle,11 et particulièrement les pratiques diégétiques qu’elle suppose, sont donc constitutives de la pratique dialogique cicéronienne.12 Il convient toutefois de préciser que le terme de narration doit aussi s’entendre dans un sens plus restreint et technique, pour désigner une des partes orationis, la narratio judiciaire : ses bornes sont alors assez claires, en termes de thématiques abordées (les faits qui ont conduit au procès) et de disposition.13 Nous voudrions donc interroger, dans le De oratore, ce qui apparaît comme une articulation consubstantielle, l’alliance de la narration et du dialogue, en prenant en compte les différentes acceptions du terme « narration »,14 à la fois comme διήγημα et comme διήγησις.15 En effet, si la narration ne peut être détachée du dialogue – de manière évidente dans le récit-cadre, mais pas seulement –, il apparaît également que la narratio en tant que pars orationis repose aussi sur un usage du dialogue, selon la modalité du sermo et des personae, comme l’affirme l’orateur Antoine :16 Sed festiuitatem habet narratio distincta personis et interpuncta sermonibus. Une narration a de l’entrain, quand elle est animée de personnages divers et entrecoupée de dialogues.

Ainsi, lorsque l’on cherche à définir les pratiques d’un bon orateur, le recours, dans la narratio, au sermo – à entendre ici dans le sens de dialogue – et aux personae 10 Sur le choix de la forme dialogique, face au manuel de rhétorique, pour exposer la matière rhétorique, cf. Guérin (2016) ; Guérin (2007) 20‒27, qui y voit une modalité de création d’une nouvelle autorité textuelle et la mise en place mimétique du modèle social que promeut Cicéron. De même, Gildenhard (2013) 267‒268 : « In terms of substance, Cicero’s approach to education brought together two traditions of pedagogy fundamentally incompatible with one another : one based on protocols of interaction in Rome’s aristocratic milieu, the other on discursive rules derived from various branches of Greek philosophy, notably the New Academy. […] The dramatic dimension of dialogue proved ideally suited to bring the two approaches to teaching, and intellectual discourse more generally, into some measure of contact, both in terms of content and form. » 11 Vesperini (2012) 434‒435 analyse la thématique de la memoria dans l’ouverture du De oratore comme le passage d’un souvenir personnel, fondé sur la construction d’un récit fictif qui devient peu à peu impersonnel, à une tradition collective, qui devient donc le fondement d’une mémoire commune. 12 De Giorgio (2015a) 115 : « L’écriture du dialogue plonge ses racines dans la mémoire (recordatio, comme il l’écrit à Quintus) d’un récit qu’on a fait au narrateur-transcripteur (accepi). Cette mémoire individuelle est aussi collective […] : l’anecdote particulière acquiert le statut de fama anonyme dont le narrateur peut faire une fabula. » 13 Cic. de orat. 2,329 : narrationis unus est in causa locus. 14 Calboli Montefusco (1988) 33‒77. 15 Futre Pinheiro (2018) 20‒22. 16 Cic. de orat. 2,328.

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qu’il crée, sans être absolument nécessaire, est néanmoins un élément à prendre en compte en ce qu’il permet la festiuitas. Le terme est polysémique, puisque Cicéron l’applique aussi bien à la narration en général qu’à un raffinement stylistique particulier,17 et cette thématique court tout au long du deuxième livre, tout particulièrement dans l’excursus de ridiculis, où la festiuitas devient presque une nouvelle injonction que doit remplir l’orateur, comme l’affirme César Strabon :18 Verum tamen, ut dicis, Antoni, multum in causis persaepe lepore et facetiis profici uidi. Sed […] in genere perpetuae festiuitatis ars non desideretur – natura enim fingit homines et creat imitatores et narratores facetos adiuuante et uultu et uoce et ipso genere sermonis[.] Toutefois tu as raison, Antoine ; j’ai vu que souvent la plaisante gaieté et les bons mots apportaient un secours efficace à l’orateur. Mais […] dans le domaine de la plaisanterie continue, la technique est inutile – c’est la nature en effet qui façonne les hommes et en fait des imitateurs ou des conteurs spirituels grâce à leur visage, leur voix, ou leur manière même de parler.

Puisque cette festiuitas ne relève pas de l’ars, mais de la natura, elle échappe à la théorisation et, du même coup, à l’apprentissage.19 Il est néanmoins particulièrement intéressant de noter qu’elle se manifeste selon deux modalités, celle de narratio, mais aussi celle de l’imitatio, à entendre dans un sens probablement dramatique, comme le montre le recours à des termes de singularisation d’une persona, la physionomie (uultus), la voix (uox), mais aussi la manière de parler propre à chacun. Nous voudrions donc étudier l’interdépendance du dialogue et de la narration à l’échelle du genre bien particulier que Cicéron crée avec le De oratore, en analysant les influences que chacune des deux formes a l’une sur l’autre.

17 Guérin (2011) 189‒190. 18 Cic. de orat. 2,219. Nous reprenons ici la traduction de Charles Guérin. 19 Guérin (2011) 147‒148 : « Ainsi le développement de ridiculis contenu en De oratore II, 216‒ 291 rompt-il avec la logique prescriptive, plus encore que le reste de l’ouvrage : le paradoxe consistant à tenir un propos théorique sur un domaine présenté comme irréductiblement naturel rend en effet impossible le mode habituel de formalisation de la doctrine. […] Dès lors, savoir faire rire l’auditoire ne constitue plus une simple capacité technique – que l’on peut acquérir, perfectionner –, mais bien une qualité éthique qui nous renseigne immédiatement sur la valeur même de l’orateur. Ultime paradoxe : la rhétorique impose que l’on possède une qualité qu’elle n’est pas à même de transmettre. »

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1. FESTIVITATEM HABET NARRATIO DISTINCTA PERSONIS ET INTERPUNCTA SERMONIBUS :20 UNE BONNE NARRATION DOIT-ELLE ETRE DIALOGIQUE ? 1.1. Le recours au dialogue dans l’exposition de l’ars dicendi : la construction de l’auctoritas paradoxale d’Antoine L’évolution de la forme de traitement de la matière oratoire du traité, le De inuentione, au traité-dialogue, le De oratore, ne peut s’apparenter à une simple variation stylistique ou à un artifice de mise en scène.21 La différence de posture est particulièrement lisible dans l’énonciation des principes que doit respecter la narration ; ainsi, dans le De inuentione,22 le jeune Cicéron énonce les normes qu’il hérite des rhéteurs grecs qu’il ne cherche pas à discuter comme le prouve l’emploi du terme oportet :23 Nunc de narratione ea quae causae continet expositionem dicendum uidetur. Oportet igitur eam tres habere res : ut breuis, ut aperta, ut probabilis sit. Maintenant je crois qu’il faut parler de cette sorte de narration qui contient l’exposé d’une cause. Il faut donc qu’elle ait trois qualités : qu’elle soit brève, claire, plausible.

En revanche, comme l’écrit Marie Formarier : « dans le De oratore […] la forme du dialogue adoptée par Cicéron permet de débattre sur la pertinence des principes discutés ainsi que sur la légitimité de ceux qui les transmettent. Par conséquent, la définition de la narratio, si elle semble en tout point semblable à celle du De inuentione, ne répond pas du tout au même dispositif énonciatif ».24 En ce sens, c’est bien l’auctoritas de la personne qui porte le propos qui se trouve engagée dans le cadre du dialogue et qui donne donc du poids aux idées exprimées.25 À ce titre, la mise en scène d’Antoine, l’organisation de sa persona par Cicéron, est signifiante : de fait, dans le débat avec Crassus, Antoine se présente comme le tenant d’une forme d’ignorance, qui repose non sur une défaillance personnelle, mais bien sur la nature même de la pratique oratoire :26 Ars enim earum rerum est quae sciuntur ; oratoris autem omnis actio opinionibus, non scientia, continetur. Nam et apud eos dicimus qui nesciunt et ea dicimus quae nescimus ipsi.

20 Cic. de orat. 2,328. 21 Guérin (2016) et particulièrement 74 : « Le dialogue cherche à confronter les points de vue plus qu’à en imposer un ou à les réduire pour produire une doctrine : la conséquence la plus importante de ce choix est d’interdire tout dogmatisme. » 22 Sur la mise en place de la narratio par Cicéron en tant qu’orateur, cf. Levene (2004). 23 Cic. inv. 1,28. 24 Formarier (2018) §§8‒9. 25 Sur l’évolution du rapport de Cicéron à l’autorité textuelle, cf. Guérin (2007). 26 Cic. de orat. 2,30.

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Mélanie Lucciano La théorie d’un art, en effet, se compose de notions sues avec certitude ; l’orateur, lui, agit en s’appuyant sur des opinions, non sur une science. Car d’abord nous parlons à des gens qui ne savent pas, et puis nous parlons de choses que nous ne savons pas nous-mêmes.

Face à lui, Crassus cherche au contraire, pour construire le débat, à affirmer la légitimité des interventions d’Antoine : puisque ce dernier a restreint fortement le champ de compétences de l’orateur, il lui devient aisé d’exposer les préceptes de l’art oratoire :27 Tu autem, quoniam exiguis quibusdam finibus totum oratoris munus circumdedisti, hoc facilius nobis expones ea, quae abs te de officiis praeceptisque oratoris quasita sunt. Toi de ton côté, puisque tu circonscris toutes les attributions de cet orateur dans des bornes singulièrement étroites, tu auras plus de facilité à nous exposer les idées que tu as acquises sur les devoirs qui incombent à l’orateur et les règles de son art.

Ainsi, la construction dialogique permet à Cicéron de développer une persona d’Antoine qui n’est, bien entendu, ni novice ni ignorante dans l’ars dicendi, mais dont l’exposition est marquée par la distance ironique vis-à-vis d’une posture de transmission inadéquate,28 l’enseignement des rhéteurs grecs. Face à des figures auxquelles il dénie toute utilité pratique, il se présente alors comme un nouveau maître, dont les propres compétences en tant qu’orateur, pratiques et techniques, ne doivent presque rien à leur apprentissage :29 Audite uero, audite, inquit. Hominem enim audietis de schola atque a magistro et Graecis litteris eruditum. […] Sed quia tamen hoc totum, quicquid est, siue artificium siue studium dicendi, nisi accessit os, nullum potest esse, docebo uos, discipuli, id quod ipse non didici, quid de omni genere dicendi sentiam. Écoutez bien, écoutez, dit-il. Vous allez entendre un homme sorti des écoles, fidèle écho de ses maîtres, instruit dans les lettres grecques. […] Mais puisque dans notre métier le talent de parole (qu’il soit le résultat de l’art ou de l’exercice) n’est rien, s’il n’est doublé d’effronterie, je vous enseignerai, ô mes disciples, ce que je n’ai jamais appris : je vous dirai mes idées sur tout l’ensemble de l’éloquence.

Tout en affirmant un point de vue novateur et personnel (docebo uos id quod ipse non didici) sur l’ars dicendi, Antoine va suivre, dans une disparité de traitement évidente à l’échelle du livre II, les deux choix de modèle traditionnel d’exposition de la matière oratoire, se fondant d’abord sur une exposition en suivant les partes artis, pour en venir, beaucoup plus rapidement,30 à une exposition suivant les partes orationis. Or, l’organisation de la matière de l’ars dicendi ne relève pas d’un choix anodin : elle inscrit l’auteur dans une tradition rhétorique et philosophique,31 mais 27 28 29 30 31

Cic. de orat. 1,264. Guérin (2010) 120‒121. Cic. de orat. 2,28‒29. Cic. de orat. 2,310‒332. Guérin (2016) 59 : « Dans un traité technique, la structuration de l’exposé vaut pour ainsi dire comme choix de méthode et comme inscription dans une tradition : une ars dicendi structurée selon les partes orationis marquera son appartenance à une école déterminée, quand une ars organisée sur le modèle des partes artis affichera son adhésion – consciente ou non d’ailleurs –

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porte aussi des conséquences pédagogiques dans la mise en lumière des questions abordées.32 Pour reprendre la terminologie de Pierre Chiron,33 avec le De oratore, nous avons certes un « traité-méthode », suivant l’ordre des étapes de l’élaboration du discours, les « tâches » de l’orateur – selon le modèle de la Rhétorique d’Aristote – mais aussi un « traité descriptif du produit fini », conçu suivant l’ordre des parties du discours, parties du discours au sein desquelles apparaît la narration. 1.2. Les préceptes de la narration : le modèle du dialogue théâtral ? Antoine aborde directement la question de la narration dans les paragraphes 326‒ 330 du livre II, en s’appuyant sur une lecture de la première scène de l’Andrienne de Térence,34 dans laquelle Simon, le senex, rapporte à son affranchi, Sosie,35 qui est dans la pièce un personnage protatique, l’amour de son fils Pamphile pour Glycère, sœur de Chrysis. Comme l’a déjà remarqué Emanuele Narducci,36 alors que jusqu’ici Antoine centrait son propos sur l’éloquence judiciaire, il va, dans ces quelques paragraphes, mettre en avant des préoccupations plus générales qui n’avaient pu trouver leur place dans le développement jusqu’ici. Antoine commence donc par discuter les principes et les recommandations des traités rhétoriques en ce qui concerne la narration, et en premier lieu la breuitas, en prenant appui sur le texte de Térence :37 Narrare uero rem quod breuiter iubent, si breuitas appellanda est, cum uerbum nullum redundat, breuis est L. Crassi oratio ; sin tum est breuitas, cum tantum uerborum est quantum necesse est, aliquando id opus est ; sed saepe obest uel maxime in narrando, non solum quod obscuritatem

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à une conception aristotélicienne du protocole qui préside à la fabrication du discours. » ; cf. Chiron (2007) sur les influences aristotélicienne, mais aussi isocratique. Guérin (2016) 60 : « Produire un traité technique impose donc une réflexion sur la forme tout autant que sur le contenu de la doctrine, à la fois pour des raisons de pertinence pédagogique, de lutte polémique et d’autorité textuelle (l’inscription formelle dans une tradition servant à valider une théorie). » Chiron (2007). Il constate d’ailleurs que, parmi les arts rhétoriques gréco-latins les formes qu’il nomme « littéraires » ou philosophiques, comme les dialogues de Cicéron, ou encore les monographies critiques, comme celles de Denys d’Halicarnasse, suivent rarement un seul modèle d’organisation. Sur la constitution du texte dramatique comme modèle pour la rhétorique dans le cadre d’une communication fondée sur les émotions, cf. Petrone (2008) 159 ; 166. Sur une théâtralisation de l’actio cicéronienne vers une « dramaturgie du réel », cf. Martin (2016). Sur la singularité de ce personnage d’affranchi, cf. Anderson (2003‒2004) 3. Narducci (92009) 62 : « La disputatio di Antonio ha fatto finora riferimento esclusivamente all’oratoria giudiziaria : nella sua concezione essa costituisce infatti, come già si è visto, il modello di ogni altra forma di eloquenza. Prima di intrattenersi brevemente sulla memoria, egli introduce tuttavia – quasi a mo’ di appendice alla sua trattazione di inventio e dispositio – brevi considerazioni sugli altri due generi, il deliberativo e il dimostrativo, volte a metterne in luce alcune specifiche peculiarità che non hanno potuto trovare posto nella precedente esposizione. » Cic. de orat. 2,326‒328.

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Mélanie Lucciano adfert, sed etiam quod eam uirtutem quae narrationis est maxima, ut iucunda et ad persuadendum accommodata sit, tollit. Videant illa : « nam is postquam excessit ex ephebis ... » quam longa est narratio ! Mores adulescentis ipsius et seruilis percontatio, mors Chrysidis, uultus et forma et lamentatio sororis, reliqua peruarie iucundeque narrantur. Quod si hanc breuitatem quaesisset, « effertur, imus, ad sepulcrum uenimus, in ignem imposita est », decem uersiculis totum conficere potuisset ; quamquam hoc ipsum « effertur, imus, » concisum est ita, ut non breuitati seruitum sit, sed magis uenustati. Quod si nihil fuisset, nisi « in ignem imposita est, » tamen res tota cognosci facile potuisset. Quant à la narration, matière où les rhéteurs recommandent d’être bref, si l’on entend par brièveté cette précision qui ne dit rien de trop, elle se trouve dans les discours de Crassus. Si la brièveté consiste à n’employer que le nombre de mots strictement nécessaire, elle est parfois utile ; mais souvent aussi elle nuira, et peut-être surtout dans le récit, d’abord parce qu’il le rend obscur, ensuite parce qu’elle lui enlève sa qualité la plus importante : son charme, ses grâces persuasives. Prenez le morceau suivant : « Dès que mon fils fut sorti de l’éphébie… » Comme cette narration est longue ! Le caractère du jeune homme, les questions posées par le père aux esclaves, la mort de Chrysis, le visage, la beauté, les larmes de sa sœur, tous les détails composent une narration pleine de variété et d’agrément. Si le poète avait abrégé partout de cette manière : « On enlève le corps ; nous suivons ; on arrive ; On la met au bûcher, … » Dix petits vers auraient suffi pour achever le tout. Et même dans les expressions si concises : « On enlève le corps ; nous suivons », Térence a moins songé à la brièveté qu’à la grâce. N’eûtil rien ajouté à ces mots : « on la met au bûcher », c’en était assez pour expliquer la chose.

Or, ce n’est pas la première fois que ce passage précis de Térence apparaît en contexte rhétorique chez Cicéron : les propos d’Antoine font écho directement au texte du De inuentione,38 où est évoquée la question de la narratio. Cicéron y cite exactement le même vers de Térence, et se réfère donc au même passage, mais dans une perspective différente, puisqu’il ne s’agit pas pour lui d’exposer directement la nécessité de la breuitas dans la narration,39 mais de se livrer à une typologie des genres de narrations, le récit légendaire (fabula), l’histoire (historia), la fiction (argumentum), en fonction de leur degré de véracité plus ou moins marqué.40 Narratio est rerum gestarum aut ut gestarum expositio. Narrationum genera tria sunt : unum genus est, in quo ipsa causa et omnis ratio controuersiae continetur ; alterum in quo digressio aliqua extra causam aut criminationis aut similitudinis aut delectationis non alienae ab eo negotio, quo de agitur, aut amplificationis causa interponitur. Tertium genus est remotum a ciuilibus causis, quod delectationis causa non inutili cum exercitatione dicitur et scribitur. Eius partes sunt duae quarum altera in negotiis, altera in personis maxime uersatur. Ea, quae in negotiorum expositione posita est, tres habet partes : fabulam, historiam, argumentum. Fabula est in qua nec uerae nec ueri similes res continentur, cuiusmodi est : « Angues ingentes alites, 38 Sur la différence des contextes d’insertion de la citation entre le De inuentione et le De oratore, cf. Formarier (2018) §§17‒18. 39 Comme nous l’avons vu plus haut, la nécessité de la breuitas dans la narration est évoquée juste après, en inv. 1,28. 40 Cic. inv. 1,27.

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iuncti iugo... ». Historia est gesta res, ab aetatis nostrae memoria remota ; quod genus : « Appius indixit Carthaginiensibus bellum ». Argumentum est ficta res quae tamen fieri potuit. Huiusmodi apud Terentium : « Nam is postquam excessit ex ephebis, [Sosia]... » La narration consiste à raconter les faits comme ils se sont passés ou comme ils ont pu se passer. Il y a trois sortes de narrations. La première ne contient que la cause et toute la raison de la controverse. La seconde insère une digression prise en dehors de la cause, et sert à accuser, à comparer, à amuser (mais sans s’éloigner du sujet dont on débat), ou encore à amplifier. La troisième sorte est étrangère aux procédures civiles, parce qu’elle est dite et écrite pour plaire, et permet de s’entraîner d’une façon qui n’est pas inutile. La narration comporte deux types, dont l’un concerne surtout des actions et l’autre des personnes. Celui qui consiste à raconter des actions prend trois formes : le récit légendaire, l’histoire, la fiction. Le récit légendaire est une narration qui contient des éléments qui ne sont ni vrais, ni vraisemblables. Par exemple : « D’énormes dragons ailés, liés sous le joug… ». L’histoire raconte un événement qui a eu lieu, à une époque éloignée de la nôtre. Exemple : « Appius a déclaré la guerre aux Carthaginois… ». La fiction est une histoire inventée, mais qui aurait pu arriver. Ainsi chez Térence : « Après avoir quitté l’éphébie… »

Ici, Cicéron ne renvoie pas précisément à la narratio telle qu’elle est ou doit être pratiquée dans le cadre des discours judiciaires, mais plutôt à un usage général de cette narration, qui reste néanmoins utile à l’orateur, tout comme le fait Antoine dans le De oratore en citant les qualités de Térence, auteur dramatique, en tant que narrateur. C’est d’ailleurs à partir de ce point que l’on peut comprendre l’analyse que fait Antoine du texte térencien : tout comme Cicéron dans le De inuentione, c’est en tant qu’argumentum que le texte de Térence est étudié, c’est-à-dire une narration qui tombe sous le coup du probabile, des faits qui ne se sont pas produits (à la différence de ceux de l’historia) mais qui auraient pu se produire (à la différence de ceux de la fabula). Or, comme le montre la suite du discours d’Antoine, la faculté d’adhésion à la véracité de la narratio dépend de l’usage que l’on a de la breuitas :41 Sed et festiuitatem habet narratio distincta personis et interpuncta sermonibus, et est et probabilius quod gestum esse dicas, cum quem ad modum actum sit exponas, et multo apertius ad intellegendum, si constituitur aliquando ac non ista breuitate percurritur. Apertam enim narrationem tam esse oportet quam cetera ; sed hoc magis in hac elaborandum est, quod et difficilius est non esse obscurum in re narranda quam aut in principio aut in argumentando aut in perorando, et maiore etiam periculo haec pars orationis obscura est quam ceterae : uel quia, si quo alio in loco est dictum quid obscurius, tantum id perit quod ita dictum est, narratio obscura totam occaecat orationem ; uel quod alia possis, semel si obscurius dixeris, dicere alio loco planius, narrationis unus est in causa locus. Erit autem perspicua narratio, si uerbis usitatis, si ordine temporum conseruato, si non interrupte narrabitur. Un récit a plus d’agrément, quand il est animé de personnages divers et coupé de dialogues ; on rend en outre plus vraisemblables les faits dont on parle, si l’on expose comment ils se sont passés ; on les rend enfin plus faciles à comprendre, si l’on marque parfois des temps d’arrêt, au lieu de courir toujours avec une hâte déplacée. La narration doit être aussi claire que le reste du discours ; c’est même à quoi il importe de veiller avec un soin spécial, car l’obscurité y est plus difficile à éviter que dans l’exorde, la discussion des preuves ou la péroraison, et elle y a en même temps de plus graves conséquences : s’il vous arrive sur quelque autre point d’être un peu obscur, le mal se limite au passage qui manque de clarté, tandis qu’une narration obscure 41 Cic. de orat. 2,328‒329.

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Mélanie Lucciano obscurcit l’ensemble du discours ; puis, ce qu’ailleurs vous avez mal fait comprendre, vous pouvez y revenir dans un autre endroit pour mieux l’expliquer, mais la narration a une place déterminée et une seule. Le moyen de la rendre claire, c’est de n’employer que des termes usuels, d’observer l’ordre des circonstances, de ne point interrompre le fil du récit.

Ainsi, des liens étroits régissent les rapports entre breuitas, obscuritas et probabile dans une narratio oratoire comme dramatique. Antoine récuse ici le critère quantitatif pour juger de la breuitas, qui n’aboutit qu’à obscurcir la narration, et donc à rendre cette narration inutile, puisqu’elle perd toute force de persuasion. Dans ce cadre, la présence du dialogue dans la narratio apparaît comme l’un des ressorts de cette « bonne » breuitas. En effet, les sermones permettent un double effet de uariatio, en jouant à la fois sur la circulation de la parole entre plusieurs personnages, ce que montre la citation de l’Andrienne, mais aussi sur la modalité discursive, entre narratio continua et narratio interrupta. Ainsi, dans la pièce de Térence, la dimension informative nécessaire à la compréhension du public est portée uniquement par le personnage de Simon. De fait, la présence sur scène du personnage de Sosie permet seulement d’établir une modalité dialogique car ses interventions dans cette scène permettent une relance de la narratio en portant les interrogations des spectateurs face à l’histoire rapportée,42 ce qui pourrait correspondre à la dimension interpuncta de la narratio mise en avant par Antoine. La dimension d’une narratio distincta personis se retrouve par exemple dans la différence de statuts entre les deux personnages : là où Simon, après avoir dressé un portrait topique de Chrysis en meretrix, annonce sobrement sa mort : Chrysis uicina haec moritur,43 son affranchi peut exprimer de façon ouverte ses sentiments, dans un décalage comique par rapport à la situation : O factum bene ! Beasti : metui a Chryside.44 « Ah ! Tant mieux ! Tu me rassures ; cette Chrysis me faisait peur pour lui. » Ainsi, le recours au dialogue, ici théâtral, conduit à produire une narration animée, qui est alors plus intéressante et intelligible : en effet, dans la dernière réplique de Sosie se trouve explicité un principe du code théâtral de la Néa, selon lequel une meretrix est un personnage à craindre pour le senex et ses alliés, puisqu’elle entrave le mariage de l’adulescens.45 Dans ce cas, son « élimination » ne peut que réjouir l’affranchi du senex. Si, comme le souligne Marie Formarier,46 42 Nous pouvons ainsi noter les répliques suivantes : v.54 : ita est ; v.86 : teneo ; v.116 : hem, quid id est ? Sur la question du recours du dialogue dans cet argumentum, cf. Anderson (2003‒2004) 5. 43 Ter. Andr. 105. 44 Ter. Andr. 105‒106. 45 Sur le personnage de la meretrix, Faure-Ribreau (2012) 141‒146. 46 Formarier (2018) §2 – en se référant à O’Banion (1987) : « La narratio suppose la maîtrise de procédés discursifs hétérogènes et complémentaires, relevant à la fois de la logique linéaire (respect de la chronologie des faits) et de la caractérisation éthique et pathétique : il s’agit d’élucider les faits, de replacer l’affaire dans son contexte, mais aussi de dresser le portrait des personnes concernées, de les faire parler grâce à des dialogues, de mettre sous les yeux du public les caractéristiques morales et émotionnelles qui ont pu les amener à mener telle ou telle action, etc. Cette richesse suppose, de la part de l’orateur, la maîtrise parfaite de son sujet et des divers

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la narratio permet à la fois l’exposition des faits en contexte et l’établissement d’un portrait de la persona qui les rapporte, le propos d’Antoine dans le De oratore s’oriente en fonction des résultats obtenus par cette introduction du dialogue dans la narratio. Les faits rapportés deviennent et probabilius, et multo apertius ad intellegendum par le bon usage de la brièveté, qui n’est ni rapidité ni concision, mais juste mesure, un principe aristotélicien contre l’école d’Isocrate, comme le rappelle Cynthia Helena Dibbern,47 ou plus exactement dans le témoignage préaristotélicien qu’apporte la Rhétorique à Alexandre.48 La clarté et la vraisemblance, double conséquence de cette breuitas, apparaissent étroitement liées, dans un balancement avec l’usage de et…et ainsi que du comparatif. Elles définissent une efficacité de la narratio, qui semble pourtant de second ordre face au premier résultat attendu, celui d’apporter à la narratio une festiuitas. Comme le souligne Antoine lui-même, dans l’exemple de Térence, l’impératif de la breuitas cède face à celui de la uenustas.49 Si nous nous situons donc bien ici dans une esthétique de la réception, qui met en jeu les devoirs de l’orateur par l’alliance dans la narratio des principes du docere mais surtout du delectare, il convient de noter qu’Antoine s’éloigne ici des propos tenus par César Strabon dans le passage de ridiculis du livre II, en proposant en creux une méthode efficace de narration à l’orateur : l’introduction de dialogues dans cette pars orationis, une forme d’ars donc. Pourtant, en suivant les propos d’Antoine, la mise en œuvre de ce principe n’est pas si claire : alors qu’était mis en avant le principe d’une narration dialoguée, et donc interpuncta dans le but de susciter le plaisir de l’auditoire, Antoine établit dans la suite du paragraphe un glissement qui renverse l’échelle des valeurs dans l’appréciation d’une bonne narratio. Cette dernière met alors en avant la notion de clarté, dans le passage de l’expression multo apertius à apertam narrationem. Alors que, dans le commentaire du texte de Térence, l’accent était mis sur la festiuitas, c’est à la fin du paragraphe la clarté et le défaut inverse, l’obscuritas, qui sont mis en avant dans le cadre du discours judiciaire, auquel Antoine revient subrepticement par l’emploi de cetera, renvoyant aux autres partes orationis.

procédés qui vont lui permettre d’atteindre son but : exposer la cause de façon brève, claire et vraisemblable, afin d’instruire et de persuader son auditoire. » 47 Dibbern (2015) 59 en référence à Aristot. rhet. 1417a. 48 Aristot. rhet. Alex. 1438a19‒21 ; cf. Guérin (2009) 327. 49 L’utilisation du terme uenustas, en lien avec le commentaire du texte de Térence, par rapport au terme festiuitas qu’Antoine reprend par la suite pour qualifier ainsi la narration peut se comprendre par la référence théâtrale. En effet, comme le montre Lévy (2010) 171‒175, le terme est d’abord utilisé chez Cicéron comme une qualité de l’actio, rapprochant ainsi les performances de l’orateur et de l’acteur, comme le prouve la désignation de Roscius comme paradigme de l’actio de l’orateur (Cic. de orat. 1,130). Néanmoins, il recouvre également une dimension métastylistique (174) : « En tant qu’achèvement artistiquement réussi, la uenustas émerge à tous les niveaux de l’elocutio, à la fois une en tant que qualité du résultat et plurielle par l’extrême variété de ses sources. […] en 2,326‒328 : Cicéron soutient que la breuitas de la narration, fortement recommandée par les rhéteurs ne constitue pas une fin en soi. La fin c’est la uenustas, non la breuitas qui ne s’identifie à elle qu’en certaines occasions. »

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Dans ce cadre, la clarté redevient la qualité essentielle d’une bonne narration et cela pour deux raisons : d’une part, elle relève d’une difficulté technique, point qu’Antoine ne développe pas, d’autre part, du fait du rôle essentiel de la narratio dans le cadre du discours judiciaire – l’exposition des faits qui ont conduit au procès et qui, donc, justifie l’existence même du discours judiciaire – puisque l’obscuritas qui frapperait la narration se diffuserait à l’ensemble du discours. Cette mise en avant d’une narratio aperta, perspicua, face à une narratio porteuse de festiuitas, apporte de nouveaux préceptes à mettre en œuvre par l’orateur : l’usage d’un vocabulaire courant (uerbis usitatis), le respect de la chronologie (ordine temporum conseruato), mais surtout le fait de non interrupte narrabitur. Cette injonction semble antithétique par rapport à celles qu’apporte l’introduction du dialogue dans la narration : cette narratio, produite de façon non interrupte, semble ainsi s’opposer à la narratio interpuncta. Si Cicéron utilise le terme interrupte pour marquer une voix, un discours qui se trouverait interrompu contre la volonté de l’orateur, par un individu ou encore, volontairement ou non, par des larmes,50 on ne voit pas bien alors la différence avec les interventions de Sosie dans le propos de Simon, cités plus haut en exemple. Ne faudrait-il alors entendre dans le terme de narratio interpuncta une simple dimension stylistique liée à l’élocution de l’orateur et non à la modalité narrative qu’il utilise ?51 Cependant la mention de narratio interpuncta sermonibus semble interdire cette lecture. Comment comprendre alors ce glissement dans le discours d’Antoine ? Il semble que cette valorisation, ou non, du dialogue dans la narration tient au passage presque imperceptible entre les deux types de narration, celle du discours judiciaire et celle qui trouve sa place dans des discours délibératifs et démonstratifs, là où le dialogue constitue une pause appréciable (narratio distincta personis et interpuncta sermonibus) parce que l’objectif principal est celui de divertir l’auditoire en employant des procédés mimétiques du théâtre. Il n’en va pas de même lorsqu’on se situe dans le cadre strict du discours judiciaire, où le sermo et les différentes personae, même incarnées par l’orateur, n’auraient donc pas vraiment leur place, parce qu’ils empêcheraient la narratio d’être aperta ou perspicua. Ainsi, en ajoutant un quatrième terme, celui de la festiuitas, de l’agrément, aux prescriptions traditionnellement attendues de la narratio (ut breuis, ut aperta, ut probabilis sit), Antoine, d’une certaine manière, lui rend une part de sa spécificité par rapport aux autres partes orationis en refusant de limiter à cette seule narratio des caractéristiques qui sont celles du discours tout entier :52 Iubent enim exordiri ita, ut eum qui audiat beniuolum nobis faciamus et docilem et attentum ; deinde rem narrare et ita, ut ueri similis narratio sit, ut aperta, ut breuis […] Iam uero 50 Sur les interruptions des propos par des larmes : Cic. Cael. 59 ; de orat. 3,217. Sur la question de l’utilisation des pleurs par l’orateur, cf. Casamento (2004). 51 Cicéron utilise en effet fréquemment l’adjectif interpunctus pour désigner le rythme de l’élocution (et dans ce cas les pauses) ; le terme qualifie alors clausula, interclusio ou encore interuallum, ainsi : Mur. 25 ; de orat. 2,177 ; 3,173 ; 3,181 (usage unique du substantif ici) ; orat. 53. Sur les significations possibles du terme (rythme, hendiadyn, pause…), cf. Mankin (2011) 265 ; 272. 52 Cic. de orat. 2,80‒83.

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narrationem quod iubent ueri similem esse et apertam et breuem, recte nos admonent : quod haec narrationis magis putant esse propria quam totius orationis, ualde mihi uidentur errare. Il faut, disent-ils, rendre par l’exorde l’auditeur bienveillant, docile et attentif ; ensuite exposer les faits dans une narration vraisemblable, claire et courte […] Ils veulent encore que la narration soit vraisemblable, claire et courte : recommandation excellente ; mais quand ils s’imaginent qu’elle convient plus à la narration qu’au discours tout entier, ils me paraissent singulièrement se tromper.

Antoine rapproche ainsi la narratio du genre dramatique et de sa dimension dialogique, en soumettant l’efficacité oratoire à un agrément de l’auditoire.53 Cependant, la mise en œuvre, par sa complexité, demande du doigté, et l’introduction du dialogue dans la narratio conduit à une nécessaire mise en balance des attendus de clarté et de festiuitas. 2. LE RECOURS A LA NARRATION DANS LE TRAITE-DIALOGUE : VERS LA CONSTRUCTION DU SENS Si le dialogue au sein de la narration permet de créer à la fois de la clarté et de l’agrément, il permet également de donner corps aux différentes personae mises en scène dans le De oratore, mais aussi à l’auteur lui-même. À ce titre, les différents récits de soi qui sont mis en place dans le texte participent de l’auctoritas de ces figures et construisent donc, dans une dimension pédagogique, des mécanismes de persuasion.54 2.1. Mise en place de l’auctoritas cicéronienne : construire le récit de soi Il convient de définir deux modalités du dialogue dans le De oratore : la discussion proprement dite, où Cicéron met en scène les différents orateurs romains, mais également le prologue, dans lequel Cicéron lui-même s’adresse à son frère Quintus. Or, comme l’avait déjà souligné Michel Ruch,55 Cicéron a considéré les proœmia de ses dialogues comme des missives,56 lieu, comme l’ont montré Laurent Gavoille,57 ou encore Jean-Pierre De Giorgio, du sermo quotidianus, échanges 53 Formarier (2018) § 26. 54 Guérin (2009) 333‒336 ; 334 : « Les qualités de la persona interviennent à trois reprises dans la théorie de la narration. D’une part, la persona se trouve définie par la dignitas de l’individu […] Elle est avant tout une référence dont l’orateur doit impérativement tenir compte pour bâtir son récit : la dignitas de chacun déterminera la possibilité de lui imputer tel ou tel fait. Caractérisée également par les propos tenus et directement cités, la persona permet de rendre vivant ce même récit et, par conséquent, de procurer de l’agrément à l’auditeur. […] Enfin, définie par les passions, la persona joue le même rôle de delectatio, mais semble moins directement reliée à l’existence sociale de l’individu. » 55 Ruch (1958) 336‒361. 56 Cic. Att. 13,32,3. Sur les liens qui unissent les genres épistolaires et dialogiques, cf. Casevitz (2008). 57 Gavoille (2004) 40‒50.

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renforcés, dans le De oratore, par la triple dédicace, la triple adresse à Quintus à chaque ouverture des trois livres qui composent le traité-dialogue. Il s’agit néanmoins d’un sermo particulier, qui se déroule in absentia, un dialogue à distance dans lequel nous n’entendons pas la voix de Quintus autrement que par les notations de Cicéron. Comme l’écrit Jean-Pierre De Giorgio, « [La lettre familière] représente de manière hyperbolique ce pour quoi l’écriture est faite à Rome : suppléer l’absence. C’est dans ce cadre que s’opère alors la figuration des absents : offrir un ‹ portrait de son âme ›, c’est précisément conjurer l’absence. On comprend dès lors que plusieurs formes d’ouvrages littéraires aient emprunté au discours épistolaire, pour retrouver une efficacité de la parole dite, prononcée, échangée. […] La lettre gardait le souvenir, même lointain, du dialogue en face à face. Quelques dialogues de Cicéron s’ouvrent à l’attention de destinataires uniques comme s’il s’agissait de lettres : la préface s’y apparente par bien des aspects au genre de la lettre de recommandation. »58 En ce sens, les remarques sur l’usage de la narration dans la correspondance cicéronienne peuvent, dans une certaine mesure, s’appliquer également aux prologues adressés à Quintus. Ainsi, Jacques-Emmanuel Bernard, qui se fonde sur la correspondance officielle et privée envoyée par Cicéron lors de son proconsulat en Cilicie en 51‒50 av. J.C., montre que ce type d’échanges reprend à la fois des prescriptions héritées de rhétorique sur la narratio – dans une dimension informative – , mais aussi dans sa « finalité persuasive en favorisant la création d’une image de soi adaptée à celle du destinataire. »59 À ce titre, il apparaît particulièrement intéressant de voir comment, dans les prologues du De oratore, se construit l’image cicéronienne, à travers des narrations liées au récit de soi, qui correspondent d’une certaine manière à la stratégie oratoire de la commendatio sui et de l’existimatio uitae,60 comme on peut le lire au livre II du De oratore :61 Valet igitur multum ad uincendum probari mores et instituta et facta et uitam eorum, qui agent causas, et eorum, pro quibus, et item improbari aduersariorum, animosque eorum, apud quos agetur, conciliari quam maxime ad beneuolentiam cum erga oratorem tum erga illum, pro quo dicet orator. Conciliantur autem animi dignitate hominis, rebus gestis, existimatione uitae ; quae facilius ornari possunt, si modo sunt, quam fingi, si nulla sunt. Il importe donc beaucoup au succès de la cause que soient mis en lumière favorable les mœurs, les principes, les faits et gestes, la conduite de l’orateur et de son client, inversement en lumière défavorable ce qui concerne l’adversaire sous tous ces rapports, et que l’on incline le plus possible les dispositions des juges à la bienveillance envers soi-même comme envers celui qu’on défend. Or ce qui nous concilie la bienveillance, c’est la dignité de notre caractère, ce sont nos actions louables, la considération qu’inspire notre vie : toutes choses qu’il est plus facile d’embellir lorsqu’elles existent, que de feindre quand elles n’existent pas.

Pour être persuasive, la narratio doit être, comme nous l’avons vu, probabilis ; comme l’explique Charles Guérin : « dans cette conception, ce sont les faits qui 58 De Giorgio (2015b) 61‒62. 59 Bernard (2012). 60 Sur la mise en œuvre d’un « ethos of sympathy » conduisant à la beneuolentia, cf. Wisse (1989) 234‒240. 61 Cic. de orat. 2,182.

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doivent s’accorder aux caractéristiques définitoires des individus, et non les attributs qui doivent être sélectionnés pour rendre probable l’imputation. […] les faits peuvent être adaptés, les traits de la persona sont une référence fixe. La persona des individus se trouve donc prise en compte comme référence des faits et des propos qu’il est possible de leur imputer ».62 C’est donc bien la persona de celui qui parle qui confère une dignitas, du poids aux propos tenus. Or, dans le De inuentione, lorsque la définition de la persona passe par la narratio in personis, il est intéressant de noter le retour de l’impératif de festiuitas, à la différence de la narratio in negotiis dont le critère de définition est, comme nous l’avons vu, la vraisemblance :63 Illa autem narratio quae uersatur in personis eiusmodi est ut in ea simul cum rebus ipsis personarum sermones et animi perspici possint, […] Hoc in genere narrationis multa debet inesse festiuitas confecta ex rerum uarietate ; animorum dissimilitudine : grauitate, lenitate, spe, metu, suspicione, desiderio, dissimulatione, errore, misericordia ; fortunae commutatione : insperato incommodo, subita laetitia, iucundo exitu rerum. La narration qui concerne les personnes est ainsi faite que l’on a l’impression de voir non seulement les actions elles-mêmes, mais aussi le langage et le caractère des personnages […] Ce genre de narration doit avoir beaucoup d’agrément, grâce à la variété des événements ; à la diversité des sentiments : sérieux, douceur, espoir, crainte, désir, dissimulation, hésitation, compassions ; aux changements de fortune : malheurs inattendus, joies soudaines, heureux dénouement.

Ainsi, le critère de la vraisemblance des propos, ou plus exactement de l’adéquation entre la persona, les sermones et les comportements, n’apparaît plus comme définitoire de la narratio ; mais nous nous situons une fois de plus dans une perspective de réception, où la festiuitas est de nouveau mise en avant comme la qualité essentielle de la narration. Encore une fois, cet agrément repose sur un principe de uarietas,64 laquelle ne s’exprime plus, en revanche, de manière stylistique, mais plutôt dans l’état d’esprit d’un individu, dans la transcription de ses passions.65 Cicéron applique-t-il ces principes dans la présentation qu’il donne de luimême dans les trois prologues du De oratore ? Nous voudrions donner quelques indices qui nous permettent de voir que l’usage fait par Cicéron de la narratio, du récit sur lui-même, porte à la fois une dimension argumentative, mais aussi stylistique et de construction littéraire. Comme l’a bien montré Emanuele Narducci,66 le fil directeur des trois prologues se retrouve dans la thématique de la mémoire, qu’il s’agisse du premier livre, où Cicéron, déjà âgé d’une cinquantaine d’années, trace le bilan – d’une certaine manière insatisfaisant – de sa vie avant de plonger dans les temps plus anciens où est située la scène du dialogue, qu’il rappelle à son frère, du livre II, où 62 Guérin (2009) 328 ; voir aussi 292‒294. 63 Cic. inv. 1,27. 64 Sur la uarietas comme dimension performative de l’ornatus dans le De oratore, cf. Fjelstad (2003) 41‒43. 65 Guérin (2009) 331. 66 Narducci (92009) 5‒15.

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il mentionne leur enfance commune et les liens étroits qui les unissaient aux deux principaux protagonistes, Crassus et Antoine, ou bien qu’il évoque le souvenir, encore douloureux, de la mort de Crassus, qui suivit de près le temps du dialogue rapporté, qui constitua alors son chant du cygne. En lisant en parallèle les trois prologues, il apparaît que les passages que Cicéron consacre à sa personne se font de plus en plus brefs entre le livre I et le livre III, les figures d’Antoine, mais surtout de Crassus occupant peu à peu tout l’espace du prologue, transformant, comme l’a montré Michel Ruch, l’autobiographie cicéronienne (sur laquelle s’ouvre le premier livre) en histoire.67 Si nous nous intéressons plus précisément au prologue du premier livre, il convient de noter que la modalité de la narration cicéronienne sur sa propre personne ne s’ouvre pas sur la réalité, mais plutôt sur une narration hypothétique :68 Cogitanti mihi saepenumero et memoria uetera repetenti perbeati fuisse, Quinte frater, illi uideri solent qui in optima re publica, cum et honoribus et rerum gestarum gloria florerent, eum uitae cursum tenere potuerunt ut uel in negotio sine periculo uel in otio cum dignitate esse possent. Ac fuit tempus illud cum mihi quoque initium requiescendi atque animum ad utriusque nostrum praeclara studia referendi fore iustum et prope ab omnibus concessum arbitrarer, si infinitus forensium rerum labor et ambitionis occupatio decursu honorum, etiam aetatis flexu constitisset. Quam spem cogitationum et consiliorum meorum cum graues communium temporum, tum uarii nostri casus fefellerunt. Nam qui locus quietis et tranquillitatis plenissimus fore uidebatur, in eo maximae moles molestiarum et turbulentissimae tempestates exstiterunt. Bien souvent, lorsque mes réflexions ramènent ma pensée vers les temps disparus, mon cher Quintus, ces hommes qui, au sein d’une cité bien gouvernée, comblés d’honneurs, florissants de la gloire que leur méritaient leurs actions, ont pu régler le cours de leur existence, de manière à vivre tour à tour au service de l’État sans danger et dans la retraite avec dignité. Pour moi aussi vint une heure, où le repos et le retour à ces belles études chéries de nous deux me semblaient un droit que nul peut-être ne me contesterait, où je me croyais autorisé, au terme de ma carrière et presque au déclin de mon âge, à suspendre les travaux infinis du forum et les pénibles démarches de l’ambition. Cet espoir, ce but de mes pensées, de mes projets, les malheurs qui frappèrent la cité, plus encore les infortunes variées qui m’atteignirent moi-même, l’ont fait évanouir. L’époque dont j’attendais une plénitude de calme et de tranquillité fut celle où je vis s’amonceler sur moi les plus cruels soucis, les plus terribles orages.

En effet, Cicéron n’évoque pas directement sa vie, mais plutôt ce qu’elle aurait dû être si le cycle du temps s’était maintenu (solent) : au contraire, l’époque à laquelle appartient l’Arpinate est celle d’une rupture majeure, dans laquelle, en dépit de son âge avancé, il ne peut se tenir à l’écart du forum. Deux raisons lui permettent cette construction où la narration de la vie qu’il aurait dû mener l’emporte sur le récit de ce qu’il a réellement vécu : dans le cadre de l’échange proprement dit avec son frère Quintus, la nécessité d’information portée par la narration ne tient pas, puisque son frère est bien entendu au courant des vicissitudes auxquelles il a dû faire face. De plus, comme l’explique Michel Ruch : « Les propos que tient Cicéron sur sa 67 Ruch (1958) 195. Cette histoire s’étend de Cogitandi mihi saepenumero et memoria uetera repetenti perbeati fuisse « bien souvent, lorsque mes réflexions ramènent ma pensée vers les temps disparus » (1,1), à sermonem L. Crassi reliquum ac paene postremum memoriae prodamus « achevons de transmettre à la postérité l’entretien de Crassus » (3,14). 68 Cic. de orat. 1,1‒2.

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destinée ne sont qu’une manière d’illustrer de façon dramatique les mobiles extrinsèques ou intrinsèques qui l’ont déterminé à composer son ouvrage. Quintus de son côté est le représentant du public qu’il s’agit de convaincre »69 : la narration hypothétique sur la vie de Cicéron ne lui est pas vraiment propre, elle subsume l’époque contemporaine à l’écriture du texte. Un deuxième point à voir dans ce prologue est bien la manière dont le récit de soi cicéronien permet de creuser le jeu littéraire entre la réalité et la fiction du dialogue. En effet, dans le cadre d’une narration « dialoguée », où il raconte au style indirect les propos de son frère Quintus, Cicéron affirme l’ancienneté du débat entre les deux frères sur la question de l’art oratoire :70 Vis enim, ut mihi saepe dixisti, quoniam quae pueris aut adulescentulis nobis ex commentariolis nostris incohata ac rudia exciderunt uix hac aetate digna et hoc usu, quem ex causis quas diximus tot tantisque consecuti sumus, aliquid isdem de rebus politius a nobis perfectiusque proferri ; solesque non numquam hac de re a me in disputationibus nostris dissentire, quod ego eruditissimorum hominum artibus eloquentiam contineri statuam, tu autem illam ab elegantia doctrinae segregandam putes et in quodam ingeni atque exercitationis genere ponendam. Ton souhait, tu me l’as souvent exprimé : puisque ces essais de mon enfance ou, plus exactement, de ma première jeunesse, ébauches encore grossières échappées de mes cahiers d’école, sont vraiment par trop peu dignes de l’âge où je suis parvenu et de l’expérience que tant de causes fameuses m’ont acquises, je devrais, selon toi, produire sur le même sujet quelque ouvrage plus poli et plus achevé ; mais quand nous discutons parfois ces questions, tu soutiens volontiers une opinion différente de la mienne : à mes yeux, c’est tout l’ensemble de connaissances que possèdent les hommes les plus instruits, oui, c’est tout cela qui constitue l’éloquence ; toi au contraire, la séparant de cette noble culture, tu la fais consister seulement dans certaines aptitudes naturelles, développées par un certain ordre d’exercices.

Ainsi, l’épaisseur temporelle qui creuse la figure du Cicéron-narrateur le légitime en tant que rapporteur du dialogue : il possède la dignitas que lui confère l’âge, mais aussi l’expérience et les connaissances. En outre, la narration annonce et redouble l’argumentation théorique : en effet, le débat entre Antoine et Crassus est déjà annoncé dans le face-à-face entre Cicéron et Quintus, entre une conception extensive des compétences de l’orateur et une vision qui met l’accent sur l’ingenium et la pratique d’exercices. Par la narration, Cicéron ravive donc l’actualité de la discussion sur l’éloquence par rapport au temps du dialogue, tout en ouvrant la voie thématiquement aux débats proprement dits entre les orateurs. Cette question de légitimité se retrouve dans le prologue du livre II, lorsque Cicéron évoque l’époque de sa jeunesse, époque pour laquelle lui-même, mais aussi son frère Quintus, jouent le rôle de témoins oculaires pour renverser l’opinion répandue selon laquelle Antoine et Crassus n’étaient pas instruits. Encore une fois, en rappelant le récit de leurs études, Cicéron permet de tracer une filiation directe entre son frère et lui et les personnages de son dialogue : Marcus et Quintus n’ont pas reçu une éducation qui les distinguerait de Crassus et d’Antoine. Ils en sont au contraire les dignes héritiers, aussi bien dans leur formation que dans les idées qu’ils 69 Ruch (1958) 186. 70 Cic. de orat. 1,5.

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affichent respectivement ; si différence il y a, cette dernière tient à la volonté de dissimulation de leur savoir voulue par Crassus et Antoine pour se conformer aux pratiques de la société romaine de l’époque, pour lesquelles une posture professorale de ces consulaires seraient inacceptable.71 Dans ces conditions, la narratio sur la jeunesse de Cicéron se trouve développée par le dialogue proprement dit, où les mêmes thématiques sont développées, selon une autre modalité, le sermo et la disputatio, selon un principe de uariatio. 2.2. Construire les personae du dialogue par la narration Si l’on s’intéresse maintenant à la présence de narration comme récit de soi au sein du traité-dialogue proprement dit, il apparaît que l’on y retrouve les mêmes procédés de validation des arguments du discours par la persona de l’orateur.72 Sed quo citius hoc quod suscepimus non mediocre munus conficere possimus, omissa nostra adhortatione ad eorum quos proposuimus sermonem disputationemque ueniamus. Mais, afin d’achever plus tôt la tâche, fort lourde, que j’ai entreprise, je termine ici mon exhortation et je donne la parole, pour la discussion qu’ils eurent ensemble, aux personnages que j’ai annoncés.

Ainsi, Crassus évoque, au premier livre, les exercices d’entraînement des futurs orateurs, et plus particulièrement celui de la paraphrasis, exercice de variation autour d’un texte modèle selon un principe d’imitation,73 pratiqué particulièrement par son futur rival, Carbon :74 In cotidianis autem commentationibus equidem mihi adulescentulus proponere solebam illam exercitationem maxime, qua C. Carbonem nostrum illum inimicum solitum esse uti sciebam, ut aut uersibus propositis quam maxime grauibus aut oratione aliqua lecta ad eum finem, quem memoria possem comprehendere, eam rem ipsam, quam legissem, uerbis aliis quam maxime possem lectis, pronuntiarem. Sed post animaduerti hoc esse in hoc uiti, quod ea uerba, quae maxime cuiusque rei propria quaeque essent ornatissima atque optima, occupasset aut Ennius, si ad eius uersus me exercerem, aut Gracchus, si eius orationem mihi forte proposuissem : ita, si eisdem uerbis uterer, nihil prodesse ; si aliis, etiam obesse, cum minus idoneis uti consuescerem. Postea mihi placuit, eoque sum usus adulescens, ut summorum oratorum Graecas orationes explicarem, quibus lectis hoc adsequebar, ut, cum ea, quae legeram Graece, Latine redderem, non solum optimis uerbis uterer et tamen usitatis, sed etiam exprimerem quaedam uerba imitando, quae noua nostris essent, dum modo essent idonea. Iam uocis et spiritus et totius corporis et ipsius linguae motus et exercitationes non tam artis indigent quam is laboris ; quibus in rebus habenda est ratio diligenter, quos imitemur, quorum similes uelimus esse. Parmi mes exercices d’entraînement quotidien, j’avais coutume, au temps de ma première jeunesse, de m’imposer surtout celui dont je savais que Carbon, le Carbon qui devint mon ennemi, faisait un fréquent usage : il consistait à choisir un morceau de vers ou de prose, le plus 71 72 73 74

Guérin (2016) 74. Cic. de orat. 2,11. A. Theo, Prog. 62‒64. Cic. de orat. 1,154‒156.

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beau possible, à en pousser la lecture aussi loin que le permettait l’étendue de ma mémoire, puis à reproduire vers ou prose, mais avec d’autres mots, et les meilleurs que je pouvais trouver. Je m’aperçus bientôt du vice de cette méthode. Les expressions, qui étaient à chaque fois les plus propres, les plus élégantes et les plus heureuses, Ennius s’en était déjà emparé, si c’était sur ses vers que je m’exerçais, ou Gracchus, si je m’étais attaqué à l’un de ses discours ; de la sorte, ou je répétais les mêmes termes, et l’exercice ne servait à rien, ou je recourais à d’autres mots, et l’exercice devenait nuisible, parce que je m’habituais à recourir à de moins bons. Dans la suite je m’avisai (j’étais alors un peu plus mûr) de prendre des harangues écrites en grec par de grands orateurs, et de les traduire librement. Et voici le résultat que j’obtenais : en donnant au texte que j’avais lu une forme latine, non seulement je pouvais me servir des meilleures expressions, en usage chez nous celles-là ; mais par analogie avec le grec, j’en frappais de nouvelles, qui n’étaient pas moins bien accueillies des nôtres, à condition qu’elles fussent appropriées. Pour ce qui concerne la voix, le souffle, les mouvements du corps, l’agilité de la langue, la théorie fait moins que le travail ; ayons grand soin seulement de bien choisir les modèles sur lesquels nous voulons nous former.

Dans le récit de l’opposition entre Crassus et Carbon pour la meilleure formation oratoire possible, il est intéressant de noter l’importance de l’épaisseur temporelle : Crassus évoque lui-même différents moments de sa jeunesse, et donc de son apprentissage, nous laissant lire sa progressive maturité. L’exercice de paraphrasis, c’est-à-dire une reformulation par addition, soustraction ou substitution, est alors rejeté non pas au nom de principes théoriques, mais bien parce que le jeune Crassus a pratiqué cet exercice avant de s’apercevoir qu’il était au mieux inutile, puisque les auteurs imités ont déjà utilisé la meilleure formulation et que le jeune orateur se trouve dans l’incapacité de pratiquer cette substitution, au pire néfaste, puisque, si ce dernier s’entête pour réellement pratiquer l’exercice, il produit un texte qui, du point de vue des choix de vocabulaire, est bien moins bon que l’original, dans une forme d’émulation à l’envers. Cette narratio, qui reconstitue une forme de pédagogie à l’envers, permet donc de donner à voir un jeune Crassus, pas encore conscient des enjeux de la pratique des exercices oratoires, dont les interlocuteurs, dans le dialogue, suivent les errements pédagogiques ; ces derniers sont donc invités à tirer parti de l’expérience qui leur est relatée.75 L’expérience qu’acquiert Crassus, comme le montre le passage des termes d’adulescentulus à adulescens, renforce peu à peu son auctoritas : dans le cadre du dialogue, on passe donc d’une affirmation marquée de la première personne du singulier à la première personne du pluriel, Crassus assumant peu à peu un rôle sinon de maître, du moins de guide, qui culmine avec l’emploi de la tournure générale portée par l’adjectif verbal. Le récit sur soi est donc bien une des étapes de la démonstration portée par Crassus. La narratio permet ainsi de répondre à l’exigence de clarté du discours, en dévoilant la biographie de l’orateur, son caractère : les interlocuteurs du dialogue mettent alors l’accent sur cette dimension de dévoilement accomplie par Crassus et 75 Gildenhard (2013) 268 [sur le genre du dialogue en général, mais applicable ici à la narratio] : « The genre dramatizes the need to calibrate the value of arguments with the social standing of the speaker, to harmonize the logic of rational thought with the logic of social relations. As such, dialogue constitutes an ideal medium to mediate between two attitudes towards (the transmission or teaching of) knowledge : ratio and auctoritas. »

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Antoine, qui répond au silence, voire à la dissimulation qui était la leur par rapport à leurs connaissances des théories grecques sur l’ars dicendi ainsi que le rapporte Cicéron dans les prologues.76 Ce dévoilement peut être jugé insuffisant pour être convaincant, comme dans le cas de Crassus, dans un passage qui suit de peu le précédent :77 « Effudi uobis omnia quae sentiebam, » […] Tum Scaevola : « Quid est, Cotta ? inquit, quid tacetis ? Nihilne uobis in mentem uenit, quod praeterea ab Crasso requiratis ? Id mehercule, inquit, ipsum attendo. Tantus enim cursus uerborum fuit et sic euolauit oratio, ut eius uim et incitationem aspexerim, uestigia ingressumque uix uiderim, et tamquam in aliquam locupletem ac refertam domum uenerim, non explicata ueste neque proposito argento neque tabulis et signis propalam conlocatis, sed his omnibus multis magnificisque rebus constructis ac reconditis; sic modo in oratione Crassi diuitias atque ornamenta eius ingeni per quaedam inuolucra atque integumenta perspexi, sed ea contemplari cum cuperem, uix aspiciendi potestas fuit. Itaque nec hoc possum dicere, me omnino ignorare, quid possideat, neque plane nosse atque uidisse. » « Je viens de m’épancher avec vous ; je vous ai livré mes secrets » […] « Eh bien Cotta, dit alors Scaevola, pourquoi ce silence ? N’avez-vous donc plus rien à demander à Crassus ? – Pardon, c’est justement ce à quoi je pense, répondit Cotta. Car ses propos se sont suivis si précipités, sa parole a fui si rapide, que j’ai pu saisir l’élan, le mouvement impétueux ; mais les traces mêmes de sa course m’ont presque échappé. Je suis comme un homme entré dans une riche et opulente demeure, où l’on ne trouverait ni étoffes déployées, ni argenterie étalée, ni statues et tableaux exposés à la vue, où tous ces magnifiques trésors seraient entassés à l’écart et soigneusement cachés. Ainsi tout à l’heure dans le discours de Crassus, les richesses et la parure de son génie c’est à travers un voile, une enveloppe que je les ai distinguées ; je souhaitais de les contempler à mon aise, et à peine ai-je eu le temps de les entrevoir. Voilà pourquoi je ne puis dire ni que j’ignore tout de lui, ni que j’ai de ses ressources une connaissance claire et complète. »

Ainsi, les interlocuteurs de Crassus accèdent peu à peu à la clarté, dans un discours où le cursus uerborum peut rappeler le passage du livre II où Antoine souligne que l’un des intérêts du dialogue est de ne pas percurritur dans sa narration.78 En revanche, en ce qui concerne Antoine, à la fin du livre II, le dévoilement est accompli et la multiplication des narrationes sur l’orateur – à la fois réelles, sur des faits qui se sont réellement déroulés, mais également hypothétiques, sur la manière dont Antoine se comporterait s’il devait assumer l’instruction d’un jeune orateur –

76 Cic. de orat. 2,4 : Sed fuit hoc in utroque eorum, ut Crassus non tam existimari uellet non didicisse quam illa despicere et nostrorum hominum in omni genere prudentiam Graecis anteferre ; Antonius autem probabiliorem hoc populo orationem fore censebat suam, si omnino didicisse numquam putaretur ; atque ita se uterque grauiorem fore, si alter contemnere, alter ne nosse quidem Graecos uideretur. « Mais Crassus et Antoine s’étaient fait un système : Crassus voulait donner à penser, non point précisément que l’instruction lui manquait, mais qu’il la dédaignait, et que nos Romains, en toutes choses, lui semblaient avoir des lumières supérieures à celles des Grecs ; Antoine, de son côté, estimait qu’avec un peuple comme le nôtre ses discours seraient mieux accueillis, s’il faisait croire qu’il n’avait jamais étudié. Tous deux ainsi se flattaient d’acquérir plus de poids, en ayant l’air, l’un de mépriser les Grecs, l’autre de ne pas même les connaître. » 77 Cic. de orat. 1,159‒161. 78 Cic. de orat. 2,328.

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permet à ses interlocuteurs de le connaître dans toute sa vérité ; c’est alors Crassus qui parle :79 Lubenter enim te, cognitum iam artificem, aliquando euolutum illis integumentis dissimulationis tuae nudatumque perspicio. Te voilà désormais connu comme un maître théoricien ; c’est avec plaisir que je t’aperçois débarrassé enfin et dépouillé de ces voiles de dissimulation où tu t’enveloppais.

Enfin, la narratio comme récit de soi peut également se développer selon une autre modalité, propre elle aussi à éclairer le discours de l’orateur : il ne s’agit plus alors d’un récit qui s’ancre dans l’histoire personnelle de l’individu ; l’accent est plutôt mis sur une dimension à la fois universelle et itérative, comme le montre la réponse d’Antoine, qui évoque, à la demande de Catulus, sa manière de lire les auteurs grecs :80 Atqui, Catule, inquit Antonius, non ego utilitatem aliquam ad dicendum aucupans horum libros et non nullos alios, sed delectationis causa, cum est otium, legere soleo. Quid ergo est ? Est, fatebor, aliquid tamen ; ut, cum in sole ambulem, etiam si ego aliam ob causam ambulem, fieri natura tamen ut colorer, sic, cum istos libros ad Misenum – nam Romae uix licet – studiosius legerim, sentio illorum tactu orationem meam quasi colorari. Pourtant, mon cher Catulus, reprit Antoine, lorsque je lis les auteurs dont j’ai parlé, et quelques autres, je ne suis pas comme un chasseur à l’affût, guettant ce dont pourrait profiter mon éloquence ; je ne cherche en eux qu’un passe-temps agréable, à mes heures de loisir. Quoi donc ? Rien de plus ? Si, pour être franc ; quelque chose encore. Quand je me promène au soleil, bien que je n’aie pas l’intention de me hâler le visage, il arrive tout naturellement que mon teint se colore ; de même, lorsque, dans ma maison de Misène (car à Rome je n’en ai guère le temps), je me suis livré à une lecture un peu attentive de vos auteurs grecs, je sens que sous leur influence mon langage revêt comme la teinte du leur.

Ici la narratio, au sein même de l’échange direct avec Catulus, prend donc la forme d’une comparaison, mettant en regard le hâle du visage acquis lors d’une promenade au soleil et la coloration que prend l’expression d’un orateur à la lecture d’autres auteurs. Le récit de la promenade a donc une dimension itérative et n’est liée que de façon très légère à la personne d’Antoine lui-même. Il convient de constater d’ailleurs que la véracité de l’anecdote n’est pas nécessaire pour apporter un poids à l’argument de l’orateur : c’est bien par sa portée universelle qu’elle est opérante. Il est intéressant de noter que la couleur qui s’imprime sur le corps de l’orateur s’imprime aussi, de façon métaphorique, dans son expression, par l’usage rhétorique du terme color ;81 l’influence qu’ont les auteurs grecs sur l’expression

79 Cic. de orat. 2,350. 80 Cic. de orat. 2,59‒60. 81 Lévy (2006) 186 : « Révélateur d’une identité, le color peut aussi indiquer simplement un état. Comme le teint d’un individu indique l’état de sa santé, le color de l’éloquence sera cette apparence extérieure, toujours si difficile à définir, mais qui indique son état général, et plus précisément un bon état général. »

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d’Antoine, tout comme le soleil,82 ne fait que teinter progressivement et de façon non volontaire ce qui est déjà présent chez lui, que lui donner de l’éclat. Comme l’écrit Carlos Lévy : « Contrairement à la figure qui est un éclat ponctuel et qui ne peut avoir de l’efficacité que si elle est située là où on ne l’attend pas, le color reflète l’équilibre général du discours, et donc la personnalité de celui qui l’a écrit. »83 En effet, le color va s’adapter parfaitement à la persona de l’orateur, puisqu’il va se modifier en fonction de l’évolution des connaissances, des expériences de l’orateur. Encore une fois, la narratio, dans sa mise en œuvre, éclaire parfaitement le discours et la personnalité de l’orateur. 3. CONCLUSION Ainsi, une relation d’interdépendance forte peut être tracée entre le dialogue et la narration, qui tient à la dimension persuasive que l’on accorde à chacune de ces deux formes : dans le cadre d’une narratio judiciaire, le dialogue – proche en ce cas du genre dramatique – permettra à l’orateur à la fois d’éclairer le récit des faits par l’aspect vivant qu’il leur confère, mais aussi d’emporter l’adhésion de son auditoire en ne négligeant pas la festiuitas du discours. Dans le cadre du traité-dialogue proprement dit, la narration, à entendre alors comme le simple récit de faits, avérés ou hypothétiques, creuse la figure de l’orateur : elle lui donne un passé, des aspirations et le révèle, dans toute la vérité de sa persona. Dans ce dévoilement, elle permet de rejoindre tous les objectifs du discours judiciaire ou philosophique : la clarté, mais aussi et encore la festiuitas, agrément qui emporte l’adhésion de l’auditoire. BIBLIOGRAPHIE Sources antiques et traductions Li Causi/Marino/Formisano (2015) : Pietro Li Causi, Rosanna Marino et Marco Formisano (éds.), Marco Tullio Cicerone. De oratore, Alessandria. Leeman et al. (1981‒2008) : Anton D. Leeman, Harm Pinkster, Hein L. W. Nelson, Edwin Rabbie, Jacob Wisse, Michael Winterbottom et Elaine Fantham (éds.), Marcus Tullius Cicero, De oratore Libri III, (5 vols.), Heidelberg. Mankin (2011) : David Mankin (éd.) Cicero, De oratore, Book III, Cambridge. Narducci (92009) : Emanuele Narducci (éd.), Marco Tullio Cicerone, Dell’oratore, Milan. 82 L’emploi métaphorique du color rhétorique se retrouve dans l’Orator, dans la description du style isocratique ; la bonne santé, dont le color est à la fois, comme le dit Lévy (2006) 188, le signe et la composante de ce signe, résulte alors de la nourriture. Ainsi, Cic., orat. 42 : Sed quod educata huius nutrimentis eloquentia ipsa se postea colorat et roborat, non alienum fuit de oratoris quasi incunabulis dicere. « Mais, comme l’éloquence formée par la nourriture qu’elle y trouve prend ensuite d’elle-même des couleurs et de la force, il n’était pas hors de propos de parler de ce qui est comme le berceau de l’orateur. » 83 Lévy (2006) 186‒187.

Dialogue dans la narration, narration dans le dialogue

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II. ERZÄHLUNGEN IM ANTIKEN DIALOG UND IHRE FUNKTIONEN

ERZÄHLEN ALS ZUGABE Elemente des Erzählens in Platons Dialogen und ihre Funktionen Michael Erler 1. PLATON ALS SELBSTREFERENTIELLER AUTOR Nicht selten finden sich in Platons Dialogen Passagen, in denen die Form des gerade geführten Gespräches selbst zum Thema gemacht oder allgemein über Kommunikationsformen reflektiert wird.1 Dabei geht es oft um das Verhältnis von Wechselrede und langer Rede – sei es in Form von Gleichnisrede, Erzählung oder Mythos. Diskussionen und Bewertungen von unterschiedlichen Kommunikationsformen, ihrer Adressaten und ihrer Funktion finden sich in den Dialogen explizit, aber auch auf implizite Weise. Explizit wird die Frage nach einer angemessenen Diskursform z. B. im Protagoras diskutiert. Dort werden wir Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Protagoras und Sokrates über Sinn und Zweck von Wechselrede und längeren Ausführungen, wobei Sokrates sich mit Blick auf einen angemessenen Wissenserwerb für kurze Wechselreden entscheidet. Ähnliche explizite Stellungnahmen findet man z. B. im Gorgias, aber auch in anderen Dialogen.2 Neben diesen expliziten Positionierungen finden sich aber auch Stellen, welche als gleichsam implizite Hinweise oder Stellungnahmen gelesen werden können.3 Ich erinnere an das Symposium, wo Sokrates eine elenktisch-aporetische Wechselrede mit Agathon vorschaltet, bevor er dann eine Erzählung über eine lange Belehrungsrede durch Diotima folgen lässt. Diese kleine Szene stellt eine Art Kommentar Platons zu dem dar, was in seinen Dialogen beobachtet werden kann: Elenktische Diskussionen, die oftmals aporetisch enden, müssen demnach offenbar keineswegs als das letzte Wort zur Sache gelten: Es kann eine längere, positive Belehrung, die ihrerseits durchaus Diskussionen einschließen mag, folgen.4 Die Auseinandersetzung über eine Präferenz z. B. von Erzählung oder kurzer Wechselrede findet vor allem mit Sophisten statt, beanspruchten diese doch Kompetenz in beiden Formen der Kommunikation und ließen dabei eine Beliebigkeit

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Vgl. Dalfen (1989) 71–123. Vgl. Plat. Prot. 328e–329b; Gorg. 449bc, 461bff. Vgl. Erler (2018/3); Erler (2013) 59–84. Vgl. Plat. Symp. 207aff., 209eff.; zur Aporie vgl. Erler (1987).

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der Anwendung erkennen, die Sokrates als problematisch ansah.5 Zwar erweist auch er sich in Erzählung oder Wechselrede als kompetent, doch lässt er eindeutig erkennen, dass er wirklichen Wissenserwerb weniger der langen Rede oder Erzählung als dem Wechselgespräch in elenktisch dialektischer Form zubilligt. Gleichwohl akzeptiert Sokrates bisweilen eine längere Form der Darstellung, sei es als Mythos, als Erzählung oder als Gleichnisrede.6 Warum dies der Fall ist, deutet Platon in den Dialogen auf eine Weise an, die als gleichsam impliziter Selbstkommentar gelesen werden kann. In der Tat helfen entsprechende Stellen nicht nur, besser zu verstehen, warum Sokrates längere Reden in Form von Gleichnisreden oder Mythenerzählungen innerhalb des philosophischen Diskurses zulässt, sie können auch als Beitrag zu der vieldiskutierten Frage verstanden werden, warum Platon seine eigenen Dialoge als historisierende Erzählungen über Sokrates gestaltet. Gewiss, Platon ist Sokratiker und damit der Tradition der Sokratikoi Logoi verpflichtet,7 allerdings geben manche Stellen in den Dialogen Platon als einen reflektierten ‚poeta doctus‘ in der Tradition der alten Dichter zu erkennen,8 der anzudeuten versteht, warum das, was die Tradition vorgibt, literarisch und philosophisch für ihn Sinn macht. Um dies zumindest anzudeuten, sei im Folgenden deshalb kurz auf Stellen aus der Politeia, den Nomoi und dem Timaios eingegangen, die als hermeneutische Hinweise und Selbstkommentare gedeutet werden und für ein besseres Verständnis der Funktion von Erzählung im Dialog und von Dialog als Erzählung fruchtbar gemacht werden sollen. 2. ERZÄHLEN IN DER POLITEIA 2.1 Erzählen als Zugabe Nachdem Sokrates mit Adeimantos und Glaukon ausführlich und detailliert das Wesen der Gerechtigkeit mit Hilfe eines Staatsmodells (Kallipolis) in Analogie zur Seele und als Ort von Gerechtigkeit analysiert, die Unsterblichkeit der Seele bewiesen und schließlich den Schluss gezogen hat, dass Gerechtigkeit zum Glück beitrage und deshalb besser sei als Ungerechtigkeit, weil andernfalls die Seele zu Schaden komme, konstatiert er:9 Οὐκοῦν […] τά τε ἄλλα ἀπελυσάμεθα ἐν τῷ λόγῳ, καὶ οὐ τούς μισθοὺς οὐδὲ τὰς δόξας δικαιοσύνης ἐπηνέγκαμεν, ὥσπερ Ἡσίοδόν τε καὶ Ὅμηρον ὑμεῖς ἔφατε, ἀλλ‘ αὐτὸ δικαιοσύνην αὐτῇ ψυχῇ ἄριστον ηὕρομεν, καὶ ποιητέον εἶναι αὐτῇ τὰ δίκαια, ἐάντ‘ ἔχῃ τὸν Γύγου δακτύλων, ἐάντε μή.

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Vgl. Plat. Prot. 329b, 334e–335a; vgl. Gorgias in Plat. Gorg. 449bc; Phaidr. 267b über Teisias und Gorgias. Vgl. Erler (2021). Vgl. Clay (1994) 23–47. Vgl. Erler (2019). Vretska (1985) 437f.; vgl. Plat. rep. 612ab.

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„Nun haben wir […] in unserer Untersuchung alles andere beiseitegelassen und auch nicht Belohnungen und Ehren der Gerechtigkeit beigebracht, wie ihr es von Hesiod und Homer gesagt habt; sondern wir fanden in der Gerechtigkeit an sich das höchste Gut für die Seele, sie muß daher das Gerechte tun, ob sie den Ring des Gyges hat oder nicht.“

Mit diesen Worten macht Sokrates klar, dass die dialektische Suche nach Gerechtigkeit beendet, das selbstgesteckte Ziel einer Bestimmung des Wesens der Gerechtigkeit erreicht und der Dialog im Grunde zu Ende ist. Und dennoch macht Sokrates den bemerkenswerten Vorschlag, nicht aufzuhören, sondern noch etwas dranzuhängen:10 Ἆρ‘ οὖν, ἦν δ‘ ἐγώ, ὦ Γλαύκων, νῦν ἤδη ἀνεπίφθονόν ἐστιν πρὸς ἐκείνοις καὶ τοὺς μισθοὺς τῇ δικαιοσύνῃ καὶ τῇ ἄλλῃ ἀρετῇ ἀποδοῦναι, ὅσους τε καὶ οἵους τῇ ψυχῇ παρέχει παρ‘ ἀνθρώπων τε καὶ θεών, ζῶντός τε ἔτι τοῦ ἀνθρώπου καὶ ἐπειδὰν τελευτήσῃ; „Jetzt kann man uns keinen Vorwurf mehr machen, mein Glaukon, wenn wir noch überdies [πρὸς ἐκείνοις] der Gerechtigkeit und der sonstigen Tüchtigkeit auch die Belohnungen abstatten, die sie [sc. die Gerechtigkeit] in so großer Zahl und mannigfacher Art der Seele schenkt, Gaben der Götter oder der Menschen, zu Lebzeiten des Menschen und nach seinem Tode.“

Dieser Vorschlag ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Man fragt sich, warum überhaupt noch etwas folgen soll, wo doch die argumentativ philosophische Untersuchung erfolgreich beendet ist und man stellt zudem erstaunt fest, dass nun folgen soll, was Sokrates am Anfang der argumentativen Unterredung ausdrücklich abgelehnt hatte, wenn er dort sagte:11 […] ἄφθονα ἔχουσι λέγειν ἀγαθά τοῖς ὁσίοις, ἅ φασι θεοὺς διδόναι. ὥσπερ ὁ γενναῖος Ἡσίοδός τε καὶ Ὅμηρός φασιν. […] unzählige Vorteile auf[zu]zählen, die nach ihrer Meinung die Götter den Frommen oder Gerechten gewähren; wie es ja der treffliche Hesiod und Homer sagen.

Nachdem Glaukon nach dem Scheitern der Diskussion mit Thrasymachos zu Beginn des neuen Anlaufes mit Adeimantos ein Loblied auf die Ungerechtigkeit gesungen hatte, wollte Adeimantos das nicht einfach stehen lassen, sondern verlangte nach einem Lob der Gerechtigkeit. Die solle so erfolgen, wie es Väter vortrügen, wenn sie ihren Söhnen gegenüber Gerechtigkeit bestimmen wollten und dabei wie Homer oder Hesiod den Wert der Gerechtigkeit durch Hinweise auf den Lohn durch Götter und andere Menschen priesen.12 Eben dieses traditionelle Verfahren, Gerechtigkeit zu bestimmen, lehnte Sokrates aber als un-philosophisch ab: Es solle nicht um die Folgen, sondern um das Wesen der Gerechtigkeit gehen. Und dieser Wunsch bestimmte dann die langen dialektischen Diskussionen über die Frage, was Gerechtigkeit denn eigentlich vom Wesen her sei. Jetzt also, nachdem diese Aufgabe gelöst scheint, ist Sokrates anscheinend milder gestimmt und will die traditionell ‚homerisch hesiodische‘ Methode der Bestimmung von Gerechtigkeit offenbar doch zulassen: Er möchte – gleichsam

10 Vretska (1985) 438; vgl. Plat. rep. 612bc. 11 Vretska (1985) 125; vgl. Plat. rep. 363ab. 12 Vgl. Plat. rep. 362e.

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als Zugabe – mit dem Ausdruck ‚und zu diesen Dingen noch‘ (πρὸς ἐκείνοις)13 nun eine Beschreibung des Lohnes für Gerechtigkeit wie er von Menschen und Göttern komme, beschreiben. Er erzählt vom menschlichen Bereich und bietet dann eine Geschichte über den Götterlohn: Die Geschichte vom Pamphylier Er, der nach seinem Wiedererwachen gleichsam als Augenzeuge und personifizierter Beglaubigungstopos auftritt und somit glaubhaft und authentisch berichten kann, wie es in der Unterwelt mit Lohn und Strafe zugeht.14 2.2 ‚Zugabe‘ und rhetorische Strategie Dieses ‚Nachklappen‘ einer Erzählung in einem philosophischen Dialog im Sinne eines ‚noch dazu‘ (πρὸς ἐκείνοις) ist interessant: Literarisch scheint dieses ‚Nachklappen‘ zunächst erklärbar als Versuch des Autors Platon, nach langen dialektisch argumentativen Ausführungen den Leser in einer Art Ringkomposition zum Anfang dieser Diskussionen zurückzuführen und diese Diskussion und damit den Dialog zu einem Abschluss zu bringen. Wie aber steht es mit dem Philosophen Platon? Man darf ja auch nach dem inhaltlich argumentativen Sinn des ‚Nachklappens‘ fragen. Denn philosophisch argumentativ ist die Erzählung eigentlich überflüssig. Alles ist bereits gesagt. Inhaltlich deutet der kleine Ausdruck ‚und dazu noch‘ durchaus auch an, dass diese folgenden Ausführungen nicht auf gleicher Ebene mit dem argumentativen Teil stehen, gleichsam eine Dreingabe sind. Der Ausdruck evoziert die rhetorische Strategie einer Argumentationshäufung, die aus der forensischen Rhetorik stammt, aber auch in der Philosophie Karriere macht, von Sokrates dort zwar eigentlich abgelehnt, aber bisweilen dennoch zu persuasiven Zwecken eingesetzt wird.15 Im Phaidon16 z. B. bedient er sich nicht nur eben jener Strategie der Argumentationshäufung, sondern apostrophiert diese Methode ausdrücklich als Paramythia17 und deutet damit die rhetorischtherapeutische Intention dieser Methode an.18 Wenn in diesem Zusammenhang davon die Rede ist, man könne noch mehr Beweismittel anbieten, obgleich die schon gebotenen Argumente eigentlich schlagend sein sollen, erkennen wir auch hier eine Art des ‚Nachklappens‘. Das Vorgehen erinnert an die rhetorische Strategie der ‚Argumentationshäufung‘, deren sich andere Autoren, aber auch Platon z. B. im Phaidon bei der Beweisführung für die Unsterblichkeit der Seele bedient.19 In beiden Fällen handelt es weniger um eine philosophische argumentatio als um eine rhetorische persuasio, bei der z. B. eine Erzählung zwar nicht mit philosophischer Argumentation gleichrangig ist, die ja auch bereits erfolgreich abge13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Plat. rep. 612b. Vgl. Plat. rep. 614a–621d. Vgl. Erler (2018); Erler (2014). Vgl. Heitsch (2000); Heitsch (2001) 78–95. Vgl. Plat. Phaid. 70b. Vgl. Plat. Phaid. 62c–69e.
 Vgl. Plat. Phaid. 69e–72e, 78b–84b. Dazu vgl. Erler (2018). Zu Platon vgl. Heitsch (2000).

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schlossen ist, gleichwohl aber als Ergänzung mit Blick auf den Adressaten oder die Adressatin sinnvoll sein kann. Die Vermutung, dass es sich um eine rhetorische, eher adressatenorientierte Strategie handelt, bestärkt Platon durch eine Besonderheit in der literarischen Gestaltung der Stelle in der Politeia, die als Hinweis für ihre literarische Funktion gewertet werden kann und sollte. Vor dem ErMythos mit seiner Unterweltsschilderung lässt Platon seinen Sokrates nämlich den menschlichen Lohn der Gerechtigkeit im bürgerlichen Leben durch Ehrungen, Siegespreise und Würden im Staat preisen.20 Paul Friedländer empfand diese ‚bürgerliche‘ Vorstellung von Lohn des Gerechten als so ärgerlich, dass „sie einem den ganzen Platon verleiden könnte“21, wenn man sie nicht, wie Friedländer hinzufügt, ironisch verstünde. Wenn Platon ausgerechnet jenen Sokrates, der gute Mensch von Athen par excellence, der – wie der zeitgenössische Leser der Politeia natürlich wusste – von den Mitbürgern gleichwohl hingerichtet wurde, einen so offensichtlich lebensfremden Optimismus verbreiten lässt, der von einem gerechten Leben zwingend bürgerlichen Lohn erwartet, liegt hier in der Tat ein schönes Beispiel für tragische Ironie von Seiten Platons vor.22 Gleichwohl sollte man ein literarisches Signal nicht übersehen, das Platon, der Autor, setzt, indem er nämlich seinen Sokrates den Lohn für Gerechtigkeit genau so beschreiben lässt, wie dies lange zuvor schon, vor Beginn der Diskussion über das Wesen der Gerechtigkeit, auch Glaukon schon getan hatte, damals aber als den Lohn für Ungerechtigkeit.23 Diese Parallelität in Inhalt und Ausdruck soll der Leser offenbar an eben diese frühere Stelle und damit an die von Sokrates dort getroffene Entscheidung erinnern, sich bei der Bestimmung der Gerechtigkeit ganz auf eine philosophische Wesensbestimmung zu konzentrieren und auf die von den Partnern gewünschte rhetorische persuasio mit Hilfe von Erzählungen à la Homer oder Hesiod über den Lohn, der aus Gerechtigkeit folge, zu verzichten. Der Leser soll verstehen, dass das Gespräch nach der langen philosophisch-dialektischen Wesenssuche zu diesem traditionellen, von Adeimantos und Glaukon vorgegebenen Niveau zurückkehren kann.24 2.3 Erzählung und Adressat Denn dass Glaukon und Adeimantos25 trotz mancher Begabung aus Sicht des Philosophen zu den Vielen gehören, wird nicht nur durch ihren Wunsch klar, dass sie 20 Vgl. Plat. rep. 613b–614b. 21 Friedländer (1960) 120. 22 Ein weiteres Beispiel für tragische Ironie bei Platon ist Sokrates’ Erzählung des Höhlengleichnisses (vgl. Plat. rep. 514aff.), in dem Sokrates als Figur im Text unwissentlich seinen Tod antizipieren lässt, was dem Leser des Textes ‚Politeia‘ kenntlich ist; vgl. dazu Clay (2000) 33–40. 23 Vgl. Plat. rep. 362b. 24 Vgl. Friedländer (1960) 121: „Sokrates steigt zu den Vielen hinab.“ 25 Vgl. zu Glaukon Vegetti (1998) 151–172; vgl. zu Adeimantos Vegetti (1998) 221–232.

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Gerechtigkeit mit Hilfe äußeren Lohnes beschreiben und nach ihrem Verständnis definieren wollen; dieser Umstand wird während der Diskussion in Erinnerung gerufen. Es ist zudem bemerkenswert, dass die Anpassung des Sokrates an das von den Partnern vorgegebene Niveau keineswegs auf das Ende der philosophischen argumentatio beschränkt ist. Vielmehr gibt es eine ganze Reihe von Stellen, an denen Sokrates das von ihm eigentlich gewünschte argumentative Niveau der Suche nach Gerechtigkeit punktuell verlässt. Es ist für unsere Frage von Interesse, dass innerhalb dieses philosophisch-argumentativen Kontextes gerade in diesen Anpassungsphasen verschiedene Formen des Erzählens einen Platz erhalten, sodass die Diskussion gleichsam auf zwei unterschiedlichen Ebenen verläuft, deren Verhältnis zudem von Platon gleichsam implizit reflektiert wird. Nicht lange nach Beginn der Diskussionen wird diese zweite, den Partnern Glaukon und Adeimantos offenbar angepasste Gesprächsebene angedeutet, wenn Sokrates seinen Partnern einen Vergleich zwischen der Seele als Ort der Gerechtigkeit und dem Staatsmodell anbietet, weil man am ‚großen‘ Staatsmodell eher als an der Seele als kleinem Untersuchungsgegenstand leichter erkennen könne, was Gerechtigkeit sei. Es verdient Beachtung, dass diese Art von Vergleichserzählung oder Parabole26 von Platon im späten Dialog Politikos27 analysiert und als Mittel vorgestellt wird, das man bei der Unterweisung junger Menschen und in der Schule gern gebrauche, z. B. um Schreiben zu lernen – es ist also auch in der Politeia für Adressaten angemessen, die mit einer abstrakten philosophischen Argumentation, wie sie Sokrates favorisiert, bisweilen ihre Schwierigkeiten haben. Denn in der Tat lässt Sokrates im Verlaufe der Diskussionen erkennen, dass er seine beiden Partner Glaukon und Adeimantos als begabte Naturen zwar schätzt, ihnen aber eigentlich nicht zutraut, einer wirklich philosophischen Argumentation, wie er sie durchzuführen versucht, in allen Implikationen folgen zu können. Als es z. B. um die Frage nach dem Wesen des Guten und der Gerechtigkeit an sich – also das Hauptthema der Diskussion – geht, weicht Sokrates aus und bietet gleichsam als Ersatz drei Gleichniserzählungen an: das Sonnen-, das Linien- und das Höhlengleichnis. Dabei bezeichnet Sokrates das Höhlengleichnis ausdrücklich als Darstellung der conditio humana für Menschen ‚wie Du und Ich‘,28 wobei er sich also wieder der Auffassungsgabe seiner Gesprächspartner anpasst und sich dabei – wie immer ironisch – einschließt. Die Gleichniserzählungen ersetzen also als Mittel der didaktischen persuasio eine philosophische Argumentation. Und Sokrates sagt auch ganz offen, warum:29 Οὐκέτ‘, ἦν δ‘ ἐγώ, ὦ φίλε Γλαύκων, οἷός τ‘ ἔσῃ ἀκολουθεῖν. ἐπεὶ τό γ‘ ἐμὸν οὐδὲν ἂν προθυμίας ἀπολίποι. Mein lieber Glaukon, du wirst mir nicht mehr folgen können. An meiner Bereitwilligkeit soll es nicht fehlen!

26 27 28 29

Vgl. Erler (2021). Vgl. Plat. polit. 277d–278e; dazu Ricken (2008) 142–147. Vgl. Plat. rep. 515a; zum Höhlengleichnis vgl. Szlezák (2011) 155–174. Vretska (1958) 337; vgl. Plat. rep. 533a.

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Erzählung also statt Argumentation. Sokrates’ Bemerkung ist klar und freimütig: Und dennoch – oder deshalb – erweist sich Glaukon nicht als beleidigt, sondern akzeptiert die pädagogische Vorgabe: Er akzeptiert die Grenzen, die ihm gesetzt sind:30 Ἀλλὰ μὴν ἔμοιγ‘, ἔφη, τά γε ἄλλα, καθ‘ ὅσον δύναμαι ἕπεσθαι, συνδοκεῖ. Ich bin im Übrigen, soweit ich folgen kann, deiner Meinung.

Die Disposition seiner Partner ist auch in Rechnung zu stellen, wenn Sokrates im späteren Verlauf der Diskussionen die Unsterblichkeit der Seele beweisen will und dabei meint, seine philosophische Argumentation durch die Bemerkung ergänzen zu sollen, es gäbe noch weitere Argumente, so als ob man sich Beweise aussuchen könnte und ein schlagender Beweis nicht genügte.31 Man hat in der Bemerkung – es gäbe noch andere Beweise – wohl zu Recht einen Hinweis auf die Argumente für die Unsterblichkeit der Seele im Phaidon gesehen.32 Freilich sollte man die Parallelität auch in der Methode nicht übersehen. Denn auch im Phaidon erwähnt Sokrates die Möglichkeit, weitere Argumente nachzuliefern, wobei es sich dort um die rhetorische Strategie der Argumentationshäufung handelt.33 Im Phaidon haben Kebes und Simmias trotz aller Akzeptanz der Argumente Zweifel an der Schlagkraft der Argumente und fühlen sich nicht überzeugt. Eben dies ist auch hier in der Politeia der Fall. Auch hier ist Argumentationshäufung als therapeutisches Mittel gemeint, Misstrauen (ἀπιστία) von Partnern zu beseitigen – zu dieser rhetorischen Strategie gehört also auch das ‚Nachklappen‘ der Erzählung über den Lohn für Gerechtigkeit von Menschen und Göttern am Ende der Politeia. Das aus Sicht des Sokrates un-philosophische Niveau seiner beiden Partner wird schließlich deutlich und auch ausgesprochen, nachdem Sokrates sein Konzept des vollkommen gerechten Mannes und des gerechten Staates zur eigenen Zufriedenheit entwickelt hat, seine Partner den Argumenten zwar zustimmen, gleichwohl aber bekennen, weiterhin Zweifel zu haben. Grund für die Zweifel sei, dass man einen völlig gerechten Menschen und einen völlig gerechten Staat, wie Sokrates sie abstrakt argumentativ konzipiert habe, noch nirgendwo in der Realität gesehen habe.34 Sokrates gibt sich zunächst verständnisvoll. Ein solcher Realisierungsnachweis sei zwar schwierig, nicht aber völlig unmöglich – und dennoch: Den Wunsch nach einem solchen Beleg aus der Realität wertet er als Merkmal eines un-philosophischen Denkens und lehnt ihn ab:35 τὸ μέντοι μὴ πείθεσθαι τοῖς λεγομένοις τοὺς πολλοὺς θαῦμα οὐδέν. οὐ γὰρ πώποτε εἶδον γενόμενον τὸ νῦν λεγόμενον.

30 31 32 33 34 35

Vretska (1958) 339; vgl. Plat. rep. 534b. Vgl. Plat. rep. 611bc. Vgl. Plat. Phaid. 69e–72e, 78b–84b; Dalfen (1994); Heitsch (2001). Vgl. Erler (2014). Vgl. Plat. rep. 450b–d, 473a. Vretska (1958) 295; vgl. Plat. rep. 498e.

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Michael Erler „Wenn freilich die Mehrzahl der Menschen unseren Worten nicht glaubt, so dürfen wir uns nicht wundern. Denn niemals sahen sie, was hier in Worten ausgeführt, in Taten auch ausgeführt.“

Man sieht: Sokrates ist überzeugt, dass die argumentationsskeptische Haltung der beiden, die sich allein durch Rekurs auf die Realität beseitigen lässt, einer verbreiteten Vorstellung entspricht. Für einen wirklichen Philosophen hingegen, so glaubt Sokrates, ist ein solcher Realitätsnachweis völlig unnötig.36 Denn für den wahren Philosophen ist ein Nachweis, dass Konzepte wie dasjenige des völlig gerechten Menschen und des gerechten Staates verwirklichbar und möglich sind (τὸ δυνατόν), bereits dadurch gegeben, dass diese Konzepte argumentativ in sich stimmig, kohärent, schlüssig und passend zu den natürlichen Gegebenheiten der Dinge (κατὰ φύσιν) sind.37 Wenn Sokrates’ Partner Adeimantos und Glaukon also auf einem Realitätsnachweis bestehen, um die bleibenden Zweifel zu beseitigen, bestätigen sie, dass sie sich auf einem un-philosophischen Niveau bewegen. In der Politeia weigert sich deshalb Sokrates, einen solchen Realitätsnachweis zu bieten.38 Wir werden aber gleich sehen, dass Sokrates andernorts einen solchen Realitätsnachweis in Form einer Erzählung gleichwohl durchaus akzeptiert. 2.4. Erstes Fazit Zunächst wollen wir kurz innehalten, unsere bisherigen Beobachtungen zusammenfassen und uns fragen, was sich aus ihnen für die Funktionsbeschreibung von Erzählung innerhalb des philosophischen Diskurses bei Platon ergibt: Die literarische Gestaltung der Politeia und einige kleine sprachliche Hinweise machen – so schlugen wir vor – auf implizite Weise Andeutungen über Funktion, Adressat und Wertigkeit von Erzählungen und verdeutlichen ihre Rolle im Zusammenhang von persuasiver Strategie und philosophischer argumentatio. Wenn Platon am Ende der Diskussionen das Gespräch zu traditionellem Lobpreis auf Gerechtigkeit zurückkehren lässt, offensichtlich im Bewusstsein, dass man als Philosoph seine argumentative Pflicht getan habe, dann geschieht dies infolge einer rhetorischen Strategie, die sich einem Niveau anzupassen versucht, auf dem Argumente zwar zählen, ihre Ergebnisse aber nicht notwendig angenommen werden und zu handlungsleitenden Überzeugungen führen. Das Nachklappen von Erzählungen wie derjenigen vom Pamphylier Er als einer philosophisch weniger relevanten Zugabe soll offenbar der philosophischen argumentatio größere Schlagkraft bei Adressaten wie Glaukon und Adeimantos verleihen und lässt Funktionen erkennen, welche Erzählungen im Dialog zukommen: Illustration, Affirmation und Plausibilisierung der Argumentationsergebnisse.

36 Vgl. Plat. rep. 499d, 502c, 472d. 37 Vgl. Plat. rep. 456b, 466d, 471c. 38 Vgl. Plat. rep. 472cd.

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3. ARGUMENT UND ΠΕΙΘΩ: DIE NOMOI Erzählung oder Gleichniserzählung als möglicher, aber nicht notwendiger Zusatz oder Ergänzung im philosophischen Kontext ist neben der Politeia auch in anderen Dialogen wie den Nomoi zu beobachten. Auch hier kommt eine Argumentation zu einem Ziel und es wird dann noch gleichsam als Zusatz eine Erzählung geboten. Dies geschieht z.B. im Zusammenhang mit den Ausführungen über das Asebiegesetz.39 Hier wird in einer langen Vorrede zu einem Gesetz über Gewalttaten gegen die Götter die Frage philosophisch diskutiert, wie es um die Fürsorge der Götter für die Menschen und ihre Gerechtigkeit steht. Dabei wird argumentativ nachgewiesen, dass die Götter sich in der Tat um die Menschen kümmern und für Gerechtigkeit sorgten. In diesem Zusammenhang stellt der Athener im Gespräch mit Kleinias fest:40 ΑΘ: Δοκοῦμεν δέ μοι νῦν ἤδη μάλιστα μετρίως διειλέχθαι τῷ ϕιλαιτίῳ τῆς ἀμελείας πέρι θεῶν. ΚΛ: Ναί. ΑΘ: Τῷ γε βιάζεσθαι τοῖς λόγοις ὁμολογεῖν αὐτὸν μὴ λέγειν ὀρθῶς. ἐπῳδῶν γε μὴν προσδεῖσθαί μοι δοκεῖ μύθων ἔτι τινῶν. ATH. Ich meine, wir haben uns nun wirklich angemessen genug mit dem unterhalten, der es liebt, die Götter der Nachlässigkeit zu beschuldigen. KL. Ja. ATH. Wenigstens insofern, als wir ihn durch unsere Argumente gezwungen haben einzugestehen, daß er nicht recht hat. Doch scheint er mir noch einiger bezaubernder Worte (ἐπῳδαί) zu bedürfen.

Wir beobachten hier eine ähnliche Situation wie in der Politeia. Die eigentliche philosophische Argumentation, wonach die Götter sich um Menschen kümmern, ist positiv abgeschlossen. Gleichwohl soll es solch einen ‚Zusatz‘ geben. Dem Diskurs mit ‚zwingenden Argumenten‘41 soll eine ‚Epode‘, eine Bezauberung, folgen. Diese Epode besteht in einer längeren, nur kurz unterbrochenen Erzählung, die vom Schicksal der Seele nach dem Tod und davon berichtet, dass dieses Schicksal bestimmt ist durch das Verhalten der Seele des Menschen im diesseitigen Leben. Dieser Mythos ist formal gekennzeichnet durch ein Bemühen um persuasio, verbunden mit Elementen von Mahn- und Schimpfreden.42 Inhaltlich bietet der Mythos zwar einige weitergehende Aspekte.43 Doch im Grunde dient er allein der Illustration und der Affirmation der Ergebnisse, die nach Abschluss der eigentlichen Argumentation vorliegen. Die Erzählung soll gleichsam vor Augen

39 40 41 42 43

Vgl. Plat. leg. 885b–910e; dazu vgl. Schöpsdau (2011) 368ff. Schöpsdau (2011) 91; vgl. Plat. leg. 903a. Vgl. Plat. leg. 903a. Vgl. Plat. leg. 903b, 905c. Vgl. dazu Schöpsdau (2011) 432–444.

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führen und bestätigen, was zuvor argumentativ behauptet wurde: Das Schicksal im Jenseits und das Verhalten im Diesseits hängen eng zusammen. Wieder folgt also auf eine abgeschlossene, philosophische Auseinandersetzung mit Hilfe von stringenten Argumenten eine Erzählung, die an die emotionale Seite der Gesprächspartner appelliert. Diese Struktur einer Verbindung von Argumentation und ergänzender Erzählung, die der Überredung (πειθώ oder persuasio) dienen soll, wie wir sie auch in der Politeia beobachteten, kennzeichnet nicht nur die angesprochene Passage in den Nomoi, sondern ist in den Nomoi geradezu ein Leitmotiv und bildet die Struktur des gesamten Werkes.44 Immer wieder geht es darum, die Bürger zu überreden und ihnen nahezulegen, dass sie das, was die Gesetze als gleichsam geronnenes Resultat argumentativer Überlegungen vorgeben, annehmen und befolgen45 – in der Erkenntnis, dass gewöhnliche Menschen nicht durch rationale Argumentation allein überzeugt werden, sondern dass sie oft zusätzlich persuasiver Zuwendung bedürfen. Dies entspricht dem, was wir in der Politeia festgestellt haben, aber auch, was in anderen Dialogen, wie z. B. dem Phaidon, zu beobachten ist, in denen erzählende Partien als persuasives Element Ergebnisse der Argumentation bekräftigen und Unsicherheit der Partner trotz der zugegebenen Stringenz der Argumente überwinden sollen. Grund ist, dass es sich bei diesen Partnern eben nicht um wirkliche Philosophen im Sinne des Sokrates, sondern um gewöhnliche Menschen wie du und ich handelt, die – auch wenn sie die Argumente überzeugend finden – emotional angesprochen werden wollen und müssen, damit sie die Resultate der Argumentation annehmen und zur Grundlage ihres Handelns machen. Zu diesen persuasiven Elementen gehören nicht zuletzt narrative Passagen, denen also eine affirmierende, eine illustrierende oder aber eine plausibilisierende Funktion zukommt. 4. ERZÄHLUNG UND PLAUSIBILISIERUNG: DIE ERZÄHLUNG VON ATLANTIS Eine solche plausibilisierende Funktion von Erzählung, die sich auch für ein besseres Verständnis der Rolle von Erzählung innerhalb der Dialoge und der Gestaltung der Platonischen Dialoge selbst als hilfreich erweisen wird, sei durch ein weiteres, letztes Beispiel illustriert. Auch die vieldiskutierte Erzählung, die Kritias im gleichnamigen Dialog über Atlantis bietet, ist nicht nur in Zusammenhang mit den Rahmendiskussionen des Timaios und unter poetologischen Gesichtspunkten zu verstehen,46 sondern sollte auch unter dem hier diskutierten, rhetorisch persuasiven Gesichtspunkt gesehen werden. Dabei erweist sich eben jene Stelle in der Politeia, an der sich Sokrates und seine Partner über die Wichtigkeit eines Realitätsnachweises streiten, als wichtiger Referenzpunkt.47 44 45 46 47

Vgl. Schöpsdau (2003) 225ff. Vgl. Plat. leg. 858c–859b. Vgl. Erler (1997). Vgl. Erler (2013).

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Zu Beginn des Timaios hören wir von einem Gespräch, das Sokrates mit seinen Freunden Timaios und Hermokrates am Vortag geführt hatte, das Sokrates resümiert und bei dem es sich im Wesentlichen um die argumentative Darlegung des gerechten Staates und Menschen handelt, wie sie in der Politeia vorgeführt werden. Obgleich die Argumentation als abgeschlossen gilt, bittet Sokrates nun um eine Erzählung darüber, wie sich die idealen Bürger in Aktion bewähren, bei der sich die Akteure von ihrer geschilderten Erziehung leiten lassen.48 Kritias glaubt, Sokrates’ Wunsch nachkommen zu können und bietet eine Erzählung über die erfolgreiche Auseinandersetzung der durch besondere Tüchtigkeit (ἀρετή) ausgezeichneten Ur-Athener mit den mächtigen Atlantikern an. Die historische Authentizität der Geschichte werde – so Kritias – durch eine historische Überlieferungskette, zu der Solon gehöre, gewährleistet. Kritias sieht das historische Geschehen im Einklang mit dem von Sokrates argumentativ entwickelten idealen Staat und seinen Bürgern (ἁρμόττειν) und möchte also das von Sokrates entwickelte Konzept des gerechten Menschen und Staates (μῦθος) ‚in Wahrheit‘, d.h. in eine Erzählung über reales Geschehen umsetzen (νῦν μετενεγκότες ἐπὶ τἀληθὲς δεῦρο θήσομεν).49 Sokrates gibt sich darüber sehr erfreut, worüber man sich mit Blick auf Sokrates’ sonstige Skepsis gegenüber langen Erzählungen wundern mag. Doch wird diese Freude verständlich, wenn wir sie vor dem Hintergrund unserer bisherigen Beobachtungen über eine Verbindung von philosophischer argumentatio und persuasiver narratio sehen und uns an jene Stelle in der Politeia erinnern, die uns oben schon beschäftigt hat. Es handelt sich um jene Passage, an der Sokrates’ Partner sich mit den Ergebnissen der philosophischen Beweisführung über den gerechten Menschen und Staat nicht zufrieden geben wollten, sondern einen Beleg aus der Realität forderten, um an die Möglichkeit und Existenz solcher Staaten und Menschen glauben zu können. Wir erinnern uns, dass Sokrates in der Politeia das Ansinnen eines solchen Realitätsnachweises als philosophisch irrelevant ablehnte, aber einräumte, dass un-philosophischere Menschen auf derartige Nachweise Wert legen, um Resultate philosophischer Argumentation akzeptieren zu können. Vor diesem Hintergrund erhält Sokrates’ Freude Profil, und die Erzählung von Atlantis eine persuasive Funktion, wie wir sie auch für andere narrative Partien innerhalb der Dialoge ausgemacht hatten. Denn wir sehen: Was der Philosoph Sokrates in der Politeia zwar für möglich ansah, aber ablehnte, wird hier im Timaios, bzw. dann im Dialog Kritias geboten oder besser ‚nachgeholt‘: Ein Beleg aus der – jedenfalls der Fiktion nach – historischen Realität, der zeigen soll, dass es das Ideal gerechter Menschen in der Realität wirklich gibt bzw. gegeben hat. Auch hier wird also gleichsam als Zugabe eine Art Beglaubigungserzählung nachgeliefert, die auch Nichtphilosophen helfen kann, Sokrates’ These von wirklich gerechten Menschen zu akzeptieren, weil sie nun anerkennen müssen, dass solche Menschen in der historischen Realität existiert haben. Die Atlantisge48 Vgl. Plat. Tim. 19ff. 49 Vgl. Plat. Tim. 26cd.

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schichte als (pseudo-)historische Erzählung dient vor dem Hintergrund des hier skizzierten Funktionszusammenhanges von Argumentation und Erzählung also nicht nur der Illustration, sondern auch der Plausibilisierung eines philosophischen Konzeptes. 5. ERZÄHLUNG ALS ARGUMENT, DAS ‚ZU HERZEN GEHT‘: AXIOCHOS Erzählungen im Dialog sind also als Teil einer persuasiven Strategie zu verstehen, um Ergebnisse rationaler Argumentation zu illustrieren, zu affirmieren oder – wie die Atlantisgeschichte zeigt – zu plausibilisieren, wenn stringente Argumente nicht ausreichen, die Ergebnisse abstrakt rationaler Argumentation akzeptabel zu machen. Dass derartige Mittel nötig sind, illustrieren Dialoge wie der Phaidon, in dem Kebes und Simmias zwar philosophisch interessiert, gebildet und vertraut im Umgang mit Argumenten sind, gleichwohl aber ein ambivalentes und deshalb letztlich un-philosophisches Verhältnis zum Logos haben und deshalb von Misstrauen, Zurückhaltung und Unglauben geleitet sind.50 Auch Alkibiades im Symposium klagt darüber, dass er Sokrates’ Argumente zwar hört und akzeptiert, ihm dann aber der Glaube fehle und er den Argumenten nicht zu folgen vermöge; die Politeia wie auch die Nomoi illustrieren derartige Situationen und damit die Schwäche menschlicher Rationalität.51 Man kann geradezu sagen, dass die Existenz und der Nutzen, der derartigen narrativen Passagen von Platons Sokrates schon in den frühen Dialoge zugebilligt wird, wie eine gleichsam performative Infragestellung des sokratischen Intellektualismus wirkt. Der Autor des pseudo-platonischen Dialoges Axiochos52 schließlich bringt die Situation gleichsam als Interpret Platons auf den Punkt: Konfrontiert mit dem Tod und entsprechend emotionalisiert gibt dort Axiochos zu, dass ihm irgendwie die starken und hervorragenden Argumente über den Tod, über die er offenbar verfügt, gleichsam abhandengekommen sind. Axiochos beklagt, dass philosophische Argumente ‚an der Oberfläche‘ bleiben und hofft auf Argumente, die nicht nur die Oberfläche berühren, sondern ‚die Seele erreichen‘53. Die vorgetragenen Argumente berühren die Seele offenbar nicht. Deshalb bietet Sokrates, wenn er noch ein weiteres Argument wolle,54 eine Erzählung von einem angenehmen Leben im Jenseits an. Wieder also werden wir mit einer Erzählung gleichsam als Zugabe konfrontiert. Auch im pseudo-platonischen Axiochos also gehören Erzählungen – Gleichnisse, Mythen – als persuasive Elemente zu einer rhetorischen Strategie innerhalb des philosophischen Diskurses, mit deren Hilfe Sokrates emotionalen Widerständen gegen rationale Argumentation begegnet. Der Verfasser des pseudo-platonischen Axiochos bestätigt als Platonleser, was wir bei unserer Platonlek50 51 52 53 54

Vgl. Plat. Phaid. 70a. Dazu vgl. Müller (2009). Vgl. Plat. [Ax.] 369de; Erler (2005). Vgl. Plat. [Ax.] 369e. Vgl. Plat. [Ax.] 371a.

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türe erschlossen haben: Die auxiliare Funktion, die Platon dem Erzählen bei einem bestimmen Adressatenkreis in Form von Illustration, Affirmation und Plausibilisierung von philosophischen Konzepten zuweist. 6. PLATONS ERZÄHLUNG VON SOKRATES Erzählung also als Mittel, philosophische Konzepte plausibel und akzeptabel zu machen: Ich möchte zum Schluss noch einen Schritt weitergehen und vorschlagen, die plausibilisierende Funktion von Erzählung, die wir im Dialog beobachtet haben, als selbstreferentiell zu lesen und für ein besseres Verständnis der Gestaltung des Platonischen Dialoges allgemein fruchtbar zu machen und die Frage zu beantworten, was es bedeutet, dass Platon die Dialoge selbst als bemerkenswert detailgenaue, sich historisch gebende Erzählung über Sokrates gestaltet hat. Mit gutem Grund hat man ja bei Dialogen Platons, die oftmals chronologisch, dramatisch und thematisch sehr eng verbunden sind, wie Euthyphron, Apologie, Kriton und Phaidon, zu denen Theaitetos, Sophistes, Politikos und der Parmenides leicht hinzugefügt werden können, von einem ‚Sokrates-Roman‘ gesprochen. Dabei stellt sich die Frage, warum der Philosoph Platon, der der Vielfalt der Welt der Phänomene so zurückhaltend gegenüber steht, dem Autor Platon erlaubt, diese Argumentationen in eine Erzählung von Sokrates einzubetten, die sich historisch gibt, literarisch immer schon Bewunderung hervorgerufen hat und in der Antike – und nicht nur da – von manchen geradezu als historischer Bericht gelesen worden ist.55 Gewiss, der Sokratiker Platon ist der Tradition der Sokratikoi Logoi verpflichtet, die Sokrates, sein Reden und Handeln in den Mittelpunkt stellen. Jedoch scheint es unbefriedigend, in Platon bloß einen literarischen Traditionalisten zu sehen. Viel spricht dafür, z. B. dass der historisierende Aspekt seiner Dialoge als seine Erfindung angesehen werden darf und er sich darüber auch theoretisch Gedanken gemacht hat.56 Jedenfalls liegt es nahe, die impliziten Hinweise über das Verhältnis von Erzählung und argumentatio innerhalb der Dialoge auch als hermeneutische Hinweise für diese Frage nach den Dialogen als Sokrateserzählung zu Rate zu ziehen. Die Dialoge hatten nicht zuletzt mit einem kontingenten, nicht rein philosophischen Publikum zu rechnen, das wie ein Glaukon oder Kebes persuasiver Unterstützung für den Umgang mit den Resultaten der vorgeführten Argumentationen bedurfte. Es sei deshalb vorgeschlagen, Platons historisierende Erzählkunst auch in diesem Kontext als Versuch zu sehen, mit ‚historischen‘ Erzählungen über den ‚historischen‘ Sokrates philosophische Konzepte wie wahre Frömmigkeit, Tapferkeit oder Gerechtigkeit, die Platon argumentativ entwickelt, für solche Leser gleichsam plausibel zu machen, die wie Glaukons oder Adeimantos’ Zweifel einen Realitätsnachweis einfordern. Die historisierenden Sokrateserzählungen sind somit auch als Antwort auf Glaukons und Adeimatos’ Bitte in der

55 Vgl. Erler (2009). 56 Vgl. Clay (1994).

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Politeia zu verstehen und lösen in gewisser Weise Sokrates’ Ankündigung dort ein – so wie dies auch für die Atlantisgeschichte57 angenommen werden darf. Natürlich ist es keine neue Erkenntnis, dass Platons Erzählung Sokrates’ philosophische Ideale vorführen sollen. Doch scheint es nützlich, daran zu erinnern, dass die Dialoge diese Verbindung von Erzählung und philosophischer Argumentation nicht nur vorführen, sondern implizit auch über Sinn und Zweck dieses Verhältnisses auf eine Weise reflektieren, die hermeneutisch hilfreich sein kann. Einmal mehr erweisen sich Platons Dialoge auch bei dieser Frage als selbstreferentielle Kunstwerke, die auch in dieser Hinsicht in der Tradition frühgriechischer Dichtung stehen und auf hellenistische Praxis vorausweisen. LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur Burnett (1900): Platonis opera, hg. v. J. Burnet, 5 Bde., Oxford 1900–1907.

Kommentare und Übersetzungen Friedländer (1960): P. Friedländer, Platon. Band 3, Die philosophischen Schriften, zweite und dritte Periode, Berlin2. Ricken (2008): F. Ricken, Platon, Politikos, Übersetzung und Kommentar, Göttingen. Schöpsdau (2003): K. Schöpsdau (Hg.), Platon, Nomoi Buch IV–VII Band IX 2, Göttingen. Schöpsdau (2011): K. Schöpsdau (Hg.), Platon, Nomoi Buch VIII–XII, Platon Werke IX 2, Göttingen. Vegetti (1998): M. Vegetti (Hg.), Platone. La repubblica, Bd. 2, Neapel. Vretska (1985): K. Vretska (Hg.), Platon, Der Staat, Stuttgart.

Sekundärliteratur Clay (1994): D. Clay, „The Origins of the Socratic Dialogue“, in: P.A. Vander Waerdt (Hg.), The Socratic Movement, Ithaca/London, 23–47. Clay (2000): D. Clay, Platonic Questions. Dialogues with the Silent Philosopher, University Park (PA). Dalfen (1989): J. Dalfen, „Platonische Intermezzi – Diskurse über Kommunikation“, in: Grazer Beiträge 16, 71–123. Dalfen (1994): J. Dalfen, „Philologia und Vertrauen. Über Platons eigenartigen Dialog Phaidon“, Grazer Beiträge 20, 35–57. Erler (1987): M. Erler, Der Sinn der Aporien in den Dialogen Platons, Berlin/New York. Erler (1997): M. Erler, „,Mythos und Historie‘ – Die Atlantisgeschichte als Platons Antwort auf die Frage: ‚Wie und wozu Geschichtsschreibung?‘ und Aristoteles’ Reaktion“, in: P. Neukam (Hg.), Vermächtnis und Herausforderung, München, 80–100.

57 Vgl. Nesselrath (2002).

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XENOPHONS HIERON ALS DIALOGISIERTE ERZÄHLUNG ZUR THERAPIERUNG DES TYRANNISCHEN MENSCHEN Johannes Sedlmeyr 1. EINLEITUNG Der Dialog Hieron stellt ohne Zweifel eines der originellsten Werke des athenischen Philosophen und Schriftstellers Xenophon dar. So vielschichtig sich uns die Persönlichkeit des Autors durch sein umfassendes literarisches Œuvre präsentiert, so vielschichtig präsentiert sich auch die dialogisierte Erzählung über ein angebliches Gespräch zwischen dem syrakusanischen Tyrannen Hieron und dem berühmten Chorlyriker Simonides. Hieron ist der einzige aus der Feder Xenophons stammende Dialog, in dem sowohl die Figur seines Lehrers Sokrates als auch das athenische Ambiente zu dessen Lebzeiten fehlen. Darüber hinaus handelt es sich bei ihm wahrscheinlich um das früheste uns überlieferte Dialogwerk, das ein „vorsokratisches“ Setting jenseits von Attika mit historischen Persönlichkeiten aufweist, die in keiner Verbindung zum historischen Sokrates stehen.1 Trotz des Fehlens einer Sokrates-Figur erkannte Rudolf Hirzel in ihm das Werk eines Sokratikers, jedoch auch das eines alternden Schriftstellers, dessen Dialog den ursprünglichen „sokratischen Hauch“, die „Freude am dialektischen Gespräch“ zugunsten einer „Freude am zusammenhängenden lebhaften Vortrag“ eingebüßt habe.2 Sein Ursprung, so vermutete Hirzel, sei dabei analog zu dem der Memorabilien in Chriensammlungen und Erzählungen zu suchen, welche über den Tyrannen von Syrakus und den Lyriker Simonides im Umlauf waren.3 Trotz seiner spezifischen dialogischen Ausgestaltung war das Interesse der Forschung an dem Hieron bisher überschaubar. Während die ältere Forschung von der Frage nach der Datierung und dem möglichen Adressaten bestimmt war, stehen in jüngerer Zeit der philosophische Inhalt, die literarische Form und deren Einflüsse im Fokus. So widmete sich Gray in ausführlicherer Form der Genese der Schrift, die sie als eine originelle Verbindung der Formen des sokratischen Dialogs und der traditionellen griechischen story beschrieb.4 Erstere zeige sich in der mit sokratischer 1

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Die Datierung des Hieron ist in der Forschung sehr umstritten. Ein Bezug auf zeitgenössische syrakusanische Tyrannen scheint plausibel, doch liefert der Text selbst keine genauen Anhaltspunkte, wen genau Xenophon als Adressaten antizipierte. Mit Blick auf die thematische Nähe zur Kyrupädie und dem Agesilaos spricht einiges für die Zeit um das Jahr 360 v. Chr. Zur Datierung siehe: Breitenbach (1967) 1744–1746; Zuoli (2012) 19–22. Hirzel (1895) 171f. Ebd. 170f. Gray (1986).

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Ironie agierenden Figur des Dichters Simonides, letztere in dem Rückgriff auf das archetypische Gespräch zwischen dem Weisen und dem Mächtigen, wie es bereits Herodot im lydischen Logos der Historien in der Begegnung zwischen Solon und Kroisos schilderte. Dass die Interpretation des Hieron als ein sokratisches Werk jedoch neue Fragen aufwirft, belegt nicht zuletzt die Studie Schorns, die auf erhebliche Inkonsistenzen und Widersprüche zwischen dem philosophischen Denken im Hieron und der Ethik des xenophontischen Sokrates in den Memorabilien hinweist, die der Leser als versteckte Anspielungen auf seine anderen Dialoge erkennen sollte.5 Dieser Leser würde jedoch kaum mit einem zeitgenössischen Tyrannen harmonieren, den Teile der Forschung als ersten Adressaten vermuteten.6 Ein von der Forschung lange Zeit übersehener Aspekt des Hieron sind seine Bezüge auf die Epinikiendichtung und die xenophontische Interpretation von deren genretypischen Motiven wie Herrscherlob und Danksagung, deren sich Sevieri und jüngst Takakjy angenommen haben.7 Der skizzierte Überblick über die Forschungsgeschichte zeigt, dass Xenophons Schrift nicht nur von der in seiner Zeit verbreiteten Form des sokratischen Dialogs beeinflusst wurde, sondern auch auf unterschiedliche ältere literarische Traditionen wie das Lobgedicht und die insbesondere durch die Geschichtsschreibung überlieferten Erzählungen rekurriert. Im Rahmen meines Beitrags soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Xenophons Dialog über den syrakusanischen Tyrannen nicht nur auf das gängige Erzählmuster einer Begegnung zwischen dem Weisen und einem Vertreter der Herrschaft zurückgreift, sondern dieses um das aus den platonischen Dialogen bekannte Modell einer therapeutischen Philosophie ergänzt, wodurch ein zentrales Anliegen der Schrift unterstützt wird: das Aufzeigen eines Weges von der Tyrannis in eine reflektierte Monarchie, oder, wie es Mueller-Goldingen formuliert, „an die Adresse der Mächtigen“ einen „Appell“ zu richten, „sich der moralischen Grundlagen der Macht bewusst zu sein“ und sich privat und öffentlich so zu zeigen, „dass das Amt des Herrschers als eine Art Vorbild dienen könne“.8 Hierfür wird in einem einführenden ersten Schritt näher auf das Verhältnis des Hieron zu dem ihm als Inspiration dienenden Erzählmodell eines Gesprächs zwischen Weisen und Herrscher eingegangen. Als Vergleichspunkt soll hierbei Herodots Solon-Kroisos-Episode fungieren, durch die sich zentrale Charakteristika des bei Xenophon rezipierten Modells erarbeiten lassen. In einem zweiten Schritt soll dargelegt werden, inwiefern der Dialog die für das Erzählmodell paradigmatische Konstellation aus weisem Dichter und Tyrann zu der zwischen einem ratsuchenden Patienten und einem therapierenden Ratgeber transferiert. In einem abschlie5 6 7 8

Schorn (2008) bes. 200. Vgl. Hirzel (1895), Breitenbach (1967), Sordi (1980) und (2004). Kritisch gegenüber einer Adressierung an zeitgenössische syrakusanische Tyrannen äußerte sich zuletzt Schorn (2010). Sevieri (2004), Takakjy (2018). Mueller-Goldingen (2007) 18. Auf das therapeutische Anliegen des Hieron wiesen bereits Squilloni und Gray hin, ohne dabei ihre Gedanken detailliert auszuführen: Squilloni (1990), 117f.; Gray (2007) 36. Zur ideengeschichtlichen Einordnung des Hieron siehe auch Squilloni (1990) 109–113 und 124.

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ßenden Exkurs auf Sokrates’ Gespräch mit dem jungen Perikles in den Memorabilien (3,5) sollen die Beobachtungen einem Vergleich unterzogen werden, der belegen soll, dass der Autor mit dem platonischen Konzept einer therapeutischen Philosophie vertraut war. Des Weiteren sollen möglichen Intentionen für die Übertragung herausgearbeitet werden.9 Der Vergleich des Hieron mit Herodots Solon-Kroisos-Erzählung und dem Perikles-Gespräch in den Memorabilien zeigt, wie Xenophon verschiedene literarische Traditionen kunstvoll verbindet und dadurch einen bedeutenden Beitrag für die Entwicklung des literarischen Dialogs lieferte. 2. DAS ERZÄHLMODELL DES GESPRÄCHS ZWISCHEN EINEM WEISEN UND EINEM MÄCHTIGEN AM BEISPIEL DER SOLON-ERZÄHLUNG ALS LITERARISCHER PROTOTYP ZUM HIERON Als eine Art Archetypus für die bei Xenophon beschriebene Ausgangssituation kann die Solon-Erzählung in Herodots Historien gesehen werden. Die anachronistische Begegnung zwischen dem athenischen Reformer und dem lydischen König findet sich zunächst am Anfang des Kroisos-Logos, sie hebt sich jedoch als typische short story durch die Darstellung eines stereotypen Handlungsmusters, den Grad ihrer Ausarbeitung und die Eigenschaft, ein inhaltlich geschlossenes Ganzes zu bilden, vom Rest des lydischen Logos ab.10 Den Ausgangspunkt der Erzählung stellt dabei der Moment dar, als Kroisos den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte:11 κατεστραμμένων δὲ τούτων καὶ προσεπικτωμένου Κροίσου Λυδοῖσι, ἀπικνέονται ἐς Σάρδις ἀκμαζούσας πλούτῳ ἄλλοι τε οἱ πάντες ἐκ τῆς Ἑλλάδος σοφισταί, οἳ τοῦτον τὸν χρόνον ἐτύγχανον ἐόντες, ὡς ἕκαστος αὐτῶν ἀπικνέοιτο, καὶ δὴ καὶ Σόλων ἀνὴρ Ἀθηναῖος, ὃς Ἀθηναίοισι νόμους κελεύσασι ποιήσας ἀπεδήμησε ἔτεα δέκα, κατά θεωρίης πρόφασιν ἐκπλώσας, […]. Nachdem Kroisos sie alle unterworfen und dem lydischen Reich angegliedert hatte, kamen alle Gelehrten aus Griechenland, welche damals lebten, aus den verschiedensten Gründen nach dem reichen und mächtigen Sardes, und bald dieser, bald jener besuchte die Stadt. So kam auch Solon aus Athen, der den Athenern auf ihren Wunsch Gesetze gegeben hatte und nun auf zehn Jahre außer Landes ging. Um die Welt zu sehen, hatte er sich angeblich auf eine Forschungsreise begeben.

Nachdem der siegreiche König dem als „weise“ und „reisend“ (κατά θεωρίης) beschriebenen Dichter seine erworbenen Reichtümer vorgeführt hat, möchte er von Solon wissen, ob er schon einen Menschen gefunden habe, den er als den 9

Zur Analogie von Medizin zur Philosophie und der therapeutischen Funktion der Philosophie bei Platon siehe Erler (2007) 358f., 376f., 431, 440–443, 519. 10 Zum Begriff der short stories und ihrer Charakteristika in Herodots Historien siehe Gray (2002) 291–299. 11 Hdt. 1,29,1. Der deutsche Text folgt der im Literaturverzeichnis angegebenen Übersetzung von Feix.

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glücklichsten (ὀλβιώτατος) ansehen würde.12 Die erste Antwort des Dichters erregt die Verwunderung (ἀποθωμάσας) des Königs, indem zunächst der im Krieg gefallene Athener Tellos genannt wird, die zweite führt zu seiner offenen Erregung (σπερχθεὶς),13 da sogar die beim Besuch eines Heiligtums verstorbenen Argier Kleobis und Biton für glücklicher erachtet werden als er. Der vorläufige Höhepunkt der Geschichte ist erreicht, als Kroisos durch die Mahnung des Dichters, stets das Ende im Blick zu behalten und sich vor dem Zorn der Götter zu hüten, erzürnt seinen Gast ohne weitere Worte entlässt.14 Dass die kurze Episode keinen beiläufigen Exkurs darstellt, sondern eng mit dem Denken des Autors und der Struktur des Logos verbunden ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Kroisos am Tiefpunkt seiner politischen Karriere wieder an das Wort des göttlich inspirierten Dichters denken wird:15 τὸν μὲν δὴ ποιέειν ταῦτα, τῷ δὲ Κροίσῳ ἑστεῶτι ἐπὶ τῆς πυρῆς ἐσελθεῖν, καίπερ ἐν κακῷ ἐόντι τοσούτῳ, τὸ τοῦ Σόλωνος, ὥς οἱ εἴη σὺν θεῷ εἰρημένον, τὸ μηδένα εῖναι τῶν ζωόντων ὄλβιον. ὡς δὲ ἄρα μιν προσστῆναι τοῦτο, ἀνενεικάμενόν τε καὶ ἀναστενάξανα ἐκ πολλῆς ἡσυχίης ἐς τρὶς ὀνομάσαι ῾Σόλων᾿. Als Kroisos auf dem Scheiterhaufen stand, fiel ihm trotz seiner eigenen großen Bedrängnis das Wort Solons ein, der ihm aus göttlicher Eingebung gesagt hatte, niemand sei im Leben glücklich. Als er daran dachte, seufzte er tief auf, stieß einen Klageruf aus und rief in die Stille hinein dreimal: „Solon!“

Die Geschichte der Begegnung zwischen dem Weisen und dem Mächtigen fügt sich somit als eine Ringkomposition in den Logos ein: Sie markiert zwei Wendepunkte, von denen der erste den fatalen Abstieg des Kroisos einleitet, der zweite seine göttliche Rettung und neue Rolle als Berater des neuen Mächtigen, Kyros.16 Das beschriebene Gespräch zwischen Kroisos und Solon gewährt dem Leser einen Einblick in das Innenleben der Figur des lydischen Königs, die hierbei die für seinen späteren Abstieg ursächliche Hybris zu erkennen gibt. Es präsentiert sich dahingehend nach den drei von Gülich beschriebenen Kriterien als ein Erzähltext: So spielt erstens das von der Autorpersona erzählte Geschehen in der Vergangenheit zur Zeit des Erzählaktes, zweitens kommt es durch das von Hybris bestimmte Handeln des Lyderkönigs zu einer Änderung der anfänglichen Ausgangsposition und drittens agieren mit Kroisos und Solon menschliche Figuren innerhalb der erzählten Ereigniskette.17 Die Verwendung von auf einem fiktiven Aufeinandertreffen von Weisheit und Macht basierenden stereotypen Handlungsmustern, wie sie sich in der Variante im Treffen von Dichter und Herrscher präsentiert, dient dabei zur Initiierung einer tieferen Reflexion über individuelles Glück und das Wesen politischer Macht. 12 13 14 15 16 17

Hdt. 1,30,2. Hdt. 1,32,1. Hdt. 1,33. Hdt. 1,86,3. Vgl. de Jong (2002) 260. Siehe Gülich (1976) 225; vgl. Pankau (1994) 1432. Zur Rolle Herodots als Erzähler siehe de Jong (2004) bes. 101–107.

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Dass dieses narrative Motiv auch noch im 4. Jahrhundert eine hohe Beliebtheit genoss, belegt der zweite Brief in der platonischen Korrespondenz, der zwar nicht von Platon stammt,18 dem jedoch für den historischen Kontext von Xenophons Hieron eine gewisse Aussagekraft zukommt:19 Οἷον καὶ περὶ Ἱέρωνος ὅταν διαλέγωνται ἄνθρωποι καὶ Παυσανίου τοῦ Λακεδαιμονίου, χαίρουσι τὴν Σιμωνίδου συνουσίαν παραφέροντες, ἅ τε ἔπραξεν καὶ εἶπεν πρὸς αὐτούς· καὶ Περίανδρον τὸν Κορίνθιον καὶ Θαλῆν τὸν Μιλήσιον ὑμνεῖν εἰώθασιν ἅμα, καὶ Περικλέα καὶ Ἀναξαγόραν, καὶ Κροῖσον αὖ καὶ Σόλωνα ὡς σοφοὺς καὶ Κῦρον ὡς δυνάστην. Wenn Menschen etwas über den Hieron sprechen und den Lakedaimonier Pausanias, dann bringen sie gern vor, dass Simonides mit ihnen zusammen war und was er ihnen gegenüber tat und sagte. Und Periandros von Korinth pflegte man gemeinsam mit Thales von Milet zu besingen, und Perikles mit Anaxagoras und Kroisos wiederum sowie Solon als weise Männer mit Kyros als Gewaltherrscher.

Das bereits auf Homer zurückgehende Motiv der Begegnung zwischen einem Mächtigen und dem Weisen in Gestalt des Dichters oder Naturphilosophen scheint demnach nicht nur in literarischer Form, sondern auch in alltäglichen Gesprächen und Liedern (διαλέγωνται […] ὑμνεῖν) Anwendung gefunden zu haben. Der von Xenophon beschriebene Dialog rekurriert dahingehend auf ein in der kulturellen Praxis seiner Zeit verankertes, traditionelles Modell, wenn er den Chorlyriker Simonides mit dem Tyrannen Hieron von Syrakus in ein Gespräch treten lässt.20 Betrachten wir den Beginn des Hieron, so können wir konstatieren, dass der Autor bewusst auf die bereits existierende erzählerische Tradition Bezug nimmt und die von ihm geschilderte Begegnung Hierons mit Simonides nur eine Variante von vielen parallelen Erzählungen mit anderem Personal darstellte.21 Bereits der unmittelbare Dialogbeginn weist in seinem Setting deutliche Parallelen zu Herodots Solon-Erzählung auf, obschon die Handlung anders als in den Historien unvermittelt einsetzt und von einer nicht genauer zu identifizierenden Autorstimme berichtet wird:22 Σιμωνίδης ὁ ποιητὴς ἀφίκετό ποτε πρὸς Ἱέρωνα τὸν τύραννον. σχολῆς δὲ γενομένης ἀμφοῖν εἶπεν ὁ Σιμωνίδης· Ἆρ᾽ ἄν μοι ἐθελήσαις, ὦ Ἱέρων, διηγήσασθαι ἃ εἰκὸς εἰδέναι σε βέλτιον ἐμοῦ; Καὶ ποῖα ταῦτ᾽ ἐστίν, ἔφη ὁ Ἱέρων, ὁποῖα δὴ ἐγὼ βέλτιον ἂν εἰδείην σοῦ οὕτως ὄντος σοφοῦ ἀνδρός; Der Dichter Simonides besuchte einmal den Tyrannen Hieron. Und als beide Muße fanden, sagte Simonides: „Würdest du, Hieron, mir bitte etwas erklären, worüber du natürlich besser Bescheid weißt als ich?“ „Und was ist es denn“, sagte Hieron, „worüber ich besser Bescheid wissen sollte als ein so weiser Mann wie du?“ 18 Zur Echtheitsfrage des zweiten Briefes siehe Erler (2007) 311. 19 [Plat.] epist. 2,311a. Der deutsche Text folgt der deutschen Übersetzung von Schleiermacher und Kurz. 20 Zum Treffen zwischen Weisen und Tyrannen als topischem Gemeinplatz in der griechischen Literatur siehe Gray (1986) 121 und (2007) 31–33. 21 Vgl. Gray (1986) 122. 22 Xen. Hier. 1,1. Der griechische Text folgt der jüngeren Ausgabe von Zuolo, die deutsche Übersetzung – wenn nicht anders vermerkt – der Übertragung von Strauss.

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Im Vergleich zu Herodots Solon-Erzählung fällt zunächst auf, dass der historische Anlass durch ποτέ bewusst unbestimmt bleibt und die näheren Umstände mit σχολή nur schattenhaft umrissen werden. Durch das enklitische Adverb ποτέ und die Tempora der Handlung (ἀφίκετό […] γενομένης […] εἶπεν) wird zugleich eine klare zeitliche Trennung zwischen den erzählten Ereignissen des Dialogs und der Erzählzeit des sich nicht näher vorstellenden Erzählers deutlich. Der literarische Kosmos präsentiert zwei Sprechinstanzen, die durch ihre jeweiligen Attribute (ὁ ποιητὴς […] τὸν τύραννον) eindeutig mit den beiden historischen Persönlichkeiten des Epinikiendichters Simonides von Keos und des syrakusanischen Tyrannen Hieron I. identifiziert werden sollen. Während dahingehend das erste und das dritte Kriterium nach Gülich für einen Erzähltext erfüllt sind, bereitet das zweite, wonach dem Ausgangszustand ein veränderter Endzustand gegenüberstehen muss, Schwierigkeiten. Zwar erhält der Leser im Verlauf des Gesprächs mehr Informationen über das Innenleben der beiden Dialogfiguren, welche sich in ihren Rollen als Fragesteller und Antwortgeber abwechseln, jedoch lässt das abrupte Ende des Dialogs bewusst offen, ob das Gespräch zu einer bedeutsamen Veränderung im Leben der Gesprächspartner geführt hat. Indem der Autor sich einerseits in der Anlage des Personengefüges sowie der Auswahl der Figuren an traditionellen Vorlagen von Erzählungen bedient, andererseits aber auf eine ereignisgestützte Handlung verzichtet, transferiert er das traditionelle Muster einer erzählten Kurzgeschichte in einen diegetischen Dialog, der im Gegensatz zu dieser nicht eine einzelne Sentenz, sondern den argumentativen Beweisgang in den Fokus stellt. Ein weiterer, nicht weniger auffallender Unterschied zu Herodots SolonErzählung besteht darin, dass nun nicht der Mächtige sich mit einer Frage um die Weisheit des Gastes bemüht, sondern der Dichter den Tyrannen nach dem fragt, was er selbst besser wissen müsste. Der Leser teilt zu Beginn seine Verwunderung mit Hieron, dass ein so weiser Mann wie Simonides etwas von ihm wissen möchte, worin sich eine sokratische Ironie befindet, die im Lauf des Gespräches noch deutlicher hervorstechen wird. Die Exposition der dialogischen Szenerie und der erste Wortwechsel des Hieron zeigen somit einerseits ein Anknüpfen des Autors an den aus Erzählungen stammenden Dichter-Herrscher-Topos, andererseits eine dezidiert sokratische Interpretation desselben, indem die Rollenverteilung durch den fragenden Dichter – zumindest temporär – invertiert wird. Der Effekt dieser Inversion auf den Leser wird maßgeblich dadurch gesteigert, dass Xenophon durch die einen Erzähltext imitierende Exposition inklusive eines hierfür üblichen stereotypen Personengefüges die Erwartungshaltung des Rezipienten eines Erzähltextes evoziert.

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3. HIERON ALS THERAPEUTISCHES GESPRÄCH ZWISCHEN TYRANNISCHEM PATIENTEN UND SOKRATISCHEM THERAPEUTEN Diese invertierte Rollenverteilung wirkt sich maßgeblich auf die Struktur des Hieron aus, der sich insgesamt in zwei Teile gliedert: einen ersten Teil, in dem Hieron einer Befragung unterzogen wird und ausführlich seine eigene Situation beschreibt (Hier. 1–7,13), sowie einen zweiten, in dem Simonides das Gespräch dominiert (8–11). Indem der Tyrann im ersten Teil sein individuelles Unglück offen preisgibt und sich der Dichter im zweiten als politischer Ratgeber präsentiert, der Anweisungen gibt, um dem Leidenden einen Weg aus seiner Misere aufzuzeigen, offenbart der Hieron – wie im Folgenden dargelegt werden soll – ein therapeutisches Philosophieverständnis, wonach dem philosophischen Gespräch eine heilsame Wirkung innewohnen kann. Dahingehend dominiert im ersten Part gemessen am Gesprächsanteil die Figur des Hieron, die der Reihe nach die vorgebliche Position des Simonides widerlegt, wonach dem Tyrannen ein glücklicheres Los zufalle als dem Privatmann (ἰδιώτης).23 Bereits am Anfang der Unterhaltung versichert Hieron dem Dichter, dass das Leben des Tyrannen gemessen an „menschlichen Freuden und Leiden“ (εἰς εὐφροσύνας τε καὶ λύπας)24 das schlechtere sei:25 καὶ ὁ Ἱέρων εἶπεν· Οὐχ οὕτως ἔχει, ὦ Σιμωνίδη, ταῦτα, ἀλλ᾽ εὖ ἴσθ᾽ ὅτι μείω πολὺ εὐφραίνονται οἱ τύραννοι τῶν μετρίως διαγόντων ἰδιωτῶν, πολὺ δὲ πλείω καὶ μείζω λυποῦνται. Ἄπιστα λέγεις, ἔφη ὁ Σιμωνίδης. εἰ γὰρ οὕτως ταῦτ᾽ εἶχε, πῶς ἂν πολλοὶ μὲν ἐπεθύμουν τυραννεῖν, καὶ ταῦτα τῶν δοκούντων ἱκανωτάτων ἀνδρῶν εἶναι; πῶς δὲ πάντες ἐζήλουν ἂν τοὺς τυράννους; Ὅτι ναὶ μὰ τὸν Δί᾽, ἔφη ὁ Ἱέρων, ἄπειροι ὄντες ἀμφοτέρων τῶν ἔργων σκοποῦνται περὶ αὐτοῦ. ἐγὼ δὲ πειράσομαί σε διδάσκειν ὅτι ἀληθῆ λέγω, ἀρξάμενος ἀπὸ τῆς ὄψεως· Und Hieron erwiderte: „Es ist nicht so, Simonides, sondern glaube mir, dass die Tyrannen viel weniger Freuden empfinden als die Privatleute, die in angemessenen Verhältnissen leben, und dass sie viel mehr und größere Unannehmlichkeiten haben.“ „Unglaubhaftes sagst du da!“ rief Simonides. „Wenn es nämlich so wäre, wieso würden dann viele nach der Tyrannis streben, und zwar Leute, die man zu den bestbemittelten rechnet? Und wieso würde jeder die Tyrannen beneiden?“ „Weil sie, beim Zeus“, rief Hieron, „es auf die Tyrannis abgesehen haben, ohne beide Stellungen aus eigener Erfahrung zu kennen. Ich will aber versuchen, dir klarzumachen, dass ich die Wahrheit sage, indem ich mit dem Gesichtssinn beginne; [...].“

Die überraschte Reaktion des Simonides verweist hierbei erneut auf das ironische Profil der Figur, welche die Position eines Außenstehenden besetzt, der getäuscht vom äußeren Schein das Wesen der Tyrannis verkennt. Als Träger dieser falschen Ansicht bildet die Figur des Dichters einen deutlichen Kontrast zu der des Hieron. Nur dieser kann die Sichtweise des Tyrannen mit hoher Glaubwürdigkeit vertreten, da er das tyrannische Leben (ὁ τυραννικός βίος) im Gegensatz zum Außen23 Die Unterscheidung zwischen τύραννος und ἰδιώτης findet sich auch in Isokrates’ Rede an den Tyrannen Nikokles: Isokr. Nik. 2–4 und 35f. 24 Xen. Hier. 1,2. 25 Xen. Hier. 1,8–10.

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stehenden (ἄπειροι ὄντες) aus eigener Erfahrung kennt. Der erste Teil des Dialogs verstärkt dahingehend die Inversion des Topos weiter, indem nun die Figur des Tyrannen versucht, die des Dichters zu unterrichten (ἐγὼ δὲ πειράσομαί σε διδάσκειν ὅτι ἀληθῆ λέγω): Lehrer- und Schülerrolle scheinen somit gegenüber dem archetypischen Solon-Kroisos-Gespräch vollständig vertauscht. Die scheinbare Ansicht des Simonides ist für den ersten Teil des Dialoges von zentraler Bedeutung, denn nur dadurch, dass der Dichter Hierons bereits am Anfang geäußerter „Wahrheit“ keinen Glauben schenken möchte und immer wieder versucht, Aspekte ausfindig zu machen, die das Leben des Tyrannen besser machen sollten als das des Privatmanns, setzt sich das Gespräch fort und entfaltet dadurch das Unglück Hierons in all seinen Facetten. Die Ironie des Dichters wurde dabei von der Forschung treffend als ein Mittel charakterisiert, neben den zwei Positionen Hierons und Simonides’ eine dritte in den Dialog einzuführen, die mit der Meinung der Masse zu identifizieren sei,26 wofür auch das folgende Zitat spricht:27 τὸ μὲν οὖν τὸ πλῆθος περὶ τούτου λεληθέναι, ὥσπερ εἶπον, οὐ θαυμάζω· τὸ δὲ καὶ ὑμᾶς ταῦτ᾽ ἀγνοεῖν, οἳ διὰ τῆς γνώμης δοκεῖτε θεᾶσθαι κάλλιον ἢ διὰ τῶν ὀφθαλμῶν τὰ πλεῖστα τῶν πραγμάτων, τοῦτό μοι δοκεῖ θαυμαστὸν εἶναι. ἐγὼ δὲ πεπειραμένος σαφῶς οἶδα, ὦ Σιμωνίδη, καὶ λέγω σοι ὅτι οἱ τύραννοι τῶν μεγίστων ἀγαθῶν ἐλάχιστα μετέχουσι, τῶν δὲ μεγίστων κακῶν πλεῖστα κέκτηνται. „Dass also der Masse dies entgangen ist, wie ich schon sagte, wundert mich nicht; dass aber auch ihr dies nicht wisst, die ihr mit eurer Einsicht die meisten Dinge besser als mit den Augen zu schauen scheint, das ist für mich erstaunlich. Simonides, ich aber weiß es aus eigener Erfahrung genau und sage dir, dass die Tyrannen an den größten Gütern den geringsten Anteil haben, an den größten Übeln aber den meisten.“

Indem die von Simonides vertretene Sichtweise mit der der Masse identifiziert wird, erhält der aufmerksame Leser einen Hinweis, dass der Dichter ein falsches Spiel mit ihm und Hieron treibt. Gleichzeitig wird deutlich, dass Hierons Unterricht (σε διδάσκειν) nicht an die Figur des Dichters adressiert ist, sondern an den Außenstehenden, der die Tyrannis wegen ihrer äußeren Reize bewundern mag. Indem sich Simonides verstellt, treibt er das Gespräch zum entscheidenden Wendepunkt, an dem der isoliert und einsam lebende Tyrann erklärt, dass auch eine Rückkehr zum Leben des Privatmanns für ihn verschlossen ist:28 Ὅτι, ἔφη, ὦ Σιμωνίδη, καὶ ταύτῃ ἀθλιώτατόν ἐστιν ἡ τυραννίς· οὐδὲ γὰρ ἀπαλλαγῆναι δυνατὸν αὐτῆς ἐστι. πῶς γὰρ ἄν τίς ποτε ἐξαρκέσειε τύραννος ἢ χρήματα ἐκτίνων ὅσους ἀφείλετο ἢ δεσμοὺς ἀντιπάσχων ὅσους δὴ ἐδέσμευσεν, ἢ ὅσους κατέκανε πῶς ἂν ἱκανὰς ψυχὰς ἀντιπαράσχοιτο ἀποθανουμένας; ἀλλ᾽ εἴπερ τῳ ἄλλῳ, ὦ Σιμωνίδη, λυσιτελεῖ ἀπάγξασθαι, ἴσθι, ἔφη, ὅτι τυράννῳ ἔγωγε εὑρίσκω μάλιστα τοῦτο λυσιτελοῦν ποιῆσαι. μόνῳ γὰρ αὐτῷ οὔτε ἔχειν οὔτε καταθέσθαι τὰ κακὰ λυσιτελεῖ. „Weil“, sagte er, „Simonides, auch in dieser Beziehung die Tyrannis am unseligsten ist; denn man kann sich nicht einmal von ihr losmachen. Wie sollte denn jemals ein Tyrann imstande 26 Zur Ironie des Simonides siehe Gray (1986) 116 und (2007) 36f. 27 Xen. Hier. 2.5–6. 28 Xen. Hier. 7,12–13.

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sein, alle auszubezahlen, deren Gut er geraubt hat, oder zur Vergeltung Gefängnisstrafen zu verbüßen für alle, die er ins Gefängnis werfen ließ, oder wie könnte er für alle, die er töten ließ, eine hinreichende Zahl von Menschenleben bieten zur Sühne durch den Tod? Ja, Simonides, wenn es sich für irgendjemand sonst lohnt, sich zu erhängen, so glaube mir meine Feststellung, dass sich für einen Tyrannen diese Tat am ehesten lohnt. Denn für ihn allein lohnt es sich weder, an seiner unglücklichen Stellung festzuhalten, noch, sie aufzugeben.“

Das Unglück des Tyrannen offenbart sich somit nicht nur in der Unfähigkeit, die materiellen Vorzüge zu genießen und wahre Liebe zu erhalten, sondern auch darin, dass die tyrannische Herrschaft scheinbar keinen Ausweg mehr aus ihr erlaubt. Die Herrschaft selbst zeigt sich als ein Gefängnis für das Leben, aus dem es sich nur durch Selbstmord befreien kann. An dieser Stelle vollzieht der Dialog eine Kehrtwende und Simonides, der bis dahin nur fragend in Erscheinung getreten war und der nun vollständig über das Unglück des tyrannischen Lebens unterrichtet ist, eröffnet den zweiten Teil des Hieron, in dem er sich in einer neuen Rolle des Leidenden annimmt:29 Καὶ ὁ Σιμωνίδης ὑπολαβὼν εἶπεν· Ἀλλὰ τὸ μὲν νῦν, ὦ Ἱέρων, ἀθύμως ἔχειν σε πρὸς τὴν τυραννίδα οὐ θαυμάζω, ἐπείπερ ἐπιθυμῶν φιλεῖσθαι ὑπ᾽ ἀνθρώπων ἐμποδών σοι τούτου νομίζεις αὐτὴν εἶναι. ἐγὼ μέντοι ἔχειν μοι δοκῶ διδάξαι σε ὡς τὸ ἄρχειν οὐδὲν ἀποκωλύει τοῦ φιλεῖσθαι, ἀλλὰ καὶ πλεονεκτεῖ γε τῆς ἰδιωτείας. Da nahm Simonides das Wort und sagte: „Nun, dass du jetzt, Hieron, keine Lust zur Tyrannis hast, wundert mich nicht, da du wünschst, von Menschen geliebt zu werden, und meinst, sie stehe dir dabei im Wege. Ich jedoch glaube dir zeigen zu können, dass das Herrschen keineswegs das Geliebtwerden verhindert, sondern sogar einen gewissen Vorteil bietet gegenüber der Lage des Privatmannes.“

Den Ausgangspunkt von Simonides’ weiteren Ausführungen stellt somit Hierons Mutlosigkeit gegenüber seiner eigenen Tyrannis dar (ἀθύμως ἔχειν σε πρὸς τὴν τυραννίδα), die insbesondere durch die ihm verwehrte φιλία bedingt ist. Der Dichter nimmt nun die Rolle des Lehrenden ein (μοι δοκῶ διδάξαι σε), wodurch die archetypische Rollenverteilung des Dichter-Herrscher-Topos wiederhergestellt ist. In dieser Funktion gibt Simonides im letzten Teil eine Reihe von Grundsätzen und Anweisungen für eine neue Form monarchischer Herrschaft, für die vorzugsweise das Verb ἄρχειν statt τυραννίς verwendet wird und in der der ἄρχων durch seinen Einsatz für die Polis und seine moralische Vorbildlichkeit über freiwillige Untertanen regieren wird.30 Hieron, der nun als Fragender interagiert, wodurch er wie zuvor Simonides Konkretisierungen der ihm erteilten Ratschläge einholt, bleibt der ständige Fixpunkt innerhalb der innerdialogischen Ausführungen des Dichters, mit denen ein Weg aus dem individuellen Unglück aufgezeigt wird. Dieser Aspekt kommt insbesondere in den Schlussworten des Dialogs zum Tragen, die in ihrer Prägnanz, ihrem parataktischen und anaphorischen Stil an eine rhetorische peroratio erinnern:31 29 Xen. Hier. 8,1. 30 Zur Herrschaftskonzeption des Hieron siehe Mueller-Goldingen (2007) 10–18. 31 Xen. Hier. 11,13–15.

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Johannes Sedlmeyr ἀλλὰ θαρρῶν, ὦ Ἱέρων, πλούτιζε μὲν τοὺς φίλους· σαυτὸν γὰρ πλουτιεῖς· αὖξε δὲ τὴν πόλιν· σαυτῷ γὰρ δύναμιν περιάψεις· κτῶ δὲ αὐτῇ συμμάχους· . νόμιζε δὲ τὴν μὲν πατρίδα οἶκον, τοὺς δὲ πολίτας ἑταίρους, τοὺς δὲ φίλους τέκνα σεαυτοῦ, τοὺς δὲ παῖδας ὅ τιπερ τὴν σὴν ψυχήν, καὶ τούτους πάντας πειρῶ νικᾶν εὖ ποιῶν. ἐὰν γὰρ τοὺς φίλους κρατῇς εὖ ποιῶν, οὐ μή σοι δύνωνται ἀντέχειν οἱ πολέμιοι. κἂν ταῦτα πάντα ποιῇς, εὖ ἴσθι, πάντων τῶν ἐν ἀνθρώποις κάλλιστον καὶ μακαριώτατον κτῆμα κεκτήσει· εὐδαιμονῶν γὰρ οὐ φθονηθήσῃ. Darum, Hieron, fasse Mut! Bereichere deine Freunde: denn dich selbst wirst du bereichern; mehre den Staat: denn du wirst dir selbst Macht verschaffen; erwirb ihm Bundesgenossen: (denn für dich selbst wirst du Bundesgenossen gewinnen). Betrachte das Vaterland als dein Haus, die Bürger als deine Vertrauten, die Freunde als deine eigenen Kinder, deine Kinder aber ganz so, als wären sie dein eigenes Leben, und versuche, diese alle durch Wohltaten zu übertreffen! Wenn du nämlich deine Freunde mit Wohltaten bezwingst, werden dir deine Feinde gewiss nicht widerstehen können. Und wenn du dies alles tust, so wirst du, glaube mir, das allerherrlichste und beseligendste Gut der Menschheit erringen: denn du wirst glücklich sein, ohne beneidet zu werden.

Vergleichbar dem Schlussteil einer politischen Rede werden die zuvor ausgebreiteten Vorschläge erneut zusammengefasst und der dialoginterne Zuhörer Hieron aufgefordert, wieder Mut zu fassen (ἀλλὰ θαρρῶν). Die rhetorische Sprache harmoniert dabei mit dem Anliegen, dem Tyrannen einen Weg zur neidlosen Glückseligkeit (εὐδαιμονῶν γὰρ οὐ φθονηθήσῃ) aufzuzeigen, da sie eine einfache Realisierbarkeit suggeriert und ihm Hoffnung auf das Ende der individuellen Malaise spendet.32 Dass rhetorische Elemente ausgerechnet am Schluss des Hieron zum Einsatz kommen, erhöht zugleich den paränetischen Charakter des Werks, das möglicherweise an einen zeitgenössischen Tyrannen gerichtet war. Handelt es sich tatsächlich um einen Dialog, mit dem Xenophon eine politische Beratungsarbeit leisten wollte, so dürfte neben den dargelegten therapeutischen und didaktischen Strukturen des Hieron auch das offene Ende des Dialogs diesem Unterfangen dienlich gewesen sein. Während Herodot das Solon-Kroisos-Gespräch zuerst mit der wütenden Ausweisung des Dichters geschlossen hatte, um am Ende des lydischen Logos der Geschichte durch die Rückbesinnung des tief gesunkenen lydischen Herrschers eine finale Wendung zu verleihen, lässt Xenophon seinen Leser nach Simonides’ Appell im Ungewissen über das weitere Schicksal der Figuren. Diese scheinen mit Ausgang des Gesprächs ihre Aufgabe als Schablonen des Herrschaftsdiskurses erfüllt zu haben, nachdem es dem Dichter gelungen ist, die Ursachen des Leidens seines Patienten zu klären und ihm durch das Vorschlagen von Reformen eine Möglichkeit zu zeigen, sich von seinem Leiden zu befreien. Dennoch ist die Auswahl der jeweiligen Figuren von zentraler Bedeutung für die Wirkung des Dialogs. Wie Herodot mit dem letzten lydischen Herrscher Kroisos und dem als Begründer der athenischen Demokratie geltenden Dichter Solon greift Xenophon auf Figuren zurück, die aufgrund ihres symbolischen Gehalts erst 32 Wie Takakjy mit Bezug auf die Epinikiendichtung herausstellte, zeigt Xenophon eine Konzeption von φθόνος als allgemein menschlichen, emotionalen Status, für den es ein Heilmittel gibt: Takakjy (2018) 61–64.

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eine erzählerisch-literarische Verarbeitung ermöglichten. Mit Hieron I. von Syrakus wählt er dabei einen Herrscher, von dem die Epinikiendichtung das Bild eines militärisch erfolgreichen und aristokratische Tugenden musterhaft verkörpernden ἄρχων zeichnet, wodurch das in der Dialogfiktion geschilderte individuelle Unglück ein besonderes Interesse des Lesers nach sich ziehen musste.33 Mit Simonides von Keos tritt ihm nicht nur ein berühmter Chorlyriker gegenüber, sondern auch eine Person, die der Überlieferung zufolge als Schlichter bei einem Streit zwischen Hieron und seinem Bruder einen Einfluss auf die Monarchie hatte.34 Die Verbindung beider Figuren musste somit bereits direkt zu Beginn des Dialogs die Neugierde des Rezipienten erwecken, der sich von dieser Konstellation die Vermittlung einer tieferen Erkenntnis erwartete. Indem Xenophon eine therapeutisch ausgerichtete Gesprächsstrategie in ein für Erzählungen mustergültiges Setting implementiert, schafft er eine innovative Synthese von Weisen-MächtigenErzählungen mit der sich in seiner Zeit etablierenden sokratischen Literatur. 4. EXKURS: DAS GESPRÄCH ZWISCHEN DEM XENOPHONTISCHEN SOKRATES UND DEM JUNGEN PERIKLES IN MEM. 3,5 Ehe wir zur Konklusion schreiten, soll das Gespräch zwischen Sokrates und dem jungen Perikles im dritten Buch der Memorabilien als Referenzpunkt miteinbezogen werden. Die besagte Episode, die auf das ebenfalls die Feldherrenkunst thematisierende Gespräch mit Nikomachides folgt, weist sowohl eine vergleichbare Gesprächskonstellation zwischen weisem Ratgeber und Mann der Macht als auch eine dem Hieron ähnelnde Dialoghandlung auf, die hinsichtlich der Frage, was der Autor unter „Sokratisierung“ eines traditionellen Gesprächs verstand, Aufschluss geben kann. Bereits in der Exposition dieses Dialogs erfolgt die Rollenzuweisung, indem sich die Figur des Sokrates in der Maske des politischen Beraters durch ein provokatives Lob seines Gesprächspartners zu erkennen gibt:35 Περικλεῖ δέ ποτε τῷ τοῦ πάνυ Περικλέους υἱῷ διαλεγόμενος· Ἐγώ τοι, ἔφη, ὦ Περίκλεις, ἐλπίδα ἔχω σοῦ στρατηγήσαντος ἀμείνω τε καὶ ἐνδοξοτέραν τὴν πόλιν εἰς τὰ πολεμικὰ ἔσεσθαι καὶ τῶν πολεμίων κρατήσειν. καὶ ὁ Περικλῆς· Βουλοίμην ἄν, ἔφη, ὦ Σώκρατες, ἃ λέγεις· ὅπως δὲ ταῦτα γένοιτ᾽ ἄν οὐ δύναμαι γνῶναι.

33 Dieses Bild zeigt sich insbesondere in der ersten und dritten pythischen Ode Pindars anlässlich der olympischen Siege Hierons. So lobt die erste pythische Ode Hieron als Gründer der Stadt Aitnai und parallelisiert seinen Sieg gegen Etrusker und Phoinizier mit den Siegen von Salamis und Plataiai, die dritte listet seine herrschaftlichen Tugenden auf und verweist auf das ihm folgende Schicksal der Glückseligkeit (μοῖρ’ εὐδαιμονίας): Pind. P. 1,61f., 72–79; 2,70–84. 34 Diod. 11,48,3–8; vgl. Schorn (2010) 55. 35 Xen. mem. 3,5,1. Der deutsche Text der Memorabilien folgt hier und im Folgenden der Übersetzung von Jaerisch.

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Johannes Sedlmeyr Mit Perikles, dem Sohn des berühmten Perikles, hatte er einmal folgendes Gespräch. „Ich habe gewiss Hoffnung, Perikles“, so sagte er, „dass der Staat, wenn du Feldherr geworden bist, im Hinblick auf die Kriegsführung einen besseren und rühmlicheren Stand haben und der Feinde Herr werden wird.“ Da erwiderte Perikles: „Das wäre schon nach meinem Wunsch, Sokrates, was du sagst; aber ich vermag nicht einzusehen, wie es dahin kommen sollte.“

Wie in den meisten Erzählungen der Memorabilien und im Hieron verweist ποτέ in der kurz gehaltenen Exposition auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit, wodurch eine Trennlinie zwischen Erzählzeit und Zeit der Erzählung gezogen wird. Im Hinblick auf den weiteren Dialogverlauf, der den historischen Gesprächsrahmen mit Hinweisen auf die athenischen Niederlagen bei Lebadeia (447 v. Chr.) und Delion (424) erweitert und so die politisch schwierige Ausgangslage in der Zeit vor Perikles’ Wahl zum Strategen (407) grob umreißt,36 erscheint das Wort ἐλπίς als entscheidendes Stichwort zum Verständnis der Erzählung. Durch seine Hoffnung, dass es möglich sei, Athen zu alter Stärke zurückzuführen, unterscheidet sich das Auftreten der Sokrates-Figur maßgeblich von der des jungen Perikles, die zu Beginn skeptisch an die verheerenden militärischen Niederlagen, das Erstarken Thebens und die böotischen Einfälle in Attika erinnert. Darüber hinaus hebt sie insbesondere die inneren Defizite der athenischen πόλις hervor: die Vernachlässigung der körperlichen Ausbildung, den Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit, Neid und Zwietracht sowie das gegenseitige Prozessieren.37 In dem sich entwickelnden asymmetrischen Gespräch, in dem die beiden Gesprächspartner der Frage nachgehen, wie die verlorenen Tugenden der Athener – die ἀρχαία ἀρετή, die εὐκλεία καὶ εὐδαιμονία, die καλοκἀγαθία – wiederzuerlangen seien, tritt Sokrates dem Simonides des Hieron ähnelnd als eine Art Ratgeber auf, der sein überlegenes Wissen gezielt einzusetzen weiß, um dem Patienten die Mutlosigkeit (ἀθυμεῖν) zu nehmen: Οὐ τοίνυν, ἔφη, δεῖ ἀθυμεῖν ὡς οὐκ εὐτάκτων ὄντων Ἀθηναίων („So darf man also“, fuhr er fort, „nicht den Mut verlieren, als ob die Athener ohne Ordnungssinn wären“) heißt es etwa, als er Perikles den Areopag als ein Beispiel für gute Gesetzeskenntnisse, Würde und Gerechtigkeit nennt.38 Das therapeutische Auftreten der Sokrates-Figur begleitet dabei ihr eigentliches, von Perikles herausgestelltes Anliegen, dem jungen Strategen zu verdeutlichen, um welche Wissensgebiete sich ein angehender Feldherr bemühen müsse, damit er dem Staat von Nutzen sein kann.39 Die konkreten militärischen Anweisungen, mit denen Athen das Kriegsglück nochmals wenden könnte, werden wie im Hieron mit einer Paränese abgeschlossen:40 Εἰ τοίνυν, ἔφη ὁ Σωκράτης, ἀρέσκει σοι ταῦτα, ἐπιχείρει αὐτοῖς, ὦ ἄριστε· ὅ τι μὲν γὰρ ἂν τούτων καταπράξῃς, καὶ σοὶ καλὸν ἔσται καὶ τῇ πόλει ἀγαθόν· ἐὰν δέ τι αὐτῶν ἀδυνατῇς, οὔτε τὴν πόλιν βλάψεις οὔτε σαυτὸν καταισχυνεῖς.

36 37 38 39 40

Xen. mem. 3,5,4. Xen. mem. 3,5,15–16. Xen. mem. 3,5,20. Xen. mem. 3,5,24. Xen. mem. 3,5,28.

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Da sagte Sokrates: „Mein Bester, wenn dir dies also einleuchtet, so mache dich an die Ausführung; denn was du davon durchführst, wird dir zur Ehre gereichen und auch für den Staat gut sein. Solltest du aber etwas nicht durchführen können, so wirst du weder dem Staat schaden noch deinen Ruf schädigen.“

Vergleichbar mit den Schlussworten des Simonides endet die Episode mit einem offenen Appell, der dem Empfänger in Aussicht stellt, sich selbst und seinem Umfeld Nutzen zu bringen. Im Gegensatz zum Hieron bezieht der Autor hier das historische Setting stärker mit ein. Da der Leser mit dem Schicksal des jungen Perikles gut vertraut war, gewinnt das Gespräch für ihn eine tragische Note: Kurz nach seiner Wahl zum Strategen im Jahr 407 erzielte dieser tatsächlich einen militärischen Sieg bei den Arginusen, doch wurde er im darauffolgenden skandalträchtigen und demagogisch geführten Prozess zusammen mit den anderen siegreichen Strategen zum Tode verurteilt. In seinen Hellenika, die von den Ereignissen berichten, hebt Xenophon hervor, dass die einzige Gegenstimme in der Verhandlung die des Sokrates war.41 Das paränetisch-therapeutische Agieren der Sokrates-Figur gegenüber dem jungen Perikles betont nicht nur die Nützlichkeit des zu Unrecht verurteilten Philosophen, welche ein zentrales Motiv der Memorabilien darstellt, sondern es transzendiert zudem die Person des militärisch erfahrenen Autors, der sich durch die Maske seiner Dialogfiguren stellenweise zu erkennen gibt und eine mit der Entstehungszeit des Werks vergleichbare historische Szenerie entwirft, in den Dialog. Diese wird in einen dem Hieron nicht unähnlichen erzählerischen Rahmen eingefasst, der durch ποτέ in der für eine stereotype Weisen-MächtigenGeschichte üblichen Unschärfe auf einen unbestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit verweist. Erneut wird durch das paränetisch offene Ende der Geschichte auf das Erzählen weiterer Ereignisse verzichtet, so dass es dem Leser selbst überlassen wird, über die von Sokrates erteilten Ratschläge und die spätere Geschichte des jungen Perikles zu reflektieren. Das argumentative Anliegen der Memorabilien und insbesondere das ihres dritten Buchs, in dem der Autor darlegen möchte, wie Sokrates diejenigen durch Anspornen gefördert habe, die nach Ehrenstellungen (τῶν καλῶν ἐπιμελεῖς) strebten,42 ist jedoch bereits durch das Schlusswort des Sokrates erreicht. 5. ZUSAMMENFASSUNG Am Beispiel der Solon-Kroisos-Erzählung des Herodot wird deutlich, wie Xenophon Muster des traditionellen Erzählmodells aufgreift und in seinen Dialog implementiert. Hierbei konzentriert sich der Autor insbesondere auf den situativen Kontext des Aufeinandertreffens zweier historischer Figuren, von denen eine als ein nach politischer Macht strebender und an den sich aus ihr ergebenden Konsequenzen leidender Mensch, die andere als Besitzer einer tieferen Erkenntnis über 41 Xen. hell. 1,7, bes. 15. 42 Xen. mem. 3,1,1.

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das Wesen der Politik charakterisiert wird. Das sich daraus entwickelnde Gespräch zielt neben der Kommunikation konkreter Verbesserungsvorschläge auf ein psychologisch-therapeutisches Einwirken auf das Subjekt politischer Macht, um diesem einen Weg aufzuzeigen, gleichermaßen die Eudämonie des regierten Staates und das eigene seelische Empfinden zu verbessern. Während die Mutlosigkeit des jungen Perikles durch den Zustand der athenischen Demokratie evoziert wird, tritt sie bei Hieron als Begleiterscheinung seiner Herrschaft in Form der Tyrannis auf, die ihn zu ständiger Furcht vor Anschlägen und zu einem Leben ohne Freunde verdammt. Xenophon scheint diesbezüglich an das neunte Buch der platonischen Politeia anzuknüpfen, in der das Seelenleben des Tyrannen eine Pathologisierung erfährt. Die von Xenophon vorgenommene Verknappung der ursprünglichen Erzählungen auf das eigentliche Gespräch legt dabei das Gewicht auf seine Ratschläge, die er durch die Maske des Sokrates bzw. des Simonides erteilt und die in beiden Fällen nicht nur die spezifische Expertise erkennen lassen sollen. Durch die therapeutische Interaktion der Figuren präsentieren sie sich als an die Seele der Empfänger gerichtete Anweisungen, mit denen das seelische Leiden, die ἀθῦμία gelindert werden kann. Der Autor transferiert hierbei das rezipierte Modellgespräch im Hieron durch die temporäre Inversion der Rollenverteilung, den gezielten Einsatz von Ironie, eine auf die spezifische Lebenssituation des Gesprächspartners angepasste Programmatik und die Verwendung rhetorischer Elemente in eine überaus originelle Form, die einen therapeutischen Prozess abbildet. Die sokratische Ironie des ersten Teils ermöglicht dabei die Anwendung eines diagnostischen Frageverfahrens, durch das der Tyrann dazu gebracht wird, das volle Ausmaß seines seelischen Unglücks zu verbalisieren. Auf die Diagnose folgt im zweiten Teil die Therapie durch konkrete Ratschläge, die, indem sie auf eine Änderung seiner Herrschaftspraxis abzielen, die Heilung des Patienten vorbereiten. Das „sokratisierte“ Gesprächsmodell des Hieron rezipiert einen auch in den Memorabilien beschriebenen Aspekt des sokratischen Philosophierens, wonach der Philosoph einen Weg zur Heilung seelischen Leidens aufzeigt. Während sich die Perikles-Episode jedoch an den Konventionen verbreiteter sokratischer Dialoge orientiert und letztlich auf die Ausgestaltung eines bestimmten Sokrates-Bildes ausgerichtet ist, projiziert Xenophon im Hieron seine philosophische Reflexion auf ein außerathenisches Ambiente und eine vorsokratische Zeit. Indem der Autor das Dialoggeschehen in einen vom zeitgenössischen Athen entrückten Rahmen situiert und ein Dialogpersonal agieren lässt, wie es in anekdotischen Erzählungen von weisen und mächtigen Individuen auftritt, wird die inhaltliche Reflexion auf eine universellere Ebene gestellt als in dem Gespräch zwischen dem jungen Perikles und Sokrates. Der Rückgriff auf eine stereotype Gesprächskonstellation und einen mit ποτέ nur undeutlich skizzierten situativen Kontext zeigt nicht nur die Verwurzelung des Hieron-Dialogs in archetypischen Erzähltraditionen, sondern verstärkt zugleich die Indirektheit der dialogischen Mitteilung, durch die der Kreis der potentiellen Adressaten erhöht wird. Der Hieron präsentiert sich dahingehend gleichermaßen als Aufruf an einen Tyrannen, seine Herrschaft in die einer guten Monarchie zu reformieren, wie auch als Mahnung an den Privatmann, sich nicht

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durch die äußeren Reize einer Tyrannis täuschen zu lassen, da diese das individuelle Glück verhindert und eben das seelische Leiden zur Folge hat, welches Hieron in der noch nicht therapierten Staatsform quält. Indem Xenophon eine archetypische Erzählung dialogisiert und mit Elementen sokratischer Dialoge ausstattet, entwirft er nicht nur ein neues Dialogmodell, sondern er leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung des szenischen Repertoires der Dialogliteratur. LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur, Kommentare und Übersetzungen Feix (72006; 12001): Herodot, Historien. Erster Band. Bücher I–V, gr.-dt., hg. v. Josef Feix, Düsseldorf (Tusculum). Jarisch (2003): Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, gr.-dt., übers. v. Peter Jaerisch, Düsseldorf/Zürich (Tusculum). Kurz/Schleiermacher (42005; 11981): Platon, Werke. Band 5. Phaidros. Parmenides. Epistolai (Briefe), bearb. v. Dietrich Kurz, übers. v. Friedrich Schleiermacher u. Dietrich Kurz, Darmstadt. Zuolo (2012): Senofonte, Ierone e della tirannide. Introduzione, traduzione e commento di Federico Zuolo, Rom.

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FUNKTIONEN DES ERZÄHLENS IM ELEGISCHEN DISKURS Ovids heroi(di)sche Briefpaare Peter v. Möllendorff Die das Corpus der Heroides Ovids abschließenden drei Briefpaare – der Briefwechsel zwischen Paris und Helena, dem ich besondere Aufmerksamkeit widmen werde, zwischen Leander und Hero und schließlich zwischen Acontius und Kydippe – bieten, als eigene Textsorte verstanden, mit Blick auf das Thema dieses Bandes zwei Vorteile. Zum einen lassen sie sich, als Briefpaare, unter die generische Rubrik des Dialogs fassen. Gilt nämlich schon der Einzelbrief insofern, als er eine Antwort erwartet und in der einen oder anderen Weise vorwegnimmt oder selbst eine Antwort auf einen vorangegangenen Brief darstellt, bereits in der Antike als sermo dimidiatus,1 so muss ein Ensemble von zwei Briefen, in dem der eine auf den anderen antwortet, erst recht als Sonderform des Gesprächs angesehen werden. Dabei erlaubt die Obergattung Brief eine Reduktion dieses Gesprächs auf gerade zwei Repliken, so dass Ovids Briefpaare formal-qualitativ die kürzeste Variante eines Dialogs konstituieren. Zum anderen sind diese beiden Repliken, ebenfalls brieftypisch, quantitativ jeweils eminent ausgedehnt. Dies ermöglicht umso leichter die Einfügung einer Narration, ja vielleicht legt es eine solche Einfügung sogar nahe, um eben diese Länge in gewisser Weise natürlich und jedenfalls nicht geschwätzig wirken zu lassen. Dabei wäre die Besonderheit, dass und wie die Briefe selbst Bestandteil einer (mythischen) Erzählung sind, die sich partiell und fixiert auf einen exakten Zeitpunkt innerhalb ihrer selbst in der innerbrieflichen Erzählung spiegelt und von dieser eingebetteten Erzählung als kommunikativem Akt wiederum Impulse erfährt, einer eigenen Untersuchung wert.2 1

2

Dies hat man vielleicht zu stark vernachlässigt, als man die Einzelbriefe der Heroides als bloße Varianten der Suasorie deutete, wobei die Einzelbriefe in der Tat eher die Rückkehr als die Antwort des Adressaten erwirken wollen; vgl. hierzu den Forschungsüberblick bei Kennedy (2002) 219ff. und konkret 223f. Vgl. ausführlich und eindringlich zur kaiserzeitlichen Epistolographie Bauer (2011) 12–57, zur Brieftheorie ebd. 33–44. Spoth (1992) 85–88 hebt die Spannung hervor, die sich aus dem Nebeneinander von dialogorientierter Ansprache des Anderen – der Werbung – und der monologischen Hervorhebung des Verlusts – der Klage – ergibt. Vgl. hierzu den folgenden Blick auf die Einzelbriefe; hier soll jeweils knapp herausgearbeitet werden, wie die (in ihrem Wesen zunächst einmal ja monologische) Erzählung mal den einen, mal den anderen Aspekt unterstützt. Vgl. weiterhin Kennedy (2002) 220 zu einer postmodern geprägten Auffassung des Briefs als literaturumspannender Gattung (die aus einer solchen Perspektive natürlich auch Erzählungen unproblematisch integrieren kann). Zu einer knappen Beschreibung dieses Phänomens vgl. Kennedy (2002) 225.

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Umso mehr mag es verwundern, dass Ovid das darstellerische Mittel der Narration im Zyklus der Heroides erst vergleichsweise spät einsetzt, nämlich erst ab Brief 10, ab dann allerdings zum Teil in exorbitanter Länge.3 Die Forschung hat das, soweit ich sehe, nicht besonders eindringlich untersucht, wie überhaupt die Heroides innerhalb der doch umfangreichen Ovid-Forschung keinen herausragenden Platz einnehmen. Die zunehmende Bedeutung von Erzählungen in den Briefen bringt man in Verbindung damit, dass Ovid bereits an den Metamorphosen und auch schon an den Fasten gearbeitet habe und von daher zum Erzählen als innovativem Element geneigt haben könnte.4 Das mag produktionshistorisch durchaus zutreffen, genügt jedoch für einen interpretativen Zugang zu den narrativen Passagen der Heroides natürlich nicht. Jedoch bietet sich hier die Gelegenheit, Briefe, die kaum Narration enthalten, mit solchen, in denen Narration eine tragende Funktion besitzt, miteinander zu vergleichen: Leistet die Erzählung etwas, das in den verglichenen Texten fehlt? Ist ihre Leistung eher argumentativer, eher emotionaler oder eher atmosphärischer Natur? Gibt es eine Art narrationstypischer Information? Wie reagiert der Adressat der Briefe auf den Erzählteil, verglichen mit seinen Reaktionen auf den Rest des Briefes? Wie klar ist die Erzählung von jenem Rest abgesetzt? Was würde dem Brief fehlen, nähme man sie heraus? Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, solche Fragen für das gesamte Corpus der 21 Briefe zu beantworten. Es kann hier nur darum gehen, für die Analyse dieses Fragenkomplexes einige Grundlagen zu schaffen. Daher möchte ich zunächst in aller Kürze diejenigen Erzählungen betrachten, die in die Einzelbriefe 10–14 eingefügt sind; Brief 15 (Sappho an Phaon) enthält keine Erzählung, fällt aber ohnehin in mehrfacher Hinsicht aus der Reihe. Zweck dieser Betrachtung ist es, einen ersten Eindruck von Umfang und Leistung solcher Narrationen zu gewinnen. Dies ist danach zu ergänzen durch einen Blick auf die Narrationen in den Briefen Leanders und Heros und im Brief der Kydippe, der wiederum insofern von Interesse ist, als hier die Erzählung erst im Antwortbrief steht. Im eigentlichen Hauptteil meines Beitrags wende ich mich schließlich dem Briefpaar des Paris und der Helena zu. In Paris’ Brief findet sich eine Erzählung, die unter anderem von seiner Beurteilung der drei Göttinnen auf dem Ida berichtet. Ich meine, dass dieser Brief in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit darstellt und womöglich einige weiterführende Antworten auf die oben gestellten Fragen nahelegt. Bevor ich mit der Übersicht über die Narrationen der Einzelbriefe 10–14 beginne, muss ich vorausschicken, was genau ich eigentlich unter ‚Erzählung‘ verstanden wissen will. Denn natürlich enthält fast jeder längere Sprechakt immer wieder Kurz- und Kürzestnarrationen, die genauso schnell begonnen wie in anderes übergeleitet werden. Als nur ein Beispiel hierfür mag Heroides 3 (Briseis an Achill), 7–17, dienen:5 3 4 5

Brief 12 ragt mit einer Erzählung von 136 Versen Länge heraus, die kürzeste Erzählung findet sich in Brief 13 mit nur 21 Versen. Vgl. Holzberg (1997) 90f. Übersetzung hier wie auch im Folgenden nach Häuptli (1995).

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non, ego poscenti quod sum cito tradita regi, culpa tua est ‒ quamvis haec quoque culpa tua est; nam simul Eurybates me Talthybiusque vocarunt, Eurybati data sum Talthybioque comes. alter in alterius iactantes lumina vultum quaerebant taciti, noster ubi esset amor. differri potui; poenae mora grata fuisset. ei mihi! discedens oscula nulla dedi; at lacrimas sine fine dedi rupique capillos; infelix iterum sum mihi visa capi! saepe ego decepto volui custode reverti, […]. Daß man so rasch an den König, der es verlangte, mich abgab, / ist deine Schuld nicht, obschon dies doch auch deine Schuld ist. / Denn sobald mich Eurybates und Talthybius riefen, / gab man Eurybates mich und dem Talthybius mit. / Einer blickte den anderen an, um Blicke zu tauschen, / fragten sich schweigend, wo denn unsere Liebe wohl sei. / Aufschub war möglich. Gern hätt ich das qualvolle Leben verzögert. / Weh mir! Kein einziger Kuß war mir beim Abschied vergönnt. / Tränen vergoß ich jedoch ohne Ende und raufte das Haar mir; / glücklos zum zweitenmal glaubt ich gefangen zu sein. / Oft beschloß ich den Wärter zu täuschen, um zu dir zu kommen, […].

Sind die vv. 7f. noch argumentativ, so leitet 9 zu einer das Argument begründenden Erzählung über, die dann sofort in erzählte Aktion übergeht. 15f. scheinen auch noch zu dieser Aktion zu gehören, doch spätestens in 17 wird durch das sine fine (15) aufgreifende saepe klar, dass die Erzählung schon wieder in eine raffende Zustandsbeschreibung übergeht, und in der Tat folgen dann weitere Argumente. Derartige Mikronarrative finden sich natürlich häufig: Sie passen sich dem argumentativen Duktus an und unterstützen ihn. Wie jedoch schon Sokrates in Platons Politeia seinen Staatsentwurf damit begründet, dass man die Gerechtigkeit in der einzelnen Seele besser verstehen könne, wenn man sie erst einmal im großen Format des Staates betrachtet habe,6 so möchte ich auch hier mein Augenmerk vorzugsweise auf größere Erzähleinheiten richten, die (a) über eine gewisse Eigenständigkeit verfügen (dergestalt, dass sie auch außerhalb des Dialogs in der vorliegenden Form erzählt werden könnten), die (b) einen erkennbaren Grad an Vollständigkeit und Abgeschlossenheit besitzen (so dass man ihnen beispielsweise einen eigenen Titel geben könnte), die (c) umgekehrt aber auch nicht so unabhängig von ihrem epistolaren Kontext sind, dasss dieser nur ihrer Bereitstellung diente. Ich komme nun zu einer kursorischen Untersuchung der Erzählungen in den Einzelbriefen. Ariadne schreibt ihren Brief (Nr. 10 der Sammlung) an Theseus, nachdem sie feststellen musste, dass er sie verlassen hat. Versteht man ihren Brief als oratio, die ihn zur Rückkehr überreden soll, dann nimmt die Erzählung, in 10,7–58, von ihrem Erwachen, ihrer Suche, ihrem Gang zum Strand, der Entdeckung der Segel, ihrem verzweifelten Rufen und Winken, schließlich ihrem Zusammenbruch auf dem früheren gemeinsamen Lager recht genau den Platz der rhetorischen narratio ein. Entsprechend lässt sie sich leicht als eindringliche Dar6

Vgl. Plat. Rep. 2,368c4–369b4.

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stellung ihres Schmerzes zum Zweck der Mitleiderregung verstehen. Die Rede besitzt eine starke Anfangsmarkierung mit „tempus erat“ (10,7), ist von überschaubarer Länge und klarer chronologischer Disposition. Canace erzählt in ihrem Brief an Macareus (Nr. 11 der Sammlung) die gesamte Geschichte vom Aufkeimen ihrer Liebe bis hin zur Vernichtungsaktion ihres Vaters Aiolos (11,25–96). Die Erzählung nimmt deutlich den größten Teil des Briefes ein. Sie hat eine klare Peripetie – die Entdeckung des neugeborenen Kindes durch Aiolos – und mündet in die nur noch 32 Verse umfassende Katastrophe, nämlich die Ankündigung des nahenden Suizids. Die Erzählung dient daher nicht der Überzeugung, sondern erregt gerade durch ihre dramatische Anlage hohes Pathos: Der Empfänger soll Canaces Schmerz empathisch nachempfinden. Auch in Medeas Brief an Iason (Nr. 12 der Sammlung) nimmt die Erzählung den weitaus größten Teil des Briefes ein (12,23–158). Medea erzählt einerseits, wie sehr sie verliebt war, andererseits, was sie alles für Iason getan hat, drittens, wie sie von ihm betrogen wurde. Den Zweck der Erzählung benennt sie explizit in 12,21f.: est aliqua ingrato meritum exprobrare voluptas. hac fruar; haec de te gaudia sola feram. Undankbaren Verdienste vorzuhalten, ist lustvoll. / Das will ich tun: Diese Lust ist, was von dir mir noch bleibt.

Es macht Lust, Undankbaren die eigenen Verdienste vorzuhalten. Die Erzählung dient also der lustvollen Rechtfertigung des unmittelbar dem Brief folgenden Kindermordes. Wie Ariadnes Brief hat auch die Erzählung in Laodamias Brief an Protesilaos (Nr. 13 der Sammlung) wenig ‚Handlung‘ im Sinne von echter Aktion zu bieten (13,9–30): Beide Frauen trauern dem davonsegelnden Mann hinterher, beide wollen nichts mehr als seine Rückkehr; dass Laodamia, anders als Ariadne, nicht betrogen ist, scheint für die emotionale Intensität der Erzählung nicht sehr viel Unterschied zu machen, aber vielleicht ist sie deshalb deutlich kürzer als ihr Pendant in Brief 10. Hypermestras Erzählung in Brief 14 schließlich umfasst ungefähr die Hälfte ihres Schreibens an Lynkeus und ist erneut stark anfangsmarkiert (14,19–22): quam tu caede putes fungi potuisse mariti, scribere de facta non sibi caede timet! sed tamen experiar. modo facta crepuscula terris; ultima pars lucis primaque noctis erat … Sie, der du den Mord am Gatten zutrauen konntest, / scheut sich zu schreiben vom Mord, welchen sie niemals beging. / Dennoch versuch ich’s: Schon senkte sich Dämmerung über die Erde; / dies war das Ende des Tags, dies war der Anfang der Nacht.

Auch hier, wie in 12, dient die briefliche Narration dem Zweck, dem Geliebten die Leistungen der Geliebten in Erinnerung zu rufen. Allerdings, ähnlich wie im Falle der Laodamia, ist der hassvolle Ton eher abgedämpft, da Lynkeus, wie Protesilaos, nicht als treuloser Liebhaber gelten kann. Pathoserzeugung und Stiftung emotional besetzter Erinnerung sind also in den hier nur überblicksartig betrachteten Narrationen Zweck des Erzählens, und Pa-

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thos und Erinnerung wiederum dienen dem durch das jeweilige Treueverhältnis der Liebenden konstituierten Zweck des gesamten Briefes: der Werbung, dem Ausdruck des Verlangens oder dem des Hasses. Kommen wir jetzt zu den Briefpaaren, so liegt im Falle der beiden Erzählungen im mittleren Doppel der Fall recht ähnlich.7 Wenn Leander seiner geliebten Hero in 18,55–118 gewissermaßen ersatzweise von seiner bereits zurückliegenden ersten Schwimmaktion berichtet, weil die See zu hoch geht, als dass er selbst das Wagnis einer neuerlichen Sundüberquerung auf sich nehmen könnte, dann ist auch dies ein Beschwören der eigenen Leistungen, hier eben als Ersatz für die in diesem Moment unmögliche Tat selbst; zur Verliebtheit der beiden passt, dass in 19,19–64 Hero einen ähnlichen Blick auf die langsam verrinnende Zeit ihres Wartens auf Leander gewährt; und beide lassen ihre Erzählung in der Erinnerung an ihre erste Liebesnacht ausklingen. Der Gleichgestimmtheit der beiden Briefpartner entspricht also, dass beide Briefe Erzählungen enthalten, dass diese Erzählungen von ihren komplementären Verdiensten umeinander handeln und dass sie zeigen sollen, dass die Liebenden einander wert sind. Im letzten Briefpaar hingegen verzichtet Acontius in Brief 20 auf eine Erzählung, während Kydippe in 21,67–114 von ihrer Reise zum Artemistempel auf Delos berichtet, eine Erzählung, die im Bericht vom geworfenen Apfel und seiner ‚Lektüre‘ kulminiert. Formal auffällig ist hieran zweierlei. Zum einen bildet Ovid auf diese Weise seine drei Briefpaare als Triptychon aus:8 Während das erste Briefpaar (Paris‒Helena) nur die Erzählung eines Mannes beinhaltet, präsentiert – wie eben beschrieben – das zweite Briefpaar (Leander‒Hero) zwei einander korrespondierende Erzählungen und findet sich im dritten und letzten Briefpaar (Acontius‒Cydippe) nur die Erzählung einer Frau. Narration scheint hier als wesentliches, die Zurichtung nicht nur des Einzeltexts, sondern auch die Disposition der gesamten Sammlung stark bestimmendes Gestaltungselement zu dienen. Zum anderen ist festzuhalten, dass in Gestalt von Cydippes Erzählung die Sammlung der Heroides mit dem einzigen Exemplar einer weiblichen Erzählung endet, die als Antwort verfasst ist. Bedeutet das einen Unterschied für ihre Funktion? Tatsächlich sind ja in den Briefpaaren die Frauen in einer viel machtvolleren erotischen und kommunikativen Position als in den Einzelbriefen. Denn die Frauen der Einzelbriefe sind zwar oft starke, aber doch immer verlassene Frauen, deren Stellung eben durch das Verlassensein immens geschwächt ist und deren Handlungsmöglichkeiten entsprechend reduziert sind, wenn sie denn nicht – wie Medea oder Canace – zu radikalsten Mitteln greifen. Ihre Briefe sind daher letztlich immer werbende Briefe oder Abschiedsbriefe. Dem entspricht die vorhin erkannte Funktion der briefimmanenten Erzählungen, nämlich die Pathoserzeugung oder die erinnernde Abrechnung. In den Briefpaaren hingegen, jedenfalls in den beiden 7 8

Gleichwohl böte auch die Frage, ob weibliches Erzählen, wie wir es in den Einzelbriefen finden, vom männlichen Erzählen in den Doppelbriefen analytisch nachvollziehbar differenziert werden kann. Vgl. zu dieser Auffassung der drei Briefpaare Holzberg (1997) 93–99. Zu den Doppelbriefen als augusteischem ‚Gedichtbuch‘ vgl. Kenney (1996) 18‒20.

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Randstücken des Triptychons, tritt umgekehrt der Mann als Werber auf. Zu welchem Zweck also erzählt dann Cydippe dem Acontius von ihrer Reise nach Delos und von seinem eigenen Apfeltrick, den doch niemand besser kennt als er selbst? Hier ist nun zu bedenken, dass das Liebesverhältnis zwischen Acontius und Cydippe durch Acontius’ Trick quasi zu seiner Erfüllung gelangt ist, nämlich zu einem Eheversprechen, bevor es überhaupt eigentlich begonnen hat. Es ist also noch überhaupt nicht klar, um was für eine Art Liebe es sich handeln soll, und darüber scheint auch zwischen den beiden Liebenden durchaus Uneinigkeit zu bestehen. Acontius nämlich geriert sich – ein wenig spät, würden wir sagen – als elegischer amator (20,75–90. 129–142): ante tuos liceat flentem consistere vultus et liceat lacrimis addere verba sua, utque solent famuli, cum verbera saeva verentur, tendere submissas ad tua crura manus ! ignoras tua iura? voca! cur arguor absens? iam dudum dominae more venire iube. ipsa meos scindas licet imperiosa capillos oraque sint digitis livida nostra tuis. omnia perpetiar; tantum fortasse timebo, corpore laedatur ne manus ista meo. sed neque conpedibus nec me conpesce catenis! servabor firmo vinctus amore tui. cum bene se quantumque volet satiaverit ira, ipsa tibi dices: „quam patienter amat!“ ipsa tibi dices, ubi videris omnia ferri: „tam bene qui servit, serviat iste mihi!“ […] ne tamen ignorem, quid agas, ad limina crebro anxius huc illuc dissimulanter eo. subsequor ancillam furtim famulumque requirens, profuerint somni quid tibi quidve cibi. me miserum, quod non medicorum iussa ministro effingoque manus insideoque toro! et rursus miserum, quod me procul inde remoto, quem minime vellem, forsitan alter adest! ille manus istas effingit et adsidet aegrae, invisus superis cum superisque mihi, dumque suo temptat salientem pollice venam, candida per causam bracchia saepe tenet contrectatque sinus et forsitan oscula iungit. officio merces plenior ista suo est! Laß mich unter Tränen doch nur vor dein Angesicht treten, / und gewähre die Gunst, gönne den Tränen ihr Wort, / wie die Sklaven / es tun, wenn sie bittere Streiche befürchten: / Demütig strecken die Hand nach deinen Knien sie aus. / Kennst du dein Recht nicht? / Ruf mich! Was willst du von fern mich verklagen? / Ruf mich doch endlich herbei, wie eine Herrin es tut! / Herrisch darfst du mit eigener Hand meine Haare zerzausen, / schlag mit den Fingern, du darfst’s, mir meine Wangen doch blau! / Alles will ich erdulden, nur habe ich dann zu befürchten, / dass deine Hand sich vielleicht an meinem Körper verletzt. / Doch mit Fesseln fessle mich nicht und auch nicht mit Ketten! / Ewig bindet mich fest innige Liebe zu

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dir. / Wenn dein Unmut, soviel er will, sich tüchtig gerächt hat, sprichst du dereinst zu dir selbst: „Wie er geduldig mich liebt!“ / Dereinst sprichst du zu dir, wenn du siehst, daß ich alles ertrage: „Ist er als Diener so gut, soll er mein eigener sein!“ / […] / Doch daß ich weiß, wie’s dir geht, geh ich öfters vor deiner Schwelle / auf und ab voller Angst, tue so, als ob nichts wär. / Heimlich folg ich der Magd und dem Diener und frage sie heimlich, / was dir der Schlaf genützt, was dir das Essen gebracht. / Ach, daß ich nicht, was die Ärzte befehlen, als Diener besorge, / nicht dir streichle die Hand, an deinem Lager nicht sitz! / Und nochmals ach! Wenn von dort ich so weit dann entfernt bin, / ist wohl der andere da, was ich am wenigsten mag. / Er ist’s, der die Hände dir streichelt, er sitzt bei der Kranken, / er, den Göttern verhaßt und mit den Göttern auch mir. / Während er mit seinem Daumen die pochende Ader betastet, / hält er den weißen Arm, da er ja Grund dazu hat, / und befingert den Busen, ja tauscht mit dir vielleicht Küsse. / Das ist ein üppiger Lohn, mehr als die Dienstleistung wert!

Geradezu mustergültig spielt er die Motive des servitium amoris, des foedus aeternum, auch der Eifersucht auf einen vir aus.9 Damit versetzt er Cydippe aber nicht in die (ihr doch zustehende) Rolle einer züchtigen jungen Frau, die im heiratsfähigen Alter steht, sondern in die Rolle einer elegischen puella, die ihren Liebhaber raffiniert auf Distanz hält, die umschmeichelt und erobert werden muss, ja der gegenüber Acontius sogar sexuelle Andeutungen machen darf (20,61f. und 145f.). Cydippe scheint es im Gegenzug darum zu gehen, einerseits diesen Bewerber nicht zu verlieren, andererseits aber doch ihre Position in ihrem erotischen Verhältnis selbst definieren zu dürfen. Meines Erachtens dient vor allem diesem Zweck ihre Erzählung von ihrer Reise nach Delos als einfaches, unerfahrenes Mädchen, das, von ihrer Amme als Anstandsdame begleitet, schlicht nur die Pracht der Tempelbauten genießen will (21,93–104):10 dumque parens aras votivo sanguine tingit sectaque fumosis ingerit exta focis, sedula me nutrix alias quoque ducit in aedes erramusque vago per loca sacra pede. et modo porticibus spatior modo munera regum, miror et in cunctis stantia signa locis; miror et innumeris structam de cornibus aram, et de qua pariens arbore nixa dea est, et quae praeterea ‒ neque enim meminive libetve, quidquid ibi vidi, dicere ‒ Delos habet. forsitan haec spectans a te spectabar, Aconti, visaque simplicitas est mea posse capi. Während die Mutter Blut auf Altären vergießt mit Gebeten / und auf den rauchenden Herd Stücke des Opferfleischs wirft, / führt mich die rührige Amme noch weiter zu anderen Tempeln, / durch den heiligen Ort schlendern wir ziellos dahin. / Bald durchwandle ich Hallen, bald sehe ich Fürstengeschenke / staunend, die Statuen auch, welche da überall stehn. / Und ich bestaun den Altar, der aus zahllosen Hörnern errichtet, / und der Göttin Baum, Stütze einst, als sie gebar, / und was Delos sonst bietet, ich weiß nicht mehr alles und sag nicht, / was ich alles dort sah, da ich nicht aufgelegt bin. / Da, Acontius, sahst du mich wohl, als ich all das beschaute, und meine Arglosigkeit war zu erobern, wie’s schien. 9 Vgl. hierzu auch die knappen Angaben ad loc. bei Kenney (1996). 10 Auch diese Verse sind, wie ein Teil des Paris-Briefs (s. u.), nur in einem Druck des 15. Jhs. überliefert, dürfen aber als echt gelten (vgl. Holzberg [1997] 96).

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Cydippe macht deutlich, dass sie gleichsam als antike Version eines Flâneurs des 19. Jahrhunderts durch die Tempelanlagen ging, ohne jede Absicht, als intentionslose Betrachterin (erramus vago pede, / miror ... / miror. Neque enim memini ... spectans), und also eben gerade nicht wie eine puella auf Männerfang. Statt dessen stand umgekehrt vielmehr sie im Fokus des Jägers: visa simplicitas ... spectabar,11 und wurde erbeutet (capi). Passenderweise hält sie auch dann noch die Augen schamhaft niedergeschlagen – man achte auf die Anapher lumina 113f.! –, als sie schon ahnt, was geschehen ist (21,111–114): nomine coniugii dicto confusa pudore sensi me totis erubuisse genis luminaque in gremio veluti defixa tenebam ‒ lumina propositi facta ministra tui. Als ich nun „Heirat“ las, geriet ich vor Scham in Verwirrung, / spürte, ich wurde rot über das ganze Gesicht, / und ich hielt wie gebannt auf den Schoß gesenkt meine Augen – / meine Augen, die dir dienten als Helfer des Plans.

Cydippes Erzählung dient also dem Zweck, sich ins rechte Licht zu rücken und, wenn sie schon willenloses Opfer war, dann doch wenigstens noch post festum ihre Rolle im Geschehen definieren zu können. Der Modus der Erzählung ermöglicht es, ihre naive Haltung beibehalten zu können – eine Argumentation müsste hingegen präzisieren, was Cydippe nicht sein will, und würde damit nahelegen, dass sie über elegische Liebesverhältnisse tatsächlich durchaus Bescheid wüsste: Ihre Naivität wäre dann nur gespielt. Demgegenüber ermöglicht die Erzählung dem Adressaten die Interpretation und der Erzählerin die interpretationsbedürftige Andeutung; sie zieht damit eine Ebene des Innuendos, der Verschleierung, des Indirekten in das Gespräch ein, die ihm, solange es im Austausch von Argumenten verharrt, und erst recht im Modus des rhetorischen Briefes ansonsten eher fehlt. Die Erzählung ermöglicht dies auch dadurch, dass sie eine Stimmung erzeugt, der sich der Adressat hingeben kann, wie in diesem Fall das Bild des jungen, ahnungslos durch die Tempel flanierenden Mädchens, das ihre Unschuld viel wirkungsvoller suggeriert, als wenn sie sie explizit behaupten müsste. Neben der Erzeugung von Atmosphäre und Suggestivität halte ich den oben entwickelten Gesichtspunkt der potentiellen Interpretationsbedürftigkeit der Narration als eines gesprächsstrategischen Vorteils für ein wesentliches Element bei der Beantwortung der Frage nach der Funktion von ‚Erzählung im Dialog‘. Suggestivität und Notwendigkeit von Interpretation treten noch deutlicher zutage, wenn wir uns jetzt dem letzten Text zuwenden, den ich im Rahmen dieses Beitrags behandeln möchte, Paris’ Erzählung in seinem Brief an Helena (16,39–144):

11 Im Sinne von „ich wurde ausgespäht“; zu beachten das durativ-iterative Imperfekt.

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Teil 1 (39–52): Paris’ Jugend nec tamen est mirum, si, sicut oportet, ab arcu missilibus telis eminus ictus amo. sic placuit fatis; quae ne convellere temptes, accipe cum vera dicta relata fide, matris adhuc utero partu remorante tenebar; iam gravidus iusto pondere venter erat. illa sibi urgentis visa est sub imagine somni flammiferam pleno reddere ventre facem. territa consurgit metuendaque noctis opacae visa seni Priamo, vatibus ille refert. arsurum Paridis vates canit Ilion igni: pectoris, ut nunc est, fax fuit illa mei. (lacuna) forma vigorque animi, quamvis de plebe videbar, indicium tectae nobilitatis erat. (lacuna)

Teil 3 (89–104): Wartezeit in Troja interea – credo versis ad prospera fatis – regius adgnoscor per rata signa puer. laeta domus nato post tempora longa recepto est, addit et ad festos hunc quoque Troia diem. utque ego te cupio, sic me cupiere puellae; multarum votum sola tenere potes! nec tantum regum natae petiere ducumque, sed nymphis etiam curaque amorque fui. quas super Oenones facies mirarer in orbe? nec Priamo fuerat dignior ulla nurus. sed mihi cunctarum subeunt fastidia, postquam coniugii spes est, Tyndari, facta tui. te vigilans oculis, animo te nocte videbam, lumina cum placido victa sopore iacent. quid facies praesens, quae nondum visa placebas ? ardebam, quamvis hic procul ignis erat,

Teil 2 (53–88): Das Urteil est locus in mediis nemorosae vallibus Idae devius et piceis ilicibusque frequens, qui nec ovis placidae nec amantis saxa capellae nec patulo tardae carpitur ore bovis, hinc ego Dardaniae muros excelsaque tecta et freta prospiciens arbore nixus eram. ecce! pedum pulsu visa est mihi terra moveri – vera loquar veri vix habitura fidem: constitit ante oculos actus velocibus alis Atlantis magni Pleïonesque nepos ‒ fas vidisse fuit, fas sit mihi visa referre! – inque dei digitis aurea virga fuit. tresque simul divae, Venus et cum Pallade Iuno, graminibus teneros inposuere pedes. obstipui gelidusque comas erexerat horror, cum mihi „pone metum!“ nuntius ales ait, „arbiter es formae; certamina siste dearum, vincere quae forma digna sit una duas!“ neve recusarem, verbis Iovis imperat et se protinus aetheria tollit in astra via. mens mea convaluit subitoque audacia venit nec timui vultu quamque notare meo. vincere erant omnes dignae iudexque querebar non omnes causam vincere posse suam. sed tamen ex illis iam tunc magis una placebat, hanc esse ut scires, unde movetur amor. tantaque vincendi cura est: ingentibus ardent iudicium donis sollicitare meum. regna Iovis coniunx, virtutem filia iactat; ipse potens dubito fortis an esse velim. dulce Venus risit; „nec te, Pari, munera tangant utraque suspensi plena timoris!“ ait; „nos dabimus, quod ames, et pulchrae filia Ledae ibit in amplexus pulchrior illa tuos!“ dixit, et ex aequo donis formaque probata victorem caelo rettulit illa pedem.

Teil 4 (105–124): Bau der Flotte und Abfahrt nec potui debere mihi spem longius istam, caerulea peterem quin mea vota via. Troia caeduntur Phrygia pineta securi quaeque erat aequoreis utilis arbor aquis. ardua proceris spoliantur Gargara silvis innumerasque mihi longa dat Ida trabes. fundatura citas flectuntur robora naves, texitur et costis panda carina suis. addimus antennas et vela sequentia malos; accipit et pictos puppis adunca deos. qua tamen ipse vehor, comitata Cupidine parvo sponsor coniugii stat dea picta sui. inpositas est factae postquam manus ultima classi, protinus Aegaeis ire lubebat aquis ‒ at pater et genetrix inhibent mea vota rogando propositumque pia voce morantur iter; et soror, effusis ut erat, Cassandra, capillis, cum vellent nostrae iam dare vela rates, „quo ruis?“ exclamat, „referes incendia tecum! quanta per has nescis flamma petatur aquas!“ Teil 5 (125–144): Sparta. Begegnung mit Helena vera fuit vates; dictos invenimus ignes et ferus in molli pectore flagrat amor. portubus egredior ventisque ferentibus usus applicor in terras, Oebali nympha, tuas, excipit hospitio vir me tuus ‒ hoc quoque factum non sine consilio numinibusque deum: ille quidem ostendit, quidquid Lacedaemone tota ostendi dignum conspicuumque fuit, sed mihi laudatam cupienti cernere formam lumina nil aliud, quo caperentur, erat. ut vidi, obstipui praecordiaque intima sensi attonitus curis intumuisse novis. his similes vultus, quantum reminiscor, habebat, venit in arbitrium cum Cytherea meum. si tu venisses pariter certamen in illud, in dubium Veneris palma futura fuit! magna quidem de te rumor praeconia fecit nullaque de facie nescia terra tua est; nec tibi par usquam Phrygia nec solis ab ortu inter formosas altera nomen habet.

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Peter v. Möllendorff Und doch ist es kein Wunder, wenn ich verliebt bin, ich muß ja, /denn vom Bogen geschnellt traf mich von fern das Geschoß. / So entschied das Geschick. Versuche das nicht zu vereiteln! / Höre, was man erzählt, wie es der Wahrheit entspricht! / Als mich der / Mutterschoß noch barg, die Geburt sich hinauszog / und auf den schwangeren Bauch drückte die zeitige Last, / schien ihr, es komme, in eines Albtraums Bild, eine Fackel / feuerspeiend hervor aus ihrem schwangeren Schoß. / Angstvoll fährt sie auf und des Nachtdunkels grause Gesichte / teilt sie dem Greis Priamus, jener den Sehern sie mit. / Ilion brenne einst, kündet der Seher, vom Feuer des Paris: / Das war des Herzens Brand, so wie er jetzt mich verzehrt. (Größere Lücke) Schönheit und Geisteskraft, wenn ich auch aus dem Volke zu sein schien, / waren ein Fingerzeig heimlicher Adelsgeburt. (Lücke) / Und in Jupiters Namen verbietet er mir, mich zu weigern, / hebt sich auf luftiger Bahn gleich zu den Sternen hinan. / Langsam faßte ich mich und plötzlich wurde ich kecker, / musterte mit meinem Blick jede genau ohne Scheu. / Alle verdienten den Sieg und als Richter beklagte ich mehrmals, / daß in keinem Prozeß jeder gewinnt vor Gericht. / Doch schon damals gefiel mir die eine am besten von allen, sie, damit du es weißt, welche die Liebe erregt. / Und der Ehrgeiz zu siegen ist groß: Mit gewaltigen Gaben / werben sie voller Fleiß um meines Richterspruchs Gunst. / Juno empfiehlt mir die Macht, die Tapferkeit preist ihre Tochter, / selber schwanke ich: Geht Macht oder Tapferkeit vor? / Venus lächelte süss und sagte: „Auf solche Geschenke, / Paris, fall nicht herein, beides bringt Sorgen und Pein. / Mein Geschenk kannst du lieben: Die Tochter der reizenden Leda, / selber noch schöner als die, wirft sich dir an deine Brust.“ / Sprach’s, und da mich Gaben wie Schönheit gleich überzeugten, / kehrte sie siegreich darauf wieder zum Himmel zurück. / Mittlerweile, das Schicksal wandte sich, glaub ich, zum Guten, /werd ich als Prinz anerkannt, sicheren Zeichen gemäß. / Froh ist das Haus, daß der Sohn nach langer Zeit wieder heimkehrt, / Troja fügt diesen Tag zu seinen Festen hinzu. / So wie ich jetzt für dich schwärme, umschwärmten mich damals die Mädchen, / was sich gar manche ersehnt, kannst du jetzt haben ‒ allein! / Nicht nur Königs- und Fürstentöchter liefen mir nach, nein, / Nymphen schenkten sogar mir ihre Liebe und Gunst. / Welche Gestalt auf der Welt hätt ich tiefer verehrt als Oenones? / Und für des Priamus Haus war sie die würdigste Braut. / Doch überkommt mich der Ekel an allen, seit mir die Hoffnung / auf eine Ehe gekeimt, Tyndareus’ Tochter, mit dir! / Dich erblickt ich im Wachen vor mir, bei Nacht mit dem Geiste, / wenn der Schlummer sich sanft über die Augen gesenkt. / Wie erst, wenn du erscheinst, wo du ungesehn schon entzücktest? / Lange brannte ich schon, war auch das Feuer noch fern. / Tief in den Tälern des waldreichen Ida liegt eine Stätte, / abseits vom Weg, dicht stehn Fichten und Eichen ringsum, / wo nicht das friedliche Schaf, nicht die felsenliebende Ziege, / nicht die bedächtige Kuh, breitmäulig, Gräser sich rupft. / Auf Dardanias Mauern und seine hochragenden Dächer / blickt ich von hier und aufs Meer, an einen Baumstamm gelehnt. / Siehe, da schien mir der Boden vom Stampfen von Füssen zu beben. / Was ich nun sage, ist wahr, traust du der Wahrheit auch kaum: / Vor meinen Augen erschien der Enkel des Atlas, des Riesen, / und der Pleione; ihn trieb hurtiger Flügelschlag her, / – sehen durfte ich ihn; was ich sah, sei erlaubt zu berichten – / und in des Gottes Hand blinkte der goldene Stab. / Und drei Göttinnen noch, mit Pallas Venus und Juno, / setzten den zarten Fuß dort auf den Rasen zugleich. / Ich erstarrte, der kalte Schauer sträubte die Haare, / doch der geflügelte Gott kündet mir: „Laß deine Angst! / Sei du Richter der Schönheit und schlichte der Göttinnen Wettstreit: / Welche von ihnen verdient dank ihrer Schönheit den Sieg?“ Und ich konnte mir diesen Wunsch nicht länger versagen, / daß ich auf blauem Pfad mir das Ersehnte gewann. / Pinien werden gefällt mit dem Beil im phrygischen Troja, / und was an Bäumen noch sonst brauchbar im Meerwasser ist. / Gargaras Hänge werden entblößt ihrer ragenden Wälder, / Idas Gebirgszug gibt zahllose Balken mir her. / Hartholz wird zum Gerippe der schnittigen Schiffe gebogen, / und in den bauchigen Kiel passen die Spanten sich ein. / Rahen und Segel bringen wir an, als die Masten schon stehen, / und das gekrümmte Heck wird noch mit Göttern bemalt. / Auf meinem eigenen Schiff, begleitet vom kleinen Cupido, / steht die Göttin gemalt, die deine Hand mir verbürgt. / Als die letzte Hand an den Bau der Flotte gelegt war, / lockte sogleich mich die Fahrt

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übers ägäische Meer. / Vater und Mutter wehren indes meinen Wünschen mit Bitten, / und ihr gütiges Wort hält meinen Reiseplan auf. / Auch die Schwester Cassandra mit ihren fliegenden Locken, / als unsre Schiffe bereits Segel aufziehen zum Start, / schreit: „Wohin eilst du? Du bringst eine Feuersbrunst mit dir nach Hause, / weißt nicht, welch riesigen Brand über das Wasser du holst!“ / Wahr war der Seherin Spruch; ich fand das verheißene Feuer. / Wild brennt die Liebeslust in der empfindsamen Brust. / Fort aus dem Hafen fahr ich, befördert von günstigen Winden land ich in diesem Land, Nymphe aus Oebalus’ Stamm! / Gastlich nimmt dein Mann mich auf ‒ auch dieses geschah nicht / ohne der Götter Rat, ohne der Götter Geheiß. / Alles führte er mir zwar vor, was in ganz Lacedaemon / wert ist, daß man es zeigt, und was da sehenswert war. / Doch da ich nur die gepriesene Schönheit zu sehen begehrte, / hatte ich Augen für nichts, was es zu sehen sonst gab. / Als ich dich sah, erstarrte ich, fühlte verzückt, daß zuinnerst / Kummer mein Herz wie noch nie mir zu erregen begann. / Ähnlich nach meiner Erinnerung waren die Züge den deinen, / als Cytherea erschien vor meinem Schiedstribunal. / Wärst du zusammen mit ihr zu jenem Wettstreit gekommen, / hätte Venus gebangt, ob sie den Palmzweig gewinnt. / Groß war wahrhaftig dein Ruhm, der in aller Welt sich herumsprach, / und es gibt kein Land, das deine Schönheit nicht kennt. Nirgends kommt eine dir gleich von den schönen Frauen in Phrygien / oder im Osten der Welt, weder an Schönheit noch Ruhm.

Paris’ Brief ist in der Sammlung ein novum. Hier geht keine gemeinsame Liebesgeschichte voraus – noch nicht einmal so wenig Geschichte wie bei Acontius und Cydippe –, es geht nicht darum, Treue und Wiederkehr einzufordern, sondern der Zweck des Briefes ist allein Eroberung. Die Erzählung muss folgerichtig diesem Zweck dienen, nämlich die Werbung zu unterstützen. Dabei stehen aber nun, da eine gemeinsame Vorgeschichte fehlt, die narrativen Funktionen der Pathoserzeugung ebenso wie der Verweis auf zu erinnernde Verdienste nicht zur Verfügung. Entsprechend widmet sich Paris’ gesamter Brief vor allem Affirmationen bezüglich einer gemeinsamen Zukunft, und das zeigt, wie schwierig es ist, in diesem Brief Erzählung überhaupt einzusetzen, da sich Narration nun einmal prinzipiell einer Vergangenheit widmet. Tatsächlich stellt in den vorangehenden Briefen die Erzählung eine Form von emotional aufgeladener Gemeinsamkeit her; sie legt diese Vergangenheit als definitiv gemeinsame Geschichte fest, deren Folgen und Verpflichtungen sich der Adressat nicht entziehen darf und kann, weshalb sie ihm quasi erinnerungsfertig serviert wird. Dies ist für Paris und Helena nicht der Fall – und so hat man bis zum 15. Jahrhundert, in dem die Verse 16,39–144 zum ersten Mal in Drucken und von ihnen abhängigen Handschriften erschienen, ihr Fehlen nicht bemerkt; dies liegt auch daran, dass die vorangehenden und folgenden Verse 38 und 145 vorzüglich miteinander verknüpft sind.12 Gleichwohl ist auch die neueste Forschung davon überzeugt,13 dass der gesamte Passus von Ovid stammt und letztlich über eine verborgene und später auch verschwundene Seitenlinie durch Glück wieder integriert wurde. Inhaltlich bietet die Erzählung Paris’ eigene, quasiautobiographische Vergangenheit von ersten Prophezeiungen vor seiner Geburt 12 Vgl. bereits Kraus (1982) 278f. 13 Für ihre Echtheit plädieren Kenney (1996) 20‒26 und (1999), Holzberg (1997) 94. Vgl. ausführlich Kraus (1982) 281f. und Heyworth 2016. Zur Diskussion scheinbarer metrischer Anstöße und der Unmöglichkeit, hieraus entscheidende Argumente für eine Unechtheit der Briefe zu ziehen, vgl. Ceccarelli (2014). Für die hier verhandelten Fragen spielt die Frage nach der Autorschaft im Übrigen keine Rolle.

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bis zu seiner Begegnung mit Helena, und sie versucht zu zeigen, dass diese Begegnung von Beginn an göttlich gewollt, ja arrangiert war: Daher deutet Paris Hecubas Traum von der Geburt einer brennenden Fackel (45–50) gegen die Auffassung der Seher als Symbol seiner glühenden Liebe zu Helena, deshalb natürlich erzählt er auch vom berühmten Urteil auf dem Ida, schließlich von seinem ungeduldigen Warten in Troja, seiner Fahrt nach Sparta und dort der schicksalhaften Begegnung mit der ihm von Venus versprochenen Frau. Das argumentativ stärkste Motiv in dieser Erzählung ist natürlich das ‚Paris-Urteil‘ (16,53–88). Umso mehr muss daher auffallen, dass dieser Teil der Erzählung mit 35 Versen gerade nur einmal ein Drittel der Narration füllt; dieser Proporz wird noch geringer, wenn man sich die oben im Text indizierte lacunae im ersten Teil ausgefüllt denkt. Demgegenüber erhält Paris’ Leben davor und danach zusammengenommen mehr Raum, nämlich mindestens 66 Verse. Betrachtet man zudem die Gliederung der Erzählung genauer, so zeigt sich, dass die Teile 1‒3‒5 ein narratives Kontinuum biographischer Stationen durativer Natur bilden: Paris’ Jugend und seine Exilierung auf den Ida – nach seiner Rückkehr die Wartezeit in Troja – Ankunft und Aufenthalt in Sparta. Währenddessen erzählen die Teile 2 und 4 zwei für sich genommen punktuelle Momente, die jene drei Stationen voneinander trennen, also die jeweils vorangehende Phase beenden: das Urteil (2) und dann der Schiffsbau (4). Warum diese Bemühung um dispositorische Symmetrie? Gibt es so, wie die Teile 1, 3 und 5 miteinander verknüpft sind, auch Verbindendes oder Vergleichbares zwischen den Teilen 2 und 4? Und warum wird – über seine beschriebene formale Funktion hinaus – Teil 4, die Beschreibung des Flottenbaus, überhaupt so stark ausgedehnt, ohne dass man ihren narrativen Wert ad hoc einsehen würde? Würde man nicht überhaupt spontan denken, dass Teil 2 das Zentrum der Erzählung einnehmen sollte, wo es doch die eigentliche Begründung für Paris’ Werbung um Helena enthält? Und würde man sich in diesem Bericht selbst nicht auch etwas mehr Spannung und Intensität wünschen, um Paris’ Werbung mehr Dramatik und Emotionalität zu verleihen, wie wir sie in einigen der Einzelbriefe gesehen haben? Wider Erwarten ist aber die Urteils-Erzählung in diesem Teil geradezu unprätentiös. Paris’ Erschrecken beim plötzlichen Erscheinen von vier Göttern – obstipui gelidusque comas erexerat horror (67) – ist eher topisch gestaltet, Merkurs Aufforderung, der formae arbiter (69) der drei Göttinnen zu werden, bleibt ohne Angabe eines Grundes und operiert stilistisch mit der gelangweilten Wiederholung quae forma digna sit (70), und schließlich wird auch das eigentliche Urteil selbst geradezu narrativ verschleiert, was angesichts von Ovids genereller Freude an lasziven Schilderungen erst recht erstaunt: Denn die Konfrontation mit den Göttinnen bleibt auffällig unscharf, der Rezipient ebenso wie die binnenfiktionale Leserin des Briefes erhalten keinen genaueren Blick auf sie, was umso mehr auffällt, als in v. 74 Paris den visuellen Prüfakt ja besonders hervorhebt: nec timui vultu quamque notare meo. Ovid scheut sich sonst nicht, ins körperlich-sexuelle Detail zu gehen, hier aber beschränkt er sich auf einen nichtssagenden Halbvers: vincere erant omnes dignae (75). Noch kürzer und distanzierter berichtet Paris schließlich in v. 87f. von seiner Entscheidung, wenn es nach Venus’ Versprechen ihres Geschenks lapidar heißt:

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Dixit, et ex aequo donis formaque probata / victorem caelo rettulit illa pedem. Häuptlis Übersetzung verunklart, dass im lateinischen Satz Paris weder als Subjekt noch als Objekt erscheint; ich vermag mir nicht vorzustellen, wie man diesen essentiellen Augenblick – er ist es doch, der die gesamte Paris-Helena-IliasHandlung hervorbringt! – noch knapper, noch desinteressierter, noch unbeteiligter hätte formulieren können.14 Noch mehr aber fällt auf, dass vorher den präzisen Geschenkversprechungen der drei Göttinnen mit acht Versen (79–86) doppelt so viel Raum gegeben wird wie der gänzlich unkonkreten Erwähnung ihrer Schönheit (75–78); und im entscheidenden Distichon sind mit donis formaque die Geschenke der Schönheit nicht nur gleichgestellt, sondern werden sogar an erster Stelle genannt. Erstaunlich ist also weniger, dass Paris als bestechlicher Richter agiert, als vielmehr, dass er in seiner Erzählung auch nicht den geringsten Versuch unternimmt, diese Tatsache zu verschleiern. Denn er sagt zwar, dass ihm Venus zwar schon irgendwie magis placebat (77), entscheidend ist aber ihr Geschenk: Nach den Versprechungen von Iuno und Minerva nämlich zögert er noch (ipse potens dubito fortis an esse velim: 82, Venus scheint kurzfristig vergessen), nach Venus’ Versprechen aber ist die Entscheidung dann ohne weiteres gefallen (87). Letztlich erklärt er mit seiner ganzen Erzählung nichts anderes, als dass Helena ihm zusteht. Statt einer Werbung trägt er hier also einen Anspruch vor. Helena gehört ihm, und er ist gekommen, um sich seinen Besitz abzuholen. Implizit ist das Paris-Urteil als kühl kalkulierte Entscheidung charakterisiert. Denn im weiteren Verlauf des Briefes wird Paris nicht müde auszuführen, inwiefern er als ‚tapferer Königssohn‘ sowohl über Macht (potens) als auch über Tapferkeit (fortis) bereits sozusagen von selbst verfügt. Die schönste aller Frauen ist da offensichtlich nur eine willkommene Ergänzung. Aber wie gesagt: Auffällig ist nicht so sehr, dass Paris so denkt. Auffällig ist im Sinne einer Werbestrategie vielmehr, dass er es so offen zu erkennen gibt. Wie verhält sich zu all dem die, wie eben gezeigt, dispositorisch zur UrteilsSzene in Parallele gestellte Ekphrasis des Schiffsbau? Meines Erachtens unterstützt ihre Gestaltung die obigen Überlegungen. Die Schilderung des Flottenbaus besitzt nämlich genau die Anschaulichkeit, die wir beim ‚Urteil‘ vermisst haben. Der Anblick der Göttinnen bleibt ‚ungesagt‘, aber der Bau der Flotte wird detailliert beschrieben. Polemisch formuliert: Das Corpus der Schiffe wird eingehend beschrieben, während die Corpora der Göttinnen überhaupt nicht visualisiert werden. Eine Flotte nur für die Ausfahrt auf Brautschau bauen zu können und es auch zu tun macht deutlich, dass für Paris entschieden materielle Interessen im Vordergrund seines Denkens stehen. Ausführlich wird er, wenn es um Geschenke und um Besitz geht, und so ist auch Helena für ihn deshalb wertvoll, weil sie ihm ge14 Gleichwohl ziehe ich insgesamt Häuptlis Übersetzung der neuen von Hoffmann, Schliebitz und Stocker (2015) vor, die in Prosa verfasst ist – das empfinde ich grundsätzlich als einen Verlust, ohne daher einer rigiden Metrisierung das Wort reden zu wollen, und an dieser Stelle etwa formulieren die Übersetzer noch weitschweifiger als Häuptli: „[…] mit ihrem Geschenk und in ihrer Schönheit gleichermaßen anerkannt […].“ Das Prosa-Argument betrifft auch die fast gleichzeitig erschienene Neuübersetzung von Heinze (2016), der die vorliegende Stelle allerdings treffender übersetzt.

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hört. Es interessiert ihn ihre Existenz als schöner Besitz, nicht ihre wirkliche Schönheit, und entsprechend ist er ja auch schon „verliebt“ (und setzt, plump genug, zur Bekundung seines Anspruchs in v. 115f. ein Bild von Cupido als Bugfigur ein), ohne den Gegenstand seines Begehrens je gesehen zu haben; nebenbei sei darauf hingewiesen, dass dies exakt die am. 1,1 zugrundeliegende Denkfigur ist.15 Wenn gemäß dem alten Leitsatz qualis oratio talis vita Paris seinen Materialismus deutlich gemacht hat, nicht zu reden von seiner prahlerischen Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mahnungen und flehentlichen Bitten seiner Angehörigen in vv. 119–124 und gegenüber den Geboten der Gastfreundschaft im Umgang mit Menelaos, dann sollte man also meinen, dass er sich mit dieser Rede wahrlich keinen Gefallen getan hat. Im letzten Schritt muss daher analysiert werden, wie Helena auf diese Narration reagiert; denn es geht hier ja um „Erzählen im Dialog“. Am explizitesten ist eine solche Reaktion in 17,115–136 zu erkennen. Dort operiert Helena mit einem apagogischen Beweisverfahren: at Venus hoc pacta est et in altae vallibus Idae tres tibi se nudas exhibuere deae, unaque cum regnum, belli daret altera laudem, „Tyndaridis coniunx“, tertia dixit, „eris!“ credere vix equidem caelestia corpora possum arbitrio formam supposuisse tuo, utque sit hoc verum, certe pars altera ficta est, iudicii pretium qua data dicor ego. non est tanta mihi fiducia corporis, ut me maxima teste dea dona fuisse putem. contenta est oculis hominum mea forma probari; laudatrix Venus est invidiosa mihi, sed nihil infirmo; faveo quoque laudibus istis ‒ nam mea vox quare, quod cupit, esse neget? nec tu succense nimium mihi creditus aegre, tarda solet magnis rebus inesse fides. prima mea est igitur Veneri placuisse voluptas; proxima, me visam praemia summa tibi, nec te Palladios nec te Iunonis honores auditis Helenae praeposuisse bonis. ergo ego sum virtus, ego sum tibi nobile regnum! ferrea sim, si non hoc ego pectus amem. Doch das hat Venus bestimmt; in den Schluchten des Idagebirges / stellten die Göttinnen sich nackt deinen Augen zur Schau. / Eine versprach dir ein Reich, den Ruhm des Krieges die andre, / „Tyndareus’ Tochter wird dir,“ sagte die dritte, „vermählt.“ / Allerdings kann ich kaum glauben, es hätten himmlische Wesen, / wenn es um Schönheit ging, sich deinem Urteil gebeugt. / Nehmen wir an, das sei wahr, ist das übrige sicher erfunden, / dass ich als Preis des Entscheids selber verschenkt werden soll. / So viel bilde ich mir auf den Körper nicht ein, dass ich dächte, / da eine Göttin es sagt, sei ich das größte Geschenk. / Wenn meine Schönheit vor menschlichen Augen besteht, so genügt’s mir, / dass eine Venus mich lobt, ziemlich verdächtig ist das! / Aber ich sag nichts dagegen, auch dieses Lob kann mir recht sein, / wes15 Vgl. insbesondere am. 1,1,21–26.

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halb sollte mein Wort ablehnen, was es sich wünscht? / Übel darfst du’s nicht nehmen, wenn ich dir nicht alles gleich glaube. / Ist ein Vorhaben groß, geht die Entscheidung nicht rasch. / Erstens freu ich mich also, der Venus gefallen zu haben, / zweitens, daß ich dir schien Krönung des Wettstreits zu sein, / und du nicht Pallas’ noch Junos Ehrungen vorziehen wolltest, / sondern für Helenas Hand ausschlugst, was sonst man dir bot. / Gleich viel gelt ich dir also wie Tugend, wie adlige Herrschaft; / eisern wäre mein Herz, wär ich in dich nicht verliebt.

119f. stellt die Situation als solche infrage und bezeichnet sie als extrem unwahrscheinlich.16 In vv. 121f. unterstellt sie Paris, zumindest den Teil mit der Belohnung erfunden zu haben (ficta: 121). Aber dennoch gefällt ihr das darin liegende Lob (127f.: Paris lügt, aber er lügt bezaubernd). Helena begnügt sich also sehr absichtsvoll mit der fiktionalen Qualität des Kompliments; auch sie bevorzugt mithin den äußeren Schein vor der Substanz, deren Abwesenheit sie durchschaut. Dies aber zeigt dann, dass letztlich Paris’ Rede eben doch rhetorisch gelungen, das heißt: der Adressatin angemessen ist. Dass nämlich offenkundig auch Helena ein solches Verhältnis unter eher materialistischen Gesichtspunkten betrachtet, wird pointiert in 17,109f. deutlich: ut tamen optarem fieri tua Troica coniunx, invitam sic me nec Menelaus habet. Dennoch wünschte ich mir, deine troische Gattin zu werden, / schätz ich es auch, die Frau von Menelaus zu sein.

Helena fände es gut, sowohl die Gattin des Menalaos als auch die des Paris zu sein – von reiner und also ausschließlicher Liebe ist hier keine Rede. Auch eine Erzählung innerhalb eines Dialogs muss also, wie die gesamte Argumentation, stark auf den Adressaten abgestimmt sein, und das ist für das Erkenntnisziel dieses Bandes besonders interessant: Denn wir müssen sonst den strategischen Leser von Erzählungen meist erst konstruieren – hier kennen wir ihn, und hier erfahren wir mehr als jemals sonst über seine eigenen Beweggründe, in bestimmter Art und Weise mit der Erzählung umzugehen. In diesem Fall sind sogar nicht nur Motive, sondern ist die gesamte Disposition und Struktur der Binnenerzählung auf die eine Leserin, Helena, abgestellt. Inhalt und Modus der Erzählung im Dialog sagen uns also etwas über den Erzähler und über den Empfänger. Paris zeigt einerseits, dass sein ganzes Leben letztlich auf seine Begegnung mit Helena zugelaufen ist, andererseits gibt er seiner Werbung die Charakteristik von Leere und Materialismus. Helena wiederum verhält sich wie eine elegische puella; ihr Materialismus passt zu dieser Rolle bekanntlich perfekt.17 Von daher fügen sich dann auch die Anekdoten über ihrer beider Verhalten beim Symposion perfekt in das Gesamtbild ein, das die Interpreten schon immer an Amores 1,4 erinnert hat.18 Folgendes ist dabei allerdings zu erwägen: In der genuin elegischen Dichtung präsentiert sich der amator als jemand, der von der puella ausgebeutet wird, der nicht über große Mittel verfügt, dafür aber innere Werte besitzt, weil er 16 Das wiederholt sie in v. 243. 17 Zur elegischen Einfärbung des Briefwechsels – gewissermaßen eine Elegie avant la lettre – vgl. kurz bereits Kenney (1996) 5. 18 Her. 16,75–90; vgl. bereits Kraus (1982) 279f.; Ford (1966).

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ein poeta ist; er sieht die puella als seine domina, er beschwört eine Lebensform der Liebe, er sieht sich selbst als den servus der puella; es sei daran erinnert, dass sich im letzen Briefpaar Acontius, wenn auch zur Unzeit, als ein solcher elegischer amator präsentierte. In diesem ersten Briefpaar greifen wir hingegen mit Paris einen Liebhaber, der in jeder einzelnen dieser Hinsichten das genaue Gegenteil eines elegischen amator darstellt.19 Er verhält sich vielmehr genau wie jener vir, über dessen Konkurrenz der elegische amator stets zu klagen pflegt, nämlich wie ein Käufer von Liebe, zu dem aber eine puella wie Helena mit ihrer Koketterie und Hinhaltetaktik, einer raffinierten Mischung aus Zurückweisung und Verführung, aufs Beste passt.20 Ähnlich wie auch in den beiden anderen Briefpaaren wird im Briefwechsel zwischen Paris und Helena der elegische Diskurs extrem strapaziert und letztlich ad absurdum geführt. Hieran hat die Narration einen wesentlichen Anteil, der über die beiden narrativen Modi, die wir bei den Einzelbriefen vorfanden – die Erzeugung von Pathos und die Stiftung von Erinnerung –, deutlich hinausgeht. Schufen die komplementären Erzählungen in Leanders und Heros Briefen eine Atmosphäre der intimen Verbundenheit des Paars, diente Cydippes Erzählung der Suggestion und Andeutung, so ergänzt Paris’ Erzählung seine auf die Zukunft gerichteten Versprechungen durch eine kleine Autobiographie, die Helena zeigt, mit wem sie es da als Liebhaber zu tun haben wird, und legt damit implizit den späteren materialistischen Charakter ihres Verhältnisses fest. Die generische Innovation der Doppelbriefe hat es Ovid offensichtlich ermöglicht, auch der ‚Erzählung im Dialog‘ eine ganze Palette neuer Wirkungsfacetten hinzuzufügen. LITERATURVERZEICHNIS Ceccarelli (2014): Lucio Ceccarelli, „Note sul distico delle Heroides doppie. Contributo alla discussione sull’autenticità“, Materiali e discussioni per l’analisi dei testi classici 73, 25‒67. Drinkwater (2013): Megan O. Drinkwater, „An amateurs’ art: Paris and Helen in Ovid’s Heroides“, Classical Philology 108, 111–125. Ford (1966): G.B. Ford, „An analysis of Amores i.4“, Helikon 6, 645–652. Häuptli (1995): Bruno W. Häuptli, Publius Ovidius Naso. Liebesbriefe. Heroides – Epistulae, lat.dt., hg. u. übers. v. B.W.H., Darmstadt. Heinze (2016): Theodor Heinze, Ovid. Briefe von Heroinen. Lateinisch und Deutsch, Darmstadt 2016. Heyworth (2016): S. J. Heyworth, „Authenticity and other textual problems in Heroides 16“, in: R. Hunter und S.P. Oakley (Hgg.), Latin literature and its transmission: papers in honour of Michael Reeve, Cambridge u. a., 142–170.

19 Anders Kennedy (2002) 227. 20 Zu ihrer Selbstformung als elegischer puella passt auch, dass sie sogar die Rolle einer praeceptrix amoris übernimmt; vgl. Drinkwater (2013), Wood (2013/14). Zu einem diesbezüglichen möglichen metagenerischen Überbau vgl. Mazurek (2006). Grundlegend zu den Heroides als Elegien Spoth (1992).

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Hoffmann, Schliebitz und Stocker (2015): Detlev Hoffmann, Christoph Schliebitz und Hermann Stocker, P. Ovidius Naso. Heroides. Briefe der Heroinen. Lateinische und Deutsch, Stuttgart 2015. Holzberg (1997): Niklas Holzberg, Ovid. Dichter und Werk, München. Kennedy (2002): Duncan F. Kennedy, „Epistolarity: the Heroides“, in: P. Hardie (Hg.), The Cambridge Companion to Ovid, Cambridge, 217–232. Kenney (1996): E.J. Kenney, Ovid. Heroides XVI‒XXI, Cambridge 1996 Kenney (1999): E.J. Kenney, „Ut erat novator: Anomaly, Innovation and Genre in Ovid, Heroides 16‒21“, in: J.N. Adams, R.G. Mayer (Hgg.), Aspects of the Language of Latin Poetry, Oxford 1999, 399‒414. Kraus (1982): Walther Kraus, „Die Briefpaare in Ovids Heroides“, in: M. v. Albrecht und E. Zinn (Hgg.), Ovid, Darmstadt [= Wiener Studien 65, 54–77]. Mazurek (2006): Elizabeth F. Mazurek, „Elegy and epic and the recognition of Paris: Ovid Heroides 16“, Arethusa 29, 47–70. Spoth (1992): Friedrich Spoth, Ovids Heroides als Elegien, München. Wood (2013/14): Tracy J. Wood, „Didactic Helen: Ovid’s praeceptrix and Euripidean protoelegy“, Classical Journal 109, 257–279.

DIE LIEBESGESCHICHTE IM EROTIKÓS DES PLUTARCH Dialogstruktur und Charakterzeichnung Anna Ginestí Rosell 1. EINLEITUNG Der Erotikós von Plutarch ist ein philosophischer Dialog, in dem zwei literarische Traditionen zusammengeführt werden: die platonischen Schriften über die philosophische Kraft des Eros und die antiken Traktate über die Ehe.1 Die Inszenierung des Dialogs umfasst eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, die sich parallel zum philosophischen Gespräch entwickelt und immer wieder Einfluss darauf ausübt. Diese Liebesgeschichte hat nicht nur eine Verbindung zum Inhalt des Gesprächs;2 sie spielt sogar eine wesentliche Rolle in der Gestaltung des Dialogs. Im Folgenden soll diese Wechselwirkung näher betrachtet werden. 2. NARRATOLOGISCHE STRUKTUR Der Erotikós ist in Anlehnung an die traditionelle Dreiteilung des platonischen Dialogs ein gemischter, also ein diegetischer Dialog mit einem mimetischen Erzählrahmen. In diesem Rahmen, der nur das erste Kapitel umfasst und danach gänzlich in den Hintergrund tritt, werden interner Erzähler und Adressat vorgestellt. Erzähler ist Autobulos, ein Sohn Plutarchs,3 sein Adressat ist ein gewisser Flavianus, der als Sprecher einer Zuhörergruppe fungiert.4 Autobulos berichtet über eine Unterhaltung, die vor vielen Jahren auf dem Helikon stattgefunden habe. Er

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Eine allgemeine Einleitung zum Erotikós bei Görgemanns (2011) 3–43. Sowohl der griechische Text als auch die Übersetzungen ins Deutsche, die in diesem Aufsatz zitiert werden, stammen aus Görgemanns (2011). Siehe Effe (2002), Frazier (2005b), Frazier (2006). Laut Ziegler war Autobulos nicht Plutarchs ältester Sohn, jedoch einer von zweien, die das Erwachsenalter erreicht haben sollen. Autobulos wird in den Schriften Plutarchs als gelehrter und philosophisch interessierter Mann dargestellt (Ziegler [1951] 642–651). Über die anderen Zuhörer werden keine anderen Informationen als die bloße Anwesenheit vermittelt (748F: πάντες οἱ πρὸς τὴν ἀκρόασιν ἥκοντες). Das Wort ἀκρόασιν könnte auf einen öffentlichen Vortrag hindeuten, der Kontext eines solchen Vortrags bleibt jedoch wenig konkret. Ein Römer als Zuhörer und Adressat ist bei Plutarch nicht unüblich, siehe z. B. Socius Senecio als Adressat der Parallelviten und der Symposiaká.

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selbst war zwar nicht anwesend, aber sein Vater (Plutarch).5 Aus Gesprächen mit seinem Vater und durch mehrmaliges (πολλάκις) Nachfragen hat Autobulos diese Unterhaltung rekonstruiert und berichtet jetzt dem interessierten Publikum darüber.6 Einige Signale in dieser Einleitung deuten auf Fiktionalität hin. Erstens verweist diese Erzählkette auf bestimmte platonische Dialoge als Folie, die ähnliche Einleitungen enthalten – z. B. Theaitetos oder Symposion. Zweitens besteht eine große zeitliche Distanz zwischen der dramatischen Zeit des Gesprächs und seinem Bericht, da das Gespräch kurz nach der Hochzeit Plutarchs datiert, also als der Erzähler Autobulos noch gar nicht geboren war.7 Die Tradierung in dieser langen Zeitspanne basiert auf direkten (i. e. Plutarch) und indirekten (i.e. Autobulos) Erinnerungen; dabei sind alle Arten von Lücken, Veränderungen und Verschiebungen denkbar. Ein weiteres Fiktionalitätssignal ist die Figur des Erzählers selbst. Dadurch, dass er aus zweiter Hand berichtet, kann er nicht für die Echtheit des Berichts bürgen. Eine diesbezügliche Verantwortung kann folglich nur außerhalb des diegetischen Rahmens liegen. Auch wenn dem Leser eine Deutung der Figur des Vaters als Plutarch, also des Autors des Dialogs, nahegelegt wird, dient dieser Identifikationshinweis keineswegs der Beglaubigung des Berichts. Zuletzt sind noch mehrere Elemente in der Einleitung zu erwähnen, die den darauffolgenden Bericht mit den Musen verbinden und ihn damit in den Bereich der Dichtung stellen. Erstens dient das Heiligtum der Musen auf dem Helikon als Ort des Gesprächs. Zweitens vergleicht der Erzähler den Anlass des Gesprächs mit einem Drama, welches Chor und Bühne benötige. Drittens leitet Autobulos vom Vorgespräch zum Bericht mit einem Musenanruf über und spricht selbst von einem μῦθος.8 Der Bericht des Autobulos bildet die zweite Erzählebene, die aus einer doppelten Erzählung besteht.9 Auf der einen Seite gibt es die Narration um Plutarch und seine Freunde, die das philosophische Gespräch durchführen. Auf der anderen Seite wird eine Liebesgeschichte erzählt, die wiederum dieses philosophische Gespräch beeinflusst. Beide Erzählungen entwickeln sich parallel im Laufe des Dialogs und kreuzen sich an wenigen konkreten Stellen. Der Fokus des Erzählers liegt auf der Narration des Gesprächs über Eros. Räumlich bewegt er sich ebenfalls mit der Gruppe um Plutarch aus Thespiai zum 5

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Der Name Plutarch kommt im Dialog nicht vor, es wird immer von „Vater“ gesprochen. Die prominente philosophische Rolle, die dieser Vater im Laufe des Dialogs übernimmt, sowie die Tatsache, dass Plutarch einen Sohn mit dem Namen Autobulos gehabt hat, legen eine Identifikation mit Plutarch nahe. Es wird im Dunkeln gelassen, ob sich Autobulos für seine Erinnerung auf schriftliche Aufzeichnungen gestützt hat oder aus dem Gedächtnis berichtet (748E). 749B. 748F–749B. Zur Deutung dieser Aussage als Anlehnung der Dialogkomposition an das antike Drama siehe Barigazzi (1988), der dafür das Konzept vom „dramatischen Dialog“ prägte. Anders Scarcella (1989), der die Liebesgeschichte auf der gleichen untergeordneten Ebene wie die zahlreichen Exempla im Laufe des Dialogs sieht. Alle hätten die gemeinsame Funktion, die Aufmerksamkeit des Lesers auf die wichtigen Themen des Gesprächs zu lenken.

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Helikon und zurück. Diese Haupterzählung beginnt mit der Ankunft Plutarchs und seiner Frau in der Stadt Thespiai, um am Erosfest teilzunehmen. Dort treffen sie auf mehrere Freunde und verbringen einige Tage mit ihnen, bis die gesamte Gruppe sich zum Tempel der Musen auf dem Helikon bewegt, wo schließlich die philosophische Unterhaltung über Eros stattfindet. Ab einem bestimmten Zeitpunkt kehren sie nach Thespiai zurück, während das Gespräch unterwegs fortgeführt wird und mit der Ankunft in der Stadt endet. Dies markiert ebenfalls den Endpunkt des Gesamtdialogs. Die Liebesgeschichte von Ismenodora und Bakchon bildet die Nebenerzählung. Die in ihr erzählten Ereignisse spielen sich durchwegs in der Stadt Thespiai ab, sodass eine räumliche Entfernung zu den Gesprächsteilnehmern auf dem Helikon gegeben ist. Diese zweite Erzählung wird an einigen Stellen mittels Fokalisierung in den Haupterzählstrang eingebracht. In solchen Momenten, in denen sich beide Erzählstränge kreuzen, zeigt die Nebenerzählung Auswirkungen auf die Gestaltung des Dialogs. 3. STADT VS. LAND Die Orte des Geschehens beider Erzählungen werden in Kontrast zueinander gestellt. Auch wenn die Haupterzählung in der Stadt beginnt und endet, findet das eigentliche Gespräch außerhalb statt. Die Nebenerzählung spielt jedoch ausschließlich in der Stadt. Der Kontrast wird in der Tatsache sichtbar, dass die Liebesgeschichte erst in die Gesamterzählung eintritt, als die Gruppe um Plutarch die Stadt bereits verlassen hat, und ihr Ende erst dann findet, als Plutarch und seine Freunde wieder in der Stadt angekommen sind. Auch wenn beide Erzählungen über die Figuren miteinander in Berührung kommen, so bleiben sie doch räumlich immer voneinander getrennt. Stadt und Land werden durch diese zwei unterschiedlichen Erzählungen als unterschiedliche Orte mit eigenen Charakteristika und Funktionen markiert. Bei der Stadt im Dialog handelt es sich um Thespiai in Böotien. Was der Leser jedoch im Dialog über sie erfährt, trifft für beinahe jede griechische Polis der Zeit zu, sodass sie als Stereotyp aufzufassen ist. Der Beginn des Aufenthalts von Plutarch und seiner Frau in Thespiai wird so geschildert (749B–C): τῶν δὲ φίλων οἴκοθεν μὲν αὐτῷ παρῆσαν οἱ συνήθεις, ἐν δὲ Θεσπιαῖς εὗρε Δαφναῖον τὸν Ἀρχιδάμου Λυσάνδρας ἐρῶντα τῆς Σίμωνος καὶ μάλιστα τῶν μνωμένων αὐτὴν εὐημεροῦντα, καὶ Σώκλαρον ἐκ Τιθόρας ἥκοντα τὸν Ἀριστίωνος. ἦν δὲ καὶ Πρωτογένης ὁ Ταρσεύς, καὶ Ζεύξιππος ὁ Λακεδαιμόνιος, ξένοι. Βοιωτῶν δ᾽ὁ πατὴρ ἔφη τῶν γνωρίων τοὺς πλείστους παρεῖναι. Δύο μὲν οὖν ἢ τρεῖς ἡμέρας κατὰ πόλιν, ὡς ἔοικεν, ἡσυχῇ πως φιλοσοφοῦντες ἐν ταῖς παλαίστραις καὶ διὰ τῶν θεάτρν ἀλλήλοις συνῆσαν. ἔπειτα φεύγοντες ἀργαλέον ἀγῶνα κιθαρῳδῶν, ἐντεύξεσι καὶ σποδαῖς προειλημμένον, ἀνέζευξαν οἱ πλείους ὥσπερ ἐκ πολεμίας εἰς τὸν Ἑλικῶνα καὶ κατηυλίσαντο παρὰ ταῖς Μούσαις. Aus der Heimat begleiteten ihn die nächststehenden Freunde, und in Thespiai traf er Daphnaios, den Sohn des Archidamos, der in Lysandra, die Tochter Simons, verliebt war und unter allen,

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Anna Ginestí Rosell die um sie warben, die besten Aussichten hatte, und auf Soklaros, den Sohn Aristions, der aus Tithora gekommen war. Außerdem war Protogenes aus Tarsos da und Zeuxippos aus Sparta, zwei gute Freunde;10 aus Böotien waren, wie mein Vater mir sagte, die meisten Bekannten da. Es mögen zwei oder drei Tage gewesen sein, die man in aller Stille mit philosophischen Gesprächen zubrachte; man traf sich in den Palästren und bei Aufführungen im Theater. Dann entbrannte aber in der Stadt ein unerfreulicher Konkurrenzkampf zwischen einigen Kitharoden; es gab im Vorhinein private Beeinflussungsversuche und allgemeine Propaganda. Da räumten die meisten das Feld, zogen wie aus einem feindlichen Land ab zum Helikon und schlugen ihre Zelte bei den Musen auf.

Die Stadt wird als ein Ort des Miteinanders, der κοινωνία dargestellt. Die menschliche Interaktion ist in ihr eine Konstante: Im Theater und bei Festen ist sie von intellektueller Tätigkeit gekennzeichnet und in den Palästren oder im Gymnasion ermöglicht sie Liebesbeziehungen.11 So wird ebenfalls die Liebe Ismenodoras zu Bakchon als eine Folge dieser Zufallsbegegnungen und Gespräche dargestellt (749D): Τῷ δὲ Βάκχωνι φίλης ὄντι καὶ συνήθους γυναικὸς υἱῷ πράττουσα γάμον κόρης κατὰ γένος προσηκούσης, ἐκ τοῦ συμπαρεῖναι καὶ διαλέγεσθαι πολλάκις ἔπαθε πρὸς τὸ μειράκιον αὐτή. καὶ λόγους φιλανθρώπους ἀκούουσα καὶ λέγουσα περὶ αὐτοῦ, καὶ πλῆθος ὁρῶσα γενναίων ἐραστῶν, εἰς τὸ ἐρᾶν προήχθη. Bakchon war der Sohn einer Frau, mit der sie eng befreundet war, und sie bemühte sich, für ihn eine Heirat mit einem Mädchen von entsprechender Herkunft zu arrangieren. So war sie oft in seiner Gesellschaft und führte Gespräche mit ihm, und da regten sich in ihr selbst Gefühle für den jungen Mann. Sie hörte, daß man mit freundlicher Zuneigung über ihn sprach und äußerte sich in demselben Sinne; sie sah, wie viele ernsthafte Männer er zu Bewunderern hatte – und schließlich kam es soweit, daß sie sich in ihn verliebte.

Die griechische Polis wird von menschlichen Begegnungen gekennzeichnet. Sie gilt als Treffpunkt für Plutarch und seine Freunde, Ismenodora lernt dort Bakchon kennen und Peisias trifft in den Gymnasien und Palästren auf seinen jungen Verehrten. Und als wesentliches Merkmal dieses menschlichen Miteinanders treten die Gespräche hervor. So sind Plutarch und seine Freunde in philosophische Gespräche verwickelt und auch die Liebe Ismenodoras zu Bakchon entwickelt sich in gemeinsamen Unterhaltungen. Genauso gesprächsfreudig werden aber auch die restlichen Bewohner der Stadt dargestellt. Sie lassen sich in zahlreiche Diskussionen zu den Kitharodenaufführungen verwickeln,12 und sobald mit der Entführung Bakchons ein neues Ereignis eintritt, verlagern sie ihre Aufmerksamkeit auf Ismenodora und

10 Görgemanns (2011) übersetzt „Fremde“, die Bezeichnung ξένοι bezieht sich hier jedoch auf die gastfreundschaftliche Beziehung zwischen Protogenes, Zeuxippos und Plutarch. Siehe die Beschreibung von Plutarchs Verhältnis zu den anderen Erwähnten als τῶν δὲ φίλων ... οἱ συνήθεις und τῶν γνωρίων τοὺς πλείστους, in der alle Protagonisten als Teil eines freundschaftlichen Kreises definieret werden. 11 Siehe auch 750A, 751F für das Gymnasion und die Palästra als Begegnungsorte für Liebhaber; 754F für weitere zufällige Begegnungen der Liebhaber in der Stadt. 12 749C ἐντεύξεσι καὶ σπουδαῖς προειλημμένον.

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treffen sich zu Stadtgesprächen vor ihrem Haus.13 Die Stadt bietet zwar endlosen Gesprächsstoff, aber genau hier liegt ihre Ambivalenz. Das menschliche Miteinander und die Zufälligkeiten sind einerseits die notwendige Basis für eine philosophische Reflexion, andererseits behindern Lärm und der ständige Zustrom von neuen Ereignissen eine tiefgehende Reflexion. So liefert das Leben in der Stadt genügend Material für philosophische Erörterungen, gleichzeitig benötigt man aber ausreichend Distanz zu ihr, um die Gedanken zum Ziel führen zu können.14 Aus diesem Grund verlassen Plutarch und seine Freunde vereint die Stadt und ziehen aufs Land. Beim Tempel der Musen auf dem Helikon findet die Gruppe um Plutarch schließlich die notwendige Distanz zum Geschehen, die der philosophischen Erörterung dient. Im Dialog wird bewusst auf jegliche Beschreibung dieses Ortes verzichtet, obwohl der Helikon reich an literarischen Konnotationen ist. Der Verzicht wird mit einem expliziten Verweis auf den Phaidros in der Einleitung begründet (749A): Φ. Ἄφελε τοῦ λόγου τὸ νῦν ἔχον ἐποποιῶν τε λειμῶνας καὶ σκιὰς καὶ ἅμα κιττοῦ τε καὶ σμιλάκων διαδρομὰς καὶ ὅσ᾽ ἄλλα τοιούτων τόπων ἴδια˙ ὧν ἐπιλαβόμενοι γλίχονται τὸν Πλάτωνος Ἰλισσὸν καὶ τὸν ἄγνον ἔκεῖνον καὶ τὴν ἠρέμα προσάντη πόαν πεφυκυῖαν προθυμότερον ἢ κάλλιον ἐπιγράφεσθαι. ΑΥ. Τί δὲ δεῖται τοιούτων, ὦ ἄριστε Φλαουιανέ, προοιμίων ἡ διήγεσις; FLAVIANUS: Wir möchten, daß du aus deiner Erzählung für diesmal all die Wiesen und die schattigen Plätze wegläßt, die man von epischen Dichtern kennt, wo Efeu und Stechwinde sich innig verschlingen, und was sonst noch die Attribute solcher Plätze sind. Nach solchen Dingen greifen manche, die sich unbedingt in die Nachfolge von Platon stellen möchten mit seinem Ilissos, dem berühmten Keuschlamm-Strauch und dem ‚Grase, das aus sanftem Hange sprießt‘ – was mehr für ihre Begeisterung als für ihren Geschmack spricht. AUTOBULOS: Solch eine Einstimmung hat meine Erzählung überhaupt nicht nötig, mein lieber Flavianus.

Und tatsächlich wird im nächsten Kapitel der Ort, an dem sich die Gruppe um Plutarch niederlässt, in keiner Weise veranschaulicht. Dem Leser wird er lediglich als der Platz präsentiert, bei dem die Freunde Zuflucht aus den Streitereien der Stadt suchen.15 Indirekt wird er als ein ruhiger Ort gekennzeichnet, in dem die verlorene Ruhe der Stadt (ἡσυχῇ 749C) wiederherzustellen sei. Mit dem Verb καταυλίζομαι suggeriert der Erzähler sogar das Fehlen fester Behausungen und somit die 13 755B ἦν δὲ λόγος οὐθεὶς τῶν ἀγωνιζομένων, ἀλλ᾽ἀφέντες τὸ θέατρον ἐπὶ τῶν θυρῶν τῆς Ἰσμηνοδώρας ἐν λόγοις ἦσαν καὶ φιλονεικίας πρὸς ἀλλήλους. – „Niemand redete mehr von den Konkurrenten bei den Wettbewerben, man ließ das Theater Theater sein und verwickelte sich vor dem Haus Ismenodoras in endlose Streitgespräche“. 14 In diesem Zusammenhang bekommt die berühmte Aussage Plutarchs, er bewohne gerne eine kleine Stadt (Dem. 2), einen zusätzlichen Interpretationsaspekt: Chaironeia biete ihm die notwendige Ruhe für seine Philosophie. Anzumerken ist, dass von Plutarch in diesem Zusammenhang nicht nur die in Chaironeia fehlenden Bibliotheken, sondern auch die fehlenden Gespräche erwähnt werden, weil beide für die Tätigkeit eines Intellektuellen notwendig sind. 15 749C ἀνέζευξαν οἱ πλείους ὥσπερ ἐκ πολεμίας εἰς τὸν Ἑλικῶνα καὶ κατηυλίσαντο παρὰ ταῖς Μούσαις – „Da räumten die meisten das Feld, zogen wie aus einem feindlichen Land ab zum Helikon und schlugen ihre Zelte bei den Musen auf“.

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Inexistenz von dauerhaft menschlichem Leben. Er wird weniger als ein ländlicher als vielmehr als ein nicht-urbaner Raum gezeigt. 4. DER PLATONISCHE EINFLUSS Der Einfluss der zwei platonischen Dialoge Symposion und Phaidros auf den Inhalt und die Gestaltung des Erotikós ist offensichtlich. Inhaltlich verbindet die drei Dialoge, dass sie sich mit dem Wesen des Eros befassen und ihn zum philosophischen Prinzip deklarieren. Man darf bei Plutarch jedoch nicht nur eine Wiederholung von platonischen Ideen sehen, sondern auch, dass diese als Ausgangspunkt für die Darlegung einer eigenständigen Konzeption des Eros dienen.16 Dass beide platonischen Dialoge ebenfalls in der Gestaltung eine Rolle spielen, wird bereits im Prolog sichtbar. So erinnert das Rahmengespräch an den Beglaubigungsapparat des platonischen Symposions, wie oben bereits dargelegt. Zudem wird auf den Phaidros explizit Bezug genommen, als die Beschreibung eines locus amoenus als Ort des Dialogs mit dem Verweis abgelehnt wird, dass so eine Szenendarstellung von denjenigen verwendet wird, die sich nur formal in die Nachfolge Platon stellen wollen.17 Ein Blick auf die Schauplätze der Inszenierung und den Anlass der Gespräche in den platonischen Dialogen offenbart weitere Parallelen zum Erotikós. Der plutarchische Dialog scheint auch in dieser Hinsicht beide platonischen Dialoge zu kombinieren. Die Dualität Stadt‒Land beim Erotikós spiegelt das städtische Ambiente beim Symposion einerseits und die außerstädtische Umgebung des Phaidros andererseits wider. Weitere Elemente der Inszenierung lassen immer wieder die platonischen Dialoge durchklingen: So treffen sich z. B. die Freunde in Thespiai anlässlich eines Festes mit dramatischen Agonen, entfliehen dem Trubel der öffentlichen Veranstaltungen und lassen sich in der Nähe eines Tempels der Musen nieder.18 Auf einen klaren Unterschied in der Gestaltung der platonischen und des plutarchischen Dialogs hat A. Billaut hingewiesen: Viel mehr als bei den platonischen Dialogen spielt im Erotikós die persönliche Situation der Teilnehmer in der Entwicklung der Diskussion eine Rolle; die eigene Liebessituation konditioniert den zu vertretenden Standpunkt im Gespräch. Ähnlich wie die Figuren in der mimetischen Ebene sucht der Autor immer wieder seine Thesen in Bezug zur Lebenswirklichkeit seiner Leser zu setzen. So sind auch die zahlreiche Exempla im Erotikós zu erklären, die die Validität der Thesen bekräftigen sollen.19 Und hier ist ganz besonders an der Liebesgeschichte von Ismenodora und Bakchon zu denken, denn diese 16 Ein Vergleich der drei Dialoge bei Billaut (1999); Effe (2002) verweist auf die Vermischung von Platonismus und Antiplatonismus in Plutarchs Thesen über den Eros. Über die Rezeption der platonischen Ideenlehre im Erotikós siehe Schoppe (1994) 251–259. 17 Siehe oben das Zitat 749A. 18 Bei Platon wiederum organisiert Agathon ein Symposion als Feier seines Sieges beim tragischen Agon (Symp. 173a), hatte Sokrates an den öffentlichen Festivitäten aus Angst vor der Menschenmasse nicht teilgenommen (Symp. 174a), lassen sich Sokrates und Phaidros in der Nähe eines Tempels der Nymphen nieder (Phaid. 230b). 19 Billaut (1999), Frazier (2005b).

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kann als ein außergewöhnliches exemplum erklärt werden, das sich synchron zum philosophischen Gespräch entwickelt. 5. ISMENODORA Die Liebesgeschichte von Ismenodora und Bakchon weist Gestaltungselemente der Neuen Komödie und des griechischen Romans auf.20 Besonders auffällig ist die Figur von Ismenodora, denn sie agiert gänzlich gegen alle zeitgenössischen Konventionen einer Frau: Ihr Wunsch, einen jüngeren Mann zu heiraten, wird als παράδοξον beschrieben (749E), sie spielt im erzählten umgekehrten Brautraub die aktive Rolle und in der Beziehung ist sie die erfahrene, die vermögende, die ältere, die gut situierte. Indem sie mit all diesen Charakteristika die Rolle eines ἐραστής übernimmt, hat der Autor die Möglichkeit, heterosexuelle sowie homosexuelle Liebe gleichwertig nebeneinander zu stellen und davon als philosophischem Prinzip zu sprechen.21 Ismenodora wird durchweg als tugendhaft und ehrenvoll beschrieben. Lediglich ihre offene Leidenschaft wird von den Gesprächsteilnehmern Peisias und Protogenes kritisiert, die als Verfechter der Überlegenheit einer homosexuellen gegenüber einer heterosexuellen Liebe auftreten. Sie ist folglich eine Frau, die sich weitgehend nach den sozialen Vorstellungen und Vorgaben verhält, aber durch ihren Ehewunsch den für sie vorgesehenen gesellschaftlichen Rahmen sprengt. In diesem Aspekt erinnert sie an viele der Heldinnen, die Plutarch in der Schrift Γυναικῶν ἀρεταί porträtiert.22 Sie treten in einer Krisenzeit aus dem privaten Bereich heraus, übernehmen vorübergehend eine aktive Rolle in der Gesellschaft und lösen den vorliegenden Konflikt. Sobald der optimale Zustand wiederhergestellt ist, ziehen sie sich wieder aus dem öffentlichen in den privaten Raum zurück.23 Auch von Ismenodora wird erwartet, dass sie sich, sollte sie die Ehefrau von Bakchon werden, ins private Leben zurückzieht und sich ihm unterordnet.24 In allen Beispielen, auch in der Geschichte der Ismenodora, versucht Plutarch zu zeigen, dass sich die Tugendhaftigkeit zwischen Frauen und Männern nicht grundsätzlich unterscheide, 20 A. Barigazzi (1988) identifiziert im Erotikós wie im Dialog De genio Socratis die Struktur eines antiken Dramas mit einem Chor, einem Agon usw. und spricht deswegen von „dramatischen Dialogen“. Eine grundlegende Widerlegung dieser These bei Frazier (2005a), die einen stärkeren Einfluss der Neuen Komödie und des Romans als der Alten Komödie und Tragödie sieht. Beide sieht sie aber auch nicht als Folie für die Struktur des Dialogs, sondern als allgemeine literarische Referenzen. 21 Zu Ismenodora als weiblicher ἐραστής und den Geschlechterkonstruktionen im Erotikós in Bezug auf den zeitgenössischen Diskurs siehe Feichtinger (2011). Siehe auch den Verweis auf sie bei McInerney (2003) 319–323. 22 Die Verbindung der zwei Schriften, die McInerney (2003) im Konzept der weiblichen Arete sieht, wird auch in den Exempla sichtbar, die in den Kapitel 21 bis 25 von der Dialogfigur Plutarch herangezogen werden. Die Geschichte von Kamma (Kapitel 22) bildet ebenfalls ein Kapitel in den Γυναικῶν ἀρεταί (Kapitel 20). Siehe dazu Frazier (2005b). 23 Schmitt-Pantel (2009). 24 754B–C. Siehe dazu Effe (2002) 107–110.

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und folglich die Liebe zwischen Frau und Mann genauso wie die Liebe unter Männern, solange sie auf einer tugendhaften philosophischen Basis steht, zur Wahrheit führen könne.25 Im Fall von Ismenodora liegt ihr Vorteil gegenüber einem männlichen ἐραστής darin, dass sie Bakchon heiraten und somit ihre philosophisch-pädagogische Rolle ihr ganzes Leben ausüben kann. Plutarch präsentiert die eheliche Liebe als den Ausgangspunkt einer philosophischen Liebe; in ihr verwirkliche sich am besten der wahre Eros.26 Ismenodora ist eine Figur, die mit ihrer Liebe zu Bakchon den sozialen Gepflogenheiten trotzt und ihre Ehevorstellungen durchsetzt. In diesem Aspekt zeigt sie Gemeinsamkeiten mit Plutarch, der laut Einleitung ebenfalls Widerstände bei der Eheschließung überwinden musste.27 So verbindet die Hochzeit Ismenodoras das Ende des Dialogs mit seinem Anfang, bei dem von der letztlich glücklichen Eheschließung Plutarchs die Rede ist. Welcher Natur die Schwierigkeiten bei Plutarch und seiner Frau genau waren, wird im Unklaren belassen. Ismenodora und Plutarch verbindet auf jeden Fall, dass beide ihre Vorstellungen einer optimalen Ehe unter Überwindung von Hindernissen verwirklichen mussten. 6. BERÜHRUNGSPUNKTE UND DIALOGGESTALTUNG Die Haupterzählung des philosophischen Gesprächs und die Nebenerzählung der Liebesgeschichte kreuzen sich an vier unterschiedlichen Stellen. Da, wie bereits erwähnt, beide Erzählungen räumlich getrennt voneinander verlaufen und diese Trennung erst überwunden wird, als der Dialog zu seinem Ende kommt, können diese Kontaktmomente nur durch solche Dialogfiguren zustande kommen, die sich vom einen in den anderen Bereich bewegen. Der Eintritt dieser Figuren in den Teilnehmerkreis des Gesprächs wirkt sich in unterschiedlicher Form auf die Dialoggestaltung aus. 6.1. Anthemion und Peisias Die erste Berührung von Plutarch und seinen Freunden mit der Liebesgeschichte zwischen Ismenodora und Bakchon entsteht durch die Ankunft von zwei 25 769B–C Ἄτοπον οὖν τὸ γυναιξὶν ἀρετῆς φάναι μηδαμῇ μετεῖναι. – „Es wäre absurd, den Frauen jeden Anteil an der Arete zu bestreiten“. Vgl. diese Formulierung mit der Einleitung zu Γυναικῶν ἀρεταί (242E–243E). 26 Opsomer (2011) 219–220 27 748B Ὁ γὰρ πατήρ, ἐπεὶ πάλαι, πρὶν ἡμᾶς γενέσθαι, τὴν μητέρα νεωστί κεκομισμένος ἐκ τῆς γενομένης τοῖς γονεῦσιν αὐτῶν διαφορᾶς καὶ στάσεως ἀφίκετο τῷ Ἔρωτι θύσων, ἐπὶ τὴν ἑορτὴν ἦγε τὴν μητέρα. καὶ γὰρ ἦν ἐκείνης ἡ εὐχὴ καὶ ἡ θυσία. – „Es ist lange her, und ich war noch nicht geboren; mein Vater hatte gerade meine Mutter heimgeführt; und nach dem Zerwürfnis und Streit zwischen den Eltern der beiden begab er sich nach Thespiai, um Eros ein Opfer darzubringen. Er nahm meine Mutter zu dem Fest mit; denn sie war eigentlich der Anlaß für das Gelübde und das Opfer gewesen.“

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angesehenen Bürgern der Stadt, Anthemion und Peisias, auf dem Helikon. Diese berichten von den Ereignissen aus Thespiai und sorgen so dafür, dass ein Gespräch über die Liebe beginnt. Die Nebenerzählung ist somit die Initialzündung, die das philosophische Gespräch der Haupterzählung überhaupt erst ermöglicht. Und dies geschieht, weil die ungewöhnliche Liebesgeschichte Erstaunen bei den Zuhörern erzeugt, was den ersten Schritt zu einer philosophischen Erörterung bedeutet.28 Anthemion und Peisias sind von Bakchon um einen Rat zu Ismenodoras Eheangebot gebeten worden. Sie sind jedoch nicht in der Lage, dem Jungen eine gemeinsame Empfehlung zu geben, sodass sie dafür die Gruppe um Plutarch aufsuchen. Dass sie nicht fähig sind, die Situation kritisch zu analysieren und zu einem guten Ratschlag zu kommen, beweist ihre philosophische Inkompetenz.29 Anthemion befürwortet die Eheschließung, während Peisias sich dagegen äußert. Der Leser bekommt jedoch eine unparteiische Darstellung der Ereignisse geliefert, sodass keiner von beiden in dieser Passage als fokalisierender Erzähler in Frage kommt. Die Divergenzen zwischen den beiden kommen erst am Ende der Darstellung zum Vorschein (749F–750A): διὸ καὶ πρὸς τὸν γάμον ἀντέπραττε καὶ καθήπτετο τοῦ Ἀνθεμίωνος ὡς προϊεμένου τῇ Ἰσμηνοδώρᾳ τὸ μειράκιον. ὁ δ᾽ἐκεῖνον οὐκ ὀρθῶς ἔλεγε ποιεῖν, ἀλλὰ τὰ ἄλλα χρηστὸν ὄντα μιμεῖσθαι τοὺς φαύλους ἐραστάς, οἴκου καὶ γάμου καὶ πραγμάτων μεγάλων ἀποστεροῦντα τὸν φίλον, ὅπως ἄθικτος αὐτῶν καῖ νεαρὸς ἀποδύοιτο ὅτι πλεῖστον χρόνον ἐν ταῖς παλαίστραις. Dieser war natürlich gegen die Ehe; er warf Anthemion vor, er wolle Ismenodora den jungen Mann als Beute überlassen; Anthemion dagegen sagte, Peisias tue nicht recht: er sei zwar sonst ein redlicher Mann, aber in der einen Hinsicht mache er es den gewöhnlichen Liebhabern nach, daß er seinen jungen Freund von Familie, Ehe und wichtigen Tätigkeiten des praktischen Lebens abschneide, damit er sich noch so lange wie möglich, unberührt von diesen Dingen und jungenfrisch, auf den Trainingsplätzen der Ringer entkleide.

Der im Allgemeinen werteneutrale Ton der Erzählung wird in dieser Schlusspassage verlassen und in indirekter Rede der Schlagabtausch zwischen den beiden Kontrahenten reproduziert. Es werden keine Argumente hervorgebracht, vielmehr handelt es sich um Angriffe ad hominem, indem sie sich gegenseitig unmoralisches Verhalten vorwerfen. Eine solch beleidigende und unsachliche Sprache überträgt sich auch auf die Gruppe um Plutarch, bei der nun Daphnaios und Protogenes die Rollen der zwei Kontrahenten übernehmen.30 Der Ton bleibt rau, der Schlagabtausch schnell, die Angriffe ad personam.31 Die persönliche Situation fließt in das

28 Zum Staunen als philosophischem Impuls siehe Frazier (2005) 199. Staunen und Aporie spielen auch eine zentrale Rolle in der Interpretation von T. Thum des Dialogs De E apud Delphos (siehe Thum [2013] insb. 83–96) Zur Aporie als Startpunkt für die philosophische Tätigkeit bei Plutarch siehe Dillon (2018). 29 Siehe dazu Ginestí Rosell (2020). 30 καὶ τῶν ἄλλων φίλων οἷον ἐκ παρασκευῆς τῷ μὲν ὁ Δαφναῖος παρῆν, τῷ δ᾽ ὁ Πρωτογένης. (750A) – „von den anderen Freunden schlug sich, gerade als wäre es verabredet gewesen, Daphnaios auf die eine Seite, Protogenes auf die andere“. 31 Nichtsprachliche Signale verstärken die Emotionalität und das dialogische Fehlverhalten: Γενομένου δὲ γέλωτος „Gelächter erhob sich“ (750B nach einem Angriff Daphnaios), Ἔτι δὲ

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Gespräch ein – Daphnaios ist in eine Frau verliebt (748B); Protogenes reist gerne nach Athen, um mit Knaben zu verkehren (750B) – , sodass die Fixierung auf die eigenen Vorlieben eine inhaltliche Auseinandersetzung erschwert. Als schließlich das Gespräch durch die Frage nach der Existenz von einem oder zwei Eroten den richtigen Weg einzuschlagen scheint, untergräbt Peisias diesen Verlauf erneut, indem er wieder auf persönliche Beleidigungen rekurriert.32 Auch sein Leidensgenosse Protogenes kehrt in der darauffolgenden Wortmeldung zur Taktik des persönlichen Angriffs zurück.33 Der erste Berührungspunkt beider Erzählungen ist zugleich der Anfang der Nebenerzählung und der Startpunkt für die philosophische Erörterung. Die Liebesgeschichte verursacht das nötige Moment des Staunens, wodurch die philosophische Tätigkeit stets beginnt. So dient die Nebenerzählung als Initiatorin des Dialogs. Die folgende philosophische Erörterung findet ihren Ursprung und ihre Argumente in der Lebenswelt der Dialogfiguren. Dadurch wird der Bezug zu den persönlichen Umständen der Gesprächspartner aufrechterhalten. Zwar verbrachte die Gruppe um Plutarch bereits seit der Ankunft in Thespiai die Zeit mit philosophischen Gesprächen,34 einzig der eine erinnerungs- und tradierungswürdige Dialog ist jedoch jener, der aus einer konkreten, von allen erlebten Situation entstanden ist. Es zeigt sich, dass Philosophie einen praktischen Charakter haben, ihren Ursprung in realen Lebenssituationen finden und die Verbindung mit dem Alltag der Gesprächsteilnehmer beibehalten soll.35 Gleichzeitig verhindert jedoch die emotionale Verbindung einiger Teilnehmer mit dem Sujet die Entwicklung eines sachlichen, kritischen, echten philosophischen Gesprächs. 6.2. Ein Freund und ein Bote Die Geschichte in der Stadt hat sich während des Gesprächs auf dem Helikon weiterentwickelt und die neuen Ereignisse werden an einer zweiten Stelle in die Haupterzählung hineingetragen. Die berichteten Entwicklungen verändern die Gesprächskonstellation und verursachen einen thematischen Richtungswechsel. Dieser zweite Berührungspunkt teilt sich auf zwei Figuren und zwei zeitlich versetzte Momente auf. Als erstes erscheint ein Freund Peisias’ und berichtet, dass

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πλείονα λέγειν προθυμουμένου τοῦ Πρωτογένους, ἀντικρούσας ὁ Δαφναίος – „Protogenes hätte gern noch weiter geredet, aber Daphnaios fuhr dazwischen“ (751B). 752B–E. Siehe insbesondere 752D: ἐμοὶ μέν, εἶπεν, ὀλίγον μέλει τοῦ λόγου – „Mir liegt wenig an den Argumenten“. Der erste Beitrag von Protogenes wird so beschrieben: οὗτος μὲν ἀνέδην ἔλεγε κακῶν τὴν Ἱσμηνοδώραν – „Protogenes schimpfte ohne Hemmungen auf Ismenodora“. Siehe auch in 753B die Imperative, die Protogenes auf Ismenodora richtet: καθείσθω, παυσάσθω, καθήσθω. 749C. Frazier (2006) 77. Die Verbindung der Fragen mit dem Kontext, aus dem sie entstanden sind, wird in anderen plutarchischen Dialogen wie z. B. in den Quaestiones Convivales (Ginestí Rosell [2019], Scolan [2017] 83–84) durchgehend beachtet.

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Ismenodora Bakchon entführt habe, um die Hochzeit zu erzwingen.36 Die Ankunft des Freundes wird so geschildert (755B): Ὡς οὖν ὁ τοῦ Πεισίου φίλος ὥσπερ ἐν πολέμῳ προσελάσας τὸν ἵππον αὐτὸ τοῦτο τεταραγμένος εἶπεν, ὅτι ‚Βάκχων᾽ ἥρπακεν Ἰσμηνοδώρα‘. τὸν μὲν Ζεύξιππον ὁ πατὴρ ἔφη γελάσαι καὶ εἰπεῖν […] Der Freund des Peisias war wie im Krieg auf seinem Pferd herangesprengt und hatte in seiner Aufregung nur eben gesagt: „Ismenodora hat Bakchon entführt!“ Da brach Zeuxippos in Gelächter aus, so erzählte mein Vater, und sagte [...].

Nach dieser Darstellung ist die Information, die die Gesprächsteilnehmer erreicht, sehr knapp und ergibt sich nur aus den drei Wörtern Βάκχων᾽ ἥρπακεν Ἰσμηνοδώρα, bei denen erst beim Namen Ismenodoras deutlich wird, wer die Handlung tatsächlich durchgeführt hat. Diese knappe Mitteilung reicht, um eine Diskussion über die Tat zu entfachen und den darauffolgenden Entschluss Peisias’ hervorzurufen, in die Stadt zurückzukehren. Mit ihm geht auch Protogenes, der eine ähnliche Meinung in der Sache vertritt.37 Damit scheiden die beiden Verfechter einer Überlegenheit der homosexuellen gegenüber der heterosexuellen Liebe aus dem Gespräch aus. Dieser Szene wird eine längere Passage vorangestellt, in der Autobulos, der Erzähler, das ganze Geschehen in Thespiai ausführlicher schildert. Dabei wird auf die Motivation Ismenodoras eingegangen. Die Planung, Durchführung und der Zeitpunkt der Entführung sowie die anschließenden Hochzeitsvorbereitungen im Hause Ismenodoras werden geschildert. Über die Reaktion der Bevölkerung Thespiais wird ebenfalls berichtet. Zu welchem Zeitpunkt und von wem die Gesprächsteilnehmer von all diesen Details erfahren, wird nicht spezifiziert. Vermutlich gehören sie zum Bericht des Boten, der später eintrifft und vom Hause Ismenodoras kommt.38 In dem Erzählerkommentar werden die Geschehnisse als πρᾶγμα θαυμαστόν (754E) beschrieben. Dieses Erstaunen ist ebenfalls in den Reaktionen auf die knappe Schilderung des Botenberichtes wahrnehmbar.39 Erneut wird auf die Situation des Staunens hingewiesen, die jeder philosophischen Erörterung vorangeht, wie wir wissen. Die Veränderung in der Figurenkonstellation erwirkt eine Neuausrichtung des Gesprächs. Denn damit ist es jetzt möglich, sich von der konkreten Situation zu entfernen und auf einer allgemeingültigeren Ebene zu gelangen. Insbesondere Peisias, aber auch Protogenes hatten in ihren Wortbeiträgen immer wieder auf die Person Ismenodora Bezug genommen, und zwar auf sehr persönliche und emotionale Weise. Dass ihre Haltung die Entwicklung zu einem philosophischen Gespräch

36 In der Erzählung wird angedeutet, dass Bakchon nichts gegen die Entführung hatte (754E). Ein Gesprächsteilnehmer äußert den Verdacht, dass er sie sogar mitgeplant habe (755CD). 37 755C προάγοντος οὖν τοῦ Πεισίου, ὁ μὲν Πρωτογένης οὐκ ἀπελείπετο, τὰ μὲν συναγαγακτῶν, τὰ δὲ πραΰνων ἐκεῖνον „Damit machte sich Peisias auf den Weg, und Protogenes ließ ihn nicht alleine gehen, teils weil er seine Empörung teilte, teils weil er sie dämpfen wollte.“. 38 756A. 39 755B Γελάσαι, ἀναπηδήσαντα βοᾶν.

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verhindert hat, wird explizit von einem weiteren Teilnehmer, Pemptides, bestätigt (756A): ἄρτι μὲν οὖν ἡσυχίαν ἦγον. ἐν γὰρ ἰδίοις μᾶλλον ἢ κοινοῖς ἑώρων τὴν ἀμφισβήτησιν οὖσαν. νυνὶ δ᾽ἀπηλλαγμένος Πεισίου ἡδέως ἂν ὑμῶν ἀκούσαιμι, πρὸς τί βλέψαντες ἀπεφήναντο τὸν Ἔρωτα θεὸν οἱ πρῶτοι τοῦτο λέξαντες. Ich habe mich vorhin zurückgehalten, weil ich sah, daß die Debatte sich mehr um private Dinge als um Allgemeines drehte; aber jetzt, wo Peisias mir nicht mehr im Wege ist, würde ich gerne von euch hören, was eigentlich die ersten Menschen, die Eros zu einem Gott erklärten, sich dabei gedacht haben.

Bevor das Gespräch diesen neuen Aspekt behandelt, muss eine weitere Figur die Runde verlassen. Ein Bote aus der Stadt erreicht die Gruppe. Er wird von Ismenodora geschickt, um Anthemion zur Rückkehr in die Stadt zu bitten; denn inzwischen habe sich der Konflikt verschärft.40 Damit scheidet der letzte noch anwesenden Dialogteilnehmer aus, der persönlich in die Liebesgeschichte verstrickt ist. Das Ergebnis des zweiten Berührungspunkts ist eine grundlegende Veränderung des Gesprächskreises und die darauffolgende inhaltliche Fortführung in einer allgemeingültigen philosophischen Erörterung. Die zwei Figuren, die zu Beginn hinzugestoßen waren und mit ihrer Erzählung einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte den Anlass für den Dialog geliefert hatten, verlassen nacheinander das Gespräch. Die direkte Verbindung zu Ismenodora und Bakchon wird damit zunächst unterbrochen. Die Gesprächskonstellation erhält damit aber nicht wieder ihre ursprüngliche Zusammensetzung, da Protogenes mit Peisias ebenfalls Richtung Stadt aufgebrochen ist. Mit ihnen verlässt ein Teilnehmer die Runde, der sich in seinen zornigen und beleidigenden Wortmeldungen als unfähig für einen philosophischen Dialog gezeigt hat. 6.3. Ein weiterer Bote? Zwischen dem 20. und dem 21. Kapitel (766E) befindet sich eine Lücke im Text, die bereits im 16. Jh. als solche erkannt wurde.41 Aus dem Schluss des Dialogs wird deutlich, dass die Gesprächsgruppe den Helikon irgendwann verlassen und sich auf den Weg zurück in die Stadt gemacht hat. Der Grund für diesen Ortswechsel muss in der verlorenen Textpassage dargelegt gewesen sein.42 Es wiederholt sich vermutlich die gleiche Struktur, wie in den vorherigen Veränderungen der Gesprächssituation. Hier muss also auch ein Eindringen der Nebenerzählung in die Haupterzählung diese Auswirkung auf die Dialoggestaltung ausgelöst haben. 40 756B. Dass Ismenodora die Präsenz von Protogenes, eigentlich Bakchons Vetter, verlangt, bestätigt die Vermutung, dass Ismenodora und Bakchon in dieser Sache einvernehmlich handeln. 41 Überlegungen zum Umfang und Inhalt des verlorenen Textes bei Görgemanns (2011) 39 und insb. 183–184. Es umfasste wohl einen Wortbeitrag von Zeuxippos gegen Plutarchs Beitrag sowie einen thematischen Wechsel zur Frage über die Existenz von einem oder zwei Eros; denn diese Frage bildet den Inhalt von Kapitel 21. 42 So auch Görgemanns (2011) 184 mit Verweisen auf vorherige Untersuchungen.

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Welche konkrete Nachricht aus der Stadt die Gruppe veranlasst hat, nach Thespiai zu gehen, lässt sich nicht ganz rekonstruieren. Dass die Lösung des Konflikts und die Hochzeit von Ismenodora und Bakchon angekündigt wurde,43 erscheint aufgrund der überraschenden Reaktion der Gruppe auf diese Nachricht bei der Ankunft in der Stadt wenig plausibel.44 Vielmehr dürfte eine weitere Eskalation des Ehekonflikts gemeldet worden sein. Eine Veränderung in der Figurenkonstellation lässt sich zudem nicht feststellen,45 da die Gesprächsgruppe hier stabil zu bleiben scheint. Wahrscheinlich enthielt die verlorene Textstelle, wie ein Bote aus der Stadt die neuen Entwicklungen der Gruppe berichtet und aufgrund einer Verschärfung des Konflikts zwischen Peisias und Ismenodora die Bitte äußert, dass Plutarch und seine Freunde zurückkehren und sich für eine friedliche Lösung einsetzen mögen. Die Gesprächsgruppe verlässt die ländliche Umgebung und kehrt noch ins Gespräch vertieft in das urbane Milieu zurück. Die räumliche Distanz zwischen Neben- und Haupterzählung verringert sich. Genauso wie der erste Weg von der Stadt hinaus aufs Land als ein philosophisch notwendiger Schritt gesehen werden darf, genauso darf die Rückkehr in die Stadt philosophisch gedeutet werden. Der Weg vom Helikon in die Stadt, den die Gesprächsteilnehmer in der Inszenierung beschreiten, hat tatsächlich eine Entsprechung im theoretischen Teil des Gesprächs beim Bild des Triumphzugs des Gottes Eros. Diese Darstellung vermittelt allegorisch die Übereinstimmung zwischen Dichter, Gesetzgeber und Philosophen, was die göttliche Natur des Eros betrifft (763EF): Ἡμῖν δὲ βασιλεὺς καὶ ἄρχων καὶ ἁρμοστὴς ὁ Ἔρως ὑφ᾽ Ἡσιόδου καὶ Πλάτωνος καὶ Σόλωνος ἀπὸ τοῦ Ἑλικῶνος εἰς τὴν Ἀκαδημίαν ἐστεφανωμένος κατάγεται καὶ κεκοσμημένος εἰσελαύνει πολλαῖς συνωρίσι φιλίας καὶ κοινωνίας, οὐχ οἵαν Εὐριπίδης φησὶν ἀχαλκεύτοισιν ἐζεῦχθαι πέδαις. ψυχρὰν οὗτος γε καὶ βαρεῖαν ἐν χρείᾳ περιβαλὼν ὑπ᾽ αἰσχύνης ἀνάγκην, ἀλλ᾽ ὑποπτέρου φερομένης ἐπὶ τὰ κάλλιστα τῶν ὄντων καὶ θειότατα˙ περὶ ὧν ἑτέροις εἴρηται βέλτιον. So wird bei uns Eros als König, oberster Beamter und Ordner von Hesiod, Platon und Solon vom Helikon zur Akademie geleitet, mit einem Kranz geschmückt; in vollem Prunk zieht er

43 Görgemanns (2011) 184. 44 771D im letzten Kapitel des Dialogs: ὀφθῆναι δὲ προσιόντα θᾶττον ἢ βάδην πρὸς αὐτοὺς ἕνα τῶν Πεισίου ἑταίρων Διογένη. τοῦ δὲ Σωκλάρου πρὸς αὐτὸν ἔτι πόρρωθεν εἰπόντος˙ ‚οὐ πόλεμόν γ᾽, ὦ Διόγενες, ἀππαγγέλλων‘, ἐκεῖνον˙ ‚οὐκ εὐφημέσετε‘, φάναι, ‚γάμων ὄντων καὶ προάξατε θᾶσσον, ὡς ὑμᾶς τῆς θυσίας περιμενούσης‘, πάντας μὲν οὖν ἠσθῆναι […] „Da sahen sie Diogenes, einen der Freunde von Peisias, in großer Eile auf sich zukommen. Soklaros rief ihm schon von weitem zu: ‚Du bist ja doch kein Kriegsbote!‘, und er antwortete: ‚Sag nichts von übler Vorbedeutung, es gibt eine Hochzeit; beeilt euch, das Opfermahl wartet auf euch.‘ Alle jubelten.“ Auch wenn Görgemanns versteht, dass sie über den glücklichen Ausgang bereits informiert wurden, die veränderte Wahrnehmung, die ἠσθῆναι ankündigt, zielt hier genau auf eine neue Information durch den letzten Boten im Dialog. So dürfte die Gesamterzählung mit einem erneuten Überraschungseffekt enden. 45 Daphnaios wird in 767C von Plutarch angesprochen, Zeuxippos und Soklaros sprechen beide in der Schlussszene in 771D. Von den genannten Teilnehmern kommt nur Pemptides, ein Böoter, seit dem 17. Kapitel nicht mehr vor. Es gibt jedoch keine Andeutung darauf, dass er die Gesprächsrunde verlassen hätte.

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Anna Ginestí Rosell ein, begleitet von vielen Zweigespannen der Freundschaft und Gemeinschaft; nicht einer solchen, die nach Euripides „mit Fesseln, ungeschmiedeten, verkoppelt ist“ – er spricht hier von einem kalten, schweren Zwang, der in einer bedrängten Lage durch die Macht des Ehrgefühls auferlegt wird –, sondern einer, die sich geflügelt aufschwingt zum Schönsten und Göttlichsten unter dem Seienden. Aber darüber haben andere besser gesprochen als ich.

Eros beschreitet den Weg vom Helikon in die Akademie. Dabei wird der Helikon mit Hesiod und der Dichtung assoziiert, die Akademie wiederum mit Platon und der Philosophie. Allegorisch führt Plutarch den Gott Eros aus dem Bereich der Dichtung heraus in die Philosophie und dies wird mit dem Weg aus einem ländlichen Gebiet in die Stadt verbunden.46 In der mimetischen Ebene wird dieser Weg von den Protagonisten ebenso durchlaufen. Sie verlassen die Stadt, um erst Eros in seiner natürlichen Umgebung kennenzulernen und dann, nachdem sie Eros zum philosophischen Prinzip erklärt haben, mit ihm in die Stadt zurückzukehren.47 Dennoch wird durch die vier Berührungsmomente des Gesprächs mit der Liebesgeschichte die Verbindung zur Stadt, also zum Ziel des philosophischen Weges, aufrechterhalten. 6.4. Diogenes Im letzten Kapitel des Dialogs (771D–E) kommt es schließlich zu einer Zusammenfügung beider Erzählungen. Die Gesprächsgruppe um Plutarch ist nach Thespiai zurückgekehrt und am Rande der Stadt kommt ihnen Diogenes entgegen. Dieser Diogenes ist die letzte Figur, die beide Geschichten verbindet, indem er die Neuigkeiten aus der Nebenerzählung in die Haupterzählung einbringt. Bevor Diogenes überhaupt etwas sagen kann, wird er von einem der Dialogteilnehmer mit einem Verweis auf den existierenden Konflikt angesprochen.48 46 Eros wird im Laufe des Dialogs von einer natürlichen Kraft in eine philosophische Kraft umgewandelt, die schließlich zur Wahrnehmung des Guten führt (765C: οὐκ ἂν εἴη πολὺς χρόνος, ἐν ᾧ τό τε σῶμα τὸ τῶν ἐρωμένων παρελθόντες ἔσω φέρονται καὶ ἅπτονται τοῦ ἤθους. ὅπερ ἐκκεκαλυμμένοι τὰς ὄψεις καθορῶσι, καὶ συγγίνονται διὰ λόγων πολλὰ καὶ πράξεων ἄλλήλοις, ἂν περίκομμα τοῦ καλοῦ καὶ εἴδωλον ἐν ταῖς διανοίαις ἔχωσιν. – „Solch ein Liebender braucht dann keine lange Zeit, bis er über den Körper der geliebten Person hinauskommt, ins Innere dringt und ihr inneres Wesen berührt; er betrachtet es dann mit geöffneten Augen, und die beiden pflegen in vielen Gesprächen und Tätigkeiten ständigen Umgang miteinander.“). Görgemanns (2011) deutet darauf hin, wie in dieser Passage eine explizit sexuelle Formulierung wie συγγίνονται αὐτῳ hier mit ἀλλήλοις im Sinne einer Reziprozität verändert wird und durch διὰ λόγων πολλὰ καὶ πράξεων in eine platonische Auffassung des philosophischen Dialogs und der philosophischen Handlung verändert wird. Eros verwandelt körperliche Anziehung in philosophische Anziehung. 47 Thespiai und Athen überlappen sich in dieser Darlegung. Es geht um die Eigenschaften einer griechischen Polis, hier ist Thespiai nur eine mögliche Realisierung dieses idealen Konzepts der Polis (siehe dazu oben Punkt 3). 48 Τοῦ δὲ Σωκλάρου πρὸς αὐτὸν ἔτι πόρρωθεν εἰπόντος˙ „οὐ πόλεμον γ᾽“, ὦ Διόγενες, „ἀπαγγέλλων“ […] – „Soklaros rief ihm schon von weitem zu: ‚Du bist ja doch kein

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Diogenes ist folglich der Gruppe bereits bekannt und ebenfalls bekannt ist seine Freundschaftsbeziehung zu Peisias, dem größten Widersacher der Hochzeit von Ismenodora und Bakchon.49 Somit wird am Ende des Dialogs unmissverständlich sichtbar, dass alle Personen, die sich am Gespräch beteiligen, Teil eines Freundeskreises sind.50 Die drei Informationen, die Diogenes bringt, sind folgende: die Hochzeit von Ismenodora und Bakchon findet statt, Plutarch und seine Freunde sind zur Hochzeit eingeladen, Peisias hat sich mit Ismenodora versöhnt und nimmt ebenfalls an den Festivitäten teil. Da alle mit Freude und mit Nachfragen auf den Bericht reagieren, müssen diese Informationen für sie Neuigkeiten darstellen. So steht erneut wie bereits im ersten und zweiten Berührungspunkt der Erzählungen – und vermutlich auch wie im dritten – der Aspekt des Erstaunens im Vordergrund der Inszenierung. Die von Diogenes ausgesprochene Einladung zur Hochzeit fügt beide Erzählungen schließlich zusammen. Dies ist nur möglich, weil das philosophische Gespräch über Eros bereits zu Ende gegangen ist.51 Sie hatten die nötige Distanz zum Geschehen in der Stadt, um die philosophische Erörterung zum Ziel zu bringen. Ist diese abgeschlossen, kehren sie wieder in das Miteinander der Stadt zurück, das den eigentlichen Ausgangspunkt für das Philosophieren bildete. 7. SCHLUSSFOLGERUNGEN In den zwei Erzählungen, die sich im Erotikós parallel entwickeln, werden komplementäre Elemente eines philosophischen Dialogs sichtbar gemacht. Eine konkrete Liebesgeschichte steht neben einer theoretischen Erörterung über Eros. Dabei steht das ereignisreiche gesellschaftliche Leben der Stadt im Kontrast zu einem lautlosen Dasein in der ländlichen Umgebung. Dass beide Komponenten dieser Kontrastpaare wichtig für eine philosophische Betätigung sind, wird in den Berührungspunkten beider Geschichten deutlich. Das Hauptaugenmerk des Erzählers Autobulos liegt im philosophischen Gespräch auf dem Helikon. Hier ist ebenfalls die räumliche Bewegung des Dialogs zu finden: Zu Beginn in der Stadt zieht der Leser mit der Gruppe um Plutarch aufs Land, um schließlich in die Stadt zurückzukehren. So partizipiert das philosophische Gespräch an beiden Welten, während die Liebesgeschichte sich nur in der Stadt abspielt. Zudem verstärkt die Tatsache, dass die Kriegsbote!‘“. Diese Wortmeldung des Soklaros deutet auf eine gewisse Überraschung beim Erscheinen Diogenes’ hin. Vielleicht hatte Soklaros eine feindlichere Atmosphäre bei der Ankunft in Thespiai befürchtet. 49 Siehe die Frage von Zeuxippos an ihn: ἔτι χαλεπός ἐστι; „Ist (Peisias) noch böse?“, die sich auf Peisias beziehen muss, ohne ihn zu nennen. 50 Aus Böotien nehmen teil: Peisias, Anthemion, Daphnaios und Diogenes aus Thespiai selbst; Pemptides aus Theben und Plutarch aus Chaironeia. Von außerhalb Böotiens kommen Protogenes (aus Tarsos in Kilikien), Zeuxippos (aus Sparta) und Soklaros (aus Tithora in Pholis). 51 Ἐνταῦθα μὲν ὁ πατὴρ ἔφη τὸν περὶ Ἔρωτος αὐτοῖς τελευτῆσαι λόγον, τῶν Θεσπιῶν ἐγγὺς οὖσιν – „Hier endete, wie mein Vater berichtete, ihr Gespräch über den Eros. Sie waren jetzt nahe bei Thespiai.“

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Entwicklungen aus der Nebenerzählung um Ismenodora immer wieder durch Dialogfiguren in die Haupterzählung hineingetragen werden, die Wahrnehmung, dass sich Plutarch und seine Freunde für das philosophische Gespräch vom Zentrum des Geschehens wegbewegt haben. Der Helikon als ein ruhiger und dafür geeigneter Ort wird durch den Kontrast mit der Stadt wahrnehmbar gemacht. Die mimetische Darstellung des Dialogs entspricht einem philosophischen Prinzip Plutarchs, nämlich dass die Philosophie ihren Anfang im alltäglichen menschlichen Dasein hat. Dafür sprechen mehrere Elemente: Die erstaunliche Liebesgeschichte um Ismenodora und Bakchon initiiert das philosophische Gespräch. Die räumliche Distanz ermöglicht den notwendigen geistigen Abstand, um von einem konkreten Fall in die Betrachtung des Universellen zu gelangen. Die Figuren, die ihre Erlebnisse aus der Stadt in die Gesprächsgruppe einbringen, garantieren die ständige Verbindung des theoretischen Diskurses mit der Lebenswirklichkeit. Die Erzählung um Ismenodora ist schließlich mehr als nur ein weiteres exemplum im theoretischen Diskurs Plutarchs. Sie hat einen dezidierten Einfluss auf die Gestaltung und Entwicklung des Dialogs. In ihr liegt die Initialzündung der philosophischen Suche nach dem Wesen des heterosexuellen Eros. Zudem erlauben die Berührungspunkte zwischen beiden Erzählungen eine Justierung und eine Fortentwicklung des Gesprächsinhalts und seiner Dramaturgie. So werden Dialogfiguren entfernt, die in ihrer unpassenden Art zu diskutieren für die Fortführung der philosophischen Suche ein Hindernis darstellen. Ebenso lassen die Entwicklungen in der Stadt neue Aspekte in den Vordergrund des Gesprächs rücken. In der literarischen Gestaltung beider Erzählstränge, ihrer Verzahnung und gegenseitiger Beeinflussung wird die methodologische Intention in Plutarchs Erotikós deutlich. LITERATURVERZEICHNIS Kommentare und Übersetzungen Görgemanns (2011): Herwig Görgemanns, Plutarch: Dialog über die Liebe. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Herwig Görgemanns, Barbara Feichtinger, Fritz Graf, Werner Günter Jeanrond und Jan Opsomer, Tübingen (SAPERE 10).

Sekundärliteratur Barigazzi (1988): Adelmo Barigazzi: „Plutarco e il dialogo ‚drammatico‘“, Prometheus 14, 141– 163. Billaut (1999): Alain Billaut, „Le Dialogue sur l’Amour de Plutarque et les Dialogues de Platon sur l’Amour“, in: Aurelio Pérez Jiménez, José García López und Rosa María Aguilar (Hgg.), Plutarco, Platón y Aristóteles. Actas del V Congreso Internacional de la I.P.S. (MadridCuenca, 4–7 de mayo de 1999), Madrid, 201–213. Dillon (2018): John Dillon, „Aporetic Elements in Plutarch’s Philosophy“, in: George (E.) Karamanolis und Vasilis Politis (Hgg.), The Aporetic Tradition in Ancient Philosophy, Cambridge, 192–204.

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Effe (2002): Bernd Effe, „Die Liebe der Ismenodora. Zur Funktion der Rahmenhandlung in Plutarchs Erotikos“, Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 26, 99–111. Feichtinger (2011): Barbara Feichtinger, „Soziologisches und Sozialgeschichtliches zu Erotik, Liebe und Geschlechterverhältnis“, in: Herwig Görgemanns (Hg.), Plutarch: Dialog über die Liebe. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Herwig Görgemanns, Barbara Feichtinger, Fritz Graf, Werner Günter Jeanrond und Jan Opsomer, Tübingen (SAPERE 10), 245–282. Frazier (2005a): Françoise Frazier, „A propos de l’influence de la comédie dans l’Erotikos. Un réexamen de la notion de ‚dialogue dramatique‘“, in: Angelo Casanova (Hg.), Plutarco e l’età ellenistica. Atti del convegno internazionale di studi, Firenze, 23–24 settembre 2004, Florenz, 173–205. Frazier (2005b): Françoise Frazier, „La prouesse de Camma et la fonction des exempla dans le Dialoge sur l’Amour“, in: Aurelio Pérez Jiménez und Frances Bonner Titchener (Hgg.), Historical and Biographical Values of Plutarch’s Work. Studies devoted to Professor Philip A. Stadte by the International Plutarch Society, Logan, 197–202. Frazier (2006): Françoise Frazier, „L’Erotikos: un éloge du Dieu Éros? Une relecture du dialogue de Plutarque“, Ploutarchos 3, 63–102. Ginestí Rosell (2019): Anna Ginestí Rosell, „Etymologie beim Wein. Philologie in der Gruppenidentitätsbildung der Quaestiones Convivales von Plutarch“, in: Gregor Bitto und Anna Ginestí Rosell (Hgg.), Philologie auf zweiter Stufe. Literarische Rezeptionen und Inszenierungen hellenistischer Gelehrsamkeit, Stuttgart (Palingenesia 115), 183–200. Ginestí Rosell (2021): Anna Ginestí Rosell, „Der Umgang mit negativen Figuren in den Dialogen Plutarchs“, in: Gernot Michael Müller (Hg.), Figurengestaltung und Gesprächsinteraktion im antiken Dialog (Palingenesia 126), Stuttgart, 189–204. McInerney (2003): Jeremy McInerney, „Plutarch’s Manly Women“, in: Ralph Mark Rosen und Ineke Sluiter (Hgg.), Andreia. Studies in Manliness and Courage in Classical Antiquity, Leiden, 319–344. Opsomer (2011): Jan Opsomer, „Eros in Plutarchs moralischer Psychologie“, in: Herwig Görgemanns (Hg.), Plutarch: Dialog über die Liebe. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Herwig Görgemanns, Barbara Feichtinger, Fritz Graf, Werner Günter Jeanrond und Jan Opsomer, Tübingen (SAPERE 10), 217–244. Scarcella (1991): Antonio M. Scarcella, „Struttura Narratologica dell’ Amatorius“, in: Gennaro D’Ippolito und Italo Gallo (Hgg.), Strutture formali dei Moralia di Plutarco. Atti del III Convegno plutarcheo, Palermo, 3–5 maggio 1989, Napoli, 347–356. Schmitt-Pantel (2009): Pauline Schmitt-Pantel, „Autour du traité de Plutarque Vertus de femmes (Gunaikôn Aretai)”, Clio 30, 39–59. Schoppe (1994): Christoph Schoppe, Plutarchs Interpretation der Ideenlehre Platons, Münster. Scolan (2017): Yannick Scolan, Le Convive et le Savant: sophistes, rhéteurs, grammairiens et philosophes au banquet de Platon à Athénée, Paris (Etudes anciennes 156). Thum (2013): Tobias Thum, Plutarchs Dialog De E apud Delphos, Tübingen. Ziegler (1951): Konrat Ziegler, „Plutarchos von Chaironeia“, RE 21.1, 636–962.

III. MODELLIERUNGEN DES ERZÄHLERS IM ANTIKEN DIALOG

DAS ‚THEATER‘ IM DIALOG: VISUALISIERUNG DURCH ERZÄHLUNG Sabine Föllinger 1. ‚ERZÄHLUNG‘ ALS RAHMENHANDLUNG IM PLATONISCHEN DIALOG Die Form der ‚Erzählung‘, die in diesem Beitrag untersucht wird, sind die narrativen Partien Platonischer Dialoge, die in das Dialoggeschehen einführen, es rahmen und auch unterbrechen. Bereits in der Antike unterschied man Dialoge mit Erzähler, die als Erzählung in der 1. Person gestaltet sind (diegematische Dialoge) wie Charmides und Politeia, Dialoge ohne Erzähler, die als direkter Sprecherwechsel gezeichnet sind (dramatische Dialoge) wie die Mehrzahl der Dialoge, und gemischte Dialoge, die mit einem Gespräch beginnen und dann als Erzählung einer Figur dieses Gesprächs fortgeführt werden wie Protagoras und Symposium,1 bei denen dem Erzähler ein textinterner Adressat gegenübertreten kann.2 Eine metapoetische Reflexion über die dramatische und die diegematische Form des Dialogs bietet der Beginn des Theaitetos (143A). Hier beschließen die Gesprächspartner, Einschübe wie „er sagte“ wegzulassen und das Gespräch direkt wiederzugeben. Damit wird die theoretische Diskussion aus der Politeia aufgenommen, in der Sokrates unterschiedliche narrative Formen (diegesis) unterscheidet (392C–394C): eine „rein narrative (haplé diegesis)“ Form, die als „Bericht“ (apaggelía) des Dichters gestaltet ist und für die Sokrates den Dithyrambus als Beispiel anführt, eine durch Nachahmung gestaltete Form wie das Drama und eine gemischte Form, wie sie das Epos bietet.3 Die Überlegungen in der Politeia in Verbindung mit denen im Theaitetos können auch als eine Art metapoetischer Reflexion zum Platonischen Dialog gelesen werden, der auf geschickte Weise Elemente des Dramas und solche des Epos mischen kann. Denn Erzählung wird in den Platonischen Dialogen unterschiedlich eingesetzt. So kann die Narrativität eines diegetischen Dialoges bewirken, dass der Rezipient das eigentliche Gespräch aus einer bestimmten Distanz betrachtet – anders als im dramatischen Dialog, wo man in medias res versetzt wird. Dort, wo es zusätzlich zum eigentlichen Gespräch Rahmengespräche gibt, aus denen sich dann die Erzählung des eigentlichen Gesprächs ergibt, wie im Protagoras, wird 1 2 3

Vgl. Erler (2007) 71–75, Finkelberg (2019) 1f. Zu textinternen Erzählern und Adressaten vgl. Erler (2007) 70. Wie Finkelberg (2019) 1–5 betont, ist auch die dramatische Form eine Unterform der ‚diegesis‘.

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die Distanz u. U. noch größer. Außerdem bietet sich damit für den textexternen Adressaten die Möglichkeit, die Fokalisierung der Rahmenhandlung mit der der Erzählung des Hauptgesprächs zu vergleichen. Im Unterschied zum dramatischen Dialog ermöglichen damit die narrativen Formen des Dialogs durch das Zwischenschalten einer Erzählerinstanz4 eine gewisse Distanzierung der textexternen Adressaten von dem inszenierten Gespräch bzw. seinen Teilnehmern und damit bestimmte Weisen der Rezipientensteuerung, über die der dramatische Dialog nicht verfügt.5 Auch kann der Autor, indem er die Erzählung des eigentlichen Gesprächs durch das Hereinholen der Rahmenhandlung unterbricht,6 die Rezeption bestimmter Elemente wie etwa Ironie steuern.7 Oder die so entstandene Unterbrechung kann zu einem Bruch der Illusion – wie im Theater – führen, dadurch eine Distanzierung des textexternen Adressaten und damit eine verstärkte Reflexion fördern. Diese Distanz schaffende Erzählung kann dann gegebenenfalls auch dazu beitragen, dass der Rezipient dem Gespräch wie einem Theaterstück zuschauen kann, weil der Erzähler durch Hinweise auf das, was er sieht, das Geschehen vor dem ‚inneren‘ Auge lebendig machen kann.8 Die Erzählung erzeugt also den Charakter einer Theaterdarbietung. Da es sich dabei um eine Theaterdarbietung in der Vorstellung des Rezipienten handelt, kann man von einer ‚inneren Visualisierung‘ sprechen, die der Erzähler des im Dialog geschilderten Gesprächs herstellt. Es ist die formale Gestaltung der erzählenden Partie, die es dem Rezipienten ermöglicht, mental der Inszenierung beizuwohnen, etwa indem der Erzähler mehr oder weniger intensiv auf optische und akustische Eindrücke hinweist und so den Rezipienten das dargestellte Gespräch und die damit verbundenen Handlungen aus seiner Perspektive erleben lässt. Ein solches Mittel erinnert an die Mauerschau in Homers Ilias (3,122–244), in der Helena von der trojanischen Mauer aus Priamos über die griechischen Helden informiert. Indem hier das Aussehen und der Habitus der Helden aus der Sicht von Helena und Priamos geschildert werden, wird der Rezipient gewissermaßen zum Zuschauer, was dem Ganzen ein großes Maß an Intensität verleiht. Eine solche Narrativität, die durch Schilderung und Kommentierung dem Geschehen Konkretheit gibt, nützt Platon nun innerhalb des Dialogs. 4

5 6 7 8

Dem Erzähler in den Platonischen Dialogen widmet sich die Untersuchung von Finkelberg (2019). Sie bietet viele nützliche und weiterführende Beobachtungen. Aber ihre These, dass auch die dramatischen Dialoge eigentlich dihegetische seien, weil in ihnen der primary narrator ‚unterdrückt‘ werde und deshalb die in ihnen inszenierten Gespräche aus der Perspektive eines „implicit narrator“ geschildert seien, ist nicht überzeugend. Denn damit wird künstlich eine Unterscheidung, die Platon offensichtlich durch die unterschiedliche Gestaltung der Dialoge gewahrt wissen wollte, nivelliert. Dieses Ziel der Distanzierung wird in den dem Theaitetos folgenden Dialogen offensichtlich aufgegeben bzw. zurückgestellt, da die folgenden Dialoge nur noch dramatisch sind, vgl. Erler (2007) 72. Zur Metalepse vgl. Finkelberg (2019) 22f. Vgl. hierzu Föllinger, Ironie und gelingendes Gespräch bei Platon: der Dialog Protagoras (im Erscheinen). Vgl. Erler (2007) 72: „Platons ‚historische‘ Darstellungsweise versetzt den Leser in die Rolle eines Theaterzuschauers.“

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Und offensichtlich hat er, auch wenn er die Form des diegematischen Dialogs wohl nicht erfand, dessen literarische Möglichkeiten besonders ausgeschöpft und weitergetrieben.9 Ohne die Dialogform zu verlassen,10 macht er sich so die dem Epos und anderen narrativen Gattungen vorbehaltenen Möglichkeiten zunutze und verbindet sie mit den Charakteristika der dramatischen Form. Für die Rekonstruktion der historischen Rezeptionssituation, d.h. für die Frage, auf welche Weise Platons Rezipienten den Eindruck einer Inszenierung gewinnen konnten, ist es hilfreich, die (wahrscheinliche) Rezeptionssituation der Platonischen Dialoge mit zu bedenken, die der inneren Visualisierung förderlich war.11 Die Funktionen der durch Erzählung imaginierten Inszenierung variieren und sind, wie auch die anderen literarischen Charakteristika, eng mit Thema und Argumentationsgang des jeweiligen Dialogs verbunden. Dies soll im Folgenden an dem bekannteren Platonischen Dialog Protagoras und an dem in der Forschung weniger behandelten Dialog Oikonomikos Xenophons betrachtet werden. 2. (PLATONISCHER) DIALOG UND DRAMA Es ist lange erkannt und vielfach behandelt, dass gerade Platons Dialoggestaltung Elemente verschiedener literarischer Gattungen aufweist,12 so auch solche aus dem Drama.13 Dies gilt für Tragödie und Komödie.14 Dass der Phaidon eine Art von Tragödie darstellt, wurde bereits formuliert, und es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass Sokrates als eine Art tragischer Held bzw. Antiheld inszeniert sein kann.15 Die Nähe des Dialogs Symposion zur Alten Komödie ist offensichtlich.16 Aber auch der Protagoras weist eine enge Nähe zur Komödie 9 Vgl. Erler (2007) 72f. 10 Auch Werke aus der Gruppe der dramatischen Dialoge weisen erzählende Partien auf. Dann ist es eine Figur des Dialogs, die aus ihrer Perspektive eine Begebenheit schildert, so wie beispielsweise im Laches (183C–E). Aber die sog. diegetischen Dialoge bieten dadurch, dass eine Figur in das Gespräch einführt und dabei etwa ausführlicher die Szenerie schildert, noch andere Möglichkeiten der Rezipientenlenkung. 11 Die Frage von Visualisierung spielt im Übrigen auch in der modernen sog. empirischen Rezeptionspsychologie, die sich mit fiktionaler Literatur befasst, eine Rolle. Vgl. dazu Groeben/Christmann (2014). 12 Vgl. die Zusammenfassung des Forschungsstandes bei Erler (2007) 80f. 13 Finkelberg (2019) 14 spricht von „drama-oriented turn“. Vgl. Tarrant (1955) und Haslam (1972) zum Mimos, Brock (1990), Mader (1977) und Zimmermann (2016) zur Komödie, Jäkel (1992) zu Komödie und Tragödie sowie generell Nightingale (1995) 172–192. 14 Platon soll Sophron sehr geschätzt und seine Mimen ständig zur Hand gehabt haben (DL 3,18; Duris von Samos bei Athen. 11,504b = FGrH 76 F 72). Aristoteles vergleicht sogar (Poetik 2. 1447b10) die mimetische Art von Platons „sokratischen Dialogen“ mit den Mimen des Sophron. Zu Platons Rezeption der Komödie vgl. Zimmermann (2016). 15 Vgl. Erler (2007) 62. 16 Einer der Gesprächspartner ist der Komödiendichter Aristophanes, und der noch junge Alkibiades tritt in einer durchaus komödienhaften Weise betrunken als verhinderter Liebhaber des Sokrates auf. Aristophanes’ Komödie Ritter und Platons Gorgias weisen eine vergleichbare Verwendung komischer Invektiven auf. So konnte Nightingale zeigen, dass Kallikles’

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auf. So ist der Anfang dieses Dialogs offensichtlich eine Anspielung auf den Beginn der 421 v. Chr. aufgeführten Komödie Kolakes (Schmeichler) des Eupolis.17 Die Kolakes hatten ein Sophistentreffen, an dem auch Protagoras teilnahm, im Haus des Kallias aufs Korn genommen.18 Ebenso kann im Protagoras die Szene, in der der Diener des Kallias dem Sokrates die Türe vor der Nase zuschlägt, als eine Reminiszenz an die Komödie gelten.19 Mit dieser Adaptation oder besser: Anverwandlung ‚kanonischer‘ Dichtungsgattungen wollte Platon nach der communis opinio zeigen, dass seine Dialoge als nicht nur ästhetisch gelungene, sondern auch im Dienst der Wahrheitssuche stehende Werke die konventionellen Literaturformen überträfen.20 Im Dienste dieser Anverwandlung steht nun auch die Visualisierung durch Erzählung. Mit ihr bewirkte Platon im nicht-dramatischen Genos des Dialogs eine Annäherung an die von ihm einerseits kritisierte, andererseits unter dem Gesichtspunkt literarischer Gestaltung auch als Vorbild benutzte Gattungen der Tragödie und der Komödie.21 Diese mentale Inszenierung trägt zum besonderen literarischen Charakter seiner Dialoge bei, aber sie steht auch im Dienst der jeweiligen Argumentation. 3. DIE MENTALE EINBINDUNG DES REZIPIENTEN DURCH DIE DIALOGFORM UND DIE REZEPTIONSSITUATION Für die Rekonstruktion einer ‚Rezipientenpsychologie‘ sind zwei Merkmale des Dialogs zu berücksichtigen: 1. die literarische Form selbst, 2. die Rezeptionssituation. 3.1. Die Dialogform Die mentale Einbindung des Rezipienten gelingt schon durch die dialogische Form selbst. So hat man in der Platon-Forschung einen Grund, warum Platon gerade die Dialogform wähle, darin gesehen, dass diese den Rezipienten in besonderer Weise emotional und kognitiv stimuliere und in den Erkenntnisprozess einbinde. Denn er könne sich nicht mit einer sozusagen dogmatisch vorgetragenen Meinung identifizieren, sondern solle durch den Austausch von Positionen stets zum

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Charakterisierung durch Sokrates (481D–E) als höriger Liebhaber (ἐραστής) des athenischen Demos die Charakterisierung des Paphlagoniers und des Wursthändlers in den Rittern widerspiegelt, die Aristophanes als Schmeichler und Erastai (V. 732f.) des Demos charakterisierte, vgl. Nightingale (1995) 187–190. Die Regelungen für die Frauen im Wächterstand der Politeia weisen einige verblüffende Ähnlichkeiten mit Aristophanes’ Ekklesiazusen auf. Vgl. Zimmermann (2016) 50f. und 52 mit Verweis auf Manuwald (1990) 130–133. Vgl. Nigthingale (1995) 186. Vgl. unten, S. 148. Vgl. Erler (2007) 62f. Zu den literarischen Vorbildern vgl. Erler (2007) 68f.

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Nach- und Weiterdenken angeregt werden. Dazu trägt Blondell zufolge gerade das Setting bei, das Platon am Beginn eines Dialogs in konkreter Weise entwirft. Es stimuliert „the reader’s imaginative participation“.22 Auch die Tatsache, dass Platon philosophische Reflexion in die Gestaltung realen Lebens einbettet, trägt zur Formung des mentalen Bildes des Rezipienten bei. Dazu gehören die Elemente, die in einem Drama Teil der Inszenierung sind und im Dialog dem Rezipienten durch Narration mental vermittelt werden: „Platonic dialogue invites us to stage such embodied agents in our own minds.“23 Mitunter wird die Evokation des mentalen Bildes im Rezipienten durch Metaphern aus dem Theater oder allgemein Ausdrücke des Schauens induziert, um dann die Szene näher auszumalen. 3.2. Die historische Rezeptionssituation Platonischer Dialoge Neben der literarischen Form ist aber auch die (wahrscheinliche) historische Rezeptionssituation zu berücksichtigen. Denn wenn Blondell vom „Leser (reader)“ eines Platonischen Dialogs spricht, trifft dies zwar auf die moderne Rezeptionssituation zu. Und selbstverständlich entfaltet die durch die Erzählung gesteuerte mentale Inszenierung auch beim Lesen ihre Wirkung. Doch wenn man die historische Rezeptionssituation bedenkt, wird noch viel deutlicher, welche suggestive Kraft die Rahmenerzählungen ausgeübt haben müssen. Mit der Rezeption Platonischer Dialoge hat sich Silvia Usener differenziert auseinandergesetzt. Indem sie Aussagen der Dialoge poetologisch interpretiert und Informationen der Briefe Platons mit hinzuzieht, kann sie plausibel machen, dass der ‚implizite‘ Adressat der Platonischen Dialoge der Hörer, nicht der stille Leser war. Dabei setzt sich Usener auch mit dem Problem auseinander, wie man den Widerspruch erklären kann, dass einerseits in Platons Ion die suggestive Kraft, die die laute Rezitation von epischer Dichtung ausübt, kritisiert wird, dass aber andererseits Platon selbst sich der dialogischen Form bediente und seine Dialoge offensichtlich als ‚Dichtung‘ verstanden wissen wollte,24 die durch Hören 22 Blondell (2002) 47f.: „This stimulation of the reader’s emotional and intellectual engagement is by no means coincidental. Rather, it is the second main function of dialogue form, as I – and many others – see it. To be sure, any form of discourse implicitly invites a reader to respond. But dramatic discourse involving more than one speaker invites us to do so in a particular way. […] The stimulating role of such plurality is clearest in the aporetic dialogues, where the reader is left to ponder unanswered questions. But even when a dialogue reaches positive results, the reader’s imaginative participation continues to be elicited at the end by the fact that Plato almost never closes the dramatic frame with which most of his dialogues begin. […] Platonic dialogue invites us to stage such embodied agents in our own minds.“ 23 Blondell (2002) 48: „Drama proper uses literal embodiment as a way of influencing our understanding of the text, e.g. through costume, gesture, choice of actor, and acting style; Platonic dialogue invites us to stage such embodied agents in our own minds. By using dialogue form, then, Plato is co-opting the psychological power of dramatization.“ 24 Denn Platons Dialoge sind auf den ersten Blick mit mimetischen Werken wie Tragödie und Komödie vergleichbar, die er bekanntlich in der Politeia durch Sokrates kritisieren lässt, und

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rezipiert werden sollte. Diesen Widerspruch löst Usener durch die These, dass Platon an einen Vorleser mit einem kleineren Kreis von Zuhörern gedacht habe – im Unterschied zu einem Massenpublikum, vor dem etwa ein Homerrhapsode wie Ion vortrug. Zudem sollte die Lesung der Ausgangspunkt für ein Gespräch über den Dialog sein.25 Diese These zur Rezeptionssituation Platonischer Dialoge stellt Usener auf, indem sie die Rahmenhandlung des Theaitetos mit der des Phaidros vergleicht und die Schilderung der Rezeptionssituation von Texten metapoetisch deutet. Was implizit durch Useners Zugriff deutlich wird bzw. was die von ihr besprochenen Texte (neben Platon auch Isokrates) deutlich machen, ist die visionäre Kraft, die das Anhören von Dichtung, aber auch von Prosatexten ganz offensichtlich besaß. Dies wird ex negativo klar, wenn man den Ion liest.26 In ihm (533D1ff.) wird der Rhapsode als ein Vermittler betrachtet, der die magische Kraft der Dichtung auf das Publikum überträgt. Das Publikum, das ja ein Hörpublikum ist, wird hier verschiedentlich als „Zuschauer“ bezeichnet (θεώμενοι in 535B3 und θεατής in 535D8 und E7), wodurch die visuelle Potenz eines gut dargebotenen Vortrags zum Ausdruck gebracht wird. Dies zeigt, dass durch Hören vermittelte Werke stark die innere Visualisierung anregten. Neben anderen Autoren27 spricht davon auch der Autor der Schrift Peri hýpsous. Er urteilt über die Verfahrensweise von Herodot (26,2), der den Zuhörern durch persönliche Anrede Landschaftsbeschreibungen direkt vor Augen führt, folgendermaßen: „Siehst du, mein Freund, wie er deine Seele ergreift (παραλαβών σου τὴν ψυχήν) und dich so durch die Gegenden führt, indem er dich das, was du hörst, sehen läßt (τὴν ἀκοήν ὄψιν ποιῶν)?“28 Wenn man sich die von mir im Folgenden geschilderten Elemente der Inszenierung durch einen Leser vorgetragen denkt, wird es noch deutlicher, dass Platon hier innovativ ist. Denn er integriert nicht, wie das Epos, in einen diegetischen Text Mimesis, sondern integriert umgekehrt in einen eigentlich dramatischen Text Diegese und stellt durch einen Erzähler eine – auch historische – Distanz des Rezipienten her.

25 26 27 28

„das Prinzip, durch das die Mimesis, wie sie in Tragödie und Komödie zu finden ist, erläutert wird, ist dasselbe, das Eukleides im Theaitet (143B5ff.) in seinem Kommentar zu der Form seines aufgeschriebenen Dialogs heranzieht. Eine Verwandtschaftsbeziehung zwischen dem platonischen Dialog und dem mimetischen Drama wird dadurch vom Autor selbst suggeriert“ (Usener 1994, 226). Usener (1994) 224–226. Vgl. Usener (1994) 144f. Isok. Nik. (48), Thuk. 3,38,4, Plat., Phaidr. 258B2f. Übersetzung von Usener (1994) 146.

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4. DIALOGISCHE INSZENIERUNG DURCH ERZÄHLUNG 4.1. Platon, Protagoras Besonders schön kann man im Dialog Protagoras beobachten, wie die Dihegese des Erzählers zur Konkretisierung einer mentalen Inszenierung beiträgt. Dass die Gestaltung dieses Werks eine Nähe zur Komödie aufweist, wurde, wie oben dargelegt, in der Forschung bereits herausgestellt. Der Protagoras gehört zu den ‚gemischten‘ Dialogen, d.h. er setzt in medias res, also dramatisch, ein, indem er ein Gespräch zwischen Sokrates und einem namenlosen Freund wiedergibt. Im Lauf dieses Gesprächs aber wird Sokrates zum Erzähler. Er berichtet davon, wie ein junger Mann namens Hippokrates ihn überredete, zu einem Sophistentreffen im Haus des Kallias mitzugehen, um den Sophisten Protagoras zu hören. Im Anschluss erzählt Sokrates ausführlich von diesem Treffen und seinem Streitgespräch mit Protagoras. Sokrates’ Erzählung ermöglicht nun dem Rezipienten, in seiner Imagination ein lebhaftes Bild von dem Geschehen zu entwerfen. Dazu trägt bei, dass Sokrates als eine Art von homodiegetischer Erzähler29 seine Eindrücke, aber auch das Gesehene schildert und darüber hinaus kommentiert. Als homodiegetischer Erzähler spielt er dabei eine Rolle wie der epische Erzähler Odysseus, und tatsächlich wird die Odyssee auch später noch zitiert – dazu unten mehr! Teil der homodiegetischen Erzählung ist die Kommentierung des Geschehens. Sie beginnt damit, dass Platon Sokrates den Charakter des Hippokrates vor Augen führen lässt. Denn er lässt Sokrates (gegenüber dem namenlosen Freund) konstatieren, er kenne Hippokrates’ draufgängerisches Wesen und seine Aufgeregtheit und deshalb habe er gefragt, ob Protagoras ihm irgendwie zu nahe getreten sei.30 Etwas später können wir ‚durch Sokrates’ ‚Brille‘ sehen, dass Hippokrates errötet, als Sokrates ihm die zentrale Frage stellt, welchen Effekt er sich denn von einem Unterricht durch Protagoras erhoffe:31 „Und der sagte errötend – denn es begann schon zu dämmern, so dass er deutlich zu sehen war (Καὶ ὃς εἶπεν ἐρυθριάσας ἤδη γὰρ ὑπέφαινέν τι ἡμέρας, ὥστε καταφανῆ αὐτὸν γενέσθαι)“. Die eingeschobene Bemerkung, Sokrates habe aufgrund des Tagesanbruchs Hippokrates’ Erröten sehen können, hilft bei der Konkretisierung des ‚mentalen Bildes‘. Diese Passage nennt Demetrios in Perì hermeneías (§ 218) als Beispiel für „enárgeia“ und betrachtet sie als ein Zeichen der Sorgfalt, mit der Platon den Dialog gestaltet habe. Denn durch die Wendung, dass man Hippokrates’ Erröten aufgrund des Tagesanbruchs habe erkennen können, gebe Platon die Begleitumstände minutiös wieder und rufe dem Hörer in Erinnerung, dass Hippokrates ganz früh am Morgen zu Protagoras kam (310A8: ἔτι βαθέος ὄρθρου). Eine solche enárgeia trägt, wie Demetrios im Kontext seines Verweises auf Platon erklärt, zur 29 Nach Finkelbergs Terminologie der „Narrator-Hero (Explicit)“. 30 Plat. Prot. 310D2–4: Καὶ ἐγὼ γιγνώσκων αὐτοῦ τὴν ἀνδρείαν καὶ τὴν πτοίησιν, „Τί οὖν σοι,“ ἦν δ’ ἐγώ, „τοῦτο; μῶν τί σε ἀδικεῖ Πρωταγόρας;“ 31 Plat. Prot. 312A2–3.

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Plausibilisierung bei. Sie ist aber auch Teil der Emotionssteuerung beim textinternen wie beim textexternen Adressaten, wie ein anderes Beispiel (aus Ktesias), das Demetrios zitiert, belegt (§ 216). Ganz den Charakter einer Theatervorführung hat dann Sokrates’ Schilderung, wie er und Hippokrates in das Haus des Kallias gelangten und dort die Sophisten erblickten. Diese beginnt mit einer ‚Türsteherszene‘, die der Komödie entlehnt zu sein scheint. Denn Sokrates führt aus, wie er und Hippokrates ins Gespräch vertieft bis zum Haus des Kallias gingen und sich dort im Vorhof noch weiter unterhielten. Und da, so Sokrates’ Erzählung, „scheint der Türsteher, ein Eunuch, uns gehört zu haben, und er war wohl wegen der Masse der Sophisten, die das Haus bevölkerten, genervt. Wir klopften also, und als er uns öffnete und uns sah, sagte er: ‚Oh je (Ἔα), schon wieder irgendwelche Sophisten! Er hat keine Zeit.‘ Und mit beiden Händen knallte er die Tür mit der ganzen Kraft, die er nur aufbringen konnte, wieder zu. Und wir klopften wieder, und der gab uns bei geschlossener Tür folgende Antwort: ‚Leute‘, sagte er, ‚habt ihr nicht gehört? Er hat keine Zeit.‘ ‚Aber Bester‘, sagte ich dann, ‚wir kommen nicht zu Kallias, und wir sind auch keine Sophisten. Nur Mut! Wir kommen doch nur, um Protagoras zu sehen. Melde uns also an.‘ Da also öffnete uns der Typ mit Müh’ und Not die Türe.“32 Das mentale Bild des Rezipienten trägt eindeutig komödienhafte Züge. Dazu trägt u.a. bei, dass die Exklamation „Ἔα“ eigentlich ein für eine Bühnenaufführung typischer Ausruf ist.33 Damit aber ist der Rezipient schon auf eine ‚komische‘ Situation eingestimmt und wird das Sophistentreffen, das Sokrates im Folgenden anschaulich schildert, auf diese Weise betrachten. Und was folgt, gibt weiter Anlass zum Lachen. Denn Sokrates schildert im Folgenden, immer noch in der Rolle des homodiegetischen Erzählers, die Situation, die er und Hippokrates beim Betreten des Hauses antrafen. Das Signalwort ist „wir erblickten (κατελάβομεν)“, das nicht allein die sinnliche Wahrnehmung, sondern auch das geistige Erfassen ausdrückt.34 In Verbindung mit der Partizipialkonstruktion führt es das Geschehen als ein gegenwärtiges dem Rezipienten vor Augen, der nicht nur ‚sieht‘, sondern den Sinn erfasst. Dabei unterliegt die An-

32 Prot. 314C3–E2: Δόξαν ἡμῖν ταῦτα ἐπορευόμεθαꞏ ἐπειδὴ δὲ ἐν τῷ προθύρῳ ἐγενόμεθα, ἐπιστάντες περί τινος λόγου διελεγόμεθα, ὃς ἡμῖν κατὰ τὴν ὁδὸν ἐνέπεσενꞏ ἵν’ οὖν μὴ ἀτελὴς γένοιτο, ἀλλὰ διαπερανάμενοι οὕτως ἐσίοιμεν, στάντες ἐν τῷ προθύρῳ διελεγόμεθα ἕως συνωμολογήσαμεν ἀλλήλοις. δοκεῖ οὖν μοι, ὁ θυρωρός, εὐνοῦχός τις, κατήκουεν ἡμῶν, κινδυνεύει δὲ διὰ τὸ πλῆθος τῶν σοφιστῶν ἄχθεσθαι τοῖς φοιτῶσιν εἰς τὴν οἰκίανꞏ ἐπειδὴ γοῦν ἐκρούσαμεν τὴν θύραν, ἀνοίξας καὶ ἰδὼν ἡμᾶς, “Ἔα,” ἔφη, “σοφισταί τινεςꞏ οὐ σχολὴ αὐτῷꞏ” καὶ ἅμα ἀμφοῖν τοῖν χεροῖν τὴν θύραν πάνυ προθύμως ὡς οἷός τ’ ἦν ἐπήραξεν. καὶ ἡμεῖς πάλιν ἐκρούομεν, καὶ ὃς ἐγκεκλῃμένης τῆς θύρας ἀποκρινόμενος εἶπεν, “Ὦ ἄνθρωποι,” ἔφη, “οὐκ ἀκηκόατε ὅτι οὐ σχολὴ αὐτῷ;” “Ἀλλ’ ὠγαθέ,” ἔφην ἐγώ, “οὔτε παρὰ Καλλίαν ἥκομεν οὔτε σοφισταί ἐσμεν. ἀλλὰ θάρρειꞏ Πρωταγόραν γάρ τοι δεόμενοι ἰδεῖν ἤλθομενꞏ εἰσάγγειλον οὖν.” μόγις οὖν ποτε ἡμῖν ἅνθρωπος ἀνέῳξεν τὴν θύραν. 33 Vgl. Denyer (2008), zur Stelle. Diese ist eine von zwei Passagen, an denen der Ausdruck nicht von einer Bühnenfigur gebraucht wird 34 Vgl. Liddell-Scott (1968) s.v.: „seize with the mind, comprehend.“

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ordnung der Szene einer richtiggehenden Dramaturgie, die hier vollständig wiedergegeben werden soll:35 Ἐπειδὴ δὲ εἰσήλθομεν, κατελάβομεν Πρωταγόραν ἐν τῷ προστῴῳ περιπατοῦντα, ἑξῆς δ’ αὐτῷ συμπεριεπάτουν ἐκ μὲν τοῦ ἐπὶ θάτερα Καλλίας ὁ Ἱππονίκου καὶ ὁ ἀδελφὸς αὐτοῦ ὁ ὁμομήτριος, Πάραλος ὁ Περικλέους, καὶ Χαρμίδης ὁ Γλαύκωνος, ἐκ δὲ τοῦ ἐπὶ θάτερα ὁ ἕτερος τῶν Περικλέους Ξάνθιππος, καὶ Φιλιππίδης ὁ Φιλομήλου καὶ Ἀντίμοιρος ὁ Μενδαῖος, ὅσπερ εὐδοκιμεῖ μάλιστα τῶν Πρωταγόρου μαθητῶν καὶ ἐπὶ τέχνῃ μανθάνει, ὡς σοφιστὴς ἐσόμενος. τούτων δὲ οἳ ὄπισθεν ἠκολούθουν ἐπακούοντες τῶν λεγομένων τὸ μὲν πολὺ ξένοι ἐφαίνοντο ‒ οὓς ἄγει ἐξ ἑκάστων τῶν πόλεων ὁ Πρωταγόρας, δι’ ὧν διεξέρχεται, κηλῶν τῇ φωνῇ ὥσπερ Ὀρφεύς, οἱ δὲ κατὰ τὴν φωνὴν ἕπονται κεκηλημένοι ‒ ἦσαν δέ τινες καὶ τῶν ἐπιχωρίων ἐν τῷ χορῷ. τοῦτον τὸν χορὸν μάλιστα ἔγωγε ἰδὼν ἥσθην, ὡς καλῶς ηὐλαβοῦντο μηδέποτε ἐμποδὼν ἐν τῷ πρόσθεν εἶναι Πρωταγόρου, ἀλλ’ ἐπειδὴ αὐτὸς ἀναστρέφοι καὶ οἱ μετ’ ἐκείνου, εὖ πως καὶ ἐν κόσμῳ περιεσχίζοντο οὗτοι οἱ ἐπήκοοι ἔνθεν καὶ ἔνθεν, καὶ ἐν κύκλῳ περιιόντες ἀεὶ εἰς τὸ ὄπισθεν καθίσταντο κάλλιστα. Τὸν δὲ μετ’ εἰσενόησα, ἔφη Ὅμηρος, Ἱππίαν τὸν Ἠλεῖον, καθήμενον ἐν τῷ κατ’ ἀντικρὺ προστῴῳ ἐν θρόνῳꞏ περὶ αὐτὸν δ’ ἐκάθηντο ἐπὶ βάθρων Ἐρυξίμαχός τε ὁ Ἀκουμενοῦ καὶ Φαῖδρος ὁ Μυρρινούσιος καὶ Ἄνδρων ὁ Ἀνδροτίωνος καὶ τῶν ξένων πολῖταί τε αὐτοῦ καὶ ἄλλοι τινές. ἐφαίνοντο δὲ περὶ φύσεώς τε καὶ τῶν μετεώρων ἀστρονομικὰ ἄττα διερωτᾶν τὸν Ἱππίαν, ὁ δ’ ἐν θρόνῳ καθήμενος ἑκάστοις αὐτῶν διέκρινεν καὶ διεξῄει τὰ ἐρωτώμενα. Καὶ μὲν δὴ καὶ Τάνταλόν γε εἰσεῖδον ἐπεδήμει γὰρ ἄρα καὶ Πρόδικος ὁ Κεῖος ‒ ἦν δὲ ἐν οἰκήματί τινι, ᾧ πρὸ τοῦ μὲν ὡς ταμιείῳ ἐχρῆτο Ἱππόνικος, νῦν δὲ ὑπὸ τοῦ πλήθους τῶν καταλυόντων ὁ Καλλίας καὶ τοῦτο ἐκκενώσας ξένοις κατάλυσιν πεποίηκεν. ὁ μὲν οὖν Πρόδικος ἔτι κατέκειτο, ἐγκεκαλυμμένος ἐν κῳδίοις τισὶν καὶ στρώμασιν καὶ μάλα πολλοῖς, ὡς ἐφαίνετο. Als wir eben eintraten, trafen wir Protagoras dabei an, wie er im Wandelgang spazieren ging, der Reihe nach gingen mit ihm spazieren: auf einer Seite Kallias, des Hipponikos Sohn, und sein Halbbruder mütterlicherseits, Paralos, des Perikles Sohn, und Charmides, des Glaukon Sohn, auf der anderen der andere Sohn des Perikles, Xanthippos, und Philippides, des Philomelos Sohn, und Antimoiros aus Menda, der ja besonders reüssiert unter den ProtagorasSchülern und fürs Fach lernt, um Sophist zu werden. Hinter ihm folgten bloße Zuhörer der Gespräche, augenscheinlich zumeist Fremde – sie zieht Protagoras aus allen Städten nach sich, die er durchreist, indem er sie bezaubert mit seiner Stimme, wie Orpheus, und sie folgen seiner Stimme bezaubert nach – es gab aber auch manche Einheimische in dem Chor. An diesem Chor freute mich besonders zu beobachten, wie fein sie sich hüteten, Protagoras jemals von vorn hinderlich zu sein; wenn er persönlich umschwenkte und seine Begleiter, teilten sich diese Zuhörer irgendwie geschickt in Reih und Glied hierhin und dahin, und zwar machten sie im Kreis kehrt und stellten sich schön brav immer nach hinten. ‚Nach ihm bemerkt’ ich‘ – sprach Homer – Hippias aus Elis im Wandelgang gegenüber auf einem Schemel sitzen. Um ihn saßen auf Bänken Eryximachos, Sohn des Akumenos, Phaidros, der Myrrhinusier, Andron, Sohn des Androtion, und unter den Fremden Mitbürger von ihm und einige andere. Sie schienen über die Allgesetzlichkeit und die Himmelserscheinungen den Hippias allerlei Astronomisches zu fragen, und er, auf dem Sessel sitzend, urteilte für jeden und musterte die Fragen durch. ‚Und so erblickte ich denn auch Tantalos‘ – im Lande war da ja tatsächlich auch Prodikos aus Keos -, er befand sich in einem Raum, den Hipponikos zuvor als Vorratskammer brauchte, jetzt aber – wegen der Schar der Logiergäste – hatte Kallias auch ihn leergeräumt und für Gäste zum Logierzimmer gemacht. Prodikos nun lag noch, eingehüllt in diverse Pelze und Decken, und zwar sehr viele, wie zu sehen war. 35 Prot. 314E3–315D4; Übersetzung von Krautz (1987).

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Die homodiegetische Erzählung erlaubt es dem Rezipienten, der in der Originalsituation ein ‚Hörer‘ war, eine theaterhafte Situation vor dem inneren Auge zu erkennen. Er ‚erblickt‘, sozusagen zusammen mit Sokrates und Hippokrates, einen umherwandelnden Sophisten Protagoras, dem seine Anhänger auf dem Fuß folgen, einen sitzenden Sophisten Hippias, der von seinem erhöhten Sitzplatz aus den um ihn herum Versammelten Auskunft erteilt, und den auf zahlreiche Polster gelagerten Prodikos. Die Anordnung der anwesenden Sophisten gibt Sokrates‘ Schilderung so genau wieder, dass man sie in einer Zeichnung festhalten könnte. Der Eindruck, einem Theaterstück beizuwohnen, wird noch dadurch verstärkt, dass Sokrates die Gruppe der Sophisten als „Chor“ bezeichnet. Denn dieser Begriff ironisiert nicht nur das devote Verhalten der Protagorasschüler, sondern er ruft das geistige Bild synchroner Chorbewegungen im Theater auf. Gleichzeitig wertet Sokrates ironisch das eitle Geländespiel der Sophisten, indem er kommentiert, er habe sich gefreut, als er ihr Gehabe sah und beobachten konnte, wie schön (καλῶς, κάλλιστα) alle bemüht gewesen seien, dem Protagoras, wenn er sich umwandte, nicht im Wege zu sein. Als nächstes wird der mentale Blick auf zwei andere Sophisten, Hippias und Prodikos, gelenkt. Dieses punktuelle Lenken kommt wiederum durch den Gebrauch des Aorist zum Ausdruck (εἰσενόησα und εἰσεῖδον): Der Hörer bzw. Leser ‚erblickt‘ mit den beiden Eintretenden das Geschehen. Gleichzeitig wird die Technik des visualisierenden Erzählens dadurch unterstrichen, dass das Vorbild aller Erzähler, Homer, aufgerufen wird. Denn ein besonderer Gag bei der Schilderung der folgenden Szene ist es, dass die einleitenden Sätze Zitate aus der Odyssee sind und die Unterweltschau des Odysseus zitieren. Dadurch wird der Charakter der Inszenierung besonders deutlich: Das erste Zitat (τὸν δὲ μετ᾽ εἰσενόησα) richtet den mentalen Blick auf Hippias und gibt die Stelle in der Odyssee (11,601) wörtlich wieder, die schildert, wie Odysseus nach der Begegnung mit Sisyphos Herakles erblickt. Es ist allerdings nur das εἴδωλον, denn der richtige Herakles speist bei den Göttern. Durch die Konnotationen, die das Zitat erzeugt, wird auch Hippias mit einem kraftlosen Schatten verglichen. Dies passt wiederum zu dem physischen Bild, das Sokrates’ Schilderung von diesem Sophisten vermittelt: Hippias wandelt nicht umher wie Protagoras, sondern wird in sitzender Haltung vorgeführt. Das zweite Zitat (Καὶ μὲν δὴ καὶ Τάνταλόν γε εἰσεῖδον) ruft explizit Tantalos auf. Ihn erblickt Odysseus in der Unterwelt (11,582), wie er in einem See steht, ohne trinken zu können, und umgeben ist von Obst- und Olivenbäumen, deren Früchte er nicht erreichen kann. Die Referenz auf diese Szene ist auf zweifache Weise witzig. Denn zum einen ist der Sophist Prodikos, der hier mit Tantalos verglichen wird, in Kallias’ leerer (!) Vorratskammer untergebracht, da dieser sie räumen ließ, um Platz für all die Sophisten zu haben. Aber gleichzeitig weist der Witz darauf voraus, dass man bei dem Sophisten Prodikos, der πολυμαθής ist, also über enzyklopädisches Wissen verfügt, trotz all seiner Fülle von Wissen ‚verhungern‘ kann. Am Ende der Schilderung von dem, was sich dem Auge darbot, vermittelt Sokrates auch einen akustischen Eindruck des Geschehens. Denn er schildert, dass

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Prodikos’ dumpfe und laute Stimme alles übertönt habe, sodass er nichts verstehen konnte (315E5–316A2). Insgesamt bewirkt der Eindruck der optischen und akustischen Unmittelbarkeit des Geschehens, das der Rezipient ‚durch Sokrates’ Brille‘ miterlebt, unterstützt durch die steuernden Ausdrücke des Sehens und durch die Theatermetaphorik, das ‚Theater im Dialog‘. Mit dem, was ich als ‚Brille‘ bezeichne, ist aber auch das Wesentliche gefasst, was eine reale Theateraufführung vom Theater im Dialog unterscheidet. Die Form der Erzählung, die zur Visualisierung und Erzeugung von Inszenierung benutzt wird, bietet die Möglichkeit, durch die wertende Kommentierung auch gleich eine Deutung mitzuliefern oder sie dem Adressaten zumindest nahezulegen. Dies ist der Vorteil gegenüber der dramatischen Gattung, da der Zuschauer eines realen Theaterstücks mit der Deutung der Polyvalenz des Dramas alleingelassen wird. Im Fall des Protagoras wird den textexternen Rezipienten vor Augen geführt, wie die Sophisten durch ihr Verhalten sich selbst desavouieren, sodass das dann folgende Gespräch zwischen ihnen und Sokrates bereits in einem bestimmten Licht wahrgenommen und seine Deutung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden kann. Man kann also überspitzt formulieren: Die durch Narratio erfolgende mentale ‚Theatralisierung‘ innerhalb des Dialogs holt die Form des Dramas auch unter der Perspektive der (mentalen) opsis in die literarische Form des Dialogs ein. Gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit, mit der durch den Modus der Erzählung erzeugten Distanz die Rezeption und die Bewertung des Geschehens durch die Zuhörer lenken zu können, indem der textexterne Adressat das Geschehen aus der Sicht des textinternen Erzählers Sokrates wahrnimmt. Gleichzeitig wird durch das mehrmalige Hereinholen der Rahmenerzählung36 ein ‚Illusisonbruch‘ bewirkt und der Rezipient daran erinnert, dass es die bestimmte Sichtweise des Sokrates ist, die er hier erfährt, sodass er selbst zur Reflexion über die Bewertung der Figur Protagoras angeregt wird.37 Dass der Erzähler Sokrates seine eigene Sicht vermittelt, spielt auch eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung der Charaktere, deren Beschaffenheit und deren Interaktion auf der ‚dramatischen‘ Ebene die Proposition(en) der inszenierten Gespräche veranschaulichen. Wie prägend die Sicht des Erzählers Sokrates für die Wahrnehmung der Charaktere ist, wurde an der ausgewählten Passage schon deutlich. Aber auch später noch werden solche Inszenierungsmomente immer wieder eingeholt. Beispielsweise schildert Sokrates an späterer Stelle (333E4), wie er sah (ἑώρων), dass Protagoras im Verlauf des Gesprächs immer schlechter gelaunt wurde, und wie er, Sokrates, deshalb ganz behutsam weitergefragt habe. 36 Vgl. Finkelberg (2019) 82f. und Föllinger (wie Anm. 7). 37 Allerdings ist die Diskrepanz in der Bewertung des Protagoras zwischen Rahmenerzählung und erzähltem Gespräch nicht so gravierend, wie Finkelberg meint (Finkelberg 2019, 83f.). Sie vernachlässigt, dass Platon Sokrates bereits am Beginn seiner Erzählung von seiner skeptischen Reaktion auf Hippokrates’ Begeisterung für Protagoras berichten lässt und so die Bewertung des textexternen Adressaten von Anfang an auf eine bestimmte Weise lenkt.

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Mit Sokrates sieht man die sich verändernde Mimik des Protagoras. Die Integration narrativer Elemente im Dialog erlaubt hier also etwas, was im Theater nicht möglich war, in dem bekanntlich mit Masken gespielt wurde und in dem die Vermittlung über große Distanzen geschah: Die Narration im Dialog erlaubt das mikroskopische ‚Heranzoomen‘ von Reaktionen. Vergleichbar mit Sokrates’ Rolle im Protagoras ist die des Phaidon im gleichnamigen Dialog. Er ist hier als emotional stark in das Geschehen involvierter Erzähler gezeichnet. ‚Durch seine Brille‘ sieht der Rezipient die Inszenierung von Sokrates’ Sterben: Als er, Phaidon, und die anderen Anwesenden gesehen hätten (εἴδομεν), wie Sokrates den Giftbecher austrank, hätten sie weinen müssen. Doch als Sokrates sie deswegen tadelte, hätten sie davon abgelassen:38 καὶ ἡμῶν οἱ πολλοὶ τέως μὲν ἐπιεικῶς οἷοί τε ἦσαν κατέχειν τὸ μὴ δακρύειν, ὡς δὲ εἴδομεν πίνοντά τε καὶ πεπωκότα, οὐκέτι, ἀλλ’ ἐμοῦ γε βίᾳ καὶ αὐτοῦ ἀστακτὶ ἐχώρει τὰ δάκρυα, ὥστε ἐγκαλυψάμενος ἀπέκλαον ἐμαυτόν οὐ γὰρ δὴ ἐκεῖνόν γε, ἀλλὰ τὴν ἐμαυτοῦ τύχην, οἵου ἀνδρὸς ἑταίρου ἐστερημένος εἴην. ὁ δὲ Κρίτων ἔτι πρότερος ἐμοῦ, ἐπειδὴ οὐχ οἷός τ’ ἦν κατέχειν τὰ δάκρυα, ἐξανέστη. Ἀπολλόδωρος δὲ καὶ ἐν τῷ ἔμπροσθεν χρόνῳ οὐδὲν ἐπαύετο δακρύων, καὶ δὴ καὶ τότε ἀναβρυχησάμενος κλάων καὶ ἀγανακτῶν οὐδένα ὅντινα οὐ κατέκλασε τῶν παρόντων πλήν γε αὐτοῦ Σωκράτους. Ἐκεῖνος δέ, Οἷα, ἔφη, ποιεῖτε, ὦ θαυμάσιοι. ἐγὼ μέντοι οὐχ ἥκιστα τούτου ἕνεκα τὰς γυναῖκας ἀπέπεμψα, ἵνα μὴ τοιαῦτα πλημμελοῖενꞏ καὶ γὰρ ἀκήκοα ὅτι ἐν εὐφημίᾳ χρὴ τελευτᾶν. ἀλλ’ ἡσυχίαν τε ἄγετε καὶ καρτερεῖτε. Καὶ ἡμεῖς ἀκούσαντες ᾐσχύνθημέν τε καὶ ἐπέσχομεν τοῦ δακρύειν. Die meisten von uns hatten bis dahin einigermaßen ihre Tränen zurückhalten können. Als wir aber sahen, wie er trank und ausgetrunken hatte, vermochten wir es nicht mehr, sondern auch bei mir flossen in Strömen und nicht nur vereinzelt die Tränen, sodass ich mich verhüllte und ihnen freien Lauf ließ – nicht um ihn weinte ich, sondern um mein eigenes Los, weil ich eines solchen Freundes beraubt werden würde. Kriton war schon früher als ich aufgestanden, weil er seine Tränen nicht zurückhalten konnte. Und Apollodoros hatte vorher schon nicht aufhören können zu weinen; nun aber schrie er laut auf, und es gab niemanden der Anwesenden, den er mit seinem Weinen und seinem Kummer nicht bewegte, außer Sokrates selbst. Der sagte: „Was macht ihr, ihr wunderbaren Männer? Ich habe doch auch gerade deshalb die Frauen weggeschickt, damit sie nicht in diesen Fehler verfallen. Denn ich habe gehört, dass man in einer Situation des Schweigens sein Leben beenden müsse. Also schweigt und haltet stand!“ Und wir, als wir das hörten, schämten wir uns und hörten auf zu weinen.

Der Modus der Erzählung ermöglicht es hier, die Situation der Trauer so zu inszenieren, dass der textexterne Adressat mit dem Erzähler zusammen Sokrates’ letzte Handlungen ‚sieht‘. Wie beim Anblick einer Tragödie kann er zu Tränen gerührt sein. Er erlebt die Emotionen, dann aber auch die als Reaktion auf Sokrates’ Mahnung erfolgende Distanzierung mit ihm und kann so vor seinem inneren Auge Sokrates’ Verhalten als konkretes Exempel für die im Verlauf des Dialogs bereits diskursiv erarbeitete philosophische Haltung gegenüber dem Tod ‚anschauen‘. Damit aber wird eine Reaktion herbeigeführt, die im Gegensatz zu derjenigen steht, die Platons Ion als die von Rhapsoden intendierte schildert, deren Ziel Tränen und Klagen der Zuschauer sind. Platon verbindet also auf kongeniale Weise

38 Phaid. 117C5–117E4.

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durch das Mittel der Dihegese ästhetische Inszenierung und philosophische Didaxe. Dasselbe könnte man gut für das Symposion zeigen, weil Platon hier nicht nur Apollodoros als Erzähler des gesamten Gesprächs einsetzt, sondern gegen Ende dialogintern Alkibiades als Erzähler auftritt. In dessen Schilderung, wie er Sokrates vergeblich zu verführen versuchte, tritt das Geschehen wie eine Theaterszene vor das innere Auge des Zuhörers bzw. Lesers und erlaubt es ihm, auf konkrete Weise das im Dialog theoretisch Erarbeitete, dass die höchste Stufe des Eros nicht im Körperlichen besteht, zu ‚lernen‘. Die Funktion, die die dihegetischen Partien in Dialogen haben können, ist deutlich geworden. Sie ist einerseits literarischer Art. Denn sie bietet eine Form der Ästhetik, mit der Platon zeigt, dass der Dialog eine Gattung ist, die andere eingeführte Gattungen wie Drama und Epos aufgreift, amalgamiert - aber auch überbietet. Darüber hinaus ermöglicht sie aber auch, durch eine Einführung in die Situation, durch die Schilderung der Szenerie, durch explizite und implizite Wertung und durch die Steuerung von Nähe und Distanz die Adressaten zu einer bestimmten Sehweise des Geschehens zu lenken und so die Deutung des inszenierten Gesprächs zu steuern. 4.2. Xenophon, Oikonomikos Dies gilt auch, um am Abschluss noch einen Blick auf einen anderen Autor zu werfen, für Xenophons Oikonomikos: Der Oikonomikos ist ein ‚Sokratischer Dialog‘ über die Frage, wie es einem Hausherrn (oikonómos) aus der athenischen Oberschicht gelingen kann, seinen Haushalt, zu dem auch der Landbesitz in Attika außerhalb Athens gehörte, profitabel und effizient zu führen.39 Dabei ist Effizienz im Blick auf zwei Ressourcen zu verstehen: Geld und Zeit. Denn der oikonómos braucht einen Überschuss, um Liturgien zahlen zu können. Außerdem muss er die Aufgaben im oikos so delegieren, dass er selbst Zeit für seine politischen und religiösen Aufgaben in der Polis hat. Das Innovative an dieser Schrift ist, dass Xenophon die Ökonomik als eine vermittel- und erlernbare téchne konzipiert, also als eine Verfahrensweise, durch die ein Teilbereich menschlichen Lebens theoretisch und praktisch geregelt wird. Dabei stellt Xenophon diese téchne so dar, dass man sie vor allem anhand lebender Vorbilder lernen könne, denen man ‚zuschauen‘ müsse. Diese didaktische Pointe spiegelt der Aufbau des Dialogs selbst wider.40 Denn der Oikonomikos hat zwei Teile: Kapitel 1–6 ist ein Dialog zwischen Sokrates und Kritobulos, einem reichen Athener Lebemann.41 Kritobulos beherrscht die Ökonomik nicht. Darum 39 Vgl. Föllinger (2014) 586–588. 40 Zum Folgenden vgl. Föllinger (2006). 41 Das dramatische Datum des Dialogs von Sokrates und Kritobulos liegt zwischen 420 und 410 v. Chr., das der Unterredung von Sokrates und Ischomachos wohl vor 435 v. Chr., Pomeroy (1994) 18f.

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bittet er Sokrates, ihn zu belehren. Dieser unternimmt zwar mit ihm Begriffsbestimmungen, lehnt aber eine weitere Lehrerrolle ab, da er selbst bekanntermaßen Ökonomik nicht beherrsche (2,9–3,1; 6,11). Um Kritobulos aber trotz der eigenen Defizienz helfen zu können, referiert Sokrates dann ein Gespräch, das er früher mit dem als vorbildlich geltenden Athener Ischomachos geführt habe. Dieses Gespräch nimmt den zweiten Teil des Dialogs (7–21) ein. Das Wesentliche ist nun, dass entsprechend der didaktischen Bedeutung, die das ‚Zuschauen‘ im ganzen Dialog hat, die Figur des Sokrates das – schon länger zurückliegende – Gespräch mit Ischomachos als etwas einführt, dem man ‚zuschauen‘ kann. Diesem Vorgehen kommt zugute, dass Sokrates, wie er selbst es schildert, immer gerne herumgehe und Menschen, deren spezielle Expertise bekannt sei, bei ihren Tätigkeiten zuschaue. Sein Versprechen, er werde Kritobulos zu Leuten führen,42 von denen er durch Zuschauen die ökonomische téchne erlernen könne, imaginiert schon die visuelle Situation. Diese wird dann durch die Wiedergabe des Dialogs mit Ischomachos konkretisiert. Durch das Mittel des Dialogs wird also eine fiktive Zuschau- und Lernsituation geschaffen. Dabei ermöglicht es die literarische Dialogform, dass die Situation des Schauens nicht nur von Kritobulos, sondern auch von den Adressaten des Dialogs imaginiert wird. Diese Theatersituation wird bereits am Beginn des Gesprächs mit Ischomachos evoziert. Denn die Erzählerfigur Sokrates berichtet, wie er Ischomachos auf der Agora antraf:43 ἔδοξεν οὖν μοι ἀφέμενον τῆς καλῆς ὄψεως ἐπ’ αὐτῶν τινα ἐλθεῖν τῶν καλουμένων καλῶν τε κἀγαθῶν. ἐπεὶ οὖν τὸν Ἰσχόμαχον ἤκουον πρὸς πάντων καὶ ἀνδρῶν καὶ γυναικῶν καὶ ξένων καὶ ἀστῶν καλόν τε κἀγαθὸν ἐπονομαζόμενον, ἔδοξέ μοι τούτῳ πειραθῆναι συγγενέσθαι. Ἰδὼν οὖν ποτε αὐτὸν ἐν τῇ τοῦ Διὸς τοῦ ἐλευθερίου στοᾷ καθήμενον, ἐπεί μοι ἔδοξε σχολάζειν, προσῆλθον αὐτῷ καὶ παρακαθιζόμενος εἶπονꞏ Τί, ὦ Ἰσχόμαχε, οὐ μάλα εἰωθὼς σχολάζειν κάθησαι; ἐπεὶ τά γε πλεῖστα ἢ πράττοντά τι ὁρῶ σε ἢ οὐ πάνυ σχολάζοντα ἐν τῇ ἀγορᾷ. Οὐδὲ ἄν γε νῦν, ἔφη ὁ Ἰσχόμαχος, ὦ Σώκρατες, ἑώρας, εἰ μὴ ξένους τινὰς συνεθέμην ἀναμένειν ἐνθάδε. Ὅταν δὲ μὴ πράττῃς τι τοιοῦτον, πρὸς τῶν θεῶν, ἔφην ἐγώ, ποῦ διατρίβεις καὶ τί ποιεῖς; ἐγὼ γάρ τοι πάνυ βούλομαί σου πυθέσθαι τί ποτε πράττων καλὸς κἀγαθὸς κέκλησαι, ἐπεὶ οὐκ ἔνδον γε διατρίβεις οὐδὲ τοιαύτη σου ἡ ἕξις τοῦ σώματος καταφαίνεται. Ich beschloß nun, mich von dem schönen Anblick zu lösen und zu einem der sogenannten ‚Schönen und Guten‘ zu gehen. Da ich nun hörte, daß Ischomachos von allen, Männern und Frauen, Fremden und Bürgern, ‚schön und gut‘ genannt wurde, beschloß ich, den Versuch zu unternehmen, mit diesem zusammenzukommen. Als ich ihn nun einmal in der Säulenhalle des Zeus Eleutherios sitzen sah, ging ich, da es mir vorkam, als habe er Muße, zu ihm, setzte mich neben ihn und sagte: „Wie kommt es, Ischomachos, daß du hier sitzt, obwohl es doch überhaupt nicht deine Gewohnheit ist, Muße zu haben? Denn meist sehe ich dich irgendetwas unternehmen oder doch nicht ganz müßig auf dem Markt.“

42 Oec. 3,6: Ἐγώ σε ἄξω καὶ ἐπὶ τούτους, ἔφη ὁ Σωκράτηςꞏ σὺ δὲ θεώμενος δήπου καταμαθήσῃ. 43 Ebd., 6,16–17,2. Die Übersetzung stammt von Audring (1992).

Das ‚Theater‘ im Dialog: Visualisierung durch Erzählung

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„Auch jetzt, Sokrates“, antwortete Ischomachos, „würdest du mich nicht sehen, wenn ich nicht vereinbart hätte, hier auf einige Fremde zu warten.“ „Wenn du aber etwas derartiges nicht vorhast, bei den Göttern“, fragte ich, „wo hältst du dich auf und was machst du? Ich möchte nämlich gar zu gern von dir erfahren, was du eigentlich unternimmst, daß du ‚schön und gut‘ genannt wirst; denn im Hause hältst du dich nicht auf, und auch deine körperliche Verfassung sieht nicht danach aus.“

Auch hier, wie im Protagoras, vermittelt die Erzählung des Sokrates, durch die Angabe nicht nur des genauen Ortes, sondern auch der Beschreibung von Ischomachos’ Körperhaltung eine mentale Szenerie. Durch Sokrates’ Augen (ἰδὼν) sehen wir Ischomachos, und sein Habitus, in Muße auf der Agora zu sitzen, ist symbolisch. Denn er steht für das Gelingen seines ökonomischen Vorgehens. Dieses verdeutlicht der Beginn des folgenden Gesprächs: Als Sokrates fragt, warum er, der sonst geschäftige Ischomachos, überhaupt die Möglichkeit habe, seine Zeit auf der Agora zu verbringen, erläutert ihm Ischomachos, dass ihm dies nur deshalb möglich sei, weil er die wirtschaftlichen Arbeiten im Haus durch geschickte Didaxe gegenüber den oikos-Mitgliedern – seiner Frau, seinem Hausverwalter und seiner Hauswirtschafterin – delegiert habe. Diese geschickte Menschenführung ermögliche es ihm auch, seine Zeit mit Arbeiten außerhalb des Hauses zu verbringen und so seinem Körper das kräftige und gute Aussehen zu geben, auf das Sokrates anspielt. Ischomachos’ Verhalten dient, wie der Dialog deutlich macht, nicht nur Ischomachos’ Nutzen, sondern sein erfolgreiches wirtschaftliches Handeln nützt auch der Stadt Athen, weil Ischomachos so (anders als Kritobulos) seinen finanziellen Aufgaben, etwa in Form der Liturgien, nachkommen kann, aber auch – durch die geschickte Betriebsführung – Zeit für seine politischen Funktionen hat. Auch in Xenophons Oikonomikos gibt also die mentale Inszenierung entscheidende Hinweise für das Verständnis des Dialogs, nicht zuletzt dadurch, dass sie aus der Perspektive des Ich-Erzählers Sokrates vor Augen geführt wird, durch den die wertende Rezeption der textexternen Adressaten gesteuert werden kann. LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur Burnett (1903): Platonis opera recognovit brevique adnotatione critica instruxit Ioannes Burnet. Tomus III, Oxford. Duke (1995): Platonis opera recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt E.A. Duke et alii. Tomus I, Oxford. Denyer (2008): Plato, Protagoras edited by Nicholas Denyer (Cambridge Greek and Latin Classics), Cambridge. Marchant (1921): Xenophontis opera omnia recognovit brevique adnotatione critica instruxit E.C. Marchant. Tomus II, Oxford 21921 (11901). Repr.

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Kommentare und Übersetzungen Audring (1992): Gerd Audring, Xenophon. Ökonomische Schriften. Griechisch und deutsch, Berlin. Krautz (1987): Hans-Wolfgang Krautz, Platon, Protagoras. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und kommentiert von Hans-Wolfgang Krautz, Stuttgart. Manuwald (1999): Bernd Manuwald, Platon. Protagoras. Übersetzung und Kommentar (Platon: Werke, hg. von Ernst Heitsch und Carl Werner Müller VI 2), Göttingen. Pomeroy (1994): Sarah B. Pomeroy, Xenophon. Oeconomicus. A Social and Historical Commentary. With a New English Translation by Sarah B. Pomeroy, Oxford.

Sekundärliteratur Blondell (2002): Ruby Blondell, The Play of Character in Plato’s Dialogues, Cambridge. Repr. 2004. Brock (1990): R. Brock, „Plato and comedy“, in: Elisabeth M. Craik (Hg.), Owls to Athens. Essays on classical subjects presented to Sir Kenneth Dover, Oxford, 39–49. Erler (2007): Michael Erler, Platon, Basel (Die Philosophie der Antike, hg. von H. Flashar, Bd. 2/2) (Grundriss der Geschichte der Philosophie, begr. von F. Ueberweg. Völlig neu bearb. Ausgabe hg. von H. Holzhey). Finkelberg (2019): Margalit Finkelberg, The Gatekeeper: Narrative Voice in Plato’s Dialogues, Leiden/Boston. Fludernik (2006): Monika Fludernik, Einführung in die Erzähltheorie, Darmstadt. Föllinger (2006): Sabine Föllinger, „Sokrates als Ökonom? Eine Analyse der didaktischen Gestaltung von Xenophons ‚Oikonomikos‘“, Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge 30, 5–23. Föllinger (2014): Sabine Föllinger, „Ökonomische Literatur“, in: Bernhard Zimmermann und Antonios Rengakos (Hgg.), Die Literatur der klassischen und hellenistischen Zeit, München (Handbuch der griechischen Literatur der Antike, hg. von Bernhard Zimmermann und Antonios Rengakos. Zweiter Band), 584–590. Groeben/Christmann (2014): Norbert Groeben und Ursula Christmann, „Empirische Rezeptionspsychologie der Fiktionalität“, in: Tobias Klauk und Tilmann Köppe (Hgg.), Fiktionalität. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin/Boston, 338–360. Haslam (1972): Michael W. Haslam, „Plato, Sophron and the dramatic dialogue“, Bulletin of the Institute of Classical Studies 19, 17–38. Jäkel (1992): S. Jäkel, „Platonic dialogues as a specific form between tragedy and comedy. Tragic and comic elements in the early dialogues of Plato“, Studi italiani di filologia classica 10, 1001–1113. Liddell Scott (1968): Henry George Liddell; Robert Scott, A Greek-English Lexicon. Revised and augmented throughout by Sir Henry Stuart Jones. With a Supplement, Oxford. Repr. Mader (1977): Michael Mader, Das Problem des Lachens und der Komödie bei Platon, Stuttgart. Nightingale (1995): Andrea Wilson Nightingale, Genres in dialogue. Plato and the construct of philosophy, Cambridge. Repr. 2000. Tarrant (1955): Dorothy Tarrant, „Plato as dramatist“, Journal of Hellenic studies 75, 82–89. Usener (1994): Sylvia Usener, Isokrates, Platon und ihr Publikum. Hörer und Leser von Literatur im 4. Jahrhundert v. Chr., Tübingen. Zimmermann (2016): Bernhard Zimmermann, „Theorietheater. Platon und die Komödie“, in: Irmgard Männlein-Robert u. a. (Hgg.), Philosophus Orator. Rhetorische Strategien und Strukturen in philosophischer Literatur. Michael Erler zum 60. Geburtstag, Basel (Schwabe Interdisziplinär 10), 47–62.

DIALOGFORM UND ERZÄHLUNG IM HAGIOGRAPHISCHEN LEHRDIALOG GREGORS DES GROSSEN Jochen Sauer 1. EINFÜHRUNG  Gregor der Große, 540 n. Chr. in eine der führenden Familien Roms geboren und von 590 bis 604 n. Chr. Papst,1 verfasste in den Jahren 593/594 n. Chr.2 vier Bücher Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum.3 Dieses während seines Pontifikats entstandene zentrale Werk, das für die Konstituierung der Gattung des hagiographischen Dialogs im Mittelalter eine große Rolle spielt, enthält in den ersten drei Büchern 50 Erzählungen von Wundertätern und heiligmäßigen Männern Italiens,4 während das vierte Buch Themen der Eschatologie, insbesondere die Unsterblichkeit der Seele, behandelt und an einzelnen Heiligen exemplifiziert.5 Im Zentrum der 50 Heiligenerzählungen steht prominent die Vita Benedikts von Nursia, die das gesamte zweite Buch umfasst, während die anderen 49 Erzäh1

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Einen umfassenden Überblick über Gregor den Großen und seine Zeit geben Eich (2016) und Riché (1996), Basiswerk für die Dialogi ist nach wie vor de Vogüé (1978), zusätzlich für Buch II Lambert (1995), unverzichtbar zur Frage der literarischen Gestaltung des hagiographischen Dialogs Gregors sind Auerbach (1958) 72–77, umfassend Petersen (1984), prägnant Berschin (1986) 305–324. Terminus ante quem ist der Tod des Bischofs Maximian von Syrakus (Nov. 594 n. Chr.), da dieser zur Zeit der Abfassung noch am Leben war (Greg. M. dial. 1,7. 3,36. 4,32), der terminus post quem wird zum einen durch die Information bestimmt, dass eine große Seuche, die Rom entvölkert habe, bereits drei Jahre vorbei war (Greg. M. dial. 4,26). Diese wiederum war Folge der Tiberüberschwemmung 589 n. Chr., und da sie etwa ein Jahr dauerte, wäre der terminus post quem mit dem Jahr 593 n. Chr. anzusetzen. Zum anderen war die Stoffsammlung nach Greg. M. ep. 3,51 (an Maximian von Syrakus) im Juli 593 n. Chr. noch im Gange. Detailliertere Informationen bei de Vogüé (1978) 25–27. Zu der durch Francis Clark 1987 angestoßenen Debatte um die Urheberschaft der Dialogi vgl. die Zusammenfassung bei Lake (2013) 225f. oder Eich (2016) 84–87. Die überwiegende Zahl der Forscher geht heute davon aus, dass Gregor der Große tatsächlich der Urheber der Dialoge gewesen ist. Die Bezeichnung dieser Personengruppe variiert in Gregors Dialogen zwischen vir dei, vir Domini, vir sanctus oder famulus dei, vgl. Lake (2013) 244. Auch in diesem vierten Buch werden Erzählungen herangezogen, allerdings unmittelbar als Belege für die Überzeugungskraft der Ausführungen.

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lungen in Buch I (12 Erzählungen) und Buch III (37 Erzählungen) die Rahmung dieses zentralen zweiten Buchs bilden,6 vergleichbar einem Triptychon.7 Die vier Bücher lassen sich jedoch auch als alternierende Abfolge von Büchern mit Einzelerzählungen (Bücher I und III) und monothematischen Ausführungen (Buch II: Vita Benedikts; Buch IV: Ewigkeit der Seele) sehen. Der Umstand, dass die Summe der Kapitel von Buch I und III 50 beträgt, von Buch II und IV 100, die Gesamtsumme aller vier Bücher schließlich mit 150 Kapiteln der Zahl der Psalmen entspricht,8 lässt auf eine sorgfältig durchdachte Kompositionsstruktur schließen und deutet bereits an, dass implizite Verweise auf die Bibel innerhalb des Werkes eine wichtige Rolle spielen. Die Dialogform durchzieht das Werk als Ganzes: Gregor inszeniert sich selbst als Dialogfigur und Erzähler der Wundergeschichten, während der Diakon Petrus, vorgestellt als sein Vertrauter seit frühester Zeit,9 das Erzählte aufnimmt und durch Anmerkungen, Rückfragen oder Gefühlsregungen begleitet. Zu Beginn des ersten Buchs zeigt sich Petrus ohne jedes Wissen über die heiligmäßigen Männer Italiens und motiviert damit die Erzählungen Gregors. Damit erweisen sich die Dialogi in ihrer Grundstruktur als Lehrdialog oder, der Terminologie von Jauss folgend,10 als ‚magistraler Dialog‘, da der dialogische Gregor nicht nur die Rolle des Erzählers der einzelnen Legenden, sondern auch die des Lehrers einnimmt, während die Dialogfigur Petrus, Rezipient der Heiligenerzählungen, sich im Gespräch als Schüler zeigt, dessen Fragen und Einwürfe der Dialogfigur Gregor Anlässe bieten, das Erzählte zu erklären und zu deuten.11 Im vierten Buch münden Gregors Ausführungen in die Behandlung eines zentralen theologischen Problems. Die Nachfragen der Dialogfigur Petrus stützen sich dort zunehmend auf Bibelstellen, die er argumentativ einsetzt; seine Anmerkungen und Fragen werden länger. Die Forschung geht heute davon aus, dass Gregor trotz der bisweilen ‚volkstümlich‘ anmutenden Erzählungen und des schlichten Stils mit seinen Dialogi ein klerikales Publikum im Blick hatte.12 6 7

Zur Struktur siehe de Vogüé (1978) 51f. und Berschin (1986). De Vogüé (1978) 52 und Berschin (1986) 308 vergleichen die ersten drei Bücher mit einem Triptychon. In ihm stehe der zukünftige Nationalheilige Benedikt von Nursia im Mittelbild, umgeben von den einzelnen Heiligen der Bücher 1 und 3. Zur Auswahl und Anordnung der Wundertäter vgl. de Vogüé (1978) 56–62. 8 Berschin (1986) 308. 9 Zur historischen Verortung dieses Petrus vgl. de Vogüé (1978) 44f. 10 Vgl. Jauss (21997). 11 Vgl. Lake (2013) 228: „Peter serves as an interlocutur who poses questions, expresses doubt and uncertainty, or approbation, and who moves the discussion from one subject to the next, but otherwise makes no significant contribution of his own“. Vgl. auch de Vogüé (1978) 79: „Les brèves interventions de Pierre consistent seulement à admirer les récits, à approuver les commentaires, à présenter des objections, à demander des explications.“ 12 Vgl. die Diskussion bei Petersen (1984) 21–23. Zentrales Argument ist eine Bemerkung Gregors in einem Brief an Maximianus, Bischof von Syrakus, die suggeriert, Gregor schreibe die Wundergeschichten für die Gruppe der fratres mei, qui mecum familiariter vivunt (Greg. M. Reg. 3,50,1: 206).

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Die ersten drei Bücher stehen im Grundsatz in der Tradition des sogenannten hagiographischen Dialogs, als dessen lateinischer Begründer Sulpicius Severus mit den Dialogi über das Leben des Martin von Tours gilt.13 War es eine wesentliche Intention des Sulpicius Severus, mit seinem Werk aufzuzeigen, dass der gallische ‚Nationalheilige‘ Martin von Tours die heiligmäßigen Männer des Ostens übertreffe und in besonderem Maße eine Nachfolge Jesu angetreten habe, so zeigt Gregor in seinen Dialogi, dass es in Italien ebenfalls zahlreiche Wundertäter gegeben habe, allen voran Benedikt von Nursia, der strukturell das Pendant zu Martin von Tours bildet. Hatte Sulpicius Severus jedoch Martin von Tours mit den berühmten Wundertätern und Heiligen des Ostens kontrastiert, deren Werke er in einer langen Orienterzählung entfaltet, so zeigt sich eine ähnliche Überbietungsintention in Gregors Dialogi nicht explizit: Alle porträtierten Wundertäter stehen mit Italien in Zusammenhang; eine Kontrastfolie, wie die Erzählung über die Wundertäter des Ostens bei Sulpicius, findet sich nicht. Die Person Gregors ist in dem Werk dreifach vergegenwärtigt: als Vorredensprecher (im Folgenden ‚präfatorischer Gregor‘ genannt), als Dialogfigur des Rahmendialogs im Gespräch mit dem Diakon Petrus (‚dialogischer Gregor‘) und schließlich in einigen von ihm dargelegten Erzählungen als Akteur, der im Dialog mit Zeugen von den Wundertätern erfährt (‚erzählter Gregor‘). Wie gezeigt werden soll, spricht der ‚präfatorische Gregor‘ aus der Perspektive des amtierenden Papstes, der bis vor wenigen Jahren noch Mönch gewesen ist und sich gegenüber dem Leser erklärt, der ‚dialogische Gregor‘ als professioneller Exeget, der das Handeln heiligmäßiger Männer erzählt und unter Rekurs auf die heilige Schrift deutet und theoretisiert, der ‚erzählte Gregor‘ schließlich als jemand, der die Heiligen Italiens durch seine Sammeltätigkeit ihrer Viten dem Vergessen entreißt oder den Wahrheitsanspruch der Erzählungen durch die Autorisierung durch Zeugen untermauert. Diese drei erzähltheoretisch differenzierbaren Gregor-Figuren sind im Dialog eng miteinander verwoben und präsentieren sich dem Leser als eine Einheit. Der vorliegende Beitrag ist nach diesen drei ‚Gregor‘-Figuren strukturiert. In einem ersten Schritt wird das Proömium und das kurze dialogische Einleitungsgespräch vor dem Hintergrund der römischen Dialogtradition analysiert, im zweiten Schritt werden die Einzelerzählungen und ihre besondere Gestaltung einer Betrachtung unterzogen, während der dritte Teil schließlich die dialogische Interaktion zwischen Gregor und Petrus und ihre Funktion innerhalb des Gesamtwerks in den Blick nimmt. Um ausgehend von Gregors Dialogi die Potentiale der Gattung des hagiographischen Dialogs aufzuzeigen, werden der erste lateinische hagiographische Dialog, die Dialogi des Sulpicius Severus über Martin von Tours, und das Dialogoeuvre Ciceros vergleichend herangezogen.

13 Vgl. hierzu Müller (2021), dort auch weitere Literatur.

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2. DAS PROÖMIUM UND DAS EINLEITUNGSGESPRÄCH (GREG. M. DIAL. 1, PROL.) In der Tradition des lateinischen Dialogs seit Cicero kommt dem Proömium und dem Einleitungsgespräch eine wichtige Funktion für die Rezipientensteuerung zu, da der präfatorische Sprecher in ihnen die Dialogfiguren und das Thema einführt, außerdem Einblick in Motive und Wirkabsichten seines literarischen Schaffens sowie in das Konzept seiner Autorenschaft gibt. In einigen Dialogen Ciceros, in denen das Proömium fehlt (z. B. De legibus), übernimmt die einleitende dialogische Handlung diese Funktion.14 Die Dialogi Gregors beginnen mit einem knappen Proömium, das nahtlos in eine einleitende dialogische Handlung zwischen den beiden Gesprächspartnern Gregor und Petrus übergeht. Bereits der erste uns erhaltene christliche literarische Dialog nimmt zentrale Topoi der Proömiengestaltung auf: In Minucius Felix’ Dialog Octavius beginnt die Handlung mit dem Wiedersehen eines alten Freundes, Octavius, in den Dialogi des Sulpicius Severus, dem frühesten lateinischen hagiographischen Dialog,15 treffen die Dialogfiguren Sulpicius und Gallus16 auf einen alten Bekannten, Postumianus, der soeben von einer dreijährigen Reise aus Nordafrika und dem Orient zurückgekehrt ist.17 Cum in unum locum ego et Gallus noster convenissemus, vir mihi et propter Martini memoriam (ex illius enim discipulis erat) et propter sua merita charissimus, intervenit nobis Postumianus meus, nostri causa ab Oriente, quo se ante triennium patriam relinquens contulerat, regressus. Als ich und unser Gallus an einem Ort zusammengekommen waren, fand sich mein Postumianus bei uns ein, ein Mann, der mir wegen seines Andenkens an Martinus, dessen Schüler er war, dann auch seiner eigenen Verdienste wegen sehr teuer war. Unseretwegen war er aus dem Orient heimgekehrt, wohin er sich vor drei Jahren, als er sein Vaterland verlassen hatte, begeben hatte.

Die szenische Ausgestaltung des Wiedersehenserlebnisses evoziert gleich zu Beginn eine Atmosphäre freundschaftlich-vertrauensvollen Umgangs und eine feierliche Stimmung (festivitas). Zudem wird bereits hier an den (zum dramatischen Zeitpunkt des Gesprächs) bereits verstorbenen Martin erinnert. Der Stil dieser Eingangspassage und seine komplexe Satzstruktur passen zu der feierlichen Stimmung. Die Amicitia- und Memoria-Topik erinnert an den Octavius des Minucius Felix, der wiederum in der Tradition der ciceronischen Vergangenheitsdialo-

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Vgl. Dolganov (2008). Sulpicius Severus stellt den späteren ‚Nationalheiligen‘ Galliens, Martin von Tours, ins Zentrum seines Werks. Neben einer Martinsvita und einer kleinen Sammlung von Briefen sind von ihm vier Bücher Dialoge überliefert, die sich einzelner Gattungstopoi des römischen philosophischen Dialogs bedienen. Gallus ist ein mit Sulpicius eng befreundeter Mönch und ebenfalls ein Schüler des verstorbenen Martin. Sulp. Sev. dial. 1,1,1. Die Textbasis ist Halm (1966), die Übersetzung Bihlmeyer (1914).

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ge steht: Der Leser wird zum scheinbaren Zeugen eines intim-vertrauten Gesprächs dreier Freunde. Auch das Proömium der Dialogi Gregors weist diese Intimitäts- und Freundschaftstopik auf: Außer Gregor und Petrus ist niemand anwesend, und es wird auf die von Jugend an bestehende Vertrautheit zwischen den beiden Gesprächspartnern hingewiesen. Zudem wird deutlich gemacht, dass der Raum der bedrückenden Alltagsgeschäfte (negotia) verlassen und ein Raum des Privaten (locus secretus) aufgesucht wird:18 Quadam die, nimiis quorundam saecularium tumultibus depressus, quibus in suis negotiis plerumque cogimur soluere etiam quod nos certum est non debere, secretum locum petii amicum moerori, ubi omne quod de mea mihi occupatione displicebat se patenter ostenderet et cuncta quae infligere dolorem consueverant congesta ante oculos uenirent. Ibi itaque cum adflictus ualde et diu tacitus sederem, dilectissimus filius meus Petrus diaconus adfuit, mihi a primaeuo iuuentutis flore in amicitiis familiariter obstrictus atque ad sacri uerbi indagationem socius. Qui graui excoqui cordis languore me intuens, ait: […] Eines Tages, als ich mich wegen des zu großen Ungestüms einiger Weltleute in Niedergeschlagenheit befand, denen wir in ihren Anliegen meistens auch solches leisten müssen, wozu wir gewiss nicht verpflichtet sind, suchte ich einen stillen Ort auf, der mit meinem Kummer vertraut war, wo mir alles, was mir an meiner Beschäftigung mißfiel, sich offen zeigte, und alles, was mir gewöhnlich Schmerz eingeflößt hatte, in seiner Gesamtheit vor Augen kam. Als ich deshalb dort sehr betrübt und lange schweigend dasaß, war mein lieber Sohn, der Diakon Petrus, zugegen, der mir seit frühester Blüte der Jugend in Freundschaft eng verbunden und mir ein Kamerad bei der Erforschung des heiligen Wortes war. Als er sah, dass ich mich durch schwere Betrübnis im Herzen verzehrte, sprach er: […]

Der präfatorische Gregor betont, dass die sacri verbi indagatio, die Erforschung des heiligen Wortes, ein seit Langem von ihm und Petrus gepflegtes Interesse gewesen sei. Dieser Gedanke, dass gerade die gemeinsame intellektuelle Beschäftigung mit einem bedeutsamen Gegenstand die Gesprächspartner miteinander verbinde, ist bereits für die Gesprächspartner in Ciceros Dialogen von Relevanz und ist insofern für Gregors Dialogi bedeutsam, als sich in ihnen zwei Diskursräume unterscheiden lassen: der Raum der dialogischen Reflexion (indagatio) zwischen Gregor und Petrus und der Raum der erzählten Heiligenviten. Die Präfatio mündet in ein einleitendes Dialoggespräch, das dem Beginn der Heiligenerzählungen vorangestellt ist. Hier deutet sich bereits ein Aspekt an, der für die Dialogi im Ganzen von Bedeutung ist, nämlich die Dichotomie zwischen Weltlichkeit und Heiligkeit bzw. Kirchenamt und monastischem Leben, exemplifiziert in der Person Gregors. So legt Gregor gegenüber dem Diakon Petrus dar, dass er jener Gruppe von Klosterbrüdern, aus deren Mitte die von ihm bezeugten Wundertäter stammten, nicht mehr angehöre und dass dies Grund für seine gegenwärtige Trauer sei:19

18 Greg. M. dial. 1, prol. 1f. Die Textbasis ist de Vogüé (1978–1980), der Übersetzung liegt Funk (1933) zugrunde, durch den Verfasser an zahlreichen Stellen sprachlich modernisiert. 19 Greg. M. dial. 1, prol. 2–4, der Sprecher ist zunächst Petrus, dann Gregor.

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Jochen Sauer „Numquidnam novi aliquid accidit, quod plus te solito moeror tenet.“ Cui inquam: „Moerorem, Petre, quem cotidie patior et semper mihi per usum uetus est et semper per augmentum nouus. Infelix quippe animus meus occupationis suae pulsatus uulnere meminit qualis aliquando in monasterio fuit, quomodo ei labentia cuncta subter erant, quantum rebus omnibus quae uoluuntur eminebat, quod nulla nisi caelestia cogitare consueverat, quod etiam retentus corpore ipsa iam carnis claustra contemplatione transiebat, quod mortem quoque, quae paene cunctis poena est, uidelicet ut ingressum uitae et laboris sui praemium amabat. At nunc ex occasione curae pastoralis saecularium hominum negotia patitur, et post tam pulchram quietis suae speciem terreni actus puluere foedatur.“ „Was ist dir denn Neues zugestoßen, dass dich die Trauer mehr als gewöhnlich in Besitz hält?“ – Ich antwortete ihm: „Kummer, o Petrus, den ich Tag für Tag ertragen muss, ist mir ja altgewohnt, da ich ihn beständig empfinde, und immer neu, da er beständig wächst. Meine unglückliche, von der Arbeitslast geschlagene Seele denkt zurück, wie glücklich sie einst im Kloster war, wie alles Hinfällige weit unter ihr lag, wie sie alles Wandelbare hoch überragte, wie sie nur an Himmlisches zu denken gewohnt war und wie sie, wenngleich im Körper zurückgehalten, doch die Grenzen des Fleisches in der Betrachtung überschritt, wie sie sogar den Tod, den doch fast alle als eine Strafe empfinden, liebgewann als den Eingang zum Leben und als Lohn für ihre Mühen. Jetzt aber muss sie sich wegen des Hirtenamtes mit den Anliegen der Weltleute befassen und sich, nachdem sie eine so herrliche Ruhe genossen, mit dem Staube irdischer Beschäftigung bedecken lassen.“

Gregors Ausführungen zeigen sich nicht nur als ein Klagen über die mit seinem Papstamt verbundenen weltlichen Aufgaben, sondern verdeutlichen der Leserschaft, dass er selbst jener Gruppe von Gottesmännern im engeren Sinne einmal angehört habe und er in dieser Lebensform eine höhere Seinsform sehe. Infolge dieser Einleitung schwingt bei den Erzählungen und Reflexionen der Dialogfigur Gregors weniger die Überlegenheit eines Lehrers, der sich über die Gottesmänner erhebt, als eher die Bescheidenheit eines Gottesmanns und die Sehnsucht eines unfreiwillig von jener monastischen Lebensform verbannten kirchlichen Würdenträgers mit, der die monastische Vita gut kennt und verehrt. Die Sehnsucht nach dieser der Weltlichkeit entrückten Lebensform findet in der folgenden Stelle erneut ihren Ausdruck:20 Nonnumquam uero ad augmentum mei doloris adiungitur, quod quorumdam uita, qui praesens saeculum tota mente reliquerunt, mihi ad memoriam reuocatur, quorum dum culmen aspicio, quantum ipse in infimis iaceam agnosco. Quorum plurimi conditori suo in secretiori uita placuerunt, qui ne per humanos actus a nouitate mentis ueterescerent, eos omnipotens Deus huius mundi laboribus noluit occupari. Bisweilen aber kommt zur Steigerung meines Schmerzes noch hinzu, dass mir das Leben einiger Männer ins Gedächtnis zurückgerufen wird, die der heutigen Welt ganz und gar Lebewohl gesagt haben. Wenn ich dann die Höhe, auf der diese Männer wandelten, betrachte, da erkenne ich, wie tief ich stehe. Die meisten von ihnen führten ganz im Verborgenen ein Gott wohlgefälliges Leben; damit ihr jugendfrischer Geist durch menschliche Geschäfte nicht alt werde, bewahrte sie der allmächtige Gott vor den Mühseligkeiten dieser Welt.

Die durch den präfatorischen Gregor eröffnete Dichotomie zwischen Weltlichkeit und Geistlichkeit erinnert an die negotium-otium-Antithetik, wie sie bereits in 20 Greg. M. dial. 1, prol. 6, der Sprecher ist Gregor.

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Ciceros erstem Dialog De oratore präsent ist und sich fortan durch die lateinische Dialogtradition zieht: Mit dem Beginn der dialogischen Handlung betreten die Dialogfiguren einen Raum, der jenseits der Alltagspolitik liegt. Diese Grenzziehung lässt sich bei Cicero metapoetisch als Markierung eines literarischen Denkraums bezeichnen, in dem die (traditionell historischen Personen entsprechenden) Dialogfiguren andere Gesprächslizenzen erhalten und anders auftreten können als in der Öffentlichkeit. Die negotium-otium-Topik erweist sich als formal anschlussfähig an die christliche Dichotomie zwischen ‚Welt‘ und ‚Gott‘ oder ‚Außen‘ und ‚Innen‘. In den Dialogen Gregors, des kirchlichen Würdenträgers, eröffnet sich in den Dialogi ein Gesprächsraum, in dem auch mit dem Verstand schwer zugängliche Wundergeschichten ihren Platz haben, zumal die in den Dialogi entfalteten, bisweilen volkstümlich erscheinenden Wundererzählungen der intellektuellen Prägung anderer theologischer Schriften Gregors gegenüberstehen. Die folgenden Heiligenerzählungen erscheinen vor diesem Hintergrund als Rückkehr Gregors in eine ihm bekannte, aber von ihm zwangsweise verlassene und sehnsüchtig vermisste Welt, an der er den Diakon Petrus – und mit ihm den Leser – teilhaben lässt. Anstelle der festivitas der Wiedersehensfreude, wie sie bei Minucius Felix oder Sulpicius Severus präsent war, steht bei Gregor die Sehnsucht nach dem ‚Himmlischen‘, exemplifiziert in Gregors Klagen über den Verlust seines vorherigen monastischen Lebens. Danach liefert der Unterredner Petrus den konkreten Anlass dafür, dass die Dialogfigur Gregor in den folgenden drei Büchern Wundererzählungen referiert:21 Non valde in Italia aliquorum vitam virtutibus fulsisse cognovi. Ex quorum igitur conparatione accenderis ignoro. Et quidem bonos viros in hac terra fuisse non dubito, signa tamen atque virtutes aut ab eis nequaquam factas existimo, aut ita sunt hactenus silentio suppressa, ut utrumne sint facta nesciamus. Mir ist wenig davon bekannt, dass in Italien das Leben einiger Männer aufgrund ihrer Wundertaten geglänzt habe. Ich kann mir also nicht denken, wer dich bei dem Vergleich so entflammt. Ich zweifle ja nicht, dass es hierzulande fromme Menschen gegeben habe, glaube aber nicht, dass sie jemals Zeichen oder Wunder gewirkt haben, außer dies müsste bisher so mit Stillschweigen übergangen worden sein, dass wir davon gar nichts mehr wissen.

Die Dialogfigur Petrus motiviert damit die folgenden Ausführungen Gregors, die insofern an das Werk des Sulpicius Severus erinnern, als auch dessen Dialogi darüber belehren, dass es im eigenen Land und in der eigenen Gegenwart Heiligkeit (in der Person des Martin von Tours) gegeben habe. Gregor begegnet Petrus’ Einschätzung mit der Beteuerung, der Tag werde eher zu Ende gehen als seine Erzählung, sollte er alles berichten, was er von guten und verlässlichen Zeugen über Wundertäter Italiens gehört oder selbst erlebt habe.22 Hierauf bittet ihn Petrus, er möge über diese Männer erzählen. Indem Petrus betont, er habe bis unmittelbar vor Gesprächsbeginn selbst Schriftenexegese betrieben und unterbreche

21 Greg. M. dial. 1, prol. 7, der Sprecher ist Petrus. 22 Greg. M. dial. 1, prol. 8, der Sprecher ist Gregor.

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diese nun,23 stellen sich die Wundertäter (exempla) für den Leser als Ersatz für die Lehren (praedicamenta) dar. Metapoetisch stellt Gregor damit eine Verbindung zwischen seinen Dialogi und seinem exegetischen Werk her, insbesondere seinen Homilien.24 Während die praedicamenta aufzeigen, wie man handeln müsse, so Petrus, offenbare sich in den exempla das Resultat dieses Handelns, denn vorbildhafte Personen (exempla) seien oft besser als Lehren (praedicamenta), um die Rezipienten ‚zur Liebe zu ihrer himmlischen Heimat‘ (ad amorem patriae caelestis) zu entflammen:25 Et sunt nonnulli quos ad amorem patriae caelestis plus exempla quam praedicamenta succendunt. Fit uero plerumque in audientis animo duplex adiutorium in exemplis patrum, quia et ad amorem uenturae vitae ex praecedentium conparatione accenditur, et iam si se esse aliquid aestimat, dum de aliis meliora cognoverit, humiliatur. Auch werden manche eher durch Beispiele als durch Lehren zur Liebe zum himmlischen Vaterland entflammt. Es entspringt aber in der Regel aus den Beispielen der Vorväter für den Zuhörer ein doppelter Nutzen, weil er nämlich durch den Vergleich mit den Vorfahren zur Liebe zum zukünftigen Leben angespornt wird und zugleich in seiner Selbsteinschätzung sich gedemütigt findet, wenn er Größeres an anderen wahrnimmt.

Petrus nennt zwei besondere Potentiale der exempla der Vorväter: Zum einen werde man motiviert, das zukünftige Leben zu lieben (ad amorem venturae vitae accenditur). Zudem werde man angesichts ihrer gewaltigen Leistung zur Bescheidenheit geführt (humiliatur). Was der präfatorische Gregor zuvor durch seine Sehnsucht nach einer weltentrückten Lebensform angedeutet hat, wird von Petrus nun expliziert: amor caelestis patriae und humilitas sind die Werte und Haltungen, die in Gregors folgenden Erzählungen stets präsent sind und die sich die Rezipienten anhand der folgenden Ausführungen aneignen sollen. Gregor stimmt Petrus’ Bitte zu, von den Wundertätern zu erzählen, und tritt dabei wieder ein Stück aus der dialogischen Fiktion heraus, indem er den Lesern (legentibus!) eine Rezeptionsanweisung gibt:26 Sed ut dubitationis occasionem legentibus subtraham, per singula quae describo, quibus mihi haec auctoribus sint conperta manifesto. Hoc vero scire te cupio quia in quibusdam sensum solummodo, in quibusdam vero et verba cum sensu teneo, quia si de personis omnibus ipsa specialiter et verba tenere voluissem, haec rusticano usu prolata stilus scribentis non apte susciperet. Doch damit ich den Lesern einen Anlass zum Zweifel nehme, werde ich bei dem Einzelnen, was ich erzähle, klar angeben, von welchen Autoren mir diese Dinge mitgeteilt wurden. Dies aber sollst du wissen, dass ich mich bei einigen Erzählungen nur an den Sinn halte, bei anderen auch an den Wortlaut, denn wollte ich bei allen Personen ihre eigenen Worte genau wiedergeben, könnte die Schriftsprache das in der Umgangssprache Erzählte nicht in geeigneter Weise ausdrücken. 23 Greg. M. dial. 1, prol. 9, der Sprecher ist Petrus: Non dispar aedificatio oritur ex memoria virtutum. – „Die Erinnerung an Wunder ist ebenso erbaulich.“ 24 Vgl. de Vogüé (1978) 30. 25 Greg. M. dial. 1, prol. 9, der Sprecher ist Petrus. 26 Greg. M. dial. 1, prol. 10, der Sprecher ist Gregor.

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Wenngleich dieser Hinweis die Rezipientenschaft erwarten lässt, dass Gregor lediglich eine allzu simple und einfache Ausdrucksweise glätten und transformieren werde, erweisen sich im Folgenden die Erzählformen nur an der Oberfläche als simpel, im Detail jedoch als anspruchsvoll und elaboriert, wie das folgende Kapitel beispielhaft zeigen soll. Dabei soll zunächst ein Blick auf die Gregor-Figur innerhalb der Erzählungen (‚erzählter Gregor‘) geworfen werden. 3. DIE ERZÄHLUNGEN Zu Beginn einiger Erzählungen porträtiert sich Gregor selbst, wie er nach dem Leben und Wirken von Heiligen forscht, so etwa an folgender Stelle:27 Neque hoc silere de huius virtutibus debeo, quod ante dies fere duodecim agnoui. Quidam namque ad me deductus est senex pauper, atque, ut mihi senum conlocutio esse semper amabilis solet, studiose hunc unde esset inquisiui. Qui se de Tudertina civitate esse respondit. Cui inquam: „Quaeso te, pater, Fortunatum episcopum nosti?“ – Qui ait: „Noui, et bene noui.“ Tunc ipse subiunxi: „Dic, rogo, si qua illius miracula cognouisti, et desideranti mihi, qualis uir fuerit, innotesce.“ Qui ait: „Homo ille longe fuit ab istis hominibus, quos videmus modo. Nam quicquid ab omnipotente Deo petiit, ita dum peteret impetravit. Cuius hoc unum narro miraculum, quod ad praesens animo occurrit. […]“ Ich darf auch dieses Ereignis von den Wunderwerken dieses Mannes nicht verschweigen, von dem ich vor ungefähr zwölf Tagen erfuhr. Es wurde nämlich ein armer alter Mann zu mir gebracht, und da mir eine Unterhaltung mit alten Leuten immer sehr lieb ist, erkundigte ich mich interessiert, wo er zu Hause sei. Er sagte, er sei aus der Stadt Todi. Darauf sagte ich: „Bitte, Vater, hast du etwa den Bischof Fortunatus gekannt?” „Ja“, sagte er, „ich habe ihn gekannt, und zwar sehr gut.“ Darauf fuhr ich fort: „Erzähle mir, bitte, was du für Wunderwerke von ihm weißt, und sag’ mir, was er für ein Mann gewesen ist; denn ich möchte das so gerne wissen.“ Darauf antwortete er: „Dieser Mann war ganz anders als die Leute, wie wir sie heutzutage sehen; denn um was immer er den allmächtigen Gott bat, das erhielt er, sowie er darum betete. Nur ein einziges Wunder, das mir gerade in den Sinn kommt, möchte ich von ihm erzählen. […]

In dieser Form erzählter Dialoghandlung eröffnet Gregor eine neue Erzählebene, tritt aus der Rolle des erzählenden und reflektierenden Gelehrten heraus und nimmt die Rolle einer Person an, die den Gottesmännern Italiens engagiert nachforscht (‚erzählter Gregor‘). Er ist hier nicht mehr Lehrer und Exeget der Heiligen Schrift, der Fragen zum Handeln der Heiligen mit Rekurs auf die Bibel erklärt, sondern porträtiert sich als eifriger und begeisterter Sammler hagiographischer Berichte. In die Erzählung des ‚erzählten Gregors‘ sind bisweilen erneut einzelne Dialoge eingebaut. An der oben zitierten Stelle bildet der Dialog mit dem senex pauper die Rahmung für die folgende längere Erzählung über den Bischof Fortunatus,28 die nun ihrerseits zwei kürzere Dialoge enthält, welche die zentralen 27 Greg. M. dial. 1,10,11f., der Sprecher ist Gregor. 28 Eine Gruppe Goten entführt zwei Kinder und möchte diese nicht zurückgeben, obgleich ihnen Fortunatus, der Bischof von Todi, jeden Preis verspricht. Fortunatus kündigt daraufhin Unheil

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Protagonisten der Erzählung, der Bischof Fortunatus und der Anführer einer Gotenbande, miteinander führen. Andere Erzählungen über Fortunatus in demselben Abschnitt (1,10) werden von Gregor in indirekter Rede wiedergegeben, wobei ein anderer Gewährsmann, der Defensor Iulianus, eingeführt wird. Gregor erfüllt hier die Funktion eines Zeugen, der für die Erzählung des alten Mannes bzw. des Iulianus bürgt. In der Forschertätigkeit des ‚erzählten Gregor‘ findet sich die Begeisterung für und Sehnsucht nach den Idealen des weltabgewandten Heiligenideals, die auch in der Einleitung zum Ausdruck gebracht wurden. Die Erzähltechnik und der Stil der Einzelepisoden unterscheiden sich untereinander zum Teil erheblich. Stilunterschiede betreffen insbesondere Wortwechsel in der direkten Rede, die den Erzählungen immer wieder eingeflochten sind. Eine partielle Dialogisierung der Einzelerzählung des ‚erzählten Gregors‘ kann bisweilen auch so erfolgen, dass in ihr nur ein Sprecher in direkter Rede spricht und die anderen lediglich mitzudenken sind. Hierfür soll die Erzählung von ‚Felix dem Krummen‘ (Felix Curvus) als Beispiel dienen. Wie in den meisten anderen Erzählungen, beginnt Gregor auch hier mit einer Vorrede, in der er die Authentizität der Geschichte bekräftigt. Dies geschieht durch die Angabe eines Gewährsmanns, den auch sein Dialogpartner Petrus kenne.29 Felix qui appellabatur Curuus, quem ipse bene cognovisti, qui eiusdem monasterii nuper praepositus fuit, multa mihi de fratribus eius monasterii admiranda narrabat. Ex quibus aliqua quae ad memoriam veniunt subprimo, quia ad alia festino, sed unum dicam, quod ab eo narratum praetereundum nullo modo aestimo. Felix30 mit dem Beinamen der Krumme, den du selbst gut kennst und der noch vor kurzem demselben Kloster vorangestellt war, hat mir viel Wunderbares von den Mönchen jenes Klosters erzählt. Es fällt mir manches davon ein, ich muss es aber übergehen, da ich zu etwas Anderem eile, doch eine einzige Begebenheit, die er mir erzählte, glaube ich nicht verschweigen zu dürfen.

Gregors Hinweis, er erzähle exemplarisch nur eine der zahlreichen Wundergeschichten, die ihm über dieses Kloster berichtet wurden, ist für die meisten Erzählungen charakteristisch. Mit dieser Art von Amplifikation wird suggeriert, das Wunderwirken in Italien sei eigentlich viel umfassender, als es Gregor in seinen drei Büchern schildern könne. Die Bemerkung, auch Petrus kenne diesen Felix Curvus, ist Teil der Authentifizierungsstrategie, zumal die Bezugnahme auf Zeugen zur grundlegenden Topik der Hagiographie31 gehört.32

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für den vermeintlichen Anführer der Gruppe an. Wenig später rutscht dessen Pferd vor der Kirche des hl. Petrus in Todi aus, und der Gote bricht sich das Hüftbein. Sogleich lässt dieser die Kinder zurückbringen und bittet um Vergebung. Durch das Weihwasser, das ihm Fortunatus schickt, wird er von seinen Verletzungen geheilt (Greg. M. dial. 1,10,12–15). Greg. M. dial. 1,3,1, Sprecher ist Gregor. Martyrol. 6. Nov. Vgl. Lake (2013) 235: „His most conspicuous use of a topos, however, is his appeal to authorities for the stories which he narrates; there are proportionately few for which he indicates no witness, although these are not always named or clearly specified.“ Greg. M. dial. 1,3,2–5, Sprecher ist Gregor.

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(2) In eodem monasterio quidam magnae uitae monachus erat hortolanus. Fur uero uenire consueuerat, per sepem ascendere, et occulte holera auferre. Cumque ille multa plantaret quae minus inveniret, et alia pedibus concultata, alia direpta conspiceret, totum hortum circuiens invenit iter unde fur venire consueverat. Qui in eundem hortum deambulans repperit etiam serpentem, cui praecipiens dixit: „Sequere me.“ Atque ad aditum furis perveniens, imperavit serpenti, dicens: „In nomine Iesu praecipio tibi ut aditum istum custodias, ac furem huc ingredi non permittas.“ Protinus serpens totum se in itinere in transversum tetendit. Ad cellam monachus rediit. (3) Cumque meridiano tempore cuncti quiescerent, more solito fur advenit, ascendit sepem, et dum in hortum pedem deponeret, vidit subito quia tensus serpens clausisset viam, et tremefactus post semetipsum concidit eiusque pes per calciamentum in sude sepis inhaesit, sicque usque dum hortolanus rediret, deorsum capite pependit. (4) Consueta hora venit hortolanus, pendentem in sepe furem repperit. Serpenti autem dixit: „Gratias Deo. Implesti quod iussi. Recede modo.“ Qui ilico abscessit. Ad furem vero perveniens, ait: „Quid est, frater? Tradidit te mihi Deus. Quare in labore monachorum furtum totiens facere praesumpsisti?“ Qui haec dicens, pedem illius a sepe in qua inhaeserat soluit, eumque sine laesione deposuit. Cui dixit: „Sequere me.“ Quem sequentem duxit ad horti aditum, et holera quae furto adpetebat auferre, ei cum magna dulcedine praebuit, dicens: „Vade, et post haec furtum non facias, sed cum necesse habes, hinc ad me ingredere, et quae tu cum peccato laboras tollere, ego tibi deuotus dabo.“ (5) Petrus: Nunc usque, ut inuenio, incassum ego non fuisse patres in Italia qui signa facerent aestimabam. (2) In demselben Kloster war ein Mönch von guter Lebensführung Gärtner. Es kam aber regelmäßig ein Dieb, stieg über den Zaun und trug heimlich Gemüse davon. Da nun der Gärtner vieles pflanzte, was er dann nicht mehr vorfand und er sah, dass es entweder mit den Füßen zertreten oder gestohlen war, ging er den ganzen Garten ab und fand endlich die Stelle, wo der Dieb immer hereinkam. Als er nun weiter im Garten auf und ab ging, fand er eine Schlange und sagte zu ihr gebietend: „Komm mit mir!“ Als er an die Stelle kam, wo der Dieb hereinkam, befahl er der Schlange, indem er sagte: „Im Namen Jesu befehle ich dir, dass du diesen Eingang bewachst und keinen Dieb hereinkommen lässt!“ Sogleich legte sich die Schlange ganz der Länge nach quer über den Weg. Der Mönch ging in seine Zelle zurück. (3) Als nun alle zur Mittagszeit ihre Ruhe hielten, kam wie gewöhnlich der Dieb und kletterte über den Zaun; als er seinen Fuß in den Garten setzen wollte, sah er plötzlich, daß eine langgestreckte Schlange ihm den Weg versperrte. Vor Schrecken fiel er rücklings herab und blieb mit seinem Schuh an einem Zaunpfahl hängen. So musste er mit dem Kopfe nach unten hängen bleiben, bis der Gärtner wiederkam. (4) Zur gewohnten Stunde kam der Gärtner und sah den Dieb an dem Zaun hängen. Zur Schlange sprach er: „Gott sei Dank! Du hast deine Sache gut gemacht, gehe jetzt wieder!“, und sogleich entfernte sie sich. Alsdann trat er an den Dieb heran und sagte zu ihm: „Was ist das, Bruder? Gott hat dich mir in die Hände gegeben. Warum hast du es gewagt, der Mönche Arbeit so oft zu bestehlen?“ Während er dies sagte, machte er seinen Fuß vom Zaune, wo er hängen geblieben war, los und stellte ihn unverletzt auf den Boden. Er sagte ihm: „Folge mir!“ Als er ihm folgte, führte er ihn zur Gartentüre und gab ihm mit großer Güte und Freundlichkeit soviel Gemüse, wie er heimlich hatte nehmen wollen, und sagte: „Gehe nun hin und stiehl in Zukunft nicht mehr. Solltest du etwas notwendig haben, so komme hier zu mir herein, und mit Freuden will ich dir geben, was du sonst nur unter einer Sünde und mit großer Mühe wegnehmen könntest.“ (5) Petrus: Ich war bis jetzt, wie ich sehe, ganz ohne Grund, der Meinung, dass es in Italien keine Väter gegeben habe, die Wunderbares taten.

Die Sprache der Erzählung folgt in ihrer Schlichtheit einer anderen Formensprache als die der dialogischen Passagen zwischen Petrus und Gregor. Und noch einmal deutlich schlichter als die Erzählung sind die direkten Äußerungen des Wundertäters, der als einziger in dem scheinbaren Dialog der direkten Rede

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spricht. Extrahiert man die dialogischen Passagen, so fällt als erstes auf, dass wir nur die Worte des Wundertäters hören. Ob der Dieb etwas sagt beziehungsweise was er sagt, erfahren wir nicht: Gregor ist es offenbar wichtig, gerade das Sprechhandeln des Wundertäters, und zwar den genauen Wortlaut wiederzugeben. Dieses Kunstmittel steigert die Präsenz der Figur und überhöht ihre Bedeutung. Um dies zu verdeutlichen, soll der Wortlaut der direkten Rede des Mönchs aus dem oben aufgeführten Text (Greg. M. dial. 1,3,2–5) hier noch einmal zitiert werden (Übersetzung: s. oben): monachus (ad serpentem): „Sequere me.“ monachus (ad serpentem): „In nomine Iesu praecipio tibi ut aditum istum custodias, ac furem huc ingredi non permittas.“ monachus (ad serpentem): „Gratias Deo. Implesti quod iussi. Recede modo.“ monachus (ad furem): „Quid est, frater? Tradidit te mihi Deus. Quare in labore monachorum furtum totiens facere praesumpsisti?“ monachus (ad furem): „Sequere me.“ monachus (ad furem): „Vade, et post haec furtum non facias, sed cum necesse habes, hinc ad me ingredere, et quae tu cum peccato laboras tollere, ego tibi deuotus dabo.“

Eine Begründung für den schlichten und klaren Stil im Zusammenhang mit der Darstellung von Heiligkeit gibt eine zentrale Stelle in Gregors Werk (Moralia in Iob, Widmungsbrief an den Bischof Leander von Sevilla).33 Stultum est ut si velim verba caelestis oraculi concludere sub regulis Donati. Töricht ist es, wenn ich es auch wollte, die Worte der göttlichen Offenbarung unter die Regeln des Donat zu zwängen.34

Diese Stelle hat als geflügeltes Wort das ganze Mittelalter hindurch eine große Nachwirkung gehabt. Es ist der locus classicus für die Begründung, dass die einfache Sprache der Bibel nicht in eine Bildungssprache übersetzt werden darf: Die Autorität Christi stehe über der des Grammatikers Donat. Zwar sind die Worte von Felix Curvus nicht die verba caelestis oraculi, aber doch immerhin die Sprache eines gottgefälligen Mannes, beziehungsweise umgekehrt formuliert: Die Tatsache, dass Gregor den Gottesmann Felix klare und einfache Sätze sprechen lässt, charakterisiert ihn geradezu als einen Mann Gottes. Zwar scheint Gregors Erzählstil auf den ersten Blick stark der Umgangssprache angepasst zu sein, doch hat Erich Auerbach beispielhaft anhand der Episode

33 Greg. M. epist. 5,53a,5. Vgl. auch Greg. M. epist. ad Leandrum (= Mor. in Iob proem.) PL 75 col. 516: Indignum vehementer existimo, ut verba caelestis oraculi restringam sub regulis Donati. – „Ich halte es für sehr unwürdig, die Worte göttlicher Offenbarung unter die Regeln des Donat zu beugen.“ 34 Gemäß der Lesart conludere: ‚unter den Regeln Donats zu verspotten‘.

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des ‚Teufelchens auf dem Salatkopf‘ gezeigt,35 dass sich innerhalb der Erzählungen verschiedene Stilhöhen finden lassen, die sich nach den drei Stilen (tres genera dicendi) in der Tradition Ciceros36 bzw. der Rhetorica ad Herennium37 differenzieren lassen. Die Stile sind bei Gregor dabei bewusst semantisiert,38 vermeintliche Barbarismen lassen sich problemlos als intendierte Verwendung des genus humile deuten: „Man kann die Geschichte (scil. vom Teufelchen auf dem Salatkopf) wie eine Illustration der Lehre von den Genera dicendi lesen: parva summisse, modica temperate, magna graviter dicere“:39 Das Teufelchen werde im ersten Stil (‚bescheiden‘: summisse) dargestellt, der Vorfall, dass die Magd in den Salat beißt und dabei das Teufelchen verschluckt, gemäß dem zweiten Stil (‚gemäßigt‘: temperate), das Handeln des Heiligen schließlich, der dem Teufel befiehlt, die Magd zu verlassen, gemäß dem dritten Stil (‚mit Nachdruck‘/‚mit Würde‘ – graviter). Walter Berschin zeigt in Ergänzung zu der Studie Auerbachs auf, dass Gregor sich an anderer Stelle über diese Art der Variatio autopoietisch äußert.40 Nicht zuletzt die kunstgemäße Klauselverwendung ist ein Indiz für den literarischen Anspruch des Textes.41 Dass sich Gregor häufig, aber nicht nur an der Umgangssprache orientiert, dürfte also einem Kalkül entsprechen, zumal er sich in seinen anderen Schriften viel hochsprachlicher ausdrückt.42 Diese Fähigkeit zur semantisierten Stilvariation unterscheidet ihn von zahlreichen christlichen Vorgängern, die ihren Stil im Ganzen der Umgangssprache angepasst haben: „Das Besondere dabei ist […], dass Gregor die Freiheit und Beweglichkeit behält, das niedrige Stilniveau jederzeit wieder zu verlassen […].“43 Gregors auf den ersten Blick naiv erscheinenden, bei genauerer Hinsicht elaboriert gestalteten Erzählungen zeichnen sich zudem, wie überhaupt die Vitenliteratur der Alten Kirche,44 durch ihren stets engen Bezug zu den Inhalten der heiligen Schrift aus. So konstatiert Stephen Lake:45 35 Auerbach (1958) 77, eine ausführlichere Analyse derselben Erzählung bei Berschin (1986) 309–311. 36 Cic. orat. 101. 37 Rhet. Her. 4,11. Vgl. Berschin (1986) 310 Anm. 113. 38 Vgl. Auerbach (1958) 77: „… er (scil. Gregor) hat es noch in der Hand, wie es der antiken Tradition entsprach, den Stil nach Art und Absicht der Schrift zu wechseln.“ 39 Berschin (1986) 310. 40 Berschin (1986) 310, Anm. 114, führt folgende Stelle an: Quamvis in prolixo opere esse culpabilis styli mutabilitas non debeat […] („Auch wenn es in einem umfassenden Werk eigentlich keine sträfliche Stilveränderung geben darf […]“, Greg. M. Mor. in Iob PL75, col. 953), immutationem styli, lector meus, aequanimiter accipe, quia et saepe eosdem cibos edentibus diversitas placet coctionis („Nimm diese stilistische Mannigfaltigkeit gleichmütig an, mein Leser, weil auch oft kulinarische Abwechslung denjenigen gefällt, die immer dieselben Speisen essen“, ib.). 41 Eine Studie zu den Klauseln im Werk Gregors liegt mit Brazzel (1939) vor. Zur literarischen Qualität des Textes de Vogüé (1978) 31–36. 42 Vgl. Auerbach (1958) 77. 43 Berschin (1986) 311. 44 Vgl. Lambert u. a. (1995) 35. 45 Lake (2013) 246.

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Die Nachfolge Christi46 bzw. die Nachahmung des Lebens der Propheten und Apostel ist traditionell ein wesentlicher Grundsatz47 für die Würdigung des Handelns heiligmäßiger Männer und ist bereits für die Mönchsliteratur vor Gregor bedeutend. So ist es nicht verwunderlich, dass sich biblische Narrative auch in den Erzählungen Gregors abbilden und sich typologische Grundmuster erkennen lassen.48 Ähnlich wie die Martinsvita bzw. die Dialogi des Sulpicius Severus das Handeln und Wirken Jesu auf die gallische Figur des Martin von Tours im Sinne einer Nachfolge applizieren,49 vollzieht Gregor diesen Transformationsprozess für die heiligmäßigen Männer Italiens. Gerade im zweiten Buch der Dialoge, das ganz dem Leben und Wirken Benedikts von Nursia gewidmet ist, ist die Verzahnung von Lebensbeschreibung und Bibelreferenz besonders eng. Deutlich stärker als in den Büchern 1 und 3 wird hier das Leben ein Stück „narrative Exegese“50. Stehen die Wundertäter in der Nachfolge Jesu bzw. der Apostel, so müsste Gregor konsequenterweise in der Nachfolge der Evangelisten stehen. Diese Assoziation macht Gregor im einleitenden Dialoggespräch explizit:51 Ea quae mihi sunt virorum venerabilium narratione conperta incunctanter narro sacrae auctoritatis exemplo, cum mihi luce clarius constet quia Marcus et Lucas euangelium quod scripserunt, non uisu sed auditu didicerunt. Was mir von ehrwürdigen Männern mitgeteilt wurde, will ich ohne Zaudern wieder erzählen und stütze mich dabei auf ein Beispiel von heiligem Ansehen. Es ist mir sonnenklar, dass

46 Vgl. Peter von Moos (1996) 95: „Die doppelte Heilsfunktion des Exemplum Christi als Beispiel menschlicher Kontingenz und deren Überwindung kehrt im Lebensbeispiel vieler Heiliger wieder als Gnadenbeweis für die jedem Menschen mögliche imitatio christlicher Höchstleistungen.“ Vgl. auch Anm. 56. 47 Vgl. zur Bedeutung der Vita prophetica und der Vita apostolica Lambert u.a. (1995) 39f.: „Im Verständnis der Mönchstradition ist die vita prophetica nicht ausschließlich von den Wundern und Prophezeiungen der Propheten her zu interpretieren, sondern ruht auf einem wesentlicheren Prinzip. Die Propheten in Israel sind gesandt, das Heil Gottes in eine bestimmte Situation hinein zu verkünden. Diese Zusage des Heils soll gerade auch in den großen Gestalten des Mönchtums erfahrbar werden. Vita prophetica bedeutet daher nicht spektakuläre Zukunftsvisionen, sondern die Konkretion des Heils im Alltag.“ 48 Vgl. hierzu ausführlich Petersen (1984) 25–55. 49 Für die Nachfolge Jesu vgl. Paulus’ Äußerung in 1 Kor 4,16: „Seid meine Nachfolger, wie auch ich Christi Nachfolger bin“ bzw. weitere Stellen der imitatio Christi. Vgl. von Moos (1996) 93, insb. Anm. 233. 50 Lambert u. a. (1995) 35: „Das Lob des Erlösers wird am deutlichsten darin sichtbar, dass die Verwirklichung des Evangeliums im Leben eines Menschen dargestellt wird. Die Priorität der Bibel im Leben eines Heiligen macht die Viten zu einem Stück narrativer Exegese.“ Zur terminologischen Kohärenz zwischen der Benennung Benedikts und biblischen Formulierungen vgl. ebd. 35f. 51 Greg. M. dial. 1, prol. 10.

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Markus und Lukas ihr Evangelium nicht als Augenzeugen, sondern auf Grund dessen, was sie gehört, verfasst haben.

Die Dialogi bekräftigen auf diese Weise die Präsenz der biblischen Heilsbotschaft in Italien. Dabei erzählt der gebildete Autor, Angehöriger der stadtrömischen Führungselite und Papst Gregor die biblischen Erzählungen sprachlich reflektiert im ‚Einfachen‘. Sicherlich lässt sich Gregors Textgestaltung auch in einer Authentifizierungsstrategie begründet sehen: Der Leser soll den Eindruck gewinnen, die Berichte über Wundertäter seien authentisch aus verschiedenster Quelle zusammengestellt worden, wie Gregor dies auch im Prolog zum Ausdruck bringt. Doch verweist die Schlichtheit eben auch auf die Formensprache der heiligen Schrift. Mit den dialogischen Passagen dagegen, in denen sich Gregor selbst und den Diakon Petrus als Gesprächspartner auftreten lässt und welche die einzelnen Wundererzählungen rahmen, verwendet Gregor einen komplexeren Stil und gestaltet somit ein gebildetes, intellektuell anspruchsvolles Gespräch. Anders als in den Dialogen des Sulpicius Severus werden somit nicht nur die Wundertäter ins rechte Licht gerückt und Begeisterung für ihr Handeln erzeugt, sondern in dialogischen Interventionen, die über die ganzen drei Bücher verteilt sind, wird über einzelne Elemente ihres Handelns und ihrer Heiligkeit theologisch reflektiert. 4. DIE DIALOGFORM AUF DER MAKROEBENE (GREGOR UND PETRUS) Die Erzählungen der drei Bücher werden immer wieder durch kurze Interventionen des Petrus unterbrochen, in denen Fragen geklärt werden, die durch Gregors Erzählungen bei Petrus evoziert werden oder in denen er sein Empfinden gegenüber den Viten zum Ausdruck bringt. Ein Beispiel hierzu bietet die folgende Stelle.52 Petrus: Dic, quaeso te: numquidnam credendum est huic Dei famulo semper prophetiae spiritum adesse potuisse, an per interualla temporum eius mentem prophetiae spiritus inplebat? Gregorius: Prophetiae spiritus, Petre, prophetarum mentes non semper inradiat, quia, sicut de sancto Spiritu scriptum est: Ubi uult spirat, ita sciendum est quia et quando uult adspirat. Hinc est enim quod Nathan, a rege requisitus si construere templum posset, prius consensit et postmodum prohibuit. Hinc est quod Heliseus, cum flentem mulierem cerneret causamque nescisset, ad prohibentem hanc puerum dicit: ‚Dimitte eam, quia anima eius in amaritudine est, et Dominus celauit a me et non indicauit mihi.‘ Quod omnipotens Deus ex magnae pietatis dispensatione disponit, quia dum prophetiae spiritum aliquando dat et aliquando subtrahit, prophetantium mentes et elevat in celsitudine et custodit in humilitate, ut et accipientes spiritum inueniant quid de Deo sint, et rursum prophetiae spiritum non habentes cognoscant quid sint de semetipsis. Petrus: Ita hoc esse ut adseris, magna ratio clamat. Sed, quaeso, de uenerabili patre Benedicto quicquid adhuc animo occurrit, exequere.

52 Greg. M. dial. 2,21,1–5, der Sprecher ist zunächst Petrus.

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Jochen Sauer Petrus: Sag’, ich bitte dich, ist anzunehmen, dass der Geist der Weissagung diesem Diener Gottes immer zu Gebote stand? Oder erfüllt der Geist der Weissagung seine Seele nur von Zeit zu Zeit? Gregorius: Der Geist der Weissagung, Petrus, leuchtet den Seelen der Propheten nicht immer. Denn da vom Heiligen Geist geschrieben steht: „Er weht, wo er will“ (Joh 3,8),53 so muß man auch wissen, dass er weht, wann er will. Daher kommt es, daß Nathan auf die Frage des Königs, ob er den Tempel bauen könne, zuerst zustimmte, hernach aber den Bau untersagte.54 Daher kommt es, dass Elisäus, als er das Weib weinen sah und den Grund ihrer Tränen nicht wußte, zu dem Diener, der sie fernhalten wollte, sprach: „Lass sie! Denn ihre Seele ist betrübt, und der Herr hat’s vor mir verborgen und mir nicht angezeiget.“55 In großer Güte ordnet dies so der allmächtige Gott; denn dadurch, dass er den Geist der Weissagung bisweilen gibt und bisweilen entzieht, erhebt er die Herzen der Weissagenden einerseits zur Höhe empor, andererseits bewahrt er sie in der Demut, so dass sie, wenn sie den Geist empfangen, finden, was sie aus Gott sind, und wiederum, wenn sie den Geist der Weissagung nicht haben, erkennen, was sie aus sich selbst sind. Petrus: Dass es so ist, wie du behauptest, dafür spricht laut die gute Begründung. Aber, ich bitte, erzähle weiter, was du von dem ehrwürdigen Vater Benedikt noch weißt.

Hier und anderswo werden Einzelaspekte der Episode in den Blick genommen und dabei theologische Fragen aufgeworfen, wie an dieser Stelle das Problem der Prophetie. Die Episoden bieten Anlässe, um auf Aspekte von Heiligkeit näher einzugehen, diese aus der Bibel heraus zu erläutern und über sie zu reflektieren. Allerdings stehen die Erzählungen stets im Zentrum und sind dem theologischen Diskurs nie subordiniert.56 Die Dialogform schafft so die Möglichkeit, anhand der Erzählung theologische Sachverhalte verständlich zu machen, ohne dabei die geschlossene Erzählung zu unterbrechen. Anders als etwa in Ciceros Dialogen, in denen eine Dialogfigur in geschlossener Rede ein bestimmtes Thema sukzessive entfaltet, werden bei Gregor die Elemente einer Theologie der Wundertäter aus der erzählten Situation heraus mal mehr, mal weniger stringent entwickelt. Der Rezipient mag sich mit dem Diakon Petrus identifizieren, dessen Fragen oder Einwände durch Gregor stets in einem warmen, freundlichen Ton beantwortet werden. Im vierten Buch wird diese Situation gewendet, indem nun das theologische Problem im Zentrum steht und dieses anhand der Beispiele heiligmäßiger Männer beantwortet wird. Erst dort erfolgt ein permanenter Abgleich mit der theologischen Lehre, doch finden sich auch in den

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Joh 3,8. 2 Kön 7,3ff. 4 Kön 4,27. Gerade hier scheint Gregor bisweilen fehlinterpretiert worden zu sein, worauf Peter von Moos (1996) 94f. in aller Deutlichkeit hinweist: „Der christliche Heilige ist nicht nur vergangenes Vorbild, sondern ständiger Fürbitter, gegenwärtiger Beschützer und christomimetischer Fortsetzer des Heilsgeschehens. […] Solche Real-Exempla – nicht etwa homiletische Geschichtchen – meint Gregor d. Gr. […].“

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Büchern 1 bis 3 immer wieder theologisch relevante Fragen, die Petrus in Anschluss an eine Heiligenlegende stellt.57 In den Dialogi Gregors lässt sich eine leichte Progression erkennen. Erscheint Petrus im ersten Buch noch brennend an den Wundern interessiert zu sein, so schließt das erste Buch mit der wichtigen Bemerkung Gregors ab, dass es nicht auf die Wunder, sondern das Leben der heiligmäßigen Männer ankomme und dieses der alleinige Maßstab für ihre Bewertung sein müsse.58 Sukzessive werden die Bemerkungen und Fragen von Petrus zum vierten Buch hin anspruchsvoller. Möglicherweise einem didaktischen Anliegen geschuldet ist der Umstand, dass die Erzählung auffällig viele Dubletten aufweist, also gleich strukturierte Erzählungen, die unmittelbar aufeinander folgen,59 gewissermaßen typologische Muster.60 Ein weiteres praktisches Argument für die Wahl der Dialogform stellt, wie Joan Petersen bemerkt,61 der stark variierende Umfang der einzelnen Erzählungen, der in einer traditionellen Hagiographie stören würde: Einige Erzählungen umfassen wenige Zeilen, die Benedikt-Vita ein ganzes Buch. Zudem können auch erzähltechnisch und stilistisch heterogene Erzählungen vereinigt werden. Die Dialogform bietet zudem die Möglichkeit, Erzählung und Kommentierung in unaufdringlicher Form zu vereinen und sich dabei der klassischen Dialogtopik (memoria-Rahmung, amicitia-Evokation, negotium-otium-Antinomie, festivitas-Stimmung) zu bedienen. Gerade diese affektiv wirkenden Elemente der Dialog-Topik mussten für einen Autor, der die zentrale Intention seines literarischen Schaffens offenbar in der Motivation seiner Leserschaft „zur Liebe zum himmlischen Vaterland‘ (ad amorem patriae caelestis, Greg. M. dial. 1, prol.) sieht, für sein Werk zielführend erscheinen.62 Die komplexe erzähltechnische Rahmung, welche die traditionelle Formensprache des römischen Dialogs aufnimmt, und die gelehrten Bemerkungen der Dialogpartner, die sich an der sacri verbi indagatio (Erforschung des heiligen Wortes, Greg. M. dial. 1, prol.) interessiert zeigen, lassen den 57 Möglicherweise sind die metapoetischen Aussagen eines sehr viel später verfassten hagiographischen Dialogs in der Tradition Gregors, des Dyalogus sanctorum fratrum Minorum, aufschlussreich. Hierzu grundlegend Schürer (2005) 247–265. In dessen Einleitung werden zwei Vorteile der Dialogform genannt (ebd. 248): „Sie (scil. die Dialogform) ermöglicht zum einen eine Wissensvermittlung an den Rezipienten, die frei von Frustration etwa durch Überforderung abläuft, und zum anderen erlaubt sie den permanenten Abgleich des Erzählten mit den Grundannahmen der theologischen Lehre.“ 58 Greg. M. dial. 1,12. 59 Lake (2013) 237. 60 Zur Typologie vgl. Petersen (1984) 25–55, Lambert u. a. (1995) 33–36. Peter von Moos (1996) 94 weist darauf hin, dass Gregors Exemplum-Begriff im Gegensatz zum narrativen Exemplum-Begriff des Mittelalters stehe. Gregor meine mit Exemplum nicht die Erzählung, sondern den Heiligen (ebd. Anm. 238). 61 Petersen (1984) 23. 62 Auch an zahlreichen anderen Stellen betont Gregor, „die ‚Beispiele der Wunderkraft Gottes in seinen Heiligen könnten als sichtbare Taten die Liebe zum unsichtbaren himmlischen Vaterland besser entflammen als bloße Predigten und Worte,“ von Moos (1996) 95.

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Sinn und die Bedeutung der Heiligenviten deutlich hervortreten,63 die im Zentrum des Werks stehen. 5. DIE FUNKTION DER DIALOGI INNERHALB DES GESAMTWERKS Sowohl die Dialoge des Sulpicius Severus als auch die Gregors verweisen auf weitere Werke des jeweiligen Autors. Bei Sulpicius handelt es sich um Verweise auf seine Martinsvita, bei Gregor auf seine prädikatorischen Schriften. Sogar die Martinsvita als Buch ist Gegenstand der dialogischen Handlung bei Sulpicius; dieses habe Postumianus immer mit sich geführt:64 „Quid?“, inquam, „Tibi de Martino meo liber ille non sufficit? Quem ipse tu nosti me de illius vita atque virtutibus edidisse?“ „Agnosco id quidem“, Postumianus inquit, „neque umquam a dextera mea liber ille discedit. Nam si agnoscis, ecce“ – aperit librum, qui veste latebat – en ipsum. Hic mihi“, inquit, „terrae ac mari comes, hic in peregrinatione tota socius et consolator fuit.“ „Was?“, sagte ich, „Genügt Dir nicht das Büchlein über meinen Martinus? Du weißt ja, dass ich dieses über sein Leben und seine Wundertaten veröffentlicht habe.“ – „Ich weiß das wohl“, erwiderte Postumianus, „dies Büchlein kommt nie aus meiner rechten Hand. Sieh, da ist es, wenn du es erkennst.“ Dabei öffnete er ein Buch, das er unter seinem Gewände verborgen war. „Dieses war mein Begleiter zu Wasser und zu Land, es war mir Gefährte und Tröster auf meiner ganzen Pilgerfahrt.“

Ausführlich beschrieben wird im Folgenden die weite Verbreitung des Buchs und die Begeisterung, die es hervorgerufen habe:65 Was die Dramaturgie der Erzählungen angeht, so erweist sich die fesselnde Orienterzählung des ersten Buchs als ein großes Präludium für das Martinssupplement des Gallus. Gerade darin, dass Martin die heiligmäßigen Männer des Ostens übertreffe, zeige sich seine Überlegenheit.66 Postumianus fordert schließlich als Gegenleistung für seine Erzählung einen Bericht über diejenigen Taten Martins, die noch nicht aufgeschrieben wurden. Diese Aufgabe übernimmt Gallus, der für die meisten Erzählungen, so seine Beteuerung, selbst Zeuge gewesen sei. Mit dieser sich anschließenden Martinserzählung hat Sulpicius Severus im dritten Buch seiner Dialogi sozusagen ein Supplement zu seiner zuvor verfassten Martinsvita geschrieben. Die dialogische Handlung der drei Figuren scheint über das Werk hindurch nicht zuletzt dazu zu dienen, die Bedeutung Martins (und die von Sulpicius’ eigenem Martinsbuch) ins rechte Licht zu rücken und darzustellen, dass Gallien mit Martin von Tours ein nicht nur ebenbürtiges Äquivalent zu den Mönchen, Eremiten und Heiligen des

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Vgl. hierzu Anm. 46 und 47. Sulp. Sev. dial. 1,23,1f., die Sprecher sind Sulpicius (‚ego‘) und Postumianus. Sulp. Sev. dial. 1,23,3–7, der Sprecher ist Postumianus. Sulp. Sev. dial. 1,24,1–3, die Sprecher sind Sulpicius (‚ego‘) und Gallus.

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Ostens habe, sondern dass dieses Exempel jene überstrahle.67 Der Dialog erfüllt demnach eine Art Katalysatorfunktion, um die Martinsvita, das zentrale Werk des Sulpicius, zu einem elementaren und unverzichtbaren Bestandteil monastischer Lektüre zu machen. Der wiederholte Hinweis des Gallus, dass Martin auch besonders zu der Mentalität Galliens passe, gibt dem Heiligen eine gallische Identität und macht ihn gewissermaßen zu einem ‚Nationalheiligen‘.68 Die Dialogi Gregors verweisen dagegen auf andere theologische, insbesondere prädikatorische Werke Gregors, und am Ende steht die Auseinandersetzung mit einem komplexen theologischen Thema: der Unsterblichkeit der Seele. Wirkt Sulpicius’ Dialog mit aller Kraft auf die Bekanntmachung eines Heiligen und dessen Leben sowie auf die Promotion seiner Martinsbiographie hin, so verweisen Gregors Dialogi auf ethisch-theologische Themen, die in den ersten Büchern erst recht sachte anklingen, im vierten Buch jedoch dezidiert in die Diskussion eines anspruchsvollen theologischen Themas münden. Hier wird auch der Verweis auf die Homilien, ein weiteres Werk Gregors, explizit gemacht.69 Die Dialoge Gregors erweisen sich auf der Makroebene in den ersten drei Büchern als ein Lehrdialog,70 in dem sowohl italische Wundergeschichten erzählt werden als auch durch diese Wundergeschichten Anlässe geboten werden, über allgemeine Themen von Heiligkeit zu sprechen. Auf der Mikroebene, also innerhalb der Erzählungen, stellt die Dialogform einen Erzählmodus dar, der es Gregor erlaubt, allem voran das Wunderhandeln der Heiligenfiguren eindrücklich zu porträtieren, dann aber auch sich selbst auf seinen Reisen darzustellen, auf denen er nach Wundertätern in Italien forscht. Gregors Viten sollten für den hagiographischen Dialog des Mittelalters und die Institutionalisierung der Vita regularis wegweisend werden, zumal gerade die kanonisch angelegten Erzählungen bei Gregor das Potential mit sich brachten, die Form einer didaktisch strukturierten Wissensordnung anzunehmen.  

67 Vgl. Müller (2021) 270–278. 68 Neben den Dialogi hat Sulpicius Severus zudem Briefe herausgegeben. In ihnen wird Martin gegen äußere Vorwürfe verteidigt und dabei ein härterer Ton angelegt. Die Gattungen Dialog und Brief erfüllen für die Promotion der Martinsvita offenbar dieselbe Funktion in verschiedenen Modi. 69 Zu Beginn des 15. Kapitels im 4. Buch verweist Gregor explizit auf die 40. Homilie 15, Migne P. L. LXXVI, 1310f. 70 Vgl. zur Vermutung, dass Gregor offenbar ein monastisch-klerikales Lesepublikum (und keine breite außerkirchliche Leserschaft) im Blick hat, Anm. 12.

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LITERATURVERZEICHNIS Textausgaben und Kommentare Gregorii Magni Dialogi Libri IV, ed. U. Moricca (Fonti per la Storia d’Italia 57), Rom 1924. Grégoire le Grand, Dialogues, ed. Adalbert de Vogüé, transl. Paul Antin, 3 Bd. (SC 251, 260, 265), Paris 1978–1980. Gregorii Magni Moralia in Iob, Libri XXXV, ed. J.-P. Migne, PL 75, col. 509–1162; PL 76, col. 9– 782. Gregorii Magni Moralia in Iob, Libri XXXV, ed. M. Adriaen, CCSL 143, Turnhout 1979; CCSL 143A, Turnhout 1979, CCSL 143B, Turnhout 1985. Sulpicii Severi Opera, ed. C. Halm, CSEL 1, Wien 1966. Sulpicii Severi Dialogi, ed. J. Fontaine, SChr 133–135, Paris 1967–1969. Gregor der Große, Der hl. Benedikt. Buch II der Dialoge (lateinisch/deutsch), hg. v. Bernhard M. Lambert u. a., St. Ottilien, 1995.

Übersetzungen Bihlmeyer (1914): Pius Bihlmeyer [und Gerhard Rauschen] (Hgg.), Des Sulpicius Severus Schriften über den hl. Martin [u. a.], München (BKV 1,20). Funk (1933): Joseph Funk (Hg.), Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen vier Bücher Dialoge, München (BKV 2,3).

Forschungsliteratur Auerbach (1958): Erich Auerbach, Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter, Bern. Bardy/Hermann (1957): Gustave Bardy und Alfred Hermann, s.v. „Dialog“, in: RLAC 3, 928–955. Berschin (1986): Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter, Bd. 1: Von der Passio Perpetuae zu den Dialogi Gregors des Großen, Stuttgart (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 8). Brazzel (1939): Kathleen Brazzel, The Clausulae in the Works of St. Gregory the Great, Washington. Clark (1987): Francis Clark, The Pseudo-Gregorian Dialoges, 2 vols., Leiden. Clark (2003): Francis Clark, The ‚Gregorian‘ dialogues and the origins of Benedictine monasticism, Leiden/Boston. Dolganov (2008): Anna Dolganov, „Constructing Author and Authority. Generic Discourse in Cicero’s De legibus“, in: G&R 55, 23–38. Eich (2016): Peter Eich, Gregor der Große. Bischof von Rom zwischen Antike und Mittelalter, Paderborn. Evans (1986): Gillian Rosemary Evans, The Thought of Gregory the Great, Cambridge. Jauss (²1997): Hans Robert Jauss, „Studien zur Hermeneutik von Frage und Antwort“, in: ders. (Hg.), Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt a. M., 361–653. Lake (2013): Stephen Lake, „Hagiography and the cult of saints“, in: Neil Bronwen (Hg.), A Companion to Gregory the Great, Leiden/Boston (Brill’s companions to the Christian tradition 47), 225–246.

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Müller (2021): Gernot Michael Müller, „Gemeinschaftsbildung im Geiste Martins von Tours. Sulpicius Severus’ Gallus und die Frage, ob Christen in der Lage waren, Dialoge zu verfassen“, in: ders. (Hg.), Figurengestaltung und Gesprächsinteraktion im antiken Dialog, Stuttgart, 261–300. Petersen (1984): Joan M. Petersen, The Dialogues of Gregory the Great in their late antique cultural background, Toronto. Puzicha (1980): Michaela Puzicha, „Vita iusti (dial. 2,2). Grundstrukturen altkirchlicher Hagiographie bei Gregor dem Großen“, in: Ernst Dassmann und K. Suso Frank (Hgg.), Pietas. FS Bernhard Kötting, Münster (JbAC Ergänzungsband 8), 284–312. Riché (1996): Pierre Riché, Gregor der Große. Leben und Werk, München. Schmidt (1976): Peter L. Schmidt, „Zur Typologie und Literarisierung des frühchristlichen lateinischen Dialogs“, in: Manfred Fuhrmann (Hg.), Christianisme et formes littéraires de l’Antiquité tardive en Occident, Genf (Entretiens sur l’Antiquité classique 23), 101–180. Schürer (2005): Markus Schürer, Das Exemplum oder die erzählte Institution. Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster (Vita regularis, Abhandlungen 23). von Moos (1996): Peter von Moos, Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im ‚Polycraticus‘ Johanns von Salisbury, Hildesheim u.a. (Ordo 2), 2. Aufl. von Moos (1997): Peter von Moos, „Gespräch, Dialogform und Dialog nach älterer Theorie“, in: Barbara Frank, Thomas Heye und Doris Tophinke (Hgg.), Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit, Tübingen (ScriptOralia 99), 235–259. Voss (1970): Bernd R. Voss, Der Dialog in der frühchristlichen Literatur, München (Studia et Testimonia antiqua 9).

IV. EXPERIMENTELLE VERKNÜPFUNGEN VON DIALOG UND ERZÄHLUNG

EPISTLE, NARRATIVE, DIALOGUE Generic interplays in Pseudo-Hippocratic Letter 17 Katarzyna Jażdżewska Pseudo-Hippocratic Letter 17 belongs to a series of pseudepigraphic epistles describing Hippocrates’ encounter with the philosopher Democritus. In Letter 10, the Abderites are worried about the sanity of Democritus, one of their prominent citizens (among his behaviors that disturbed them was his incessant laughter) and requested that the famous physician come and heal him. Letters 11–17 tell of subsequent events, culminating in Letter 17, in which Hippocrates describes his meeting and conversation with Democritus. Letters 18–23 contain correspondence between Hippocrates and Democritus and the latter’s treatise on madness. Letters 10–23 constitute a subset of the pseudo-Hippocratic letters and have been referred to by scholars as Briefroman, “a novel in letters”, as they tell a more or less coherent story, with various episodes distributed among the epistles, reaching their culmination in Letter 17.1 The dating is debatable; they may have originated in the 1st century BCE or slightly later.2 As frequently is the case with anonymous pseudepigrapha, the letters have remained understudied and are infrequently discussed even in publications discussing epistolary fictive narratives.3 * 1

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The research for this article was financed by a grant from the Polish National Science Centre (NCN): 2015/17/D/HS2/01438. For ancient pseudepigraphic epistolography see Rosenmeyer (2001) 196–233; for the concept and characteristics of Briefroman see Holzberg (1994), with Hippocratic epistles discussed at 22–28. Holzberg (1996) 646–647 notes of the Hippocratic letters that “[o]ne particularly novel-like feature […] is the gradual approach to a climax”. It remains debatable, however, whether all the letters telling the story of Hippocrates and Democritus were written by the same author; it is possible that the collection grew over time by accretion, with some letters appended to original core. For the dating of the Hippocratic letters see Sakalis (1989) 86–89 (who proposes 40–30 BCE) and Smith (1990) 26–29, who points out several indications suggesting the 1st century BCE. The Hippocratic letters first emerge in a papyrus dated to the early 1st century CE (P.Oxy. 1184); Brodersen (1994), however, warns against considering the papyrus date as the terminus ante quem for all Hippocratic letters (it contains only letters 3–5 and 6a; numeration after Smith [1990]). The figure of the laughing Democritus, which we encounter in the letters, was possibly known to Cicero (de orat. 2,235) and certainly to Horace at the time he wrote the second book of the Epistles (2,1,194) (Rütten [1992] 11–12), though it does not follow that these writers were familiar with the letters and their version of the story. It does not appear, for instance, in discussion of epistolographic narratives in Morrison (2014) or in Hodkinson et al. (2013), apart from a few brief mentions in the introduction.

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Yet for a scholar of ancient literature, in particular its forms and genres, these letters provide an interesting case both collectively, as a Briefroman, and as separate compositions. Their literary complexity and novelty were observed by their French translator, Yves Hersant, who characterized them as “le mélange ludique des genres et le refus de l’univoque”, and listed among their generic constituents historiography, epic, comedy, tragedy, and dialogue.4 Letter 17 stands out in the collection as being by far the longest and most intricate of the epistles. It is purported to have been written by Hippocrates and addressed to Damagetus, on whose ship the doctor used to travel to Abdera. Composed in the late Hellenistic or early imperial period, it exemplifies literary techniques and devices known from other works of contemporary prose, including generic experimentation and multistylistic aesthetics. It has a circular composition: it begins with an epistolographic address, followed by Hippocrates’ account of his visit to Abdera and meeting with its citizens. A report of a conversation between Hippocrates and Democritus is situated at the core of the letter and constitutes the largest part of the text, taking up about eight out of nine pages in Smith’s edition.5 It is followed by a short encounter between Hippocrates and the Abderites, and ends with an address to Damagetus. Structurally, an epistolographic frame embeds a fictional narrative telling a story about Hippocrates’ visit to Abdera and his meeting with Democritus, which in turn encloses a dialogue between Hippocrates and Democritus. These three components draw from three recognizable generic repertoires: epistolography, fictional narrative, and dialogue. The author’s employment of letter-conventions is manifest in an epistolographic prescript and postscript. The combination of narrative and dialogue in the letter, which is of particular interest for this contribution, has been observed by scholars in passing: Niklas Holzberg drew attention to the mixture of vivid and graphic narration (“anschauliches Erzählen”) with lively dialogue (“lebendiger Dialog”) in the letter, and Yves Hersant wrote of its combination of the diegetic and mimetic (“un mélange de diégétique et de mimétique”).6 However, the coexistence of the three generic components in the letter has not been studied in detail, and it is the aim of this paper to examine their interrelations and mutual tensions, as well as their individual contributions to the letter. Letter 17 opens with an epistolary prescript and a direct address to Damagetus:7 Ἱπποκράτης Δαμαγήτῳ χαίρειν. Τοῦτ’ ἐκεῖνο, Δαμάγητε, ὅπερ εἰκάζομεν, οὐ παρέκοπτεν Δημόκριτος, ἀλλὰ πάντα ὑπερεφρόνει, καὶ ἡμέας ἐσωφρόνιζε καὶ δι’ ἡμέων πάντας ἀνθρώπους. ἐξέπεμψα δέ σοι, φιλότης, ὡς ἀληθέως τὴν Ἀσκληπιάδα νῆα, ἣν πρόες μετὰ τοῦ Ἁλίου ἐπίσημον καὶ Ὑγιείην, ἐπεὶ κατὰ δαίμονα τῷ ἔοντι ἱστιοδρόμηκε καὶ ἐκείνῃ τῇ ἡμέρῃ κατέπλευσεν ἐς Ἄβδηρα, ᾗπερ αὐτοῖσιν ἐπεστάλκειν ἀφίξεσθαι. 4 5 6 7

Hersant (1989) 10–14. Smith (1990). Holzberg (1994) 25–26; Hersant (1989) 14. Ep. 17,1 [72,25–31 Smith] (throughout the paper, the Greek text and the English translation follow Smith [1990]).

Epistle, narrative, dialogue. Generic interplays in Pseudo-Hippocratic Letter 17

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Hippocrates to Damagetus. Greetings. Just as we conjured, Damagetus, Democritus was not demented, but was very wise in all things, and he gave me instruction in virtue, and through me all men. I have sent you back the ship, my dear friend. How truly it was Asclepius’ ship! Put the device of Hygieia on her next to that of Helios, since she truly sailed with a god, and put in to Abdera on the very day I had told them I would arrive.

The opening provides spatial and temporal configurations for Hippocrates’ narration: it communicates to the reader that Hippocrates has returned home to Cos but is still fresh from his journey. The passage also ties the letter to the previous correspondence and to the larger plot that unfolds in the sequence of Letters 10–17. It follows up on Letter 14, addressed to the same Damagetus, in which Hippocrates requested that he lend him a ship. Within the context of the communication between Hippocrates and Damagetus, the statement “Just as we conjured, Damagetus, Democritus was not demented” refers back to Letter 14 and Hippocrates’ hope, expressed therein, that Democritus is not mad, but merely appears as such to his fellow citizens.8 For the extratextual reader, however, it ties in with Letter 16, immediately preceding Letter 17, addressed to Philopoemen, Hippocrates’ prospective host in Abdera. There, Hippocrates describes a dream which assures him that Democritus is not sick and will not need medical help. Apart from analeptic references to earlier events, the opening also proleptically anticipates the result of Hippocrates’ visit to Abdera and his meeting with Democritus. We learn not only that Hippocrates will decide that Democritus is not ill, but also that he will leave Abdera admonished and rebuked by the philosopher, in awe of him, and ready to spread the moral instruction he has received. The audience realizes that the encounter with Democritus will deeply affect and transform Hippocrates; as a result, their curiosity is redirected: it is no longer focused on whether Democritus is mad, but by what means he has managed to exert such a powerful influence over Hippocrates. Another epistolographic element is a direct address to Damagetus at one point in the letter. The moment is carefully chosen. After Democritus’ speech, Hippocrates says:9 Ἐπεμειδία λέγων ταῦτα καί μοι, Δαμάγητε, θεοειδής τις κατεφαίνετο καὶ τὴν προτέρην αὐτοῦ μορφὴν ἐξελελήσμην […]. He smiled as he said these things, and to me, Damagetus, he seemed like a divine figure, and I forgot his earlier form […].

The direct address to Damagetus accompanies Hippocrates’ divulging of information about a profound change that occurred in his perception of Democritus and underscores the personal and intimate character of this disclosure. The letter ends with a short postscript that closes the epistolary frame:10   8 Ep. 14,1 [66,10–11 Smith]. 9 Ep. 17,10 [90,25–26 Smith]. 10 Ep. 17,10 [92,11–12 Smith].

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Katarzyna Jażdżewska ταῦτ’ ἔχω σοι περὶ Δημοκρίτεω, Δαμάγητε, φράζειν γηθόσυνα πάνυ. ἔρρωσο. That is what I have to tell you about Democritus, Damagetus. Happy news indeed! Be well!

The ending emphasizes that it is Democritus – rather than, for instance, the Abderites and their troubles – that is the main preoccupation of Hippocrates: the doctor wants Damagetus to learn about the philosopher and his wisdom. The function of the epistolographic frame has been sometimes played down as inconsequential,11 yet the author uses it skillfully to add depth to the figure of Hippocrates. The narrative ‘I’ is shaped by the earnest and emotional tone of the addresses to Damagetus, as well as by Hippocrates’ eagerness and need to share the transformative experience of meeting with and talking to Democritus. Like in Plato’s narrated dialogues, a dialogue (in this case, the conversation between Hippocrates and Democritus) is communicated within another interpersonal communicative act, which emphasizes its weight and relevance. After the opening sentences, Hippocrates turns to narrate his visit to Abdera, and it is through his perspectival filter that we see the events unfold. The narrative is retrospective, but the temporal distance between the events described and the act of writing is short, which validates the ardent and enthusiastic tone of the letter. The narrative mode dominates the first part of the account.12 In this section, which takes up about one page in Smith’s edition, Hippocrates narrates how he arrived in Abdera, met the citizens and talked to them, was shown the house of Democritus, and finally walked to the dwelling of the philosopher. The author is a careful and skilled storyteller, elaborating on details of his narrative. The transition between the epistolographic beginning and the narration is smooth. In the opening of the letter quoted above, Hippocrates praises Damagetus’ ship that allowed him to arrive (ἀφίξεσθαι) in Abdera without delay, on the very day he was expected there. The notion of arrival provides a point of transition to the narrative proper. Hippocrates continues:13 πάντας οὖν ἁλέας πρὸ τῶν πυλέων εὕρομεν ὡς εἰκὸς ἡμέας περιμένοντας, οὐκ ἄνδρας μούνους, ἀλλὰ καὶ γυναῖκας, ἔτι δὲ καὶ πρεσβύτας καὶ παιδία, νὴ θεοὺς, κατηφέας, καὶ τὰ νήπιαꞏ καὶ οὗτοι μέντοι ὡς ἐπὶ μαινομένῳ τῷ Δημοκρίτῳ, ὁ δὲ μετ’ ἀκριβείης τότε ὑπερεφιλοσόφει. We found them all gathered before the gates, apparently waiting for us, not men only but women, too, and old men and children, dreadfully disheartened, even the infants; they came for the sake of a maddened Democritus, while he was even at that moment doing precise higher philosophy.

11 Cf. e.g. Rosenmeyer (2001) 218: “nominally a letter of thanks to Damagetes, but really a narrative of his encounter with the laughing philosopher” (italics mine). 12 Ep. 17,1–3 [72,31–76,8 Smith]. 13 Ep. 17,1 [72,31–74,2 Smith].

Epistle, narrative, dialogue. Generic interplays in Pseudo-Hippocratic Letter 17

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The community of the Abderites, introduced in this passage, is a collective character in the narration, somewhat reminiscent of the Greek chorus.14 Hippocrates emphasizes their agitation and perturbation, the intensity of which is underscored by the fact that the whole population, including women, the elderly, children, and even infants (!) is affected. The Abderites are characterized as excessively emotional, even to the point of irrational and erratic behavior: Hippocrates later says that they were almost crying and that one of the citizens illustrated Democritus’ madness by wailing “like a woman lamenting a child’s death”, while another “groaned imitating a wayfarer who had lost his belongings”; elsewhere, when they see Democritus laughing at Hippocrates, they strike their heads and pull their hair.15 This portrayal, not bereft of satirical exaggeration, builds up and complements the image of the Abderites conveyed in previous letters, in particular in Letter 10, dramatic and desperate in tone, in which they ask Hippocrates to come. Letter 10 also divulges to the reader the primary reasons for Abderites’ worry about Democritus’ behavior: first, they fear that the city will lose “the everlasting fame” (αἰεὶ κλέος) they hoped it would gain from his presence, and second, they find his laughter at everything, “things small and big” (μικρὰ καὶ μεγάλα), distressing:16 γαμεῖ τις, ὁ δὲ ἐμπορεύεται, ὁ δὲ δημηγορεῖ, ἄλλος ἄρχει, πρεσβεύει, χειροτονεῖται, νοσεῖ, τέτρωται, τέθνηκενꞏ ὁ δὲ πάντα γελᾷ, τοὺς μὲν κατηφεῖς τε καὶ σκυθρωπούς, τοὺς δὲ χαίροντας ὁρῶν. Someone marries, a man engages in trade, a man goes into politics, another takes an office, goes on an embassy, votes, falls ill, is wounded, dies. He laughs at every one of them, whether he sees them downcast and ill-tempered, or happy.

The passage indicates that Democritus’ laughter upsets the Abderites because it destabilizes their traditional values and communal practices and beliefs. The Abderites, Hippocrates, and Democritus constitute a triangle of characters that shapes the dynamics of the story. The breakdown in understanding between the Abderites and Democritus puts Hippocrates in the role of a go-between, and his shifting of allegiance – he comes in order to help the Abderites but leaves as a follower of Democritus – is the nerve of the story. The author underscores the relationships between the trio of characters by means of a carefully designed topography. The narrative starts with Hippocrates arriving by ship in Abdera. The journey-motif is an integral element of ancient narrative fictions, familiar to readers of Greek novels. Hippocrates proceeds to the city, and at the gates meets the Abderites, who lead him through the agora to show him the house of Democritus. The Abderites occupy the generic space of the

14 Hersant (1989) 12: “être collectif et singulier, jouant un peu en cette affaire le rôle du chœur des tragédies.” 15 Ep. 17,2 [74,29–32 Smith]; Ep. 17.4 [78,18–19 Smith]. The proverbial stupidity of the Abderites is probably in the background of their representation in the letter. 16 Ep. 10,1 [56,6–9 Smith].

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Greek city. Democritus, however, does not reside within this urban landscape, as we learn when the Abderites show his house to the physician:17 ἔπειτα κατόπιν τοῦ πύργου βουνὸς ἦν τις ὑψηλός, μακρῇσι καὶ λασίῃσιν αἰγείροισιν ἐπίσκιος, ἔνθεν τε ἐθεωρεῖτο τὰ τοῦ Δημοκρίτου καταγώγια. καὶ αὐτὸς ὁ Δημόκριτος καθῆστο ὑπό τινι ἀμφιλαφεῖ καὶ χθαμαλῇ πλατανίστῳ, ἐν ἐξωμίδι παχείῃ, μοῦνος, ἀνείληφος, ἐπὶ λιθίνῳ θώκῳ, ὠχριακὼς πάνυ καὶ λιπόσαρκος, κουριῶν τὰ γένεια. παρ’ αὐτὸν δ’ ἐπὶ δεξιῆς λεπτόρρυτον ὕδωρ κατὰ πρηνοῦς τοῦ λόφου ἠρεμαίως ἐκελάρυζεν. ἦν δέ τι τέμενος ὑπὲρ ἐκεῖνον τὸν λόφον, ὡς ἐν ὑπονοίῃ κατεικάζοντι, νυμφέων ἱδρυμένον, αὐτοφυτοῖσιν ἐπηρεφὲς ἀμπέλοισιν. ὁ δ’ εἶχεν ἐν εὐκοσμίῃ πολλῇ ἐπὶ τοῖν γονάτοιν βιβλίον, καὶ ἕτερα δέ τινα ἐξ ἀμφοῖν τοῖν μεροῖν αὐτῷ παρεβέβλητοꞏ σεσώρευντο δὲ καὶ ζῷα συχνὰ ἀνατετμημένα δι’ ὅλων. After that, behind the tower, there was a high hill shaded by great shaggy poplars, and from that spot one looked down on the residence of Democritus. And Democritus himself was sitting under a spreading low plane tree, in a coarse shirt, alone, not anointed with oil, on a stone seat, pale and emaciated, with untrimmed beard. Next to him on the right a small stream bubbled down the hill’s slope softly. There was a sanctuary on top of that hill, which I conjectured was dedicated to the nymphs, roofed over with wild grapes. He had a papyrus roll on his knees in a very neat manner, and some other book-rolls were laid out on both sides. And stacked around were a large number of animals, generally cut up.

The hill and Democritus’ dwelling situated below serve as the backdrop for the unfolding events. The description of the landscape activates a number of cultural associations and intertexts. First, the placement of the characters is reminiscent of the layout of the Greek theatre, with the Abderites watching Democritus (note the verb ἐθεωρεῖτο) from the hill, and the philosopher occupying the stage. That such an association is justified is corroborated by the reference to the large poplars shading the hill: as Krystyna Bartol has noted, their mention constitutes an allusion to a proverbial saying “a view/seat by the poplar”, that is, a view from the back seats of the Athenian theatre, where a poplar once grew.18 Democritus on his part is sitting under a “spreading low plane tree”, a small spring is on his right, and a shrine dedicated to Nymphs is in the vicinity. Later, as Hippocrates approaches him, the philosopher invites him to sit down on the tree’s soft green leaves.19 This suburban landscape is clearly intended to remind the reader of Plato’s Phaedrus, where Socrates converses with his friend while sitting on grass (230c: τὸ τῆς πόας), under a “spreading and tall plane tree” (230b: πλάτανος αὕτη μάλ’ ἀμφιλαφής τε καὶ ὑψηλή), next to a spring of cold water (πηγὴ χαριεστάτη […] μάλα ψυχροῦ ὕδατος) and a temple of the Nymphs

17 Ep. 17,2 [74,12–23 Smith]. 18 Bartol (2007a); Bartol (2007b) 41–42. The phrase is attested in several Greek lexica, see e.g. three entries in Hesychius, s.v. αἰγείρου θέα, θέα παρ’ αἰγείρῳ, and παρ’ αἰγείρου θέα; Photius, Lex. s.v. αἰγείρου θέα καὶ ἡ παρ’ αἴγειρον θέα and θέαν παρ’ αἴγειρον; Suda s.v. ἀπ’ αἰγείρου θέα καὶ ἐπ’ αἴγειρον and αἴγειρος. According to the lexicographers, the “seat by the poplar” was cheap because it was far away from the stage. The phrase ἔνθεν τε ἐθεωρεῖτο in Letter 17 echoes explanations of lexicographers (cf. e.g. Hesychius, s.v. θέα παρ’ αἰγείρῳ: τόπος αἴγειρον ἔχων, ὅθεν ἐθεώρουν. εὐτελὴς δὲ ἐδόκει ἡ ἐντεῦθεν θεωρία). 19 Ep. 17,5 [76,16–17 Smith].

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(Νυμφῶν τέ τινων […] ἱερόν).20 In this redeployment of the Platonic motif, the locus amoenus is unsettled by a description of Democritus’ appearance (he is pale, emaciated, and sloppily dressed) as well as by disturbing heaps of cut-up animal carcasses surrounding him. The spatial arrangement underscores the divide between the community of the Abderites, gathered on the hill and watching Democritus from afar, and the philosopher, living at distance from them, outside the city. The separation between the two places is emphasized later, when Hippocrates narrates how he made his way to Democritus. As he descended (κατέβαινον), he found out that “the place sloped sharply to a point, so that I hardly kept my footing as I proceeded” (ἦν δὲ ὀξὺ καὶ ἐπίφορον ἐκεῖνο τὸ χωρίονꞏ μόγις οὖν διαστηριζόμενος διῆλθον).21 Again, several culturally rooted associations arise. Hesiod’s rough path to virtue and Prodicus’ Choice of Heracles in Xenophon’s Memorabilia have established an associative link between going up a rugged slope and moral progress. In the letter, this motif is transformed – Hippocrates goes down the hill – yet remains recognizable and functional. In the context of the earlier allusion to the Phaedrus and its scenery, the verb καταβαίνω is reminiscent of Socrates’ words at 278b (καταβάντε ἐς τὸ Νυμφῶν νᾶμά τε καὶ μουσεῖον ἠκούσαμεν λόγων); at the same time, the movement down the hill raises associations with katabasis, a descent that brings knowledge and understanding. The physical movement in the letter bears metaphorical significance, and the journey in space becomes a journey of thought.22 The author of the letter skillfully and imaginatively exploits the potentialities of a fictional narrative as he construes the characters and the narrative space. His adherence to diegetic literary strategies – such as attentiveness to the spatiotemporal setting and the presence of descriptive passages channeled through the figure of the narrator – exceeds the narrative code typical for reported dialogues of Plato and Xenophon, which resolutely suppress many circumstantial details, including the spatial and temporal dimensions. This narrative mode yields to a dialogic one after Hippocrates arrives at Democritus’ house and starts a conversation with him. Before examining this part of the letter, it is worthwhile to reflect on features that justify considering it a dialogue rather than simply a report of a verbal ex20 For other parallels, cf. Ep. 17,2 [74,19–20 Smith]: ἦν δέ τι τέμενος […] ὡς ἐν ὑπονοίῃ κατεικάζοντι, νυμφέων ἱδρυμένον and Plato, Phaedr. 230b: Νυμφῶν τέ τινων καὶ Ἀχελῴου ἱερὸν ἀπὸ τῶν κορῶν τε καὶ ἀγαλμάτων ἔοικεν εἶναι (in both cases, characters make assumptions about the shrine being dedicated to Nymhs from its appearance); Ep. 17,2 [74,14 Smith]: καταγώγια and Plato, Phaedr. 230b: ἡ καταγωγή, 259a: τὸ καταγώγιον. Interestingly, Ferrari (1987) 16–18 argues that in the Phaedrus, Socrates inspects the landscape like a physician. For the popularity of the Phaedrus in early imperial literature see Trapp (1990), with Hippocrates’ letter mentioned at 146; for descriptions of “good places to talk” in ancient narratives, see Martin (2002). 21 Ep. 17,3 [76,5–6 Smith]. 22 Hersant (1989) 14.

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change subordinate and ancillary to the narrative. In Greek prose – historiography, novel, biography, or epistolography – verbal exchanges in direct speech constitute a regular feature and do not have to signal a generic engagement with dialogue; and the Letter’s redeployment of Plato’s Phaedrus and its scenery, discussed above, does not necessarily anticipate a generic interaction, as by the time the letter was written, the Platonic locus amoenus had become a topos and was reused in a variety of genres.23 In order to discern the difference between direct-speech insertions within a narrative and a dialogue-section which brings in a distinct set of generic conventions, let us first inspect direct speech occurring in the narrative section of Letter 17. When Hippocrates relates his encounter with the Abderites after his arrival to Abdera, he mentions that Philopoemen was about to lead him to his quarters. Hippocrates, however, declined:24 ἐγὼ δὲ, Ὦ ἄνδρες, ἔφην, Ἀβδηρῖται, οὐδὲν ἐστί μοι προὔργου ἢ Δημόκριτον θεήσασθαι. οἱ δ’ ἐπῄνουν ἀκούσαντες καὶ ἥσθησαν, ἦγόν τε με ξυντόμως διὰ τῆς ἀγορῆς, οἱ μὲν ἑπόμενοι, οἱ δὲ προθέοντες ἑτέρωθεν ἕτεροι, Σῷζε λέγοντες, βοήθει, θεράπευσον. κἀγὼ παρῄνεον θαρρεῖν, ὡς τάχα μὲν οὐδενὸς ἐόντος κακοῦ, πίσυνος ἐτησίῃσιν ὥρῃσιν, εἰ δ’ ἄρα καί τινος βραχέος, εὐδιορθώτου. But I said: “Men of Abdera, for me nothing is more important than to see Democritus”. When they heard it, they praised me and were cheered up. And they led me immediately off through the agora, some behind, some preceding on both sides, saying: “Save him, help him, heal him.” I advised them to be of good cheer, since perhaps there was nothing wrong, and trusting the season of the Etesian winds, if there was something, it was perhaps brief, easily mended.

The author livens the narration with direct speech without disrupting the narrative mode. The reader comprehends that he is not being provided with an exact rendition of the conversation, which must have contained more than the quoted utterances, including, for instance, the praise of Hippocrates uttered by the Abderites and Hippocrates’ words with which he comforted them and ensured that all would end well. The author makes the decision not to quote the whole exchange, but only two snippets – one consisting of words spoken by Hippocrates, and one of words spoken by the Abderites – which are illustrative of the overall tone of the encounter: Hippocrates remains composed and committed to his mission, while the Abderites are in anguish and despair and consider the physician their savior. The encounter is described in broad strokes, or, in narratological terminology, in a rapid rhythm: with much of the encounter glossed over, the reader is offered an abridgement or summary of the conversation rather than an exact account. There is a gain in the economy and pace of the story, though somewhat to the detriment of immediacy.

23 For reusing the scenery of the Phaedrus in early imperial literature, see Trapp (1990) 141– 148, 171. 24 Ep. 17,1 [74,4–10 Smith].

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The same is true of Hippocrates’ encounter with the Abderites reported at the end of the letter. Hippocrates says that after his conversation with Democritus he went back to the citizens who have been awaiting him:25 κἀγὼ ξυντονώτερον ἤπειξα καὶ πρὸς τοὺς ἐόντως Ἀβδηρίτας ἐπὶ τῇ σκοπιῇ ἀναμένοντάς μεꞏ Ἄνδρες, ἔφην, τῆς πρὸς ἐμὲ πρεσβείης χάρις ὑμῖν πολλή. Δημόκριτον γὰρ εἶδον, ἄνδρα σοφώτατον, σωφρονίζειν ἀνθρώπους μοῦνον δυνατώτατον. I went off quickly to the genuine Abderites who were waiting for me at their lookout. I said: “Men, many thanks for your embassy to me. For I have seen Democritus, wisest of men, alone most capable of teaching mankind virtue.”

The final encounter between Hippocrates and the Abderites is radically condensed. Read literally, the passage would suggest that the conversation was limited to the abrupt, curt utterance of Hippocrates. We know, however, that this is not the case. Earlier in the text, Hippocrates mentions that the Abderites told him after his meeting with Democritus that the philosopher’s fit of laughter during his conversation with the physician – which they were observing from the hill – was particularly violent.26 Clearly, then, they had an opportunity to talk to the physician at some length. The author, however, decides not to report the conversation in detail and uses the technique of compression in order to emphasize the overwhelming impression Democritus made on Hippocrates. After the meeting, the initial aim of the physician – to help the citizens of Abdera – becomes unimportant and irrelevant. The direct-speech insertions examined thus far fit smoothly in the narrative mode. They are auxiliary to the narrative and play a characterizing function as they encapsulate the emotional and intellectual states of Hippocrates and the Abderites and characterize their relationship and roles in the interaction. Hippocrates’ report of his conversation with Democritus constitutes a different case. First, it stands out on account of its length: it takes up almost ninety percent of the text. The proportions of narration and direct speech get reversed. There is no summarizing or paraphrasing of the contents through reported speech, and, unlike in Hippocrates’ conversations with the Abderites, the reader is led to assume that the exchange is related verbatim in its entirety. As a result, the rhythm of Hippocrates’ account slows down; to make use of narratological terminology once more, the fabula-time and the story-time begin to (roughly) overlap.27 At the same time, the physical movement of the characters, which shapes the dynamics of the narrative section, is suspended. Once Hippocrates sits down on the leaves upon Democritus’ invitation (καθίσαντος δέ μου), he remains static until the end of the conversation: his rising to his feet (ἀνιστάμην) marks the closing of the interaction.28 The whole time the Abderites anxiously watch the two men from their hill. 25 Ep. 17,10 [92,9–11 Smith]. 26 Ep. 17,4 [78,20–21 Smith]. 27 For dialogues as narratives and the possibility of their narratological interpretation, see Morgan (2004) 357–359, Finkelberg (2018) 1–24. 28 Ep. 17,3 [76,18 Smith]; 17,10 [92,6 Smith].

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The overlapping of fabula-time with story-time is among the constitutive features of the dialogue, a literary form that turns the spotlight on the very act of verbal interaction and therefore tends to render the whole of it in direct speech, without gaps and summaries.29 Suspension of movement is also a familiar dialogic technique: for instance, in Plato’s Phaedrus, the stages of the conversation between Socrates and Phaedrus are correlated with and underscored by their physical movement and its cessation.30 Another literary device known to readers of ancient dialogues appears at the end of the conversation, when the physician promises to visit the philosopher again:31 θεραπείην δὲ λαβὼν παρὰ σεῦ τῆς ἐμῆς διανοίης, ἀπαλλάσσομαι τῆς ὥρης τοῦτο ἀπαιτούσης καὶ τῆς τοῦ σώματος τημελείης. αὔριον δὲ καὶ κατὰ τὸ ἑξῆς ἐν ταὐτῷ γενησόμεθα. And taking from you the therapy for my intellect I shall go away since the hour and the tendance of the body demand it. But tomorrow and the day after we shall be in the same place.

Such promises of future conversations belong to the repertoire of dialogic techniques – Plato’s dialogues recurrently end with adjournments of further inquiry till later and announcements of future conversations.32 This device emphasizes the unceasing nature of intellectual investigation and the need to delve ever broader and deeper; on the literary level, on the other hand, it adds to the illusion of the reality of the world presented, which appears to extend beyond the written text. There are also evident thematic links between the conversation in the letter and ancient philosophical dialogue. The figures of the interlocutors – a physician and a philosopher – fit comfortably within the assortment of dialogues’ characters, and the medical metaphors and images with which the conversation is interwoven have frequent parallels in philosophical dialogues. The main preoccupation of Hippocrates and Democritus’ conversation is ethical (the good and the bad), and its outcome is Hippocrates’ philosophical ‘conversion’.33

29 Though purposeful disruptions of this convention may occur, as in Plato’s Symposium 180c, where several symposiasts’ speeches on Eros are omitted because Aristodemus did not remember them. 30 Cf. Plato, Phaedr. 230e: δεῦρ’ ἀφικόμενος ἐγὼ μέν μοι δοκῶ κατακείσεσθαι and 279c: Ἴωμεν. Socrates’ attempt to leave at 242a (κἀγὼ τὸν ποταμὸν τοῦτον διαβὰς ἀπέρχομαι) marks the transition from his first logos to the second one. 31 Ep. 17,10 [92,4–6 Smith]. 32 For arrangements to meet again and continue discussion cf. e.g. Plato’s Theaetetus (210d: ἕωθεν δέ, ὦ Θεόδωρε, δεῦρο πάλιν ἀπαντῶμεν); Laches (201b‒c: αὔριον ἕωθεν ἀφίκου οἴκαδε […] ἵνα βουλευσώμεθα περὶ αὐτῶν τούτων, τὸ δὲ νῦν εἶναι τὴν συνουσίαν διαλύσωμεν. – Ἀλλὰ ποιήσω, ὦ Λυσίμαχε, ταῦτα, καὶ ἥξω παρὰ σὲ αὔριον, ἐὰν θεὸς ἐθέλῃ); and pseudo-platonic Axiochus (372a: ἐκ μεσημβρίας δὲ παρέσῃ μοι, ὦ Σώκρατες); Euthyphro, Cratylus, Protagoras, and pseudo-platonic Sisyphus end with vague references to unspecified future conversations. 33 Ep. 17,3 [76,10 Smith]: ἀνδρῶν σοφώτατος, 17,4 [78,31 Smith]: ἀγαθόν, κακόν, 17,5 [80,16 Smith]: ἀγαθὰ καὶ φαῦλα, 17,1 [72,27 Smith]: ἐσωφρόνιζε, 17,10 [92,10 Smith]: σωφρονίζειν.

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Structurally, the conversation consists of several parts. At the beginning, Hippocrates introduces himself to Democritus, asks some questions to test his sanity, and then inquires about the book the philosopher is writing (he learns that it is a treatise on madness). When Hippocrates pronounces Democritus blessed because he has time and leisure for intellectual enterprises, the philosopher asks what hinders him from enjoying such pursuits. When Hippocrates lists the usual human occupations – travel, children, debts, disease, death, servants, marriages – the polite and amiable exchange is broken by Democritus’ fit of laughter, and the conversation enters a second phase. Hippocrates insists that Democritus explain the reasons for his laughter:34 […] ποθέω γὰρ αἰτίην τοῦ περὶ σὲ πάθεος καταλαβέσθαι, τίνος ἄξιος ἐφάνην ἐγὼ γέλωτος ἢ τὰ λεχθέντα ὅκως μαθὼν παύσωμαι τῆς αἰτίης, ἢ σὺ ἐλεγχθεὶς διακρούσῃ τοὺς ἀκαίρους γέλωτας. ὁ δὲ, Ἡράκλεις, ἔφη, εἰ γὰρ δυνήσῃ με ἐλέγξαι, θεραπείην θεραπεύσεις οἵην οὐδένα πώποτε, ὦ Ἱππόκρατες. Καὶ πῶς οὐκ ἐλεγχθείσῃ, ἔφην, ὦ ἄριστε; ἢ οὐκ οἴει ἄτοπός γε εἶναι γελῶν ἀνθρώπου θάνατον ἢ νοῦσον ἢ παρακοπὴν ἢ μανίην ἢ μελαγχολίην ἢ σφαγὴν ἢ ἄλλο τι χέρειον ἢ τοὔμπαλιν γάμους ἢ πανηγύριας ἢ τεκνογονίην ἢ μυστήρια ἢ ἀρχὰς καὶ τιμὰς ἢ ἄλλο τι ὅλως ἀγαθόν; καὶ γὰρ ἃ δέον οἰκτείρειν γελῇς, καὶ ἐφ’ οἷσιν ἥδεσθαι χρή, καταγελᾷς τούτων, ὥστε μήτε ἀγαθὸν μήτε κακὸν παρά σοι διακεκρίσθαι. “[…] I want to find out the reason for your affection, why I or what I said seems to deserve laughter, so that, when I find out, I can cure my fault, or you, when you are proved mistaken, can repress your inappropriate laughter.” He said: “By Heracles, if you can prove me mistaken you will have effected a cure such as you have never achieved for anyone, Hippocrates.” “How shall you not be proved mistaken, oh best of men?” I said. “Don’t you think you are outlandish to laugh at a man’s death or illness, or delusion, or madness, or melancholy, murder, or something still worse, or again at marriages, feasts, births, initiations, offices and honors, or anything else wholly good? Things that demand grief you laugh at, and when things should bring you happiness you laugh at them. There is no distinction between good and bad with you.”

Hippocrates recasts the question of why Democritus laughed at him into a more general inquiry into his indiscriminate laughter and introduces the moral question of the good and the bad. A triple use of the verb ἐλέγχω (‚to question, to refute‘) in the passage raises associations with the philosophical dialogue and the practice of elenchus, even though, strictly speaking, Hippocrates will not assume the role of an elenctic interlocutor. Democritus’ explanation and justification of his laughter takes the form of two speeches, separated by Hippocrates’ intervention. Democritus explains that he laughs “at the humanity” (γελῶ τὸν ἄνθρωπον)35 and accuses the human race of folly, wretchedness, greed, perpetual dissatisfaction with their possessions, lack of self-control, and hatred towards one another. Hippocrates agrees that this is a fitting description, but at the same time defends people: active by nature, they start pursuing various activities and their souls get confused by love of reputation

34 Ep. 17,4 [78,22–80,1 Smith]. 35 Ep. 17,5 [80,16 Smith].

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(φιλοδοξίη)36; in addition, they lack foresight, are unable to anticipate failure, and therefore rely on hope. Democritus disparages Hippocrates for his sluggishness of mind and ignorance, and reviles people for failing to understand the changing nature of reality: they perceive it as stable and secure and base their actions on their misperceptions. He then continues to denigrate the human race as immoral, corrupted, and worse than animals in their follies and insatiability. There is a strong Cynic ring to this invective and Democritus’ ferocious disparagement of human and societal customs and values.37 The philosopher’s laughter is not an indication of joy and serenity, but results from his disillusionment with human existence and, as Stephen Halliwell notes, recognizes the existential absurdity of the human condition.38 The conversation ends with Hippocrates convinced and converted by Democritus: he recognizes Democritus’ laughter as a remedy that has the power of bringing people to reason (17,10 [92,10 Smith]: σωφρονίζειν). This means that Hippocrates’ perception of the Abderites has changed: after Democritus’ speech, they become the embodiment of the unphilosophical, irrational crowd – rather than people in distress with whom Hippocrates empathizes. The ending of the conversation and Hippocrates’ sudden transformation feels abrupt and unsatisfactory,39 though perhaps is not bereft of irony: Hippocrates expresses his admiration and enthusiastic praise of Democritus immediately after the philosopher reminds him how ungrateful and envious people are towards physicians. It is at that moment that Hippocrates, originally empathetic and concerned about people, sees plainly the wickedness of the human race. At the same time, his perception of Democritus changes: he notes that the philosopher40 […] ἐπεμειδία λέγων ταῦτα, καί μοι, Δαμάγητε, θεοειδής τις κατεφαίνετο, καὶ τὴν προτέρην αὐτέου μορφὴν ἐξελελήσμην […]. […] smiled as he said these things, and to me, Damagetus, he seemed like a divine figure, and I forgot his earlier form […].

Democritus’ laughter is transformed into a smile, implying the connection and understanding that has formed between the interlocutors. At the same time, Hippocrates’ change in his perception of Democritus – formerly focused on his uncouth looks and odd behaviors – is reminiscent of Alcibiades’ famous juxtaposi36 Ep. 17,6 [82,32 Smith]. 37 For the Cynic tone of the letter and hypothesis that it was the Cynics who revived or invented the figure of the laughing Democritus, see Stewart (1958); Temkin (1991) 62, 68–70; Smith (1990) 27–29. 38 Halliwell (2008) 363. 39 For this unsatisfactory ending, see Hankinson (2019) 71. For the motif of patients’ ingratitude towards their physicians, see also the beginning of Letter 20, where Hippocrates complains that people attribute their healing to the gods but blame doctors for any deterioration in their health. Another dialogue with an abrupt conversion is the pseudo-platonic Axiochus, where the eponymous character becomes fearful of death on his deathbed. Socrates comforts him by presenting various incompatible conceptions of the afterlife, and one of them proves so efficient that at the end Axiochus passionately wishes to die as soon as possible (Ax. 372a). 40 Ep. 17,10 [90,25–26].

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tion of Socrates’ ugly Silenic exterior with his divine and beautiful inside, which one gets to see when one listens to him.41 When examining the letter and its use of the narrative and dialogic modes, I compared it with a narrated dialogue on the one hand, and with a fictional narrative which contains conversations quoted in direct speech on the other. I suggested that the letter differs from both literary formats in the way it combines the narrative and the dialogic element. I would like to pursue now this idea further and discuss the peculiarity of the Letter in this respect. Unlike narrative introductory sections in reported dialogues, the narrative part of the letter elaborates on the setting without the suppression of details concerning the spatial and temporal dimensions familiar to readers of the ancient dialogue. It also initiates the plot, which lies at the heart of every narrative, runs through the text, and responds to the reader’s desire for a logical and comprehensible ordering of events. The plot is “the very organizing line, the thread of design” and “the principle of interconnectedness”.42 In the letter, the plot consists of a logical and orderly sequence of events taking place during Hippocrates’ visit: his arrival at Abdera, the meeting with the city’s inhabitants, his meeting with and ‘diagnosis’ of Democritus, the return to the Abderites with information that the philosopher is sane, and his sailing back home. This narrative plot, however, gets complicated by the dialogue between Hippocrates and Democritus – not merely because it estranges Hippocrates from the Abderites, as such a turn of events fits comfortably within the story line. Rather, there is a compositional complication because the dialogue introduces its own internal ‚dialogic plot‘ consisting of arguments and opinions communicated by Hippocrates and Democritus,43 which compete with the narrative plot for the audience’s attention: as the reader gets absorbed in the arguments and suggestive images conveyed by Democritus, he forgets the Abderites watching anxiously from the hill, and the ‚main‘ plot recedes into the background and loses its relevance. It may also happen, though, that the reader will skip over the dialogic part impatiently, frustrated by this retardation, spurred by a desire for plot development and closure. The competing nature of the narrative plot and the philosophical discussion perhaps provides the rationale for the default literary strategies of ancient dialogues that suppress circumstantial details and are careful not to create narrative suspense and anticipation, which would get in the way of leisurely reading the philosophical argument. When narrative components get reduced, the reader’s expectation and desire for a narrative plot remains dormant and allows for the mental space to read a text ‘for the argument’ rather than ‘for the plot’ – in 41 Plato, Symp. 215a, 216e–217a, 221d–e. 42 Brooks (1984) 4, 5. 43 Cf. Finkelberg (2018) 10, in reference to Plato’s dialogues: “The peculiarity of the philosophical dialogue as a literary genre is that the subject matter that it has to arrange into a ‚plot‘ consists of arguments rather than events: it is the arguments that form the dialogue’s substance – its ‘story’, as it were.”

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other words, to read it as a philosophical inquiry rather than as a story, with appropriate generic expectations guiding the reading process. Letter 17 is not unique in ancient dialogue literature in its combination of an attention-grabbing narrative plot with philosophical speeches and arguments. For instance, two of Plutarch’s dialogues, Amatorius and On the daimonion of Socrates, fuse the philosophical dialogue with elaborate plots which are not bereft of suspense and vie for the reader’s attention; Plutarch himself refers to these two dimensions as λόγοι and πράξεις (“words” and “deeds”).44 In Plutarch’s dialogues, however, the speeches and arguments do not obfuscate the plot, but rather draw inspiration from unfolding events and run in parallel. In Letter 17, the relationship between the narrative and the dialogic component is more tense and complicated, and perhaps resolutely so. The structure of the letter, in which the narrative is overtaken by the dialogic, and smooth storytelling by a Cynic-colored, subversive philosophy, correlates with Hippocrates’ transformation from a physician at the service of the people into an admirer of a philosopher disparaging them. BIBLIOGRAPHY Sources, Translations and Commentaries Bartol (2007b): Krystyna Bartol, Pseudo-Hippokrates. O śmiechu Demokryta, Gdańsk. Hersant (1989): Yves Hersant, Hippocrate. Sur le rire et la folie, Paris. Sakalis (1989): Demetrios Sakalis, Ιπποκρατους επιστολαι. Έκδοση κριτική και ερμηνευτική, Ioannina. Smith (1990): Wesley D. Smith, Hippocrates. Pseudepigraphic Writings. Letters. Embassy. Speech from the Altar. Decree, Leiden.

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Epistle, narrative, dialogue. Generic interplays in Pseudo-Hippocratic Letter 17

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RECITS COLLABORATIFS CHEZ LUCIEN : L’EXEMPLE DU NAVIRE Anne-Marie Favreau-Linder Le dialogue occupe une place éminente dans l’œuvre de Lucien puisqu’il est le genre qu’il a choisi pour ses expérimentations formelles et le fruit d’une poétique et d’une conception littéraire personnelles. Le dialogue lucianesque est une forme hybride résultant du mariage entre le dialogue philosophique et la comédie, auxquels ont aussi été mêlés l’iambe et la raillerie cynique.1 Le principe de la mixis permet une variété dans les déclinaisons du dialogue et une hybridité générique adaptée à la satire : chaque genre originel contribuant à la polymorphie mais aussi à la polysémie, entre enjeu philosophique, fantaisie comique et satire, constitutive de l’ambiguïté du spoudaiogeloion.2 Certains de ces dialogues incluent un ou des récits dont le volume par rapport au cadre dialogique varie selon qu’il s’agit d’un unique récit relaté par un unique narrateur, comme dans les dialogues ménippéens, ou de plusieurs récits, plus brefs, narrés par les interlocuteurs à tour de rôle, comme dans le Philopseudès, le Toxaris, ou le Navire.3 Dans le premier cas, le dialogue est réduit à une forme d’écrin dans lequel se déploie un récit quasi continu, dans d’autres le dialogue est un peu plus étoffé, tant sur le plan des interactions entre les personnages que dans sa scénographie (contexte, progression). Mais dans l’ensemble, les récits sont au cœur du dialogue, parce qu’ils sont au centre de la conversation et de l’intérêt des personnages. Étant donné l’importance du genre dialogique dans la poétique lucianesque, on peut être surpris par le rôle à première vue marginal du dialogue luimême par rapport au récit dont il ne serait qu’un faire-valoir. Sa fonction n’est en réalité ni négligeable ni neutre. Le dialogue permet une théâtralisation de la narration, puisque narrateur et narrataire sont représentés par des personnages. Le dialogue offre donc pour partie des instances de narration qui peuvent faire l’objet d’une caractérisation plus ou moins poussée. Il met aussi en scène la réception du récit et peut orienter celle du lecteur par les réactions des interlocuteursnarrataires. Le récit y est de ce fait nécessairement médiatisé et donc mis à distance, invitant le lecteur du dialogue à une lecture du récit réflexive et non pas 1 2 3

Bis Acc. 33‒34 ; Prom. es 5‒6. Voir par exemple Camerotto (1998) 75–137 ; Saïd (2015) ; Billault (2017) ; Ní Mheallaigh (2017) ; Briand (2017). Ces dialogues peuvent être directs (dialogues ménippéens, Toxaris, Navire) ou eux-mêmes enchâssés dans un cadre dialogique premier (Philopseudès). Dans ce dernier cas, le dialogue rapporté est lui aussi l’objet d’une narration.

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immersive, propice à développer des interrogations sur des enjeux littéraires ou éthiques, voire sur les deux à la fois. La nature du récit et son sujet nourrissent en retour la thématique du dialogue : le récit peut se présenter comme une forme à même d’illustrer une démonstration et un instrument au service de la satire. Je me propose d’examiner ces interactions entre dialogue et récit dans Le navire ou les souhaits, afin de déterminer dans quelle mesure elles permettent d’articuler précisément réflexion d’ordre métafictionnelle et satire des vanités humaines. 1. LA SINGULARITÉ DU RÉCIT DE VŒU Contrairement aux dialogues précédemment cités, le Navire n’a guère été étudié pour ses récits, sans doute parce qu’ils sont d’une nature particulière et ne rentrent pas dans les catégories traditionnelles du texte narratif entendu comme relation a posteriori d’une succession d’événements tissant une intrigue.4 Le dialogue met en scène quatre compagnons, Lycinos, Adeimantos, Samippos et Timolaos, lequel propose une forme de jeu pour occuper le temps sur le chemin qui les ramène du Pirée à Athènes : chacun est invité à imaginer la vie merveilleuse qui pourrait être la sienne si son vœu le plus cher se réalisait. Cet exposé pourrait se limiter à une sorte de catalogue des avantages que procure la réalisation du vœu, et de fait Timolaos, dont le souhait, pluriel, l’amène à demander six anneaux magiques, se livre à une énumération des pouvoirs que ceux-ci lui offrent ; en revanche, Adeimantos et surtout Samippos développent une narration de leur vie future. Le récit de l’existence nouvelle présente un certain nombre de caractéristiques. Tout d’abord, l’auteur du récit est tout à la fois le narrateur et le protagoniste des événements relatés. Cette identité fait de la narration une forme de récit autobiographique, mais dont la matière est singulière. Au lieu de relater une tranche de vie passée, en reconstituant ou reconstruisant celle-ci à partir de souvenirs, le récit construit une vie à venir et relève donc d’une projection et de l’assemblage d’une matière fictive, non seulement parce que la réalisation envisagée est tributaire du vœu, mais parce que cette vie n’est tout simplement pas encore vécue. Contrairement au récit de rêve, où la narration est ultérieure au rêve et use donc des temps du passé,5 le temps employé pour le récit du vœu est normalement le futur. Ainsi Adeimantos, devenu riche, imagine les nouveaux rapports sociaux que lui vaudra sa fortune :6 καὶ οἱ μὲν ἕωθεν πρὸς ταῖς θύραις ἄνω καὶ κάτω περιπατήσουσιν, ἐν αὐτοῖς δὲ καὶ Κλεαίνετος καὶ Δημόκριτος οἱ πάνυ, καὶ προσελθοῦσιν γε αὐτοῖς καὶ πρὸ τῶν ἄλλων εἰσδεχθῆναι ἀξιοῦσι θυρωροὶ ἑπτὰ ἐφεστῶτες, εὐμεγέθεις βάρβαροι, προσαραξάτωσαν ἐς τὸ μέτωπον εὐθὺ τὴν θύραν, οἷα νῦν αὐτοὶ ποιοῦσιν. 4 5 6

Voir la synthèse théorique de Adam (1996). Cf. le rêve de Micylle dans le Coq : Gall. 12. Nav. 22. La traduction est celle de Husson (1970), parfois légèrement modifiée.

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Dès l’aube devant la porte, ils feront les cent pas, et dans le nombre les fameux Cléainétos et Démocratès ; et quand ils s’approcheront et demanderont à être introduits avant les autres, qu’il y ait sept portiers postés là, des barbares imposants, pour leur fermer tout droit la porte au nez comme eux-mêmes le font aujourd’hui.

Dans cette scène de salutation matinale du patron, Adeimantos prend sa revanche sur les riches qui présentement l’humilient. L’adverbe νῦν renvoie en effet à la situation d’énonciation, au présent du narrateur, et la distingue de la situation qui sera celle d’Adeimantos quand il aura mis en œuvre sa nouvelle fortune.7 La manipulation des temps et de la vitesse narrative donne lieu à un jeu plus complexe dans le récit de Samippos. Les modalités de son vœu impliquent d’emblée un déroulement chronologique plus marqué que dans le cas d’Adeimantos, où la richesse est présentée comme un état obtenu instantanément, et se prête de ce fait autant à la description des biens qu’elle permet d’acquérir qu’à la narration d’un mode de vie. Samippos, en effet, souhaite non pas hériter de la royauté, mais la gagner par ses propres exploits et se projette en conquérant, à l’exemple d’Alexandre le Grand. L’extrait suivant montre comment le récit prospectif tend à se fondre dans un récit concomitant à la campagne militaire par le biais de l’alternance des temps :8 {ΣΑΜΙΠΠΟΣ}. κἀπειδὰν τἀν τῇ Ἑλλάδι πάντα ἤδη χειρωσώμεθα – οὐδεὶς γὰρ ὁ ἐναντιωθησόμενος ἡμῖν τὰ ὅπλα τοσούτοις οὖσιν, ἀλλ' ἀκονιτὶ κρατοῦμεν – ἐπιβάντες ἐπὶ τὰς τριήρεις καὶ τοὺς ἵππους εἰς τὰς ἱππαγωγοὺς ἐμβιβάσαντες – παρεσκεύασται δ' ἐν Κεγχρεαῖς καὶ σῖτος ἱκανὸς καὶ τὰ πλοῖα διαρκῆ καὶ τὰ ἄλλα πάντα – διαβάλωμεν τὸν Αἰγαῖον ἐς τὴν Ἰωνίαν, εἶτα […] προχωρῶμεν ἐπὶ Συρίας διὰ Καρίας εἶτα Λυκίας καὶ Παμφυλίας καὶ Πισιδῶν καὶ τῆς παραλίου καὶ ὀρεινῆς Κιλικίας, ἄχρι ἂν ἐπὶ τὸν Εὐφράτην ἀφικώμεθα. Et dès que nous aurons soumis toute la Grèce – oui, personne ne lèvera les armes contre nous : nous sommes très nombreux et nous l’emportons sans coup férir – une fois montés sur nos trières et les chevaux embarqués sur les navires de transport – tout est prêt à Cenchrées, assez de blé, transports en nombre suffisant et toute la suite… – traversons la mer Egée et gagnons l’Ionie ! Puis […] marchons vers la Syrie à travers la Carie, puis la Lycie, la Pamphylie, la Pisidie et la Cilicie, la maritime et la montagneuse, jusqu’au moment où nous serons parvenus à l’Euphrate.

On pourrait percevoir ce développement comme l’exposition d’un plan de campagne : le subjonctif éventuel χειρωσώμεθα permettrait de distinguer une première étape, les subjonctifs διαβάλωμεν et προχωρῶμεν seraient une invitation à entreprendre la suivante, tandis que le présent κρατοῦμεν marquerait une vérité générale. Mais il faut plutôt comprendre ce développement comme le récit sans cesse « mis à jour » de cette campagne et effectué en quasi-simultané : κρατοῦμεν est

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Cf. Nav. 24. Les deux situations peuvent toutefois tendre à se superposer, comme le suggère l’emploi de l’adverbe νυνὶ avec l’imparfait narratif, dans la relation que fait Adeimantos de sa rêverie éveillée, brutalement interrompue par l’arrivée de Lycinos : νυνὶ δὲ ἤδη καὶ ἔπλεον ὑφ’ ἁπάντων εὐδαιμονιζόμενος τῶν ἐπιβατῶν […] : « et maintenant, déjà, je naviguais, passant pour un bienheureux auprès de tous les passagers » (Nav. 13). Nav. 32.

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un présent de narration mais qui, à l’instar des subjonctifs d’exhortation, revêt une valeur performative. La suite le confirme :9 ἀλλ’ ἐπεὶ κατὰ τὸν Εὐφράτην ἤδη ἐσμὲν καὶ ὁ ποταμὸς ἔζευκται καὶ κατόπιν ὁπόσα διεληλύθαμεν ἀσφαλῶς ἔχει […]. Or, puisque nous sommes déjà sur les bords de l’Euphrate, qu’un pont est jeté sur le fleuve, que derrière nous toutes les régions que nous avons traversées sont sûres […].

Le présent ἐσμὲν appuyé par l’adverbe ἤδη vient actualiser ce qui était précédemment présenté comme un objectif : atteindre l’Euphrate, tandis que la conquête des régions d’Asie Mineure est rejetée dans le passé, dans l’accompli du parfait. Le présent de la situation narrée se superpose au présent de l’énonciation, car Samippos ne se contente pas de relater sa conquête, il la joue.10 Ce récit simultané de sa geste héroïque n’empêche toutefois pas Samippos de recourir à l’ellipse ou au sommaire pour s’attarder sur des scènes qu’il interprète. Ainsi, le constat de leur présence sur les rives de l’Euphrate est une ellipse, que vient partiellement combler le sommaire qui la suit.11 Le monde virtuel ainsi créé n’est pas soumis à la temporalité du réel, mais à une temporalité narrative particulière, qui permet les accélérations et les sauts d’un épisode à un autre, mais où la durée n’est jamais précisée et les repères limités à l’emploi d’adverbes aussi vagues que εἶτα ou νῦν. L’épaisseur temporelle paraît se résorber dans un présent toujours réactualisé. Samippos est donc dans le même temps narrateur et acteur et il a aussi, comme on va le voir, enrôlé dans la fiction ses compagnons, auxquels il a distribué des rôles. Cette confusion entre la modalité narrative et la modalité dramatique, voire entre les niveaux de la narration et de l’histoire racontée, est facilitée par l’insertion du récit dans un dialogue, lequel permet de mettre en scène le récit et d’impliquer le narrataire.

9 Nav. 33. 10 L’identité entre narrateur et protagoniste favorise la porosité entre narration et histoire racontée, de même que l’usage du présent de narration tend lui aussi à abolir cette distinction. Le passage montre la dextérité de Lucien dans la manipulation de ces paramètres narratifs et la conscience qu’il a de leurs effets. Voir infra la proximité entre ἐνάργεια et métalepse. 11 Le recours à l’ellipse, qui se rencontre déjà dans le récit d’Adeimantos (Nav. 20), souligne la facilité magique avec laquelle la mise en œuvre du vœu s’accomplit. Ce procédé est typique du récit de rêve, comme le note Lucien à travers la remarque du cordonnier Micylle dans le récit qu’il fait à son coq de son rêve : « J’ordonnais que l’on préparât un festin splendide pour accueillir mes amis. Ceux-ci, comme il est normal dans un rêve, étaient déjà présents, on servait le dîner et le banquet s’organisait » (Gall. 12), et il permet de traduire l’instantanéité caractéristique du merveilleux.

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2. L’INTERFERENCE DU DIALOGUE SUR LE RECIT : COOPERATION A LA NARRATION ET IMMERSION DANS LA FICTION L’insertion du récit dans un dialogue rappelle au lecteur cette évidence – souvent masquée dans les œuvres narratives dont le narrateur, totalement extérieur à la diégèse, tend à faire oublier sa présence et l’acte même de la narration – que toute narration engage un narrateur et un narrataire. Dans le genre dialogique, l’allocutaire est d’ailleurs parfois non seulement l’auditeur du récit, mais aussi celui qui engage le narrateur à entreprendre celui-ci, apportant de la sorte une motivation réaliste à l’insertion d’un récit dont les proportions menacent quelquefois la cohérence de l’échange dialogué.12 Le rôle joué par cet auditeur-narrataire varie donc selon la fréquence, le moment de ses interventions par rapport à la narration, et la nature de celles-ci. Cette intervention peut ne prendre place qu’au terme de la narration – les réactions de l’auditeur servent alors plutôt une mise en scène de la réception du récit – ou bien elle vient interrompre provisoirement le récit et relève soit de la réception, soit de la coopération narrative. Ainsi dans les deux dialogues ménippéens (Icaroménippe et Ménippe ou la Necyomancie), les interventions ponctuelles de l’ami et auditeur de Ménippe permettent de rompre le caractère monologique de son récit, en restaurant quelque peu artificiellement une dimension dialogique, et servent à justifier certains développements, en les présentant comme la réponse apportée à une demande d’éclaircissement.13 À l’exception d’une intervention liminaire, où l’ami de Ménippe semble orienter la narration en suggérant une forme de plan à l’exposé de sa catabase,14 ou bien d’une remarque isolée sur l’incohérence momentanée du récit de Ménippe qui amène à une correction,15 le rôle de cet auditeur paraît assez limité et convenu. Le Navire, par le nombre de ses interlocuteurs, multiplie la possibilité et la variété des interventions des auditeurs-narrataires sur le récit de leur compagnon. Mais la particularité de ce dialogue est que l’interlocuteur n’y est pas un simple auditeur, mais aussi un coscénariste voire un acteur. Cette possibilité d’intervention sur le scénario lui est donnée par le caractère ouvert du récit, puisqu’il concerne des faits à venir et encore virtuels, et que leur narration est composée par leur auteur dans le présent de l’énonciation. 12 Ainsi, l’ami de Ménippe se présente comme un auditeur impatient et invite Ménippe à entamer un récit circonstancié de son voyage. Icar. 3 : μηδὲ πρὸς Φιλίου με περιίδῃς ἄνω που τῆς διηγήσεως ἐκ τῶν ὤτων ἀπηρτημένον. « Au nom du dieu de l’amitié, ne me laisse pas quand je suis suspendu par les oreilles et remonte dans ton récit » ; et Nec. 2 : Μὴ πρότερον εἴπῃς, ὦγαθέ, τὰ δεδογμένα πρὶν ἐκεῖνα διελθεῖν ἃ μάλιστ’ ἂν ἡδέως ἀκούσαιμί σου. « Ne parle pas des décrets, mon bon, avant d’avoir raconté ce qu’il me plairait le plus d’entendre de toi ». 13 Icar. 12, 16, 17, 19. Nec. 8, 11, 17, 18. Voir Whitmarsh (2004) 471. 14 Nec. 2 : « Quel était le but de ta descente ? Qui fut le guide de cette expédition ? Et puis, raconte-moi, dans l’ordre, ce que tu as vu et entendu chez les morts. » 15 Icar. 12. La remarque de l’ami sur l’incohérence du récit est extrêmement circonscrite et ne vient pas remettre en cause la vraisemblance générale de celui-ci. La fin des deux dialogues ménippéens coïncide avec la fin du récit sans redonner la parole à l’auditeur, si bien que ce dernier esquisse à peine les contours d’une figure de lecteur.

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Ainsi, suite à la narration par Adeimantos de son souhait de devenir le propriétaire du navire égyptien qu’ils ont admiré dans le port du Pirée, mais aussi de voir sa cargaison changée en or, Lycinos puis Timolaos interviennent pour mettre en garde leur ami sur le risque de naufrage qu’un tel vœu introduit, menaçant le récit, en quelque sorte, de tourner court. Timolaos donne ensuite ce conseil à Adeimantos :16 {ΤΙΜΟΛΑΟΣ} Ἄμεινον γὰρ ἦν πιθανώτερον αὐτὸ ποιεῖν καί τινα θησαυρὸν ὑπὸ τῇ κλίνῃ ἀνευρεῖν, ὡς μὴ πράγματα ἔχοις ἐκ τοῦ πλοίου μετατιθεὶς χρυσίον ἐς τὸ ἄστυ. {ΑΔΕΙΜΑΝΤΟΣ} Εὖ λέγεις, καὶ ἀνορωρύχθω θησαυρὸς ὑπὸ τὸν Ἑρμῆν τὸν λίθινον, ὅς ἐστιν ἡμῖν ἐν τῇ αὐλῇ […]. Timolaos : En ce cas, il vaudrait mieux rendre l’affaire plus vraisemblable et découvrir un trésor sous ton lit, pour éviter l’inconvénient de transporter l’or du navire à la ville. Adeimantos : Tu as raison, qu’un trésor soit déterré au pied de l’Hermès de pierre dans notre cour […] !

Timolaos suggère à Adeimantos de modifier une donnée de départ du scénario, à savoir l’origine de son enrichissement. Il s’agit certes d’un conseil qui porte sur l’énoncé du vœu de son ami, mais l’adjectif πιθανώτερον fait basculer dans la dimension narrative.17 Adeimantos s’empresse en effet d’acquiescer à cette suggestion tout en remodelant les circonstances de la découverte du trésor – non plus sous le lit, mais dans la cour au pied d’un pilier hermaïque, ce qui implicitement et ironiquement fait apparaître l’invraisemblance de la suggestion de Timolaos, puisqu’il est de fait peu probable de trouver brutalement un trésor sous son lit. Timolaos, en auditeur-narrataire, pourrait refléter l’image d’un lecteurauditeur privilégié assistant à la recitatio des premières pages d’une œuvre au sein d’un cercle restreint d’amis, et donnant ses conseils à l’auteur pour améliorer tel ou tel aspect. Toutefois, l’implication des auditeurs-narrataires ne fait que croître dans le cas du récit entrepris par Samippos, qui se veut résolument participatif et collaboratif, quitte à brouiller les frontières génériques entre récit et théâtre, mais aussi les frontières ontologiques entre réalité et fiction. Pourtant, le dialogue, par sa dimension mimétique, accentue le caractère supposé réel du cadre diégétique dans lequel le ou les récits s’enchâssent et devrait permettre de distinguer nettement le niveau narratif et le niveau diégétique. L’effet de confusion n’en est que plus saisissant. Ces transgressions de seuil, que désigne dans la théorie narrative moderne la figure de la métalepse,18 s’effectuent dès le moment où Samippos débute sa narration, en réponse à une question de Lycinos qui feint la curiosité et flatte la mégalomanie de son ami :19 16 Nav. 11. 17 De ce fait, on pourrait traduire le pronom neutre αὐτὸ par « histoire » plutôt que par « affaire ». 18 Genette 2004. Pour une application sur les textes antiques, voir Eisen/Möllendorff (2013). 19 Nav. 29‒30.

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{ΛΥΚΙΝΟΣ} […] πλὴν ἀλλὰ βασίλευε καὶ ἡγοῦ τῶν στρατιωτῶν καὶ διακόσμει τό τε ἱππικὸν καὶ τοὺς ἀνέρας τοὺς ἀσπιδιώταςꞏ ἐθέλω γὰρ εἰδέναι οἷ βαδιεῖσθε τοσοῦτοι ὄντες ἐξ Ἀρκαδίας ἢ ἐπὶ τίνας ἀθλίους πρώτους ἀφίξεσθε. {ΣΑΜΙΠΠΟΣ} Ἄκουε, ὦ Λυκῖνε, μᾶλλον δέ, εἴ σοι φίλον, ἀκολούθει μεθ’ ἡμῶν. ἵππαρχον γάρ σε τῶν πεντακισχιλίων ἀποφανῶ. Lycinos : […] Eh bien, sois roi, dirige tes soldats, range ta cavalerie, « et tes hommes à boucliers » ! Car je veux savoir où vous allez marcher aussi nombreux, en partant de l’Arcadie, et quels malheureux seront vos premières victimes. Samippos : Écoute, Lycinos, ou plutôt, si cela te fait plaisir, viens avec nous : je te proclamerai commandant des cinq mille cavaliers.

En employant l’impératif, Lycinos semble d’abord manifester son adhésion à la fiction du vœu de Samippos, tandis que sa question vient légitimer et encourager la narration de la geste20 de son ami en chef d’armée. Mais ces impératifs sont également ambigus, puisqu’ils peuvent une fois encore revêtir une valeur performative qui efface l’écart temporel et ontologique entre Samippos narrateur et Samippos protagoniste de sa vie future. De fait, la réponse de Samippos donne à entendre ce glissement : alors que par l’impératif Ἄκουε, Samippos attribue à Lycinos le statut d’auditeur-narrataire, il se reprend et par l’impératif ἀκολούθει, l’invite à entrer dans la fiction à titre d’hipparque. On peut certes penser qu’il ne s’agit que d’un rôle, et qu’on est simplement passé à la mise en scène théâtrale du récit, mais l’ambigüité est constamment entretenue non seulement entre narration et jeu théâtral, mais encore entre réalité et fiction. En proposant à Lycinos de le suivre, Samippos franchit le seuil qui sépare le monde supposé réel de la narration de celui de la fiction. Lucien souligne le pouvoir démiurgique de la parole capable de créer un monde fictif autonome ; mais alors que la métalepse a habituellement pour effet de « dénuder » l’artifice de l’illusion référentielle,21 l’invitation liminaire de Samippos joue au contraire le rôle d’une demande d’adhésion à la fiction. Le dialogue exhibe, dans une forme de mise en scène métafictionnelle, le pacte de lecture implicite entre l’auteur et le lecteur d’un récit fictif.22 Les amis de Samippos acceptent selon des degrés différents d’adhérer à la fiction et de se prêter au double jeu de protagonistes et de co-narrateurs. Ainsi, lorsque Samippos annonce son duel avec le roi de Perse, Lycinos apporte sa caution à l’ajout d’un tel épisode :23

20 Par ce clin d’œil homérique (τοὺς ἀνέρας τοὺς ἀσπιδιώτας, Il. 2,553‒554), Lycinos confère un caractère épique à l’expédition de Samippos tout en moquant la mégalomanie de son vœu. 21 Genette (2004) 23. Voir les distinctions introduites par Wagner (2002) 237–243. 22 Dans la préface des Histoires vraies, Lucien propose un contrat de lecture paradoxal, qui publie l’artifice de la fiction et l’illusion du pacte de crédulité, voir Ní Mheallaigh (2010). Ces questions sont également mises en scène dans les dialogues du Toxaris et du Philopseudès, voir Ní Mheallaigh (2014) 68–70 et 72–97, en particulier 83–89. 23 Nav. 37.

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Anne-Marie Favreau-Linder {ΣΑΜΙΠΠΟΣ}[…] ἐγὼ δέ, ὡς ὁρᾷς, καὶ μονομαχήσω πρὸς τὸν βασιλέαꞏ προκαλεῖται γάρ με καὶ ἀναδῦναι πάντως αἰσχρόν. {ΛΥΚΙΝΟΣ} Νὴ Δία καὶ τετρώσῃ αὐτίκα μάλα πρὸς αὐτοῦ. βασιλικὸν γὰρ καὶ τὸ τρωθῆναι περὶ τῆς ἀρχῆς μαχόμενον.

{ΣΑΜΙΠΠΟΣ}Εὖ λέγεις. ἐπιπόλαιον μέντοι τὸ τραῦμα καὶ οὐκ εἰς τὰ φανερὰ τοῦ σώματος, ὡς μηδὲ τὴν οὐλὴν ὕστερον ἄμορφον γενέσθαι. Samippos : Quant à moi, comme tu le vois, je vais engager un combat singulier contre le roi : il me défie, et me dérober serait absolument indigne. Lycinos : Oui, par Zeus, et il va te blesser sur le champ, car c’est un trait royal aussi que d’être blessé en combattant pour son empire. Samippos : Bien sûr ! Cependant ma blessure est superficielle et j’ai été touché sous les vêtements, si bien que la cicatrice ne m’enlaidira pas par la suite.

À nouveau, les statuts de narrateur, acteur et protagoniste se superposent : l’incise ὡς ὁρᾷς (« comme tu le vois »), implique en effet une narration concomitante aux actions, et une réalité virtuelle qui vient se substituer à la situation réelle. Cet appel à la vision peut également être compris comme un clin d’œil métapoétique à l’ἐνάργεια, qualité du récit qui fait si bien voir ce qu’il relate qu’il crée l’illusion d’y assister. Les figures de la métalepse et de l’hypotypose sont d’ailleurs voisines.24 Le commentaire de Samippos pour justifier sa résolution d’affronter le roi perse, exprime à la fois son sens de l’honneur en tant que personnage et sa vigilance en tant que narrateur qui doit veiller à la cohérence entre la conduite du héros et son ethos. En suggérant une blessure, Lycinos coopère à la narration25 et défend la pertinence de sa proposition en enchérissant avec ironie sur des règles éthopoiétique et générique (les épisodes obligés d’un récit de bataille). Samippos accepte cet ajout au scénario, qui sert son portrait de roi brave et glorieux, tout en fixant strictement ses limites pour se prémunir contre les conséquences néfastes que peut entraîner un tel développement.26 La situation pourrait relever d’une forme de jeu d’improvisation, où l’acteur ajoute au fur et à mesure de nouveaux éléments en brodant à partir d’un scénario de départ, cependant les commentaires des co-narrateurs et co-acteurs y introduisent une dimension réflexive sur la création de la fiction et sur ses règles. La dimension ludique est celle de la fiction elle-même et du plaisir commun pris par le narrateur autant que par le lecteur à la création et l’immersion dans un monde imaginaire. Ainsi, la collaboration des compagnons de Samippos à l’orientation 24 Genette (2004) 10–12, note la confusion entre les deux figures qui tend à s’opérer chez Dumarsais (Traité des tropes paru en 1730) et même chez Fontanier un siècle plus tard (Manuel classique pour l’étude des tropes et traité Des figures autres que tropes). 25 Il est fréquent, comme le note Genette, que la métalepse prenne la forme d’une invitation du narrateur au narrataire visant à l’associer à la narration (Genette [2004] 30, à propos d’un extrait de Jacques le Fataliste et son maître). 26 La satire perce dans cette réaction de Samippos qui n’est pas prêt à affronter les réalités afférentes à la vie d’un général. Voir infra.

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du scénario, au titre d’auditeurs-narrataires et de personnages, fait apparaître d’une part la diversité des possibles narratifs qui s’offrent à l’auteur d’un récit de fiction, de l’autre le rôle actif de coopération du lecteur que construit la lecture.27 Elle illustre le phénomène psychologique d’adhésion et d’investissement du lecteur dans l’univers fictif, mais aussi sa possible remise en question. La nature fictive de ces récits de vœu est énoncée dès le début du dialogue. Ainsi, Adeimantos décrit l’objet de la rêverie dans laquelle il était plongée juste avant l’arrivée de ses amis en ces termes : « Je me forgeais (ἐμαυτῷ ἀνεπλαττόμην) une sorte de richesse, communément appelée vaine félicité. »28 Le verbe πλάττω comme le nom πλάσμα sont couramment employés dans le vocabulaire rhétorique contemporain pour désigner le récit fictif.29 Quant à Timolaos, il définit le récit que développera leur vœu comme un rêve éveillé :30 οὕτω γὰρ ἂν ἡμᾶς ὅ τε κάματος λάθοι καὶ ἅμα εὐφρανούμεθα ὥσπερ ἡδίστῳ ὀνείρατι ἑκουσίῳ περιπεσόντες, ἐφ’ ὅσον βουλόμεθα, εὖ ποιήσοντι ἡμᾶςꞏ παρ’ αὐτῷ γὰρ ἑκάστῳ ἔστω τὸ μέτρον τῆς εὐχῆς, καὶ οἱ θεοὶ πάντα ὑποκείσθωσαν παρέξοντες, εἰ καὶ τῇ φύσει ἀπίθανα ἔσται. Cela nous ferait oublier la fatigue, et du même coup nous serons heureux comme si nous glissions volontairement dans un rêve très agréable dont les bienfaits dureront aussi longtemps que nous le voulons. En effet, que chacun développe son souhait à son gré, posons comme principe que les dieux accorderont tout, même les demandes invraisemblables par leur nature.

La comparaison du récit de vœu avec le rêve en souligne la nature irréelle, à cette différence que le développement du vœu présente l’avantage sur le rêve que l’on y est maître du sujet, de son déroulement et de sa durée, bref qu’on y jouit des pouvoirs d’un narrateur de fiction. Le jeu proposé par Timolaos pose d’emblée le principe d’un récit fictif qui prévoit, qui plus est, l’inclusion d’éléments merveilleux. Ces règles établissent une forme de contrat narratif, qui définit aussi un pacte de fiction où les reproches d’invraisemblance ne peuvent en théorie invalider la possibilité d’adhésion à la fiction.31

27 Voir Eco (1979/1985 traduction française), notamment 142–173 (« Prévisions et promenades inférentielles » et « Les prévisions comme préfiguration de mondes possibles ») ; sur la lecture comme jeu, voir Picard (1986), et la présentation synthétique dans Jouve (1993) 82‒84, qui reformule la théorie de Picard sur la lecture comme activité combinée de playing et de game en ces termes : « La lecture serait à la fois jeu de rôles et jeu de règles ». 28 Nav. 12. 29 Sext. Emp. 1,263‒264. Voir l’analyse de Bréchet (2010) 35–67. 30 Nav. 16. 31 On pourrait proposer une lecture de leurs récits à la lumière de la théorie modale, ensuite appliquée à la littérature, des « mondes possibles », en fonction de l’écart avec l’univers de référence introduit par la nature du changement posé par le vœu. La théorie littéraire des mondes possibles s’ordonne autour des travaux de Pavel, Ryan (en particulier la notion de « recentrement ») et Deložel, voir l’état des lieux dressé par Lavocat (2010) 15–51, en particulier 15–26 et dans le même volume Ryan (2010) 53‒81, en particulier 66‒81 (typologie des cosmologies du récit).

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Chaque compagnon jouit donc a priori d’une totale licence d’invention. Adeimantos rappelle ce principe à Lycinos quand ce dernier le met en garde contre une entorse aux lois physiques réelles, que ce soit lorsqu’Adeimantos veut changer la cargaison de son navire en or ce qui pourrait provoquer son naufrage,32 ou lorsque dans le deuxième scénario, emporté par son désir de luxe, il se dote d’une vaisselle en or massif ce qui, remarque encore Lycinos, risque de gêner considérablement le service au banquet.33 {ΑΔΕΙΜΑΝΤΟΣ} Τὰ σὰ ῥυθμιεῖς πιθανώτερον μετ’ ὀλίγον, ἐπειδὰν αὐτὸς αἰτῇς. Adeimantos : Tu règleras tes affaires avec plus de vraisemblance tout à l’heure, Lycinos, quand ce sera à toi de faire ta demande.

La critique de Lycinos a une portée morale et satirique que ne perçoit pas Adeimantos, lequel considère que Lycinos dénonce seulement l’invraisemblance même de sa richesse fabulée. En soulignant les aberrations du souhait démesuré de son ami, Lycinos ridiculise en fait l’avidité de ce dernier. Sur le plan de la fiction, les remarques de Lycinos semblent porter sur la nécessité de respecter des lois de causalité empruntées au monde réel, même lorsqu’on admet l’existence d’éléments merveilleux dans l’univers fictif. En fait, la part du merveilleux est très réduite dans les récits d’Adeimantos et de Samippos, car leurs vœux – la richesse et la gloire militaire – n’ont rien d’impossible en soi, et leur vie rêvée est imaginée à l’imitation de modèles historiques contemporains ou passés.34 Selon Lycinos, cette infraction à la vraisemblance logique et au réalisme mimétique menace non pas tant l’adhésion du lecteur à la fiction que le succès du vœu du héros dans la fiction que ce dernier a lui-même mise en place. Ce changement de perspective s’explique par la visée morale poursuivie par Lycinos qui cherche à démontrer à Adeimantos que la richesse ne fait pas le bonheur. Cependant, les remarques de Lycinos aboutissent en définitive à récuser la fiction comme une illusion trompeuse en refusant d’accorder au narrateur le contrôle tout puissant sur son récit.35 Plutôt que la critique de l’invraisemblance du récit, qui reste mineure, c’est la coopération ou le refus de coopération à l’illusion fictionnelle qui illustre la tension entre adhésion du lecteur à la fiction ou dénonciation de celle-ci. Ces variations sont illustrées par l’engagement à divers degrés des compagnons de Samippos dans le monde fictif créé par son récit.

32 Nav. 19. 33 Nav. 22. 34 La description des projets d’évergétisme d’Adeimantos (Nav. 24) évoque la figure contemporaine du milliardaire athénien Hérode Atticus. Le récit de Samippos est inspiré par les conquêtes d’Alexandre le Grand. 35 Le développement du vœu de Timolaos est raillé par Lycinos pour son invraisemblance radicale et l’incohérence de ses éléments. Le même Timolaos est à la fois celui qui énonce la règle de la liberté totale du merveilleux et celui qui critique Adeimantos pour l’invraisemblance de son récit tout en lui proposant une correction tout aussi invraisemblable.

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On observe en effet une forme de contamination progressive d’un récit de vœu à l’autre.36 Adeimantos et Timolaos se laissent gagner par l’illusion fictionnelle mise en place par Samippos : Adeimantos s’enrôle de lui-même dans l’armée fictive de ce dernier en réclamant le poste de commandant de cavalerie et en faisant valoir pour le convaincre sa générosité récente à son égard, c’est-à-dire en reprenant son identité d’homme riche acquise dans son propre récit fictif.37 À l’inverse, Lycinos choisit une posture coopérative feinte. Tout en adoptant le langage référentiel de la fiction conquérante de Samippos, il tente de se désengager de celle-ci en refusant les rôles que lui confie son ami.38 Ce faisant, Lycinos construit son propre personnage fictif de pleutre et apporte au récit une tonalité comique et burlesque. Une autre stratégie consiste à rompre volontairement l’illusion fictionnelle par des références à la situation d’énonciation.39 Dans la scène de la délibération avant la bataille contre le roi perse, Lycinos répond de la sorte à Samippos qui le consulte :40 {ΛΥΚΙΝΟΣ} Ἐγώ σοι φράσω. ἐπειδὴ κεκμήκαμεν συντόνως ὁδεύοντες, ὁπότε κατῄειμεν ἕωθεν ἐς τὸν Πειραιᾶ, καὶ νῦν ἤδη τριάκοντά που σταδίους προκεχωρήκαμεν καὶ ὁ ἥλιος πολύς, κατὰ μεσημβρίαν γὰρ ἤδη μάλιστα, ἐνταῦθά που ἐπὶ τὰς ἐλαίας ἐπὶ τῆς ἀνατετραμμένης στήλης καθίσαντας ἀναπαύσασθαι, εἶτα οὕτως ἀναστάντας ἀνύειν τὸ λοιπὸν ἐς τὸ ἄστυ. Je vais t’expliquer : comme nous sommes fatigués par notre marche soutenue – nous sommes descendus au Pirée dès le point du jour, nous avons parcouru maintenant quelques trente stades et le soleil tape, car nous sommes au beau milieu du jour – allons là, jusqu’aux oliviers, asseyons-nous sur la stèle renversée et reposons-nous. Après cette halte, nous nous lèverons et nous achèverons la route jusqu’à la ville.

Le début de sa réponse maintient l’ambiguïté sur la situation à laquelle il est fait référence. Dans l’univers fictif, il est effectivement vraisemblable que Lycinos et ses compagnons, au vu des campagnes militaires qu’ils viennent de mener, soient fatigués : Lycinos s’amuse ainsi à tromper l’attente de Samippos (et celle du lecteur par la même occasion). Mais les mentions successives du Pirée, de la ville, et de l’heure de midi rompent l’illusion en évoquant le cadre spatio-temporel réel, le hic et nunc de la situation d’énonciation (νῦν/ἐνταῦθα). Ce décrochage ne suffit pourtant pas à arracher Samippos à son univers imaginaire :41 {ΣΑΜΙΠΠΟΣ}Ἔτι γὰρ Ἀθήνησιν, ὦ μακάριε, εἶναι δοκεῖς, ὃς ἀμφὶ Βαβυλῶνα ἐν τῷ πεδίῳ πρὸ τῶν τειχῶν ἐν τοσούτοις στρατιώταις κάθησαι περὶ τοῦ πολέμου διασκοπούμενος;

36 Nav. 19 : Lycinos et Timolaos dénonçaient la rêverie d’Adeimantos et leur raillerie était perçue comme telle par celui-ci ; Nav. 30 : le même jeu ironique de Lycinos ne parvient pas à rallier ses compagnons contre les rêves de grandeur héroïque de Samippos. 37 Nav. 31. 38 Nav. 30 et 33. 39 Nav. 35, 37. 40 Nav. 35. 41 Nav. 35.

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Anne-Marie Favreau-Linder Tu te crois encore à Athènes, heureux homme, alors que tu es dans la plaine de Babylone, sous les remparts, assis au milieu de tant de soldats, en train de délibérer sur la guerre !

La parade de Samippos est assez extraordinaire puisqu’elle inverse le rapport entre fiction et réalité. En effet, en imputant à Lycinos la méprise, c’est-à-dire la croyance illusoire (δοκεῖς), sur le cadre de leur conversation, il fait de la situation narrée et virtuelle la situation d’énonciation référentielle. La réponse de Lycinos est pleine d’ironie, puisqu’en feignant de reconnaître son erreur d’appréciation, il dénonce la mythomanie de son interlocuteur :42 {ΛΥΚΙΝΟΣ} Εὖ γε ὑπέμνησας. ἐγὼ δὲ νήφειν ᾤμην καὶ ὕπαρ ἀποφανεῖσθαι τὴν γνώμην. Tu as bien fait de me le rappeler, car je croyais être sobre et t’avoir donné un réel conseil.

L’image de la sobriété suggérée par le verbe νήφειν s’oppose implicitement à celle de l’ivresse et du vin, métaphore récurrente chez Lucien pour dépeindre précisément l’illusion de la fiction.43 Elle est associée dans la phrase à celle du rêve et de son corollaire le réveil, par l’emploi de l’adverbe ὕπαρ (« en état d’éveil ») qui s’oppose implicitement à ὄναρ (« en rêve »).44 L’analogie entre l’expérience de fiction et le rêve a déjà été proposée par Adeimantos puis Timolaos au début du dialogue, peu avant le jeu des vœux ; elle est reprise avec ironie par Lycinos, dans les mêmes termes que ceux de Timolaos, en clôture du dialogue, pour rappeler la nature éphémère et trompeuse de l’expérience qui fera succéder au plaisir de la fiction le désenchantement du retour au réel.45 L’intérêt majeur que porte Lucien à la fiction – manifeste dans le discours critique et réflexif concomitant à ses récits – tout comme l’ambiguïté de ses prises de position ont été soulignés par plusieurs études.46 En particulier, Karen ní Mheallaigh a mis en évidence la tension entre condamnation d’une crédulité volontaire et fascination pour le charme de récits surnaturels dans le Philopseudès, ou encore celle entre dénonciation de l’illusion référentielle et revendication d’une fiction « hyperréaliste » dans les Histoires vraies, œuvre dans laquelle la métalepse permet de renverser le rapport hiérarchique entre fiction et réalité.47 Dans le 42 Nav. 35. 43 Guez (2009‒2014). 44 J’ai modifié la traduction de Husson pour cette phrase afin de mieux faire entendre ces métaphores. 45 Nav. 46 : « et vous déchus de vos trésors et de vos diadèmes comme au réveil d’un rêve très agréable » (ὥσπερ ἐξ ἡδίστου ὀνείρατος ἀνεγρόμενοι) : écho à l’invitation liminaire de Timolaos « à se laisser glisser dans un rêve très agréable » (Nav. 16). Guez (2009‒2014) met parfaitement en évidence dans le corpus lucianesque l’association de plusieurs réseaux métaphoriques (l’ivresse, le rêve et l’envol) et leurs implications à la fois esthétique (réflexion sur la fiction) et éthique. Le motif mythologique de la chute d’Icare, que l’on rencontre notamment à la fin du Navire, participe de cette même dénonciation d’un « écart par rapport au réel ». 46 Briand (2005) ; Möllendorff (2000). 47 Ní Mheallaigh (2014) 216–232 et plus particulièrement 216–227 à propos du rapport entre monde lunaire et monde terrestre et de la fonction métaleptique jouée par le motif du miroir qui introduit le monde réel dans la fiction, comme un reflet de celle-ci, inversant la relation mimétique traditionnelle entre les deux.

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Navire, l’attitude de Lycinos, même si elle peut paraître par moment ambiguë lorsqu’il feint de coopérer ou d’encourager le jeu d’immersion fictive, dénonce au final clairement la confusion entre fiction et réalité. Pour autant, Lucien ne me semble pas tant condamner un rapport à la fiction qu’un rapport au réel, une forme de fictionnalisation de son existence, si bien que sa visée est plus éthique qu’esthétique. La mise en scène comique de la confusion ontologique entre réalité et fiction vient donc dénoncer une représentation fantasmée et fausse d’un certain genre de vie, dénonciation portée à la fois par le personnage de Lycinos et, en amont, par Lucien lui-même du fait du cadre dialogique dans lequel il enchâsse les différents niveaux de récits fictifs qu’il prête à ses personnages. 3. DIALOGUE ET RECIT : ENJEUX SATIRIQUES ET PHILOSOPHIQUES Le Navire, en tant que dialogue, crée chez le lecteur un certain nombre d’attentes liées à son identité générique. De fait un certain nombre de signaux peuvent d’emblée orienter sa lecture. Ainsi, la topographie athénienne, le nom de certains personnages, la conversation qui accompagne le trajet vers la ville évoquent le cadre d’un dialogue platonicien. Plusieurs détails convoquent plus précisément le début de la République : le retour de Lycinos et ses compagnons après le spectacle qui les avait attirés au Pirée, le nom d’Adeimantos, qui fait écho à l’un des interlocuteurs de Socrate, le geste de Lycinos pour faire se retourner Adeimantos qui rappelle celui de l’esclave de Polémarque pour arrêter Socrate.48 Certes l’entretien entre les interlocuteurs du Navire ne se déroule pas dans la maison d’un riche hôte du Pirée, mais la conversation chemin faisant est un motif familier qui ouvre bien d’autres dialogues platoniciens.49 Chez Platon, ce thème d’un cheminement commun est aussi celui de la pensée construite et partagée dans la conversation, mais l’image peut aussi se prêter à décrire le déroulement de la narration qui dans sa chronologie va d’un point de départ à un point d’arrivée. De fait, c’est ainsi que Lucien revisite ce motif du « dialogue-promenade »50, puisque la durée octroyée équitablement à chaque compagnon pour relater son vœu est réglée sur la longueur du chemin. La clôture du dialogue coïncide avec l’arrivée à Athènes, élément qui conforte l’illusion mimétique référentielle du dialogue, mais qui marque aussi, pour les compagnons de Lycinos, le retour au réel après leur échappée dans

48 Nav. 11 : ἢν μὴ τοῦ ἱματίου λαβόμενοι σε ἐπιστρέψωμεν : « Si nous ne t’attrapons pas par le manteau pour te faire retourner », et Rep. 327b : καί μου ὄπισθεν ὁ παῖς λαβόμενος τοῦ ἱματίου […] Καὶ ἐγὼ μετεστράφην: « Et le jeune esclave, m’attrapant par derrière mon manteau […]. Et moi, je me retournai ». 49 Ainsi le cadre du Phèdre, des Lois ou celui du récit initial d’Apollodore à Glaucon dans le Banquet, effectué sur la route de Phalère à Athènes (Conv. 173b). 50 L’expression est de Bompaire 2000 [1958] 307–308.

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la fiction, tout comme pour le lecteur qui quitte le petit monde des quatre personnages. Ces réminiscences platoniciennes contribuent à la couleur attique et lettrée du dialogue situé dans une Athènes classique intemporelle, et peuvent faire attendre une conversation plus philosophique entre des personnages que leurs premiers échanges caractérisent comme des Athéniens cultivés, adeptes de la palestre et des beaux garçons qui la fréquentent, traits qui là encore évoquent la société des dialogues socratiques.51 Cependant, le cadre est plus complexe puisque le navire égyptien qui suscite la curiosité des personnages et provoque la rêverie initiale d’Adeimantos introduit une réalité romaine, et cet ancrage plus contemporain est confirmé par d’autres allusions dans la suite du dialogue, dont la référence aux clients massés dès l’aube à la porte du riche patron, motif familier de la satire romaine.52 Par ailleurs, le personnage de Lycinos, figure récurrente des dialogues attiques de Lucien et dont le nom évoque celui de l’écrivain sans en être le double exact, est généralement doté d’une forme d’autorité et apparaît comme le porteparole de la satire.53 Ces indices composites sont symptomatiques du feuilletage générique de la satire lucianesque : tout en empruntant au dialogue platonicien sa forme et son patronage philosophique, elle vient également se positionner au regard d’une tradition satirique romaine. Les échanges entre Lycinos et ses compagnons peuvent sembler bien légers en comparaison des conversations socratiques, puisqu’ils se présentent comme un jeu plaisant où chacun partage avec les autres sa vision fantasmée de ce que serait pour lui une vie heureuse. Ils se rattachent cependant à un thème éthique assez largement partagé par les différentes écoles philosophiques qui est celui du choix d’un genre de vie, lequel ne peut s’effectuer que si l’on sait distinguer le vrai bien ou si l’on a eu l’expérience des maux qui accompagnent tel ou tel genre de vie. Cette question est récurrente dans l’œuvre de Lucien, c’est elle qui conduit ainsi Ménippe dans l’Hadès pour interroger Tirésias à ce sujet.54 Le mythe d’Er, à la fin de la République met également en scène ce choix, puisque les âmes se voient proposer des « modèles de vie » et doivent décider de celui dans lequel elles s’incarneront. Le principe magique du vœu transfère sur un plan imaginaire et ludique ce thème, puisque les compagnons de Lycinos vont formuler un vœu qui les conduit à se projeter dans un autre genre de vie, celle du riche, celle du roi ou celle d’un être quasi-divin. La leçon finale n’est évidemment pas platonicienne, mais plutôt de tonalité cynique, dénonçant comme des faux biens les valeurs sociales de la richesse et du pouvoir. À l’inverse de ses compagnons, Lycinos ne fait pas de vœu : il « n’en a pas besoin » (οὐ δέομαι) parce qu’il n’a pas de désir vain, il « suffit » (ἱκανόν) à son bonheur de rire de la folie des autres. Autarcie et raille51 Nav. 3 : Timolaos et Samippos discutent d’un passage de Thucydide ; Nav. 2 : évocation topique de la palestre par Lycinos. 52 Nav. 22. Cf. Iuv. 3,184. 53 Sur la plasticité de la figure de Lycinos et ses rapports avec Lucien, voir Dubel (1994) 25. 54 Nec. 6 et 21.

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rie, deux mots d’ordre qui l’apparentent aux héros cyniques de Lucien, Diogène ou Ménippe.55 L’opposition de Lycinos à ses compagnons se manifeste par ses ingérences dans le cours de leur récit qui viennent égratigner leur portrait idyllique de l’homme riche et du glorieux conquérant, ou en dénoncer le caractère illusoire. Mais Lycinos joue également le rôle du contradicteur et du censeur dans le jugement qu’il formule à l’issue de leur exposé. Même si sa méthode n’est pas à proprement parler dialectique, il se livre à une réfutation de la valeur attribuée au genre de vie choisi. La dimension morale du jeu des vœux est d’ailleurs envisagée dès sa proposition par Timolaos :56 {ΤΙΜΟΛΑΟΣ} τὸ δὲ μέγιστον, ἐπίδειξις ἔσται τὸ πρᾶγμα ὅστις ἂν ἄριστα χρήσαιτο τῷ πλούτῳ καὶ τῇ εὐχῇ, δηλώσει γὰρ οἷος ἂν καὶ πλουτήσας ἐγένετο. Et – ce qui est essentiel – on verra de la sorte qui ferait le meilleur usage de sa richesse et de son vœu, car il montrera quel genre d’homme il serait, s’il était également riche.

L’accent est mis par Timolaos sur la richesse, parce que c’est le désir qui motivait la rêverie entamée par Adeimantos précédemment, mais aussi sur son usage, ce qui est peut-être un nouvel écho au début de la République, où la conversation qui s’engage entre Socrate et Céphale porte aussi sur la valeur à accorder à la richesse. Plus généralement, le choix du vœu et le développement de la vie rêvée qui en découle posent la question de la justesse du premier et de sa valeur morale. Les termes ἐπίδειξις et δηλώσει signalent la valeur didactique de ce dispositif, qui exhibe à la manière d’un exemplum un genre de vie et de conduite. La remarque de Timolaos laisse supposer que chaque compagnon pourra examiner et porter un jugement critique sur le vœu émis par son camarade. Dans les faits, seul Lycinos se livre à une telle appréciation morale, ce qui lui confère un statut particulier, mis en lumière par Adeimantos :57 Ἀεὶ σύ μοι, ὦ Λυκῖνε, ὑπεναντίοςꞏ Tu n’arrêtes pas de me contredire, Lycinos.

Quant à Samippos et Timolaos, ils font explicitement de Lycinos le censeur de leurs vœux.58 Son examen critique s’avère a priori convaincant puisque Timolaos, qui est le dernier à émettre un vœu, indique au préalable :59 χρυσὸν μὲν οὖν καὶ θησαυροὺς καὶ μεδίμνους νομίσματος ἢ βασιλείας καὶ πολέμους καὶ δείματα ὑπὲρ τῆς ἀρχῆς, εἰκότως διέβαλες, οὐκ αἰτήσομαι. ἀβέβαια γὰρ ταῦτά γε καὶ πολλὰς τὰς ἐπιβουλὰς ἔχοντα καὶ πλέον τοῦ ἡδέος τὸ ἀνιαρὸν ἐν αὐτοῖς ἦν.

55 56 57 58

Nav. 46. Nav. 16. Nav. 27. Nav. 39 et 41 : « Examine, Lycinos, s’il y aura à reprendre à mon souhait et si l’on pourrait trouver une correction à lui apporter ». 59 Nav. 41.

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Anne-Marie Favreau-Linder L’or, les trésors, les médimnes de monnaie, et la royauté, les guerres, les craintes liées au pouvoir, tu les as critiqués à juste titre. Je ne les demanderai pas ; ce sont des biens instables qui causent beaucoup d’intrigues et entraînent plus de chagrin que de plaisir.

Timolaos paraît avoir pris conscience que la richesse et le pouvoir ne sont pas des biens véritables. La leçon pourtant n’est pas véritablement acquise puisque la demande de Timolaos se révèle plus démesurée encore que celles de ses compagnons, qui s’en sont tenus à un seul souhait dont la réalisation restait en définitive dans le domaine du possible. Ses vœux visent à le soustraire à tous les maux qui peuvent affecter le bonheur d’un homme et à lui procurer toutes les jouissances qu’il puisse désirer : il faut à Timolaos des pouvoirs qui l’affranchissent de la condition humaine et l’égalent à un dieu ce qui, évidemment, est irréaliste.60 Lycinos peut donc se dispenser de réfuter Timolaos et se contente de railler l’invraisemblance et l’hybris de ses vœux. L’argumentation développée par Lycinos à l’adresse d’Adeimantos et Samippos, si elle repose dans les deux cas sur les mêmes fondements, emprunte une forme différente pour chacun d’entre eux. Lycinos objecte deux arguments principaux au tableau idyllique de la vie de richesses et de plaisirs d’Adeimantos. Le premier est celui de la fragilité d’un tel bonheur du fait de la pérennité incertaine et de la durée nécessairement limitée de celui-ci : la mort ou un revers de fortune peut y mettre fin à tout instant. On notera que Lucien, en mettant en scène le vœu et la rêverie qu’il entraîne en fait une métaphore de l’illusion des hommes sur la permanence de leur prospérité : elle est aussi évanescente que le rêve, que vient nécessairement détruire le réveil. Le deuxième argument souligne que les souffrances l’emportent sur les plaisirs dans la vie du riche, car les excès de son régime de vie luxueuse le rendront nécessairement malade, tandis que les risques de perdre sa richesse le feront vivre dans l’angoisse. Lycinos présente son argumentation sous forme de questions, mais qui sont purement rhétoriques puisqu’Adeimantos n’est pas invité à y répondre.61 Ces arguments sont topiques et se retrouvent dans d’autres dialogues de Lucien ; ainsi, toute l’intrigue du Coq vise à corriger la vision erronée de Micylle sur la richesse, dont le caractère illusoire est déjà signifié par le rêve liminaire. La réfutation du vœu de Samippos s’appuie sur les mêmes arguments, mais présentés dans l’ordre inverse. Lycinos décrit d’abord les maux du pouvoir avant de montrer sa précarité au vu de la condition mortelle à laquelle n’échappe pas le roi. Toutefois Lycinos s’efforce de personnaliser cet exposé en plaçant son interlocuteur en position de sujet des maux qu’il décrit. Il en résulte une forme de contre-récit qui vient s’opposer à la biographie fantasmée de Samippos :62

60 Timolaos en est d’ailleurs conscient, puisque son exposé est exprimé tout entier à l’irréel (Nav. 44). 61 Nav. 26‒27. 62 Nav. 39.

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σὺ δὲ καὶ ἐτιτρώσκου μονομαχῶν καὶ ἐδεδίεις καὶ ἐφρόντιζες νύκτωρ καὶ μεθ' ἡμέρανꞏ οὐ μόνον γάρ σοι τὰ παρὰ τῶν πολεμίων φοβερὰ ἦν, ἀλλὰ καὶ ἐπιβουλαὶ μυρίαι καὶ φθόνος παρὰ τῶν συνόντων καὶ μῖσος […]. Et toi, tu te faisais blesser en combat singulier, et tu vivais dans les craintes et les soucis nuit et jour. Car tu avais à redouter, en plus des menées ennemies, des complots sans nombre, la jalousie de ton entourage, la haine […].

Lycinos commence en effet par le rappel à l’imparfait de la blessure de Samippos, comme s’il poursuivait le récit de sa vie, en déroulant non plus la multitude de ses conquêtes mais celle des souffrances endurées. Après une énumération des affres du pouvoir, Lycinos retrouve le mode narratif pour traiter l’argument de la fragilité de la puissance. Il relate en effet la fin de la vie de Samippos, la maladie et la mort qui l’emporteront, et contribue ainsi, d’une façon bien ironique, à achever le récit de Samippos, qui était resté en suspens.63 Lucien a également recours dans le dialogue du Coq au récit autobiographique pour illustrer un genre de vie dont il s’agit de détourner le pauvre Mycille. Avec un humour plein d’irrévérence et une fantaisie tout aristophanesque, l’écrivain confie ce rôle au coq qui, au titre de réincarnation de Pythagore, est en effet bien placé, comme le note le cordonnier, pour lui faire part de son expérience sur ses vies passées, et notamment sur la vie la plus enviable, celle de roi.64 Le coq cherche donc à détromper Micylle à ce sujet, en opposant dans son exposé les signes apparents de son bonheur aux maux internes qui le rongeaient lorsqu’il était roi. Toutefois, bien qu’il emploie l’imparfait du récit, le coq livre davantage un tableau que la relation d’une vie dans son déroulement chronologique.65 Τί πρῶτον εἴπω σοι, ὦ Μίκυλλε; τοὺς φόβους καὶ τὰ δείματα καὶ ὑποψίας καὶ μῖσος τὸ παρὰ τῶν συνόντων καὶ ἐπιβουλάς […]. Que mentionner en premier, Micylle ? Les craintes, les frayeurs, des soupçons, la haine que vous porte l’entourage, des complots […].

On retrouve les mêmes motifs que ceux évoqués par Lycinos mais dans un catalogue volontairement général pour montrer l’universalité de sa démonstration, au rebours de l’effort de personnalisation narrative du discours de l’Athénien. Ce procédé du récit autobiographique doit être mis en rapport avec les usages de l’exemplum que le discours éthique met abondamment en œuvre et que Lucien cherche à renouveler. Le philosophe ou le satiriste dispose d’un répertoire de figures historiques exemplaires afin d’illustrer un vice ou de remettre en cause une conception erronée du bonheur et donc des vrais biens. Ainsi, les noms de Crésus et Polycrate que mentionne Lycinos lui-même dans son argumentation à 63 Nav. 40. 64 Gall. 24 : « Dis-moi, mon coq, quand tu étais roi (puisque tu dis avoir aussi été roi), quelle sorte d’expérience as-tu faite de cette vie (ἐκείνου τοῦ βίου) ? Tu étais, je pense, pleinement heureux (πανευδαίμων) de détenir ce qui est précisément le plus grand de tous les biens (τῶν ἀγαθῶν ἁπάντων) ». 65 Gall. 25.

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l’intention d’Adeimantos (Nav. 26) suffisent à évoquer le souvenir de leur vie et à montrer l’instabilité de leur fortune et donc la précarité de la richesse et du pouvoir. Lucien revisite cet usage de l’exemplum dans les Dialogues des morts où il met en scène les figures traditionnelles du répertoire pour les confronter aux représentants de la philosophie cynique. Ainsi Diogène raille Alexandre le Grand et lui prouve la vanité de son orgueil, tandis que Ménippe rit des pleurs et des lamentations de Crésus, Midas et Sardanapale qui regrettent leur fortune et leur trône perdus.66 Le Navire se clôt sur le rire de Lycinos, qui moque le chagrin de ses compagnons une fois leur rêve de richesse et de grandeur évanouis.67 La leçon donnée est la même que celle des philosophes cyniques, à la fois comique et mordante, mais au lieu de la fonder sur la représentation de ces rois célèbres, Lucien choisit des personnages ordinaires, dépourvus de l’autorité d’une figure exemplaire, mais proches du lecteur. Ce choix le distingue de la tradition satirique romaine, qui traite elle aussi du thème des vœux : ainsi Horace dans la première satire du livre 1, mais surtout Juvénal dans la Satire 10, dont les poèmes étaient connus de Lucien.68 Le poète romain recourt à plusieurs reprises à l’exemplum historique et évoque tour à tour la figure d’Hannibal, puis celle d’Alexandre et des rois perses pour illustrer la vanité du pouvoir et du vœu de gloire militaire. Or il développe un peu plus l’exemple d’Hannibal en narrant brièvement ses conquêtes :69 expende Hannibalem : quot libras in duce summo inuenies ? Hic est quem non capit Africa Mauro percussa oceano Niloque admota tepenti rursus ad Aethiopum populos aliosque elephantos. Additur imperiis Hispania, Pyrenaeum transilit. Opposuit natura Alpemque niuemque : diducit scopulos et montem rumpit aceto. Iam tenet Italiam, tamen ultra pergere tendit. Pèse la cendre d’Hannibal. Combien de livres trouveras-tu à ce général fameux ? C’est pourtant lui que ne suffit à contenir l’Afrique, battue d’un côté par l’Océan maure et qui confine de l’autre à la tiédeur du Nil, plus loin encore aux peuples d’Éthiopie et à l’autre région des éléphants. Il annexe l’Espagne, il enjambe les Pyrénées. La nature lui oppose les Alpes et leurs neiges : il ouvre les rochers, il brise la montagne dissoute par le vinaigre. Déjà il tient l’Italie, mais il vise plus loin encore.

Le présent de narration et l’enchaînement des actions, en asyndètes, condense, comme dans le récit de Samippos, toute la geste du Carthaginois dans un seul et même instant. Le récit y gagne une vive ἐνάργεια ‒ la conquête se déroule en direct, sous les yeux du lecteur ‒ et une forme de souffle épique. Par ces procédés, le poète souligne la facilité avec laquelle Hannibal conquiert le monde et suggère la puissance extraordinaire et l’ambition sans limites du conquérant. Le contraste 66 67 68 69

Dial. mort. 13 et 6. Nav. 46. Pour la satire 3, voir Manzella (2016). Iuv. 10,147‒154 (traduction Villeneuve).

Récits collaboratifs chez Lucien : l’exemple du Navire

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n’en est que plus saisissant avec l’expression qui introduit la figure d’Hannibal : « la cendre d’Hannibal ». Le but de l’exemplum est en effet de dénoncer l’inanité des exploits du Carthaginois : la grandeur et la gloire du général ne changent rien à sa condition de mortel ; d’où l’exhortation liminaire : « pèse la cendre » adressée à ce « tu » anonyme et générique qui implique le lecteur. Dans le Navire, Lucien substitue à la figure de l’exemplum le destinataire de cet exemplum : au lieu de relater les conquêtes d’Alexandre pour en dénoncer la vanité, il privilégie la mise en scène de personnages ordinaires, à qui il fait raconter et même jouer leur vie rêvée de nouvel Alexandre ou de nouveau Crésus, dont ils apparaissent comme les doublures ridicules et burlesques. Le spectacle qu’ils offrent en se laissant aller à incarner leur vie virtuelle suscite le rire du lecteur, qui par là-même sanctionne leur folie. Le dialogue expose également l’admonestation par la leçon morale que leur délivre Lycinos et qui n’est que l’écho d’un discours éthique bien connu de tout homme cultivé. Or, les compagnons de Lycinos, même s’ils sont mis à distance par la satire, entretiennent avec le lecteur une forme de proximité : sans identité historique, sans statut social distinctif, ils ne sont en revanche pas dénués de culture littéraire et philosophique. Leur expérience – fantasmer brièvement une existence différente – est finalement assez banale, mais leur inclination à céder à l’attrait de ces biens illusoires, alors qu’ils sont avertis de leur vanité, mérite d’autant plus la correction par le rire qui leur est infligée : « Pour moi, ce qui me suffit […] c’est de rire très agréablement des belles demandes que vous avez faites, alors que vous louez la philosophie ». Les derniers mots de Lycinos, en épinglant la prétention de ses interlocuteurs à la philosophie, incluent dans la satire les lecteurs lettrés de Lucien. BIBLIOGRAPHIE Sources antiques et traductions Husson (1970) : Geneviève Husson, Le Navire ou les souhaits, Tomes I et II, Paris, Les Belles Lettres.

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EPOS UND ERZÄHLUNG IN PHILOSTRATS EPISIERENDEM DIALOG HEROIKOS Manuel Baumbach Ἀ. Ἴων ὁ ξένος ἢ πόθεν; Φ. Φοῖνιξ, ἀμπελουργέ, τῶν περὶ Σιδῶνά τε καὶ Τύρον. Ἀ. Τὸ δὲ Ἰωνικὸν τῆς στολῆς; Φ. Ἐπιχώριον ἤδη καὶ ἡμῖν τοῖς ἐκ Φοινίκης. Ἀ. Πόθεν οὖν μετεσκεύασθε; Φ. Σύβαρις Ἰωνικὴ τὴν Φοινίκην κατέσχεν ὁμοῦ πᾶσαν, καὶ γραφὴν ἐκεῖ ἄν τις, οἶμαι, φύγοι μὴ τρυφῶν. W: Ionier, Fremder, oder woher sonst? Ph: Phönizier, Winzer, aus der Gegend von Sidon und Tyros. W: Und die ionische Kleidung? Ph: Die gilt mittlerweile auch bei uns in Phönizien als heimische Tracht. W: Warum habt ihr denn die Kleider gewechselt? Ph: Das ionische Sybaris hat von ganz Phönizien Besitz ergriffen, und es würde sich dort einer, denke ich, eine Klage zuziehen, wenn er sich nicht dem Überfluss hingäbe.1

Der erste Wortwechsel in Philostrats Heroikos lädt uns durch die (Nach-)Fragen eines Winzers zum Aussehen und zur Herkunft seines Gegenübers ein zu einer imaginären geographischen Rundreise vom kleinasiatischen Ionien über Phönizien in der Levante mit seinen Haupthandelsorten Sidon und Tyros bis nach Sybaris an die Südspitze Italiens. Medias in res eröffnet sich ohne Rahmenerzählung oder Erzählerkommentar ein räumlich weiter und inhaltlich breiter Gestaltungsraum für den folgenden Dialog, der sich im Heroon des Protesilaos2 in der Nähe der Stadt Eleus im Süden der thrakischen Halbinsel Chersonesos zwischen dem dort ansässigen Winzer und einem phönizischen Kaufmann, der seine Reise von Ägypten 1 2

Alle Übersetzungen des Heroikos stammen von Grossardt (2006); der griechische Text folgt de Lannoy (1977). Protesilaos wurde an verschiedenen Orten kulturell verehrt: In seiner Geburtsstadt Phylake, in der Troas am Ort seines Todes, in Skione auf der Chalkidike und in Eleus auf der Chalkidike. In Heroikos 11,7 berichtet der Winzer, dass der Heros sich nicht nur vor Ort, sondern zuweilen auch in seinen Kultstätten in Thessalien (Phthia) und in Troja aufhält. Zu den rituellen Dimensionen des Heroenkultes im Heroikos vgl. Pache (2004).

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aus angetreten hat (6,3) und auf gute Winde für die Weiterfahrt wartet, entfaltet. Doch wohin wird die Reise gehen, was sind die Themen des Gesprächs und welche Rolle spielt die Einkleidung der Erzählung des Winzers in die Form des Dialogs?3 Räumlich bewegen wir uns mit der Gestalt des Kaufmanns durch die griechischsprachige Welt des Mittelmeeres, wobei Ionien als dialogeinleitendes Stichwort neben dem Ort des Geschehens, der Chersonesos, eine zentrale Rolle einzunehmen scheint.4 Inhaltlich sind über die Eingangsszene und die am Dialog beteiligten Personen als mögliche Themen wie Reise, Handel, Weinbau, Luxus (Sybaris) angerissen, hinzu kommen in der Folge noch Bemerkungen über das Verhalten von Hunden oder die auf dem Landgut geltende Zahlungsweise in Naturalien. Allesamt Alltagsthemen aus den jeweiligen Lebenswelten der Dialogpartner, die erwarten lassen, dass sich der Winzer und der Kaufmann in ihrem jeweiligen Handeln und Tun vorstellen und dabei vielleicht die ein oder andere Anekdote über den sybarischen Luxus oder den sidonischen Leumund austauschen. Doch es kommt anders: Die Dialogpartner begeben sich an einen locus amoenus, und der Winzer beginnt eine Reihe von Erzählungen über Protesilaos und andere Helden des trojanischen Krieges, die – angeregt durch Rückfragen und Einwürfe des Kaufmanns – immer wieder mit intertextuellen Bezügen auf die griechische Literatur, besonders auf die platonischen Dialoge und die Epen Homers, angereichert sind und lange erzählende Passagen mit mythischer Thematik enthalten. Damit mischen sich dialogisches Sprechen und episches Erzählen zu einer neuartigen Form des Dialogs, den man als episierend bezeichnen könnte. Der Heroikos ist ein Formexperiment, eine Gattungshybride, die in kreativer Auseinandersetzung mit dem (platonischen) Dialog und dem (homerischen) Epos die eigene Poiesis im Sinne des Gemachtseins selbstreflexiv verhandelt. Der kultur- und speziell literaturgeschichtliche Hintergrund für diese Neuschöpfung ist die Zweite Sophistik – der Heroikos datiert wohl in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts n.Chr.5 – in Verbindung mit der Popularität von Dialogliteratur und episch-epyllischen Erzählungen zum trojanischen Mythenkreis.

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Vgl. zum Einstieg auch Hodkinson (2011) 16: „The opening chapters of the text – a dialogue which opens in medias res – leave the reader guessing for some time, first about the identity of the interlocutors, and then about its subject, dropping intertextual hints towards a number of possible genres and themes.“ Zur liminalen Bedeutung der Chersonesos vgl. Whitmarsh (2009) 216: „If this landscape is – or can be constructed as – hyper-Hellenic, it is also a boundary, a site of negotiation and problematisation.“ Zur Datierung des Heroikos nach 217 n.Chr. und weiteren Schriften des Flavius Philostrat vgl. Münscher (1907), Anderson (1986), de Lannoy (1997) sowie Jones (2001) 143.

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1. DER HEROIKOS UND DER PLATONISCHE DIALOG Der Heroikos ist von Beginn an durchsetzt mit Anspielungen auf platonische Dialoge sowohl mit Blick auf deren Themen als auch auf bestimmte Motive und Erzählstränge. So verweist der Winzer mit seiner Frage in Kapitel 1,2 „Wohin gehst du so gedankenverloren und über alles hinweg, was zu deinen Füßen liegt?“ (Βαδίζεις δὲ ποῖ μετέωρός τε καὶ ὑπὲρ πάντα τὰ ἐν ποσί;) auf die Anekdote von dem in den Brunnen gefallenen Thales aus dem Theaitetos (174a), der Weg beider Gesprächspartner zu einem schattigen Platz in den Weinbergen mit Quellen (5,2),6 an dem die Erzählungen stattfinden, ist an den Beginn des Phaidros angelehnt, weitere intertextuelle Spuren finden sich zu den Dialogen Phaidon, Symposion, Leges und vor allem zum Staat und Ion, mit dem der Heroikos inhaltlich nicht nur die Diskussion über Homers Epen sowie Fragen der Dicht- bzw. Rhapsodenkunst teilt, sondern der auch im ersten Wort des Heroikos programmatisch anklingt: Ἴων ὁ ξένος ἢ πόθεν; Und wenn der Winzer die Frage des Kaufmanns, ob er sich der Philosophie widme (2,6: φιλοσοφεῖς), bejaht und das mit dem Hinweis auf seinen gewandelten Lebensstil verbindet, dann sind wir im Heroikos bei einem seit Platon greifbaren Philosophieverständnis, das mehr ist als die rein intellektuelle Beschäftigung, da es die rechte Lebensführung miteinschließt. Auch weitere Elemente platonischer Dialoge finden sich: Die Gesprächspartner des Heroikos sind beide gebildet, auch der prima facie als ungebildet erscheinende Winzer7 entpuppt sich als ehemaliger Städter und Philosoph (4,6–10); beide verfügen über eine ausgezeichnete Kenntnis der literarischen Tradition – allen voran Homer –, und beide sind interessiert an philosophischen Fragestellungen respektive an Ethik und Religion. Zudem sprechen sowohl der Winzer als auch der Kaufmann hervorragendes Attisch, und sie tun das an einem Ort, an dem sogar die Nachtigallen attisch singen8 – eine Besonderheit, die mit dem Neolo6

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Hierzu siehe Trapp (1990) 171; zum locus amoenus und den platonischen Referenzen im Heroikos vgl. ausführlich den Kommentar von Grossardt 2006 und die Studie von Hodkinson (2011), der den Phaidros als zentralen Referenztext betrachtet: „The Heroikos can in fact be read as a kind of ‚counterfactual Phaedrus‘, which answers the question ‚what if this or that detail in the setting or the characters or their conversational choices had been y instead of x?‘“ (ibid., 17). Verweise auf andere philosophische Strömungen, wie das epikureisch anmutende Lob des Ortes, der ein Leben „ohne Berührung mit der Masse“ ermöglicht (βιῴη δ’ ἂν ἥδιστά που καὶ ἀλυπότατα ἐξελθὼν τοῦ ὁμίλου, 5,2) deuten auf eine synkretistische Verschmelzung von unterschiedlichen philosophischen Sichtweisen im Heroikos, vgl. Grossardt (2006) 3678. Vgl. Whitmarsh (2009) 219: „Apperances can be deceptive – a lesson for both the Phoenician and for the reader, who may have been misled into believing that this is a conventionally ‚unrealistic‘ account of Atticising peasants.“ Heroikos 5,4: Ἀ. Καὶ οὔπω, ξένε, τῶν ἀηδόνων ἤκουσας, οἷον τῷ χωρίῳ ἐναττικίζουσιν, ἐπειδὰν δείλη τε ἥκῃ καὶ ἡμέρα ἄρχηται. – „W: Dabei hast du noch gar nicht die Nachtigallen gehört, Fremder, wie sie über diesem Platz attisch flöten, wenn der Abend naht oder der Tag beginnt.“ Das Bild der Nachtigall ruft dabei vor allem den Mythos von Prokne auf, nicht nur, weil der Kaufmann in seiner Antwort auf die aus dem Mythos aitiologisch abgeleitete Klage

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gismus ἐναττικίζειν betont wird. Auch sprachlich wird die Nähe zum platonischen Dialog durch die Verwendung zahlreicher platonischer Dialogformeln unterstrichen.9 Wer nun aber einen philosophischen Dialog in Nachahmung Platons erwartet, wird in doppelter Hinsicht enttäuscht: Zum einen fehlt im Heroikos eine autoritative Stimme.10 Beide Gesprächspartner bleiben nicht nur anonym, sondern eine Identifikation des Rezipienten mit einer der Figuren ist auch deshalb schwierig, weil ein gebildeter Rezipient weder geneigt sein dürfte, sich wie der Kaufmann durch die Erzählung eines Winzers in einen Heroenkult initiieren zu lassen,11 noch ist der Winzer mit seinem Lebenswandel und seinen angeblich erlebten Begegnungen mit dem Heros eine Identifikationsfigur für einen pepaideuménos – es sei denn, man würde einem von beiden die Intention unterstellen, eine Rolle zu spielen, aber dafür gibt es im Heroikos keine textimmanenten Hinweise.12 Zum anderen sind die Gesprächsführung und der Inhalt des Heroikos völlig untypisch für platonische Dialoge gestaltet. An die Stelle eines argumentativen Dialogs in kurzen Wechselreden über ein bestimmtes Erkenntnisziel tritt im Heroikos eine Aneinanderreihung von Berichten über bzw. von Protesilaos und anderen griechischen Heroen durch den Winzer.13 Damit rückt die mythische Erzählung, die bei Platon zumeist in plausibilisierender Funktion an das Ende vieler Dialoge gestellt war, an den Beginn und ins Zentrum des Dialogs. In dieser Anordnung zeigt sich eine Umkehrung der platonischen Dialogkomposition, und der Kaufmann, der anfangs stark an der Existenz von Giganten und Heroen zweifelte (7,9), hat seine Position bereits nach kurzen ‚Augenzeugenberichten‘ des Winzers über Heroenbzw. Gigantenüberreste auf Kap Sigeion (8,6 u. 8,8), Lemnos (8,11), Imbros (8,12) und Kos (8,14) verlassen:14

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der Nachtigall verweist (Grossardt 2006) 369, sondern auch, weil so die Bedeutung des Mythos als zentrales Thema des Dialogs betont wird, da der Mythos im Hain des Protesilaos in Gestalt der singenden Nachtigall einen natürlichen Wohnsitz hat. Zur Bedeutung des Ortes und der Verbindung seiner Schönheit mit Inhalt und Sprache im Heroikos vgl. Whitmarsh (2009) 213. Vgl. etwa 14,3, 20,1 und Grossardt (2006) ad loc. Vgl. auch Whitmarsh (2009) 207: „Heroicus is a dialogue, lacking any meta-commentary in the voice of a narrator. There is, then, no authoritative guide to literary ‚meaning‘.“ Zur Rolle des Lesers siehe ibid., 209: „The relational aspect of dialogue invites a plurality of responses, and asks each reader to find a place for herself somewhere upon the scale between scepticism and acceptance.“ Zu Aspekten der Initiation und Mysteriensprache im Heroikos vgl. Dué/Nagy (2004) 60–65. Vgl. auch Hodkinson (2011) 28: „[…] the prose dialogue form, and an early allusion to the philosopher Thales, point to a philosophical dialogue, modelled on the most famous exponent of that form. But the fact that the two characters are a Phoenician and a Vinedresser – both literary types alien to Platonic dialogues – may point the reader in the direction of other types of text.“ Zum Mythos von Protesilaos und seiner kultischen Verehrung vgl. Grossardt (2006) 25–33. 8,18.

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Φ. Εὐδαιμονίζω σε τῆς ἱστορίας, ἀμπελουργέ. ἐγὼ δὲ μεγάλα μὲν ἠγνόουν, ἀνοήτως δὲ ἠπίστουν. ἀλλὰ τὰ τοῦ Πρωτεσίλεω πῶς ἔχει; καιρὸς γάρ που ἐπ’ ἐκεῖνα ἥκειν μηκέτ’ ἀπιστούμενα. Ph. Ich preise dich für dein Wissen, Winzer. Ich dagegen war in Unkenntnis gewaltiger Dinge befangen und habe töricht an ihnen gezweifelt. Aber wie verhält es sich nun mit Protesilaos? Jetzt ist es nämlich Zeit, dazu überzugehen, nachdem ich keinen Zweifel mehr hege.

Das bei Platon durch die argumentative Dialogstruktur allenfalls gegen Ende erreichbare Ziel der Überzeugung der Gesprächspartner ist im Heroikos bereits am Anfang erreicht,15 sodass der weitere Dialog – es folgen noch 50 Kapitel – Raum gewinnt für die Erzählungen von und über Protesilaos und an die Stelle der dialogischen argumentatio die episierende narratio treten kann. Dabei stellen die ständigen Verweise auf platonische Dialoge die strukturelle Abkehr von diesen nur noch deutlicher aus.16 2. DIE ARBEIT AM HOMERISCHEN MYTHOS – EPISCHES ERZÄHLEN UND SUPPLEMENTIERUNG IM HEROIKOS Was für eine Erzählung folgt aber nun und welche Bedeutung hat der Dialog für ihre Gestaltung? Der Winzer berichtet zunächst vom Wirken des Protesilaos und anderer Heroen in der nördlichen Ägäis sowie in der Troas in der Gegenwart des Dialogs (Kapitel 9–22), ehe er die Rolle der Heroen in der Schlacht um Mysien, die vor der Einnahme Trojas stattgefunden hat, und darauf im Hauptteil des Dialogs (Kapitel 26–52) die Taten derselben im trojanischen Krieg schildert.17 Die Erzählung des Winzers wird dabei immer wieder vom Kaufmann unterbrochen, wobei auffällt, dass seine Zwischenfragen und Einwürfe in der Regel18 nicht 15 Vgl. zur schnellen Überzeugung des Kaufmanns auch Grossardt (2006) 47–48: „[…] der Winzer argumentiert nur solange mit der gebotenen Sorgfalt, als der Phönizier noch nicht bekehrt ist, und trägt reichlich kühne Behauptungen vor, sobald der Kaufmann seine erklärt hat, stößt damit aber beim nun allzu leichtgläubigen Phönizier bereits auf keinen Widerstand mehr.“ Zur protreptischen Deutung des Dialogs vgl. Maclean/Aitken (2001) lxxx–lxxxi und Beschorner (1999) 217, zur Lesart als Konversionsliteratur siehe Schäublin (1985) und generell Nock (1933). 16 Ein weiterer Aspekt der Abkehr Philostrats von einer möglichen philosophischen Auseinandersetzung ist der Verzicht auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Kosmologie Platons, vgl. Grossardt (2006) 36: „Dennoch ist der Heroikos kein eigentlicher Beitrag zur philosophischen Debatte um die Heroen. Ersichtlich wird das hauptsächlich darin, dass Philostrat auf eine genaue Definition und Scheidung der beiden Kategorien und verzichtet.“ 17 Zur Struktur des Heroikos vgl. Beschorner (1999) 210–215. 18 Ausnahmen sind der Kommentar des Kaufmanns zum Athleten Helix (15,9), dessen Geschichte er als Zeitgenosse kennt, und die Zustimmung zur Erzählung des Winzers und Autorität Homers in 43,1–4. In 19,1–2 äußert sich der Kaufmann kurz zu seiner (aus Homer) abgeleiteten Einstellung zu Paris und Hektor, und in 20,3 lässt er sich zu zwei Sentenzen über Neid und Mitleid hinreißen.

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kommentierende oder kritisierende Funktion haben, sondern dazu dienen, die Erzählung weiterzuführen. So fragt er den Winzer nach dessen kurzer Schilderung von Protesilaos’ Aussehen und Größe sowie dem Hinweis auf den Kriegsruhm des Heros und seinen Sieg über Achill im Streit um einen Schild beim Kampf gegen die Myer:19 Φ. Καὶ τί ἂν εἴη, ἀμπελουργέ, τὸ τῆς ἀσπίδος; οὔτε γὰρ ποιητῇ εἴρηταί πω, οὔτε ἐς λόγον τινὰ τῶν Τρωικῶν ἥκει. Ph: Und was ist das für eine Begebenheit, Winzer, das mit dem Schild? Diese Begebenheit ist nämlich beim Dichter selbst noch nicht erwähnt und findet sich auch nicht in den verschiedenen Abschnitten der Erzählung vom Trojanischen Krieg.

Die Stelle weist dem Kaufmann die Funktion des Weiterführens oder Ausbauens eines Erzählstranges durch Nachfragen zu: Der Winzer hat zuvor mehrere Beispiele für die Überlegenheit des Protesilaos gegenüber anderen Heroen – besonders Achill20 – gegeben, von denen eins auf Bitten des Kaufmanns in einem neuen Erzählstrang weitergeführt wird. Damit steht der Dialog im Dienst des Erzählens bzw. ermöglicht dieses in einer höchst eigentümlichen Weise: Es gibt keinen vom Winzer bestimmten Plan,21 keine vorgegebene Abfolge, keinen Mythos im aristotelischen Sinne einer „Verknüpfung von Geschehnissen“ (σύνθεσις bzw. σύστασις τῶν πραγμάτων)22 zu einer einheitlichen Handlung mit einem bestimmten Anfang, einer Mitte und einem Ende, sondern die Erzählung ist durch den Dialog deutlich freier gestaltet bzw. gestaltbar, sie ist offen für Ausgestaltungen in die eine oder andere Richtung.23 Im Unterschied zum platonischen Dialog wird (mythisches) Erzählen im Heroikos nicht in den Dienst des Dialogs gestellt, sondern der Dialog steht im Dienst der Erzählung, die erst mit seiner Hilfe Gestalt annehmen kann, erst im Dialog entsteht.24 19 14,1. Vgl. auch 19,1: Φ. Ἀγνοοῦντι λέγεις, ἀμπελουργέ, καὶ σφόδρα ἐκπληττομένῳ τὸν λόγονꞏ– „Ph: Davon weiß ich gar nichts, Winzer, und ich bin sehr erstaunt über diese Geschichte.“ 20 13,4: τὰ δὲ πολέμια ξυγχωρεῖ, ὡς ἔφην, τῷ Ἀχιλλεῖ πλὴν τῆς ἐν Μυσοῖς μάχηςꞏ ἐκεῖ γὰρ πλείους ἀπεκτονέναι τῶν Μυσῶν ἢ ἐκεῖνος, ἀριστεῖα δὲ ἀπενηνέχθαιꞏ κεκρατηκέναι δὲ αὐτοῦ καὶ τὸν ἀγῶνα τὸν περὶ τῆς ἀσπίδος. – „Im Krieg hingegen überlässt er, wie ich schon sagte, den Vortritt dem Achilleus, mit Ausnahme des Kampfes in Mysien. Dort habe er nämlich mehr Myser getötet als jener und habe daher den Siegespreis davongetragen. Auch den Streit um den Schild habe er gegen Achilleus für sich entschieden.“ 21 Das bedeutet nicht, dass seine Erzählung in allen Teilen unstrukturiert ist, im Gegenteil: Der Winzer nimmt sich wie in 25,17 (δίειμι γὰρ καὶ κατὰ ἕνα τοὺς ἥρως […] – „Ich möchte nämlich jeden einzelnen Helden der Reihe nach durchgehen […]“) ein Thema vor, das er so lange strukturiert verfolgt, bis der Kaufmann ihn unterbricht und dadurch eine Digression einfordert bzw. erreicht. In 14,3–4 entwirft der Winzer einen groben Plan für seine Darstellungen. 22 Aristoteles, Poetik Kap. 6, 1450a3f. 23 So wird das „lange angekündigte, aber immer wieder aufgeschobene Erzählprogramm des Heroikos, d.h. die Darstellung der Existenz des Achilleus als Gott auf der Insel Leuke im Schwarzen Meer“, erst in den Kapiteln 54 und 55 eingelöst, vgl. Grossardt (2006) 736. 24 Dabei fällt strukturell auf, dass die dialogischen Elemente im Verlauf des Heroikos immer stärker zurücktreten, sodass die Kapitel 26–52 als zusammenhängende Erzählung des Win-

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Durch diese dialogische Konzeption des Heroikos rückt ein Element epischhomerischen Erzählens in den Fokus, das in der Poetik des Aristoteles und der horazischen Ars Poetica mit Blick auf die Einheit von Handlung bzw. Erzählung25 kritisch betrachtet wird: die Digression als Erzählelement, das den Gang der Haupthandlung unterbricht, inhaltlich mit ihr unverbunden oder nur lose verbunden ist und eine eigene narrative Geschlossenheit aufweist. Solche Elemente finden sich bei Homer häufig,26 und sie werden im Heroikos zentral, da der Kaufmann sich für eben die Dinge interessiert, die am Rande der (ihm) bereits bekannten mythischen Erzählungen liegen.27 Zugleich verleihen sie dem Dialog seine besondere Erzählweise, da Digressionen im Heroikos nicht nur abwechslungsreich sind und mit positiven ästhetischen Empfindungen verbunden werden,28 sondern zugleich den eigentlichen Gewinn der Reise des Kaufmanns und – poetologisch gelesen – unserer Lektüre darstellen:29 Φ. Ἄλλος αὖ λόγος ἥκει, ἀμπελουργέ, οὗ μὰ τὸν Ἡρακλέα οὐκ ἂν μεθείμην, οὐδ’ εἰ πάνθ’ ὑπὲρ τοῦ παραπτῆναι αὐτὸν πράττοις. Ἀ. Ἀλλὰ τὰς ἐκβολὰς τῶν λόγων ἀδολεσχίας ἔνιοι, ξένε, ἡγοῦνται καὶ λῆρον πρὸς τοὺς μὴ σχολὴν ἄγοντας. σὲ δὲ ὁρῶ δοῦλον μὲν τῆς νεὼς ἧς ἄρχεις, δοῦλον δὲ τῶν ἀνέμων, ὧν εἰ καὶ μικρὰ αὔρα κατὰ πρύμναν σταίη, δεῖ τὰ ἱστία ἀνασείειν καὶ συνεξαίρεσθαι τῇ νηί, πάντα δεύτερα ἡγουμένους τοῦ πλεῖν. Φ. Ἐρρώσθω λοιπὸν ἡ ναῦς καὶ τὰ ἐν αὐτῇꞏ τὰ γὰρ τῆς ψυχῆς ἀγώγιμα ἡδίω τέ μοι καὶ κερδαλεώτερα, τὰς δὲ ἐκβολὰς τῶν λόγων μὴ λῆρον ἀλλ’ ἐπικέρδειαν ἡγώμεθα τῆς ἐμπορίας ταύτης. Ph: Da nähert sich wieder eine andere Erzählung, Winzer, von der ich, beim Herakles, nicht ablassen wollte, auch wenn du alles dafür tätest, um an ihr vorbeizufliegen. W: Die Abschweifungen vom Gesprächsgegenstand halten einige für Geschwätzigkeit, Fremder, und für ein Gefasel gegenüber denjenigen, die keine freie Zeit haben. Dich aber sehe ich als Sklaven des Schiffes, dessen Herr du bist, und als Sklaven der Winde, und wenn

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zers mit kurzen Unterbrechungen des Kaufmanns konzipiert sind. Typische Beispiele sind die Zwischenfrage in 52,1, wo der Kaufmann nach der Erwähnung von Neoptolemos in 51,13 nach dessen Aussehen fragt oder die präzisierende Nachfrage zur zuvor erwähnten Insel im Schwarzen Meer in 54,1. Vgl. Aristoteles’ Überlegungen zur Notwendigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit (κατὰ τὸ εἰκὸς ἢ τὸ ἀναγκαῖον, 1451a37f.) von Handlung und der Abfolge (τάξις, 1450b37) der einzelnen Handlungsteile (μέρη, ἐπεισόδια) sowie die Kapitel 1455b15–23. Ähnlich hebt auch Horaz die Einheit der Handlung am Beispiel von Homers Odyssee hervor (Ars Poetica 140–152). Das Ziel des Aufeinanderabstimmens aller Teile eines lógos betont Platon im Phaidros (264B–C). Vgl. Gaisser (1969). Vgl. zur „nachlässigen Sprechweise“ des Winzers auch 19,1–3. Vgl. Whitmarsh (2009) 224: „Deviation turns out to be a marked metaphor: description bears the same relation to narrative as the Chersonese does to commercial journey: both are detours offering their own pleasures. […] The Phoenician’s words approach a theorisation of erotic reading: counterposed to the theology of ‚commercial‘ reading, the pleasures of divagation and enganged fantasy offer their own rewards and profit.“ 53,1‒3.

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Manuel Baumbach auch nur ein kleines Lüftchen sich über dem Heck erhebt, musst du die Segel setzen und mit dem Schiff auslaufen, alles der Seefahrt unterordnend. Ph: Leb wohl nun, mein Schiff, und ebenso die Ladung! Die Frachtgüter der Seele sind mir nämlich lieber und einträglicher, und die Abschweifung vom Gesprächsgegenstand wollen wir nicht für Gefasel halten, sondern für den Gewinn dieser Handelsfahrt!

Das Erzählen in Episoden und Digressionen prägt die sprunghafte30 und „nachlässige Sprechweise“ (19,3: τὸ μὴ ἀμελῶς φράζειν) des Winzers von Beginn an und verleiht dem Text – zusammen mit den vielen intertextuellen Spuren in die literarischen Traditionen des Trojamythos, die sich innerhalb der einzelnen Episoden finden,31 – seine Buntheit (poikilia). Damit ist der Heroikos so vielstimmig32 wie der Mythos selbst, und der Winzer führt seine Leser mit jeder Episode bzw. Digression ein Stück weit in das ‚Meer der Geschichten‘ (Eco) zurück, aus dem sich die homerischen Epen und die Erzähltradition des Trojamythos gespeist haben.33 Die mit dem dialogischen Aushandeln der Erzählung verbundene inhärente Offenheit des Erzählens im Heroikos erzeugt Spannung, da einem Leser keine Orientierungshilfe geboten wird, in welche Richtung sich das Gespräch entwickeln wird. Der Kaufmann kann an jeder Stelle einhaken, und der Winzer ist nur zu bereit, aus der Fülle seines Wissens zu schöpfen, das sich keineswegs in der Reproduktion von bekannten mythischen Begebenheiten erschöpft, sondern Lücken füllt, die die literarische Tradition gelassen hat. Vor diesem Hintergrund erschließt sich die Programmatik des Heroikos: Die Fragen des Kaufmanns sind so konzipiert, dass die Erzählung des Winzers Lücken füllt, die das homerische Epos und die weitere literarische Tradition des Trojamythos bewusst oder unbewusst

30 Vgl. den Vorwurf des Kaufmanns in 19,2: […] οὐκ ἂν ἐροίμην γέ τι, οὐδ’ ἂν ἀκούσαιμι χαίρων, εἰ μὴ διαπηδῴης αὐτὰ μηδ’ ἀμελῶς λέγοις; – „[…] über ihn [Hektor] sollte ich keine Fragen stellen und nicht gerne zuhören, wenn du dies nicht einfach überspringst oder nachlässig darüber sprichst?“ 31 Hierzu siehe Grossardt (2006) 96–120. 32 Vgl. Grossardt (2006) 118, der bemerkt, dass es Philostrat darum ging, „eine altüberlieferte Geschichte aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.“ 33 Vgl. zur produktiv abschweifenden Erzählweise im Dialog auch 20,1: Ἀ. Πεπονθέναι τι πρὸς τὸν Ἕκτορα, ὦ ξένε, δοκεῖς, καὶ οὐκ ἀξιῶ διαφέρεσθαι, ἀλλ’ ἐπανίωμεν ἐπὶ τὰ τοῦ Αἴαντοςꞏ ἐκεῖθεν γὰρ οἶμαι τὴν ἐκβολὴν τοῦ λόγου πεποιῆσθαι. Φ. Ἐκεῖθεν, ἀμπελουργέ, καὶ ὡς δοκεῖ, ἐπανίωμεν. – „W: Du scheinst mitzufühlen mit Hektor, lieber Gast, und ich möchte nicht mit dir streiten darüber. Aber kehren wir zurück zur Geschichte von Aias! Denn dies war, denke ich, der Ausgangspunkt unserer Abschweifung. Ph: Genau dies, Winzer, und wenn es dir gut scheint, dann kehren wir dahin zurück!“ Zur thukydideischen Formel für einen solchen Exkurs siehe Grossardt (2006) 454. Mit der Seefahrt verbunden ist die Abschweifung bei der Rezitation des Liedes von Achill in Kapitel 55,6: ῥεῦμα γὰρ δὴ ὑπολαβὸν ἡμᾶς, οἷα πολλὰ περὶ τὸν Πόντον εἱλεῖται, παρέπλαγξε τοῦ λόγου. – „Eine Strömung, wie sich ihrer viele ums Schwarze Meer drängen, hat uns nämlich ergriffen und vom Kurs unserer Erzähung weggetrieben.“

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gelassen haben.34 Hinweise auf diese Lücken finden sich wiederholt. So antwortet der Winzer in Kapitel 24,1 auf die Nachfrage des Kaufmanns, ob Homer bestimmte Dinge wie die Beschreibung der Myserin Hiera absichtlich oder unabsichtlich ausgelassen habe: „Wahrscheinlich mit Absicht, Fremder.“35 Damit wird dem homerischen Erzählen die autoritativ gesteuerte Selektion und Kombination von Ereignissen zugeschrieben, die notwendig ein lückenhaftes Erzählen vom trojanischen Krieg zur Folge hat. Zudem gibt es Dinge, die in der literarischen Tradition nicht verankert bzw. dem Kaufmann nicht bekannt sind wie der Streit zwischen Achill und Protesilaos um den Schild beim Kampf gegen die Myser (14,1).36 Der Heroikos ‚arbeitet‘ im Blumenberg’schen Sinn am trojanischen Mythos,37 indem er Handlungen und Charaktere nicht nur neu und anders gestaltet, sondern die Epen Homers und des Epischen Kyklos bzw. weiterer Texte zum trojanischen Krieg mit Blick auf den in ihnen entfalteten Mythos supplementiert, wobei Supplement hier nicht im Sinne der inhaltlichen oder formalen Vervollständigung eines bestimmten (fragmentierten) Werkes in sprachlicher und stilistischer Angleichung verstanden wird, sondern als Ergänzung des durch bestimmte Werke gestalteten Mythos. Und über diese Wirkungsabsicht erklärt sich die Besonderheit der Poiesis des Heroikos als ein Werk, das im Dialog mit der traditionsstiftenden Literatur durch die Rückfragen des Kaufmanns auf Lücken in der Gestaltung des trojanischen Mythos verweist und diese durch die Erzählungen des Winzers füllt. Beide, Winzer und Kaufmann, wirken zusammen an einer neuen, vollständigeren Version des trojanischen Krieges, wobei die supplementierten Teile als inhaltliche Innovationen fest mit der autoritätsstiftenden literarischen Tradition verbunden wer34 Vgl. auch Beschorner (1999) 231, der bemerkt, dass „[…] der Heroikos nicht so sehr daraufhin angelegt ist, eine von Homer abweichende Darstellung aller Geschehnisse vor Troja zu liefern, sondern vielmehr das Ziel verfolgt, Homers Erzählungen meistens nur zu ergänzen, Taten und Ereignisse, die bei Homer nur kurz oder gar nicht erwähnt werden, anschaulich und lebendig dem Leser vor Augen zu stellen.“ 35 Heroikos 24,1: Φ. Τί οὖν, ἀμπελουργέ, φῶμεν ἑκόντα τὸν Ὅμηρον ἢ ἄκοντα παραλιπεῖν ταῦτα οὕτως ἡδέα καὶ ποιητικὰ ὄντα; – Ph: Was sollen wir nun sagen, Winzer? Hat Homer diese Dinge absichtlich oder unabsichtlich ausgelassen, wo sie doch so süss und dichterisch sind? Vgl. auch 43,4: τὸ γὰρ μὴ ὑποτεθεῖσθαι ταῦτα τὸν Ὅμηρον, ἀλλὰ γεγενότων τε καὶ ἀληθινῶν ἔργων ἀπαγγελίαν ποιεῖσθαι μαρτυρεῖ ὁ Πρωτεσίλεως, πλὴν ὀλίγων, ἃ δοκεῖ μᾶλλον ἑκὼν μετασκευάσαι ἐπὶ τῷ ποικίλην τε καὶ ἡδίω ἀποφῆναι τὴν ποίησιν. – „Dass Homer sich das nämlich nicht einfach so zurechtgelegt hat, sondern dass er tatsächliche und wahre Begebenheiten berichtet, das bezeugt Protesilaos, der nur wenige Dinge ausnimmt, die Homer absichtlich verändert zu haben scheint, um seiner Dichtung Buntheit und Anmut zu verleihen.“ 36 Unbekannt ist dem Kaufmann auch die Erzählung von der Erscheinung des erbosten Hektor, der einen jungen Mann, der ihn beleidigt hatte, töten lässt (18,6), worauf der Kaufmann bemerkt (19,1): Φ. Ἀγνοοῦντι λέγεις, ἀμπελουργέ, καὶ σφόδρα ἐκπληττομένῳ τὸν λόγον – „Ph: Davon weiß ich gar nichts, Winzer, und ich bin sehr erstaunt über diese Geschichte.“ 37 Vgl. Blumenberg (2006) 40: „Mythen sind Geschichten hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit. Diese beiden Eigenschaften machen Mythen traditionsgängig […].“

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den. Analog schreibt sich der Heroikos auf formaler Ebene in die literarische Gattung des platonischen Dialogs ein, um diesen durch die innovative Verknüpfung mit homerisch-mythischem Erzählen neu zu gestalten. Ein zentraler Aspekt im Umgang mit der literarischen Tradition auf der inhaltlichen und formalen Ebene ist die Betrachtung der Zeitebenen, auf denen die Erzählungen des Winzers fußen und die den Dialog strukturieren: Die Arbeit am Mythos hat eine stark gegenwartsbezogene Komponente, insofern Mythen aktualisiert und mit Blick auf bestimmte zeitgenössische Gegebenheiten – etwa den konkreten Heroenkult auf der Chersonesos – neugestaltet werden. In diesem Sinne erzählt der Winzer zunächst auch vom Aussehen und Wirken des Heros in seiner Gegenwart und berichtet von der Präsenz anderer Heroen wie Hektor (18,6), Aias (20,2) oder Achill (22,1–4) in der fiktiven Gegenwart des Dialogs. Die Supplementierung der Erzählungen vom trojanischen Krieg richtet sich dagegen auf die Vergangenheit des Mythos und damit auf die Auseinandersetzung mit bestehenden literarischen Darstellungen, von denen die Epen Homers die wichtigsten und wirkmächtigsten sind. Folgt man dieser Überlegung, dann wird deutlich, dass die dem Heroikos oft zugeschriebene echte oder spielerische Homerkritik bzw. Homerkorrektur38 nicht die zentrale Wirkungsintention des Dialogs ist. Natürlich gibt es auch im Heroikos Homerkritik, doch die wird fast ausschließlich indirekt als Sichtweise des Protesilaos formuliert,39 beschränkt sich im Zusammenhang auf wenige Kapitel (25,10–16) und richtet sich im Wesentlichen auf allgemeine Dinge, wie den Vorwurf, „dass er die Götter mit Menschen zusammengebracht und Großes von den Menschen sagte, aber nur Geringes und Schlechtes von den Göttern“ (25,10),40 oder dass Homer nach dem Tod Hektors mit den Ereignissen um Troja aufgehört habe, um die Odyssee zu schreiben (25,13).41 Weitere Kritikpunkte sind die falsche Verortung der Helena in Troja, der Zweikampf von Paris und

38 Vgl. zur Homerkritik in der Antike generell Lamberton/Keaney (1992) und Kim (2010 zur kaiserzeitlichen Literatur) sowie zum Heroikos Beschorner (1999) 219–31, Billault (2000) 126–138, Mestre (2004) und Bowie (2009) 30: „This is a variant on the popular game […] of ‚correcting‘ Homer and other archaic poets.“ Zur Diskussion vgl. auch Grossardt (2006) 96, der den Heroikos als „Bilanz der antiken Troja-Literatur“ liest und auf die Mischung von „kritischen und affirmativen Zügen“ als Besonderheit des Umgangs mit Homer und anderen Texten hinweist. 39 In Kapitel 24 äußert der Winzer seine eigene Haltung zu Auslassungen in Homers Epen. Zu Protesilaos’ Homerkritik vgl. besonders Heroikos 25,10 (μέμφεται δὲ τοῦ Ὁμήρου ἐκεῖναꞏ – „Er tadelt aber folgendes an Homer“) und die folgenden Kapitel 25,10–16. In 43,4 urteilt der Kaufmann, dass Protesilaos „nur wenige Dinge ausnimmt, die Homer absichtlich verändert zu haben scheint, um seiner Dichtung Buntheit und Anmut zu verleihen.“ ([…] μαρτυρεῖ ὁ Πρωτεσίλεως, πλὴν ὀλίγων, ἃ δοκεῖ μᾶλλον ἑκὼν μετασκευάσαι ἐπὶ τῷ ποικίλην τε καὶ ἡδίω ἀποφῆναι τὴν ποίησινꞏ). 40 Heroikos 25,10: […] ὅτι θεοὺς ἐγκαταμίξας ἀνθρώποις, περὶ μὲν τῶν ἀνθρώπων μεγάλα εἴρηκε, περὶ δὲ τῶν θεῶν μικρὰ καὶ φαῦλα. 41 Ein Aspekt, der im Heroikos produktiv genutzt wird, da durch das unvollständige Erzählen des Mythos in der Tradition Raum für Supplementierungen gegeben ist.

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Menelaos sowie die Irrfahrten des Odysseus42 und die falsche Beschreibung vom Tod des Hektor, die Protesilaos als „Verleumdung Hektors durch Homer“ (37,5) bezeichnet,43 sowie gelegentliche Übertreibungen (vgl. 48,11). Aber der Grundgehalt der homerischen Epen und die Glaubwürdigkeit der Darstellung wird nicht infrage gestellt, im Gegenteil:44 Φ. Πῶς οὖν ὁ Πρωτεσίλεως περὶ τοῦ Ὁμήρου φρονεῖ; βασανίζειν γάρ που αὐτὸν ἔφασκες τὰ τούτου ποιήματα. Ἀ. Τὸν Ὅμηρόν φησι, ξένε, καθάπερ ἐν ἁρμονίᾳ μουσικῇ πάντας ψῆλαι τοὺς ποιητικοὺς τῶν τρόπων, καὶ τοὺς ποιητὰς ἐφ’ οἷς ἐγένετο ὑπερβεβλῆσθαι πάντας ἐν ὅτῳ ἕκαστος ἦν αὐτῶν κράτιστος μεγαλορρημοσύνην τε γὰρ ὑπὲρ τὸν Ὀρφέα ἀσκῆσαι, ἡδονῇ τε ὑπερβαλέσθαι τὸν Ἡσίοδον καὶ ἄλλῳ ἄλλονꞏ […] πάντα ταῦτα τὸν Ὅμηρον δαιμονίως ἐξειργάσθαι φησὶ καὶ τοὺς μὴ ἐρῶντας αὐτοῦ μαίνεσθαι. Ph: Wie denkt nun Protesilaos über Homer? Sagest du doch, dass er dessen Dichtungen genau prüfe. W: Er sagt, Homer habe, Fremder, ganz so, wie er in der harmonischen Gestaltung alle dichterischen Tonarten spielte, auch die Dichter, denen er zeitlich nachfolgte, alle auf dem Gebiet geschlagen, auf dem ein jeder am stärksten war. In der Erhabenheit der Worte habe er sich nämlich über Orpheus hinaus ausgebildet, in der Anmut habe er Hesiod übertroffen und wieder andere auf wieder anderen Gebieten. […] All das habe Homer in göttlicher Weise dargestellt, und wer ihn nicht liebe, sei verrückt.

Homer ist und bleibt eine Autorität – sowohl für den Heros Protesilaos als auch für den erzählenden Winzer und den begeistert zuhörenden Kaufmann,45 was durch die vielen Homerzitate unterstrichen wird, die in die Erzählung einfließen.46 Und diese Autoritätszuschreibung auf der Figurenebene ist wichtig für die Supplementierung des Trojamythos, da ein Supplement seine Existenzberechtigung und seine Autorität erst aus der Bedeutung der supplementierten Texte gewinnt. Nur wenn es wichtige, breit rezipierte Texte ergänzt, hat ein Supplement die Chance, wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden – eine dialektische Form 42 Vgl. 25,13 und 34,4. 43 Dabei hat Protesilaos kurz zuvor (37,1) in einem anderen Zusammenhang Homers Beschreibung Hektors noch explizit gelobt: Ἐπαινῶν τοίνυν τὸν Ἕκτορα ὁ Πρωτεσίλεως ἐπαινεῖ καὶ τὸν Ὁμήρου ἐπ’ αὐτῷ λόγονꞏ ἄριστα γὰρ τὸν Ὅμηρον τάς τε ἡνιοχήσεις αὐτοῦ διελθεῖν καὶ τὰς μάχας καὶ τὰς βουλὰς καὶ τὸ ἐπ’ αὐτῷ καὶ μὴ ἐπ’ ἄλλῳ εἶναι τὴν Τροίαν […] – „Wenn Protesilaos also den Hektor lobt, so lobt er nicht weniger die Erzählung Homers über ihn. Sehr gut habe Homer nämlich seine Fertigkeit im Wagenlenken geschildert, seine Kämpfe und Ratschlüsse, und dass Troja von ihm abhängig war und von keinem anderen […].“ 44 25,1‒4. 45 Vgl. auch das Lob Homers von Seiten des Kaufmanns in 43,2: αὶ γάρ με καὶ πρὸς τὰ τοῦ Ὁμήρου ποιήματα οὕτω διατέθεικας, ὡς θεῖά τε αὐτὰ ἡγούμενον καὶ πέρα ἀνθρώπου δόξαι, νῦν ἐκπεπλῆχθαι μᾶλλον […] – „Denn du hast mich so eingestimmt auf die homerischen Epen, dass ich, der ich sie auch zuvor schon für göttlich hielt und für jedes Menschenmaß übersteigend, nun noch mehr erschüttert bin […].“ Zu Protesilaos als Rivalen und Kritiker Homers vgl. Hodkinson (2011) 61–79. 46 Hierzu vgl. die Zusammenstellung und den Kommentar homerischer Zitate von Grossardt (2006) 48, Anm. 6; 99, Anm. 287 und 89.

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der Autorisierung,47 mit deren Hilfe der Heroikos seine Innovationen in die literarische Tradition einzuschreiben sucht.48 Ein weiterer, für eine erfolgreiche Supplementierung wichtiger Aspekt ist die Autorität des Schaffenden, die der Winzer sowohl aus der Analogie mit Homer wie aus dem Dialog mit dem Kaufmann gewinnt:49 Γέγονε μὲν δή, ξένε, ποιητὴς Ὅμηρος καὶ τὰ ποιήματα ἀνθρώπου ταῦτα. (11) τὰ δὲ ὀνόματα ᾔδει καὶ τὰ ἔργα ξυνελέξατο μὲν ἐκ τῶν πόλεων ἃς ἕκαστοι ἦγονꞏ ἦλθε μὲν γὰρ περὶ τὴν Ἑλλάδα μετὰ χρόνον τῶν Τρωικῶν (12) οὔπω ἱκανὸν ἐξαμαυρῶσαι τὰ ἐν τῇ Τροίᾳ. ἔμαθε δὲ αὐτὰ καὶ τρόπον ἕτερον δαιμόνιόν τε καὶ σοφίας πρόσωꞏ εἰς Ἰθάκην γάρ ποτε τὸν Ὅμηρον πλεῦσαί φασιν ἀκούσαντα ὡς πέπνυται ἔτι ἡ ψυχὴ τοῦ Ὀδυσσέως, καὶ ψυχαγωγίᾳ ἐπ’ αὐτὸν χρήσασθαι. ἐπεὶ δὲ ἀνελθεῖν τὸν Ὀδυσσέα, ὁ μὲν ἠρώτα αὐτὸν τὰ ἐν Ἰλίῳ, ὁ δὲ εἰδέναι μὲν πάντα ἔλεγε καὶ μεμνῆσθαι αὐτῶν, εἰπεῖν δ’ ἂν οὐδὲν ὧν οἶδεν εἰ μὴ μισθὸς αὐτῷ παρ’ Ὁμήρου γένοιτο εὐφημίαι τε ἐν τῇ ποιήσει καὶ ὕμνος ἐπὶ σοφίᾳ τε καὶ ἀνδρείᾳ. ὁμολογήσαντος δὲ τοῦ Ὁμήρου ταῦτα καὶ ὅ τι δύναιτο χαριεῖσθαι αὐτῷ ἐν τῇ ποιήσει φήσαντος, διῄει ὁ Ὀδυσσεὺς πάντα ξὺν ἀληθείᾳ τε καὶ ὡς ἐγένετοꞏ ἥκιστα γὰρ πρὸς αἵματί τε καὶ βόθροις αἱ ψυχαὶ ψεύδονται. Es gab also gewiss einen Dichter Homer, Fremder, und diese Gedichte sind Menschenwerk. Die Namen der Helden und ihre Taten trug er aus den Städten zusammen, die ein jeder von ihnen anführte. Er reiste nämlich zu einer Zeit durch Griechenland, als die vor Troja vollbrachten Heldentaten noch nicht völlig verdunkelt waren. Allerdings erfuhr er diese Dinge auch noch in einer anderen göttlichen und hochklugen Weise: Denn Homer sei einmal, sagt man, nach Ithaka gesegelt, weil er gehört hatte, dass die Seele des Odysseus noch atme, und er habe eine Seelenbeschwörung vorgenommen. Als nun Odysseus emporgekommen war, fragte Homer ihn nach den Geschehnissen vor Ilion. Odysseus aber gab zur Antwort, er wisse zwar alles und könne sich daran erinnern, würde aber nichts von seinem Wissen preisgeben, wenn er nicht einen Lohn von Homer bekäme, nämlich ehrende Erwähnungen in der Dichtung und ein Loblied auf seine Klugheit und Tapferkeit. Nachdem Homer ihm das zugestanden hatte und ihm versichert hatte, er würde sich ihm, so viel er könne, in seinen Dichtungen gefällig erweisen, ging Odysseus alles wahrheitsgemäss durch und genau so wie es geschehen war. Denn die Seelen lügen vor Blut und Grube in keiner Weise.

Der Winzer ist in einer ähnlichen Situation wie Homer, auch er ist zunächst herumgereist und hat Wissen über Heroen gesammelt (Kapitel 6–22), ehe er im Heiligtum von Protesilaos von eben diesem Informationen über den trojanischen

47 Damit geht es weniger darum, „eine bessere, d. h. berechtigte Version des Trojanischen Krieges vorzulegen“ (Grossardt [2006] 74), sondern eine ergänzte. Zuzustimmen ist Grossardt (2006) 120: „Philostrat ist damit ebenso weit entfernt von kleingeistiger Herabsetzung seines großen Vorgängers wie von kleinmütiger Verzagtheit in Bezug auf sein eigenes Schaffen; er stellt seinen Heroikos vielmehr – als gleichwertige kreative Leistung – auf dieselbe hohe Stufe wie die homerischen Epen.“ 48 Zum anspruchsvollen literarischen Programm des Heroikos innerhalb der literarischen Strömung der Zweiten Sophistik vgl. auch Hodkinson (2011) 19: „The Heroikos is also a vital Philostratean piece of evidence for contemporary reflection on reading and literature, and on sophistry and rhetoric in the second sophistic, and that it displays many of the same concerns as other works in the Philostratean corpus and indeed other contemporary ‚sophistic‘ texts.“ 49 43,10‒14.

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Krieg erhalten hat.50 Damit haben Homer und der Winzer die gleiche göttlichheroische Wissensquelle und die Frage stellt sich, ob der Winzer, der ja vermeintlich aus erster Hand das berichtet, was Protesilaos ihm sagt, auch darin ein zweiter Homer ist, dass er nicht alles erzählt, was Protesilaos ihm erzählt hat, sondern seinerseits – analog zur referierten Geschichte von Homer und Odysseus – die Dinge in den Mittelpunkt stellt, die ihm bzw. Protesilaos wichtig sind, und das in einer ähnlichen Weise tut wie Homer. Und in der Tat: So wie Homer in seinen Epen „ein Loblied auf [Odysseus’] Klugheit und Tapferkeit“ singt, so hebt der Winzer in seinem Bericht von der Schlacht gegen die Myser explizit die Tapferkeit des Protesilaos hervor – und das im direkten Vergleich mit dem bei Homer als tapfersten Griechen geschilderten Achill, vgl. 13,4; auch ist Protesilaos besonnen und klug (7,8 u. 11,4), ganz zu schweigen von weiteren Qualitäten wie Schönheit (10,2: „Alle Anmut ist ihm nämlich eigen“) oder Schnelligkeit (13,3). Wie Homer bei seiner Erzählung Digressionen und Auslassungen (vgl. 24,1–2) verwendet, so schweift auch der Winzer immer wieder von seinem Thema ab und wird durch Nachfragen des Kaufmanns auf Auslassungen hingewiesen. Und die „Fehler“ innerhalb der Erzählungen des Winzers wie „Verwechslung von unterschiedlichen Zeitebenen, mangelndes Schritthalten mit den Entwicklungen der Gegenwart, die falsche Zuordnung von bestimmten Personen zu bestimmten Ereignissen, einfache Gedächtnisfehler und diverse kuriose Einfälle des Winzers“51 decken sich weitgehend mit den Analysen der modernen Homerkritik.52 Anstatt den Winzer deswegen als ‚klassischen Halbgebildeten‘ zu lesen, dem „trotz seiner Ausbildung in der Stadt (4,4–5) das intellektuelle Rüstzeug fehlt für eine korrekte Einordnung seines Wissens“,53 scheint im Heroikos vielmehr eine möglichst starke Annäherung des Winzers an den Autor Homer vorzuliegen, die den Leser zu einem Vergleich zweier gleichwertiger Erzähler der Ereignisse des trojanischen Krieges auf Augenhöhe (und mit derselben Fallhöhe) einlädt. Auf der Figurenebene des Heroikos wird die Parallele wirkungsästhetisch dadurch unterstrichen, dass die prosaischen Erzählungen des Winzers eine ähnlich bezaubernde Wirkung entfalten wie Homers Dichtungen:54

50 Zur Angleichung von Protesilaos an Homer vgl. Hodkinson (2011) 64: „Protesilaos’ direct route to knowledge thus in fact makes him more than an interpreter or reader of Homer: he performs an analogous function to Homer, and is therefore his rival in providing narrative and description concerning the heroes.“ 51 Grossardt (2006) 76, der im Heroikos ein homerisches ‚Rollenspiel‘ der Figuren beobachtet, bei dem der Winzer die Rolle des Eumaios einnimmt und der Kaufmann eine Odysseusfigur ist (ibid., 49–50). 52 Und auch die verschiedenen ‚Stimmen‘ und Perspektivierungen des Winzers ähneln denen des Erzählers der Ilias und Odyssee, vgl. Rusten/König (2014) 38: „[…] the voice of the vinedresser can be that of a Homeric scholar/reinterpreter, teller of all tales, ekphrast of statues and faces, repository of athletic anecdotes, exegete of cults, finally a witness to personal religion.“ 53 Grossardt (2006) 76. 54 23,1–2.

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Manuel Baumbach Φ. Ποθοῦντι ἀποδίδως, ἀμπελουργέ, τὸν περὶ αὐτῆς λόγονꞏ σπάνιον δὲ οἶμαι ἀκούσεσθαι. Ἀ. Σπανιώτατονꞏ προσέχων δὲ ἀκροῶ. Φ. Προσέχων λέγεις; οὐδὲ τὰ θηρία ἐς τὸν Ὀρφέα οὕτως ἐκεχήνει ᾄδοντα, ὡς ἐγώ σου ἀκούων τά τε ὦτα ἵστημι καὶ τὸν νοῦν ἐγρήγορα καὶ ξυλλέγομαι ἐς τὴν μνήμην πάντα. ἡγοῦμαι δὲ καὶ τῶν ἐπὶ Τροίαν ἐστρατευκότων εἷς εἶναι τοσοῦτον κατέσχημαι τοῖς ἡμιθέοις ὑπὲρ ὧν διαλεγόμεθα. Ph: Einen begierigen Hörer deiner Erzählung hast du in mir, Winzer. Nur selten, denke ich, werde ich davon hören. W: Äusserst selten. Höre also aufmerksam zu! Ph: sagst du? Nicht einmal die Tiere starrten so mit offenem Mund auf Orpheus, wenn er sang, wie ich die Ohren aufrichte, um dir zuzuhören, im Geist hellwach bin und alles in mein Gedächtnis aufnehme. Ich glaube gar, einer aus dem Feldzug gegen Troja zu sein. So sehr bin [ich] ergriffen von den Halbgöttern, über die wir uns unterhalten.

Und wenn wir nach diesen Worten den Erzählungen des Winzers im Heroikos lauschen, dann hören wir einem ‚Homeriden der Prosa‘55 zu, wie ihn auch andere Autoren der Zweiten Sophistik, allen voran Chariton in seiner Kallirhoe, bei der Gestaltung neuer literarischer Formen und dem Diskurs über traditionelle Bildung und kulturelle Identität nutzen.56 Und genau dafür ist das im Heroikos zu beobachtende Formexperiment des episierenden Dialogs eine besonders geeignete Darstellungsform, da er einerseits die Präsentation von epischer Bildung ermöglicht, ohne sich den Kriterien für episches Erzählen im aristotelischen Sinn unterwerfen zu müssen (der Winzer kann seiner Erzählung jederzeit unterbrechen und sie durch lose aneinandergereihte Versatzstücke und Digressionen als literarischen Flickenteppich gestalten), und andererseits die dialektische Aushandlung derselben ermöglicht: Erst im Dialog von Erzähler und Rezipient können Lücken einer Erzählung entdeckt, diskutiert und direkt geschlossen werden. 3. DER EPISIERENDE DIALOG UND DIE LUKIANISCHE GATTUNGSHYBRIDE DES KOMÖDISCHEN DIALOGS Mit dieser Neuausrichtung des Dialogs schafft Philostrat eine ähnliche Gattungshybride wie Lukian mit seiner Erfindung des komödischen Dialogs. In drei Schriften (Bis Accusatus, Piscator, Prometheus es in verbis) reflektiert Lukian über die Form und Wirkungsabsicht seines ‚literarischen Kentauren‘57, wobei die Hybridi55 Müller (1976) 132 zu Chariton. 56 Zu homerischen Zitaten in Chariton siehe Manuwald (2000) und Baumbach (2011 zum Bildungsdiskurs in Chariton). Aspekte der Verhandlung von Identität untersucht Whitmarsh (2009) 211–219: „[…] Heroicus engages its readers’ investment in urban elite Greek identity dynamically, provoking and teasing them, introducing counter-currents and tensions that enrich the construction of a Hellenic ideal.“ (219) 57 Vgl. zum komödischen Dialog Lukians ausführlich Baumbach/von Möllendorff (2017) 176– 209.

Epos und Erzählung in Philostrats episierendem Dialog Heroikos

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sierung des platonischen Dialogs besonders im Bis Accusatus thematisiert wird. Dort erhebt der personifizierte platonische Dialogos gegen einen namenlosen Syrer mit Verweis auf Platons Phaidros (246e4–5) folgende Anklage:58 Ἃ δὲ ἠδίκημαι καὶ περιύβρισμαι πρὸς τούτου, ταῦτά ἐστιν, ὅτι με σεμνὸν τέως ὄντα καὶ θεῶν τε πέρι καὶ φύσεως καὶ τῆς τῶν ὅλων περιόδου σκοπούμενον, ὑψηλὸν ἄνω που τῶν νεφῶν ἀεροβατοῦντα, ἔνθα ὁ μέγας ἐν οὐρανῷ Ζεὺς πτηνὸν ἅρμα ἐλαύνων φέρεται, κατασπάσας αὐτὸς ἤδη κατὰ τὴν ἁψῖδα πετάμενον καὶ ἀναβαίνοντα ὑπὲρ τὰ νῶτα τοῦ οὐρανοῦ καὶ τὰ πτερὰ συντρίψας ἰσοδίαιτον τοῖς πολλοῖς ἐποίησεν, καὶ τὸ μὲν τραγικὸν ἐκεῖνο καὶ σωφρονικὸν προσωπεῖον ἀφεῖλέ μου, κωμικὸν δὲ καὶ σατυρικὸν ἄλλο ἐπέθηκέ μοι καὶ μικροῦ δεῖν γελοῖον. εἶτά μοι εἰς τὸ αὐτὸ φέρων συγκαθεῖρξεν τὸ σκῶμμα καὶ τὸν ἴαμβον καὶ κυνισμὸν καὶ τὸν Εὔπολιν καὶ τὸν Ἀριστοφάνη, δεινοὺς ἄνδρας ἐπικερτομῆσαι τὰ σεμνὰ καὶ χλευάσαι τὰ ὀρθῶς ἔχοντα. τελευταῖον δὲ καὶ Μένιππόν τινα τῶν παλαιῶν κυνῶν μάλα ὑλακτικὸν ὡς δοκεῖ καὶ κάρχαρον ἀνορύξας, καὶ τοῦτον ἐπεισήγαγεν μοι φοβερόν τινα ὡς ἀληθῶς κύνα καὶ τὸ δῆγμα λαθραῖον, ὅσῳ καὶ γελῶν ἅμα ἔδακνεν. Was ich von dieser Person an Unrecht erlitten habe und wie er gegen mich gefrevelt hat, ist das Folgende: Er hat mich, der ich bis dahin ernsthaft war, über die Götter, die Natur und das Universum Nachforschungen anstellte und bereits hoch oben über den Wolken daherschritt, dort, wo sich der große Zeus im Himmel auf seinem geflügelten Wagen fortbewegt, in eben dem Moment, als ich über das Himmelsgewölbe flog und noch über das Gewölk hinaufstieg, hinabgezogen, mir die Flügel zerbrochen und mich dem einfachen Volk gleichgemacht; er nahm mir meine tragische und besonnene Maske ab und setzte mir eine andere, eine komische, satyrhafte und beinahe lächerliche auf. Dann sperrte er mich mit dem Spott, dem Jambus, dem Kynismus und mit Eupolis und Aristophanes zusammen – Menschen, die ganz groß darin sind, das Ehrwürdige zu verhöhnen und das, was richtig ist, zu verspotten. Schließlich grub er auch noch den Menipp aus, einen dieser alten Hunde, der viel bellt, wie es scheint, und scharfe Zähne hat. Er führte ihn mir zu – wahrlich ein fürchterlicher Hund und einer, der ganz plötzlich und schlimmer noch: lachend beißt!

Programmatisch wird für den komödischen Dialog eine Vermischung von formalen, stilistischen, inhaltlichen und wirkungsästhetischen Charakteristika aus zwei unterschiedlichen Gattungen veranschlagt, wobei es in der konkreten Ausgestaltung zu ganz unterschiedlichen Mischverhältnissen der jeweiligen Formelemente kommen kann, die zu erkennen und zu bewerten den Figuren und Rezipienten obliegt. Der kreative Umgang mit der literarischen Tradition durch das Erfinden neuer Formen ist bei Lukian ein wichtiger Teil des Bildungsdiskurses seiner Zeit und stellt für die Rezipienten seiner Schriften sowohl eine Herausforderung wie einen Anreiz dar, ihre aus tradierten und kanonisierten Texten gewonnene Bildung zu überprüfen und neuartige ästhetische Zugriffe zu versuchen. Eine ähnliche Wirkungsintention scheint der Heroikos zu verfolgen, wobei die möglichen Anleihen an lukianische Werke – vgl. vor allem die Parallelen zu den Wahren Geschichten in der Beschreibung Achills auf der Insel im Schwarzen Meer (54,12) und beim Angriff der Amazone, den der Heros zurückschlägt (57,13– 17)59 – auf eine kreative Fortführung des lukianischen Programms der Erzeugung 58 Bis Acc. 33. Übers. Baumbach/von Möllendorff (2017) 179. 59 Hierzu Grossardt (2006) 765 und Rusten/König (2014) 67: „The vinedresser’s story adapts Lucian’s Isles of the Blessed in the true history in making Achilles and Helen sing the verses

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Manuel Baumbach

literarischer Kentauren auf der Basis des platonischen Dialogs schließen lassen. Für eine direkte Auseinandersetzung mit Lukians Konzept des komödischen Dialogs spricht auch der Beginn des Heroikos, wo es nach den zahlreichen intertextuellen Verweisen auf Platon und besonders den Phaidros in Kapiteln 1 und 3 zu einer Passage kommt, die genau in dem Moment, in dem der Winzer von seiner geänderten Lebensweise spricht, mehrere Bezüge zu Aristophanes aufweist:60 ὅθεν διφθέραν τε ἐναρμοσάμενος καὶ σμινύην φέρων καὶ οὐδὲ τὴν ἐς ἄστυ ὁδὸν ἔτι γινώσκων, βρύει μοι τὰ ἐν τῷ ἀγρῷ πάντα, κἂν νοσήσῃ προβάτιον ἢ σμῆνος ἢ δένδρον, ἰατρῷ χρῶμαι τῷ Πρωτεσίλεῳꞏ Daher passte ich mir ein Lederkleid an, nahm eine Hacke und vergass den Weg in die Stadt. Alles strotzt nun auf meinem Landgut, und wenn ein Schaf krank wird, ein Bienenschwarm oder ein Baum, dann wende ich mich an Protesilaos als Arzt.

Der Winzer, der am Beginn des Dialogs zusammen mit dem Kaufmann platonisch und – um in den Worten des lukianischen Dialogos im Bis Accusatus zu sprechen – ‚ernsthaft über die Götter, die Natur und das Universum‘ gesprochen hatte, ändert auf der Erzählebene nicht nur seine Lebens-, sondern auch seine Sprechweise, indem er mit den Worten des Strepsiades auf drei Passagen aus den Wolken des Aristophanes anspielt: διφθέραν τε ἐναρμοσάμενος verweist auf den Beginn der Wolken, wo Strepsiades seinen Sohn zur Landwirtschaft ermahnt (Nubes 72), καὶ σμινύην φέρων ist ein Zitat vom Ende der Komödie, als Strepsiades den Xanthias zum Zerstören von Sokrates’ Phrontisterion auffordert (Nubes 1486), und die Wendung βρύει μοι τὰ ἐν τῷ ἀγρῷ πάντα, κἂν νοσήσῃ προβάτιον ἢ σμῆνος ἢ δένδρον ist eine Anleihe an Strepsiades’ Lob der Landarbeit in Nubes 45.61 Genau in dem Moment, in dem der Winzer im Dialog mit dem Kaufmann den Eintritt in sein neues Leben beschreibt und damit am Beginn des Erfahrens und Erzählens von Protesilaos’ Wirken steht, hat der Heroikos die lukianischen Anforderungen an einen komödischen Dialog zumindest formal durch die Vermischung von platonischem Dialog und aristophanischer Komödie erfüllt und sich wie Lukian eben der Anklage aus dem Bis Accusatus schuldig gemacht, die interessanterweise auch mit einer Anleihe an die Wolken formuliert war: Das Verb ἀεροβατεῖν ist zuerst bei Aristophanes belegt und dort gleich zweimal (Vers 225 und 1503) gebraucht.62 Abgesehen von dem möglichen Hinweis auf die komischen oder ironischen63 Un-

60 61 62 63

of Homer in an endless symposium […].“ Zu Lukians eigenem Umgang mit der literarischen Tradition in den Wahren Geschichten vgl. Möllendorff (2000). Zu weiteren Bezügen zwischen dem Heroikos und Lukians Werken siehe Jones (1986) 35–37, Rusten/König (2014) 43–45 und die Verweise in Grossardt (2006) 808. 4,10. Vgl. Grossardt (2006) 364–365. Hierzu siehe Baumbach/von Möllendorff (2017) 181: „Damit bedient sich Dialogos – für einen pepaideuménos ersichtlich – der Komödiensprache und redet bereits so, wie man es von einem Komödischen Dialog erwartet.“ Vgl. hierzu Grossardt (2006) 16, der von einer „ironische[n] Distanzierung gegenüber dem eigenen Werk im Heroikos“ spricht und die Bezüge zur Schwindelliteratur herausstellt (ibid., 55–83).

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tertöne durch die aristophanische Anleihe für die folgenden Erzählungen im Heroikos, stellt sich Philostrat mit Blick auf die Hybridisierung des Dialogs in eine direkte Traditionslinie zu Lukians komödischem Dialog, um diesen – in kreativer Weiterführung der Idee eines literarischen Kentauren – gleich im Anschluss wieder zu verlassen64 und analog zu Lukian eine eigene Form des Dialogs zu kreieren: den episierenden Dialog, der dialogisch im Heroikos entsteht. Dass sich Philostrat in seiner Gattungshybride das (epische) Erzählen vom trojanischen Krieg als Thema des Heroikos und Ingredienz der neuen Mischform gewählt hat, könnte von dem möglichen Verlust des Epischen Kyklos im 3. Jahrhundert n. Chr. und der Zirkulation von Prosa-Epitomeen der kyklischen Epen65 sowie dem davon ausgehenden Interesse an Epen und Epyllien, die diese Lücke zu füllen suchten (vgl. Quintus Smyrnaeus’ Posthomerica oder Triphiodors Eroberung Trojas),66 beeinflusst sein. Der Heroikos wäre dann eine neue Form der Supplementierung des Trojamythos im prosaisch-dialogischen Erzählen und ein hybrides Formexperiment, dessen Programm einer umfassenden Darstellung der Ereignisse natürlich nicht in nur einem Dialog umfassend eingelöst werden kann. Daher ist der Schluss des Heroikos ein notwendig offener, der eine Fortsetzung des Dialogs (zwischen Winzer und Kaufmann) und damit des Erzählens im episierenden Dialog andeutet: Der Kaufmann möchte – vielleicht ein letzter rahmenbildender impliziter Verweis auf Platons Staat und den Mythos von Er – mehr von der Unterwelt erfahren, doch er wird vom Winzer auf den nächsten Tag, auf einen nächsten Dialog vertröstet. Damit stößt der Heroikos eine Erzähltradition an, die kreativ weiterzuführen seinen externen Rezipienten obliegt.  

64 Vgl. zu in die Irre führenden (intertextuellen) Spuren im Heroikos Hodkinson (2011) 40: „[…] it is playful and shifting, deceiving the reader with misleading clues and generic ‘disguises’; it also hints at this nature, by warning the reader to be on the alert for disguises and deceptive appearances in the remainder of the text.“ 65 Vgl. hierzu West (2015). 66 Siehe Bär/Baumbach (2015).

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Epos und Erzählung in Philostrats episierendem Dialog Heroikos

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V. STRATEGIEN UND FUNKTIONEN DIALOGÜBERGREIFENDER ERZÄHLUNGEN

NARRATIVE KONSTRUKTIONEN EINER GESCHICHTE DER RÖMISCHEN PHILOSOPHIE IN CICEROS DIALOGEN Gernot Michael Müller I. Zu Beginn seines Dialogs De legibus, entstanden als letzte der in seiner ersten philosophischen Schaffensperiode in den 50er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. verfassten Trias im weiteren Sinne staatsphilosophischer Schriften,1 sieht sich Ciceros persona der von Atticus formulierten Aufforderung ausgesetzt, ein Geschichtswerk zu verfassen und damit ein Projekt in Angriff zu nehmen, das nach ihrer Beobachtung allenthalben von ihr erwartet werde.2 Bekanntlich lässt Marcus 1

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Grundlegend zur Datierung von De legibus s. Schmidt (1959) 455–465, Rawson (1973) 335– 338 und Gawlick/Görler (1994) 1035–1036 (mit konziser Inhaltsangabe); ausführlich zu Datierung und Überlieferung des von Cicero zeit seines Lebens nicht veröffentlichten Werks s. Dyck (2004) 5–12; zur Rahmenhandlung unweit von Ciceros Geburtsort Arpinum s. ebd., 55– 56, Schmidt (1959) 140–143, Rawson (1973) 338–340 (mit Verweisen auf die hier nicht aufgelistete ältere Literatur) und Atkins (2013) 156–158; zu ihren motivischen Beziehungen zu Platons Phaidros s. Eigler (1996) 139–141, für eine subtile Lektüre des Einleitungsgesprächs bis zur hier thematisierten Aufforderung Atticus’ an Cicero, ein Geschichtswerk zu verfassen, s. Krebs (2009) und ferner Marchese (2011) 152–155. Cic. leg. 1,5–6: [Atticus:] Postulatur a te iamdiu, vel flagitatur potius, historia; sic enim putant, te illam tractante effici posse ut in hoc etiam genere Graeciae nihil cedamus. Atque ut audias quid ego ipse sentiam, non solum mihi videris eorum studiis qui tuis litteris delectantur, sed etiam patriae debere hoc munus, ut ea quae salva per te est, per te eundem sit ornata. Abest enim historia litteris nostris, ut et ipse intellego et ex te persaepe audio: potes autem tu profecto satis facere in ea, quippe cum sit opus (ut tibi quidem videri solet) unum hoc oratorium maxime. Quamobrem aggredere, quaesumus, et sume ad hanc rem tempus, quae est a nostris hominibus adhuc aut ignorata aut relicta. – „Schon lange fordert man, mehr noch: verlangt man dringend von dir ein Geschichtswerk. Denn so meint man: Wenn du ein solches in die Hand nimmst, wird es gelingen, dass wir auch in dieser Gattung Griechenland in nichts mehr nachstehen. Und damit du hörst, was meine eigene Meinung dazu ist: Mir scheint es, dass du diese Pflicht nicht nur den Interessen derjenigen, die sich an deinen literarischen Werken erfreuen, sondern auch dem Vaterland schuldest, damit es, wie es von dir gerettet wurde, von dir auch geehrt wird. Denn die Geschichtsschreibung fehlt noch in unserer Literatur. Ich selbst nehme das so wahr und auch von dir höre ich es oft. Tatsächlich kannst aber du dieser gerecht werden, da es sich dabei um ein literarisches Projekt handelt, das am meisten von allen als ein rhetorisches anzusehen ist, wie gerade du normalerweise selbst meinst. Daher mach dich bitte an die Arbeit und nimm dir die Zeit für diese Angelegenheit, die von unseren Mitmenschen bislang entweder noch nicht zur Kenntnis genommen oder ver-

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durchblicken, dass er sich dieser Erwartung an ihn durchaus bewusst ist und dass er eigentlich auch nicht abgeneigt wäre, dieser gerecht zu werden. Wenn er ihr bislang nicht habe entsprechen können und auch jetzt gegenüber seinem Freund nicht entsprechen werde, so deshalb, weil ihm die nötige Muße für die Abfassung eines Geschichtswerks fehle, obwohl er gehofft habe, dass ihm diese nach Absolvierung seines Konsulats wie seit alters her üblich zur Verfügung stehen würde.3 Jedoch würden die aktuellen politischen Entwicklungen seine fortdauernde Präsenz im Staat erfordern und ihm also den verdienten Rückzug verwehren.4 Auch den schmeichelnden Einwand seines Freundes, dass er das Zeitargument nicht gelten lassen könne, wenn er sich Marcus’ unvergleichliche schriftstellerische Produktivität vergegenwärtige, weist dieser von sich. Denn für die Abfassung eines Geschichtswerks hält er ein umfangreicheres Zeitbudget für erforderlich als für jene von Atticus angeführten Werke, die sich gerne in einer Serie von kurzen Phasen der Muße abfassen ließen.5 Dass Marcus die Geschichtsschreibung auf

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nachlässigt worden ist“ (Zitate aus De legibus folgen der Ausgabe von Powell [2006], die Übersetzungen stammen vom Autor). Für einen Überblick über den Inhalt des gesamten Wortwechsels über ein potenzielles Geschichtswerk aus der Feder Ciceros s. Schmidt (1959) 143–147, Dyck (2004) 70–71 und Fox (2007) 141–144. Zu Atticus’ Modellierung als Ciceros priviligierten Gesprächspartners im Hinblick auf literarische Themen s. Gildenhard (2013) 249. Zur Geschichtsschreibung als einziger literarischer Aktivität, die sich traditionell mit dem Rang einer politischen Führungspersönlichkeit vereinbaren ließ, s. etwa Gildenhard (2013) 241. Vgl. die Bemerkung der Cicero-Figur in leg. 1,10, dass die Geschichtschreibung ein munus senectutis sei (s. das Zitat in Anm. 5); vgl. hierzu Dolganov (2008) 27–28. Vgl. Gildenhard (2013) 250–251. Cic. leg. 1,8–10: [Marcus:] Intellego equidem a me istum laborem iamdiu postulari, Attice; quem non recusarem, si mihi ullum tribueretur vacuum tempus et liberum. Neque enim occupata opera neque impedito animo res tanta suscipi potest; utrumque opus est, et cura vacare et negotio. [Atticus:] Quid ad cetera, quae scripsisti plura quam quisquam e nostris, quod tibi tandem tempus vacuum fuit concessum? [Marcus:] Subsiciva quaedam tempora incurrunt, quae ego perire non patior; ut si qui dies ad rusticandum dati sint, ad eorum numerum adcommodentur, quae scribimus. Historia vero nec institui potest nisi praeparato otio, nec exiguo tempore absolvi. Et ego animi pendere soleo, cum semel quid orsus traducor alio; neque tam facile interrupta contexo quam absolvo instituta. [Atticus:] Legationem aliquam nimirum ista oratio postulat, aut eiusmodi quampiam cessationem liberam atque otiosam. [Marcus:] Ego vero aetatis potius vacationi confidebam; cum praesertim non recusarem quominus more patrio sedens in solio consulentibus responderem, senectutisque non inertis grato atque honesto fungerer munere. Sic enim mihi liceret et isti rei quam desideras, et multis uberioribus atque maioribus operae quantum vellem dare. – „[Marcus:] ‚Ich nehme durchaus wahr, Atticus, dass diese Aufgabe schon lange von mir verlangt wird. Ich würde sie nicht von mir weisen, wenn mir nur ein ganz kleines bisschen an freier und ungebundener Zeit hierfür gewährt wäre. Denn wenn man mit einer Tätigkeit in Anspruch genommen wird oder der Geist beschäftigt ist, kann man sich einer so großen Sache nicht annehmen. Beides ist hierfür nötig: das Freisein von Sorgen und von Geschäften.‘ [Atticus:] ‚Was ist mit deinen übrigen Schriften, von denen du mehr als irgendeiner von den unsrigen geschrieben hast? Welche Freizeit war dir denn eigentlich dafür vergönnt?‘ [Marcus:] ‚Gewisse Zeitfenster fallen einfach ab, die zu vergeuden ich nicht ertrage. Sobald mir einige Tage für einen Landurlaub gewährt werden, passe ich mein Schreibpensum an deren Zahl an. Ein Geschichtswerk aber kann man sich weder vornehmen, ohne sich die freie Zeit hierfür zu reservieren, noch kann man es in kurzer

Narrative Konstruktionen einer Geschichte der römischen Philosophie

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diese Weise als besonders herausfordernd markiert, mag zu einem guten Teil an der literaturgeschichtlichen Bedeutung liegen, die Atticus dem von seinem Freund erwarteten Projekt zuweist. Denn Marcus allein scheint von ihm und der römischen Leserschaft insgesamt als fähig dazu angesehen zu werden, die Aufarbeitung der römischen Geschichte in einer solchen literarischen Qualität zu leisten, dass sie mit der griechischen Geschichtsschreibung konkurrieren, mehr noch: dass man überhaupt erstmals von der Existenz einer römischen Historiographie sprechen könne.6 Marcus muss sich somit einer Anforderung erwehren, der Atticus eine gleichsam kulturpolitische Relevanz zumisst.7 Was von ihm erwartet wird, ist nicht weniger als die Etablierung einer literarischen Gattung, die laut seinem Freund im Kanon römischer Literatur bis dahin noch nicht wahrnehmbar ist.8 Mit dieser Einschätzung greift Atticus zu Beginn des Dialogs De legibus eine Sichtweise auf, die bereits in der Diskussion des zweiten Buchs von De oratore zutage getreten ist.9 Dort war es Catulus, der Antonius zu einem ausladenden Exkurs über die Geschichtsschreibung mit der Einschätzung herausgefordert hatte, dass angesichts der Meisterwerke der griechischen Geschichtsschreibung von der Existenz eines

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Zeit fertigstellen. Und mich lässt es im Geist gewöhnlich nicht mehr los, wenn ich einmal Begonnenes auf ein andermal verschiebe. Ich knüpfe auch nicht so leicht an einmal Unterbrochenes wieder an wie ich etwas mir einmal Vorgenommens vollende.‘ [Atticus:] ‚Deine Ausführungen fordern ohne Zweifel eine Art Legatenstelle oder irgendeine derartige Möglichkeit des Rückzugs, der Ruhe und der Freizeit.‘ [Marcus:] ‚Ich habe eigentlich eher auf die Freizeit meines Alters gebaut, zumal ich es nicht abschlagen würde, Ratsuchenden nach alter Väter Sitte im Sessel sitzend zu antworten und der angenehmen und ehrenwerten Pflicht eines durchaus beschäftigten Alters nachzukommen. Auf diese Weise wäre es mir nämlich erlaubt, mich sowohl mit dieser Sache da, die du verlangst, als auch mit vielen noch ausführlicheren und größeren zu beschäftigen, so viel ich wollte.‘“ Zur Funktion dieses Wortwechsels als recusatio und deren Gründe, nämlich einmal, dass ein Geschichtswerk für Cicero in den 50er Jahren keinen politischen Nutzen gebracht hätte, sowie zweitens, dass er hierdurch seine philosophischen Dialoge zu einer literarischen Aktivität mit vergleichbarer Würde und auctoritas modelliert, s. Dolganov (2008) 28–30. Atticus zeichnet in seinem kurzen Rückblick auf die Geschichte der römischen Geschichtsschreibung seit Fabius Pictor in leg. 1,6–7 ein deplorables Bild von deren stilistischer Qualität. Er formuliert seine Kritik folglich ganz aus rhetorischer Perspektive; vgl. Dyck (2004) 71, 74–82 ad loc. Allerdings fokussiert Atticus auch auf das soziale Prestige, über das der Historiker in Rom verfügen müsse und das Cicero ebenso zu eigen sei. Er verfügt in seinen Augen somit über beide Aspekte, die gegeben sein müssten, um die römische Geschichtsschreibung auf das Niveau der griechischen zu heben: über soziales Prestige und rhetorische Kompetenz; vgl. Gildenhard (2013) 250. Dass Atticus’ Forderung an Marcus, ein Geschichtswerk zu verfassen, Teil eines grunsätzlicheren Diskurses über literarische Gattung in der Einleitung von leg. 1 ist, legt Dolganov (2008) 30–35 dar. S. hierzu nochmals Cic. leg. 1,5–6 (Zitat in Anm. 2). Cic. de orat. 2,51–64a. Zu diesem Abschnitt s. die Lektüre von Feldherr (2003) 196–203, Fox (2007) 141–143 und Gildenhard (2013) 242–245. Zum Zusammenhang der beiden Passagen s. Dyck (2004) 73–74 ad loc., Fox (2007) 141, Krebs (2009) 100–101 (freilich mit Bezug auf den Abschnitt leg. 1,5, der der Aufforderung an die Cicero-Figur, ein Geschichtswerk zu schreiben, unmittelbar vorangeht), 103–104 und Gildenhard (2013) 249–250.

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ernstzunehmenden römischen Pendants überhaupt nicht die Rede sein könne, weil den überlieferten Beispielen der Annalistik jeder literarische Wert – und das meint im thematischen Kontext: jede rhetorische Qualität ‒ abzusprechen sei.10 Antonius kann für diesen Befund historische Gründe angeben und er lässt auf diese Weise profundes Wissen über Entwicklung und Autoren sowohl der römischen Geschichtsschreibung seit Fabius Pictor als auch der griechischen Gegenseite durchblicken.11 So sei es aus den Entstehungsbedingungen der römischen Historiographie im Horizont der Priesterannalen, einfachen Aufzeichnungen kultisch und im weiteren Sinne historisch relevanter Daten, durchaus erklärbar, weshalb diese eine stilistische Sprödigkeit ausgebildet und gleichsam als traditionsstiftendes Merkmal beibehalten habe. Bei der von Catulus als Bewertungsmaßstab eingeführten griechischen Geschichtsschreibung erkennt er allerdings keine grundsätzlich anderen Ursprünge: Auch ihre Meisterwerke seien Ergebnis einer steten Entwicklung aus stilistisch unbedeutenden Anfängen.12 Ursache dafür, dass 10 Cic. de orat. 2,51: „Age vero“ inquit Antonius „qualis oratoris et quanti hominis in dicendo putas esse historiam scribere?“ „si ut Graeci scripserunt, summi“, inquit Catulus; „si ut nostri, nihil opus est oratore; satis est non esse mendacem.“ – „‚Also weiter‘, sagte Antonius, ‚was für ein Redner ist notwendig und von welcher Redegewandtheit muss ein Mensch deiner Meinung nach sein, um Geschichte zu schreiben?‘ ,Wenn in der Art, wie sie die Griechen geschrieben haben, der bedeutendste‘, erwiderte Catulus, ‚wenn in der Art unserer Landsleute, braucht man überhaupt keinen Redner; es reicht dann, nicht zu lügen‘“ (Zitate aus De oratore folgen der Ausgabe von Kumaniecki [1995], die Übersetzungen stammen von Nüßlein [2007] und wurden vom Autor dieses Beitrags gelegentlich überarbeitet). 11 Für den gesamten Abschnitt s. die dichte Kommentierung in Leeman/Pinkster/Nelson (1985) 248–269. 12 Cic. de orat. 2,51–53: „Atqui ne nostros contemnas“ inquit Antonius „Graeci quoque ipsi sic initio scriptitarunt, ut noster Cato, ut Pictor, ut Piso. erat enim historia nihil aliud nisi annalium confectio, cuius rei memoriaeque publicae retinendae causa ab initio rerum Romanarum usque ad P. Mucium pontificem maximum res omnis singulorum annorum mandabat litteris pontifex maximus efferebatque in album et proponebat tabulam domi, potestas ut esset populo cognoscendi: ii qui etiam nunc annales maximi nominantur. hanc similitudinem scribendi multi secuti sunt, qui sine ullis ornamentis monumenta solum temporum hominum locorum gestarumque rerum reliquerunt. itaque qualis apud Graecos Pherecydes, Hellanicus, Acusilas fuit aliique permulti, talis noster Cato et Pictor et Piso, qui neque tenent quibus rebus ornetur oratio – modo enim huc ista sunt importata – et dum intellegatur quid dicant, unam dicendi laudem putant esse brevitatem.“ – „‚Damit du aber nicht unsere Landsleute verachtest‘, sagte Antonius, ‚auch die Griechen selbst haben anfangs so geschrieben wie unser Cato, wie Pictor, wie Piso. Geschichtsschreibung war nämlich nichts anderes als das Verfassen von Jahrbüchern; zu diesem Zweck und um die Erinnerung an öffentliche Angelegenheiten zu bewahren, hielt vom Beginn der römischen Geschichte bis zum Oberpriester Publius Mucius der Oberpriester alle Ereignisse der einzelnen Jahre schriftlich fest, übertrug sie auf eine weiße Tafel und stellte diese an seinem Haus auf, damit das Volk die Möglichkeit hatte, Einsicht zu nehmen; es sind die Jahrbücher, die auch jetzt noch Haupt-Jahrbücher heißen. Einer ähnlichen Art von Niederschrift folgten viele; sie hinterließen ohne irgendwelche Ausschmückungen nur Erinnerungen an Zeiten, Menschen, Orte, Ereignisse. Von welcher Art also bei den Griechen Pherekydes, Hellanikos, Akusilaos und sehr viele andere waren, von der gleichen Art sind unser Cato, Pictor und Piso; sie beherrschen nicht die Mittel, mit denen man eine Rede ausschmückt – diese wurden nämlich erst kürzlich hier eingeführt – und sie glauben, der einzige Vorzug der Rede sei die Kürze, Hauptsache, man versteht, was sie sagen.‘“

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sich von diesen an das Niveau der griechischen Historiographie stetig erhöht habe, sei die Tatsache, dass sich rhetorisch gebildete Personen dieser angenommen hätten, während rednerische Kompetenz in Rom bislang auf Prozesswesen und Politik beschränkt bliebe.13 Auch wenn Antonius daraus keine explizite Forderung mehr entwickelt, ergibt sich aus seinen Ausführungen immerhin die implizite Aussage, dass sich auch die römische Geschichtsschreibung optimieren ließe, wenn sie gleichermaßen wie die griechische von in der Redekunst geschulten Autoren gepflegt würde. Die Diskussion in De oratore über Niveau und Entwicklungsmöglichkeit der Geschichtsschreibung weist darauf hin, dass Cicero die Gesprächsgemeinschaften seiner Dialoge neben der Diskussion theoretischer Sachverhalte auch deren kulturgeschichtliche Implikationen oder ganz allgemein das kulturelle Niveau Roms in ihrer Gegenwart ausloten lässt, und dies stets mit Blick auf Griechenland, das als Messlatte und Vergleichsmarke zur Bestimmung des spezifischen heimischen Entwicklungsbedarfs herangezogen wird. Vor diesem Hintergrund zielt die Gesprächshandlung von De oratore nicht nur auf eine Theorie der Rhetorik und den Entwurf des besten Redners, sondern auch auf die grundsätzliche Fortentwicklung der römischen Geisteskultur, die vorrangig die Redekunst, daneben aber auch angrenzende Bereiche wie die Geschichtsschreibung im Blick hat. Das einleitende Gespräch von De legibus knüpft hier an und führt beispielhaft vor, wie konsequent Cicero seine Dialogszenarien aufeinander abgestimmt hat. Denn Atticus’ Drängen lässt sich im Licht von De oratore als Aufforderung an Marcus Cicero verstehen, dem dort von Catulus konstatierten und von ihm in gleicher Weise benannten deplorablen stilistischen Zustand der römischen Geschichtsschreibung endgültig abzuhelfen, weil er in besonderem Maße über die von Antonius dafür benannten Voraussetzungen verfügt, nämlich über ausgewiesene Kompetenz in der Redekunst und die Bereitschaft, diese nicht nur auf dem Forum, sondern auch im Rahmen literarischer Betätigung unter Beweis zu stellen.14 Für einen ersten Überblick über das Entstehen der römischen Geschichtsschreibung und ihre Entwicklung bis ins 1. Jh. v. Chr. s. Mehl (2001) 38–65; s. auch Walter (2004) 212–373 zur römischen Geschichtsschreibung bis in die späte Republik und ihrem Beitrag zur römischen Memorialkultur. 13 Cic. de orat. 2,55: „Minime mirum“, inquit Antonius, „si ista res adhuc nostra lingua inlustrata non est. Nemo enim studet eloquentiae nostrorum hominum, nisi ut in causis atque ut in foro eluceat; apud Graecos autem eloquentissimi homines, remoti a causis forensibus, cum ad ceteras res inlustris tum ad historiam scribendam maxime se applicaverunt.“ – „‚Es ist überhaupt nicht verwunderlich‘, entgegnete Antonius, ‚wenn dieser Gegenstand bis heute in unserer Sprache nicht ins rechte Licht gerückt wurde. Keiner nämlich von unseren Landsleuten strebt nach Beredsamkeit, außer um in Prozessen und auf dem Forum zu glänzen; bei den Griechen aber wandten sich die redegewandtesten Männer auch weit entrückt von den öffentlichen Auseinandersetzungen den übrigen bedeutenden Gegenständen und ganz besonders der Gechichtsschreibung zu.‘“ Vgl. hierzu Feldherr (2003) 202–203, der treffend davon spricht, dass Cicero hier römische Geschichtschreibung erstmals als eine literarische Gattung konzipiert. 14 Vgl. Gildenhard (2013) 245. Die Bezüge zwischen den beiden Werken gehen sogar noch weiter, wenn die Cicero-Figur von De legibus ihre Absage an Atticus’ Bitte mit dem hohen

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Die literaturgeschichtlichen Ausblicke in beiden Gesprächshandlungen verknüpfen sich somit zu einem Narrativ, das in De legibus auf die Cicero-Figur zuläuft. Nachdem die Dialogforschung schon vor längerem den performativen Charakter literarischer Dialoge konstatiert und hierdurch den Geschehenscharakter der in diesen inszenierten Gespräche herausgearbeitet hat,15 eröffnet sich hier ein dazu komplementäres narratives Potenzial literarischer Dialoge, das werkübergreifend angelegt ist. Dieser Strategie werkübergreifender Verknüpfung ist in Ciceros Gesprächshandlungen noch eine weitere narrative Ebene an die Seite zu stellen. Diese ist den Dialogfiguren selbst überantwortet, indem sie gelegentlich zu unterschiedlich ausführlichen Erzählungen greifen. Im Folgenden soll nach ihrem Beitrag für die Realisierung der soeben am Beispiel der Geschichtsschreibung skizzierten kulturgeschichtlichen Dimension sowie für die kulturelle Selbstbeschreibung der in ihnen auftretenden römischen Bildungselite gefragt werden. Ihr Fokus liegt dabei entsprechend der inhaltlichen Hauptausrichtung von Ciceros Dialogen auf Rahmenbedingungen und Beweggründen für ihre Bereitschaft, sich auf die griechische Philosophie einzulassen, sowie den Ansprüchen und Zielsetzungen, die sie bei ihrer Übernahme und Weiterentwicklung leiten. Hierzu sollen in einem ersten Kapitel Ciceros frühe Dialoge De oratore und De re publica in den Blick genommen werden, um anhand exemplarischer Passagen darzulegen, wie narrative Einlagen ihrer Hauptredner dem Anliegen der beiden Gesprächshandlungen zuarbeiten, als wichtige Wegmarken bei der Konstitution einer spezifischen römischen Philosophie lesbar zu sein. In einem weiteren Kapitel soll das Augenmerk sodann auf Ciceros Spätwerk gerichtet und ebenfalls in Auswahl aufgezeigt werden, dass in ihm erzählende Ausblicke der Dialogfiguren und insbesondere jener des Autors selbst in sinnfälliger Ergänzung der frühen Dialoge dazu dienen, die persönlichen und kulturellen Kontexte und Verständnisbedingungen der in ihnen inszenierten philosophischen Erörterungen zu klären. Ergebnis wird sein, dass jene Erzählungen Ciceros Bestreben signifikant unterstützen, in seinen Dialogen werkübergreifend eine Kulturgeschichte von Entstehen und Etablierung eines philosophischen Diskurses in Rom zu inszenieren, die zu Ciceros Lebzeiten auf ihn selbst als seinen führenden Akteur zuläuft.16 Somit wird sich abschließend festhalten lassen, dass Cicero das von seiner Dialogfigur in Anspruch begründet, den ein Geschichtswerk an seinen Verfasser stellt (leg. 1,8–10, vgl. das Zitat oben in Anm. 5), und damit auf einer Linie mit dem Antonius von De oratore liegt, der die Geschichtsschreibung in de orat. 2,62–64a als eine besonders herausfordernde, ja vielleicht sogar als die schwierigste Gattung für den Redner bezeichnet. Somit gründen Atticus’ Aufforderung und Ciceros Weigerung, dieser nachzukommen, gleichermaßen auf Argumenten, die Antonius in seinem Exkurs über die Geschichtsschreibung gleichsam vorformuliert hat. 15 Zur Performativität von Dialogen s. Hempfer u. a. (2001) sowie Häsner (2002) und (2004). 16 Für eine allgemeine Typologie des ciceronianischen Dialogs immer noch einschlägig Becker (1938); s. auch grundlegend Steel (2005) 21–48 (zum literarischen Dialog im Horizont von Ciceros Gesamtwerk) und 83–114 (im Hinblick auf seine Netzwerke und deren Verhältnis zu den Gesprächsgemeinschaften seiner Dialoge) sowie Schofield (2008) 63–84.

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De legibus geforderte Geschichtswerk zwar nicht geschrieben, er seinen Dialogen aber mehrere Ebenen eingewoben hat, die ihre Gesprächshandlungen zu einem historischen Narrativ verbinden, das nicht zuletzt den traditionellen Postulaten römischer Geschichtsschreibung gerecht wird.17 II. In Ciceros Dialogen offenbaren die Figuren nicht nur ein waches Bewusstsein für die kulturelle Situation ihrer Gegenwart, indem sie wie im eingangs skizzierten Fall der Geschichtsschreibung deren historische Hintergründe reflektieren und dadurch gleichsam nebenbei ein entsprechendes Wissen zu erkennen geben, sondern auch, indem sie von einschlägigen eigenen Erfahrungen oder Erlebnissen berichten. In De oratore sind es einmal mehr der bereits erwähnte Antonius sowie der zweite Hauptredner neben ihm, Crassus, die hierfür aussagekräftige Beispiele bilden.18 Ihre Erzählungen beziehen sich dabei auf den Kulturkontakt mit dem intellektuellen Leben Griechenlands, das beide aus eigener Anschauung kennengelernt haben wollen. Crassus’ Erzählung von seiner persönlichen Anschauung der in Athen geführten Diskussionen über Rhetorik, die in De oratore das erste Beispiel solcher Erfahrungsberichte markiert, erwächst aus einem Verweis Scaevolas auf einschlägige Namen der griechischen Philosophie- und Geistesgeschichte, mit deren Hilfe er Crassus’ Behauptung den Wind aus den Segeln nehmen will, der Redner müsse neben einer soliden rhetorischen Ausbildung auch in allen Wissenschaften versiert sein. Denn diese hätten übereinstimmend einer solchen Auffassung nicht entsprochen.19 Diesen Einwand weiß Crassus aus eigener Erfahrung zu bestätigen, weil er während seiner Zeit als Quaestor in Makedonien Gelegenheit gehabt habe, an den Diskussionen der führenden Gelehrten Athens teilzunehmen.20 Den Rückblick auf 17 Im Hinblick auf das Verhältnis von Ciceros Dialogen zur Geschichtschreibung konzentriert sich die Forschung bislang vor allem auf die Behandlung von Geschichte in diesen; vgl. inter alios den älteren Überblick von Hallward (1931) und insb. mit Blick auf Ciceros akademischen Skeptizismus Fox (2007). Feldherr (2003) 204–212 zeigt auf, wie Cicero in Scipios Ausführungen über den Ursprung Roms in De re publica die in De oratore von Antonius formulierten Ansprüche an gute Geschichtsschreibung umsetzt. Rawson (1972) rückt Ciceros historisches Interesse, das sich in seinen Dialogen artikuliert, in die Nähe des im 1. Jh. v. Chr. aufblühenden Antiquarianismus. Für eine Lektüre der Dialoge als alternatives Mittel für Cicero, sich als Akteur in die römische Geschichte einzuschreiben, und den in seiner Biographie liegenden Gründen, das er kein historisches Werk verfasst hat, s. Steel (2005) 41–42 und Gildenhard (2013) 241–242. 18 Zur Gestaltung der beiden Hauptredner von De oratore und ihrem Verhältnis zu ihren historischen Namengebern s. Meyer (1970) 24–135, Fantham (2004) 26–48 und Sedlmeyr (2021) 39‒90. 19 Cic. de orat. 1,41–44. Zum Usus, dass sich Ciceros Dialogfiguren erst auf Anfrage oder Aufforderung eines anderen Gesprächspartners äußern, s. G. M. Müller (2020) 89–92. 20 Cic. de orat. 1,45: Tum ille [sc. Crassus], „non sum“, inquit, „nescius, Scaevola, ista inter Graecos dici et disceptari solere. audivi enim summos homines, cum quaestor ex Macedonia

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die Frühzeit seiner politischen Karriere nimmt er daraufhin zum Anlass, die damals gewonnenen Einblicke an seine Lektüre entsprechender älterer Positionen zurückzubinden, um vor Abschluss seines Redebeitrags nochmals kurz auf seine Erlebnisse zurückzukommen.21 Crassus’ biographische Erzählung über seine Erfahrungen in Athen bildet somit eine Klammer um seinen Rekurs auf die aus Griechenland überlieferten Schriften über die diskutierte Frage, der an Scaevolas kurzes Referat davor anknüpft. Dem von diesem in die Debatte eingebrachten Kompetenzreservoir Lektüre stellt er somit ‒ kompositorisch prominent platziert ‒ jenes der persönlichen Erfahrung an die Seite. Aber auch Scaevola kann nach Crassus’ Beitrag auf entsprechende persönliche Erlebnisse mit griechischen Gelehrten verweisen.22 Schließlich folgt Antonius, der am ausführlichsten von persönlichen Erfahrungen erzählt, die er mit den griechischen Diskussionen um die zur Debatte stehende Frage nach dem erforderlichen Bildungsgrad des Redners gemacht haben will. Dabei nimmt er wohl nur deswegen keinen Bezug auf die ältere Diskurstradition, weil er über den gesamten Dialog hinweg den Eindruck erwecken will, die Schriften der griechischen Theorie nie zur Kenntnis genommen zu haben.23 venissem Athenas florente Academia, ut temporibus illis ferebatur, cum eam Charmadas et Clitomachus et Aeschines optinebant […].“ – „Darauf erwiderte jener: ‚Ich weiß sehr wohl, mein Scaevola, dass diese Auffassung gewöhnlich bei den Griechen geäußert und erörtert wird. Ich hörte nämlich die bedeutendsten Männer, als ich als Quaestor aus Mazedonien nach Athen gekommen war. Damals stand die Akademie in Blüte, wie man zu jener Zeit behauptete, und Charmadas, Kleitomachos und Aischines leiteten sie.‘“ Vgl. zur Stelle auch G. M. Müller (2015) 286; zur Quaestorentätigkeit des historischen Crassus in Makedonien spätestens im Jahr 109 v. Chr. s. Leeman/Pinkster (1981) 137 ad loc. Grundsätzlich zu Kontakten zwischen römischen Aristokraten und griechischen Philosophen in deren Heimat s. Rawson (1985) 3–6, 10 und Jocelyn (1976/77) 337. 21 Cic. de orat. 1,45–57. 22 Ebd. 1,75: [Scaevola:] Atque, cum ego praetor Rhodum venissem et cum summo illo doctore istius disciplinae Apollonio ea, quae a Panaetio acceperam, contulissem, inrisit ille quidem, ut solebat, philosophiam atque contempsit multaque non tam graviter dixit quam facete. – „Als ich als Praetor nach Rhodos gekommen war und mit Apollonios, dem bedeutendsten Lehrer dieser Lehre da, das, was ich von Panaitios vernommen hatte, besprochen hatte, verspottete er wie gewöhnlich die Philosophie, setzte sie herab und sagte vieles weniger würdevoll als vielmehr witzig.“ Zu Scaevolas Besuch in Rhodos auf seiner Reise zu seiner Praetur in der Provinz Asia im Jahr 120 v. Chr. s. Leeman/Pinkster (1981) 166 ad loc. 23 Cic. de orat. 1,82: [Antonius:] Namque egomet, qui sero ac leviter Graecas litteras attigissem, tamen cum pro consule in Ciliciam proficiscens venissem Athenas, complures tum ibi dies sum propter navigandi difficultatem commoratus; sed, cum cotidie mecum haberem homines doctissimos – eos fere ipsos qui abs te modo sunt nominati, – cum hoc nescio quo modo apud eos increbruisset me in causis maioribus sicuti te solere versari, pro se quisque eorum quantum quisque poterat de officio et de ratione oratoris disputabat. – „Denn auch ich für meinen Teil, der ich mich erst spät und nicht ernsthaft mit der griechischen Literatur beschäftigt hatte, hielt mich dennoch mehrere Tage in Athen auf, als ich in der Zeit meines Prokonsulats auf dem Weg nach Kilikien dorthin gekommen war und es Schwierigkeiten mit der Weiterfahrt gab; jeden Tag hatte ich die gelehrtesten Männer um mich – meistens genau dieselben, die eben von dir genannt wurden – ; und da es sich bei ihnen irgendwie herumgesprochen hatte, dass ich mich ebenso wie du gewöhnlich mit wichtigen Rechtsfällen beschäftige,

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Die hier angeführten Erzählungen variieren zwischen langem Erfahrungsbericht im Falle des Antonius, skizzenhaftem Rückblick wie bei Crassus und ganz knapper Andeutung wie jener des Scaevola. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Verweise auf die schriftlichen Zeugnisse griechischer Philosophie ergänzen wollen, mit denen sie deswegen auch kompositorisch verschränkt sind. Die Diskussion, die bereits zu Beginn von De oratore auf die zentrale Frage zuläuft, ob der Redner neben rhetorischer Kompetenz umfassendes Wissen besitzen müsse, sucht ihre Klärung somit umgehend in der griechischen Tradition, die damit als Referenzpunkt für einen römischen Theoriediskurs erscheint, der noch keinen adäquaten eigenen Bezugsrahmen ausgebildet hat. Dass der eigenen Erfahrung der Dialogfiguren mit dieser eine so zentrale Bedeutung zukommt, hängt damit zusammen, dass es in De oratore nicht nur um die Konstitution einer römischen Theorie der Rhetorik als Reformulierung eines bereits als vollendet anerkannten griechischen Vorbilds geht, sondern wesentlich auch um eine dazu komplementäre Diskussionspraxis.24 In der Tat muss Crassus im ersten Buch von De oratore bekanntlich erst davon überzeugt werden, sich zusammen mit Antonius auf den Entwurf einer rhetorischen Theorie aus ihrer Sicht einzulassen.25 Die Gründe für sein Zögern deutet er unter anderem erneut durch eine kurze Erzählung an, die diesmal nicht auf eigener Erfahrung basiert, sondern an das Freizeitverhalten zweier für das kulturelle Gedächtnis Roms wichtiger Personen einer früheren Generation erinnert. Es handelt sich um Laelius und Scipio Africanus, über die er von seinem Schwiegervater erfahren haben will, dass sie die wenigen ihnen vergönnten Urlaubstage üblicherweise dazu genutzt hätten, sich ausgelassen dem Nichtstun hinzugeben.26 Es geht sprach jeder von ihnen für seinen Teil, so gut er es konnte, über die Aufgabe und die Theorie des Redners.“ Der Abschnitt reicht bis 1,93 und handelt vor allem von Antonius’ Konversationen mit dem Akademiker Charmadas. S. hierzu Leeman/Pinkster (1981) 171–173. Zum historischen Hintergrund von Antonius’ Aufenthalt in Athen während seines imperium proconsulare zur Bekämpfung der Seeräuber im Jahr 102 v. Chr. s. ebd., 175 ad loc. 24 Vgl. hierzu grundsätzlich Levine (1958) 146–147, Striker (1995), Zetzel (2003) 120–123 (mit Blick auf das Gesprächssetting von De oratore und seinen Platon-Bezug), Steel (2005) 106– 114 und Auvray-Assayas (2015) 131. 25 Vgl. G. M. Müller (2011) 41–45. 26 Cic. de orat. 2,22–24 (mit Auslassungen): [Crassus:] Saepe ex socero meo audivi, cum is diceret socerum suum Laelium semper fere cum Scipione solitum rusticari eosque incredibiliter repuerascere esse solitos, cum rus ex urbe tamquam e vinclis evolavissent. non audeo dicere de talibus viris, sed tamen ita solet narrare Scaevola conchas eos et umbilicos ad Caietam et ad Laurentum legere consuesse et ad omnem animi remissionem ludumque descendere […] mihi enim liber esse non videtur qui non aliquando nihil agit. in qua permaneo, Catule, sententia meque, cum huc veni, hoc ipsum nihil agere et plane cessare delectat. – „Oft hörte ich meinen Schwiegervater sagen, sein Schwiegervater Laelius habe sich gewöhnlich fast immer mit Scipio auf dem Land aufgehalten und sie seien dabei in unglaublicher Weise wieder zu Kindern geworden, wenn sie aus der Stadt wie aus einem Gefängnis aufs Land hinaus geeilt seien. Ich wage nicht, es von so bedeutenden Männern zu sagen, aber Scaevola pflegt es dennoch so zu erzählen: Es sei für sie üblich gewesen, Muscheln und Meerschnecken bei Caieta und Lavernium aufzusammeln und sich ganz auf Spiel und Entspannung einzulassen […] Mir scheint nämlich der nicht frei zu sein, der nicht hin und wieder

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in De oratore somit nicht nur um den Transfer griechischer Rhetorik nach Rom, sondern parallel dazu auch um die Verbindung zweier Erfahrungshorizonte, die durch entsprechende Erzählungen in den Gesprächsrahmen implementiert werden: die traditionelle Freizeitgestaltung römischer Aristokraten und die Bekanntschaft mit der gelehrten Gesprächskultur Griechenlands.27 Diese Verbindung bildet eine weitere wesentliche Aussageebene in De oratore neben dem Ziel, den ersten substanziellen römischen Beitrag für eine bislang nur in griechischen Werken vorliegenden Theorie der Rhetorik zu leisten, und diese trifft in den Kern von Ciceros Konstruktion einer römischen Philosophie. Denn tatsächlich überführen die Protagonisten von De oratore die in Griechenland erlebten Theoriediskussionen in den Rahmen des traditionellen aristokratischen otium.28 Hierdurch erschließen sie sich einen spezifisch römischen Rahmen, um das griechische Vorbild aufzugreifen und gleichzeitig signifikant weiterzuentwickeln.29 Dazu zählen nicht allein das gänzlich andere raumzeitliche Setting, das von ihnen erst als geeigneter Realisationsrahmen für diesen Kulturtransfer erschlossen werden muss, sondern auch inhaltliche Aspekte. Denn es fällt auf, dass die im ersten Buch von De oratore referierten gelehrten Stimmen Griechenlands weitgehend von Crassus’ Auffassung abweichen, ein Redner müsse neben sprachlicher Brillanz auch umfassend gebildet sein, die sich am Ende des Werks allgemein durchsetzen wird. Parallel zu ihrer Adaptation griechischer Gesprächskultur im römischen Ambiente gelingt es der Gesprächsgemeinschaft von De oratore, über den in dieser kennengelernten Diskussionsstand hinauszukommen, der in den Erinnerungen der römischen Dialoggemeinschaft als inhaltlich festgefahren erscheint.30 Diesen Befund führt Crassus recht offen auf eine aus seiner Sicht unproduktive Vorliebe für den Streit um seiner selbst willen zurück.31 Hieraus resultiere auch eine Praxisferne, deren Überwindung gerade Voraussetzung dafür ist, dass er sich zusammen mit Antonius auf den von seinen Gästen geforderten Theorievortrag einlässt. In De oratore schließt die Diskussion unter römischen Aristokraten über den besten Redner an Erfahrungen an, die die Hauptredner der Unterhaltung auf Crassus’ Landgut im Austausch mit Gelehrten in Athen gemacht haben und von denen sie ihre Gesprächspartner jeweils in unterschiedlich ausführlichen Rückblicken

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nichts tut. Bei dieser Meinung, mein lieber Catulus, bleibe ich, und immer, wenn ich hierher gekommen bin, macht es mir ganz besondere Freude, nichts zu tun und mich vollkommen auszuruhen.“ Vgl. zur Stelle Görler (1988) 224–227; zur möglichen Quelle der Stelle bei Lucilius s. Leeman/Pinkster/Nelson (1985) 214 ad loc. Vgl. Zetzel (2003) 121–122. Zu Ciceros Konzept des otium, insbesondere in De oratore, s. Balsdon (1960) 49–50 und grundsätzlich Luciani (2010) 67–95, zum römischen Charakter des Gesprächssettings von De oratore s. Gildenhard (2007) 10, vgl. auch Levine (1958) 147. Vgl. G. M. Müller (2020) 84–90 mit Diskussion der einschlägigen Literatur. Vgl. Zetzel (2003) 134. Cic. de orat. 1,47: [Crassus:] Verbi enim controversia iam diu torquet Graeculos homines contentionis cupidiores quam veritatis. – „Wortgezänk nämlich quält schon lange die armen Griechen, die größere Lust auf Streit als auf die Wahrheit haben.“ Vgl. zur Stelle G. M. Müller (2015) 286–287 und Hall (1996).

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unterrichten. Ihr eigener Theoriediskurs erscheint vor diesem Hintergrund als Adaptation eines ebenso inhaltlich wie kommunikativ als defizitär wahrgenommenen griechischen Modells an einen römischen Rahmen, für den sich der traditionelle Rückzugsraum der villa suburbana während des feiertäglichen otium als adäquates Chronotop erweisen soll.32 Dabei spielt Crassus’ Hinweis auf die davon abweichende Freizeitgestaltung prominenter Vorfahren offensichtlich auf jene Vorbehalte an, die es innerhalb einer der philosophischen Reflexion eher reserviert gegenüberstehenden römischen Aristokratie hinsichtlich einer solchen Neukonfiguration des ländlichen Erholungsaufenthalts auszuräumen galt.33 Laelius und Scipio, auf die Crassus in De oratore für seinen letzten Widerstand gegen den von ihm geforderten Theorievortrag zurückgreift, hat Cicero bekanntlich nach längerem Überlegen zu den Hauptrednern seines nächsten Dialogs De re publica gemacht.34 Und auch sie lässt er zu Beginn über die adäquate Verwendung ihrer Ferien diskutieren, die Anlass für die Zusammenkunft der beiden und einer Schar weiterer, vor allem jüngerer römischer Aristokraten, auf Scipios Landgut ist.35 Die einleitende Kontroverse, die vor allem vom etwas später dazustoßenden Laelius angefacht wird, stellt dabei weniger die Nutzung des otium zur Behandlung theoretischer Themen grundsätzlich infrage, als vielmehr deren von Scipios Neffen Tubero angestoßene Ausweitung auf kosmologische Probleme, denen Laelius aufgrund eines Mangels an praktischem Nutzen jede Relevanz abspricht.36 Eine Modifizierung dieser Extremposition gelingt Scipio, der sich ja selbst zunächst auf Tuberos Gesprächsthema über die mögliche Existenz einer Doppelsonne eingelassen hatte, mittels einer Erzählung aus seinem biographischen Erfahrungsschatz. Denn er weiß zu berichten, dass er während des Feldzugs seines Vaters gegen den makedonischen König Perseus, der im Jahr 168 v. Chr. zur Transformation Makedoniens in eine römische Provinz geführt hatte,37 Zeuge geworden sei, wie der Legat C. Sulpicius Gallus sein außergewöhnliches Interesse an astro-

32 Vgl. hierzu grundsätzlich ebd., 45–48 sowie Griffin (1989) speziell zum historischen Hintergrund des 2. Jh.s v. Chr., der für De re publica von Relevanz ist. 33 Dass Cicero seine Dialogfiguren auch als Träger von Meinungen konzipiert, die in seiner Leserschaft verbreitet waren, arbeitet Sauer (2013) am Beispiel von De re publica und De legibus heraus; vgl. auch Powell (2012) 22–23. 34 Zu Ciceros längerer Unschlüssigkeit in Bezug auf das adäquate Gesprächspersonal von De re publica s. Sedlmeyr (2021) 134‒138. 35 Zur Figurenkonstellation von De re publica s. Büchner (1984) 28–36 und Sedlmeyr (2021) 134–208. 36 Das Gespräch nimmt seinen Ausgang bekanntlich mit der Frage Tuberos an seinen Onkel Scipio, ob er das angeblich gesichtete Phänomen einer Doppelsonne für möglich halte. S. Cic. rep. 1,15; zu Laelius’ Unverständnis über den Gesprächsgegenstand s. ebd., 1,19. Zum Einleitungsgespräch von De re publica mit Hinweisen zur älteren Literatur s. G. M. Müller (2021b) 227–237. 37 Auf das Jahr 168 v. Chr. weist die Konsulatsangabe in Cic. rep. 1,23 (s. das Zitat in Anm. 39). Vgl. hierzu Büchner (1984) 106 ad loc.

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nomischen Sachverhalten erfolgreich zu verwenden gewusst habe,38 um den römischen Soldaten am Vorabend der Entscheidungsschlacht von Pydna die Angst vor einer Mondfinsternis zu nehmen, und damit einen wichtigen Beitrag zum Sieg am darauffolgenden Tag geleistet habe.39 Scipios Rückblick auf die Wirksamkeit kosmologischer Kompetenz im Umfeld eines entscheidenen Moments der römischen Expansions- und Kulturgeschichte weist im Werkzusammenhang von De re publica nicht nur langfristig auf seinen abschließenden Traumbericht voraus,40 sondern er zeitigt nicht zuletzt auch die unmittelbare Wirkung, dass Laelius seine wiederholten kritischen Anfragen an die thematische Ausrichtung der Unterhaltung aufgibt und damit den Weg für ihren zentralen Diskussionsgegestand, die Frage nach dem besten Staat, freimacht.41 Auch wenn Cicero mit dem Personal von De re publica chronologisch weit hinter die Gesprächsgemeinschaft von De oratore zurückgeht,42 lässt sich die Meinungsverschiedenheit, die Laelius zunächst mit Scipio und seinen Gästen ausficht, dennoch als komplementäre Vertiefung des dort eröffneten kulturellen Problem- und Lernzusammenhangs begreifen. Während in De oratore Crassus und Antonius grundsätzlich die Bereitschaft zur Nutzung des ländlichen otium für einen theoretischen Diskurs abgerungen werden musste, steht diese in De re publica trotz Laelius’ anfänglichen kritischen Anfragen nicht mehr grundsätzlich zur Disposition.43 Nachdem dort der dezidierte Wunsch der Gesprächsgemeinschaft nach einer auf praktische Erfahrung aufbauenden Theorie ausschlaggebend für den 38 Zu seiner Biographie und seiner astronomischen Bildung s. Haury (1964) und Büchner (1984) 103 ad loc. Nach Cic. Cato 14,49 und Plin. nat. 2,53 soll Sulpicius Gallus eine Schrift über Astronomie verfasst haben. Philus verweist im Einleitungsgespräch von De re publica darauf, dass sich Sulpicius Gallus grundsätzlich intensiv mit Astronomie und konkret mit dem Sphärenmodell des Archimedes beschäftigt habe. S. Cic. rep. 1,21–22. Vgl. zu diesem Abschnitt Glei (1991) 126, Gallagher (2001) 509–511 und Fuhrer (2017) 28–30. 39 Cic. rep. 1,23: memini me admodum adulescentulo, cum pater in Macedonia consul esset et essemus in castris, perturbari exercitum nostrum religione et metu, quod serena nocte subito candens et plena luna defecisset. tum ille cum legatus noster esset anno fere ante quam consul est declaratus, haud dubitavit postridie palam in castris docere nullum esse prodigium, idque et tum factum esse et certis temporibus esse semper futurum, cum sol ita locatus fuisset ut lunam suo lumine non posset attingere. – „Ich erinnere mich, dass in meiner frühen Jugend, als mein Vater als Konsul in Makedonien war und wir uns im Lager aufhielten, unser Heer von abergläubischer Angst in Verwirrung geriet, weil sich in heiterer Nacht plötzlich der hellscheinende Vollmond verfinstert hatte. Da zögerte jener nicht – er war unser Legat etwa ein Jahr, bevor er zum Konsul ernannt wurde –, am nächsten Morgen öffentlich im Lager darzulegen, dass es sich dabei um kein Zeichen der Götter handle, und dass zuvor geschehen sei, was zu bestimmten Zeiten immer wieder eintreten werde, wenn die Sonne so stünde, dass sie den Mond mit ihrem Licht nicht erreichen könne“ (Zitate aus De re publica folgen der Ausgabe von Powell [2006], die Übersetzungen stammen von Büchner [22005] und wurden gelegentlich modifiziert). 40 S. zu diesem Zusammenhang G. M. Müller (2021b) 242–243. 41 Vgl. Cic. rep. 1,31–32. 42 Das Gespräch soll an den feriae Latinae des Jahres 129 v. Chr. stattgefunden haben, s. hierzu Büchner (1984) 95–96 ad loc. 43 Vgl. G. M. Müller (2020) 90.

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Meinungsumschwung der beiden Hauptredner war, zielt der einleitende Aushandlungsprozess hier darauf, die Relevanz kosmologischer und damit auf den ersten Blick als vollständig realitätsfern wahrgenommener Interessen vor dem Hintergrund der in De oratore ausgehandelten Koordinaten für einen aus römischer Warte als erfolgversprechend anzusehenden Theoriediskurs auszuloten.44 Einmal mehr bildet der Nachweis ihres praktischen Nutzens die Voraussetzung für ihre allgemeine Akzeptanz. De re publica bestätigt somit den zuvor in De oratore von der dortigen Gesprächsgemeinschaft ausgehandelten Konsens, wonach eine römischen Theoriedebatte grundsätzlich einen Bezug zur Praxis aufweisen muss, um einer Durchführung für wert erachtet zu werden, und weitet dessen inhaltliche Reichweite signifikant aus.45 Gleichzeitig führt das Werk vor Augen, dass selbst solche Fragestellungen, die auf den ersten Blick nur dem Selbstzweck dienen, für die Lösung praktischer Probleme fruchtbar gemacht werden können. Beide Dialoge führen somit in komplementärer Weise die Vereinbarkeit unterschiedlicher Bereiche der griechischen Philosophie mit der als grundlegend römisch konnotierten Forderung nach einer praktischen Verwertbarkeit ihrer Lehren vor Augen und werben auf diese Weise auch für den Nutzen ihrer Rezeption. In diesem Zusammenhang führt De re publica den in De oratore angestoßenen Überbietungsanspruch weiter aus und ergänzt ihn um einen weiteren Aspekt. Denn während Cicero in letzterem die Konstitution eines spezifisch römischen Theoriediskurses inszeniert, indem sich die beiden dortigen Hauptredner in dezidierter Abgrenzung zu ihren Erfahrungen in Griechenland erstmals hierzu bereitfinden,46 weiß Scipio bei seinem Plädoyer für eine Beschäftigung mit kosmologischen Befunden auf eine römische Traditionslinie zu verweisen. Dabei hat der Legat Sulpicius Gallus jene praktische Perspektive auf philosophische Wissensbestände bereits mit Erfolg erprobt, die Crassus und Antonius erst durch das Drängen ihrer Gesprächspartner als ihnen durch ihre berufliche Erfahrung zur Verfügung stehende Möglichkeit begreifen, sich wirkungsvoll von ihren Erfahrungen in Athen abzugrenzen. Im Horizont von Scipios Rückblick auf den Vorabend der Schlacht von Pydna erweist sich diese Wendung in De oratore als nicht mehr nur der dortigen Diskussionsdynamik geschuldet, sondern als Aktivierung einer grundsätzlichen römischen Haltung, die jene Aspekte der griechischen Philosophie, denen Ciceros Dialoggemeinschaften mit Vorbehalten begegnen, überwindet und die Beschäftigung mit ihr auf eine wirksamere Ebene zu heben verhilft. In den komplementär aufeinander abgestimmten Gesprächshandlungen seiner beiden ersten Dialoge konzipiert Cicero die Genese eines philosophischen Diskurses in Rom als produktive Verbindung von griechischer Philosophie und römischer Mentalität, die in wechselweiser Befruchtung zur Überbietung des Ausgangsphä-

44 Vgl. Powell (1996) 18–19, Atkins (2013) 50 und G. M. Müller (2021b) 234. 45 Generell zum römischen Charakter von De re publica s. J. Müller (2017) und Powell (2018), hier in der Zusammenschau mit De legibus. 46 S. G. M. Müller (2011) 44–45.

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nomens führt.47 Dabei geht die Diskussion in De re publica insofern über jene von De oratore hinaus, als dort nahegelegt wird, dass für diesen Prozess in der römischen Tradition bereits erste erfolgreiche exempla benennbar seien. Gemeinsam ist beiden Dialogen, dass Erzählungen der führenden Gesprächspartner über einschlägige biographische Erfahrungen wesentliche Elemente für die Realisierung dieser kulturgeschichtlichen Dimension darstellen, über die Cicero seine Gesprächsgemeinschaften auf der Grundlage wechselseitiger diskursiver Lernprozesse die Rahmenbedingungen für eine die griechischen Vorbilder überbietende Konzeption einer römischen Philosophie entwickeln lässt. Sie dienen zunächst dazu, den gleichsam als Momentaufnahmen gestalteten Gesprächshandlungen historische Tiefe zu verleihen und diese als entscheidende Meilensteine längerfristiger kulturgeschichtlicher Prozesse erscheinen zu lassen, in denen die Hauptredner der Dialoge die zentralen Akteure darstellen. Auf diese Weise unterstützen sie die von Cicero in seinen frühen Dialogen verfolgte Absicht, mit ihren Protagonisten Archegeten eines philosophischen Diskurses römischer Prägung und also wirkmächtige Vorbilder für seine weitere Etablierung zu modellieren.48 Denn durch ihre rückblickenden Erzählungen erweitern die Dialogfiguren ihr biographisches Profil auf solche Weise, dass ihre Nachahmung durch ein der Philosophie kritisch gegenüberstehendes Publikum erleichtert wird. So erscheinen erst durch sie Crassus und Antonius als ebenso mit der philosophischen Praxis in Griechenland vertraut wie als aufmerksame Beobachter ihrer Schwächen und damit als geeignete Akteure für deren Transformation unter römischen Vorzeichen, und dies nicht zuletzt auch, weil sie erst ihre daraus gewonnenen Vorbehalte überwinden müssen.49 Ergänzend dazu gibt erst Scipios biograpischer Rückblick zu erkennen, dass sich sein Interesse an kosmologischen Phänomenen bereits auf ein wirkungsmächtiges römisches Vorbild berufen kann und es sich damit in den Bahnen der römischen Tradition bewegt. Mit der kritischen Abgrenzung vom griechischen Ausgangsphänomen und seiner Harmonisierung mit der römischen Tradition verweisen die biographischen Rückblicke der Hauptfiguren von De ora47 Vgl. Levine (1958) 146. Vgl. hierzu Ciceros programmatische Aussage in Tusc. 1,1: […] sed meum semper iudicium fuit omnia nostros aut invenisse per se sapientius quam Graecos aut accepta ab illis fecisse meliora, quae quidem digna statuissent, in quibus elaborarent. – „Aber ich bin immer der Überzeugung gewesen, dass unsere Landsleute entweder von sich aus alles besser erfunden haben als die Griechen oder jene Dinge, die sie von ihnen übernommen haben, verbessert haben, soweit sie es jedenfalls für wert hielten, sich mit ihnen intensiver zu beschäftigen“ (Zitate aus den Tusculanae disputationes folgen der Ausgabe von Pohlenz [1982], die Übersetzungen stammen von Gigon [71998] und wurden gelegentlich modifiziert). Überhaupt konstruiert Cicero im ersten Tusculanen-Proömium einen Gegensatz zwischen sich als Repräsentanten der politischen Tat und den griechischen Intellektuellen. Damit korrespondiert die Auffassung im Proömium des vierten Tusculanenbuchs (Tusc. 4,5), dass die Römer schon immer ethisches Bewusstsein in der Praxis bewiesen hätten; vgl. hierzu Bleistein (2014) 396, zum sozialgeschichtlichen Hintergrund dieser Abgrenzung vom griechischen Intellektuellen vgl. Gotter (2003). 48 Vgl. Gildenhard (2013) 257–258. 49 Zu dieser rezeptionsästhetischen Komponente der Hauptfiguren von De oratore s. G. M. Müller (2011) 47–48.

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tore und De re publica auf die wichtigsten Koordinaten von Ciceros Konstruktion einer Frühgeschichte römischer Philosophie, die, wie die römische Geschichte insgesamt, die Modelle für ihre Weiterentwicklung zugleich mit erschaffen hat und damit die etablierte Orientierung am historischen exemplum ermöglicht.50 III. Das für De oratore und De re publica charakteristische Spannungsfeld von bewusstem Anschluss an die griechische Philosophie und dem Anspruch, über die kulturellen und mentalitären Voraussetzungen zu verfügen, diese überbietend weiterzuentwickeln, scheint auch in Ciceros späteren Dialogen auf, die sich zum einen stärker auf die kritische Rezeption zentraler Paradigmen der hellenistischen Schulen konzentrieren und in denen sich ihr Autor zum anderen in der Regel selbst die maßgebliche Rolle hierbei zuweist. Erneut spielen dabei Erzählungen eigener Erlebnisse bzw. von Begegnungen mit der griechischen Kultur und ihrer Tradition eine wichtige Rolle. Eindrückliches Beispiel hierfür ist das Einleitungsgespräch im fünften Buch von De finibus bonorum et malorum, das dessen Dialogpersonal, unter ihnen den Hauptredner Piso und Marcus Cicero, als fünf junge Männer vorstellt, die während ihres Studienaufenthaltes in Athen und dem Besuch von Vorlesungen des Antiochos von Askalon51 eine ihrer Mittagspausen am Ort der ehemaligen Akademie Platons verbracht und dabei eine philosophische Diskussion angestoßen hätten, in deren Folge Piso unter weitgehender Billigung Ciceros die Ethik der sogenannten Alten Akademie entfaltet habe.52 Das gleichermaßen die Funktion eines Proömiums und einer Einführung in das Chronotop des Buchs erfüllende Eingangsgespräch präsentiert seine Protago50 Für einschlägige Literatur s. unten Anm. 72. 51 Vgl. Lévy (1992) 89. 52 Cic. fin. 5,1: Cum audissem Antiochum, Brute, ut solebam, cum M. Pisone in eo gymnasio, quod Ptolemaeum vocatur, unaque nobiscum Q. frater et T. Pomponius Luciusque Cicero, frater noster cognatione patruelis, amore germanus, constituimus inter nos ut ambulationem postmeridianam conficeremus in Academia, maxime quod is locus ab omni turba id temporis vacuus esset. – „Nachdem ich, mein lieber Brutus, wie gewöhnlich in dem Gymnasium, das nach Ptolemaeus benannt ist, zusammen mit Marcus Piso Antiochus gehört hatte und mein Bruder Quintus, Titus Pomponius und Lucius Cicero, mein Vetter von väterlicher Seite, den ich wie einem Bruder gernhatte, mit uns zusammen waren, beschlossen wir, einen nachmittäglichen Spaziergang in der Akademie zu machen, vor allem, weil dieser Ort zu dieser Zeit von jeder Menschenansammlung frei ist“ (Zitate aus De finibus folgen der Edition von Schiche [1993]. Die Übersetzungen stammen von Atzert [1964] und wurden gelegentlich modifiziert). Für eine ausführliche Analyse des Einleitungsgesprächs s. G. M. Müller (2015) 278–285; zu Ciceros Athen-Aufenthalt des Jahres 79 v. Chr. s. aus der biographischen Literatur exemplarisch Gelzer (22014) 24–25; Fuhrmann (1991) 50–53 und Bringmann (2010) 44– 47. Ciceros Freund T. Pomponius Atticus lebte von ca. 86 bis 65 v. Chr. in Athen (vgl. Cic. fin. 5,4) und widmete sich dort intensiv der Philosophie; vgl. Perlwitz (1992) 35–42, u. a. zu den offensichtlich auch geschäftlichen Gründen seines Athenaufenthalts. Ein gemeinsamer Aufenthalt Ciceros mit seinem Bruder Quintus, seinem Vetter Lucius und M. Pupius Piso Frugi 79 v. Chr. in Athen ist nur hier belegt.

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nisten allesamt als entweder an der Philosophie oder an anderen Bereichen der griechischen Geistesgeschichte interessierte junge Römer. Neben dem einleitenden Hinweis auf das Studium der beiden zentralen Dialogpartner bei Antiochos von Askalon wird dies sodann vor allem daran erkenntlich, dass sich die fünf jungen Herren wechselseitig davon erzählen, wie sie regelmäßig zu ihren Lieblingsorten in Athen pilgern, die ähnlich dem mittäglichen Versammlungsort im Hain des Akademos einschlägige Erinnerungsorte an die von ihnen jeweils besonders geschätzten griechischen Gelehrten markieren, wie etwa das Gartengrundstück Epikurs für Ciceros Freund Atticus.53 Die Selbstbeschreibung der zum fiktiven Gesprächszeitpunkt im Jahr 79 v. Chr. zwischen 20 und gut 30 Jahre alten Studierenden als römische Intellektuelle erfolgt somit durchwegs über den Verweis auf griechische Vorbilder. Ein vergleichbarer Befund ergibt sich aus dem Rahmen der philosophischen Erörterung, die den Hauptgegenstand des fünften Buchs von De finibus bildet. Denn sie erscheint durch den eingangs angedeuteten zeitlichen Zusammenhang als Konsequenz aus dem Studium bei Antiochos von Askalon, als Versuch von Studierenden, das Gelernte im eigenen Kreis nun selbst anzuwenden und zum Besten zu geben. Und schließlich markiert der historische Schauplatz des Gesprächs ebenso,54 dass philosophisches Interesse und Bestreben der fünf jungen Römer, dieses selbst aktiv zu erproben, auf einer genuin griechischen Tradition aufbaut. Unter den römischen Studierenden scheint Marcus Cicero ein besonderes Bedürfnis nach einer persönlichen Archäologie griechischer Vorbilder zu verspüren. Denn er lässt als einziger durchblicken, dass er jene Vorliebe, biographisch relevante Orte verehrter griechischer Gelehrter aufzusuchen, auch außerhalb von Athen pflegt. Er erzählt nämlich von einer Reise mit seinem Freund Atticus nach Metapont, die ihm Gelegenheit gegeben habe, den Wohn- und Sterbeort des Pythagoras zu besuchen.55 Indem er eingesteht, dass ihm nach seiner dortigen Ankunft zunächst wichtiger gewesen sei, dieses ausfindig zu machen, als seinen Gastgeber aufzusuchen, offenbart er in diesem Zusammenhang einen Enthusiasmus, die Wirkorte der großen Namen von Philosophie und griechischer Gelehrsamkeit zu eruieren, der alles andere und selbst persönliche Beziehungen von 53 Zu den verschiedenen Erinnerungsorten, die in diesem Zusammenhang genannt werden, s. G. M. Müller (2015) 279–280; vgl. Walter (2004) 155–195 zur grundsätzlichen Bedeutung von Erinnerungsorten für die römische Memorialkultur, die zweifelsohne den Hintergrund von Ciceros Inszenierung zu Beginn des fünften Buches von De finibus bildet (vgl. in diesem Zusammenhang Pisos Reflexion über die ebenso erinnerungsstiftende wie handlungsleitende Funktion von Orten, an denen berühmte Menschen gewirkt haben, in fin. 5,2). 54 Auf diesen verweist Piso in Cic. fin. 5,2 und nochmals voller Begeisterung vor Beginn seines Vortrags in ebd., 5,8. 55 Cic. fin. 5,4: [Marcus Cicero] Scis enim me quodam tempore Metapontum venisse tecum neque ad hospitem ante devertisse, quam Pythagorae ipsum illum locum, ubi vitam ediderat, sedemque viderim. – „Denn du weißt, dass ich früher einmal mit dir zusammen nach Metapont gereist und erst dann bei unserem Gastgeber eingekehrt bin, als ich jenen Ort gesehen hatte, wo Pythagoras gelebt hat und gestorben ist.“ Vgl. zur Stelle auch G. M. Müller (2015) 293–294.

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nachgeordneter Priorität erscheinen lässt. Auch wenn ihm in der Personenkonstellation des fünften Buchs von De finibus hinter dem Hauptredner Piso nur die zweite Position des Themengebers und der Urteilsinstanz zukommt, artikuliert sich in dieser impliziten Selbstbeschreibung des begeisterten Bildungstouristen eine ihn aus der Gruppe heraushebende Affinität zur griechischen Philosophie und ihrer Tradition. Dieses markante und ihn vor seinen Gefährten auszeichnende Profil erhält seine konsequente Fortsetzung in Ciceros Selbstinszenierung zu Beginn seines unmittelbar folgenden Werks, der Tusculanae disputationes, in denen er sich nicht wie sonst als profunder Kenner der zentralen hellenistischen Philosophenschulen, sondern selbst als Philosoph inszeniert, der den Freiraum des Alters dazu nutzt, sich in Anwesenheit von Freunden in der Erörterung ethischer Fragestellungen zu üben, mit welcher er sich in der Nachfolge des Sokrates wähnt.56 Komplementär dazu konzipiert er im Proömium des abschließenden fünften Buchs eine ebenfalls mit diesem beginnende und mit Karneades zu ihrem vorläufig letzten Höhepunkt aufgestiegene Genealogie akademischer Skepsis, der er sich mit seinem hier befleißigten Untersuchungsverfahren selbst verpflichtet wissen will, um einmal mehr nahezulegen, dass die angedeutete Tradition in ihm seine Fortsetzung in der Gegenwart findet.57 Bevor das fünfte Buch zu seinem Ende gelangt, erfährt dieser erneute Beleg für eine philosophische Selbstbeschreibung, die ihre Bezugskoordinaten in der griechischen Geistes- und Philosophiegeschichte findet, jedoch seine 56 Cic. Tusc. 1,8: Fiebat autem ita ut, cum is qui audire vellet dixisset, quid sibi videretur, tum ego contra dicerem. haec est enim, ut scis, vetus et Socratica ratio contra alterius opinionem disserendi. – „Es vollzog sich aber so, dass ich dann, nachdem einer, der etwas hören wollte, gesagt hatte, was ihm richtig schien, dagegen anredete. Dies ist nämlich, wie du weißt, die alte und sokratische Methode, gegen die Meinung eines anderen zu argumentieren.“ Vgl. zur Stelle Gorman (2005) 11 und G. M. Müller (2020) 47 sowie für eine dichte Analyse des Proömiums insgesamt Lefèvre (2008) 29–32. 57 Cic. Tusc. 5,11: Cuius multiplex ratio disputandi rerumque varietas et ingenii magnitudo Platonis memoria et litteris consecrata plura genera effecit dissentientium philosophorum, e quibus nos id potissimum consecuti sumus, quo Socratem usum arbitrabamur, ut nostram ipsi sententiam tegeremus, errore alios levaremus et in omni disputatione, quid esset simillimum veri, quaereremus. quem morem cum Carneades acutissime copiosissimeque tenuisset, fecimus et alias saepe et nuper in Tusculano, ut ad eam consuetudinem disputaremus. – „Seine vielfältige Methode des Diskutierens, die Verschiedenheit seiner Themen und Größe seiner Begabung hat, nachdem sie durch die schriftliche Erinnerung Platons unsterblich gemacht worden ist, mehrere Arten einander widersprechender Philosophen hervorgebracht. Wir haben von diesen vor allem das übernommen, was wir für die Praxis des Sokrates halten, dass wir unsere eigene Meinung verbergen, die andern aber von ihrem Irrtum befreien und in jeder Untersuchung fragen, was der Wahrheit am ähnlichsten ist. Nachdem Karneades diesen Brauch am scharfsinnigsten und eloquentesten beherrscht hatte, haben wir es wie oft auch sonst so neulich auf unserem Anwesen in Tusculum eingerichtet, dieser Gewohnheit gemäß zu diskutieren.“ Vgl. zu dieser Stelle Thorsrud (2002) 17–18, Lefèvre (2008) 143–145 und G. M. Müller (2020) 101–102; zur Karneades-Nachfolge Ciceros s. White (1995) 225 mit Auflistung der einschlägigen Belegstellen in den Tusculanen, Koch (2006) 50–51 und Brittain (2016) 25; s. auch Burkert (1965) zu nat. deor. 1,11, wo Cicero eine Entwicklungslinie von Sokrates über Arkesilaos zu Karneades zieht.

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mit dem kritischen Blick auf die zeitgenössische griechische Gelehrtenkultur in De oratore vergleichbare Einschränkung. Diese wird erneut in Form einer Erzählung eigener Erfahrungen mit dem kulturellen Zustand der griechischen Mitwelt präsentiert. So erzählt Cicero, nachdem er sich länger über den Syrakusanischen Tyrannen Dionysios I. ausgelassen hat, wie er während seiner Zeit als Quaestor in Sizilien Syrakus besucht und dabei vergeblich die einheimische Bevölkerung befragt habe, wo sich das Grab des Archimedes befinde.58 Somit habe er sich, geleitet mit einigen Versen, die einen Eindruck von der Gestalt der Grabstele vermittelten, selbst daran gemacht, dieses aufzufinden, was ihm schließlich auch gelungen sei. Korrespondierend zum Unwissen der Syrakusaner habe sich dieses verwahrlost, von Unkraut und Gestrüpp überwachsen und sichtlich in Vergessenheit geraten am Rande eines Gräberfeldes vor der Stadt befunden.59 Das auf das Eigenlob des Sprechers hinauslaufende Erstaunen, dass es eines römischen Beamten bedurft habe, um Syrakus den Erinnerungsort an einen seiner

58 Zur Kontextualisierung dieser Episode mit dem übrigen Inhalt des fünften Tusculanen-Buchs s. Jaeger (2002) 50–54. Cicero übte das Quaestorenamt im Jahr 75 v. Chr. aus; vgl. etwa Gelzer (22014) 28–29, Fuhrmann (1991) 58–61 und Bringmann (2010) 56–58. 59 Cic. Tusc. 5,64–66: Cuius [sc. Archimedis] ego quaestor ignoratum ab Syracusanis, cum esse omnino negarent, saeptum undique et vestitum vepribus et dumetis indagavi sepulcrum. tenebam enim quosdam senariolos, quos in eius monumento esse inscriptos acceperam, qui declarabant in summo sepulcro sphaeram esse positam cum cylindro. ego autem cum omnia conlustrarem oculis – est enim ad portas Agragantinas magna frequentia sepulcrorum –, animum adverti columellam non multum e dumetis eminentem, in qua inerat sphaerae figura et cylindri. atque ego statim Syracusanis – erant autem principes mecum – dixi me illud ipsum arbitrari esse, quod quaererem. inmissi cum falcibus multi purgarunt et aperuerunt locum. quo cum patefactus esset aditus, ad adversam basim accessimus. apparebat epigramma exesis posterioribus partibus versiculorum dimidiatum fere. ita nobilissima Graeciae civitas, quondam vero etiam doctissima, sui civis unius acutissimi monumentum ignorasset, nisi ab homine Arpinate didicisset. – „Als ich Quaestor war, habe ich sein Grab [des Archimedes], das den Syrakusanern unbekannt war und von dem sie behaupteten, es existiere überhaupt nicht, wieder aufgespürt, obwohl es von allen Seiten von dornigem Gebüsch und Gestrüpp umgeben und eingewachsen war. Ich hatte nämlich einige kleine Iamben im Gedächtnis, die auf seinem Grabstein geschrieben stehen sollten und angaben, dass sich oben auf dem Grabmal eine Kugel und ein Zylinder befänden. Während ich nun alles in Augenschein nahm (beim Agrigentiner Tor befinden sich nämlich eine ganze Menge an Gräbern), bemerkte ich eine kleine Säule, die nur ganz wenig aus dem Gestrüpp hervorragte und auf der sich die Gestalt einer Kugel und eines Zylinders befand. Ich sagte sofort den anwesenden Syrakusanern – es waren nämlich die führenden Bewohner der Stadt bei mir –, ich glaubte, jenes sei genau das, wonach ich suchte. Da wurden denn viele Leute mit Sicheln vorgeschickt, die die Stelle vom Unkraut reinigten und wieder zugänglich machten. Nachdem ein Zugang dorthin geschaffen worden war, begaben wir uns auf die andere Seite der Basis. Es zeigte sich jenes Epigramm, wobei die Verse in seinem unteren Teil ungefähr bis zur Hälfte verwittert waren. So wäre denn eine der vornehmsten Städte Griechenlands, einstmals auch eine der gebildetsten, über das Grabmal eines ihrer scharfsinnigsten Bürger weiterhin in Unkenntnis geblieben, wenn sie es nicht von einem Mann aus Arpinum wieder kennengelernt hätte.“

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berühmtesten Gelehrten zurückzugeben,60 stellt gleichzeitig eine Kultur bloß, die sorglos mit ihrer bedeutenden intellektuellen Vergangenheit umgeht und sich infolgedessen ihr gegenüber als verantwortungslos erweist.61 Der in seiner villa suburbana den Anschluss an die philosophische Tradition Griechenlands erprobende Cicero, und dies in jenem Chronotop, das sich bereits das Dialogpersonal von De oratore für die Etablierung eines an die gelehrte Gesprächspraxis Griechenlands anknüpfenden römischen Theoriediskurses über die Rhetorik erschlossen hat, stellt sich einer griechischen Stadtbevölkerung gegenüber, die leichtfertig und selbstvergessen mit dem Gedächtnis eines der führenden Vertreter jener Gelehrtentradition umgeht, als deren Erbe er sich selbst im weiteren Sinne zu erweisen sucht. Im Handlungsraum der Tusculanae disputationes ist es somit er, der das Andenken der griechischen Gelehrsamkeit ehrt, indem er sich um den Erhalt ihrer Erinnerungsorte bemüht und in seinem otium gleichzeitg an deren Fortleben in der Gegenwart arbeitet.62 Eine solche Aussageintention lässt sich, wenngleich nur sehr verhalten, letztlich bereits für das Einleitungsgespräch im fünften Buch von De finibus bonorum et malorum erschließen. Denn auch wenn sich die fünf jungen Römer als überzeugte Anhänger unterschiedlicher griechischer Geistesgrößen präsentieren, situieren sie ihren Einblick in ihre Befähigung zur philosophischen Erörterung gerade nicht vor ihrem Lehrer Antiochos von Askalon, sondern selbstständig an einem historischen Schauplatz, an dem die Tradition des philosophischen Diskurses allerdings abgebrochen ist.63 Mit dem einleitenden Hinweis auf Antiochos entsteht somit nicht nur ein Spannungsfeld zwischen Schulphilosophie und lebendiger philosophischer Praxis, für die allein die fünf jungen Römer, unter ihnen vor allem Cicero und Piso, verantwortlich zeichnen, sondern diese erscheint vor dem Hintergrund ihrer Realisierung in der verlassenen Akademie außerdem als genuin römischer Neuansatz eines Vorbilds, das in der Gegenwart nur noch in der Erinnerung wachgerufen werden kann.64 60 Jaeger (2002) 54–55 weist darauf hin, dass sich Cicero in dieser Passage konsequent in den Vordergrund spielt, u. a. durch die wiederholte Verwendung des verstärkenden Pronomens ego. 61 Vgl. zur Stelle Jaeger (2002), Lefèvre (2008) 159–161 und G. M. Müller (2015) 295–298. 62 Die Episode dient somit nicht der „Entspannung“, wie Süß (1966) 299 meinte, sondern erfüllt eine wichtige Funktion in Ciceros Selbstdarstellungsstrategie. 63 Vgl. G. M. Müller (2015) 284–285 mit Anm. 26. 64 Zur Verlassenheit der Akademie während des Gesprächs der fünf jungen Herren s. Cic. fin. 5,1 und 5,3 (s. auch das Zitat in Anm. 52). Vgl. Görler (1994) 777–778 sowie zum damit verbundenen aemulativen Anspruch G. M. Müller (2015) 290. 86 v. Chr. wurde der Hain der Akademie durch die Truppen Sullas im Zuge des Mithridatischen Kriegs stark in Mitleidenschaft gezogen (vgl. Plut. Sulla 12,4). Bereits 88 v. Chr. war der letzte Scholarch der Akademie, Ciceros Lehrer Philon von Larisa, nach Rom emigriert. Antiochos von Askalon lehrte nach seiner Rückkehr aus dem alexandrinischen Exil (vgl. Cic. ac. 2,11–12) nach Athen nicht in der Akademie, sondern im Ptolemaion, wie in fin. 5,1 erkennbar wird (vgl. Görler [1994] 944). Freilich dürfte dies nicht daran gelegen haben, dass die Akademie in Trümmern gelegen sei, wie Dörrie (1978) und Dörrie (1987) 262, 547–548 meint. Denn Cicero belegt mit fin. 5,1, dass der Ort außerhalb der Mittagszeit durchaus belebt gewesen sei. Mit der turba, die zu

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Dabei wird zumindest andeutungsweise erkennbar, dass das in erster Linie von der Figur Ciceros angestoßene Gespräch den in seinen frühen Dialogen ausgehandelten Koordinaten für einen philosophischen Diskurs römischer Prägung gerecht werden soll, indem es eine praktische Zielsetzung verfolgt. Denn Cicero bezeichnet eingangs seinen jüngeren Cousin Lucius, der ebenfalls Teil der Gruppe ist, als Hauptnutznießer von Pisos Ausführungen, weil er sich gerade in der Ausbildung zum Redner befinde. Auf diese Weise lässt er einerseits durchblicken, dass er philosophisches Wissen im Sinne des Crassus von De oratore als wichtigen Bestandteil rednerischer Bildung versteht, und andererseits, dass dieses auf eine Verwertbarkeit im Alltag ausgerichtet sein muss.65 Auch wenn Piso unter Beachtung der zwischen den jungen Römern bestehenden Altershierarchie als Hauptredner des fünften Buchs von De finibus auftritt, nimmt Cicero dennoch bereits eine wichtige Rolle in seinem Gesprächsgeschehen ein, indem er zum einen Piso dazu ermuntert, an historischem Ort das Wort zu ergreifen und damit die Akademie wieder zu einem Ort des philosophischen Diskurses zu machen, und zum anderen aber auch dessen praxisbezogenen Wirkhorizont markiert und damit seinen römischen Charakter betont, auch wenn er dem primär innerphilosophischen Anliegen einer Evaluation der altakademischen Ethik gilt. Somit verfügt Ciceros Dialogfigur in besonderem Maß über die Kompetenz, nicht nur eine philosophische Diskussion unter jungen Römern anzustoßen, sondern diese auch mit einer dezidiert römischen Erwartungshaltung an eine solche zu verbinden. Diese zeichnet ihn neben seinem umfassenderen Interesse für die Erinnerungsorte der griechischen Philosophie nochmals stärker vor seinen Gefährten aus. Cicero weist sich somit schon als jungem Mann eine ausgeprägte Affinität zur griechischen Philosophie und ihrem Erbe sowie eine wache Sensibilität für deren Adaptation an jene römischen Bedürfnislagen zu, deren Spezifika er in seinen frühen Dialogen durch die dortigen Hauptreder hat aushandeln lassen. Dass sich dieses Persönlichkeitsprofil auch auf den Bereich der philosophischen Diskurskompetenz erstreckt, lässt er seine Figur im zweiten Buch von De finibus ebenso über eine längere narrative Einlage bezeugen. So ist Ciceros dramatis persona dort bemüht, die bereits im ersten Buch aufgetretene Kontroverse zwischen ihr und ihrem Gesprächspartner Torquatus um den angemessenen Diskussionsmodus zu Beginn des zweiten dadurch für sich zu entscheiden, dass sie einen ausführlichen Bericht über die Geschichte der akademischen Gesprächsweise seit Sokrates und ihre verschiedenen Veränderungen gibt.66 Zwar gelingt es Torquatus, die Ciden anderen Tageszeiten dort anzutreffen sei, dürfte aber nicht gemeint sein, dass dort wieder philosophischer Betrieb stattgefunden habe. Zum Ende des Schulbetriebs in der Akademie s. Ferrary (1988) 441–444. 65 Vgl. hierzu G. M. Müller (2015) 290–291. 66 Cic. fin. 2,1–2: Is [sc. Socrates] enim percontando atque interrogando elicere solebat eorum opiniones, quibuscum disserebat, ut ad ea, quae ii respondissent, si quid videtur, diceret. Qui mos cum a posterioribus non esset retentus, Arcesilas eum revocavit instituitque ut ii, qui se audire vellent, non de se quaererent, sed ipsi dicerent, quid sentirent; quod cum dixissent, ille contra. sed eum qui audiebant, quoad poterant, defendebant sententiam suam. apud ceteros autem philosophos, qui quaesivit aliquid, tacet; quod quidem iam fit etiam in Academia. – „Er

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cero-Figur recht zügig davon zu überzeugen, sich für seine Darlegungen über die epikureische Ethik entgegen ihrem ursprünglichen Vorhaben ebenso wie er eines fortlaufenden Vortrags zu bedienen.67 Nichtsdestoweniger gibt die einleitende Erzählung zunächst Einblick in das umfängliche Wissen der Cicero-Figur um die verschiedenen Diskursformationen der akademischen Schule wie der philosophischen Tradition insgesamt und ihrer historischen Entwicklung. Während Torquatus’ Präferenz allein der Tatsache geschuldet ist, dass er einer anderen Form argumentativer Auseinandersetzung nicht gewachsen ist, erscheint die Willfährigkeit der Cicero-Figur ihm gegenüber von vornherein als souveräne und der Höflichkeit geschuldete Entscheidung, gerade weil sie nicht nur inhaltlich, sondern auch im Hinblick auf die Möglichkeiten philosophischer Gesprächsführung umfänglich versiert ist. Innerhalb der biographischen Koordinaten von De finibus bonorum et malorum erscheint die Cicero-Figur der ersten beiden Bücher bereits als etablierter Konsular und damit gegenüber dem zeitlichen Setting des fünften Buchs um knapp dreißig Jahre älter.68 Im chronologischen Verhältnis der drei Bücher zueinander artikuliert sich somit Ciceros Bestreben, sein philosophisches Spätwerk auch als Folge exemplarischer Streiflichter auf seine Biographie zu inszenieren, die sich zu einer persönlichen Entwicklungsgeschichte verbinden lassen. Im Gefüge von De finibus bonorum et malorum porträtieren diese einen Menschen, der seit jungen Jahren um eine solide philosophische Ausbildung bemüht ist und parallel dazu zunächst vor allem an einer Archäologie der griechischen Philosophie und den Spuren ihrer großen Namen interessiert ist, bevor sie in späteren Jahren selbst zu einer philosophischen Autorität avanciert. In diese biographische Linie passt sich die Erzählung, wie Cicero das Grab des Archimedes wiederentdeckt haben will, im fünften Tusculanen-Buch nahtlos ein, indem sie von einem Ereignis während seiner Quaestur in Sizilien, mithin also aus der Anfangszeit seiner politischen Karriere, berichtet. Derartigen Ereignissen weist er eine Prägung zu, welche die griechische Philosophie vor allem als von Dekadenz und Vergessen bedroht wahrnehmen lässt. Gleichzeitig spricht er sich und seinen Gesprächsgemeinschaften Potenzial und [sc. Sokrates] pflegte nämlich durch beständiges Fragen die Ansichten derer hervorzulocken, mit denen er diskutierte, um dann auf ihre Antworten seine eigene Meinung vorzutragen, wenn es ihm angemessen schien. Nachdem seine Nachfolger diesen Brauch nicht beibehalten hatten, rief ihn Arkesilaos wieder ins Leben und machte es zur Regel, dass die, welche ihn hören wollten, nicht ihn befragen, sondern selbst ihre Meinung sagen sollten. Wenn sie gesprochen hatten, hielt jener dagegen. Die aber, die ihn hörten, verteidigten ihre Meinung, so gut sie es konnten. Bei den übrigen Philosophen aber schweigt der, der ein Thema gestellt hat. So geschieht es freilich immer noch in der Akademie.“ Vgl. zu diesem Abschnitt Zoll (1962) 28, Douglas (1995) 215–218, Görler (2001) 236–237 mit Verweis auf Cic. de orat. 3,67, wo sich ein ähnlicher historischer Abriss findet, Gorman (2005) 14, 85–88, Gildenhard (2007) 17–18, Schofield (2008) 69–70, Brittain (2016) 24 und G. M. Müller (2020) 99–100. 67 Vgl. Brittain (2016) 32–33. Zu Torquatus’ Wahl eines fortlaufenden Vortrags für seine Darlegung der epikureischen Ansicht vom höchsten Gut im ersten Buch von De finibus s. G. M. Müller (2020) 74–75. 68 Zur Chronologie der fünf Bücher von De finibus s. G. M. Müller (2015) 284.

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Motivation zu, diesem Prozess entgegenzuwirken und das Wiederaufleben der Philosophie unter römischen Vorzeichen zu realisieren. Dabei inszeniert er sich nicht nur als von frühester Zeit an Restitution und Erhalt des philosophischen Erbes mehr als andere interessiert, sondern auch als besonders darauf bedacht, den in seinen frühen Dialogen ausgehandelten Parametern für einen philosophischen Diskurs römischer Prägung gerecht zu werden. Auf diese Weise präsentiert er sich ebenso als Erbe der dort auftretenden Archegeten einer römischen Philosophie wie auch als die tragende Kraft für ihrer Weiterentwicklung und Etablierung.69 Diese Strategie bedient sich immer wieder narrativer Ausblicke, die analog zum oben an Ciceros frühen Dialogen herausgearbeiteten Befund zum einen der weiteren Profilierung seiner Figur und seiner Gesprächspartner und zum anderen dazu dienen, die Momentaufnahmen der Gesprächsereignisse, die im Mittelpunkt der Dialoge stehen, in einen umfänglicheren chronologischen Zusammenhang aufgehen zu lassen, in dem einmal mehr eine kulturgeschichtliche und eine biographische Ebene miteinander konvergieren. Diese dient im Spätwerk in erster Linie der Profilierung einer Dialogfigur, die sich durch ihr umfassendes Interesse an griechischer Philosophie seit ihrer Jugend zur kompetenten Nachfolgerin der in Ciceros Frühdialogen inszenierten Dialoggemeinschaften und als wirkmächtige Fortsetzerin der von diesen angestoßenen philosophischen Gesprächskultur präsentiert. Auf diese Weise inszeniert sich Cicero nicht nur zum zentralen Sachwalter einer römischen Philosophie in seiner Gegenwart, sondern auch zu einem sich hierfür in vorbildlicher Weise an den exempla der Vorfahren orientierenden Römer, der auf diese Weise selbst zum Vorbild für seine Rezipienten werden will.70

69 Zur Beziehung zwischen den Gesprächshandlungen in Ciceros Früh- und Spätwerk s. G. M. Müller (2011) 45–48 und Gildenhard (2007) 22–23. Zur chronologischen Linie, die die Cicero-Figur der späteren Dialoge mit der aristokratischen Welt des Frühwerks und den darin aufgerufenen Figuren verbindet, s. auch Steel (2013) 227–229. Im Zusammenhang dieses Gefüges ist die Gesprächshandlung von De natura deorum aussagekräftig, die sich auf ca. 75 v. Chr. datieren lässt und damit eine zeitliche Zwischenposition zwischen den frühen Dialogen De oratore und De re publica und den späteren Werken De finibus und Tusculanae disputationes einnimmt. In der Tat inszeniert sich Cicero dort als junger Mann, der in Beachtung korrekten römischen Sozialverhaltens als stummer Teilnehmer der Unterredung beiwohnt. Der Zusammenhang zum Frühwerk wird auch dadurch hergestellt, dass Cotta hier als alter Mann den Part des Akademikers übernimmt, der als junger Mann an der Unterhaltung von De oratore teilgenommen habe und als solcher Ciceros Gewährsmann gewesen sei; vgl. G. M. Müller (2011) 48–49. Auch in Ciceros Frühwerk gibt es Dialogfiguren, die eine Verbindung zwischen den Gesprächsgemeinschaften der Dialoge herstellen. So nimmt Scaevola in De re publica als junger Mann und daher fast nur zuhörend an der Unterhaltung auf Scipios Landgut teil, während er in De oratore, bereits betagt, am ersten Tag der Zusammenkunft auf Crassus’ Anwesen zugegen ist. Vgl. dazu Sedlmeyr (2021) 113‒123, 198‒199. 70 Dass sich Ciceros Dialoge somit auch in den Horizont seiner verschiedenen autobiographischen Bestrebungen einordnen, sei hier nur am Rande erwähnt. Zu Ciceros diesbezüglichen Initiativen im Kontext autobiographischen Schreibens im Rom der späten Republik und seiner Funktion s. Walter (2003) 39–40.

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IV. In Ciceros Dialogen begegnen sich somit zwei Formen von Erzählung: eine, die diese miteinander verzahnt und die Geschichte von Entstehen und Etablierung einer römischen Philosophie innerhalb der römischen Oberschicht entwirft, und eine, die den Dialogfiguren überantwortet wird. Diese vermittelt zunächst weitere Informationen über sie, so dass sie als Ergänzung zu den anderen Ebenen der Figurengestaltung dient.71 Als biographische Rückblicke begründen sie des Weiteren das Verhalten der Dialogfiguren während der inszenierten Gespräche. Auf diese Weise verleihen sie den Dialoghandlungen eine diachrone Tiefe, die diese als Ausschnitte einer umfassenderen Erzählung, jener von Entstehen und Etablierung eines philosophischen Diskurses in Rom, kenntlich machen. Schließlich geben sich die Dialofiguren über ihre narrativen Einlagen als tragende Akteure dieses Prozesses zu erkennen und sie reflektieren diesen aus ihrer und dabei aus einer dezidiert römischen Perspektive. Auf diese Weise leisten sie einen wichtigen Beitrag bei der Gestaltung der Dialogfiguren als rezeptionsästhetisch wirksame exempla.72 Der sich über die Dialoge erstreckende Erzählstrang und die narrativen Einlagen der Dialogfiguren erweisen sich somit als komplementäre Ebenen einer Geschichte der römischen Philosophie, deren spezifische Inszenierung in Ciceros Dialogen darauf zielt, ihren Rezipienten Identifikationsfiguren anzubieten, die in ihnen die Bereitschaft entfachen, ihre Vorbehalte abzulegen und selbst Teil von ihr zu werden.73 Cicero hat zeit seines Lebens kein Geschichtswerk verfasst und ist damit der Aufforderung, die Atticus in De legibus an seine Dialogfigur richtet, nicht nachgekommen. Allerdings hat er seinen Dialogen eine Ebene eingeschrieben, die als Geschichte von Genese und Entwicklung einer römischen Philosophie bis zu seiner Person lesbar ist.74 Auf diese Weise reflektieren sie neben ihrem Ziel, griechi71 Grundsätzlich zu den Möglichkeiten der Figurengestaltungen im antiken Dialog s. G. M. Müller (2021a) 11–13. 72 Zur bedenkenswerten These, dass Cicero in seinen Dialogen eine Gruppe von Vorfahren konstruiert, die als vorbildliche exempla wirksam werden sollen, während diese im öffentlichen Leben völlig verloren gegangen seien, s. Gildenhard (2013) 264; vgl. auch Fox (2007) 153–154. Grundsätzlich zur Bedeutung von historischen exempla als Leitbilder der aristokratischen Konkurrenzkultur in Rom s. Flaig (1995), 132–133, Hölkeskamp (1996) 312–315, Haltenhoff (2000), Flaig (2004) insb. 74–83 und ausführlich Walter (2004); zum exemplaDenken der Römer mit Bezug zum politischen Diskurs der späten Republik s. Bücher (2006), zum Verhältnis zwischen Orientierung am mos maiorum und philosophischer Reflexion in Rom vgl. Sauer (2018). 73 Zu dieser wirkungsästhetischen Dimension der Figurengestaltung in Ciceros Dialogen s. nochmals Sauer (2013) am Beispiel von De legibus und De re publica sowie ferner AuvrayAssayas (2015) 131; vgl. auch Levine (1958) 151 und Striker (1995) 53. Zum Verständnis von Ciceros Dialogfiguren als spezifisch römische Lerngemeinschaften s. Gildenhard (2013) 265–269 sowie G. M. Müller (2015) 286–290; allgemein zu Ciceros Verständnis der Übernahme griechischer Philosophie in die römische Kultur s. Cambiano (2012) 233–238. 74 Hiermit konstruiert Cicero eine Linie des kulturellen Aufstiegs, die in diametralem Gegensatz zum politischen Niedergang in seiner Gegenwart steht; vgl. Gildenhard (2013) 259 sowie er-

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sche Philosophie in lateinischer Sprache zu vermitteln, Ciceros auch ansonsten greifbares Interesse an den historischen Rahmenbedingungen einer römischen Kulturgeschichte, deren Impulsgeber vor allem ihre Hellenisierung ist, die dabei aber auch vom Potenzial autochtoner Mentalitäten zu profitieren weiß. Für seine Geschichte der römischen Philosophie, verstanden als Transformation ihres griechischen Modells durch seine Integration in einen römischen Verständnis- und Realisierungsrahmen, hat Cicero allerdings nicht jenen Zugang gewählt, den er im Brutus für die römische Redekunst angewandt hat, nämlich deren Entwicklung anhand einer Würdigung ihrer herausragenden Vertreter nachzuzeichnen.75 Vielmehr lässt er jene Namen, die er als Protagonisten eines sich allmählich herausbildenden philosophischen Diskurses römischer Prägung kenntlich machen will, gleichsam in Momentaufnahmen, die als entscheidende Wegmarken in diesem Prozess erscheinen sollen, selbst agieren und von Erlebnissen berichten, die das dadurch entstehende Narrativ ergänzen.76 Die Gründe für dieses ebenso eigentümliche wie aufwändige Verfahren dürften in Ciceros Auffassung vom Entwicklungsstand der Philosophie zu seinen Lebzeiten und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für ihre Wahrnehmung in der römischen Gesellschaft liegen. Im Proömium des ersten Tusculanen-Buchs nennt er diese nämlich den letzten Bereich hellenistischer Kultur und Gelehrsamkeit, dessen Übernahme und Aneignung in Rom noch zu leisten sei.77 gänzend dazu ebd., 253 mit der überzeugenden These, dass Cicero in seinem Spätwerk Philosophie als Alternative für eine in Hinblick auf ihre ethische Orientierungsfunktion gescheiterten Geschichtsschreibung etablieren wollte. Vgl. hierzu auch Hölkeskamp (1996) 327–328 zum Verlust der Verbindlichkeit des mos maiorum und der ihn konstituierenden exempla in der späten Republik. 75 Zur chronologischen Struktur des Brutus s. David (2014), zum Verhältnis von memoria und historiographischem Ansatz in diesem s. Marchese (2011) 155–162, für eine Lektüre des Werks als Historiographie im Sinne einer exemplarischen Genealogie römischer Redner, die auf Cicero zuläuft, sowie zu den Bezügen auf die Diskussionen über die römische Geschichtsschreibung in De oratore und De legibus (und auf Ciceros Brief an Lucceius von 56 v. Chr. – fam. 5,12) s. Ledentu (2014), zum Verhältnis des historischen Ansatzes im Brutus zur zeitgeschichtlichen Situation in Politik und öffentlicher Rede sowie zu Ciceros eigenen politischen Ambitionen im Umfeld der Abfassungszeit s. Steel (2002/3); vgl. auch Fox (2007) 185–203 mit Bezügen zu De oratore. 76 Zur Funktion der Gesprächshandlungen in Ciceros Dialogen als historische Momentaufnahmen s. Gildenhard (2013) 240 und 261–262. 77 Cic. Tusc. 1,5: At contra oratorem celeriter complexi sumus, nec eum primo eruditum, aptum tamen ad dicendum, post autem eruditum. nam Galbam Africanum Laelium doctos fuisse traditum est, studiosum autem eum, qui is aetate anteibat, Catonem, post vero Lepidum Carbonem Gracchos, inde ita magnos nostram ad aetatem, ut non multum aut nihil omnino Graecis cederetur. Philosophia iacuit usque ad hanc aetatem nec ullum habuit lumen litterarum Latinarum. – „Doch dagegen haben wir den Redner schnell für uns entdeckt. Dieser war allerdings zunächst noch nicht gebildet, aber immerhin für die Rede geeignet, später kam auch die Bildung dazu. Denn dass Galba, Africanus, Laelius gebildete Männer waren und dass Cato, der älter war als sie, sogar sehr wissbegierig war, wird überliefert. Danach kamen Lepidus, Carbo, die Gracchen und von da an bis auf unsere Zeit so bedeutende Redner, dass wir den Griechen nicht mehr viel oder sogar in nichts mehr nachstehen. Die Philosophie lag bis in un-

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Anders als im Bereich der Rhetorik, die, wie Cicero im gleichen Zusammenhang hervorhebt, bereits seit Längerem und erfolgreich heimisch geworden ist, verfügt die Philosophie in Rom auf Grund ihres Entwicklungsstands folglich noch über keine Vergangenheit, die sich in einer historischen Darstellung analog zum Brutus rekapitulieren ließe.78 Dennoch will er in seinen Dialogen nahelegen, dass sich zumindest bereits Ansätze einer kontinuierlichen Beschäftigung mit Philosophie innerhalb der römischen Oberschicht und damit erste Bausteine für eine entsprechende Geschichte greifen ließen.79 Das in diesen programmatisch als idealer Realisationsraum für eine spezifisch römische Philosophie konzipierte Chronotop lokalisiert diese allerdings in der Privatheit der villa suburbana und damit jenseits des öffentlichen Raums. Es eröffnet dabei Protagonisten einen entsprechenden Handlungsraum, die dezidiert nicht als Philosophen wahrgenommen werden wollen.80 Neben der Notwendigkeit, jene Episoden, die als erste Reflexe einer Geschichte der römischen Philosophie gelten können, in Erfahrung zu bringen, suggerieren Ciceros Dialoge daher, dass deren Akteure erst einmal öffentlich gemacht werden müssen.81 Aus diesem Grund legt Cicero gerade in seinen frühen Werken

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sere Zeit brach und sie hat in der lateinischen Literatur noch überhaupt keinen Glanz entwickelt.“ Vgl. hierzu Baraz (2012) 2. Im Proömium des ersten Tusculanen-Buchs bezeichnet sich Cicero sodann als derjenige, der der Philosophie in Rom Geltung verschaffen wolle; vgl. Cic. Tusc. 1,5: quae [sc. philosophia] inlustranda et excitanda nobis est, ut, si occupati profuimus aliquid civibus nostris, prosimus etiam, si possumus, otiosi. – „Wir müssen ihr Glanz verleihen und zum Leben erwecken, damit wir unseren Mitbürgern, sofern wir ihnen in unserer öffentlichen Tätigkeit ein wenig nützlich gewesen sind, auch in der Freizeit zunutze sind, so wir es vermögen.“ Aus dem folgenden Abschnitt, in dem Cicero die Nachlässigkeit beklagt, mit der in Rom bislang über Philosophie geschrieben worden sei, geht hervor, dass er seinen Selbstanspruch auf das Verfassen philosophischer Schriften bezieht (vgl. hierzu und zum Zitat in Anm. 81 Eigler [2000] 627–629). Es besteht somit kein Widerspruch zwischen seiner Selbstdarstellung als Portalfigur hier und der Tatsache, dass er in seinen frühen Dialogen bereits Gesprächsgemeinschaften konzipiert hat, die bereits erfolgreich philosophische Diskurse realisiert haben. Vgl. hierzu das Proömium des zweiten Buchs von De oratore (Cic. de orat. 2,1–9), wo Cicero seinen Bruder als Widmungsträger daran erinnert, dass sich die Hauptredner des Werks Antonius und Crassus nur im privaten Rahmen zu ihrer griechischen Bildung bekannt hätten. Folglich stellt er an das Ende des Proömiums des zweiten Buchs von De oratore denn auch seinen Anspruch heraus, mit seinem Werk die Erinnerung an Crassus und Antonius zu befördern, gerade weil sie in Bezug auf das in De oratore Erörterte kaum oder keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen hätten. Angesichts dieses Ziels hebt er schließlich auch die Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen explizit hervor (Cic. de orat. 2,8–9): sed cum alter non multum, quod quidem extaret, et id ipsum adulescens, alter nihil admodum scripti reliquisset, deberi hoc a me tantis hominum ingeniis putavi, ut, cum etiam nunc vivam illorum memoriam teneremus, hanc immortalitatem redderem, si possem […] sed edo haec iis cogoscenda, qui eos ipsos, de quibus loquor, saepe audierunt, ut duo summos viros iis, qui neutrum illorum viderint, eorum, quibus ambo illi oratores cogniti sint, vivorum et praesentium memoria teste commendemus. – „Aber da der eine nicht viel, soweit es wenigstens noch vorhanden ist, und auch das nur als junger Mann, der andere nahezu nichts Schriftliches hinterlassen hatte, glaubte ich es diesen großen Geistern schuldig zu sein, sie in der Erinnerung – auch wenn wir

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so viel wert auf den Nachweis, dass er die dargestellten Unterredungen aus verlässlichen Quellen bezogen habe.82 Die in diesem Zusammenhang hervorgehobenen Augenzeugen und eigenen Erinnerungen entsprechen dabei den Usancen einer vorhistoriographischen Erinnerungskultur, die von der mündlichen Weitergabe überlieferungswürdiger Ereignisse geprägt ist.83 Aber auch die späteren Dialoge halten diese Fiktion aufrecht, wobei hier Cicero selbst als Erzähler und Dialogfigur gleichermaßen die Glaubwürdigkeit der Gesprächshandlungen garantiert.84 Die biographischen Rückblicke und Erzählungen, die er in beiden Werkgruppen seine Dialogfiguren vortragen lässt, fügen sich dabei nahtlos in dieses auf Mündlichkeit basierende Erinnerungskontinuum ein und weiten es mithilfe von diesen selbst über die dargestellten Diskussionen aus. Es sind folglich die zentralen Aspekte in Ciceros Konzeption einer römischen Philosophie, die jene aufwändig inszenierte Archäologie notwendig machen:85 der private Rückzugsraum des ländlichen otium als ihr geeigneter raumzeitlicher Realisationsrahmen sowie Protagonisten, die sich in dezidierter Abgrenzung von den berufsmäßigen Philosophen Griechenlands aus dem Kreis der politisch aktiven Führungselite Roms rekrutieren86 und die mit ihrem philosophischen Interesse

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diese jetzt noch lebendig erhalten – unsterblich zu machen, wenn es mir gelingen sollte […]. Aber diese meine Ausführungen sollen Menschen kennenlernen, welche die Männer, über die ich spreche, selbst oft gehört haben; wir empfehlen also die zwei bedeutenden Männer denen, welche keinen von ihnen gesehen haben, indem ich die Erinnerung von noch lebenden und unter uns weilenden Leuten, welche die beiden Redner kennengelernt haben, zur Bestätigung nehme.“ Zur memoria-Funktion von De oratore, die sich aus diesem Abschnitt ableiten lässt, s. G. M. Müller (2011) 47; für eine ausführliche Lektüre des Proömiums unter besonderer Berücksichtung des darin entfalteten komplexen familiären Gefüges und dessen Funktion für das self-fashioning Ciceros s. Retsch (2021); grundsätzlich zu Ciceros Strategie, in seinen Schriften für ihn relevante Gemeinschaften zu konstruieren, s. Steel (2005) 83–84. Vgl. hierzu Gildenhard (2013) 253–256 sowie Auvray-Assayas (2015) 131. Zu Cotta als Gewährsmann für das in De oratore inszenierte Gespräch s. Cic. de orat. 1,28, zu Rutilius Rufus als Berichterstatter der Unterredung von De re publica s. Cic. rep. 1,13. Der dortige erinnernde Hinweis an Quintus, den Widmungsträger auch dieses Werks, dass Rutilius Rufus ihnen beiden von dem Gespräch berichtet habe, als sie ihn in ihrer Jugend in Smyrna getroffen hätten, macht den Bruder analog zum Proömium des zweiten Buchs von De oratore erneut zum weiteren Zeugen und damit zur wichtigen Beglaubigungsinstanz. Vgl. Gildenhard (2013) 257–259 zu Ciceros Bestreben, vermittels seiner Dialoge eine virtuelle gens zu konstruieren, deren verbindendes Merkmal ein Set gemeinsamer Werte darstellt; zur mündlichen Weitergabe von historischer Erinnerung und ihren Medien in der römischen Republik s. Walter (2004) 42–83. Vgl. als Beispiel Cic. fin. 1,13–14 und 3,6–8. Für eine kulturgeschichtliche Skizze über die Rezeption der Philosophie in Rom s. Griffin (1989). Hiermit korrespondiert, dass die Hauptredner von De oratore und Scaevola nicht aus genuinem Bildungsinteresse mit den von ihnen erwähnten griechischen Gelehrten in persönlichen Kontakt getreten sind, sondern weil sie in politischer Mission nach Griechenland gekommen waren und diese damit gleichsam en passant kennengelernt haben; vgl. hierzu Sedlmeyr (2021) 44–90, 113–122.

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eher diskret umzugehen wünschen.87 Dabei deutet Cicero im Pröomium des zweiten Buchs von De oratore an, dass es ihm bei der Ausweitung einer auf ihn und einen kleinen Kreis beschränkten Erinnerung zu einer veritablen Geschichtserzählung über Entstehen und erste Entwicklungsschritte einer römischen Philosophie nicht auszureichen erschien, die in seinen Dialogen auftretenden Akteure zu benennen und ihre philosophischen Haltungen darzulegen, sondern ihr Agieren innerhalb von diesen Koordinaten vorzuführen.88 Ursache hierfür dürfte sein, dass er nicht nur den Eindruck vermitteln wollte, über die Kenntnis einer der Öffentlichkeit weitgehend verborgenen philosophischen Kultur in Rom zu verfügen, sondern dass er sich bewusst war, dass sein angeblich exklusives Wissen über die Protagonisten jener im Entstehen befindlichen einheimischen philosophischen Diskurskultur diese erst dann zu nachahmenswerten exempla für ein weiterhin vor allem philosophiekritisch eingestelltes Publikum werden ließ, wenn er auch ihre dafür relevanten Handlungen und Verhaltensweisen öffentlich machte, die bis dahin noch nicht bekannt waren.89 Der literarische Dialog eignete sich hierfür zweifelsohne mehr als ein auktorialer Bericht, weil sein inszenatorisches Potenzial jenen hierfür grundlegenden Aspekten gleichsam performative Anschaulichkeit und damit höhere rezeptionsästhetische Wirkungsmächtigkeit zu verleihen vermochte:90 ihre kritische Haltung gegenüber der griechischen Philosophie, die Erkenntnis, dass diese ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr genügt, ihre Vorbehalte, selbst in deren Fußstapfen zu treten, obwohl sie dazu bereits bestens befähigt sind, und letztlich ihre Bereitschaft, durch einen als spezifisch römisch qualifizierten Praxisbezug einen Zugang zur Philosophie zu entwickeln, durch den sich das griechische Modell überbieten lässt.91 Der Rückgriff auf den literarischen Dialog ermöglichte Cicero somit nicht nur zu suggerieren, dass sich trotz bislang fehlender Etablierung bereits erste Etappen 87 Vgl. Brittain (2016) 35; zum realen Rollenkonflikt, der hinter dieser Figurenkonstruktion steht, s. Gotter (2003) und Zetzel (2003) 120; s. für diesen von Cicero über sein ganzes philosophisches Œuvre bewusst konstruierten und aufrecht erhaltenen Gegensatz die übersichtliche Tabelle in Gildenhard (2013) 262. 88 Gemeint ist die programmatische Aussage im Zitat oben in Anm. 81. 89 Zu den grundlegenden Bedingungen für Genese bzw. Konstruktion vorbildlicher exempla s. Hölkeskamp (1996) 309 und 312–315. Hölkeskamp weist dabei einerseits darauf hin, dass die Grundlage für die Konzipierung eines exemplum ein Set von Handlungen ist, durch die sich die Vorbildfunktion manifestiert, und andererseits, dass es erst eines gewissen Bekanntheitsgrads bedurfte, um das ethische Potenzial eines exemplum allein durch Nennung des Namens zu aktivieren. Ebendiese Bekanntheit war bei den Protagonisten von Ciceros Dialogen im Hinblick auf die von ihm intendierte philosophische Vorbildfunktion noch nicht gegeben, bzw. sie musste erst hergestellt werden; vgl. Auvray-Assayas (2015) 132, die in Ciceros Dialogen ein gleichsam performatives „reenactment“ der von ihm als Vorbilder für einen philosophischen Diskurs in Rom konstruierten Personen erkennt und dieses in den Zusammenhang mit den traditionellen Memorialpraktiken in Rom stellt. 90 Für eine Theorie dieser in der Literatur als funktionale Performativität bezeichneten Funktion literarischer Dialoge im Allgemeinen s. grundlegend Hempfer u. a. (2001) 68–69 und Häsner (2004) 29–32. 91 Vgl. Baraz (2012) 2–3.

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einer Geschichte der römischen Philosophie erzählen lassen, zu deren Frühphase er exklusiven Zugang hat und deren gegenwärtige Phase maßgeblich von ihm selbst geprägt wird. Außerdem und darüber hinaus aktiviert er durch ihn die für das Wirkungspotenzial römischer Historiographie zentrale Kategorie exemplarischen Verhaltens angesehener Vorfahren als vorbildlicher Richtschnur, an der das eigene Handeln auszurichten sei, im Hinblick auf die für eine weitere Etablierung der Philosophie in Rom aus seiner Sicht notwendigen Haltungen.92 Angesichts ihrer spezifischen Rahmenbedingungen zur Zeit Ciceros erlaubte der literarische Dialog somit eher als die Historiographie selbst, einem ihrer wichtigsten rezeptionsästhetischen Ziele gerecht zu werden. Die wiederholten Erzählungen der Dialogfiguren arbeiten diesem wesentlich zu: Wie deutlich geworden ist, betten sie die Gesprächshandlungen in einen weiteren kulturgeschichtlichen Kontext ein und lassen diese zu Etappen einer kritischen Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und den römischen Voraussetzungen für ihre überbietende Adaptation werden. Neben den impliziten Bezügen der Dialoghandlungen untereinander sind es somit sie, die Ciceros Anliegen, in seinen Dialogen auch eine Geschichte der römischen Philosophie bis auf seine Person zu erzählen, realisieren.93 Indem Ciceros Dialoge auf diese Weise neben einem philosophischen ein nicht minder historisches Anliegen verfolgen, ordnen sie sich konsequent in ein Œuvre ein, das zwar kein Geschichtswerk im engeren Sinn umfasst, in dem sich historische Fragestellungen und Interessenlagen aber regelmäßig und prominent artikulieren. Darüber hinaus verlagern sie nicht nur jene herausgehobene Rolle, die Atticus Ciceros dramatis persona zu Beginn von De legibus hinsichtlich des von ihm erwarteten, aber nie in Angriff genommenen Geschichtswerks zuschreibt, auf den Bereich der Philosophie und die Geschichte ihrer Etablierung in Rom,94 sondern sie führen 92 Vgl. Brinton (1988) sowie Steel (2013) 229–231 zum Entwurf eines aristokratischen Netzwerks, das an Philosophie interessiert ist, in Ciceros Dialogen, die übrigens auch deswegen zu nachahmenswerten auctoritates konstruiert werden, weil sie im inszenierten Gesprächsgeschehen selbst geflissentlich die Regeln der römischen Sozialstruktur beachten. 93 Somit ähnelt die historische Perspektive, die das werkübergreifene Narrativ von Ciceros Dialogen entwickelt, jener, die im Brutus im Hinblick auf die Geschichte der römischen Rhetorik entworfen wird, indem auch diese auf Cicero als den gegenwärtig besten Redner zuläuft; vgl. hierzu Prost (2014) insb. 44–49. 94 Vgl. hierzu den Kontrast zwischen dem Zurückweichen der Cicero-Figur vor der Aufforderung, ein Geschichtswerk zu verfassen, in leg. 1,8–10, obwohl ihm von Atticus attestiert wird, als einziger die nötigen Kompetenzen dazu zu besitzen, und dem selbstbewussten Anspruch in Tusc. 1,5–6, die Philosophie als letztes noch fehlendes Komplement hellenistischer Kultur in Rom heimisch zu machen und die Befähigung hierzu mehr als jene Römer zu besitzen, die zuvor schon philosophische Werke verfasst haben (vgl. nochmals das Zitat oben in Anm. 79). Hintergrund dieser unterschiedlichen Haltungen ist freilich eine gänzlich andere Einschätzung der jeweils aktuellen biographischen Situation: Während sich Cicero in De legibus noch als beschäftigten Politiker inszeniert, dem das verdiente otium auf Grund der politischen Lage nicht vergönnt sei, konzipiert er sich im Proömium des ersten Tusculanen-Buchs als alter Mann, der die öffentliche Tätigkeit inzwischen aufgegeben hat (vgl. hierzu Tusc. 1,7). Ungeachtet dessen bleibt die sichtliche Differenz in Ciceros Selbstinszenierung, in der Philosophie aus freien Stücken einer Aufgabe nachkommen zu wollen, die er im Hinblick auf die Geschichtsschreibung nicht einmal durch Anstoß von außen zu erfüllen bereit gewesen sei.

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diese auch gleichsam performativ vor, um ihren Autor in der Nachfolge der von ihm in seinen frühen Dialogen geschaffenen Ahnherrn einer römischen Philosophie letztlich selbst zum nachahmenswerten exemplum für deren weitere Etablierung zu machen.95 LITERATURVERZEICHNIS Texteditionen und Übersetzungen M. Tullius Cicero, De finibus bonorum et malorum, hg. von Th. Schiche, Stuttgart/Leipzig 1993 (ND der Ausgabe 1915). M. Tullius Cicero, De oratore, hg. von K. Kumaniecki, Stuttgart/Leipzig 1995 (ND der Ausgabe 1969). M. Tullius Cicero, De oratore – Über den Redner. Lateinisch–Deutsch, hg. und übersetzt von Theodor Nüßlein, Düsseldorf 2007. M. Tullius Cicero, De re publica, De legibus, Cato maior de senectute, Laelius de amicitia, hg. von Jonathan G. F. Powell, Oxford 2006. M. Tullius Cicero, Der Staat – De re publica. Lateinisch–Deutsch, übersetzt von Karl Büchner, neu herausgegeben von Harald Merklin, Düsseldorf 22005. M. Tullius Cicero, Gespräche in Tusculum – Tusculanae disputationes. Lateinisch-Deutsch, mit ausführlichen Anmerkungen neu herausgegeben von Olof Gigon, Düsseldorf/Zürich 71998. M. Tullius Cicero, Tusculanae disputationes, hg. von Max Pohlenz, Stuttgart 1982 (ND der Ausgabe von 1918). M. Tullius Cicero, Von den Grenzen im Guten und Bösen. Lateinisch und Deutsch, eingeleitet und übersetzt von Karl Atzert, Zürich/Stuttgart 1964.

Kommentare Büchner (1984): Karl Büchner, M. Tullius Cicero, De re publica. Kommentar, Heidelberg (Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern). Dyck (2004): Andrew Dyck, A Commentary on Cicero, De legibus, Ann Arbor. Leeman/Pinkster (1981): Anton D. Leeman und Harm Pinkster, M. Tullius Cicero, De oratore libri III, Bd. 1: Kommentar zu Buch I, 1–165, Heidelberg. Leeman/Pinkster/Nelson (1985): Anton D. Leeman, Harm Pinkster und Hein L. W. Nelson, M. Tullius Cicero, De oratore libri III, Bd. 2: Kommentar zu Buch I, 166–265 und Buch II, 1–98, Heidelberg.

95 Vgl. hierzu Gildenhard (2013) 240 zu Ciceros Bemühen, sich durch seine Dialoge in die römische Memorialkultur einzufügen, bzw. ebd., 257–258 zur Konstruktion der Dialogfiguren in Ciceros Frühwerk als dessen idelle Ahnen.

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DER PHILOSOPH UND SEINE MUTTER Erzählte philosophische Erkenntnis in den augustinischen Frühdialogen De ordine und De beata vita Therese Fuhrer 1. VORBEMERKUNGEN: MONNICA ALS ERZÄHLTE FIGUR Als Mutter des Bischofs Augustinus von Hippo ist Monnica1 schon sehr früh zu einer in einer breiteren Öffentlichkeit bekannten Persönlichkeit geworden: In Ostia, dem Ort ihrer Gottesvision vor dem Tod und der ersten Begräbnisstätte, wurde im Jahr 1945 ein Fragment der Grabinschrift gefunden, die entweder noch zu Lebzeiten Augustins oder wenige Jahre nach dessen Tod dort aufgestellt worden war.2 Seit dem 12. Jahrhundert ist Monnica eine Heilige der Katholischen Kirche und damit Gegenstand zahlloser Buchillustrationen, Gemälde und Fresken oder Glasfenster in christlichen Sakralbauten.3 Die heilige Monica von Thagaste ist die Patronin der Frauen und Mütter und zuständig für die Seelenrettung der Kinder.4 Hinter dieser Erfolgsgeschichte der Kunstfigur ‚Monnica‘ steht die literarische Modellierung durch ihren eigenen Sohn in seinen Confessiones, die bereits zu Lebzeiten des Autors ein großes Echo hervorgerufen hatten.5 In den autobiographischen Büchern 1–9 schreibt ihr Augustin eine breite Palette von Eigenschaften zu, die sie einerseits fast idealtypisch in der konventionellen Rolle der einfachen Frau und sorgenden Mutter erscheinen lassen, mit denen sie andererseits die Normgrenzen auch immer wieder durchbricht:6 Sie ist gottesfürchtig und 1 2 3 4 5 6

Die Schreibweise ‚Monnica‘ gilt wegen der fast einhelligen handschriftlichen Überlieferung der einzigen Stelle in Augustins Schriften, an der ihr Name genannt ist (conf. 9,37), als historisch; dazu O’Donnell (1992); Moore (2007) 149. Für eine Datierung ins 7. Jh. plädiert jetzt Boin (2010) und (2013). Ihr Sarkophag, in dem sich Reliquien befinden, steht heute in der Kirche Sant’Agostino, der Ordenskirche der Augustiner, in Rom. Zur Geschichte der Monnica-Verehrung vgl. Seelbach (2002) 24–30; Clark (2015) 146–170. Vgl. Aug. retr. 2,6,1; persev. 53; conf. 10,3–6. Nach Augustins Tod wurden die Confessiones in erster Linie als Dokument für seine Biographie gelesen, so von Possidius, der mit der Vita Augustini das biographische Narrativ fortsetzen wollte. Dazu Fuhrer (2018) 1672f. Zur Modellierung der Kunstfigur ‚Monnica’ in den Confessiones sowie zur neueren Forschung vgl. Fuhrer (2020). Angesichts der Raffiniertheit und Differenziertheit der literarischen Porträtierung in den Confessiones verwundert es nicht, dass die Versuche, die historische Monnica zu rekonstruieren, meist bloße Reproduktionen der augustinische Narrative bleiben und öfter hagiographische Züge annehmen. So auch noch Coyle (1982); Lamirande (1989); Holte (1994); Zelzer (2005); Seelbach (2012); Clark (2015). Erwähnt sei hier auch

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streng gläubig, beteiligt sich aber auch an von der Kirche nicht geduldeten Märtyrer- und Totenkulten oder nimmt an Sit-ins in einer von kaiserlichen Truppen belagerten Mailänder Kirche teil; als junges Mädchen neigt sie zur Trunksucht; als Ehefrau unterwirft sie sich ihrem Mann, ist die perfekte Schwiegertochter und übernimmt eine Vorbildfunktion in der sozialen Gruppe der anderen, teilweise misshandelten Ehefrauen; sie ist ständig besorgt um das Seelenheil ihres Sohnes, dem sie damit zur Last wird, so dass er ihr – wie Aeneas gegenüber Dido – seine Abfahrt aus Karthago nach Rom verheimlicht; sie reist ihm aber – anders als Dido – nach Mailand nach, wo Augustin am Kaiserhof als Hofrhetor tätig ist, und überredet ihn, im Hinblick auf eine Beamten-Karriere und den sozialen Aufstieg die Konkubine und Mutter seines Sohnes zu verstoßen, um standesgemäß heiraten zu können; mit ihr zusammen hat er in Ostia kurz vor ihrem Tod ein ekstatisches Visionserlebnis.7 Die Confessiones erzählen die ‚Geschichte‘ der Monnica nicht in chronologischer Folge und keineswegs in zusammenhängender Form, sondern jeweils in bestimmten Kontexten im Verlauf der autobiographischen Erzählung. Augustin schreibt also keine Monnica-Biographie, vielmehr lässt er die Figur der Mutter nur an bestimmten Stellen auftreten und weist ihr eine jeweils unterschiedliche dramaturgische Funktion und Rolle zu, die sie im Leben und in der Entwicklung des Protagonisten ‚Augustinus‘ zu erfüllen bzw. zu spielen hat:8 Sie hat ihn in ihrem Leib ausgetragen, nährt den Knaben mit ihrer Milch, erzieht den Jüngling und bringt ihn durch ihre Hartnäckigkeit auf die rechte Bahn, führt den erwachsenen Mann zu einem ‚neuen‘ Leben, in dem die ‚Mutter im Fleisch‘ keine Rolle mehr spielt.9 Ich möchte im Folgenden zeigen, dass und wie dieses Monnica-Narrativ bereits vor der Abfassung der Confessiones in wesentlichen Zügen vorbereitet wurde, nämlich in den philosophischen Frühdialogen Contra Academicos, De beata vita und De ordine, in denen die Szenerie der Villa im norditalienischen Cassicia-

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der hagiographische Roman von Lucia Tancredi, Io, Monica. Le confessioni della madre di Agostino, Rom 2006. Vgl. dagegen die Methodenkritik von Clark (1999) 3–9. Zum Bild der frommen Monnica: conf. 1,4; 1,17; 2,6; 9,8; 9,28; beat. vit. 21; ord. 2,1 (dazu Clark 2015, 116–144; zur Märtyrerverehrung: conf. 6,2; ep. 36,32; 54,3 (dazu Seelbach 2002, 32–35); zur Teilnahme am Mailänder Kirchenstreit s.u. S. 278f.; zur Trunksucht: conf. 9,18 (dazu Clark 2015, 25f.; Sághy 2017, 367–370); zur Rolle als Ehefrau: conf. 9,19–22; zur Sorge um den Sohn: conf. 2,7; 2,12; 2,65; 3,95f.; zum Bezug Monnica ‒ Dido: conf. 5,15 (dazu Power 1996, 84–86; Cooper 2011, 14f.); zu ihren Aktivitäten in Mailand: conf. 6,1; 6,23 und 25 (dazu Cooper 2012, 70–75); zur Vision von Ostia conf. 9,23–26 (dazu Coyle 1982). Dazu Fuhrer (2020) 232–235 und 239f. Vgl. dagegen Sághy (2017), die insbesondere die biographische Würdigung im Nachruf auf Monnica in Confessiones 9 als „parallel life“ zum Augustinus-Narrativ versteht, da in beiden die Entwicklung zu einem asketischen Leben dargestellt sei. Von „Monnica Funktion“ bzw. „Monnica function“ sprechen Schindler (1997) 243; Clark (1999) 10; Conybeare (2006). Bowery (2007) interpretiert Monnica als ‚feminized image of Christ‘ (s. bes. 70). Zur Interpretation der Monnica-Figur als Allegorie der ‚Mutter Kirche‘ vgl. Fuhrer (2011) 41f. Zu Monnicas Rolle als Gebärerin und stillende Mutter vgl. conf. 1,7; 1,12 und 17; zur Parallele von leiblicher Mutter und ‚Mutter Kirche‘ conf. 1,17; 9,36 und s.o. Anm. 8.

Der Philosoph und seine Mutter

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cum und deren Personal für die Entwicklung der philosophischen Fragen immer wieder herangezogen werden: Das die Gesprächsrunde beherbergende Landhaus wird mit seinem Inventar ‒ den Gebäuden (Schlafgemach, Bad, Abort), dem Baumbestand, der Fauna (Mäusen, Hahn und Hühner) ‒ gleichsam als eine Bühne mit Requisiten, mit denen die Akteure interagieren, für die Argumentation fruchtbar gemacht.10 Auch die Figur der ‒ nicht namentlich genannten ‒ Mutter tritt an ausgewählten Stellen der drei Schriften auf. Während sie in Contra Academicos nur einmal in Erscheinung tritt, als sie die Runde zum Essen ruft,11 wird sie in De beata vita und in De ordine jeweils im Kontext bestimmter philosophischer Argumentationen auch als Dialogfigur eingesetzt.12 Sie hat also ähnlich wie in den Confessiones eine bestimmte Funktion zu erfüllen, allerdings nicht als Teil eines biographischen Narrativs. Dennoch werde ich fortan Augustins Darstellung des Gesprächsverlaufs in den Dialogen als ‚Narrativ‘ bezeichnen, mit folgender Begründung: Zum einen stellt der Autor Augustin die drei sogenannten CassiciacumDialoge Contra Academicos, De beata vita und De ordine in ein bestimmtes historisches und geographisches Setting; er lässt sich in den drei Dialogen selbst im Gespräch mit seinen Schülern und Verwandten auftreten und Fragen erörtern, die er durch eingestreute kurze Narrative jeweils in seinem eigenen biographischen und historischen Umfeld verankert; er ordnet jedes Gespräch bestimmten Tagen zu, die nicht bloß für sich durch bestimmte Abläufe und Ereignisse narrativ strukturiert sind, sondern auch ‒ durch die Inszenierung eines Gesprächstages als Feier seines zweiunddreißigsten Geburtstags ‒ als Serie bestimmter Daten im November des Jahres 386 bestimmbar sind.13 Zum anderen modelliert der Autor Augustin die Dialogteilnehmer nicht allein durch ihr Verhalten und konkrete Handlungen im Tagesablauf, sondern auch durch die Art und Weise ihrer Wortmeldungen und Argumente je unterschiedlich. Die Dialogfiguren stehen so gleichsam figural oder auch symbolisch für bestimmte philosophische Positionen, für ein bestimmtes Bildungs- und Wissensniveau oder für eine bestimmte Herangehensweise an die Fragen, die diskutiert werden:14 ,Augustinus‘ als Dialogfigur und dessen Freund Alypius verfügen über ein gut fundiertes Wissen, die Schüler sind Lernende und verweisen öfter auf ihre Wis10 Dazu Fuhrer (2011); Fuhrer (2013b); Kenyon (2018) 82–100 (zu De beata vita) und 101–128 (zu De ordine). 11 Acad. 2,13. 12 Dazu Fuhrer (2020). Vgl. auch Conybeare (2006); Kenyon (2018); Dressler (2016). 13 Zum biographischen Kontext und zur mit der literarischen Historisierung des Settings verbundenen Frage der Historizität der Dialoge vgl. Fuhrer (1997) 1–27; Fuhrer (2018) 1674– 1676. 14 Als ‚Symbol‘ bezeichne ich einen konkreten, wahrnehmbaren Sachverhalt, der stellvertretend und als Zeichen für einen anderen Sachverhalt steht, der nicht unmittelbar wahrnehmbar und auf einer abstrakten Ebene angesiedelt ist, auch für eine unsichtbare Idee oder ein Konzept. Dazu Fuhrer (2013b) 61. Augustin selbst arbeitet mit den Begriffen der Allegorie und „Figur“ (figura) und kennt die Techniken sowohl der Allegorese als auch des allegorischen Schreibens; dazu Fuhrer (2011).

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senslücken, und Augustins Mutter und Vettern repräsentieren den Common Sense (den sensus communis) der Ungebildeten.15 Die Gespräche verlaufen so, dass im Dialog zwischen den Schülern und ihrem Lehrer ‚Augustinus‘, bisweilen auch zwischen allen Beteiligten, also auch der Mutter, eine bestimmte Frage aufgeworfen wird, für deren Beantwortung am Anfang oder auch nachträglich – im Rekurs auf die pagane philosophische Tradition – die notwendigen Wissensgrundlagen referiert werden.16 Sowohl in jedem einzelnen der drei Dialoge als auch in der Trilogie als Ganzem ergibt sich zumindest für die jungen Schüler Licentius und Trygetius eine Entwicklung der Erkenntnisstände, die durch auktoriale Kommentare, Äußerungen der Figuren und auch Querverweise auf vorausgehende Gespräche deutlich gemacht wird. So ergibt sich ein sowohl szenisch als auch argumentativ strukturiertes und erzählbares Dialog-Geschehen. Anders gesagt: Ich verstehe den in den drei Dialogen dargestellten Erkenntnisprozess als Ereignisverlauf. In dieser Ereignissequenz agieren die Figuren in räumlich und zeitlich begrenztem Rahmen und erleben eine intellektuelle Entwicklung. Dieses epistemologische Geschehen erhält durch die Interaktionen der Akteure untereinander und mit der Szenerie eine Art Plotstruktur, so dass es sich tatsächlich ‚erzählen‘ lässt.17 In der folgenden Analyse von Szenen und Texten aus De beata vita und De ordine18 stelle ich die Frage ins Zentrum, in welchen Situationen und in welchen Rollen die Mutter Monnica im szenischen und dialogischen Narrativ der beiden Dialoge in Erscheinung tritt, mit welchen Eigenschaften, Fähigkeiten und Emotionen sie ausgestattet und ‒ das ist der wichtigste Punkt ‒ in welcher Funktion sie im Text selbst als Dialogfigur eingesetzt wird. Ich möchte zeigen, dass die Abfolge von Monnicas Auftritten in den beiden Dialogen insgesamt ein Narrativ ergibt, das den spezifisch auf die Rolle der Mutter zugeschnittenen Erkenntnisprozess nachzeichnet, den ich wie im Titel des vorliegenden Beitrags als „erzählte philosophische Erkenntnis“ bezeichne.19

15 Den sensus communis macht Augustin in beat. vit. 6 geltend. Kenyon (2018) 86–88 spricht von „second-order truths“. Für eine umfassende Diskussion der Charaktere und ihrer Funktion vgl. Conybeare (2006). 16 Dazu Fuhrer (2013c). Kenyon (2018) passim verortet das Muster dieses Gesprächsablaufs, das er mit dem Sigel ARP bezeichnet (S. 13: „(A) aporetic debate, (R) reflection on the act of debating, (P) the revelation of a final plausible conclusion“) in der aporetischen Tradition und platonischen ,Pädagogik‘. 17 ‚Erzählen‘ wird hier nach Fludernik (2006) 10 definiert als Darstellen von Ereignissequenzen, deren „Ursache-Wirkung-Zusammenhänge“ durch die Plotstruktur verdeutlicht oder überhaupt erst hergestellt werden. 18 Der im Folgenden zitierte Text der Dialoge stammt aus der Edition von Fuhrer/Adam (2017). 19 In narratologischen Diskursen wird das partizipiale Epitheton ‚erzählt‘ auch auf die Zeitstruktur, die Akteure oder die Schauplätze eines ‚Ereignisverlaufs‘ übertragen; man spricht von der ‚erzählten Zeit‘, der ‚erzählten Figur‘ oder von einer ‚erzählten Welt‘, in der alles, was eine Erzählung darstellt, enthalten ist. Dazu Martínez/Scheffel (72007), 108–159, bes. 123–134; Fuhrer (2017) 301–303.

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2. ZUR ROLLE DER MUTTER IM DIALOG-NARRATIV 2.1. De beata vita Den Dialog De beata vita inszeniert Augustin zu Beginn als Gespräch am Tag seines Geburtstags, den Iden des November im Jahr 386.20 In der Runde befinden sich die Mutter,21 der Bruder, des Weiteren seine Schüler, Vettern und sein Sohn Adeodatus.22 Die Gruppe wird somit als familia identifiziert, in der der Mutter eine besondere Rolle zugewiesen wird: Sie ist diejenige, der das ‚Geburtstagskind‘ sein Leben zu verdanken hat (nostra mater, cuius meriti credo esse omne, quod vivo). Im Folgenden stellt Augustin die alte Frage nach der Definition des ‚Glücks‘ zur Diskussion, die zum zentralen Thema des Gesprächs wird, das an den beiden folgenden Tagen fortgesetzt wird.23 Kurz nach Beginn der Diskussion gibt die Mutter eine Definition von ‚Glück‘ und ‚Elend‘, die ihr das Lob des Diskussionsleiters, ihres Sohnes, einbringt:24 tum mater: si bona, inquit, velit et habeat, beatus est, si autem mala velit, quamvis habeat, miser est. – cui ego arridens atque gestiens: ipsam, inquam, prorsus mater, arcem philosophiae tenuisti. nam tibi procul dubio verba defuerunt, ut non sicut Tullius te modo panderes, cuius de hac sententia verba ista sunt. […]25 – in quibus verbis illa sic exclamabat, ut obliti penitus sexus eius magnum aliquem virum considere nobiscum crederemus me interim, quantum poteram, intellegente, ex quo illa et quam divino fonte manarent. Darauf antwortete die Mutter: „Wenn er Gutes will und besitzt, dann ist er glücklich; will er jedoch Schlechtes, dann ist er unglücklich, mag er es auch besitzen.“ Ich lächelte ihr zu und war voller Begeisterung: „Mutter“, sprach ich, „du hast geradewegs die Zitadelle der Philosophie eingenommen. Denn dir fehlten ohne Zweifel nur die Worte, dass du dich eben nicht geäußert hast wie Tullius, dessen Worte zu diesem Gedanken folgendermaßen lauten [Cic. Hort. frg. 59b Grilli] […]“ Bei diesen Worten schrie jene verzückt auf, so dass wir alle ganz vergaßen, dass sie eine Frau war, und glaubten, irgendein bedeutender Mann sitze unter uns, wobei ich allmählich, soweit ich es vermochte, merkte, woher und aus welch göttlicher Quelle jenes strömte.

Die Mutter sprengt die ihr von ihrem sozialen Geschlecht vorgegebenen Grenzen und erscheint den anderen als „Mann“ ‒ sie lässt ihre Gesprächspartner „ihr Geschlecht vergessen“ (obliti penitus sexus). Augustin kann erkennen, dass ihr Wissen – die Definition von ‚Glück‘ und ‚Elend‘ – aus „göttlicher Quelle fließt“. Als 20 Beat. vit. 6; ord. 2,1 (s.u. Anm. 49); retr. 1,2. Zur Symbolik der Geburtstagsfeier vgl. Weber (2004). Zur Rezeption und Transformation des Motivs der philosophischen Tischgespräche und der sympotischen Literatur vgl. Smith (2003) 282f.; König (2008), der allerdings den bisweilen spielerischen Ton in Augustins De beata vita nicht sehen will; vgl. ibid. 79f.: Augustin wende sich gegen die „traditions of speculative and playful speech“ der SymposionLiteratur. 21 Zu Monnicas Rolle in De beata vita vgl. Lamirande (1989) 5–9; Conybeare (2006) 64–92. 22 Beat. vit. 6. 23 Dazu am besten Harwardt (1999). Zur Struktur des Dialogs vgl. Adam (2017) 29f. 24 Beat. vit. 10. Die Übersetzungen des Texts von De beata vita stammen hier und im Folgenden aus Adam (2017). 25 Es folgt das Zitat von Cic. Hort. frg. 59a Grilli.

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Frau kann sie das Wissen nicht durch Bildung erworben haben, mithin muss davon ausgegangen werden, dass sie einen intuitiven Zugriff auf dieses Wissen hat.26 Ich fasse den weiteren Gedankengang kurz zusammen: Die Gesprächsrunde geht vom stoischen Paradoxon aus, dass ein Mensch immer nur entweder „glücklich“ oder „elend“ (beatus oder miser) bzw. „Weiser“ oder „Tor“ (sapiens oder stultus) sein kann, hält dem jedoch entgegen, dass der christliche Gott sich auch der Toren annehme, dass diese auch „Gott haben“ (deum habere) können, insofern sie auf der Suche nach der Erkenntnis Gottes sind und sittlich unbescholten leben. Die auf diese Weise „Dürstenden“ (sitientes) erreicht ein „Mahnruf“ von Gott als dem „Quell der Wahrheit“ (fons veritatis), der sich durch sein „Überfließen“ (emanare) auch im sinnlich wahrnehmbaren Bereich manifestiert; dieser wirkt als „verborgene Sonne“, die mit ihren Strahlen ihr Licht zu den Menschen entsendet.27 Monnica fasst die von Augustin in trinitarischen Strukturen beschriebene Erkenntnismöglichkeit28 mit dem Vers eines ambrosianischen Hymnus zusammen:29 [Augustinus:] Quae tria unum deum intellegentibus unamque substantiam […] ostendunt. ‒ hic mater recognitis verbis, quae suae memoriae penitus inhaerebant, et quasi evigilans in fidem suam versum illum sacerdotis nostri: „fove precantes, trinitas“ [Ambros. hymn. 4,32] laeta effudit atque subiecit: haec est nullo ambigente beata vita, quae vita perfecta est, ad quam nos festinantes posse perduci solida fide alacri spe flagranti caritate praesumendum est. [Augustin:] „Die drei Erkenntnisse zeigen den Verständigen den einen Gott und die eine Substanz […]“ An dieser Stelle erinnerte sich die Mutter an die Worte, die ihrem Gedächtnis tief eingeprägt waren, und als ob sie zu einem Glaubensbekenntnis erwachte, erhob sie die Stimme und es entströmte ihr freudig jener Vers unseres Bischofs: „Stehʼ bei den Betenden, Dreieinigkeit!“ [Ambros. hymn. 4,32], Und sie fügte hinzu: „Dies ist zweifellos das glückliche Leben, welches das vollkommene Leben ist, zu dem wir eilig streben und wohin wir, wie anzunehmen ist, gelangen können durch einen festen Glauben, lebendige Hoffnung und flammende Liebe.“

In dem Moment, als Augustin das „glückselige Leben“ mit der Erkenntnis des dreieinigen Gottes gleichsetzt, erkennt die Mutter die „Worte“, die ihr „tief in ihrem Gedächtnis verhaftet“ sind, und singt den letzten Vers des ambrosianischen Hymnus, der an den „Gott, den Schöpfer des Alls“ gerichtet ist.30 Es soll also der 26 Vgl. auch conf. 9,8, wo Monnicas Anwesenheit in Cassiciacum erwähnt und ihre virilis fides gepriesen wird, die in Kontrast stehe zu ihrem muliebris habitus. Dazu Adam (2017) 18f.; Moore (2007) 149f. und 156–161, bes. 158: Monnicas Glaube sei dadurch ,weiblich‘ konnotiert, dass sie als ungebildet, intuitiv und von patriarchalen Strukturen der Kirche geleitet gezeichnet werde. 27 Beat. vit. 35. 28 Ibid.: a quo inducaris ad veritatem, qua veritate perfruaris, per quid conectaris summo modo. Zur Diskussion, inwiefern Augustin hier auf die drei Personen der göttlichen Trinität Bezug nimmt, vgl. Doignon (1986) 151f. 29 Beat. vit. 35. 30 Augustin zitiert den Hymnus öfter, meist nur V. 1 (deus creator omnium); Vv. 1–8 sind zitiert in conf. 9,32 (nach der Erzählung von Monnicas Tod und der anschließenden Trauerarbeit), V. 32 allein hier in beat. vit. 35. Dazu Fuhrer (2014) 53f.

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Eindruck entstehen, dass sie Augustins Worte mit der confessio trinitatis des Bischofs Ambrosius (sacerdos noster) in Verbindung bringt. Dies passt zu der historischen Situation der Jahre 385/6, dem Mailänder Kirchenstreit, in dem sich Monnica auf die Seite des nizänischen Bischofs Ambrosius stellte und zusammen mit der pia plebs in einer Basilika, die von den Truppen des ‚arianischen‘, also häretischen, Kaisers belagert wurde, die Nacht verbrachte.31 Der Hymnus ist ein Abendlied, möglicherweise eines der Lieder, die Ambrosius die Gemeinde in der von den kaiserlichen Truppen belagerten Basilika in jener Nacht während des Mailänder Kirchenstreits hat singen lassen, das die Mutter also gehört und mitgesungen haben kann.32 Indem Augustin die Mutter diesen Vers singen lässt und sie daraufhin ihre Definition der beata vita als paulinische Trias von „Glaube, Hoffnung und Liebe“ vortragen lässt,33 enthebt er sie der Pflicht zu argumentieren. Mit dem ambrosianischen und somit ‚rechtgläubigen‘ Text bzw. Gesang, der sich durch die rhythmische Strukturierung und die Melodie in ihrem Gedächtnis festgesetzt hat, verfügt die Mutter über einen direkten Zugang zur dogmatischen Wahrheit.34 Mit dem Hymnus des streitbaren Bischofs und dem Rekurs auf die confessio trinitatis führt die Mutter die Lösung der philosophischen Erörterung zur Definition der beata vita ‒ gleichsam performativ ‒ vor: Als Mutter des ‚Geburtstagskindes‘, der Augustin das „Leben zu verdanken hat“,35 verkörpert sie den Zugang zur „Quelle der Wahrheit“, die in dem ambrosianischen Hymnus auch mit dem Schöpfergott identifiziert wird. Die Mutter, die sich immer wieder konstruktiv in die Diskussion einschaltet, symbolisiert so den unmittelbaren Zugang zum ‚Quell‘ oder ‚Ursprung‘ des Wissens, sie figuriert gleichsam als Medium der von der höchsten Wahrheit ausgehenden Emanation.36 Mit ihrem spontanen Auftritt als ‚Sängerin‘ im Dienst des nizänischen Bischofs und damit der Kirche der ‚Rechtgläubigen‘ repräsentiert sie auch die ‚Mutter Kirche‘.37 Mit dem Verweis auf Paulus’ „Glaube, Hoffnung, Liebe“ verortet sie die Antwort auf die philosophische Frage nach dem ‚glückseligen Leben‘ im Bereich der autoritativ vermittelten Erkenntnis und verbindet diesen Prozess mit der Emotion der „Liebe“ (caritas). Sie steht symbolisch für die Möglichkeit, philosophisch relevantes Wissen durch reli31 Conf. 9,15. Bei dem Kaiser handelt es sich um Valentinian II. Dazu Fuhrer (2012) 360–368 und (2013a) 25–27. 32 Auf den als subversiv geltenden Hymnengesang bezieht sich Ambrosius in ep. 75a [21a = Sermo contra Auxentium], 34. Dazu Fuhrer (2014) 66–68. 33 Nach 1 Cor 13,13; in den Frühdialogen diskutiert Augustin die Trias auch in sol. 1,13–15. 34 Im Bericht über seine Reaktion nach dem Tod seiner Mutter in conf. 9,32 bezeichnet er die Verse des ambrosianischen Hymnus als „wahr“ (versus veridici), da sie nicht allein eine theologische Wahrheit enthalten, sondern auch in einer konkreten Situation der Trauer um die tote Mutter auf die Erlösung durch den Schöpfer, den deus creator omnium, verweisen. 35 Beat. vit. 6. 36 Damit schreibt Augustin der gesungenen Vortragsform eine mediale Funktion zu, ähnlich wie er im gleichzeitig entstandenen Dialog De ordine den Psalmengesang auf dem Abort als Modus der Kommunikation mit Gott deutet (ord. 1,22). Dazu Fuhrer (2011) 30f.; Fuhrer (2013b) 57f. 37 Dazu oben S. 274.

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giöse Praxis zu erwerben, die in der Kirche, durch den Bischof, gestützt auf Bibelworte, ausgeübt wird und die im Gottesdienst, dabei auch mittels der performativen Kraft des Kirchengesangs, von dem herabfließenden fons veritatis begleitet wird. Im Gegensatz zum männlich konnotierten Weg über die Schulbildung, der sich in der vorausgesetzten Cicero-Lektüre manifestiert, ist dieser Weg zu Erkenntnis und Wissen weiblich, durch die Figur der Mutter des ‚Geburtstagskindes‘ im Besonderen mütterlich konnotiert: Die Frau, die Augustin geboren und auf seinem Lebensweg begleitet hat, bereitet ihm hier nicht nur die Nahrung für das Geburtstagsessen,38 sondern ‚alimentiert‘ die philosophischen ‚Tischgespräche‘ mit grundlegender Erkenntnis.39 2.2. De ordine Thema des Gesprächs von De ordine ist der ordo mundi, die alles umfassende „Weltordnung“, und dabei die Frage, wie das ‚Böse‘ in diese eingefügt ist, mithin die Frage nach der Theodizee. Der szenische Rahmen und der Verlauf des Dialogs selbst illustrieren die von den Gesprächsteilnehmern einhellig vertretene These, dass grundsätzlich jedes menschliche Tun und jedes Ereignis als Teil einer umfassenden göttlichen Ordnung zu verstehen sei.40 Die Mutter tritt hier erst gegen Ende des ersten Gesprächstages in Erscheinung, am Ende des ersten Buches. Diesem Aufritt verleiht Augustin dadurch eine besondere Bedeutung, dass er an dieser Stelle explizit die Rolle der Frau in einem philosophischen Dialog thematisiert:41 atque interea mater ingressa est quaesivitque a nobis, quid promovissemus; nam et ei quaestio nota erat. cuius et ingressum et rogationem cum scribi nostro more iussissem: quid agitis? inquit; numquidnam in illis quos legitis libris etiam feminas umquam audivi in hoc genus disputationes inductas? 38 Zu Augustins Rückgriff auf die (auch biblische) Metaphorik der ‚Nahrung für die Seele‘ (nach Joh 6,35), mit denen die Gespräche an allen drei Tagen des Dialogs durchzogen sind, vgl. auch sol. 1,3; dazu Conybeare (2006) 63–92: „Theology for Lunch“. Zur antimanichäischen Symbolik der Speisen in De beat. vita vgl. Fuhrer (2021). 39 So auch Conybeare (2006), die den Gender-Aspekt herausstellt, nämlich dass sowohl die Monnica in den Mund gelegten philosophischen Argumente als auch ihr Handeln jeweils eine spezifisch weibliche Perspektive und Denkweise repräsentieren. Im Gegensatz zu Conybeare denke ich allerdings nicht, dass Monnica „the irrational Augustine“ repräsentiert, sondern in den ja durchweg auf Rationalität basierenden Dialogen eine bestimmte Argumentation verkörpert; ähnlich Clark (1999) 15–20; Kenyon (2018) 7–9 und 97. Dazu auch Fuhrer (2008), bes. 98f., und ‒ allerdings mit anderem methodischem und theroretischem Zugriff ‒ Dressler (2016). Vgl. auch Bowery (2007), bes. 70, die Monnica als Mediatorin versteht („Monica as mediator“), jedoch ihre epistemologische Funktion nicht mit ihrer Rolle als Mutter in Verbindung bringt. Anders Lionnet (1989) 32; 56; u.ö., der die Figur der Monnica als Ausdruck von Augustins „earthly and bodily connections“ und ihren Tod als „the culmination of his narrative of a life of sin“ liest. Ähnlich Moore (2007) 150. 40 Dies stellt Schäfer (2001) gut heraus. Vgl. auch Fuhrer (2013b) 54f. 41 Ord. 1,31. Die Übersetzungen des Texts von De ordine stammen hier und im Folgenden aus Mühlenberg (1972). Zu der Szene vgl. Lamirande (1989) 9f.; Conybeare (2006) 102–109; Trelenberg (2009) 165–173.

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Währenddessen trat meine Mutter ein und fragte, wie weit wir gekommen seien; denn ihr war die Frage auch bekannt. Als ich veranlasste, dass ihr Hinzukommen und ihre Frage gemäß unserem Brauch aufgeschrieben würden, wehrte sie sich: „Was soll das? Habe ich etwa schon einmal gehört, dass in den Büchern, die ihr so lest, jemals auch Frauen in dieser Art von Diskussionen eingeführt werden?“

Augustin lässt die Mutter selbst auf den Bruch mit der literarischen Konvention hinweisen, der dadurch entsteht, dass er sie als Dialogteilnehmerin in den verschriftlichten philosophischen Dialog einbringt (cum scribi […] iussissem). Er schiebt die Bedenken der Mutter gleichsam mit einer rollentheoretischen Begründung beiseite:42 cui ego: non valde curo, inquam, superborum imperitorumque iudicia, qui similiter in legendos libros atque in salutandos homines inruunt. non enim cogitant, quales ipsi, sed qualibus induti vestibus sint et quanta pompa rerum fortunaeque praefulgeant. isti enim in litteris non multum attendunt, aut unde sit quaestio aut quo pervenire disserentes moliantur quidve ab eis explicatum atque confectum sit […]. Ich erwiderte ihr: „Ich kümmere mich nicht sehr um das Urteil der Stolzen und Unerfahrenen, die sich auf die Bücher, die man lesen muss, in ähnlicher Weise stürzen wie auf die Menschen, die man höflich grüßen muss. Sie denken nämlich nicht daran, was für Menschen das sind, sondern nur daran, wie sie gekleidet sind und wie großartig der Prunk ihres Vermögens hervorsticht. Solche Menschen achten nämlich nicht sehr auf das geschriebene Wort: woher die Fragestellung kommt, was die Diskutierenden herausbekommen möchten oder was von ihnen erklärt oder gelöst worden ist […].“

Die durch „Kleidung und Zurschaustellung von Besitz und Rang“ inszenierte soziale Position ist in seinem Text unwichtig, wichtig ist vielmehr die individuelle ‚Qualität‘ der Beteiligten (quales ipsi). Daraufhin begründet er die Rolle der „philosophierenden Frau“ (femina philosophata) mit beachtlichem argumentativem Aufwand:43 nec deerit, mihi crede, tale hominum genus, cui plus placeat hoc ipsum, quia mecum philosopharis, quam si quid hic aliud aut iucunditatis aut gravitatis invenerit. nam et feminae sunt apud veteres philosophatae et philosophia tua mihi plurimum placet. [32] nam ne quid, mater, ignores, hoc Graecum verbum, quo philosophia nominatur, Latine amor sapientiae dicitur […] contemnerem te igitur in his litteris meis, si sapientiam non amares, non autem contemnerem, si eam mediocriter amares, multo minus, si tantum, quantum ego, amares sapientiam. nunc vero cum eam multo plus quam me ipsum diligas et noverim, quantum me diligas, cumque in ea tantum profeceris, ut iam nec cuiusvis incommodi fortuiti nec ipsius mortis, quod viris doctissimis difficillimum est, horrore terrearis, quam summam philosophiae arcem omnes esse confitentur, egone me non libenter tibi etiam discipulum dabo? „Und glaube mir, es werden auch solche Menschen nicht fehlen, denen es mehr gefällt, dass du mit mir philosophierst, als dass sie hier etwas Vergnügliches oder Gewichtiges finden. Denn bei den Alten gibt es auch philosophierende Frauen, und außerdem gefällt mir deine Philosophie am besten. [32] Denn, Mutter, damit dir nichts unbekannt bleibt: das griechische Wort, mit dem die ‚Philosophie‘ bezeichnet wird, heißt auf lateinisch ‚Liebe zur Weisheit‘ […] Ich würde dich nämlich dann in meinen Schriften mit Nichtachtung übergehen, wenn du 42 Ibid. Zur Verortung von Augustins Aussage in der antiken Theorie der sozialen Rolle vgl. Fuhrer (2020) 225f. 43 Ord. 1,31f.

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Therese Fuhrer die Weisheit nicht liebtest, nicht aber würde ich dich in ihnen übergehen, wenn du die Weisheit nur mäßig liebtest, noch weniger, wenn du sie so stark wie ich liebtest. In Wirklichkeit liebst du sie mehr als mich selbst, und ich weiß, wie sehr du mich liebst, und du bist so tief in sie eingedrungen, dass du dich weder von einem schweren Schicksalsschlag noch vor dem Tod – was sogar großen Gelehrten erhebliche Schwierigkeiten bereitet – schrecken lässt; in dieser Haltung gipfelt nach dem Urteil aller die Philosophie. Wie soll ich selbst da nicht mit Freuden dein Schüler werden wollen?“

Zum einen verweist Augustin auf die bestehende Tradition, Frauen in philosophischen Diskussionen auftreten zu lassen.44 Zum anderen kann die Mutter, da sie die „Weisheit liebt“, per definitionem als ‚Philo-sophin‘ gelten.45 Diese Liebe zur sapientia übertrifft sogar ihre Mutterliebe zum Sohn, und durch dieses intensive philosopheîn im Sinn des ‚Strebens nach Weisheit‘ hat sie eine Stufe erlangt, auf der sie ‒ wie der platonische Sokrates ‒ die Furcht vor Schicksalsschlägen und vor dem Tod abgelegt hat. Damit hat sie, wie ihr bereits in De beata vita zugestanden wird, die arx philosophiae erreicht,46 mithin nicht durch intellektuelle Anstrengung, sondern durch die starke Liebe zur ‚Weisheit‘, die gemäß 1 Cor 1,24 mit Gottes Sohn identifiziert wird, wie auch bereits in Contra Academicos, im ersten der drei Cassiciacum-Dialoge.47 Die Mutter wird hier nun noch deutlicher mit dem Begriff der ‚Liebe‘ in Verbindung gebracht, durch die sie die höchste Stufe des philosophischen Strebens erreicht hat. Mit der Beteuerung, dass ihre Liebe zur ‚Weisheit‘, die an anderer Stelle als ‚Sohn Gottes‘ definiert worden ist, stärker sei als ihre Liebe zum leiblichen Sohn (cum eam multo plus quam me ipsum diligas), werden die Objekte der Liebe hierarchisiert. Somit wird der ‚Liebe‘ der Mutter zu ihrem ‚Sohn‘ (quantum me diligas) auch eine anagogische Funktion zugesprochen: Die liebende Mutter weist den Weg zur Weisheit, den sie emotional konnotiert; er wird durch den Auftritt der Mutter am Ende des ersten Gespräch von De ordine – wiederum performativ – unmittelbar als begehbar erwiesen.48 44 Zu denken ist an erster Stelle an Diotima (Plat. Symp.) und Aspasia (Aischin. Asp.), im römischen Bereich an Hortensius’ Mutter (Cic. Hort. frg. 48 Grilli), Senecas Mutter Helvia (Cons. Helv. 17,3) oder Porphyrios’ Gattin Marcella (Ad Marc. 3). Vgl. dazu Trelenberg (2009) 169. Conybeare (2006) 105f. zieht auch Cornelia, die Mutter der Gracchen, sowie die biblischen Figuren Maria und Martha in Erwägung. 45 Zur philosophia als amor sapientiae (so öfter bei Cicero und Seneca) vgl. Fuhrer (1997) 114f. Wie in der hier nicht zitierten Passage gesagt wird, steht sie dadurch, dass sie ihren amor nicht auf den Bereich „dieser Welt“, sondern auf das ‚Reich Gottes‘ und damit den alius mundus ausrichtet, der platonischen Zweiweltenlehre nahe; dazu Fuhrer (1997) 453–455. 46 Nach Clark (1999) 18–20 wird sie damit zu einem weiblichen Sokrates. 47 Acad. 2,1: summi dei virtutem atque sapientiam […] dei filius. Gemäß der Gleichung sapientia = dei filius ist die philosophia auch amor Christi. Zur Problematik der Verbindung des platonischen Eros mit dem amor dei vgl. Fuhrer (1997) 65–67. Später wird Augustin den platonischen Begriff amor mit der christlichen caritas gleichsetzen (civ. 14,7). Vgl. auch bereits Vulg. sap 8,2: hanc (scil sapientiam) amavi, et exquisivi a iuventute mea, et quaesivi sponsam mihi adsumere, et amator factus sum formae illius (vgl. auch diligere sapientiam in Aug. civ. 6,22f.; 7,10). 48 Zu Augustins Darstellung von Monnicas ‚Spiritualität‘ vgl. Power (1996) 87–89; Clark (2015) passim, bes. 34–115.

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In der folgenden Diskussion von Buch 2, in der die Mutter nun aktiv teilnimmt,49 verfangen sich Augustins Schüler immer wieder in Widersprüchen, weil sie nicht erklären können, wie die Annahme der Existenz des malum mit der Annahme eines allmächtigen Gottes zu vereinbaren sei. Der Autor Augustin lässt jedoch alle ontologischen Konzepte, die dem Bösen eine Existenz zusprechen, durch die von pietas geleitete Argumentation seiner Schüler und seiner Mutter widerlegen, die ihren Überlegungen das Gottesbild des guten Schöpfergottes zugrunde legen. Der Beitrag der Mutter zur Frage nach dem Ort des Bösen in der Welt besteht darin, die Prämissen, von denen die Diskutanten ausgehen, konsequent auf ihre theologische und religiöse Akzeptanz hin zu überprüfen.50 Dabei wird die pietas nicht so sehr als religiöse Scheu, sondern vielmehr als von der Gottesliebe geleitetes Denkprinzip verstanden.51 Die von der Mutter inszenierte ‚Liebe‘ zur ‚Weisheit‘ wird somit zum Leitmotiv der philosophischen Argumentation. 3. FAZIT Ich habe zu zeigen versucht, dass Augustin die Figur der Mutter Monnica, der er in den Confessiones die Rolle zuweist, die sie in Mittelalter und Moderne berühmt gemacht hat, bereits in den Frühdialogen entwirft und vorbereitet, allerdings mit einem anderen Schwerpunkt: Während das Spektrum von Rollen innerhalb des autobiographischen Narrativs der Confessiones natürlicherweise breiter ist, ist ihre Funktion in De beata vita und De ordine entsprechend der Tradition der Textsorte des philosophischen Dialogs klar eingegrenzt: Sie ist zum einen die Frau, die der Runde der Philosophierenden die häusliche Infrastruktur bereit stellt, zum anderen 49 Ihre Präsenz wird im Proömium von Buch 2 explizit begründet, auch mit Rekurs auf ihre Teilnahme im Gespräch von De beat. vita, wo diese wegen ihrer Rolle als Mutter des ‚Geburtstagskindes‘ nicht eigens gerechtfertigt werden musste (ord. 2,1): nobiscum erat etiam mater nostra, cuius ingenium atque in res divinas inflammatum animum cum antea convictu diuturno et diligenti consideratione perspexeram tum vero in quadam disputatione non parvae rei, quam die natali meo cum convivis habui atque in libellum contuli, tanta mihi mens eius apparuerat, ut nihil aptius verae philosophiae videretur. itaque institueram, cum abundaret otio, agere, ut conloquio nostro non deesset – „Auch meine Mutter war bei uns. Ihre geistige Begabung und ihre Begeisterung für die himmlischen Dinge hatte ich zwar schon im täglichen Zusammensein und durch ihre sorgfältige Beobachtung erkannt. Besonders in der Diskussion über ein nicht unbedeutendes Thema, die ich an meinem Geburtstag mit meinen Gästen geführt und in einer kleinen Schrift zusammengefasst habe, war mir ihr Denkvermögen so überwältigend deutlich geworden, dass es mir die besten Voraussetzungen für das wahre Philosophieren zu bieten schien. Da sie genügend Zeit hatte, hatte ich beschlossen, es so einzurichten, dass sie bei unserem Gespräch auf keinen Fall fehlte.“ 50 Dazu Fuhrer (2013b) 55. 51 Dem Prinzip liegt seinerseits die Prämisse zugrunde, dass Gott die von ihm geschaffene Weltordnung ‚liebt‘; vgl. z.B. ord. 1,17; 2,24 u.ö. Die caritas wird zusammen mit fides und spes im Rahmen der Lebensregeln genannt, deren Einhaltung die Voraussetzung für den Zugang zum höchsten Wissen sind (ord. 2,25).

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ist sie selbst auch eine Dialogfigur. Mit ihren Interaktionen strukturiert sie den Gesprächsverlauf so, dass die Dialoge sich in Ereignissequenzen gliedern lassen, zum einen auf der Ebene der ‚äußeren‘ Handlung, wo sie in der Rolle der Hausfrau und Mutter agiert, zum anderen auf der epistemologischen Ebene, wo sie die Rolle der Impulsgeberin für die philosophische Argumentation zu spielen hat. Diese Doppelfunktion, die der schreibende Autor Augustin der Mutter zuweist, hebt sie aus den anderen Dialogfiguren heraus. An ihrer Rolle lässt sich daher besonders deutlich zeigen, welche Bedeutung in den augustinischen CassiciacumDialogen den zahlreichen szenischen Elementen und dem gesamten ‚Personal‘ ‒ neben der Gruppe der intellektuellen Protagonisten auch den Nebenfiguren ‒ zukommt: Die Interaktionen zwischen einzelnen Akteuren und den ‚Requisiten‘ der Szenerie dienen nicht allein der Illustration bestimmer Aspekte der philosophischen Diskussion, sondern sind in dem Sinn als Narrativ gestaltet, dass sie dem Dialoggeschehen eine Plotstruktur verleihen,52 mit der die auf der philosophischen Ebene diskutierten Fragestellungen figural inszeniert, kausale Zusammenhänge verdeutlicht und Aporien herbeigeführt und auch sichtbar gemacht werden können. LITERATURVERZEICHNIS Primärliteratur, Übersetzungen und Kommentare Adam (2017): Augustinus, De beata vita. Textkritische Edition, Übersetzung und Einleitung von Simone Adam, Freiburg. Doignon (1986): Bibliothèque augustinienne. Œuvres de saint Augustin 4,1: De beata vita ‒ La vie heureuse, hg. von Jean Doignon, Paris. Fuhrer (1997): Therese Fuhrer, Augustin ‚Contra Academicos‘ (vel ‚De Academicis‘) Bücher 2 und 3, Einleitung und Kommentar, Berlin/New York. Fuhrer/Adam (2017): Augustinus, Contra Academicos, De beata vita, De ordine (Bibliotheca Teubneriana 2022), Berlin/Boston. Mühlenberg (1972): Ekkehard Mühlenberg „Über die Ordnung (De ordine)“, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Ekkehard Mühlenberg, in: Carl Andresen (Hg.), Augustinus, Philosophische Frühdialoge: Gegen die Akademiker, Über das Glück, Über die Ordnung, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Bernd Reiner Voss, Ingeborg Schwarz-Kirchenbauer und Ekkehard Mühlenberg, Zürich/München, 215–333. O’Donnell (1992): James J. O’Donnell, Augustine, Confessiones, vol. II: Commentary on Books 1‒7, Oxford. Trelenberg (2009): Jörg Trelenberg, Augustins Schrift De ordine. Einführung, Kommentar, Ergebnisse, Tübingen.

52 Dazu s.o. S. 276.

Der Philosoph und seine Mutter

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Therese Fuhrer

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ORTS- UND NAMENREGISTER Die Registereinträge erscheinen hier zunächst grundsätzlich in ihrer deutschen Variante. Sofern diese auf die englisch- oder französischsprachigen Aufsätze des Bandes verweisen, folgen deren entsprechende Äquivalente in Klammern. Abdera 19, 182–185, 188f., 193 Achill 104, 222, 224–226, 229, 231 Acontius 17, 24, 103, 107–109, 113, 118 Adeimantos 72f., 75f., 78, 83, 198–200, 202, 205–212, 214 Aelius Donatus 168 Aelius Theon (Aelius Théon) 14, 33, 35, 37, 39f. Aeschinus (Eschine) 41 Ägäis 221 Agathon 71, 126 Aias 224, 226 Aiolos 106 Aischines 246 Akusilaos 242 Alexander der Große (Alexandre le Grand) 20, 214f. Alkibiades (Alcibiades) 82, 143, 153, 192 Alypius von Thagaste 275 Ambrosius von Mailand 279 Anaxagoras 91 Anthemion (aus Thespiai) 128f., 132, 135 Antiochos von Askalon 253f., 257 Antonius Orator, M. (Antoine) 15, 47–57, 59–61, 63–65, 241–248, 250–252, 263 Apollodoros 152f. Apollonios 246 Appius 53 Apuleius (Apulée) 33 Archimedes 250, 256, 259 Arginusen 99 Ariadne 105f. Aristophanes 12, 21, 143f., 231f. Aristoteles (Aristote) 35, 55, 143, 222f. Arkesilaos 255, 259 Arpinum 239, 256 Artemon (Artémon) 35 Asia (Provinz) 246 Aspasia 282

Athen (Athènes) 20, 75, 89, 98, 100, 130, 134, 143, 153, 155, 198, 208–210, 245– 248, 251, 253f., 257 Atlantis 80f. Atticus, T. Pomponius 14, 31f., 34, 40–42, 239–241, 243f., 253f., 261, 266 Attika 87, 98, 153 Augustinus von Hippo 22, 25, 273–284 Aulus Gellius (Aulu-Gelle) 33 Autobulos 121f., 125, 131, 135 Axiochos 16, 82, 190, 192 Babylon (Babylone) 208 Bakchon aus Thespiai 17f., 123f., 126–133, 135f. Benedikt von Nursia 157–159, 170, 172 Biton 90 Böotien 123 Briseis 104 Brutus, M. Iunius 253 Caesar, C. Iulius (César) 32, 41f. Caesar Strabo (César Strabon) 32, 41f., 48, 55 Caieta 247 Canace 106f. Carbo, C. (Carbon) 62f., 262 Cassandra 111, 113 Cassiciacum 275, 278, 282, 284 Cato der Ältere 242, 262 Cato der Jüngere, M. Porcius (Caton d‘Utique) 46 Catulus, Q. Lutatius 65, 241–243, 248 Chalkidike 217 Chariton 230 Charmadas 246f. Chersonesos 217f., 226 Chrysis 51f., 54 Cicero, L. 253, 258 Cicero, M. Tullius (Cicéron) 12, 14f., 21f., 26, 31–35, 37–43, 45–53, 55–63, 159–

288

Orts- und Namenregister

161, 163, 169, 172, 181, 239–241, 243– 245, 248–266, 280, 282 Cicero, Q. Tullius 57f., 60f., 253, 264 Clodius Pulcher, P. 31 Cotta, C. Aurelius 64, 260, 263f. Crassus, L. Licinius 15, 49f., 52, 59–64, 245–252, 258, 260, 263 Cupido 111f., 116 Cydippe 17, 24, 103f., 107–110, 113, 118 Delion 98 Delos 107–109 Demetrios von Phaleron (Démétrios de Phalère) 14, 33, 35–41, 147f. Demokrit (Democritus) 19f., 181–193 Diogenes (Diogène) 133–135, 211, 214 Dionysios von Halikarnassos (Denys d‘Halicarnasse) 14, 33, 35, 37–39, 51 Dionysios von Syrakus 256 Diotima 71, 282 Eleus 217 Ennius 62 Er 210, 233 Euphrat (Euphrate) 199f. Eupolis 144, 231 Euripides 10, 133 Eurybates 105 Fabius Pictor 241f. Fortunatus von Todi 165f. Fronto, M. Cornelius (Fronton) 33 Galba, Servius Sulpicius 262 Gallien 160, 174f. Gallus 160, 174f. Glaukon 72f., 75–78, 83, 149 Glykera (Glycère) 51 Gracchus 62 Gregor der Große 18f., 25, 157–175 Griechenland 239, 243, 245f., 248, 251f., 256f., 264 Hannibal 214f. Hecuba 114 Hektor 221, 224–227 Helena 17, 24, 55, 103f., 107, 110f., 113– 118, 142, 226 Helikon 17f., 121–125, 128, 130, 132–136 Helix 221 Hellanikos 242 Helvia 282

Herakles (Heracles) 150, 187, 191, 223 Hermokrates 81 Hero 17, 103f., 107, 118 Herodes Atticus 206 Herodot 16, 88–92, 96, 99, 146 Hesiod 73, 75, 133f., 187, 227 Hiera 225 Hieron I. von Syrakus 16, 26, 87–89, 91– 101 Hippias 149f. Hippokrates (Hippocrates) 19f., 26, 147f., 150f., 181–194 Homer (Homère) 46, 73, 75, 91, 142, 149f., 218f., 221, 223, 225–229, 231 Horaz (Horace) 181, 214, 223 Hypermestra 106 Ilion 111f., 228 Imbros 220 Ion 145f., 152 Ionien 217f. Ischomachos 18, 153–155 Ismenodora (aus Thespiai) 17f., 123–133, 135f. Isokrates (Isocrate) 55, 93, 146 Italien (Italie) 19, 157–159, 163, 165–167, 170f., 175, 214, 217 Ithaka 228 Jason 106 Jesus von Nazareth 19, 159, 167, 170 Julianus 166 Juno 112, 115–117 Juvenal (Juvénal) 214 Kallias 144, 147–150 Kap Sigeion 220 Karneades 255 Kebes 77, 82f. Kentaur 230, 232f. Kephalos (Céphale) 211 Kilikien (Cilicie) 58, 135, 199, 246 Kleitomachos 246 Kleobis 90 Kos (Cos) 183, 220 Kritias 80f. Kritobulos 153–155 Kriton (Criton) 36, 83, 152 Kroisos (Crésus) 16, 88–91, 94, 96, 99, 213–215 Kyros der Große 90f.

Orts- und Namenregister Laelius, C. 247, 249f., 262 Laodamia 106 Lavernium 247 Leander 17, 103f., 107, 118, 168 Lebadeia 98 Lemnos 220 Lepidus, M. Aemilius 262 Lucceius, L. 262 Lucilius 248 Lukian (Lucien) 20, 197, 200, 203, 208– 215, 230–233 Lynkeus 106 Macareus 106 Mailand 274 Makedonien (Macédoine) 41, 245f., 249f. Marcella 282 Martin von Tours 159f., 164, 170, 174f. Maximian von Syrakus 157f. Medea 106f. Menander (Ménandre) 41 Menelaos 116, 227 Menipp (Ménippe) 201, 210f., 214, 231 Metapont 254 Midas 214 Minerva 115 Minucius Felix 160, 163 Miseno (Misène) 65 Monnica 22, 26, 273f., 276, 278–280, 283 Mucius, P. 242 Mysien 221f. Neoptolemos 223 Nikokles von Salamis 93 Octavius (Figur) 160 Odysseus 147, 150, 227–229 Oebalus 113 Orpheus 149, 227, 230 Ostia 273f. Ovid 103f., 107, 113f., 118 Pallas 112, 117 Pamphile 51 Panaitios 246 Paris 17, 24, 103f., 107, 109–118, 221, 226 Pausanias von Sparta 91 Peisias aus Thespiai 124, 127–133, 135 Periandros von Korinth 91 Perikles 16, 89, 91, 97–100, 149 Perseus 249

289

Petrus (Diakon) 18f., 158–164, 166f., 171– 173 Phaidon 18, 74, 77, 80, 82f., 143, 152, 219 Phaon 104 Pherekydes 242 Philon von Larisa 257 Philostrat 21, 26, 217f., 221, 224, 228, 230, 233 Philus 250 Phönizien 217 Phylake 217 Pindar 97 Piräus (Pirée) 20, 198, 202, 207, 209 Piso Frugi, M. Pupius 242, 253–255, 257f. Platon (Plato) 10–12, 15–17, 20, 25, 32f., 35–37, 39, 41, 71f., 74–76, 78, 82–84, 89, 91, 105, 125f., 133f., 142–147, 151–153, 184, 186–188, 190, 193, 209, 219–221, 223, 231–233, 239, 247, 253, 255 Plautus, T. Maccius (Plaute) 33, 40 Plutarch 10, 17f., 25, 121–130, 133–136, 194 Polemarch (Polémarque) 209 Polykrates (Polycrate) 213 Pompeius Magnus, Cn. (Pompée) 32f. Pomponia 31f. Postumianus 160, 174 Priamus 111f. Prodikos (Prodicus) 149–151, 187 Protagoras 18, 71, 141–144, 147–152, 155, 190 Protesilaos 21, 106, 217f., 220–223, 225– 229, 232 Protogenes aus Tarsos 124, 127, 129–132, 135 Pseudolus 40f. Ptolemaeus 253 Pydna 250f. Pythagoras 254 Quintilianus, M. Fabius (Quintilien) 33 Quintus (Neffe Ciceros) 14, 31–34, 41f., 46f. Rhodos 246 Rom (Rome) 22, 32, 38, 42, 46f., 58, 65, 157, 241, 243–245, 247f., 251, 257, 260–266, 273f. Roscius 55 Rufus, P. Rutilius 264

290

Orts- und Namenregister

Sappho 104 Sardanapalos (Sardanapale) 214 Sardes 89 Scaevola, Q. Mucius 64, 245–247, 260, 264 Scipio Aemilianus, P. Cornelius (der Jüngere) 245, 247, 249–252, 260 Seneca, L. Annaeus (Sénèque) 33 Sidon 217 Simmias 77, 82 Simon 51, 54, 56 Simonides von Keos 16, 87f., 91–100 Sizilien 256, 259 Skione 217 Sokrates (Socrates, Socrate) 15f. 18, 36–40, 71–78, 80–84, 87–89, 97–100, 105, 126, 141, 143–145, 147f., 150–155, 186f., 190, 192–194, 209, 211, 232, 255, 258f., 282 Solon 16, 81, 88–92, 94, 96, 99, 133 Sosie 51, 54, 56 Sparta 111, 114, 124, 135 Strepsiades 232 Suetonius Tranquillus, C. (Suétone) 33 Sulla Felix, L. Cornelius 257 Sulpicius Gallus, C. 249–251 Sulpicius Severus 159f., 163, 170f., 174f. Sybaris 217f. Syrakus 87, 91, 97, 157f., 256 Talthybius 105 Tantalos 149f. Teiresias (Tirésias) 210 Terentius Afer, P. (Térence) 51–55 Thales von Milet 91, 219f. Theben 98, 135 Theseus 105 Thespiai 17, 122f., 126, 128, 130–132, 134f. Thessalien (Phthia) 217 Thrasymachos 73 Thukydides (Thucydide) 14, 33, 37f., 210 Timaios 16, 72, 80f. Todi 165f. Torquatus, L. Manlius 258f. Troas 217, 221 Troja 111f., 114, 217, 221, 225–228, 230, 233 Trygetius 276 Tubero, L. Aelius 33, 249 Tusculum 255 Tyndareus 111f., 114, 116 Tyros 217

Venus 111–117 Xanthias 232 Xenophon 16, 18, 26, 87–89, 91f., 96f., 99– 101, 143, 153, 155, 187

STELLENREGISTER AELIUS THEON Progymnasmata 62‒64 62 87 39 87,14‒91,12 39 89 39 AMBROSIUS VON MAILAND ep. 75a, 34 279 hymn. 4,32

278

ALTES TESTAMENT 2Kön 7,3ff. 172 4Kön 4,24

172

ARISTOPHANES Equ. 732‒733 144 Nub. 45 72 225 1486 1503

232 232 232 232 232

ARISTOTELES poet. 2,1447b10 6,1450a3f. 6,1450b37 6,1451a37f. 6,1455b15–23

143 222 223 223 223

rhet. 1417a

55

rhet. Alex. 1438a 19–21

55

ATHENAIOS 11,504b

143

AUGUSTINUS VON HIPPO c. Acad. 2,1 282 2,13 275 beat.vit. 6 10 21 35

276f., 279 277 274 278

civ. 6,22–23 7,10 14,7

282 282 282

conf. 1–9 1,4 1,7 1,12 1,17 2,6 5,15 6,1 6,2 6,23 6,25 9,8 9,15 9,18 9,19‒22 9,32 9,36 9,37 10,3–6

273 274 274 274 274 274 274 274 274 274 274 274, 278 279 274 274 278f. 274 273 273

ep. 36,32 54,3

274 274

292

Stellenregister

ord. 1,17 1,22 1,31 1,31–32 2,1 2,24 2,25

283 279 280f. 281 274, 277, 283 283 283

persev. 53

273

retract. 2,6,1

273

soliloq. 1,3 1,13–15

280f. 279

CICERO ac. 2,11‒12 2,74

257 37

ad Brut. 40

46

Att. 1,5,2 5,1,3‒4 5,5,2 6,7,1 10,6,2 10,10,6 13,42 13,32,3 14,10,4

31 31 32 32 34 35 14f., 31‒33 57 32

Cael. 59

56

Cato 14,49 de orat. 1,1‒2 1,5 1,22‒23 1,23 1,28 1,41‒44 1,45 1,45‒57

1,47 1,75 1,82 1,93 1,130 1,144 1,154‒156 1,159‒161 1,264 2,4 2,1‒9 2,8‒9 2,11 2,22‒24 2,28‒29 2,30 2,51 2,51‒53 2,55 2,59‒60 2,62‒64a 2,80‒83 2,177 2,182 2,216‒291 2,219 2,235 2,310‒332 2,326‒328 2,328 2,328‒329 2,329 2,350 3,37 3,67 3,173 3,181 3,217

248 246 246 247 55 46 62 64 50 63 263 263 62 247 50 49 242 242 243 65 244 56 56 58 48 48 181 50 51 47, 49, 64 53 47 64 46 259 56 56 56

fam. 2,4,1 5,12

31 262

fin. 1,13‒14 2,1‒2 3,6‒8 3,19 5,1 5,2 5,3 5,4 5,8

264 258 264 46 253, 257 254 257 253f. 254

250 60 61 45 45 264 245 245 246

293

Stellenregister Hort. frg. 48 59a 59b

282 277 277

inv. 1,27 1,28

52, 59 49, 52

leg. 1 1,5 1,5‒6 1,6‒7 1,8‒10 1,10

241 241 239, 241 241 240, 266 240

Mur. 25

56

orat. 44 42 53 101

33 65 56 169

Phil. 4,7

31

rep. 1,13 1,15 1,19 1,21‒22 1,23 1,31‒32

264 249 249 250 249f. 250

Tusc. 1,1 1,5 1,5‒6 1,7 1,8 4,5 5,11 5,64‒66

252 262f. 266 266 255 252 255 256

DEMETRIOS eloc. (Περὶ ἑρμηνείας) 194 36 216 148 218 147 223 35

226 296 298

36 37, 41 37

DIOGENES LAERTIOS 3,18 143 3,48 10 3,48‒49 9 DIODORUS SICULUS 11,48,3‒8 97 DIONYSIUS VON HALIKARNASSOS Thuc. 34 38 37 38 37,2 38 40 38 GREGORIUS MAGNUS dial. 1, prol. 161 1, prol.1f. 161 1, prol.2–4 161 1, prol.6 162 1, prol.7 163 1, prol.8 163 1, prol.9 164 1, prol.10 164, 170 1,12 173 1,3,1–5 166 1,7 157 1,10,11f. 165 1,10,12–15 166 2,21,1–5 171 3,36 157 4,24 157 4,32 157 epist. 3,51 5,53a,5

157 168

Reg. 3,50,1:206

158

HERODOT 1,29,1 1,30,2 1,32,1 1,33 1,856,3

89 90 90 90 90

294

Stellenregister

HOMER Il. 3,122–244

142

Od. 11,582 11,601

150 150

HORAZ ars 140–152

223

epist. 2,1,194

181

ISOKRATES Nik. 2‒4 35f. 48

93 93 146

IUVENAL sat. 3,184 10,147–154

210 214

LUKIAN bis acc. 33 33‒34

231 197

dial. mort. 6 13

214 214

gall. 12 24 25

198, 200 213 213

Icar. 3 12 16 17 19

201 201 201 201 201

nav. 2 3 11 12

210 210 202, 209 205

13 16 19 20 22 24 26 27 29–30 30 31 32 33 35 37 39 40 41 44 46

199 205, 208, 211 206f. 200 198, 206, 210 199, 206 212, 214 211f. 202 207 207 199 200, 207 207f. 203, 207 211f. 213 211 212 208, 211, 214

nek. 2 6 8 11 17 18 21

201 210 201 201 201 201 210

Prom. es 5‒6

197

MENANDER Dysk. 602

41

Epitr. 85

41

NEUES TESTAMENT Joh 3,8 172 6,35 280 1Kor 1,24 4,16 13,13

282 170 279

OVID am. 1,1

116

295

Stellenregister 1,1,21‒26 1,4

116 117

her. 3,7f. 3,7‒17 3,9 3,15f. 3,17 10 10,7 10,7‒58 10‒14 11 12 12,21f. 12,23‒158 13 13,9‒30 14 14,19‒22 15 16,38 16,39‒144 16,45‒50 16,53‒88 16,67 16,69 16,70 16,74 16,75 16,75‒78 16,75‒90 16,77 16,79‒86 16,82 16,87 16,115f. 16,119‒124 16,145 17,109f. 17,115‒136 17,119f. 17,121 17,121f. 17,127f. 17,243 18,55‒118 19,19‒64 20 20,61f. 20,75‒90 20,129‒142 20,145f.

105 104 105 105 105 104‒106 106 105 104 106 104, 106 106 106 104, 106 106 106 106 104 113 110, 113 114 114 114 114 114 114 114 115 117 115 114 115 114f. 116 116 113 117 116 117 117 117 117 117 107 107 107 109 108 108 109

21,67‒114 21,93‒104 21,111‒114 21,113f.

107 109 110 110

PHILOSTRAT her. 1,2 2,6 4,4–5 4,6–10 4,10 5,2 5,4 6,3 7,8 7,9 8,6 8,8 8,11 8,12 8,14 8,18 10,2 11,4 11,7 13,3 13,4 14,1 14,3 14,3–4 15,9 18,6 19,1 19,1–2 19,1–3 19,2 19,3 20,1 20,2 20,3 22,1–4 23,1–2 24,1 24,1–2 25,1–4 25,10 25,10–16 25,13 25,17 34,4 37,1 37,5 43,1–4

219 219 229 219 232 219 219 218 229 220 220 220 220 220 220 220 229 229 221 229 222, 229 222, 225 220 220 221 225f. 222, 225 221 223 224 224 220, 224 226 221 226 229 225 229 227 226 226 226f. 222 227 227 227 221

296 43,2 43,4 43,10–14 48,11 51,13 52,1 53,1–3 54,1 54,12 55 55,6 57,13–17

Stellenregister 227 225 228 227 223 223 223 223 231 222 224 231

PINDAR P. 1,61f. 1,72‒79 2,70‒84

97 97 97

PLATON Ax. 369de 369e 371a 372a

82 82 82 190, 192

epist. 2,311a

91

Euthyd. 271a 272d 272e Gorg. 449bc 461bff 481d–e

36 37 36 71f. 71 143f.

Ion 533d1ff. 535b3 535d8 535e7

146 146 146 146

Lach. 183c‒e 201b–4

143 190

leg. 903a 903b 905c 858c‒859b

79 79 79 80

polit. 277a‒c

11

Phaid. 62c‒69e 69e‒72e 70a 70b 78b‒84b 117c5–117e4 230b

74 74, 77 82 74 74, 77 152 126, 186f.

Phaidr. 230b 230c 230e 242a 259a 246e4–5 264b–c 258b2f. 267b 278b 279c

182, 186 186 190 190 187 231 223 146 72 187 190

Prot. 310a8 310d2–4 312a2–3 314c3–e2 314e3–315d4 315e5‒316a2 328e‒329b 329b 333e4 334e‒335a

147 147 147 148 149 151 71 72 151 72

rep. 362e 362b 363ab 368c4‒369b4 392c f. 450b‒d 456b 466d 471c 472cd 472d 473a 498e 499d 502c

73 75 73 105 38 77 78 78 78 78 78 77 77 78 78

297

Stellenregister 533a 534b 611bc 612ab 612b 612bc 613b‒614b 614a‒621d

76 77 77 72 74 73 75 74

symp. 173a 174a 180c 207aff. 209eff. 215a 216e–217a 221d–e 481d‒e

126 126 190 71 71 193 193 193 144

Tht. 143a 143b5ff. 174a 210d 392c–394c

141 146 219 190 141

Tim. 19ff. 26cd

81 81

PLAUTUS Pseud. 1‒10 464‒465

40 40

749F‒750A 752D 753B 754B‒C 754E 755B 765C 766E 769B‒C 771D

129 130 130 127 130f. 124, 130f. 134 132 128 133

Sull. 12,4

257

symp. 7,711c

10f.

PORPHYRIOS Marc. 3 282

PLINIUS DER ÄLTERE nat. 2,53 250

PSEUDO-HIPPOKRATES ep. 3‒5 181 6a 181 10‒17 183 10,1 185 14 183 14,1 183 16 183 17 19, 181, 183, 194 17,1 182, 184, 188, 190 17,1–3 184 17,2 185‒187 17,3 187, 189f. 17,4 189, 191 17,5 186, 190f. 17,6 192 17,10 183,189f., 192

PLUTARCH de gen. 575e

194

PSEUDO-LONGINUS sublim. (Περὶ ‘Υψους) 26,2 146

Dem. 2

125

mor. 748B 749B 749C 749D 749E

128f. 122 124f., 130 124 127

QUINTILIAN Inst. 9,29,29‒23 10,1,129

33 33

298

Stellenregister

SENECA DER JÜNGERE Ad Marc. 3 282 Cons.Helv. 17,3

282

SULPICIUS SEVERUS dial. 1,1,1 160 1,23,1f. 174 1,23,3–7 174 1,24,1–3 174 TERENZ Andr. 54 86 105 105‒106 116

54 54 54 54 54

THUKYDIDES 3,38,4 146 VULGATA sap. 8,2

282

XENOPHON hell. 1,7 1,7,15

99 99

Hier. 1,1 1,2 1,8‒10 1‒7,13 2,5‒6 7,12‒13 8,1 8‒11 11,13‒15

91 93 93 93 94 94 95 93 95

mem. 3,1,1 3,5 3,5,1 3,5,4 3,5,15‒16 3,5,20 3,5,24 3,5,28

99 89, 97 97 98 98 98 98 98

oec. 2,9–3,1 3,6 6,11 6,16–17,2 7–21

154 154 154 154 154

pa l i ng e n e s i a Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft

Begründet von Rudolf Stark, herausgegeben von Christoph Schubert.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0552–9638

102. Theokritos Kouremenos The Unity of Mathematics in Plato’s Republic 2015. 141 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11076-1 103. Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Von Zeitenwenden und Zeitenenden Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum 2015. 219 S., geb. ISBN 978-3-515-11174-4 104. Sonja Nadolny Die severischen Kaiserfrauen 2016. 257 S. mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11311-3 105. Michael Müller Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570–812) Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor 2016. 413 S., geb. ISBN 978-3-515-11340-3 106. Hedwig Schmalzgruber Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus Mit einem Kommentar zu gen. 1–362 2016. 601 S. mit 1 Abb. und 8 Tab., geb. ISBN 978-3-515-11596-4 107. Stefan Weise (Hg.) HELLENISTI! Altgriechisch als Literatursprache im neuzeitlichen Europa 2017. 389 S. mit 5 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11622-0 108. Armin Eich / Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Das dritte Jahrhundert Kontinuitäten, Brüche, Übergänge 2017. 286 S. mit 30 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11841-5

109. Antje Junghanß Zur Bedeutung von Wohltaten für das Gedeihen von Gemeinschaft Cicero, Seneca und Laktanz über beneficia 2017. 277 S., geb. ISBN 978-3-515-11857-6 110. Georgios P. Tsomis Quintus Smyrnaeus Kommentar zum siebten Buch der Posthomerica 2018. 456 S., geb. ISBN 978-3-515-11882-8 111. Silvio Bär Herakles im griechischen Epos Studien zur Narrativität und Poetizität eines Helden 2018. 184 S., geb. ISBN 978-3-515-12206-1 112. Christian Rivoletti / Stefan Seeber (Hg.) Heliodorus redivivus Vernetzung und interkultureller Kontext in der europäischen Aithiopika-Rezeption 2018. 229 S., geb. ISBN 978-3-515-12222-1 113. Friedrich Meins Paradigmatische Geschichte Wahrheit, Theorie und Methode in den Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnassos 2019. 169 S., geb. ISBN 978-3-515-12250-4 114. Katharina Pohl Dracontius: De raptu Helenae Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar 2019. 571 S. mit 14 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12216-0 115. Gregor Bitto / Anna Ginestí Rosell (Hg.) Philologie auf zweiter Stufe Literarische Rezeptionen und Inszenierungen hellenistischer Gelehrsamkeit 2019. 280 S. mit 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12357-0

116. Antje Junghanß / Bernhard Kaiser / Dennis Pausch (Hg.) Zeitmontagen Formen und Funktionen gezielter Anachronismen 2019. 235 S. mit 3 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12366-2 117. Stefan Weise Der Arion des Lorenz Rhodoman Ein altgriechisches Epyllion der Renaissance 2019. 321 S., geb. ISBN 978-3-515-12412-6 118. Katharina Pohl Dichtung zwischen Römern und Vandalen Tradition, Transformation und Innovation in den Werken des Dracontius 2019. 302 S., geb. ISBN 978-3-515-12089-0 119. Bernd Bader Josephus Latinus: De Bello Iudaico Buch 1 Edition und Kommentar 2019. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-12430-0 120. Marco Palone Le Etiopiche di Eliodoro Approcci narratologici e nuove prospettive 2020. 240 S., geb. ISBN 978-3-515-12612-0 121. Klaus Meister Studien zur griechischen Geschichtsschreibung Von der Klassik bis zur Spätantike 2020. 346 S., geb. ISBN 978-3-515-12591-8 122. Anne-Elisabeth Beron / Stefan Weise (Hg.) Hyblaea avena Theokrit in römischer Kaiserzeit und Früher Neuzeit 2020. 216 S., geb. ISBN 978-3-515-12708-0 123. Donato De Gianni Iuvencus: Evangeliorum Liber Quartus Introduzione, testo criticamente riveduto, traduzione e commento 2020. 509 S., geb. ISBN 978-3-515-12844-5

124. Anne-Elisabeth Beron Calpurnius Siculus: Erste Ekloge Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar 2021. 346 S. mit 12 Tab., geb. ISBN 978-3-515-12843-8 125. Bernhard Kaiser Streit und Kampf Die verbalen Angriffe gegen Sokrates in Platons Gorgias 2021. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-12859-9 126. Gernot Michael Müller (Hg.) Figurengestaltung und Gesprächs­ interaktion im antiken Dialog 2021. 315 S., geb. ISBN 978-3-515-12906-0 127. Wolfgang Hübner Disiecti membra poetae Neue Spuren des astrologischen Lehrdichters Dorotheos von Sidon 2021. 115 S. mit 15 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12924-4 128. Christopher Diez Ciceros emanzipatorische Leserführung Studien zum Verhältnis von dialogischrhetorischer Inszenierung und skeptischer Philosophie in De natura deorum 2021. 406 S. mit 1 Tab., geb. 129. Bernd Lorenz (Hg.) Gregor von Nazianz: Threnos über die Leiden seiner Seele (Carmen II, 1, 45) 2021. 112 S., geb. ISBN 978-3-515-13035-6 130. Georgios P. Tsomis Das hellenistische Gedicht Megara Ein Kommentar 2022. 236 S., geb. ISBN 978-3-515-13108-7 131. Friedemann Drews Hermeneutik und kritische Bibelexegese in Augustins De Genesi ad litteram 2022. XIV, 390 S., geb. ISBN 978-3-515-13110-0 132. Walter Kißel Personen und persona in den Epigrammen Martials 2022. 233 S., geb. ISBN 978-3-515-13128-5

Trotz seiner beachtlichen Konjunktur von der Antike bis zur Moderne hat die literaturwissenschaftliche Forschung die gattungstypologischen Spezifika des Dialogs erst in jüngerer Zeit wahrge­ nommen. Ausgangspunkt war die Ein­ sicht, dass die für ihn charakteristische Wechselrede zwischen zwei oder meh­ reren Sprecherinstanzen kein nur ge­ fälliges Gestaltungselement darstellt, sondern den Schlüssel für seine Inter­ pretation. Daneben wurde der Dialog von affinen Textsorten abgegrenzt, etwa vom Traktat oder vom Drama. Wenig diskutiert wurde allerdings bislang, ob und inwieweit der formale Spielraum des

ISBN 978-3-515-13245-9

9 783515 132459

Dialogs auch narrative Elemente umfasst und welche eigenen, von genuin narrati­ ven Gattungen zu unterscheidende Lö­ sungen er bei deren Adaptation generiert. Die Autorinnen und Autoren bieten einen exemplarischen Überblick über die formalen und funktionalen Mög­ lichkeiten des Narrativen im antiken Dialog und gleichen diese mit seinen verschiedenen Verwendungsweisen ab. Auf diese Weise verhelfen die Beiträge einem bislang nicht gebührend gewür­ digten Aspekt des Dialogs zu seinem Recht und leisten einen Beitrag zu einem vertieften Verständnis seiner Poetik.

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