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German Pages 210 [212] Year 2007
Silvia Reuvekamp Sprichwort und Sentenz im narrativen Kontext
W G DE
Silvia Reuvekamp
Sprichwort und Sentenz im narrativen Kontext Ein Beitrag zur Poetik des höfischen Romans
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Zugl.: Bochum, Univ. Diss., 2003.
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-019157-8 Bibliografische Information der Deutschen
Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Üb er Setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2003 von der „Fakultät für Philologie" der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Ohne die Hilfe und Mitwirkung einer Reihe von Personen hätte dieses Buch nicht entstehen können. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Manfred Eikelmann, der mich stets vorbehaldos unterstützt hat. Prof. Dr. Heinz H. Menge bin ich für die Übernahme des Koreferats zu Dank verpflichtet, Dr. Heiko Hartmann für die Betreuung beim de Gruyter-Verlag, Nadine Krolla für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts. Bochum, im Februar 2007
Silvia Reuvekamp
Inhaltsverzeichnis Einleitung Volks sprachige Schriftlichkeit zwischen Tradition und Innovation. Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman 1 1. Einfuhrung in den Gegenstand 1.1. Terminologische Grundlagen
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1.2. Profil der im höfischen Roman verwendeten Sentenzen und Sprichwörter
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2. Literarizität und Pragmatik von Sprichwort und Sentenz im höfischen Roman
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3. Funktionsgeschichtliche Überlegungen
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3.1. Die Forschung zur Funktionalisierung von Sentenzen und Sprichwörtern im höfischen Roman
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3.2. Zur Verwendung von Sentenzen und Sprichwörtern in antiker Rhetorik, mittellateinischer Poetik und Brieflehre
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3.3. Verwendungsweisen von Sentenzen und Sprichwörtern im höfischen Roman
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4. Aneignung durch Ausgrenzung: Diskursive Praktiken literarischer Sentenz- und Sprichwortverwendung
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Inhaltsverzeichnis
4.1. Interdiskursive und intertextuelle Verwendung von Sentenzen und Sprichwörtern im Bereich der Figurenkonzeption des Artusromans
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4.2. Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung
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5. Sentenzen und Sprichwörter als Gestaltungsmittel einer intertextuellen Erzählwelt in der Krone
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Schlussbetrachtung
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Register der Sprichwörter und Sentenzen
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Register der Autoren und Werke
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Bibliographie
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Einleitung Volkssprachige Schriftlichkeit zwischen Tradition und Innovation Sprichwörter und Sentenzen im höfischen Roman Es gehört seit vielen Jahren zu den Gemeinplätzen der germanistischen Mediävistik, dass die Stellung der höfischen Romane wie der volkssprachigen Literatur des Mittelalters insgesamt zwischen antik-christlicher Schriftkultur und emanzipatorischen Bemühungen gegenüber diesem Hintergrund eines der hervorstechendsten Merkmale der Texte ist. Die Opposition von Tradition und Innovation bildet entsprechend bis heute das implizite Gerüst für die Beschreibung der Poetik gerade der deutschsprachigen Literatur um 1200. Während die Texte zu Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung im 19. Jahrhundert vor allem als Quelle für den „Urzustand" deutscher Sprache und Literatur in den Blick genommen wurden und deren Bindung an die romanische Tradition entsprechend entweder negiert oder kritisiert wurde,1 öffnete sich die Altgermanistik in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zunehmend in Richtung der mittellateinischen Philologie und Romanistik. Mit Blick auf die Kontinuitäten im Bildungswesen zwischen Antike und Mittelalter versuchte man, die poetische Ausgestaltung der Texte konsequent vor dem Hintergrund der Schulrhetorik bzw. antiker wie mittellateinischer Dichtungstheorie zu beschreiben, und rückte insbesondere die Verwendung rhetorischer Formen, Stiltypen und Motive ins Zentrum der Betrachtung.2 Durch diese stärkere Betonung des lateinischen Traditionshintergrundes volkssprachiger Literatur änderte sich das wissenschaftliche Interesse an den literarischen Kleinformen grundlegend, die in großem Umfang in 1
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So beschreibt Jacob Grimm in seiner Vorrede zum Deutschen Wörterbuch das Ziel der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der deutschen Sprache und Literatur in der Suche nach dem, was den Deutschen „allein den Stempel voller eigenheit aufzudrücken und zu wahren im stände" ist (DWb I, S. VII). Nachhaltig gewirkt haben vor allem die Arbeiten von Hennig Brinkmann Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung und Ernst Robert Curtius Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter.
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Einleitung
die Texte integriert sind: Neben die positivistisch quellenkundliche Forschung, die insbesondere Sprichwörter als „kulturelles Erbe" des Mittelalters sammelte und in ihrer ursprünglichen Gestalt nachzuweisen suchte,3 trat die Analyse der am antiken Vorbild orientierten rhetorischen Durchformung volkssprachiger Literatur, die Sentenzen und Sprichwörter als wichtige Gestaltungsmittel in unterschiedlichen Bereichen der Textkonstituierung verstand.4 Wie die allerorts anzutreffenden Quellenberufungen, Wahrheitsbeteuerungen und topischen Wendungen wurden auch Sentenzen und Sprichwörter in diesem Zusammenhang als Formen der Rückbindung an und Rechtfertigung vor der lateinischen Tradition verstanden, die erst den Freiraum für das Erzählen in der Volkssprache schaffen sollten. Obwohl der Forschung seither stets präsent blieb, dass die Poetik mittelhochdeutscher Literatur nicht ohne Bezug zur lateinischen Schriftkultur zu beschreiben ist, wendete man sich verstärkt dem innovativen Potenzial der Texte zu, fragte nach dem spezifisch volks sprachigen Dichtungsverständnis und betonte das Selbstbewusstsein, mit dem sich die Autoren gegenüber der Literaturtradition emanzipierten. Insbesondere im Zuge der sozialgeschichtlichen Paradigmen geschuldeten Forschung der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts kam es zu einer Marginalisierung der Bedeutung von Sentenzen und Sprichwörtern als Textbausteine ohne tieferen Bezug zur Poetik der volks sprachigen Literatur, die einer weiterführenden Beschäftigung der germanistischen Mediävistik lange Zeit entgegenstand.5 In der Weiterfuhrung positivistischer Parömiologie wurden vor allem Sprichwörter als Verständnis erleichternde Zugaben betrachtet, die die Rezeption des Schrifttextes durch den Bezug zur Alltagswelt des noch ungeübten Publikums erleichtern würden. Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts näherte man sich — angeregt durch die Ergebnisse der romanistischen Mittelalterphilologie, aber auch durch eine Neuorientierung der parömiologischen Forschung weg von positivistisch quellenkundlichen Ansätzen hin zu sprachwissenschaftlich erkenntnistheoretischen und v.a. pragmatischen Fragestellungen — dem lange Zeit vernachlässigten Gegenstand in neuer Weise: Im interdisziplinärem Austausch und unter den neuen methodischen Prämissen, die sich aus der intensiven Theoriediskussion des Fachs innerhalb der 3 4
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Zu Würdigung und Kritik der positivistisch quellenkundlichen Forschung vgl. Manfred Eikelmann: Studien zum deutschen Sprichwort im Mittelalter, S. 4ff. Vgl. Hennig Brinkmann: Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung, hier insbesondere S. 44f£, 91f£; Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, hier insbesondere S. 67ff. Zur Relativierung der Bedeutung von Sentenzen und Sprichwörtern im Rahmen der strukturalistischen Forschung vgl. unten, S. 51 ff.
Sprichwörter und Sentenzen im höfischen Roman
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letzten Jahre ergeben haben, wurde ein besseres Verständnis der Bedeutung gnomischer Texte im Umfeld volkssprachiger Schriftlichkeit angestrebt. So versuchte man unter anderem — Konzepte der mediengeschichtlich orientierten Debatte um die Stellung mittelhochdeutscher Literatur zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit aufgreifend — die Existenz der Mikrotexte an der Schnittstelle von schriftliterarischer Konzeption und Oralität zu erfassen, rekurrierte in der Beschreibung der spezifischen Qualität von Sentenzen und Sprichwörtern als Formen wiederholter Rede auf Vorstellungen der Intertextualitätstheorie und wies auf die Anbindung größerer literarischer Texte an verschiedene Diskurstraditionen durch die Integration von Kleinformen hin.6 Eine leitende Frage war in diesem Zusammenhang die nach den Bedingungen, unter denen die oft im jahrhundertelangen Wechselspiel zwischen mündlicher und schriftlicher Uberlieferung weitergegebenen Mikrotexte in neuen Zusammenhängen aktualisierend gebraucht und in komplexe Textgefüge integriert wurden. 7 Dabei deutete sich bereits in ersten Modellstudien die polymorphe Funktionalisierung von Sentenzen und Sprichwörtern wie anderen Kleinformen in unterschiedlichsten literarischen und außerliterarischen Verwendungszusammenhängen an. Allerdings nahmen die meisten dieser Modellstudien zunächst primär das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit in den Blick,8 wohl nicht zuletzt, weil hier die breite Sammlungstradition gnomischer Texte in der Volkssprache einsetzt und auch die Literatur dieser Zeit in noch stärkerem Maße als die hochmittelalterlichen Vorgänger Kleinformen integriert. 9 Auf die Bedeutung der höfischen Romane, deren Reichtum an Sentenzen und Sprichwörtern schon früh von der quellenkundlich positivistischen Forschung erkannt wurde, 10 wiesen vor allem Manfred Eikelmann und Tomas Tomasek mit Blick auf das breite Funktionalisierungsspektrum der Mikro-
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Erste wichtige Ergebnisse, die in Folge dieses neu einsetzenden Interesses an literarischen Kleinformen erzielt wurden, sind unter anderem in zwei Sammelbänden (Kleinstformen der Literatur, Sprichwort und Literatur im Mittelalter) zusammengetragen. Vgl. aber auch die Monographien von Wernfried Hofmeister (Sprichwortartige Miktotexte. Analysen am Beispiel Oswalds von Wolkenstein) und Manfred Eikelmann (Studien zum deutschen Sprichwort im Mittelalter). Vgl. Walter Haug und Burghart Wachinger: Vorwort zum Band Kleinstformen der Uteratur, S. V. Vgl. Burghart Wachinger: Kleinstformen der Literatur, S. 1. Die breite Verarbeitung von Kleinformen in der Literatur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit fasst Karl Euling im Bild von der „gnomischen Industrie" dieser Zeit (vgl. Das Priamel bei Hans Rosenplüt, S. 404). Vgl. Franz Joseph Mone: Zur Literatur und Geschichte der Sprüchwörter, S. 200.
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Einleitung
texte in den Texten hin.11 Unter ihrer Leitung entsteht zur Zeit im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts ein Handbuch zur Sentenzverwendung im höfischen Roman, das erstmals eine Bestandsaufnahme der in die Texte integrierten Sentenzen und Sprichwörter bietet. Die Aufschlüsselung des Materials nach pragmatischen Kategorien vermittelt einen ersten Eindruck von den vielfältigen Beziehungen, die Sentenzen und Sprichwörter in den komplexen literarischen Strukturen der Romane eingehen. 12 Aus der Mitarbeit an diesem Projekt ist das Frageinteresse der vorliegenden Arbeit entstanden. Erstes Ziel ist es, nähere Aufschlüsse darüber zu erlangen, mit welchem Interesse die höfischen Romane Sentenzen und Sprichwörter in so reichem Maße integrieren, welche poetischen und pragmatischen Möglichkeiten die Mikrotexte als Aus drucks form so attraktiv für die Autoren erscheinen ließen. Über die Frage nach der Funktionalisierung von Sentenzen und Sprichwörtern in unterschiedlichen Bereichen der Textkonstituierung hinaus gilt es dann, Arbeitstechniken der Autoren nachzuzeichnen und damit einen Beitrag zur Beschreibung einer impliziten Poetik des höfischen Romans zu leisten. Damit werden die Kleinformen nicht primär auf der Inhaltsebene als Kultursymbole betrachtet, die sich auf literarische oder außerliterarische Wertesysteme beziehen, sondern als Textbausteine, deren Gebrauch der Literarizität der Texte unterworfen ist. Gerade die Tatsache, dass es sich bei diesen Textbausteinen um Mikrotexte mit eigener Tradition handelt, die in der Verwendung und Kontextualisierung an bestimmte Vorgaben gebunden sind, birgt die Möglichkeit, volkssprachig literarische und eventuell sogar gattungsspezifische Strategien der Aneignung, Umformulierung und Neuformulierung des Bekannten und Gewussten aufzudecken. Aus der beschriebenen Zielsetzung ergeben sich folgende Arbeitsschritte für die Untersuchung: Wegen der terminologischen Unschärfe, mit der insbesondere der Sentenzbegriff bis in die jüngere Forschung hinein verwendet wird, gilt es zunächst, das Begriffsverständnis der vorliegenden Arbeit darzulegen. Damit soll nicht primär ein Beitrag zur Gattungsdiskussion im Bereich literarischer Kleinstformen geleistet werden; Ziel ist vielmehr eine Annäherung an das implizite Gattungsverständnis von Sentenz und Sprichwort, so wie es sich im Gebrauch der Mikrotexte im höfischen Roman niederschlägt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die in die Texte 11
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Vgl. u.a. Manfred Eikelmann: Autorität und ethischer Diskurs, passim; Tomas Tomasek: Sentenzen in Gotfrids Tristan, passim; vgl. zusammenfassend Manfred Eikelmann und Tomas Tomasek: Sentenzverwendung in mittelhochdeutschen Artusromanen, S. 136. Vgl. eine erste Beschreibung und Bilanzierung der Projektarbeit Manfred Eikelmann und Tomas Tomasek: Sentenzverwendung in mittelhochdeutschen Artusromanen, passim.
Sprichwörter und Sentenzen im höfischen Roman
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integrierten Kleinformen eine bestimmte Auswahl aus dem breiten Typenspektrum von Sprichwort (Bibelsprichwort, Rechts Sprichwort, grobianisches Sprichwort etc.) und Sentenz (Klassikerzitate, texteigene Formulierungen etc.) repräsentieren oder ob Verwendung und Kontextualisierung der Mikrotexte den Rekurs auf bestimmte Diskursbereiche (alltagssprachliche Diskurse, gelehrte Diskurse, institutionsgebundene Diskurse etc.) erkennen lassen. In einem zweiten Teil sollen dann die Konsequenzen formuliert und erörtert werden, die sich aus dem Profil der im höfischen Roman verwendeten Sentenzen und Sprichwörter für eine Untersuchung von Funktion und Poetik der Mikrotexte ergeben. Es wird eine Untersuchungsmethode vorgestellt, die einerseits dem Mikrotextstatus von Sentenzen und Sprichwörtern Rechnung trägt, also die Traditionsgebundenheit dieser Textbausteine im Auge hält, diese gleichzeitig aber als Teil einer literarischen Gesamtkonzeption vergegenwärtigt. Das Verwendungs- und Funktionalisierungsspektrum von Sentenzen und Sprichwörtern in den komplexen literarischen Strukturen des höfischen Romans steht im Zentrum eines dritten Teils. In Ergänzung zu den Ergebnissen der bisherigen Forschung, die sich weitgehend auf die Verwendung der Kleinformen im Prologauftakt und im Erzählerdiskurs konzentrieren, soll hier die polymorphe Funktionaüsierung der Mikrotexte in unterschiedlichen Bereichen der Textkonstituierung wie der Rezeptionssteuerung anhand einer ersten Beispielreihe aufgezeigt werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den poetischen Verfahren, die die Integration von Sentenzen und Sprichwörtern über verschiedene Funktionszusammenhänge hinweg auszeichnet. Ausgangspunkt dafür sind die Hinweise zur Verwendung von gnomischen Formen in antiker Rhetorik und mittellateinischer Poetik, die den zeitgenössisch-theoretischen Hintergrund für den Gebrauch der Mikrotexte im höfischen Roman bilden. Auf dieser Grundlage sollen in zwei exemplarisch vertiefenden Teilen Techniken und Strategien der Traditionsbindung oder Traditionsstiftung durch die Integration von Sentenzen und Sprichwörtern in die Romane aufgezeigt werden. Dabei geht es zunächst um die diskursiven Praktiken (Einverleibung, Aneignung, Ausgrenzung, Neudefinition etc.), mit denen die Texte im Rückgriff auf die Darstellungs- und Sprechweisen anderer Diskurse (Recht, Religion, Philosophie etc.) und literarischer Gattungen eigene Ausdrucksmöglichkeiten schaffen und das neue Genre gegenüber der literarischen Tradition profilieren. Im Anschluss widmet sich ein weiterer Teil speziell intertextuellen Relationen, die die Texte durch die Übernahme von Sentenzen und Sprichwörtern früherer Romane der Gattungstradition herstellen, um eine textübergreifende Erzählwelt zu konstituieren und den einzelnen Text in dieser zu positionieren. Im intendierten und
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Einleitung
explizierten Rückgriff auf einen Mikrotext und dessen Verwendung im Prätext zeigt sich in besonderer Weise die poetische Selbstreflexion der Gattung. Das Ziel der Arbeit wäre erreicht, wenn sie nicht nur einen bisher wenig beachteten Gegenstand in die Diskussion um die Poetik des höfischen Romans und dessen Stellung zwischen antik-christlicher Schriftkultur und volkssprachigem Selbstbewusstsein, zwischen Tradition und Innovation einfuhren könnte, sondern darüber hinaus zu einer umfassenderen Kontextualisierung des höfischen Romans in den verschiedenen, auf ihn einwirkenden literarischen, gesellschaftlichen und kulturellen Einflüssen beitragen könnte, die die Grundlage einer Beschreibung der spezifischen Poetik von Einzeltexten und Gattungen bildet.
1. Einführung in den Gegenstand 1.1. Terminologische Grundlagen Nicht in d e m engeren Sinne, sondern in d e m weiteren Umfange des Begriffs [...] wollen wir hier Hartmanns Sentenzen betrachten. 1 3
Mit diesen Worten schließt Wilhelm Weise in seiner Dissertation über die Sentenz bei Hartmann von Aue seine Begriffsbildung ab und fasst unter dem Begriff Sentenz — mit Verweis auf das deutsche Wörterbuch — die Spruchtypen Sprichwort, denkwürdiger Ausspruch und Zitat zusammen.14 Er begründet seine Verwendung des Terminus' als Oberbegriff für unterschiedliche Typen weisheitlicher Rede mit grundsätzlichen Gemeinsamkeiten in Inhalt, Textstruktur und Pragmatik: Das deutsche Wörterbuch fasst unter dem Begriff der Sentenz an dritter Stelle das Sprichwort, denkwürdigen Ausspruch und Zitat zusammen. Das ist vollk o m m e n berechtigt; denn alle drei sind ihrem wesentlichen Merkmale nach dasselbe: nämlich ein Erfahrungssatz, eine Lebensweisheit in feststehender Prägung, die durch ihre Form allgemeine Gültigkeit beansprucht und auch geniesst. 15
Hier kann und soll es nicht darum gehen, Weises Verständnis des Begriffs „Sentenz" und die daraus resultierende Zusammensetzung seines Untersuchungscorpus im Einzelnen zu erörtern.16 Vielmehr möchte ich am 13 14
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Wilhelm Weise: Die Sentenz bei Hartmann von Aue, S. 5. Die Arbeit Weises, die erstmals die Sentenzen des gesamten literarischen Werks Hartmanns von Aue zusammenstellt und Hinweise zum Traditionshintergrund der einzelnen Mikrotexte gibt, gilt trotz methodischer und konzeptioneller Schwächen immer noch als Grundlagenarbeit zur Sentenzverwendung im höfischen Roman. Vgl. zuletzt Wolfgang Mieder: „Die bisher bedeutendste Studie auf diesem Gebiet ist zweifelsohne Wilhelm Weises Die Sentew? bei Hartmann von Aue" {als man da^golt sol liutem in der esse, S.48). Wilhelm Weise: Die Sentenz bei Hartmann von Aue, S. 4. Entsprechend seines weit gefassten Sentenzbegriffs nimmt Weise unterschiedlichste literarische Kleinformen in sein Sentenzenverzeichnis auf. Darunter befinden sich aber nicht wenige Belege, wie z.B. das so genannte Lindengleichnis (swer die linden von dem wege/ name mwerderphlegeI und si in stnen garten sa^te/ und si mit buwe erga\te/ da\ si in dürrer erde/ stüende un^dar unwerdej und da^dar üjtatel da^ergedäht hegte/ da% er ir wolde wartenI in sinem boumgarten/ guotem obe^boumej dem möhte von einem troume/ niht serer sin betrogen,/ wan da würde niht
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Einführung in den Gegenstand
Beispiel seiner Begriffsbestimmung auf ein methodisches Grundproblem hinweisen, welches es im Umgang mit dem Gegenstand stets zu berücksichtigen gilt: die Verwendung des Begriffs „Sentenz" auf unterschiedlichen Beschreibungsebenen. Weise differenziert die gemeinsam betrachteten Spruchtypen auf der Grundlage ihres Autoritätsstatus. Während das Sprichwort den Anspruch auf Gültigkeit aus seiner allgemeinen Bekanntheit und kollektiven Existenzweise beziehe, sei dem Zitat die explizite Berufung auf eine Autorität mitgegeben. 17 Der denkwürdige Ausspruch gründe seinen Autoritätsanspruch in der Bindung an eine „schaffende Persönlichkeit", die zwar nicht ausdrücklich genannt, wohl aber gekannt und geschätzt werden müsse. Diesen speziellen Typ weisheitlicher Rede nennt er Sentenz in einem besonderen, in einem engeren Sinne: Unter denkwürdigem Ausspruch verstehen wir jetzt zumeist das Produkt einer individuellen, bekannten Persönlichkeit; auch er ist dem Leben endehnt, aber er zeigt doch mehr persönliche Ausprägung und entspringt tiefergehender Betrachtung. In speziellerem Sinne pflegen wir ihn wohl Sentenz zu nennen.18
Der Sentenzbegriff steht also gleichzeitig übergreifend für eine Gruppe unterschiedlicher Spruchtypen, die ein auf die Lebenswelt bezogenes Wissen in prägnanter Weise und mit dem Anspruch auf Gültigkeit formulieren, sowie für einen bestimmten Typ dieser Weisheitssprüche, der sich gegenüber den anderen durch seine Bindung an eine bekannte Persönlichkeit auszeichnet. Diese voneinander abweichenden Verwendungsweisen des Begriffs „Sentenz" sind keine terminologische Schwäche Wilhelm Weises, sondern Folge zweier parallel verlaufender Entwicklungstendenzen in der Begriffsgeschichte der sententia. Das begriffliche Konzept der Sentenz, so wie es sich in der rhetorischen und poetischen Tradition der Antike entwickelt, legt zunächst die Verwendung des Terminus im Sinne eines Oberbegriffs nahe: Seit dem 5. Jahrhundert vor Christus ist γνώμη \gnome\ in Rhetorik wie Poetik das Fachwort für Aussprüche ethischen Inhalts.19 Aristoteles bezeichnet mit γνώμη im zweiten Teil seiner Rhetorik eine allgemeine Aussage, die noran erlogen,! sme vli^ic man ir wtzrej da^ si beiger obe% bmre j dan ouch e nach ir artj e da^ si umgegraben wart/ besser erde von dem wege, / da si schein in swacherphkge. / swie schöne und edel ein boum si ist,/ michel graben unde mistl mac man dar an Verliesen (Hartmann von Aue: Erec, V. 6008ff.), die keinem der Spruchtypen Sprichwort, denkwürdiger Ausspruch und Zitat zugerechnet werden können, welche Weise unter den Sentenzbegriff subsumiert. 17 Vgl. Wilhelm Weise: Die Sentenz bei Hartmann von Aue, S. 4f. 18 Wilhelm Weise: Die Sentenz bei Hartmann von Aue, S. 4. 19 Vgl. v.a. Manfred Eikelmann: Gnomik, Sp. 733.
Terminologische Grundlagen
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mativ auf menschliches Verhalten bezogen ist.20 Die lateinischen Rhetoriker übersetzen γνώμη wegen der in Kürze und Redegestus begründeten Ähnlichkeit zu Urteilen und Erlassen öffentlicher Organe mit sententia (,Meinung',,Urteil'): Antiqttissimae sunt, quae proprie, quamms omnibus idem nomen sit, sententiae vocantur, quas Graeä γνώμας appellant: utrumque autem nomen ex eo acceperunt, quod similes sunt consiliis aut decretis
(Quintilian: institutio oratoria, 8,5,3).21
Dabei ist sententia wie bereits γνώμη Oberbegriff für allgemeine Sätze, die auf das menschliche Leben bezogenes Wissen in kurzer apodiktischer Weise vermitteln und die kunstvolle Rede sowohl schmücken als auch mit autoritativem Anspruch versehen, und schließt damit das Sprichwort mit ein. Sententia est oratio sumpta de mta, quae aut sit aut quid esse oporteat in vita, breviter {rhetorica adHerennium, 4,17,24). 22
ostendit
Auch im nachklassischen Gebrauch bleibt sententia ein Sammelbegriff: So wird in den Rhetoriken und Poetiken des lateinischen Mittelalters nicht systematisch zwischen den Bezeichnungen sententia und proverbium im Sinne eigenständiger Typen weisheitlicher Rede unterschieden; mitunter werden beide Bezeichnungen synonym verwendet. generale proverbium, id est communis sententia, cui consuetudo fidem attribuit, opinio assensum accomodat, incorruptae veritatis integritas adquiescat
communis
(Matthaeus von Vendome: ars versificatoria, S. 113).
Noch die Sentenzsammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts stellen unter dem Begriff der Sentenz unterschiedliche Spruchtypen zusammen.23 20 21
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Vgl. Aristoteles: ars rhetorica, 2,21. Ubersetzung von Helmut Rahn: „Die Altesten sind die, die im eigentlichen Sinn Sentenzen' heißen, obgleich ja die Bezeichnung für alle Arten die gleiche ist, die bei den Griechen sogenannten γνώμας (Sinnsprüche). In beiden Sprachen aber haben sie ihre Namen deshalb, weil sie Ratschlägen oder allgemeinen Bestimmungen ähnlich sind." Übersetzung von Theodor Nüßlein: „Ein Sinnspruch ist ein aus dem Leben genommener Ausspruch, der kurz zeigt, was im Leben der Fall ist oder sein müsste." Für das Sprichwort macht Manfred Eikelmann eine ähnliche Beobachtung: „Jeder Versuch, die mittelalterlichen Sprichwortbegriffe in eine Gattungsdefinition zu überführen, trifft auf das Problem, daß die tradierten Begriffe nur selten einmal auf ein typologisch scharf abgegrenztes Textfeld bezogen sind. Gerade in ihren morphologische Kriterien sind die Begriffe für verschiedene Formen sprichwörtlicher und sentenzartiger Rede offen. Die-
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Einführung in den Gegenstand
Gegenläufig dazu gibt es aber seit Beginn der theoretischen Beschäftigung mit gnomischen Formen in Poetik wie Rhetorik ein Interesse daran, das Sprichwort in seinem Typenumfeld näher zu qualifizieren. So widmete bereits Aristoteles dem Sprichwort eine eigene Abhandlung, die leider nicht erhalten ist. In seiner Rhetorik hebt er für die paroimlai neben der Eigenschaft, ein allgemeiner Satz mit handlungsanleitender Funktion zu sein, die es mit den gnöme teile und deretwegen es in diesem Umfeld anzusiedeln sei, im Besonderen die auf Situationen des menschlichen Lebens übertragbare Metaphorizität hervor. 24 Im Zuge dieser Entwicklung wird für die Sentenz in Abgrenzung zum alltagspragmatischen und nicht selten amoralischen Sprichwort v.a. ihr moralischer oder ethischer Nutzen betont. So sagt Aristoteles, die Sentenz verleihe der Rede wie dem Redner einen ethischen Zug.25 Auch in der römischen Rezeption Aristotelischer Gedanken wird die Sentenz ähnlich qualifiziert. Der Dramatiker Seneca setzt sich bemerkenswerter Weise nicht in seinen Überlegungen zur Rhetorik oder Poetik mit ihr auseinander, sondern behandelt sie ausfuhrlich in den epistulae morales,26 wobei er entsprechend unter sententia primär Zitate klassischer Dichter und Philosophen fasst, also Sprüche, die in ihrer Herkunft an eine bestimmte Autorität gebunden sind.
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ser Tatbestand prägt noch die spätmittelalterliche Sammlungsüberlieferung: Obwohl die Tendenz zur Herausbildung spezieller Sprichwortkorpora unübersehbar ist, werden Sprichwörter oft in enger Symbiose mit verwandten Gattungen wie Redensart, Sagwort oder anderen Spruchtypen (Lehrspruch u.a.) überliefert" (Studien zum deutschen Sprichwort im Mittelalter, S. 85). Noch die ersten wissenschaftlich geleiteten Sammlungen verfügen über ein ähnliches Sammlungskonzept: Vgl. Ignaz von Zingerle: „So sehr ich aber bestrebt war nur das eigentliche Sprichwort und dessen Bearbeitungen zu berücksichtigen, so kann ich nicht verhehlen, dass vielleicht in folgender Lese trotz aller Ausscheidung manche Sentenzen unterlaufen, die nicht Gemeingut des Volkes, sondern Eigenthum einzelner Dichter waren. Denn es ist schwer, eine untrügliche Scheidungslinie zwischen dem volksthümlich ausgedrückten Erfahrungssatze eines Dichters und dem Sprichwort im engsten Sinne zu ziehen" (Die deutschen Sprichwörter im Mittelalter, S. 4). Auch der Thesaurus Proverbiorum medii aevi als neustes und umfangreichstes Lexikon mittelalterlicher Sprichwörter, das auf die Materialsammlungen Samuel Singers zurückgeht, stellt die gesammelten Texte weitgehend nach den intuitiven Maßstäben seines Begründers zusammen: „Der Leser des Thesaurus wird feststellen, dass dem hier gesammelten Material ein sehr weiter Sprichwortbegriff zugrunde liegt. Neben eigentlichen Sprichwörtern, die den Kriterien der oben genannten Sprichwortdefinitionen genügen, finden sich auch Texte, die in ihrer Ausdehnung die übliche Norm des Sprichworts über- oder unterschreiten, die aus mehreren Versen oder Sätzen bestehen, und andererseits Redewendungen, die das Kriterium der syntaktischen Selbständigkeit nicht erfüllen, oder sogar auf ein einziges Substantiv beschränkte Prägungen. Neben eigentlichen Sprichwörtern figurieren auch feste Satz formein, die als Kommentar zu einer bestimmten Situation stereotyp verwendet werden" (TPMA I, S. Xf.). Vgl. Manfred Eikelmann: Sprichwort, passim. Vgl. ars rhetoma, II, 21. Seneca: epistulae morales, 33,1-11. Vgl. auch Peter Bemath: Die Sentenz im Drama von Kleist, Büchner und Brecht, S. 9f.
Terminologische Grundlagen
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Bereits im antiken Gebrauch werden also je nach Interesse in der Gruppe der gnomischen Formen einzelne Typen nach besonderen Textmerkmalen unterschieden. Und bereits hier kann sententia sowohl, das Sprichwort einschließend, als Oberbegriff für die gnomischen Formen fungieren als auch, in Abgrenzung zum Sprichwort, einen besonderen Spruchtyp bezeichnen, der sich im Kern durch die Bindung an eine personale Autorität sowie einen besonderen ethischen oder moralischen Nutzen auszeichnet. Wie das Beispiel Weises zeigt, ist noch die neuzeitlich wissenschaftliche Verwendung des Terminus „Sentenz" vom antiken Wortgebrauch geprägt. In der germanistischen Mediävistik wurde zwar versucht, durch erläuternde Zusätze oder die Verwendung alternativer Bezeichnungen für die eine oder andere Bedeutungskomponente größere terminologische Schärfe zu erreichen, doch ist aus diesen Bemühungen bisher keine einheitlich geregelte Begriffsverwendung hervorgegangen. Relativ verbreitet ist die schon von Weise vorgenommene Unterscheidung in „Sentenz im weiteren Sinne" als nähere Spezifizierung des Oberbegriffs für unterschiedliche Spruchtypen sowie „Sentenz im engeren Sinne" als Bezeichnung für den an einen Autor gebundenen denkwürdigen Ausspruch.27 Für die Sentenz im engeren Sinne wurden außerdem Bezeichnungen wie schriftliterarische Sentenz, poetische Sentenz oder Autorsentenz gewählt, die ihre Gebundenheit an das Medium der Schrift oder eine Autorpersönlichkeit herausstellen. Alternativ zur Klassifizierung „Sentenz im weiteren Sinne" finden sich insbesondere in neuerer Zeit ein ganzes Spektrum an Bezeichnungen, die sich nicht selten ohne expliziten gattungstheoretischen Hintergrund auf allgemeine Reflexionen in literarischen Texten beziehen.28 Weiterhin wird der Terminus Sentenz aber unspezifiziert in beiden aus der Begriffgeschichte resultierenden Verwendungsweisen gebraucht. Die terminologischen Unsicherheiten im wissenschaftlichen Umgang mit der Sentenz zeigen, dass es keine annähernde Verständigung auf ein hinter den Bezeichnungen stehendes begriffliches Konzept gibt.29 27 28
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Vgl. Wilhelm Weise: Die Sentenz bei Hartmann von Aue, S. 4f. So z.B. "sprichwortartige Mikrotexte" (Wernfried Hofmeister: Sprichwortartige Mikrotexte. Analysen am Beispiel Oswalds von Wolkenstein), „sentenziöse Bemerkungen" (Paul Herbert Arndt: Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 111); „sprichwörtliches Material" (Susanne Schmarje: Das sprichwörtliche Material in den Essais von Montaigne). Wolfgang Mieder unterscheidet zwischen „sprichworthaften Sentenzen" und „eigentlichen Sprichwörtern" (als man da^golt sol liutern in der esse, S. 55). Dies offenbart sich nicht zuletzt in der stark abweichenden Identifizierung sowie unterschiedlichen Klassifizierung von Textstellen. In der direkten Gegenüberstellung werden beinahe kurios wirkende Aussagen über die Sentenzen des gleichen Textes verständlich, wenn man das völlig unterschiedliche Verständnis des Gegenstandes beachtet: Während Wilhelm Weise auf der Grundlage seines offenen Sentenzbegriffs 39 Belege aus Hartmanns von Aue Erec als Sentenzen identifiziert, kommt Paul Herbert Arndt wegen seiner engen,
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Einführung in den Gegenstand Bis auf wenige Ausnahmen [...] werden in Stilistik und Poetik die Ausdrücke Sentenz und Gnome, zugleich mit noch anderen wie Maxime, Lehrspruch, Denkspruch, Sittenspruch, Sinnspruch, Spruch synonym gebraucht. Schlimmer ist, daß auch die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der beiden Gebilde nicht erkannt ist, so daß sie sachlich miteinander verwechselt und ohne Recht verkettet werden. 30
Nicht wenige der neueren Definitionsansätze sind vom speziellen Interesse geleitet, die Sentenz gegen nur eine oder zwei ihrer Nachbargattungen — in der germanistischen Forschung vorzugsweise gegen Sprichwort und Aphorismus — abzugrenzen. Je nachdem, um welche Nachbargattung es sich dabei handelt, werden ganz unterschiedliche Textmerkmale der Sentenz in den Vordergrund gestellt.31 Eine Strukturierung oder Hierarchisierung der die Sentenz kennzeichnenden Eigenschaften fehlt bisher völlig. Stattdessen werden je nach Frageinteresse inhaltliche, morphologische oder funktionale Merkmale ins Zentrum gerückt. 32
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am Inhalt der Mikrotexte orientierten Kriterien dagegen für den gleichen Text zum Schluss, dass sich kein Beleg finden lasse, „den man als ,Sentenz' in einem strengen Sinne bezeichnen möchte" (Der Erzähler bei Hartmann von Aue, S. 120). Vgl. zu diesen unterschiedlichen Ergebnissen auch Wolfgang Mieder, der 59 Sprichwörter im Erec klassifiziert (als man da\golt sol liutern in der esse, S. 46f., 57). Paul Niemeyer: Die Sentenz als poetische Ausdrucksform vorzüglich im dramatischen Stil, S. 2f. Vgl. hier auch weitere Beispiele für die problematische Verwendung des Sentenzbegriffs. So stellt Wilpert in seiner Definition, die auf einer Abgrenzung der Sentenz gegen den Aphorismus gründet, die inhaltliche Klarheit, die fehlende Verrätselung heraus: „Die Sentenz ist eine knapp und treffend formulierte Erkenntnis, die auf Grund ihrer leichten Einprägbarkeit und Allgemeinverständlichkeit (im Gegensatz zum Aphorismus) vom persönlichen Einzelfall verallgemeinert wird und schließlich eventuell als Sprichwort in den Volksmund dringen kann" (Sachwörterbuch der Literatur, S. 563). Ganz ähnlich definiert Wilbolz: „Die Sentenz geht auf geschliffene Kürze, Prägnanz, rasche Verständlichkeit und Eindrücklichkeit aus und hält sich zumeist an Einsichten von weitem Gültigkeitsbereich. Da sie Durchsichtigkeit und Eindeutigkeit anstrebt, fehlt ihr die aufreizende Paradoxie, die schwer aufzulösende Problemtiefe des Aphorismus" (Lichtenbergs Kurzformen, S. 123). Definitionen, die in der Abgrenzung zum Sprichwort gründen, betonen dagegen fast entgegengesetzt die inhaltliche Komplexität der Sentenz. „Das charakteristische Merkmal, wodurch sich die eigentlichen Sprichwörter von den bloßen Sprüchen oder Sentenzen oder Gnomen unterscheiden, ist dieses, daß die letzteren irgendeine sittliche Lehre oder Wahrnehmung ganz abstrakt und allgemein in möglichster Kürze aussprechen" (Wackernagel: Poetik, Rhetorik, Stilistik, S. 116). „Unter Sentenzen versteht man Aussprüche von Dichtern und Schriftstellern, die eine lehrhafte Tendenz haben und nicht, wie die Sittensprüche, ein eigenes Ganzes für sich bilden, sondern aus einem größeren Werke etwa einem Drama, Epos oder Roman entnommen sind. Auch solche werden oft genug zu Sprichwörtern, aber nur, wenn die Sentenz sich nicht zu sehr über Anschauungs- und Ausdrucksweise des Volkes erhebt" (Friedrich Seiler: Deutsche Sprichwörterkunde, S. 9f.). Während sich die Klassifizierung im rhetorischen Bereich beispielsweise eher auf funktionale Aspekte beruft („Die sententia ist ein ,infiniter', d.h. nicht auf den Individualfall begrenzter, in einem Satz formulierter Gedanke, der [...] als Beweis oder als omatus verwendet wird. [...] Der infinite Charakter und die Beweisfunktion der sententia kommen daher, daß
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Deutlich konzeptioneller hat sich die romanistische Forschung bereits in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts um ein einheitliches Begriffsverständnis der Sentenz bemüht, das bei der von Aristoteles getroffenen Unterscheidung zwischen Sentenz und Sprichwort ansetzt. Die funktional nah verwandten Formen werden dabei vor allem mit Blick auf ihre Existenzweise und die damit verbundene ästhetisch-stilistische Qualität wie die Fundierung ihres Wahrheitsanspruches differenziert. Während das Sprichwort als kultureller Code in seiner Existenz nicht an einen bestimmten Text oder eine bestimmte Situation gebunden sei, seine Gültigkeit daher auch nicht zur Disposition stehe, zeichne sich die Sentenz durch ihre enge Bindung an den literarischen Text aus, der ihre Wahrheit erst fundiere. 33 An dieses auf die Differenzierung funktional verwandter Formen gerichtete Begriffsverständnis der Sentenz schließt die vorliegende Arbeit an, auch wenn die Unterscheidung zwischen Sentenz und Sprichwort in der mittellateinischen Theoriebildung nur gelegentlich gemacht wird und schon das antike Konzept der sententia vor allem die gemeinsame Betrachtung verschiedener gnomischer Typen nahe zu legen scheint. Für einen solchen Ansatz spricht, dass in der rhetorischen und poetischen Tradition seit Aristoteles gerade dann auf die spezifischen Eigenschaften von Sentenz und Sprichwort abgehoben wird, wenn es um die Begründung ihres Autoritätsstatus geht. In diesem Zusammenhang werden beiden Formen ganz unterschiedliche Weisen des Einwirkens auf den Rezipienten zugeschrieben: So erscheint die Sentenz als literarischer Formtyp, der durch seine ästhetische Qualität und den ethischen Gehalt überzeugt, wogegen sich das Sprichwort durch seinen Alltagsbezug empfehle. Für eine Untersuchung von Funktion und Poetik literarischer Kleinformen in den höfi-
die sententia im sozialen Milieu ihres Geltungs- und Anwendungsbereiches als einem Richterspruch ähnliche autoritätshalüge und auf viele konkrete Fälle anwendbare Weisheit gilt" (Heinrich Lausberg: Handbuch der Rhetorik, § 872), sind es im literaturwissenschaftlichen Bereich oft inhaltliche Kriterien, die zu einer Identifizierung führen: „Die erste Voraussetzung, auf die die Sentenz ihre Existenz gründet, ist der im Dichter lebendige Glaube an das Vorhandensein einer höheren Welt der Werte und an die Hintergründigkeit des menschlichen Daseins, also der Glaube an die Abhängigkeit alles Geschehens und Seins von höheren, bleibenden Gesetzen, damit auch an die Verwirklichung jener höheren Welt im sinnlichen Dasein" (Paul Niemeyer: Die Sentenz als poetische Ausdrucksform, S. 96); „Das Entscheidende, wodurch der schlichte konstatierende Einzelsatz zur sinntragenden gnome wird, ist — wie in der Tierfabel — die auf Einzelbeobachtung und konventioneller Deutung beruhende, ausgesprochene oder unausgesprochene Umwertung des Individuellen zum Typischen, des Einmaligen zum Exemplarischen" (Ernst Hellgardt: Konflikte in der Gnomik, S. 309). 33
Vgl. maßgeblich Marie Louise Oilier: Proverbe et Sentence: le discours d'autorite chez Chretien de Troyes, hier insbesondere S. 329ff., 342ff.
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Einfuhrung in den Gegenstand
sehen Romanen sind diese Unterschiede in Wirkungsweise und -absieht aber von grundlegender Bedeutung. In Anlehnung an das beschriebene Begriffsverständnis wird mit „Sentenz" im Folgenden immer die literarische Sentenz als Einzelgattung im Typenfeld des gnomischen Spruchs bezeichnet, während der lateinische Terminus sententia als Oberbegriff für die Bezeichnung dieses Gattungsfeldes verwendet wird.
Begriffsbestimmung des Sprichworts Für das Sprichwort hat Manfred Eikelmann eine Explikation der Merkmale vorgelegt, die diesen Spruchtyp im Umfeld gnomischer Formen näher klassifizieren und damit seinen Status als eigenständige Gattung begründen. Ausgehend von diesen Merkmalen entwickelt er eine Begriffsbestimmung, die sich nicht als historisch und kulturell übergreifende Definition des Sprichworts versteht, sondern speziell die Gattungssituation im Mittelalter in den Blick nimmt.34 Dieses historisierte Begriffsverständnis, welches der vorliegenden Arbeit im Wesentlichen zu Grunde gelegt wird, soll im Folgenden kurz skizziert und im Anschluss mit Blick auf das Profil der im höfischen Roman verwendeten Sprichwörter weiter spezifiziert werden. Mit Beginn des 13. Jahrhunderts beobachtet Eikelmann ein neues Interesse am Sprichwort: Während es wegen der „brauchtümlichen" Herkunft wie mit Blick auf die Quellenlage verfehlt sei, dieses in jeder historischen Stufe der Gattungsentwicklung als eigenständige Gattung im Umfeld weisheitlicher Spruchtypen zu verstehen, sei hier eine verstärkte Integration in verschiedenste literarische Kontexte und Funktionszusammenhänge zu erkennen, welche dem Sprichwort im Zuge seines „Schriftlichund Literarischwerdens den Status und Rang einer selbständigen Gattung 34
Vgl. Manfred Eikelmann: Studien zum deutschen Sprichwort im Mittelalter, S. 85-100. Dem Sprichwortverständnis der Zeit um 1500 wendet sich in jüngerer Zeit Andreas Bässler zu. Dabei geht es ihm jedoch weniger um eine historisierende Begriffsbestimmung des Sprichworts als vielmehr darum, primär die Eigenschaften oder Merkmale zu explizieren, in denen die humanistische Wertschätzung gnomischer Kleinformen gründet und die für das von ihm in den Blick genommene poetische Verfahren der metaphorischen Inversion des Sprichworts in Texten und Bildern der Zeit grundlegend sind. Metaphorizität, Obscuritas, Novitas sowie das „splenische Wesen" (gemeint ist der irritierende Widerspruch zwischen inhaltlicher Babalität sowie der einfachen bis derben Sprachgestalt des Sprichworts und der Dignität, über die die Gattung als komprimierte Weisheitsrede mit philosophischem Anspruch verfügt) machen das Sprichwort zu einer indirekten, häufig rätselhaften oder auslegungsbedürftigen Sprachfigur mit hohem intellektuellen Anspruch (vgl. Sprichwortbild und Sprichwortschwank, S. 25f£).
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des Weisheitsspruchs" 35 verschaffe. Mit den gnomischen Nachbargattungen teile das Sprichwort die Bezogenheit auf Grundtatsachen der Lebensführung wie den spruchhaften, auf Allgemeingültigkeit und Autoritätsstatus zielenden Redegestus. Als eigenständige Gattung konstituiere es sich in diesem Umfeld durch seine allgemeine Bekanntheit bzw. die kollektive Uberlieferungs- und Verwendungsweise. 36 Aus diesem gattungsprägenden Merkmal folgert Eikelmann sukzessive alle auf den unterschiedlichen Beschreibungsebenen (Morphologie, Sprachgestalt, Semantik) obligatorischen Textmerkmale und Eigenschaften des Sprichworts und kommt so zu folgender Begriffsbestimmung und Definition: Mithin konstituiert sich das Sprichwort als selbständige Gattung des gnomischen Spruchs grundsätzlich (1) durch seine traditions- und gemeinschaftsgebundene Uberlieferungs- wie auch Gebrauchsweise („Volksläufigkeit"). Dabei schließt das Hauptmerkmal der kollektiven Existenzform einerseits (2) den Status des Sprichworts als wiederholter und anonymer Rede ein; andererseits leitet sich aus dem Spruchcharakter des Sprichworts (3) seine Form des syntaktisch-semantisch abgeschlossenen Ein-Satz-Textes her. Diese Begriffsmerkmale sind allesamt obligatorische Bestandteile der Gattung; sie bilden überdies Vorbedingung für den Inhalt und den Redegestus des Sprichworts: (4) Aus dem kollektiven Charakter folgt zwangsläufig, daß ein Sprichwort inhaltlich stets allgemein zugängliches, dem Anspruch nach autoritativ verbindliches Erfahrungs- und Orientierungswissen aussagt, das auf die menschliche Lebenswelt beziehbar sein muß. (5) Aus dem Spruchcharakter folgt zwangsläufig der apodiktisch-behauptende Redegestus des Sprichworts, der, meist in Rückgriff auf tradierte Sagweisen, entweder stilistisch oder semantisch pointiert ist. Der weiteren Untersuchung ist demnach die folgende Definition zugrunde zu legen: Das Sprichwort ist ein kollektiv gebundener Spruch, der, als fest gepräge Ein-Sat^-Rede anonym wiederholt, situationsbei^ogenes Eifahrungs- und Orientierungswissen mit dem Anspruch allgemeiner Gültigkeit in apodiktisch-behauptendem Redegestus aussagt,37
Begriffsbestimmung der Sentenz Wie bereits verdeutlicht, fehlt bisher eine, auf der systematischen Beschreibung aller wesentlichen Textmerkmale und Eigenschaften beruhende Definition der literarischen Sentenz. Früh verständigt hat sich die Forschung dagegen darauf, dass sich die Gattung in ihrem Typenumfeld durch die an einen literarischen Text und dessen Autor gebundene Exis-
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Ebd., S. 86. Ebd., S. 94. Ebd., S. lOOf.
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Einführung in den Gegenstand
tenzweise auszeichne. 38 Dabei wird in aller Regel nicht die Kenntnis des wirklichen Autors oder des Ursprungstextes vorausgesetzt; maßgeblich ist, dass ein Ausspruch in der literarischen Tradition verortet und/oder mit einer autorisierenden Persönlichkeit in Verbindung gebracht wird. Da Sentenzen in ihrem Überlieferungsprozess — anders als Autoritätensprüche oder Apophthegmata 39 — ohne Ausweis ihrer Herkunft weitergegeben werden, kommt es nicht selten zu einem Verlust des Wissens um ihre Entstehung oder falschen Autorzuschreibungen; entsprechend kann unklar sein, im Rekurs auf welche verbürgende Autorität eine Sentenz verwendet wird. Eine erste Beschreibung der wichtigsten Textmerkmale, die sich aus der autor- und textgebundenen Existenzweise der Sentenz ergeben, nahm in der romanistischen Forschung Marie-Louise Oilier vor. 40 Aus der systematisierenden Explikation dieser Textmerkmale soll im Folgenden eine Begriffsbestimmung der Sentenz entwickelt werden. Als Teil einer größeren literarischen Einheit ist die Sentenz zunächst inhaltlich auf ihren direkten Kontext oder sogar das Textganze bezogen. Nicht selten werden Kernthemen eines Textes in Sentenzen verdichtet und exponiert. Im Vergleich mit dem Sprichwort, welches das Banale, Alltägliche und Selbstverständliche pointiert, widmet sich die Sentenz eher abstrakten Prinzipien, die nicht der Basis allgemein menschlicher Erfahrung angehören. Gebunden an den literarischen Diskurs wendet sie sich aber auch nicht wissenschaftlichen Gegenständen zu, sondern behält den Bezug zur menschlichen Lebensführung. Dieser steht sie aber mit der Distanz literarischer und damit in einer bestimmten Richtung perspektivierten Anschauung und Darstellung gegenüber. Damit erhebt sie den Anspruch, das menschliche Leben aus einer eigenen, „höheren" Betrachtung zu beschreiben. Wissensinhalt der Sentenz sind also weniger konkrete Wahrheiten als in literarischer Ausgestaltung getroffene Aussagen, die 38
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„Man wird indessen um der Klarheit willen daran festhalten müssen, daß Sittensprüche, Gnomen, Denksprüche kleine, für sich bestehende dichterische Schöpfungen, Sentenzen dagegen Teile einer größeren Dichtung sind, die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang genommen und dadurch selbständig und selbstwirkend geworden sind" (Friedrich Seiler: Deutsche Sprichwörterkunde, S. 10f.). Vgl. ganz ähnlich Paul Niemeyer: „Das Wesen der Sentenz ist zugleich autonom und funktionell; sie steht in einem bestimmten Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Kontext, ist darüber hinaus aber eine eigenständige Form, die sich von ihrem Kontext ablösen lässt und als allgemeiner Satz Gültigkeit beanspruchen kann" (Die Sentenz als poetische Ausdrucksform, S. 3). Autoritätensprüche nennen in aller Regel die sie verbürgende Persönlichkeit namentlich in Einleitungsformeln wie Salomon sprichst, Apophthegmata berufen sich auf eine verbürgende Sprecherinstanz und zitieren eine historische Rahmensituation, in welcher der Ausspruch situiert wird. Marie Louise Oilier: Proverbe et Sentence: le discours d'autorite chez Chretien de Troyes, hier insbesondere S. 329ff., 342ff. Vgl. dazu bereits oben, S. 16f.
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argumentativ Anschluss an Diskurse wie Ethik, Religion, Moral oder sogar Politik suchen. Auch die Darstellungsweise der Sentenz ist wesentlich durch den literarischen Kontext geprägt. Zwar bleibt die Sentenz als gnomischer Spruchtyp ein „Ein-Satz-Text", doch teilt sie in aller Regel nicht die extreme Textkürze mit dem Sprichwort. Variantenreiche Aussagemuster und poetische Stilisierung entsprechen auf dieser Ebene dem relativ komplexen Wissensinhalt. Im Vergleich zum Sprichwort finden sich entsprechend verstärkt ansatzweise argumentative Sprachmuster wie konditionale und relative Satzgefüge; dem Bildreichtum des Sprichworts steht auf Seiten der Sentenz die häufige Verwendung abstrakter Begriffe entgegen. In der Sprachgestalt ist die Sentenz weniger fest als das Sprichwort. Komplexe Inhalte und Formulierungsmuster lassen mehr Raum für variierende Neuformulierung sowie inhaltliche Akzentsetzung im Uberlieferungsprozess. Der produktive und eigenständige Umgang mit sentenziösem Material gilt darüber hinaus mit Blick auf die rhetorische Tradition der Sentenzverwendung als Ausweis dichterischer Fertigkeit. Die Wiedererkennbarkeit der Sentenz wird im Uberlieferungsprozess nicht durch wörtliche Übereinstimmung, sondern durch gedankliche Entsprechung und die eventuelle Übernahme zentraler Begriffe gewährleistet. Sprecher der Sentenz ist der Erzähler oder eine literarische Figur. Damit gründet ihr Geltungsanspruch nur indirekt in der Autorität ihres Urhebers. Im Gegensatz zum Sprichwort ist ihr Status auch nicht durch allgemeine Bekanntheit oder die Existenz in der außerliterarischen Tradition exponiert. Entsprechend gründet die Autorität der Sentenz in den Inhalten ihres literarischen Kontextes, in ihrer stilistisch-ästhetischen Qualität und ihrem apodiktischen Redegestus. Damit muss sie ihren Wahrheitswert aber erst konstituieren, und ihre Gültigkeit bleibt textuell beschränkt. Auf der Grundlage des gewonnenen Merkmalkatalogs lässt sich die Sentenz beschreiben als autor- und textgebundener Ein^elspruch, der als semantisch und syntaktisch selbstständiger Ein-Sat^-Text im literarischen Kontext auf das menschliche lieben belogenes Wissen in geschliffener Formulierung und mit dem Anspruch auf allgemeine Gültigkeit aussagt.
Kriterien der Textheuristik Mit den vorgelegten Begriffsbestimmungen ist das Problem der Textidentifizierung noch nicht gelöst. Deswegen gilt es, die beschriebenen Merkmale in Kriterien der Textheuristik umzusetzen. Dabei ergeben sich gegenüber dem Sprichwort, das durch allgemeine Bekanntheit bzw. weite
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Einfuhrung in den Gegenstand
Verbreitung auch für den modernen Rezipienten oft relativ leicht im literarischen Kontext zu erkennen ist, insbesondere für die Sentenz Schwierigkeiten, zumal sich diese als texteigene Formulierung in aller Regel auch stilistisch nicht deutlich von ihrem Kontext abhebt. Entsprechend sind die Regeln, die der Belegauswahl der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegen, als Rahmenkonzept zu verstehen, das für die Einzeldiskussion gerade schwieriger Fälle zur Verfugung steht.41 Sentenzen wie Sprichwörter zeichnen sich als Mikrotexte im literarischen Umfeld zunächst durch den Wechsel der Ebenen von histoire und discours aus; die erzählte Geschichte wird zu Gunsten einer allgemeinen Betrachtung oder Behauptung unterbrochen. Dieser Ubergang ist sprachlich meist durch einen Tempus- oder Moduswechsel und einen verallgemeinernden und apodiktischen Gestus indiziert. Zusätzlich kann er durch metasprachliche Hinweise hervorgehoben werden. Diese Hinweise finden sich beim Sprichwort insbesondere in Form von Einleitungsformein, die den Zitatcharakter und die Existenz des Mikrotextes außerhalb der literarischen Tradition anzeigen (z.B. eΐζ ist ein altsprochen wort). Sentenzen werden dagegen häufig durch Uberlei tungs form ein mit ihrem Kontext verbunden, die die Exemplarizität der allgemeingültigen Aussage für die geschilderte Handlung pointieren (z.B. alsamgeschah, da er^eigete sich an). In ihrem Kontext bewahren Sentenzen wie Sprichwörter ihren Status als eigenständige Mikrotexte durch semantische und syntaktische Abgeschlossenheit. Zusätzlich heben sich beide Gattungen durch ihre formelhafte Prägung und stilistische Prägnanz vom literarischen Umfeld ab. So ist das Sprichwort gekennzeichnet durch einfachste, zum Teil sprachlich reduzierte Muster, während die Sentenz typischerweise in zweizügigen, konditionalen oder relativen Gefügen formuliert wird. Beide Spruchtypen stehen in einem jeweils eigenen Verhältnis zur literarischen und kulturellen Tradition, das neben den beschriebenen Merkmalen und Unterschieden als Grundlage für die Identifizierung und Klassifizierung herangezogen wird. Für Sprichwörter gilt es, durch das Auffinden von Parallelbelegen die Verbreitung in relativ fester Formulierung und Verwendung, d.h. den Gebrauch in unterschiedlichen literarischen und außerliterarischen Zusammenhängen, nachzuweisen. Der Traditionsbezug von Sentenzen ist demgegenüber offener: Zwar verfügen einige Mikrotexte als direkte Wiedergabe denkwürdiger Aussprüche vorangegangener Autoren über eine eigene Textgeschichte und schriftliterarische Tradition, in aller Regel greifen Sentenzen als texteigene Formulierungen aber lediglich akzentuierend auf typische Themen der Sentenz41
In der Formulierung dieser Regeln lehne ich mich an die Verfahren der Textidentifizierung an, die im Rahmen des DFG-Projekts Senten^verwendung im mittelhochdeutschen höfischen Ikomatt des 12. und 13. Jahrhunderts erarbeitet und erprobt wurden.
Profil der im höfischen Roman verwendeten Sentenzen und Sprichwörter
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tradition zurück. Insofern lassen sich kaum Parallelbelege finden, die den Status eines Mikrotextes absichern können. Die folgenden Analysen nehmen aber nicht nur vollwertige Mikrotexte in den Blick. Daneben sollen auch Anspielungen auf Sprichwörter und Sentenzen mit schriftliterarischer Tradition berücksichtigt werden, weil gerade dieser integrierende Umgang der ästhetischen Qualität literarischer Texte in besonderer Weise entspricht. Da Anspielungen im narrativen Umfeld aber nicht in gleicher Weise herausgehoben sind wie vollwertige Mikrotexte, muss ihr besonderer Status durch einen klaren Traditionsbezug nachgewiesen werden.
1.2. Profil der im höfischen Roman verwendeten Sentenzen und Sprichwörter Der Hauptunterschied zwischen Sentenz und Sprichwort besteht, wie bereits dargestellt, in der grundsätzlich voneinander abweichenden Existenzund Uberlieferungsform. Während für die Sentenz die autor- und textgebundene Verwendungsweise, die Bindung an den literarischen Diskurs konstitutiv ist, zeigt sich das anonym und kollektiv überlieferte Sprichwort in unterschiedlichsten Bereichen der Volks-, aber auch Bildungs- und Gelehrtenkultur beheimatet und überschreitet in seinen medialen Voraussetzungen die Grenzen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. 42 Damit stellt sich aber die Frage, mit welchem Interesse die höfischen Romane diese in ihren Existenzbedingungen sehr verschiedenen Kleinformen integrieren, an welche kulturellen Bereiche und Traditionen die Autoren insbesondere in der Verwendung von Sprichwörtern anschließen. Aus diesem Grund sollen im Folgenden an einer Reihe prägnanter Beispiele die Traditionszusammenhänge beleuchtetet werden, vor deren Hintergrund die Funktion und Poetik der literarischen Sprichwortverwendung erst adäquat zu verstehen sind. Datiert man Eilharts von Oberg Tristrant vor Hartmanns von Aue Eree, so ist das Sprichwort wen gnade ist be^ir denne reht (Eilhart von Oberg: Tristrant, V. 7256) das erste in einem höfischen Roman vorkommende Sprichwort. Eilhart bietet uns den ersten volkssprachigen Beleg des in der Folge insbesondere im deutschsprachigen Bereich weit verbreiteten Sprichworts. Seinen Ursprung hat der heute üblicherweise als Rechtssprichwort verstandene Text 43 offensichtlich in der Bibel (Iac 2,13): 42 43
Vgl. Manfred Eikelmann: Das Sprichwort im Sammlungskontext, S. 94. Vgl. zur Klassifizierung als Rechtssprichwort Ruth Schmidt-Wiegand: Lexikon der Rechtssprichwörter, S. 147f.; Georg Henisch: Teütsche Sprach und Weißheit, Sp. 1671; Eduard
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Einführung in den Gegenstand iudidum enim sine misericordia illi qui non fedt misericordiam superexultat autem misericordia iudido. - Es wird aber ein pnbarmhert^ig Gericht vber den gehen, der nicht Barmherzigkeit gethan hat. Vnd die Barmhert^igkeit rhuemet sich wider das Gerichte (Luther: Deutsche Bibel VII).
O b d i e s e p r ä g n a n t f o r m u l i e r t e P r ä f e r e n z r e g e l bereits als g e p r ä g t e F o r m e l in die B i b e l e i n g e g a n g e n ist u n d a u c h in d e r F o l g e als S p r i c h w o r t tradiert w u r d e , o b sie ü b e r h a u p t als d i r e k t e r V o r l ä u f e r des d e u t s c h s p r a c h i g e n S p r i c h w o r t s z u v e r s t e h e n ist o d e r dieses n u r v e r m i t t e l t a u f d e n B i b e l t e x t B e z u g n i m m t , a b e r i n a n d e r e n Z u s a m m e n h ä n g e n e n t s t a n d e n ist, l ä s s t s i c h aus der U b e r l i e f e r u n g s l a g e nicht m e h r eindeutig klären, da es w e d e r antike n o c h mittellateinische B e l e g e gibt, die g l e i c h s a m als „ B r ü c k e n g l i e d e r " zwischen der biblischen Formulierung des G e d a n k e n s u n d d e m deutschs p r a c h i g e n T e x t a n g e s e h e n w e r d e n könnten.44 D i e s ist u m s o erstaunlicher, a l s d a s S p r i c h w o r t i n d e r Z e i t n a c h E i l h a r t s v o n O b e r g Tmtrant in ungew ö h n l i c h f e s t e r F o r m u l i e r u n g s e h r d i c h t ü b e r l i e f e r t ist. 4 5 wen gnade ist besgir denne recht (Eilhart von Oberg: Tristrant, V. 7256) dä von gät gnade vür da\ reht (Hartmann von Aue: Gregorius, V. 3822) gnade ist be^er
danne reht (Hartmann von Aue: Iwein, V. 172)
genäde ist besser danne reht (Herrand von Wildonie: Die Kat^e, V. 256). W ä h r e n d es i m d e u t s c h s p r a c h i g e n B e r e i c h keine f r ü h e n B e l e g e des S p r i c h w o r t s gibt, die die V e r b i n d u n g zur biblischen Tradition explizit hers t e l l e n , w i r d d i e s e i n Vices and Virtues, e i n e m m i t t e l e n g l i s c h e n g e i s t l i c h e n
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Graf, Mathias Dietherr: Deutsche Rechtssprichwörter, S. 397, Nr. 601; Franz Karl Conradi: Grund-Sätze der Teutschen Rechte, S. 25. Natürlich finden sich in Bibelkommentaren und den Schriften der Kirchenväter Auseinandersetzungen mit der zitierten Bibelstelle sowie theoretische Reflexionen über das Verhältnis von misericordia und iustitia. Offensichtlich bildet sich aber keine prägnante und in fester Gestalt tradierte Prägung des biblischen Präferenzgedankens heraus, die Eilhart von Oberg hätte zum Muster gereichen können. In sprichwörtlicher Prägung findet lediglich der nah verwandte Gedanke „Gnade soll das Recht begleiten" bereits im frühen Mittelalter Verbreitung. Vgl. Wipo: Proverbia, 31: Iudiäs sententiam oportet sequi clementiam [Gnade muss auf das Urteil des Richters folgen]. Zur breiten handschriftlichen Uberlieferung der Sprichwörter Wipos im gesamten Mittelalter vgl. Die Werke Wipos. Hrsg. von Harry Bresslau. Hannover und Leipzig 31915, S. XXXIX-XLIX. Die mittelalterliche Tradition des Sprichworts skizziert Manfred Eikelmann: Autorität und ethischer Diskurs, S. 76, Anm. 13. Vgl außerdem: TPMA V, s.v. GNADE 4.1: Gnade geht (gehe) vor Kßcht.
Profil der im höfischen Roman verwendeten Sentenzen und Sprichwörter
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Dialog aus der Zeit um 1200, ganz deutlich.46 Im Kapitel „Über den Verstand (die Weisheit)" werden die Gefahren verhandelt, die jenen begegnen, die trotz ihrer Klugheit christliche Werte missachten. Unter anderem wird der Primat der Nächstenliebe für den christlichen Menschen herausgestellt: Nu seid sum mann: ,Scal ie luui^e dane euele mann'?' H/est hwat se heißeste de seid: Diliges proximum sicut te ipsum, ,ljuue dine nexte al swa de seinen, hwat manne swo he ceure bie!' Ne bie he naure swa swidde f o r f e i t , sure he is di nexte after yekynde. l j i u e da ^ekynde, and hate his euel. Zif du mihi hitbieten, b(i)et hit alswo du woldest dat me bette pin, %if du ware swo forsilt al so he, andpenc dat de writt seid pat cEure bie de mildce ouer de rihte dome. For delliche pinge mani^e of de wel wise menn forliesed godes luuve and his grace, for di dat hie ne habbed, ne ne recched to habben, here emeristenes luue, ac hopied to here michele wisdome, and ofte bied beswikene,47
Das Sprichwort dient hier dazu, die Pflicht des Christen zur Gnade auch gegenüber dem schuldigen Menschen aus dem Gebot der Nächstenliebe abzuleiten. Es wird dort eingesetzt, wo die Forderung der Nächstenliebe in ihren Grenzbereichen diskutiert wird. In eben diesem Zusammenhang steht auch die Präferenzregel des Jacobusbriefes: Sie schließt eine Abhandlung über die Verpflichtung der Christen zu unparteilicher Nächstenliebe ab. Für die in der Welt lebenden Christen werden in Anlehnung an die Bergpredigt Beispiele dafür gegeben, was die Nachfolge Jesu für den Umgang mit anderen Menschen bedeutet. Insbesondere wird eine nach christlichen Maßstäben funktionierende Rechtssprechung verlangt: 2,1 fratres mei / nolite in personarum acceptione habere fidem Domini nostril Iesu Christi gloriae [...] 2.9 si autem personas acapitis peccatum operamini/ redarguti a lege quasi transgressores 2.10 quicumque autem totam legem servaverit / offendat autem in uno/ factus est omnium reus 2.11 qui enim dixit non moechabens dixit et non ocddes I quod si non moechaberis ocddes autem/ factus es transgressor legis 46 47
Obwohl natürlich keine direkte Verbindung zwischen der insularen Tradition und der Entstehung des Sprichworts im deutschsprachigen Bereich hergestellt werden kann, bleibt der Beleg als Bezugspunkt zu einer parallelen Entwicklung interessant. Vices and Virtues, 66,2ff. Vgl. die neuenglische Übersetzung: Now some may say: .Shall I love the evil man?' Listen what the most High says to thee: Diliges proximum sicut te ipsum ,Love they neighbour as thyself, whatever man he be!' Be he never so much guilty, he is always thy neighbour by nature. Love the [human] nature [in him], and hate his evil! If thou canst mend it, mend it as thou wouldst wish men to mend thine, if thou wert as guilty as he, and think what the Writ says: ,Mercy should always be above righteos doom.' For such things, many very wise men lose God's love and his grace, because they neither have, nor care to have, their fellow-Christians' love, but rely upon their great wisdom; and are often deceived (ebd., S. 66).
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Einführung in den Gegenstand 2.12 sie loquimini et sie facite/ sicutper legem libertatis indpientes iudicari 2.13 iudiaum enim sine misericordia illi qui non feat miserieordiaml superexultat ricordia iudicio (Iac II,Iff). 4 8
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Die Verwendung in Vices and Virtues zeigt, dass das Sprichwort40 im 12. Jahrhundert offensichtlich noch in Anlehnung an die Thematik des Jacobusbriefes verwendet wird. Obwohl Vices and Virtues und Eilharts von Oberg Tristrant fast zeitgleich entstanden sind, ist es schwer, einen Bezug zwischen beiden Belegen für das Sprichwort „Gnade vor Recht" herzustellen, da der christliche Diskurs im deutschsprachigen Text nicht greifbar ist: Auf den ersten Blick scheint Eil-hart sich nicht auf den Bibeltext zu berufen. Doch gibt es eine indirekte Verbindung zwischen der Verwendung des Sprichworts bei Eil48
Übersetzung: 2.1. Meine Brüder, haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, frei von jedem Ansehen der Person. [...] 9 Wenn ihr aber nach dem Ansehen der Person urteilt, begeht ihr eine Sünde, und aus dem Gesetz selbst wird offenbar, daß ihr es übertreten habt. 10 Wer das ganze Gesetz hält und nur gegen ein einziges Gebot verstößt, der hat sich gegen alle verfehlt. 11 Denn der, der gesagt hat: Du sollst nicht ehebrechen/, hat auch gesagt: Du sollst nicht töten! Wenn du nicht die Ehe brichst, aber tötest, hast du das Gesetz übertreten. 12 Darum redet und handelt wie Menschen, die nach dem Gesetz der Freiheit gerichtet werden. 13 Denn das Gericht ist erbarmungslos gegen den, der kein Erbarmen gezeigt hat. Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.
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Für eine Klassifizierung der Prägung des Gedankens „Gnade geht vor Recht" in Vices and Virtues als Sprichwort spricht die Tatsache, dass sich — zwar mit deutlicherem Abstand als im deutschsprachigen Bereich — eine relativ feste Formulierung herausbildet: Forgentil mercy oghte to passen right (Chaucer: The Knight's Tale, V. 3089); Here may men see that merty passeth right (Chaucer: Troilus 3,1282), die auch außerhalb des geistlichen Diskurses Verwendung findet. Vgl. in diesem Zusammenhang die Übertragung in den Liebesdiskurs bei Chaucer: „,Suster,' quod he, ,this is my fülle assent,/ With all th'avys beere of my parlement,/ That gentil Palamon, youre owene knyghtj That serveth yow with wille, herte, and myghtj And ever hath doon synye first hym knewe,/ Thatye shul of youre grace upon hym reive,/ And taken hym for housbonde andfor lord./ Lene me youre bond, for this is oure accord./ Lat se now of youre wommanly pitee./ He is a kynges brother sone, pardee;/ And though he were a povre bacheler, / Syn he hath served yow so many ayeer,/ And had for yow so greet adversitee,/ It moste been considered, leeveth me,/ For gentil mervei sint eins her assoziiert ist. 246 Vgl. anders Berndt Volkmann: „Keie der Maulheld kann seine Position nur so lange vertreten, bis er den Widerstand der Betroffenen erfährt und seine Position öffentlich isoliert wird. Dem Druck gesellschaftlicher Entehrung kann er nicht standhalten" (Costumiers est de dire mal.\ S. 104). Der Erfolg, den Keie mit seiner Rede erzielt, zeigt sich nicht nur darin, dass Ginover nicht weiter auf sein Fehlverhalten eingeht; außerdem folgt sie seiner Bitte, Kalogrenant dazu zu veranlassen, die Erzählung wieder aufzunehmen, uneingeschränkt (vgl. Hartmann von Aue: Iwein, 223ff.). 247 Mit der Betonung des rhetorischen Geschicks Keies akzentuiert Hartmann die Darstellung des Konflikts gegenüber der französischen Vorlage um. In Chretiens de Troyes Yvain, in dem das Sprichwort keine Entsprechung hat, äußert Keie seine Kritik wesentlich expliziter und im Tonfall drastischer als im deutschen Text. Insgesamt erscheint sein Sprachgestus der Schimpfrede Ginovers angeglichen: ,Dame! se nos ne gaeignons'J Fet Kes, ,an vostre conpaigniej Garde^ que nos n'iperdons mie!/ Je ne cuit avoir chose ditej Qui me doie estre α mal esaiteJ Etje vos ρή, teisie\ vos an!/ Ii η 'a corteisie ne san/ An plet d'oiseuse maintenir. / Cistpte% ne doit avant venir,/ Ne l'an nel doit plus haut monier;! Mes feites nos avant conterj Ce qu'il avoit ancomanäe'
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nung aller betrachteter Mikrotexte in den Artusromanen Hartmanns vergleichbar. Das Wissen um die traditionellen Verwendungsweisen von Sentenzen und Sprichwörtern wird aufgerufen und in einem konnotativen Aneignungsprozess umcodiert. Diese Traditionsmodifikationen können dann aber ganz unterschiedlich funktionalisiert werden. So z.B. im Erzählerdiskurs, um in der Form indirekten Sprechens Handlung auszudeuten, im Bereich der Heldenstilisierung, um den neuen Typus des arturischen Protagonisten neben den Heldenbildern anderer Gattungen zu positionieren, oder im Rahmen der Gesellschaftsdarstellung, um höfische Interaktionsformen (wie das Streitgespräch) zu entwerfen. Allen diesen Verwendungsweisen ist aber gemein, dass die funktionale Bedeutung der integrierten Mikrotexte nicht auf die inhaltliche Ebene — im Sinne einer kontextunabhängigen, didaktisierenden Vermittlung ethischer oder moralischer Betrachtung — beschränkt bleibt. Die Untersuchung soll nicht den Eindruck erwecken, dass die an mehreren Beispielen aufgezeigte Aneignung von Sprechweisen anderer Diskurse eine genuine Leistung Hartmanns darstellt. Schon Chretien löst Sprichwörter und Sentenzen in ähnlicher Weise aus ihren üblichen Verwendungskontexten, um die von ihm entworfene Welt gegenüber dem Bekannten zu profilieren.248 Wohl aber kann man sagen, dass Hartmann (Chretien de Troyes: Yvain, V. 92ff.). Übersetzung von Ilse Nolting-Hauff: „Herrin! wenn wir schon in Eurer Gesellschaft nicht gewinnen", spricht Keu, „so seht doch zu, daß wir nichts dadurch verlieren! Ich glaube nichts gesagt zu haben, das mir verübelt werden müßte, und ich bitte Euch, schweigt nun davon! Es verrät weder Anstand noch Klugheit, einen müßigen Streit fortzusetzen. Dieser Streit soll nicht fortdauern und nicht noch weiter ausarten; sondern seht zu, daß jener uns weitererzählt, was er begonnen hatte, denn hier darf es kein Gezänk geben." — Im Gegenzug zur rhetorischen Uberformung der Rede Keies baut Hartmann die Schelte Ginovers in Umfang und Drastik der Sprache noch aus und kontrastiert damit deutlicher. Insgesamt wird damit das übersprechen der Königin stärker ins Zen-trum des Konflikts gerückt: St sprach ,Keii, dabist din site,/ und enschadest niemen me da mite/ danne du dir selben tuostj da\ dü den iemer ha^en muost/ deme dehein ere geschiht. / dä erlast dins nides niht/ da^gesinde noch die geste:/ der baste ist dir der beste/ und der beste der baste./ eins dinges ich dich trnste:/ da£ man dirζ immer wol vertreit/ da% kumt von diner gewonheit,/ da\ düs die basen alle erlast/ und niuwan ha% %e den vrumen hast./ din schelten ist ein pnsen/ wider alle die wisen./ dune betest di^gesprochen,/ dü warst benamen gebrochen;/ und ware da% wei^got, vil wol,/ wan dü bist bitters eiters vol,/ dä din her^e inne swebet/ und wider dinen eren strebet' (Hartmann von Aue: Iwein, V. 137ff.); vgl. Chretien de Troyes: Yvain, V. 86ff.: 'Certes, Kes!ja fussie\ creve^J Fet fo reine, ,au mien cuidier,/ Se ne vos poissie% vuidier/ Del venin, don vos estes plains. / Enuieus estes et mlains/ De ranposner vo\ conpaignons.' Übersetzung Ilse Nolting-Hauff: „Gewiß, Keu!", spricht die Königin, „Ihr wäret schon geplatzt, wie ich glaube, wenn Ihr Euch nicht von dem Gift entleeren könntet, von dem Ihr voll seid. Unleidlich und ungezogen seid Ihr, Eure Gefährten zu schmähen." 248 So bedient er sich im Rahmen der Darstellung von Iweins Wahnsinn der Sentenz „Hunger würzt einfache Speisen", welche ihrem Ursprung nach in die antike, moralphilosophische Debatte um die wahre Glückseligkeit des Menschen verweist. Hier dient sie dazu, die negativen Auswirkungen einer übersättigten Lebensführung aufzuzeigen: Quae virtus et quanta,
Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung
diese Technik aufgreift und beinahe systematisch nutzt, um einerseits Ausdrucksmöglichkeiten und Sprechweisen zu schaffen, die den thematischen Herausforderungen der neuen Gattung Artusroman entsprechen, andererseits aber auch, um die inhaltlichen Neuerungen hervorzuheben. Dies soll im Folgenden in einem zweiten thematischen Umfeld, der Konflikt dar Stellung, gezeigt werden.
boni, sit vivere parvo — nec meus hic sermo est, sed quae praecepit Ofellus rusticus, abnormis sapiens crassaque Minerva — disäte non inter lances mensasque nitentis, cum stupet insanis ades fulgoribus et cum adclinis falsis animus meliora recusat, verum hic inpransi mecum disquinte. cur hoc? dicam, si potero. male verum examinat omnis corruptus iudex, leporem sectatus equove lassus ab indomito vel, si Vj>mana fatigat militia adsuetum graecari — seu pila velox molliter austerum studio fallente laborem, seu te discus agit, pete cedentem aera disco: cum labor extuderit fastidia, siccus, inanis sperne äbum vilem; nisi Hymettia melk Valemo ne biberis diluta. Joris estpromus, et atrum defendens pisäs hiemat mare: cum sah panis latrantem stomachum bene leniet. unde putas aut qui partum'? non in caro nidore voluptas summa, sed in te ipso est. tu pulmentaria quaere sudando: pinguem vitiis albumque neque ostrea nec scarus aut poterit peregrina iuvare lagois (Horaz: sermones, 2,2,Iff.). Übersetzung von Willhelm Schöne: Welch köstlich Ding ein schlichtes Leben ist, ihr lieben Freunde — hört zu, statt meiner spricht zu euch Ofellus, ein Bauer, Philosoph mit derbem Hausverstand, der keine Schule kennt — das dürft ihr nicht beim üppigen Mahl vor leckeren Schüsseln lernen, wo von der tollen Pracht das Auge geblendet, der Geist vom falschen Schein betrogen wird und sich dem Besseren widersetzt; nein, hier noch vor dem Frühstück wollen wir's erwägen. Warum? Ich sag' es euch, so gut ich's kann. Schlecht prüft die Wahrheit jeder Richter, der bestochen. Hast du den Hasen auf der Jagd verfolgt, auf wildem Rosse dich ermüdet — doch ist der römische Felddienst dir vielleicht zu schwer, weil du an Griechensport gewöhnt, mag denn der rasche Ball, bei dem der Eifer leicht dich über alle derbe Mühe täuscht, mag auch der Diskus dich beschäftigen: also bohre Löcher mit dem Diskus in die Luft — kurz, wenn die Arbeit die Mäkelsucht vertrieb: laß sehen, ob du nun trotz Durst und Hunger schlichte Hausmannskost verschmähst; jetzt trinkst du sicher nur Falerner, den hymettischer Honig würzt! Nimm an, dein Koch ist ausgegangen, und das Meer ist stürmisch und läßt keinen Fischfang zu: da wird dir Brot mit Salz des Magens Knurren doch ganz gut befriedigen. Und fragst du nach des Rätsels Lösung? Nicht in dem teuren Bratenduft liegt höchste Lust, nein, in dir selbst. Du mußt des Mahles Würze dir durch saure Arbeit schaffen: den bleichen, krankhaft aufgedunsenen Schlemmer werden Austern nicht erfreuen noch teurer Seefisch und ein Birkhuhn, das aus fernem Lande kam (vgl. außerdem Cicero: de finibus bonorum et malorum, 2,28,90). — Die Sentenz, die sich aussagelogisch bruchlos in den Kontext fügt, steht offensichtlich in ihrer eigentlichen Bedeutung der geschilderten Handlung diametral entgegen. Yvains Existenz in der Wildnis erscheint nämlich nicht als eine bewusst gewählte, bessere Form der Lebensführung, die den Menschen in der Konzentration auf das Wesentliche glücklich macht. Ganz im Gegenteil entfremdet er sich, geprägt durch den Wahnsinn, nicht nur von sich selbst, sondern beinahe von jeder menschlichen Existenz. Der Kontrast, der sich zwischen dem philosophischen Hintergrund der Sentenz und dem Dargestellten auftut, evoziert nicht zuletzt einen komischen Effekt (vgl. u.a. Wolfgang Mohr: Iweins Wahnsinn, S. 77).
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4.2. Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung Ein weiteres Beispiel für den Anschluss der in Deutschland neuen Gattung Artusroman an frühere literarische Traditionen und Diskurse ist die Integration des Sprichworts „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" in Hartmanns Erec,249 Der Mikrotext, in dem sich das Ethos einer archaischen Kriegergesellschaft zu verdichten scheint,250 gehört zu den im Mittelalter am weitesten verbreiteten Sprichwörtern.251 Ungeachtet der Vielzahl der Belege zeichnet er sich in seiner Verwendung durch eine ungewöhnlich feste Bindung an einen bestimmten Situationstyp aus. Im Rahmen einer Kampfsituation dient das Sprichwort dazu, die Bereitschaft zu motivieren, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Dabei wird der gesellschaftlichen Wertschätzung die Priorität vor der eigenen Existenz eingeräumt.252 Der entscheidende Wert, an den die Anerkennung durch die Gemeinschaft gebunden ist, ist die Tapferkeit, die gerade in einer lebensbedrohlichen Kampfsituation unter Beweis gestellt werden kann. Entsprechend wird insbesondere die Flucht oder das Vermeiden einer kämpferischen Auseinandersetzung mit dem Entzug des Ansehens sanktioniert. Die Bedeutung der Tapferkeit für den Erhalt einer Gesellschaftsordnung, deren Existenz auf die Opferbereitschaft eines jeden Einzelnen 249 Zur Klassifizierung des Mikrotextes als Sprichwort vgl. Rebekka Nöcker, Hanno Rüther: Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben, S. 110. 250 Vgl. Wolfgang Haubrichs: Ehre und Konflikt, S. 46. Niederschlag findet dieses Ethos primär in historiographischen Texten; entsprechend ist auch die Uberlieferung des Sprichworts „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" zunächst an den historiographischen Diskurs gebunden. So finden sich erste Belege bei den Geschichtsschreibern der Antike (Sallust: Catilina, 20,9; Cornelius Nepos, 12,4; Tacitus: Agncola, 33,6) und in der Folge in der mittellateinischen Geschichtsschreibung (Historia Frederici I. Imperium continuum, 184,17; Saxo Grammaticus: Gesta Danorum, 11,3,3). Aber auch der Weg des Mikrotextes in die Volkssprache fuhrt zunächst über literarische Texte mit dem Anspruch auf historische Referenzialität (Roman de Thebes, V. 3521; Wace: Roman de Brut, V. 8929). Zur Verwendung des Sprichworts in der antiken und mittellateinischen Geschichtsschreibung vgl. auch Rebekka Nöcker, Hanno Rüther: Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben, S. 103f. 251 Zur Uberlieferung des Sprichworts vgl. TPMA XI, s.v. TOD 5.3.2.1: Ehrenvoller Tod ist besser als ein ILeben in Schande. 252 Vgl. Rebekka Nöcker, Hanno Rüther, die auf die ungewöhnlich stabile Situationsbindung des Sprichworts hinweisen und drei Ausgestaltungen dieses Situationstyps herausarbeiten: monologische Selbstmotivation eines Einzelkämpfers, ermutigender Zuspruch eines Heerführers an seine Truppen, Ansprache vor einer Ratsversammlung, die über Abbruch oder Fortsetzung eines Kampfes zu entscheiden hat (Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben, S. 106).
Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung
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angewiesen ist, sowie die existenziellen Auswirkungen eines Verlustes der gesellschaftlichen Wertschätzung werden im Beowulf deutlich. Von seiner Gefolgschaft aus Feigheit verlassen, kämpft König Beowulf nur in Begleitung des jungen Wigalf gegen das Ungeheuer Grendel. Es gelingt ihm zwar, dieses zu besiegen, doch wird er dabei tödlich verletzt. Als daraufhin die anderen Krieger aus ihren Verstecken kommen, macht Wigalf sie für den Tod des Königs verantwortlich und kündigt ihnen den Verlust ihrer angesehenen Stellung sowie den Entzug ihrer Güter an. Das Sprichwort „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" am Ende der Rede formuliert das Ethos einer Gemeinschaft, gegen das die Beschuldigten verstoßen haben, so dass sie damit ihren Ausschluss aus dieser Gemeinschaft verschuldet haben: Pä was at dam ^eon^(an) %rim ondswaru edbejete, päm de ser his eine forleas. Wiglaf maielode, Weohstänes sunu, sec, särijferd — seah ort unleofe -: ,Pat lä ma^ sec^an, se de wyle söd specan, ,pat se mondryhten, se eow dä mädmas jeaf, ,eored^eatwe, pe je par on standad, ,ponne he on ealubence oft jesealde ,healsittendum heim ond byrnan, ,p>eoden his pe^num, snylce he pry däcost ,ön>erfeor odde neah findan meahte, ,pcet he ^enun^a jüijewadu ,wräde forwurpe. Dä hyne wij be^et, ,neollesfolciyninj fyrd^esteallum ,%ylpan porfte. Hwadre htm %od üde, ,si^ora waldend, pat he hyne sylfne jewrac, ,äna mid ec%e, pä him was eines pearf. ,Ic him Rfwrade lytle meahte ,ar$ifan at jUde ond οηχαη swä peah ,ofer min jemet ma^es helpan: [...] ,(W)er^endra tö lyt ,pronzymbe peoden, pä hyne sio pmj becwöm. ,(N)ü sceal sincpe^o ond suyrd^ifu, ,eall edeluyn, eoivrum ynne, ,lufen, älic^ean. ljondrihtes möt ,pare ma^bur^e monna aßhnylc ,idel hweorfan, syddan adelin^as fiorran ^efric^ean fleam eowerne,
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,dömteasan dad. Dead bid sella ,eorla 3ehwylcum ponne e(d)mtäfl' (Beowulf, V.
2860ff.). 253
Im weiteren Geschehen wird die Gefahr, die von der Flucht der Gefolgsleute Beowulfs für die gesamte Bevölkerung ausgeht, offensichtlich: Infolge der Schwächung, die das Land durch den Tod des Königs erfahren hat, wird es für lange Zeit mit Krieg überzogen. Feigheit erscheint hier also nicht nur als persönliche Schwäche eines Einzelnen, sondern als Bedrohung für das gesamte Kollektiv; im Gegenzug bedeutet der Entzug der Anerkennung als Sanktion für das gesellschaftsgefährdende Verhalten den Ausschluss aus der Gemeinschaft mit allen sozialen wie materiellen Konsequenzen für die eigene Existenz. Erst vor diesem Hintergrund werden Logik und Tragweite der im Sprichwort „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" pointierten Präferenz als Existenz sicherndes Prinzip einer kriegerischen Gesellschaftsordnung deutlich. Hartmann weicht bei seiner Integration des Sprichworts in den Erec deutlich von dem in der Tradition vorgegebenen Verwendungsmuster ab. Zwar bildet auch hier eine kämpferische Auseinandersetzung den äußeren Rahmen für dessen Verwendung, doch ist die konkrete Situation, in der das Sprichwort geäußert wird, singulär: Nach langem und erbittertem Kampf gelingt es Erec, den körperlich überlegenen Mabonagrin zu überwältigen. Als dieser die Ausweglosigkeit seiner Situation erkennt, gibt er jede Gegenwehr auf. Ergeben will er sich aber nur unter der Bedingung, dass Erec sich ihm als erster zu erkennen gibt. Weil der Sieger zunächst nicht dazu bereit ist, erklärt Mabonagrin, warum er von seiner Forderung nicht abrücken will: Eine Niederlage gegen einen Gegner von geringem Stand würde für ihn eine solche Schande bedeuten, dass er den Tod vor253 Übersetzung: Der junge (Mann) war schnell zu einer zornigen Entgegnung an die bereit, die vorher ihren Mut verloren hatten. Wiglaf, Weohstans Sohn, der auf die Treulosen sah, sprach traurig und schmerzerfüllt: ,Wer die Wahrheit sagen will, kann wohl behaupten, daß der Herr, der euch diese Schätze gab, die Bewaffnung, in der ihr dort steht, seine Rüstungen, geradezu in nutzloser Weise verschleudert hat, wenn er, der Gebieter, seinen auf der Bierbank in der Halle sitzenden Männern, den stärksten, die er nah und fern finden konnte, [oft] Helm und Brünne gab. Als der Kampf ihn überraschte, konnte sich der König keineswegs seiner Kampfgefährten rühmen; aber Gott, der Herr über die Siege (und Niederlagen), hat ihm vergönnt, sich selbst allein mit seinem Schwert zu rächen, als er der Tapferkeit bedurfte. Nur geringen Schutz vermochte ich seinem Leben im Kampf zu bieten, versuchte aber dennoch, über meine Kräfte hinaus dem Verwandten zu helfen. [...] Zu wenige Verteidiger scharten sich um den Herrn, als er in Bedrängnis kam. Nun wird eurem Geschlecht das Verteilen von Kostbarkeiten, das Schenken von Schwertern, das geliebte Heim (und) die ganze Freude am Besitz genommen sein. Jeder Angehörige der Sippe muß nun seines Landbesitzes verlustig umherwandem, sobald Krieger aus der Ferne von eurer Flucht, der ruhmlosen Tat, erfahren. Der Tod ist für jeden Mann besser als ein Leben in Schande.'
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zöge. Wenn sich aber herausstelle, dass Erec ein ebenbürtiger Ritter sei, sei er gerne bereit, sich in dessen Dienst zu begeben.254 Seiner Entschlossenheit, eher den Tod auf sich zu nehmen als sich einem Gegner zu unterwerfen, der möglicherweise von geringerem Stand ist als er selbst, verleiht Mabonagrin im Sprichwort „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" Nachdruck: sus antwurte im der rote man: ,iuch triuget diu rede, wan däst niht an. swie ir mir habet an gesiget und mit gewalte obe liget, ich wil e werden erslagen, ir enmiie^et mir sagen wer ir sit oder welker hande. jä mac mir disiu schände von selbem manne sin geschehen dem nimmer siges wirtgejehen und da% ich mich e taten län. hat%_ ein unadels man getan, so enwolde ich durch niemen leben, hat aber mir got gegeben da% irs wert von gebürte sit, so geruochet lä^en den strtt, wan so tuon ich iu Sicherheit daζ ich gerne bin bereit allen iuwerm geböte, ich man iu verre bigote
254 In der französischen Vorlage argumentiert Mabonagrin ähnlich. Insgesamt erscheint die Situation aber weniger brisant, da er seine Kapitulation nicht von Erecs Stand abhängig macht. Er gibt lediglich an, dass seine Niederlage leichter zu ertragen sei, falls ihn ein ebenbürtiger Gegner geschlagen habe: Cil chiet adan\ sor lapoitrinej ne n'apooir de releverj que que il Ii doie gnver, / Ii covint dire et otroier.l , Conquis m ',ave% nel puis timer;! mes molt me torne a grant contraire. / Εt nepor quant de tel afaire/ poi\ estre et de tel renon/ qu 'il ne m 'an sera se bei non;/ et molt voldroie par proierej s'estre puet an nule menierej que je vostre droit non seüsse,/ por ce que confort an eüsse. / Se miaudres de mot m 'a conquis, / lie% an serai, ce vos plevis;/ mes se il m 'est si ancontre/ que pires de mot m'ait outnj de ce doigegrant duel avoir' (Chretien de Troyes: Erec et Enide, V. 5956ff.). Übersetzung von Albert Glier: Der andere fiel vornüber auf die Brust und hatte nicht die Kraft, sich wieder zu erheben; wenn es ihm auch mißfallen mußte, so war er doch gezwungen, zu erklären und zuzugeben: „Ihr habt mich besiegt, ich kann es nicht leugnen; aber das geht mir sehr gegen den Strich. Und trotzdem könnt ihr von solchem Rang und so hohem Ansehen sein, daß die Niederlage für mich nur ehrenvoll ist; und ich wünschte sehr, daß ich auf meine Bitte hin, wenn es irgend möglich ist, Euren rechten Namen erführe, damit ich getröstet würde. Wenn mich ein Besserer besiegt hat, werde ich deswegen froh sein, das gelobe ich Euch; aber wenn es mir widerfahren ist, daß ein Schlechterer als ich mich überwunden hat, dann muß ich darum großen Kummer empfinden." - Die Zuspitzung der Situation, wie sie im deutschen Text nicht zuletzt durch die Formulierung des Sprichworts erreicht wird, fehlt hier also.
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Aneignung durch Ausgrenzung iuwer triuwe, und wi^et da bi, ob des niht ensi, da^ hie min leben endet, wan so bin ich gescbendet. mich bedunket des vil verre da^ mir dav^ minner werre ob ich mit eren sterbe dan an eren verderbe' (Hartmann von Aue: Erec, V. 9338ff.).
Es ist also nicht der Vorwurf der Feigheit, den Mabonagrin fürchtet, und auch die Niederlage an sich stellt kein Problem für ihn dar. Seine Tapferkeit und seine Kampfbereitschaft hat er im vorangegangenen Kampf ausreichend unter Beweis gestellt. Ob die Niederlage, die er dabei erfahren hat, als Schande zu empfinden ist, hängt allein von der gesellschaftlichen Stellung dessen ab, der ihn besiegt hat. Entsprechend ist Mabonagrin sofort bereit, sich uneingeschränkt zu unterwerfen, als er sich der adeligen Abstammung Erecs vergewissert hat. Aus erbitterten Feinden werden allein dadurch Freunde, dass die Zugehörigkeit zu einer verbindenden Gemeinschaft festgestellt wird.255 des antmurte im derguote mit lachendem muote: ,ich wil mich lä^en twingen ml gerne an disen dingen. doch%_ wider dem site si getan, so wil ich iuchs wiegen län: min vater ist ein künec rieh, min muoter wol sin gelich, über Destrigäles lant, Erec bin ich genant.' 255 Hier liegt eine entscheidende Umarbeitung gegenüber der französischen Vorlage vor. Während die Freundschaft bei Hartmann nur aus der Feststellung des Status Erecs resultiert, stellen Erec und Mabonagrin bei Chretien de Troyes fest, dass sie „alte Freunde" sind. Bevor er Ritter wurde, hat Mabonagrin am Hof von Erecs Vater gelebt, und so kann eine bereits bestehende Freundschaft nach dem Kampf erneuert werden: Erec son nonplus ne Ii test:/ , O'is onques parier', fet il, / , del roi Lac et d'Erec son fili'/ —, Oil, sire, bien le conui, / car a la cort le roi Lac fai/ main^jor^ ain% que chevaliers fasse, / ne ja, son vuel, ne m'an meiissel d'ansanble luipor nule lien. '/ —,Dons me dois tu conuistre bien,/ se tu fas onques avoec mm/ a la cort mon pert le roi' (Chretien de Troyes: Erec et Enide, V. 5986f£). Ubersetzung von Albert Glier: Erec verschwieg ihm seinen Namen nicht länger: „Hörtest Du jemals", so sprach er, „von König Lac und von Erec, seinem Sohn?" — „Ja, Herr, ich kenne ihn wohl; am Hofe des Königs hielt ich mich nämlich manchen Tag auf, ehe ich Ritter wurde, und nach seinem Willen hätte ich mich niemals aus irgendeinem Grund von ihm entfernen sollen." — „Dann mußt du mich also gut kennen, wenn du einst mit mir am Hof meines Vaters, des Königs, lebtest."
Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung ,sol ich desgewis wesen?' Ja ir.' ,sö lät mich genesen und nemet mine Sicherheit. sehet, der bin ich iu bereit: so muget ir dienest von mir hän, des iu sus muo^_ abe gän, ob ich von iu werde erslagen. ich wiliu minen namen sagen. Mäbonagrin hei^e ich.' Erec erbarmte sich, also daζ er in leben lie. als er die Sicherheit emphie, nü half er im üf bi der hant. ir ietweders enbant des andern mäfenriemen, wan in half andern niemen, und entiväfenten ir houbet. hie wurden si beroubet häßliches muotes: eren unde guotes gunden si ein ander wol, als ein geselleschafl sol (Hartmann von Aue: Erec, V. 9366f£). D i e plötzliche V e r s ö h n u n g zwischen Erec u n d Mabonagrin steht nicht n u r d e r ü b l i c h e n K o n t e x t u a l i s i e r u n g d e s S p r i c h w o r t s e n t g e g e n , sie i r r i t i e r t auch m i t Blick auf die Handlungslogik der g e s a m t e n Episode. M a b o nagrin, der m i t e i n i g e m erzählerischen A u f w a n d als u n h ö f i s c h e r , b e i n a h e d ä m o n i s c h e r G e g n e r gezeichnet wird, erweist sich n a c h d e m K a m p f nicht als V e r t r e t e r e i n e r a r c h a i s c h e n G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g . D e r P r o z e s s d e r K o n f l i k t l ö s u n g , d e n er e i n s c h l ä g t , e n t s p r i c h t d e z i d i e r t h ö f i s c h e n V o r s t e l l u n g e n . D e r r i t t e r l i c h e Z w e i k a m p f ist i n aller R e g e l k e i n K a m p f a u f L e b e n u n d Tod;256 ein Ritter k a n n sich e i n e m a n d e r e n ergeben, o h n e dass sein
256 Dass das Sprichwort „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" schon aus diesem Grund nicht bruchlos in die höfischen Romane zu integrieren ist, betonen auch Rebekka Nöcker und Hanno Rüther: „Für die Übertragung des Kriegerethos, wie es sich in den Texten des frühen Mittelalters zeigt (vgl. Haubrichs 1996), auf die Strukturen der neuen adelig-höfischen Rittergesellschaft, wie sie sich im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts darstellen, ist mit der Möglichkeit der Veränderung in der Verwendungsweise des Mikrotextes zu rechnen: Tod und Leben sind Kategorien, an deren Stelle vielfach die Kategorien Sieg und Niederlage treten" („Es ist besser in Ehre sterben, als mit Schande zu leben, S. 3). Die Bereitschaft, im Kampf auch das eigene Leben zu riskieren, ist allerdings auch für den höfischen Ritter unbedingte Voraussetzung. Auch das zeigt die Joie de la curtEpisode ganz deutlich. So reflektiert Erec als Reaktion auf die eindringlichen Warnungen vor den Gefahren der äventiure mehrfach die Berechtigung von Furcht und kalkuliert seinen möglichen Tod ein: do sprancte der künec Erec/ vil sere lachende üf den wec. / er sprach:,edel ritter, nü
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Ansehen Schaden nimmt. Ganz im Gegenteil bedeutet die Aufnahme in den Kreis der Artusritter, die in aller Regel auf die Niederlage folgt, sogar einen gesellschaftlichen Aufstieg. Diese Regeln höfischer Konfliktbewältigung sowie die integrative Kraft des Artushofes, der Aggressoren — sofern sie Ritter sind - nicht beseitigt, sondern einbindet, sind es, die u.a. durch die ungewöhnliche Verwendung des Sprichworts „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" ins Zentrum der Episode gerückt werden. Wie gesellschaftliche Anerkennung errungen werden kann und welche Verhaltensweisen entsprechend mit dem Entzug derselben sanktioniert werden, ist durch die Ordnung des jeweiligen Personenverbandes festgelegt, in den die agierenden Personen eingebunden sind.257 Gerade mit Blick auf diese Kategorien unterscheidet sich die höfische Welt aber grundsätzlich von frühmittelalterlichen Vorstellungen einer kriegerischen Gesellschaftsordnung, die über die Integration des Sprichworts als Bezugspunkt herangezogen werden. Durch die ständische Umakzentuierung des im Sprichwort formulierten Ethos wird eine neue Praxis der Konfliktbeilegung entworfen: An der Wertschätzung des überlegenen Gegners hängt die eigene Wertschätzung; eine Niederlage ist nicht mehr per se eine Schande, wenn der Gegner über die entsprechende gesellschaftliche Attribuierung verfugt.258 Damit sind aber die Voraussetzungen für eine Integration des Fremden geschaffen: Die Aggressoren, die gegen die Ordnung der Artusgesellschaft verstoßen, werden zu einem Teil dieser Ordnung gemacht und der Erhalt derselben damit gesichert. In einem ganz ähnlichen Zusammenhang wird bereits zu Beginn des Erec das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall" verwendet, und wieder ist das mit dem Sprichwort verbundene Verwendungswissen nicht uneingeschränkt mit der Kontextualisierung in der Romanhandlung in Einklang zu bringen.259 wol dan!/ und ist niuwan ein man/ an dem si %e gewinne stätj des mühte werden guot rät./ wä mite machet in? sögrö%?/ weder ist er berc oder berges gernda* man in also vürhten soll/ ich wände daζ hüs ware vol/ gewiirmes und wilder tiere/ diu uns also schiere/ äne wer den lip namenj so wir dar kamen./ noch hän ich lebene wän. / er enwirt doch des niht erlän,/ ob es got geruochetj e^enwerde an im versuochet./ sieht er mich, so bin ich tot:/ da% ist der werlde ein ringiu not' (Hartmann von Aue: Erec, V. 8028ff.); ergedähte: ,die wile und mich got/ wil in siner huote hän,/ so enmac mir niht missegän:/ und wil er mirs niht MtenJ so mac ich disen igten/ also mcere sterben,/ so der lip doch muo\ verderben' (ebd., V. 8147ff.). 257 Vgl. Wolfgang Haubrichs: Ehre und Konflikt, S. 42f. 258 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der im Text zunächst im Vordergrund stehende körperliche Unterschied zwischen Erec und Mabonagrin keine Rolle mehr spielt. Wäre gesellschaftliches Ansehen an persönliche Tapferkeit und Kampfkraft gebunden, müsste die Niederlage gegen einen deutlich kleineren und schwächeren Gegner für Mabonagrin eine immense Schande bedeuten. 259 Zur Überlieferung des Sprichworts vgl. TPMA VI, s.v. HOCHMUT 5.1.2: Hochmut fällt (bringt \u Fall).
Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung
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Das Geschehen des Erec nimmt seinen Ausgang im Konflikt des Protagonisten mit dem fremden Ritter Iders. Erec begleitet die Königin Ginover und deren Hofdamen bei einer Jagd. Als sich ein fremder, vorbildlich gerüsteter Ritter der Jagdgesellschaft nähert, bittet Ginover eine Hofdame, dessen Namen in Erfahrung zu bringen. Iders verweigert allerdings nicht nur die Auskunft, sondern lässt außerdem zu, dass sein Zwerg das Mädchen mit einer Peitsche ins Gesicht schlägt. Daraufhin versucht Erec selbst, den Ritter dazu zu bewegen, sich der Königin zu erkennen zu geben, doch auch er wird vom Zwerg in der gleichen Weise misshandelt Da Erec ungerüstet ist, bleibt ihm, wenn er die Restitution der Ehre sicher stellen will, nichts anderes übrig, als Iders zu verfolgen und auf eine Gelegenheit zu warten, den groben Verstoß gegen höfische Regeln zu rächen. Diese ergibt sich, als sein Gastgeber und späterer Schwiegervater ihm von einem Schönheitswettbewerb berichtet, der auf der Burg Tulmein ausgetragen wird, und den Iders mit seiner Dame bereits zwei Mal gewonnen hat, ohne herausgefordert zu werden. Mit Enite, der Tochter seines Gastgebers, tritt er den Wettbewerb an, und es gelingt ihm, seinen Gegner nach langem Kampf zu besiegen. Als er daraufhin seine Bereitschaft demonstriert, Iders zu töten, bittet dieser um Gnade: sinen geiselstreich er räch. als erm den heim abe brach, do loste erm ouch daζ hüetelin als er solde erslagen sin, wan da% er des gemochte da% ergenäde suochte. , durch got erbarme dich, edel ritter, über mich. ere an mir elliu wtp unde lä mir den Up und gedenke dar an da% ich dir, tugenthafter man, seih her^enleit niht hän getan: dü maht mich wol bi libe län' (Hartmann von Aue: Erec, V. 950f£).
Erec weist die Bitte seines Gegners zurück, ohne sich zu erkennen zu geben. Als Begründung gibt er zunächst nur an, dass Iders sich an seiner Stelle nicht anders verhalten hätte, und verleiht damit seiner Entschlossenheit, Iders zu töten, die er gleich nach dem Kampf durch das Entfernen der Kopfbedeckung des Gegners als er solde erslagen sin demonstriert hat, Nachdruck:
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Aneignung durch Ausgrenzung des antwurte im Erec do. er sprach: ,wie redet ir nu so? ir spottet min äne not. ja woldet ir niuwan minen tot: sä stüende iuch ig ringe iuwer vürgedinge und iuwer größer äbermuot. jäne namet ir dehein guot an disem strite mir min leben, doch hat mir got die scelde gegeben da% sich diu rede verkeret hat: sehet, nügetuon ich guoten rät da·.ι ich deheine miete vür minen lip biete: swie mirn got anderswä bewar, ich bins vor iu sicher gar. hetet ir iuwer hochvart ein lütyel ba%_ an mir bewart, sehet, da^ ware iu nü guot nü hat iuch iuwer übermuot hiute hie gevellet und dem schaden gesellet' (Hartmann von Aue: Erec, V. 964f£).
Welche Funktion der Anspielung auf das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall", mit der er seine Rede abschließt, in diesem Zusammenhang zukommt, wird erst bei näherer Betrachtung der Verwendungstradition deutlich. Hier wird das Sprichwort mit unterschiedlichen Beispielerzählungen verbunden, die einerseits das Vergehen der hochvart oder des übermuots als Erhebung des Menschen über die göttliche Ordnung qualifizieren, andererseits aber auch die Folgen dieses Verhaltens vorführen. Freidank exemplifiziert das Sprichwort am Sturz Lucifers, dessen Uberhebung über Gott mit der Verbannung aus dem Himmel bestraft wird:260 260 Die enge Verbindung des Sprichworts mit dieser Beispielerzählung, die immer wieder auch als der „erste Fall" bezeichnet wird und damit eine Bedeutung als Präfiguration des menschlichen Falls erhält, zeigt sich in einer ganzen Reihe von Texten. Vgl. u.a. Primus ad ima mit magna de luce superbus. Sic homo cum tumu.it, primus ad ima ruit. (Uber de miraculis sanctae Dei genitriäs Mariae, 26, S. 31, Ubersetzung TPMA: Als erster fiel der Hochmütige vom grossen Licht ganz hinab in die Tiefe. So fällt auch der Mensch, wenn er stolz ist, als erster hinab in die Tiefe); Also geualte diu hochuart Den enget, da^ er mart ein hellewarte (Frau Ava, 2,2409); Do sprach die koningin:/ ,wes vorhtis du, Constantino/ der helfint die konige/ von wosterBabilonie/ da%_ du Kotheren hais!/ wa% of du in noch gevais?/ dinis overtruwen scaden,/ ich ne mochtis dir %ende niegesagin./ du versmades harde got, / der uns levene gebot/ unde volgedis dtme vertrivenin,/ die legede dich darnidere./ unbe diesin iver i^be^r,/ gener leget in da^wa^irj darduinde dinegadin/ ne mugin geswimmin noch gewadin!/ von du mach du wol verstanj da^ nechein dinc dem man/ größeren scaden dut,/ dan der leyde overmut,! dar von der tuevel gewanj da% ime nimer %eran/ ochis noch achis/
Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung l^uäfer verstoßen wart von himele durch die höchvart. [...] Durch höchvart maneger vellet, der sich %uo ir gesellet. Von höchvart was der erste val, der von himele viel tal (Freidank: Bescheidenheit, 29,14f£).
In ähnlicher Weise werden die Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies sowie der Sturz des Icarus als Exempla für die Folgen des Hochmuts herangezogen: Höchvart, girheit unde nit diu habent noch vaste ir alten strit; da% schinet an Adäme; sus verdarp sin reiner same. Höchvart stiget manegen tac, bi%_ sie niht haher komen mac, so muo^ st danne vollen diii Rispel sage ich allen (Freidank: Bescheidenheit, 28,19f£). 2 6 1 War umbe ist höhvart sö genant? da% ist mirgenuoc erkant. biirgeverte erkenne ichζ wol. höhe niemen varn sol: der vetich hat ein man niht die vliegen helfen iht, da von muoζ er vallen hart nider von siner höhvart (Thomasin von Zerclaere: Der Welsche Gast, V. 11849f£).
Eine Summe typischer Beispielerzählungen findet sich im Kommentar, den Johannes Agricola dem Sprichwort in seiner Sprichwortsammlung anfugt: noch allis ungemachis./ des hat he immer genuch/ unde giver is och dir, of du na ime dust!' (König Kother, V. 4543ff.); wieget da^ der erste val/ bringet die andern über all wie man valle in die schulde/ und wie man vall von gotes hulde,/ da% merket an dem vinde wol./ von gotes hulde vallen sol/ swer durch übermuot Ut/ in der schulde jailer φ. / [...]/ swenner dan von gotes hulde/ gevallen ist von siner schulde,/ so vellet er in der helle grünt. / dem vintgeschach sö %uo der stunt, / do er vom himel viel nider. / sit enkom er nimer wider. / der was ein val, da% ist war, / den wir suln ervürhten gar. / sit er von himel durch höhvart/ in Me helle viel sö hart,/ sö mac wol viirhten jailer vrist/ swer üf der erd höhvertec ist (Thomasin von Zerclaere: Oer Welsche Gast, V. 11873ff.). 261 Vgl. ähnlich Thomasin von Zerclaere: Der Welsche Gast, V. 10855ff., außerdem unten Johannes Agricola: Sprichwörtersammlungen, I, 50.
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Aneignung durch Ausgrenzung Hoffart und ubermut ist alle %eit von anbegyn der weit hochlich gestraffet worden/ also daß/ was sich auß eynem ubermut über ander leutte erhebet/ das muß herunder/ es geschehe über kurt^e oder lang. Hoffart stieß die edelste creatur/ den Tingel lucifer auß dem fymel. Adam unnd Eva auß dem Paradeiß/ die Juden auß iren kanigreichen und herschafften/ Die Kamer von lande und leutten. In summa/ Alle kanigreich und herschaffte sind durch ubermut und Verachtung anderer leutte zertrennet und verdorben. Wo her kommen alle kriege und emparungj denn daß eyns dem andern nicht wil einreumen und weichen. Frgdank sagt/ wer fliegen will derßge also weder ψ nider noch ψ höh/ daßyhm %ulet%t nit geschehe alsus Als Phaeton und Icarus/ Von hoffart ward der erste fal Der j e von hymelfiel yuthal (Johannes Agticola: Sprichwörtersammlungen, I 50).
Alle Exemplifizierungen der im Sprichwort pointierten Gesetzmäßigkeit zeichnen sich dadurch aus, dass der Verstoß gegen eine gegebene Ordnung zum unumkehrbaren Ausschluss aus der Gemeinschaft fuhrt, die sich über diese konstituiert. Der Verlust aller Privilegien, die mit der vorherigen Existenz verbunden waren, bzw. der Tod werden zur zwangsläufigen Konsequenz des Ordnungsverstoßes. Vor diesem Hintergrund wird Erecs Verwendung des Sprichworts bei der Bedrohung Iders wie bereits das demonstrative Abbinden der Kopfbedeckung des Gegners zum Ausdruck seiner Bereitschaft, diesen zu töten.262 Doch Erec tötet Iders nicht: Als dieser verspricht, jedes von ihm begangene Unrecht wieder gut zu machen, lässt Erec ihn unter der Bedingung, dass er am Artushof seine Niederlage eingesteht, davonkommen. In diesem Zusammenhang wird das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall" durch Iders abermals verwendet, um vor der Artusgesellschaft und insbesondere gegenüber der Königin sein Fehlverhalten zu benennen und einzugestehen:
262 Dabei bleibt es im Gegensatz zur französischen Vorlage unklar, ob Erec tatsächlich die Absicht hat, Iders zu töten. Es spricht einiges dafür, dass er Iders mit seiner Drohung lediglich dazu bringen will, die Verunsicherung, die durch eine Missachtung der höfischen Regeln bei anderen verursacht wird, nachzuempfinden: er sprach: ,me meinet ir darlieh gediente nie iuwern ha% / wan ich iueh nie mere gesach.'/ Erec aber do sprach:/ , nü schämet iueh durch mine bete,/ als ich mich gester tete,/ do ich von iurnren schulden/ die schäme muoste dulden/ diu minem herben nähen gie./ auch geheime ich iu hie/ da^iumrsgetiverges tuht/ und sin gro^u un^uht/ nimmer also vil gevrumt/ so si iu schaden hiute kumt' (Hartmann von Aue: Erec, V. 986ff.). Vgl. dagegen Chretien de Troyes: Erec par le hiaume le sache, / aforce del chief Ii arache,/ et la vantaille Ii deslace;/ le chief Ii desarme et laface./Quant lui remanbre de l'outrage/ que ses nains lifist el boschagej la teste li eiist colpeej se il n'eiist merci criee (Chretien de Troyes: Erec et Emde, V. 981ff.). Ubersetzung von Albert Glier: Erec faßte seinen Helm, riß ihn mit Gewalt vom Kopf herunter und löste ihm auch den Gesichtschutz; so legte er ihm Kopf und Gesicht bloß. Als er sich an die Beleidigung erinnerte, die ihm der Zwerg dieses Ritters im Wald angetan hatte, da wollte er ihm den Kopf abschlagen und hätte es auch getan, hätte der andere nicht um Gnade gebeten.
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als man in diu ros emphie, mit dem getwerge er dd gie und mit siner mundin mit Ruhten viir die künegin. diu bot im herlichen gruo^ nü viel er ir an den vuo3 er sprach: ,vrouwe riche, nü emphähet gmedecliche in iuwergewalt einen man dem got deheiner eren gan: den ich da meine da% bin ich. wider iuch vergähete ich mich: des entwanc mich dehein not, wan da\ mit\ min schalcheit gebdt. des sol ich iu buoye stän: wan ich dar an gevolget hän tumbes herben rate, nü riuwet% mich späte, ja warne ich mich %e unv$t sam der häse so er in dem net^e lit: des ist min riuwe worden breit. ist et als man da seit, da£ unrehter hdchmuot dem manne lihte schaden tuot. des hän ich mich entstanden näch großen minen schänden und bin es an ein ende komen: wan er hät mir näch benomen %uo den eren daζ leben, ich wil mich schuldic ergeben: iu ist von mir geschehen leit' (Hartmann von Aue: Erec, V. 1208f£).
Infolge seines Schuldeingeständnisses und seiner Unterwerfung wird Iders aber nicht für sein Fehlverhalten bestraft, sondern mit Nachsicht in die Artusgesellschaft aufgenommen: %em ritter sprach diu künegin: ,iuwer buo^e diu sol ringer sin dan ir doch gearnet hät. ich wil daζ ir hie bestät und unser ingesinde sit' (Hartmann von Aue: Erec, V. 1279f£).
Der öffentliche Vollzug der Integration eines besiegten Aggressors in die Hofgemeinschaft, der auch in späteren Artusromanen zum festen Be-
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standteil der Konfliktbeilegung gehört, häufig aber nur noch am Rande des Geschehens Erwähnung findet, wird hier ausfuhrlich beschrieben. Nachdem Ginover Iders aufgefordert hat, am Hof zu bleiben, legt Artus den Rittern nahe, den Fremden in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Dabei wird deutlich, dass weder sein Fehlverhalten gegenüber der Königin noch die Niederlage im Kampf gegen Erec seinem Ansehen dauerhaft geschadet haben. Ganz im Gegenteil erscheint seine gesellschaftliche Position und das damit verbundene Ansehen mit der Akzeptanz durch die Artusgesellschaft erhöht: also diu rede geschach, der künec %uo den rittem sprach: ,nü suln wir in Idne emphähen vil schone. wir suln mit rehte einem man der^ so wolgedienen kan aller eren gunnen. er hat es wol begunnen da^ er lobenne sol geschehen' (Hartmann von Aue: Erec, V. 1284ff.).
Die Verwendung des Sprichworts „Hochmut kommt vor dem Fall" in Hartmanns Erec weicht also in entscheidenden Aspekten von dem durch die Gebrauchstradition vorgegebenen Muster ab. Zwar bildet wie üblich ein Ordnungsverstoß aus Selbstüberschätzung den handlungslogischen Rahmen für die Integration des Mikrotextes, doch folgt die Sanktionierung dieses Verstoßes einem beinahe gegenläufigen Prinzip. Der im Sprichwort mit „Fall" verbildlichte Existenzverlust bleibt aus; Folge des Fehlverhaltens ist lediglich eine momentane Niederlage, die zwar als Schande empfunden wird, letztlich aber nur Vorstufe der völligen Rehabilitation ist. Der Erhalt der Gemeinschaft und der sie konstituierenden Prinzipien wird nicht durch Ausschluss oder Beseitigung, sondern durch Integration des Fremden gewährleistet. Die theologischen Implikationen des Sprichworts, welches genuin den grundsätzlichen Hang des Menschen zur Selbstüberschätzung gegenüber der Macht Gottes herausstellt sowie die fatalen Konsequenzen dieser Selbstüberschätzung ins Bild setzt, werden dabei weitgehend ausgeblendet, und so wird eine Übertragung auf die ritterliche Selbstüberschätzung und die Missachtung des Gegners ermöglicht. Dabei zielt die Funktionalisierung des Sprichworts aber nicht nur auf die Darstellung der Überheblichkeit Iders, sondern auch auf Erec, der durch seine herausragenden ritterlichen Fähigkeiten in der Lage ist, dieser Selbstüberschätzung — wie den damit verbundenen Regelverstößen — ein
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Ende zu setzen und damit zum Bewahrer der höfischen Ordnung zu werden. 2 « Die Integration der Sprichwörter „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" und „Hochmut kommt vor dem Fall" zeigt, wie Sprechweisen sehr unterschiedlicher Traditionszusammenhänge (Kriegerethos und geistlicher Diskurs) in ähnlichen Kontexten dazu verwendet werden, Prinzipien höfischer Konfliktbewältigung herauszuarbeiten. Die Integrationstechnik ist dabei ganz ähnlich: Uber das mit dem Sprichwort verbundene Verwendungswissen wird ein Erwartungshorizont aufgerufen, den die geschilderte Handlung in markanten Inhalten nicht einlöst. Die Abweichung von der üblichen Verwendungsweise wird dabei aber wohl nicht zu Gunsten der inhaltlichen Aussage billigend in Kauf genommen, sondern anscheinend gezielt eingesetzt, um die neue Erzählwelt des höfischen Romans gegenüber dem Bekannten zu profilieren. Die dargestellte Übertragung des Sprichworts „Hochmut kommt vor dem Fall" aus dem theologischen Diskurs in die literarische Welt des Artusromans durch Hartmann von Aue ist die Grundlage für seine weitere Verwendung im höfischen Roman. Dabei setzt die intertextuelle Wiederaufnahme durch nachfolgende Autoren aber nicht bei der Funktionalisierung des Sprichworts im Rahmen der Pointierung zentraler Prinzipien höfischer Konfliktbewältigung an. In Anlehnung an die Kontextualisierung im Erec wird das Sprichwort weiter verwendet, um einen bestimmten Situationstyp zu markieren: den Kampf des noch unerfahrenen Protagonisten gegen einen zunächst überlegen scheinenden Gegner, in dem dieser seine außergewöhnlichen Fähigkeiten unter Beweis stellt und damit seine Rolle als Hüter der gesellschaftlichen Ordnung begründet. In diesem Zusammenhang bilden sich drei typische Gebrauchssituationen heraus: 1. Der Protagonist bekundet seine Bereitschaft, den Kampf gegen einen Herausforderer auf sich zu nehmen.264 2. Nach dem Kampf macht der Protagonist dem besiegten Herausforderer seine Selbstüberschätzung zum
263 Vgl. anders Wolfgang Mieder, der die Verwendung des Sprichworts konsequent mit Blick auf den noch nicht abgeschlossenen Reifungsprozess des Helden interpretiert: Der Vorwurf des Hochmuts gegen Iders sei dadurch konterkariert, dass Erec selbst sich nur wenig später der unmade schuldig mache, also nicht die moralische Integrität besitze, sich als Belehrender in Szene zu setzen: „Für das Verständnis des Gesamtwerks haben beide Belege [gemeint sind Erec V. 980ff. und V. 1229ff.] eine ausgesprochen didaktische Funktion, die die Zuhörer/Leser durchaus verstehen, die Erec jedoch noch nicht auf sich selbst zu beziehen weiß. Sein Hochmut, ausgedrückt in der unmade seines plan- und ziellosen Abenteurertums, wird im zweiten Kampf gegen Guivreiz endlich gebrochen" (als man da^golt sol liutem in der esse, S. 59f.). 264 Vgl. z.B. Wigamur, V. 5980ff.; Pleier: Tandareis und Flordibel, V. 9173f£, Pleier: Meleran% V. 5564f£, 8014f£; Pleier: Garelvon dem Blühenden Tal\ V. 2756ff.
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Vorwurf.265 3. Der Erzähler oder eine dritte Person kommentieren den gerechten Ausgang des Kampfes.266 In der Morolt-Episode des Tristan gewinnt das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall", auf das nacheinander in allen drei typischen Gebrauchsweisen angespielt wird, besondere Bedeutung. Zunächst bekräftigt Tristan, ungeachtet der eindringlichen Warnungen der Barone Markes, seine Absicht, gegen Morolt kämpfen zu wollen und damit der unmenschlichen Opferung von Kindern ein Ende zu setzen: ,wie redet ir sus!' sprach Tristan man hat des wunder gesehen, da£ unrehtiu hohvart mit kleiner kraft genidert wart: da%_ möhte ouch ml wol noch ergän, der e^getörste bestän' (Gottfried von Straßburg: Tristan, V. 6218f£).
Als es ihm gelingt, Morolt nach erbittertem Kampf eine tödliche Wunde zuzufügen, verspottet Tristan diesen wegen seiner Überheblichkeit und seiner Siegesgewissheit. Über das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall" stilisiert er sich als verlängerten Arm Gottes und rechtfertigt damit die Tötung Morolts als angemessene Rache für das von diesem begangene Unrecht: Morolt, trSstelöse her, do er äne kraft und äne wer so sere türmelende gie und sich an den val verlie, ,wie do, wie do?' sprach Tristan ,sd dir got, Morolt, sage an, ist dir dirre maere iht kunt? mich dunket, dü sist sere wunt; ich wane, din dine übele ste. swie miner wunden erge, dir w/Breguoter wur^e not: swa% so dm swester Isot von erdenk hat gelesen, des wirt dir not, wil du genesen, der rehte und der gew&re got 265 Vgl. Pleier: Meieranz, V. 6566ff.; Pleier: Garelvon dem Blühenden ΎαΙ, V. 5792ff., 5803ff. 266 Vgl. z.B. Wirnt von Grafenberg: Wigalois, V. 7960ff.; Wigamur, V. 5980ff.; Pleier: Tandareis und Flordibel, V. 6730ff.; Pleier: Meleran% V. 6566ff.; Pleier: Garel von dem Blühenden Tal, V. 7007ff.
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und gotes wcerlkh gebot die hänt din unreht wol bedäht und reht an mir rehte bräht. der müeye min ouch vürba^pßegen! disiu hdhvart diu ist gelegen!' (Gottfried von Straßburg: Tristan, V. 7065f£).
Diesen Gedanken greift auch der Erzähler in seinem abschließenden Kommentar zur Episode auf, in dem er die Tötung Morolts durch Tristan rechtfertigt: Selbstüberschätzung und fehlende Demut gegenüber der Macht Gottes haben ihn letztlich zu Grunde gerichtet, und deswegen sei der Bann Gurmuns gegen die Menschen aus Cornwall unangebracht: Nu herre Mdrolt der ist tot. tribe ich nu michel more von ir aller sware und von ir klage, wa%_ hülfe da%? uns ware nihtes deste ba%. wer möhte ir aller leit beklagen ? Mdrolt der wart grabe getragen, begraben alse ein ander man. Gurmün dö trüren began und hie\ gebieten al %ehant über al da^ riche Irlant, da%_ man genöte name war, swa\ in der werlde lebendes dar von Kurnewäle käme, dat(_ man im den lip name, waere wtp oder man. di\geb6t und dirre ban der gie vür sich so sen, da%_ nieman keine kere keiner slahte stunde da hin gehaben künde von kurnewalscher diete, dav^ er dekeine miete mohte gebieten oder gegeben, engenge im niuwan an da% leben, bi%_ maneger muoter kint da van unschuldeclichen schaden gewan; und was da%_ alle^ äne not, wan Mörolt lac billiche tot; der was niwan an siner kraft und niht an gote gemuothaft undfuorte fallen yiten allen sinen striten gewalt unde hShwart,
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in den er ouch gevellet wart (Gottfried von Straßburg: Tristan, V. 7200f£).
Hier wird das Verhalten Morolts im Kampf zwar als Missachtung der göttlichen Macht gedeutet und damit an den theologischen Hintergrund des Sprichwortes angeknüpft, doch zielt diese Anknüpfung lediglich auf die Stilisierung Morolts in Richtung eines bestimmten Typus von Herausforderer, mit dessen Uberwindung der Protagonist seine besondere Qualifikation unter Beweis stellt.267 Die Diskussion um die grundsätzliche Prädestination des Menschen zur Überhebung über die göttliche Ordnung bleibt dagegen auch hier ausgespart.268 Die Beispiele zeigen, wie sich im Anschluss an die Integration in Hartmanns Em ein gattungsspezifisches Verwendungswissen für das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall" herausbildet. Im Rahmen der auf die Bewährung des Helden ausgerichteten Handlung dient es zuletzt als Signal einer typischen Handlungskonstellation, der Herausforderung des Protagonisten durch einen überlegen scheinenden Gegner, die ihm die Möglichkeit gibt, seine herausragenden Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. In Wolframs Parsival wird das Sprichwort nebeneinander in verschiedenen Handlungskonstellationen einmal endang den Vorgaben des theologischen Diskurses verwendet, dann aber auch in der durch die Gattungstradition des Artusromans bereitgestellten Weise. Während die Integration des Mikrotextes in das Karfreitagsgespräch zum Entwurf eines Menschenbildes beiträgt, das an der religiösen Vorstellung von der präfigurier267 Mit der Überwindung Morolts konstituiert Tristan die besondere Rolle, die er auch im weiteren Handlungsverlauf am Hof Markes einnimmt. Wie später bei der Entführung Isoldes durch Gandin ist auch hier Tristan der Einzige, der sich bereit findet, die Gefahren eines Kampfes gegen den Herausforderer anzunehmen und damit elementaren Schaden vom Hof abzuwenden. 268 In ganz ähnlicher Weise wird das Sprichwort in Wirnts von Grafenberg Wigalois verwendet: Die Botin Nereja reist an den Artushof, um Hilfe für ihre Herrin zu erbitten, die von einem Teufelsbündler bedroht wird. Als ihr an der Stelle des für eine solche Aufgabe prädestinierten Gawein der junge Wigalois als Beistand angeboten wird, zeigt sie ihre Enttäuschung öffentlich. Auf dem gemeinsamen Weg in Nerejas Heimat demonstriert sie Wigalois mehrfach, dass sie ihn für ungeeignet hält, die äventiure zu bestehen. Erst als es ihm gelingt, den Grafen Hoir von Mansfeld zu besiegen, der ihnen auf der Reise begegnet, fasst Nereja neuen Mut. In diesem Zusammenhang hebt der Erzähler den Mut des Protagonisten in Anbetracht der Macht des Grafen hervor und deutet auf Wigalois' bevorstehenden Sieg voraus: Do da% her Gwigalois ersachj sinerjunevrouwen er [do] sprach/ diu in dargewiset het! ,ichn kan niht wi^en wie%_ hie stet/ und erkenne ouch ir deheinen;/ geiget mir doch den einenI der iu da·.ζ pjärtgenomen hat;/ des ist deheiner slahte rat/ iune müe%e reht von im geschehen,/ od er mich da toten vor im sehen I em welle mir riterschaft versagen.'/ vil ungelich tet er einem %agen./ des wart diu maget harte vro;/ mit willen geiget si im do, / da der rote ritter lacj der großer hochverte p f l a e j diu dem manne sit gar ein slac (Wirnt von Grafenberg: Wigalms, V. 2657ff.).
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ten Sündhaftigkeit des Menschen orientiert ist, dient es in der GaweinHandlung der Profilierung des Helden. Als Parzival mit Blick auf seine außergewöhnlichen ritterlichen Fähigkeiten Anspruch auf den Gral erhebt, obwohl Trevrizent ihm unmittelbar zuvor erläutert hat, dass der Gral selbst die zum Dienst Berufenen erwählt, warnt dieser den jungen Ritter vor den Folgen der höhvart. Um die Gefahren, welche die Unterschätzung der Macht Gottes und die Überhebung über die Gesetze des Grals bergen, zu illustrieren, berichtet der Einsiedler von Anfortas, der in jungen Jahren aus Verlangen nach minne und äventiure gegen die Ordnung der Gralgesellschaft verstoßen hat und dafür mit lebenslangen Qualen bestraft wurde: dd sprach aber ΡαπζίνάΙ ,mac riterschafl des libes pris unt doch der sele pardis bejagen mit schilt unt ouch mit sper, so was ie riterschaft min ger. ich streit ie swä ich striten vant, so da% min werlichiu hant sich naehert dem prise. ist got an strite wise, der sol mich dar benennen, da^ si mich da bekennen: min hant dä strifes niht verbirt.' do sprach aber sin kiuscher wirt ,ir miiest aldä vor hdchvart mit senflen willen sin bewart. iuch verleit liht iwer jugent da^_ ir der kiusche brächet tugent. hdchvart ie seic unde viel',' sprach der wirt: ieweder ouge im wiel, dd er an maere dähte, da\ er dä mit rede volbrähte. do sprach er ,herre, ein künec dä was: der hie^ und hei^t noch Anfortas. da% sol iuch und mich armen immer mer erbarmen, umb sin herebiere not, die hdchvart im lone bot. sinjugent unt sin richheit der werlde an im fuogte leit, unt da\ er gerte minne üi^erhalp der kiusche sinne. der site ist niht dem gräle reht: dä muoζ der riter unt der kneht bewart sin vor losheit.
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Aneignung durch Ausgrenzung diemüet ie hdchvart überstreit (Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 471,30f£).
Die besondere Nähe zum theologischen Diskurs zeigt sich nicht zuletzt in der Bezugnahme auf die Verbannung Lucifers aus dem Himmel: Seine Erläuterungen über die Herkunft des Grals und die Zusammensetzung der Gralgesellschaft schließt Trevrizent im Gedenken an die ersten Hüter des Grals ab, jene Engel, die sich im Kampf Gottes gegen Lucifer nicht entschieden gegen diesen gewendet haben.269 Das Fehlverhalten, vor dem Trevrizent den jungen Parzival bewahren will, findet also nicht nur in der Geschichte von Anfortas ein Vorbild, sondern wird darüber hinaus auf den Versuch Lucifers bezogen, sich Gott anzugleichen (was als Präfiguration der menschlichen superbia dient):270 di newederhalp gestuonden, dd striten beguonden Luäfer und Trinitas, swa\ derselben engelwas, die edelen unt die werden muosen üf die erden %uo dem selben steine der stein ist immer reine. ich enwei^ op got üf si verkäs, ode ob ers fürbaß verlos. was da% sin reht, er nam se wider. des steines pfligt iemer sider die got der^uo benande unt in stnen engel sande. her, sus stet umben gräl' (Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 471,15f£).
269 Vgl. bereits die Reaktion des Einsiedlers auf die programmatisch vorgetragene Abkehr Parzivals von Gott: got heiyt und ist diu wärheit:/ dem was ie falscbiu fuore leit./ da\ suit ir gar bedenken./ ern kan an niemen wenken./ nu leret iwergedanke,/ hüet iuch gein im an wanke. / im megtim ab erzürnen niht:/ swer iuch gein im in has^e siht,/ der hat iuch an den mitten krancj nu prüevt wie hucifern getane/ unt stnen notgestallen. / st warn doch ane galten:/ ja her, wa namen si den nit,/ dävonir endelöser strit/ %er helle enpfäbet stiren Ion?/ Astiroth und Belämön,/ Belet und 'Radamant/ unt ander diech da ban erkant,/ diu liebte himelische schar/ wart durch nit nach helle var./ dd Luäferfuor die hellevart/ mit schar, ein mensche nach im wart' (Wolfram von Eschenbach: Parzival, V. 462,25ff.). Vgl. ausführlich Anna Katharina Reiher: Das Motiv der „neutralen Engel" in Wolframs Parzival. 270 Parzival wurde bereits früh in der Forschung als Typus für die Sündhaftigkeit des Menschen gesehen: „Es wird nicht ausgesprochen, aber es ist offenkundig, daß Parzivals Empörung gegen Gott auf Lucifers Urschuld der superbia hinweist" (Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach, 7. Auflage, S. 131).
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Gawan dagegen verwendet eine Anspielung auf das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall", um gegenüber Orgeluse seiner Bereitschaft Nachdruck zu verleihen, für sie gegen Gramoflanz anzutreten. Damit wird der Mikrotext zum Gestaltungsmittel einer burlesken Ubersteigerung der dargestellten Handlung, indem dessen gattungsspezifische Verwendungsweise ironisiert wird.271 Gaweins Versicherung, den Kampf ungeachtet der damit verbundenen Gefahren einzugehen, zielt nämlich direkt darauf, Orgeluse zur sexuellen Vereinigung zu überreden, und büßt damit ihre funktionelle Bedeutung zur Profilierung des noch unerfahrenen Helden ein, der durch seine herausragenden ritterlichen Fähigkeiten sich als prädestiniert erweist, den Erhalt der höfischen Ordnung zu gewährleisten: frowe, esn wende mich der tot, ich lere den künec sölhe not diu sine hochvart letzet, mine triwe ich hän versetzet gein im üf kämpf riten in kur?(lichen %iten: dä sul wir manheit urborn. frouwe, ich hän Af iuch verhorn, ob ir tu minen tumben rät durch %uht niht versmähen lät, ich riet iu wiplich ere und werdekeite lere: nun ist hie niemen denne wir frouwe, tuotgenäde an mir' (Wolfram von Eschenbach: Varyival, V. 614,19f£).
Die Unterschiede in der Funktionalisierung ein und desselben Sprichworts (bzw. der Anspielung auf ein Sprichwort) in zwei Handlungsabschnitten des gleichen Romans könnten nicht größer sein. Interessant ist dabei, dass ein Autor wie Wolfram mit dem gleichen Mikrotext das diskursive Wissen ganz verschiedener Bereiche abruft und nicht zuletzt damit verschiedene Erzählräume konstituiert. Während die Tragweite der Warnung des Einsiedlers Trevrizent an den jungen Parzival erst mit Blick auf die theologischen Implikationen des Sprichworts „Hochmut kommt vor dem Fall" erkennbar wird, setzt die ironisierte Darstellung in der Orgeluse-Episode eine genaue Kenntnis der gattungsspezifischen Funktionalisierung des Sprichworts im Rahmen der Heldenkonzeption voraus.
271 Vgl. ähnlich schon die Verwendung der sprichwörtlichen Formel „das Gold in der Esse läutern" durch Orgeluse, die ironisch Bezug auf die Prüfung Enites durch Erec nimmt (vgl. oben, S. 99ff.).
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Aneignung durch Ausgrenzung
Die Beispiele konnten zeigen, wie mit den Sprichwörtern „Es ist besser in Ehre zu sterben, als mit Schande zu leben" und „Hochmut kommt vor dem Fall" zunächst in Hartmanns Erec Sprechweisen aus sehr unterschiedlichen Traditionszusammenhängen (Kriegerethos und geistlicher Diskurs) in sehr ähnlichen Handlungskonstellationen dazu verwendet werden, die Besonderheiten höfischer Gesellschaftskonzeption (insbesondere im Bereich der Konfliktbewältigung) hervorzuheben. Die Integrationstechnik ist dabei sehr ähnlich: Über das mit dem Sprichwort verbundene Verwendungswissen wird ein Erwartungshorizont aufgerufen, dem die geschilderte Handlung in entscheidenden Aspekten entgegensteht. Die Abweichung von der üblichen Verwendungsweise wird dabei gezielt eingesetzt, um die neue Erzählwelt des höfischen Romans gegenüber dem Bekannten zu profilieren. Exemplarisch für das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall" konnte dann gezeigt werden, wie sich unmittelbar im Anschluss an die Übernahme durch Hartmann eine gattungsspezifische Verwendung herausbildet, die sich weit von der herkömmlichen Gebrauchsweise im theologischen Diskurs entfernt. In beiden betrachteten Bereichen, der Figurenkonzeption und der Konfliktdarstellung, lassen sich im Wesentlichen zwei diskursive Praktiken der höfischen Romane bei der Integration von Sentenzen und Sprichwörtern beobachten, die in einem genetischen Zusammenhang stehen. Zunächst ermöglicht die konnotative Einverleibung eines Mikrotextes dessen Überführung in neue Kontexte und Funktionszusammenhänge. Voraussetzung für diese Einverleibung ist die systematische Ausblendung herkömmlicher Verwendungsaspekte und die damit verbundene semantische Neudefinition einer bereits geformten Sprechweise. Das mit einem Mikrotext verbundene diskursive Wissen wird dabei aufgerufen, erzeugt aber in seiner Unvereinbarkeit mit der aktuellen Realisierung eine Spannung, vor der sich die spezifischen Interessen des literarischen Gebrauchs klar konturieren. Mit der Integration von Sentenzen und Sprichwörtern konstituieren sich die höfischen Romane in Abgrenzung zu den benachbarten Spezialdiskursen.272 Dabei ermöglichen offensichtlich die besonderen thematischen Schwerpunkte der Gattung und ihr zurückgenommener Anspruch historischer Referenzialität einen deutlich freieren und situativeren Umgang mit den in anderen Kontexten stark normierten Sprechweisen. Dass es sich dabei um eine gattungstypologische Besonderheit und nicht um ein zeitliches Phänomen handelt, wird mit Blick auf eine ganze Reihe von 272 Das heißt aber, dass die produktive Einverleibung von Sentenzen und Sprichwörtern nicht als Kennzeichen einer allgemeinen Tendenz volkssprachiger Literatur zur Diskurshybridisierung im Sinne einer Grenzverwischung zu verstehen ist, da sich gerade in Verfahren der Ausblendung und Neudefinition die Regeln der einzelnen Diskurse und die Unterschiede des diskursiven Wissens deutlich abzeichnen.
Sentenzen und Sprichwörter als Darstellungsmittel höfischer Konfliktbeilegung
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zeitlich nach den Artusromanen Hartmanns entstandenen Texten anderer Gattungen deutlich, deren Integration von Sentenzen und Sprichwörtern sich in viel stärkerem Maß an den traditionellen Verwendungsweisen orientiert. Auf die Spielräume für Verwendung und Funktionalisierung, die sich mit der konnotativen Einverleibung oder Aneignung von Sentenzen und Sprichwörtern eröffnen, greifen die höfischen Romane in der auf intertextuellen Verfahren beruhenden Weitergabe der Mikrotexte zu. Die Tatsache, dass die Autoren dabei nicht mehr auf die Herkunftsdiskurse rekurrieren, sondern an die Verwendungsparadigmen der eigenen Gattungsradition anknüpfen, zeigt, dass sich mit dem beschriebenen Aneignungsprozess eigenes diskursives Wissen herausbildet. Die besondere (ästhetische) Qualität des literarischen Diskurses zeigt sich allerdings darin, dass dieses diskursive Wissen nicht — wie in anderen Spezialdiskursen — durch eine festen Regeln unterworfene Wiederholung verfestigt wird, sondern sich mit jeder Neukontextualisierung eines Mikrotextes verändert. Auf diese Weise schöpfen die höfischen Romane die VerwendungsSpielräume einmal angeeigneter Kleinformen sukzessive aus. Das beschriebene Phänomen soll im Folgenden an der Krone Heinrichs von dem Türlin näher betrachtet werden, dessen intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Gattung immer wieder als besondere Qualität hervorgehoben wurde.
5. Sentenzen und Sprichwörter als Gestaltungsmittel einer intertextuellen Erzählwelt in der Krone Es gehört zu den herausragenden Merkmalen der Krone, dass sie in ungewöhnlichem Maße auf die literarische Tradition Deutschlands und Frankreichs zurückgreift.273 Die intertextuellen Beziehungen reichen dabei von der Verarbeitung ganzer Erzählabschnitte sowie Handlungssequenzen bis zur Übernahme von Bildern, Motiven und Darstellungsweisen.274 Auch Sentenzen und Sprichwörter, die durch ihre Prägnanz in Bildlichkeit wie Formulierung ein hohes Maß an Wiedererkennbarkeit gewährleisten,275 werden in der Krone zum Aufbau einer textübergreifenden Er273 Hat diese Eigenart des Textes in der älteren Forschung zum Epigonenvorwurf geführt (vgl. zuletzt Wemer Schröder: Zur Literaturverarbeitung durch Heinrich von dem Türlin, passim; vgl. als Kritik dazu Peter Stein: Integration - Variation - Destruktion, S. 11, Anm. 1), wird in jüngerer Zeit der eigenständige und produktive Umgang mit literarischen Versatzstücken als besondere Qualität des Textes hervorgehoben: „Im Falle der Crom Heinrichs von dem Türlin muß der Leser den Eindruck gewinnen, als wäre der Text geradezu auf ein solches Spannungsverhältnis hin angelegt. Im Prozeß der Lektüre entstehen laufend Irritationen dadurch, daß sich das jeweils Erzählte nicht mit dem gewonnenen Vorverständnis deckt. So ist die Crom zwar, über den bloßen Umgang mit dem arthurischen Figureninventar hinausgehend, der literarischen Reihe der Artusromane eingeschrieben — dies beginnt mit der namentlichen Nennung fast aller Autoren und reicht über die Aufnahme bekannter Motive bis hin zur variierenden Wiederholung ganzer Erzählzüge der früheren Romane - , doch trotz dieser offensichtlichen Selbstinszenierung im Rahmen der Gattung werden die dadurch evozierten Erwartungen immer wieder enttäuscht" (Hartmut Bleumer: Die Cröne Heinrichs von dem Türlin, S. 1; vgl. auch: Christoph Cormeau: Wigalms und Die Crom, S. 165, 203). In diesem Zusammenhang erscheinen insbesondere die kritische Auseinandersetzung mit dem Artusreich (vgl. u.a. Matthias Meyer: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 170) bzw. die Möglichkeiten und Grenzen, von dieser Welt zu erzählen (vgl. zusammenfassend Peter Stein: Integration — Variation — Destruktion, S. 12), als Themenschwerpunkte der Krone. 274 Besondere Beachtung hat stets die Neubearbeitung der Gawan-Partien des Parsjval gefunden. Außerdem als maßgebliche Prätexte hervorgehoben wurden für den deutschsprachigen Bereich die Artusromane Hartmanns von Aue, der Landetet Ulrichs von Zatzikhoven, der Wigalois Wirnts von Grafenberg sowie die Erzählung ha mule sans frein als altfranzösische Vorlage für die Zaumgeschichte (vgl. Peter Stein: Integration — Variation — Destruktion, S. 142; Arno Mentzel-Reuters: Vröude, S. 51ff.). 275 Insgesamt werden intertextuelle Bezugnahmen neben der Erwähnung von Namen häufig mit Hilfe eines besonders prägnanten Wortes oder einer Wortgruppe konstruiert, die den Fremdtextverweis wie ein Signalwort markieren. Vgl. z.B. die Warnung Gaweins vor dem
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zählweit genutzt. Eine Untersuchung der Übernahme von Sentenzen und Sprichwörtern insbesondere aus Hartmanns Iwein soll zeigen,276 wie der Text die eigenständige Verarbeitung von Elementen der vorangegangenen Artusliteratur bis in kleinste sprachliche Einheiten verfolgt. Der im Text markierte Riickbezug auf Sentenzen und Sprichwörter eines bestimmten Romans der eigenen Gattungstradition stellt einen völlig anderen Typ intertextueller Relation dar, als der bisher beschriebene, für diese Mikrotexte insgesamt charakteristische Bezug auf eine (schriftliterarische) Tradition und das darin implizierte Verwendungswissen. Gerade mit Blick auf die Funktionaüsierung von Sprichwörtern und Sentenzen ist dieser Unterschied von erheblicher Bedeutung. Während der Bezug auf eine ganze Texttradition das mit der Sentenz oder dem Sprichwort verbundene, nicht von einer bestimmten Realisation abhängige Wissen um eine typische Verwendung, Kontextualisierung oder Bedeutung als Folie für den aktuellen Gebrauch bereitstellt, tritt ein Text durch die markierte Übernahme eines Mikrotextes aus einem bestimmten Prätext in eine Auseinandersetzung mit demselben. Karlheinz Stierle, der sich in Abgrenzung zum Intertextualitätsbegriff Julia Kristevas ausfuhrlich mit Konstituierung und Funktion intendierter Fremdtextverweise beschäftigt hat, betont zunächst den hermeneutischen bzw. pragmatischen Aspekt dieser Auseinandersetzung zwischen Text und Prätext.277 Daneben weist er aber auch auf die Bedeutung der ästhetischen Vergegenwärtigung der intertextuellen Relation hin (Wie wird der Prätext in den aktuellen Text hineingespielt? Wie wird die intertextuelle Relation im aktuellen Text erfahrbar gemacht? Wie verligen anlässlich der Hochzeit von Iwein und Laudine (Hartmann von Aue: Iwein, V. 2790). Als Wortschöpfung des Prätextes markiert der Terminus verligen als Kennvokabel für Hartmanns Erec die intertextuelle Bezugnahme noch vor den im weiteren Verlauf der Anspielung genannten Namen: geselle, behüetet da% en^tt/ da* ir iht in ir schulden stt/ die des werdent geigen/ da^st sich durch irwip verligen, j kert e^niht alle^an gemach;/ als dem hern Erecke geschach, / der sich ouch also manegen tac/ durch vrouwen Ernten verlac (ebd., V. 2787ff.). 276 Für die Analyse werden hier zwei Beispiele aus Hartmanns Iwein gewählt, weil die Krone in ungewöhnlicher Weise auf die Sentenzen dieses Vorgängers zurückgreift. Neben den hier diskutierten Beispielen vgl. die Übernahme des Sprichworts %wei sint eins herr (Iwein, V. 4328, 5350, 6636 — Krone, V. 6138) und der Sentenz mime und ha^e/ sint yenge in einem va^e (Iwein, V. 7033f. — Krone, V. 15521 ff.). Die Krone stellt aber auch zu anderen Texten der deutschen Artustradition intertextuelle Bezugnahmen durch die (variierende) Übernahme von Sentenzen her. Vgl. den Bezug zu Hartmanns von Aue Erec und Wolframs von Eschenbach Par^val in der Verwendung des sprichwörtlichen Vergleichs als man da^golt sol liutem in der esse (Erec, V. 6785f. - Panjval, V. 614,12ff. - Krone, V. 7113ff.). Zur Bedeutung des Iwein als Prätext für die Krone vgl. zusammenfassend Peter Stein: Integration — Variation — Destruktion, S. 78ff. 277 „Das hermeneutische oder pragmatische Verhältnis eines Textes zu einem Text mag das der Applikation sein oder der Überbietung, der Aufbietung einer Autorität, der ironischen Distanznahme, der Erweiterung, der Korrektur oder der Ausschöpfung eines Spielraums, der durch den vorgängigen Text [...] gesetzt ist" (Werk und Intertextualität, S. 357).
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•wird der Prätext dabei konturiert? Wie fugt sich die intertextuelle Relation in die Ästhetik des aktuellen Textes ein?)278 und damit nicht zuletzt auf die Bedeutung der personalen Identität des Autors, den man als Regisseur dieser Vergegenwärtigung des Prätextes bezeichnen könnte.279 Auf dieser Grundlage kann eine Analyse der inhaltlichen wie ästhetischen Auseinandersetzung, welche die Krone durch die Übernahme von Sentenzen und Sprichwörtern mit dem Iwein fuhrt, vielleicht einerseits zu einem noch besseren Verständnis der Poetik intertextueller Bezugnahmen in der Krone beitragen,280 andererseits den produktiven Umgang mit literarischen Kleinformen in den Romanen des 13. Jahrhunderts beleuchten, vor allem aber deren Erzähltechnik vor dem bildungsgeschichtlichen Hintergrund der nachklassischen Autoren paradigmatisch verdeutlichen. Die Handlung der Krone setzt mit dem Weihnachtsfest am Artushof ein: Als die Gesellschaft nach einem Turnier in festlicher Runde beisammensitzt und eine äventiure herbeisehnt, naht diese alsbald in Gestalt eines Ritters mit fischähnlichem Aussehen. Im Auftrag des Meerkönigs Priure initiiert dieser eine Tugendprobe: Alle Mitglieder des Hofes werden aufgefordert, aus einem Becher zu trinken, aus dem nur der zu trinken vermag, der ohne valsch ist. Die Schilderung der Trinkversuche der Artusritter und ihrer Damen bietet erzähltechnisch die Möglichkeit, Kernmotive und Probleme vorangegangener Romane wie z.B. Parzivals Frage- oder Iweins Fristversäumnis zu wiederholen. Entsprechend wurde die Fülle an intertextuellen Bezügen stets als besonderes Kennzeichen dieser Eingangsaventiure hervorgehoben,281 in jüngerer Zeit sogar die Funktion der gesamten Episode in der Verortung der Krone in der Gattungstradition beschrieben.282 Schon die Exposition der Tugendprobe gestaltet sich als Fremdtextverweis: Bei seiner Ankunft fordert der Bote des Meerkönigs 278 Vgl. Karlheinz Stierle: Werk und Intertextualität, S. 356. 279 Vgl. ebd., S. 353f. 280 Peter Stein plädiert ausdrücklich für eine verstärkte Berücksichtigung von Methode und Funktion intertextueller Bezugnahmen in der Krone: „Aber trotz des grundsätzlichen Interesses der Forschung an Heinrichs Verhältnis zur literarischen Tradition beschränken sich die meisten Arbeiten zur Crom darauf, einzelne intertextuelle Anleihen, Anspielungen oder Attacken aufzuspüren und zu erklären. Eine umfassende, systematische Untersuchung der verschiedenen Methoden, mit denen Heinrich sein Werk bewußt und erkennbar in der literarischen Tradition zu verankern bemüht ist, fehlt dagegen" (Integration - Variation - Destruktion, S. 12). 281 Eine Zusammenstellung der literarischen Anspielungen der Becherprobe bietet Christoph Cormeau: Wigalois und Die Crone, S. 165ff. 282 Zur Funktionalisierung intertextueller Bezugnahmen in den Tugendproben der Krone vgl. Peter Stein: Integration — Variation — Destruktion, S. 42, Hartmut Bleumer: Die Crom Heinrichs von dem Türlin, S. 257ff., und Andreas Daiber: Bekannte Helden in neuen Gewändern, S. 170; zusammenfassend Matthias Meyer: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 74.
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Artus auf, ihm eine Bitte zu gewähren und damit den Ruf, der ihm vorauseilt, zu bestätigen. Die Anklänge an die Ginover-Entführung in Hartmanns von Aue Iwein verdichten sich in der Formulierung, mit der der Bote seiner Forderung Nachdruck verleiht: ,Erschol von schulden sein gewert, Der so betlieh gert. Da sich die von schaident, Die die bet laident. Da$* ist schad vnd schände' (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 1033f£).
Mit ähnlichen Worten schränkt Artus in Hartmanns Iwein seine Bereitschaft ein, Meliakanz eine Gunst zu erweisen: ,swa^_ ir gebietet hie hüs, des sit ir alles gewert, ist dar^ ir betelichen gert.' (Hartmann von Aue: Iwein, V. 4544ff.).
Diese zunächst nahe liegende Einschränkung, nur eine angemessene Bitte zu gewähren, führt zwischen Artus und Meliakanz zu einer Auseinandersetzung. Der fremde Ritter wirft Artus vor, dass solche Vorbehalte seinem Ruhm und seiner Freigebigkeit unangemessen seien und somit seinem Ansehen schadeten. Als Artus trotz dieser Angriffe keine uneingeschränkte Zusage machen will, verlässt Meliakanz verärgert den Hof. Die Artusritter, die eine Beeinträchtigung ihres Ansehens befürchten, drängen Artus mit Blick auf die offensichtliche Vorbildlichkeit des fremden Ritters uneingeschränkt auf dessen Forderungen einzugehen: ,herre, ir habet missetän, weit ir den riter alsus län. wem habt ir ouch verseit? lät e^ an sine hövescheit. ergelichet sich wol einem man der betelichen biten kan. scheidet er von hinnen mit seihen unminnen, ern gesprichet nimmer mere dehein iuwer ere' (Hartmann von Aue: Iwein, V. 4569f£).
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Als Artus dem Drängen nachgibt, fordert Meliakanz die Königin für sich und kann ungehindert mit ihr den Artushof verlassen. Da zur Zeit der Entführung weder Gawein noch Iwein anwesend sind, scheitert auch ihre Befreiung zunächst, und Artus beschuldigt seine Ritter, ihm einen schlechten Rat gegeben zu haben: er sprach ,ivie bin ich überkomen! die disen rät täten, die hänt mich verraten' (Hartmann von Aue: Iwein, V. 4590ff.).
Die Hilflosigkeit, mit der der Artushof der Entführung seiner Königin gegenübersteht, hat in der Forschung eine Diskussion um das kritische Potenzial von Artusfigur und Gesellschaftskonzeption im Iwein ausgelöst.283 Die variierende Übernahme der von Artus formulierten Einschränkung in die Becherprobe der Krone wurde in diesem Zusammenhang zwar in den Blick genommen, aber nicht für das Verständnis beider Texte fruchtbar gemacht.284 Dies irritiert umso mehr, als es sich um eine sprichwörtliche Formel handelt,285 die in den Bereich geregelter (ritueller?) Kommunikati283 So sieht Horst-Peter Pütz in der Ginover-Entfuhrung die Angewiesenheit des Königs auf seine Ritter und damit die Überwindung der Artusgesellschaft durch den Protagonisten symbolisiert (Artuskritik in Hartmanns Iwein, S. 197), Renate Gürttier dagegen weist die Schuld an der Entführung der Königin ausschließlich den Artusrittem zu, die Artus zur Gewährung des Versprechens raten: „Der König wird von aller Schuld freigesprochen, sie trifft diejenigen, die ihm diesen schlechten Rat gegeben haben, während er selbst Überlegung und Umsicht bewiesen hat" (kiinec Artüs derguote, S. 80). Vgl. ähnlich Gerd Dicke, der wie Gürttier die Umsicht des Königs betont (vgl. Gouch gandm, S. 139). Auch Klaus Grubmüller zieht eine Kritik an Artus in Zweifel: Die Problematik der Episode liege eher darin, dass Artus als Exempelfigur für Regeln, die die ritterliche Welt organisieren, dem Bösen hilflos gegenüber stehe (Der Artusroman und sein König, S. 10). Einen forschungskritischen Überblick bieten Wolfgang Brandt: Die Entführungsepisode in Hartmanns Iwein, S. 322ff., Bernd Schirok: Artus der meienbaere man, S. 59ff., und Hartmut Kugler: Fenster zum Hof, S. 115ff., der die Episode insbesondere unter erzähltechnischen und strukturellen Gesichtspunkten betrachtet und die Korrespondenz zur Iwein-Handlung im ^aii/if-Motiv sieht. 284 Klaus Grubmüller sieht die Funktion der Bezugnahme in der Krone lediglich in der Traditionsstiftung (Der Artusroman und sein König, S. 12). 285 Herkunft und Status des Mikrotextes sind nicht eindeutig zu klären. Denkbar wäre eine Entstehung im Kontext verhaltensregulierender Lehrsprüche, wie sie u.a. durch die CatoTradition repräsentiert werden. Für diese Annahme spricht die in diesem Bereich typische Formulierung des Mikrotextes in Form einer man-sol-Regel, wie sie insbesondere in der Crone und Strickers Oer Wolf und das Weib (Ein man sol beteliche gem,/ den mac man deste ba^gewern. / swer unbeteliche gertj der hat sich selben gar entwert, V. 59 ff.) zu finden ist. Als Vorlage käme der inhaltlich sehr nahe stehende Cato-Spruch: Quod iustum est petito, vel quod videatur honestum; Nam stultum est petere, quodpossit iure negari (Disticha Catonis, 1,31) in Frage, der allerdings in der deutschen Übertragung die Einschränkung quod iustum est mit gewerlichen über-
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on verweist und in der volkssprachigen Literatur des hohen Mittelalters relativ verbreitet ist.286 Verwendung findet die Formel zunächst insbesondere in literarischen Texten, die romanhafte und chronikalische Elemente vereinen oder zumindest ein besonderes Interesse an rechtlichen Details zeigen.287 Wie im Iwein dient sie einem Herrscher dazu, eine nicht näher spezifizierte Bitte unter Vorbehalt zu gewähren. Die Verbindlichkeit dieses Vorgangs und die Bindung an bestimmte institutionelle Voraussetzungen werden im Lohengrin offensichtlich. Lohengrin, der auf einer Schwanenbarke aus dem Gralreich in das Herzogtum Brabant kommt, um den deutschen Fürsten im Kampf gegen die Heiden beizustehen, heiratet die Herzogin nur unter der Bedingung, dass sie ihn nicht nach seiner Herkunft fragt. Nachdem er zum zweiten Mal maßgeblich zum Sieg in einer großen Schlacht beigetragen hat und der König zum Kaiser gekrönt wurde, übertritt seine Frau das Frageverbot und bittet Lohengrin, ihr um ihres ungeborenen Kindes willen seine Abstammung offen zu legen. Daraufhin sagt er zu, ihre Frage bei der Ankunft in der Heimat zu beantworten. Dies soll aber nicht in einem privaten Rahmen geschehen; Lohengrin will seine Herkunft vor dem Kaiser und allen Fürsten bekannt geben und gleichzeitig seine Rückkehr in die Gralwelt erklären. Dazu muss er aber zunächst den Kaiser dazu bewegen, ihm mit seinem ganzen Hofstaat nach Brabant zu folgen. Beim Messgang, wo er den Kaiser im Kreise aller Fürsten antrifft, erhebt Lohengrin mit dem Hinweis auf seine Verdienste den Anspruch, einen Wunsch gewährt zu bekommen: Nu hört man aberglocken schal, da von sich diu menige maht üf über al und kerten, da sie gots dienst mieten hoeren. Nu quam der vürste von Präbant mit der her^ogin, dä er vil messe vant da einerpfarre in absit und in koeren. Der heiser und diu keiserin sich gein dem toume
machet
setzt statt mit dem für die sprichwörtliche Formel konstitutiven betelichen und damit den Akzent vom Akt des Bittens auf den des Gewährens verlagert. Denkbar wäre auch, dass die sprichwörtliche Formel betelichen gern unabhängig von diesem Zusammenhang entstanden ist und als Muster für die Ubersetzung des Cato-Spruchs gedient hat. Wahrscheinlich scheint mir, dass die Formel von den volkssprachigen Autoren (Hartmann von Aue?) in Anlehnung an den Cato-Spruch geprägt wurde und die Bedeutung der Kennvokabel betelich sich in der deutschen literarischen Tradition begründet. 286 Vgl. TPMA II, s.v. BITTEN 4.5: Einer berechtigten Bitte wird entsprochen (soll man entsprechen). 287 Ausgehend von der Verwendung im Herrschaftsdiskurs, kommt es zu einer Übertragung in die Minnelehre (Ulrich von Lichtenstein: Frauendienst, V. 1510f£; Das Liederbuch der Clara Ηαίφπη, [Der mynn regel\, 2,58,352ff.) und Texte geistlichen Inhalts (Predigtkontext: Proverbia Fridanä-, Heinrich von Burges: Der Seele Rat, V. 2630ff.).
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und alle die viirsten, von der stat der ieglicber heim varen urloubs bat. nü quam, der nie an wirden wart geswachet. Da% was der vürste von Präbant. bi dem keiser er die herren alle vant, er sprach dem keiser, er wolt in gesprechen, Zi im er nam die keiserin, er sprach: ,herre und vrou, ich ml iuch biten sin, da%_ suit ir durch minen dienst also Rechen, Da£ ir mich verübet niht. gedenct an alle triuwe swa\ ich iu gedienet hän, da^ ich alleζ willecltchen hän getan. und tuot also, da% e\ mich niht enriuwe.' Der keiser sprach: ,herre von Präbant, mir ist leit, da^ ir mich habt so sere gemant und da%_ ir habt so vast gein mir gesprochen. Ir suit sin alles des ge wert, des iuwer yühtic munt betlichen an mich gert. taet ich des niht, min wirde waere gebrochen.' Er sprach: ,herr, so bit ich iuch, dar yuo die keiserinne, da^ ir mit mir vart gein Präbant, do iuwer tohter minem swäger wirt gesant. des bit ich iuch von allem minem sinne.' Er sprach: ,mac άαΐζ niht anders sin?' er sprach: ,nein, ob ir tuot triuwe gein mir schtn, und helfet biten mir die viirsten alle, Da% sie des endes mit mir varn, sint ich Up und guot nie wolt vor in gespam.' er sprach: ,wol dan, ob iu wolgevalle Und gen ψο in die wil wir sie vinden bi einander.' sie gingen dä mans alle vant. der keiser in selber tet die bet bekant. sie lobten im^ dd einer und der ander (.Lohengrin, V. 7001 ff.).
Das Gespräch zeigt deutlich, welche Verbindlichkeit die Bitte durch den gewählten Rahmen erhält. Der Kaiser hat offensichtlich keine andere Möglichkeit, als dem Drängen Lohengrins nachzugeben, obwohl ihm die vorgetragene Bitte nicht angenehm ist. Die Tatsache, dass Lohengrin zu seinen engsten Vertrauten zählt sowie die Einschränkung, dass dieser eine beteliche Bitte vortragen müsse, schützt Otto davor, durch das gegebene Versprechen zu Schaden zu kommen. Im Gegensatz zum Iwein wird diese Einschränkung aber trotz des bestehenden Vertrauensverhältnisses in
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keiner Weise problematisiert, nicht als Unterstellung an den Bittenden empfunden. Ganz im Gegenteil scheint sie in die formalisierte Prägung einer Zusage im Bereich der öffentlichen Kommunikation zu gehören und im gütlichen Umgang zwischen Lohengrin und dem Kaiser keine weitere Bedeutung zu haben.288 Weniger reibungslos gestaltet sich ein ähnlicher Vorgang im Herzog Ernst B. Der Protagonist ist durch Verleumdung bei seinem Stiefvater, Kaiser Otto, in Ungnade gefallen. Als ein Vermitdungsversuch seiner Mutter scheitert, rät diese ihm, die Fürsten des Landes als Fürsprecher zu gewinnen. Wie im Lohengrin wird als öffentlicher Rahmen für das Bittgesuch der Messgang des Kaisers gewählt. Die Fürsten verleihen ihrem Auftritt dadurch zusätzliches Gewicht, dass sie sich dem Kaiser zu Füßen werfen.289 Wieder wird die Bitte unter der Einschränkung, dass sie betelich ist, gewährt:290 Do sye heften messe vernomen Vnd h o f f e waren komen, IVor den keyser sye gingen. Ir bede sye an vingen, Das s y e j m vielten den fus^en. ,0b wyruch bitten müssen, So erleubent vns, herre, myt guten sitten Eyne bete der wir uch wellen bitten Vnd das es% sy an %orne.' Do sprach der furste wolgeborne ,Stent v f f vnd syt gewert, Ob ir beteliche gert. iMnt hören, was der bete s j ' (Herzog Ernst Β, V. 1105ff.).
Als die Fürsten aber an Otto herantragen, er möge Herzog Ernst vorlassen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich gegen die erhobenen Anschuldigungen zu verteidigen, weist dieser ihre Bitte als unangemessen zurück und zwingt sie ungeachtet familiärer oder freundschaftlicher Bindungen zum Feldzug gegen den Beschuldigten: 288 Dieser Eindruck wird durch einen Parallelbeleg im Lohengrin gestützt. Mit einer ähnlichen Formulierung stellt der Kaiser einem Boten eine Belohnung in Aussicht, falls er vom Uberleben Lohengrins in einer Schlacht berichten könne: Der heiser sprach: ,nä bis gewert/ alles des din munt betlSchen an mich gert, / ob dil mir in sagest kumenden am wunden' (Lohengrin, V. 4691 ff.). 289 Zur Bedeutung der deditio für den Herzog Ernst und die unterschiedlichen Darstellungsweisen in den verschiedenen Fassungen vgl. ausfuhrlich Corinna Dörrich: Die Poetik des Rituals, S. 110-140. 290 Wie schon im Lohengrin wird diese Einschränkung nicht kritisiert, obwohl die Fürsten und der Kaiser in einem engen Vertrauensverhältnis stehen.
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Sentenzen und Sprichwörter als Gestaltungsmittel einer intertextuellen Erzählwelt Do sprach der konig al%u hant In %orne vnsittecliche ,Ir bittent vnbedecliche. Ich han es% so sere versmren Das nymmer von myr wirt verkoren. Fride noch sune er nymmer geuynnet. Wer my ch vnd das riche rrynnet, Der solle mych dirre bede Verlan [...].' Susi musten die fursten vff hoher stan Vnd die bede genym doch forchte lan. Wye liepyen derfurste mere Da vor gewesen were, Vnd dyeym gem waren gestanden, Mit uffgerichten banden Dye musten hetfart vffyn sweren: Des getorsten sye sich da wider nytgewern, Sye musten ym alle widersagen. Syne mage musten genym getragen Waffen, das er yen is^gebot (Herzog Ernst B,V. 1158f£).
Dass die Reaktion Ottos aus der Sicht des Textes unangemessen ist, ist offensichtlich. 291 Die Fürsten verleihen ihrer Bitte nicht nur durch den offiziellen Rahmen Nachdruck, in dem sie vorgetragen wird, 292 sie verbürgen sich außerdem für die aufrichtige Gesinnung des Herzogs und seine Bereitschaft zur bedingungslosen Unterwerfung und stellen damit sicher, dass dem Kaiser durch ein Entsprechen ihrer Bitte kein Schaden entstehen kann: ,So latyn, furste here, Ane schulde so nycht verderben. Er wil vmbe hulde werben In getruwelichem mute. Mit lybe vnd myt gute Wil er sich an uwergnade lan' {Herzog Ernst B, 1146 ff.). 291 So tadelt nicht nur der Erzähler das Verhalten des Kaisers als vnsittecliche und affektgeleitet (V. 1159); im weiteren Handlungsverlauf wird der Kaiser zudem gezwungen, sein Unrecht gegen den Herzog Ernst einzugestehen und die Sanktionen gegen ihn aufzuheben. Zur kritischen Beurteilung der Zurückweisung des Vermittlungsversuchs der Fürsten vgl. Corinna Dörrich: Poetik des Rituals, S. 122f. 292 Der Kniefall entspricht einer deditio im öffentlichen Rahmen. Zur Bedeutung des Kniefalls vgl. u.a. Gerd Althoff: Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 38-41. Zur Inszenierung der Vermittlungsversuche der Fürsten im Herzog Emst Β νgl. ausführlich Corinna Dörrich: Poetik des Rituals, S. 120ff.
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Im Herzog Ernst Β wie im hohengnn wird der Druck, der durch die öffentlich vorgetragene Bitte entsteht, offensichtlich. Der Spielraum, den der Vorbehalt des betelichen gern eröffnet, ist eng umgrenzt: Als unbetelichen können nur solche Bitten zurückgewiesen werden, die einen elementaren Schaden für Leben oder Ansehen eines Herrschers mit sich bringen. Die dargestellten Vorgänge rücken damit in die Nähe der List bzw. einer Betrugshandlung.293 Vor dem Hintergrund der Sentenzverwendung in Texten mit historischer Folie ist die Darstellung der Ginover-Entführung in Hartmanns Iwein neu zu überdenken.294 Mit Blick auf die übliche Verwendung der sprichwörtlichen Formel betelichen gern ist die Kritik der Artusritter an der Einschränkung, die der König gegenüber Meliakanz formuliert, schwer nachzuvollziehen, da das Verhalten des Königs den Regeln öffentlicher und förmlicher Kommunikation vollauf entspricht. Die im Iwein dargestellte Szenerie weicht aber in einem weiteren grundlegenden Aspekt von der Folie ab, die durch die Inserierung der Formel betelichen gern als Verständnishorizont aufgerufen wird: Mit Meliakanz tritt ein Fremder als Bittsteller vor dem König auf, das Vertrauensverhältnis zwischen Bittendem und Gewährendem, welches in den Vergleichs texten eine wichtige Voraussetzung für die Zusage des Herrschers ist, besteht also in keiner Weise. Der Auftritt eines Fremden, der eine Herausforderung an den König und seinen Hof formuliert, folgt dem Aventiureschema des Artusromans und ist ein Vorgang, der in einer an (real-)politischen Vorgängen interessierten Dichtung nicht möglich wäre. Mit der Verwendung der betelichengern-Votm&\ wird ein Modell formalisiert politischer Kommunikation auf eine literarische Situation appliziert, in der es nicht funktionieren kann, weil die literarische Welt über grundsätzlich andere Voraussetzungen verfügt. Das Aventiureschema des Artusromans, das seine erzählerischen Möglichkeiten gerade aus der Begegnung mit dem Fremden und Unkalkulierbaren bezieht, ist nicht mit einem historisch orientierten Herrschaftsdiskurs in Einklang zu bringen.295 Durch diese Konfrontation des Unvereinbaren entsteht die erzählerische Spannung und nicht zuletzt die Komik 293 Zur Bedeutung der List speziell für die Vermitdungsversuche im Herzog Emst Β vgl. Corinna Dörrich, S. 123f. 294 Nachgewirkt hat die Verbindung der betelichen ^mz-Formel mit einer Entführungshandlung wohl im Göttweiger Trojanerkrieg. Anlässlich eines Gastmahls des Agamemnon, bei dem auch der Trojaner Matribulus zugegen ist, lobt der Erzähler die Gastfreundschaft der Griechen: Der Krichen rechtt was sogeton:/ Wes der man mit eren gerttj Da% er des kum ward entwerft (Göttweiger Trojanerkrieg, V. 3304ff.). Unmittelbar im Anschluss an diesen Erzählerkommentar wird berichtet, wie Matribulus Helena entfuhrt. 295 Insofern ist die Kritik der Artusritter folgerichtig, da das Verhalten des Königs nicht den Regeln einer auf aventiure ausgerichteten Welt entspricht, die Einschränkung, die Artus gegenüber Meliakanz formuliert, entsprechend unangebracht erscheint.
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der Episode. Während Texte wie der Herzog Ernst oder der Lohengrin literarische Figuren über die sprichwörtliche Formel an gängigen Vorstellungen von vorbildlicher Herrschaft messen, pointiert ihre im Kontext der Szene unangemessene Verwendung durch König Artus die grundlegende Andersartigkeit der literarischen Welt des Artusromans.296 Vor diesem Hintergrund wird im In/ein mit ironischem Seitenblick ein Paradoxon entworfen: Es werden Maßstäbe an das Verhalten des Königs angelegt, die weit über das hinausgehen, was in anderen literarischen Texten und Gattungen als vorbildliches Herrschaftsverhalten verstanden wird. Gerade diese Ansprüche, denen Artus sich unterwirft, führen den Hof aber in einen Zustand der Hilflosigkeit und des Ehrverlusts. Die Gesetze des Artushofes drohen zu seiner eigenen Auflösung zu führen, weil sie die Gesellschaft schutzlos gegen Angriffe der unhöfischen Außenwelt machen.297 Genau in diesem Zusammenhang steht die Rezeption der Episode in der Krone. König Artus besteht als einziges Hofmitglied die Becherprobe und wird damit zu Beginn der Handlung in seinen außergewöhnlichen Qualitäten bestätigt. Andererseits wird über die Bezugnahme zum Iwein schon vor der eigentlichen Tugendprobe das ambivalente Artusbild und die Komik des Prätextes als Verständnishorizont aufgerufen. Dem Geschehen in der Krone wird allerdings zunächst die Brisanz dadurch genommen, dass Artus gar nicht gezwungen wird, eine uneingeschränkte Zusage zu machen: Noch bevor der Bote des Meerkönigs eine Entscheidung fordert, kennzeichnet er sein Ansinnen ausdrücklich als statthaft und nimmt mögliche Vorbehalte des Königs in seiner Versicherung, dass niemand zu Schaden kommen wird, vorweg:298 ,E muo^ ab meinr bete schal Mir bringen state£ ende. De% ist war, der misseivnde Kan ich an bet ml enbern, 296 Sentenzen dienen gerade in Hartmanns Iwein immer wieder dazu, die Figuren - allen voran den Protagonisten — gegenüber der Norm zu exponieren. Vgl. dazu z.B. die Funktionalisierung des Sprichworts zwei sint eins her im Rahmen der Figurenzeichnung Iweins (vgl. oben Kapitel 4.1). 297 Die Hilflosigkeit des Artushofes steht dabei im Zentrum der Handlung: Während sowohl die Entführung wie das Scheitern der Artusritter bei ihren Befceiungsversuchen ausfuhrlich geschildert werden, bleibt die Befreiung Ginovers weitgehend im Dunkeln. 298 Nur in einem weiteren Text (Von den Reicbsfirsten) aus der Zeit um 1385 wird die sprichwörtliche Formel in ähnlicher Weise von einem Bittsteller verwendet, um die Schicklichkeit seines Ansinnens zu betonen: ,Drumb hat der konig mich gesant! ^u euch her in das landj konig Wentlaus, fiirstn undgrajen reich:/ sendtom ein derselben gleich,/ wenn tr habt or ^u male vel,/ min herre es ummer dienen ml,/ daß er besetzen möge als e/ sein hof, und daß om icht %uge/ bosheit und hofegalle.! Er bat euch auch nicht umb sie alle;/ bet lieber bete man beten sol,/ mein herre weiß das selber wol' (V. 47ff.).
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Da£ ich ihtes welle gern, Dem schad won oder schände bei, Da vons vmbeteleich sei' (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 1026ff.).
In Folge dieser Zusicherung gewährt Artus die Bitte ohne weitere Einschränkung. Der Mechanismus von angemessener Bitte und bereitwilligem Gewähren wird in der Krone in Abgrenzung zum hvein aufwändig in Szene gesetzt: Wenn sich der Herausforderer des Artushofes den höfischen Regeln gemäß verhält (so wie es die Artusritter im Irnin von Meliakanz erwarten), kann ein Blankoversprechen ohne negative Folgen gegeben werden: Do der bot dise red getet, Jm volget mit ir allr bet, Da?i er im die betgehiey. Des ersieh überreden lie£ Mit willechleichem muot, Wan er sich so huot, Da% in an werlt eren Dehein sit moht vercheren, Da von sein livmt valschhaft Schine von der schänden chrafl, An allen seinen Sachen. Da^ muost in wert machen. Er sprach: ,Da% ist war, herguot chneht, Jr schult geren, da% ist reht, Da% schol ich niht gebrechen. Jr mügt wol sprechen, Swa\ ir weit, fürbaß Wan ich dar an nimer laζ deheinen stunden wirde, Jch schul alle girde Vil willichleichen laisten An dem minsten vnd an dem maisten, Dar nah vnd ich sein stat han, So ich dann beste chan. Des mil ich nimmer wesen vrei. Sagt, wa% div rede sei. Mein wille ist iwer bete bei' (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 1040f£).
Die Tatsache, dass das Blankoversprechen ohne negative Folgen gewährt werden kann, bedeutet aber in der Erzähllogik des Artusromans, dass das
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Motiv sein handlungsauslösendes Potenzial verliert.299 Entsprechend ist die Auseinandersetzung mit der im Imin geschilderten Problematik auch nicht abgeschlossen. In der nachfolgenden Handlung wird eine weitere Herausforderung durch die Formel betelichengern in diesen Kontext gestellt. Als der König nach einer Jagd im Winter frierend am Ofen steht, wird er von Ginover wegen seines unwürdigen Verhaltens verspottet. Als positives Beispiel hält sie ihm einen Ritter entgegen, der selbst bei größter Kälte nur mit einem Hemd bekleidet durch die Welt zieht und von der Minne singt. Gekränkt macht sich Artus in Begleitung von Augmawin, Gales und Keie auf die Suche nach dem fremden Ritter. Als sie ihm kurz darauf im verschneiten Wald begegnen, unterliegen die Artusritter nacheinander im Kampf. Daraufhin gibt der Ritter im Hemde, Gasozein, an, der rechtmäßige Geliebte Ginovers zu sein, und fordert Artus auf, sie freizugeben. Als der König die Rechtmäßigkeit der Ansprüche in Zweifel zieht, schlägt Gasozein vor, noch am gleichen Tag einen Entscheidungskampf vor der Königin auszutragen. Dabei betont auch er seine Aufrichtigkeit und gibt vor, dass Artus kein Schaden drohe, wenn er dem Vorschlag zustimme: ,Seit ir des niht geloubet, Da% ir mich hant beroubet Meins hert^en ameyen, So wil ich an ir vrgen Meins rehtes also ml, Da% ich an ivch gern wil Einr bet, divgevuog hat, Da schad noch missetat Nimmer an mak gesein: Jch wil, da% ir die vrowen mein Noch hivt her bringet, Vnd swem hie gelinget, Da% er die chüniginne Mit ritters tat gewinne, Da mit sei gescheiden, Welt ir, vnder vns beiden Dirre misselicher streit' (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 4985ff.).
299 In der Forschung ist immer wieder die Funktionslosigkeit der Becherprobe mit Blick auf den weiteren Handlungsverlauf betont worden. Das weitere Geschehen muss entsprechend relativ umständlich motiviert werden. Vgl. u.a. Hartmut Bleumer: „Es ist offensichtlich, daß sich ein derartig handlungsarmes Erzählsegment nur schwer in die übergreifenden Motivzusammenhänge einer Romanhandlung integrieren läßt" (Die Cröne Heinrichs von dem Türlin, S. 257).
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Artus dagegen stellt die Unangemessenheit der Forderung Gasozeins deutlich heraus und verschafft sich damit den Freiraum, nicht auf sie eingehen zu müssen. Trotzdem nimmt er die Herausforderung unter der Voraussetzung an, dass der Kampf erst dann stattfindet, wenn Gasozein sich angemessen gerüstet hat, da er befürchtet, mit einem Sieg über einen ungerüsteten Ritter sein Ansehen zu verlieren. Artus, der Salden svn, Der ie daζ beste chvnde tuon, Dem ouch rehte %am, Do er diese red vernam Er sprach ge^ogenlichen: ,Batet ir betlichen, So moht ich ivch govern. Swen man so beeret gern Vnbetlicher sach, Da% in ungewert mach Da% reht an dergemnbeit, Da% ist lang hergeseit. Da von habt ir iv ver^igen. Hiet ir dise red verswigen, Da% het ich vertragen. Doch wil ich dar vmbe sagen: Seit ir meins weibes ieht Vnd ir minne solhem reht, So wil ich iv hengen. Jr müe^t aber lengen Vnder Uns dise t^eit, Dar an unser beider streit Ug meinem endetage, Da sich wol iwer chlage Vnd mein streit verende. warn missewende Von \wein guoten chnehten, Die ensamt solten vehten, Sin waren beid geleich gar' (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 5028f£).
Hier wird ein Motiv entwickelt, welches für die Handlung der Krone zunehmend an Bedeutung gewinnt: Immer wieder werden Bitten, Forderungen oder Gesuche, die an den Artushof gerichtet werden, ausdrücklich als unangemessen qualifiziert, dann aber doch als Herausforderung angenommen. Der Zusammenhang zwischen der Absicht, mit der eine Bitte formuliert wird, und der Verpflichtung, dieser zu entsprechen, wird im Zusammenhang mit der Handschuhprobe, der zweiten Tugendprobe des Textes, abermals zum handlungsbestimmenden Motiv. Unmittelbar nach-
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dem die Hofmitglieder die Probe absolviert haben (es gilt, einen Handschuh anzuziehen, der denjenigen auf der rechten Seite unsichtbar macht, der vollkommen tugendhaft ist), tritt ein elsternfarbener Ritter mit dem zweiten Handschuh in die Runde. Er gibt sich als Bote der Saelde aus und behauptet, Gawein auf seine bevorstehende Suche nach dem Gral vorbereiten zu wollen. Dazu benötige er den Ring der Saelde, den Edelstein aus dem Gürtel des Fimbeus und beide Handschuhe. Tatsächlich will er die Zaubergegenstände allerdings entwenden. Auch er erbittet eine Gnade vom König, von der er behauptet, sie füge dem Hof keinen Schaden zu, sondern erhöhe sogar dessen Ansehen:300 Er sprach also in frantyoys: 'Artus, wr, gentil roys,' — Όas spricht: ,edeler kitnig her' - , ,Hörent mich, des habent ir ere, Wann ich vil ^ü werben han, Das mir nit mer ivürt versag Miner bet denn dirre mag, Die ir wol habent gewert. Das was wol der bedt wert Wann sie üch ere bring—, Das ir doch noch ring, Deswar, grossem jrumm'
(Heinrich von dem Tiirlin: Krone, V. 2479 Iff.).
Artus gewährt die Bitte ohne Vorbehalt oder Einschränkung. Eine mögliche Bedrohung für ihn und die Hofgesellschaft nimmt er dabei bewusst in Kauf. Uneingeschränkte Freigebigkeit scheint in seinen Worten zu einem persönlichen Motto erhoben: ARlus widder den ritter sprach: ,So geschehe mir, das nye geschah, Solt ich wer bed veryijhen! Geben vnd verlijhen Wil ich alle vwer bet, Als ich min tage tett Je, herfruntmin. Es enkund niht so tüwre sin, Das ich üch wolt versagen, Wie grossen schaden ich sin tragen Yemer kund an dem gut. Jch bin in solchem miit 300 Zur engen Verbindung der Episode mit dem Auftritt des Boten in der Becherprobe vgl. Christine Zach: Die Erzählmotive, S. 122.
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Je bisζ her gewesen stete. Vil hart ich missetete, Ob ich an üch breche. Wer mich da bespreche, Der hette des ml grosses reht, So ich üch, her gut kneht, 7.Ü der versmehung erspeht (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 24937f£).
Damit geht Artus über die Forderungen der Artusritter im Iwein hinaus. Während Meliakanz zumindest dem Anschein nach ein vorbildlicher Ritter ist, also kein Verstoß gegen die höfischen Regeln zu erwarten ist, bestehen gravierende Zweifel an der Aufrichtigkeit des elsternfarbenen Boten. So stellen unmittelbar nach seiner Ankunft die Wahrsagungen eines kleinen Mädchens drohendes Unheil in Aussicht, und auch Keie rät davon ab, dem Fremden die Zaubergegenstände auszuhändigen. Während die Mitglieder der Hofgesellschaft gespalten auf diesen Ratschlag reagieren, bestätigt Artus ausdrücklich die Angemessenheit der Befürchtungen Keies, wiederholt aber ungeachtet dessen seine Zusage und bestätigt damit das zuvor formulierte Motto auch unter den veränderten Rahmenbedingungen: Artus marckte die red wol Vnd sprach jne allen: ,Nieman sal missfallen, Was Kay hab gesprochen: Vmb das würt nit ^erbrochen, Was dirre ritter hab gebetten. Wolt ich die bett vndertretten, Deswar, so mis^eted ich. Man hat sein e selten mich Beugen, da% ich iemen betrüge An siner bete vndyme lüge. Was ichyme ie verhies% Jch engelte es adergenies^e —, Des sal ichjne gar gewern: Wann töhte anders singern Vnd min warlichs geheis^ Was ich nit han vnd weis% Min Ion würt da ageleiss^ (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 25235f£).
Die über verschiedene Episoden geführte Auseinandersetzung mit der Entführungshandlung des Iwein endet hiermit in einem Programm, wel-
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ches das Herrschaftskonzept des Artusromans konsequent ausfuhrt.301 Herausforderungen, die an den König gerichtet werden, gilt es auch dann anzunehmen, wenn sie die Existenz und das Ansehen des Hofes gefährden. Die in der Parallelhandlung demonstrierte Bereitschaft Gaweins, seinerseits das eigene Leben in äventiuren aufs Spiel zu setzen, die in verräterischer Absicht an ihn herangetragen werden, zeigt, wie der Artushof sich trotz dieser Haltung gegen Aggressoren schützen kann: Es ist die Aufgabe der Artusritter, insbesondere die Aufgabe Gaweins, drohenden Schaden abzuwenden. Dies wird im weiteren Geschehen mustergültig vorgeführt. Nachdem er die Zusage erhalten hat, die Zaubergegenstände an sich zu nehmen, steckt der elsternfarbene Ritter den Ring der Saelde an, nimmt den Stein des Fimbeus in den Mund, zieht beide Handschuhe an und wird im gleichen Moment unsichtbar. Die Umstehenden sind gezwungen, mehr als eine Stunde untätig auf das Wiedererscheinen des Fremden zu warten, da Artus zugesagt hat, keinen seiner Ritter einschreiten zu lassen, bevor dieser die äventiure für beendet erklärt hat. Erst als weder eindringliche Appelle des Königs an die ritterliche Gesinnung des elsternfarbenen Ritters noch die Zusicherung reicher Belohnung diesen dazu bewegen, sich zu zeigen, beginnt eine verzweifelte Suche. Da meldet sich der Unsichtbare und erklärt, mit dem Diebstahl der Zaubergegenstände den Diebstahl des Gürtels seines Herrn Fimbeus durch Gawein vergelten zu wollen. Dem Artushof stellt er in Aussicht, Ansehen wie Freude zu verlieren, dann verschwindet er ungehindert. Nachdem die Gesellschaft drei Tage in tiefer Trauer lebt, erklärt Gawein seine Absicht, aufzubrechen, um das Verlorene zurückzuerlangen, da sein Tod für den Hof leichter zu verschmerzen sei als das freudlose Dasein. Das Angebot des Königs, ihn auf seiner Reise zu begleiten, lehnt Gawein ab: rÄRlus, künig vnd herre! Wie habent ir so verre Vergessen uiver ere, Das ir nü woltent meren Vwerm land vnd nüwen Nach so grossen rütven Trurikeit vnd leid Als ich üch bescheid—, Das ir woltent suchen die land,
301 Weit über die hier besprochenen Textstellen hinaus werden beinahe alle in der Krone erzählten äventiuren über das Motiv des angemessenen oder unangemessenen Bittens zueinander in Beziehung gesetzt. Dadurch entsteht ein Spannungsbogen, der auch Episoden, deren Funktion im Erzählzusammenhang zunächst nicht deutlich wird, in die übergreifende Diskussion einschließt.
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Als ein scheuelir errand — Das spricht: als ein recke —, Den selten iemer buses decke Mit gemach hat bedeckt, Vnd den sin müt wecket Nüwan v f frittersprijs% Vnd ist derfreise amijs, Wann er nit anders begert Vnd ist da mit ml gewert? Er hat sich gelassen daran. Wöllent ir die rede reht versteen, So werent übel bewart Vwer lant der ml maniger vart, Dar^ii mann vnd mage. Jr wöllent vns v j die wage Dorch vwern müt setzen Vnd libes erget^en Vnd leit vf den rück legen. hant solcher arbeit pflegen, Die vwern hoff prisent Vnd üch lob wijsent, Vnd die auch prijsent uwern nam, Vnd uwerm hoff tünt alsaml Der hie ist one ψί: Das ist Ywein vndFarcifal, hant^eleth vnd Erec: Die haben dises bejags weg Vil dick hart wol bekant; Segremors vnd Calocreant, Jch vnd min frunt, her Kay, Auch maniger, der hie sitzet by. Jch wene, die rede wegersy' (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 25828f£).
Hier wird das Gesellschaftsmodell des klassischen Artusromans und das Bild des passiven Herrschers ausdrücklich bestätigt. Es ist die Aufgabe der Ritter, den Hof gegen Angriffe der unhöfischen Außenwelt zu verteidigen. Die Funktion des Herrschers dagegen liegt in der Repräsentation höfischer Freude und Lebenskultur. Die Episode um den Raub der Zaubergegenstände führt die Funktionsweise des Aventiureschemas mit allen seinen Implikationen vor. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass dieser gesamte Zusammenhang in der Krone ironisch gebrochen erscheint. Wirkt Artus schon in der Gegenüberstellung mit Gasozein deplatziert und lächerlich,302 steht seine vollmundig verkündete Bereit302 Vgl. ausführlich Hartmut Bleumer: Die Crone Heirichs von dem Türlin, S. 56ff.
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schaft, möglichen Schaden, den der elsternfarbene Ritter dem Hof zufügen könnte, tragen zu wollen, in keinem Verhältnis zu seiner maßlosen und ohnmächtigen Klage nach dem Verlust der Zaubergegenstände. Auch die Tatsache, dass es Gawein ist, der den König umständlich über seine Funktion am Hof aufklären muss, trägt zur burlesken Uberzeichnung der Handlung bei.303 Damit entspricht die Auseinandersetzung mit dem [wein auch in ihrem Darstellungsmodus den Vorgaben des Prätextes; schon im Iwein erscheint die Hilflosigkeit des Artushofes und das Scheitern der Artusritter bei den Versuchen, Ginover zu befreien, ironisch gebrochen. Anders als ihr Prätext hat die Krone aber kein Interesse mehr daran, die literarische Welt des Artusromans im Kontrast zu gängigen Herrschaftskonzepten zu profilieren, wie es im Iwein in der Verwendung der betelichen-gern-Fotmel geschieht. Ausgangspunkt für die Darstellung in der Krone ist das Paradoxon, das im Iwein durch die konsequente Anwendung des Aventiureschemas entsteht. So wird das Motiv eines Artushofes, der sich durch seine eigenen Ansprüche an die Grenzen seiner eigenen Existenz treibt, in unterschiedlichen Episoden erzählerisch ausgereizt. Die Becherprobe und der Raub der Zaubergegenstände stehen sich dabei als extreme Realisationen einer Aventiurehandlung gegenüber: Zeigt die Becherprobe, dass Erzählen im Artusroman ohne wirkliche Herausforderung nicht möglich ist, löst der Verlust der Kleinodien — gerade weil er eine elementare Bedrohung für den Artushof darstellt — mustergültig Handlung aus. Das Beispiel zeigt, dass sich die Krone nicht nur auf der inhaltlichen Ebene mit dem Iwein auseinandersetzt, sondern vor allem bei der (ironischen) Reflexion des Prätextes über die Erzählprinzipien der eigenen Gattung ansetzt. Noch an einer weiteren Stelle wird die kritische Schilderung des Artushofes in Hartmanns Iwein zum Gegenstand der Krone. Ähnlich intensiv wie mit der Rollenkonzeption des Königs setzt sich der Text mit der Stellung Keies innerhalb der Hofgesellschaft auseinander.304 Auch in diesem Zusammenhang wird eine intertextuelle Bezugnahme zum Prätext durch die variierende Übernahme prominenter Mikrotexte hergestellt. Im Verlauf der Becherprobe kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen Greingadoan und Keie, der die gescheiterten Hofmitglieder unerbittlich mit Spott überzieht. Als Keies ämie sich erwartungsgemäß wie ihre Vorgängerinnen mit Wein übergießt, wird nun Keie seinerseits vom erbosten Greingadoan zurechtgewiesen. Der anschließende Erzählerkommentar
303 Diese Überzeichnung wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass die Rolle, die Gawein dem König zuweist, in deutlichem Kontrast zu den Ratschlägen steht, die er Iwein bei seinem Antritt der Herrschaft im Quellenreich gibt. 304 Vgl. umfassend Andreas Daiber: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 163ff.
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setzt das geschilderte Geschehen in Bezug zur Eingangsaventiure des Iwein: Swer das^ hör und den mist liieret, da%_ ervulet ist, Der vindet niht wan stanch. Ouch gewinnet er sein selten danch, Der durch ein swachen dv^ Die wefs und den hornvv^ Von seinem amt staret. Swer vngem höret Keches hvndes pellen, Der sol im gehellen Vnd sol niht mit der rahen Jn stundeächen wider sIahen. Da von meret sich schal. Swer in sieht, da% er bal, Von einem slag er ergillet Vnd doch immer billet, Danne er da vor täte, Vnd ist da\ an state, Wan er ist gereift. Swer den argen heilet Nah werltlieber tugent leben, Dem ist an eiter vergeben, Wan e^ nimmer mak gesein. Jr sehet ml, wa^er unde wein, Die gebent vngleichen smach. Sam tuot naht vnde tak. Div gebent vngkiches^ lieht, Als man alle tage sieht. Swes der vogel wont von neste Vnd swa^ wafers der teste Wider erst gewinnet, Des smaches im gerinnet Nimmer mer vürba Gewonheit wirt nimer la%. Sigreiffet vür nature (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 1486f£).
Das Verständnis der Textpassage ist nicht leicht. Die rasche Abfolge allgemeiner Aussagen und sich zum Teil überlagernder Bilder scheint keine verständliche Aussage hervorzubringen. Rezeptionslenkende Hinweise des Erzählers fehlen völlig. Umso wichtiger für das Verständnis des Kommentars scheint die intertextuelle Bezugnahme zu Hartmanns Iwein. Dort findet sich ein ganz ähnliches Streitgespräch: Auch im Iwein wird Keie
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wegen seiner Schmähreden zurechtgewiesen. Zunächst von Ginover, dann von Kalogrenant, bevor letztlich Iwein eine gelassene Haltung gegenüber dem Spötter propagiert. In diesem Zusammenhang stellt Kalogrenant Keie über den Vergleich mit Hummeln, Hornissen und stinkendem Mist bloß: ,der humbel der sol stechen: ouch ist reht da\ der mist stinke sivä der ist: der hornüζ der sol diesen' (Hartmann von Aue: Iwein, V. 207f£).
Die besondere Nähe der Krone zum Prätext zeigt sich in der Übernahme einer weiteren sentenzähnlichen Formulierung, mit welcher Iwein die Auseinandersetzung der Hofgesellschaft mit Keie abschließt:305 ,ichn wil mich mit dem munde niht geliehen dem hunde, der dä widergrinen kan, sä in der ander grinet an' (Hartmann von Aue: Iwein, V. 875f£).
Es ist augenscheinlich, dass Heinrich auf der im Iwein gezeichneten Szenerie aufbaut. Er übernimmt nicht nur den Handlungszusammenhang, sondern auch die Bildlichkeit der im Iwein verwendeten Sentenzen. Inhaltlich akzentuiert er allerdings neu. Wird im Iwein Keies unhöfisches Verhalten bloßgestellt, fällt in der Krone die Kritik auf den Kritiker selbst zurück: Das naturgemäß aggressive Verhalten von Wespe und Hornisse, welches im Iwein konstatiert wird, wird in der Krone umcodiert: Erst wenn man Wespe und Hornisse aufschreckt, setzt man sich der Gefahr aus, gestochen zu werden, Dreck verbreitet seinen Gestank erst durch das Zutun desjenigen, der ihn aufwühlt.306 Auch die von Iwein propagierte Gelassenheit gegen305 Vgl. Andreas Daiber: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 168, Anm. 171. 306 Es wurde bereits gezeigt, dass Heinrich in seiner Verwendung des Sprichworts vom Dreck, der stinkt, wenn man ihn aufwühlt, offensichtlich auf Augustinus zurückgreift, der es verwendet, um Nachsicht gegenüber den Taten schlechter Menschen zu propagieren (vgl. Kapitel 1.5). Ausgehend von diesen Vorgaben wurde das Sprichwort in seiner weiteren Tradition immer wieder wie in der Krone speziell auf den Umgang mit dem Spötter angewendet: Im Dialog zwischen dem weisen Salomon und seinem bäurischen Gegner Markolf bringt dieser die Aufforderung Nit enbeschilt den spotters;/ anders er wird dich hangen sere im Sprichwort auf den Punkt: So du me \udribest den quatj ie boesern roch daζ dan hat (Salomon und Markolf, V. 395f£). Vgl. auch den Kommentar zum Sprichwort in den Proberbiagermanica von Heinrich Bebel, wo der bei Augustinus vorgeprägte Gebrauch empfohlen wird: Stercus quo plus commovetur et agitatur, tanto plus foetet; hoc did solet in eos, qui aliquam infamiam ineurrerunt, quorum
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über dem knurrenden Hund wird neu gedeutet. Nicht die Souveränität desjenigen wird herausgestellt, der den knurrenden Hund ignoriert, sondern das Bellen des Hundes wird erst durch den hervorgerufen, der ihn mit Schlägen vom Bellen abhalten will.307 Nicht mehr Hund, Wespe und Hornisse sind die Aggressoren, sondern derjenige, der ihnen ihre naturgemäßen Eigenschaften entwöhnen will. Den Mitgliedern des Artushofes, die Keie (in der Krone wie im iiveiti) mit seinem Fehlverhalten konfrontieren, wird also eine Mitschuld an seiner Boshaftigkeit zugesprochen.308 Die Versuche, ihn zu bessern, werden nicht nur als überflüssig und vergeblich bezeichnet, sondern in ihrer Kontraproduktivität entlarvt.309 Die beschriebene Umcodierung erreicht die Krone aber nicht durch eine Umformulierung der im Iwein verwendeten Sentenzen. Stattdessen werden den Formulierungen des Prätextes Sentenzen und Sprichwörter entgegengesetzt, die lediglich deren Bildlichkeit wieder aufnehmen, in Inhalt und Verwendungsweise aber konträr zu denselben stehen.310 Außerdem fuhrt Heinrich die in direkter Auseinandersetzung mit dem Iwein gewonnene Argumentation im weiteren Erzählerkommentar durch die Verwendung zusätzlicher Mikrotexte fort. So pointiert er die Vergeblichkeit des Versuchs, Keie durch Tadel zu bessern, unter anderem in den Gegensatzpaaren von Wasser und Wein bzw. Tag und Nacht, die in Andedecus tanto notiusfit, quanto plus tractatur (Nr. 66). Ubersetzung des Kommentars: Das sagt man gewöhnlich zu denen, die unaufhörlich jemanden mit Schimpf in Raserei versetzen, deren schändliches Benehmen umso schlimmer wird, je mehr sie gerügt werden. 307 Vgl. die regelhafte Anleitung zum Umgang mit Hunden, deren naturgemäße Aggressivität nicht zu ändern ist: Swie man vert den hunden mite,/ si hänt doch iemer hundes site./ Eins rindes schenket name ein hunt/ fir rotes goldes tüsent pfunt./ Gieng ein hunt tages tüsent stunt/ kirchen, er war doch ein hunt./ Man sol streichen fremeden hunt,/ da% er ihtgrine jailer stunt (Freidanks Bescheidenheit, 138,lff.). 308 Vgl. anders Andreas Daiber, der hier lediglich eine Aufnahme der Negativkonnotationen des Iwein sieht: „Keie ist auch hier derjenige, der hör und mist bewusst aufwühlt, der die wefse und den hornäζ aufschreckt und der einem gereizten Hund gleicht, der eher noch mehr bellt, wenn man ihn züchtigt" (Bekannte Helden in neuen Gewändern, S. 168). 309 In Hartmanns Iwein begegnen die Hofmitglieder Keie immer wieder mit Kritik und Polemik. Neben der Eingangsaventiure zeigt dies auch die Begegnung des Artushofes mit Iwein an der Quelle. Hier wird Keie wegen seiner Attacken gegen Iwein zunächst von Gawein zurechtgewiesen: ,wie nü, min her Keii?/ nu sprechent ir doch, ir sit mi/ valscher rede: wie schinet da%?/ ir erzeiget doch ie^ugroßen ha%J disemguoten knehte./ nil tuot ir im unrehte' (2509f£). In der Folge verspottet Iwein Keie, den er zuvor im Kampf aus dem Sattel gestochen hat: ,war umbe liget ir da durch got?/ nu warn si doch ie iuwer spot/ den ane ir schulde misselanc. / vielet ir sunder iuwem danc?/ michn triege danne min wan,/ ir habet gerne getan:/ eyn mohte iu anders niht geschehen./ ir woldet niuwangerne sehen/ welch Valien ware./ e\ ist doch lasterbare' (V. 2591ff.). 310 Wo kein Sprichwort und keine Sentenz existiert, die diesen Anforderungen entspricht, formuliert Heinrich von dem Türlin eigenständig (vgl. 1489-1492). Die beschriebene Technik erinnert an eine gängige Form der Disputationsübung im Schulunterricht, bei der es gilt, die in gnomischer Rede vorgebrachten Argumente des Gegners durch überbietende oder entgegengesetzte Formulierungen abzuwehren.
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lehnung an Augustinus den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen guten und schlechten Menschen symbolisieren.311 Keie sind seine Gewohnheiten ebenso wenig auszutreiben, wie dem Vogel der Nestgeruch genommen werden kann und einem Gefäß der Geruch, den ihm sein erster Inhalt verleiht.312 Damit fordert der Erzählerkommentar aber nicht nur einen nachsichtigen Umgang der Hofmitglieder mit Keies Spottreden, sondern wertet diese entgegen der im Iwein transportierten Vorstellung, das Schlechte läge in Keies Natur, als schlechte Angewohnheit, die sein Wesen nicht weiter beeinträchtigt. Nur so sei verständlich, warum Artus den Truchsessen überhaupt an seinem Hof dulde:313 Swie Kg war ein schaure Vnd an allen dingen %uhtlos, Da mit er doch niht verlos Seins adels herschaft, Wan er was so manhaft,
311 Zum expliziten Rückgriff auf Augustinus: de ävitate dei, 1,8, vgl. Kapitel 3, S. 33ff. 312 Zur Überlieferung dieses Sprichworts vgl. TPMA IV, GEFÄSS 5.5: Das Gefäss riecht nach seinem (ersten) Inhalt. Heinrich wählt allerdings eine im Deutschen singuläre Formulierung Während das Gefäß hier üblicherweise als haven oder va^ benannt ist, entlehnt Heinrich teste aus dem Lateinischen. Damit setzt er sich nicht nur von den volkssprachigen Formulierungen für das Sprichwort ab, sondern verwendet ein Wort, dass im Deutschen offensichtlich nicht geläufig ist (vgl. Fritz-Peter Knapp: „Des weiteren ist die Stelle offenbar einer der ältesten Belege für das Lehnwort aus lat. testa" [Kommentar zur Krone, S. 52]). Bezeichnenderweise vermeidet nämlich eine zeitgenössische volkssprachige Übertragung des Sprichworts diese Lehnbildung und übersetzt testa mit schale·. Quod noua testa capit In ueterata sapit. So ivat die nuwe schale veit De smacheyr mir ane heit (Morant und Galie, V. 43). Verwendet wird das Sprichwort seit Horaz und — in dessen Nachfolge — Augustinus, um die Bedeutung dessen, was der Mensch in jungen Jahren lernt, für sein gesamtes späteres Leben zu verbildlichen: fingit equum tenera doälem cervice magister ire, viam qua monstret eques; venaticus, ex quo tempore cervinam peäem latramt in aula, militat in silvis catulus. nunc adbibe puro pectore verba, puer, nunc te melioribus o f f e r , quo semel est inbuta recens servabit odorem testa diu (Horaz: Epistulae, I,2,64ff.). Übersetzung von Wilhelm Schöne: Schulung braucht das Pferd bei jugendlichem Nacken: da ist es gelehrig, da übt der Stallmeister es ein, den Weg zu gehen nach des Reiters Weisung. Der Jagdhund hat zuvor im Hofe den ausgestopften Hirsch verbellt, erst dann tut er im Wald seinen Dienst. Jetzt, wo du jung bist, schlürfe mit reinem Herzen das Wort der Lehre, jetzt öffne dich vorbildlicher Weisheit. Dem frischen Tonkrug gibt für lange die erste Füllung ihren Duft. — Nempe apud Vergiiium, quem proptereaparuuli legunt, ut uideücetpoeta magnus omniumque praeclarissimus atque optimus teneris ebibitus animis non facile obliuione possit aboleri, secundum iilud Horatii: Quo semel est inbuta recens seruabit odorem Teste diu (Augustinus: de civitate dei, 1,3). Übersetzung von Carl Johann Perl: So heißt es zum Beispiel bei Vergil, den die Knaben zu lesen bekommen, damit der große Dichter, freilich immer noch der beste und hervorragendste unter allen, bereits von den jugendlichen Seelen aufgenommen und nicht leicht vergessen werde, so wie Horaz es einmal sagt: „Womit der Krug als neuer wird gefüllt, davon bewahrt er lange noch den Duft". 313 Zur zum Teil wörtlichen Anlehnung an Iwein, 2565ff., vgl. Andreas Daiber: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 169f.
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Da% er dehein weise schauhte, Div in ye starch dauhte, Erngetörst sei vil wol bestan, Swie im gelung dar an. Ouch mügt ir wol wi^en, Seit sich so gar gevli^en Artus het an tvgende Vnd sein rein ivgende Selch gesind het erweit, Daζ dehein chrench an valsch entweit, Sine warens alle svnder, Wie möht er dar vnder Dehein weil sein genesen, Sam maniger von im hat geseit? Dit£ ist div warheit, Da% er spotes gerne phlak Vnd sein niemen bewak. Da% was an im der maiste slak (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 1521 ff.).
Mit diesem Erzählerkommentar tritt Heinrich offensichtlich nicht nur in eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Iwein, sondern darüber hinaus in einen rhetorischen Wettstreit mit seinem Vorgänger Hartmann. Dabei überlagert er die intertextuelle Relation zum Iwein mit dem Bezug auf einen weiteren Prätext, der in mehreren Formulierungen zu Tage tritt. Der zum Teil explizite Rückgriff auf Augustinus verleiht einerseits dem schon im Prolog geäußerten Bildungsanspruch des Autors Nachdruck, demonstriert andererseits aber, wie die Anspielung auf den Iwein, insbesondere die Souveränität, mit der ein gelehrter Autor (gleichzeitig) unterschiedlichste Bildungstraditionen dem eigenen Text einverleibt. Damit geht aber die Funktion intertextueller Bezugnahmen in der Becherprobe weit über die immer wieder in der Forschung konstatierte Verortung der Krone in der Gattungstradition des Artusromans hinaus. Für den Rezipienten stellt die Uberlagerung zweier intertextueller Relationen sehr unterschiedlicher Qualität eine besondere Herausforderung dar. Auch wenn ohne genaue Kenntnis des Rezipientenkreises der Krone lediglich Spekulationen über das Verständnis einer solchen Passage möglich sind, liegt doch die Vermutung nahe, dass die Bezugnahme zum Iwein (die durch die prägnante Bildlichkeit und mit Blick auf die Gattungstradition zunächst offensichtlicher ist) einen Erwartungshorizont aufruft, den der Erzählerkommentar inhaltlich nicht einlöst. Der ungewöhnlich produktive Umgang Heinrichs mit literarischen Kleinformen zeigt sich in einer weiteren Aufnahme der Bildlichkeit des Iwein. Wie im vorangegangenen Beispiel bleibt die Problematik, die über
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die intertextuelle Bezugnahme im Text aufgerufen wird, nicht auf einen einzelnen Handlungsabschnitt begrenzt.314 Abermals wird im Rahmen eines Streitgesprächs auf die Sentenzen des Iwein angespielt. Die Schwestern Flursensephin und Quebelepus streiten über den Status Gaweins,315 der in Begleitung des Ritters Quoikos anreist, um an einem Turnier teilzunehmen, welches der Vater der Mädchen ausgerufen hat. Für den Sieger ist die Hand der älteren Tochter als Preis ausgesetzt. Aus dem Wunsch heraus, ihren Geliebten als Sieger zu sehen, beschimpft Flursensephin Gawein als Kaufmann. Als Quebeleplus Partei für Gawein ergreift, den sie als vorbildlichen Ritter erkennt, kommt es zur Auseinandersetzung. Der Kritik ihrer kleinen Schwester begegnet die ältere aggressiv: DJe rede ir swester swere wart Vnd sprach: ^Also tut der hoffwart, Oer bükt ie me, so man jme stauwt, Wann er sich des mit al frauwet, So er widder maggebijsyen. Also beginnet sich auch flijsyen, Das sie steche, die pijn, So man sieymmer trijbet hin, Sie beiige vf der vertt. Din m&t ist nje so hertt, Jch hab dich snelle sin erlogen; Vnd würt din hohmut bedrogen, Las^estu nit din klaffen sin' (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 17801f£).
Es gehört zu dem für das gesamte Gespräch charakteristischen Spiel mit vertauschten Rollen,316 wenn Sentenzen, die in der Becherprobe Nach314 Insgesamt erscheint angemessenes sprachliches Handeln als ein wichtiges Thema der Krone, welches in unterschiedlichen Episoden auch im Gebrauch von Sentenzen realisiert wird. So stellt der Erzähler z.B. das mustergültige Verhalten Gasozeins gegenüber den Angriffen Keies heraus: Der riter aber die rede galt/ Mit deheinem widerschelten. / Er lie in niht engelten/ Sölher starch vnvuogej Als dochgenuoge/ Da wider hetengetan./ Wan dest ein vnbesprochen man,! Derguot wider arch sprichet./ Swer sich also riebet,! Datier schelten wider schelten geit,/ Da^hei^t man swachen weibes streit.! Da% het der riter wol bedaht./ Zern gelt er niht sere gahtj Da% chom von sinnen fruotj Wan mit bedahtem muot/ Er vil hövelichen sprach: [...] (Heinrich von dem Türlin: Krone, V. 3785ff.). Vgl. ähnlich im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen Gasozein und Gales die Verse 4066 und 4177. 315 Die innere Handlung der Sorgarda-Episode entspricht dem Geschehen in Bearosche, wie es Wolframs Ρ'arrival erzählt. Allerdings sind die Rahmenbedingungen des Schwesternstreites andere. Zur Bearbeitung der Episode gegenüber dem Par^ival vgl. Hartmut Bleumer: Die CriSne Heinrichs von dem Türlin, S. 191ff. 316 Schon bei Chretien de Troyes und Wolfram von Eschenbach zeichnet sich Obie gegenüber ihrer älteren Schwester durch ein Maß an Vernunft aus, das im Kontrast zu ihrem kindli-
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sieht gegenüber den verbalen Attacken Keies propagieren, in die Rede Flursensephins eingehen, welche auf die Kritik ihrer Schwester zulet2t mit körperlicher Gewalt reagiert. Teil der ironischen Verkehrung ist eine neuerliche Umcodierung der Sentenzinhalte. Analog zu den entsprechenden Formulierung im Iwein wird die naturgemäße Aggressivität des Hofhundes wie der Biene pointiert (der Hofhund wartet nur auf die Gelegenheit, beißen zu können, und die Biene geht keiner anderen Beschäftigung nach, als auf der Lauer nach jemandem zu liegen, den sie stechen kann). Eigentlich als Replik auf die Vorwürfe ihrer Schwester gedacht, erscheinen die Worte vielmehr als Kennzeichnung der eigenen Rede. 317 Andererseits wird die verbale Aggressivität Flursensephins gegenüber Quebeleplus in Beziehung zu den Scheltreden Kalogrenants wie anderer Hofmitglieder in Hartmanns Iwein gesetzt. Die Beispiele zeigen, dass intertextuelle Bezugnahmen auf frühere Artusromane in der Krone nicht nur als Gattungsindex fungieren; darüber hinaus werden thematische Bezüge in den Text getragen, deren Diskussion die Handlung zum Teil episodenübergreifend prägt. Dabei gehört es offensichtlich zur Poetik der Intertextualität in der Krone, dass die intensive Auseinandersetzung mit der Romantradition nicht auf die inhaltliche Ebene beschränkt bleibt, sondern daneben immer auch Erzählweisen und -verfahren der Gattung reflektiert werden. Es geht Heinrich nicht auschen W e s e n s t e h t Z u m Rollentausch der Schwestern in der Krone vgl. G u d r u n Felder; K o m m e n t a r zur Crone, S. 491, die in diesem Z u s a m m e n h a n g insbesondere auf die D o p p e l deutigkeit des Sentenzpaares ,Kinde sollent reden also kind',/ Sprach sie, ,die nit komen sint/ Noch iren vollen jaren. / Da widder sollent gebaren/ Nach ir wijs^heit die wijsen' (V. 17780ff.) verweist, mit der Quebeleplus die Rede ihrer Schwester charakterisiert. 317 Für diesen T y p doppeldeutigen Sprechens eignen sich Sentenzen und Sprichwörter wegen ihres hohen Grades an Allgemeingültigkeit in besonderer Weise. V o r allem Keie verwendet in seinen S c h m ä h r e d e n i m m e r wieder Sentenzen und Sprichwörter, die seine eigenen Defizite benennen. A u f die Spitze getrieben wird dieses Prinzip in einer Schmährede Keies gegen Iwein. A l s dieser zunächst nicht zum verabredeten Zeitpunkt an der Quelle im Reich Askalons erscheint, wirft Keie ihm Eigenlob, Missgunst gegenüber vorbildlichen Rittern sowie Großmäuligkeit vor: er sprach ,her KAlogrenant, / wa ist iuwer neve her Iwein?/ schinet noch als do schein/ und ich weene£ immer schine:/ sin rede was nach wtnej dt> er iueh hie mit Worten räch./ ouwi wie er sluoc und stach1./ weerim ein trinken noch getragen,/ erhete %welf risen erslagen./ sinermanheit der ist ml./ deiswär ober iueh rechen wil,/ so sümet er sich./ der iueh da richet, da\ bin ich./ ich muo%_ eht aber die not bestän,/ als ich ml dicke hängetän/ da ich vürminen vriunt stuont./ ichn wei%_ war umbe st tuontj od wa^ si an in selben rechentj die also mlgesprechent/ von ir selber getät,/ so ins niemen gestät./ ist vehtenne guot/ da niemen den widerslac tuot./ nu ist er uns entwichen,/ im selben lästerlichen./ er vorhte, warer her komen,/ wander sich^het an genomen,/ er miiese die not vor bestan. / ich hetes in doch vil wol erlän./ Εζ swachet manec bcese man/ den biderben swä er iemer kan:/ ern begät deheine vrümekheit,/ und ist im gar ein her^eleit/ swem dehein ere geschiht./ nü seht, des entuon ich niht,/ wan ich einem iegelichen man/ stner Iren wolgan:/ ichpris in swä er rehte tuot,/ und verswige sin laster. daζ ist guot./ e\ ist reht da£ mir gelinge:/ wan e^n sprichet vonme dinge/ nieman minre danne ich./ iedoch so vürdert sich,/ swä sich der bisse selbe lobet;/ wand niemen viir in gerne tobet,/ der sine büsheitprise' (I Iartmann v o n Aue: Iwein, V. 2456ff.).
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schließlich darum, das zuvor Erzählte zu überbieten oder sich ironisch davon zu distanzieren. Im Spiel mit einer Vielzahl sich zum Teil überlagernder intertextueller Relationen demonstriert er einerseits die Freiheit nachklassischen Erzählens, d.h. eines Erzählens ohne konkrete Vorlagenbindung, andererseits weist er aber die Grenzen, die sich durch die Gattungszugehörigkeit ergeben, deutlich aus. Im Rahmen dieser Poetik kommt der (variierenden) Übernahme von Sentenzen und Sprichwörtern offensichtlich eine bisher unterschätze Bedeutung zu. Anders als das Wiedererzählen ganzer HandlungsSequenzen bietet die Aufnahme gnomischer Texte die Möglichkeit, auf engstem Raum gleichzeitig Inhalt wie poetische Technik vorangegangener Romane zu reflektieren. Nicht zuletzt demonstriert aber gerade der souveräne Umgang mit Sentenzen und Sprichwörtern das Wissen wie die poetische Fertigkeit eines gelehrten Autors.
Schlussbetrachtung Ausgehend von der Beobachtung, dass die höfischen Romane in Auswahl und Verwendung von Sentenzen und Sprichwörtern in aller Regel nicht auf alltägliche Gebrauchsweisen oder -zusammenhänge rekurrieren, sondern in überwiegendem Maße an gelehrte Diskurse anknüpfen, ging es der vorliegenden Arbeit vornehmlich um die Literarizität der integrierten Kleinformen, also um die Frage, welche Bedeutung den Mikrotexten im Rahmen spezifisch literarischer Darstellungs- und Vermittlungsstrategien zukommt. Dabei hat es sich als sinnvoll erwiesen, die Literarizität von Sentenzen und Sprichwörtern im höfischen Roman mit einer Analyse der poetischen Verfahren, diskursiven Praktiken und intertextuellen Relationen unter drei Gesichtspunkten zu beschreiben, die alle mit jeweils eigener Schwerpunktsetzung beim Mikrotextstatus der Kleinformen ansetzen und nach den Gesetzmäßigkeiten der Berührung und Verschränkung von Mikrotext und Makrotext fragen. Die erzielten Ergebnisse sollen an dieser Stelle in einigen Thesen zusammengefasst werden: - Mit der Integration von Sentenzen und Sprichwörtern zielen die Autoren der höfischen Romane auf eine Steigerung der Komplexität des Schrifttextes. Diese Komplexitätssteigerung äußert sich in poetischen Verfahren indirekten oder mehrdeutigen Sprechens und semantischer Verdichtung, die den Gebrauch der Mikrotexte über die Grenzen einzelner Funktions- und Verwendungszusammenhänge in Prolog, Erzähler- und Figurenrede hinweg auszeichnen. Schon in der gnomischen, auf ein begriffliches Minimum reduzierten Formulierung sind Sentenzen und Sprichwörter Träger einer komprimierten Aussage; als Mikrotexte mit eigener Textgeschichte und Verwendungstradition transportieren sie mehr Bedeutung und Wissen, als an der sprachlichen Oberfläche realisiert ist. Mit diesen Qualitäten entsprechen die Mikrotexte in besonderer Weise den ästhetischen Ansprüchen literarischer Texte. - Bei der Integration von Sentenzen und Sprichwörtern schöpfen die höfischen Romane das Innovationspotenzial, über das die Mikrotexte als Formen der Wiedergebrauchsrede verfügen, weiter aus als andere Gattungen literarischer und pragmatischer Schriftlichkeit. Durch Aus-
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Schlussbetrachtung
schluss entscheidender Aspekte der Bedeutung und Verwendung definieren die höfischen Romane die Semantik der Kleinformen neu und entwickeln damit eigene Sprech- und Darstellungsweisen, die den thematischen Herausforderungen der Gattung in besonderer Weise entsprechen. Die Widersprüche und Friktionen, die sich dabei zwischen üblicher Verwendung und neuer Kontextualisierung ergeben, werden nicht billigend in Kauf genommen, sondern gezielt eingesetzt, um das neue Genre gegenüber der literarischen Tradition zu profilieren. Die diskursiven Praktiken, die den beschriebenen Aneignungsprozess auszeichnen, demonstrieren nicht zuletzt das Selbstbewusstsein volkssprachiger Schriftlichkeit. - In der (variierenden) Übernahme von Sentenzen und Sprichwörtern aus Texten der eigenen Gattungstradition dokumentiert sich die poetische Selbstreflexivität des höfischen Romans: Die intertextuellen Relationen tragen nicht nur auf der inhaltlichen Ebene zum Aufbau einer textübergreifenden Erzählwelt bei, sondern vergegenwärtigen und diskutieren darüber hinaus die poetischen Techniken der Gattung im Umgang mit literarischen Kleinformen. Gerade im Rahmen dieser poetologischen Auseinandersetzung profilieren sich die Autoren gegenüber ihren Vorgängern und werten damit den eigenen Text und die eigene literarische Fertigkeit auf. Erst vor dem Hintergrund der Literarizität von Sentenzen und Sprichwörtern im höfischen Roman, ihrer Eingebundenheit in komplexe literarische Darstellungs- und VermitdungsStrategien lässt sich auch die Pragmatik der Mikrotexte angemessen beschreiben. Als Formen semantisch verdichteten, indirekten Sprechens werden sie zur interpretativen Herausforderung für den Rezipienten; Abweichungen von üblichen Verwendungsweisen und inadäquate Kontextualisierungen zwingen diesen, Bedeutung und Verwendung eines jeden Mikrotextes im spezifischen Kontext zu reflektieren und sich damit der suggestiven Kraft vermeintlich überzeitlicher Wahrheit zu entziehen. Damit entfalten Sentenzen und Sprichwörter ihre Bedeutung im Bereich der Rezeptionssteuerung nicht primär auf der inhaltlichen Ebene, sondern dienen dazu, dem Publikum seine Rolle im Vermitdungsprozess zu vergegenwärtigen. Zu beschreiben war die Poetik literarischer Sprichwort- und Sentenzverwendung aber nur in der konsequenten Umsetzung einer Untersuchungsmethode, die exemplarisch für die weitere Erforschung der Funktionalisierung integrierter Mikrotexte in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters sein könnte. Anzusetzen ist zunächst bei der philologischen Betrachtung der Kleinformen: Nur eine festgelegten Kriterien folgende Identifikation eines Mikrotextes in seinem literarischen Umfeld und eine
Schlussbetrachtung
169
genaue Klassifikation mit Blick auf Gattungszugehörigkeit (Sprichwort, Sentenz, sprichwörtlicher Vergleich etc.) und Textstatus (vollwertiger Mikrotext oder Anspielung) bilden eine solide Ausgangsbasis fur jede weitergehende Betrachtung, da erst auf dieser Grundlage der Bezug zur Text- und Verwendungstradition eines Mikrotextes hergestellt werden kann. In einem zweiten Schritt gilt es dann, dessen Bedeutung und Verwendung in verschiedenen literarischen Traditionen wie Diskursen der lateinischen und volkssprachigen Bildungswelt möglichst genau zu rekonstruieren und mit Blick auf unterschiedliche Verwendungszusammenhänge zu spezifizieren, um so den Wissenshorizont nachzuzeichnen, in dem die Kleinformen unabhängig von ihrem jeweiligen Kontext stehen. Erst vor diesem Hintergrund kann die Aktualisierung eines Mikrotextes im literarischen Umfeld auf ihre Differenzqualität und das sich darin äußernde poetische Interesse hin befragt werden. So zeigen sich spezifische Akzentuierungen, Fragestellungen, literarische Verfahren und poetologische Konzepte des höfischen Romans und des Erzählens in der Volkssprache, es wird aber auch deutlich, welchen Ausschnitt an Wissen und Werten die volks sprachigen Autoren ihrem Publikum bereitstellen. Unter bildungsgeschichtlicher Perspektive werfen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit weiterfuhrende Fragen auf, die sowohl die produktions- wie die rezeptionsästhetische Seite des volkssprachigen Literaturbetriebs betreffen. Die Verwendung von Sentenzen und Sprichwörtern setzt für einige Autoren sehr genaue Kenntnisse verschiedenster Bereiche lateinischer Schriftlichkeit (Patristik, Kanonistik, antike Historiographie, Moralphilosophie etc.) voraus: Dabei zeigt die Auseinandersetzung mit Verwendung und Kontextualisierung der Mikrotexte in der lateinischen Tradition, dass diese den Autoren offensichtlich nicht nur aus Exzerptsammlungen bekannt waren. In diesem Zusammenhang könnte eine gezielte Suche nach den Bezügen der in die höfischen Romane integrierten Kleinformen zur lateinischen Schriftkultur weitere Aufschlüsse über Bildung, Arbeitsweise und -situation der höfischen Autoren liefern. Noch erstaunlicher ist das Bild, das sich mit Blick auf die Rezeptionsanforderungen ergibt, die die beschriebene Verwendung von Sentenzen und Sprichwörtern im höfischen Roman impliziert. Auch wenn es aus methodischen Gründen problematisch erscheint, von der ästhetischen Qualität literarischer Texte auf die Zusammensetzung des Rezipientenkreises zu schließen, gilt es doch festzuhalten, dass sich das im Umgang der Romane mit den Kleinformen dokumentierte Interesse nicht auf die Anpassung des Schrifttextes an ein ungeübtes Publikum richtet, sondern auf einen litera-
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Schlussbetrachtung
risch geschulten Re2ipientenkreis zielt.318 Die Analyse der Verwendung von Sentenzen und Sprichwörtern im Bereich volkssprachigen Erzählens öffnet damit nicht nur den Blick auf die Poetik der Texte und den Bildungshintergrund der Autoren, sondern vor allem auch auf den engen Zusammenhang von volks sprachiger Dichtung und lateinischer Schriftkultur. Ohne die Berücksichtung dieser Wissenstraditionen sind die inhaltlich-thematischen Akzentsetzungen, poetischen Techniken und poetologischen Konzepte der sich herausbildenden volks sprachigen Literaturtradition nicht zu verstehen und beschreiben.
318 Vgl. dazu ähnliche Forschungsperspektiven, die Joachim Bumke in seiner Bilanzierung der Forschung zur höfischen Kultur entwickelt (Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme, S. 485f.).
Register der Sprichwörter und Sentenzen Noch heute geläufige Sprichwörter und Sentenzen werden in ihrer neuhochdeutschen Nennform verzeichnet. Demgegenüber werden Kleintexte, die nicht mehr bekannt sind oder deren Kenntnis an ein bestimmtes Werk gebunden bleibt (sog. Autorsentenzen), im mittelhochdeutschen Original angeführt. Berg Unter großem Lärm gebiert der Berg eine Maus
27-33
T P M A I, BERG 4.
Biene (s.a. Hornisse) Also beginnet sich auch flijs^en, Das sie steche, die pijn
163-165
Bitten Ein man sol beteliche gern den mac man deste ba^gewern. swer unbeteliehe gert, der hat sich selben gar entwert
142-158
T P M A II, BITTEN 4.5.
Dreck ouch ist reht da\ der mist stinke swa der ist
158-163
T P M A II, DRECK 2.2.
Je mehr man im Dreck rührt, um so mehr stinkt er TPMA II, DRECK 2.2.2.1.
33-36; 158-163
172
Register
Drohen in ist da^ eilen tiure, die so grimmeclich wellen sin
28
Ehre (s.a. Gewinn) wer bejagete noch ie mit släje dehein ere?
84f.
T P M A IX, RUHE 4.3.
swer sine sache wendet gar gemache, [...] dem sol ere abegän unde schande sin bereit
84f.
T P M A IX, RUHE 4.3.
Es ist besser in Ehre zu sterben, als in Schande zu leben
118-125; 131; 138f.
TPMA XI, TOD 5.3.2.1.
Fliehen (s. Kämpfen) Frau wipheit, din ordenlicher site, dem vert undfuor ie triwe mite
73-76
TPMA III, FRAU 7.8.1.
wipheit vert mit triuwen: si kann friwendes kumber Huwen
73-76
TPMA III, FRAU 3.1.6.
Funke Der kleine Funke verursacht einen großen Brand T P M A III, FEUER 1.4.2.; ebd. 2.1.
27£;31-33
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Register
Gefäß Das Gefäß riecht nach seinem ersten Inhalt T P M A I V , GEFÄSS 5.5.
34; 158-162
Gewinn (s.a. Ehre) wer gewan ie vrumen äne arbeit?
84f.
T P M A I, ARBEIT 2.3.1.
Gewohnheit Gewohnheit ist stärker als Natur
158-160
T P M A V , GEWOHNHEIT 3.3.2.
Glück gelücke ist sinewel
103226
T P M A V , GLÜCK 3.2.
Geliik ist dem wagen teil Thailen feiten gerne mit, Dar an hat stmt sit
110
T P M A V , GLÜCK 12.5.
Gnade Gnade geht vor Recht
19-26;
T P M A V , GNADE 4.1.
111-116
Gnade soll das Recht begleiten
20
T P M A V , GNADE 4.2.
Gold Gold wird im Feuer geprüft T P M A V , GOLD 4.2.
93-103; 111; 14Q276
174
Register
Güte Swer an rehte güete wendet sin gemüete dem volget salde und ere
49 f.; 71 f.
TPMAV, GUT 2.4.1.
Hochmut Hochmut kommt vor dem Fall TPMA VI,
HOCHMUT
124-138
5.1.2.; ebd. 5.5.
Hornisse (s.a. Biene) der hornä^ der sol diesen
158-165
T P M A VI, HUMMEL 1.
Ouch gewinnet er sein selten danch, Oer durch ein swachen dv% Die wefs und den hornvs Von seinem amt staret
3 3 f.; 158-165
TPMA XIII, WESPE 1.
Hummel (s.a. Hornisse) der humbel der sol stechen
158-165
T P M A VI, HUMMEL 1.
Hund Swer vngern beeret Keches hvndespellen, Oer sol im gehellen Vnd sol niht mit der rahen Jn stundelichen wider sIahen
34; 158-165
T P M A VI, HUND 39.6.
Also tut der hoffwart, Der billet ie me, so manjme stauwt
164f.
175
Register
Hunger Hunger ist der beste Koch
116248
TPMA VI, Hunger 4.9.1.2.; ebd. 4.9.1.3.
Kämpfen Siver vehten und νliehen sol, Oer bedarfguoter witζ wol
82-84
Kind kinde sollent reden also kind
164316
Krähe Die Krähe kann man nicht weiß waschen
82
T P M A VII, KRÄHE 1.1.
Krug s. Gefäß Liebe minne und ha^e jint %enge in einem
141276
TPMA VII, LIEBE 4.9.1.
Mist s. Dreck Nacht naht vnde tak. Dip gebent vngleiche^ lieht
34-36; 158-161
Wer gute Nächte sucht, verliert gute Tage
80f.
Nest s. Vogel Pferd Das willige Pferd braucht keine Sporen TPMA IX, PFERD 4.2.; ebd. 5.1.
77-79
176
Register
Rede Ein weis man gesprochen hat, Da% deu red missestat, diu an Wittgeschiht
71-73; 84
TPMA XIII, WORT 32.1.
Ouch frumet der sin lut^el iht, Den ein man ein treit. Swergedenchet vnd niht reit, Da% ist als schadebmre,
73; 84
Sam er ein tor wcere Red mit weistuom frumet
73; 84
Schlag wan siege tuont selten iemen vrd
81
Schlaf s. Ehre schlecht Swer den argen heilet Nah werltlicher tugent leben, Dem ist an eiter vergeben, Wan βΐζ nimmer mak gesein
34; 158f.
Sprechen s. Rede Verloren niemen habe seneden muot umbe ein verlorne^guot des man niht wider müge hän
85-89
Vogel Wan chan ein vogelgevliegen, Ob in die vedern leiht tnegen Einr vilgeheimen mäht?
82-84
177
Register
Vogel wird im Nest gewöhnt
34; 158-160
Wasser Ir sehet wol, washer unde wein, Die gebent vngelekhen smach
34-36 158-160
Wespe s. Hornisse zwei Zwei sind stärker als einer TPMA II,
EIN
4.7.1.
58; 104-111; 141276
ja gelinget einem ofte an ^wein
58; 107-109
Zweifel ist tqvivel herben nächgebür da^ muo^ der sele werden sür
49 f .
Register der Autoren und Werke
Johannes Agricola 89202,127f. Petrus Alfonsi - Disäplina clericalis 87198, 88200 Aristoteles 10,13, 68164 - Ars rhetorica 8,10, 62145, 64, 67, 75179
Augustinus 73, 1 6 0 « 163 - De avitate dei 34-36, 72173, 1(52311+312
- De doctHna chnstiana 72 Frau Ava 126260 Heinrich Bebel - Proverbiagermanica 32, 79185, 160306
Bene Florentini - Candelabrum 70 Beowulf 118-120 Beroaldo - Proverbialis oratio 3783 D« Bibel 19, 21, 22, 31, 3577, 9497,103 Bertolt Brecht 56f. Burggraf von Rietenburg 95f., 101 Chaucer - The Knight's Tale 2249 - 7>Är 2249 Chretien de Troyes 4593, 55127, 57134, 116 - Em etEnide 27, 4554, 49107, 58135, 99222, 121254,122255, 128262
- Perceval ΙΟΙ224, 164316 - Yiwi» 33, 54123, 77182, 80187, 86197,115247, 116248 Cicero 3783, 73 - De finibus bonorum et malorum 116248 - De inventione 12 - De oratia 68164 Conradi - Grundsätze der Teutschen-Rechte 1943
Leonard Culmann - Sententiae Puenlis 3783 Curtius Rufus - Histonae Alexandri Magni 78f. Disticha Catonis 144285 Der Eeyen Doctrinal 3273 Egbert von Lüttich - Fecunda ratis 3273, 79185 Eilhart von Oberg - THstrant 19f., 22, 24-26,112 Engelbert von Admont - Speculum virtutum moralium 69£, 89 Eucharius Eyering - Proverbiorum copia 3273,3783, 88201 Die Feldmessung 104f. Theodor Fontane 56
179
Register
Sebastian Franck 36™, 83194, 89202, 97 Freidank - Bescheidenheit 83 193 ,126f., 161307 Geoffroi de Vinsauf - Poetria nova 29f., 48103, 69167 Gesta romanomm 87198 Göttweiger Trojanerkrieg 149294 Gottfried von Straßburg - Tristan 4491,4593+94, 48, 53120, 132-134 Clara Hätzlerin - Das Uederbuch 145287 Hartmann von Aue 7, 32, 4593, 53,115-117, 140274,144285 - Der arme Heinrich 47100 -Erec 716, II 2 9 ,19, 27£, 30f., 4491, 4593, 4696, 51, 53120, 80-82, 84f., 93-100, lOlf, 118,120-131, 134,138,140 275 ,141 276 - Gregorius 20, 2659, 49 - Iwein 20, 3375, 4593+94, 4696, 49, 51, 54, 58, 71, 77-80, 86-89,104, 106-111,113-115,116 248 ,140 275 , 141-145,149-152,155,158-165 Hdvamal 104 Havich der Kellner - Sankt Stephanus lieben 2659, 112240, 114 Die Heidin 114 Heinrich von Burges - Der Seele Rat US2«1 Heinrich von Neustadt -Apollonius 106231, 112240, 115 Heinrich von dem Türlin - Crone 33f., 36, 71-73, 82-84, 102f., 109-111,140-145,150-166 Herrand von Wildonie - Die Kat^e 20,112f. Herzog Ernst Β 147-150
Hieronymus - Aversus Jovinianum 3065 Historia Frederici I. Imperium continuum 118250 Homer 681M - Ilias 28 Horaz 68164, 76181 -Ars poetica 2761, 28£, 3273 - Epistulae 162312 - Sermones 116248 Hugo von Langenstein - Martina 97-99 Hugo von Trimberg - Der Renner 3272 Isidor von Sevilla - Uber sententiarum 24, 83194 Karlmeinet A 162312 König Rother \262m Konrad von Würzburg - Trojanerkrieg 32 Eberhard Laborintus 48103 Des Vögleins Eehren 87f. Uber de miraculis sanctae Deigenitricis Mariae 126260 Lohengrin 145-147, 150 Martin Luther 29 -Deutsche Bibel 19, 3783 Mariengriiße 2659 Matthaeus von Yendome: -Ars versificatoria 9, 48103, 69 Morant und Galie 162312 Ui mule sans frein 140274 Cornelius Nepos 118250 Oswald von Wolkenstein 4593, 55126
180 Ottokar - Österreichische Reimchronik 112242 Ovid - Ars armatoria 79 -Fasti 3884 Friedrich Petri - Der teutschen Weissheit 81188 Pleier - Garel von dem Blühenden Tal 131264+265+266 - Melerani 131264, 132265+2M - Tandareis undFlordibel\?>\1M, 132266 Deutsche Predigten 99219 Proverb au vilian 3679 Proverbia Fridanci 145287 Proverbia msticomm 3679 Quintilian - Institutio oratoria 9, 62, 64-66, 67160, 68164, 75178+179 Von den Reichsfürsten 150298 RJoetorica adHerennium 9, 65, 67 Roman de Thebes 118250 Rudolf von Ems - Barlaam und Josaphat 2659 Sallust - Catilina 118250 Salomon und Markolf3678, 160306 Saxo Grammaticus - Gesta Danorum 118250 Seneca - Epistulae morales 10, 63, 65156, 72174
Register
Heinrich Seuse 99 Der Stricker - Wolf und Wip 144285 Tacitus - Agricola 118250 Terenz - Phormio 83194 Thomasin von Zerclaere - Der Welsche Gast 126 260 ,127 Tochter Sion 99220 Ulrich von Lichtenstein - Frauendienst 145287 Ulrich von Zatzikhoven - L a n g e t 38 84 ,44 91 , 4695, 50112, 51 1 ", 52117, 57134, 140274 Väterbuch 99219 Vergil 3783 Vices and Virtues 20-22 Wace - Roman de Brut 118250 Wigamur 131 2Μ , 132266 Wipo - Proverbia 2044 Wirnt von Grafenberg - Wigalois 132266, 134268, 140274 Wolfdietrich A 105f. Wolfram von Eschenbach - ΡαφαΙ4594, 4696, 49f., 52f., 7375, 77, 81,100-103, 134-137, 140274, 141276, 164316 Ysengrimus 104f.
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