Handlung, Wissen und Komik im Artusroman: Strategien des Erzählens in Wigalois und Diu Crône 9783110732252, 9783110725285

This study unites narratology and comic theory to describe evocative narrative strategies. It demonstrates how the narra

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German Pages 386 Year 2021

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Table of contents :
Dank
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie
3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie
4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois
5 Gegenprobe: Die Komik der Crône
6 Fazit: Handlung, Wissen, Komik – Strategien des Erzählens im Artusroman
Literaturverzeichnis
Namensregister
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Handlung, Wissen und Komik im Artusroman: Strategien des Erzählens in Wigalois und Diu Crône
 9783110732252, 9783110725285

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Katrin auf der Lake Handlung, Wissen und Komik im Artusroman

Narratologia

Contributions to Narrative Theory Edited by Fotis Jannidis, Matías Martínez, John Pier, Wolf Schmid (executive editor) Editorial Board Catherine Emmott, Monika Fludernik, José Ángel García Landa, Inke Gunia, Peter Hühn, Manfred Jahn, Markus Kuhn, Uri Margolin, Jan Christoph Meister, Ansgar Nünning, Marie-Laure Ryan, Jean-Marie Schaeffer, Michael Scheffel, Sabine Schlickers

Band 79

Katrin auf der Lake

Handlung, Wissen und Komik im Artusroman Strategien des Erzählens in Wigalois und Diu Crône

Zugleich Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit dem Titel: Handlung und Wissen – Strategien der Komikerzeugung im Artusroman. Studien zum Wigalois Wirnts von Grafenberg mit einem Ausblick auf Diu Crône Heinrichs von dem Türlin, D61 Gefördert durch die FONTE-Stiftung zur Förderung des geisteswissenschaftlichen Nachwuchses.

ISBN 978-3-11-072528-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-073225-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-073230-6 ISSN 1612-8427 Library of Congress Control Number: 2021943217 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Dank Die vorliegende Arbeit ist die für den Druck in Teilen gekürzte und überarbeitete Fassung meiner im Oktober 2017 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingereichten Dissertationsschrift. Literatur, die bis zum Beginn des Drucklegungsprozesses im Winter 2020 erschienen ist, wurde aufgenommen, konnte aber nicht mehr systematisch erschlossen werden. Mein besonderer und vor allem herzlicher Dank gilt meiner Doktormutter Professorin Dr. Ricarda Bauschke-Hartung, die meine Ideen zur Studie stets angeregt und von Beginn an mit konstruktiver Kritik begleitet hat. Ihr nachhaltiges Interesse an meiner Arbeit und ihre unermüdliche Bereitschaft, einzelne Aspekte mit mir zu diskutieren und neue Impulse zu geben, verdienen meinen größten Dank. Die stets herzliche Art und Weise, mit der sie meinen Gedanken eine Struktur gegeben sowie mir gleichzeitig den Freiraum gelassen hat, meinen eigenen Interessen nachzugehen und meine Ideen auszuloten, war mir eine stetige Motivation. Dass die Arbeit fertiggestellt wurde, verdanke ich ihrem mir entgegengebrachten Vertrauen und ihrem Zuspruch. Ebenso herzlich danke ich Professorin Dr. Silvia Reuvekamp, die meine Arbeit als meine Zweitgutachterin von Beginn an begleitet und in die richtige Richtung gelenkt hat. In intensiven Gesprächen hat sie mich stets angeregt, neue Sichtweisen und Ordnungsprinzipien zu entwickeln. Ihr fachlicher Rat gleichermaßen wie ihre herzliche Art haben mich stets motiviert, meine Ansätze immer wieder von Neuem kritisch zu hinterfragen und dabei das Wesentliche nicht aus dem Blick zu verlieren. Professorin Dr. Marion Aptroot danke ich herzlich für die interessanten und stets anregenden Gespräche über den Widuwilt hinaus sowie ihre Bereitschaft, fachfremdes Mitglied meiner Prüfungskommission zu sein. Den Herausgebern der Reihe danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit, Dr. Myrto Aspioti vom De Gruyter Verlag danke ich sehr für die stets herzliche wie ebenso verständnisvolle Betreuung der Veröffentlichung meiner Arbeit sowie allen anderen Mitarbeiter*innen, die am Veröffentlichungsprozess beteiligt waren. Gefördert wird der Druck der Arbeit durch den Publikationskostenfonds aus dem Professorinnenprogramm III der Gleichstellungsbeauftragten der Heinrich-HeineUniversität sowie von der FONTE-Stiftung zur Förderung des geisteswissenschaftlichen Nachwuchses. Beiden sei hier mein großer Dank ausgesprochen. Meinen Freundinnen und altgermanistischen Kolleginnen Dr. Nina Scheibel und Dr. Veronika Hassel danke ich zuallererst für die herzliche und hilfsbereite Aufnahme ins Team der Abteilung für Germanistische Mediävistik an der Heinrich-Heine-Universität. Die intensiven Lektüren und die vielen anregenden Diskussionen, aber auch das wiederholte Korrekturlesen meiner Kapitel https://doi.org/10.1515/9783110732252-202

VI

Dank

haben meine Arbeit auf allen Ebenen wesentlich vorangebracht. Meinen Freunden und neugermanistischen Kolleg*innen Maike Rettmann und Dr. Johannes Waßmer sowie meiner Freundin und Lektorin Krystyna Hock danke ich herzlichst für ihre Bereitschaft, meinen Text Korrektur zu lesen und mit mir zu diskutieren, meinem Kollegen Alexander Willich danke ich sehr für seinen linguistischen Rat. Ihnen allen, sowie meinen Freunden, meiner Familie und allen voran im Besonderen meinem Mann und – während der Drucklegung – auch meinem Sohn danke ich für ihre bereitwillige Geduld und die Zeit, die sie mir gelassen haben, dieses Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Ohne ihre unentwegte Unterstützung hätte diese Studie nicht entstehen können.

Inhaltsverzeichnis Dank

V

1 1.1 1.2

Einleitung 1 Komik und Artusroman Komik und Erzähltheorie

2 2.1 2.2 2.3

Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie Lachen und Komik 21 Lachen-Machen und Komik 37 Narratologie und Komik 54

3 3.1 3.2

Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie Historische Narratologie und Komik 68 Handlung, Wissen und Komik 78

4 4.1 4.1.1

Strategien der Komikerzeugung im Wigalois 87 Das narrative Grundmodell des Wigalois 87 ‚Unerledigte Fragen an den Wigalois‘ – eine Forschungsskizze 87 Das Erzählmodell im Wigalois: Erzählen unter verkehrten Bedingungen 101 Das Erzählprogramm im Prolog: Verkehrung als Erzählprinzip 109 El amie 118 Ohnmacht (o)der Krise 152 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame Ratlos in Sachen aventiure 218 Die Poetik des Wigalois, Komik und Gott: ein Zwischenfazit 237

4.1.2 4.1.3 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

5 5.1 5.2 5.3 5.4

1 7

Gegenprobe: Die Komik der Crône 240 Die Poetik der Crône – eine Forschungsskizze Maikönig versus Schneekönig 248 Die Entführung der entführten Königin 282 Amour fou 307

21

68

240

187

VIII

6

Inhaltsverzeichnis

Fazit: Handlung, Wissen, Komik – Strategien des Erzählens im Artusroman 329

Literaturverzeichnis Namensregister

337 373

1 Einleitung 1.1 Komik und Artusroman Komik im Artusroman untersteht einem Spannungsverhältnis von Lachen über Komik und christlicher Kultur.1 Das Verhältnis von Komik und Sakralität wurde im Rahmen literaturwissenschaftlicher Untersuchungen vielfach bestimmt und im Besonderen auch für die religiöse Literatur ausgelotet.2 Lachen über Heilige

1 Vgl. hierzu grundlegend Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 10. Aufl. Bern [u. a.] 1984, S. 419–434 (Kapitel IV ‚Scherz und Ernst in mittelalterlicher Literatur‘). Curtius stellt den Einfluss der Rhetorik auf die mittelalterliche Literatur heraus und fragt erstmals nach dem Verhältnis von Rhetorik und christlicher Lehre. Curtius differenziert verschiedene Formen von Komik: Hagiographische und Epische Komik sowie Küchenhumor. Vgl. außerdem Le Goff, Jaques: Das Lachen im Mittelalter. Mit einem Nachwort von Rolf Michael Schneider. Aus dem Französischen von Jochen Grube. 3. Aufl. Stuttgart 2008, der die Bedeutung des Lachens sowie dessen Verurteilung (mit Angabe entsprechender Bibelstellen) für die mittelalterliche Kultur und Gesellschaft untersucht. Um eine Bewertung des Lachens im Rahmen christlicher Morallehre geht es auch Schwob, Ute Monika: Über das Lachen mittelalterlicher Legendenerzähler. In: Bader, Angela / Eder, Annemarie / Erfen, Irene / Müller, Ulrich (Hrsg.): Sprachspiel und Lachkultur. Beiträge zur Literatur- und Sprachgeschichte. Rolf Bräuer zum 60. Geburtstag. Stuttgart 1994, S. 43–68. Als „unmittelbarste[s] Phänomen und Problem“ deklariert auch Wehrli, Max: Christliches Lachen, christliche Komik? In: Green, Dennis H. / Johnson, Leslie P. / Wuttke, Dieter (Hrsg.): From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass. Baden-Baden 1982 (= Saecvla Spiritalia 5), S. 17–31 [erneut erschienen in: ders.: Gegenwart und Erinnerung. Gesammelte Aufsätze hrsg. v. Wagner, Fritz und Maaz, Wolfgang. Hildesheim 1998, S. 75–89] diejenige Komik, die in „genuin christlichen Literaturformen“ (S. 20), wie der Legende, dem Predigtexempel oder im Spiel auftaucht. Für alle genannten Textsorten kann Wehrli die Möglichkeit eines christlichen Lachens nachweisen. Vgl. dazu auch ders.: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. Nachdruck [1984]: Stuttgart 1998, S. 163–181 (Kapitel VIII ‚Komik in christlicher Kunst‘). Arend, Elisabeth: Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron. Frankfurt a. M. 2004, S. 65–70 (Kap. I.3.3 ‚Elemente des christlichen Diskurses über Lachen und Komik‘) schlussfolgert: „Nach einer Theologie des Lachens sucht man jedoch ebenso vergeblich wie nach einer grundlegenden Revision oder Radikalisierung der antiken Positionen.“ (S. 65) Die für die Komik und das Lachen mittelalterlicher Literatur grundlegende Studie Suchomski, Joachim: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. München 1975, S. 5–65 verhandelt gleichermaßen die Beurteilung des Lachens und dessen Rehabilitation durch die antike Rhetorik wie auch literarische Komik im Spannungsfeld von utilitas und delectatio im christlich-theoretischen wie auch im Rahmen profaner Schwankdichtung. 2 Vgl. dazu den Sammelband Grebe, Anja / Staubach, Nikolaus (Hrsg.): Komik und Sakralität. Aspekte einer ästhetischen Paradoxie in Mittelalter und früher Neuzeit. Frankfurt a. M. [u. a.] 2005 (= Tradition – Reform – Innovation 9), der interdisziplinär angelegt ist und Beiträge zur Lach- wie zur Komikforschung versammelt. Der Beitrag Kemper, Tobias A.: Iesus Christus risus noshttps://doi.org/10.1515/9783110732252-001

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1 Einleitung

lässt sich dabei ebenso belegen, wie Komik als Anreiz von Lachen in religiösen literarischen Texten nachgewiesen werden kann. Die literarischen Zeugnisse dokumentieren selbst die Inklusion von Komik und Lachen in religiöser Literatur. Auch im Artusroman wird Komik immer wieder aufgezeigt und ihre Ursachen werden beleuchtet. MAX WEHRLI hat bereits in den 1970er Jahren anhand der Episode von Iweins Erwachen erörtert, wie sich das im Artusroman „allgegenwärtige[] Prinzip christlich-religiöser Ethik“3 gegenüber der im Roman ebenfalls vorhandenen Komik verhält. Er hält dabei „am grundsätzlichen Ernst der christlichen Motivik“ fest, gleichwohl attestiert er einen „entscheidende[n] Gran von Unernst, von Humor, von Distanzierungsvermögen, von Experiment, von Spiel“.4 WEHRLI meint, in der Komik löse sich letztlich die Spannung des „halsbrecherischen Unternehmen[s]“5 des Artusromans auf, der mit der Kombination aus christlicher Dimension und Stofflichkeit der matière de Bretagne ein erzählerisches Experiment entfalte. Humor und christliche Aspekte gingen geradewegs eine Allianz ein, um dieses Experiment zu bewältigen. Insbesondere die mit Wolframs Parzival geschaffene Verbindung von Artus- und Gralroman hat die Diskussion um den Konnex von Komik und Sakralität befördert. Allerdings geht es hierbei zunächst weniger um Komik als mehr um die menschliche Eigenschaft ‚Humor‘, die innerhalb philosophischer und psychologischer Komiktheorien als ästhetische Haltung gegenüber der Welt und Kunst verhandelt, und für Wolframs als Voraussetzung für eine im Text wirksame Komik beansprucht wird.6 Hierüber

ter. Bemerkungen zur Bewertung des Lachens im Mittelalter, S. 16–31 fasst den Stand der Forschung zur Bewertung des Lachens zusammen (S. 16 ff.) und richtet den Blick auf eine im Mittelalter durchaus positiv bewertete Form des Lachens. Schnell, Rüdiger: Geistliches Spiel und Lachen. Überlegungen zu einer Ästhetik der Komik im Mittelalter, S. 76–93 stellt die Frage nach dem Verhältnis anhand des geistlichen Spiels neu; das Lachen meint hier das von Komik verursachte Rezipientenlachen. Vgl. zum Verhältnis von Komik in religiöser Literatur insbes. Haug, Walter: Das Komische und das Heilige. Zur Komik in der religiösen Literatur des Mittelalters. In: ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters. (Kleine Schriften 1) Tübingen 1989, S. 257–274 [vorher erschienen in: Wolfram-Studien VII (1982), S. 8–31], der anhand von Beispielen des geistlichen Spiels, der Heiligenlegende und des Legendenromans, zeigt, dass jene Literatur eine Form „heilige[r] Komik“ (S. 268) hervorbringt. Insbesondere für den Legendenroman weist er eine Persiflage des Brautwerbungsmodells nach. Als „persiflierende Kontrafaktur“ „reflektier[e] und transzendier[e] die Gattung sich selbst“ (S. 273). 3 Wehrli, Max: Iweins Erwachen. In: Bindschedler, Maria / Zinsli, Paul (Hrsg.): Geschichte, Deutung, Kritik. Literaturwissenschaftliche Beiträge dargebracht zum 65. Geburtstag Werner Kohlschmidts. Bern 1969, S. 64–78, hier S. 70. 4 Wehrli, Max: Iweins Erwachen, S. 71 und 76. 5 Wehrli, Max: Iweins Erwachen, S. 76. 6 Vgl. Fromm, Hans: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. In: ders.: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters. Tübingen 1989, S. 24–42 [vorher erschienen in:

1.1 Komik und Artusroman

3

gerät schließlich auch das Spannungsverhältnis von Komik und Sakralem in den Blick, die im Parzival zeitweise eine Verbindung eingehen und die religiöse Sphäre der Gralswelt hiervon nicht ausschließen.7 Die literaturhistorische Stellung der beiden Artusromane, die Gegenstand dieser Studie sind, innerhalb einer Reihe von Romanen, die das Spannungsverhältnis von Komik und christlichen Aspekten ausloten, zeugt doch von dem Potential, das von Komik ausgeht und mit welchem beide experimentieren und welches sie austarieren. Für den Wigalois wurde das bisher nicht gesehen, obschon Komik auch in der Crône mehrfach aufgezeigt wurde. Dass im deutlich christlich gefärbten Artusroman Wigalois, der innerhalb dieser literarischen Reihe in mancherlei Hinsicht eine Mittlerstellung einnimmt, ebenfalls das stofflich provozierte Spannungsverhältnis ausgespielt und Komik als Mittel hierfür genutzt wird, wäre nur evident. Wiewohl die Forschung also gezeigt hat, dass Komik sowohl im Artusroman als auch in geistlicher Literatur als Mittel eingesetzt wird, um diese Spannung zu bewältigen, wurde ihr bisher in der Forschung zum Wigalois – „im vielleicht christlichsten aller Artusromane“8, jedenfalls aber dem Roman, der neben dem Parzival die christliche Komponente am stärksten herausstellt – kein Raum gewährt. Dieses Desiderat in der Forschung macht sich

Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 36 (1962), S. 321–339], S. 24. Vgl. zur Humorthese auch Wehrli, Max: Wolframs Humor. In: Rupp, Heinz (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. Darmstadt 1966 (= Wege der Forschung 57), S. 104–124, S. 121 [vorher erschienen in: o. A. (Hrsg.): Überlieferung und Gestaltung. Festgabe für Theodor Spoerri zum sechzigsten Geburtstag am 10. Juni 1950. Zürich 1950, S. 9–31]; Mohr, Wolfgang: Parzival und Gawan. In: Rupp, Heinz (Hrsg.): Wolfram von Eschenbach. Darmstadt 1966 (= Wege der Forschung 57), S. 287–318 [vorher erschienen in: Euphorion 52 (1958), S. 1–22]; Madsen, Rainer: Die Gestaltung des Humors in den Werken Wolframs von Eschenbach. Untersuchungen zum Parzival und Willehalm. Bochum 1970. Vgl. hierzu auch den Forschungsüberblick bei Seeber, Stefan: Poetik des Lachens. Untersuchungen zum mittelhochdeutschen Roman um 1200. Berlin [u. a.] 2010 (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 140), S. 131–141. 7 Vgl. dazu insbes. Ridder, Klaus: Narrheit und Heiligkeit. Komik im Parzival Wolframs von Eschenbach. In: Wolfram-Studien XVII (2002), S. 136–156. Ridder versteht Komik als „Medium, das das paradoxe Ineinander von Torheit und Erwähltheit literarisch vermittelt“ (S. 144) und das sich in Gänze als „Medium eines die Gegensätze überwindenden Trotzdems“ (S. 150) zeige. Komik resultiere aus den Widersprüchen, die sich aus der Kontrastierung von Menschlichem und Religiösem ergäben. Vgl. auch Tomasek, Tomas: Bemerkungen zur Komik und zum ‚Humor‘ bei Wolfram von Eschenbach. In: Grebe, Anja / Staubach, Nikolaus (Hrsg.): Komik und Sakralität, S. 94–103. Das Verhältnis von Komik und Sakralem gestalte sich als das zweier „Bestandteile einer prallen Welt epischer Totalität“ (S. 103), in dem die Komik vor dem Sakralen nicht Halt mache. 8 Lembke, Astrid: Die Toten im dritten Raum. Grabmäler als Orte der Begegnung zwischen Angehörigen verschiedener Religionen bei Wolfram von Eschenbach und Wirnt von Grafenberg. In: Seminar 53 (2017), H. 1, S. 21–42, S. 38.

4

1 Einleitung

die Studie zur Aufgabe und richtet den Blick weiter auf den literaturgeschichtlich nachfolgenden Artusroman Diu Crône. Weiterhin bleibt mit diesem Ausblick zu fragen, welche Verfahren in beiden Romanen eingesetzt werden, um Komik zu erzeugen, und inwieweit sich diese entsprechen, wenngleich sich beide Romane in ihrer Poetik deutlich voneinander unterscheiden. In literarischen Texten kann Komik etwa durch den Einsatz rhetorischer Mittel generiert werden. Je nach Zusammenhang erzielt der Einsatz rhetorischer Figuren wie bspw. Oxymora, Hyperbeln oder Ironie eine komische Wirkung, die sich innerhalb der Verwendungsweise der Figuren im Textzusammenhang beschreiben lässt. Hiermit können stilistische Nuancen sichtbar gemacht machen, die sich als komische Feinheiten im Erzählduktus begreifen lassen. Treten sie konzentriert auf, ließe sich womöglich von einem komischen Stil sprechen.9 Für eine Form der Komik im Artusroman hat jüngst MATTHIAS MEYER zwischen einer dem Artusroman inhärenten erwartbaren Komik und einem dezidiert ‚komischen Stil‘ differenziert, der sich dort partiell klanglich exponiere. Neben unterschiedliche rhetorische Figuren, die einen komischen Stil beförderten, würden u. a. in Hartmanns von Aue Iwein und Heinrichs von dem Türlin Diu Crône „Klangballungen“ treten, die als „kreisende Wortwiederholungen“ im mündlichen Vortrag hervorträten und auf diese Weise Komik evozierten.10 Was MEYER mit der anderen Form der Komik meint, die er von der stilistischen differenziert wissen will, bezieht sich weniger auf stilistische Mittel der Darstellung als vielmehr auf die Inhalte erzählter Handlung selbst. Keie sei bspw. ein solcher „Kristallisationspunkt erwartbarer Komik“11 im Artusroman. Die mit der Keiefigur verbundene Komik, die in den Artusromanen wiederkehrt und deshalb von MEYER als ‚erwartbar‘ bezeichnet wird, generiere ihre komische Wirkung aus der erzählten Handlung. Dass Keie immerzu vom Pferd fällt, wirke komisch, weil damit ein Bruch mit dem Gattungswissen um den Status eines Artusritters erzeugt werde. Das stetige Versagen der Figur in ritterlichen Auseinandersetzungen passe nicht mit seiner Position am Artushof zusammen, weshalb von der Keiefigur des Öfteren eine komische Wirkung

9 Vgl. dazu auch Reuvekamp, Silvia: Perspektiven mediävistischer Stilforschung. Eine Einleitung. In: Andersen, Elizabeth / Bauschke-Hartung, Ricarda / McLelland, Nicola / dies. (Hrsg.): Literarischer Stil. Mittelalterliche Dichtung zwischen Konvention und Innovation. XXII. AngloGerman Colloquium Düsseldorf. Berlin [u. a.] 2015, S. 1–13. 10 Meyer, Matthias: Vom Lachen der Esel. Ein experimenteller Essay auf der Suche nach dem komischen Stil im Artusroman. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 43 (2013), S. 86–103, S. 91. 11 Meyer, Matthias: Vom Lachen der Esel, S. 88.

1.1 Komik und Artusroman

5

ausgehe, die sich – hier zunächst verknappt – als Kontrast von mit dem Artushof verbundener Idealität und erzählter Handlung andeutet. Anhand dieses Beispiels ließe sich grundsätzlich nach Identifikationsmerkmalen von mittels erzählter Handlung evozierter Komik fragen. Notwendig werden folglich Überlegungen darüber, wie sich komische Elemente in Artusromanen beschreiben lassen, die sich nicht aus dem Einsatz rhetorischer Figuren speisen und sich stattdessen aus der erzählten Handlung generieren. Die vorliegende Studie möchte anhand des Wigalois und auch der Crône zeigen, dass hier vermehrt Komik durch erzählte Handlung generiert wird. Eine durch Erwartungsbrüche erzählter Handlungen erzeugte Komik erlaubt, so die These, das arthurische Erzählmodell zu unterlaufen, ohne es zu sprengen. Da die Brüchigkeit von Handlungsabläufen im Text jeweils nur angedeutet ist, der Bruch allein vor dem Hintergrund bestimmter, vom Rezipienten an den Text herangetragener Erwartungen zu erkennen ist, erhält die erzählte Handlung den Anschein ungebrochener Handlung aufrecht. Die Sprengkraft wohnt dem Text letztendlich allein als Rezeptionsleistung inne. Beschreiben lassen sich dennoch narrative Verfahren, die die komische Wirkung evozieren und die dem Rezipienten abverlangen, das die Brüchigkeit erst kenntlich machende Wissen einzubringen. Der Wigalois nutzt auf diese Weise Komik als Mittel für eine Umwertung der dem Artusroman inhärenten, stofflichen Sprengkraft. Ein Blick auf die Crône Heinrichs von dem Türlin kann anschließend zeigen, dass der Wigalois vor allem in seinen Verfahren zur Komikerzeugung eine Mittlerstellung einnimmt. Im Anschluss an die bereits vorliegenden Forschungsbeiträge zur Komik in der Crône wird gezeigt, wie das von Wirnt eingesetzte Verfahren komischer Handlungsbrüche in der Crône weitergeführt und zugleich in ihre eigene Poetik eingegliedert wird. Das lässt den Übergang zum späten Artusroman auch als einen Übergang zum vermehrten Einsatz von Komik erkennen. Oftmals hat man den späten Artusromanen insbesondere parodistische Tendenz und satirische Intention unterstellt und deren Komik von derjenigen der früheren Artusromane differenzieren wollen. WALTER HAUG beschreibt für den späten Artusroman eine vergleichbare Nähe von Übernatürlichem und Komischen, wie WEHRLI sie anhand des Iwein für Komik und ein christliches Wertesystem gezeigt hat. Im späten Artusroman, so HAUG, zeige sich das Komische primär als Groteskes, das damit zum Zeichen für die dem Erzählmodell innewohnende Dialektik von Idealität des Artushofs und Gegenwelt würde.12 Dass die Komik in der Crône sich nicht in 12 Vgl. Haug, Walter: Die komische Wende des Wunderbaren: arthurische Grotesken. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Das Wunderbare in der arthurischen Literatur. Probleme und Perspektiven. Tübingen 2003, S. 159–174 [erneut erschienen in: ders.: Positivierung von Negativität. Letzte kleine Schriften. Hrsg. v. Barton, Ulrich. Tübingen 2008, S. 210–222]. Haug diagnostiziert das

6

1 Einleitung

grotesker Ausgestaltung der Gegenwelt erschöpft und sich stattdessen als weitreichendes Spiel mit Erwartungshaltungen präsentiert, wurde in vielerlei Hinsicht bereits gezeigt. Die erneute Analyse der Komik in der Crône richtet ihren Fokus auf aus Handlungsbrüchen resultierende Komik und die Mechanismen, die bestimmte Erwartungen an Handlungsabläufe – als Voraussetzung für ihren Bruch – evozieren. Die vorliegende Studie reagiert damit auf ein höchst aktuelles Forschungsinteresse, das Komik aus interdisziplinärer Perspektive vor allem im Hinblick auf kulturtheoretische Fragestellungen hin beleuchtet. Im Vorwort zum jüngst erschienenen Handbuch zur Komik schickt der Herausgeber UWE WIRTH das Verständnis voraus, dass „Komik als Forschungsgegenstand [...] der Brückenkopf für jede Erforschung der Kultur“13 sei. Komik, so entwickelt WIRTH diese These weiter, erlaube als kulturwissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand, Aussagen über die „kulturellen Deutungsrahmen“ zu treffen, die dem untersuchten Gegenstand zugrunde liegen. Damit erklärt er Komik zum kulturwissenschaftlichen Thema par excellence. Das „Komisch-Finden von Handlungen und Äußerungen“ verweise auf die kulturell kodierten Konventionen, durch die bestimmte Handlungen und Äußerungen überhaupt erst als regelabweichende respektive scheiternde Handlungen und Äußerungen bewertbar werden. Dergestalt macht Komik auf ein Geflecht implizit als gültig vorausgesetzter Regeln aufmerksam. Mehr noch: Handlungen und Äußerungen, die komisch wirken (und deshalb Lachen auslösen), machen eben jene Regeln, die im Rahmen einer Kultur implizit als gültig vorausgesetzt werden, explizit. Mit anderen Worten: Was wir komisch finden, gibt Aufschluss über unseren kulturellen Deutungsrahmen.14

Im Anschluss hieran bleibt zu differenzieren, inwieweit diese Bewertungen an die kulturell kodierten Regeln eines – potentiell auch historisch entfernten – Betrachtersubjekts gekoppelt sind oder auf kulturellem Wissen basieren. Auch das Ziel des Erkenntnisinteresses muss für den literaturwissenschaftlichen Gegenstand klar abgesteckt und die Fragerichtung philologischer Untersuchungen reflektiert werden: Verfolgt die literaturwissenschaftliche Untersuchung die Ab-

Komische des Artusromans als Grotesk-Komisches und führt den dialektischen Charakter des Artusromans mit dem dialektischen Charakter von Komik eng. Haug hat mit dem Grotesk-Komischen das Übernatürliche im Blick und versteht die Komik als Bewältigungsmechanismus sich widersprechender Paradigmen. Komik sei Ergebnis grotesker Überzeichnung und zugleich Strategie, die überlegenheitstheoretischen Ansätzen gemäß dazu beitrage, verlachend Ambivalenzen zu bewältigen. 13 Wirth, Uwe: Vorwort zu Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. v. dems. Unter Mitarbeit von Julia Paganini. Stuttgart 2017, S. IX–X, S. IX. 14 Wirth, Uwe: Vorwort zu Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch, S. IX.

1.2 Komik und Erzähltheorie

7

sicht, einen Gegenstand philologisch zu beschreiben oder bezweckt man mit der Textanalyse, Rückschlüsse auf eine Kultur selbst zu ziehen? Die Erkenntnisrichtungen sind schließlich andere: Auf der einen Seite steht das Ziel, Aussagen über eine Kultur treffen zu wollen, auf der anderen Seite gilt es, den Gegenstand kulturell rückzubinden und Aussagen über diesen selbst zu treffen. Solche Vorüberlegungen sind im Folgenden für eine methodische Positionierung anzustellen.

1.2 Komik und Erzähltheorie Cicero akzentuiert an diversen Stellen in De oratore die Schwierigkeit, die der Versuch einer Systematisierung der vielgestaltigen Strategien zur Erzeugung von Komik mit sich bringt und die ihre Theoretisierung bereitet.15 Bezug wird dabei dezidiert auf solche Verfahren genommen, die der ideale Redner beherrschen sollte. Gleichwohl steht die von Cicero hervorgehobene Erschwernis bei der Systematisierung von Komik Pate für die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Versuche, Komik systematisch und theoretisch zu erfassen und ihr methodisch zu begegnen.16 Komik konnte derweil in keinem der Theoretisierungsversuche als universalistische Kategorie bestimmt werden, ohne historische und kulturelle As-

15 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. v. Harald Merklin. Stuttgart 2006 (= RUB 6884), Buch II, 216: „quo magis mihi etiam aut testis esse potes nullam esse artem salis aut, si qua est, eam tu potissimum nos docere.“ ([jeweils in der Übersetzung der Ausgabe:] „Umso mehr kannst du auch entweder mein Zeuge dafür sein, daß kein System des Witzes existiert, oder du kannst uns, wenn es eines gibt, am besten in ihm unterweisen.“); Buch II, 218: „qua re mihi quidem nullo modo videtur doctrina ista res posse tradi.“ („Deshalb bin ich für meinen Teil jedenfalls der Meinung, daß man in dieser Frage keine solche theoretische Anweisung geben kann“); Buch II, 219: „Sed cum illo in genere perpetuae festivitatis ars non desideretur [...] tum vero in hoc altero dicacitatis quid habet ars loci [...].“ („Wenn man jedoch bei jener Art beständig heiterer Laune kein System braucht [...], wo bleibt dann erst bei dieser anderen Art, dem Wortwitz, noch Raum für ein System?“); Buch II, 227: „Qua re tibi, Antoni, utrumque adsentior et mulum facetias in dicendo prodesse saepe et eas arte nullo modo posse tradi“ („Ich stimme dir darum in beidem zu, Antonius, sowohl darin, daß witzige Einfälle beim Reden von großem Nutzen sind, als auch darin, daß sie sich auf keine Weise systematisch lehren lassen.“); Buch II, 231: „‚Quid, si‘ inquit Iulius ‚adsentior Antonio dicenti nullam esse artem salis?‘“ („‚Wie steht es aber‘, sagt Iulius, ‚wenn ich der Behauptung des Antonius zustimme, daß es gar keine Theorie des Witzes gibt?‘“); Buch II, 247: „quarum utinam artem aliquam haberemus! Sed domina natura est.“ („Oh, hätten wir dafür doch ein System! Aber unsere Meisterin ist die Natur.“) 16 Vgl. den jüngsten Systematisierungsvorschlag von Balzter, Stefan: Wo ist der Witz? Techniken zur Komikerzeugung in Literatur und Musik. Berlin 2013 (= Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften 18).

8

1 Einleitung

pekte entschieden auszuschließen. Mithin hat man demgegenüber versucht, Komik als stets von ihren historischen Implikationen abhängiges Phänomen zu beschreiben, das sich daher zwangsläufig einer universal gültigen Objektivierung verweigere. Seit Ciceros Topos von der Nicht-Theoretisierbarkeit des Lächerlichen werden immer wieder von Neuem Versuche unterschiedlicher fachlicher Provenienz unternommen, Komik systematisch zu fassen.17 Je nach Fachrichtung und Zielsetzung haben Komiktheorien jedoch unterschiedliche Ebenen im Blick, die an ihr nicht primär literaturtheoretisch und linguistisch interessiert sind und daher nicht textuelle Strukturen zu ihrem Gegenstand machen. Obschon deren Erkenntnisinteresse ein anderes ist, bilden sie häufig die methodische Basis literaturwissenschaftlicher Untersuchungen. Um textuelle Strukturen zu beschreiben, die Komik erzeugen, eignen sich solche Ansätze gemeinhin nicht. Die Systematisierung erschwerend kommt hinzu, dass das Lächerliche und das Komische ebenso wie das Lachen und die Komik – und zuweilen auch der Witz – begriffsgeschichtlich verschwimmen:18 In der antiken Rhetorik und Poetik stehen iocus, ridiculum und risus und die Gattung comoedia nebeneinander, dem heutigen Komikbegriff kommt dabei das Lächerliche am nächsten, seinen Verfahren das Lachen-Machen und der Witz. Innerhalb der Großgattung des Dramas nimmt die Komödie eigens die Position des durchweg komischen

17 Eine Zusammenstellung der methodischen Zugänge zum Komischen bietet das aktuelle Handbuch: Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Dort werden neben den für diese Arbeit relevanten Ansätzen anthropologischer, kulturhistorischer, linguistischer und literaturwissenschaftlicher Art auch die philosophischen, psychologischen, psychoanalytischen, gesellschaftspolitischen und genderspezifischen Entwicklungen von Theoretisierungsversuchen nachgezeichnet und auf deren methodische Spezifika eingegangen. 18 Vgl. hierzu bspw. Winkler, Markus: Art. Komik, das Komische. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 4 Hu-K, Sp. 1166–1176. Dort wird „die das Komische darstellende Kunst“ (Sp. 1167) als Komik bezeichnet, das Komische mit dem Kennzeichen des Konflikts versehen; Resultat ist das Lachen. Der Artikel favorisiert damit eine nicht synonyme Verwendung der Termini. In den meisten einschlägigen Lexika sind die Artikel zu Komik – je nach fachlicher Ausrichtung – mit einem weiteren, verwandten Begriff zusammengefasst, der jedoch in den meisten Fällen nicht weniger explikationsbedürftig ist: Der Artikel in Ästhetische Grundbegriffe sucht im mit ‚komisch‘ überschriebenen Artikel nach einer Definition des Komischen (vgl. Schwind, Klaus: Art. Komisch. In: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 3 Harmonie-Material, S. 332–384). Wolfgang Preisendanz übertitelt seinen Artikel im Historischen Wörterbuch der Philosophie mit ‚das Komische, das Lachen‘. Preisendanz macht auf etymologische Schwierigkeiten aufmerksam und weist kritisch auf den unreflektierten synonymen Gebrauch von Komik und Lachen hin (vgl. Preisendanz, Wolfgang: Art. Komische (das), Lachen (das). In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Völlig neubearb. Ausg. des Wörterbuchs der philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler. Hrsg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer. 13 Bde. Bd. 4 I-K. Basel [u. a.] 1976, Sp. 889–893. Vgl. auch die entsprechenden Lexikoneinträge in Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft; Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch.

1.2 Komik und Erzähltheorie

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Kunstwerks ein. Ihre grundlegende aristotelische Betrachtung ist jedoch nur noch über Bezugspunkte ihrer Rezeption rekonstruierbar und kann nur geringfügig Anknüpfungspunkte für ein allgemeines Begriffsverständnis genuin literarischer Komik bieten. Im literaturwissenschaftlichen Kontext steht Komik als Oberbegriff für literarische Formen von Komik, welche die Funktionsweise jeweils stärker in den Fokus stellen und terminologisch hiernach aufgefächert werden. Dabei changieren die Benennungen zwischen Gattungsbezeichnungen und Schreibweisen. Das Groteske als Stil oder auch die Satire und die Parodie als Kunstform bezeichnen verschiedene Kategorien des literarisch Komischen, denen jeweils bestimmte Funktionsweisen zugewiesen werden und mit denen spezifische Gestaltungsprinzipien verknüpft sind. Was eine Satire ist und welches Funktionspotential sie erst als Satire bestimmt, ist der Bezeichnung schon inhärent.19 Ähnlich verhält es sich mit nicht spezifisch komischen, dennoch 19 Hier seien nur die gängigen Definitionen kurz umrissen; für eine umfassende Begriffsbestimmung und deren Forschungsgeschichte vgl. die entsprechenden Lexikoneinträge bspw. in Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. v. Gert Ueding. 12. Bde. Tübingen 1992–2014; Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Hrsg. v. Klaus Weimar. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. 3 Bde. Berlin [u. a.] 2007; Handbuch der literarischen Gattungen. Hrsg. v. Lamping, Dieter. Stuttgart 2009; Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. v. Uwe Wirth. Groteske, Satire und Parodie können als Prinzipien ästhetischer Gestaltung wie auch als Textsorten selbst in Erscheinung treten. Das Groteske als Schreibweise bezeichnet so die künstlerische Verfahrensweise als ihr eigene „Technik der inversierten Verfremdung“ (Haaser, Rolf / Oesterle, Günter: Art. Grotesk. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1 A-G, S. 745–748, Zitat S. 746); die Groteske bezeichnet dann einen Text, der dieses Verfahren anwendet, um einen Effekt zu erzeugen, der „zwischen Komik und Grauen oszilliert[]“ (Sorg, Reto: Art. Groteske. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1 A-G, S. 748–751, Zitat S. 748). Die Satire bzw. das Satirische bezeichnet ebenfalls sowohl eine Gattung wie auch eine Schreibweise. Als Gattung benennt Satire die antike Form der Verssatire. Der aktuelle Gebrauch meint eine Schreibweise aggressiven Charakters zum kritischen Ausdruck, der vom „scherzhaften Spott bis zur pathetischen Schärfe“ (Brummack, Jürgen: Art. Satire. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3 P-Z, S. 355–360, Zit. S. 355) reicht. In der Satire als Gattung und auch in der Satire als Stil können komisierende Mittel wie Ironie oder Parodie eingesetzt werden. Der Begriff Parodie kann gleichermaßen gattungskonstitutiv wie auch für eine Schreibweise, die anderen Gattungen, wie der Travestie, der Kontrafaktur oder dem Pastiche zuteilwerden kann, bezeichnend sein. Kennzeichnend sind zwei Merkmale, die für beide Begriffsbedeutungen gelten: „Sie ist (a) intertextuell auf eine Vorlage bezogen und (b) komisch“ (Stocker, Peter: Art. Parodie. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 6 Must-Pop, Sp. 637–649, Zitat Sp. 637), gemeinhin verbunden mit komisch-kritischer Intention. Vor allem bei der Parodie erschwert die „historische Mehrdeutigkeit“ auch die aktuelle Begriffsbestimmung: Unschärfe erhält sie deshalb, weil grundlegend der „Funktionsunterschied zwischen imitativer und kritischer Verarbeitung von Vorlagen“ nicht gemacht wird (Verweyen, Theodor / Witting, Gunther: Art. Parodie. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 3 P-Z, S. 23–27, Zitat S. 24).

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aber zur Komikerzeugung nützlichen Mitteln wie bspw. der Ironie. Ironie als Tropus kann als Gestaltungsmittel eingesetzt und somit Anteil an einer komischen Darstellungsweise haben, grundlegend ist ihre Funktion jedoch nicht primär komischen Charakters.20 Ihre Nähe zu komisierenden Verfahren gründet sich jedoch in ihrer vielfach komischen Wendung.21 Gängigen Formen literarischer Komik, insbesondere Parodie und Satire, wird vermehrt eine kritische Absicht zugeschrieben. Wo hingegen Ansätze, die Formen ‚lebensweltlicher Komik‘ beschreiben wollen, dieser keine Intentionalität zuweisen22 und infolgedessen 20 Vgl. hierzu insbesondere die Arbeit von Green, Dennis Howard: Irony in the Medieval Romance. Cambridge 1979. Green zeigt die unterschiedlichen Wirkungsweisen der Ironie auf und kann so darlegen, dass der Einsatz von Ironie im höfischen Roman keineswegs auf eine Komik evozierende Funktion beschränkt ist. Vgl. auch die Beiträge zur Ironie im Band Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Ironie, Polemik und Provokation. Berlin [u. a.] 2014 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 10). Die Untersuchungen loten Ironie als Stilmittel ebenso in seinen vielfältigen Verwendungsweisen im höfischen Roman aus. Insbesondere die Studie von Seeber, Stefan: Poetik des Lachens setzt Ironie einseitig terminologisch als Oberbegriff für das Lachen über den Text ein. Demgegenüber kritisch äußert sich Velten, Hans Rudolf: „Poetik des Lachens“? – Zur gegenwärtigen Lach- und Komikforschung in der germanistischen Mediävistik. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 133 (2014), S. 439–450, insbes. S. 445 f. Vgl. zu Ironie auch den von Hartmut Bleumer in Anlehnung an das Modell von Wolf Schmid gemachten Vorschlag für eine historische Erzähltheorie: Bleumer, Hartmut: Historische Narratologie. In: Ackermann, Christiane / Egerding, Michael (Hrsg.): Literatur- und Kulturtheorien der germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch. Berlin [u. a.] 2015, S. 213–274, insbes. S. 239–252, der die Ironie als „konzeptionelles Gegenstück zum semantischen Unmittelbarkeitspostulat der Metapher“ innerhalb einer „tropologischen Reihe“ (S. 251) von Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie verortet. Im Ebenenmodell von Geschehen, Geschichte, Erzählung und Narration kann sie als Modus der Narration je nach Stärke ihrer Ausprägung „Geschichte und Diskurs dabei in eine literarische oder fiktionale Schwebesituation“ (S. 251) versetzen. 21 Zur Ironie vgl. ebenfalls die entsprechenden Lexikoneinträge in Historisches Wörterbuch der Rhetorik; Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft; Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Schon die Tatsache, dass die Ironie in letztgenanntem zu den Grundbegriffen des Komischen gezählt wird und dort eine prominente Position einnimmt, zeugt von ihrer Stellung innerhalb der Mittel zur Komikerzeugung. 22 Jakobi, Carsten: Unfreiwillige Komik. Strukturelle Subjektivität, mediale Kontextualisierung, literarische Re-Inszenierung. In: ders. / Waldschmidt, Christine (Hrsg.): Witz und Wirklichkeit. Komik als Form ästhetischer Weltaneignung. Bielefeld 2015 (= Mainzer Historische Kulturwissenschaften 23), S. 151–184 erfasst lebensweltliche Formen von Komik als ‚unfreiwillige Komik‘; literarische bzw. künstlerische Formen ergänzten diese um Intentionalität: „Unfreiwillige Komik wirkt deshalb so komisch, weil ihr offenkundig etwas fehlt, was bei intentionaler Komik zwar vorliegt, aber verschleiert werden muss: dass nämlich der komische Effekt auf einem auf der Produktionsseite angesiedelten subjektiven Vorsatz beruht, etwas als komisch [...] kenntlich zu machen.“ (S. 155) Literarische Komik ist dann „Resultat einer bestimmten Darstellungsweise“ (S. 156).

1.2 Komik und Erzähltheorie

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auch keine kritische Wirkungsabsicht unterstellen – hierzu wäre bspw. auch der philosophische Ansatz von HENRI BERGSON zu zählen, der Komik als Resultat einer Mechanisierung des Lebendigen beschreibt23 –, gilt sie der Parodie und Satire als intentionale Voraussetzung. Im allgemeinen literaturwissenschaftlichen Sprachgebrauch fungiert Komik, wie UMBERTO ECO konstatiert, als „umbrella term [...] that gathers together a disturbing ensemble of diverse and not completely homogeneous phenomena, such as humor, comedy, grotesque, parody, satire, wit and so on.“24 Dieser ‚umbrella term‘ bildet die Grundlage zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen, die Komik in literarischen Texten analysieren, ohne dass seine Offenheit diskutiert würde. Stattdessen wird mit der undifferenzierten Bezeichnung Komik konstatiert, ihre Ursachen jedoch nicht analysiert. Dieses Problem ergibt sich sowohl aus dem Umstand, dass zumeist nicht zwischen anthropologischen, psychologischen und spezifisch literarischen Komponenten von Komik unterschieden wird, als auch aus der mangelnden Differenzierung zwischen Komik generierenden Verfahren im Allgemeinen und genuin literarischen Komikformen wie Parodie oder Satire. Die Offenheit des (literarischen) Komikbegriffs birgt eine Bedeutungsvielfalt, die dem Umstand Rechnung trägt, dass keine der bisherigen Theorien verbürgten Anspruch auf besondere Eignung zur Analyse literarischer Komik erhebt. Im Fokus der Studie steht daher die genuin literaturwissenschaftliche Absicht, narrative Strukturen, die in literarischen Texten Komik evozieren, beschreibbar zu machen. Rückgegriffen wird dabei auf solche wissenschaftlichen Versuche, Komik zu definieren und theoretisch zu erfassen, die entweder gezielt literarische Komik im Blick haben oder eine Perspektive auf das Phänomen eröffnen, die Komik an historische Kontexte rückbindet. Schon Cicero hat darauf hingewiesen, dass es ihm keineswegs um die Bestimmung dessen geht, was das risum seinem Wesen nach ist; diese Frage verweist er als eine philosophische an Demokrit.25

23 Henri Bergson hat bei seinen, einem lebensphilosophischen Ansatz entspringenden Überlegungen das Lachen als soziale Geste im Blick, das sich stets als Gruppenlachen zeige. Komik existiert laut Bergson nur innerhalb der menschlichen Sphäre und benötigt als Basis zwingend die Gefühllosigkeit. Für die Analyse der Komik in Komödien ist Bergsons Ansatz besonders reizvoll, weil das Muster von mechanisierten Handlungsweisen im Lebendigen für Formen von Situationskomik, Charakterkomik, Bewegungskomik und Wortkomik eine diese Formen übergreifende Beschreibungssprache zur Verfügung stellt. Vgl. Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Übers. von Roswitha Plancherel. Hamburg 2011 (= Philosophische Bibliothek 622), Beispiel des Stolperns S. 17 f. 24 Eco, Umberto: The Frames of Comic ‚freedom‘. In: ders. / Ivanov, Vjačeslav Vsevolodovič / Rector, Monica / Sebeok, Thomas Albert (Hrsg.): Carnival! Berlin [u. a.] 1984, S. 1–9, S. 1. 25 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 235.

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Auch setzt er seiner Abhandlung über Verfahren zur Erzeugung von Lachen das Lachen selbst als Reaktion voraus. Ein wiederholter Überblick über die eingängigsten Komiktheorien bleibt an dieser Stelle aus.26 Stattdessen gilt es, bisherige Forschungsansätze zu besprechen, die Komik aus literaturwissenschaftlicher Perspektive innerhalb von Literatur, hinsichtlich ihres historischen Kontextes, narratologischer Fragestellungen sowie zeitgenössischer bzw. antiker Voraussetzungen verhandeln und beschreibbar zu machen versuchen. Ziel ist die Entwicklung eines Beschreibungsinstrumentariums, das für die Analyse von Komik generierenden Verfahren in vormodernen Texten angewandt werden kann. Ein narratologisches Beschreibungsinstrumentarium für Verfahren literarischer Komik, das auf vormoderne Literatur angewendet werden möchte, muss innerhalb der Forschungsfelder von Historischer Narratologie und historischen Wissensordnungen ausgelotet werden und Fragen nach der Alterität ebenso anschließen wie nach transhistorischen Aspekten narrativer Kommunikation. Daher soll in diesem Rahmen ein methodisches Besteck für die Analyse von Komik im Artusroman zurechtgelegt werden, um anschließend zu eruieren, ob sich damit Textstrukturen beschreibbar machen lassen, die Komik generieren. Exemplarisch wird das am Wigalois vorgeführt und ausblickhaft an der Crône überprüft. Um das methodische Instrument zu entwickeln, müssen verschiedene Ansätze auf ihre Möglichkeiten und Grenzen hin sondiert und erörtert, und primär deren Nutzen für die Beschreibung von Erzählverfahren verhandelt werden. Weiterhin ist zu klären, inwieweit Epochenspezifika von literarischer Komik bestehen und Modifizierungen des Beschreibungsinstrumentariums erfordern. Vorzugsweise wurden bisher anthropologische Ansätze fruchtbar gemacht, um Komik in vormodernen Texten zu analysieren. Diese Perspektive muss jedoch hinsichtlich ihrer Geltung für die Beschreibung von Textstrukturen infrage stehen. Stattdessen soll neben Ansätzen, die ihr Augenmerk auf den kulturhistorischen Kontext richten und die somit epochensymptomatische Aspekte in den Blick nehmen, der

26 Vgl. hierzu bspw. Müller-Kampel, Beatrix: Komik und das Komische. Kriterien und Kategorien. In: LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie 7 (2012), S. 5–39; dies.: Das Komische und seine Theorien oder Was für eine Analyse der Komödie übrig bleibt. In: Sprachkunst 40 (2009), S. 301–325. Eine Gegenüberstellung von kontextualistischen und universalistischen Ansätzen, die letztgenannte deutlich präferiert, bei Kindt, Tom: Literatur und Komik. Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert. Berlin 2011 (= Deutsche Literatur. Studien und Quellen 1), S. 10–47 und ders.: Die zwei Kulturen der Komikforschung. In: Huber, Martin / Winko, Simone (Hrsg): Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes. Paderborn 2009 (= Poetogenesis 6), S. 253–275. Vgl. auch die Zusammenstellung verschiedener Ansätze von Bachmaier, Helmut (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik. Stuttgart 2005. Vgl. für eine methodische Einordnung Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch.

1.2 Komik und Erzähltheorie

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Schwerpunkt auf literaturtheoretischen und linguistischen Ansätzen liegen, deren Bestreben es ist, Textstrukturen zu beschreiben, die Komik erzeugen. Es gilt, anhand ihrer Diskussion und Gegenüberstellung herauszustellen, wo sich Anschlusspunkte ergeben und wie sich diese hinsichtlich kulturspezifischer Kontexte von Literatur verhalten. Lassen sich mithilfe literaturtheoretischer und linguistischer Ansätze Textstrukturen beschreiben, die Komik erzeugen, provoziert die rezeptionsseitige Wirkungsabsicht gleichzeitig unweigerlich Fragen nach historischen Bedingungen und Wissensbeständen, die am Prozess teilhaben. Das Spektrum mediävistischer Forschungsinteressen, die unter den Termini ‚Komik‘ und ‚Lachen‘ firmieren, resultiert aus ebendieser Zwischenstellung, die literarische Komik im vormodernen Text einnimmt. Komik- und Lachforschung präsentieren sich dort als eng zusammengehörige Disziplinen, die ihre Erkenntnisinteressen nicht immer methodisch differenzieren. Der Blick auf die mediävistische Forschungslandschaft erzeugt was die methodischen Ansätze und vor allem die damit verbundenen Erkenntnisinteressen betrifft, ein zunächst verunklarendes Bild. Die transdisziplinäre Lach- und Komikforschung oszilliert zwischen sprach- und literaturwissenschaftlichen und philosophischen Fragestellungen – sofern das Wesen des Komischen und des Lachens im Zentrum des Interesses stehen –, zwischen philologischen und psychologischen – sofern Anlässe des Lachens im Fokus stehen – sowie zwischen textwissenschaftlichen und soziologischen – sofern es entweder um die Bildung von Lachgemeinschaften oder um soziale Effekte des Lachens geht.27 Sie berühren hierbei immerzu Fragen nach dem historischen Kontext und Epochenspezifika. Untersuchungen zum Lachen und zur Komik in mittelalterlicher Literatur haben gerade in den vergangenen Jahren verstärkt anthropologische Ansätze genutzt und damit vorwiegend das Lachen in den Blick genommen. Die Forschung zum Lachen macht sich zuweilen Komik zum Gegenstand, insoweit Lachen das Lachen über den Text meint und damit synonym mit Komik verstanden wird. Umgekehrt firmieren in der Forschung zur Komik mittelalterlicher Literatur ebensolche Beiträge, die unter Lachen Komik verstehen und damit die begrifflichen Unschärfen befördern. Nichtsdestoweniger

27 Das Projekt einer Kulturwissenschaft der Komik beansprucht eine gänzliche Aufhebung disziplinärer Forschungsinteressen zugunsten einer durchweg transdisziplinären Komikforschung. Nur so könne „das Phänomen und seine medialen Artefakte“ rekontextualisiert und zum „Schlüssel“ der Erforschung „verschiedene[r] kulturelle[r] Codes und Symbolsysteme[]“ und „kollektiven wie individuellen Sinnkonstruktionen“ (Block, Friedrich W. / Kotthoff, Helga / Pape, Walter: Vorwort zur Reihe Kulturen des Komischen. In: Beise, Arndt / Martin, Ariane / Roth, Udo (Hrsg.): LachArten. Zur ästhetischen Repräsentation des Lachens vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bielefeld 2003 (= Kulturen des Komischen 1), S. I–III) werden.

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wird hier der Versuch unternommen, beide Forschungsausrichtungen zu trennen, um sich von kulturanthropologischen Ansätzen der Lachforschung für die Analyse von textueller Komik zu distanzieren. Ebenso wenig anschlussfähig sind Ansätze, die mit dem Lachen als philologischem Untersuchungsgegenstand ein im Text dargestelltes Lachen und seine Auslöser fokussieren. In den Artusromanen etwa begegnet dies im Zusammenhang mit der immerwährend spottenden Keiefigur, die mitunter textinternes Lachen und wohl zugleich ein rezeptionsseitiges Lachen evoziert. Lachen kann im Text inszeniert werden und damit eine innertextliche Funktion erfüllen, z. B. die Handlung vorantreiben oder als retardierendes Moment fungieren; hier ist etwa das Lachen von Cunneware im Parzival beispielhaft. Intradiegetisches Lachen kann darüber hinaus in direktem Zusammenhang mit Komik generierenden Verfahren stehen, obligat ist diese Verschränkung jedoch keineswegs. Resultiert ein auf der Handlungsebene dargestelltes Lachen von Figuren aus einer ebenfalls innerhalb der Diegese wirksamen Komik, kann das Figurenlachen mit dem Rezipientenlachen konvergieren. Lachen über den Text kann aber auch eine Reaktion auf Komik sein, die nicht intradiegetisch wirkt. Solche Textpassagen, die eine komische Handlung darbieten, auf die kein intradiegetisches Lachen hinweist, sondern die auf ein Rezipientenlachen über den Text abzielen, bedürfen umso dringender einer Beschreibungssprache für narrative Strukturen, die Komik evozieren. Das hierdurch evozierte Lachen lässt sich aufgrund der historisch absenten Rezeptionssituation nicht mehr fassen. Der literaturwissenschaftlichen Komikanalyse geht es primär um die Untersuchung der narrativen Strategien zur Erzeugung von Komik, die sich unabhängig von dem Effekt Lachen beschreiben lassen. Das Lachen über Komik kann dabei unterschiedliche Funktionen haben, etwa belustigen und damit körperliche und mentale Entspannung zum Ziel haben. Komik kann aber auch subversiven oder affirmativen Charakters sein oder ingeniöse Ziele verfolgen, indem sie z. B. auf Problemkonstellationen aufmerksam macht oder eine produktive Auseinandersetzung hiermit forciert. Hierbei muss das Lachen kein körperliches sein, sondern eine Art ‚innerliches‘, das mit dem Erkennen der komischen Struktur den Rezipienten zu einem Verbündeten macht, der im Lachen die Grenze des Dargestellten überschreiten und damit die Möglichkeiten und Konsequenzen der Komik ausloten kann. Die dargestellte Handlungswelt wird hierdurch zumeist nicht verändert, weil die Konsequenzen der Komik hypothetisch bleiben. Anders verhält sich das freilich im Fall von komischen Ereignissen innerhalb der Diegese, die ein intradiegetisches Lachen bewirken. Für einen fest umrissenen Komikbegriff stellt die aktuelle mediävistische Forschungslage kaum Anknüpfungspunkte bereit und auch die Theorie des Erzählens spart Komik weitestgehend aus. Obschon die Erzähltheorien Techniken der Wiedergabe von Ereignissen im Fokus haben und damit die systematische

1.2 Komik und Erzähltheorie

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Beschreibung von narrativen Strukturen anstreben, geben die Methoden und Modelle der Erzähltheorie kein Instrumentarium für die Analyse von komikerzeugenden Erzählverfahren an die Hand. Es sind daher zunächst zwei Fragen zu stellen: Auf welche Art und Weise lassen sich solcherlei Strukturen überhaupt beschreibbar machen? Und inwiefern generiert sich Komik über den Modus der Darstellung von Ereignissen? Das bedingt wiederum die sich hieran anschließende Frage, ob Komik Teil einer histoire- oder einer discoursNarratologie ist. Die Krux, die Komik als narratologische Kategorie birgt, deutet sich in dieser Überlegung bereits an: Narratologisch lässt sich schließlich zunächst nur eine Erzählstrategie beschreiben, die darauf abzielt, die für die Komik basalen Kontraste oder Inkongruenzen zu erzeugen. Hierfür ist die Strategie aber wiederum schon angewiesen auf den Inhalt des Erzählten, weil die Kontraste oder Inkongruenzen nicht das Resultat eines in sich nicht stimmigen Erzählverfahrens, sondern die geschaffenen Kontraste oder Inkongruenzen erst im Inhalt des Erzählten manifest sind. Das Erzählverfahren bleibt somit zur Erzeugung der Kontraste oder Inkongruenzen immer auf die erzählte Handlung angewiesen. Den Bewertungshorizont, vor dem diese Kontraste oder Inkongruenzen komisch sind, kann der Text einfordern und damit die komische Wirkung mitbedingen, aber nicht selbst leisten. Komik bleibt daher auf Inferenzprozesse angewiesen, weil das Erzählverfahren zur Erzeugung von Komik Inferenzen einfordert. Damit sind nicht solche Inferenzprozesse gemeint, die auf ein Allgemeinwissen Bezug nehmen, das gemeinsames alltägliches kulturelles Wissen betrifft und die innerhalb kognitionspsychologischer Schematheorien als topdown-Prozesse bezeichnet werden. Diese ließen sich für mittelalterliche Texte wohl kaum sichtbar machen. Inferenzen sollen hier Auffüllmechanismen umfassen, die von Textsignalen eingefordertes allgemeines Weltwissen und literarisches Wissen einbeziehen und die innerhalb kognitionspsychologischer Ansätze als bottom-up-Prozesse beschrieben sind.28 In diesem Zusammenhang gilt es dann nach Rekonstruktionsmöglichkeiten solcher Wissensbestände zu fragen. Insbesondere Wissen, das Erfahrungswissen und Weltwissen einbezieht, und in diesem Sinne Script- und Frame-Konzepten nahesteht, erfordert ein Bewusstsein für seine Historizität und die Möglichkeiten und Grenzen seiner Rekonstruktion. In den wenigsten Fällen werden Kontraste oder Inkongruenzen erzeugt, indem die hierfür notwendigen gegensätzlichen Aspekte narrativ gleichzeitig dargestellt werden. Werden sie über das Erzählverfahren geschaffen, bleibt zu sondieren, inwieweit diese auf der Ebene der erzählten Handlung anzusiedeln sind, oder

28 Vgl. dazu Martínez, Matías: Art. Erzählen. In: ders. (Hrsg.): Handbuch Erzählliteratur. Theorie, Analyse, Geschichte. Stuttgart [u. a.] 2011, S. 1–12, S. 4 f.

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ob der Kontrast oder die Inkongruenz sich erst mit Blick auf einen textexternen Bewertungshorizont ergibt. Diese für die Komik erforderliche Wertung, welche Kontraste oder Inkongruenzen erst als komische erkennt, bliebe damit an die ‚unwägbare Größe‘ der rezeptionsseitigen Inferenzen gebunden. Das Konstrukt eines Modelllesers kann das auffangen, muss hierfür aber mit Wissensbeständen angereichert werden, die den Bewertungshorizont historisch adäquat widerspiegeln. Komik lässt sich demzufolge in Gänze nur als Inferenzkategorie begreifen, die sich im Zusammenspiel von discours- und histoire-narratologischen Komponenten beschreiben lässt. Sie kann infolgedessen – so eine Hypothese – nicht ohne ihren pragmatischen Kontext erfasst werden, sondern nur mitsamt ihrer Inferenzangebote. Narrative Strategien lassen sich nachzeichnen, sie aber allein generieren Komik noch nicht. Die auf der Ebene des discours zu beschreibende Art und Weise der Darstellung von Handlungen indiziert für die histoire-Ebene eine Rückbindung der dargestellten Handlung an den pragmatischen Kontext. Erst das Zusammenwirken von textinternen Signalen und pragmatischem Kontext erzeugt letztlich Komik. Kontextorientierte und auch kognitivistische Theorien sind darauf bedacht, solche pragmatischen Kontexte einzubeziehen und Inferenzprozesse sichtbar zu machen. Die Inferenzen, die dabei von Interesse sind, beziehen sich gleichermaßen auf Gattungswissen wie auch auf allgemeines Weltwissen, das in Form von Scripts vergegenständlicht wird.29 Aktuelle Modelle, die Komik narratologisch beschreiben, orientieren sich an kontextorientierten und kognitivistischen Theorien, um solche Inferenzprozesse miteinzubeziehen.30 Das beharrlich festgestellte Problem, demzufolge sich Komik einer Objektivierung verweigere, da sie rezeptionsseitig stets an Subjektivität gebunden bliebe,31 ließe sich damit lösen, indem an ihrer Stelle stattdessen ein allgemeiner extratextueller Kontext stünde. Komik ist dann nicht von ihrer gelingenden Rezeption abhängig, sondern die für diese Rezeption notwendigen Komponenten für die rezeptionsseitige Evaluierung von Komik werden in den Blick genommen. Bewertungen erzählter Handlung liegen so nicht weiterhin im subjektiven Auge des 29 Vgl. dazu Martínez, Matías: Art. Erzählen, S. 4 f. 30 Vgl. Kindt, Tom: Literatur und Komik. Aus mediävistischer Perspektive haben Johannes Klaus Kipf und Tomas Tomasek solche Ansätze funktionalisiert, um Komik in mittelalterlichen Texten zu beschreiben. Vgl. dazu weiter unten Kap. 2.1. 31 So zuletzt auch Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen. Komik in der aventiurehaften Dietrichepik. Köln 2017 (= Kölner Germanistische Studien 12), S. 58 f. Schumann spaltet Komik in eine subjektive und eine objektive Komponente auf; der subjektiven nähert sie sich über Modelle der Rezeptionsästhetik an und eruiert subjektiv gültige Normen intertextuell. Die „subjektive Komponente“ der Erwartung und die „individuelle Empfindung der Komik“ resultierten schließlich im „durch einen komischen Effekt ausgelösten Lachen[]“, das „in seinem jeweiligen Kontext zu bestimmen“ sei (S. 42).

1.2 Komik und Erzähltheorie

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Betrachters respektive des Rezipienten, sie werden an einen objektiven Kontext rückgebunden. Die Relation von Text und Kontext ist damit vor allem hinsichtlich ihrer Chancen für eine Historische Narratologie zu diskutieren. Für Modelle einer historischen histoire-Narratologie wurden dafür vorrangig soziologische Modelle bemüht, um die Relation von Text und Kontext herauszustellen. Aktuelle Vorschläge, wie bspw. derjenige von JAN-DIRK MÜLLER, der in Anlehnung an CORNELIUS CASTORIADIS das gesellschaftlich Imaginäre der Adelskultur des 12. Jahrhunderts einholen möchte, oder die Arbeiten von GERT HÜBNER, die mit Rekurs auf PIERRE BOURDIEUS Habituskonzept das Anliegen verfolgen, historisches Handlungswissen zu extrahieren, sind Versuche, Text-Kontext-Relationen historisch adäquat zu erfassen und für eine Analyse von Erzählungen fruchtbar zu machen. Vor diesem Horizont erschließt sich, dass die Komik als narratologische Kategorie keinen Platz innerhalb klassischer Modelle der Erzähltheorie einnehmen kann, da die für die Komik wesentliche Komponente der rezeptionsseitigen Bedeutungskonstitution dort gemeinhin explizit ausgeschlossen wird. Die schon in den rezeptionsästhetischen Ansätzen der Konstanzer Schule v. a. von HANS ROBERT JAUß und WOLFGANG ISER geforderte und modellierte Einbeziehung außertextueller Komponenten für die hermeneutische Interpretation literarischer Texte, lebt mit den empirischen und kognitivistischen Ansätzen in gewisser Weise neu auf. Hat JAUß damit vorrangig die Einbeziehung des historischen Erwartungshorizonts des Lesers in die hermeneutische Textanalyse im Blick, schließt ISER diese andererseits explizit aus und begreift den Leser als Teil eines Kommunikationsprozesses in die Bedeutungskonstitution mit ein.32 An die Kritik dieser Ansätze gegenüber objektivierbaren Beschreibungen von genuin textstrukturellen Analysekategorien schließen empirische und kognitivistische Modelle an. Gegenüber strukturalistischen Methoden der Erzähltextanalyse konzentrieren sich diese geradewegs auf subjektive Bedeutungszuschreibungen an den Text. Sie haben den literaturwissenschaftlichen Script-Begriff wesentlich geprägt als „im Gedächtnis gespeicherte Repräsentation von kulturell präformierten, gewohnten Ereignisfolgen, die durch häufige Aktivierung fest im Gedächtnis verankert sind“ und damit zur „Bestimmung von literarisch signifikanten Erwartungsbrüchen [...], die als Abweichungen von kulturell und historisch variablen Schemata bzw. scripts verstanden werden“

32 Vgl. dazu Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Warning, Rainer (Hrsg.): Rezeptionsästhetik. München 1975, S. 126–162; Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. 4. Aufl. München 1994.

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1 Einleitung

beigetragen.33 Die Kognitive Narratologie möchte den anvisierten Abstraktionsgrad erzähltheoretischer Modelle wieder näher mit Interpretationsleistungen zusammenführen und geht insoweit über die Rezeptionsästhetik hinaus, als sie die Frage nach Wirkungspotentialen prinzipiell offener stellt. Indem die Inferenzprozesse zum Gegenstand werden und die Frage darauf abzielt, welche Informationen im Text wie vergeben werden, um auf Weltwissen Bezug zu nehmen und dieses aktiv in die Bedeutungskonstitution miteinzubeziehen, verzahnt sie narratologische mit interpretatorischen Fragestellungen. Diese Verzahnung ist ebenso relevant für die systematische Beschreibung von textuellen Strukturen, die Komik generieren, die aber letztlich abhängig bleiben von der Mitwirkung des Lesers. Der Umstand, dass Komik zwischen der produktionsseitigen Objektivierung und einer scheinbaren rezeptionsseitigen ‚Subjektivität‘ changiert, wirkt sich nach wie vor erschwerend auf die Komikforschung selbst sowie auf Theoretisierungsversuche aus. Prinzipiell aber lassen sich gerade jene weichenstellenden Verfahren auf der discoursEbene sehr wohl objektiv fassen, wohingegen über deren Gelingen als subjektive Möglichkeit sich schwerlich eindeutige Aussagen treffen lassen. Statt Komik als subjektive Empfindungsleistung zu bewerten und zu verstehen, soll auf das Konzept des Modelllesers zurückgegriffen werden; diesbezüglich gilt es zu diskutieren, inwieweit das Konstrukt als Komponente narrativer Kommunikationsstrukturen, die an der Komik mitwirken, zielführend ist. Zu den übergreifend gültigen Konstanten narrativer Verfahren treten historisch variable Größen hinzu, die sich als Wissen konfigurieren. Für die Beurteilung der erzählten Handlung als komisch braucht es einen Bewertungshorizont, der vom Text selbst eingefordert wird und zu bewerten erlaubt, ob eine dargestellte Handlung komisch ist oder nicht. Diese Bewertung meint nicht eine die Komik bedingende Subjektivität oder die tatsächliche Adressatenreaktion; beides muss ausgeklammert bleiben. Stattdessen können mithilfe eines Konstrukts vom Modellleser Strukturen beschreibbar gemacht werden, die Inferenzprozesse bedingen. So lassen sich fundierte Aussagen über die nur schwer objektivierbare rezeptionsseitige Komponente von Komik treffen. Nachweise darüber, ob die intendierte komische Wirkung beim Rezipienten gelingt, können nicht erbracht werden. Für die historisch-narratologische Analyse ist die entscheidende Frage zu stellen, inwieweit sich für die Aussagen über Inferenzprozesse Weltwissen bspw. in Form von Scripts rekonstruieren lässt, die selbstredend historische Wissensbestände erfassen und damit zu ‚historischen Scripts‘ werden. Solche

33 Aumüller, Matthias: Art. Empirische und kognitivistische Theorien. In: Martínez, Matías (Hrsg.): Handbuch Erzählliteratur, S. 125–129, hier S. 126. Vgl. auch Kindt, Tom: Art. Komik. In: Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch, S. 2–6, insbes. S. 4 f.

1.2 Komik und Erzähltheorie

19

Konstrukte könnten überhaupt erst Anhaltspunkte für einen Bewertungshorizont geben, der zumindest annähernd fundierte Diagnosen darüber zulässt, ob eine dargestellte Handlung komisch ist. Dafür ist zunächst zu eruieren, welche Inferenzleistungen vom Text auf welche Art und Weise eingefordert werden, um hieran anschließend den Versuch zu unternehmen, einen Wissensbestand zu rekonstruieren, der eine Evaluierung der erzählten Handlung zulässt. Lassen sich Stellen nachweisen, die das Inferieren von Text und Weltwissen einfordern, soll der Versuch unternommen werden, dieses in Form von historischen Scripts zu rekonstruieren. Komik lässt sich nicht allein als discours-narratologisches Verfahren beschreiben und erfassen, ihre Beschreibung ist angewiesen auf die histoire-narratologische Ebene der erzählten Handlung, die wiederum über Inferenzprozesse an pragmatische Kontexte angeschlossen bleibt. Diesen pragmatischen Kontext gilt es als Gattungs- und kulturhistorisch geprägtes Weltwissen zu verstehen und in die Wirkungsmechanismen zu inkludieren. Literarische Komik wird als intendiert eingesetztes narratives Verfahren verstanden, das sich unabhängig von seinem tatsächlichen Gelingen nachweisen und beschreiben lässt. Für die objektive Beschreibung narrativer Strategien zur Komikerzeugung müssen einerseits die Möglichkeiten der Objektivierung grundsätzlich ausgelotet und andererseits die Frage nach der Historisierung des Beschreibungsinstruments gestellt werden. Eine auf Kontinuitäten ausgerichtete Blickrichtung hinsichtlich der Erzählstrategien soll im Rahmen einer Historischen Narratologie für die discours-narratologischen Beschreibungskategorien eine transhistorische Perspektive von antiker Rhetorik und moderner Erzähltheorie ermöglichen und obligatorische Parameter literarischer Komik evident machen.34 Es bleibt an den exemplarisch ausgewählten Texten selbst zu prüfen, inwieweit hier Verfahren eingesetzt werden, die an die antike Rhetoriklehre anschließen und die auch noch innerhalb moderner narrativer Verfahren zur Komikerzeugung Geltung beanspruchen. Endgültige Urteile darüber, ob bestimmte Erzählverfahren dezidiert zur Erzeugung von Komik eingesetzt werden, können nur belegt werden, indem in anschließenden Analysen geprüft wird, ob sich hierfür historische Konstanten nachweisen lassen. Die Untersuchung versteht sich daher als Entwurf am Exempel. Sie geht infolgedessen für die produktionsseitige Objektivierung vorläufig von ahistorischen Konstanten aus, für die rezeptionsseitige Evaluation von Komik werden historische Variablen erwartet. Die Frage nach den adäquaten Beschreibungs parametern aber bleibt weiterhin unbeantwortet. Rhetorischpoetologische, komiktheoretische oder seltener linguistische Ansätze lassen sich hierfür jedoch durchaus funktionalisieren. Gerade Komiktheorien, die

34 Anders Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen, S. 47.

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1 Einleitung

auf Mechanismen von Kontrast- oder Inkongruenzmodellen basieren, geben mit Erwartungsbrüchen, Normverletzungen oder Transgressionen Verfahrensweisen an die Hand, die es erlauben, literarische Verfahren, die Komik erzeugen, zu beschreiben. Die Arbeit stellt sich im Folgenden die beiden basalen Leitfragen: Wie kann ein für mittelalterliche Texte – bzw. zunächst für den Artusroman gültiges – adäquates Beschreibungsinstrumentarium aussehen, um narrative Strukturen zu beschreiben, die Komik generieren? Darüber hinaus ist zu fragen: Wie kann eine Rückbindung an einen historisch absenten pragmatischen Kontext gelingen und wie lässt sich das historischen Scripts inhärente Wissen rekonstruieren? Um auf diese Fragen Antworten zu geben, wird zunächst das methodische Feld in drei Schritten ausgelotet und das Lachen, das Lachen-Machen sowie die Narratologie in ihrem Zusammenhang mit Komik verhandelt (Kapitel 2). Hierbei werden diejenigen Theorien und methodischen Ansätze vorgestellt und auf ihre Erkenntnisinteressen und -möglichkeiten hin befragt, die für die Analyse von handlungsgebundener Komik in mittelalterlicher Literatur Anschlussmöglichkeiten bieten. Der Prämisse von Kontinuitäten von Erzählverfahren folgend werden antik-rhetorische Verfahren und moderne narratologische Beschreibungsmodelle dargestellt und auf Gemeinsamkeiten hin eruiert sowie kontextorientierte Ansätze auf deren Potential für mittelalterliche Texte hin befragt. Auf der kritischen Auseinandersetzung mit den methodischen Möglichkeiten fußt schließlich der Versuch, Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie abzustecken und hierbei die Potentiale der bisherigen Bestrebungen fruchtbar zu machen, um ein dem Gegenstand angemessenes Handwerkszeug zu konkretisieren (Kapitel 3), das sich für die Analyse der Komik in den ausgewählten Texten eignet (Kapitel 4 und 5).

2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie 2.1 Lachen und Komik Der gewissermaßen universale forschungsgeschichtliche Zusammenhang von Komik und Lachen gründet sich in der Genese ihrer Theoretisierungsversuche. In der antiken Tradition firmieren unter den Überlegungen zum Lächerlichen sowohl Reflexionen über das Lachen als auch über Verfahren des Lachen-Machens respektive die Komik. Das Zusammenspiel beider lanciert schließlich bis heute das Ineinandergreifen von Lach- und Komikforschung. Auch die neuzeitliche, zunächst philosophische Differenzierung des Komischen vom Lächerlichen hat nicht zu einer klaren Unterscheidung beigetragen.35 Komik- und Lachforschung verstehen sich häufig als zusammengehörende Disziplinen, mitunter werden beide auch als eine Disziplin verstanden. Naturgemäß werden sie zusammengenommen, weil Lachen als ein Effekt von Komik auftreten kann und Komik gemeinhin Lachen intendiert. Komik muss jedoch weder zwingend ein Lachen beim Rezipienten hervorbringen, noch ist Lachen allein Resultat von Komik. Wenngleich kein universaler Zusammenhang beider besteht, bedingt ihr gewiss bestehender und forschungsgeschichtlich hergestellter Konnex stellenweise, dass Erkenntnisinteressen und Methoden gerade bei der literaturwissenschaftlichen Analyse von Komik und Lachen verunklären. Lachen kann als textinternes Phänomen begegnen, aber auch einen vom Text ausgehenden Effekt bezeichnen, deren Untersuchung je nach Erkenntnisinteresse infolgedessen unterschiedliche methodische Herangehensweisen einfordert. Das begünstigt de facto jedoch nicht die Trennschärfe unterschiedlicher disziplinärer Ansätze, sondern bringt zunächst ein instigierendes Konglomerat von auch interdisziplinären Untersuchungen hervor.36 Ebenso interdisziplinär wie fachspezifisch germanistisch verfolgt die 35 Vgl. Preisendanz, Wolfgang: Art. Komische (das), Lachen (das). In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. 36 Vgl. Liggieri, Kevin (Hrsg.): „Fröhliche Wissenschaft“: Zur Genealogie des Lachens. Freiburg i. Br. [u. a.] 2015 sowie Jäkel, Siegfried / Timonen, Asko (Hrsg.): Laughter down the Centuries. 3 Bde. Turku 1994–1997. Die Bände versammeln hauptsächlich Beiträge zur Antike, das Mittelalter ist in zwei Beiträgen Gegenstand: Müller, Ulrich: Zur Lachkultur in der deutschen Literatur des Mittelalters: Neidhart und Neidhart Fuchs, S. 161–181 (1. Bd.) geht von einer „Art physische[m] Universale des Lachens“ (S. 162) aus, das die Beschäftigung mit einem historisch absenten Lachen erst ermögliche. Müller verwendet Humor und „Lachenauslösende Komik [als feststehender Terminus, Anm. d. V.]“ (S. 167) bewusst unreflektiert synonym. Wo es Müller um eine spezifisch mittelalterliche Lachkultur geht, untersucht der Beitrag von Nyholm, Kurt: https://doi.org/10.1515/9783110732252-002

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2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie

mediävistischeForschung zum Lachen seit einigen Jahren das Ziel, dem ‚Lachen im Mittelalter‘ mit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise zu begegnen.37 Die Forschungsbeiträge changieren dabei, bisweilen gezielt, zuweilen unreflektiert, zwischen Lach- und Komikforschung und bedingen dadurch die terminologische Unschärfe beider Disziplinen wiederholt.38 Über das Lachen stellt die Komikforschung mitunter die Verbindung von Komik zum Textkontext her und versucht so, Epochenspezifika sicht- und erklärbar zu machen und den historischen Kontext einzubeziehen. Darüber hinaus kann das rezeptionsseitige intradiegetische Lachen Komik mancherorts belegen und die historisch absente Rezipientenreaktion ein Stück weit verbürgen. Der

Cunnewâres Lachen. Überlegungen zum Parzival 151, 11–19, S. 167–179 (3. Bd.) das Märchenmotiv vom Lachen der Auserwählung. 37 Braet, Herman / Latré, Guido / Verbeke, Werner (Hrsg.): Risus Mediaevalis. Laughter in Medieval Literature and Art. Leuven 2003. Lachen wird dort aus interdisziplinärer Perspektive auf seine Epochenspezifik hin befragt. Im Vorwort (S. vii–viii) formulieren die Herausgeber prägnant die essentiellen Probleme, die das Lachen als Untersuchungsgegenstand für mediävistische Untersuchungen birgt: Ist Lachen „a universal and ahistorical phenomenon?“ Oder das Ergebnis der Projektion moderner Implikationen auf den historischen Text? Letztere Frage zielt jedoch mehr auf Komik als auf das Lachen ab. Komik als Auslöser des Lachens wird dort entsprechend ihrer modernen Mechanismen als Effekt, der „already often proceeds from a contrast, a shifting which in its turn produces an effect of surprise“ definiert. Die Engführung von Lachen und Komik rücke in der Folge Fragen nach dem Publikum in den Blick: Lassen sich komische Strategien nachweisen, müsste danach gefragt werden, welchem Zweck sie gedient haben; einer „confirmation of a norm“ oder aber der „creat[ion] [of] a common bond against the other“. Vgl. auch Classen, Albrecht (Hrsg.): Laughter in the Middle Ages and Early Modern Times. Epistemology of a Fundamental Human Behaviour, its Meaning, and Consequences. Berlin [u. a.] 2010 (= Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture 5). Insbesondere die Einleitung Classen, Albrecht: Laughter as an Expression of Human Nature in the Middle Ages and the Early Modern Period: Literary, Historical, Theological, Philosophical, an Psychological Reflections. Also an Introduction, S. 1–140, die Lachen als einen urförmlichen menschlichen Wesenszug interdisziplinär verorten möchte. Zuweilen ist Komik als möglicher Lachauslöser Gegenstand einzelner Beiträge, mitunter werden literarische Texte exemplarisch herangeholt, um Lachbelege zu liefern. Lach- und Komikforschung werden hier als Ganzes verhandelt bzw. ist Komik als möglicher Auslöser Teil ebenjener. 38 Kuhn, Christian / Bießenecker, Stefan (Hrsg.): Valenzen des Lachens in der Vormoderne (1250–1750). Bamberg 2012 (= Bamberger Historische Studien 8). Die Herausgeber sprechen sich einleitend (S. 11–25) explizit gegen die Trennung von Lach- und Komikforschung aus. Beide Disziplinen sollten gerade zueinander in Bezug gesehen und gesetzt werden, um die „starke Diversifizierung der Konzepte“ (S. 15) im Hinblick auf deren Anwendbarkeit auf vormoderne Texte zu erproben; bestehende Thesen seien diesbezüglich historisierungs- und differenzierungsbedürftig. Methodisch differente Herangehensweisen u. a. kulturphänomenologischer, linguistischer und literaturwissenschaftlicher Provenienz werden hier versammelt und erprobt.

2.1 Lachen und Komik

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Lachforschung kann Komik demgegenüber Aufschluss über mögliche Lachanlässe geben. Mit dem Lachen im Text und dem Lachen über die mittels Text erwirkte Komik aber sind zwei differente philologische Untersuchungsgegenstände benannt. Indem sie zusammengebracht werden, verschwimmen ihre Konturen und zugleich die dem Gegenstand jeweilig adäquaten Analysemethoden. Das Interesse der Forschung am Lachen im Mittelalter ist zunächst ein kulturanthropologisches und kulturhistorisches. Wegbereiter kulturanthropologischer Ansätze zum Lachen in der mittelalterlichen Literatur ist MICHAIL BACHTIN. Er stellt in seiner Untersuchung das Ritual des Karnevals ins Zentrum und verfolgt damit auch ein ethnographisches Erkenntnisinteresse. BACHTIN erklärt für das Konzept der Karnevalisierung der Literatur die „Übertragung des Karnevals in die Sprache der Literatur“39. Mit dem Karneval hat BACHTIN grundlegend eine kulturelle Praktik im Blick, deren Korrelation von soziokulturellem Kontext und Literatur er untersucht. Zwar inkorporiert BACHTINS Konzept gleichfalls Strategien der Inkongruenz und des Kontrastes wie auch solche von Überlegenheitstheorien,40 dennoch bezeichnet BACHTIN hiermit keine spezifischen Mittel zur Erzeugung von (vormoderner) literarischer Komik, sondern greift für die Skizzierung des Konzepts der Karnevalisierung als „innerliterarische[r] Tradition“41 auf die gängigen Modalitäten der Komikerzeugung zurück.42 Im Anschluss an BACHTIN treten Fragen nach dessen Entwurf einer spezifischen Lachkultur und den Anschlussmöglichkeiten für weitere Untersuchungen auf den Plan.43 Grenzen und Möglichkeiten der Rekonstruktion von

39 Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Aus dem Russischen übers. u. mit einem Nachwort versehen von Alexander Kaempfe. Frankfurt a. M. 1990, S. 47. 40 Vgl. Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval, zur Inkongruenz S. 49, zum Kontrast S. 53, zur Überlegenheit S. 50 ff. 41 Vgl. Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval, S. 60. 42 Vgl. weiterführend zur Dialogizität und zur Polyphonie und deren Anwendbarkeit auf den mittelalterlichen höfischen Roman Kasten, Ingrid: Bachtin und der höfische Roman. In: Lindemann, Dorothee / Volkmann, Berndt / Wegera, Klaus-Peter (Hrsg.): bickelwort und wildiu mære. Festschrift für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag. Göppingen 1995 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 618), S. 51–70. 43 Vgl. dazu auch Eco, Umberto: The Frames of Comic ‚freedom‘, der Bachtins Ansatz mit dem implikaturtheoretischen Überlegungen von Paul Grice kombiniert. Vgl. zur Diskussion um die Erprobung der Anwendungsmöglichkeiten bspw. Röcke, Werner: Das verkehrte Fest. Soziale Normen und Karneval in der Literatur des Spätmittelalters. In: Neohelicon 17 (1990), S. 203–231; Kohler, Gun-Britt: Karneval und kultureller Raum. Überlegungen zu Bachtins Konzept des Lachens. In: Kuhn, Christian / Bießenecker, Stefan (Hrsg.): Valenzen des Lachens in der Vormoderne, S. 29–52; vgl. zusammenfassend für die in der Zeitschrift Euphorion geführte Debatte

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2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie

Lachkulturen werden daraufhin ebenso diskutabel wie auch die damit einhergehenden Chancen ethnographischer Bilanzen für eine spezifisch mittelalterliche Alltagskultur.44 Kulturanthropologisch orientierte Erkenntnisinteressen liegen auch der These von JAN-DIRK MÜLLER zugrunde, der das von Komik ausgelöste Lachen als Bewältigungsmechanismus einer Angst vor und gleichzeitiger Lust an Transgression versteht. Die in den Texten dargestellten „komischen Deformationen“, so MÜLLER, relativierten „vermeintlich normative Ordnungen“ einer „historischen Alltagswelt“.45 Die im Schwank dargestellte „verkehrte Welt“ verhandle im Rekurs auf die „richtige“ Welt eine in der Fiktion „verborgene Schicht kollektiver Imaginationen“ und schaffe damit Ambivalenzen, die die lachende Bewältigung in der Literatur grotesk zugespitzter Alltagssituationen provozierten.46 Das Lachen wird hier zum anthropologischen Bewältigungsmechanismus alltagskultureller Konflikte. Die Arbeiten von WERNER RÖCKE verstehen sich dezidiert als Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Lachens und das Lachen vornehmlich als soziales Phänomen.47 Dieses soziohistorische Erkenntnisinteresse am Lachen schließt Lachen als Resultat von Komik mit ein.48 Lachen – und somit auch die Lachen auslösende Komik – werden an ihre soziokulturellen Kontexte rückgebunden, um

um Bachtins Theorie Moser, Dietz-Rüdiger: Schimpf oder Ernst? Zur fröhlichen Bataille über Michael Bachtins Theorie einer „Lachkultur des Mittelalters“. In: Bader, Angela / Eder, Annemarie / Erfen, Irene / Müller, Ulrich (Hrsg.): Sprachspiel und Lachkultur, S. 261–309. 44 Vgl. dazu Bräuer, Rolf: Zur Entwicklung einer mittelalterlichen „Lachkultur“. Chronologische, soziologische und ästhetische Interpretationsprobleme mit dem Suprastilistikum des Komischen in mittelalterlichen Texten. In: Universität Greifswald / Sektion Germanistik, Kunstund Musikwissenschaft [Körperschaft]: Parodie und Satire in der Literatur des Mittelalters. Greifswald 1989 (= Deutsche Literatur des Mittelalters 5), S. 179–188. 45 Müller, Jan-Dirk: Die hovezuht und ihr Preis. Zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads „Halber Birne“. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 3 (1984/ 85), S. 281–311, S. 308 und 310 [erneut erschienen in: ders.: Mediävistische Kulturwissenschaft. Ausgewählte Studien. Berlin [u. a.] 2010, S. 205–228]. 46 Müller, Jan-Dirk: Die hovezuht und ihr Preis, S. 308 und 310 f. 47 Vgl. neben den hier besprochenen auch Röcke, Werner: Inszenierungen des Lachens in Literatur und Kultur des Mittelalters. In: Hohendahl, Peter Uwe / Steinlein, Rüdiger (Hrsg.): Kulturwissenschaften. Beiträge zur Erprobung eines umstrittenen literaturwissenschaftlichen Paradigmas. Berlin 2001, S. 73–94. 48 Vgl. Röcke, Werner: Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik des deutschen Schwankromans im Spätmittelalter. München 1987 (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 6). Im Schwankroman, so Röcke, diene eine das Lachen über den Text generierende Komik zur „Milderung“ und „Abschwächung“ (S. 17) der dargestellten mala. Als Teil einer Poetik schwankhaften Erzählens zeige sich Komik zugleich als Resultat der Darstellung von mala. Komik zielt daher auch hier auf ein textexternes Lachen, dessen Ziel die „lachende Unterhaltung“ (S. 284) ist.

2.1 Lachen und Komik

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seine kulturspezifischen Funktionen zu bestimmen.49 In dem Versuch, das Lachen an seinen kulturhistorischen Kontext rückzubinden, zeigt sich doch zuallererst, dass im Wesentlichen zunächst die das Lachen erzeugende Komik und deren Verbindung zum kulturhistorischen Kontext in den Blick gerät. Die historisierende sozialhistorische Perspektive auf das Lachen speist sich letztlich aus der Verbindung von Komik erzeugenden Textstrukturen und ihrem historischen Kontext. Ausgehend von dieser die Komik noch als Lachanlass miteinbegreifenden Idee bestimmt RÖCKE gemeinsam mit HANS RUDOLF VELTEN das Konzept

49 Vgl. Röcke, Werner / Neumann, Helga (Hrsg.): Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit. Paderborn [u. a.] 1999. Die hierfür zunächst erklärte methodische Offenheit gegenüber dem Unternehmen ist gewillt, die „sehr unterschiedlichen Formen des Lachens und der komischen Literatur im Kontext ihrer Gebrauchssituation“ jeweils zu beleuchten. Kulturhistorische Funktionen des Lachens werden anhand des „Wechselverhältnis[ses] von Text und kulturellem Kontext für das historische Verständnis des Lachens und des Komischen“ (Röcke, Werner / Neumann, Helga: Vorwort zu dies. (Hrsg.): Komische Gegenwelten, S. 7–11, S. 10) erfragt. Innerhalb der soziohistorischen Fragerichtung evoziert das dort Überlegungen über Komik, wo nicht ein textintern erzähltes Lachen Gegenstand der Untersuchung ist. Neben textpragmatischen und strukturpoetologischen Ansätzen werden hierfür auch ritualtheoretisch ausgerichtete Ansätze fruchtbar gemacht. Vgl. dazu insbes. Tomasek, Tomas: Komik im Minnesang. Möglichkeiten einer Bestandsaufnahme. In: Röcke, Werner / Neumann, Helga (Hrsg.): Komische Gegenwelten, S. 13–28. Tomasek möchte einem Missverstehen von Komik aus moderner Perspektive entgegenwirken, indem er die strukturellen Merkmale von Komik an die historische Kommunikationssituation rückbindet. Vgl. auch Wandhoff, Haiko: Strickers Daniel von dem blühenden Tal: ein komischer Artusroman im frühen 13. Jahrhundert? In: Röcke, Werner / Neumann, Helga (Hrsg.): Komische Gegenwelten, S. 47–62. Wandhoff bindet die Strukturmerkmale des literarisch Komischen über den für die Parodie notwendigen Vorgang der Identifizierung von intertextuellen Bezügen durch den Rezipienten an den kulturellen Kontext rück. Für die späten Artusromane schlägt er die Möglichkeit einer „doppelte[n] Lesbarkeit“ (S. 54) vor, die einerseits von einem hörenden Publikum ausgeht, das aufgrund der „flüchtige[n] Kohärenz des Vortrags“ die Literaturzitate nicht erfassen könne – so bliebe der Roman auch ohne komische Elemente ein „ernstzunehmende[r] handlungsorientierte[r] Artusroman“; andererseits könne ein literaturkundiges Lesepublikum die intertextuellen Verweise sehr wohl erkennen und so eine „zusätzliche Sinnebene decodieren“, die primär parodistisch angelegt sei und sich so als „komisches Spiel“ (S. 54) präsentiere. Die poetologisch-selbstreflexive Ebene des Romans trete als komische kumulativ neben eine inhaltlich kohärente Ebene (vgl. S. 59). Vgl. außerdem Kellermann, Karina: Verkehrte Rituale. Subversion, Irritation und Lachen im höfischen Kontext. In: Röcke, Werner / Neumann, Helga (Hrsg.): Komische Gegenwelten, S. 29–46, hierzu insbes. S. 29, 34 und 44. Intentionalen Wiederholungshandlungen misst Kellermann symbolischen Wert bei und wertet Störungen als Lachen provozierende Komik. Die Rückbindung an den soziokulturellen Kontext leisteten Codes, die sowohl bekannt als auch beherrscht werden müssten, damit Störungen Komik zu erzeugen vermögen. Das Lachen über die Komik richte sich dabei nicht gegen „spezifische Inhalte, sondern gegen das Ritual in seiner strukturellen Schwäche“ (S. 44).

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2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie

von sogenannten ‚Lachgemeinschaften‘ und stellt damit das Lachen als soziales Phänomen stärker in den Fokus; damit gerät die das Lachen auslösende Komik aus dem Zentrum des Interesses.50 Lachen verstanden als „eine Form der

50 Vgl. Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf (Hrsg.): Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin [u. a.] 2005. Der Terminus ‚Lachgemeinschaft‘ zielt auf „Interaktions- und Wirkungsformen des Gelächters von Gruppen“, die es auf Verlauf, Codes, Funktionen und Wirkungsweisen hin zu untersuchen gelte (Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf: Einleitung zu dies. (Hrsg.): Lachgemeinschaften, S. IV–XXXI, hier S. XIII). ‚Gelächter‘ anstelle von Lachen hebe dabei die „Prozessualität und Dynamik eines lauten, körperlich bestimmten Lachens einer Gruppe“ (S. XV) hervor. Narrative Inszenierungen von Gelächter in literarischen Texten sind innerhalb der Konzeptes insofern relevant, als sie narrative Strategien sichtbar machen könnten, die Lachanlässe schaffen, indem sie entweder ein innertextuelles Lachen inszenieren oder ein außertextuelles Lachen erzeugen. Solchermaßen innertextuell-fiktional entworfene Lachgemeinschaften, die das Rezeptionsverhalten gesteuert hätten, zeigten überdies „Modelle für tatsächliche Rezeptionsgruppen“ (S. XXII). Ziel ist, Lachen als soziokulturelle Praktik zu bestimmen. Textexternes Rezipientenlachen wird hier somit weniger als das Resultat von Komik begriffen, sondern vielmehr als Mitlachen. Das von literarischer Komik ausgelöste Lachen und dessen kulturspezifische Funktionen und die außertextuellen Wirkungen von einem innertextlich dargestellten Lachen werden auf diese Weise differenziert. Das Forschungsinteresse ist dezidiert auf sozio-historische Funktionen von Lachgemeinschaften und den performativen Akt des gemeinsamen Lachens hin ausgerichtet. Vgl. auch Gvozdeva, Katja / Röcke, Werner (Hrsg.): „risus sacer – sacrum risible“. Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel. Berlin [u. a.] 2009 (= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 20). Hier steht das spezifische Wechselverhältnis von Gelächter und Sakralität im Fokus. Die Prozessualität des Zusammentreffens von Heiligem und Gelächter ließe sich, so die These, mithilfe von Theorien zur Performativität erfassen, und dem „Paradox des heiligen Lachens“ so adäquater beikommen, als mit semiotischen und typologischen Methoden, weil das Lachen ein „Paradigma des Performativen“ sei (Gvozdeva, Katja / Röcke, Werner: Performative Kommunikationsfelder von Sakralität und Gelächter. Einführung. In: Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf (Hrsg.): Lachgemeinschaften, S. 9–28, Zitat S. 11). Die „im Medium des Lachens ausgespielte Gegensatzlogik des Komischen“ (ebd., S. 18) kongruiere schließlich mit dem Heiligen. Vgl. weiterführend auch Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf (Hrsg.): Lachen und Schweigen. Grenzen und Lizenzen der Kommunikation in der Erzählliteratur des Mittelalters. Berlin [u. a.] 2017 (= Trends in Medieval Philology 26). Röcke und Velten haben hier jüngst das Lachen als nonverbalen Sprechakt zum Untersuchungsgegenstand gemacht. Die Beiträge des Sammelbandes sind bestrebt, die „Bedeutungen und Funktionen des Lachens in [literarischen, religiösen und rituellen] Kommunikationszusammenhängen des Mittelalters“ (Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf: Einleitung zu Lachen und Schweigen, S. 1–6, hier S. 2) zu analysieren. Den Fokus legen sie auf „die kommunikativen Prozesse, in welche Lachen und Schweigen eingebunden sind“ (ebd.). Lachen wird als „kommunikative[] Kategorie“ (S. 3) untersucht.

2.1 Lachen und Komik

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(sozialen) Kommunikation“51 konzentriert sich auf das Verhältnis von gemeinsamem Lachen und sozialer Sinnstiftung. Das von den Arbeiten RÖCKES und VELTENS angestoßene, gegenwärtig dominierende und vornehmlich kulturhistorische Interesse am Lachen zeigt eine beinahe symptomatische forschungsgeschichtliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte auf. Diese öffnet sich vom literaturwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse eines an Komik gebundenen Lachens hin zu kulturwissenschaftlichen Fragestellungen, die soziokulturelle Funktionskomponenten des performativen Aktes des Lachens betreffen. Die Grenzen zwischen philologischen und kulturanthropologischen Erkenntnisinteressen verschwimmen an dieser Stelle.52 Die Ergebnisse solcher Untersuchungen können Analysen, die narrativ generierte Komik im Blick haben, insoweit perspektivieren, als sie Aufschluss über das Lachen als kulturelle Praktik und somit über das Fundament für ein potentielles Lachen über Komik geben.53 LOTHAR FIETZ hat dementsprechend im Zuge semiotischer Fragestellungen über das Historische des Lachens

51 Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf: Einleitung zu dies. (Hrsg.): Lachgemeinschaften, S. XIII. 52 Um die Spezifika von Lachkulturen näher zu erforschen, stehen hermeneutische Analysen von textintern dargestelltem Lachen neben Analysen von Komik, die potentiell ein textexternes Lachen über den Text erzeugt. Vgl. hierzu insbes. die Beiträge von Erfen, Irene: Das Lachen der Cunnewâre, S. 69–87; Schwob, Anton: Lachen angesichts des Bösen? Beobachtungen zum Reinhart Fuchs-Epos, S. 130–143; Spechtler, Franz Viktor: Ein „lächerlicher Minneritter?“ Zur Funktion der Komik bei Ulrich von Liechtenstein. Wege der Forschung, S. 144–154; Heinen, Hubert: „Gibt’s da nichts zu lachen?“ Hyperbolik als Intensivierung oder Ironiesignal bei Heinrich von Morungen und Ulrich von Liechtenstein, S. 194–214 im Band Bader, Angela / Eder, Annemarie / Erfen, Irene / Müller, Ulrich (Hrsg.): Sprachspiel und Lachkultur. Zwischen Kulturphänomenologie und Mentalitätsgeschichte versteht sich der Beitrag von Hartmann, Sieglinde: Ein empirischer Beitrag zur Geschichte des Lachens im Mittelalter: Lachen beim Stricker. In: Mediaevistik 3 (1990), S. 107–129. Hartmanns Untersuchung zielt darauf ab, die Einstellung des Strickers zum Lachen zu ermitteln und dessen „spezifisch mittelalterliche Art, menschliches Gelächter darzustellen und zu bewerten“ (S. 111). Vgl. darüber hinaus die Zusammenstellung von Lachbelegen mitunter auch außerhalb der Literatur bei Fahl-Dreger, Axel: Versteinertes Lachen: Über das Lachen in der mittelalterlichen Gesellschaft. In: Schubert, Christoph (Hrsg.): Kommunikation und Humor. Multidisziplinäre Perspektiven. Berlin [u. a.] 2014 (= Vechtaer Universitätsschriften 31), S. 123–146. 53 Vgl. dazu auch Velten, Hans Rudolf: Scurrilitas. Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Tübingen 2017 (= Bibliotheca Germanica 63), insbes. S. 46–51 (Kap. 1.2 ‚Lachen und Komik – Unterscheidung und Verhältnis‘). Das Lachen, so Velten, sei der Komik vorgeordnet, „weil es zu den transhistorischen und transkulturellen anthropologischen Ausdrucksformen des menschlichen Körpers gehört“ (S. 47). Lachen fungiere als Referenzpunkt von Komiktheorien und könne die „situationalen und okkasionalen Bedingungen“ von Komik bereitstellen, „sodass sich für jede Frage nach dem Komischen zunächst die Frage nach seiner Einbettung in Lachkontexte stellt“ (S. 48).

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für die Darstellung von Lachen in Texten betont, dass hierüber eine „historische Jeweiligkeit“ Lachen erregender Gegenstände nachvollzogen werden könne, indem die „Texte, in denen […] Lachen im Raum sozialer und kommunikativer Interaktion bezeichnet, dargestellt und inszeniert werde[], über die emotive Bedeutung zurückverweisen auf die Gegenstände, Situationen und Vorgänge, die zu einer bestimmten Zeit Lachen erregen“.54 So stellt CHRISTOPH HUBER mit seiner Analyse des Lachens im höfischen Roman dezidiert narrativ dargestellte Lachszenen in den Fokus, um ausschnitthaft vorzuführen, dass nur eine „historische Lachtopik“55, die sich aus den Belegen und semantischen Varianten der Einzeltextbelege speist, zuverlässigen Aufschluss darüber geben kann, wie das Lachen in der mittelhochdeutschen Literatur zu erfassen wäre. Abgeleitet von Fragen nach historischer Semantik ließe sich die Erforschung einer historischen Lachkultur so im Rahmen literarischer Sinnbildungsprozesse ansetzen.56 Untersuchungen zum Lachen im Text hingegen, deren Erkenntnis auf den Text selbst ausgerichtet ist und die nicht auf verallgemeinerbare Aussagen über eine Lachkultur zielt, rücken näher an die Frage nach erzählstrategischen Möglichkeiten für Lachanlässe. SEBASTIAN COXON sind narrative Möglichkeiten der literarischen Inszenierungen des Lachens von Interesse, das Lachen im Text und das Lachen über den Text werden als simultane Mechanismen verstanden.57 Ein narrativ dargestelltes Lachen ließe sich hierbei zuweilen in Form einer „performative[n] Symbiose“ als „verbindliches Lachangebot an die Rezipienten“ verstehen.58 COXON konzentriert sich somit einerseits auf die „literarische Bedeutung von erzähltem Lachen“ und geht anderseits von bestimmten „fest etablierte[n] pointier-

54 Fietz, Lothar: Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens. In: ders. / Fichte, Joerg O. / Ludwig, Hans-Werner (Hrsg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart. Tübingen 1996, S. 7–20, hier S. 16 f. 55 Vgl. Huber, Christoph: Lachen im höfischen Roman. Zu einigen komplexen Episoden im literarischen Transfer. In: Kasten, Ingrid / Paravincini, Werner / Pérennec, René (Hrsg.): Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Sigmaringen 1998 (= Beihefte der Francia 43), S. 345–358, hier S. 357. 56 Vgl. Huber, Christoph: Lachen im höfischen Roman, S. 348. 57 Coxon, Sebastian: do lachete die gote: Zur literarischen Inszenierung des Lachens in der höfischen Epik. In: Wolfram-Studien XVIII (2004), S. 198–210. 58 Coxon, Sebastian: Hehe! Überlegungen zum erzählten Lachen in Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. In: Kuhn, Christian / Bießenecker, Stefan (Hrsg.): Valenzen des Lachens in der Vormoderne, S. 143–161, S. 151. Vgl. auch ders.: Laughter and Narrative in the Later Middle Ages. German Comic Tales 1350–1525. London 2008.

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te[n] Erzählstrukturen“ aus, die „Rezipientengelächter hervorrufen sollten“.59 Letztgenanntes Verfahren nimmt folglich Strategien in den Blick, die ein textexternes Lachen intendieren, und steht damit Erzählstrategien zur Komikerzeugung nahe.60 Gegen den nur unpräzise auszumachenden Appellcharakter von textintern inszeniertem Lachen für ein Rezipientenlachen hat sich bereits K LAUS GRUBMÜLLER ausgesprochen.61 Das auch von COXON selbst als „unsichere Größe“62 herausgestellte Rezipientenlachen indes, das in diesem Fall als Resultat von pointierten Erzählstrukturen gilt, bleibt aber schließlich nur insoweit vage, als der tatsächliche, durch den Einsatz solcher Erzählstrukturen intendierte Effekt des Lachens sich empirisch nicht mehr belegen lässt. Gerade aber die Erzählstruktur lässt sich unabhängig von dem tatsächlichen Lachen feststellen; sie steht schließlich im Dienst der Erzeugung von – potentiell Lachen auslösender – Komik. Als ein anthropologisches Grundmuster betrifft Lachen zunächst ebenso evolutionstheoretische Fragestellungen wie philosophisch-anthropologische, die oftmals zum Ausgangspunkt für literatur- und historisch-anthropologische Fragerichtungen zum Lachen gemacht werden. Die philosophische Anthropologie macht das Lachen selbst zu ihrem Gegenstand und klammert hierbei die Lachanlässe dezidiert aus. HELMUTH PLESSNERS Studie zum Lachen und Weinen, die das Lachen erstmals innerhalb anthropologischer Erkenntnisinteressen verhandelt und die die anthropologischen Forschungen zum Lachen bis heute maßgeblich anleitet, fragt daher nach dem Lachen als einer Eigenschaft der menschlichen Natur.63 PLESSNERS Studie hat in der mediävistischen Forschung u. a. in KARL KREMERS literaturanthropologischer Analyse des Lachens in mittelalterlicher Literatur als einer wortfeldsemantischen Untersuchung Resonanz erfahren.64

59 Coxon, Sebastian: Hehe!, S. 148 und 144. 60 Vgl. hierzu auch Coxon, Sebastian: der spott wirt in wol gevallen: Komischer Spott und spöttische Komik in mittelalterlichen Kurzerzählungen. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57 (2010), H. 1, S. 53–66. Mit komischem Spott bezeichnet Coxon eine Erzählstrategie, die Lachen erzeugt. 61 Vgl. Grubmüller, Klaus: Wer lacht im Märe – und wozu? In: Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf (Hrsg.): Lachgemeinschaften, S. 111–124. 62 Coxon, Sebastian: do lachete die gote, S. 189. 63 Plessner, Helmuth: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Bern [u. a.] 1961. Vgl. zur Weiterentwicklung von Plessners Überlegungen in der Forschung zur Gelotologie die umfassende Darstellung bei Prütting, Lenz: Homo ridens. Eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des Lachens. 3 Bde. Freiburg i. Br. [u. a.] 2013 (= Neue Phänomenologie 21). 64 Vgl. Kremer, Karl Richard: Das Lachen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bonn 1961, S. 24. Kremer kombiniert seine wortfeldsemantische Untersuchung zum Lachen in mittel-

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TOMAS TOMASEK unternimmt den Versuch, P LESSNERS Ansatz zu historisieren, indem er den anthropologischen Ansatz zusätzlich mit mittelalterlichem Medizinwissen perspektiviert. Die auf diese Weise für den körperlichen Akt des Lachens gewonnenen Erkenntnisse parallelisiert er mit antik-rhetorischen Abhandlungen über das Lächerliche, um so über Komik auch den Auslöser des Lachens miteinzubeziehen.65 Lachen und Komik werden hier grundsätzlich wesentlich wechselseitig verschränkt. Die mediävistische Komikforschung hingegen untersucht ihre Gegenstände deutlich punktueller, (inter-)disziplinäre Universalisierungsversuche sind desiderat. Zwar stellt HANS FROMM Komik in einen gattungsübergreifenden Zusammenhang, allerdings in der Absicht, „geistes- und stilgeschichtlich[e]“ Unterschiede herauszustellen.66 Die in der Literatur vielfältig erscheinenden Komikformen verwehren sich einer universalen Methodik und bedingen in ihren heteroge-

alterlicher Literatur mit dem anthropologischen Ansatz Plessners und attestiert dem Lachen gegenüber dem Weinen anhand seiner aufgezeigten Belege und Verwendungsweisen eine „geringe Literaturfähigkeit“ (S. 138). Er zeigt mit seiner Analyse von Belegstellen die Heterogenität von Verwendungsweisen und Bedeutungen von Lachen in der Literatur auf und belegt damit, dass sich das Lachen in der mittelalterlichen Literatur als vielgestaltiges Phänomen zeigt; dass das Lachen gegenüber dem Weinen innerhalb literarischer Texte quantitativ weniger belegt ist, gibt jedoch kaum Aufschluss über seinen anthropologischen Stellenwert. Vielmehr wäre es an dieser Stelle geboten, weiterführend bspw. nach Reglementierungen und Reflexionsmodi in den unterschiedlichen Verwendungskontexten zu fragen. Einen vergleichbaren Ansatz wählt auch Dartmann, Christine: Das lachen der vrouwe. Untersuchungen zur Funktion von lachen in mittelhochdeutscher Epik und im Minnesang. Münster 2011 (= Wissenschaftliche Schriften der WWU Münster / Reihe XII 3). Dartmann legt ebenfalls eine wortfeldsemantische Studie vor, die mit Rekurs auf Plessner mittels der in den Texten nachweisbaren semantischen Breite Rückschlüsse für eine Anthropologie des Lachens zieht. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 10 ff. zeigt die Erkenntnisgrenzen von Ansätzen auf, die unter Rückgriff auf anthropologische Ansätze ihr Erkenntnisinteresse nicht literarisch-anthropologisch ausrichten. In Abgrenzung hierzu kombiniert er für die Untersuchung des Lachens in höfischen Epen Wolfgang Isers Thesen einer literarischen Anthropologie mit Ansätzen historischer Anthropologie. 65 Vgl. Tomasek, Tomas: Bemerkungen zur Komik und zum ‚Humor‘ bei Wolfram von Eschenbach, S. 95 f. Das von Komik ausgehende Lachen führt er so auf ein „humoralpathologische[s]“ Verständnis vom Lachen als „‚Staunen der Seele über etwas, das sie nicht zu erfassen vermag‘“ (S. 102 f.) zurück. Das Lachen als einen von Komik ausgelösten Effekt verortet er zwischen der der Komik inhärenten Grundkonstante der Inkongruenz und den Wirkungsmechanismen des Lachens. Die als komisch eingestuften Passagen überprüft er anhand empirischer Umfrageergebnisse; als ‚Kontrollgruppe‘ fungieren Seminarteilnehmer*innen, die die als komisch eingestuften Passagen bewerteten. 66 Fromm, Hans: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters, Zitat S. 34. Es hat den Anschein, als diene die Durchsicht letztlich jedoch dem Zweck, die Humor-These zu untermauern und zu zeigen, dass Wolfram innerhalb eines „literarische[n] Epochenbewußtsein[s]“ (S. 35) ein „Autorbewußtsein“ (S. 37) aufzeige, das im Humor erst Komik ermögliche.

2.1 Lachen und Komik

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nen Ausprägungen notwendigerweise differente Analysemethoden und Begriffsimplikationen.Das bringt wiederum einen umfänglichen und dadurch vagen Begriff von Komik hervor, der sich einer finiten, klar abgrenzbaren Begriffsbestimmung verwehrt und mehr als Oberbegriff fungiert. Demgegenüber bedingt der ‚umbrella term‘ mit seinem immensen Bedeutungsspielraum indes auch eine oft terminologisch und methodisch ungenaue Herangehensweise, sofern seine Implikationen nicht diskutiert und der Begriff im Einzelfall nicht konturiert wird.67 Möglichkeiten,Kategorien zu bilden, bieten die Anbindung an bestimmte Themen und Gattungen.68 Gerade die frivole Komik der Schwank- und Schwankmärendichtung

67 Bspw. die Beiträge Fortmann, Patrick: Der Humor der Helden: Komik im Nibelungenlied. In: Jefferis, Sibylle (Hrsg.): The Nibelungenlied. Genesis, interpretation, reception (Kalamazoo papers 1997–2005). Göppingen 2006 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 735), S. 89–118; Poenaru, Vasile V.: Die Komik des Nibelungenliedes. In: Guţu, George (Hrsg.): Interkulturelle Grenzgänge. Akten der wissenschaftlichen Tagung des Bukarester Instituts für Germanistik zum 100. Gründungstag, Bukarest, 5.-6. November 2005. Bukarest 2007, S. 20–34. 68 Vgl. hierzu Braun, Manuel: Mitlachen oder verlachen? Zum Verhältnis von Komik und Gewalt in der Heldenepik. In: ders. / Herberichs, Cornelia (Hrsg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. München 2005, S. 381–410. Braun untersucht das Zusammenspiel von Komik und Gewalt textübergreifend anhand von Texten aus sechs Jahrhunderten, in denen „gewalttätige Heroen als komische Figuren“ (S. 382) auftreten. Vgl. auch Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 224, der für das Nibelungenlied grundsätzlich eine Form von Komik vermerkt, die aus der Disposition von Höfischem und Heroischem resultiere und sich somit von derjenigen der Artusromane unterscheide. Vgl. hierzu auch Seeber, Stefan: Totlachen. Dort bezieht sich Seeber auf die Komikdefinition von Friedrich Georg Jünger, der das Komische in seinem Verhältnis zum Regelhaften beleuchtet. Die Definition der Komik mit Jünger erstaunt, hatte Seeber in seiner Dissertation noch die Anwendung moderner Begriffe und Theorien mitsamt deren Implikationen als anachronistisch bewertet (vgl. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 2 f.). Mit Jüngers Definition kann Seeber den Kontrast möglichst minimalistisch als übergreifend gültige und objektive Struktur von Komik benennen. In der Heldenepik sei zudem eine Form der Ironie erkennbar, die der Rhetorik so nicht bekannt ist: In spöttischer Verwendungsweise zeige sich diese Form als ‚heroische Ironie‘, die erst mit der Komik zusammengeführt ihre Wirkkraft entfalte (vgl. S. 234 f.). An Jüngers Definition orientiert sich auch Müller, Dorothea: Daniel von dem Blühenden Tal und Garel von dem Blühenden Tal. Die Artusromane des Stricker und des Pleier unter gattungsgeschichtlichen Aspekten. Göppingen 1981 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 334), S. 48–69 (Kapitel 2 ‚Komik‘). Vgl. zum Schauspiel insbes. Velten, Hans Rudolf: Scurrilitas, S. 222–325 (Kap. 5 ‚Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers im Schauspiel‘); Coxon, Sebastian: Weltliches Spiel und Lachen. Überlegungen zur Literarizität, Theatralität und Performativität des Nürnberger Fastnachtspiels im 15. Jahrhundert. In: Ridder, Klaus (Hrsg.): Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Tübingen 2009, S. 221–238; Schnell, Rüdiger: Geistliches Spiel und Lachen; vgl. dagegen Grafetstätter, Andrea: Ludus compleatur. Theatralisierungsstrategien epischer Stoffe im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spiel. Wiesbaden 2013 (= Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung 33), die Bachtins Ansatz fruchtbar macht (insbes. S. 21–28).

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fordert ihre eigenen Begriffsbildungen; gemeinhin mit dem Zusatz ‚schwankhaft‘69 versehen, werden aufgrund der vielfach erzählten Betrugs- und Listhandlungen Komposita wie „Intrigenkomik“70 gebildet oder, im Hinblick auf Sinnbildungsprozesse, adjektivische Attribute ergänzt, wie jüngst von MAREIKE VON MÜLLER, die mit dem Begriff „Schwarze Komik“ eine der Mären- und Schwankdichtung eigene Form der Komik begreift.71 ANICA SCHUMANN legt zuletzt einen Versuch vor, narrative Strukturen von Komik objektiv zu erfassen und fragt dabei nach narrativ eingeschriebenen, intertextuellen Markern, um der „subjektiven Erwartung“ als historischer Größe eine Grundlage zu geben.72 Die grundsätzliche Krux der literaturwissenschaftlichen Analyse von Komik im vormodernen Roman betrifft ihr Instrument und damit die Frage, inwieweit der methodische Zugriff den Blick auf den historischen Gegenstand verstellen könnte. Der Alteritätsverdacht gegenüber dem Gegenstand ‚Komik in vormoderner Literatur‘ wiegt besonders schwer, weil nicht nur infrage steht, ob die moderne Kategorie samt ihrer modernen Beschreibungsparameter dem Gegenstand angemessenen ist, zugleich ist sie per se schwer zu erfassen, da sie in ihren

69 Vgl. dazu insbes. die Monographie von Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof. Komik unter den Bedingungen höfischer Interaktion in der Crône des Heinrich von dem Türlin. Frankfurt a. M. [u. a.] 2000 (= Mikrokosmos 55). Vgl. auch Coxon, Sebastian: Der Ritter und die Fährmannstochter. Zum schwankhaften Erzählen in Wolframs Parzival. In: Wolfram-Studien XVII (2002), S. 114–135. 70 Becker, Karin: Der Priester als Garant des Gelächters. Narrative Strategien des Komischen in den altfranzösischen Fabilaux. In: Grebe, Anja / Staubach, Nikolaus (Hrsg.): Komik und Sakralität, S. 64–75, S. 69. Becker entwickelt den Begriff anhand des altfranzösischen Fabilaux und hält eine Übertragbarkeit auf die deutschen Erzählungen für profitabel. 71 Vgl. dazu Müller, Mareike von: Schwarze Komik. Narrative Sinnirritation zwischen Märe und Schwank. Heidelberg 2017 (= Studien zur historischen Poetik 24). Das Adjektiv schwarz steht für das antik-rhetorische obscuritas-Verfahren, Komik wird mittels moderner nonsensikaler Strategien der systematischen Sinnverweigerung gefasst. Müller kombiniert den Ansatz von Peter Köhler zum modernen Nonsens mit den Untersuchungen von Walter Haug zu einer Theorie mittelalterlicher Kurzerzählungen (vgl. S. 40) und benennt als das wesentliche Merkmal ‚Schwarzer Komik‘ die Antipointe. Sinnnivellierungen in Form von Anti-Pointen konstituieren sich gleichermaßen über Mittel wie Inkongruenzen und Kontraste. Komik zeige sich als eine Sinnirritation, die sich aus dem Ineinanderwirken von sinnstiftenden und sinnirritierenden Komponenten ergibt. Das Spiel zielt auf die Irritation von in der literarischen Tradition wirksamen Wissensordnungen ab. Vgl. auch dies.: Schwarze Komik in Heinrich Kaufringers Drei listige Frauen. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 142 (2013), S. 194–216. 72 Vgl. Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen, S. 59.

2.1 Lachen und Komik

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Wirkungsmechanismen Bezug nimmt auf den historischen Kontext.73 Eine Option, um diesem Problem zu entgegnen, kann eine komparatistische Perspektive bieten, indem diese für die Beschreibung von Komik auf historische Textrelationen zurückgreift und im Vergleich mit der Vorlage Komisierungstendenzen und ihre Strategien herausstellen kann.74 Auch die Parodie als Beschreibungskategorie intertextueller Erzählverfahren berücksichtigt die historische Textrelation und erlaubt darüber hinaus vor allem in der Unterscheidung von komischen und ernsten Transformationen Erzählverfahren sichtbar zu machen, die dezidiert auf eine komische Wirkung abzielen.75 Im Rahmen intertextualitätstheoretischer Un-

73 Vgl. dazu unter Rückgriff auf Freud Bertau, Karl: Versuch über tote Witze bei Wolfram. In: Acta Germanica 10 (1977), S. 87–137. Demgegenüber kritisch Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 185 ff. 74 Vgl. Johnson, Leslie Peter: Die Blutstropfenepisode in Wolframs Parzival. Humor, Komik und Ironie. In: Gärtner, Kurt / Heinzle, Joachim (Hrsg.): Studien zu Wolfram von Eschenbach. Festschrift für Werner Schröder zum 75. Geburtstag. Tübingen 1989, S. 307–320, hier S. 315: Die von Wolfram vorgenommenen Erweiterungen gegenüber Chrétien präsentierten sich als „ironisch[], komisch[], burlesk[], humoristisch[] [und] sprachspielerisch[]“. Vgl. auch Velten, Hans Rudolf: Komik im Transfer. Zu Chrétiens Le Conte du Graal und Wolframs Parzival. In: Wolfram-Studien XXIII (2014), S. 411–430. Komik als ästhetischer Begriff ziele einerseits auf Poetik und Stilistik, umfasse andererseits aber sogleich Strategien der Wahrnehmung und Wirkung literarischer Texte und somit den anthropologischen Kontext sowie die Rezeptionssituation (vgl. S. 412). Die „typisch Wolframsche Komik“ sei poetologisch konzipiert als Mixtum compositum aus „spöttische[r] Bemerkung, pointierte[m] Witz[] und […] Selbstironie“ (S. 429). Vgl. dazu zuletzt Kragl, Florian: Paradoxon und Pointe. Poetiken des Widerspruchs bei Chrétien und Wolfram. In: Lienert, Elisabeth (Hrsg.): Poetiken des Widerspruchs in vormoderner Erzählliteratur. Wiesbaden 2019, S. 155–199. 75 Vgl. dazu grundlegend Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Französischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt a. M. 1993, S. 40 ff. Als Verfahren der Hypertextualität ist das Verhältnis von Hyper- und Hypotext dann als Parodie zu bezeichnen, wenn durch minimale Transformation eine Bedeutungsänderung erzielt wird. Genette führt graduelle Abstufungen für die Beziehung von Hyper- und Hypotext ein und unterscheidet dabei zwischen Verfahren der Transformation und der Nachahmung, um die Funktionen der jeweiligen Verfahren anhand der Register ‚spielerisch‘, ‚satirisch‘ oder ‚ernst‘ zu differenzieren. Vgl. auch Müller, Beate: Komische Intertextualität: Die literarische Parodie. Trier 1994 (= Horizonte 16). Müller erfasst die Parodie als sich wesentlich aus Intertextualität und Komik konstituierende Schreibweise oder Gattung. Zum zeitgenössischen Parodiebegriff vgl. Glei, Reinhold F. / Seidel, Robert (Hrsg.): Parodia und Parodie. Aspekte intertextuellen Schreibens in der lateinischen Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin 2006; darin insbes. Robert, Jörg: Nachschrift und Gegengesang – Parodie und parodia in der Poetik der Frühen Neuzeit, S. 47–66. Vgl. zur Parodie zuletzt innerhalb der mediävistischen Forschung Mhamood, Ariane: Komik als Alternative. Parodistisches Erzählen zwischen Travestie und Kontrafaktur in den Virginal- und Rosengarten-Versionen sowie in Biterolf und Dietleib. Trier 2012 (= Literatur – Imagination – Realität 47). Ihr Parodieverständnis erfasst die Parodie – als Text-

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tersuchungen hat man gerade für die späten Artusromane eine parodistische Schreibweise herausgestellt, die hiervon ausgehende Komik pauschal beansprucht und die späten Artusromane verallgemeinernd als Parodien gelesen, sich von dieser generalisierenden Tendenz inzwischen jedoch wieder distanziert.76

sorte wie als Schreibweise – als intertextuelles Verfahren, das den Sinn des Parodierten zwingend demontiere und so eine komisierende Sinntransformation bewirke (vgl. S. 16f.). Neben solchermaßen intertextuell erzeugte Komik stellt sie textimmanente Komikformen, bspw. Figuren-, Handlungs- oder Sprachkomik; außerdem gattungsabhängige Formen wie „schwankhafte[] Komik“ (S. 25). Vgl. dazu auch dies.: Inszenierte Komik in Biterolf und Dietleib. In: Zatloukal, Klaus (Hrsg.): 7. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Mittelhochdeutsche Heldendichtung ausserhalb des Nibelungen- und Dietrichkreises (Kudrun, Ornit, Waltharius, Wolfdietriche). Wien 2003 (= Philologica Germanica 25), S. 151–174. – Für eine ernste Form der Parodie hat man auch auf den Begriff der Kontrafaktur zurückgegriffen. Vgl. dazu Wehrli, Max: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. Stuttgart 1984, S. 280, der das Verfahren der Kontrafaktur im Gegensatz zur Parodie als analoges, aber dennoch konträres literarisches Verfahren beschreibt, das eine erhöhende Parodie meine und in Bezug auf die geistliche Umdichtung weltlicher Lieder anwendbar sei. Vgl. hierzu grundlegend Verweyen, Theodor / Witting, Gunther: Art. Kontrafaktur. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2 H-O, S. 337–340, hier S. 338. 76 Vgl. Wolfzettel, Friedrich: Parodie und Artusroman. Versuch einer Problematisierung. In: Dietl, Cora / Schanze, Christoph / ders. (Hrsg.): Ironie, Polemik und Provokation, S. 303–317, hier S. 306: Wolfzettel zweifelt den ‚Parodieverdacht‘ gegenüber der späten Artusdichtung an und fordert Differenzierungen ein. Die Vielzahl intertextueller Anspielungen könne ebenso wenig als Argument für parodistische Absicht gelten, wie sie auch nicht als Bewertungsmaßstab für Originalität gelten dürfe. Wolfzettel problematisiert die weichen Grenzen von Intertextualität und Parodie auch im Rahmen moderner Implikationen, die unter Parodie auch Verfahren eines ‚inter-art discourse‘ verstehen und hiermit Konstituenten eines markierten Bewusstseins innerhalb einer Auseinandersetzung mit anderen Texten meinen. Im Rahmen des Artusromans käme ein parodistisches Verfahren zum Einsatz, um sich kreativ intertextuell mit der Tradition auseinanderzusetzen, ohne den Hyper- oder Hypotext infragezustellen (vgl. S. 308 f.). Gegen eine Gleichsetzung von jeglichem intertextuellen Bezug mit komischer Wirkung und Parodie spricht sich auch Burrichter, Brigitte: Raouls de Houdenc Vengeance Raguidel. Komik und Parodie, S. 287–302, dort S. 300 in demselben Band aus. Ferner mahnt sie zur Unterscheidung eines modernen Parodieurteils und der intendierten Wirkungsabsicht (vgl. S. 288). Forschungsgeschichtlich hat ein undifferenzierter Gebrauch von Parodie als intentionales Mittel zur Diffamierung des Hypotexts zur Verfestigung seiner pejorativen Verwendungsweise geführt. Dem wirkt zuletzt entgegen Plotke, Seraina / Seeber, Stefan (Hrsg.): Parodie und Verkehrung. Formen und Funktionen spielerischer Verfremdung und spöttischer Verzerrung in Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Göttingen 2016 (= Encomia Deutsch 3). Gegen die Parodiethese im Lanzelet argumentiert zuletzt Dimpel, Friedrich Michael: Freiräume des Anderserzählens im Lanzelet. Heidelberg 2013 (= Beihefte zum Euphorion 73), insbes. S. 60–69, ein ausführlicher Forschungsüberblick zur Parodiethese S. 54–59. Dagegen auch Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, insbes. S. 105–112, ein Überblick zur Parodiethese S. 80–86. Vgl. auch die kurzen Überblicksdarstellungen von Wennerhold, Markus: Späte mittelhochdeutsche Artusromane. Lanzelet, Wigalois, Daniel von dem Blühenden Tal, Diu Crône. Bilanz der Forschung 1960–2000. Würzburg 2005 (= Würzbur-

2.1 Lachen und Komik

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Besonders undeutlich wird die Beschreibungskategorie dann für solche Textstellen, die nicht explizit markierte Einzeltextreferenzen aufweisen, sondern System-77 oder Wissensreferenzen78 markieren. Als Inferenzkategorie kann Komik System- und Wissensreferenzen nutzen, um Inkongruenzen zu erzeugen, indem sie so bspw. Erwartungsbrüche erzeugt. Wo an deren Stelle Wissensreferenzen treten, die über ein allgemeines Gattungswissen hinaus auf Wissensbestände rekurrieren, die gattungsübergreifend Geltung beanspruchen und Inferenzprozesse von allgemeinerem Weltwissen meinen, kommt das intertextuell generierte Verfahren der Parodie an seine Grenzen. Demgemäß schlägt COXON vor, Komik als einen „literarische[n] Effekt“ zu definieren, der sich aus dem Verhältnis des jeweiligen Textes zur literarischen Tradition ergebe, wenn dabei Erwartungen gebrochen würden und möchte so dem Eindruck von Beliebigkeit bei der Analyse literarischer Komik entgegnen.79 Dabei problematisiert er auch, dass Erwartungsbrüche sich jedoch nicht allein aus dem einbezogenen literarischen Wissensbestand konstituierten, sondern glei-

ger Beiträge zur deutschen Philologie 27). Für den Daniel hat Buschinger, Danielle: Parodie und Satire im Daniel von dem Blühenden Tal des Stricker. In: Universität Greifswald / Sektion Germanistik, Kunst- und Musikwissenschaft [Körperschaft]: Parodie und Satire in der Literatur des Mittelalters, S. 15–23 die These des „parodierende[n] Anti-Artusroman“ (S. 21) stark gemacht. Dementgegen Zimmermann, Günter: Der gefangene Parzival. Gedanken zur Komik in Strickers Daniel. In: Buschinger, Danielle (Hrsg.): Perceval – Parzival. Hier et aujourd’hui. Et autres essais sur la littérature allemande du Moyen Âge et de la Renaissance. Recueil d’articles assemblés par Danielle Buschinger et Wolfgang Spiewok pour fêter les 95 ans de Jean Fourquet. Greifswald 1995, S. 303–315. Außerdem kritisch Wandhoff, Haiko: Strickers Daniel von dem blühenden Tal. Für die Crône hat die Parodie-These stark gemacht Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein. The Attempted Emancipation of Secular Narrative. Göppingen 1980 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 258). 77 Vgl. zur Unterscheidung von Einzeltext- und Systemreferenzen: Broich, Ulrich / Pfister, Manfred (Hrsg.): Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Tübingen 1985, insbes. S. 48–77 (Kap. III ‚Bezugsfelder der Intertextualität‘). Vgl. auch Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen, S. 70 f. 78 Vgl. hierzu Kerth, Sonja: Gattungsinterferenzen in der späten Heldendichtung. Wiesbaden 2008 (= Imagines Medii Aevi 21), insbes. S. 39–116 (Kapitel II. ‚Ebenen des intertextuellen Verweisens‘). Kerth bezieht die Kategorie ‚Wissensreferenz‘ allein auf mündliche Stoff- und Erzähltraditionen, die ihr somit als Belege kulturellen Wissens dienen. Die Kategorie der Wissensreferenz kann aber auch über Stoff- und Erzähltraditionen hinaus Wissensreferenzen bezeichnen, die allgemeiner auf ein Wissen abzielen, das logische Schlussfolgerungen bedingt und das generell Inferenzprozessen zugrunde liegt. Vgl. hierzu Kap. 3.2 zu den Formen literarischen Handlungswissens. 79 Vgl. Coxon, Sebastian: Komik und Gelächter in der ‚Wolfdietrich‘-Epik. In: Zatloukal, Klaus (Hrsg.): 7. Pöchlarner Heldenliedgespräch, S. 57–76, hier S. 57.

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chermaßen auf soziokulturelle Wertvorstellungen rekurrierten, die schwer zu fassen sind, weil sie außerhalb des Textes gelten.80 Vorwiegend knüpfen insbesondere linguistische Ansätze an Modelle an, die Komik über Inkongruenzen beschreiben. M ANUEL BRAUN kombiniert ARTHUR KOESTLERS Modell der Bisoziation, das als ein Ineinanderwirken zweier nicht zusammengehöriger Referenzrahmen funktioniert, mit dem psychoanalytischen Ansatz SIGMUND FREUDS zum Witz. BRAUN versteht die psychische Komponente von FREUDS Ansatz als kognitive und möchte so der aus der zeitlichen Distanz heraus resultierenden Uneindeutigkeit von Komik infolge fehlenden Wissens um ihre pragmatische Einbettung und ihren kulturellen Kontext begegnen.81 Inwieweit die soziologische Funktion des Lachens, die FREUDS Witztheorie fokussiert, mit kulturellem Kontextwissen vergleichbar ist, erscheint jedoch klärungsbedürftig. JOHANNES KLAUS KIPF sieht hingegen eine Möglichkeit, diesem Problem zu entgegnen, über einen linguistisch-kognitivistischen Ansatz gegeben. Literarische Komik kategorisiert er als einen „Sonderfall sprachlicher Komik“, die sich „in wenigen semantischen Grundoperationen“ manifestiere und deren kognitiver Rezeptionsprozess überzeitlich Gültigkeit beanspruche.82 Den an Komik gekoppelten kulturellen Diskontinuitäten ließe sich mit kognitiven Kontinuitäten der komischen Struktur ein Stück weit begegnen, insofern es die semantische Textanalyse erlaube, kognitiv-semantische Textstrukturen zu verifizieren, die unabhängig von historischen wie kulturellen Disparitäten existierten. Somit räumt KIPF dem an die Semantik gekoppeltem kulturellen Wissen weniger Raum ein und bindet es als „kognitive[s] Prinzip […] semantische[r] Ambivalenz“83 direkter an die leichter zu erfassenden Textstrukturen. Der Anschluss an linguistische Konzepte der Script- und Frame-Theorie bietet sicherlich heuristisches Potential, jedoch wären die diesen Konzepten inhärenten Wissensformen stärker einzubeziehen. Die Grenzen kognitionswissenschaftlicher Herangehensweisen an mittelalterliche Texte sind dem historischen Gegenstand geschuldet. Der vermeintliche Gewinn basiert auf dem Zirkelschluss, dass kognitive Strukturen aus dem historisch absenten Gegenstand zugleich abgeleitet und belegt werden; so wird Kontinuität aufgepfropft, anstatt 80 Vgl. Coxon, Sebastian: Komik und Gelächter in der ‚Wolfdietrich‘-Epik, S. 58. 81 Vgl. Braun, Manuel: Mitlachen oder verlachen?, S. 383 f. 82 Kipf, Johannes Klaus: Lachte das Mittelalter anders? Relative Alterität und kognitive Kontinuität komischer Strukturen in Schwankerzählungen des 13.-15. Jahrhunderts. In: Braun, Manuel (Hrsg.): Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität. Göttingen 2013 (= Aventiuren 9), S. 233–263, S. 235; vgl. dazu auch ders.: Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz. Zur Identifikation komischer Strukturen in mittelalterlichen Texten am Beispiel mittelhochdeutscher Schwankmären. In: Grebe, Anja / Staubach, Nikolaus (Hrsg.): Komik und Sakralität, S. 104–128, hierzu insbes. S. 107–112. 83 Vgl. Kipf, Johannes Klaus: Lachte das Mittelalter anders?, S. 239.

2.2 Lachen-Machen und Komik

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an ihm überprüft. Infolgedessen bleiben die Ergebnisse hypothetisch, weil auch sie letztlich interpretativ sind. Der kognitionstheoretische Deckmantel kann die historisch nicht zu leistende empirische Beweisführung letztlich nicht verdecken. Die Möglichkeiten und Grenzen linguistischer Ansätze für die mediävistische Erforschung von Komik müssen auf ihre Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen kritisch hinterfragt werden, weil sie mit Wissensbeständen operieren, die sich nicht immer rekonstruieren lassen (vgl. Kapitel 3). Überdies ließen sich vor dem Hintergrund der Frage nach dem angemessenen Beschreibungsweg mit Blick auf die antike Poetik und Rhetorik moderne Ansätze zur Beschreibung von Komik perspektiveren.

2.2 Lachen-Machen und Komik Schon WALTER HAUG erklärt die Theoretisierung des Lachens zur Voraussetzung für eine Theoretisierung des Komischen. Lachen, so HAUG, ließe sich gerade nicht über Strukturen von Komik beschreiben, sondern gehe diesen voraus.84 Das Lachen verortet HAUG somit eindeutig rezeptionsseitig und trennt es klar von produktionsseitig bewirkter Komik ab. Der komische Sachverhalt werde schließlich dem Lachen selbst und damit einer „anthropologische[n] Grundgegebenheit“ überantwortet.85 Die Theoretisierung des Lachens, die HAUG hier im Blick hat, richtet sich vorrangig auf die überlegenheitstheoretische Komponente von Komikerfahrung, die als Bewältigungs- und damit Verstehensmechanismus funktioniert.86 Das durch Komik ausgelöste Lachen wird damit in seiner herme84 Vgl. Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Tübingen 2003, S. 357–369 (Kap. 2 ‚Schwarzes Lachen‘), hier S. 358 [vorher erschienen in: Haug, Walter: Schwarzes Lachen: Überlegungen zum Lachen an der Grenze zwischen dem Komischen und dem Makabren. In: Fietz, Lothar / Fichte, Joerg O. / Ludwig, Hans-Werner (Hrsg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens, S. 49–64]. Dabei bezieht sich Haug auf mittelalterliche Kurzerzählungen und versteht das Lachen als „Erfahrung seiner eigenen Negativität“ (S. 365) und weist ihm damit grundlegend die Funktion von Negativitätsbewältigung zu. 85 Vgl. Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion, S. 358. 86 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Müller, Jan-Dirk: Lachen – Spiel – Fiktion. Zum Verhältnis von literarischem Diskurs und historischer Realität im Frauendienst Ulrichs von Lichtenstein. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 58 (1984), S. 38–73 [erneut erschienen in: ders. / Bloh, Ute von / Schulz, Armin (Hrsg.): Minnesang und Literaturtheorie. Tübingen 2001, S. 1–38]. Müller überantwortet dem intradiegetischen wie dem Lachen des fiktiven Publikums ebenso eine entlastende Funktion. Das Lachen sei Teil des Spiels um Fiktion und Faktizität, der Fiktionalitätscharakter werde daher auch innerliterarisch von den Figuren entlarvt und im Lachen aufgelöst.

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neutischen, dem Textverstehen und der Sinnzuweisung zugehörigen Funktion begriffen. Es meint nicht das im Text narrativ inszenierte, sondern ein von Komik ausgelöstes Lachen. Der unbestreitbare auch forschungsgeschichtliche Zusammenhang von Lachen und Komik, den HAUG hier ins Feld führt, gründet auch in der Genese der Theoretisierungsversuche von Komik, die in der antiken Tradition unter dem Lächerlichen firmieren. Man kann wohl annehmen, dass die aus der antiken Poetik- und Rhetoriktradition stammenden Überlegungen zur Komik und zum Lachen Einfluss auf die Erzählverfahren der mittelalterlichen Autoren genommen haben. Als Schulstoff waren den Autoren neben lateinischen Poetiken auch die Rhetoriken zugänglich;87 man darf von einem Einfluss der Rhetorik auf die Poetik daher zweifellos ausgehen, wiewohl die rhetorischen Anleitungen nicht vollumfänglich mit poetischen gleichgesetzt werden können.88 Dennoch er87 Vgl. hierzu Süss, Wilhelm: Lachen, Komik und Witz in der Antike. Zürich [u. a.] 1969.Vgl. auch Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 37 ff. Die Auseinandersetzung mit antiker Rhetorik im Rahmen der schulischen Rhetorik erachtet er als gesichert, da sich die Dichtung selbst maßgeblich hiervon beeinflusst zeige. Seeber greift für seine Studie aufgrund der spärlichen Basis, die die Poetiken für die Techniken zur Komikerzeugung bereithalten, auf antike Rhetoriken zurück. Im Gegensatz zu Murphy, James J.: Rhetoric in the Middle Ages. A History of Rhetorical Theory from Saint Augustine to the Renaissance. Berkeley [u. a.] 1974, geht Seeber ebenfalls davon aus, dass Ciceros De oratore und Quintilians Institutio oratoria Einfluss auf die lateinische Theoriebildung genommen haben (vgl. mit den entsprechenden Quellennachweisen S. 40 f.). Demgegenüber geht Kipf, Johannes Klaus: Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz, S. 109, von einer definitiven Bekanntheit bei denjenigen aus, die mit den Fächern des Triviums vertraut waren, zieht aber eine verbreitete Kenntnis der Rhetorik Quintilians in Zweifel. Darüber hinaus schränkt er die Anwendungsmöglichkeiten der rhetorischen Überlegungen für die Analyse von Komik in literarischen Texten insoweit ein, als jenen eine „vortheoretische ‚komische Kompetenz‘“ zugrunde liege, der mit diesem Analyseinstrument nicht beizukommen sei. Stattdessen favorisiert Kipf hierfür einen linguistisch-kognitivistischen Ansatz. Der Rückgriff auf Rhetoriken sowie Belege über Bewertungen von Lachen bildeten lediglich Rahmenbedingungen, die jedoch für das Verifizieren von Komik im Text letztlich nicht herangezogen werden könnten. 88 Vgl. zur Einflussnahme der antiken Rhetoriken auf die mittelalterlichen Poetiken Brandt, Rüdiger: Kleine Einführung in die mittelalterliche Poetik und Rhetorik. Göppingen 1986; Klopsch, Paul: Einführung in die Dichtungslehren des lateinischen Mittelalters. Darmstadt 1980; Brinkmann, Hennig: Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung. 2. unveränderte Aufl. Darmstadt 1979, insbes. S. 29–81 (Kap. III ‚Die Poetiken‘). Zur Stellung der antiken rhetorischen Schriften im Mittelalter vgl. zuvörderst: Murphy, James J.: Rhetoric in the Middle Ages. Einem hiesig angedachten Vorgehen steht Brandt kritisch gegenüber: „Die Verfasser der für das 12. und 13. Jh. wichtigsten Poetiken sind Matthäus de Vendôme, Johannes von Garland und Gaufredus de Vinsauf. […] Die Anwendung dieser theoretischen Vorbedingungen auf die volkssprachliche Literatur ist aus zwei Gründen etwas schwierig: Zum einen ergibt sich die eher banale Tatsache, daß die ma. Poetiken in ihrer Terminologie und ihren Erläuterungen teilweise recht uneinheitlich verfahren. Zum anderen stellt sich die methodische Frage,

2.2 Lachen-Machen und Komik

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laubt der Blick auf die antike Rhetorik, einen Überblick darüber zu erhalten, welche Verfahren den Autoren für das Erzeugen von Komik in Erzähltexten bekannt waren, besonders da die mittelalterlichen Poetiken dieses Feld selbst weitgehend aussparen. Zugleich stellen die in den Rhetoriken erörterten Verfahren der literaturwissenschaftlichen Perspektive ein historisch stimmiges Rüstzeug bereit, das die Beschreibung der eingesetzten Verfahren zulässt. Der Betrachtung Komik generierender Erzählverfahren wird in mittelalterlichen Poetiken kaum Raum gewährt. Das haben die Arbeiten von JOACHIM SUCHOMSKI und STEFAN SEEBER gezeigt. Beide sind bestrebt, Komik in mittelalterlicher Literatur anhand von Kategorien zu beschreiben, die nicht modernen Begriffskategorien entspringen und sich an modernen Definitionen orientieren.89 SUCHOMSKIS Durchsicht der Poetiken zeigt, dass sich in den mittelalterlichen Poetiken nur wenige Belegstellen finden, die sich explizit mit Komik beschäftigen. Er resümiert diesbezüglich: In der ‚Poetria Nova‘ des Geoffroi de Vinsauf [...] sind lediglich 34 Verse der Behandlung einer ‚res comica‘ zugebilligt. Einige kurze Bemerkungen über eine ‚materia iocosa‘ findet man im ‚Documentum de arte versificandi‘, das wahrscheinlich auch aus der Feder Geoffrois stammt. Ebenso knapp sind die Ausführungen zur Behandlung des komischen Stoffes in der ‚Poetria‘ des Johannes de Garlandia. Die Berücksichtigung der literarischen Komik in Traktaten [...] zeigt immerhin, daß sich das Lächerliche in dieser Zeit soviel Anerkennung verschafft hat, daß die Gebildeten es der theoretischen Erörterung und Regelung für würdig erachten.90

Die mittelalterlichen Poetiken gehen kaum über die Unterscheidung von Tragödie und Komödie hinaus. Auch Matthieu de Vendôme differenziert in der Ars versificatoria zwar zwischen tragedia und comoedia, rechnet letztere jedoch dem niederen Stil zu und nimmt damit eine Abwertung vor.91 Dagegen kann SEEBER anhand der beiden Poetiken Galfrieds zeigen, dass eine materia iocosa nichtsdestoweniger verhandelt wird, wenn auch „die Komödie zur toten Gattung erklärt wird“.92 Das Verschwinden der Gattung Komödie befördert demzu-

inwieweit man überhaupt bei volkssprachlicher Literatur […] solche Muster zwecks Interpretation anlegen darf.“ (S. 5) 89 Vgl. zur Zielsetzung Suchomski, Joachim: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘, S. 5–8. 90 Vgl. Suchomski, Joachim: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘, S. 66. 91 Vgl. Suchomski, Joachim: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘, S. 97. 92 Vgl. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 37. Zum Übergang von comoedia zu materia jocosa bei Galfried und zur Verwendung des Begriffs comoedia bei Johannes de Garlandia vgl. Suchomski, Joachim: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘, S. 91 ff. Vgl. außerdem Henkel, Nikolaus: Dialoggestaltung in deutschen und französischen Romanen des 12. Jahrhunderts. Das Modell der Dramen des Terenz und Seneca. In: Hundsnurscher, Franz / Miedema, Nine / Unzeitig, Monika (Hrsg.): Redeszenen in der mittelalterlichen Großepik. Komparatistische Perspektiven.

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folge keineswegs eine generelle Herabsetzung literarischer Komik, im Gegenteil zeugt die Thematisierung der materia iocosa von deren Signifikanz. Im Anschluss an die lateinische Bildungstradition und unter Rückgriff auf die antike Rhetorik hat die mediävistische Forschung zur Komik die Anschlussfähigkeit jener für die Analyse von Komik in mittelalterlichen Texten erprobt. Rhetorisch-poetologische Ansätze stellen eine Alternative dar, die es erlaubt, Komik in vormodernen Texten nicht mittels moderner Theorien und Begriffe samt ihrer Implikationen zu beschreiben. Stattdessen kann für die Analyse auf Verfahrensweisen Bezug genommen werden, die den mittelalterlichen Autoren voraussichtlich bekannt waren, und zugleich die Spezifik des historischen Gegenstands im Blick behalten werden. Wahrnehmungsäquivalenzen und -differenzen moderner und zeitgenössischer Rezeption können dann historisch adäquat begriffen werden, indem sich die Verfahrensweise qua der bis dato bekannten rhetorisch-poetologischen Wissenshorizonte beschreiben lässt. Dazu haben die Arbeiten von EDMOND FARAL93 im Hinblick auf mittelalterliche Poetiken und diejenigen von JAMES J. MURPHY94 hinsichtlich der Bekanntheit antiker Rhetoriken im Mittelalter maßgeblich beigetragen. JOHAN VERBERCKMOES pflichtet innerhalb dieser Debatte einer aus der Kontinuität lateinischer Tradition resultierenden Basisbedeutung von Komik bei.95 Diese von J. S. P. TATLOCK96 und HELEN ADOLF97 stammende These aus den 1950er Jahren bezieht sich allerdings

Berlin 2011 (= Historische Dialogforschung 1), S. 139–161, insbes. S. 145–153. Henkel untersucht den Einfluss antiker Dramen auf die Dialoggestaltung der Literatur des Hochmittelalters und zeichnet für die Einflussnahme den Status der von den die Komödien des Terenz beeinflussten Elegienkomödien als Formmuster für die Dialoggestaltung in Erzähltexten des 12. Jahrhunderts nach. 93 Faral, Edmond: Les Arts Poétiques du XIIe et du XIIIe Siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Age. Paris 1971, der in seiner Edition u. a. Matthäus’ von Vendôme Ars versificatoria und Galfreds von Vinsauf Poetria nova als wichtige poetische Traktate versammelt. 94 Murphy, James J.: Rhetoric in the Middle Ages; ders.: Cicero’s Rhetoric in the Middle Ages. In: Quarterly Journal of Speech 53 (1967), S. 334–341. Allerdings geht Murphy davon aus, dass Ciceros De oratore wie auch Quintilians Institutio oratoria unbekannt waren. Vgl. zur Bekanntheit der beiden Werke weiter Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 40 ff. 95 Vgl. Verberckmoes, Johan: What about Medieval Humour? Some Historiography. In: Braet, Herman / Latré, Guido / Verbeke, Werner (Hrsg.): Risus Mediaevalis, S. 1–9, hier S. 2. 96 Tatlock, J. S. P.: Medieval Laugther. In: Speculum 21 (1946), H. 3, S. 289–294 konstatiert für das 12. und 13. Jahrhundert und lateinischsprachige Autoren „the same wit, practical good sense, and style which we appreciate ourselves so much“ (S. 291). 97 Adolf, Helen: On Medieval Laughter. In: Speculum 22 (1947), H. 2, S. 251–253 erweitert den Beitrag von Tatlock um zeitgenössische theoretische Überlegungen zum Lachen und kommt zu

2.2 Lachen-Machen und Komik

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weniger auf die Konstitution des lachenden Subjekts, für die VERBERCKMOES sie fruchtbar macht, als vielmehr auf Techniken, Klassifizierungen und Theoretisierungen des Komischen und richtet somit den Fokus auf Kontinuitäten von Komik generierenden Verfahren.98 Möchte man solche Kontinuitäten nachweisen und sogleich fruchtbar machen für die Analyse mittelalterlicher literarischer Komik, wären Linien der Kontinuität für antik-rhetorische und moderne Verfahren nachzuzeichnen. So könnten Traditionslinien und zugleich historisch differente Aktualisierungen sichtbar werden. Innerhalb des Spannungsfeldes von modernen Theoretisierungsversuchen, methodischen Historisierungsproblemen und der geforderten Vorsicht bei den Anwendungsmöglichkeiten antiker Rhetorik, um Komik in mittelalterlichen Texten zu beschreiben, erscheint der Rückgriff auf die antike Rhetorik als Ansatz, der der dem Gegenstand inhärenten historischen Dimension adäquat entgegnet, gleichwohl es innerhalb der Rezeption und schließlich bei der Umsetzung der in den Rhetoriken geschilderten Verfahrensweisen zu Bedeutungsverschiebungen kommen konnte. Richtungsweisend können daher letztlich nur die in den Texten selbst auftretenden Verfahrensweisen sein, die sich dann wiederum im gegebenen Fall an den in den Rhetoriken dargelegten Verfahren orientieren. Auf diese Weise ließe sich die aus der Perspektive des modernen Betrachters wahrgenommene Komik im vormodernen Text unter Rückgriff auf die in der Rhetorik genannten Verfahren beschreiben und auch bekräftigen, insofern sie sich auf den Autoren potentiell bekannte Verfahren stützt. Komik, die sich so nicht beschreiben ließe, wäre aber nicht a priori falsifiziert, sondern dokumentierte weitere Verfahren, die sich allein in der Erzählpraxis indizierten. RALF-HENNING STEINMETZ sieht zwei Möglichkeiten, die Komik im vormodernen Text plausibel eruierbar machten: Einerseits ließen Aussagen im Text selbst, die eine Handlung, eine Tatsache oder einen Gegenstand als komisch deklarieren würden, es zu, eine erzählte Episode als komisch zu bewerten – allerdings erschwere hierbei die semantische Breite von mittelhochdeutsch lachen die Bestimmung von Interferenzen mit dem modernen Äquivalent ‚Komik‘. Andererseits böte ein rezeptionsseitiges Lachen über den Text einen Weg, die Textpassagen, über die infolge von Komik generierenden Verfahren gelacht wird, als komisch zu plausibilisieren. Allerdings, das problematisiert STEINMETZ schon, gerate man dabei insofern in einen methodischen Zirkel, als für die Diffe-

dem Schluss, dass moderne wie mittelalterliche Theoretisierungen Lachen als „consequence of combining two qualities as contradictory“ (S. 253) definieren. 98 Vgl. Verberckmoes, Johan: What about Medieval Humour?, S. 2 f.

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renzierung von Lachanlässen diejenigen, die durch Komik verursacht würden, als solche zuallererst erkannt werden müssten.99 Schließlich könne dabei einzig der Rückgriff auf zeitgenössische Poetiken und Rhetoriken sowie die in mittelalterlichen Schulen verwendeten antiken Schriften Aufschluss geben. Mit Rekurs auf die lateinische Rhetorik ließe sich, so dann SEEBER, ein „Maximalbild dessen entwerfen, was man von der Rhetorik des risum movere wissen konnte“100. Sowohl SEEBER als auch STEINMETZ weisen aber Grenzen auf: Da die Anwendungsmöglichkeiten dem kulturellen Wandel von der römisch-antiken Kultur hin zur lateinischen Poetiktradition unterworfenen waren und sich nicht mehr fassen lassen, machten sie die Rezeption innerhalb der mittelalterlichen Kultur so ungewiss.101 Dass die Inhalte der Rhetoriken sich wesentlich auf die Gerichtsrede beziehen, forciert in den neuen Gebrauchskontexten veränderte Anwendungsund Funktionsmöglichkeiten.102 Das Verhältnis von Poetik und Rhetorik ist somit als korrelatives zu verstehen, insofern hiermit keine direkte, sondern eine bereits vom Zielgegenstand bedingte Einflussnahme gemeint ist.103 Hierbei könnte der Nachweis von Kontinuitäten von Erzählverfahren Auskunft geben über jeweilige kulturelle Implikationen – das ziehen weder STEINMETZ noch SEEBER in Betracht. Eine systematische Erfassung der in den Rhetoriken gegebenen Anweisungen hat SEEBER vorgelegt, aber auch deren Grenzen gerade für solche Momente aufgezeigt, wo Komik nicht allein mithilfe rhetorischer Mittel erzeugt wird. Hier bestehen Lücken, die sich nur schließen lassen, indem die poetische Praxis selbst als Quelle für angewandte Verfahrensweisen herangezogen wird. Das schafft zunächst den Anschein von Beliebigkeit, der aber mit einem auf Kontinuitäten gerichteten Fokus Einhalt geboten werden kann. SEEBERS Studie changiert zwischen Lach- und Komikforschung, ohne das methodische Spagat zu thematisieren: Von Interesse sind dort vor allem semantische und rhetorische Grundlagen des Lachens im und des Lachens über den

99 Vgl. Steinmetz, Ralf-Henning: Komik in mittelalterlicher Literatur. Überlegungen zu einem methodischen Problem am Beispiel des Helmbrecht. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 49 (1999), S. 255–273, hier S. 259–262. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 35 ff. 100 Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 39. 101 Vgl. Steinmetz, Ralf-Henning: Komik in mittelalterlicher Literatur, S. 262. 102 Vgl. Steinmetz, Ralf-Henning: Komik in mittelalterlicher Literatur, S. 262. Ähnlich auch Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 42 f. 103 Vgl. Steinmetz, Ralf-Henning: Komik in mittelalterlicher Literatur, S. 262. Ähnlich auch Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 43, der jedoch nicht von einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis, sondern schwächer von „Überschneidungen und Überlappungen“ des rhetorischen und poetischen Diskurses ausgeht.

2.2 Lachen-Machen und Komik

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Text. Anhand antiker Rhetoriken skizziert er eine Poetik des risum movere und vermeidet den mit modernen Implikationen behafteten Terminus ‚Komik‘ bewusst und ersetzt ihn durch Lachen-Machen, um den Blick für das Historische des Lachen-Machens nicht zu verstellen.104 Letztlich aber misst er der Rhetorik des Lachen-Machens ein höheres Gewicht bei als einer des Lachens, weil es ihm primär auf Techniken ankommt, die auf Komikerzeugung abzielen und damit Lachen evozieren.105 Dem methodischen Problem, welchem SEEBER mit der Vermeidung des modernen Begriffs Komik entgegnen möchte, entkommt er somit nur vermeintlich.106 An die Studie lässt sich gleichwohl anschließen, wenn unter Rückgriff auf antike Rhetoriken Mechanismen evident werden, die Komik erzeugen. BÉATRICE JAKOBS spannt den Bogen weiter und perspektiviert die antiken Überlegungen über das Lachen-Machen mit modernen Komikbegriffen und -theorien. Dabei parallelisiert sie die Verfahren der klassischen Antike mit denen moderner Theorien und stellt das Moment der Erwartungsenttäuschung als analoges Verfahren antiker und moderner Ansätze heraus.107 Die aufgezeigten strukturellen Parallelen können den Blick für überzeitliche Parameter von (Erzähl-)Verfahren der

104 Vgl. hierzu die knappe Absage gegenüber dem Komikbegriff in der Einleitung: Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 2 f. Auf die konzeptionelle Vermeidung des Begriffs ‚Komik‘ weist in seiner Rezension auch schon Velten, Hans Rudolf: „Poetik des Lachens“? hin. 105 Vgl. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 46 f.: „Die Rhetorik des Lachens als eine Rhetorik des Lachenmachens ist damit immer ein stark auf persuasive Leistung ausgerichtetes Konzept.“ (S. 47). 106 Vgl. dazu auch Seeber, Stefan: Keie der arcspreche – Spott und Verlachen im höfischen Roman um 1200. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57 (2010), H. 1 (Spott und Verlachen im späten Mittelalter zwischen Spiel und Gewalt. Hrsg. v. dems. und Sebastian Coxon), S. 8–22. Spöttische Komik steht hier für das Lachen des Rezipienten über den Spott auf Handlungs- und Erzählerebene; ders.: Valenzen des Lachens in den Tristanbearbeitungen Eilharts und Gottfrieds. In: Kuhn, Christian / Bießenecker, Stefan (Hrsg.): Valenzen des Lachens in der Vormoderne, S. 99–116. Seeber beschreibt hier u. a. eine durch den Einsatz bestimmter Stilmittel erzeugte Komik; ders.: Totlachen. Komik und Ironie im Nibelungenlied und in der Kudrun. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 136 (2014), H. 2, S. 230–253. Hier nimmt Seeber eine terminologische Abgrenzung von Komik und Humor vor. Eine ähnliche Abgrenzung auch in ders.: Medieval Humour? Wolfram’s Parzival and the Concept of the Comic in Middle High German Romances. In: The Modern Language Review 109 (2014), H. 2, S. 417–430. 107 Vgl. Jakobs, Béatrice: Rhetorik des Lachens und Diätetik in Boccaccios Decameron. Berlin 2006 (= Schriften zur Literaturwissenschaft 28). Sie konzentriert sich dabei maßgeblich auf die Schriften Platons, Aristoteles’ und Ciceros (vgl. S. 29–61). Zu den Parallelen vgl. S. 133–153; dort bezieht sie sich unter Rückgriff auf die Formel von Schmidt „X ist komisch für/wirkt komisch auf Y aufgrund von a (wobei X und Y Kommunikationspartner bezeichnen, a eine faktische Situation, die als komisch qualifiziert wird)“ (Schmidt, Siegfried J.: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Preisendanz, Wolfgang / Warning, Rainer [Hrsg.]: Das

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2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie

Komikerzeugung schärfen. Auch GERT UEDING hat für die Rhetorik des Lachens die aptum-Verletzung als maßgebliche Konstituente definiert und für die antike Rhetorik und moderne Theorien eine Form von Unangemessenheit als Gemeinsamkeit aufgezeigt.108 Das Maß zur Beurteilung von Unangemessenem aber bleibe schließlich „kulturell und historisch variabel“109. Schon UEDING plädiert somit für kontinuierliche formale Bedingungen mit variablen kulturellen Parametern. Die „prinzipielle Geltung der aptum-Verletzung als Strukturmerkmal von […] Komik“ in Kombination mit der Variable des kulturellen Wissen favorisiert eine Modellierung, die eine universalistische Form-Konstante mit kulturhistorischer Variabilität verknüpft.110 Der von UEDING und JAKOBS vorgeschlagene Weg, der den Blick auf strukturelle Gemeinsamkeiten richtet, die sich für antike und moderne Theoretisierungen nachweisen lassen, ist insbesondere für moderne Komiktheorien weiterzuverfolgen, die Strukturen von Erzählverfahren im Blick haben und solchen, die die kulturhistorischen Variablen ins Zentrum ihres Interesses stellen. Hierfür werden im Folgenden zunächst die für die mittelalterliche Poetik relevanten antiken Abhandlungen erneut betrachtet und das Augenmerkt dabei auf Verfahren der Erwartungsenttäuschung gelegt, die Erwartungsbrüche primär über erzählte Handlung erzeugen. Im Anschluss daran können dann moderne narratologische Ansätze auf ihre Anschlussfähigkeit hin überprüft werden. Hierauf aufbauend kann der Frage nach den historisch-kulturellen Variablen von Komik nachgegangen werden, indem kontextorientierte Komiktheorien auf ihre Anschlussfähigkeit hin überprüft werden. Die lateinischen Poetiken und die im mittelalterlichen Schulunterricht zugänglichen Rhetoriken können die methodische Basis für die Frage nach möglicherweise bekannten narrativen Verfahren zur Komikerzeugung bilden. Die rhetorisch-poetologischen Anleitungen sollen für die narratologische Beschreibung Komik generierender Verfahren daher anschlussfähig gemacht werden. Gerade die in den Rhetoriken beschriebenen Verfahren stehen erzählerischen Verfahren zur Erzeugung von Komik besonders nah, da beide auf eine spezifische rezeptionsseitige Wirkung ausgerichtet sind. Wo die antike Rhetorik die

Komische. München 1976 [= Poetik und Hermeneutik 7], S. 165–189, Zitat S. 168) auch auf die Beiträge zur Komiktheorie von Bergson, Plessner, Jauß, Bachtin und Baudelaire. 108 Vgl. dazu Ueding, Gert: Rhetorik des Lachens. In: Vogel, Thomas (Hrsg.): Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Tübingen 1992, S. 24–44, S. 32; vgl. auch ders.: Rhetorik des Lächerlichen. In: Fietz, Lothar / Fichte, Joerg O. / Ludwig, Hans-Werner (Hrsg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens, S. 21–36. 109 Ueding, Gert: Rhetorik des Lachens, S. 32. 110 Ueding, Gert: Rhetorik des Lachens, S. 32 (Zitat) und 36.

2.2 Lachen-Machen und Komik

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Rezeptionslenkung primär innerhalb der Gerichtsrede ins Zentrum stellt, sind die Erzählverfahren, die Komik generieren, insoweit auf die Resonanz der Rezipienten angewiesen, wie das textuelle Verfahren nur innerhalb der Kommunikationssituation seine komische Wirkung erzielen kann – Komik bleibt ohne rezeptionsseitigen Respons ergebnislos. Neben den gängigen rhetorischen Mitteln erörtern die Rhetoriken und Poetiken schließlich auch, wie Komik darüber hinaus über erzählte Handlung erzeugt werden kann, und geben damit Aufschluss über den Autoren möglicherweise bekannte Erzählverfahren. Wiewohl der Fokus also gerade nicht auf sprachlichen Stilmitteln liegt, werden diese dennoch parenthetisch mitverhandelt, da sich die Grenzen oft nicht klar zeigen und es zu Überschneidungen kommt. Mir kommt es in der folgenden Durchsicht der Rhetoriken im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand des höfischen Romans auf Strategien an, die erzählte Handlung mittels enttäuschter Erwartungen komisch brechen – solche Verfahren korrelieren mit modernen inkongruenztheoretischen Modellen und lassen Kontinuität evident werden.111 Der Einfluss Aristoteles’ auf die auch in mittelalterlichen Texten eingesetzten erzählerischen Verfahren zur Komikerzeugung darf zwar als ideengeschichtlich relevant angenommen werden, eine nachweisbare Rezeption der aristotelischen Schriften zur Poetik schließt man aufgrund der Überlieferungslage jedoch aus.112 Auch der aus dem 1. Jh. v. Chr. stammende Tractatus Coislinianus, der als Rezeptionsstufe von Aristoteles’ Komödie gilt und in einer aus dem 10. Jahrhundert stammenden Handschrift überliefert ist, verweist auf keinerlei weiterführende Rezeption in betreffender Zeitspanne.113 Die Einflussnahme der aristotelischen Schriften ist somit einerseits belegt, andererseits jedoch deutet die nicht nachweisbare weiterführende Rezeption bis ins 13. Jahrhundert darauf hin, dass die

111 So auch schon Steinmetz, Ralf-Henning: Komik in mittelalterlicher Literatur, S. 265, der zeigt, dass die Erwartungsenttäuschung sowohl von Cicero als auch von Quintilian und von Galfried als Verfahren zur Erzeugung von Komik benannt wird. Vgl. dazu auch Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 37 (zum Documentum), S. 49 (zur Herenniums-Rhetorik) und S. 53 (zu Cicero). 112 Vgl. zum Verhältnis von Platon und Aristotelesʼ und deren Einfluss auf die antike Rhetorik Kablitz, Andreas: Lachen und Komik als Gegenstand frühneuzeitlicher Theoriebildung. Rezeption und Verwandlung antiker Definitionen von risus und ridiculum in der italienischen Renaissance. In: Fietz, Lothar / Fichte, Joerg O. / Ludwig, Hans-Werner (Hrsg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens, S. 123–153, hier S. 124 ff. 113 Zum Inhalt und seiner Beziehung zu Aristoteles’ Komödie vgl. Bareiß, Karl-Heinz: Comoedia. Die Entwicklung der Komödiendiskussion von Aristoteles bis Ben Jonson. Frankfurt a. M. [u. a.] 1982, S. 69 ff., zur Rezeption der aristotelischen Schriften S. 101 ff. Vgl. auch Flashar, Hellmut: Aristoteles, das Lachen und die alte Komödie. In: Jäkel, Siegfried / Timonen, Asko (Hrsg.): Laughter down the Centuries. Vol. 1., S. 59–70.

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2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie

poetischen Schriften auf die deutsche mittelalterliche Literatur höchstwahrscheinlich keinen direkten Einfluss nahmen. Für die Rhetorica ad Herennium hingegen kann als gesichert angenommen werden, dass sie den Unterricht im Mittelalter wesentlich geprägt hat. Hinsichtlich der Verfahren zur Erzeugung von Lachen hat SEEBER sie eingehend analysiert und dabei gezeigt, dass hier zum ersten Mal explizit Möglichkeiten genannt werden, um Lachen zu erzeugen.114 Im ersten Buch der Rhetorica ad Herennium ist aufgelistet, welche Mittel eingesetzt werden können, um die Aufmerksamkeit des vom Vorgänger gelangweilten Zuhörers zu erhaschen: Si defessi erunt audiendo, ab aliqua re, quae risum movere possit, ab apologo, fabula veri simili, immutatione, depravatatione, inversione, ambiguo, suspicione, inrisione, stultitia, exsuperatione, collatione, litterarum mutatione, praeter expectationem, similitudine, novitate, historia, versu, ab alicuius interpellatione aut adrisione[.]115

In der Aufzählung finden neben ausschließlich der Komikerzeugung dienenden Mitteln auch Stilmittel wie die Ironie oder die allegorische Erzählung Platz, deren wesentlicher Funktionscharakter kein komischer ist. Unter welchen Voraussetzungen diese Komik erzeugen, wird hier nicht erläutert. Neben bekannte stilistische Mittel treten Aspekte wie das Unerwartete und das Überraschende, die mit den Erwartungen der Zuhörer spielen und in diesem Zusammenhang Komik erzeugen können.116 Komik wird hier aufs Engste mit der Rezeption verschränkt und verweist auf die notwendig einzubeziehende Ebene der Kommunikationssituation. Im dritten Buch wird das Ansehen des Redners in Bezug auf das ‚Scherzen‘ bewertet. Dort heißt es:

114 Vgl. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 49 f. 115 Rhetorica ad Herennium. Lateinisch – Deutsch. Hrsg. und übers. von Theodor Nüßlein. 2. Aufl. Düsseldorf [u. a.] 1994 (= Sammlung Tusculum), Buch I, 10. In der Übersetzung der Ausgabe: „Wenn die Zuhörer vom Zuhören ermüdet sind, beginnen wir mit etwas, das Lachen erregen kann, mit einer allegorischen Erzählung, einer wahrscheinlich klingenden erdichteten Erzählung, einer Vertauschung, einer Entstellung, einer ironischen Spottrede, einer Zweideutigkeit, einer Verdächtigung, einer Verspottung, einer Albernheit, einer Übertreibung, einem Gleichnis, einer Vertauschung der Buchstaben, mit etwas Unerwartetem, mit einer Analogie, einer Überraschung, einer geschichtlich beglaubigten Erzählung, einem Vers, mit einem Zwischenruf oder dem beifälligen Lächeln von jemandem.“ 116 Vgl. dazu Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 49: Seeber klassifiziert manche Aspekte als „bekannte, allgemein anwendbare Stilmittel“, die innerhalb der Rhetorik des Lachen-Machens neu genutzt werden könnten, nennt jedoch nur ein Beispiel, das des Unerwarteten. M. E. jedoch zählen gerade das Unerwartete neben der Überraschung am wenigsten zu den gängigen Stilmitteln.

2.2 Lachen-Machen und Komik

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Docet igitur nos ipsa natura, quid oporteat fieri. Nam si quas res in vita videmus parvas, usitatas, cottidianas, meminisse non solemus, propterea quod nulla nova nec admirabili re commovetur animus; at si quid videmus aut audimus egregie turpe, inhonestum, inusitatum, magnum, incredibile, ridiculum, id diu meminisse consuevimus. Ut quod recens audivimus aut audimus, obliviscimur plerumque; quae acciderunt in pueritia, meminimus optime saepe; nec hoc alia de causa potest accidere, nisi quod usitatae res facile e memoria elabuntur, insignes et novae diutius manent in animo.117

Bereits SEEBER hat hierbei insbesondere die Normabweichung als ein Mittel herausgestellt, das der Redner einsetzen kann, um Lachen zu bewirken.118 Gemeinsam ist allen genannten Möglichkeiten eine Form der Abweichung von Normiertem, die jedoch jeweils nicht weiter konkretisiert wird. Festgehalten werden kann daher, dass geltende Normen wesentlich Anteil haben am Lachen-Machen, und dass Erwartungen gebrochen werden sollen, um zunächst Aufmerksamkeit zu lenken. Ciceros De oratore bietet wohl die detaillierteste antike Abhandlung über das Lachen-Machen. Dabei werden Gattungen eingeteilt, Kategorisierungen vorgenommen und deren Spielarten jeweils erörtert.119 Zunächst werden grund117 Rhetorica ad Herennium, Buch III, 35. In der Übersetzung der Ausgabe: „Uns lehrt also die Natur selbst, was getan werden muß. Denn wenn wir im Leben unbedeutende, gewöhnliche, alltägliche Dinge sehen, prägen wir uns diese gewöhnlich nicht ein, deswegen weil unser Sinn durch keine neuartige und bewundernswerte Sache beeindruckt wird; aber sehen oder hören wir etwas ausnehmend Schändliches, Unehrenhaftes, Ungewöhnliches, Bedeutendes, Unglaubliches, Lächerliches, so prägen wir uns dies gewöhnlich für lange ein. Aber was wir jüngst gehört haben oder hören, vergessen wir meistens; was sich in unserer Kindheit ereignet hat, das prägen wir uns oft am besten ein; und das kann aus keinem anderen Grund vorkommen als deswegen, weil gewöhnliche Vorkommnisse leicht aus der Erinnerung entschlüpfen, auffällige und neuartige länger im Sinn haften.“ 118 Vgl. dazu Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 50. 119 In der Forschung herrscht Uneinigkeit über die Zuteilung und Bewertung der einzelnen Mittel, wie auch über die der Aufzählung vorausgeschickten und somit übergreifend gültigen Ausführungen. Hinsichtlich der Anzahl und Auslegung der von Cicero angeführten Möglichkeiten differieren verschiedene Lesarten, die zu unterschiedlichen Einteilungen führen und damit teilweise differente Möglichkeiten der Komikerzeugung eruieren. Dies zeugt von der Uneindeutigkeit der Einteilung und Unklarheit bezüglich der Grenzziehung zwischen verschiedenen Formen, die De oratore anbietet, aber zugleich auch von der Schwierigkeit, die unklaren Zuordnungen in ein System zu bringen, das den Anspruch erheben könnte, Klarheit in die Diffizilität zu bringen. Bareiß unterscheidet elf Formen des Wortwitzes und sieben Formen des Witzes, die in der Sache liegen. Wortgebundene Formen sind (1) Zweideutigkeit (II, 250), (2) Erwartungsenttäuschung (II, 255), (3) Paronomasie (II, 256), (4) witzige Namensdeutung (II, 257), (5) Einschaltung eines mitunter leicht veränderten Verses (II, 257), (6) Sprichwörter (II, 258), (7) wörtlich nehmen, was figurativ gemeint ist (II, 259), (8) Allegorie (II, 261), (9) Metapher (II, 261), (10) Ironie (II, 261), (11) witzige Gegenrede (II, 263); sachgebundene Formen sind (1) Karikatur (II, 266), (2) Vorstellung (II, 269), (3) Unter- oder Übertreibung (II, 267), (4) Euphe-

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legend Definition und Quellen des Lächerlichen differenziert. Dabei betont schon Cicero die enorm schwierige Systematisierung aufgrund der zahlreichen

mismus (II, 272), (5) bewusstes Missverstehen (II, 275), (6) Paradoxon (II, 281), (7) unerwartete Wendung (II, 284) (vgl. Bareiß, Karl-Heinz: Comoedia, S. 84 ff.). Jakobs indes teilt die wortgebundene Komik in 15, die sachgebundene in 28 verschiedene Möglichkeiten der Erzeugung ein. Erstere umfassen (ich orientiere mich hier an der Übersetzung von Merklin, entsprechende lateinische Stellen bei Jakobs) (1) Nachahmung (II, 252), (2) Grimassenschneiden (II, 252), (3) Zote (II, 252), (4) Zweideutigkeiten (II, 253), (5) Erwartungsenttäuschung (II, 255), (6) angreifende Aufnahme eines Stichwortes des Gegenübers in die Rede (II, 255), (7) leichte Veränderung eines Wortes (II, 256), (8) etymologische Herleitung eines Namens (II, 257), (9) veränderte oder gleichlautende Übernahme eines Verses oder eines Teils desselben (II, 257), (10) Sprichwörter (II, 258), (11) Wörtlichnehmen (II, 259), (12) allegorische Redeweise (II, 261), (13) übertragener Wortgebrauch (II, 261), (14) ironische Formulierungen (II, 261), (15) gegensätzliche Verwendung von Worten (II, 263). Sachgebunden sind (1) Anekdote (II, 264), (2) Fabel (II, 264), (3) Ähnlichkeiten, die Entsprechungen oder Abbilder zeigen (II, 265), (4) Missgestalt/ körperliche Gebrechen oder Ähnlichkeit mit Hässlichem (II, 266), (5) positive Übersteigerung zur Herab- oder Heraufsetzung (II, 267), (6) Andeutung (II, 268), (7) Ironie (II, 269), (8) Bezeichnung von Mängeln mit schönen Worten (der Ironie verwandt) (II, 272), (9) bewusstes Missverstehen (II, 273), (10) ungereimte Äußerungen (II, 274), (11) vorgetäuschte Dummheit (II, 274), (12) vorgetäuschte Dummheit kluger Leute (II, 275), (13) bei Unverständnis den Anschein erwecken, als verstünde man (II, 275) – wobei (11) und (12) m. E. das selbe bezeichnen, (13) nur eine Variante desselben ist –, (14) Wendung, die einen Witz mit demselben Witz entlarvt (II, 277), (15) Andeutung eines Witzes (II, 278), (16) vorgetäuschte Mürrischkeit und Griesgrämigkeit (II, 279), (17) Geduld und Gelassenheit (II, 279) – interessanterweise werden hier Charaktereigenschaften zu Möglichkeiten sachgebundener Komik –, (18) witzige Kritik der Dummheit (II, 280), (19) Dingen eine andere als ihre wirkliche Bedeutung verleihen (II, 280), (20) etwas, das nicht zusammenpasst (II, 281), (21) einem freundlich vorhalten, ob er sich nicht irre (II, 281), (22) freundschaftliche Ermahnung bei der Erteilung eines Rats (II, 282) – auch (21) und (22) sind m. E. Varianten von bzw. Beispiele für (20) –, (23) witzige Äußerungen, den Charakter betreffend (II, 283), (24) Unerwartetes (II, 284), (25) dem Gegner mit Witz das einräumen, was er selbst einem abspricht (II, 286), (26) formelhafte Wendung (II, 286), (27) unerfüllbarer Wunsch (II, 287), (28) unpassende Antworten (II, 287) (vgl. Jakobs, Béatrice: Rhetorik des Lachens und Diätetik in Boccaccios Decameron, S. 56 ff.). Chalkomatas teilt die wortgebundenen Witze in acht Kategorien ein, hinsichtlich der sachgebundenen Komik jedoch zählt er 27, wobei durch drei weitere Aufgliederungen 30 Möglichkeiten zur Erzeugung sachgebundener Komik gezählt werden. Er differenziert und erweitert die Zählung von Jakobs wie folgt: Missgestalt / körperliche Gebrechen oder Ähnlichkeit mit Hässlichem (II, 266) werden nicht als eigene Möglichkeit gezählt, ungereimte Äußerungen (II, 274) und vorgetäuschte Dummheit (II, 274) fallen zusammen, wie auch die vorgetäuschte Dummheit kluger Leute (II, 275) mit dem Unverständnis, das den Anschein erwecken soll, als verstünde man (II, 275); erweitert werden drei Möglichkeiten: (1) Verwünschungen, (2) Komplimente, (3) Drohungen (II, 288) (vgl. Chalkomatas, Dionysos: Ciceros Dichtungstheorie. Ein Beitrag zur Geschichte der antiken Literaturästhetik. Berlin 2007 (= Klassische Philologie 3), S. 142 ff.). Seeber nimmt die Einteilung nur für Wortwitze vor und zählt acht Möglichkeiten: (1) Ambiguität (II, 253), (2) Erwartungsenttäuschung (II, 255), (3) geringfügige Veränderung eines Wortes in der Wiederholung, um einen neuen Sinn zu

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Spielarten und problematisiert den – noch heute virulenten – Versuch der Definition des Lächerlichen im Rahmen der theoretischen Auseinandersetzung und klammert diesen gezielt aus.120 Humor als charakterliche Disposition schließt Cicero ebenfalls kategorisch aus der Systematisierung aus.121 Ähnlich dem aristotelischen Diktum verschränkt auch dieser das Komische ganz allgemein zunächst vorrangig mit dem Hässlichen und der Missgestalt; das Lächer-

kreieren (II, 256), (4) pseudo-etymologische Namensableitung (II, 257), (5) Sprichwörter (II, 258), (6) simuliertes Unverständnis (II, 259), (7) translatio (II, 261), (8) inversio (II, 260) (vgl. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 52, Anm. 94). Eine eindeutige Zuordnung und Einteilung der einzelnen Verfahren zu beiden Bereichen ist erschwert durch eine eingeschobene Auflistung von vier Spielarten des Komischen. Diese schwer einordbare, den Arten des Wortwitzes vorausgehende Aufzählung bleibt in den meisten Untersuchungen ohne eindeutige Zuordnung oder gar außen vor. Dem folgt die Auflistung der Arten, wovon erstere im Anschluss erläutert wird, die übrigen drei nicht weiter thematisiert werden: (1) Ambiguität (II, 250), (2) Nachahmung (II, 252), (3) Grimassenschneiden (II, 252), (4) Zote (II, 252). Zweideutigkeit liege jedoch immer nur im Ausdruck und niemals in der Sache, ihre Wirkung sei besonders pointiert und es gebe verschiedene Arten hiervon (vgl. dazu Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 253 und 255). Aus diesen Arten geht dann die Erwartungsenttäuschung logisch hervor und bezeichnet so die erste Art der Komik, die in der Formulierung liegt: „Sed scitis esse notissimum ridiculi genus, cum aliud exspectamus, aliud dicitur[.]“ (In der Übersetzung der Ausgabe: „Ihr wißt freilich, daß die bekannteste Form der Komik dann gegeben ist, wenn etwas anderes gesagt ist, als wir erwarten.“) (Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 255) In Kombination mit der Erwartungsenttäuschung kann die Zweideutigkeit über den Effekt des bloßen Unerwarteten hinausführen. (vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 255). 120 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Zum Problem der Systematisierung: Buch II, 216–219, 227, zum Verweis der Definition des Komischen an Demokrit: Buch II, 235. Vgl. zur Definition literarischer Komik jüngst Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 2. Literarische Komik versteht er dabei als „Sonderfall“ und nicht als „Musterfall“ des Komischen (vgl. S. 5). 121 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 218 f. Buch II, 219: „Sed cum illo in genere perpetuae festivitatis ars non desideretur (natura enim fingit homines et creat imitatores et narratores facetos adiuvante et vultu et voce et ipso genere sermonis) tum vero in hoc altero dicacitatis quid habet ars loci, cum ante illud facete dictum emissum haerere debeat, quam cogitari potuisse videatur?“ (In der Übersetzung der Ausgabe: „Wenn man jedoch bei jener Art beständig heiterer Laune kein System braucht – die Natur formt ja die Menschen und macht sie mit Hilfe des Gesichtsausdrucks, der Stimme und sogar der Redeweise zu witzigen Nachahmern und Erzählern –, wo bleibt dann erst bei dieser anderen Art, dem Wortwitz, noch Raum für ein System? Ein solcher Witz muß ja heraus und sitzen, ehe der Eindruck entsteht, man habe ihn sich überlegen können.“) Formen humoristischer Rede entzögen sich der Systematisierung, weil die Bedingungen hierfür natürlicher Art seien. Den pointierten Einsatz von Humor ordnet Cicero dem Wortwitz zu. Der Wortwitz hingegen sei jedoch wieder artifiziell und bezeichne etwas Gemachtes.

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liche speise seinen gesamten Stoff aus dem Bereich menschlicher Fehler.122 Jedwede menschliche Fehlerhaftigkeit aber – das konkretisiert Cicero selbst nicht, es erschließt sich aber durchaus mit Blick auf die weiteren Ausführungen – konstituiert sich im Grunde als Bruch mit bestehenden Normen, die wiederum Einfluss haben auf die Erwartungen der Rezipienten. Auch Hässlichkeit und Missgestalt präsentieren sich so als Normabweichungen, insofern sie sich an bestehenden Erwartungen des Aussehens menschlicher Körpergestalt orientieren. Diese Normabweichungen erklärt Cicero zum Hauptmerkmal des Komischen.123 Gleichermaßen ließen sich darunter Fehler einordnen, die sich auf Handlungen beziehen, da auch diese letztlich Brüche mit normierten Handlungserwartungen zeigen. Fehlverhalten präsentiert sich als Gegensatz zu einem Wissen über regulierte Handlungsabläufe – wie sich die körperlichen Mängel als Gegensatz zu spezifischen Maßstäben zeigen, hier Schönheit und körperlich intakte Beschaffenheit. Inwieweit Komik schließlich dem Bereich des Menschlichen verhaftet bleibt, spezifiziert Cicero nicht. Cicero zählt weiterhin fünf Gattungen des Komischen: haec autem, quae sunt in re ipsa et sententia, partibus sunt innumerabilia, generibus pauca; exspectationibus enim decipiendis et naturis aliorum inridendis, ipsorum ridicule indicandis et similitudine turpioris et dissimulatione et subabsurda dicendo et stulta reprehendendo risus moventur.124

Neben Spott, Hässlichkeit, Ironie und Ungereimtheiten tritt an die erste Stelle die Erwartungsenttäuschung als eigene Gattung. Das zeigt abermals, welch enormer Stellenwert ihr im Rahmen des Lachen-Machens schon in der Antike beigemessen wird. Anders als Aristoteles, der die loci des Komischen in sachund handlungsgebunden unterteilt, unterscheidet Cicero sach- und formulierungsgebundene Kategorien des Komischen.125 Die Kategorie sachgebundener 122 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 238. 123 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 236. 124 Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 289. In der Übersetzung der Ausgabe: „Die Fälle aber, die auf der Sache und dem Gedanken selbst beruhen, sind den Arten nach unzählige, nach Gattungen jedoch nur wenige. Denn man erregt Gelächter, indem man Erwartungen täuscht, indem man anderer Leute Eigenart verspottet und sich über seine eigene lustig macht, durch Ähnlichkeit mit etwas Häßlicherem, durch Ironie und dadurch, daß man Ungereimtes sagt und Dummheit tadelt.“ 125 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 240: „Duo sunt enim genera facetiarum, quorum alterum re tractatur, alterum dicto[.]“ (In der Übersetzung der Ausgabe: „Es gibt ja zwei Arten des Witzes, von denen die eine in der Sache, die andere in der Formulierung liegt.“) Eine Einteilung in sprachgebundene und sach- und handlungsgebundene Komik nimmt schon der Tractatus Coislinianus vor. Vgl. dazu Bareiß, Karl-Heinz: Comoedia, S. 74. In der Rhetorik des Aristoteles findet sich eine ebensolche Trennung in komische Menschen, Worte oder

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Komik erreicht eine andere Ebene, auf der sie noch Aristoteles angesiedelt hat, da sie weitere Unterkategorien bildet, als da sind sprachgebundene sowie Figuren- und Handlungskomik.126 Dabei zeichne sich die wortgebundene Komik zunächst vornehmlich durch einen pointierten Ausdruck und Inhalt aus.127 Bemerkenswert ist, dass einige der genannten Mittel zur Erzeugung wortgebundener Komik erst in Kombination mit ihrer Sachgebundenheit Komik erzeugen, wie bspw. Ambiguität128, Sprichwörter, Metapher und Ironie. Generell zeigt sich, dass die meisten der genannten Mittel nicht genuin Komik erzeugen, sondern als Teil einer Komisierungsstrategie Komik erzeugen können. Auch das Täuschen von Erwartungen findet in dieser Kategorie seinen Platz und wird abermals als die bekannteste Form der Komik akzentuiert: „Sed scitis esse notissimum ridiculi genus, cum aliud exspectamus, aliud dicitur[.]“129 Bevor Cicero die einzelnen Spielarten sachgebundener Komik anführt, legt er grundsätzlich fest, dass sachbezogene Komik sich maßgeblich generiere, indem (1) bestimmte Charaktereigenarten in den Fokus gerückt würden oder wenn (2) durch – auch karikierende – Nachahmung auf Fehler aufmerksam gemacht würde.130 Entscheidend für die komische Wirkung sei hierbei jeweils die Intensität, die einen Sachverhalt bloß andeuten dürfe, der rezeptionsseitig erst vollendet würde.131 Diese von Cicero formulierte Voraussetzung meint letztlich

Taten. Vgl. Aristoteles: Rhetorik. Übers. u. hrsg. von Gernot Krapinger. Bibliographisch erg. Ausg. Stuttgart 2007 (= RUB 7828), Buch I, 11, 1371b, 35. Zum Rezeptionsverhältnis von Tractatus Coislinianus und Aristoteles Komödie vgl. Bareiß, Karl-Heinz: Comoedia, S. 69–76. 126 So auch Chalkomatas, Dionysos: Ciceros Dichtungstheorie, S. 142. 127 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 244: „In dicto autem ridiculum est id, quod verbi aut sententiae quodam acumine movetur[.]“ (In der Übersetzung der Ausgabe: „In der Formulierung aber wirkt der Effekt komisch, der durch eine bestimmte Pointe des Ausdrucks oder des Gedankens hervorgebracht wird.“) Alle weiteren Ausführungen hierzu beziehen sich jedoch nicht auf technische Möglichkeiten, sondern vielmehr auf die Angemessenheit der Verwendung (vgl. Buch II, 244–247). Vgl. auch Buch II, 248. 128 Auf die nicht primär an die Komik gebundene Wirkung verweist Cicero selbst. Vgl. dazu Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 250. 129 Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 255. In der Übersetzung der Ausgabe: „Ihr wißt freilich, daß die bekannteste Form der Komik dann gegeben ist, wenn etwas anderes gesagt ist, als wir erwarten.“ Ferner Buch II, 260: „Natura enim nos, ut ante dixi, noster delectat error; ex quo, cum quasi decepti sumus exspectatione, ridemus.“ (In der Übersetzung der Ausgabe: „Denn unwillkürlich amüsiert uns, wie ich vorhin sagte, unser Irrtum. Darum müssen wir lachen, weil wir uns gleichsam in unserer Erwartung getäuscht sehen.“) 130 Vgl. Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 240–243. 131 Auf die Bedeutsamkeit der Bedingung hat bereits Seeber verwiesen und belegt insgesamt vier Stellen, an welchen diese Prämisse wiederholt wird. Vgl. dazu Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 53, Belege der Textstellen Anm. 101.

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den für die Komik erforderlichen Inferenzprozess, der kulturelles Wissen als Erwartungen einbringt. Die Kategorie sachgebundener Komik inkludiert sowohl Sprach-, als auch Figuren- und Handlungskomik, wobei Sprachkomik sich hier nicht auf stilistische Mittel bezieht, sondern sprachliche Äußerungen meint, die erst in Kombination mit einer sachgebundenen Ebene Komik erzeugen.132 Die Figurenkomik bezeichnet eigentlich eine Form von Handlungskomik, insofern sie sich nicht auf Eigenschaften einer Person bzw. Figur wie Charakter oder Äußeres bezieht, sondern sich als Resultat komischer Handlung generiert. Gerade die Formen handlungsgebundener Komik, die nicht direkt auf die Gerichtsrede bzw. den Dialog ausgerichtet sind,133 bieten Anschlussmöglichkeiten für erzählerische Verfahren. Dass diese Verfahren für Erzähltexte besonders relevant werden können, ergibt sich aus dem einfachen Umstand, dass Erzählen immer Erzählen von Handlung bzw. erzähltes Handeln ist. 134 Erzählen von Handlung wiederum funktioniert vor der Folie von Wissen über normierte Handlungsabläufe; das normierte Wissen über Handlungen, Dinge o. Ä. ist somit grundsätzlich für Komik konstitutiv, wenn die Verfahren die Erwartungen der Rezipienten inkludieren. Die von Cicero beschriebenen Möglichkeiten können so gesehen fruchtbar gemacht werden für erzählerische Verfahren zur Komikerzeugung. Auf der Beschreibungsebene können sie dazu dienen, die in den höfischen Romanen angewandten Verfahren narratologisch beschreibbar zu machen.

132 Meine Zählung umfasst chronologisch folgende Mittel: (1) narratio (II, 264), (2) Fabel (II, 264), (3) Ähnlichkeit (II, 265), (4) Missgestalt/ Hässliches (II, 266), (5) Hyperbel (II, 267), (6) Andeutung (II, 268), (7) Ironie (II, 269), (8) Missverstehen (II, 273, 275), (9) Lächerlichmachen durch Wendung (II, 277), (10) verborgene Andeutung eines Witzes (II, 278), (11) witzige Kritik (II, 280), (12) Unzusammenpassendes (II, 281), (13) Äußerungen, die den Charakter betreffen (II, 283), (14) Erwartungsenttäuschung, die sich auf einen unerfüllbaren Wunsch, aber auch auf eine unpassende Antwort beziehen kann (II, 284). 133 Vgl. dazu Cicero, Marcus Tullius: De oratore, Buch II, 236. Die Komik dient Ciceros rhetorischen Überlegungen zufolge zunächst dazu, dem Redner Sympathie einzutragen und ihn als gebildet und klug auszuweisen. Diese eindeutig im Rahmen rhetorischer Überlegungen zu verortende Funktionsweise betrifft mehr die Funktion für den Redner, weniger eine innerhalb der Rezeption, die sich anschlussfähig machen ließe für narratologische Kategorisierungen. 134 Vgl. dazu Gert Hübners Ansatz einer praxeologischen Narratologie in Kap. 3.2. Der handlungstheoretische Ansatz Hübners unterscheidet sich von Ansätzen, die auf Erzählschemata zielen, darin, dass Erzählschemata ein „von konkreten Situationsarrangements abstrahierter Sinn zugewiesen“ wird und sich nicht auf „sinnkonstitutives kulturelles […] Handlungswissen“ bezieht, das „konkrete[] Situationsdetails […] als konstitutiv für den Sinn des erzählten Handelns“ begreift (Hübner, Gert: Historische Narratologie und mittelalterlich-frühneuzeitliches Erzählen. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 56 (2015), S. 11–54, S. 26 f.).

2.2 Lachen-Machen und Komik

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Schon Ciceros umfangreiche Überlegungen zeigen die Schwierigkeiten auf, die die Systematisierung von Komik noch heute bereitet. Die nur unpräzise mögliche Einteilung von Spielarten zu Kategorien und Gattungen und die oft nur mittels Beispielen beschreibbaren Verfahren werfen die Frage auf, ob ein Beschreibungsmodell literarischer Komik möglichst basale Verfahren fokussieren sollte. Ähnlich der modernen Einteilung in Inkongruenz-, Kontrast- und Überlegenheitstheorien, die eine Komplexitätsreduktion für die Verfahrensweisen vornimmt, um so eine Einteilung nahezu jedes komischen Phänomens in eine dieser Kategorien zu ermöglichen, bietet auch Ciceros Zuordnung differenter Verfahren zu den Kategorien und Gattungen zunächst eine möglichst offene und allgemeine Beschreibungssprache. Unter expliziter Bezugnahme auf Cicero benennt Quintilian in der Institutio oratoria drei causa des Komischen: neben dem (1) Lächerlichen bei anderen und (2) beim Redner selbst (3), das Täuschen von Erwartungen, das sich zwischen den beiden erstgenannten bewege, ohne direkt Teil hiervon zu sein.135 Parallel dazu legt Quintilian die loci des Komischen fest: Der Stoff des Lächerlichen schöpfe sich entweder aus dem (1) Körper des Gegners, (2) aus dem, was er tut und sagt, oder (3) aus etwas, das zwischen beiden ersten liege.136 Quintilians Kategorien des Komischen orientieren sich ebenso deutlich an Ciceros Einteilung in Wort- und Sachkomik, erweitern diese aber um Handlungskomik.137 Er versieht indes die Handlungskomik so mit einem höheren Stellenwert, der ihr bei

135 Vgl. Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. Hrsg. und übers. von Helmut Rahn. 2., durchges. Aufl. 2 Bde. Darmstadt 1988 (= Texte zur Forschung 2 und 3), Bd. 1, Buch VI 3, 24. 136 Vgl. Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners, Buch VI 3, 36 f. Vgl. hier auch die Gegenüberstellung von Cicero bei Kühnert, Friedmar: Quintilians Erörterung über den Witz (Inst. or. VI 3). In: Philologus 105 (1961), S. 29–59, S. 37 ff. Die Orientierung an Cicero könnte mithin der Grund für die fehlende Übereinstimmung sein. Viljamaa, Toivo: Quintilian’s Theory of Wit. In: Jäkel, Siegfried / Timonen, Asko (Hrsg.): Laughter down the Centuries. Bd. 1, S. 85–95, zusammenfassend S. 93, erwägt daneben die Möglichkeit einer intrinsischen Logik, die die Dreiteilung des Witzemachens mit den Prinzipien des Lächerlichen parallelisiert. Vgl. seine Einteilung der Quintilianschen Abhandlung auf S. 86 in drei Gründe für das Lachen: 1. Superiorität, 2. Absurdes, 3. Erwartungsenttäuschung; und deren Anwendung: 1. auf Kosten anderer, 2. auf Kosten des Redners selbst, 3. auf Dinge, die in der Mitte hiervon liegen. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 56 ff., zählt bei Quintilian gegenüber der Herenniums-Rhetorik und Cicero sieben Erweiterungen. Im Gegensatz dazu bewertet Bareiß eine Betrachtung der Erweiterungen gegenüber Cicero im Einzelnen noch als „unnötig“ (vgl. Bareiß, Karl-Heinz: Comoedia, S. 92). 137 Vgl. Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners, Buch VI 3, 22–24. Vgl. für eine Gegenüberstellung der einzelnen Passagen Kühnert, Friedmar: Quintilians Erörterung über den Witz. Bareiß, Karl-Heinz: Comoedia, S. 92, hat in diesem Zusammenhang Redundanzen für die Einteilung reklamiert: Jene erschöpfe sich in der Ausdehnung der Ciceronischen Einteilung, die

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Cicero als Unterkategorie sachgebundener Komik nicht zukommt. Als Subkategorien beziehen sich wort-, sach-, und handlungsgebundene Komik auf die voranstehende Dreiteilung und benennen Verfahren, die angewandt werden können, um das Lächerliche bei sich selbst bzw. beim anderen zu zeigen oder Erwartungen zu täuschen. Erwartungsenttäuschung konstituiert sich demnach als enttäuschender Handlungsablauf oder als eine der Erwartung zuwiderlaufende Aussage.138 Hatte schon Cicero die Erwartungsenttäuschung eigens zur Kategorie erhoben, ordnet auch Quintilian sie als Überkategorie ein und verleiht ihr damit immenses Gewicht. Dass Quintilian gerade die Erwartungsenttäuschung heraushebt und in seinen usus triplex integriert, verdeutlicht die bedeutsame Stellung für die Komik. Die antiken Rhetoriken stellen Normverletzungen und Erwartungsbrüche als wesentliche Mittel zur Komikerzeugung heraus.139 Darüber hinaus machen sie evident, welche enorme Wirkkraft von diesen Strategien in Verbindung mit handlungsgebundener Komik ausgeht. An die von UEDING für die Rhetorik des Lachen-Machens herausgestellte aptum-Verletzung als formale Bedingung und Strukturmerkmal von Komik lässt sich durchaus anschließen und die aptumVerletzung als Merkmal benennen, das auch für komische Handlungsbrüche verantwortlich ist, wie sie in den Rhetoriken beschrieben werden. Innerhalb moderner Theorien sind solche Verfahren Teil von Inkongruenzmodellen. Die rhetorischen Verfahren sind daher im Folgenden auf ihre Anschlussfähigkeit an moderne Parameter zu prüfen sowie deren Verankerung im kulturellen Kontext miteinzubeziehen, die die Rhetoriken ihrem Wesen gemäß aussparen.

2.3 Narratologie und Komik Komik gehört nicht zu den klassischen Kategorien der Narratologie. Die Gründe hierfür liegen zum einen in den nur schwer zu fassenden objektiven Strukturen, zum anderen erschwert die Anbindung der Strategien an den kulturhistorischen Kontext ihre Objektivierung. Bereits die strukturpoetologischen Überlegungen von HAUG stellen die Schwierigkeit ins Zentrum, die die Entwicklung einer adäquaten Methode zur Analyse von Komik im literarischen Text mit sich bringt

neben die sprach- und sachgebundene Komik noch das Komische, das getan und gesagt wird, stelle (vgl. Buch VI 3, 22 und 25). Ihm gelten beide Einteilungen als nahezu deckungsgleich. 138 Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners, Buch VI 3, 22–23. Diese zählt Seeber, Stefan: Poetik des Lachens, S. 56 übergreifend für die Erweiterung um die „unspezifische Gruppe der sog. rebus mediis“. 139 So auch Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen, S. 36 f.

2.3 Narratologie und Komik

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– abermalig potenziert für den mittelalterlichen Text, der sowohl aus der produktions- wie auch aus der rezeptionsseitigen Perspektive Anknüpfungspunkte vermissen lässt. HAUG bringt für die Analyse von Komik im mittelalterlichen Text die objektive Struktur des Komischen auf die kleinstmögliche formale Bedingung eines Kontrasts oder eines Widerspruchs, und bindet diese rezeptionsseitig an subjektive und historische Gegebenheiten rück.140 Was HAUG mit individuellsubjektiven und historischen Komponenten im Blick hat, sind die je historisch geltenden Normierungen, deren Verletzung das rezipierende Subjekt erfasst, damit der komische Bruch erst bewirkt wird. Da jene Komponenten jedoch subjektiv seien und sich demzufolge nicht objektivieren ließen, sei Komik, so seine Schlussfolgerung, per se nicht objektivierbar. Die Objektivierbarkeit von Komik versteht HAUG ganzheitlich samt der sinnstiftenden Rezeptionsleistung:141 Narrative Verfahren „[f]iktive[r] Komik“, die „spezifischen literarischen Bedingungen“142 unterliege, könnten herausgestellt werden, nicht aber ließen sich objektive Bedingungen auf subjektiver Seite erfassen, die die Basis für den objektiven komischen Widerspruch böten.143 Die rezeptionsseitige Verbindung von Komik und kulturhistorischem Kontext erscheint für HAUG so unauflöslich, auch weil sich das Lachen einer Objektivierung verweigere. Der Autor könne daher zwar „in gewisser Weise die Weichen für eine komische Rezeption […] stellen“144, diese aber nicht erzwingen. Die Krux, die HAUGS Überlegungen anleitet, besteht auf zwei Ebenen, wenn es um die Frage nach Komik als narratologischer Kategorie geht: Produktionsseitig eingesetzte narrative Verfahren können beschrieben und objektiviert werden, der subjektive Rezeptionsprozess, den HAUG im Blick hat, allerdings nicht. Auch STEFANIE AREND und DIRK NIEFANGER bekräftigen für die kulturhistorische Komponente von Komik: „Wenn das Komische an die Wahrnehmung eines Subjekts gebunden ist, dann wird es durch die Rezeption historisiert. Hieraus ergeben sich seine jeweiligen spezifischen Funktionen und Wirkungen.“145 Historizität sei Komik kulturell indiziert, weil das wahrnehmende Subjekt Komik unter Einbezug kulturhistorischer Spezifika seiner 140 Vgl. Haug, Walter: Das Komische und das Heilige, S. 258 ff. Vgl. auch ders.: Die Wahrheit der Fiktion, S. 347–356 (Kap. 1 ‚Die Lust am Widersinn: Chaos und Komik in der mittelalterlichen Kurzerzählung‘), S. 348 f. [vorher erschienen in ders.: Die Lust am Widersinn: Chaos und Komik in der mittelalterlichen Kurzerzählung. In: Lindemann, Dorothee / Volkmann, Berndt / Wegera, Klaus-Peter (Hrsg.): bickelwort und wildiu mære, S. 354–365]. 141 Vgl. Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion, S. 356. 142 Vgl. Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion, S. 350. 143 Vgl. Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion, S. 348. 144 Vgl. Haug, Walter: Das Komische und das Heilige, S. 261. 145 Arend, Stefanie / Niefanger, Dirk: Einleitung. Grenzen und Möglichkeiten einer kulturhistorischen Untersuchung des Komischen im 17. Jahrhundert. In: dies. / Borgstedt, Thomas/

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Lebenswelt perspektiviere.146 Historisch variable Normierungen könnten dennoch, so die Hypothese, ein Stück weit rekonstruiert werden und an die Stelle individueller Komponenten ein Modellleser treten.147 Das ihm zuzuschreibende historische Wissen über Normen könnte dann in Form historischer Wissensordnungen einbezogen und auf diese Weise subjektiv-individuelle Faktoren von historischen abgekoppelt werden. Bisher stehen sich universalistische und kontextorientierte Theorien gegenüber, da die universalistischen Modelle den kulturhistorischen Kontext zugunsten einer universalistischen Modellbildung ausblenden, demgegenüber die kontextorientierten Ansätze universale Verfahren ausschließen und allein den kulturhistorisch variablen Rezipienten in den Fokus stellen. Literarische Komik begründet sich, so die Leitidee, im Akt narrativer Kommunikation und changiert deshalb zwischen Narratologie und kontextorientierten Komiktheorien. Kontextorientierten literaturwissenschaftlichen Theorien zufolge basiert der Sinn von Texten nur in ihrer Relation zur Erfahrungswelt.148 Übertragen auf die dialogische Struktur von Komik fordere diese somit vom Rezipienten Inbezugsetzungen zur eigenen Erfahrungswelt ein, die den Sinn der Textwelt nur in Relation zur der dem Rezipienten zugehörigen Erfahrungswelt erfassbar machten.149 SIEGFRIED J. SCHMIDT schließt aufgrund dieser starken Anbindung an den kulturelKaminski, Nicola: Anthropologie und Medialität des Komischen im 17. Jahrhundert (1580–1730). Amsterdam [u. a.] 2008 (= Chloe. Beihefte zum Daphnis 40), S. 9–25, S. 15. 146 Vgl. Arend, Stefanie / Niefanger, Dirk: Einleitung, S. 14 f. 147 Anders Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen, S. 63 f., die im Anschluss an Iser und Seelbachs Modifikation über das Modell des idealen Lesers „zeitgenössische Normen und Konventionen“ und „ein abstraktes Wissen der laikalen mittelalterlichen Literatur“ (S. 64) einbindet. Rekonstruiert wird dieses Wissen über intertextuelle Modi. 148 Kontextorientierte Komiktheorien konzentrieren sich anders als andere kontextorientierte literaturwissenschaftliche Theorien nicht ausschließlich auf die Relation von Text und Wirklichkeit und nehmen die Bewertungen, die aus der Gegenüberstellung von Text – hier verstanden als Alternative zur Wirklichkeit – und Wirklichkeit resultieren, in den Blick, die schließlich die Gesellschaft infrage stellten (vgl. dazu Aumüller, Matthias: Art. Empirische und kognitivistische Theorien. In: Martínez, Matías (Hrsg.): Handbuch Erzählliteratur). Dazu auch Schmidt, Siegfried J.: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele, S. 179: „Die einem Text vom Rezipienten zugewiesene Bedeutung ist identisch mit der Bedeutung des Textes relativ zu dem vom Rezipienten für den Text erstellten Textmodell WT [d. h. dem Text zugeordnetes Weltmodell, Anm. d. V.] und dem vom Rezipienten in EW [d. h. Erfahrungswelt, Anm. d. V.] ausgewählten modellexternen Interpretationsteil […].“ 149 Vgl. dazu Schmidt, Siegfried J.: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele, S. 179: „Textrezeption ist also rekonstruierbar als ein Prozeß, in dem ein Rezipient gemäß seiner KVS [d. h. komplexe Voraussetzungssituation, Anm. d. V.] den für ihn erkennbaren Textanweisungen entsprechend dem Text ein Textweltsystem WT zuordnet, das im Fortgang der Lektüre laufend modifiziert und/oder bestätigt sowie erweitert wird, wobei dieses WT

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len Kontext über ihre dialogische Struktur eine ahistorische Bestimmung von Komik aus und betont demgegenüber ihre „soziokulturelle Relativität“.150 Das für Komik von SCHMIDT beanspruchte Text-Kontext-Modell inkludiert die historische Dependenz schon analytisch. Im Hinblick auf den vormodernen Text stünde damit die Frage nach Möglichkeiten der Rekonstruktion von realistischen Weltentwürfen im Raum. Auch DIETER LAMPING definiert Komik als „Kommunikationsphänomen“, das sich der Objektivierung verwehre, da ein für sich genommen literarisch komisches Objekt sich nicht bestimmen ließe, sondern erst seine Manipulation im literarischen Text es zu diesem mache.151 Komik sei ausschließlich als „Reaktionsphänomen“ zu verstehen, da der „Gegenstand […] nicht unbedingt immer komisch [ist]“, sondern aufgrund seiner Manipulation im literarischen Text erst komisch „wirkt“.152 LAMPING macht damit auf die Konstruiertheit literarischer Komik aufmerksam und rückt die narrativen Verfahrensweisen stärker in den Blick. Innerhalb der narrativen Kommunikationssituation wird sowohl für die produktions- wie auch rezeptionsseitige Objektivierung die Anbindung an den kulturhistorischen Kontext als Inferenzprozess relevant. Komik verstanden als eine Inferenzkategorie, lässt sich daher nur unter Rekurs auf ihre Anbindung an den kulturhistorischen Kontext adäquat erfassen. Der der Komik somit inhärente kulturhistorische Aspekt bleibt an die Rezeption gebunden, wird jedoch über dessen Teilhabe am narrativen Kommunikationsprozess wiederum auch produktionsseitig eingeholt. Zweifellos können dann universelle Mechanismen für komisierende Erzählverfahren eingesetzt werden, trotz des kulturhistorisch variablen Inferenzwissens. „Die Historizität liegt“, wie ELISABETH AREND konstatiert, „in der unterschiedlichen Art und Weise, mit der diese universellen Kerne in Texten […] gestaltet werden“153. Sie liegt außerdem, das wäre hier zu ergänzen, im Wissen, das im narrativen Kommunikationsprozess mitwirkt. Erzählverfahren und Inferenzwissen sind somit gleichermaßen kulturhistorisch abhängige Parameter, die auf universalen Mechanismen basieren. Literaturtheoretische Modelle versuchen auf unterschiedliche Weise, diese Abhängigkeiten in ihre Modellierungen einzubinden oder diese entschieden

laufend verglichen wird mit der EW des Rezipienten zum Rezeptionszeitpunkt, sowie mit anderen WT’s, die der Rezipient aus anderen Lektüren kennt.“ 150 Schmidt, Siegfried J.: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele, S. 168 f. 151 Vgl. dazu Lamping, Dieter: Ist Komik harmlos? Zu einer Theorie der literarischen Komik und der komischen Literatur. In: Literatur für Leser 17 (1994), H. 2, S. 53–65, hier S. 61. 152 Vgl. dazu Lamping, Dieter: Ist Komik harmlos?, S. 61. 153 Arend, Elisabeth: Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron, S. 31.

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auszuklammern. Dabei sind sie einerseits bestrebt, Funktionsweisen genuin literarischer Komik zu beschreiben, oder andererseits darauf bedacht, die Dependenz von kulturhistorischen Komponenten einzubinden. Wesentliche Anstöße, „Komik als Modell“ zu hypostasieren, gehen von der Konstanzer Schule aus. Im Zuge rezeptionsästhetischer Fragestellungen werden grundlegend Überlegungen zum „Generalisierungspotential“ von Komik angestellt,154 und historische Manifestationen von Komik zu Ausgangspunkten für verschiedene Generalisierungsmodi gemacht.155 Inwieweit historische Dependenz den Gegenstand selbst betrifft oder allein der Rezeption überantwortet werden kann, lässt sich aus rezeptionsästhetischer Perspektive vorrangig entweder über sprechakttheoretische Ansätze erfassen (vgl. Kapitel 3.2), oder über anthropologische Ansätze, die Lachen innerhalb von Verstehensprozessen als „Krisenantwort des Körpers“156 oder als Distanz erzeugendes oder negierendes Mittel verstehen157. Wie auch die Forschungsbeiträge zum Lachen zuweilen kulturanthropologische Erkenntnisinteressen verfolgen, stehen diese mitunter auch im Zentrum von Modellierungsvorschlägen literarischer Komik. Komik wird dabei als „Speicher kultureller Bedeutung“ begriffen, der „Einsichten in die jeweilige Kultur“ ermögliche.158 ANJA GERIGK entwirft einen kontextualistischen Ansatz, der im 154 Vgl. Preisendanz, Wolfgang / Warning, Rainer: Vorwort zu dies. (Hrsg.): Das Komische, S. 7–8, hier S. 7. 155 Vgl. dazu auch Horn, András: Das Komische im Spiegel der Literatur. Versuch einer systematischen Einführung. Würzburg 1988. Horn stellt ausgewählte theoretische Äußerungen über das Komische und komische literarische Texte zusammen, um einen Überblick über die Erscheinungsformen des Komischen in der Literatur zu geben. Literatur fungiere nicht als Beleg für Sonderformen des Komischen, vielmehr seien literarische Texte Zeugnisse einer „Reinkultur“ (S. 9) von Komik, weil sie jegliche Formen der Alltagskomik ausschließen würden. Horn bestimmt anhand diverser Theorien (von Platon bis Plessner) subjektive und objektive Parameter von Komik, um im Anschluss spezifische literarische ‚Wesensformen‘ des Komischen (Humor, Satire, Ironie, Sprachwitz und Komödie) zu analysieren. 156 Iser, Wolfgang: Das Komische: ein Kipp-Phänomen. In: Preisendanz, Wolfgang / Warning, Rainer (Hrsg): Das Komische, S. 398–402, S. 402. 157 Vgl. dazu Jauß, Hans Robert: Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden. In: Preisendanz, Wolfgang / Warning, Rainer (Hrsg): Das Komische, S. 103–132, insbes. S. 106 f. 158 Schäfer, Susanne: Komik in Kultur und Kontext. München 1996, S. 10. Schäfer folgt einer interkulturellen Fragerichtung. Interkultureller Transfer von Komik sei erschwert aufgrund der Verankerung von Komik innerhalb soziokultureller Systeme. Komik sei Ausdruck von Kultur, weil sie innerhalb dieser hervorgebracht und sogleich reflektiert werde (vgl. S. 35): „Das tendenziell universelle Wie des komischen Phänomens“ (S. 50, Herv. i. O.) würde kulturell divergieren. Neben strukturellen Universalien erkennt Schäfer außerdem solche der sozialen Beziehungen, situative und thematische (vgl. S. 47–55). Vgl. auch Lohse, Rolf: Überlegungen zu einer Theorie des Komischen. In: Philologie im Netz 4 (1998), S. 30–42. Lohse geht von universal gültigen transgressiven Strukturen aus, die dynamisch umgesetzt seien und deren

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Anschluss an NIKLAS LUHMANNS Systemtheorie eine allgemeingültige Formel des Komischen entwirft – „Komik ist Ambivalenz gegenüber der Organisationsform des Sozialen“ –, die die Funktion des Komischen als universalistische bestimmt, nicht ihre Form.159 Änderungen unterworfen seien schließlich die Strukturen, bedingt durch einen „Wechsel der sozialen Differenzierung“160. Damit wendet sie sich gegen universalistische Modelle, die auf textstruktureller Ebene objektivierbare Verfahren fokussieren, und plädiert stattdessen für eine Historisierung der Form, die schließlich von sozialen Organisationsformen abhängig bliebe.161 Was kontextorientierte Modelle beanspruchen, ist historische Abhängigkeit, die innerhalb der komischen Modellierung immer auch kulturelles Wissen miteinbezieht, unabhängig vom Generalisierungspotential und der genauen Verortung der Kontextabhängigkeit. Die kulturhistorische Relativität von Komik ist bedingt durch die für sie erforderlichen Inferenzprozesse. Kontextorientierung stellt jeweils die historische Abhängigkeit literarischer Komik in den Fokus und überantwortet diese dem Gegenstand, dem Verfahren, oder der Rezeptionssituation. Es bleibt im Rahmen narratologischer Analysemodelle zu fragen, inwieweit sich über Inferenzen eingebundene Wissensbestände diskursivieren lassen. Bisher gibt es bloß wenige Ansätze, die sich genuin literarischer Komik widmen und sich für die narrative Konstitution von Komik interessieren. Bestrebungen, die Verfahrensweisen literarischer Komik zu erfassen und zu beschreiben, finden sich vorwiegend innerhalb der Forschung zur Komödie. TOM KINDT hat aufbauend auf dem linguistischen Modell von VICTOR RASKIN und SALVATORE

Abhängigkeit von gesellschaftsabhängigen Verhaltensnormen und ästhetischen Regeln differente Realisierungen von Komik hervorbringen würde. Er richtet das Interesse dabei auf die gesellschaftsrelevanten Funktionen von Transgressionen mit dem Ziel, Mentalitäten zu rekonstruieren: „Es [das Erklärungsmodell, Anm. d. V.] ermöglicht […] die Rekonstruktion der Mentalitäten zu verschiedenen geschichtlichen Momenten oder an verschiedenen Orten.“ (S. 36) Dahingehend ähneln die Überlegungen denjenigen kulturanthropologischen Erkenntnisinteressen Jan-Dirk Müllers, die vor allem die Funktionen von Komik im Hinblick auf alltagskulturelle Normen fokussieren. 159 Gerigk, Anja: Literarische Hochkomik in der Moderne. Theorie und Interpretation. Tübingen 2008, Zitate S. 11, 48. Zwischen moderner und vormoderner Komik sei ein komiktheoretisch bedeutsamer Übergang festzustellen, der einer „stratifikatorischen Aufteilung in ungleiche Schichten (Antike, Mittelalter, Frühe Neuzeit) zur funktionalen Ausdifferenzierung der Moderne“ (S. 101) geschuldet sei. Über die Verbindung von Bachtins und Luhmanns Ansätzen ließe sich vormoderne Komik als Ambivalenz zu gesellschaftlichen Organisationsprinzipien fassen. 160 Vgl. Gerigk, Anja: Literarische Hochkomik in der Moderne, S. 11. 161 Vgl. Gerigk, Anja: Literarische Hochkomik in der Moderne, S. 17.

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ATTARDO für die Analyse narrativer Mechanismen von Witzen eine „Definition und Theorie literarischer Komik“ entworfen.162 Das Modell der General Theory of Verbal Humor (GTVH) basiert auf semantischen Inkongruenzen, die als Oppositionen von in den Texten selbst disponiblen Scripts entstehen.163 KINDT bestimmt

162 Vgl. Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 2. Ferner versteht sich die Studie als „Beitrag zum interdisziplinären Vorhaben der ‚Humorologie‘“ (S. 3 f.). – Der interdisziplinäre Ansatz der Humor Research Studies aus Komik- oder Humorforschung kommt jedoch an seine Grenzen hinsichtlich der historisch adäquaten Textinterpretation, insofern er auf psychologischen Modellen von Komikverarbeitung basiert. 163 Vgl. hierzu grundlegend: Attardo, Salvatore: Linguistic Theories of Humor. Berlin [u. a.] 1994 (= Humor Research 1); Raskin, Victor (Hrsg.): The Primer of Humor Research. Berlin [u. a.] 2008 (= Humor Research 8). Die GTVH gründet auf der 1985 von Raskin entworfenen Semantic Script Theory of Humor (SSTH), die zunächst nur die Textkategorie ‚Witz‘ in den Blick nimmt. Generell geht Raskin jedoch davon aus, dass die Theorie auch auf längere Texte angewandt werden kann. Anhand der Textkategorie ‚Witz‘ entwickelt er eine Theorie, die in der Hauptsache eine Script-Überlappung als Auslöser von Komik erachtet. Das Verhältnis zwischen zwei Scripts muss dabei oppositionell sein, sodass sich „two linguistic entities whose meanings are opposites only within a particular discourse and solely for the purposes of that discourse“ (Raskin, Victor: Semantic Mechanism of Humor. Dordrecht [u. a.] 1985, S. 108) überlagern. Der Wechsel von einem zunächst aktivierten Script zum alternativen, sekundären Script wird durch sog. semantic script-switch trigger ausgelöst. Vgl. dazu zusammenfassend Brône, Geert: Bedeutungskonstitution in verbalem Humor. Ein kognitiv-linguistischer und diskurssemantischer Ansatz. Frankfurt a. M. 2010 (= Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 79), S. 128–133. Vgl. auch Balzter, Stefan: Wo ist der Witz?, S. 45 ff., der anstelle des semantic script-switch im literarischen Kontext auf das Modell Bisoziation zurückgreift. – Eine Erweiterung um andere Genres erfolgt in der GTVH, die Raskin und Attardo gemeinsam entwickeln. Methodologische Ergänzungen weiten die SSTH um fünf sogenannte Erkenntnisressourcen aus, die neben der Script-Opposition zum Komikeffekt beitragen: Sprache, Narrative Strategie, Ziel, Situation, Logischer Mechanismus. Die Ressource Sprache und die Ressource Narrative Strategie beziehen sich auf die Wortwahl bzw. narrative Form und gehen davon aus, dass unterschiedliche Formulierungen bzw. narrative Formen beim Witz nicht zu einer Bedeutungsveränderung oder zum Verlust des komischen Effektes führten. Die Ressource Ziel nimmt die Zielrichtung – individuell, Sozialgruppen oder ideologische Strukturen betreffend – in den Blick. Die Situation als Wissensressource bezieht sich auf den jeweiligen Aufbau der fiktiven Welt des Witzes (und ist überdies für alle fiktiven Texte zutreffend); es geht hier um Inferenzen, die geschaffen werden und so zum Gelingen des Witzes führen. Der Logische Mechanismus benennt die Art und Weise, wie die beiden Scripts im Witz verknüpft werden, um den komischen Effekt zu erzielen. Der Logische Mechanismus ist die „eigentliche (partielle) Resolution“, und nicht der Mechanismus, der diese erst ermöglicht. Damit ist der Logische Mechanismus – so Brône – eine „rein kognitive Variable, und nicht als ein im sprachlichen Stimulus aufweisbares strukturelles Element definiert“ (Brône, Geert: Bedeutungskonstitution in verbalem Humor, S. 140). Die GTVH geht dort über die SSTH hinaus, wo sie die enge Fokussierung auf die Script-Opposition als einzigem Mechanismus aufbricht zugunsten u. a. sprach- und textstruktureller Aspekte und über rein linguistische Bedingungsfaktoren

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Inkongruenzvarianten als Grundformen literarischer Komik und differenziert hierbei zwischen der oppositionellen oder disparaten Verwendung mehrerer Scripts, um Komik zu erzeugen, und der devianten Verwendung eines einzelnen Scripts, dessen Verwendung wiederum extra-, inter- oder intratextuell beschaffen sein kann.164 KINDTS Theorie sprachlicher Komik zielt auf eine universalistische Modellierung ab, die Funktionsbestimmungen seitens des Produzenten und Rezipienten entschieden ausblendet und sich gegen kontextualistische Ansätze ausspricht.165 Der universalistische Ansatz zielt auf die „Definition, die im Kern in einer formalen Charakterisierung der stimulus-Seite textbezogener Komik-Ereignisse besteht“166. Im Anschluss an die GTVH definiert KINDT textuelle Komik als

hinauskommt. Vgl. weiterführend Brône, Geert: Bedeutungskonstitution in verbalem Humor, S. 140 ff.; zur Kritik der Erweiterung vgl. S. 152 ff. Im Rahmen narratologischer Ansätze für die Textgattung ‚Witz‘ schlägt Hühn, Peter: Witze als Erzählungen. Vorschläge zu einer Narratologie des Witzes. In: Schmidt, Johann N. / Sprang, Felix C. H. / Weidle, Roland (Hrsg.): Wer lacht, zeigt Zähne: Spielarten des Komischen. Trier 2014, S. 267–275 vor, die Struktur von Erzählungen bzw. Witzen anhand ihrer Ereignishaftigkeit, Perspektivtechnik und Sequenzstruktur narratologisch zu beschreiben. Für die Beschreibung greift er wiederum auf Frameund Script-Konzepte zurück: Bspw. sei die Herstellung von semantischer Kohärenz gestört durch die Kombination von nicht zueinander passenden Frames und Scripts (vgl. S. 269). Ereignishaftigkeit als Wende verursache dann Lachen. Vgl. jüngst Eisenberg, Benjamin: Aspekte der Komik-Analyse. Wie entsteht Sprachkomik? Duisburg 2020 (= Essener Schriften zur Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaft 12), der über die SSTH und GTVH hinaus unter Rückgriff auf Bühlers Spährenbegriff Strategien der Sprachkomik erfasst, die sich mit Scriptbasierten Modellen nicht erfassen ließen. Für die mediävistische Komikforschung hat es Andrea Grafetstätter fruchtbar gemacht. Vgl. Grafetstätter, Andrea: Der Held als Witzfigur: Artus und Dietrich im Spätmittelalter. In: Kuhn, Christian / Bießenecker, Stefan (Hrsg.): Valenzen des Lachens in der Vormoderne, S. 117–142. Komik entstehe, indem „[a]ntizipiertes und tatsächliches Verhalten […] als unvereinbare Scripts übereinandermontiert“ (S. 142) würden, das von Komik ausgelöste Lachen könne damit zur prinzipiellen Hypothese werden. Dabei fragt sie jedoch nicht danach, wie sich historisch absente Wissensbestände zu Scripts zusammenführen ließen. 164 Vgl. Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 154, Schaubild 3: Grundformen des Komischen in der Literatur 2. 165 Zur Kritik an kontextualistischen Theorien vgl. Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 10–24 (Kap. 1.1 ‚Zur Kritik des Kontextualismus‘). Gegen kontextualistische Ansätze sprächen laut Kindt nachstehende vier Hypothesen, die er aus kontextualistischen Ansätzen selbst ableitet: „(1) Komik und Theorie sind ‚wesensverschieden‘; (2) die vorliegenden Versuche einer allgemeinen Charakterisierung des Komischen sind unzulänglich; (3) die Gegenstände, die als komisch gelten, sind unterschiedlich; und (4) das Prädikat ‚ist komisch‘ wird uneinheitlich verwendet.“ (S. 13) Vgl. auch Gerigk, Anja: Literarische Hochkomik in der Moderne, S. 10. 166 Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 29 (Herv. i. O.).

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Dualismus zweier Scripts: „Eine Textpassage soll genau dann gerechtfertigt als ‚komisch‘ gelten, wenn es in ihr durch die Verwendung oder Verbindung von scripts zu Inkongruenzen kommt […].“167 Jedoch, und das hat auch ANDREA GRAFETSTÄTTER bei der Übertragung des Script-Konzepts auf den historischen Gegenstand nicht ausgelotet, ist die Rekonstruktion von Scripts begrenzt, da diese auf historischem Wissen basieren, das sich nur bedingt rekonstruieren lässt.168 Scripts als Basis einer historischen Analyse werden dort wieder zu hermeneutischen Kategorien und folglich interpretativ, wo die dem Script-Konzept inhärente und somit unerlässliche empirische Überprüfung jeglicher Grundlage entbehrt. Kognitive Konzepte sind schließlich in der Anwendung für die Analyse historischer Texte zwangsläufig Produkte hermeneutischer Interpretation und verweigern sich gerade deshalb als Instrument für die Analyse vormoderner Texte. 169 ScriptKonzepte verlangen empirische Überprüfbarkeit und scheitern demzufolge hinsichtlich ihrer Anwendungsmöglichkeiten am mittelalterlichen Text. Es steht außer Frage, dass die Zusammenstellung disparater Scripts eine „Bedingung textstruktureller Art“170 ist, die ein transhistorisch gültiges Verfahren der

167 Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 137. 168 Kritisch auch Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen, S. 41, Anm. 53: Kindt stelle „eine pragmatisch orientierte Inkongruenz-Theorie vor, die allerdings kaum den historischen Gegebenheiten Rechnung trägt und dementsprechend für die Identifizierung und Interpretation mittelalterlicher Komik nur wenig ertragreich sein kann.“ Stattdessen modelliert sie ein Beschreibungsmodell zwischen Rezeptionsästhetik, Intertextualität und der Kategorie Figur. 169 So auch schon Hübner, Gert: Tugend und Habitus. Handlungswissen in exemplarischen Erzählungen. In: ders. / Schöner, Petra (Hrsg.): Artium conjunctio. Kulturwissenschaft und Frühneuzeit-Forschung. Aufsätze für Dieter Wuttke. Baden-Baden 2013 (= Saecvla Spiritalia 48), S. 131–161, S. 155, Anm. 36: „Frames und scripts sind […] in den kognitiven Wissenschaften Hypothesen, die experimentell an Probanten [sic!] geprüft werden. Überträgt man diese Konzepte auf historische Objekte, werden sie zu hermeneutischen: Interpreten definieren sie, ohne sie an Probanten [sic!] überprüfen zu können; überprüfbar sind nur ihre Konsequenzen in kulturellen Artefakten. […] Weil ‚kognitive‘ Konzepte bei der Übertragung auf historische Gegenstände unweigerlich zu hermeneutischen werden, scheinen mir von vornherein hermeneutisch konzipierte Konzepte die ehrlichere Option zu sein: Wenngleich sie vielleicht weniger up to date wirken, gaukeln sie doch nicht vor, etwas anderes zu sein als interpretative Beobachterkonstrukte.“ Das gilt auch trotz des erweiterten Begriffs bei Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 72. 170 Vgl. Kindt, Tom: Literatur und Komik, S. 138: „[S]ie [die Explikation, Anm. d. V.] setzt allerdings zugleich voraus, dass bei ihrer Applikation auf historisches Wissen und rezeptionsprozessuale Modellvorstellungen rekurriert wird. Anders gesagt: Ob in einem Text eine Inkongruenz […] zu finden ist […], soll vielmehr als eine Frage verstanden werden, die es aus der Perspektive eines zeitgenössischen, durchschnittlich informierten und kognitiv gewöhnlich begabten Rezipienten zu beantworten gilt.“ Wie sich solche Wissensbestände zeitgenössischer Rezipienten aber rekonstruieren lassen, erörtert Kindt nicht.

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Komikerzeugung benennt. Die Scripts selber aber sind historisch gebundene Manifestationen von Wissensbeständen, ohne deren Kenntnis Komik schließlich auch nicht erkannt werden kann. Für die historisch-narratologische Textanalyse müsste der scripttheoretische Ansatz historisiert werden, indem das den Scripts inhärente Wissen rekonstruiert würde und zugleich in der Beschreibungssprache die empirische Überprüfbarkeit gar nicht erst suggerierte. KARLHEINZ STIERLE hat – ebenfalls mit Blick auf die Komödie – ein Modell vorgeschlagen, das die formale Disposition Komik generierender Verfahren narratologisch beschreibbar macht, ohne diese an kognitionswissenschaftliche Modelle anzubinden. Hierfür kombiniert er sprachhandlungstheoretische Überlegungen mit soziologischen Ansätzen der Handlungstheorie. Einerseits könne der Text so in seine kulturhistorische Dynamik von Situation, Handlung und Kontext zurückgeführt werden und andererseits ließe sich der Text gleichermaßen als Sprachhandlung innerhalb von kulturellen Zeichensystemen erfassen.171 Auf dieser Basis könnten Strukturen des Sprachkomischen nur als Strukturen des sprachlichen Handelns beschrieben werden, wobei letztere angewiesen blieben auf die Beschreibung auf der Ebene der Handlung selbst.172 Da sich fiktionale Texte durch den sekundären Gebrauch pragmatischer Kommunikationsmodi bestimmten, resultiere das Scheitern dieser Kommunikation in ihrem komischen Zusammenbruch.173 Damit verankert STIERLE den Ort der Komik genuin in der „Welt des Handelns“ und schließlich in der „Welt des im Handeln manifestierten Sinns“.174 Gerade im Moment des komischen Scheiterns ließen sich „Handlung und sprachliche Äußerung in ihrer Gemeinsamkeit als sinntragende Struktur bestimmen“.175 Die Theorie des Komischen manifestiere sich als Komplement einer Theorie des Handelns, da die Struktur der Handlung die Struktur der Komik bedinge. Demzufolge wäre das Komische auf seine „Poetik des Handelns“ hin zu befra-

171 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung. Grundlagen einer systematischen Literaturwissenschaft. Neue, veränd. und erw. Auflage. München 2012, S. 56. 172 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie. In: Preisendanz, Wolfgang/ Warning, Rainer (Hrsg): Das Komische, S. 237–268, hier S. 238. 173 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 237. 174 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 238. 175 Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 238.

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gen.176 Diese von STIERLE exponierten Grundparameter richten das Interesse auf die Frage, wie eine Handlung erzählt werden muss, damit sie komisch ist. STIERLE kommt es dabei insbesondere darauf an, dass solche Bestimmungen sich nur treffen lassen, wenn der Text in seine historische Text-Kontext-Relation gestellt wird. Grundlegend hierfür ist die historisch-hermeneutische Zielrichtung seiner systematischen Literaturwissenschaft.177 Diese kombiniert JOHN L. AUSTINS und JOHN SEARLES Sprachauffassung als Form von Handeln im Medium der Sprache mit MAX WEBERS Theorie des sozialen Handelns, mit der sich durch Wiederholung von Handlungen typisierende Regelmäßigkeiten ableiten ließen, die in ihrer Bezeichnung selbst schon ein „Bündel von Bedingungen“ für diese Handlung trügen.178 STIERLE entwirft damit eine Texttheorie auf sprachhandlungstheoretischer Grundlage, um der historisch-hermeneutischen Literaturwissenschaft ein Instrument zu geben.179 Über AUSTIN und SEARLE hinausgehend ist nicht weiter der Satz, sondern vielmehr der Text bzw. der Diskurs der Ort des Sprechaktes.180 Historische Differenzen könnten so sichtbar werden, indem der Text nicht bloß als Resultat, sondern als „Residuum […] in die Dynamik des Verhältnisses von Situation, Handlung und Kontext zurückgeführt“ wird und so seinen Charakter als sprachliche Handlung behält.181 Der Kontext als Zentralproblem bleibt der systematischen Literaturwissenschaft dann ebenso inhärent wie der Sprechakttheorie.182 Für die Kombination von Handlungstheorie und Sprach-

176 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 238. 177 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 21: Der Text ist so gesehen „eine besondere Form des Sprachgebrauchs und die Literatur eine besondere Form des Textes“, weshalb systematisch betrachtet differenzierter und elementarer Sprachgebrauch untrennbar sind. Letzten Endes zielen Stierles Überlegungen auf das Drama. Das Drama fordert den Zusammenhang von Handlungstheorie und Handlungspoetik unerlässlich ein, da es implizit eine Theorie des Handelns voraussetzt. Die zentralen Aspekte, an denen Handlungstheorie ansetzt, sind auch im Drama diejenigen, an die Konzepte der Handlungsweltdarstellung im Drama anknüpfen. Dabei wird die Handlung als historische zur Tat und bezeichnet so eine Handlung mitsamt ihren Bedingungen und Folgen, die ihren Sinn innerhalb der historischen Welt bestimmen. Im Gegensatz zu Handlungen ist die Darstellung von Taten nur im narrativen Text möglich, die Handlung findet somit im fiktionalen Text als Tat ihr Reflexionsmedium. Diese Annahme lässt sich gleichermaßen auf den epischen Text übertragen (vgl. S. 274–276). 178 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 8–11, Zitat S. 11. 179 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 13. 180 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 22. 181 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 13 f., Zitat S. 14. Hier bezieht er sich auf Hegel. 182 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 23.

2.3 Narratologie und Komik

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handlungstheorie, die beide gleichermaßen kulturelle Zeichen bemühen, orientiert sich STIERLE an ALFRED SCHÜTZ, der – sich auf WEBERS Theorie des sozialen Handelns beziehend – den Sinn von Handlungen in der vorab entworfenen Handlung manifestiert; in diesem Verständnis fungieren Erfahrungsschemata als Deutungsschemata.183 Sinn haben sprachliche Handlungen erst dann, wenn sie sich benennen lassen und damit habituell sind.184 STIERLES Modell ist somit grundsätzlich kontextorientiert und nimmt die Relation von Text und historischem Kontext sowie das Einbringen von Sinn aus der faktualen in die fiktionale Textwelt in den Blick. In diesem Aspekt lassen sich STIERLES Überlegungen anschlussfähig machen für die historisch-hermeneutisch verfahrende Rekonstruktion von Scripts, denen ein Wissen um spezifische Handlungsabläufe inhärent ist. Wo Komik sich über deviante Scripts generiert, braucht es Modellierungen ‚historischer Scripts‘, um sie zu erkennen und zu beschreiben. Komik definiert STIERLE als Scheitern einer Handlung, das durch „Fremdbestimmtheit“, d. h. ein plötzliches Moment von Störung, verursacht wird, und das die erzählte Handlung als „Unhandlung“ präsentiert, während sie dabei den Schein der Handlung bewahrt – diese notwendige Gleichzeitigkeit ist Voraussetzung für Komik.185 Als Bezugsebene für die Fremdbestimmtheit fungiert der kulturelle Kontext.186 Damit die scheiternde Handlung als Unhandlung aber erkennbar wird, muss sie sich zur Handlungsintention konträr verhalten, anderenfalls präsentierte sie nur eine alternative Handlung.187 An dieser Scharnierstelle setzt die Frage nach einem historisch zu verortenden Wissen um Spezifika von Handlungsabläufen an, da sich über deren Scheitern nur Aussagen treffen lassen, wenn die Regularitäten der Handlungsabläufe zugrunde gelegt werden. Die die konträre Handlungsintention erst erkennbar machende „Folie“, die eine Unterscheidung von Handlung und Unhandlung erst erlaubt, ist STIERLE zufolge der dargestellten scheiternden Handlung selbst inhärent, die scheiternde Handlung

183 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 47 f. 184 Vgl. Stierle, Karlheinz: Text als Handlung, S. 57. 185 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 239 f. Jakobi, Carsten: Unfreiwillige Komik, S. 157 spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls von Scheitern, das sich jedoch nur zeige als „Dementi [einer] Prätention“. Jene Prätention ist dann vergleichbar mit der von Stierle ins Spiel gebrachten notwendigen Kontrastfolie; beide müssen zwingend eingebracht werden, um Komik zu erzeugen. 186 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 254 f. 187 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 240.

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2 Lachen und Komik zwischen Rhetorik und Narratologie

bezeichnet sie metonymisch selbst.188 Was STIERLE hier mit der metonymischen Folie benennt, steht Script-Konzepten im Prinzip sehr nahe, insofern hiermit an Handlungsabläufe gebundene typisierte Regelmäßigkeiten gemeint sind, die dem Handlungsablauf ein Bündel an Bedingungen bereitstellen und somit den an die Handlung gebundenen Sinn transportieren. Im Modell STIERLES bleibt das für die Einsicht des Rezipienten vorausgesetzte Wissen jedoch als Ergebnis hermeneutischer Interpretation erkennbar, insofern die metonymische Folie ihre hermeneutische Konstruiertheit von vornherein offenlegt.189 Im Gegensatz zu der den scripttheoretischen Überlegungen der GTVH zugrundeliegenden Voraussetzung zweier Scripts, die sich überlagern oder überlappen, zumindest aber in Opposition stehen, zielt die metonymische Selbstbezeichnung auf nur ein Script, das gewissermaßen verdoppelt ist – die erzählte Handlung ist nur die gescheiterte Variante desselben Scripts. KINDT bezeichnet das als deviante Script-Verwendung und beansprucht mit Devianz in diesem Zusammenhang eine empirisch überprüfbare Rückbindung an den historischen Kontext. Erzählte Handlung kann nur innerhalb von Bewertungszusammenhängen Sinn erhalten; das macht Handlungen nolens volens abhängig von historischen Sinnangeboten.190 Hierfür fordert erzählte Handlung grundsätzlich Inferenzwissen ein, das in STIERLES Modell mittels der metonymischen Lesung der erzählten Handlung eingespeist wird. Einerseits können so narrative Strukturen beschrieben werden, die Inferenzen einfordern und lenken, und zugleich müssen diese eingeforderten Inferenzwissensbestände herauskristallisiert werden, um die metonymische Folie zu rekonstruieren, die für den Handlungsablauf maßgeblich ist. Wo KINDTS Analysekategorien sich intentional einer kontextorientierten Perspektivierung versagen, fordert STIERLES Beschreibungsinstrument unter Rückgriff auf die Metonymie eine Form kultureller Kontiguität ein. STIERLES Terminologie bietet gegenüber script-basierten Modellen die Chance, der hermeneutischen Rekonstruktion von ‚historischen Scripts‘ nicht das Kleid der Empirie anzuziehen.191 KINDTS Theorie literarischer Komik integriert Scripts, um Komik historisch angemessen zu begegnen. Scripts – und ebenso Frames – als Basis einer historischen 188 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 244 f. 189 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 244. 190 Vgl. Stierle, Karlheinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie, S. 245. 191 Vgl. kritisch gegenüber kognitiven Ansätzen in den Literaturwissenschaften: Zymner, Rüdiger: Körper, Geist und Literatur. Perspektiven der ‚Kognitiven Literaturwissenschaft‘ – eine kritische Bestandsaufnahme. In: Huber, Martin / Winko, Simone (Hrsg.): Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes. Paderborn 2009, S. 135–154.

2.3 Narratologie und Komik

67

Analyse werden letztlich aber zu hermeneutischen Kategorien, weil ihnen eine empirisch überprüfbare Grundlage fehlt.192 Die Frage nach den Sinnpotentialen von erzählten Handlungen – als Resultat des Verhältnisses von erzählter Handlung und kulturellem Wissen – bleibt schließlich eine interpretatorisch zu beantwortende, weil diese Sinnpotentialen aus den Texten selbst rekonstruiert werden müssen. Beide Entwürfe diskutieren ihre Anwendungsmöglichkeiten im Rahmen einer Historischen Narratologie – selbstredend ihren Gegenständen geschuldet – nicht. Innerhalb einer Historischen Narratologie hat GERT HÜBNER mit seinem histoire-narratologischen Ansatz einer praxeologischen Narratologie eben diese nicht-diskursivierten Wissenshorizonte im Blick. Grundsätzlich meint er damit Wissensformen, die Konfigurationen von Scripts ähnlich sind. Im Folgenden soll Komik vor dem Horizont der bisher skizzierten Problemfelder als Kategorie einer Historischen Narratologie ausgelotet werden. Dabei stehen sowohl produktionswie rezeptionsseitige Komponenten von Komik im Zentrum, da über erzählte Handlung generierte Komik auf Handlungsdispositiven und an diese Dispositive gebundenem Handlungswissen basiert.

192 Vgl. dazu auch Anm. 169.

3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie 3.1 Historische Narratologie und Komik Eine Untersuchung, die Komik einerseits als narratologische Kategorie bestimmen und diese andererseits an mittelalterlichen Erzähltexten erproben will, bewegt sich unweigerlich im Forschungsfeld der Historischen Narratologie. Komik generierende narrative Verfahren in vormodernen höfischen Texten zu analysieren, wird schon durch den Umstand erschwert, dass Komik in der Narratologie per se keine gängige Kategorie ist. Unter diesen Prämissen gewinnt die von MARIA E. MÜLLER im Zusammenhang der Debatte um das Format einer Historischen Narratologie gestellte Frage, ob sich Komik generierende narrative Techniken beschreibbar machen lassen, an immensem Wert.193 MÜLLER konturiert das Komische ebenfalls als „historisch wandelbares, in vielfältigen Ausdrucksformen erscheinendes Phänomen, das von soziokulturellen Kontexten determiniert wird“194, und hebt damit die enge Bindung von Komik an ihren jeweiligen kulturellen Kontext hervor. Die klassische Narratologie habe der Komik konsequenterweise keinen Platz zugestehen können, da sie das Verhältnis von Text und Kontext ausblende.195 Hierbei exponiert MÜLLER die grundlegenden Probleme, die sich für die Komik als narratologische Kategorie ergeben: Für die Beschreibung textueller Komik wird der unpräzise Begriff ‚Komik‘ als Beschreibungskategorie verwendet, ohne dass darunter „Komisierung als Prozess einer spezifisch erzählerischen Erzeugung von Komik“ verstanden würde, der für sich auch „notwendiger Gegenstand narratologischer Theoriebildung sein sollte“196. Als Kategorie einer Historischen Narratologie muss Komik ihre historische Kontextabhängigkeit darüber hinaus integrieren.

193 Vgl. Müller, Maria E.: Vom Kipp-Phänomen überrollt. Komik als narratologische Leerstelle am Beispiel zyklischen Erzählens. In: Haferland, Harald / Meyer, Matthias (Hrsg.): Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Berlin 2010 (= Trends in Medieval Philology 19), S. 69–97, hier S. 71. 194 Vgl. Müller, Maria E.: Vom Kipp-Phänomen überrollt, S. 69. Für die Textanalyse greift Müller auf Isers Modell vom Kipp-Phänomen zurück. Weil das Gelingen komischer Effekte auf den Rezipienten angewiesen sei, soll dem mithilfe eines kognitiv- und rezeptionsorientierten Ansatzes entgegnet werden. Da Iser die ‚Ohnmacht des Begreifens‘ bekanntlich dem Rezipienten zuschreibt, sei hierüber ein historisch adäquates Herangehen geboten. Hierfür ergänzt sie Isers Ansatz um Aspekte von Bergsons und Jean Pauls Überlegungen. 195 Vgl. Müller, Maria E.: Vom Kipp-Phänomen überrollt, S. 69. 196 Müller, Maria E.: Vom Kipp-Phänomen überrollt, S. 71. Karlheinz Stierles Ansatz versteht sie als ‚narratologische Pilotstudie‘, ohne ihn fruchtbar zu machen. https://doi.org/10.1515/9783110732252-003

3.1 Historische Narratologie und Komik

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Grundlegend trennen sich die Positionen in der mediävistischen Forschung bei der Frage nach Kontinuität und Diskontinuität von Erzählkategorien ausgehend von der Position, mittelalterliche Literatur als alteritär zu verstehen oder nicht.197 Im Hinblick auf Erzählverfahren, die der Erzeugung von Komik dienen, erweist sich der innerhalb der Alteritätsdebatte eingeschlagene Weg von BRAUN gerade hinsichtlich der Komik als adäquat: Er geht nicht von einer primären Andersartigkeit vormodernen Erzählens, sondern vielmehr von potentiellen Übereinstimmungen aus und fordert ein, „Konstanten zu Variablen ins Verhältnis“198 zu setzen. Diese „relativistische Position[]“ fokussiert Gemeinsamkeiten und schafft somit erst die Möglichkeit, mögliche Eigenarten wahrnehmen zu können.199 Für Komik bedeutet das, dass schon die Entscheidung für den modernen Begriff ‚Komik‘ für die Hypothese von Kontinuität einsteht, und diese stellt sogleich heraus, dass erst die transhistorische Perspektive auf den Gegenstand das 197 Vgl. dazu Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Hrsg. v. Braun, Manuel / Dunkel, Alexandra / Müller, Jan-Dirk. Berlin [u. a.] 2012. Die Kategorien der modernen Narratologie seien, wende man sie auf mittelalterliche Texte an, „übertrieben und unnötig komplex“ (S. 1) und schienen daher nicht recht zum mittelalterlichen Erzählen zu passen. Die Praxis mittelalterlichen Erzählens gründe sich auf Handlungen und deren Begründungen und operiere so vorrangig auf histoire-Ebene. Um solche spezifischen Erzählschemata zu eruieren, sei eine Reduktion der Komplexität von Beschreibungsinstrumentarien notwendig. Schulz zufolge ließen gerade die modernen Analysekategorien die mittelalterlichen Texte alteritär werden: „Sie [Alterität, Anm. d. V.] entsteht erst, wenn man sich die alten Texte fremd macht. Wer aber nur das zu finden erwartet, was er ohnehin schon kennt, wird beim Lesen und Interpretieren nicht viel dazulernen.“ (S. 3) Vgl. zur Alteritätsdebatte generell Becker, Anja / Mohr, Jan (Hrsg.): Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren. Berlin 2012 (= Deutsche Literatur – Studien und Quellen 8); dort v. a. dies.: Alterität. Geschichte und Perspektiven eines Konzepts. Eine Einleitung, S. 1–58: Alterität wird dort verstanden als „Beobachtungseinstellung“ im Sinne einer „methodologische[n] Kategorie für die Beschreibung seiner Eigenarten oder Interpretation seines Aussagegehaltes“ (S. 10). Ein auf Kontinuitäten rekurrierendes Korrektiv verkürze den Alteritätsbegriff auf Brüche und Differenzen und sei daher per se untauglich (vgl. S. 39). Alterität umfasse vielmehr „relationale Unvertrautheit und systematische Unverfügbarkeit“ und schließe weder Kontinuität noch Universalität aus (S. 44). Demgegenüber Braun, Manuel: Alterität als germanistisch-mediävistische Kategorie: Kritik und Korrektiv. In: ders. (Hrsg.): Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität. Göttingen 2013 (= Aventiuren 9), S. 7–38, hier S. 15 ff., der einer Neubegründung der Kategorie kritisch gegenübersteht und als methodologischen Interpretationsansatz ‚Konstanten als Korrektiv‘ eines Alteritätsparadigmas vorschlägt. – Vgl. für einen Forschungsüberblick die jüngsten Forschungsberichte von Meyer, Matthias: Art. Germanistik. In: Contzen, Eva von / Tilg, Stefan (Hrsg.): Handbuch Historische Narratologie. Berlin 2019, S. 289–299; Scheibel, Nina: Ambivalentes Erzählen – Ambivalenz erzählen. Studien zur Poetik des frühneuhochdeutschen Prosaromans. Berlin 2020 (= Narratologia 67), S. 62–78. 198 Braun, Manuel: Alterität als germanistisch-mediävistische Kategorie, S. 30. 199 Vgl. Braun, Manuel: Alterität als germanistisch-mediävistische Kategorie, S. 35, Zitat S. 30.

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

Erkennen von Analogien hinsichtlich ihrer Erzählverfahren ermöglicht. Die moderne Perspektive auf den Gegenstand verstellt also nicht den Blick auf kulturhistorisch bedingte Eigenheiten von Komik, sondern ermöglicht ihn erst, da die Wahrnehmungsbereitschaft für Erzählverfahren gerade auf Kontinuitäten fußt. Das schließt jedoch im Umkehrschluss kulturhistorisch bedingte Eigenarten nicht aus. Die Alteritätsdebatte nimmt auf das Format der Historischen Narratologie insoweit Einfluss, wie die Positionierung innerhalb ersterer die methodische Herangehensweise letztgenannter bestimmt. Dem vormodernen Text könne man begegnen, indem Diskontinuitäten entweder mittels einer Historisierung der Begriffe abgebildet würden, oder indem allenfalls eine Historisierung der begrifflichen Implikationen vorgenommen würde, um Kontinuität sichtbar zu machen.200 Der moderne Komikbegriff wird hier demzufolge gezielt eingesetzt, um Kontinuitäten aufzuzeigen,201 und kommt damit HÜBNERS Appell nach, „in Kategorien sich wandelnder Kontinuitäten zu denken“, um einen „historischen Weg“ einzuschlagen.202 Der moderne Komikbegriff kann für die Analyse vormoderner Texte nutzbar gemacht werden, im Wissen um seine modernen Implikationen, die es ggf. zu differenzieren gilt. Dabei kann der Begriff die Chance bieten, Erzählverfahren zu beschreiben, für deren Verfahrensweise die aus der antiken Rhetorik abgeleiteten Beschreibungsparameter nicht ausreichen. HÜBNER hat für die historische discours-Narratologie gezeigt, dass moderne Erzählkategorien auf vormoderne Texte angewandt und schließlich unter Rückgriff auf die Rhetorik modifiziert werden können.203 In analoger Weise kann die

200 Vgl. dazu Haferland, Harald / Meyer, Matthias: Einleitung zu: dies. (Hrsg.): Historische Narratologie, S. 3–15; vgl. hierzu insbes. auch dies.: Streitgespräch. In: dies. (Hrsg.): Historische Narratologie, S. 429–444: Haferland möchte dem Wandel von Erzählformen „ein begriffliches Gewicht geben“, im Gegensatz dazu plädiert Meyer für Differenzierungen statt „bloße[r] Historisierung literarischer Phänomene ohne Rücksicht auf die Phänomene selbst“ (S. 430). 201 Vgl. zur Begriffsgeschichte z. B.: Preisendanz, Wolfgang: Art. Komische (das), Lachen (das). In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4 I-K, Sp. 889: „Der begriffsgeschichtliche Ansatzpunkt ist schwer zu markieren, weil das Wort, das den aktuellen Gebrauch des Begriffs bestimmt, verhältnismäßig spät auftritt und weil die Zuordnung fremdsprachiger Äquivalente Schwierigkeiten aufwirft. Erst in der Neuzeit stellt sich das bis heute geltende Verhältnis von Begriff, Wort und Sache her, indem das K[omische] vom schlechtweg Lächerlichen abgehoben wird.“ 202 Hübner, Gert: evidentia. Erzählformen und ihre Funktionen. In: Haferland, Harald / Meyer, Matthias (Hrsg.): Historische Narratologie, S. 119–147, hier S. 135. 203 Hübner, Gert: Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im Eneas, im Iwein und im Tristan. Tübingen 2003 (= Bibliotheca Germanica 44). Hübner legt seiner Untersuchung die elementare Frage zugrunde, ob es Unterschiede zwischen modernem und höfischem Erzählen gibt und ob möglichenfalls hieraus eine differente Beschreibungssprache für die Analyse mittelalterlicher Texte resultieren müsse. Eine mögliche „historische Kontamination“ (S. 9)

3.1 Historische Narratologie und Komik

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für Komik erzeugende Erzählverfahren entworfene Beschreibungssprache für die Analyse mittelalterlicher Texte angewandt und mit den rhetorischen Verfahren parallelisiert werden, die spezifische Formen von handlungsgebundener Komik stark machen. Die Übersicht über die in den Rhetoriken bereitgestellten Verfahren zeigt, dass hinsichtlich der Verfahren von Erwartungsenttäuschung weniger von Modifikationen auszugehen ist, als vielmehr Parallelen evident werden, die handlungsgebundene Erwartungsenttäuschung als Mittel zur Komikerzeugung einsetzen. Dabei sind die Texte selbst Zeugnisse für Erzählpraktiken, die die aus den antiken Rhetoriken bekannten Verfahrensweisen narrativ umsetzen und dabei über die im Unterricht gelehrte n Verfahren hinausgehen und eigenständige Realisierungsformen hervorbringen.204 Diese in den Erzähltexten selbst eingesetzten Verfahren sind Ausweis poetischer Praxis und fungieren als Speicher nicht diskursivierten „poetologischen Praxiswissens“205. Sie können dann unter Rückgriff auf die Rhetoriken und mithilfe der modernen Kategorie ‚Komik‘ beschrieben werden.206 Damit ergibt sich zweifellos ein methodischer Zir-

narratologischer Modelle müsse daher vorab auf dem Prüfstand stehen. Im Zentrum von Hübners Studie steht demgemäß die essenzielle Prüfung einer Historizität des modernen Analyseinstrumentariums. Die Forderung nach einer „konstante[n] Beschreibungssprache“ stehe scheinbar im Widerspruch mit den modernen Kategorien, die anhand der „Phänomenologie modernen Erzählens“ (S. 10) entwickelt wurden. Vgl. dazu auch ders.: evidentia. Das Verhältnis von moderner Narratologie, mittelalterlicher Erzählpraxis und antiker Rhetorik eröffne die Möglichkeit, Korrelationen von Form und Funktion zu bestimmen und somit intendierte Wirkungsweisen beim Rezipienten zu benennen. Hübner nimmt die Relation von älteren narrativen Praktiken, älteren Reflexionen über das Erzählen und moderner Theoriebildung im Sinne der (genetteschen) discours-Narratologie in den Blick, um Erzählformen und ihre jeweiligen Funktionen – sowohl im reflexiven als auch im praktischen Fall – zu bestimmen und zu verknüpfen. Die Differenz moderner Funktionszuweisungen und Funktionszuweisungen der antiken Rhetorik macht er für die Bestimmung des Verhältnisses von älterer narrativer Praxis und moderner Narratologie fruchtbar. Dem liegt die Annahme anthropologischer, kulturell wandelbarer Wissensordnungen als Basis der Funktionszuweisungen zugrunde. 204 Vgl. Hübner, Gert: evidentia, S. 140. 205 Hübner, Gert: Der künstliche Baum. Höfischer Roman und poetisches Erzählen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 136 (2014), H. 3, S. 415–471, S. 419: Poetologisches Praxiswissen bezeichnet dann jenes Wissen, das an die Schwelle der Reflexion geführt ist, ohne dabei begrifflich abstrahiert zu werden. So können „poetische Praktiken in poetischen Texten ohne poetologische Begriffsbildung“ (S. 420) thematisiert werden. Hübner bezieht sich hier freilich auf „poetologisch deutbare[] Ekphrasen“ (ebd.), dennoch erlaubt eine Übertragung dieser Annahme eine für die Komik gewinnbringende Methodik. 206 Vgl. dazu auch Hübner, Gert: evidentia, S. 136 ff. Für die Untersuchung narrativer Verfahren in vormodernen Texten unterscheidet Hübner drei mögliche Konstellationen: Entweder könne man (1) mithilfe historisch theoretischer Reflexion sowohl die Form als auch die Funktion bestimmen und so zugleich Unterschiede zwischen älterer und moderner Theoriebildung

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

kel, da für die Identifikation und Beschreibung poetischen Praxiswissens nolens volens auf bereits fixierte Kategorien zurückgegriffen werden muss.207 Die so eingenommene Perspektive, die die Parallelisierung von antiken Verfahren, mittelalterlicher poetischer Praxis und moderner Kategorie schafft, bietet aber die Chance, dass die Interpretation „auf einem historischen Fundament operier[t], ohne der historischen Begrifflichkeit vollständig verhaftet zu bleiben“208. Die Rhetorik fungiert bei einem solchen Vorgehen auch als eine Art „epistemischer Maßstab“ und verhindert eine an die Ästhetik gebundene Sinnkomplexion, weil Rhetorik und Ästhetik auf differente Wissensordnungen Bezug nehmen.209 Komik ist als Kategorie Historischer Narratologie der Frage nach Universalität dann zweifach ausgesetzt: Wie die klassischen strukturalistischen Erzählkategorien, die einem universellen Anspruch unterstehen, würde sich auch Komik diesem Anspruch zwangsläufig unterwerfen. Darüber hinaus erschwert ihre starke Anbindung an den kulturhistorischen Kontext die Universalisierung. Anhand moderner Texte entwickelte Beschreibungsinstrumente für Komik jedoch für die Analyse mittelalterlicher Texte explizit auszuklammern, kann die Krux nicht überwinden. Bei der Anwendung moderner Kategorien auf vormoderne Texte sollte stets der heuristische Nutzen und deren „textanalytische[] und literarhistorische[] Erkenntnispotentiale“ das Zentrum des Interesses bilden.210

aufzeigen; im anderen Fall könne man (2) mittels des Bezugs auf die historische Reflexion Formen, nicht aber deren Funktionen feststellen oder aber man könne (3) moderne Erzählformen wahrnehmen, die nicht Teil der historischen Reflexionstradition sind. 207 Vgl. dazu Hübner, Gert: Der künstliche Baum, S. 420: „Die Kriterien für die Identifikation poetologisch deutbarer [in diesem speziellen Fall, Anm. d. V.] Ekphrasen und die Kategorien ihrer Deutung können aber selbstverständlich nicht schon auf einem Praxiswissen beruhen, das erst aufgespürt werden soll, sondern doch wieder nur auf vorausgesetzten Begriffen. Damit erweisen sich die beiden [...] Methoden als unvermeidbar: Man kann entweder vom modernen literaturtheoretischen Wissen ausgehen und nach Textpassagen suchen, die poetischen Erzählungen mit anderen Mitteln als abstrakter Begriffsbildung für sie spezifische Eigenschaften zuweisen, die kein Bestandteil des explizit verfügbaren historischen Wissens waren. Oder man kann nach Textpassagen suchen, die erkennbar auf historisch verfügbares begriffliches Wissen rekurrieren, aber allein dadurch noch nicht ganz verständlich werden.“ 208 Hübner, Gert: Der künstliche Baum, S. 420. 209 Vgl. zum Unterschied von poetischen und ästhetischen Erzählen ausführlich Hübner, Gert: Der künstliche Baum, S. 454–465 (Abschnitt IV), hier insb. S. 463 ff.: „Die Ästhetik bringt eine Sinnkomplexion hier erst hervor, indem sie sich für Erkenntnis durch Wahrnehmung interessiert; die Rhetorik legt keine nahe, weil sie sich für Handlungsbegründung durch Wahrscheinlichkeit interessierte.“ (S. 464). 210 Hübner, Gert: Erzählform im höfischen Roman, S. 8.

3.1 Historische Narratologie und Komik

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SEEBERS Studien zeigen, dass sich allein anhand der Rhetorik des Lachen-Machens solche Verfahren nicht mehr beschreiben lassen, wo die poetologische Praxis einsetzt und mit den gelehrten Verfahren frei umgeht. Dagegen hat SEEBER auch gezeigt, dass Komik sich über Inkongruenzen generiert und damit modernen Verfahren der Komikerzeugung nahe steht. Diese nicht mit dem Terminus ‚Komik‘ zu benennen, historisiert sie aber noch nicht. Möchte man dem von HARTMUT BLEUMER formulierten Anspruch an eine Historische Narratologie nachkommen und „die Spannung zwischen der historischen Dynamik des Erzählens und dem Bedürfnis ihrer wissenschaftlich-systematischen Fixierung in die Erzähltheorie selbst [aufnehmen]“211, kann die narratologische Kategorie nur als wandelbare Kontinuität gedacht ihre jeweiligen historischen Ausprägungen berücksichtigen, wenn sie auch hier universalistischen Anspruch behalten möchte. Als discours-narratologische Kategorie allein aber kann Komik als Inferenzkategorie nicht bestimmt werden, weil sie mit Wissen über Handlung operiert, das stets über die Ebene der histoire in Form von erzählter Handlung eingespielt wird.212 Als Kategorie einer Historischen Narratologie fragt sie wiederum nach

211 Bleumer, Hartmut: Historische Narratologie, S. 215. Bleumer weist auf das Paradoxon des Projekts der Historischen Narratologie hin: „Wenn sie historisch-induktiv vorgeht, ist sie im klassischen Sinne keine Narratologie, wenn sie dagegen auf ihrem theoretischen System- und Universalitätsanspruch beharrt, ist sie nicht historisch.“ (S. 214). 212 In der Forschung zur neueren Literatur bzw. einer kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft geht man ähnlichen Fragestellungen unter dem Label einer kulturwissenschaftlichen Narratologie nach. Das Einbeziehen kontextueller und kultureller Umgebungen meint je nach fachwissenschaftlicher Ausrichtung aus kulturwissenschaftlicher Perspektive narrative Konstitutionen von Kultur. Aus germanistischer Perspektive bringt es „die von der strukturalistischen Narratologie systematisch ausgeblendete Frage, inwiefern Erzählungen und die sie konstituierenden Elemente [...] selbst kulturell bedingt und variabel – also kulturspezifische Phänomene – sind“ (Nünning, Ansgar: Wie Erzählungen Kulturen erzeugen: Prämissen, Konzepte und Perspektiven für eine kulturwissenschaftliche Narratologie. In: Strohmaier, Alexandra (Hrsg.): Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Bielefeld 2013, S. 15–52, S. 27), in den Blick. Kulturwissenschaftliche Narratologie legt ihr Augenmerk auf die „Anwendung narratologischer Analysekategorien auf historisch und kulturell variable Formen und Funktionen des Erzählens sowie der Erweiterung des Analyseinstrumentariums um solche Konzepte, die Erzähltheorie anschlussfähig an kulturwissenschaftliche Fragestellungen und Erkenntnisinteressen machen“ (S. 28) und verfolgt damit ein der Historischen Narratologie analoges Ziel. Da ihr ein semiotischer Kulturbegriff zugrunde liegt, der soziale und mentale Konstrukte einbegreift, steht sie der praxeologischen Narratologie nahe; narrative Texte werden in beiden Ansätzen vergleichbar als „mit kollektiven Kodes [...] und mit den sozialen Zeichenbenutzern [...] unauflöslich verwoben“ (S. 28) betrachtet. Sie sind innerhalb eines autonomen Zeichensystems nicht isoliert, sondern als Teil kultureller Zeichensysteme zu betrachten (vgl. S. 28). Vgl. jüngst auch King, Martina: Historische Narratologie. Ein Weg zur Kontextua-

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

möglichen historischen Eigenarten des Erzählverfahrens und der Notwendigkeit, die Beschreibungssprache dahingehend zu historisieren, sowie nach der historischen Kontextabhängigkeit des einbezogenen Inferenzwissens. Damit ist ihr Anliegen ein diachron-historisches, insofern sich die Kategorie Komik par excellence im Spannungsfeld von Kontinuitäten und historischen Manifestationen bewegt.213 Komik lässt sich also nur konzeptualisieren, so die These, wenn sie als discours-narratologische Kategorie gedacht wird, die histoire-narratologisch inferenzbasiert Kontextwissen miteinbezieht.214 Damit ist sie für sich schon historisch-narratologisch. Sie präsentiert sich insbesondere als Relation von „historischen Erzählpraktiken und historischen Wissensordnungen“215. Um sie als Kategorie zu bestimmen, deren Mechanismen auf erzählter Handlung

lisierung von Textstrukturen. In: KulturPoetik 19 (2019), H. 2, S. 319–340, insbes. S. 324 ff., die die Chancen einer synchronen historischen Narratologie – in Abgrenzung zur mediävistischen Erzählforschung – darin sieht, „narrative Strukturen zu einem bestimmten Zeitpunkt X in einem bestimmten Zeitraum in ihre kulturhistorischen Kontexte ein[zu]bette[n]“ (S. 325). 213 Vgl. dazu Contzen, Eva von: Diachrone Narratologie und historische Erzählforschung. Eine Bestandsaufnahme und ein Plädoyer. In: Beiträge zur mediävistischen Erzählforschung 1 (2018), S. 16–37, insbes. S. 26 ff. 214 Vgl. dazu auch Iser, Wolfgang: Das Komische: ein Kipp-Phänomen, der den historischen Kontext nicht ausschließlich an den subjektiven Rezeptionsakt bindet, sondern diesen an die Semantik des komischen Sachverhalts koppelt. Das Komische ließe sich als universalistische pragmatische Struktur beschreiben, während deren komischer Sachverhalt als „historische Spur“ (S. 399) eingeholt werden könne. Komik entsteht schließlich infolge eines Oppositionsverhältnisses, das im Kippen Lachen auslöst: Zwei sich gegenseitig negierende Positionen sind im Komischen zusammengeschlossen, stehen in einem wechselseitigen Negationsverhältnis und bringen sich so gegenseitig zum Kippen. Hieraus resultiert schließlich eine „Kettenreaktion ständigen Umkippens“, die beim Rezipienten den Effekt der Verblüffung und daraus resultierend Lachen auslöst. Das Lachen ist dann auch hier im Sinne Plessners eine Krisenantwort des Körpers. Eine Überforderung des emotiven bzw. kognitiven Vermögens ist der Auslöser der körperlichen Reaktion. An Iser orientiert sich bspw. Keller, Johannes: Fern von Komik und Humor? Der Jüngere Titurel. In: Baisch, Martin / ders. / Kragl, Florian / Meyer, Matthias (Hrsg.): Der Jüngere Titurel zwischen Didaxe und Verwilderung. Neue Beiträge zu einem schwierigen Werk. Göttingen 2010 (= Aventiuren 6), S. 103–117. Für eine „Arbeitsdefinition“ von Komik schlägt Keller eine Kombination der Ansätze von Odo Marquard und Wolfgang Iser vor (vgl. S. 104–107), um die „rhetorischen Strukturen der Komik“ (S. 103), die letztlich nur den Texten selbst zugrunde lägen, aufzuspüren. Vgl. gegenüber Iser Preisendanz, Wolfgang: Zum Vorrang des Komischen bei der Darstellung von Geschichtserfahrung in deutschen Romanen unserer Zeit. In: ders. / Warning, Rainer (Hrsg): Das Komische, S. 153–164, S. 158 f., der kulturhistorische Abhängigkeit für den dargestelltem Sachverhalt und das Darstellungsverfahren beansprucht, der es auf beiden Seiten methodisch zu begegnen gelte. 215 Vgl. Hübner, Gert: Eulenspiegel und die historischen Sinnordnungen, S. 192.

3.1 Historische Narratologie und Komik

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und deren Scheitern aufbauen, kann auf H ÜBNERS histoire-narratologischen Ansatz zurückgegriffen werden, der erzähltes Handeln mit Rekurs auf BOURDIEUS Habituskonzept an kulturelle Kontexte rückbindet. Dabei geht er über klassische strukturalistische histoire-narratologische Ansätze hinaus, die das Handeln der einzelnen Figuren als integralen Bestandteil einer generellen Handlungsdarstellung betrachten, und isoliert Handeln von Zeit- und Situationskonstituenten; Handlung versteht er somit nicht als begrifflich organisiertes Abstraktum, wie etwa JURI LOTMAN.216 Anstelle von Handlung macht er erzähltes Handeln zum Gegenstand und bindet damit kulturelles Handlungswissen explizit ein, das die historische Sinnzuweisung an die erzählte Handlung und mithin an den Text erschließen lässt.217 Plausibilität stellten Erzähltexte der

216 Bleumer, Hartmut: Historische Narratologie, S. 217 ff. hat diesbezüglich stark gemacht, dass „die narratologischen Theorien zur histoire- oder Geschichtsebene nicht primär Theorien zu Handlungsabläufen [sind], sondern [...] auf eine narrative Tiefensemantik [zielen], die sich in Handlungen ausspricht“ (S. 217). Histoire-Narratologie sei in diesem Sinne keine Handlungstheorie, da sie „diskursive[] Bezeichnungs- und Repräsentationsprozesse[]“ im Blick habe. Entsprechend fokussiere die discours-Narratologie den narrativen Akt und damit die „dramatisierte[] Handlung des Erzählens“ (S. 218). Jene Konzepte aber erwiesen sich bloß als idealtypisch, weshalb sie keineswegs alternative Modelle darstellen könnten: Semantische und pragmatische Tendenzen fallen ebenso zusammen wie schon Narration und Deskription im Erzählen selbst. Erklärtermaßen lässt sich die Ebene der histoire nicht ohne das pragmatisch orientierte discours-Deskriptionsinstrument interpretieren, wie die discours-Ebene nicht ohne das semantisch-interpretative Verfahren der histoire-Ebene auskommt. Bleumer greift für diese Verbindung auf das Modell von Wolf Schmid zurück (vgl. insbes. S. 218–234 [Abschnitt 3 ‚Die narrativen Ebenen‘]. Hierüber integriert er „kulturhistorische Inferenzkategorien“, die sich als historisches Kontextwissen oder kulturelle Implikationen fassen lassen (vgl. S. 220) und die nach Schmid kausale oder finale Motivationen von Handlungen als Interpretationsleistung erfassen. Das Modell Schmids eigne sich für die Analyse mittelalterlichen Erzählens besonders, weil Schmid Begrifflichkeiten antiker Rhetorik in sein Modell integriert und diese auch Teil des Bildungswissens mittelalterlicher Autoren waren (vgl. S. 234). Dabei aber dürfe die klassische Rhetorik nicht als Theorie eines narrativen Diskurses, sondern als Diskurstheorie verstanden werden: „Das Feld der Rhetorik ist das Wissen und nicht das hermeneutische Verstehen.“ (S. 235) Die Mechanismen der Komikerzeugung sind ebenso als Korrelation von histoire- und discours-Ebene als ein Verfahren zu verstehen, dessen pragmatisch orientierte discours-Beschreibung unabdingbar auf das semantischorientierte histoire-Geschehen angewiesen ist. Das historische Kontextwissen, auf welches hierbei rekurriert wird, ließe sich qua Rückgriff auf antike Verfahren rekonstruieren. Über die argumentativen Topiken sind die Inferenzen schon integriert und nicht als typisierte Erzählmotive oder -muster existent (vgl. S. 235). 217 Gegenüber dem Ansatz von Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik. Tübingen 2007, der die Verquickung von Text und Kultur mit dem Begriff des Erzählkerns erfasst, der eine „wechselseitige[] Abhängigkeit[] narrativer und kultureller Muster und d[ie] Einbettung der Literatur in das Imaginäre einer historischen Kultur“ (S. 7) bezeichnet und so den

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

narratio-Lehre zufolge „durch den Bezug auf bestimmte topische Vorstellungen vom menschlichen Handeln in der Welt“218 her. Der an BOURDIEUS Habitusbegriff anschließende narratologische Ansatz ist für die aus der Erwartungsenttäuschung resultierende Komik daher insofern anschlussfähig, als der Habitus dazu beiträgt, das „Richtige und das Falsche“ nach „Kriterien der Relevanz, der Situationsangemessenheit und Erfolgsträchtigkeit“ zu unterscheiden und damit erst Bewertungen darüber zulässt, „was unter gegebenen Umständen als ‚richtiges‘ Handeln gelten kann“.219 Gerade an das von STIERLE entworfene Modell der metonymischen Folie ließe sich hiermit anschließen und die erzählte Handlung vor dem Horizont ihres kulturellen Kontextes bewerten. Wenn der Auslöser von Komik die den Erwartungen eines Handlungsablaufs zuwiderlaufende Variante eines Handlungsmusters ist, bringt die erzählte scheiternde Handlung als Modifikation der gelingenden Handlung ihre Verständnisfolie selbstreferenziell ein. Um das Misslingen der Handlung jedoch bewerten zu können, bedarf es des kulturspezifischen Handlungswissens, das die Bewertung des Scheiterns überhaupt erst ermöglicht. Was STIERLE mit der metonymisch bezeichneten Handlung fasst, steht HÜBNERS Konzeption von Handlungen immanentem praktischem Wissen nahe, das der erzählten Handung implizit zugrunde liegt und für kulturelle Sinnzuweisungen entscheidend ist. Die Erzählungen selbst aber verhandeln das den Handlungen immanente praktische Wissen, ohne es zu diskursivieren.220 Damit

Fokus auf den „Zusammenhang zwischen (vorliterarischen) Kulturmustern und (literarischen) Erzählmustern“ (S. 31) legt, greift Hübners kulturwissenschaftlich-soziologischer Ansatz ein Stück weit kürzer. Literatur ist ihm nicht Zeugnis für den Habitus selbst, sondern der Habitus bleibt der Literatur stets vorgängig. Das in die Literatur hineinwirkende kulturelle Wissen in Form des Habitus bleibt im Status vortheoretischen Wissens erhalten. 218 Hübner, Gert: evidentia, S. 142. 219 Vgl. Hübner, Gert: Erzählung und praktischer Sinn, S. 232. Hübner übernimmt Bourdieus Definition des Habitus als „eine kulturelle Ordnung praktischen Wissens, die der Einzelne im Sozialisationsprozeß körperlich-mental internalisiert“ (S. 230 f.). 220 Hübner, Gert: Erzählung und praktischer Sinn, S. 233: „Diskurse sind aus der praxeologischen Perspektive kulturelle Praktiken, die das explizite Wissen einer Kultur aktualisieren. [...] Das kulturelle Wissen, das die Diskurse aktualisieren, und das kulturelle Wissen, das die Praktiken aktualisieren, unterscheiden sich demnach durch die Opposition explizit – implizit.“ Für die Perspektiven einer kulturtheoretischen Praxeologie für die Historische Narratologie schlussfolgert er: „Eine praxeologische Narratologie sollte diese strikte Binarität [kulturelles Wissen, das Diskurse aktualisieren = explizit, und kulturelles Wissen, das Praktiken aktualisieren = implizit, Anm. d. V.] in Zweifel ziehen, weil Erzählungen praktisches Wissen möglicherweise zur Sprache bringen können, ohne es einer begrifflichen Reflexion zu unterziehen: Sie führen das praktische Wissen gewissermaßen an die Schwelle der Explikation, ohne es gleich zur Theorie zu machen; sie können ein Übergang vom Habitus zum Diskurs, ein Drittes zwischen beidem sein.“ (S. 233) Die Diskrepanz zwischen eingeführ-

3.1 Historische Narratologie und Komik

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sind sogleich auch die methodischen Grenzen des Ansatzes markiert: Habitusschemata lassen sich nur aus den Erzählungen selbst rekonstruieren, die Praxiswissen aber nur repräsentieren und nicht diskursivieren; so behalten Habitusschemata immer nur den Status symbolischer Repräsentation des praktischen Wissens, niemals aber ‚realen‘ praktischen Wissens. Erst die Analysepraxis ändert den Status, indem sie den Habitus während der Analyse unvermeidbar begrifflich fasst und das Wissen somit diskursiviert.221 Dennoch gibt die praxeologische Narratologie damit eine Heuristik an die Hand, die Erzählungen als Produkte je spezifischer kultureller Wissensordnungen erfasst.222 Sie erlaubt, Komik in ihrem historischen Zusammenhang zu sehen und zu interpretieren, insoweit die Sinnpotentiale erzählter Handlung als historische Variable in das Analysemodell integriert werden können. HÜBNER hat damit Wissensbestände im Blick, die sich in STIERLES Modell in Form ‚historischer Scripts‘ implementieren ließen. Artusromane nehmen als fiktionale Texte Bezug auf Weltwissen und beziehen Ordnungen von Handlungswissen mit ein. Die auf Ordnungen basierende Handlung wird demnach im Artusroman „in gewissermaßen experimentell zugerichteten Situationsarrangements ‚präpariert‘ und Handlungsvariablen isoliert“223. Der höfische Roman schafft so „künstliche Situationsmodelle, die das Durchspielen von Handlungsregularitäten ermöglichen“224. Um das historische Script-Wissen zur Basis von scheiternden Handlungsabläufen zu machen, muss das kulturhistorisch gebundene Handlungswissen anhand seiner narrativen Diskursivierungen innerhalb der Texte zunächst rekonstruiert werden.

ten narratologischen Modellen und dem praxeologischen Ansatz ergibt sich dann aus der Sinnzuweisung: Wo die praxeologische Narratologie dem erzählten Handeln einen historischen Sinn über den Bezug auf handlungsstrukturiertes kulturelles Wissen zuweist, greifen bekannte narratologische Entwürfe hierfür auf die Eigenschaften der Figuren, des Raums oder der Zeit zurück (vgl. S. 236). 221 Vgl. Hübner, Gert: Erzählung und praktischer Sinn, S. 238. 222 Vgl. Hübner, Gert: Historische Narratologie und mittelalterlich-frühneuzeitliches Erzählen, S. 16 f., der Historische Narratologie als „eine reine Interpretationsheuristik“ begreift. In der Folge spricht Hübner der Narratologie den Universalitätsanspruch ab: „Deshalb gibt es keine nicht-historische Narratologie, sondern nur narratologische Phänomenologien mit ihren Gegenständen historisch mehr oder weniger adäquaten Kategorien, und jede ihren Gegenständen adäquate narratologische Phänomenologie ist eine historische.“ (S. 16) 223 Hübner, Gert: Der künstliche Baum, S. 449. 224 Hübner, Gert: Der künstliche Baum, S. 449, Anm. 74.

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

3.2 Handlung, Wissen und Komik HÜBNER entfaltet seinen praxeologischen Ansatz anhand exemplarischer Erzählungen und erschließt hierüber implizite vorreflexive Wissensbestände. Im poetischen Erzählen aber, so die These, ist Handlung stärker narrativ überformt, und die erzählte Handlung rekurriert stärker auf durch erzählte Handlung bereits geprägtes Wissen. Dieses Wissen basiert sicherlich auf kulturellem Handlungswissen, seine Arrangements in literarischen Texten aber sind immer schon der literarischen Überformung unterworfen. Bewertungen narrativ dargestellter Handlungen werden gewiss vor dem Hintergrund kulturellen Handlungswissens vorgenommen, die Rekonstruktion dieses Handlungswissens für den mittelalterlichen Untersuchungsgegenstand jedoch speist sich wiederum aus literarischen Darstellungen von Handlung und belegt damit bloß literarisch schon überformtes Handlungswissen. Um Bewertungskomponenten seitens der Rezipienten für scheiternde Handlungen zu eruieren, müsste ein größtmögliches Panorama bestimmter Handlungsabläufe nebeneinandergestellt und typisierte Regelmäßigkeiten der Handlungsmuster abgeleitet werden. Damit ließen sich Wissensbestände extrahieren, die Wissensinhalten von Scripts ähneln und nicht diskursivierte Formen von Handlungswissen sind, die durch die Texte narrativ vermittelt, aber auch geformt werden. Diese liegen der rezeptionsseitigen Bewertung von erzählter Handlung zugrunde, sowohl als narratives Handlungswissen als auch als kulturelles Handlungswissen, das dem narrativen Handlungwissen vorgängig ist. Da dieses Handlungswissen jedoch nur in Form literarischer Texte zugänglich ist, soll das gegenüber dem vorreflexiven kulturellen Handlungswissen auch terminologisch gekennzeichnet werden. Literarische Handlungsdarstellung inkorporiert zwar das kulturelle Handlungswissen, die Rekonstruktion aber kann nur den literarisch schon überformten Status abbilden; diese literarische Überformung erzählten Handelns muss jedoch terminologisch eingefasst und methodisch exponiert werden. Die im vormodernen höfischen Roman erscheinende Komik gründet sich auf literarisch schon überformten Handlungsparametern, die folglich mit dem Terminus ‚literarisches Handlungswissen‘ umrissen werden. Der praxeologische Ansatz muss hierfür auf die poetische Logik von Erzählschemata und Motivtraditionen umgestellt werden.225 Das literarische Handlungswissen bezeichnet zunächst den regu-

225 Unter anderen diese Formen erzählter Handlung nimmt auch Schumann, Anica: Experimentelles Erzählen, S. 51 ff. und S. 75 in den Blick und koppelt diese als „,präfigurierte Ordnungen‘“ (S. 78) an die Kategorie der Figur. Vgl. dazu auch Schneider, Christian: Textkohärenz und Figurenkonsistenz. Zur Versöhnungsszene zwischen Kaiser Otto und Herzog Ernst in der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Herzog Ernst-Überlieferung. In: Lienert, Elisabeth (Hrsg.): Wi-

3.2 Handlung, Wissen und Komik

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lären und folglich erwartbaren Ablauf bestimmter typisierter Handlungsmuster; hier sind bspw. wiederkehrende erzählte Handlungsabläufe relevant, die u. a. an Motive wie das Gewinnen eines Schönheitspreises oder die Krise des Helden, oder an den Topos vom Maikönig Artus gebunden sind. Der Terminus begreift zugleich das kulturhistorische Wissen mit ein, das der Handlung ihre kulturelle Funktion verleiht und ihr als Bewertungsmaßstab zugrunde liegt.226 Obschon dem literarischen Handlungswissen die Ebene der literarischen Überformung schon inhärent ist, bleibt es immer abhängig von kulturellen Sinnzuweisungen. Wenn erzähltes Handeln kulturelles Handlungswissen schlussendlich diskursiviert, ist letztlich auch das literarische Handlungswissen zwingend abhängig von der eigentlichen kulturellen Kontextualisierung, weil die literarische Transformation eines spezifischen Handlungswissens nur als Rekurs auf das tatsächliche kulturelle Handlungsmuster existiert.227 Das praxeologisch-narratologische Modell Hübners ist hier besonders anschlussfähig, insofern es kulturelle Handlungsmuster fokussiert, die Texten vorgängig sind. Implementiert man dieses Modell über die historischen Scripts in das Komik-Modell scheiternder Handlungsabläufe, können damit Wissensbestände eingefasst werden, die zunächst unabhängig von Sprache sind. Das mit ihnen bezeichnete Wissen hängt nicht am sprachlichen Ausdruck, sondern be-

dersprüchliche Figuren in vormoderner Erzählliteratur. Oldenburg 2020 (= BmE Themenheft 6), S. 173–203 (online), der mit ‚protoszenischen Mustern‘ Script-ähnliche Konstellationen von Handlungsabläufen fasst. Vgl. dazu auch ders.: Art. Handlung und Handlungslogik – Mittelalter. In: Contzen, Eva von / Tilg, Stefan (Hrsg.): Handbuch Historische Narratologie, S. 249–261, S. 258 ff. Schneider fasst mit protoszenischen Mustern „Scripts oder ‚Drehbücher‘ für Situationen und Handlungs- bzw. Geschehensabläufe ganz kleiner Ordnung“, die „nicht spezifisch literarisch sind“, sondern „auf allgemein kulturell und/oder alltagsweltlich geprägte Vorstellungen davon, wie bestimmte Situationen aussehen und wie sie ablaufen“ (S. 259) zurückgehen. 226 Im Rahmen historischer Narratologie ist der Rekurs auf solche Wissensordnungen unabdingbar. Hierzu auch Hübner, Gert: Historische Narratologie und mittelalterlich-frühneuzeitliches Erzählen, S. 15: „Die zentralen Begriffe Figur, Raum, Zeit und Handlungsverknüpfung konstituieren zwar Untersuchungsgegenstände; ohne den Rekurs auf historische Konzepte von Mensch, Raum, Zeit und Handeln, mithin auf kulturelle Wissensordnungen, lassen sich Sinnzuweisungen an Erzählungen jedoch offenkundig nicht begründen.“ 227 Ähnlich auch bei Hübner, Gert: Der künstliche Baum, S. 451 f. Plausibilisierendes Wissen habe topischen Status und würde in Erzählungen symbolisch repräsentiert „in einer funktional präparierten Handlungskonstellation“ (S. 451). Der höfische Roman plausibilisiere so sein Erzählen von faktischen Unwahrheiten. „In der fabula eines bretonischen Romans stellt es [das Erzählen erfundenen, aber möglich denkbaren Handelns, Anm. d. V.] den Zusammenhang zwischen der faktischen Unwahrheit des Unmöglichen und seiner exemplarischen Wahrheit her, die durch das kulturelle Handlungswissen begründet wurde.“ (S. 452).

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

zeichnet eine allgemeinere, umfangreiche Form von Wissen über Handlung, das per se implizit ist. Gegenüber semantischen Modellen, die im Sinne einer Tiefensemantik auf in Texten mitgemeintes, implizites Wissen abzielen, fokussieren Scripts situative Abläufe von Handlung in bestimmten Zusammenhängen und das spezifisch auf Handlungen abzielende implizite Wissen um dessen Ablauf; statt an semantisch-basierte Deutungsmuster soll daher an praxeologischorganisierte Handlungsmuster angeschlossen werden. Die Genese der ScriptKonzepte aus der tiefen- und diskurssemantischen sprachwissenschaftlichen Perspektive, die bedeutungskonstitutives Wissen meinen, lenkt mit dem ScriptBegriff den Blick explizit auf das Wissen um Handlungsabläufe,228 und macht ihn so gerade für Komik anschlussfähig, die sich aus erzählter Handlung speist. Wird Komik narrativ generiert durch scheiternde Handlungsverläufe, ist dieses Scheitern letztlich jedoch nur als solches erkennbar, wenn es den gelingenden Handlungsablauf selbstreflexiv bezeichnet und somit ihren Sinn in Relation zu der jeweiligen kulturellen Wissensordnung erzeugt, der sie entstammt.229 Das narrative Verfahren zur Erzeugung von Komik im höfischen Roman induziert schon seine literarische Überformung, weil literarische Komik nicht direkt auf kulturelle Handlungsmuster der Lebenswirklichkeit Bezug nimmt, sondern zunächst auf literarisches Handlungswissen, dem das kulturelle Handlungswissen vorgängig ist. Auf der Ebene des discours muss dann nach den Erzählstrategien gefragt werden, die auf der Basis der auf histoire-Ebene implementierten Wissensbestände bedingen, dass eine erzählte Handlung komisch erscheint. Die Leitfrage lautet folglich: Wie wird eine Handlung erzählt, damit sie komisch scheitert? Um erzählte Handlung als komisch scheiternde kenntlich zu machen, muss die erzählte Handlung (1) die scheiternde Variante eines Handlungsmusters sein,

228 Vgl. Schank, Roger C. / Abelson, Robert P.: Scripts, Plans, Goals and Understanding. An Inquiry into Human Knowledge Structures. New York 1977, S. 422. Vgl. ferner Busse, Dietrich / Teubert, Wolfgang: Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik. In: dies. / Hermanns, Fritz (Hrsg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen 1994, S. 10–28, hier S. 23. Busse, Dietrich: Historische Diskurssemantik. Ein linguistischer Beitrag zur Analyse gesellschaftlichen Wissens. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 31 (2000), H. 86, S. 39–53, S. 42 f. 229 Vgl dazu auch Hübner, Gert: Der künstliche Baum, S. 453 f.: „Wenn es [erzähltes Handeln, Anm. d. V.] damit gewissermaßen seine eigene kulturelle Kontextualisierung impliziert, liegt dies daran, dass sein Sinn als situationsbezogenes Handeln stets nur in der Relation zu anderem situationsbezogenem Handeln erkennbar wird, so wie tatsächliches Handeln in der Lebenswirklichkeit seinen Sinn in der Relation zu anderem Handeln zeigt und nicht im Rekurs auf eine andere kulturelle Bedeutungsordnung als die den Praktiken selbst zugrunde liegende.“

3.2 Handlung, Wissen und Komik

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die metonymisch auf das gelingende Handlungsmuster verweist. Damit der Rezipient die erzählte Handlung (2) als scheiternde erkennen kann, muss ihm das gelingende Handlungsmuster in einer Form von Handlungswissen bekannt sein. Dieses Handlungswissen aber ist (3) historisch different, weshalb es für die Analyse von Komik im mittelalterlichen Text notwendig wird, solche historischen Wissensformen so weit wie möglich nachzubilden. Literarisches Handlungswissen bezeichnet dabei Wissen, das sich aus erzählter Handlung ableitet, das aber als literarisch überformte Variante tatsächlicher Handlungen Sinnzuweisungen an erzählte Handlungen vornimmt und somit stets an den kulturellen Kontext gebunden ist. Erzählte, literarisch überformte Handlung stützt sich schließlich auf an tatsächliche Handlungen gebundene Bewertungsparameter, die für Sinnzuweisungen gegenüber tatsächlicher wie auch erzählter Handlung verantwortlich sind. STIERLE konzipiert seine Theorie der Komik als Komplement zur Theorie der Handlung. Auf diese Weise gelingt es ihm, das Handlungswissen als Teil des Erzählverfahrens selbst zu integrieren. Angesiedelt ist das literarische Handlungswissen daher an der Schnittstelle von Erzählverfahren und Rezeptionsleistung, weil die inhärente Metonymie Bezug nimmt auf extradiegetische Wissensbestände. Das rezeptionsseitig eingebrachte Handlungswissen wird im Rahmen Komik generierender Erzählverfahren an das Konstrukt des Modelllesers gebunden, da erst das rezeptionsseitige Erkennen der scheiternden Handlung die gebrochene Erwartung und damit Komik erzeugt. Die nur metonymisch bezeichneten Wissensbestände können im hiesigen Modellierungsversuch daher über das Konstrukt des Modelllesers integriert und als Teil des narrativen Kommunikationsprozesses beschrieben werden. Ein Komik generierendes Erzählverfahren zeigt sich folglich als wechselseitiges Bedingungsgefüge zwischen dem Wie und dem Was des Erzählens. Mit der narrativ arrangierten metonymischen Selbstbezeichnung erzählter Handlung wird das literarische Handlungswissen aktiviert, das für die Beurteilung der erzählten Handlungsmuster entscheidend ist. Die kontrastierende Einsicht ist dann möglich, wenn die erzählte scheiternde Variante des Handlungsmusters mit ihrer jeweiligen Sinnzuweisung an die gelingende Handlung in Verbindung gebracht wird. Die erzählende Darstellung vom fremdbestimmten Scheitern einer Handlung bedient sich infolgedessen für die Struktur der Komik der Struktur der Handlung. Um Erzählstrategien zu beschreiben, die Komik generieren, ist ein Modellleser obligat, der für die im narrativen Kommunikationsprozess wirkenden historischen Wissensordnungen steht. Diesen Modellrezipienten möchte ich in Anlehnung an HÜBNER als einen solchen Rezipienten verstehen, „der sich nicht

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

als hermeneutischer Anarchist benimmt“230, sondern eben die vom Text evozierten Folgerungen ableitet. Das Hilfskonstrukt eines Modelllesers markiert überdies den modellhaften Status des rekonstruierten zeitgenössischen Inferenzund Weltwissens und weist es nochmalig als Produkt hermeneutischer Interpretation aus. Neuere Modellleserkonzepte gehen von inferenzbasierten gegenüber älteren codebasierten Kommunikationsmodellen aus, da die inferenzbasierte Kommunikation das codebasierte Modell um das „Wissen über den Sprecher, die Situation und allgemeines Weltwissen“231 erweitert. Literarische Kommunikationsmodelle der Rezeptionsästhetik präferieren überwiegend codebasierte Kommunikationsmodelle, denen die Sprechakttheorien von AUSTIN und SEARLE zugrunde liegen. FOTIS JANNIDIS bspw. greift für sein Modell narrativer Kommunikation auf PAUL GRICES Theorie der Implikatur zurück, da GRICES Theorie sich entschieden auf inferenzielles Wissen konzentriert. Damit lässt sich das allgemeine Weltwissen der Kommunikationspartner als Inferenzprozess in das Kommunikationsmodell einbringen.232 Das kognitionswissenschaftliche Modell von JANNIDIS verfolgt hierbei das Ziel, den Inferenzbildungsprozess selbst als Gesamtbild der „zu vervollständigenden Angaben im Text und die sie vervollständigenden Operationen des Modell-Lesers“233 sichtbar zu machen. In Abgrenzung zu ECO, der den Modellleser als Textkonstrukt konzipiert und damit die auf der Kenntnis von allen notwendigen Codes aufbauende Kompetenz meint, die Textstrategie nachzuvollziehen, modifiziert JANNIDIS ihn zum anthropomorphen „textbasierte[n] Konstrukt“234 und fokussiert somit sämtliche, vom Text eingeforderten logischen Schlüsse. Bei der Anwendung auf den historischen Gegenstand aber bleiben die Schlussfolgerungen auf den Text selbst beschränkt, vor allem im Hinblick auf die

230 Hübner, Gert: Erzählform im höfischen Roman, S. 31 f., Anm. 87. 231 Vgl. zu den Vorteilen des inferenzbasierten Kommunikationsmodells zuletzt Jannidis, Fotis: Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie. Berlin [u. a.] 2004 (= Narratologia 3), dort S. 15–83 (Kap. 2 ‚Narrative Kommunikation‘), insb. S. 21 ff., Zitat S. 24. Weil sich die narrative Kommunikation dahingehend von der Alltagskommunikation unterscheidet, dass Autor und Erzählinstanz nicht gleichgesetzt werden, könne eine auf primär pragmatische Modelle zurückgreifende, allein codebasierte Kommunikation nicht vollumfänglich greifen; als „Zuschreibungsinstanz“ (S. 26) für die codebasierte Bedeutung sprachlicher Zeichen bleibt der Autor dennoch als Instanz im Kommunikationsmodell erhalten (vgl. S. 24 ff.). 232 Vgl. Jannidis, Fotis: Figur und Person, S. 50 f. 233 Vgl. Jannidis, Fotis: Figur und Person, S. 31. 234 Jannidis, Fotis: Figur und Person, S. 31 (Herv. i. O.). Jannidis geht es um die Inferenzbildung als eigenständigem Verarbeitungsschritt: linguistische wie semiotische Codes dienen als Heuristiken, „Inferenzregeln“ und „weitere Wissensformen, [...] auf denen die Inferenzen wiederum basieren“, bilden als Wissenszusammenhänge einen eigenständigen Schritt und seien gegenüber Codes als „unabhängige Verarbeitungseinheiten“ (S. 48) zu betrachten.

3.2 Handlung, Wissen und Komik

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Inhalte solcher Wissensbestände. Demzufolge sind Inferenzen innerhalb historischer Interpretation immer hermeneutisches Konstrukt und bleiben mit dem sie als solches kennzeichnenden Modellleser bloß Modell. Eine empirisch überprüfbare Historisierung literarischer Texte kann nur mittels realer Lesermodelle geleistet werden, wie das MARCUS WILLAND für die ‚historisierende Rezeptionsanalyse‘ gezeigt hat.235 Der Modellleser bildet die von der Textstrategie initiierten Inferenzen idealiter, letztlich aber ist allein die im Text eingesetzte narrative Strategie zur Aktivierung dieser Inferenzen nachweisbar, die Inferenzen selbst bleiben interpretativ. Der Modellleser soll daher in Anlehnung an ECO als hermeneutisches Hilfskonstrukt verstanden werden, das sich ‚präkognitionswissenschaftlich‘ positioniert.236 Das von ECO postulierte, auf die Sinnkonstitution gerichtete Füllen von Leerstellen im Text steht der Inferenz nahe und präsentiert sich beinahe als literaturwissenschaftlicher Vorläufer der kognitionstheoretischen Inferenz. Inferenzbildung als Rückgriff auf Weltwissen, z. B. in Form typisierter Handlungsabläufe – d. h. im Sinne der kognitionspsychologischen Scripts –, bezieht auch ECO als extratextuelles Wissen mit ein, das durch den Leser im Lektüreprozess eingebracht wird. Für die Analyse mittelalterlicher Literatur bietet ECOS Modell die Chance, Inferenzprozesse in die Interpretation einzuschließen als Vervollständigung von Leerstellen durch den Modellleser, und diese als hermeneutische Interpretation kenntlich zu machen. Skepsis gegenüber der Anwendbarkeit kognitiv orientierter Narratologie für mittelalterliche Texte äußert auch SILVIA REUVEKAMP:237

235 Vgl. Willand, Marcus: Lesermodelle und Lesertheorien. Historische und systematische Perspektiven. Berlin [u. a.] 2014 (= Narratologia 41). Als solche Quellentexte versteht er zum Zeitpunkt der Publikation verfasste Interpretationen, Diskussionsmitschriften, Radiobeiträge, Buchrandnotizen etc. (vgl. S. 23). Die Grenzen seines Ansatzes macht Willand deutlich: Es „kann aufgrund der großen zeitlichen Distanz zu dem Gegenstand recht sicher ausgeschlossen werden, dass sich eine brauchbare Menge an Rezeptionszeugnissen finden lässt, deren Analyse einen produktiven Beitrag für die Forschung liefern könnte“ (S. 26). Willand integriert Inferenzprozesse in sein Modell, räumt jedoch zugleich deren hypothetischen Status innerhalb eines Modells historisierender Rezeptionsanalyse ein: „Nur eine über Sekundärtexte aus dem Publikationszeitraum geleistete Rekonstruktion faktisch gezogener Inferenzschlüsse kann den Gewissheitsanforderungen einer strengen Historisierung gerecht werden“ (S. 44, Herv. i. O.). 236 Den von Eco für die verschiedenen Wissensformen gebrauchten Begriff ‚Enzyklopädie‘ übernimmt Jannidis, grenzt sich jedoch gegen die „noch zu sehr [...] präkognitionswissenschaftliche[] Auffassung von menschlicher Informationsverarbeitung“ (Jannidis, Fotis: Figur und Person, S. 70, Anmerkung 121) ab. 237 Kritik an Jannidis’ Ansatz auch bei Bleumer, Hartmut: ‚Historische Narratologie‘? Metalegendarisches Erzählen im Silvester Konrads von Würzburg. In: Haferland, Harald / Meyer, Matthias (Hrsg.): Historische Narratologie, S. 231–261. Bleumer bezweifelt das Historische an

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

Im Falle mittelalterlicher Literatur bleibt der Text als (in sich geschlossenes und intentionales) sprachliches Artefakt der einzig wirklich greifbare Bezugspunkt der Analyse; Aussagen zu seinen Wirkungspotentialen sind am Ende nur vermittelt über Konstruktionen wie einen Modellleser oder impliziten Leser zu machen, der in textuellen Strategien der Rezeptionssteuerung greif- und beschreibbar wird.238

Ansätze kognitiver Literaturwissenschaft könnten mitnichten die „heteronomen Wirkungsweisen von Textinformationen in Abhängigkeit vom Weltwissen individueller Leser erfassen, um konkrete Wahrnehmungs-, Verarbeitungs-, und Verstehensprozesse nachzuzeichnen und modellhaft zu konzeptualisieren“239. Der Gewinn kognitivistischer Ansätze ist gewiss die systematische Einbindung kulturellen Wissens bei der Rekonstruktion von Sinnbildungsprozessen; diesbezüglich verfahren sie zunächst prinzipiell offener als ihre rezeptionsästhetischen Vorläufer. Da die Analyse historischer Texte aber nicht ohne interpretatorische Modellierungen des Modelllesers mitsamt seines kulturellen Wissens auskommt, erscheint der Rückgriff auf Konzepte aufrichtiger, die den Modellleser als ein aus dem Text selbst herausinterpretiertes Modell erfassen und die mit der metonymischen Folie eingeforderten Rezeptionsleistungen als textuelle Strategie begreifen. Prinzipiell stehen kognitionswissenschaftliche Ansätze dem Ecoschen Lector in fabula sehr nahe, insbesondere da Inferenzbildungsprozesse schon bei ECO eine Rolle spielen.240 Die narrative Strategie zur Komikerzeugung, die maßgeblich die metonymische Selbstbezeichnung funktionalisiert, bezieht etwas mit ein, das im Text vorausgesetzt ist, „was dieser nicht sagt (aber voraussetzt, anspricht, beinhaltet und miteinbezieht)“241; der Text wird somit ECO zufolge zur „Präsuppositionsmaschine“242. Solcherlei vorhandene „Leerstellen“ und

Jannidis’ Ansatz: Das „Historische [fungiert dort] eher als eine Leerstelle“ (S. 235, Anmerkung 11), indem Weltwissen als historisch variant anerkannt wird. 238 Reuvekamp, Silvia: Hölzerne Modelle – mentale Modelle? Mittelalterliche Figuren als Gegenstand einer historischen Narratologie. In: DIEGESIS 3.2 (2014), S. 112–130, S. 116. 239 Reuvekamp, Silvia: Hölzerne Modelle – mentale Modelle?, S. 116. 240 Vgl. dazu: Eco, Umberto: Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. Aus dem Italienischen von Heinz-Georg Held. München [u. a.] 1987, S. 20 f. Eco systematisiert hier schon verschiedene Inferenzbildungsprozesse und deklariert sie als „Grundbestandteil einer Textinterpretation“ (S. 21). ‚Inferenzen aus allgemeinen Szenographien‘ werden von Eco selbst schon mit linguistischen Frame-Konzepten parallelisiert (vgl. S. 98 ff.); als Teil der „enzyklopädischen Kompetenz des Lesers“ bilden sie sogleich „Regeln für praktische Handlungen“ (S. 104, Herv. i. O.). Auch Zymner, Rüdiger: Körper, Geist und Literatur, S. 140 f. weist auf die Nähe des Script-Begriffs und Ecos Szenographien hin. 241 Eco, Umberto: Lector in fabula, S. 5. 242 Eco, Umberto: Lector in fabula, S. 29.

3.2 Handlung, Wissen und Komik

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„Zwischenräume[]“243 verlangen danach, aufgefüllt zu werden und Voraussetzung hierfür ist die dem Modellleser unterstellte Kompetenz, idealiter alle generierten Leerstellen füllen zu können. Der Modellleser ist dabei keineswegs anthropomorphes Konstrukt, sondern eine Textstrategie244 und somit „Interpretationshypothese[]“245. Der Modellautor ist im Zusammenhang mit Komik generierenden narrativen Verfahren dann insofern relevant, als der Text qua Strategie gezielt Interpretationen intendieren kann, unabhängig von ihrem Gelingen; der Rückgriff des Modelllesers auf allgemeine oder intertextuelle Szenographien bleibt dabei integraler Bestandteil der Strategie. Da diese Strategien wie auch Inferenzen sich aus dem Text selbst herleiten lassen, wird der Modellleser so gerade nicht anthropomorphisiert. Weil kognitionstheoretische Annahmen aber letztlich immer auf reale Lesermodelle rekurrieren bzw. deren Prämissen sich per se nur anhand realer Leser überprüfen lassen – sie bedienen sich realer Lesermodelle und leisten damit mehr einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte als zur Rezeptionsästhetik –, kann deren Übertragung auf historisierende Lesermodelle nicht funktionieren, ohne ebenso hypothetisch zu sein wie auch hermeneutische Konstrukte. Der Erkenntnisgegenstand kognitionstheoretischer Überlegungen ist daher der reale Leser und nicht die Interpretation von Texten unter Einbezug von Lesermodellen. Wenn Komik von Erwartungsbrüchen verursacht wird, kann deshalb auch gerade nicht auf den rezeptionsgeschichtlich von JAUß geprägten Terminus des Erwartungshorizonts Bezug genommen werden, der auf reale Rezeptionsvoraussetzungen abzielt. Gegenüber stehen sich letztlich ein im kognitionswissenschaftlichen Paradigma auf gemeinsame Erfahrung (GRICE) und ein bei ECO auf „kulturell geteilte Kontextualisierungskonventionen“ (SEARLE) zielender Ansatz.246 Weltwissen bspw. ist schon Teil des Eco’schen Ansatzes, wird mit JANNIDIS’ Rückgriff auf GRICE aber in den Kommunikationsprozess selbst schon implementiert und tritt

243 Eco, Umberto: Lector in fabula, S. 63. 244 Isers idealer Leser ist bspw. Fiktion in Abgrenzung zu den Versuchen der Rezeptionsgeschichte, Bezug auf reale zeitgenössische Leser zu gewinnen. Der implizite Leser bezeichnet dann „die Gesamtheit der Vororientierungen, die ein fiktionaler Text seinen möglichen Lesern als Rezeptionsbedingungen anbietet. Folglich ist der implizite Leser nicht in einem empirischen Substrat verankert, sondern in der Struktur der Texte selbst fundiert.“ Auch bei Iser ist das Konzept eine Textstruktur. Vgl. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, S. 54, Zitat S. 60. 245 Vgl. Eco, Umberto: Lector in fabula, S. 72, 78 f., Zitat S. 79. 246 Vgl. Strasen, Sven: Rezeptionstheorien. Literatur-, sprach- und kulturwissenschaftliche Ansätze und kulturelle Modelle. Trier 2008, S. 141.

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3 Komik als Kategorie einer Historischen Narratologie

nicht erst konsekutiv hinzu.247 Die offenkundige Nähe literaturwissenschaftlich rezeptionstheoretischer und linguistisch pragmatischer Ansätze – Kontextualisierung beruht in beiden Fällen auf textuellen, kognitiven oder soziokulturellen Faktoren248 – verlangt nach Modellen von Kontextkonstruktion, die Wissensbestände stärker einbeziehen als das bisherige rezeptionstheoretische Ansätze getan haben.249 Es bleibt anhand der höfischen Romane zu prüfen, inwieweit sich STIERLES Überlegungen zu narrativen Strukturen literarischer Komik mit dem praxeologischen Ansatz HÜBNERS perspektivieren lassen, um die ‚Präsuppositionmaschinerie‘, die ECO mit seinem Modellleser im Blick hat, ein Stück weit einzuholen. Die Modellierungen ‚literarischen Handlungswissens‘ werden je aus den einzelnen Realisierungen eines Handlungsmusters rekonstruiert, das mehrfach in unterschiedlichen Texten auftritt. Hierfür werden die Handlungsmuster auf ihre typisierten Regelmäßigkeiten hin sondiert und hiervon ein Bündel an Merkmalen abgeleitet, das den der Handlung inhärenten Sinn transportiert. Erst aufbauend auf diesen Rekonstruktionen werden scheiternde Handlungen greifbar.

247 Vgl. Strasen, Sven: Rezeptionstheorien, S. 152. Zwar ist der Gewinn gegenüber codebasierten Modellen nicht zu dementieren, insoweit die kognitionstheoretischen Modelle eine breitere Perspektivierung ermöglichen, dennoch muss deren Grundlage kognitionstheoretisch fundiert werden, was wiederum nach einem genauen Analyseinstrumentarium verlangt, das sich kaum allein aus literaturwissenschaftlichen Parametern speisen kann (vgl. S. 154 f.). 248 Vgl. Strasen, Sven: Rezeptionstheorien, S. 186 f. 249 Vgl. Strasen, Sven: Rezeptionstheorien, S. 193.

4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois 4.1 Das narrative Grundmodell des Wigalois 4.1.1 ‚Unerledigte Fragen an den Wigalois‘ – eine Forschungsskizze Der Wigalois nimmt in mancherlei Hinsicht eine Sonderstellung innerhalb der Artusromane ein.250 Das betrifft seinen Umgang mit Vorlagen und seine Struktur ebenso wie den Inhalt des Romans. Die Forschung konzentriert sich daher im Wesentlichen auf die dem Roman eigenen ‚unkonventionellen‘ Komponenten, die den Wigalois in der Nachfolge von Hartmann und Wolfram als in mehrfacher Hinsicht divergent kennzeichnen. Hatten diese Divergenzen lange Zeit eine Abwertung des Romans zur Folge, werden sie bereits seit den 1980er Jahren – mit Ausnahme des immer wieder gerne zitierten, vernichtenden Urteils von WERNER SCHRÖDER – als produktiver Umgang eines Nachfolgers mit seinen Vorgängern verstanden.251 Der Synkretismusvorwurf SCHRÖDERS zielt auf vermeintlich „[s]törende Zutaten“ des Textes ab: Figuren und ganze Episoden werden als überflüssig empfunden und als „Anbauten, die mehr stören als nutzen, weil sie im Grunde stilwidrig sind“ eingeschätzt, Plagiatsvorwürfe werden laut und bestenfalls sei der „Abguß“ – immerhin – dort gelungen, so SCHRÖDER, wo Wirnt „seinem jeweiligen Modell nahe blieb“.252 Das Urteil SCHRÖDERS resultiert aus der Tendenz, die späteren Artusromane gegenüber ihren Vorgängern als epigonal auszuweisen und den Wirntschen Roman in der chronologischen Reihe der deutschen Artusromane im Hinblick auf seine Struktur und hinsichtlich der Integration der verstärkt christlichen Dimension, denjenigen Hartmanns und Wolframs gegenüberzustellen und seine Abweichungen vom ‚klassischen‘ Modell aufzuzeigen. 253 Die Struktur betreffende Vergleiche haben 250 Für detailliertere Forschungsüberblicke vgl. Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg. Eine Einführung. Berlin [u. a.] 2010 sowie Wennerhold, Markus: Späte mittelhochdeutsche Artusromane, S. 74–127. 251 Vgl. hierzu auf der Lake, Katrin: Wi(e)der die Tradition – Epigonales Erzählen im Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Chalupa-Albrecht, Anna / Wick, Maximilian (Hrsg.): „Wo die Epigonen wohnen“. Epigonalität in mediävistischer Perspektive. Berlin 2020 (= Mikrokosmos. Beiträge zur germanistischen und allgemeinen Literaturwissenschaft 86), S. 75–98. 252 Schröder, Werner: Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg. Unerledigte Fragen an den Wigalois. In: Euphorion 80 (1986), S. 235–277, Zitate S. 252, 272, 274. 253 Vgl. dazu zuletzt auch Standke, Matthias: Der Held im Wald der Stimmen. Zur programmatischen Dialogizität des Wigalois. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 136 (2017), H. 3, S. 343–362, S. 350: „Der ‚Wîgâlois‘ kann nicht mit dem arturischen (Hartmann’schen) Erzählschema des Doppelwegs gelesen werden. Die treffendste Struktur der Diegese offenbart sich https://doi.org/10.1515/9783110732252-004

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

eine Vierteilung des Romans konstatiert, die neben zwei Aventiurereihen eine diese umrahmende vorangestellte Elternvorgeschichte und ein abschließendes „Bestätigungsabenteuer“ aufweist, dessen Nähe zur Joie de la Court-Episode der Erecromane JOACHIM HEINZLE gesehen hat.254 Vorschläge zur Differenzierung wurden gemacht, die Vierteilung aber mit wenigen Ausnahmen aufrechterhalten.255 Fragen nach der Funktion der mit den beiden Erzählblöcken gewonnenen ‚Sinnstruktur‘ und solche nach deren Anbindungsmechanismen an die Aventiuresequenzen werden bis dato immer wieder neu gestellt. Vertritt HANS-JOCHEN SCHIEviel eher in einem Dreischritt, der nicht als Entwicklung des immer schon perfekten Helden, wohl aber als Komplementierung der narrativen Entfaltung desselben zu verstehen ist.“ 254 Heinzle, Joachim: Über den Aufbau des Wigalois. In: Euphorion 67 (1973), S. 261–271, S. 263. Vgl. für eine Zusammenstellung kritischer Gegenstimmen zu Heinzles Modell Wennerhold, Markus: Späte mittelhochdeutsche Artusromane, S. 81–83. Vor Heinzle hatte sich schon Mitgau, Wolfgang: Nachahmung und Selbständigkeit Wirnts von Grafenberc in seinem Wigalois. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 82 (1963), S. 321–337, S. 326 f. für eine solche Vierteilung ausgesprochen. 255 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône. Zwei Kapitel zur Gattungsgeschichte des nachklassischen Aventiureromans. München 1977 (= Münchener Texte und Untersuchungen 57), S. 24 teilt den Roman in Vorgeschichte, Kernhandlung und Nachgeschichte ein, wobei die Kerngeschichte nochmals in zwei Sequenzen zu untergliedern sei. Ebenfalls vier Teile bei Thomas, Neil: Literary Transformation and Narrative Organization in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. In: The Modern Language Review 80 (1985), S. 362–371, S. 363 und Thomas, Neil: The Medieval German Arthuriad. Some Contemporary Revaluations of the Canon. Bern [u. a.] 1989 (= Europäische Hochschulschriften I: Deutsche Sprache und Literatur 1153), insb. S. 136 f. Die Einteilung von Edrich-Porzberg, Brigitte: Studien zur Überlieferung und Rezeption von Hartmanns Erec. Göppingen 1994 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 557), S. 180 ff. in vier Handlungsteile ist derjenigen Cormeaus sehr nahe, die Zählung nimmt die Zweiteilung der Haupthandlung auf. Vier Teile postuliert auch Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts Wigalois. In: Mertens, Volker / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Fiktionalität im Artusroman. Dritte Tagung der deutschen Sektion der Internationalen Artusgesellschaft in Berlin vom 13.-15. Februar 1992. Tübingen 1993, S. 146–159. Die Einteilung in vier Sequenzen fußt bei Sherman, Jon: The Structure of Wigalois. Parallel Confrontations in the Christian / Arthurian and Heathen / Demonic Realms. In: Jefferis, Sibylle (Hrsg.): Medieval German Textrelations: Translations, Editions, and Studies. Kalamazoo Papers 2010–2011. Göppingen 2012 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 765), S. 73–82 hauptsächlich auf der Parallelisierung der Kämpfe der ersten und zweiten Aventiurereihe; Elternvorgeschichte und Wigalois’ Landesherrschaft seien bloß Vor- und Nachgeschichte. Für eine Dreiteilung spricht sich Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes? Eine handlungsanalytische Studie. Hamburg 2016, S. 84 ff. aus: 1. Vorgeschichte, 2. Aventiureteil, 3. Namur-Episode. Drei Teile auch schon bei Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel. Die Entwicklung von Hartmann von Aue bis zum Pleier. Stuttgart 1996 (= Helfant Studien 11), insbes. 118 f. Vgl. hierzu zuletzt Waltenberger, Michael: Heldentum in wechselnden Weltverhältnissen. Zur beunruhigenden Epigonalität von Wirnts Wigalois. In: Chalupa-Albrecht, Anna / Wick, Maximilian (Hrsg.): „Wo die Epigonen wohnen“, S. 55–74.

4.1 Das narrative Grundmodell des Wigalois

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die These Wirnt würde demonstrieren, „daß er [Wigalois, Anm. d. V.] in der Lage ist, in allen erzählerischen Welten zu bestehen“256, versuchen jüngere Ansätze darüber hinaus den Einsatz spezifischer Erzählverfahren herauszustellen, welcher Verbindungslinien zwischen den einzelnen Teilen schaffen.257 JAMES H. BROWN hat so bspw. jüngst gezeigt, wie über ekphrasische Elemente „thematic bridges“ gebaut und so die einzelnen Erzählabschnitte miteinander verbunden werden.258 Strukturell betrachtet zeichnet sich die Mittlerstellung des Romans einerseits dadurch aus, dass sie das zweistufige Erzählmodell des Artusromans variiert; andererseits modifiziert sie es nicht bloß für sich genommen, sondern ergänzt es um weitere Erzählblöcke und rahmt es so ein. Damit werden die bereits von Wolfram im Parzival richtungsweisenden strukturellen Modifikationen fortgeführt. Ein Blick auf die dem Roman nachfolgenden Romane, insbesondere auf die Crône, kann zeigen, inwieweit der Wigalois sich als eine strukturelle Vorstufe zeigt, und wie der Roman im Umgang mit Vorlagen und Erzählmustern ein deutlich anderes WER

256 Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts Wigalois, S. 157. Das sei auch der Grund für die zahlreichen Verweise auf andere Texte und die Montage artusromanfremder Elemente: „Wirnt beginnt mit einem Artusroman, schafft den perfekten Helden und schickt ihn auf die Bewährung durch die Erzählwelten der zeitgenössischen Literatur.“ (S. 159) 257 Vgl. dazu auch die kulturwissenschaftlich orientierte Lektüre des Textes bei Veeh, Michael: Auf der Reise durch die Erzählwelten hochhöfischer Kultur. Rituale der Inszenierung höfischer und politischer Vollkommenheit im Wigalois des Wirnt von Grafenberg. Berlin 2013 (= Regensburger Studien zur Literatur und Kultur des Mittelalters 2), der in einer „kulturwissenschaftlichen Parallellektüre[]“ (S. 281) des Textes mit Texten anderer Gattungen wie auch mit außerliterarischen Quellen und unter Rückgriff auf ritualtheoretische Muster eine „collageartige Verknüpfungstechnik“ symbolischer Kommunikationsmuster nachzuweisen sucht, welche die konstatierten Brüche zwischen den einzelnen Blöcken eliminiere. Die in den je differenten Erzählräumen spezifischen Kommunikationsregeln bildeten eine „semantische Linie“ (S. 16). 258 Brown, James H.: Imagining the Text. Ekphrasis and Envisioning Courtly Identity in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. Leiden 2016 (= Visualising the Middle Ages 10), Zitat S. 5. Das Verfahren selbst funktioniere auf drei Ebenen: als „structuring device“, als „integrative device“ und „as a means of courtly self-representation“ (S. 5, Herv. i. O.). Die Ekphrasis ermögliche so, christliche Werte mit denjenigen arthurischer Ritterschaft zu vereinen und spiegele darüber hinaus die Ideale der aristokratischen Gesellschaft wider. Brown identifiziert als strukturierende Elemente fünf ekphrasische Beschreibungen: Zaubergürtel, Rad der Fortuna, Tugendstein, Japhites Grab (vgl. hierzu auch ders.: Envisioning Salvation. An Ecumenical Ekphrasis in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. In: Arthuriana 20 (2010), H. 3, S. 6–20), Laries Zelt. In einem zweiten Schritt weitet Brown seinen Blickwinkel auf die illustrierten Handschriften wie auf die Fresken auf Schloss Runkelstein aus. Vgl. hierzu ebenso (beispielhaft am Zelt von Larie) ders.: ‚Gemeistert dar mit worten‘. Ekphrasis und Visualisierungsstrategien in den illustrierten Wigalois-Handschriften. In: Starkey, Kathryn / Wenzel, Horst (Hrsg.): Imagination und Deixis. Studien zur Wahrnehmung im Mittelalter. Stuttgart 2007, S. 33–49.

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Erzählprogramm ansetzt, das für die nachfolgenden Romane richtunggebend wird. Die noch immer offenen und ‚unerledigten Fragen an den Wigalois‘ lassen sich schließlich nur vor dem Horizont von weiteren, vorrangig die Poetologie des Romans betreffenden Studien beantworten. Einen ebenso prävalenten Zweig der Forschung macht die Gegenüberstellung von Wigalois und Parzival hinsichtlich des in beiden Texten deutlich hervortretenden Grades an Religiösität aus. Mehrheitlich wird die Meinung vertreten, dass im Wigalois eine direkte Auseinandersetzung mit dem Parzival stattfinde bzw. sei der Roman per se eine solche sei. Unlängst hat GESINE MIERKE diese intertextuell-genealogisch begriffen und die Verbindung der beiden Romane über Gawein hergestellt: Im Wigalois wird die Geschichte Gaweins über den Parzival hinaus fortgeschrieben und mit Wigalois als neuem Helden ein Herrschaftsmodell entworfen, dass [sic!] die Patrilinearität zurückholt und einen weltlichen Entwurf als Gegenmodell zum transzendenten Gralsreich bietet.259

Die Arbeiten von THOMAS zielen in eine ähnliche Richtung, wenngleich an keiner Stelle genealogische Bezugspunkte für die Verbindung der beiden Texte herangezogen werden. Er versteht die Konzeption des Helden ebenfalls als direkte Reaktion auf den Parzival und als Absage an die Aufspaltung von Gral- und Artuswelt.260 Auch ohne den Bezug zu Wolframs Roman herzustellen ist die stark in den

259 Mierke, Gesine: Genealogie und Intertextualität. Zu Wolframs von Eschenbach Parzival und Wirnts von Grafenberg Wigalois. In: Amsterdamer Beiträge zu älteren Germanistik 74 (2015), S. 180–200, S. 185. Dementgegen die These, Wirnt habe nur die ersten sechs Bücher des Parzival gekannt, vgl. hierzu zuletzt mit Rekurs auf frühere Ergebnisse Nellmann, Eberhard: Parzival (Buch I–VI) und Wigalois. Zur Frage der Teilveröffentlichung von Wolframs Roman. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 139 (2010), S. 135–152. Besonders die frühe Forschung der 1980er Jahre interessierte sich für Wirnts Verhältnis zu Wolfram: vgl. dazu Schröder, Werner: Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg, insbes. S. 235–241 (auch zum Willehalm). 260 Vgl. Thomas, Neil: Wirnts von Gravenberg Wigalois und die Auseinandersetzung mit der Parzival-Problematik. In: Amsterdamer Beiträge zur Älteren Germanistik 60 (2005), S. 129–160, S. 140 f.: „Dadurch, dass er seinen Protagonisten expressis verbis zum tadellosen miles Christi avanciert, setzt sich Wirnt tendenziös mit der theologischen Ambivalenz des Parzival auseinander. Er propagiert eine erzähltechnische und moralische Korrektur zum Parzival, die ein klares Urteil über die von Wolfram ungelöste theologische Frage ablegt: Der einwandfreie Status des Protagonisten erweist sich als politisches/theologisches Programm des Dichters.“ Zuvor hat er in Thomas, Neil: The Medieval German Arthuriad, S. 118–127, hier S. 125 für das Verhältnis des Wigalois zum Parzival konstatiert, dass die im Parzival vorgenommene Spaltung von Artus- und Gralreich im Wigalois kontrastiv aufgelöst werde. Wigalois sei „a more orthodox hero than Parzival“ (S. 134). Als „variant of the grail tradition“ und „creative confrontation with Wolfram“ bezeichnet Thomas den Wigalois in Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s Wi-

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Vordergrund tretende Religiösität vermehrt in den Blick geraten.261 Im Anschluss an STEPHAN FUCHS, der zeigt, inwieweit der Held als Gattungs-Hybrid konzipiert ist und „legendarische[]“, gar „Christus-gleiche Züge“ eines „Legendenheiligen“ ins Artusrittertum implementiert,262 stellt FASBENDER die legendarische Motivik in den Zusammenhang hagiografischer Erzählstrukturen und kann die konstatierten Ambivalenzen des Romans infolge einer „Polyvalenz des Helden“ erklären, die dem Roman neben der christlichen ebenso eine – über Analogien zum Hl. Georg hergestellte – legendarische wie eine heroisierende Komponente zur Seite stellten.263 So präsentiert sich auch der Protagonist des Romans hybrid, wie das die Forschung vielschichtig zeigen konnte. Als Artusritter nimmt er dadurch eine eigentümliche Position ein, die Einfluss nimmt auf die Erwartungshaltung hinsichtlich seines Handelns. Der hybride Status des Helden wird zusätzlich befördert durch die vor-

galois and Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône. In: Hasty, Will (Hrsg.): German Literature of the High Middle Ages. Rochester [u. a.] 2006 (= The Camden House History of German Literature 3), S. 203–214, S. 205. Die Ergebnisse werden zusammengeführt in: Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. Intertextuality and Interpretation. Woodbridge 2005 (= Arthurian Studies 62). 261 Einerseits die religiöse Dimension des Romanhelden betreffend zuletzt Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes? Mit Blick auf hagiographische Texte Del Duca, Patrick: Entre le sacré et le profane: quelques considérations sur l’intertextualité dans Wigalois. In: Le texte et l’idée 21 (2007), S. 25–46. Textübergreifend und mit Blick auf eine Positionierung innerhalb der Gattungstradition Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. Henderson, Ingeborg: Dark Figures and Eschatological Imagery in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois. In: Haymes, Edward R. / Cain Van D’Elden, Stephanie (Hrsg.): The Dark Figure in Medieval German and Germanic Literature. Göppingen 1986 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 448), S. 99–113 schlussfolgert, der Roman ziele als „message of apocalyptic urgency to his age“ (S. 110) darauf ab, Gottes Gnade und Wirken zu bestätigen. Andererseits diejenige des Orients betreffend. Hierzu bspw. Borgnet, Guy: Présence et fonction de l’orient dans Wigalois, le chevalier à la roue. In: Études médiévales. Revue 9–10 (2008), S. 303–308. Vgl. dazu auch Lecointre, MarieNoëlle: L’empreinte des spiritualités dans Parzival, Wigalois et Perlesvaus. Islam, Bouddhisme et Christianisme. In: Buschinger, Danielle (Hrsg.): Histoire et littérature au Moyen Age. Göppingen 1991 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 546), S. 225–234. 262 Fuchs, Stephan: Hybride Helden: Gwigalois und Willehalm. Beiträge zum Heldenbild und zur Poetik des Romans im frühen 13. Jahrhundert. Heidelberg 1997 (= Frankfurter Beiträge zur Germanistik 31), Zitate S. 142, 144, 146. 263 Fasbender, Christoph: Von Gwigalois zu Wigelis. In: Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich: Gattungsinterferenzen. Der Artusroman im Dialog. Berlin [u. a.] 2016 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 11), S. 79–94, Zitate S. 91, 85. Die heroisierende Komponente weist Fasbender anhand der im Dresdener Heldenbuch geschaffenen Verbindung zu Ornit (k) nach. Vgl. auch Fasbender, Christoph: Gwigalois’ Bergung. Zur Epiphanie des Helden als Erlöser. In: Burrichter, Brigitte / Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Aktuelle Tendenzen der Artusforschung. Berlin 2013 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft. Sektion Deutschland/ Österreich 9), S. 209–222.

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angestellte Elternvorgeschichte. Gerade die religiöse Motivik aber scheint schwer vereinbar mit den aus der Elternvorgeschichte hervorgehenden magischen Komponenten, die selbst wiederum an das Schema der gestörten Martenehe erinnert. Die Elternvorgeschichte macht Gawein zum Vater des Helden und dennoch wurde in der Forschung bisher kaum gewürdigt, dass dieser als Vaterfigur im Wigalois ein Solitär ist; nach der Dissertation von UTE SCHIEßL aus dem Jahr 1968 folgten keine Forschungsbeiträge mehr, die die Gaweinfigur im Wigalois in den Fokus stellen.264 Stattdessen hat man sich zunächst darauf konzentriert, die Frage nach der Funktion der Elternvorgeschichte hinsichtlich einer hierdurch erreichten Prädestination265 des Sohnes insoweit zu stellen, als diese einerseits durch die genealogische Verbindung zu Gawein sowie andererseits durch Gaweins Martenehe erreicht würde.266 Zahlreiche Untersuchungen jedoch kommen zu dem Schluss, dass die Floriefigur deutlicher als höfische Dame denn als Fee gestaltet ist.267 KATHARINA PHILIPOWSKI und BJÖRN REICH haben neuerlich nochmals aufgezeigt, dass neben der

264 Schießl, Ute: Die Gawangestalt im Wigalois. München 1968. Ebenbauer, Alfred: Gawein als Gatte. In: Krämer, Peter (Hrsg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten. Vorträge des Symposions in St. Georgen / Längsee vom 8. bis 13.9.1980. Wien 1981 (= Wiener Arbeiten zur Germanischen Altertumskunde und Philologie 16), S. 33–66, S. 36, übergeht die „Ehe als Intermezzo“ in seinem Beitrag. Selbst die Arbeit von Schmitz, Bernhard Anton: Gauvain, Gawein, Walewein. Die Emanzipation des ewig Verspäteten. Tübingen 2008 spart den Wigalois innerhalb der deutschen Erzähltradition gänzlich aus. Für den deutschen Artusroman untersucht Schmitz die Artusromane Hartmanns, Wolframs Parzival und Heinrichs Crône. 265 Vgl. Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts Wigalois. 266 Vgl. Dietl, Cora: Fiktive Artuswelt und Reichsideal als Produkte narrativer Struktur im Wigalois des Wirnt von Grafenberg. In: Parry, Christoph (Hrsg.): Text und Welt. Beiträge der 11. Internationalen Tagung Germanistische Forschungen zum literarischen Text. Vaasa 2002 (= SAXA, Sonderbd. 8), S. 73–81, S. 77. Die Handlung folge dem Schema der Martenehe mit dem Ziel, das arthurische Erzählschema mit dem des Feenmärchens zu konfrontieren und so die begrenzte Wirkkraft der Regeln der Artuswelt zu demonstrieren und damit zugleich zu desavouieren. Vgl. auch Brinker-von der Heyde, Claudia: Geliebte Mü t ter – Mü t terliche Geliebte. Rolleninszenierung in höfischen Romanen. Bonn 1996 (= Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 123), S. 176, die die Elternvorgeschichte als bloß dem Zweck dienlich deutet, Wigalois qua der „Besonderheit seiner Zeugung“ eine besondere Stellung zu verleihen. Florie nehme daher nur die Stellung einer „Statistin“ ein. Vgl. dazu auch Miklautsch, Lydia: Studien zur Mutterrolle in den mittelhochdeutschen Großepen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Erlangen 1991 (= Erlanger Studien 88), S. 68. 267 Vgl. die Arbeit von Bungartz, Peter: Quelle und Funktion der Feendarstellung in der mittelhochdeutschen Epik. München 1981, S. 137 ff. Er weist auf die zwar deutliche Nähe des Joramreichs zum Feenmärchen hin, konstatiert aber auch, dass Florie an keiner Stelle als Fee, sondern vielmehr als höfische Dame ausgewiesen werde. So auch Funcke, Eberhard W.: Morgain und ihre Schwestern. Zur Herkunft und Verwendung der Feenmotivik in der mittelhochdeutschen Epik. In: Acta Germanica 18 (1985), S. 1–64, S. 36: „Florie ist eine wunderschöne

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Unzugänglichkeit des Joramreichs die Attribute von höfischer Schönheit und Vollkommenheit deutlich überwiegen, weshalb die Hinweise darauf, Florie als Fee interpretieren zu dürfen, sehr vage blieben.268 Vornehmlich hat das aus dem Joramreich stammende Requisit des magischen Gürtels, den die Mutter dem Sohn überlässt, dazu angehalten, das Reich samt seiner Bewohner als Feenreich zu verstehen. CHRISTOPH SCHANZE hat jene Polysemie des Gürtels als „beinahe programmatische[] Unschärfe“ benannt, die sich einer einfachen Sinnzuweisung entziehe und auf histoire- und discours-Ebene sowie als Ding-Symbol differente Funktionen innehabe.269 Ungewöhnlich und zahlreich sind die neben dem Gürtel im Roman präsenten magischen und wunderbaren Gegenstände, die dem Helden im Laufe der Erzählung hilfreich werden. SANDRA LINDEN hat erstmals eine Untersuchung der magischen Requisiten aus Ding-narratologischer Perspektive vorgelegt, die

und streng gläubige höfische Dame mit allen denkbaren guten Eigenschaften, aber eine Fee ist sie nicht.“ Auch Wieshofer, Natascha: Fee und Zauberin. Analysen zur Figurensymbolik der mittelhochdeutschen Artusepik bis 1210. Wien 1995, S. 159–168, kommt zu dem Schluss, dass neben dem Joramreich – das Joramreich versteht Wieshofer als „Jenseitsreich“ (S. 162) – selbst „kein einziges anderes Motiv auf die Charakterisierung Flories als Fee hin[weist]“ (S. 168), obschon sie zuvor feststellt, dass die Beschreibung Flories durchaus darauf verweise und Florie als „eine Art Fee“ (S. 163) erscheine. 268 Vgl. Philipowski, Katharina / Reich, Björn: Feen als Erzählfunktionen: Wie der Artusroman gegen sein Scheitern anerzählt. In: Przybilski, Martin / Ruge, Nikolaus (Hrsg.): Fiktionalität im Artusroman des 13. bis 15. Jahrhunderts. Romanistische und germanistische Perspektiven. Wiesbaden 2013 (= Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 9), S. 133–154, S. 139. So auch Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Nachwort zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J. M. N. Kapteyn. Übers. und erl. und mit einem Nachwort versehen von dens. Berlin [u. a.] 2005, S. 263–284, die allein das Hortus-conclusus-Motiv dafür verantworten, das Joramreich „quasi als Schwundstufe eines Feenreiches“ (S. 266) auszuzeichnen. Ähnlich auch schon bei Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, insbes. S. 151–154, 221–223 und 273–279. 269 Schanze, Christoph: Jorams Gürtel als ‚Ding‘. Zur Polysemie eines narrativen Requisits. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 135 (2013), S. 535–581, dort S. 581. Vgl. dazu jüngst Selmayr, Pia: Der Lauf der Dinge. Wechselverhältnisse zwischen Raum, Ding und Figur bei der narrativen Konstitution von Anderwelten im Wigalois und im Lanzelet. Frankfurt a. M. 2017 (= Mikrokosmos 82), S. 113–128. Zum Gürtel vgl. außerdem Dimpel, Friedrich Michael: Fort mit dem Zaubergürtel! Entzauberte Räume im Wigalois des Wirnt von Grafenberg. In: Glauch, Sonja / Köbele, Susanne / Störmer-Caysa, Uta (Hrsg.): Projektion – Reflexion – Ferne. Räumliche Vorstellungen und Denkfiguren im Mittelalter. Berlin [u. a.] 2011, S. 13–37, der „die Überwindung der magischen Elemente als Programm“ (S. 36) gerade im Verlust des Zaubergürtels versinnbildlicht sieht. Vater und Sohn würden wieder zusammengeführt, parallel verliere der Gürtel an Stellenwert und verschwinde am Punkt der Zusammenkunft. Zur ambivalenten Wirkung des Gürtels auch Schopphoff, Claudia: Der Gürtel. Funktion und Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Mittelalter. Köln 2009 (= Pictura et Poesis 27), S. 186 ff.

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zeigt, wie sich „aus der schieren Existenz der Dinge ein widerständiger Subtext“ ergibt, der „eine alternative Lesart als die vom Erzähler präsentierten glänzenden Erlösungstaten des idealen Helden gibt“.270 LINDEN bewertet die wunderbaren Dinge im Wigalois als „bewusste narrative Strategie […], die eine verstörende Vielstimmigkeit des Textes evoziert“271. Gegenüber der die vorherigen Untersuchungen zu den magischen Dingen dominierenden Hypothese von einer Verschiebung vom Magischen hin zu religiös aufgeladenen Hilfsmitteln,272 perspektivieren neuere Ansätze, wie diejenigen von SCHANZE und LINDEN, die Dinge deutlicher hin auf deren Benutzer. Bereits JUTTA EMING hat den Begriff der Prädestination „angesichts dieser verdinglichten Aura [für] nicht adäquat“ gehalten und vorgeschlagen, diesen durch „Charisma“ zu ersetzen, weil es – nun auf sämtliches Wunderbare im Text bezogen – „die Funktion des Wunderbaren [sei], generell Gefühle und psychologische Zustände zur Darstellung zu bringen“273. Ihre These von einem integrationsfähigen „Funktionswandel des Wunderbaren“ glättet jedoch letztlich die

270 Linden, Sandra: Ein Ritter mit Gepäck. Zu den magisch-religiösen Hilfsgütern im Wigalois. In: Mühlherr, Anna / Sahm, Heike / Schausten, Monika / Quast, Bruno (Hrsg.): Dingkulturen. Objekte in Literatur, Kunst und Gesellschaft der Vormoderne. Berlin [u. a.] 2016 (= Literatur – Theorie – Geschichte 9), S. 208–231, S. 221. Vgl. zur ‚magisch‘-aufgeladenen Rüstung zuletzt Selmayr, Pia: Die Rüstung des Helden. Gattungsinterferenzen zwischen aventürehafter Dietrichepik und spätem Artusroman. In: ebd., S. 57–78, zum Wigalois S. 72–76, die zeigt, dass Wigalois’ neue Rüstung gerade keine Statusänderung nach sich ziehe (vgl. S. 75). 271 Linden, Sandra: Ein Ritter mit Gepäck, S. 221. Die „Akkumulation von Besitz“ (S. 224) würde dann „als narratives Verfahren der Figurencharakteristik produktiv gemacht“ (S. 228). 272 Die umfangreichste Studie legt Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren vor. Eine Zusammenstellung magischer Gegenstände und Figuren bei Buschinger, Danielle: Magie et merveilleux chrétien dans le Wigalois de Wirnt von Gravenberg. In: Centre Universitaire d’Etudes et de Recherches Médiévales d’Aix [Körperschaft]: Magie et illusion au Moyen Age. Vingttroisième Colloque du CUER MA qui s’est tenu à Aix-en-Provence en mars 1998 sur le Thème: Magie et Illusion au Moyen Âge. Aix en Provence 1999, S. 79–88. Für eine Ablösung vom Magischen hin zum Religiösen spricht sich auch aus Borgnet, Guy: Merveille et magie dans le Wigalois de Wirnt von Grafenberg. In: Buschinger, Danielle / Spiewok, Wolfgang (Hrsg.): Zauberer und Hexen in der Kultur des Mittelalters. III. Jahrestagung der Reineke-Gesellschaft e.V. San Malo, 5.-9. Juni 1992. Greifswald 1994 (= Wodan. Greifswalder Beiträge zum Mittelalter 33/ Jahrbücher der Reineke-Gesellschaft 3), S. 11–17: „Ou tout au moins qui ne sera vainqueur qu’en refusant le monde de la merveille ou de la magie et en faisant uniquement confiance à Dieu.“ (S. 15) Vgl. auch ders.: Le Wigalois de Wirnt von Gravenberg, ou de la religion considérée dans ses rapports avec la chevalerie. In: Études médiévales. Revue 3 (2001), S. 408–414, wo Borgnet das Augenmerk verstärkt auf den religiösen Aspekt richtet. Knoll, Hiltrud Katharina: Studien zur realen und außerrealen Welt im deutschen Artusroman (Erec, Iwein, Lanzelet, Wigalois). Bonn 1966, passim, nimmt neben den Orten auch die einzelnen magischen Gegenstände in den Blick. 273 Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 276 und 273.

4.1 Das narrative Grundmodell des Wigalois

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Wogen und verstellt den Blick für die Heterogenität der Dinge selbst wie deren Konsequenzen für das – hierdurch sich durchaus inhomogen zeigende – Heldenbild. Erwogen wurde von CORA DIETL fernerhin, ob sich die magischen Hilfsmittel als Opposition zur schwarzmagischen Teufelsbündlerschaft Roaz’ verstehen ließen, insofern der „Dämonisierung der Gegenwelt“ nur mit Hilfe von Gegenzauber zu entgegnen sei und sich die Gegenmittel entsprechend als göttliche Wunder zeigten.274 Die im Text offenkundig gemachte Teufelsbündlerschaft von Roaz,275 der, so LIENERT, „uneingeschränkt als Verkörperung des Bösen konzipiert ist“276, hat Anlass gegeben, die Korntinaventiuren und den sie beschließenden Roazkampf als Jenseitsfahrt zu verstehen.277 Die magischen Hilfsmittel und die Gegner in den Korntinaventiuren sowie Roaz selbst zeigten eine gegenüber den Vorgängerromanen deutlich veränderte Aventiurewelt. Mit Blick auf den Parzival wird im Wigalois Religiösität somit deutlich anders integriert und erzählt. Der Artusroman wird damit selbst hybrid, die Gattungsgrenzen werden porös und eben dies stellt Wirnt aus, indem er seine Erzählung als Komposition differenter Erzählmuster und -stra-

274 Vgl. Dietl, Cora: Wunder und zouber als Merkmal der âventiure in Wirnts Wigalois? In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Das Wunderbare in der arthurischen Literatur. Probleme und Perspektiven. Tübingen 2003, S. 297–311, Zitat. S. 302. Vgl. zur Darstellung von Roaz als Zauberer Maksymiuk, Stephan: The Court Magician in Medieval German Romance. Frankfurt a. M. 1996 (= Mikrokosmos 44), S. 119–129, der das Verhältnis von Religion (Islam, Christentum) und dem Wunderbaren im Roazreich betrachtet. Magisches und Zauberei würden mit ihrer Religion enggeführt; Brall, Helmut: Die Macht der Magie: Zauberer in der hochmittelalterlichen Epik. In: Ursula Schäfer (Hrsg.): Artes im Mittelalter. Berlin 1999, S. 215–229, zu Roaz S. 220–223 und Witte, Sandra: ‚Zouber‘: Magiepraxis und die geschlechtsspezifische Darstellung magiekundiger Figuren in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. Hamburg 2007, hier S. 246–261 insbes. zum zauberkundigen Teufelsbündler Roaz. 275 Vgl. hierzu zuletzt Schneider, Almut: Teufelsklang und höllische Stille. Erzählen von Dissonanz im Wigalois des Wirnt von Gravenberg In: Bockmann, Jörn / Gold, Julia (Hrsg.): Turpiloquium. Kommunikation mit Teufeln und Dämonen in Mittelalter und Früher Neuzeit. Würzburg 2017, S. 83–102. 276 Lienert, Elisabeth: Antagonisten im höfischen Roman? Eine Skizze. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 147 (2018), H. 4, S. 419–436, S. 430. 277 Brinker, Claudia: ‚Hie ist diu aventiure geholt!‘ Die Jenseitsreise im Wigalois des Wirnt von Grafenberg: Kreuzzugspropaganda und unterhaltsame Glaubenslehre? In: dies. / Herzog, Urs / Largier, Niklaus / Michel, Paul (Hrsg.): Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität. Für Alois M. Haas zum 60. Geburtstag. Bern [u. a.] 1995, S. 87–110. Wehrli, Max: Wigalois. In: ders.: Formen mittelalterlicher Erzählung. Aufsätze. Zürich, [u. a.] 1969, S. 223–241 [vorher erschienen in: Der Deutschunterricht 17 (1965), S. 18–35], S. 236 spricht in diesem Zusammenhang von „einer Art Unterweltfahrt, in Nachfolge nicht nur keltischer Totenreichvorstellungen oder der antiken Hadesfahrt, sondern wohl auch Christi Höllenfahrt.“

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tegien organisiert – die Komik mag eine hiervon sein, insoweit sie bekannte Erzählmuster und Motive zu sprengen vermag. Die Struktur des Romans betreffende Frageinteressen richten sich neben der Elternvorgeschichte gleichermaßen auf die als Appendix gesehene NamurEpisode. Ihr Umfang verleiht ihr eine nicht zu unterschätzende Relevanz, der man auf unterschiedliche Weise versucht Rechnung zu tragen. Mit Bezug auf die im Text selbst ausgestellte Andersartigkeit von Krieg und aventiure zieht HORST BRUNNER den Schluss, die Kriegsbeschreibung zeige sich als „deutlich realistisches Moment“ und ließe sich u. a. auf die Veränderungen des Ritterbildes infolge der Kreuzzüge zurückführen.278 Der Zusammenhang von Namur-Feldzug und vorherigem Romanteil sei laut EMING mittels Formen der Konfliktbewältigung hergestellt, die Namur-Episode stelle Reflexion als eine Alternative zu Unmittelbarkeit von Kampf heraus.279 Gegenüber den mehrfach in der Forschung festgestellten Analogien zur Chansons de Geste-Tradition280 hat RABEA BOCKWYT Parallelen zu historiographischen Texten und primär zu Geoffreys of Mounmouth Historia Regum Britanniae herausgestellt. Diese Bezüge ermöglichten eine zusätzliche Dimensionierung des Helden „mit der historiographischen Figur des Arthur“, die dem Erzählraum entspreche und die Wigalois neben Artusrittertum im ersten und Gralrittertum im zweiten damit eine dritte Dimension und somit Komplexität verleihe.281

278 Brunner, Horst: Hie enist niht âventiure! Bilder des Krieges in einigen nachklassischen Artusromanen. In: ders.: Annäherungen. Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Berlin 2008 (= Philologische Studien und Quellen 210), S. 80–92 [vorher erschienen in: Baum, Hans-Peter (Hrsg.): Wirtschaft – Gesellschaft – Mentalitäten im Mittelalter. Festschrift zum 75. Geburtstag von Rolf Sprandel. Stuttgart 2006, S. 581–594], Zitat S. 91. 279 Vgl. Eming, Jutta: Aktion und Reflexion. Zum Problem der Konfliktbewältigung im Wigalois am Beispiel der Namurs-Episode. In: Gärtner, Kurt / Kasten, Ingrid / Shaw, Frank (Hrsg.): Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993. Tübingen 1996, S. 91–101. 280 Zuletzt bei Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 199. Vgl. hierzu auch jüngst Bendheim, Amelie: Wechselrahmen. Medienhistorische Fallstudien zum Romananfang des 13. Jahrhunderts. Heidelberg 2017 (= Studien zur Historischen Poetik 22), S. 206 ff: „Mit dem Übergang in die realhistorische, Chansons-de-Geste-gleiche Wirklichkeit“ öffnet sich der Roman „hin zum Rezipienten, indem die Erzählung an dessen unmittelbare Erfahrungswelt angenähert wird und nicht in der Fiktion ‚steckenbleibt‘“. (S. 210) 281 Bockwyt, Rabea: Ein Artusritter im Krieg. Überlegungen zur Namûr-Episode im Wigalois des Wirnt von Grafenberg aus intertextueller Perspektive. In: Neophilologus 94 (2010), S. 93– 108, S. 102. Vgl. außerdem Dietl, Cora: Wigalois der Schachkönig. In: Text und Kontext. Zeitschrift für Germanistische Literaturforschung in Skandinavien 24 (2002), H. 1–2, S. 98–112. Gottzmann, Carola L.: Wirnts von Gravenberg Wigalois. Zur Klassifizierung sogenannter epigonaler Artusdichtung. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 14 (1979), S. 87–136,

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Das veränderte Erzählprogramm nimmt schließlich Einfluss auf die Ästhetik des Textes. Im Zuge seiner progressiven Thesen zur Fantastik der späten Artusliteratur hat WALTER HAUG dem Rechnung getragen und die Aventiurewelt des Wigalois als „Phantasmagorie“282 bezeichnet. An anderer Stelle konkretisiert er diesbezüglich, dass das Notwendige des Fantastischen gegenüber dem Fiktiven, Unheimlichen und Dämonischen ein „Riß in der Wirklichkeit“ sei, der „hinter der gewohnten Welt eine zweite Welt sichtbar werden läßt, die anderen, aber uns unbegreiflichen Gesetzen gehorcht“283. Im Gegensatz zum klassischen Romankonzept Chrétienscher Natur zeige sich hierin ein „verändertes ästhetisches Prinzip“284. BLEUMER hat den – in seiner religiösen Metaphorik das Eintauchen bezeichnenden – Immersionsbegriff nutzbar gemacht, um an die Stelle der von HAUG postulierten Fiktionalität schon den „spezifisch ästhetische[n] Zugang der Figuren zur Fiktion“ zu beschreiben.285 Verschiedene, über den Text hinweg eingesetzte „ästhetische Zirkelfigur[en]“, wie bspw. der Gürtel, trügen dazu bei, eine immersive Ästhetik des Textes zu befördern, die eine „imaginative Wirklichkeit“ schaffe.286 Diese gehe über Fiktionalität hinaus, insofern sie mehr als nicht-wirklich sei. Die „ästhetisch-intensive Bedeutungserfahrung, in der sich der Rezipient in seinen imaginierten Gegenstand versenkt“287, inkludiere Aspekte wie das Fantastische, das Wunderbare, aber auch das Jenseitige und vereinigt damit bislang separierte Blickwinkel innerhalb eines

S. 129 hat Namur als „Sinnbild der natürlichen und transzendenzbezogenen Liebe“ beurteilt. Denen entgegen das Urteil von Schröder, Werner: Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg, S. 245, der die Namur-Episode als „im Grund überflüssige[n] Annex“ beurteilt, der nicht recht passt und von „mangelnde[m] Stilgefühl“ (S. 251) Wirnts zeuge. 282 Haug, Walter: Paradigmatische Poesie. Der spätere deutsche Artusroman auf dem Weg zu einer ‚nachklassischen‘ Ästhetik. In: ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters. Tübingen 1989, S. 651–671, S. 658 [vorher erschienen in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 54 (1980), S. 204– 231]. 283 Haug, Walter: Das Fantastische in der späteren deutschen Artusliteratur. In: Göller, Karl Heinz (Hrsg.): Spätmittelalterliche Artusliteratur. Paderborn [u. a.] 1984, S. 133–149, S. 147. 284 Haug, Walter: Der Teufel und das Böse im mittelalterlichen Roman. In: ders.: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters. Tübingen 1990, S. 67–85, S. 81 [vorher erschienen in: Seminar 21 (1985), S. 165–191]. 285 Bleumer, Hartmut: Von der Fiktion zur Immersion. Narrative Semantik und ästhetische Erfahrung im Wigalois des Wirnt von Grafenberg. In: Przybilski, Martin / Ruge, Nikolaus (Hrsg.): Fiktionalität im Artusroman des 13. bis 15. Jahrhunderts, S. 83–105, S. 87. 286 Bleumer, Hartmut: Von der Fiktion zur Immersion, S. 92 und 101. Als ästhetische Zirkelfiguren identifiziert er eine im Prolog angelegte „mediale Zirkelstruktur“, die „zirkuläre Logik des Gürtelgeschenks“, sowie die „ästhetische Zirkelfigur der Feenliebe“ (S. 90 ff.). 287 Bleumer, Hartmut: Von der Fiktion zur Immersion, S. 101.

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narrativen Verfahrens. Damit stellt sich der Text ein Stück weiter als Kunstprodukt aus, als es die Artusromane bisher gewagt hatten, und wie es die Crône nachfolgend zum ihre ästhetischen Prinzip erheben wird. Ältere Urteile über den Roman schließen Komik im Hinblick auf Erzähler und Erzählerkommentare entschieden als Gestaltungsoption aus. Indem sie sie ausschließen, ziehen sie diese jedoch ex negativo in Betracht. Um Komik als Option zu verwerfen, muss sie zunächst registriert werden, da eine Absage nur auf einer hypothetischen Annahme fußen kann. Komik im Wigalois wurde in der Forschung wiederholt dann vereinzelt bemerkt, wenn sie kategorisch ausgeschlossen wurde. NEIL THOMAS bspw. attestiert dem Autor den „status of a moralist“, für den „the arthurian legend was no laughting matter“.288 Dem Erzähler hat ELISABETH LIENERT zwar zugestanden, er rekurriere punktuell auf Wolframs humoristischen Erzähler und lasse „zitathaft etwas von Wolframs ironischer Selbstdarstellung und seinem deftigen Humor“ durchblicken, insgesamt gesehen aber orientiere er sich deutlicher am lehrhaften Hartmannschen Erzähler, sei „entschieden Moralist“ und nehme Züge eines „Prediger[s]“ an.289 „Komik (theoretisch eine Deutungsmöglichkeit)“ für die teilweise unangemessen anmutenden Erzählerkommentare, sei „angesichts von Wirnts ernstem, eindringlichen Tonfall und angesichts der religiösen Dimension der Erzählerkommentare wohl auszuschließen“.290 Beide Positionen ziehen Komik potentiell in Betracht, um sie sogleich aufgrund von Gattungszugehörigkeit und deutlich hervortretenden Tendenzen zur verstärkenden christlichen Dimensionierung des Artusromans auszuschließen. Dabei haben Untersuchungen, wie bspw. diejenige von WALTER HAUG zum Iwein als Komödie sowie die Forschungen zum Lachen in sakralen Kontexten gezeigt, dass sich Komik und Artusroman sowie das Heilige und Komik keineswegs ausschließen.291 Auch ist die Integration von

288 Thomas, Neil: A German View of Camelot. Wirnt von Gravenberg’s Wigalois and Arthurian Tradition. Bern 1987 (= Europäische Hochschulschriften – Deutsche Sprache und Literatur 963), S. 91 und 102. Zum Status des Moralisten vgl. auch Thomas, Neil: Literary Transformation and Narrative Organization in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 370. 289 Vgl. Lienert, Elisabeth: Zur Pragmatik höfischen Erzählens. Erzähler und Erzählerkommentar in Wirnts von Grafenberg Wigalois. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 149 (1997), S. 263–275, hier S. 264, Zitate S. 265, 269 und 272. So auch schon Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts Wigalois, S. 156: „Wirnt benutzt den Artusroman, um zu predigen.“ 290 Lienert, Elisabeth: Zur Pragmatik höfischen Erzählens, S. 274. 291 Vgl. dazu Haug, Walter: Das Spiel mit der arthurischen Struktur in der Komödie von Yvain / Iwein. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Unter Mitwirkung von Peter Ihring. Tübingen 1999, S. 99–118. Vgl. zur Komik im sakralen Kontext Wehrli, Max: Christliches Lachen, christliche Komik?; Haug,

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göttlicher Wirkmacht in das Modell arthurischer Bewährung kein Novum, sondern nur eine immense Potenzierung von schon in vorangegangenen Romanen vorhandenen Tendenzen zur Integration göttlicher Vorsehung in den Artusroman. CHRISTOPH CORMEAU hat für das erstmals in der Ruel-Episode eingefügte Wirken Gottes geschlussfolgert, dass die „Aventiure […] zum Schauplatz von Legendenwundern“ werde, zugleich aber auch betont, dass sich Auslegungen von Zufälligem als göttliche Vorsehung schon im Erec fänden.292 Ein Vergleich mit dem Parzival zeigt, dass die Integration des Göttlichen im Wigalois gewiss auf eine prinzipiell andere Weise eingelöst ist als mit Wolframs Gralkönigtum; gleichwohl zeigt der Vergleich auch, dass sich weder Artusroman und Komik noch Komik und Sakralität ausschließen. Gerade anhand von Wolframs Parzival hat man am Text eine ‚ästhetische Grundhaltung‘ nachweisen wollen, die seinen Humor bezeuge und damit ex aequo zumindest das Lachen über den Gralroman zugelassen. Die Frage nach dem Verhältnis von Komik und miles christianus wurde für den Wigalois bisher nicht gestellt. Göttliches Wirken jedenfalls ist, so die Grundvoraussetzung für die dieser Untersuchung zugrundeliegende These, mitnichten ein Ausschlusskriterium für Komik. Einzig der Ruel-Episode hat man in bisherigen Studien eine komische Wirkung zugesprochen. Die Analyse komischer Wirkmechanismen beschränkt sich bisher jedoch auf Randbemerkungen, die ein – wenn auch nur unvollständiges – Bild davon geben, wie in der Episode Komik generiert wird und welche Ebenen hierfür ineinanderwirken. Dass Ruel in einer Reihe mit den trauernden Damen im Roman steht, hat INGRID HAHN als „komische Brechung“ verstanden.293 RÜDIGER SCHNELL bewertet die Andeutung einer Liebesbegegnung von Wigalois und Ruel als durchaus komisch mit dem Ziel von Distanzerzeugung: Möglicherweise zielt aber die literarische Zusammenstellung von Unvereinbarem oder Undenkbarem (Liebesnacht mit häßlicher Person) auf Komik und ein befreiendes Lachen auf Seiten des Rezipienten angesichts der beängstigenden und ekelerregenden Häßlichkeit einer Protagonistin. Die Komik würde dann die nötige Distanz zum narrativen Geschehen herstellen und so den Eindruck des Ekelhaften mildern.294

Walter: Das Komische und das Heilige; Ten Venne, Ingmar: Funktion und Erscheinungsform der Komik im deutschen geistlichen Spiel des Mittelalters. In: Acta Germanistica 1 (1987), S. 24–73; Grebe, Anja / Staubach, Nikolaus (Hrsg.): Komik und Sakralität. 292 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 56. 293 Vgl. Hahn, Ingrid: Gott und Minne, Tod und triuwe. Zur Konzeption des Wigalois des Wirnt von Grafenberg. In: Brall, Helmut / Haupt, Barbara / Küsters, Urban (Hrsg.): Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur. Düsseldorf 1994 (= Studia humaniora 25), S. 37–60, S. 52. 294 Schnell, Rüdiger: Ekel und Emotionsforschung. Mediävistische Überlegungen zur ‚Aisthetik‘ des Hässlichen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 79 (2005), S. 359–432, hier S. 423 f. Dem schließt sich an Häberlein, Bianca:

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Beide Urteile zielen auf das Verhalten der Figur ab. Weder als trauernde Frau noch als potentielle Minnepartnerin entspricht sie dem gültigen Normhorizont höfischer Damen.295 Demgemäß begreift THOMAS Wigalois’ Gefangennahme durch Ruel als eine „Szene von unfreiwilliger Komik“296. Neben den erzeugten Brüchen im Auftreten der hässlichen Frau ist vorrangig die Beschreibung von Ruels Äußerem (WG 6347–6352) in den Fokus geraten. KLAUS GRUBMÜLLER hat hierin einen Versuch gesehen, „Wolframs gelegentlich etwas makabren Humor zu imitieren“297. Die in der Beschreibung angestellten Vergleiche von Ruel mit Enite und Jeschute seien, so BERND SCHIROK, als ironische Inbezugsetzung zu erfassen.298 Nicht nur im Hinblick auf die Vergleiche mit Figuren verschiedener Prätexte hat auch NINA BARTSCH neuerlich für die gesamte Beschreibung der Ruelfigur „Strukturen von Komik“ herausgestellt, die „sich durch die ironische Durchbrechung der erwarteten Schemata der Figurenzeichnung“299 ergäben. Ebenfalls auf das Äußere abzielend bewertet EMING die Kombination von Ruels monströser Erscheinung mit ihrer misogyn gestalteten Hässlichkeit als komischen Bruch mit gängigen Beschreibungen von Frauenfiguren.300 Im Gegensetz zu Wolframs Cundrie also haftet der Hässlichkeit der Ruel etwas Komisches an, das es im Detail erneut auf Komik hin zu analysieren gilt. Darüber hinaus wird sich zeigen, dass die Komik der Episode sich nicht allein aus der Figurenbeschreibung speist, sondern ebenso in der Handlung verankert wird.

Transformationen religiöser und profaner Motive in Wigalois, Widuwilt und Ammenmaehrchen. In: Herweg, Mathias / Keppler-Tasaki, Stefan (Hrsg.): Rezeptionskulturen. Fü n fhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur. Berlin 2012 (= Trends in Medieval Philology 27), S. 66–86, S. 79. 295 Vgl. Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 200, die Ruel als „groteske[n] Gegenentwurf“ zu den anderen trauernden Damen des Romans versteht, die ihre Trauer allesamt passiv erlebten, während Ruel ihre Trauer in aktive Aggression umsetze. 296 Thomas, Neil: Wirnts von Gravenberg Wigalois und die Auseinandersetzung mit der Parzival-Problematik, S. 129–160, S. 138. 297 Grubmüller, Klaus: Artusroman und Heilsbringerethos. Zum Wigalois des Wirnt von Gravenberc. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 107 (1985), S. 218– 239, S. 232. 298 Vgl. Schirok, Bernd: Als dem hern Erecke geschach. Literarische Anspielungen im klassischen und nachklassischen Artusroman. In: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 70 (1988), S. 11–25, S. 15. 299 Bartsch, Nina: … nu lach oder zurne – (Formen-)Vielfalt des Lachens in Texten des Mittelalters. In: Liggieri, Kevin (Hrsg.): „Fröhliche Wissenschaft“: Zur Genealogie des Lachens. Freiburg i. Br. [u. a.] 2015, S. 54–75, S. 64. 300 Vgl. Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren. Studien zum Bel Inconnu, zum Wigalois und zum Wigoleis vom Rade. Trier 1999 (= Literatur, Imagination, Realität 19), S. 199.

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Mit Fokus auf den Helden selbst und das göttliche Eingreifen hat MIERKE jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass Wigalois’ Bewährung als gläubiger Ritter in der Passage „fast bis ins Ironische gesteigert“ werde, in der „Gott […] zuletzt sogar dem schlafenden Wigalois [hilft]“301. Schon EMING macht auf die Komik dieser Situation aufmerksam: „Er befiehlt sich Gott an […] und schläft vor Müdigkeit ein. Gwigalois’ gefährliche Mission nimmt […] komische Züge an.“302 Den Eindruck einer ironischen Übersteigerung und die Wahrnehmung komischer Züge ist – so eine These der vorliegenden Untersuchung – Resultat eines Erwartungsbruchs, der sich aus der Integration des göttlichen Wunders in das Konstrukt der Bewährung durch aventiure ergibt. Die Forschung zur Komik des Romans beschränkt sich auf diese wenigen Anmerkungen. Neben der in den Erzählerkommentaren wahrgenommenen Ironie, hat man für die Ruel-Episode und vereinzelt für die Schwertradaventiure zumindest komisches Potential erkannt, allerdings nicht weiter verfolgt. Wie es scheint, hat die deutlich hervortretende christliche Ausgestaltung womöglich den Blick dafür verstellt, diese wahrgenommenen Tendenzen weiterzuverfolgen. Wenngleich auch die Forschung zur Komik und dem Heiligen seit geraumer Zeit erweist, dass sich das Komische und das Heilige selbst in sakralen Kontexten keineswegs ausschließen, scheint die von LIENERT für den Erzähler formulierte Prämisse noch immer Gültigkeit zu beanspruchen. Gewiss aber haben auch die vielen, als produktive Auseinandersetzung und mitnichten als pejorativ-epigonal zu verstehenden Eigenarten des Romans – die sich darüber hinaus zweifelsohne nur im Vergleich mit anderen Romanen ergeben – dazu beigetragen, zunächst Grundsätzlicheres zu sondieren. Dass Komik latent gesehen wurde, indiziert ihre Präsenz. Jene textuellen Strukturen, die sie erzeugen, sollen mithilfe des entwickelten Instrumentariums beschreibbar gemacht werden. Damit soll eine weitere unerledigte Frage an den Text gestellt und beantwortet werden: Ist Komik – so dann auch die Hypothese – eine weitere Schlüsselkategorie der Poetik des Wigalois?

4.1.2 Das Erzählmodell im Wigalois: Erzählen unter verkehrten Bedingungen Wirnt modifiziert das von Chrétien entworfene und von Hartmann übernommene ‚Erzählmodell‘ an vielen Stellen seines Romans. Darüber hinaus kombiniert er für seine Erzählung verschiedene Vorlagen, nimmt dabei zahlreiche

301 Mierke, Gesine: Genealogie und Intertextualität, S. 188. 302 Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 204.

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Änderungen vor und stellt diese Divergenzen gleichwohl und stets im Rückgriff auf seine Vorgänger aus. Zunächst ist dem Roman eine, im Vergleich mit den Artusromanen Hartmanns unübliche Elternvorgeschichte vorgeschaltet, die ausgerechnet davon berichtet, wie der sonst siegreiche Musterritter Gawein im Kampf unterliegt. Anstelle der Königin wird Gawein entführt, um den Helden der Erzählung erst zu zeugen. Anders als im Parzival, wo sich aus der Elternvorgeschichte ein genealogisches Netz entspinnt, bleibt Gaweins Vaterschaft dahingehend im Wigalois weitestgehend folgenlos; es scheint so, als ob Gawein dafür herhalten müsse, (s)ein Pendant zu (er)zeugen, das im Verlauf der Erzählung vom Artushof unabhängig werden kann. Diese anfängliche Konstellation ist vor dem Hintergrund vorheriger Artusromane hinsichtlich diverser Aspekte gewissermaßen kurios: Erec und Iwein erzählen keine Elternvorgeschichte, beide Romane beginnen damit, wie sich die Protagonisten als Ritter erst bewähren.303 Im Parzival ist die Elternvorgeschichte deutlich als solche markiert, Gahmuret ist kein Artusritter und auch die Handlungsexposition ist nicht am Artushof lokalisiert.304 Und auch der Lanzelet kennt zwar eine Elternvorgeschichte, aber auch diese findet nicht am Artushof statt und König Pant und Klarine gehören ebenfalls nicht zum Personal des Artushofs. Beide Romane ordnen sich im Prolog nicht als Artusroman ein. Die eingangs geschaffene Grundkonstellation ist im Wigalois dementsprechend eine systematisch andere, die ihre Heterogenität ausstellt, indem die im Prolog vorgenommene Selbsteinordnung als Artusroman einen Erwartungshorizont befördert, der damit rechnen

303 So auch Dietl, Cora: Fiktive Artuswelt und Reichsideal als Produkte narrativer Struktur im Wigalois des Wirnt von Grafenberg, S. 77, die die Elternvorgeschichte vor dem Hintergrund der „klassischen Artusromane“ Hartmanns als „außergewöhnliche Idee Wirnts“ liest. Thomas, Neil: Literary Transformation and Narrative Organization in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 365 meint, die Vorgeschichte passe das ältere Material neueren Traditionen an und erziele so vorausdeutende Wirkung: „The story of Gawein and Florie is assimilated to the tradition of Riwalin and Blanscheflur in Gottfried’s Tristan or Gahmuret and Herzeloyde in Wolfram’s Parzival. The adaption is consistent with the conservative moralizing comments of the narrator […].“ Vgl. auch Thomas, Neil: The Medieval German Arthuriad, S. 107–115. 304 Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung v. Peter Knecht. Mit Einführungen zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der Parzival-Interpretation von Bernd Schirok. 2. Aufl. Berlin [u. a.] 2003, 4,23 ff.: den ich hie zuo hân erkorn, / er ist mæreshalp noch ungeborn, / dem man dirre âventiure giht, / und wunders vil des dran geschiht. Erst Parzivals Suche nach Ritterschaft führt ihn an den Artushof bzw. diesen in die Erzählung ein; vorher erfolgt keine Markierung als Artusroman, der Prolog lässt dies ebenso aus.

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lässt, der Roman führe eingangs seinen Protagonisten ein. So entsteht der Eindruck, der Protagonist sei Gawein.305 Dennoch ist mit Gawein eine genealogische Verbindung zum Protagonisten geschaffen, die sich im Verlauf der Erzählung auffallend verliert. Im Gegensatz zu den Eingangssequenzen, wie sie bspw. im Erec oder Iwein präsentiert sind, beginnt die Erzählung gerade nicht mit einer Eingangsaventiure, mit der der Romanheld schon in Verbindung steht. Joram richtet seine Herausforderung nicht direkt an das männliche Ritterpersonal des Artusgefolges, sondern allein an Ginover; ihr widerfährt die âventiure, nicht einem der Artusritter (ein âventiure ist mir geschehen [WG 360])306. Ginover zieht zunächst Gawein in seiner bekannten Funktion als Ratgeber ins Vertrauen, Artus wird entschuldigt: künc Artûs was dâ heime niht: / er was ûz an das gejeit (WG 583 f.). Das liest sich wie eine intertextuelle Anspielung auf eine Episode des Erec, in der Artus sich auf der Jagd nach dem weißen Hirsch befindet – das überliefert jedenfalls Chrétiens Roman –, als Erec in Ginovers Begleitung die Zwergenschande widerfährt. Gawein und diu tugenthafte schar / von der tavelrunde (WG 472 f.) versagen in der Eingangsaventiure restlos. Obwohl Gaweins Erfolgsquote geradezu überbetont (vgl. WG 349 f., 503 ff., 517 f., 524 f., 531, 561 ff., 575 ff.) wird, verliert er.307

305 Daiber, Andreas: Bekannte Helden in neuen Gewändern? Intertextuelles Erzählen im Biterolf und Dietleib sowie am Beispiel Keies und Gaweins im Lanzelet, Wigalois und der Crone. Frankfurt a. M. [u. a.] 1999 (= Mikrokosmos 53), S. 150 meint, hier entstehe der Eindruck, Joram sei der Protagonist. Es wäre jedoch äußerst kurios, wenn der Provokateur des Artushofs der Protagonist wäre. Schon Schießl, Ute: Die Gawangestalt im Wigalois, S. 10 konstatiert für den Zweikampf mit Joram, dass Gawein zum „selbständigen Handlungsträger“ werde und er selbst als Protagonist des Handlungsabschnitts fungiere. Dick, Ernst S.: The German Gawein: Diu Crone and Wigalois. In: Interpretations. A Journal of Ideas, Analysis, and Criticism 15 (1984), H. 2, S. 11–17 folgert weiter, die Rolle Wigalois’ sei nur eine Erweiterung jener Gaweins: „By adopting such a strategy of duplication, the author of Wigalois appears to suggest his new conception of the Gawein figure[.]“ (S. 11) 306 Vgl. zur räumlichen Kategorie der Öffentlichkeit Schanze, Christoph: Die Konstruktion von höfischer Öffentlichkeit im Welschen Gast Thomasins von Zerklære und ihre Funktionalisierung in Wirnts von Gravenberg Wigalois. In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artushof und Artusliteratur. Berlin [u. a.] 2010 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 7), S. 61–92, der das als Teil eines „dreistufige[n] Veröffentlichungsprozess[es]“ (S. 80) versteht. 307 Zuletzt hat Andersen Vinilandicus, Peter: Der Artushof im Wigalois. Vom Zusammenbruch zum Wiederaufbau. In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artushof und Artusliteratur, S. 155–167, hierin den Zusammenbruch des Artushofs gesehen: „Mit der Niederlage des berühmtesten und stärksten Artusritters bricht die Artuswelt im übertragenen Sinne zusammen.“ (S. 165) Der Artushof habe mit dem Verlieren Gaweins seine „Grundlage verloren“, „[d]as neue Ideal wird durch Korntin verkörpert.“ (ebd.)

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

Mit Ausnahme der Einführung der Figur, mit welcher auch seine besondere Kampfeskraft betont wird und die noch vor der eigentlichen kämpferischen Auseinandersetzung der Artusritter mit Joram steht, werden alle weiteren Akzentuierungen seines Status als erfolgreicher Kämpfer vom Erzähler durchweg parallel eingespielt, vom Kampfauftakt bis zur seiner Niederlage. Die Schilderung der kämpferischen Auseinandersetzung wird beschlossen mit der Gleichzeitigkeit von Niederlage und Auszeichnung:308 owê, daz dem herren Gâwein ie von deheinem manne missegie: wan bezzer rîter dern wart nie. (WG 575ff.)

Gaweins Versagen führt der Erzähler auf die Kraft des Gürtels zurück (vgl. WG 566 ff.).309 Das aber erzeugt an der Stelle eine Ambivalenz und stellt sie sogleich deutlich aus mittels der über die Kampfschilderung hinweg verteilten Akzentuierungen seines Kampferfolgs und gleichzeitigem Unterliegen Gaweins, dem nie misselanc (WG 531). Die Erzählung beginnt mit dem Komplettversagen des Artushofs, dessen damit einhergehender Ehrverlust an keiner späteren Stelle des Romans thematisiert oder dessen Ruf gar wiederhergestellt wird. Dass Gawein vermeintlich von Joram erschlagen wurde, stürzt den Hof jedenfalls nicht in eine bedeutende Krise (vgl. WG 589 ff., 1135 f.). Dass er überhaupt von diesem Komplettversagen des Artushofs berichtet, legitimiert der Erzähler mit seiner Quelle:

308 Vgl. dazu Schießl, Ute: Die Gawangestalt im Wigalois, S. 10 die dafür plädiert, Gawein hier nicht bloß als Normgeber zu identifizieren. Er selbst werde im Kampf gegen Joram zum Gemessenen, der sich trotz Niederlage als der Beste zeige. Anders Thomas, Neil: A German View of Camelot, S. 41, der Gawein gerade als „a model against whom his son’s actions and character may appropriately be judged“ versteht. Der Gawein der Vorgeschichte habe „the same kind of exemplary role that he assumes in other Arthurian romances of this period“ (ebd.). Vgl. auch ders.: The Medieval German Arthuriad, S. 115. Dementgegen Daiber, Andreas: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 149, der meint, die Episode um Joram diene dazu, temporär den „starren wie idealisiert abstrakten Typus aufzubrechen und damit in Frage zu stellen“. Bei seiner Rückkehr an den Artushof werde er sogleich vom Erzähler rehabilitiert (vgl. S. 149). Die Elternvorgeschichte diene letztlich dem Zweck, dem besten Helden neben seinen bekannten Funktionen nun die des Vaters nebenanzustellen (vgl. S. 150). 309 Den Gürtel benötigt er ausschließlich, um Gawein zu besiegen, alle anderen Artusritter besiegt er allein durch Kampfeskraft. Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 54 hingegen geht davon aus, dass Joram den Gürtel während aller Kämpfe gegen die Artusritter trägt. Dagegen spricht, dass das Anlegen des Gürtels vor dem Kampf mit Gawein explizite Erwähnung findet (vgl. WG 537), beim Rüsten für die Kämpfe gegen die anderen Ritter nicht (vgl. WG 442).

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ezn kæme ouch nimmer vür mîn munt, hêt mirz ein knappe niht geseit zeiner ganzen wârheit,310 wider den ich alle wîle streit. (WG 595ff.)

Einerseits wird damit das schier Unglaubliche an Gaweins Versagen potenziert, andererseits wird die vom Knappen verbürgte ganze[] wârheit sogleich infrage gestellt, indem der fingierte Disput hierüber sie doch wieder zur Disposition stellt und damit noch einmal an die schon für das Kampfgeschehen geschaffene Ambivalenz anknüpft. Im ersten Teil der Elternvorgeschichte stellt Verkehrung somit beinahe grundlegend aus: Voraussetzung für Wigalois’ Zeugung ist ein Komplettversagen des Artushofs und seines besten Ritters Gawein. Artus selbst als Inbegriff eines Wertesystems ist davon wenigstens ein Stück weit ausgenommen, weil er während des Geschehens durchweg absent ist, was wiederum ermöglicht, das an ihn gebundene Wertesystem aufrechtzuerhalten und dessen Prestige zugleich in Zweifel zu ziehen. Auch bei Gaweins Rückkehr bleibt der Zustand des Artushofs unverändert:

310 Vers 597 ist identisch mit Vers 133, der im Prolog allerdings Teil des Satzgefüges zeiner ganzen wârheit / trûwe ich ez niht bringen (WG 133 f.) ist. Vorher heißt es im Prolog: nu wil ich iu ein mære / sagen, als ez mir ist geseit. (WG 131 f.) Stellt man beide Zusammenhänge, in denen die identischen Verse auftauchen, gegenüber, ergibt sich zunächst ein Gegensatz: Im Prolog wird eine mündlich tradierte Vorlagentradition fingiert. Stellt man einen kausallogischen Zusammenhang zwischen den Prologversen her, ist eine getreue Wiedergabe der Erzählung nicht möglich, weil sie mündlich tradiert ist; das ließe sich auf eine mögliche Lückenhaftigkeit bzw. Unfestigkeit beziehen. Im Prolog folgt die explizit mit der Tätigkeit des Dichtens in Verbindung stehende Autornennung; ausgerechnet an der Stelle, wo sich von der schriftlichen Vorlagentradition verabschiedet wird, profiliert sich ein Dichter samt seiner Tätigkeit: daz ir durch iuwer hövischeit / dem tihtær des genâde seit / der ditze hât getihtet / mit rîmen wol berihtet, / wan ditz ist sîn êrstez werc. / er heizet Wirnt von Grâvenberc. (WG 136 ff.) Der in V. 597 erstmals ins Spiel gebrachte Knappe als Quelle für die Erzählung, der im Epilog erneut Erwähnung findet (WG 11687), wird mittels des identischen Verses in engsten Zusammenhang gebracht mit der fingierten mündlichen Erzählung, auf die Wirnt im Prolog rekurriert, und die dort dem Erzählen als ganze[] wârheit im Weg steht. Zwischen dem hier aufgemachten Konflikt von ganze[r] wârheit und Erzählen und Vorlagentreue wird mittels des identischen Verses eine Brücke zur Debatte um die Wahrheit von Gaweins Versagen geschlagen. Dem Knappen wird dort die Bürgschaft für die ganze[] wârheit übertragen. Sodann aber auch unterstellt, dass dieser nicht wahrheitsgemäß berichte. Das Streitgespräch zwischen Erzähler und Knappe respektive Quelle artikuliert schließlich eine ganze[] wârheit, die weniger an die Vorlage als an die Dichtung selbst gebunden wird. Der Erzähler, der gegenüber seiner Quelle Mitspracherecht besitzt, profiliert sich in der Zusammenschau dieser beiden Passagen als selbstbewusster, das Dichten als ein Wiedererzählen unter ‚eigenständigeren‘ Voraussetzungen.

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si vrâgeten in der mære wiez im ergangen wære; des sagte er in genuoc; sîner geschiht er nie gewuoc, wand in sîn herze dar wider truoc. Nu nam er des vil rehte war daz er die mässenîe gar dâ vant als er si gelâzen hêt, und daz der hof ganzer stêt, des vreut er sich vil sêre. (WG 1155ff.)

Gawein verschweigt, dass er einen Sohn gezeugt hat und verschweigt damit eine weitreichende Veränderung für das Erzählen im Artusroman. Als Sohn Gaweins ist Wigalois von Geburt her als bester Ritter ausgewiesen.311 Die Verbindung von Gawein und Florie wird als göttliche Vorsehung herausgehoben (got gevüeget [WG 1000]). Darüber hinaus greift sowohl Flories Name in Verbindung mit dem Hortus-conclusus-Motiv (ein boumgart umb daz hûs lac: / den bevridet ein vestez hac. [WG 668]) mit der floralen eine mariologische Symbolik auf, wie auch die ausführliche Beschreibung ihrer Kleidung auf den ikonographischen Typus des Mondsichelmaria Bezug nimmt.312 Damit löste sich die bisher konstatierte Brüchigkeit hinsichtlich der Abstammung des Helden zumindest dadurch partiell auf, dass seine Prädestination mit seiner mütterlichen Abstammung zusätzlich ihren Ursprung hätte. Durch seine Eltern in mehrfacher Hinsicht prädestiniert ist Wigalois schon vor seiner Bewährung als Artusritter in der Lage, sich bei

311 Wigalois’ Konzeption als Gawein-Sohn wäre möglichenfalls zu verstehen als eine Art Steigerung seines Vaters. Dieses Verständnis stützt sich vornehmlich darauf, dass Wigalois, im Gegensatz zu seinem Vater, auf dem Tugendstein Platz nehmen kann. Das geht allerdings an keiner Stelle mit einer Herabsetzung Gaweins einher; hier betont der Erzähler das Singuläre von Gaweins Vergehen. So auch schon Schießl, Ute: Die Gawangestalt im Wigalois, S. 45. Vgl. auch Grubmüller, Klaus: Artusroman und Heilsbringerethos, S. 233: „[I]n mehrfacher Hinsicht überbietet der Sohn Wigalois den Vater Gawein.“ Grubmüller sieht das gegeben in der Konsequenz seines Weges zu Minne und Herrschaft wie im Kampf gegen den Teufel, der als Gegner eine größere Bedrohung darstelle. Schommers, Stephanie: Helden ohne Väter. Die Suche der Söhne nach Identität in mittelalterlicher Literatur. Marburg 2010, S. 117 meint, Wigalois übertreffe Gawein als „erstebenswerte[s] Idol“ insofern, als er eine eigene Identität entwickle und am Ende selbst Landesherr werde. 312 Vgl. dazu auf der Lake, Katrin: Florie im Rosenhag. Mariologische Bildelemente der descriptio von Florie im Wigalois. In: Dietl, Cora / Schanze, Christoph (Hrsg.): Arthurische Ikonographie. Bilder und Bildlichkeit im Text. Berlin 2022 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 17), [in Vorber.].

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seiner Ankunft am Artushof prompt auf den Tugendstein niederzusetzen.313 FUCHS hat das als „signifikante[s] Moment der Überdetermination“314 bezeichnet und CORMEAU resümiert: „Das Ziel des klassischen Aventiurewegs, die Individuation des Helden durch die Bewährung, ist im ‚Wigalois‘ immer schon vorweggenommen, in sicherer Erwartung dem Protagonisten von Anfang an unterstellt.“315 Als Gaweinsohn ist Wigalois als Ritter qualifiziert, die Tugendsteinprobe bezeugt die Reinheit seiner Gesinnung: sîn herze was âne mein und ledic aller bôsheit; sîn muot ie nâch dem besten streit. (WG 1492ff.)

Als Individuationsweg verfolgen die Aventiuren daher a priori ein anderes Ziel. Gesellschaftliche (als Gaweinsohn) wie individuelle (reines Wesen) Vervollkommnung sind schon vorausgesetzt. Dass Wigalois und Gawein sich nicht erkennen und auch die Hofgesellschaft nichts von Gaweins Sohn weiß, ist demzufolge notwendige Voraussetzung, um die Handlung in Gang zu bringen.316 Die schon damit etwas eigenartig gestaltete Konstellation wird auch im

313 Vgl. dazu Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 51 f., der die Tugendsteinprobe als „erstaunliche[n] Vorgriff auf die personale Entwicklung“ des Helden versteht, die „die spätere Entwicklung nicht ankündigt, sondern vorwegnimmt“. 314 Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 123. An späterer Stelle resümiert er für die erste Aventiurereihe: „Die angesprochene ‚Überdeterminierung‘ führt ins Leere: Sie erscheint wie ein Zitat einer sinnerfüllten Symbolstruktur, die nur noch rein äußerlich präsent ist, aber nicht mehr ausgefüllt wird.“ (S. 136) 315 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 49. Vgl. zu den einzelnen Aspekten der Prädestination S. 49–54. 316 Bei seiner Ankunft am Artushof sagt Wigalois ichn kan iu niht gesagen wer / ich von mînem vater bin (WG 1567 f.), obwohl er den Namen seines Vaters kennt (daz ist mîn vater, her Gâwein [WG 1305]). Spätestens in der Obhut seines Vaters müsste Wigalois Gawein erkennen; stattdessen aber erkennen sie sich nicht, eine Erklärung bleibt aus, es heißt lediglich: ir deweder erkante den anderen dâ. (WG 1600) Erst an späterer Stelle wird erklärt, Wigalois habe nicht gewusst, dass der Gawein am Artusfhof sein Vater Gawein sei (vgl. WG 4800 ff.); das scheint vor dem Hintergrund von Gaweins Reputation eine durchaus unglaubwürdige Erklärung zu sein. Schießl, Ute: Die Gawangestalt im Wigalois, S. 49 will an dieser Stelle Name und Identität Gaweins unterschieden wissen. Da Wigalois Gawein nicht persönlich kenne, verneine er die Frage. Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 27 erklärt die durchaus als „fadenscheinig[]“ befundene Begründung der Häufigkeit des Namens als notwendig, damit die Vatersuche nicht direkt mit seiner Ankunft am Artushof beendet werde. Thomas, Neil: A German View of Camelot, S. 50 meint, das Motiv der Vatersuche werde hier bloß aufgrund seiner Koppelung an den Fair Unknown-Typus aufrechterhalten. In Thomas, Neil: The Defence of Camelot. Ideology and Intertextuality in the ‚Post-Classical‘ German Romances of the Matter of Britain Cycle. Bern [u. a.] 1992 (= Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 14), S. 22 f. beurteilt er das

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weiteren Verlauf fortgesetzt. Wigalois äußert eine Blankobitte gegenüber Artus und kann in der Folge Nerejas Hilfegesuch nachkommen317 – dass diese Gawein für sich gewinnen will, sagt sie am Artushof nicht; erst nachdem sie den Hof verlassen hat, klagt sie über ihren Kämpfer:

als „narrative flaw“, das Nichterkennen sei so „improbable“, dass „[t]his can only strike us as a rather desperate measure introduced to paper over an inconsistency“. Vorher auch in Thomas, Neil: Literary Transformation and Narrative Organization in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 363. Anders Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 116: „Daß Gwigalois seinen Vater nicht identifizieren kann, da er doch seinen Namen kennt (V. 1305) und unschwer von seiner Mutter hätte erfahren können, daß er am Artushof zu suchen sei, wäre es ihm um das Auffinden allein zu tun gewesen, kann nurmehr als ein dramaturgisches Moment der Spannungserzeugung begriffen werden.“ Das Motiv der Vatersuche sei mit der Bestrebung nach Anerkennung und Bewährung vollends gleichgesetzt (vgl. S. 117 f.). Stange, Carmen: ‚Sît si eines lîbes waren‘. Vatersuche, Rollenkonflikte und Identitätsgenese im Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Keller, Johannes / Mecklenburg, Michael / Meyer, Matthias (Hrsg.): Das Abenteuer der Genealogie: Vater-Sohn-Beziehungen im Mittelalter. Göttingen 2006 (= Aventiuren 2), S. 123–147, S. 125 hat das Nichterkennen als bewusste Scharnierstelle bewertet, die Raum biete, um „das Motiv der Vatersuche in seiner Gesamtheit als zielgerichtete Variation zur Veranschaulichung der Identitätsgenese des Titelhelden“ auszuschöpfen. Schommers, Stephanie: Helden ohne Väter, S. 49, hat das anhand der Unkenntnis über das Herkunftsland seines Vaters erklärt. Wigalois könne Artus daher wirklich nicht sagen, wer er von seinem Vater her sei. Dass sie sich nicht erkennen, sei nicht von Bedeutung und habe keine Konsequenzen (vgl. S. 117). Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 63 versteht die Vatersuche als Identitätssuche, die zu diesem Zeitpunkt der Handlung dann bereits überwunden ist. Daher sei es nur „konsequent“ und „folgerichtig“, dass Wigalois Gawein nicht erkennt. In der Konsequenz der veränderten Hierarchie durch die Tugendsteinprobe, müsse Wigalois seinen Vater nicht erkennen, weil er „unwichtig geworden“ sei. Dimpel, Friedrich Michael: Fort mit dem Zaubergürtel!, S. 24 bewertet das Nichterkennen als „Störung der Familienbindung[, die] auf drastische Weise vor Augen geführt“ werde. Das wiederum sei Resultat einer durch den Zaubergürtel geschaffenen Ausgangslage: „[D]as Fehlen des Vaters in der sonst vorbildlichen Jugendvita von Wigalois wiederum resultiert aus Jorams Einsatz des Zaubergürtels.“ Bolta, Eva: Die Chimäre als dialektische Denkfigur im Artusroman. Mit exemplarischen Analysen von Teilen des Parzival Wolframs von Eschenbach, des Wigalois Wirnts von Grafenberg und der Crône Heinrichs von dem Türlin. Frankfurt a. M. 2014 (= Mikrokosmos 81), S. 155 meint, Wigalois habe sich als Alter Ego Gaweins bis dato noch keine ritterliche Identität erkämpft, weshalb er weder seinen eigenen, noch den Namen seines Vaters nenne. 317 Vgl. zur Blankobitte im Wigalois Seelbach, Sabine: Kontingenz. Zur produktiven Aufnahme literarischer Erfahrung im Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 136 (2007), S. 162–177, insb. S. 163–173. Seelbach weist eine Umwertung des Motivs durch Wirnt in produktiver Auseinandersetzung mit dem Le Bel Inconnu wie auch Hartmanns Iwein nach, die Artus prudentia zuerkennt (vgl. S. 172 f.). Wieder in: Seelbach, Sabine: Labiler Wegweiser. Studien zur Kontingenzsemantik in der erzählenden Literatur des Hochmittelalters. Heidelberg 2010 (= Beihefte zum Euphorion 58), S. 59–74.

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her Gâwein wart mir genant; den erkennet man über älliu lant von sîner grôzen manheit. swaz er strîtes ie gestreit, daz im dar an nie missegie, daz hôrte ich von im sagen ie. (WG 1902ff.)

Als Überleitung zur ersten Aventiurereihe, in der sich Wigalois – mehr oder weniger – als Artusritter bewährt, stellt Nerejas Aussage noch einmal in aller Deutlichkeit heraus, dass die folgenden Abenteuer sich als Bewährungsaventiuren eines Artusritters und Gaweinsohns verstehen. Weder der Le Bel Inconnu noch der Le Chevalier du Papegau bieten für diesen Teil des Romans eine Vorlage. Wirnt schafft damit eigens andere Voraussetzungen für seine Erzählung. Dabei scheint es beinahe so, als wolle er Verkehrung als Prinzip ausstellen und damit auf veränderte Prinzipien des Erzählens selbst verweisen. Die aufgezeigten Veränderungen und geschaffenen Ambivalenzen zielen allesamt auf Konstituenten des Artusromans. Gegenüber dem im prologus ante rem hervorgehobenen Nimbus von Artus als Inbegriff von milte und seiner Tafelritter als erstrebenswerte Vorbilder, wird dieser Zustand in der Vorgeschichte massiv gestört: Artus ist außer Haus, während seine Ritter, allen voran Gawein, versagen. Aus Gaweins Liebesverbindung zu Florie – die in ihrer Figurenzeichnung durchaus ambivalent ist – geht ein Held hervor, der anfangs schon mit Artus auf eine Stufe gestellt wird, was deren beider Ethos betrifft. Im Wigalois ist die Bewährung des Artusritters damit auf eine verkehrte Basis gestellt.

4.1.3 Das Erzählprogramm im Prolog: Verkehrung als Erzählprinzip ‚Wessen Stimme spricht?‘ – Am Beginn des Prologs spricht das materiale Buch selbst zu seinem Leser. „Ein Fall“, wie die Herausgeber der Textausgabe kommentieren, „der bei Gerárd [sic!] Genette (Paratexte […]) nicht vorgesehen ist“318. Auch wenn GENETTE diese Form des Paratextes nicht direkt vorsieht, ließen sich die ersten 20 Verse des Prologs, die nur in fünf von 13 vollständigen Handschriften überliefert sind,319 dennoch als eine Form des Vorworts verste-

318 Seelbach, Sabine/ Seelbach, Ulrich: Kommentar zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 287. 319 Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 48. Dagegen BertelsmeierKierst, Christa: Zum Prozess des mittelalterlichen ‚Umschreibens‘. Ein Beitrag zur ältesten Überlieferung des Wigalois. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 142 (2013), S. 452–475, S. 465, die nur eine Überlieferung in den Handschriften A und B belegt.

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hen, das GENETTE zumindest in Betracht zieht, ohne es weiterzuverfolgen.320 Das Vorwort als eine Form des Paratextes läge hier als Teil des Prologs vor, wie GENETTE das für die klassische Antike beschreibt und in Teilen bei Shakespeare belegt.321 Dass sich Wirnt hier möglicherweise an Ovids Tristien orientiert, wurde bereits gesehen und würde die Klassifikation als ein Vorwort, das sich als Prologteil gibt, bekräftigen.322 GENETTES Klassifizierung sieht den Fall vor, in dem das Vorwort einem „‚leblose[n]‘ Objekt“323 zugeschrieben wird. Das Vorwort ließe sich im Anschluss an GENETTE als apokryphes allographes Vorwort beschreiben; allograph, weil es sich weder dem Autor noch einer Figur als Adressaten zuschreiben lässt, apokryph, weil jegliches Indiz, das eine Zuschreibung an eine reale oder fiktive Person zulassen würde, entkräftet ist. Es bleibt diesbezüglich zu prüfen, ob die Handschriften in ihrer Einrichtung und ihrem Format selbst Hinweise dafür geben, dass es sich gerade bei diesen fünf Handschriften um Lesehandschriften handeln könnte. Das würde dem jedenfalls Nachdruck verleihen können, dass die ersten 19 Verse des Prologs sich dezidiert an einen lesenden Rezipienten richteten.324 Was den Adressaten betrifft, würde GENETTES „Binsenweisheit“ zutreffen: „Der Adressat des Vorworts ist der

Scholz, Manfred Günter: Hören und Lesen. Studien zur primären Rezeption der Literatur im 12. und 13. Jahrhundert. Wiesbaden 1980, insbes. S. 125–135, S. 127 zieht als mögliche Begründung für das Fehlen der Verse in vielen Handschriften „das für seine Zeit zweifellos ungewöhnliche Unterfangen Wirnts, […] sein Werk gleich zu Beginn unmißverständlich […] auf ein Lesepublikum hin zu fixieren“, obschon das der „gängigen Vortragspraxis zuwiderlief“, in Betracht, was manchen Schreiber dazu bewogen haben könnte, die ersten Verse bei der Abschrift auszulassen. 320 Vgl. Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt [u. a.] 1992, S. 173, Anm. 14. 321 Vgl. Genette, Gérard: Paratexte, S. 162. 322 Vgl. dazu Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Kommentar zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 287. Dort auch die Textstelle bei Ovid. Vgl. auch Seelbach, Sabine: Buch im Exil. Zum mehrfachen Textanfang des Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Schütte, Christian / KriegHolz, Ulrike (Hrsg.): Textanfänge. Konzepte und Analysen aus linguistischer, literaturwissenschaftlicher und didaktischer Perspektive. Berlin 2019, S. 231–250, hier S. 234 f. Die ersten 20 Verse des Prologs thematisierten den „Verlust des performativen Prozesses als der gewohnten Daseinsform des Textes, die die auktoriale Kontrolle durch ein körperliches Ich als Begleiter des Textes […] zu garantieren vermochte.“ (S. 235) Wirnt beklage hierin den „Verlust des medialen Verbunds“ (ebd.) nachdem die geplante ‚Uraufführung‘ nicht stattgefunden hatte. 323 Genette, Gérard: Paratexte, S. 173, Anm. 14. 324 So auch schon Scholz, Manfred Günter: Hören und Lesen, S. 127: „Das Publikum […] wird damit von vornherein als Lesepublikum qualifiziert.“ Vgl. auch Curschmann, Michael: Hören – Lesen – Sehen. Buch und Schriftlichkeit im Selbstverständnis der volkssprachlichen literarischen Kultur Deutschlands um 1200. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 106 (1984), S. 218–257, S. 226 f. Curschmanns Bewertung aber fällt gänzlich anders

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Leser des Textes. Leser, nicht bloßer Angehöriger eines Publikums […].“325 Der „Mitteilungscharakter“ des Vorworts setzt die anschließende Lektüre des Textes voraus und fungiert daher als „vorbereitende[r] […] Kommentar“.326 In diesem Verständnis der ersten Prologverse inszenierte Wirnt einen Bruch, der sogleich auf mehreren Ebenen erzeugt wird: Die Stimme ist das Buch, das zu seinem Leser spricht, respektive ist das sprechende Buch die Quelle des narrativen Akts. Nicht ein Erzähler wendet sich in diesen ersten Prologversen an sein Publikum, sondern das Buch an den Leser.327 Das erzeugt sowohl im Hinblick auf die Sprecherinstanz in Prologen als auch bezüglich des Profils eines lesenden Publikums einen radikalen Bruch mit den Erwartungen eines primär hörenden Publikums, wie es im Folgenden im Prolog auch inhaltlich akzentuiert ist (bspw. swer guote rede minne / und si gerne hœre sagen [WG 82 f.]). Was hinzukommt, ist mit Blick auf eine mittelalterliche Medienpraxis die Wirkung des Trägermediums selbst, die sich wie eine Art erzählerische Umsetzung von MARSHALL MCLUHANS These vom Medium als Message lesen lässt. In seiner die Lektüre vorbereitenden und kommentierenden Funktion verhandelt es inhaltlich eine Verfälschungsproble-

aus: „Die Fiktion des sich selbst einleitenden Buches bleibt ohne Resonanz im folgenden Text […]. […] Ein gelungener Einfall und nicht mehr […].“ (S. 227) Gegen die These der Lesehandschrift spricht sich Linden, Sandra: Das sprechende Buch. Fingierte Mündlichkeit in der Schrift. In: Laubinger, Andres / Gedderth, Brunhilde / Dobrinski, Claudia (Hrsg.): Text, Bild, Schrift. Vermittlung von Information im Mittelalter. München 2007 (= Mittelalterstudien 14), S. 83–100, S. 99 aus. Stattdessen verweise das Buch auf „die Leistung des abwesenden Autors“ (S. 100). Vgl. außerdem Däumer, Matthias: Stimme im Raum und Bühne im Kopf. Über das performative Potenzial der höfischen Artusromane. Bielefeld 2013 (= Mainzer Historische Kulturwissenschaften 9), insbes. S. 147–170, der von der Rezitation der Verse im Vortrag ausgeht. Die Verse ließen sich als „inszenatorische Präambel des Romans, die einen Rezitator unterrichtet und – sollte die Passage vorgetragen worden sein – die Aufmerksamkeit des Publikums für die mediale Verwirklichung des Texts schärft“ (S. 153) verstehen. So könne ein „Störelement“ erzeugt werden, das als „programmatisches attention seeking“ (ebd.) zu bewerten sei. 325 Genette, Gérard: Paratexte, S. 188. 326 Genette, Gérard: Paratexte, S. 188. 327 Anders Lehmann, Jan:,Unzuverlässige Authentizität‘ – Erzähler und Erzählen im Prolog des Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Weixler, Antonius (Hrsg.): Authentisches Erzählen. Produktion, Narration, Rezeption. Berlin [u. a.] 2012 (= Narratologia 33), S. 177–196, S. 183 ff., der mit Blick auf Rudolfs von Ems Willehalm von Orlens die These vertritt, nicht das Buch, sondern die Aventiure im Sinne der Erzählung spreche: „Es liegt nicht […] eine Metonymie vor, denn es steht nicht das Buch für dessen Inhalt, sondern es handelt sich hierbei um eine Personifikation der Aventiure, die als Metalepse aus der Handlung des Prologs heraustritt.“ (S. 184) Vgl. dazu auch Scholz, Manfred Günter: Hören und Lesen, S. 133. Anders auch bei Bendheim, Amelie: Wechselrahmen, S. 210 ff. Sie deutet das sprechende Buch als ein Mittel zur „Konstruktion einer gemeinsamen Erfahrungs- und Wertewelt von Rezipient und Erzähler“ (S. 211).

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matik des Wiedererzählers. valscher rede (WG 7) wird schließlich im weiteren Verlauf des Prologs mit denjenigen, die ein valschez herze (WG 116, 119) haben, enggeführt und damit inhaltlich angebunden.328 Unabhängig davon, ob diese Verse sich als Vorwort begreifen lassen oder nicht, setzt sich der Roman selbst damit per se als prägnant inszenierter Bruch ins Werk. Durch den mit Vers 20 einsetzenden Sprecherwechsel wird der Bruch erneut deutlich als solcher unterstrichen. Der prologus praeter rem setzt mit einer intertextuellen Anspielung auf Hartmanns Iwein ein und klingt mit einer solchen auf Hartmanns Armen Heinrich aus. Beide Anspielungen betreffen jeweils die Prologe der beiden Hypotexte, auf deren inhaltliche Veränderungen längst hingewiesen worden ist.329 Gegenüber dem Iwein tritt eine heilsgeschichtliche Ebene hinzu. Wo Artus im Iwein-Prolog als Exempel für erstrebenswerte Tugenden statuiert wird, spart Wirnt Artus’ Beispielhaftigkeit zunächst komplett aus und setzt an die Stelle des Erstrebenswerten den Dienst an Gott: Swer nâch êren sinne, triuwe und êre minne, der volge guoter lêre – daz vürdert in vil sêre – unde vlîze sich dar zuo wie er nâch den getuo den diu werlt des besten giht, und die man doch dar under siht nâch gotes lône dienen hie; den volge wir, wan daz sint die den got hie sælde hât gegeben und dort ein êwiclîchez leben; dar nâch wir alle sulen streben. (WG ff.)

Swer an rehte güete wendet sîn gemüete, dem volget sælde und êre. des gît gewisse lêre künec Artûs der guote, der mit rîters muote nâch lobe kunde strîten. er hât bî sînen zîten gelebet alsô schône daz er der êren krône dô truoc und noch sîn name treit. des habent die wârheit sîne lantliute: sî jehent er lebe noch hiute: er hât den lop erworben, ist im der lîp erstorben, sô lebet doch iemer sîn name. er ist lasterlîcher schame

328 Vgl. hierzu auf der Lake, Katrin: Wi(e)der die Tradition. 329 Vgl. Haug, Walter: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Unveränd. Nachdr. der 2. Aufl. 1992. Darmstadt 2009, S. 274 ff.

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iemer vil gar erwert, der noch nâch sînem site vert. (IW ff.)

Gegenüber dem Armen Heinrich ist dagegen gerade der Vers substanziell verändert, der dem Inhalt der Erzählung abverlangt, dass er gotes êren töhte, wie die folgende Gegenüberstellung zeigt. Entscheidend sind der Textzusammenhang, in dem die Anspielung auf den Hypotext steht, sowie seine inhaltliche Anbindung im Hypertext selbst. Erst der Zusammenhang der Anspielung legt offen, dass dem Buchgelehrten Hartmann ein selbstsicherer tihtær, der sich – vorgeblich – auf eine mündliche Quelle stützt, entgegensetzt wird:

Mîn kunst diu was verborgen ie; die wold ich nu offen hie,

Ein ritter sô gelêret was daz er an den buochen las swaz er dar an geschriben vant; der was Hartman genant, dienstman was er ze Ouwe. er nam im manige schouwe an mislîchen buochen; dar an begunde er suochen

ob ich mit mînem munde möhte swære stunde den liuten senfte machen, und von solhen sachen daz guot ze hœren wære.

ob er iht des vunde, dâ mite er swære stunde möhte senfter machen, und von sô gewanten sachen, daz gotes êren töhte

nu wil ich iu ein mære sagen, als ez mir ist geseit. zeiner ganzen wârheit trûwe ich ez niht bringen; wan eines wil ich dingen; daz ich durch iuwer hövischeit

und dâ mite er sich möhte gelieben den liuten. nu beginnet er iu diuten ein rede die er geschriben vant. dar umbe hât er sich genant, daz er sîner arbeit

330 Hartmann von Aue: Iwein. Text der siebenten Ausgabe von G. F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff. Übersetzung und Nachwort von Thomas Cramer. 4., überarb. Aufl. Berlin [u. a.] 2001.

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

dem tihtær des genâde seit der ditze hât getihtet, mit rîmen wol berihtet, wan ditz ist sîn êrstez werc. er heizet Wirnt von Grâvenberc. der werlte ze minnen enblient erz sînen sinnen: ir gruoz wil er gewinnen. (WG ff.)

die er dar an hât geleit iht âne lôn belîbe, und swer nâch sînem lîbe sî hœre sagen ode lese, daz er im bitende wese der sêle heiles hin ze gote. man giht, er sî sîn selbes bote unde erlœse sich dâ mite, swer über des andern schulde bite. (AH ff.)

Die Gegenüberstellung der jeweiligen Zusammenhänge, in der die beiden Textstellen stehen, macht die frappierende Antithetik erst sichtbar. Hartmanns Bitte um Seelenheil wird als Honorierung sîner arbeit begriffen, die sich als das suochen, vinden und diuten einer Erzählung ausgibt, die gotes êren töhte; Voraussetzung bleibt, dass diese in buochen geschriben steht. Das suochen, vinden und diuten dieser materia ist die Aufgabe des Wiedererzählers, wie das auch Gottfried im Prolog zum Tristan ausführlich inszeniert.332 Dem produktionsseitigen Suchen, Finden und Wiedererzählen stellt Wirnt den rezeptionsseitigen Mehrwert der Dichtung gegenüber (daz guot ze hœren wære). Die oppositionelle Gestaltung wird durch die polar angelegte Anordnung der Rezeptions-, vor allem aber der Produktionsmodi vereindeutigt: Hartmann stellt für die Rezeption beide Modi bereit (sî hœre sagen oder lese), Wirnt indes verwendet ausschließlich Verben des Hörens. Der im Armen Heinrich überbordenden Schriftlichkeit entgegnet Wirnt mit nicht verbürgter Mündlichkeit: […] ein mære / sagen, als ez mir ist geseit.333 Diese antithetisch ausgerichtete Anspielung ist eingebettet in die Expression eines neuartigen Dichterverständnisses. Die über das Possessivpronomen Mîn eindeutig an die dichterische Tätigkeit gebundene kunst versteht sich als Aufgabe gegenüber den Rezipienten, weniger gegenüber Gott selbst. Die folgende Autornennung steht explizit mit der Tätigkeit des Dichtens in Verbin-

331 Hartmann von Aue: Der arme Heinrich. Hrsg. v. Hermann Paul. Neu bearb. von Kurt Gärtner. 18., unveränderte Aufl. Berlin [u. a.] 2010 (= ATB 3). 332 Vgl. dazu Gottfried von Straßburg: Tristan. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn. 3 Bde. 12. Aufl. Stuttgart 2007 (= RUB 4471, 4472, 4473), V. 135–172. 333 Däumer, Matthias: Stimme im Raum und Bühne im Kopf, S. 166 identifiziert hier als Sprecher den Rezitator, der Eid darüber ablege, „nur die ‚diktierte‘ (vom tihtære) Erzählung weiterzugeben“.

4.1 Das narrative Grundmodell des Wigalois

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dung (dem tihtær […] / der ditze hât getihtet) und stellt darüber hinaus eine der frühesten tihtær-Nennungen dar.334 Hartmann koppelt die Tätigkeit des Dichtens an die Bitte um Seelenheil (das er im bittende wese / der sêle heiles hin ze gote), Wirnt dichtet der werlte ze minnen und erbittet sich Wertschätzung hierfür. Die tihtær sind die werlte minnære (WL335 1), an die Konrad von Würzburg Der Welt Lohn richtet, die Dichtkunst aber bleibt werltlîchiu werc (WL 48). Dass Konrad von Würzburg eine Figur mit dem Namen Wirnt von Grafenberg zum Exempel der werlte minnære erhebt und ihn als Buchgelehrten (und hæte ein buoch in sîner hant [WL 55]) inszeniert, erscheint vor diesem Hintergrund beinahe wie ein intertextuelles Spiel mit Wirnts intertextueller Anspielung:336 als uns diu buoch bewîsten und ich von im geschriben vant, sô was der herre genant her Wirent dâ von Grâvenberc. er hæte wertlîchiu werc gewürket alliu sîniu jâr. (WL 44ff.)

Es wäre wohl überspannt zu behaupten, Wirnt entkoppele sein künstlerisches Wirken gänzlich vom Dienst an Gott – womöglich aber verlagert er es in seinen Helden selbst.337 Jedenfalls stellt er in Abgrenzung gegenüber dem Hartmannschen Beispiel Kunstfertigkeit im Dienste weltlichen Ruhms in den Vordergrund. Der Dienst an Gott ist, wie das die eingangs platzierte intertextuelle Anspielung auf den Iwein zeigt, an die guote[] lêre der Erzählung selbst geknüpft: Dort wurde dazu aufgefordert, diejenigen als exempelhaft zu begreifen, den diu werlt des besten giht und die nach gotes lône dienen hie (WG 26 ff.). Dieser den prologus praeter rem beschließende Textabschnitt benennt eingangs außerdem den Oberbegriff kunst sowie die beiden hierfür hauptsächlich verantworteten Begriffe guot und sin. Die Akkumulation dieser beiden Begriffe erstreckt sich über den gesamten Textabschnitt zwischen den beiden intertextu-

334 Gärtner, Kurt: Zu den mittelhochdeutschen Bezeichnungen für den Verfasser literarischer Werke. In: Andersen, Elizabeth (Hrsg.): Autor und Autorschaft im Mittelalter. Tübingen 1998, S. 38–45, hier S. 42. 335 Konrad von Würzburg: Heinrich von Kempten. Der Welt Lohn. Das Herzmaere. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Edward Schröder. Übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Heinz Rölleke. Stuttgart 1968 (= RUB 2855). 336 Vgl. ausführlich zur Rolle Wirnts bei Konrad von Würzburg Scholz, Manfred Günter: Hören und Lesen, S. 128 ff. 337 Vgl. dazu Lehmann, Jan:,Unzuverlässige Authentizität‘, S. 190, der die Tilgung als gänzliche Absage versteht.

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ellen Anspielungen. kunst (WG 124) wird zum Oberbegriff, deren maßgebliche Konstituenten guot (WG 130) und sin (WG 143) vorab verhandelt werden. In einem ersten Abschnitt (WG 33–62) wird die semantische Facette von sin als Kunstverstand zunächst mit Verben und Nomina des Sprechens in Verbindung gebracht: Wær ich ein alsô wîser man daz ich wol möhte – als ich doch kan – gesprechen nâch des herzen gir! leider, nû geswîchent mir beidiu zunge und ouch der sin, daz ich der rede niht meister bin die ich ze sprechen willen hân, [...] daz ez die wîsen dûhte guot. (WG 33–43)

Das als Wunsch geäußerte gesprechen nâch des herzen gir ließe sich durchaus als Maxime eines neuartigen Dichterverständnisses verstehen. Die zunge stünde dann bildhaft für die fingierte mündliche Quelle und damit der Buchmetapher für schriftliche Quellentreue gegenüber. Am Ende des Abschnitts heißt es wieder: wie ich mit mîner zungen daz verdiente daz die wîsen baz mich mit ir gruoze hêten doch[.] (WG 58ff.)

Beide Passagen stellen zunge in direkten Zusammenhang mit wisheit; die Quellenfiktion zu entlarven, bleibt somit die Aufgabe derjenigen Verständigen, die die veränderten Komponenten des Dichtens verstehen und zu schätzen wissen. Die wîsen sind diejenigen, die im Vorwort dazu angehalten wurden, den Text beidiu lesen und verstên (WG 3) zu können.338 zunge und sin gehen eine Verbindung ein, welche die Erzählform umschreibt, insofern alle Verweise auf die Mündlichkeit der Quelle für einen freieren Umgang mit Vorlagentreue stehen.339 Gleichzeitig wird schon innerhalb des Bescheidenheitstopos’ in ein Spiel mit der Polysemie von guot übergeleitet. Bereits im ersten Vers spricht das Buch den Leser als guoter an und schafft damit die Opposition von den guoten und

338 Anders Däumer, Matthias: Stimme im Raum und Bühne im Kopf, S. 151, der lesen als vortragen übersetzt. Lehmann, Jan:,Unzuverlässige Authentizität‘, S. 187 gilt das verstên als „konstitutive[s] Konzept des Wigalois-Prologs“. Lehmann bietet diesbezüglich eine in den Fußnoten geführte ‚Parallellektüre‘ mit Gottfrieds von Straßburg Tristan-Prolog an. 339 Auch das ist bei Däumer, Matthias: Stimme im Raum und Bühne im Kopf, S. 157 f. als Teil der Aufführungssituation zu verstehen: „In der Aufführungssituation ist es dem Dichter unmöglich, über seinen Verstand (sin) oder ein direktes Sprechen (zunge) auf die Ereignisse einzuwirken. Deshalb ist er nicht Herr seiner eigenen Erzählung.“

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den valschen, die ab V. 100 weitergeführt wird. An einer Stelle jedoch verwehrt sich guot einer eindeutigen Zuordnung als Substantivierung des Adjektivs guot oder als Substantiv: Dichten versteht sich als Erschaffen von etwas Gutem oder als Erschaffen von ‚Erzählgut‘: erziuge ich hie iht guotes mit ob mîn geist gevüeget daz, des sol man mir danken baz dan einem sinne rîchen man (WG 48ff.)

Mit Blick auf den im Folgenden gesetzten Oberbegriff kunst für seine Form des (Wieder-)Erzählens, wäre jedenfalls auch das Dichten als Erschaffen von Erzählgut eine plausible Lesart. Das lässt sich an späterer Stelle des Textes bekräftigen: In der Unterredung von Erzähler und sin ist das Ineinanderwirken von sin und guot deutlicher ausgestellt. Wird das Erschaffen von ‚Erzählgut‘ im Prolog zunächst souverän über die Kunstfertigkeit von einem sinne rîchen man gestellt, stellt der Erzähler dort seine kunst (WG 5766) über diejenige, die ein guotes rîcher man (WG 5769) ohne Kunstfertigkeit hervorgebracht hat. Während der guotes rîcher man (lediglich) wiedererzählt, erziuget Wirnt erst guot – und schafft somit qualitativ neues Erzähl-guot (vgl. Kapitel 4.3). Sowohl die Unterredung mit dem sin als auch die Episode selbst verhandeln das poetologische Spiel um guot, sin und kunst weiter. Dort profiliert sich der Erzähler deutlich als kunstfertiger sinne und guotes rîcher man. Die Akkumulation von guot wird fortgesetzt bis zu dem sie beschließenden Vers nu volget mir: ez wirt iu guot (WG 123) und der anschließenden Pointierung von kunst als Leitbegriff für das Erzählen; guot wird in der hier fortgeführten Akkumulation als Bewertungsmaßstab für den idealen Rezipienten jeweils antithetisch gegenüber bœse und gegenüber valsch erörtert.340 Dichten versteht sich, das macht der Prolog deutlich, weiterhin nicht nur als Wiedererzählen einer schriftlich verbürgten wârheit, wie das von Hartmann im Armen Heinrich profiliert wird (nu beginnet er iu diuten / ein rede die er geschriben vant), sondern vielmehr als ein Erdichten. Erdichten heißt dann Kompilieren und Hinzudichten, zugleich aber auch ein Einschreiben in und Brechen mit der Erzähltradition. Die beiden intertextuellen Anspielungen, die als Beginn und Endpunkt den Rahmen des prologus praeter rem bilden, heben eben dieses Verfahren hervor. Der Rezipient wird dazu angehalten, auf Brüche und Inkonsistenzen zu achten, um dort auf die veränderten Bedingungen der Erzählung aufmerksam gemacht

340 Auf den Antagonismus geht auch Lehmann, Jan:,Unzuverlässige Authentizität‘, S. 187 ff. ein.

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zu werden. Weist schon das Vorwort auf die veränderten Prinzipien von Wirnts Erzählduktus hin und bezieht sich mit der Buchmetapher explizit auf eine an schriftliche Verbürgtheit geknüpfte wârheit, die mit der materiellen Buchmetapher selbst ausgestellt ist, verabschiedet die Auseinandersetzung mit dem Armen Heinrich diese schriftlich verbürgte Wahrheit und bindet sie an das Paradigma des miles christianus. Das macht sogleich deutlich, dass die Erzählung ihre Anbindung an die Erzähltradition reflektiert und auch vom Rezipienten reflektiert werden will. Die beiden intertextuellen Anspielungen jedenfalls zeigen in ihrer Art und Weise der Veränderung gegenüber dem Hypotext schon eine produktive Auseinandersetzung mit Erzählkonventionen. Was im Prolog für die Gestaltung der Erzählung auf der Ebene des discours verhandelt wird, stellt die dem Roman vorangestellte Elternvorgeschichte auf der Ebene der histoire aus: Sowohl der Prolog als auch die Elternvorgeschichte prononcieren das Erzählen unter verkehrten Bedingungen. Was die Elternvorgeschichte auf der Handlungsebene als Inkonsistenzen ausstellt, macht sich der Prolog für das Erzählen zum Programm. Dort wird ein Dichten begründet, das sich als schöpfende Form kompilierenden Wiedererzählens versteht. Das Kompilieren als Kreieren ist dabei als produktive Auseinandersetzung zu verstehen, die über den Rückgriff auf Hypotexte und dort geformte Handlungsmuster in einen produktiven Austausch tritt, der – so die im Folgenden vertretene These – an einzelnen Stellen so arrangiert ist, dass er Komik erzeugt.

4.2 El amie In der ersten Aventiurereihe besteht Wigalois die sogenannten Bewährungsaventiuren, um Nereja von seiner Tapferkeit und Kampfeskraft zu überzeugen und sich damit für das Korntinabenteuer zu qualifizieren. Exponiert ist die Schönheitspreisaventiure schon durch ihren immensen Umfang. Sie hebt sich als Bewährungsaventiure außerdem dadurch heraus, dass Wigalois seinen Gegner hier erstmals nicht tötet. Die problematische Konstellation, die in der ersten Aventiurereihe mit der Tötung der ersten drei Gegner entworfen ist, wurde von der Forschung bereits gesehen,341 bereitet aber nach wie vor Schwierigkeiten

341 Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 126 hat für den Kampf mit dem Burgherren und dessen Tötung das Motiv der missglückten ersten Bewährung des Helden stark gemacht. Classen, Albrecht: Gewaltverbrechen als Thema des spätarturischen Romans. Sozialkritisches in Wirnts von Grafenberg Wigalois. In: Études Germaniques 62 (2007), H. 2, S. 429–455 [vorher in kürzerer Form erschienen in: Études médievales. Revue 8 (2006), S. 141–149] hat das als Beginn einer „Kette an Gewalttaten“ (S. 437) bezeichnet und im „Gewalt- und Herrschaftsdikurs[]“ ein

4.2 El amie

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hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Romanganze und ihrer Funktionen für den prädestinierten Helden. Jedenfalls hat Wirnt hier deutliche Verände„strukturelles Erklärungsmodell“ (S. 451) für den Roman gesehen. Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 85 stellt im Gegensatz zu der von Mitgau postulierten Vertauschbarkeit der aventiuren eine Steigerung seitens der Gegner hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zur höfischen Gesellschaft fest. Zuletzt hat Waltenberger, Michael: Heldentum in wechselnden Weltverhältnissen, S. 61 f. das Töten der Gegner als einen von mehreren „motivationale[n] Haarrisse[n]“ bezeichnet, „hinter denen sich tektonische Verschiebungen im Gefüge Held und Welt abzeichnen“ (S. 62), und die in der poetischen Anlage des Textes die „Variabilität der Relationsmöglichkeiten zwischen Held und Welt“ (S. 60) aufzeigten. – Dimpel, Friedrich Michael: Die Zofe im Fokus. Perspektivierung und Sympathiesteuerung durch Nebenfiguren vom Typus der Confidente in der höfischen Epik des hohen Mittelalters. Berlin 2011 (= Philologische Studien und Quellen 232), S. 319–348 (Kap. 7 ‚Nereja im Wigalois‘). Dimpel zeigt, wie mit Nereja als Nebenfigur eine Perspektive auf den Helden geboten wird, die sich deutlich von derjenigen der Artusgesellschaft wie vom Rezipientenwissen unterscheidet: Aufgrund dieser Perspektive sei die erste Aventiurereihe deutlicher an einem Leistungs- anstelle einem Herkunftsprinzip orientiert. Der Kontrast von Nerejas „negative[r] externe[r] Positionierung“ und positiven Sympathiesteuerungsverfahren bewirke eine Distanzminderung seitens der Rezipienten und begünstige so „ein Engagement gerade für den krisenlosen Helden“ (S. 347 f.). Die „multiperspektivisch“ (S. 344) erzählten Bewährungsabenteuer spielten Nerejas Perspektive als „negative Positionierung […] gegen die Konkurrenz der übrigen Sympathiesteuerungsverfahren“ ein und ließen diese so „nicht dominant werden“ (S. 347). Nereja bezeichnet bspw. die Tötung des Burgherren als mort (WG 2009), während der Erzähler das als absichtslos geschehenes (vgl. WG 1999 ff.) ungeschiht (WG 2029) bewertet. Anders Bolta, Eva: Die Chimäre als dialektische Denkfigur im Artusroman, S. 157, die Nerejas Aussage als Vorwurf einer gravierenden Verfehlung versteht. Dass der Artusritter seine Gegner tötet, schafft jedenfalls Raum, um Kampf und Tod erzählerisch aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. So tötet Wigalois im Riesenkampf nur einen der Riesen und unterwirft den anderen – hier werden demnach zwei divergente Kampfverhalten direkt gegenüberstellt. Vor dem Hintergrund des Erzählerkommentars über ritterliches Kampfverhalten, ließe sich die Brisanz der ersten Abenteuer als mögliche Problematisierung des arthurischen Aventiurekonzepts verstehen. Im Zuge der genealogischen Lesart bewertet Bolta, Eva: Die Chimäre als dialektische Denkfigur im Artusroman, S. 158 das anders: „Das Motiv zieht im weiteren Verlauf weder eine Bußleistung nach sich, noch ist der Held um Wiedergutmachung bemüht. Er kann demnach nicht vor dem Hintergrund der Ither-Tötung durch Parzival gelesen werden – wohl aber vor dem Hintergrund der Mordvorwürfe gegenüber Gawein. Der Sohn scheint auszuführen […], was dem Vater vor dem Horizont der Gattung immer wieder vorgehalten wird […].“ Nach der Schönheitspreisaventiure tötet Wigalois im Kampf seinen Gegner Schaffilun. Dass der Kampf zwangsläufig mit dem Tod von einem der beiden Kontrahenten enden muss, hatte Schaffilun bereits vor Beginn selbst so formuliert (vgl. WG 3405 ff.). Hiernach aber ordnet Wigalois die Bestattung Schaffiluns explizit an und bittet darum, ihm die Tötung nicht negativ anzulasten (vgl. WG 3593 ff.). So entsteht zumindest der vage Eindruck, Wigalois habe sein Fehlverhalten im Kampf erkannt und gehe als diesbezüglich veränderter Held aus der Aventiurereihe hervor. Möglicherweise ließe sich die erste Aventiurereihe so deuten, dass es ihr Zweck ist, Wigalois’ gesteigertes Reflexionsvermögen seines eigenen Kampfverhaltens zu demonstrieren.

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rungen gegenüber der französischen Vorlage vorgenommen, die die Kämpfe erst prekär machen.342 FUCHS weist der Schönheitspreisepisode innerhalb der Gesamtstruktur die Funktion zu, Wigalois einerseits als Artusritter auszuzeichnen, der eine ritterliche Hilfeleistung erfüllt; zugleich bleibe sie andererseits Durchgangsabenteuer, das bloß der Demonstration von Wigalois’ Gottvertrauen diene.343 Prinzipiell ist man sich weitgehend einig darüber, dass die Episode als Teil der Bewährungsabenteuer dem Ziel der Prädikation des Helden diene.344 Die Bewährungsabenteuer erwiesen sich als nicht kohärent und zielten nicht auf einen „geschlossenen Sinn“ ab, sondern trügen „punktuelle Funktion“, die den Helden als festen, in seiner Form sich nicht entwickelnden zeigten.345 Im Hinblick auf den problematischen Ausgang der Kämpfe in der ersten Aventiurereihe aber lassen sich solcherlei Deutungen nur schwer halten. Auffallend ist die Episode aber im Besonderen durch ihre intertextuellen Anspielungen. Der mit dem Tod des Gegners endende Kampf mit dem Hündchenbesitzer ist Anlass für einen Erzählerkommentar über unehrenhaftes Verhalten im Kampf und den Werteverfall des Ritterstandes, der sich als epische Vorausdeutung auf Wigalois’ anschließenden Kampf mit dem Roten Ritter verstehen lässt; die über die intertextuelle Anspielung auf Parzivals Kampf mit Ither hergestellte Erwartung, dass der Gegner im Kampf getötet werde und Wigalois ihm die Rüstung nähme, würde allerdings nicht eingelöst. Der Erzählerkommentar evoziert diese

342 Wirnt hat die Reihenfolge der Aventiuren gegenüber der Vorlage vertauscht: Im Le Bel Inconnu tötet der Held in der ersten aventiure die beiden Riesen. Das Töten der unhöfischen Gegner ist aber weitaus weniger problematisch als die Tötung von Burgherr und Hündchenbesitzer im Wigalois. Burgherr und Hündchenbesitzer bleiben im Le Bel Inconnu am Leben und werden zum Artushof geschickt. Bereits zu Beginn führt das Töten der Riesen dort dazu, dass die Botin von der Kampfeskraft des Helden überzeugt wird. 343 Vgl. Fuchs, Stephan: Hybride Helden, zum Schönheitspreis S. 130 ff., hier insb. S. 131. Die gehäuft auftauchenden Gottesnennungen innerhalb der Episode haben zuletzt auch Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 118 ff. Anlass gegeben, die Episode als Teil eines textübergreifenden Telos zu verstehen, das die Möglichkeit von Gottes Wirken allgegenwärtig erscheinen ließe. Der Episode werde eine „andere Qualität“ (S. 118) zugewiesen, die sich in den mehrfachen Gottesnennungen manifestiere, die zwar kein direktes Eingreifen desselben schilderten, dennoch den „Gedanke[n] an das Wirken Gottes auf Erden allgemein […] wach[hielten]“ und so prinzipiell „die Möglichkeit, dass Gott jederzeit in der Lage ist, direkt ins Geschehen einzugreifen“ (S. 123) einspielten. 344 Vgl. resümierend Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Nachwort zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 281. 345 Vgl. Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Nachwort zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 281.

4.2 El amie

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Erwartung – sie hängt alleinig an dem intertextuell eingespielten Wissen um Parzivals Kampf mit Ither – und bekräftigt sie durch den für die Gegner todbringenden Ausgang der vorausgehenden Kämpfe der ersten Aventiurereihe. Die in der Episode erstmals explizit eingesetzten intertextuellen Anspielungen fordern ihr Verständnis vor dem Horizont ihres literarischen Umfelds geradezu ein. Neben der Gegnerfigur selbst, die wegen ihres, an eine historische Person angelehnten Namens eine exponierte Stellung einnimmt,346 und die in ihrer Farbgebung ebenso an Ither wie an Mabonagrin gemahnt, sind über die Episode hinweg einzelne intertextuelle Anspielungen verteilt, die bisher in Verbindung mit gesamtstrukturellen Fragestellungen verhandelt wurden. Der Kampf mit Hojir von Mannesvelt präsentiere sich, so SABINE und ULRICH SEELBACH, vor dem Hintergrund des intertextuellen Verweischarakters auf Ither als Exordial- bzw. auf Mabonagrin als Finalgegner als Ausdruck der Vollkommenheit des Helden, da mit der Farbgebung in Hojir „Alpha und Omega des arthurischen Helden“ verschmelzen würden. Infolgedessen sei der „arthurische Stoff bereits mit der Exposition an sein Ende gekommen“, die Episode selbst erweise

346 Diese Besonderheit hat vorrangig Fragen nach der historischen Verortung des Textes provoziert. Vgl. zur historischen Kontextualisierung der Figur Honemann, Volker: Wigalois’ Kampf mit dem roten Ritter. Zum Verständnis der Hojir-aventiure in Wirnts Wigalois. In: ders. (Hrsg.): German Narrative Literature of the Twelfth and Thirteenth Centuries. Studies presented to Roy Wisbey on his Sixty-fifth Birthday. Tübingen 1994, S. 347–362 betont die Ausführlichkeit der Schilderung von Hojir und kontextualisiert die Figur historisch. Vgl. auch Klare, Andreas: Überlegungen zur Literarisierung von historischen Figuren am Beispiel des von Mansfeld in Wirnts Wigalois. In: Leuvense Bijdragen 83 (1994), S. 485–521, der die Frage nach dem Verhältnis von Fiktion und Realität in den Vordergrund stellt. Aufgrund der mit dem Namen geschaffenen Historizität erachtet Dietl, Cora: Fiktive Artuswelt und Reichsideal als Produkte narrativer Struktur im Wigalois des Wirnt von Grafenberg, S. 78 Hojir als Teil einer Verbindung der drei Weltreiche: als Heerführer eines deutschen Kaisers verweise Hojir auf Rom, die intertextuell eingespielte Trojaerzählung auf Griechenland, die Prinzessin mit ihrer Herkunft auf Persien. Das diene als „Akzentuierung gegen die fiktionale Artus-Aventürenwelt“. In der Folge könne dann die Namur-Episode anstelle des Artusfests neben der höfischen Freude Politisches einspielen: „Im Roman ist Artus zum Inbegriff apolitischer höfischer Idealität geworden. Wirnt deckt die Begrenztheit dieser immanent literarischen Idealität auf. Mit dem Helden, […] der nicht literarischen Strukturen sondern einer göttlichen Bestimmung folgt, ist ein neuer idealer Herrscher geschaffen, der Artus ablösen kann.“ (S. 79) Wüstemann, Sybille: Der Ritter mit dem Rad. Die stæte des Wigalois zwischen Literatur und Zeitgeschichte. Trier 2006 (= Literatur – Imagination – Realität 36), S. 150 erfasst Hojir als Teil eines historisch-reflexiven Erzählverfahrens, das Geschichte und Geschichten spielerisch gegeneinander ausspiele. Ziel dieses erzählerischen Experiments sei es zu zeigen, dass es zwar beim „Primat des Literarischen [bleibe], das gleichwohl nicht umhin kann, historisch zu sein.“

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sich so als „Artusroman in nuce“.347 Stellt man die intertextuellen Anspielungen in einen größeren Gesamtzusammenhang der Episode, zeigt sich, dass hinter dem Einsatz eine spezifisch für die Episode relevante Absicht steht, die sich nicht darauf beschränkt, punktuelle Vergleiche einzufordern oder die einzig der globalen Absicht einer Einschreibung in die Romantradition dient.348 Die Anspielungen stellen als Verständnisfolie für die Episode ein an das Motiv des Schönheitspreises gebundenes Handlungsmuster bereit, das an bestimmte Handlungsparameter gebunden ist und eine spezifische Form literarischen Handlungswissens birgt, die die Bewertung zulässt, dass vor dem Horizont dieses Handlungswissens die Handlung der Episode zum Scheitern gebracht wird. Diese erzählte scheiternde Handlung generiert schließlich Komik, wie nachfolgend gezeigt wird. Auf ihrem Weg zu Larie begegnen Nereja und Wigalois Elamie, die klagt und davon berichtet, wie ihr der Rote Ritter den ihr rechtmäßig zugesprochenen Schönheitspreis entwendet und seiner Freundin gegeben habe. Wigalois bietet augenblicklich Hilfe in der Angelegenheit an und gewinnt den Preis für Elamie zurück, woraufhin diese Wigalos bittet, sie in ihr Land zu begleiten; Wigalois lehnt das ab. Die Bitte von Elamie erwächst aus den mit dem Schönheitspreis verbundenen Konventionen, die festlegen, dass dieser von einem Ritter für die Dame seines Herzens 347 Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Nachwort zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 279. Vgl. auch Ruff, Thomas: Untersuchungen zur ‚ritterlichen Standesethik‘ in mhd. Epik der klassischen und nachklassischen Zeit. Bochum 1990, S. 149 f., der den Fokus seines Interesses auf die rote Farbgebung legt. Eine figurative Funktion sei die Kommentierung von und Kritik an feststehenden Urteilen der höfischen Gesellschaft, welche Rothaarigkeit als „Abqualifizierung“ und „Symbol des Bösen und Hinterhältig-Verschlagenen“ bewerte. Der ‚korrigierende‘ Kommentar gehe „gegen das gängige abergläubische, von der höfischen Ideologie außerdem ‚zementiert[e]‘ Vorurteil an[…], vom Äußeren auf das Innere des Menschen zu schließen“ (S. 149). 348 Vgl. Stange, Carmen: Florie und die anderen. Die Frauenfiguren im Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Costard, Monika / Klingner, Jacob / dies. (Hrsg.): Mertens lesen. Exemplarische Lektüren für Volker Mertens zum 75. Geburtstag. Göttingen 2012, S. 127–145. Intertextualität wird hier im Zuge eines gendertheoretischen Ansatzes fruchtbar gemacht; Hartmanns Iwein wird zum Hypotext für die Figurenentwürfe Wirnts, insofern Florie hinsichtlich ihrer triuwe als Gegenentwurf zu Laudine, Nereja als einer zu Lunete zu verstehen sei. Vgl. insbesondere zur Stellung einzelner Frauenfiguren Ash, Karina Marie: Conflicting Femininities in Medieval German Literature. Farnham [u. a.] 2012, S. 153 f., die anhand von Japhite zeigt, wie die Rolle der Ehefrau von derjenigen der religiösen separiert werde. Trotz ihres heidnischen Ehemanns und wegen ihrer höfischen Hingabe sei sie Gottes Gnade wert. Mit Fokus auf Larie Brunner, Horst: Hie ist diu aventiure geholt – / wa ist nu der minne solt? Die Rolle der Frau des Helden in einigen nachklassischen Artusromanen. In: Meyer, Matthias / Schiewer, Hans-Jochen (Hrsg.): Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag. Tübingen 2002, S. 55–65.

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erkämpft wird. Auf diese Logik des Preises macht Elamie selbst aufmerksam und möchte diesen nicht weiter besitzen: ‚sît ir mich niht mugt gewern, sô wil ouch ich der gâbe enbern die ich von iu enpfangen hân.[‘] (WG 3238ff.)

Elamie formuliert, dass Wigalois den Preis explizit um ihretwillen gewonnen habe. Erffüllt er diese Bedingung aber seinerseits nicht, hat der Preis in diesem Moment seine Funktion eingebüßt. Es scheint so, als wisse Wigalois von all dem nichts, denn er schenkt den Preis daraufhin blindlings Nereja.349 Hier wird, so wird sich im Folgenden zeigen, ein scheiternder Handlungsablauf erzählt, der im Horizont der zugleich narrativ erzeugten Erwartungshaltung Komik generiert. Relevant für die die Komik generierenden Strukturen sind die intertextuellen Verweise, welche erst einen Bewertungshorizont für die Handlung einspielen, der zusätzlich aus der Figurenperspektive von Elamie explizit vertreten wird, wie das eben angeführte Zitat zeigt. Ausgangspunkt für das Verständnis der Episode ist, dass bis zur Ankunft bei Larie die Korntinbefreiung an keiner Stelle an die Hand Laries geknüpft wird. Das macht die auf das Schönheitspreisabenteuer folgende Auseinandersetzung mit Schaffilun deutlich. Wigalois versteht seine Hilfe für Larie dort zunächst ausschließlich als ritterliche Hilfeleistung, von dem hiermit verbundenen Gewinn von Hand und Land weiß er nichts. Er berichtet über Nerejas Hilfegesuch: [‚]ûf der genâde kom si dar ob iemen wære under in der einen rîterlîchen gwin ze Korntîn getorste holn[.‘] (WG 3366ff.)

Auch Schaffilun erwähnt die Koppelung von aventiure und Preis nicht, er bringt sie lediglich in Zusammenhang mit ritterlichem Ruhm (vgl. WG 3395 ff.). Vom Gewinn von Hand und Land der Dame mit Bestehen der Korntinaventiure unterrichtet Nereja Wigalois erst bei deren Ankunft auf Roimunt.350 Damit bleibt

349 Vgl. auch Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen. Psychoanalytische Lektüren zum höfischen Roman. Würzburg 2017 (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 146), S. 376 ff., die ebenso den „von den Motiv- und Figurenkonstellationen getragenen Minne-Subtext zwischen Wigalois und der Jungfrau“ (S. 376) herausstellt, der sich im Verhältnis von Held und maget ambivalent zeige. 350 Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 80 resümiert an dieser Stelle, „der für den Erfolg ausgelobte Preis in Gestalt der Landesherrin [werde] erstmals sichtund greifbar“. Dabei wird er nicht erst sicht- und greifbar, so könnte man zuspitzen, sondern überhaupt wird die aventiure hier erst mit einem Preis in Verbindung gebracht.

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sowohl textintern als auch für den Rezipienten die Möglichkeit einer Liebesverbindung von Wigalois und Elamie in der Schönheitspreisaventiure potentiell offen. Indem Elamie am Ende der Episode die Liebesverbindung einfordert und Wigalois das ablehnt, wird somit textintern – zumindest aus der Perspektive von Elamie – wie auch textextern ein Erwartungsbruch erzeugt. Wenn Komik sich, wie von STIERLE definiert, als Misslingen einer erwartbaren Handlung zeigt, dann weist der bis hierher knapp umrissene Bruch mit der Erwartungshaltung auf Komik hin. Das Misslingen von Handlung aber bedarf der Folie des gelingenden Handlungsverlaufs, um grundsätzlich als misslungen identifiziert zu werden. Der konventionellen Logik des Schönheitspreises zufolge erstreitet Wigalois nicht nur den Preis, sondern auch die Hand der schönsten Dame, für die er kämpft – dass er das nicht weiß, lässt die Handlung letztlich scheitern. Dieses Scheitern der Handlung konstituiert sich schließlich erst im Wissen über ihr potentielles Gelingen und ihre sinnstiftende Rückbindung an eine spezifische, für diese Handlung relevante Logik. Diese Verständnisfolie liefert, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, der Text in diesem Fall stückweise mit – qua intertextueller Verweise sowie über die eigens von Elamie formulierte Konvention. Dabei stellt er den Bezug zu einem Hypotext explizit mit intertextuellen Verweisen her, implizit aber generiert und verfestigt sich das mit dem Motiv verbundene Handlungswissen jedoch über seine Manifestationen desselben Motivs auch in anderen Texten, wie beispielweise in seinen französischen Vorlagen Le Bel Inconnu und Le Chevalier du Papegau, die beide Schönheitspreisaventiuren erzählen.351 Es scheint daher lohnenswert, die Episode um die Rückgewinnung352 des Schönheitspreises 351 Vgl. für eine Zusammenstellung der Handlungsparallelen zuletzt Fuchs-Jolie, Stephan: Bel Inconnu, Wigalois und Chevalier du Papegau. In: Pérennec, René / Schmid, Elisabeth (Hrsg.): Höfischer Roman in Vers und Prosa. Berlin 2010 (= Germania Litteraria Mediaevalis Francigena 5), S. 221–248. 352 Die Episode hat die Forschung vor allem hinsichtlich rechtlicher Fragen interessiert. Vgl. dazu Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 124, der schlussfolgert, Wigalois stelle mit dem Rückgewinn des Preises Recht wieder her, der Kampf sei mehr „gerichtlicher Zweikampf“ und nicht Kampf um den Preis, weil dieser Elamie bereits gehöre; Elamie sei diejenige, die die Situation falsch einschätze wenn sie glaube, Wigalois habe um ihre Hand gekämpft. Veeh, Michael: Auf der Reise durch die Erzählwelten hochhöfischer Kultur, S. 133–160 hat gegenüber dem Le Bel Inconnu herausgestellt, dass Wirnt juristische Details und Konstituenten von Konfliktlösungsmechanismen einflechte, die Bestandteil außerliterarischer Konflikte seien. Die gegenüber Elamie ausgeübte Ehrverletzung als Konflikt werde in Form eines rituellen Handlungsablaufs der Konfliktbewältigung aufgelöst. Dass Hojir gerade in diesem Zusammenhang als historische Figur gezeichnet werde, erhöhe dann beim Publikum den „Eindruck von besonderer Authentizität und Historizität“ (S. 157). Daneben hat die Forschung ihr Interesse an der Episode auf die gegenüber der Frauenfigur ausgeübte Gewalt gerichtet.

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nicht bloß vor der Folie des Erec – und seiner Vorlage – zu betrachten, sondern den Blick wesentlich weiter zu richten und die Pluralität möglicher Bedeutungsordnungen als Basis für eine Folie anzunehmen. Gleich mehrfach rufen intertextuelle Marker im Wigalois den Erec als Interpretationsfolie auf.353 Diese Deutung greift jedoch kurz und beschränkt sich einzig auf die Auseinandersetzung mit dem Prätext. Mehrheitlich sind sie verflochten mit Verweisen auf den Eneasroman, bspw. wenn die Pferdebeschreibung (WG 2526 ff.) zugleich an jene von Enites Pferd anknüpft,354 das Pferd selbst unterdessen demjenigen Camillas überaus ähnlich ist. Generell scheint die Beschreibung vielfarbiger Pferde an beide Texte anzuschließen und zugleich über die Mehrfarbigkeit einen intratextuellen Bezug zur Brackenepisode herzustellen, der wiederum an den Bracken Didos erinnert. Die vorgelesene Trojaerzählung (WG 2710 ff.) wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Anschluss an die Darstellung der Trojageschichte auf dem Sattel von Enites Pferd und spielt sogleich das Eneas-Dido-Motiv ein. Einerseits ist damit das verligen Eneas’ bei Dido wie andererseits der Umstand, dass Eneas Dido verlässt, angedeutet – letzterer verdoppelt, indem sowohl die Darstellung auf Enites Sattel

Vgl. dazu Classen, Albrecht: Gewaltverbrechen als Thema des spätarturischen Romans, S. 441 ff. und Classen, Albrecht: Diskursthema ‚Gewalt gegen Frauen‘ in der deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters. Mit besonderer Berücksichtigung Hartmanns von Aue Erec, Wolframs von Eschenbach Parzival und Wirnts von Grafenberg Wigalois. In: Greule, Albrecht / Herrmann, Hans-Walther / Ridder, Klaus / Schorr, Andreas (Hrsg.): Studien zu Literatur, Sprache und Geschichte in Europa. Wolfgang Haubrichs zum 65. Geburtstag gewidmet. St. Ingbert 2008, S. 49–62, zur Elamie-Handlung S. 59 ff. Der gegenüber Elamie ausgeübte „Gewaltakt“ stünde „symptomatisch [für] den Werteverlust der ganzen Gesellschaft“ (S. 60). Vgl. auch Röcke, Werner: Überwältigung. ‚Eroberungssucht‘, Legitimation von Herrschaft und lineares Erzählen in Wirnts von Gravenberg Wigalois. In: Hahn, Alois (Hrsg.): Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. Für Peter von Moos. Berlin 2006 (= Geschichte. Forschung und Wissenschaft 24), S. 225–248, zum Schönheitspreis S. 234–238. Röcke fokussiert Gewalt als Mittel zur Erlangung von Objekten. Analog zu Jorams Gürtel und dem Bracken verfolgte die Episode das Ziel, mit dem Erlangen des Objekts die Ehre zu erhöhen. Die Zurückweisung des Preises am Ende der Episode sei als Rückbezug zu der Zurückweisung des Gürtels gestaltet. 353 Vgl. Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois. Eine thematische und strukturelle Interpretation im Vergleich zu Hartmanns von Aue Erec. Ann Arbor 1997, S. 87, die mit Blick auf den Erec Wigalois’ Zurückweisung gegenüber Elamie als Korrektur von Erecs Fehler bewertet, sich zu verligen. In Gegenüberstellung mit dem Prätext zeuge seine Hilfe für Elamie im Gegensatz zu Erecs „übertriebenem Geltungsbedürfnis“ von „Barmherzigkeit“. 354 Vgl. dazu auch Edrich-Porzberg, Brigitte: Studien zur Überlieferung und Rezeption von Hartmanns Erec, S. 188, die die Anregung zur Pferdebeschreibung Wirnts bei Hartmann sieht. Die Beschreibung von Enites Pferd sei „in trivialisierter und verflachter Weise dargestellt“.

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als auch der Erzählausschnitt hier darauf Bezug nehmen.355 Für die Beschreibung des Grafen Hojir wird abermals auf das verligen zurückgegriffen, ohne jedoch den Bezug auf Erec oder Eneas explizit zu machen: im was dâ heime unmære sich ze verligen einen tac, wan mit gemache niemen mac grôze êre erwerben. von rehte sol er verderben der dâ heime sich verlît[.] (WG 2871ff.)

Im unmittelbaren Anschluss aber folgen zwei Sprichworte356, wovon ersteres in dieser unmittelbaren, inhaltlichen wie textlichen Nähe als Anspielung auf die Jagd nach dem weißen Hirsch gelesen werden kann: von rehte sol er verderben der dâ heime sich verlît und sich vlîzet zaller zît daz sînem lîbe sanfte sî, wan bœse gemach ist êren vrî. swer sich an êren wil erholn, der muoz benamen kumber doln und underwîlen arbeit. ez wirt vil selten hirz erjeit mit slâfendem hunde[.] (WG 2875ff.)

Getragen wird diese Nähe ferner von der Verschachtelung von Hirschjagd und Sperberaventiure im mittelhochdeutschen wie im altfranzösischen Erecroman. Das auf Trägheit abzielende Sprichwort steht darüber hinaus dem verligen per se inhaltlich nahe und auch die anfänglich geschaffenen, intendiert uneindeutigen Anspielungen werden so im Verlauf konkretisiert. Als Teil dieser Konkretisierungsstrategie zeigt sich auch die am Ende der Episode gezeigte Personenkonstel-

355 Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 76 weist ebenso auf die Vielschichtigkeit des Eneas-Dido-Motivs hin, dessen Bedeutung sich im Zusammenhang kaum erschließen lasse: Zwar erscheine es einerseits plausibel als Anspielung darauf, dass Wigalois Elamie zurückweist. Zugleich aber widerspreche es dem Eneasroman, insofern Eneas Dido erliegt und sich verligt, während Wigalois sich von der Schönheit Elamies nicht beeindrucken lasse. 356 Vgl. Eikelmann, Manfred / Tomasek, Tomas (Hrsg.): Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts. Bd. 1: Einleitung und Artusromane bis 1230. Bearb. v. Eikelmann, Manfred / Reuvekamp, Silvia. Berlin [u. a.] 2012, zum Wigalois S. 194–290, hier S. 230. Das Sprichwort ist dort paraphrasiert als „Trägheit bringt keinen Erfolg.“

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lation im Wigalois von zwei Zwergen und zwei Jungfrauen, die diejenige des Erec zu verdoppeln scheint. Die intendiert unkonkret gemachten Anspielungen ließen sich darüber hinaus auch als Andeutung auf die Doppelbödigkeit des Erzählten wie des Erzählens selbst verstehen. Dass Wigalois nach den Morden und in unmittelbarem Anschluss an den als vorausdeutenden Erzählerkommentar nun gegen einen rôte[n] rîter (WG 2592) antritt und gerade diesen Gegner nicht tötet, ist gewiss vor dem Hintergrund von Parzivals Ither-Tötung zu lesen. Hatte Parzival Ither noch auf unritterliche Weise ermordet, um ihm anschließend seine Rüstung und sein Pferd zu stehlen (vgl. PZ 155,7 ff.), macht Wigalois hier entschieden alles richtig. Der in der geradewegs vorangegangenen aventiure eingeschaltete Erzählerkommentar, der sich zwar als auf zeitgenössische Umstände abzielender Kommentar (disen zîten [WG 2319]) anschickt, jedoch zu verstehen ist als Kommentar darüber, wie heutezutage erzählt wird, schildert zunächst gewissermaßen Parzivals Umgang mit Ither: man züge im nû den harnasch abe, / dar zuo alle sîne habe[.] (WG 2322 f.) Erzählerkommentar, Namensgebung und Wigalois’ bisheriges Kampfverhalten zusammengenommen lassen die Erwartung entstehen, Wigalois werde es Parzival gleichtun und den Roten Ritter töten. Über den intratextuellen Bezug zur Brackenepisode wird diese Erwartungshaltung ebenfalls befördert, da Wigalois den Besitzer des Bracken nach dem Kampf tot auf dem Feld hatte liegen lassen, wie es schon Parzival mit Ither tat, und was wiederum Anlass für den (voraus)deutenden Erzählerkommentar war. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Nähe der jeweiligen im Kampf zu erringenden Tiere, insofern Pferd und Hund sich in ihrem farbenfrohen Erscheinungsbild auffällig ähneln. Hier schließt sich der Kreis um das Figurenzitat vom Roten Ritter: Tötung des Hündchenbesitzers, Erzählerkommentar und Kampf mit dem Roten Ritter folgen unmittelbar aufeinander und evozieren die Erwartung, Wigalois würde auch diesen seiner Gegner töten.357 Diese intra- wie intertextuelle Verschachtelung allerdings erzeugt keine Komik, wenn sie auch mit ähnlichen Mitteln arbeitet: Zwar werden hier ebenso intertextuelle Bezüge hergestellt, die Erwartungen wecken, die fortan nicht erfüllt werden; nichtsdestoweniger zielt der hier erzeugte Erwartungsbruch in die gegensätzliche Richtung, insofern hier keine scheiternde, sondern im Gegenteil eine gelingende Handlung erzählt wird; vielmehr noch wird dadurch die Tötung Ithters als Makel pronon-

357 Wollte man so weit gehen, könnte man meinen, Wigalois übertreffe an diesem Punkt Parzival, indem er gegen das personifizierte Töten ankämpft und seinem Gegner schließlich folgerichtig das Leben lässt: sîn wâfen daz was allez rôt; / an sînem schilte was der Tôt / gemâlet vil griulîche. (WG 2997 f.) Der rote Ritter wäre dann als eine Art Metakommentar zu verstehen.

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ciert.358 Der Bezug auf den Hypotext verleiht dem gelungenen Handlungsfortgang Nachdruck, der ohne die Bezugnahme bloß die dem arthurischen Ritterusus entsprechende Unterwerfung nach dem Sieg im Kampf abbilden würde. Die kämpferische Auseinandersetzung mit Hojir würde zwar schon allein vor dem Hintergrund der vorangegangenen aventiuren das Kampfverhalten von Wigalois an dieser Stelle positiv hervorheben, in der Gegenüberstellung mit Parzival aber wird das korrekte Verhalten umso deutlicher exponiert. Im Gegensatz zur Darstellung von scheiternden Handlungen generiert die kontrastiv angelegte Gegenüberstellung von gelungener Handlung keine Komik. Die hier geschaffenen intertextuellen Bezüge zum Parzival dienen einerseits dem Ziel eines direkten Vergleichs von Wigalois und Parzival; sie schaffen andererseits aber auch eine Plattform für die kritische Auseinandersetzung mit dem Artusrittertum. Dagegen tragen die oben am Text nachgewiesenen intertextuellen Anspielungen auf den Erec und auf den Eneasroman dazu bei, Komik zu erzeugen, indem sie über ihre thematische Anbindung an das verligen und die damit in Verbindung stehenden Liebesbeziehungen von Eneas und Dido sowie Erec und Enite themenspezifisch Bedeutung stiften und verstärken. Die intertextuellen Verweise zielen zwar an keiner Stelle direkt auf eine Schönheitspreisaventiure und weisen gleichermaßen keineswegs einen Text als Interpretationsfolie aus, dennoch übernehmen sie thematisch bedeutungsstiftende Funktion, indem sie auf essentielle Liebesverbindungen und deren spezifische Konstellationen verweisen. Richtet man den Blick nun zunächst auf die dem Text selbst nahestehenden Texte, die das Motiv der Schönheitspreisaventiure einsetzen, sind, neben den mittels der intertextuellen Anspielungen benannten Erecromane, auch Le Bel Inconnu und Le Chevalier du Papegau einzubeziehen. In einer Nebeneinanderstellung dieser Texte lassen sich konstitutive Merkmale ermitteln, die das Motiv bestimmen. Belegen die Texte mehrheitlich bestimmte Merkmale, können diese als wesentliche, das Motiv bestimmende Merkmale verstanden werden. Das Motiv selbst transportiert generell ein an es gebundenes Handlungswissen, das sich neben den mit dem Motiv verbundenen Konstituenten durch das mit diesen verbundene literarische Handlungswissen auszeichnet. Es gilt daher auch,

358 Vgl. dazu Thomas, Neil: Wirnts von Gravenberg Wigalois und die Auseinandersetzung mit der Parzival-Problematik, S. 140 f., der das als Korrektur Parzivals versteht: „Dadurch, dass er seinem Protagonisten expressis verbis zum tadellosen miles Christi avanciert, setzt sich Wirnt tendenziös mit der theologischen Ambivalenz des Parzival auseinander. Er propagiert eine erzähltechnische und moralische Korrektur zum Parzival, die ein klares Urteil über die von Wolfram ungelöste theologische Frage ablegt: Der einwandfreie Status des Protagonisten erweist sich als politisches/theologisches Programm des Dichters.“ Gleichermaßen jedoch setzte Wirnt sich dann mit der theologischen Ambivalenz seines Helden auseinander.

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den Blick auf Realisationen des Motivs selbst in anderen, auch chronologisch späteren Texten zu richten, weil diese ebenso die konstitutiven Merkmale belegen und dadurch zeigen können, dass signifikante Prämissen literarischen Handlungswissens an bestimmte Motive gebunden sind. In ihrer Konzeption unterscheiden sich die Schönheitspreisepisoden von Bezugstexten, Vorlagen und dem Wigalois selbst immens: Der in beiden Erecromanen zum Preis ausgesetzte Sperber ist im Wigalois durch ein Pferd, einen Zwerg und einen Papagei ersetzt. Dass der Sperber geradewegs durch einen Papagei – einen sitich, der wol sprach / swaz er sprechen wolde (WG 2517 f.) – ersetzt ist, dient einerseits sicherlich als Verweis auf eine Erzählstrategie, die im Rahmen des Wiedererzählens auf eine Art ‚Nachplappern‘ angelegt ist.359 Andererseits stellt der Papagei deutlich die Verbindung von Wigalois und Le Chevalier du Papegau heraus, in dem Artus selbst als handelnder Papageienritter agiert, seine Handlungen jedoch zumeist „außerhalb der gattungsüblichen Verhaltenserwartung“360 liegen. Dort ist der Sperber ebenfalls durch einen Papagei und einen Zwerg ersetzt. Eine bedeutende Parallele zeigt sich in diesem Zusammenhang überdies darin, dass hier der Papagei die Handlung durchweg „ironisch-humoristisch[]“361 kommentiert. Beispielsweise bezeichnet der Papagei unmittelbar nach der Schönheitspreisepisode und in dem Moment, in dem Artus sich selbst dabei ertappt, wie er Belle sans Vilenie – ihr sprechender Name ist augenscheinlich eine wörtliche Übernahme aus Chrétiens Vers bele et saige sanz vilenie (EE362 572) – immerzu anstarrt, weil sie so schön ist, Artus und die Botin als das schönste Paar, dass er je gesehen habe, weil beide so überaus schön seien. Das ist im Zusammenhang mit einem Schönheitspreis gewiss scherzhaft zu verstehen. Wenn Wigalois Nereja letztlich den Gewinn überlässt, ist auf ganz ähnliche Weise angedeutet, dass die Botin an die Stelle der Schönsten tritt – wenigstens

359 Burrichter, Brigitte: Das Spiel mit der Fiktionalität im Chevalier au Papegau. In: Przybilski, Martin / Ruge, Nikolaus (Hrsg.): Fiktionalität im Artusroman des 13. bis 15. Jahrhunderts, S. 175–184, weist auf die zentrale Rolle des Papageis hin, der „zum – oft komischen – Analogon des Löwen im ‚Yvain‘“ (S. 177) werde. Im Le Chevalier du Papegau „parodiert [er] die Ordnung des Artusromans“ (S. 182) und wird zu einer „Autorenfigur“, die „Verssatzstücke der arthurischen Literatur [reproduziert]“ (S. 182). Das Zusammenspiel von Intertextualität und Papagei als zentrale Elemente entfalte zuletzt ein Spiel mit der Fiktionalität. Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren hat den Preis selbst als eine „Erweiterung[] um […] Wunder des Orients“ (S. 175) verstanden. Die „außerordentliche Kostbarkeit“ (S. 172) lege nahe, dass die Dinge aus dem Orient stammten, der Papagei wird damit Teil der Wunder des Orients. 360 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 71. 361 Fuchs-Jolie, Stephan: Bel Inconnu, Wigalois und Chevalier du Papegau, S. 239. 362 Chrétien de Troyes: Erec et Enide. Erec und Enide. Altfranzösisch / Deutsch. Übers. und hrsg. v. Albert Gier. Stuttgart 2000 (= RUB 8360).

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hypothetisch. Gleich ob der Wigalois nun als Vorlage für den Le Chevalier du Papegau gedient hat oder aber von einer gemeinsamen französischen Vorlage ausgegangen wird, auffällig ist die Verschränkung von Papagei und Komik in beiden Romanen. Renauts Le Bel Inconnu kann jedenfalls nicht die Quelle für die Änderung sein, denn dort ist der Preis nach wie vor ein Sperber, den die schönste Frau erhält, indem er ihr zugesprochen wird. Beide Texte verfahren darin analog, dass der Preis für ausgesprochen hässliche Damen reklamiert wird. Das dient im ohnehin komischen Le Chevalier du Papegau sicherlich der Komik und auch im Le Bel Inconnu dürfte der Kontrast von einem Preis, der für die Schönheit einer Dame ausgelobt ist und der dann einer hässlichen zuerkannt werden soll, auf Komik abzielen. Allen Konzeptionen zu eigen sind die Voraussetzungen und Bedingungen für den Erhalt des Preises. Im Wigalois werden die Voraussetzungen eindeutig und detailliert beschrieben: Notwendige Voraussetzung ist zunächst, dass der rîterlîch gewin (WG 2512) einer Frau zugesprochen wird, die in Begleitung ihres Ritters (ieglîcher mit sîner vriundin [WG 2511]) zur ausgerufenen âventiure (WG 2515) kommt und der der Preis von den anwesenden Rittern zugestanden wird: die muosen zeinem ringe stên. man hiez die rîter dar gên daz si die vrouwen sæhen. swelher si des jæhen daz si diu schœnest wære dâ, der gæbe ouch man daz pfärit sâ, wand ez der künic von Îrlant ûf die rede hêt dar gesant. sus kômens zuo der vrouwen schar und nâmen der [aller] schœnsten war diu under in was komen dar. (WG 2556ff.)

Um den Preis wird zunächst nicht gekämpft, obwohl er als rîterlîch gewin und das Vergabeverfahren als âventiure ausgerufen ist. Stattdessen wird er per Gemeinschaftsentscheid der Schönsten zuerkannt. In anderen Romanen erfolgt die Vergabe nach einem anderen Muster. Im Erec heißt es zwar an einer Stelle, der Preis müsse der schönsten Dame durch die anwesenden Ritter zugesprochen werden: [‚]nû wizzet rehte vür wâr, es enmac niht mêre geschehen, es enwellen iu die liute jehen.[‘] (ER363 703ff.)

363 Hartmann von Aue: Erec. Mit einem Abdruck der neuen Wolfenbütteler und Zwettler ErecFragmente. Hrsg. v. Albert Leitzmann, fortgeführt von Ludwig Wolff. 7. Aufl. besorgt von Kurt

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Das Begutachtungsverfahren wird hier erwähnt, jedoch nicht bedient. Dass Enite ohnehin die Schönste ist, bedarf nach ihrer anfänglichen Beschreibung scheinbar keiner Bestätigung durch Dritte mehr. Der Ritter selbst muss, wie Iders es für seine freundin (ER 510; in 468 mit seiner Amien) und Erec es für Enite tut, den Preis einfordern, indem er sie bittet, den Sperber von der Stange zu nehmen.364 Das Begutachtungsverfahren wird von Chrétien dagegen nicht erwähnt, dort ist aber Voraussetzung, eine Freundin zu haben, deren Schönheit man behauptet: [‚]Qui l’esprevier voldra avoir, avoir li covandra amie bele et saige sanz vilenie; s’il i a chevalier si os qui vuelle le pris et le los de la plus bele desresnier, s’amie fera l’esprevier devant toz a la perche prandre, s’autres ne li ose desfandre. Iceste costume maintienent et por ce chascun an i vienent.‘ (EE 570ff.)365

Gärtner. Tübingen 2006 (= ATB 39). Da es in der Untersuchung auf Bezugnahmen auf den mittelhochdeutschen Erec ankommt, wird der Text der Neuausgabe Hartmann von Aue: Ereck. Textgeschichtliche Ausgabe mit Abdruck sämtlicher Fragmente und der Bruchstücke des mitteldeutschen Erek. Hrsg. v. Andreas Hammer, Victor Millet und Timo Reuvekamp-Felber. Unter Mitarbeit von Lydia Merten, Katharina Münstermann und Hannah Rieger. Berlin [u. a.] 2017, obschon sie den einzig vollständig überlieferten Text des Ambraser Heldenbuchs darbietet, nicht als Grundlage für die angestellten Vergleiche herangezogen. 364 Vgl. dazu auch die Episode im Prosa-Lancelot, in der Iwein einen Sperber für eine Dame zurückgewinnt und die Kampfaufforderung mit der an die Dame gerichteten Aufforderung, den Sperber zu nehmen, zusammenfällt: ‚Edle fraw, komment herfür unnd nehmen Ewern sperber, so Ir ine annders hierinnen finnden mögenn […].‘ […] Unnd sie sahe dortth ain rick, doruff der vogell stunnde, undd sie entledigt die riehmen uff unnd wolltt ine hin nehmen […]. (Prosalancelot. Nach der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 147. Hrsg. von Reinhold Kluge, ergänzt durch die Handschrift Ms. allem. 8017–8020 der Bibliothèque de l’Arsenal Paris. Übers., kommentiert und hrsg. v. Hans-Hugo Steinhoff. Bd I–IV. Frankfurt a. M. 1995–2003 (= Bibliothek des Mittelalters 14–18), PL III S. 206, 27–33). Da der deutsche Text eine ‚Übersetzung‘ des französischen Lancelot en prose ist, sind die entsprechenden Textstellen hier nicht angegeben. 365 In der Übersetzung der Ausgabe: „[‚]Wer den Sperber erwerben will, muß eine Freundin haben, schön und züchtig und ohne einen Fehler; wenn ein Ritter so kühn ist, daß er den Ruhm und das Lob seiner Freundin als der schönsten von allen behaupten will, dann wird er sie vor aller Augen den Sperber von der Stange nehmen lassen, sofern kein anderer es wagt, ihm Widerstand zu leisten. Das ist hier der Brauch, und darum kommen sie jedes Jahr hierher.‘“ (EE 570 ff.)

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Mit Enide hat Erec dann wahrlich quanque il li estut (EE 680)366. Allerdings sprechen Enide bei ihrer Ankunft alle den Preis zu, ohne dass dies explizit als Voraussetzung formuliert wäre: Tuit l’esgardent par mi les rües, et les granz genz et les menües. Trestoz li puebles s’an mervoille; li uns dit a l’autre et consoille: ‚[...] cist doit bien desresnier par droit que ceste la plus bele soit.‘ Li uns dit a l’autre: ‚Por voir, ceste doit l’esprevier avoir.‘ (EE 749–760)367

Ohne dass Chrétien das Begutachtungsverfahren explizit als Voraussetzung formulieren würde, ist es indirekt enthalten. Der Le Bel Inconnu kennt und verschränkt beides; der Preis muss der Dame zugesprochen werden und sie muss in Begleitung eines Ritters sein, der im Fall der Fälle dafür einsteht, dass er ihr gebührt: Cele qui l’esprevier ara, Et a le perce le prendra Si ara los de la plus biele ; Et si couvient a la pucele Qui vaura avoir l’esprevier, Que maint o soi un chevalier Por desrainnier qu’ele est plus biele Que nule dame ne pucele[.] (BI368 1589ff.)369

366 In der Übersetzung der Ausgabe: „alles, was er brauchte.“ 367 In der Übersetzung der Ausgabe: „Alle Leute auf den Straßen schauten sie an, die Großen wie das einfache Volk. Sie alle wunderten sich über das, was sie sahen; einer sprach zum anderen, und man flüsterte sich zu: ‚[…] er mag mit vollem Recht behaupten, daß sie die Schönste sei.‘ Einer sagt zum anderen: ‚Es ist wahr, die soll den Sperber bekommen.‘“ (EE 749 ff.) 368 Renaud de Beaujeu: Le Bel Inconnu. Publié, présenté et annoté par Michèle Perret. Traduction de Michèle Perret et Isabelle Weil. Paris 2003 (= Champion Classiques 4). 369 In der Übersetzung der Ausgabe Renaut de Beaujeu: Der schöne Unbekannte. Ein Artusroman. Aus dem Altfranzösischen übers. und mit einem Nachwort v. Felicitas Olef-Krafft. Mit 8 Miniaturen. Zürich 1995 (= Manesse Bibliothek der Weltliteratur): „[‚]Ihn zugesprochen zu bekommen und von der Stange zu nehmen bedeutet für eine Frau, die Schönste zu sein. Wenn sie den Sperber gewinnen will, muß sie einen Ritter haben, der dafür einsteht, daß der erste Platz ihr allein gebührt[.‘]“ (BI S. 59 f.)

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Der Le Chevalier du Papegau kennt die Notwendigkeit, dass der Preis der Dame zuerkannt werden muss, nicht: Et si aura bien .Vc. chevaliers des meilleurs de la contree, qui sont ja venus pour voir la court, qui est ordonnee en tel maniere que celluy qui aura la plus belle amye et le pourra monstrer par armes (CDP370 § 5, Z. 7 ff.)371. Deutlich wird auch hier die Bedingung formuliert, dass ein Ritter mithilfe der schönsten Dame, für deren Schönheit er kämpferisch einsteht, den Preis gewinnt. Einzig Chrétien bindet den Gewinn des Preises offenkundig allein an die Kampfeskraft des Ritters, an keiner Stelle wird wie in den anderen Romanen explizit erwähnt, dass Yders’ Freundin nicht schön genug sei. Stattdessen erringt Yders den Sperber, weil sich niemand traut, ihn ihm streitig zu machen (vgl. EE 591 ff.). Erecs Argumentation ist demgemäß zunächst ausschließlich kämpferisch motiviert ([…] se je armes avoie, / l’esprevier li contrediroie. [EE 603 f.]372). Während der Preis im Erec (daz dâ manec wîp schœner wære / dan des ritters vriundin [ER 211 f.]) wie im Le Chevalier du Papegau (il a une amye, la plus laide creature que vous oncques mais veissiez, et il leur fait dire par force qu’elle est la plus belle […] [CDP § 5, Z. 20 ff.]373) seither unrechtmäßig von Yders bzw. Lion sans Mercy beansprucht wird und im Le Bel Inconnu der Ritter der schönsten Dame im Kampf um die Verteidigung des Margerie zunächst zugesprochenen Preises getötet wird, ist Elamie im Wigalois von vornherein ohne männliche Begleitung,374 als ihr der Preis zuerkannt wird: Dô si si gar besâhen, die rîter mir des jâhen ich wær diu schœnest under in, ich solde ouch haben den gewin. (WG 2567ff.)

370 Le Conte Du Papegau. Roman arthurien du XVe siècle. Édition bilingue. Publication, traduction, présentation et notes par Hélène Chrapentier et Patricia Victorin. Paris 2004 (= Champion Classiques 11). 371 In der Übersetzung der Ausgabe: „Seront présents aussi quelque cinq cents chevaliers, les meilleurs du pays, venus se joindre à cette cour dont le règlement stipule que le chevalier qui aura l’amie la plus belle et qui pourra prouver ses dires par les armes gagnera un prix.“ (CDP § 5, S. 83) 372 In der Übersetzung der Ausgabe: „[W]enn ich Waffen hätte, würde ich ihm den Sperber streitig machen.“ (EE 603 f.) 373 In der Übersetzung der Ausgabe: „comme son amie est la plus laide créature que vous ayez jamais vue, il les oblige ensuite à dire qu’elle est la dame la plus belle […].“ (CDP § 5, S. 83). 374 Vgl. zu Elamies Status als allein reisende Frau Busch, Nathanael: bî den selben zîten was daz gewonlîch. Stellen allein reisende Frauen ein Problem dar? In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artusroman und Mythos. Berlin [u. a.] 2011 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 8), S. 127–144.

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Elamie wird der Preis zugesprochen, obwohl sie nicht in Begleitung eines Ritters ist, was zu Beginn jedoch als konstitutive Voraussetzung für die Vergabe formuliert worden war (ieglîcher mit sîner vriundin [WG 2511]). Sowohl im altfranzösischen und im deutschen Erecroman wie auch im Le Bel Inconnu und im Le Chevalier du Papegau sind die Ritter notwendig anwesend: In beiden Erecromanen ist das implizit angelegt, wenn Erec der Begleitung Enites / Enides bedarf, um Iders / Yders herauszufordern. Die Verbindung von Ritter und vriundin ist unbedingte Voraussetzung für die Teilnahme am Wettbewerb: swes vriundinne den strît behielte ze sîner hôchzît daz si diu schœniste wære, diu næme den sparwære. (ER 200ff.; vgl. EE 570ff.)

Die deutliche wörtliche Nähe der Verse daz si diu schœnest wære dâ im Wigalois und daz si diu schœniste wære im Erec und dessen unmittelbare Inbezugsetzung zur Erfordernis eines Ritters unterstreicht die markante Differenz, die die Ausgangslage im Wigalois ausmacht: Geht es im Erec darum, swes vriundinne […] diu schœniste wære, ist Elamie zu keiner Zeit die Freundin eines Ritters. Im Le Bel Inconnu ist das – umgekehrt – explizit so formuliert: Will eine Frau den Sperber gewinnen, braucht sie dafür einen Ritter, der dafür einsteht, dass ihr der Preis zuerkannt wird (vgl. BI 1592 ff.). Im Le Chevalier du Papegau bittet die Dame sans Orgueil darum, dass Artus um ihretwillen Lion sans Mercy herausfordere und dabei ihr Bild auf dem Schild trüge. Obschon sie sich namentlich weder durch Stolz noch durch Hochmut auszeichnet, sei das nur rechtens, schließlich sei sie, wie sie selbst sagt, die plus belle et plus gentil femme et plus riche d’avoir que s’amie n’est. (CDP § 5, Z. 29 f.)375 Der Preis jedoch hat ihr vorher nie gehört. Artus selbst willigt gerne ein, denn das befehle ihm Amor, weil sie die schönste und charmanteste Dame sei, der er je begegnet ist (vgl. CDP § 5, Z. 33 ff.). Die Motivation ist hier deutlich anders formuliert: Artus steht für die Schönheit der Dame ein, an keiner Stelle ist sein Vorgehen von Rache motiviert. Weil die Freundin von Lion sans Mercy ausgesprochen hässlich und er darüber hinaus ein Usurpator ist, ist Artus’ Kampfeinsatz zwar rechtmäßig, er unterscheidet sich in seiner Motivation dennoch deutlich von den anderen Romanen: Artus kann ihre Bitte nicht ablehnen, weil ihn die Schönheit der Dame dazu nötigt. Erec erhebt Einspruch, wenn Yders seine Freundin auffordert, den Sperber zu nehmen, während Erec Iders geradezu herausfordert, indem er Enite vorab dazu

375 In der Übersetzung der Ausgabe: „plus belle, plus noble et plus riche que son amie“ (CDP § 5, S. 85).

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anhält, den Sperber zu nehmen. Es scheint beinahe so, als habe Iders den Sperber an sich genommen, nicht seine vriundin, derer er zustünde; zwei Mal heißt es: [...] daz er komen dar mit sîner âmîen wære ze nemen den sparwære. (ER 467ff.) wenne Îdêrs fil Niut dar mit sîner âmîen kæme und den sparwære næme, als er ouch ê hete getân. (ER 677ff.)

Die Unrechtmäßigkeit wird hier dadurch betont, dass es scheint, als wolle Iders selbst den Sperber nehmen, nicht seine Begleiterin, der er zustünde. Bei der unmittelbar darauffolgenden Herausforderung durch Erec ist sodann antonymisch deutlich markiert, dass hier die Schönste, nämlich Enite, den Sperber nimmt (‚vrouwe, lœset diu bant / und nemet den sparwære ûf die hant.[‘] [ER 686 f.]). Im Le Bel Inconnu bittet der Ritter Margerie ebenfalls ausdrücklich, den Sperber von der Stange zu nehmen, wie es schon ihr vorheriger Begleiter getan hatte, um seinen Gegner herauszufordern. Artus fordert Lion sans Mercy offenbar schon mit seiner bloßen Anwesenheit heraus; bei seiner Ankunft erscheint der Usurpator samt Gefolge, Zwerg und Papagei und greift Artus an. Im Le Chevalier du Papegau nimmt Artus den Papagei ebenfalls an sich – jedoch nicht, um seinen Gegner herauszufordern, sondern nachdem er ihn besiegt hat. Der Papagei selbst bittet darum und begründet es mit Artus’ Kampfeskraft, die Schönheit der Dame bleibt zweitrangig: Et puis si dist au roy : ‚Sire, pour quoy ne me prenez vous ? Je suis vostre par raison, car vous estez le meilleur chevalier du monde et le mieulx apris, et si avés avec vous la plus belle dame que l’en sache nulle part [...].‘ (CDP § 8, Z. 15 ff.)376

Schon zuvor hatte der Papagei immerzu betont, dass er sich in den Besitz des besten Ritters wünsche – nicht in den der schönsten Dame. Offenkundig ist der Preis hier inhaltlich anders besetzt. Dass Elamie der Preis von vornherein zugesprochen wird, ohne dass ein Ritter ihn für sie erkämpft oder für ihre Schönheit eingestanden hätte, zeigt sich vor dem Horizont des in den Texten transportierten Handlungswissens als Bruch mit den erwartbaren Handlungsparametern. Legitimiert wird das

376 In der Übersetzung der Ausgabe: „Enfin, il dit au roi: ‚Seigneur, pourquoi ne me prenezvous pas? Je vous reviens de droit car vous êtes le meilleur chevalier du monde et le mieux éduqué. De plus, vous avez à vos côtés la plus belle dame qui soit […].‘“ (CDP § 8, S. 95)

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zwar zum Teil durch die vorangehende Schönheitsbeschreibung, die sie als wunderschöne Frau auszeichnet und die damit eine wesentliche Bedingung für den Erwerb des Preises erfüllt. Dennoch erfüllt sie nicht die eigens formulierten Voraussetzungen (ieglîcher mit sîner vriundin). Auch Margerie wird im Le Bel Inconnu mittels einer Schönheitsbeschreibung als würdige Preisträgerin beschrieben und auch sie verliert den Preis. Margerie aber verliert ihn trotz der Anwesenheit eines Ritters, der für ihre Schönheit einsteht, Elamie, weil sie ihn gar nicht verteidigen kann!377 Unter diesen divergenten Voraussetzungen treffen beide klagend auf einen Ritter, der ihnen zu ihrem Recht verhelfen will. Im Le Bel Inconnu ist die Hilfe vorrangig als Rache für die unrechtmäßige Tötung von Margeries Begleiter378 motiviert, zugleich soll der Preis rechtmäßig in den Besitz Margeries zurückgelangen (vgl. BI 1630 ff.). Rache ist auch in den Erecromanen der Beweggrund; bei Chrétien allerdings tritt neben die Rache gleichwertig die Dame selbst als Motivation: por s’amor et por sa biauté a reprise molt grant fierté; remanbre li de la reïne, qu’il avoit dit an la gaudine que il sa honte vangeroit (EE 911ff.)379

377 Hierauf weist auch Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 171 hin: „Ein folgenreicher Unterschied zum Bel Inconnu liegt darin, daß die schönste Frau diesmal nicht notwendig von einem Freund vertreten werden muß, sondern von allen am Hofe versammelten Rittern gewählt wird. Genau dies ist im Wigalois das Problem der Frau.“ Wenn Elamie Wigalois bittet, ihn zu begleiten, „wird es zum Problem, daß Gwigalois nur die Rolle des Beschützers übernommen hat, ohne diese tatsächlich ausfüllen zu können, was hieße, die Konsequenzen aus dem Einsatz zu ziehen und die Frau zu heiraten.“ (S. 174) Eming schlussfolgert, das sei Teil einer „generellen Linie des Textes, die Zurückhaltung gegenüber Frauen als vorbildhaftes Verhalten zu stilisieren“ (S. 175). 378 Bauschke, Ricarda: Auflösung des Artusromans und Defiktionalisierung im Bel Inconnu. Renauts de Beaujeu Auseinandersetzung mit Chrétien de Troyes. In: Mertens, Volker / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Fiktionalität im Artusroman, S. 84–116, hat bzgl. des Mordmotivs für den Le Bel Inconnu gegenüber Chrétiens Erec et Enide einen „Einbruch des Realen“ konstatiert, der durch die ironische Komponente der den Preis besitzenden hässlichen Dame gebrochen werde und somit einen parodistischen Effekt erzeuge (vgl. S. 91 f.). Schlussendlich werde der Sperberkampf „zur Durchgangsaventure degradiert“, die zulässt, dass der Held den Preis erringt, ohne die Rolle eines zukünftigen Ehemanns einzunehmen (vgl. S. 91). 379 In der Übersetzung der Ausgabe: „[U]m ihrer Liebe und ihrer Schönheit willen gewann er seine sehr große Tapferkeit zurück. Er dachte auch an die Königin und daran, daß er im Wald gesagt hatte, er werde seine Schmach rächen […].“ (EE 911 f.)

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Rache bleibt dennoch die ausschlaggebende Handlungsmotivation: ‚Cest chevalier, je ne l’aim pas. Saichiez, se je armes avoie, l’esprevier li contrediroie.[‘] (EE 602ff.)380

Hartmann indes profiliert die Rache als primäre Motivation: [‚]mir ist ein laid von im geschehen, das Ich immer clagen sol, es sei dann, daz ich mich erhol.[‘] (ER 481ff.)

Das hebt die häufige Nennung des Beweggrundes hervor: mir gefüege got noch den tag, / daz ich es gerechen mag (ER 490 f.) sowie seinen gaiselstraich er rach. (ER 950) Artus kommt im Le Chevalier du Papegau der Bitte der Dame von Orgueil nach, weil ihn Amour dazu zwingt: vous estez, ce m’est advys, la plus belle dame et la plus advenans que je oncques mais veisse, dont Amour me semont que jo soye du tout a vostre commandement et que je face tout ce qu’il vous plaist. (CDP § 5, Z. 32 ff.)381 Demgegenüber ist die Motivation von Wigalois die rechtmäßige Rückeroberung von Besitz: [‚]sô sulen wir mit minnen daz pfärt wider gewinnen und swaz er iu genomen hât.[‘] (WG 2605ff.)

Seine Aufforderung gegenüber dem Roten Ritter akzentuiert explizit die vom Vergabeverfahren des Preises festgelegte rechtmäßige Besitzlage: sô solt ir ir wider geben / daz pfärt daz ir erteilet wart. (WG 2790 f.); kurz darauf sagt er: wan si daz pfärt mit rehte hêt. / Durch got, erkennet ir ir reht! (WG 2805 f.) Unterdessen ist Wigalois gleichwohl noch immer darauf bedacht, Nereja von seiner Kampfeskraft zu überzeugen. Gebrochenes Recht wiederherzustellen und dabei im Kampf Ehre zu erlangen, stimmen hier mit den gängigen Mechanismen der aventiure des Artusromans überein. In den Erecromanen ist der Gewinn des Preises nach dem regulären Prinzip einer Herausforderung gestaltet; beide Gegner sind solch starke Kämpfer, dass sich bisher kein anderer zutraute, sie herauszufordern. Im Le Bel Inconnu und im Wigalois ist die aventiure jedoch unmissverständlich als Rückgewinn arrangiert,

380 In der Übersetzung der Ausgabe: „Diesen Ritter kann ich nicht leiden. Wißt, wenn ich Waffen hätte, würde ich ihm den Sperber streitig machen.“ (EE 602 f.) 381 In der Übersetzung der Ausgabe: „[V]ous êtes la plus belle et la plus charmante dame que j’aie jamais rencontrée. C’est pourquoi Amour m’ordonne de me plier à votre volonté et de faire tout ce qu’il vous plaira.“ (CDP § 5, S. 85)

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was andere Voraussetzungen schafft. Die Gegenüberstellung zeigt, dass Wirnt hier offenkundig aus dem Motiv-Repertoire unterschiedlicher Umsetzungen des Motivs schöpft, um die inhaltliche Logik der Sperberaventiuren zu komisieren. Einen ersten Hinweis auf die Brüchigkeit der von Wirnt erzählten Variante gibt die mit dem Le Chevalier du Papegau in Verbindung zu bringende Substitution des Sperbers durch den Papagei. Die inhaltliche Umbesetzung des Preises wird so schon mit der Preissymbolik selbst angezeigt. Die konstitutive Verbindung von rîterlich gewin und vriundin ist zudem aufgebrochen; das macht die Logik der Rückgewinnung möglich. Wo das Vergabeverfahren in den anderen Varianten Begutachtung, Bereitschaft zum Kampf und Liebesverbindung vorsieht, sind diese Parameter im Wigalois voneinander entkoppelt: Elamie erlangt den Preis allein durch den Zuspruch, zum rîterlich gewin wird er erst mit der Rückgewinnung, wie das die Variante im Le Bel Inconnu vorgibt. Die Kampfmotivation seitens des Ritters ändert sich hierdurch entscheidend: Anstelle des persönlichen Rachemotivs, das aber immer noch in Verknüpfung mit der Schönheit der Dame steht, tritt die allein als ritterliche Hilfeleistung verstandene Bewährungsaventiure. Der Gewinn des Preises ist in beiden Erecromanen mit der Heirat von Erec und Enite / Enide verbunden. Erec kämpft also – wenn auch rachsüchtig motiviert – für und sogleich um Enite / Enide. Der schöne Unbekannte kämpft – ebenso motiviert von Rache, die ihn aber nicht selbst betrifft – für die Vergeltung des Mordes an Margeries Ritter. Demnach kämpft er zwar für Margerie, jedoch keineswegs um ihre Hand. Das rechtmäßige Rückgewinnen des Preises dient vielmehr dem eigentlichen Zweck, Helie von seiner Eignung zu überzeugen. Auch Artus’ Herausforderung ist davon motiviert, die Gunst der Dame von Orgueil zu erlangen – wenn er das auch letztendlich nicht einlöst. Wigalois indessen hilft und kämpft, geradeso wie der schöne Unbekannte, primär um die Gunst von Nereja. Er steht für das Recht Elamies ein, an keiner Stelle jedoch kämpft er um ihrer Gunst willen. Die Ausgangssituationen scheinen daher ausschlaggebend für das Ende der jeweiligen aventiuren: Da Erec auch um Enite gekämpft hat – wie auch Artus um die Dame von Orgueil –, ist es nur folgerichtig, dass sie fortan seine vriundin ist. Der Preis mit seiner notwendigen Ausgangskonstellation Ritter – vriundin ist hier auch unmittelbares Symbol für die Liebesverbindung. Diese kommt zwar schlussendlich zwischen Artus und der Dame von Orgueil nicht zustande, grundsätzlich ist sie jedoch angelegt. Artus hat mit dem Gewinn des Preises zusätzlich die Landesbewohner von ihrem Usurpator befreit, weshalb im Le Chevalier du Papegau das Gefolge Artus bittet, zu bleiben. Die Dame von Orgueil hingegen, deren Bild Artus auf seinem Schild im Kampf geführt hatte, erbittet sich Urlaub von ihm. So entkommt Artus hier dem Dilemma, das sich auch für Wigalois auftut. Das Problem stellt sich im Le Bel

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Inconnu nicht; dort steht gar nicht erst zur Debatte, dass sich der schöne Unbekannte mit dem Rückgewinn des Preises für eine Liebesverbindung mit Margerie qualifiziert, weil ihr der Preis in Begleitung eines Mannes zugesprochen wurde – der schöne Unbekannte verhilft ihr daher nur zu ihrem Recht. Elamie aber fasst Wigaloisʼ Einstehen für ihr Recht offenbar so auf, als müsse er sie – wie Erec Enite / Enide – im Anschluss zur Frau nehmen. Dass Elamie also im Wigalois entgegen der Vorlage des Le Bel Inconnu nicht als vriundin eines Ritters den Preis gewinnt, erklärt sich vor diesem Hintergrund als planvolle Umgestaltung: An die Stelle des vorher nicht vorhandenen Verteidigers tritt Wigalois. Deshalb wird er auch den Konventionen des Schönheitspreises zufolge von ihr als Kämpfer für und um ihre Gunst begriffen: sie sprach ‚rîter, sît gemant iuwer güete und iuwer êren, daz ir geruochet kêren mit mir heim ze lande [...] ich bit iuch sîn vil verre [...] das ich verdiene die grôzen nôt die ir durch mich habt erliten.‘ (WG 3198–3207)

Die Bitte, sie in ihr Land zu begleiten, lehnt Wigalois allerdings ab.382 Daraufhin ist ihr Kummer noch größer als vorher:

382 Dimpel, Friedrich Michael: Die Zofe im Fokus, S. 332 hat das als „weitere Prüfung unter Nerejas Augen“ bewertet: Wigalois bleibe „geradlinig seiner Mission treu und läßt sich nicht von verführerischen Angeboten beirren“. Dadurch, dass an Elamies Seite von vornherein kein Ritter steht, könne Wigalois „in die Versuchung geführt werden, sein Missionsziel außer Acht zu lassen und sich der Minne hinzugeben“. Ringeler, Frank: Zur Konzeption der Protagonistenidentität im deutschen Artusroman um 1200. Aspekte einer Gattungspoetik. Frankfurt a. M. 2000 (= Europäische Hochschulschriften 1752), S. 212 sieht in der Rückgewinnung des Preises eine „Schlüsselqualifikation“ bewiesen, insofern Nereja an späterer Stelle gegenüber Larie nicht bloß seine kämpferischen Qualitäten, sondern auch seinen Einsatz für das Recht einer Frau betont. Dass Wigalois der Bitte nicht nachkommt, bewertet Ringler als rechtzeitiges Deeskalieren der Situation seitens des Helden aufgrund seiner triuwe gegenüber Larie. Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 132 hat das als „nicht zu übersehende[n] Bruch in dem […] doch noch traditionellen Bau der Aventiure“ bewertet. Dennoch würde der Konflikt nicht thematisiert, was sich darauf zurückführen ließe, dass die „Forderung nach Minne wie eine private Bitte, ein persönliches Verlangen“ (ebd.) Elamies akzentuiert sei, weil sie ihre Forderung nicht öffentlich, sondern privat an Wigalois richte. Klare, Andreas: Überlegungen zur Literarisierung von historischen Figuren am Beispiel des Hoyer von Mansfeld in Wirnts Wigalois, S. 507 meint, Wigalois erbringe mit dem Sieg gegen Hojir den Nachweis, dass er sich als Landesherr eigne; Elamies Angebot „wirk[e] damit als Maßstab für die Bewertung der Tat“. Gottzmann, Carola L.:

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si mohte in niht sô vil geladen sin verlür ir vlêhen und ir bet. dô er niht nâch ir willen tet, dô klaget si und weinde als ê. ir jâmers wart dô michels mê dan sîn dâ vor wære gewesen; vor leide trûwet si niht genesen, und wære ir verre baz geschehen hêt si den rîter nie gesehen, wand ir von sîner hinvart ir reinez herze beswæret wart, mit jâmer êwiclîch bespart. (WG 3222ff.)

Den für sie gewonnenen Preis gibt sie Wigalois zurück: ‚sît ir mich niht mugt gewern, sô will ouch ich der gâbe enbern die ich von iu enpfangen hân.[‘] (WG 3238ff.)

Unmissverständlich artikuliert Elamie an dieser Stelle, dass Wigalois den Preis für sie zurückgewonnen habe, also um ihre Gunst gekämpft hat und diese mit dem Preis errungen hat. Die Verschränkung von Preis und vriundin ist auch hier zentral für die Bewertung der mit dem Preis verbundenen Konventionen. Gemäß diesen kann und will Elamie ihn nicht behalten: ir sult von reht iuwern gewin / geben iuwer vriundin (WG 3246 f.). gewin und vriundin werden an dieser Stelle aufs Engste verschränkt. Wigalois – möglicherweise in Unkenntnis dieser Konventionen,383 obschon das an keiner Stelle explizit thematisch wird – gibt ihn derjenigen, um deren Gunst er ihn erkämpft hat, die aber eigentlich auch nicht seine vriundin ist: Nereja.384 Dass Elamie den Preis nicht behalten will, da dieser nicht in seiner übli-

Wirnts von Gravenberg Wigalois, S. 103 schlussfolgert hinsichtlich der Funktion von Elamies Bitte, Wigalois erfahre so, „daß sich aus der Verteidigung des Rechts auch (Rechts) Ansprüche [sic!] ergeben können“. 383 So auch schon Gottzmann, Carola L.: Deutsche Artusdichtung Bd. 1. Rittertum, Minne, Ehe und Herrschertum. Die Artusepik der hochhöfischen Zeit. Frankfurt a. M. 1986 (= Information und Interpretation 2), S. 302: „Er weiß nicht, daß die Gewinnung eines Schönheitspreises auch die Dame, für die der Ritter kämpft, miteinbezieht.“ 384 Diesbezüglich hat Leidinger, Simone: Überlegungen zur Minnehandlung und zur Treue in Wirnts Wigalois. In: Burrichter, Brigitte / Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Aktuelle Tendenzen der Artusforschung, S. 381–402, eine Lesart für die Aventiuren vor der Begegnung von Wigalois und Larie vorgeschlagen, die Nereja als „Ersatzdame“ (S. 412) begreift, über die Wirnt „das aus dem ‚klassischen‘ Artusroman bekannte Element der Konfliktsituation der Protagonisten in seinen Roman integriert“ (S. 417). Die Handlung um Wigalois und Nereja verfolge zwei Ziele: 1. ritterliche Bewährung; 2. Wiga-

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chen Konstellation von Ritter und vriundin besteht, erweist sich vor dem Hintergrund des erstmaligen Zuspruchs, bei dem sie ebenfalls nicht in Begleitung eines Ritters war, als durchaus bemerkenswert: Den Preis hatte sie zunächst als rein materiellen gewonnen, die damit verbundenen Konventionen wurden nicht laut. Erst der Raub ermöglicht die ihm eigene Verbindung Ritter – vriundin.385 Kommt diese Verbindung nicht zustande, verliert er seine kurz in der Erzählung aufscheinende symbolische Funktion, eine Liebesverbindung zu initiieren, wieder und wird erneut zum rein materiellen Requisit. Wirnt hat den im Le Bel Inconnu vorhandenen Ritter getilgt und den Erwartungsbruch so erst ermöglicht. Die in der Episode eingespielten intertextuellen Verweise fungieren als Indikatoren für die erzeugten Brüche mit den konstitutiven Elementen von Preis, Vergabe und Handlungsmotivation des Ritters. Erst vor der Folie anderer Aktualisierungen des Motivs mitsamt dem dort geformten literarischen Handlungswissen lassen sich die Brüche, die im Wigalois erzeugt werden, erkennen. Für die Bewertung, dass die Handlungsvariante, die im Wigalois dargestellt ist, eine gescheiterte zeigt, braucht es jedoch einen Bewertungshorizont. Dieser kann nur aus der Synopse seiner Aktualisierungen in den Texten selbst rekonstruiert werden. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Aktualisierungen zeigen sich einerseits konstitutive Elemente, die in allen Varianten in irgendeiner Form auftauchen; andererseits belegen sie eine basale Handlungsintention, die die Bewertung vom Gelingen und Scheitern von Handlung zulässt. Die intertextuellen Anspielungen fordern eine metonymische Lesung der Episode vom Rezipienten ein, d. h. Momente der Störung in der im Wigalois dargebotenen Variante tun sich erst durch die metonymische Lesung auf, die die Schönheitspreisepisode vor den Hintergrund verschiedener, durch die Anspielungen aufgerufener Motivaktualisierungen stellt. Diese Momente der Störung des an das Motiv gebun-

lois zeige sich als „höfischer und treuer Begleiter einer Dame“ (S. 416). Ritter- wie Frauendienst als Konflikt des klassischen Artusromans seien so verlagert in die Handlung um Nereja. Letzten Endes zeige die Weitergabe der Geschenke des Schönheitspreises von Elamie über Nereja an Larie (WG 8884 ff.), das alles, „[w]as Wigalois für Elamie und Nereja getan hat, […] er auch für Larie getan [hat]“ (S. 417). So gesehen wäre Elamies Bitte eine notwendige Folge der Verlagerung der klassischen Konfliktsituation, die Weitergabe der Geschenke würde eine Verbindungslinie schaffen. 385 Gottzmann, Carola L.: Deutsche Artusdichtung, S. 305 konstatiert: „Es liegt in der Natur eines Schönheitspreises (vgl. den Kampf Erecs mit Iders), daß er zwar einer Frau zuerkannt wird, aber durch einen Mann für die Dame errungen werden muß. Daraus leitet Elamie den Anspruch ab, den Ritter ihrem Willen zu verpflichten […], d. h. sie beharrt auf ihrem Recht, mit dem Schönheitspreis auch den Ritter zu besitzen.“ Gottzmann übersieht dabei, dass Elamie den Preis zuvor nicht in Begleitung eines Ritters errungen hat.

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denen Handlungsmusters werden erzeugt, indem konstitutive Elemente different ausgestaltet und kompilierend zusammengestellt und dadurch brüchig werden. Zur impliziten Interpretationsfolie des Textes wird das an das Motiv des Schönheitspreises gebundene Handlungsmuster, indem generell eine Schönheitspreisaventiure erzählt ist, die intertextuellen Anspielungen liefern zusätzliche Indikatoren. Der Text weist hierbei zwar mittels intertextueller Verweise in die Richtung seiner Interpretationsfolie, benennt sie aber an keiner Stelle explizit. Stattdessen fungiert die intertextuelle Anspielung mehr als Aufrufen des an das Motiv geknüpften Handlungswissen. Handlung, Wissen von Handlung und die Komik der Schönheitspreisaventiure Generell belegen auch Aktualisierungen zeitgenössischer SperberaventiureKonzepte, die nicht als mögliche Hypotexte infrage kommen, die dem Wigalois nicht als Vorlage gedient haben oder nicht über gemeinsame Vorlagen in Beziehung zu diesem stehen, die wesentlichen Komponenten eines Handlungsmusters. Im Parzival bspw. betont Orilus ebenfalls gegenüber Jeschute den zweifachen Gehalt des Sperberturniers: ich behielt iu prîs und mir den sic. (PZ 135,12)386 Zwei altfranzösische Artusromane bieten wiederum andere Varianten der Sperbercostume. In Raouls de Houdenc Meraugis de Portlesguez ist das Vergabeverfahren ähnlich wie im Le Bel Inconnu als Kollektiventscheidung disponiert: Sus une lance de sapin Sera uns esperviers muez, Qui ja n’iert pris ne remuez Devant la que cele le pregne

386 Auch im fragmentarisch überlieferten Edolanz (Heinrich Meyer-Benfey (Hrsg.): Mittelhochdeutsche Übungsstücke, 2. Auflage, Halle a. d. Saale 1920, S. 145–150 [Edolanz: Abdruck der Gesamtüberlieferung]) kämpfen Edolanz und der Pontschur um einen Sperber. Allerdings lässt das Fragment keine Rückschlüsse darüber zu, wie es zu dem Kampf kommt und ob der Sperber der Dame Grysalet schon zuvor gehörte und wie sie ihn erhalten hatte. Edolanz besiegt den Pontschur und ist dabei, ihn zu töten, als Artus, der sich unter den Zuschauern befindet, den Kampf unterbricht und ihn nach richters recht (V. 204) entscheiden möchte: Edolanz lässt den Pontschur leben, wenn er im Gegenzug den Sperber hergibt. Artus überreicht Edolanz den Sperber: den sperwær will ich / Herre iu geben / Daz ir diesem man sein lewen / Lat durich unser pet (V. 221 ff.). Am Ende wird der Sperber Grysalet übergeben: Da grysalet chomen solt / Und nemen wolt / Von dem pontschurn daz vederspil / Daz gab man ir an dem zil / Da man ir zerecht pot (V. 242 ff.). Edolanz hat den Sperber also im Kampf und zugleich durch richterlichen Zuspruch errungen.

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Qui par veüe lor apregne Qu’ele soit plus bele que totes. (MDP387 144ff.)388

Ferner wird vereindeutigt: Se la robe ert perciee as coutes Por tant que ce fust la plus bele, N’i avra il ja damoisele Qui ja l’emporte se li non. Car il sera donez par non A cele qui ert esleüe D’estre la plus bele a veüe. (MDP 150ff.)389

Die Kleidung ist hier sicherlich als Verweis auf Enides Kleidung bei Chrétien zu verstehen, wodurch die geschilderte Schönheitspreisaventiure in die Nachfolge von Chrétien gestellt wird. Preis, Schönheit und Kampf aber sind im Meraugis entkoppelt: Konstitutiv für die Teilnahme am Turnier ist zwar ebenfalls die Verbindung von Ritter und Freundin, zusätzlich explizit motiviert durch die vorhandene Liebesbeziehung von beiden: Li bacheler d’amor espris I amainent chascuns s’amie. Li tornois ne remaindra mie Que tuit li errant bacheler De Logres i vaudront aller A tornoi por le pris conquerre. (MDP 158ff.)390

387 Raoul de Houdenc: Meraugis de Portlesguez. Roman arthurien du XIIIe siècle, publié d’après le manuscrit de la Bibliothèque du Vatican. Édition bilingue. Publication, traduction, présentation et notes par Michelle Szkilnik. Paris 2004 (= Champion Classiques 12). 388 In der Übersetzung der Ausgabe: „Sur une pique de sapin serait perché un épervier déjà mué. Personne ne le prendrait ni ne le déplacerait avant que ne s’en saisisse la jeune fille qui, aux yeux du public, serait la plus belle de toutes.“ (MDP S. 83) 389 In der Übersetzung der Ausgabe: „Pourvu qu’elle fût la plus belle, elle pourrait même porter und robe trouée aux coudes, aucune autre demoiselle qu’elle n’emporterait jamais l’oiseau, car il reviendrait sans conteste à celle qui serait clairement désignée comme la plus belle.“ (MDP S. 83) 390 In der Übersetzung der Ausgabe: „Les jeunes gens amoureux y amenèrent leur amie. Il n’était pas question d’annuler le tournoi, car tous les jeunes chevaliers errants de Logres souhaitaient y participer dans l’espoir d’en emporter le prix.“ (MDP S. 83–85)

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Der Preis ist dort allerdings – im Gegensatz zu allen anderen Romanen – tatsächlich nur durch Schönheit zu erringen. Deswegen ist er zweigeteilt: Der Turniersieger erhält einen Schwan und einen Kuss der Turnierveranstalterin, den Sperber erhält die Schönste. Den eigentlichen Schönheitspreis gewinnt also nicht der Ritter im Turnier, sondern durch einen Schiedsspruch tatsächlich die Dame: Schönheit und Liebesverbindung sind getrennt, der Schwan ist Symbol für die Liebesverbindung, der Sperber wird zum alleinigen Symbol für Schönheit. Dennoch werden sie im Verbund vergeben und sind damit auch im Meraugis weiterhin als Einheit zu verstehen.391 Die Sperberkampfaventiure im Durmart le Galois behält die Verbindung wiederum bei:392 Durmart befindet sich auf dem Weg zu Fenise und will um

391 Für Lidoine ist demgemäß die Begleitung durch einen Ritter nicht notwendig. In der Verdoppelung des Preises wird das Thema der Schönheit gleich mehrfach durchgespielt: Offenbar beansprucht die Dame von Landemore einen Schönheitspreis für sich, obwohl ihre Schönheit nicht erzählenswert ist, darüber hinaus wird die Ankunft der schönen Lidoine von einem überaus hässlichen Boten der Dame von Landemore überbracht (vgl. MDP 183 ff.). Lidoines Schönheit hingegen wird durch ihr Gefolge der vielen bildschönen Frauen bekräftigt. Schwan und Kuss gewinnt der Geliebte der Dame von Landemore Caulas, obwohl Taulas der beste Kämpfer im mehrtägigen Turnier ist (vgl. MDP S. 93); nicht Kampfeskraft, sondern die liebliche Verbindung führen zum Gewinn. Die Vergabe des Sperbers erfolgt dementgegen ziemlich schnell und eindeutig: Legiere chose est aviser / Que Lidoine estoit la plus bele. / N’i ot chevalier ne pucele / Un trestot sol qui ne deïst / Qu’il ert resons q’ele preïst / L’espervier. Ele l’ala prendre. (MDP 310 ff.) (In der Übersetzung der Ausgabe: „Il était clair que Lidoine était la plus belle. Pas un seul chevalier, pas une seule jeune fille pour lui contester le droit à l’épervier. Elle alla le prendre.“ [MDP S. 93]) Schönheitspreis und Liebespreis scheinen getrennt. Nachdem Lidoine den Preis an sich genommen hat, tauchen dann Meraugis und Gorvain auf und verlieben sich in Lidoine; Gorvain ihrer Schönheit wegen, Meraugis aufgrund Sa valor e sa cortoisie / E ses cointes diz affetiez (MDP 446 f.). (In der Übersetzung der Ausgabe: „sa valeur, sa courtoisie, la sagesse et l’élégance de ses propos“ [MDP S. 101]). Sie kämpfen um sie ohne Gewinner, bis Lidoine beide auffordert, den Zweikampf zu beenden: Ne voeil pas que plus longuement / Soit fete bataille por moi. (MDP 742 f.) (In der Übersetzung der Ausgabe: „[…] je ne veux pas qu’on se batte plus longtemps pour moi !“ [MDP S. 121]) Ausdrücklich verweigert Lidoine, dass man ihretwegen kämpfe und führt damit das Prinzip des Schönheitspreises im Nachhinein ad absurdum. Letztlich soll Artus am Weihnachtsfest entscheiden, ob diese Angelegenheit überhaupt eines Kampfes bedarf (vgl. MDP 744 ff.). Meraugis und Gorvain sind sich an Kampfeskraft ebenbürtig; im Kampf könnte also sowieso keiner der beiden Lidoines Liebe erkämpfen. Am Ende entscheidet ein weibliches Schiedsgericht um Ginover nach ausführlicher Diskussion der Aspekte Schönheit, höfischer Werte und Liebe zugunsten von Meraugis. 392 Die Vorgeschichte (V. 1–1473) ist hier wesentlich für das Verständnis der Sperberaventiure. In dieser pflegt der junge Durmart eine Affaire mit einer verheirateten Frau; ihr Ehemann zieht sich lediglich zurück, als er hiervon erfährt. Durmart verligt sich schon im Jugendalter. Als er sich entschließt, Ritterwürde zu erwerben, trennen sich die beiden einvernehmlich; Durmart lässt sie sich wieder mit ihrem Mann versöhnen. Dem Rat seines Vaters folgend, seine

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ihre Hand werben. Er begegnet Fenise, die sich nicht zu erkennen gibt, sondern ihn prüfen möchte und ihn daher bittet, sie zum Sperberkampf zu begleiten: Por l’espervier prendre et saisir, S’amaint o li I chevalier Trestot arme sor I destrier, Ja l’espervier ne bailleroit, Se le chevalier n’amenoit ; Quar a prendre cel espervier Li covient dire et desrainier, Que ele est plus bele d’Idain, Contre monsaignor Cardroain Covient son chevalier combatre, E s’il l’en puet l’orguel abatre, Yde a perdu son espervier Et li atre l’a sens plaidier. Mais a celi molt mescheroit, Se son chevalier i perdoit ; Car Ide le feroit honir U en laide prison gesir. (DG393 2020ff.)

Die Verbindung von Ritter und Dame als essentielles Element wird hier eingeführt, an keiner Stelle jedoch wird diese Verbindung explizit als Liebesbeziehung benannt. Das aber ist wohl als Resultat der Ausgangslage zu bewerten, in der Durmart und Fenise zusammentreffen: Da Durmart ausgezogen war, um Fenise zu gewinnen, wird die explizite Profilierung dieser mit dem Preis verbundenen Konvention überflüssig. Durmart erkämpft den Preis für seine Angebetete und auch Fenise ist ihm zugeneigt. Damit gewinnt auch Durmart mit dem Preis Hand und Land der Dame.

Liebe einer Prinzessin oder Königin zuzuwenden, zieht der schöne Durmart aus, um sich in den Dienst der Schönsten, Fenise, Königin von Irland, zu stellen. Die beiden begegnen sich und reiten gemeinsam zum Sperberkampf (V. 1888–2853), obwohl sie bereits einen Ritter hat, der den Sperber für sie erringen soll; der ist zwar besonders groß, aber ein Feigling. Gegenwärtig gehört der Preis Yde, der Frau Cardroains. Der Große Ritter fordert Fenise auf, den Sperber zu nehmen, gibt jedoch bereits vor Kampfbeginn nach. Er hatte gehofft, den Sperber mittels bloßer Einschüchterungen zu erhalten. Durmart springt ein, als Fenise ins Gefängnis gebracht werden soll und siegt. Fenise bietet ihm als Dank ihren Dienst an und will ihn nach Irland begleiten, um sich dort zu erkennen zu geben. 393 Li romans de Durmart le Galois. Altfranzösisches Rittergedicht. Zum ersten Mal hrsg. v. Edmung Stengel. Photomechan. Nachdr. d. Ausg. Tübingen 1873. Amsterdam 1969.

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Auch die „pseudoarthurische Erzählung“394 aus Andreas Capellanus’ Büchern Von der Liebe bspw. verschränkt das Sperberabenteuer ebenfalls mit dem Gewinn der Liebe einer Frau.395 Bei Capellanus ist der Gewinn des Sperbers Beweis für die Schönheit der Dame, für die der Ritter kämpft; er beweist im Kampf, dass die Schönste seine Freundin ist. Die Konstellation in der Erzählung ist derjenigen im Wigalois insofern ähnlich, als auch in dieser Variante zwei Damen involviert sind und unklar bleibt, um wessen Gunst der Ritter den Sperber erkämpft.396 Demzufolge belegt Capellanus’ Version, dass Gewinn des Preises und Erlangung der Gunst der Dame üblicherweise miteinander verbunden sind. Blickt man überdies auf die keltische Erzählung von Gereint, die den Erecromanen als Vorlage für die Eingangsaventiure gedient haben wird, belegt diese ebenfalls die explizite Zusammengehörigkeit von Sperberkämpfer und Dame: „Und ein jeder kommt in Begleitung der Frau, die er am meisten liebt. Aber einer, der nicht mit jener Frau, die er am meisten liebt, zusammen wäre, wird nicht zum Kampf um den Sperber zugelassen.“397 In bedeutsamer Weise zeigt diese Stelle außerdem, dass der Preis hier nicht der Schönheit, sondern der Liebe zur Dame wegen errungen wird. An späterer Stelle heißt es diesbezüglich: „[…] dann wird der Ritter mit dem Sperber seinen Aufruf ergehen lassen, […] daß er die Frau, die er am meisten liebt, auffordert, den Sperber zu nehmen […].“398 Diese Verschränkung ist den nachfolgenden Sperberkampfaventiuren nur implizit inhärent. Dort wird das Kämpfen für die Schönste immer auch als ein Kämpfen um die Liebe der Dame verstanden. Im Gereint wird Schönheit erst bei der Herausforderung zum Kampf explizit ins Spiel gebracht, der Preis aber 394 Andreas aulae regiae capellanus / königlicher Hofkapellan: De amore / Von der Liebe. Libri tres / Drei Bücher. Text nach der Ausgabe von E. Trojel. Übers. und mit Anmerkungen und einem Nachwort vers. v. Fritz Peter Knapp. Berlin [u. a.] 2006, S. 473, Anm. 145. 395 Vgl. Andreas aulae regiae capellanus: De amore, Buch II, Kap. 8,3 und 8,4, S. 474 und Kap. 8,38, S. 494. 396 Vgl. Andreas aulae regiae capellanus: De amore, Buch II, Kap. 8,5 S. 474 ff. Auf die Zweideutigkeit der Formulierung „[…] et ut de vestro mihi concedatis assensu, quatenus vestrae dominationis intuitu licenter valeam amorem mihi dominae pulchrioris adscribere.“ (In der Übersetzung der Ausgabe: „[…] und daß Ihr mir mit Eurer Erlaubnis gewährt, daß ich kraft Eurer Stellung als meine Herrin rechtens die Liebe der schönsten Dame für mich beanspruchen kann.“) weist Knapp in Anm. 150 hin und betont den „erzähllogischen Widerspruch […], daß der Ritter schon eine Minnedame hat, der er den Sperber bringen soll.“ 397 Die Geschichte von Gereint, dem Sohne Erbins. In: Keltische Erzählungen vom Kaiser Arthur. Aus dem Mittelkymrischen übertragen, mit Einführungen, Erläuterungen und Anmerkungen versehen von Helmut Birkhan. Teil I. Kettwig 1989 (= Erzählungen des Mittelalters I. Hrsg. v. Helmut Birkhan), S. 177–244, hier S. 188. 398 Die Geschichte von Gereint, dem Sohne Erbins, S. 189.

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bleibt einer für die Liebe.399 Gereints Bestreben, den Sperberkampf einzugehen, erwächst aus Rache für den Peitschenschlag. Kämpfen darf er jedoch nur, wenn er für eine Dame kämpft: „‚Es fällt mir nicht leicht, dir einen Rat zu geben, da es weder Mädchen noch Frau gibt, die du zu lieben bekennst, so daß du mit ihm kämpfen könntest. […]‘“400 Daher bleibt der Preis hier der Preis des Ritters, der ihn nach dreimaligem Erringen behält und der ihm den Namen ‚Ritter mit dem Sperber‘ verleiht – ähnlich dem Chevalier du Papegau.401 Dass im Gereint wie auch in beiden Erecromanen der Aggressor als Teil eines Dreiergespanns von Ritter, Dame und Zwerg auftritt, im Wigalois dann der Held Teil dieses Gespanns wird, ist offenkundig ebenfalls Teil der Umgestaltung,402 insoweit Wigalois schließlich nach der aventiure kurzzeitig in Begleitung von zwei Jungfrauen und zwei Zwergen ist. Unverkennbar wird hier ein Zuviel deutlich gemacht und darin die Unmöglichkeit aufgewiesen, Wigalois könne mit dem Preis Hand und Land Elamies errungen haben. Im Prosa-Lancelot gewinnt Iwein einen Sperber für eine Dame zurück, der ihr geraubt wurde. Darüber, ob er für sie im Zuge einer Schönheitspreisaventiure erkämpft wurde, berichtet der Text nichts.403 Stattdessen sagt die Dame nur: ‚Bey gott, mein bule hatt mir den aller schönesten sperber zu behallttenn gebenn allß der inn der weldt seinn mocht [...]. Unnd darumb das mein bule ine geliebt hatte, so wirdet er meynen, ich habe ime denselbigenn mitt gutem willen gebenn weder das er ine genohmmen hatt, unnd wirdet es mir für groß übell habenn.[‘] (PL III404 S. 204, 33 f.)

Iwein kann den Sperber für die Dame zurückerobern, ohne damit in eine Konfliktsituation zu geraten, weil der Sperber der Dame – mutmaßlich – von ihrem Geliebten als Zeichen seiner Treue anvertraut wurde und als solches noch immer Gültigkeit beansprucht. Die Konstellation ist hier derjenigen im Le

399 Vgl. Die Geschichte von Gereint, dem Sohne Erbins, S. 190. 400 Die Geschichte von Gereint, dem Sohne Erbins, S. 189. 401 Vgl. Die Geschichte von Gereint, dem Sohne Erbins, S. 188. 402 Hierauf hat im Vergleich von Renauts Le Bel Inconnu und Chrétiens Erec et Enide schon Bauschke, Ricarda: Auflösung des Artusromans und Defiktionalisierung im Bel Inconnu, S. 89 hingewiesen. Die von in Erec et Enide als Initiation fungierende und negativ konnotierte Personentrias sei im Le Bel Inconnu insoweit verkehrt, wie Guinglain selbst die Rolle des Herausforderers einnehme, allerdings in dieser nicht andere herausfordere, sondern seine eigene aventiure vollbringt. Diese Veränderung diene einer „parodistische[n] Umdeutung“ (S. 89). 403 Der Raub jedoch wird nicht begangen, um den Sperber einer anderen Dame zu überreichen, der Dieb hält ihn in seiner Waldhütte. Die Herausforderung mündet in einen Kampf, nach dessen Ende weder der Sperber noch die Besitzerin erneut erwähnt werden. 404 Siehe Anm. 433.

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Bel Inconnu ähnlich; auch dort kann kein Konflikt entstehen, weil der Sperber als Symbol für eine Beziehung von vriundin und einem anderen Ritter schon besetzt ist. Dass der Sperber aber offenbar als Anzeiger dieser Liebesverbindung fungiert, belegt somit auch der Prosa-Lancelot. Wenn Wirnts Schönheitspreisaventiure nun gerade diese in allen Realisationen durchweg gültige Bedingung nicht einlöst, erscheint das zunächst erzähllogisch widersprüchlich, weil es mit der Konvention bricht. Die angeführten Beispiele zeigen, dass der ritterliche Gewinn des Sperbers immer für eine Liebesbeziehung zwischen Ritter und Dame steht. Man darf also davon ausgehen, dass diese Konvention aller Wahrscheinlichkeit nach Teil der Erwartungshaltung gewesen sein dürfte und das Nichteinlösen ein Moment der Störung verursacht. Die für das komische Verständnis der Episode erforderliche Folie liefert der Text in Form einer metonymischen Selbstbezeichnung. Allein vor dem Hintergrund dieser Folie wird nachvollziehbar, weshalb Wigalois’ Zurückweisung Elamie in noch größeren Kummer stürzt. Dass sie schließlich erwartet, dass Wigalois auch um sie gekämpft hat, erklärt sich ausschließlich vor diesem Hintergrund. Die intertextuellen Marker fungieren gerade nicht dazu, einen anderen Text zu parodieren, indem sie ihn aufrufen und komisch brechen würden. Im Gegenteil sind sie so konstruiert, dass sie einen Text als Interpretationsfolie anbieten, mit diesem Verweis jedoch noch weitreichender auf ein Handlungsmuster verweisen. Die intertextuellen Verweise auf den Eneasroman fungieren sodann durchaus im Sinne einer Vorausdeutung. Wigalois nämlich kämpft gerade nicht für und um Elamie, sondern weist ihre Bitte zurück – so wie Eneas Dido zurückweist. Die Bezeichnungen, die für Elamie vom Erzähler und von den Figuren genutzt werden, machen deutlich, dass nur Wigalois die Konventionen nicht kennt: Sowohl Elamie als auch Hojir artikulieren im Zusammenhang mit dem Kampf die konstitutive Verbindung von Ritter und Dame mehrfach: Elamie beschreibt die Konvention zu Beginn exakt: Zum Abenteuer kommt ieglicher mit sîner vriundin / dâ was ein rîterlîch gewin (WG 2511 f.). Das macht eindeutig, dass der Preis nicht allein für Schönheit vergeben wird, sondern dass er gleichermaßen den Ritter der Schönsten ebenso auszeichnet. Elamie alleine kann ihn, so gesehen, eigentlich nicht gewinnen. Vielleicht nimmt Hojir Elamie den Preis gerade deshalb weg und gibt ihn sîner vriundin (WG 2581). Der – in allen Romanen – namenlosen vriundin steht der Preis sozusagen zu, da sie als vriundin von Hojir die notwendige Voraussetzung erfüllt. Die Beziehung von Hojir und seiner Dame wird, nachdem er den Kampf verloren hat, erneut deutlich als Liebesbeziehung ausgewiesen: daz er und sîn vriundin / vüeren gegen Britanje hin (WG 3095 f.). Wenn Wigalois die maget Elamie bî der hant (WG 2756) nimmt und Hojir zum

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ersten Mal gegenübertritt, liegt dieser in sîner âmien schôz (WG 2763). Hojir ist es, der Elamie explizit als Wigalois’ âmîe anerkennt: ‚wen souchet ir, junger rîter, hie mit iuwer âmîen, die ir dâ leitet bî der hant?‘ (WG 2785ff.)

Ausschließlich Elamie selbst und Hojir erkennen Elamie notwendig als vriundin und âmîe, der Erzähler bezeichnet sie durchgehend neutral als maget, juncvrouwe und vrouwe, Wigalois nennt sie gleichfalls neutral vrouwe und juncvrouwe (mîn); diese Benennung nutzt er gleichfalls für Nereja (z. B. WG 3214, 3259).405 Vor diesem Hintergrund entpuppt sich die leitmotivische Funktion von Elamies sprechendem Namen: El amie.406 Sie ist die Freundin. Zwar deutet Elamies Name die Liebschaft somit an, darüber hinaus wird diese aber nur in der Figurenperspektive verankert. Als âmîe wird im Text fortan nur Larie bezeichnet und das immer im Reim mit ihrem Namen.407 Die Anspielung auf das verligen kann daher nur im Rahmen von Hojirs Beschreibung erfolgen, weil Hojir innerhalb der Schönheitspreisaventiure der einzige ist, der eine âmîe hat, mit der er sich verligen könnte. Wigalois gewinnt seine âmîe Larie erst mit dem Roazkampf. Die Beschreibung von Elamie ist ebenso vielsagend wie ihr Name: si reit ein pfärit wol getân, unz ûf sîn knie reicht im diu man, daz was rôt alsam ein bluot. (WG 2400ff.)

Über ihrem Reiserock trägt sie von rôtem siglâte / […] eine kappen (WG 2407 f.), worauf ein veder, wîz alsam ein swan (WG 2409) genäht ist, ihr Hut besteht aus Pfauenfedern (vgl. WG 2417 f.). In die Beschreibung werden so der Schwan als erotisches408 Symbol und der Pfau als eines für Schönheit eingeflochten. Die in der Beschreibung aufgenommene Vogel-Motivik ist im Rahmen des Sperberkampfes – hier durch den Vogel Papagei ersetzt – von Bedeutung und verweist auf die beiden

405 Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass Florie durchweg als maget bezeichnet wird, was sich als Hinweis darauf verstehen ließe, dass die Beziehung zwischen Gawein und ihr nicht von Dauer ist. 406 Im Altfranzösischen ist die Schreibung des femininen Personalpronomens in der dritten Person ‚el‘ anstelle des Neufranzösischen ‚elle‘. 407 Vgl. WG 4566 f., 6914 (als Bezeichnung für Larie, ohne ihren Namen im Reim zu nennen), 7591 f., 7906 f., 7996 f., 8361 f., 8671 f., 8706 f., 8734 f., 9006 f. 408 Vgl. dazu auch Reuvekamp, Silvia: Lilie unter Dornen. Vermessungen menschlicher Liebeskompetenz in Hartmanns Erec. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 142 (2020), S. 493–514.

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Konstituenten des Preises: Schönheit und die erotische Liebesverbindung. Die überwiegend rote Farbe ihrer Kleidung weist ebenfalls auf die Liebesverbindung und auf eine erotische Komponente hin. Dass gerade der Rote Ritter der roten Dame den Preis abspricht, spräche doch ggf. dafür, dass Hojir mit Ither weniger gemeinsam hat, als bisher angenommen. Die Farbgebung würde so gesehen ebenso plausibel auf Mabonagrin verweisen können. Im Baumgarten, so heißt es, […] ‚dâ wonet inne / mit sîner vriundinne / ein ritter sô manhaft[‘] (ER 8474 ff.). Mabonagrins vriundin ist darüber hinaus überaus schön und steht nur Enite selbst an Schönheit nach (vgl. ER 8926 ff.). Seine Rüstung samt Pferd ist rot, bezeichnet wird er als rôte[r] man (ER 9068, 9317, 9338) und als der rôte Mâbonagrîn (ER 9803). Der als locus amoenus gestaltete Baumgarten als eine Art ‚Liebesgefängnis‘ versinnbildlicht das verligen und erlaubt die erneute Thematisierung des gesellschaftlichen Konflikts zwischen Ehe und Ritterschaft. Wenn auch Mabonagrin als der rôte man und nicht als der rôte ritter bezeichnet wird, scheint der intertextuelle Verweis auf ihn thematisch plausibler. Über die Farb- und Namensgebung stünden Mabonagrin, Elamie und Hojir in Bezug, die Kombination mit der Vogelmotivik verwiese über den Schönheitspreis hinaus auf die Problematik der Liebesbeziehung. Mit dem Papagei als Sperberersatz ist der Preis seiner Liebes-Komponente auf sinnbildlicher Ebene beraubt. Umgekehrt aber ist diese in Elamies sprechenden Namen und in ihre Kleidung verlagert. Vor diesem Hintergrund basiert das Scheitern des an das Motiv des Schönheitspreises gebundenen Handlungsmusters nämlich nicht auf einer direkten intertextuellen Bezugnahme, er funktioniert nur indirekt selbstreflexiv. Indem im Wigalois die scheiternde Variante des Handlungsschemas ‚Schönheitspreis‘ dargeboten wird, ist es hier die Handlung selbst, die das zugrundeliegende Handlungsschema metonymisch benennt – nicht die intertextuellen Bezugnahmen. Die für die Komik konstitutive Bewertung, dass Wigalois’ Handeln hier einen Bruch mit dem Erwartbaren erzeugt, also ein Scheitern der Handlung zeigt, kann nur durch die Rückbindung an das literarische Handlungswissen und dessen kulturellen Bewertungshorizont beurteilt werden. Das literarische Handlungswissen als Form kulturellen Handlungswissens erhält seinen Bewertungshorizont qua des (nicht mehr rekonstruierbaren) kulturellen Handlungswissens, indem – so HÜBNER – es dem erzählten Handeln erst seinen Sinn verleiht unter Rückgriff auf das Wissen von erwartbarem Handeln. Narrative Sinnkonstitution kann so erst unter Einbezug des Wissens um erwartbares Handeln erfolgen. Folgt man HÜBNER und erfasst den höfischen Roman als Durchspielen von Handlungsregularitäten, wäre mit der Komik die Möglichkeit geboten, positive wie negative Blickwinkel gleichzeitig darzustellen. Die im höfischen Roman verhandelten Handlungsparameter sind durchaus literarisch überformt, dennoch erfolgt deren Sinnkonstitution erst innerhalb der jeweiligen kulturellen Wissensordnung; mittels der intertextuellen Verweise

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auf den Erec rekurriert der Wigalois auf diese Wissensordnung. Rekonstruieren lässt sie sich nur als Gesamtmenge von Sperberaventiuren, wie sie die verschiedenen Quellen belegen. Innerhalb dieser Wissensordnung wäre für den Handlungsverlauf zu erwarten, dass Wigalois Elamie entsprechend begleitet. Ob Wigalois die mit dem Preis verbundenen Konventionen nicht kennt oder sie aber vorsätzlich missachtet, bleibt offen. Komik generiert der Text folglich über das erzählte Scheitern des erwarteten Handlungsverlaufs. Das Scheitern konstituiert sich als Verfahren, das einerseits qua der erzählten scheiternden Handlung das Wissen um die andererseits gelungene Handlung als metonymische Selbstbezeichnung einspielt. Die Handlung ‚Schönheitspreis‘ wird hier zum Scheitern gebracht, indem sie sich vor dem Horizont des Wissens um ihr Gelingen divergent konstituiert und sich sodann in ihrer negativen Variante zeigt. Die in allen Varianten für den Erwerb des Preises konstitutive Verbindung von Ritter und Dame ist im Wigalois nicht gegeben als der Preis Elamie zufällt. Das schafft erst die Voraussetzung dafür, dass Wigalois in die Rolle des Verteidigers kommen kann. Im Le Bel Inconnu begreift Margerie den Einsatz des Schönen Unbekannten gar nicht erst als Werbung, da sie ihre Anwartschaft auf den Preis in der Verbindung Ritter – Dame eingegangen ist. Diese Umgestaltung gegenüber der Vorlage wird verstärkt durch den Papagei, der an die Stelle des Sperbers gesetzt wird. Wenn sich auch das Verhältnis von Le Chevalier du Papegau und Wigalois nicht bestimmen lässt, haben die beiden Texte neben dem Preis selbst gemein – das trifft auch für den Le Bel Inconnu zu –, dass aus dem Kampf keine Verbindung von Ritter und Frau hervorgeht. In allen drei Texten kann sie handlungslogisch nicht erfolgen, weil sowohl Wigalois als auch Artus unterwegs zu einer anderen Frau sind (et il leur dist que il ne puet, pour une aventure qu’il luy convient cherchier pour l’amour d’une dame. [CDP § 8, Z. 27 f.])409 Das gilt auch für den Schönen Unbekannten, wo die Liebesverbindung zusätzlich durch die anfängliche Verbindung von Margerie und Ritter allerdings verweigert wird. Die materielle Symbolik des Preises ist dann für Elamie wertlos. Wenn Elamie einfordert, dass Wigalois den Preis von rehte seiner vriundin geben soll, ist die Rückkoppelung an das literarische Handlungswissen und damit an den kulturellen Wissens- und Bewertungshorizont besonders eklatant. Offenbar weiß Wigalois hiermit nichts anzufangen bzw. hat er keine vriundin, der er den Preis geben kann, weshalb er ihn Nereja gibt. Wigalois hatte sich bereit erklärt, den Preis für Elamie zurückzugewinnen, um Nereja weiterhin davon zu überzeugen, dass er Mann genug ist, um die Roazaventiure zu bestehen.

409 In der Übersetzung der Ausgabe: „[…] qu’il s’était engagé dans une autre aventure pour l’amitié d’une dame.“ (CDP § 8, S. 95)

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Aus diesem Grund scheint es nur folgerichtig, dass er ihr den Preis als materielles Gut überlässt, ohne die eigentliche Konvention einzuhalten, die es mit sich bringen würde, dass er um ihrer Schönheit und Liebe wegen gekämpft habe. Überdeutlich gibt sich der verlorene Symbolwert des Preises am Ende der aventiure zu erkennen: si hêt erworben an der vart, als ez dô gahtet wart, baz danne ze tûsent marken; des begunde ir herze starken in vil hôhem muote, wan von grôzem guote stîgent diu herze hô[.] (WG 3275ff.)

Wigalois und Nereja begreifen nur den materiellen Wert ohne den Symbolgehalt des Preises. Die Komik speist sich aus dem so narrativ generierten Scheitern der Handlung, das einen Erwartungsbruch zur Folge hat, der sich in der Komik auflöst. Die eigentliche Resolution dieser im Akt der Narration angelegten, Komik erzeugenden Strategie erfolgt jedoch alleinig im Rezeptionsakt – gleichgültig, ob darüber laut gelacht wird oder eben nicht. Wigalois gewinnt so am Ende seiner Bewährungsaventiurefahrt eben nicht das, „was ihm fehlt, [nämlich] Frau und Land“410, um einen gewohnten Artusritter abzugeben, sondern gibt Elamie stattdessen einen Korb.

4.3 Ohnmacht (o)der Krise Die auf den Schönheitspreis folgende Korntinbefreiung führt die inhaltlichen Komponenten der Preisepisode eingangs thematisch weiter. Obwohl Nereja nach dem Sieg über Hojir immer noch an Wigalois’ Tauglichkeit zweifelt und die Geschenke sie zwar erfreuen, aber diesbezüglich nicht beeindrucken, setzt sie sie bei ihrer Ankunft als Beweis für den Erfolg ihrer Reise ein. Beim Einzug auf Roimunt präsentiert sie stolz ihren Gewinn: vor ir zôch man ir gewin gegen der schœnen bürge hin: den sitich, daz phärt wol getân als ez mit manheit gewan der Gwîgâlois, der wîgant. (WG 3958ff.)

410 Fasbender, Christoph: Von Gwigalois zu Wigelis, S. 82.

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Die als Schönheitspreis ausgesetzten Gegenstände, die Elamie abgelehnt hatte, weil ihr symbolischer Wert mit Wigalois’ Abfuhr verloren ging, präsentiert die neue Besitzerin in einer Art und Weise, als habe Wigalois diese für sie gewonnen. Kurz scheint ein Remis zwischen Elamie und Nereja auf. Dass das Hündchen an dieser Stelle ausgelassen, aber an anderer vorgezeigt wird (vgl. WG 4028 ff.), verstärkt den Anschein, hier sei ein Bezug zum Schönheitspreis hergestellt. Wigalois’ Ziel ist nach wie vor ritterliche Bewährung. In unmittelbarem Anschluss an den Kampf mit Hojir wird beim Anblick von Schaffiluns Lager sein Hang hiernach erneut wach: er gedâhte ‚ich vinde dâ rîterschaft: / dar nâch ich ie gevaren bin[.‘] (WG 3325 f.) Die Unterredung von Schaffilun und Wigalois macht deutlich, dass beide die Korntinbefreiung einzig als ritterliche Hilfeleistung verstehen. Erst nachdem Wigalois Schaffilun besiegt hat und Nereja (hiervon beeinflusst?) einen jähen Sinneswandel erfährt – sie stellt Wigalois Larie als der aller besten rîter ein / den diu sunne ie beschein (WG 4014 f.) vor –, klärt sie Wigalois über die Bedingungen der zu bestehenden aventiure auf. Hand und Land der Dame werden mit Bestehen der Korntinaventiure als list (WG 3783) vergeben.411 Im Gegensatz zur Schönheitspreisaventiure ist diese nun diejenige, die mit dem Preis von Hand und Land einer Dame entlohnt wird. Gleichwohl bleibt gerade die Figur Larie im Gegensatz zu Elamie und auch Florie relativ blass und komprimiert. Larie tritt als Handlungsmovens sodann an die Stelle der ritterlichen Bewährung,412 der als Antrieb formulierte Gewinn der Dame wird im Folgenden geradezu überbetont.413 Infolgedessen ließe sich der Drachenkampf als Teil der Brautwerbung einordnen.414

411 Vgl. Standke, Matthias: Der Held im Wald der Stimmen, S. 351 ff., der zeigt, wie durch einen mehrfachen Stimmenwechsel und wechselnde Fokalisierung „differente Anforderungen und Handlungsmotivationen“ (S. 351) sich überlagern. 412 Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 139 versteht die Minne als Handlungsmovens als bloße „Verdopplung“; Ruhm und Minne stünden als „Motivationen völlig gleichberechtigt nebeneinander“. Minne sei daher weder „Anlaß noch Ursache“, sondern gebe „dem Impetus des Helden eine zusätzliche geradezu ‚private‘ Note“. 413 Wigalois blickt hier dem Kampf mit Pfetan sogar freudig entgegen, wenn er damit Larie gewinnen kann, obschon Jorels direkt vorausgegangene Erläuterungen zur aventiure die damit verbundene Gefahr überdeutlich machen: Her Gwîgâlois mit vreuden sprach / ‚wol mich, daz ez mir ie geschach / daz ich die magt ervehten sol! / ez tuot mir herzenlîche wol / daz ich hie strîtes vinde stat.‘ (4782 ff.) Vgl. auch WG 4182–4191, 4224–4227, 4377–4384, 4563–4567. Jorel bekräftigt dies als Motivation ebenso mehrfach; vgl. dazu 4703 ff., 4827 f. 414 Zum Motiv des Drachenkämpfers als Teufelsbezwinger vgl. jüngst Veeh, Michael: Auf der Reise durch die Erzählwelten hochhöfischer Kultur, S. 187–190. Bolta, Eva: Die Chimäre als dialektische Denkfigur im Artusroman, S. 87–103 weitet den Blick auf die Antike aus. Weiterführend zeigt Bolta, wie der Kampf mit dem ‚chimärischen monstra‘ Pfetan mit dem Roazkampf enggeführt werde als „heraldisch-imaginative Verbindung“, die dem Rezipienten aber

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Nach der erfolgreichen Drachenbezwingung bleibt Wigalois ohnmächtig am Ufer eines Sees liegen und wird von einem Fischerehepaar seiner Rüstung415 beraubt. Der Rüstung wird im Zusammenhang mit der Suche nach Wigalois in der gut 90 Verse (WG 5553–5637) umfassenden Beschreibung von Beleare ein besonderer Status zugeschrieben.416 Die umfangreiche und enorm detailreiche Beschreibung hebt die Rolle klar hervor, die die Rüstung im folgenden Handlungsgeschehen einnimmt. Innerhalb der Beschreibung wird über die Darstellung von Helm und Waffenrock zunächst ein allgemeiner Bezug zu Ritterschaft und in der Folge zur Tafelrunde hergestellt – Wigalois wird als […] ein krône und ein dach / rehter rîterschefte (WG 5578 f.) bezeichnet. Die Tafelrunde evoziert den Vergleich mit Gawein, der auf seinem Schild […] ein / guldîn tavelrunde (WG 5612 f.) trägt, was Beleare dazu veranlasst, Wigalois’ Wappen ebenfalls als das der Tafelrundler zu identifizieren.417 Sie rekapituliert Wigalois’ erst am Ende der Erzählung offenbar werde: „Pfetans narrative Funktion erschließt sich folglich erst mit der Kenntnis des Roazschen Wappens“ (S. 111). Anders Rebschloe, Timo: Der Drache in der mittelalterlichen Literatur Europas. Heidelberg 2014 (= Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), S. 291, der den Kampf mit Pfetan „allenfalls als ein (austauschbares) Zeichen seines [Wigalois’, Anm. d. V.] ritterlichen Edelmuts“ versteht. 415 Es ist erstaunlich, dass der Fischer den Harnisch für den besten hält, den er je gesehen hat (vgl. WG 5325 f.), wird er Wigalois doch eigentlich schon von Pfetan vom Leib gerissen und zerstört (vgl. WG 5112 ff.; WG 5127 f.). Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Kommentar zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 300 beizeichnen das als „Anschlußfehler“. Möglicherweise hält der Fischer den Harnisch trotz seiner Zerstörung für den besten und hat bspw. aufgrund des Standes und der Armut niemals einen besseren gesehen. Am See liegend hält Wigalois außerdem sein Schwert in der Hand (WG 5126), das im weiteren Verlauf nicht mehr erwähnt wird. Vgl. dazu auch Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 381 ff., die diese Widersprüche im Rahmen einer auf Inkonsistenzen hin angelegten Erzählstrategie als Marker deutet. 416 Fasbender, Christoph: Gwigalois’ Bergung, hier insbes. S. 214 und 222, weist für die Episode Analogien zum geistlichen Spiel nach. Die Entdeckung von Wigalois folge den Regeln des Rituals von der Auffindung und Bergung des Erlösers und vereindeutige mittels der geschaffenen Ähnlichkeit, wie mit dem Helden Heil in die Welt gebracht werde. Im Anschluss an Fuchs’ Einteilung in 15 Stationen stellt Fasbender eine „dramatische[] Einheit des Ortes, der Zeit und […] der Handlung“ (S. 215) heraus. Mit Blick auf das geistliche Spiel erachtet er das Fischerpaar als „literarische Nachfahren“ (S. 220) des Fischerpaars in Hartmanns Gregorius, die als „Werkzeuge der Heilsgeschichte“ (S. 220 f.) fungierten. Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 156 hat dem Fischerehepaar hingegen seinen „konstitutiven Sinn“, den es in Hartmanns Gregorius innehat, abgesprochen. Die mehrfach hergestellte Analogie zum Fischerpaar im Gregorius wirke konstruiert (vgl. S. 158). Stattdessen diene es dazu, „Welthaltigkeit in der phantastischen Aventiurewelt zu produzieren“ (S. 156). Vgl. auch Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts Wigalois, S. 157 f., der erstmals die identischen Verse im Gregorius (2224) und im Wigalois (5476) gesehen hat. 417 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 54 weist darauf hin, dass die Differenz bzgl. der Beschreibung und Zuordnung der Schildembleme in ihrem Widerspruch von Wap-

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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Identität demnach ausschließlich als diejenige eines Artusritters. Die identitätsstiftende Relevanz der Rüstung wird abermals deutlich akzentuiert, als Wigalois nicht anhand seines Körpers, sondern anhand seiner Rüstung erkannt wird. Dann wird sie sowohl für Wigalois selbst als auch für die übrigen Figuren identitätsstiftender Gegenstand und leitet die Suche nach Wigalois grundlegend an. Erst nachdem die Rüstung beim Fischerehepaar gefunden und als Wigalois zugehörig erkannt wurde, geht man erneut auf die Suche nach ihrem Besitzer. Dem Helden kommt hier folglich, wie MIREILLE SCHNYDER herausstellt, die „ritterliche Ausstattung […] als das zur höfischen Identifizierung Entscheidende“418 abhanden. Im Wigalois trägt zu seiner Identifizierung ausschließlich die Rüstung bei, wohingegen bspw. Iwein über das körperliche Merkmal einer Narbe erkannt wird. Wigalois’ Identität bleibt hingegen allein an helm, schilt und îsengwant (WG 5648, 5670, 5496) und sein Wappenzeichen (den helm und daz rat [WG 5663]) gebunden. So lässt sich Beleare vom Fischerehepaar zuallererst die Rüstung zeigen ([…]‚du solt mich sehen lân / den schilt und das îsengwant[‘] [WG 5727 f.]) und fragt dann nach dem Aufenthaltsort des Ritters, des der harnasch ist gewesen (WG 5738). Wigalois ist nicht nur als aktiv Handelnder aus dem Erzählabschnitt ausgeschieden, er ist außerdem nur als namenloser Rüstungsträger präsent – seinen Namen hatte er Beleare vor dem Kampf nicht preisgegeben –, dessen Identität allein an seine verlorene Rüstung gekoppelt ist. Der passive Zustand der Figur korrespondiert mit der Auslagerung seiner Identität auf die Rüstung. Bemerkenswert ist die Funktion, die dem Fischerehepaar in diesem Zusammenhang zugewiesen ist. Ein Blick auf den Le Chevalier du Papegau zeigt, dass die Geschehnisse um den Raub der Rüstung dort selbst nicht erzählt werden, sie wird dort lediglich bei dem armen Fischerpaar gefunden. Demgegenüber ist der Raub der Rüstung im Wigalois extensiv ausgestaltet: Dort stiehlt das Paar Wigalois zunächst gemeinsam die Rüstung, woraufhin ihm die Fischersfrau alleine seine übrige Kleidung auszieht und ihn gänzlich entblößt.419 Entgegen der

penzeichen der Tafelrunde (goldene Tafelrunde mit weißem Hirsch) und demjenigen Wigalois’ (goldenes Rad) als „konsequente Absicht“ zu verstehen ist: „Der Widerspruch in den Emblemen bleibt an der Oberfläche, denn die Dame hat zurecht am falschen Erkennungszeichen Wigalois als Tafelrundler erkannt und in bedeutungsvolle Beziehung zu Gawein gesetzt […].“ Stange, Carmen: Sît si eines lîbes waren, S. 142 hat das mit Blick auf das Verhältnis von Vater und Sohn als „Ausweis für Gwigalois’ eigene Rittertüchtigkeit“ erkannt. Er sei an diesem Punkt seinem Vater „ebenbürtig“ und zugleich jedoch „unverwechselbar“ geworden. 418 Schnyder, Mireille: Ich-Geschichten. Die (Er)findung des Selbst. In: Baisch, Martin / Eming, Jutta / Haufe, Hendrikje / Sieber, Andrea (Hrsg.): Inszenierungen von Subjektivität in der Literatur des Mittelalters. Königstein/ Taunus 2005, S. 75–90, S. 82. 419 Vgl. WG 5340–5344: daz im ein man und ein wîp / alsô entnacten sînen lîp, / […] / si zugen im von den armen / harnasch unde wâfenroc.

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

uneindeutigen Sachlage, die im Le Chevalier du Papegau entworfen ist, wird im Wigalois zweifelsohne die Frau zur Räuberin von Wigalois’ letztem Besitz: si sach wol daz daz übel wîp dem rîter entnacte sînen lîp alsô gar daz dehein vadem an sîm lîbe schein; sus lac er sinne und guotes blôz[.] (WG 5425ff.)

Wo Artus im Le Chevalier du Papegau von dem Paar gemeinsam entkleidet wird, entblößt hier die Frau den Helden ohne ihren Mann,420 wodurch der in der darauffolgenden Ohnmachtsepisode die ‚Identitätskrise‘ auslösende Verlust von guot und sin eindeutig der Fischersfrau überantwortet wird. Dass sie durch diu minne guoten muot (WG 5465) erfährt und infolgedessen von ihrer Absicht, ihn zu töten, absieht, ist letztlich Folge von Wigalois’ Schönheit.421 Die das weibliche Gemüt veredelnde minne wird im Anschluss in einem Erzählerkommentar verhandelt. Während die Fischersfrau durchweg und in auffälliger Häufigkeit als abgrundtief böse Frau bezeichnet ist (z. B. daz übel wîp [WG 5425], daz herze übel wîp [WG 5433], auch WG 5464, 5481), wird ihr im Erzählerkommentar die Makellosigkeit der Frau im Allgemeinen gegenübergestellt: diu reinen wîp sint alle guot (WG 5477). Indem er auch für die Fischersfrau die Möglichkeit offen hält, dass ihr die minne prinzipiell ein guot gemüete (WG 5472) verleihen kann, wird ein Konnex von Weiblichkeit und minne geschaffen, der die Fischersfrau entschieden und trotz ihres zweifelhaften Gemüts als Frau, deren Liebe das Leben erst lebenswert macht, zeigt: ich hœre sagen daz diu wîp nâch grôzer ungüete vil snelle guot gemüete gevâhent von der minne;

420 Vgl. dazu auch Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 390 ff., die auf die gebrochene Handlungseinheit des Paares hinweist, allerdings nur hinsichtlich des Gürteldiebstahls. 421 So auch Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 148. Schnyder, Mireille: Ich-Geschichten, S. 83 verweist auf die „religiöse[] Logik“, die die Frau dazu veranlasse, Wigalois wegen seiner Schönheit und Süße nicht zu töten. Die Verse nu sach das herze übel wîp / daz sîn wünniclîcher lîp / sûberlich unde süeze was (WG 5433 ff.) versähen den Helden mit „Attributen der Heiligkeit“ (S. 82). Die minne bewirke Nächstenliebe und verhindere so die Tötung. Anders Lembke, Astrid: Ritter außer Gefecht. Konzepte passiver Bewährung im Wigalois und Widuwilt. In: Aschkenas 25 (2015), H. 1, S. 63–82, hier S. 72 f., die die erotische Attraktivität und Verliebtheit der Fischersfrau durch die Schönheit von Wigalois’ nacktem Körper in den Vordergrund für die unterlassene Tötung stellt.

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als ich mich versinne, sô ist mit in daz beste leben daz got der werlte hât gegeben. (WG 5470ff.)

Mit Blick auf die Krisenmomente der anderen Artusromane ließe sich die Fischersfrau in der Folge als eine Form figurierter minne begreifen, die Wigalois analog hierzu in eine Krise stürzte, die sich aus dem gesellschaftlichen Konflikt von Ritterschaft und Minne ergibt. Wie Iwein würde Wigalois von der minne seiner sinne und Identifikationsmarker als Artusritter beraubt. Die minne als eine Ursache für die Zweifel an der Identität bliebe, so betrachtet, zumindest parenthetisch als Auslöser für die Krisensituation auch im Wigalois enthalten. Jedenfalls könnte das eine mögliche Erklärung für die Akzentuierung der Fischersfrau als Räuberin von guot und sin sein.422 Zwischen Rüstungsraub und Erwachensmoment steht ein Erzählerkommentar, der den Dialog von Wirnt und seinem sin zum Inhalt hat. Aufgrund seiner Stellung im Roman – er schließt an die Episode um das verarmte Fischerpaar an –, wurde er oft als Kommentar zu zeitgenössischen Besitzverhältnissen verstanden. Seine Positionierung allerdings verweist auf seine mögliche Bindegliedfunktion zwischen zwei Erzählabschnitten, die zunächst den Verlust von guot (Rüstung) und anschließend den von sin (Ohnmacht) thematisieren. Debattiert Wirnt hier mit seinem sin gerade über die Frage [‚]mac ieman âne guot gar / al der werlt genæme sîn?‘ (WG 5756 f.), hatte Wigalois nach dem Drachenkampf den Verlust von guot und sin (WG 5856) zu beklagen. Pfetan raubt dem Helden sîne kraft und sînen sin (WG 5116), nach dem Kampf bleibt er am Seeufer âne maht und âne sin (WG 5131) liegen. Die Frage, was guot und sin in beiden Fällen bezeichnen und ob zwischen beiden ein Zusammenhang hergestellt werden kann, drängt sich in diesem Zusammenhang geradezu auf. Bereits im Prolog wurde mit der Polysemie von guot gespielt, wobei der Begriff in ein poetologisches Spiel um ein neues Kunstverständnis eingebettet wurde. guot und sin wurden dort als Konstituenten eines Kunstverständnisses festgelegt, das sich als gleichzeitiges Einschreiben und Brechen mit einer Erzähltradition versteht (vgl. weiter oben Kapitel 4.1.3). Dieses poetologische Spiel wird hier, vorausweisend auf die folgende Episode um die Ohnmacht des Helden, fortgeführt. 422 Vgl. zur Fischerepisode auch Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 389–397. Der Held würde einer „grotesken, demütigenden Situation ausgesetzt“ (S. 395), wenn er von der Fischersfrau an den Haaren nackt umhergezogen werde. Die Komik ergebe sich aus der „Differenz zu einer kulturellen Hemmung […] der Aggression gegen höhergestellte Autoritäten“ und ermögliche dem Rezipienten so einen Lustgewinn, der auf eine „Aggressionsphantasie gegen den ideal und gerade auf diesem Aventiureweg fast heilig scheinenden Helden“ (S. 396) ziele. Die Komik demontiere schließlich den idealen Helden.

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Wirnts Unterredung mit dem sin erinnert formal an Hartmanns Dialog mit Frau Minne.423 Beide Dialoge stehen unmittelbar in Verbindung mit dem jeweiligen Abschnitt der Erzählung um Wahnsinn und Ohnmacht. Identisch sind ebenfalls die Anreden; heißt es im Iwein si sprach ‚sage an, Hartmann‘ (IW 2974), erfolgt die Anrede des Erzählers im Wigalois auf ganz ähnliche Weise: ‚sag an, Wirnt, ist daz wâr‘ (WG 5755). Hartmann debattiert mit Frau Minne über die Wahrheit des Erzählten, wârheit und sinne werden dort aufs Engste verschränkt: Die Frage, die Frau Minne an Hartmann richtet, kann dieser nicht adäquat beantworten, weil sein sin ihn hindert (des ich von mînem sinne / niht geantwurten kan. [IW 2972 f.]). Hartmann erklärt seine Quelle als Garanten für die Wahrheit des Erzählten ([…] ich sagt irz vür die wârheit: / wan ez was ouch mir vür wâr geseit. [IW 2979 f.]), während Frau Minne dem entgegenhält, dass (poetische) Wahrheit sich anders begründe, insofern eine metaphorische Lesart einer wörtlichen (vgl. IW 2996) überstehe: Dô zêch mich vrou Minne, ich wære kranker sinne. sî sprach ‚‘tuo zuo dînen munt: dir ist diu beste vuore unkunt.[‘] (IW 3011ff.)

Thematisiert Hartmanns Dialog Erzählen, Wahrheit und den seitens des Erzählers hierfür notwendigen rechten sin, der erst den rechten Weg (diu beste vuore) des Erzählens ermöglicht, erscheint Wirnts Dialog mit dem sin diesbezüglich einerseits als intertextueller Bezug wie andererseits als direkte Reaktion auf Hartmanns Zwiegespräch. Hält Frau Minne Hartmann vor, er wære kranker sinne (IW 3012), wird Wirnt von selbigem angesprochen: dô vrâget mich mîn kranker sin, – des ich gar âne zwîvel bin – ‚sag an, Wirnt, ist daz wâr […]?‘ (WG 5753ff.)

Der Erzählerkommentar wurde im Anschluss an die Episode um das verarmte Fischerpaar mit realhistorischem Bezug verstanden und guot als materielle Habe begriffen424 und außerdem Bezüge zur guot-muot-Debatte im Gregorius hergestellt.425 Das liegt nahe, da es in den beiden unmittelbar vorangehenden

423 Vgl. Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Kommentar zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 300. 424 Vgl. Lienert, Elisabeth: Zur Pragmatik höfischen Erzählens, S. 266. 425 Vgl. Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich: Kommentar zu Wirnt von Grafenberg: Wigalois, S. 300. muot wird jedoch im Wigalois während der Unterredung nur an einer Stelle mit guot in Verbindung gebracht (vgl. WG 5761), sowie in der Auflistung WG 5751 f.

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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Versen sus gwan der arme rîchen muot, / sælde, sin unde guot (WG 5751 f.) heißt und Wigalois sinne und guotes blôz (WG 5429) am See liegt. Ein Blick auf die folgenden Verse des Dialogs zeigt jedoch, dass ein solches Verständnis zu kurz greift und allenfalls zu den Eingangsversen, weniger aber zur folgenden Verknüpfung von guot und Dichtkunst passt. Schon die Frage ‚sag an, Wirnt, ist daz wâr: mac ieman âne guot gar al der werlt genæme sîn?‘ (WG 5755ff.)

ließe sich ebenso poetologisch verstehen und auf das Erzählverfahren beziehen, das sich, im Gegensatz zu Hartmanns im Iwein, nicht an einer Vorlage orientiert und darüber die Wahrheit des Erzählten autorativ garantiert. Infolgedessen könnte guot als Besitz im Sinne der Vorlage als Erzählgut begriffen werden. Die Frage zielte dann darauf ab, ob ein Erzählen âne guot Wohlgefallen – genæme sîn – erzielen könnte. Die Rollenverteilung gegenüber jener in Hartmanns Dialog scheint vertauscht: Wirnts Erzähler befürwortet das Verfahren, wohingegen gerade der sin diese Möglichkeit verneint. Die folgenden Verse bekräftigen diese Lesart: [‚]ich will zuo den besten gên und wil mit mîner kunst begên und mit mînen zühten daz, daz ich in gevalle baz danne ein guotes rîcher man der deheiner slahte vuoge kan.‘ (WG 5765ff.)

Mehr als ein guotes rîcher man will der Erzähler mit seiner kunst den besten gefallen. Diejenigen, die zwar über guot verfügen, aber keinerlei vuoge vorzuweisen haben, sind zwar reicher an Gut, können es aber ohne Kunstfertigkeit – vuoge426 – zu nichts bringen. vuoge wird zur Voraussetzung für sin. Die abschließende Sentenz427 bestätigt das abermalig: daz werder ist ein sinnic man dem der in erkennen kan danne ein man der allen rât âne ganze sinne hât[.] (WG 5777ff.)

426 Vgl. dazu Gerok-Reiter, Annette: Die ,Kunst der vuoge‘: Stil als relationale Kategorie. Überlegungen zum Minnesang. In: Andersen, Elizabeth / Bauschke-Hartung, Ricarda / McLelland, Nicola / Reuvekamp, Silvia (Hrsg.): Literarischer Stil, S. 97–118. 427 Vgl. Eikelmann, Manfred / Tomasek, Tomas (Hrsg.): Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts. Bd. 1, S. 244. Die Sentenz ist dort paraphrasiert als „Verstand ist mehr wert als Besitz.“

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Der Kunstfertigkeit des Dichtens wird hier ein immens hoher Stellenwert zuerkannt, während sich Hartmann noch der Quellentreue und -nähe verpflichtet sieht. Zuletzt fügt sich der sin selbst seinem Erzähler âne guot: ‚sît ich dir sô nütze bin, / ich vrum dir als ich beste kan [.‘] (WG 5772 f.) Der Dialog ist gleichermaßen einer zwischen Erzähler und kunst-sin sowie einer, der die Geltung materieller Güter für Ansehen verhandelt. Versteht man dennoch guot als Erzählgut, hätte diese Lesart das (Wieder-)Erzählen zum Inhalt und würde das kompilierende Erzählverfahren inklusive seiner Hinzudichtungen erörtern.428 Der Erzähler âne guot wäre zu verstehen als einer ohne feste, wiederzuerzählende materia, obwohl sich das Erzählen doch in den vorangehenden Artusromanen gerade als Wiedererzählen legitimiert. Beachtlich ist jedenfalls, dass eine schriftliche Vorlage nur mit Blick auf die Geschichte des Wigaloissohns relevant wird: dâ si geschriben hât ein man der ir im wol ze tihten gan, von der wälsche in diutsche zungen. mich hât von ir gedrungen mîn krankiu kunst und mîn sin; von ir ich sus gescheiden bin. swie kranker kunst ich doch sî, ich belîbe der âventiure bî[,]429 diuhte mîn werc die wîsen guot[.] (WG 11661ff.)

In unmittelbarem Anschluss verweist der Erzähler auf den Knappenbericht als Quelle für die eigene Erzählung.430 krankiu kunst und sin stehen hier abermals auffallend präsent mit der Thematik des Wiedererzählens und der Frage nach der rechten Form des Erzählens in Verbindung. In diesem Zusammenhang lässt sich mit Blick auf den Prolog ein den Text durchziehendes poetologisches Spiel erkennen, das um die Begriffe guot und sin kreist. Die Stellung des Kommentars

428 Vgl. dazu auf der Lake, Katrin: Wi(e)der die Tradition. 429 An dieser Stelle habe ich die Interpunktion der Ausgabe verändert: ich belîbe der aventiure bî. / diuhte mîn werc die wîsen guot / und vünde ich ein sô ringen muot / der mich dâ zuo beriete, / mîn zunge si verschriete / und begunde si wider lîmen / mit ganzen niuwen rîmen. 430 Vgl. dazu Schindler, Andrea: Der Schatten des Helden. Vorhandene und nicht vorhandene Knappen in mittelhochdeutschen Artusromanen. In: Burrichter, Brigitte / Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Aktuelle Tendenzen der Artusforschung, S. 71–83, hier S. 81 f., die den Knappen als Teil eines „narrativen Spiel[s]“ um Knappen- und Augenzeugenberichte beschreibt. Er werde zum „Medium zwischen der Handlung in der Erzählung und dem ‚textexternen Augenzeugen‘“ (Zitate S. 82).

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zwischen Rüstungsraub und nacktem Erwachen zeigt ihn dann als einen die Handlung kommentierenden, insofern über Besitz und Ansehen debattiert wird. Zusätzlich führt der Kommentar das im Prolog entworfene poetologische Spiel weiter und reflektiert damit das eigene Erzählverfahren. Der Raub der Rüstung bedeutet für Wigalois kämpferische Ohnmacht und Verlust der genealogischen und ritterlichen Identität. Die intertextuelle Auseinandersetzung im Erzählerkommentar mit Hartmanns Dialog mit Frau Minne legt schon nahe, dass die folgende Erwachensepisode sich vor der Folie von Iweins Erwachen versteht. Die Nähe der Episode zu Iweins Wahnsinn wurde in zahlreichen Forschungsbeiträgen registriert.431 Sie wird üblicherweise als eine Nachbildung von Iweins Erwachen aus dem Wahnsinn gedeutet.432 Die intertextuelle Anspielung auf den Text würde so indizieren, dass Wirnts Held ohne Krise auskommt und diese als Imitation nur eine veräußerlichte Variante zeigte.433 Mit dem Ausbleiben der Krise als klassischem Strukturelement sei ein Übergang markiert, der das klassische Erzählmodell aufbreche und so Raum für Umwertung schaffe.434 Indem sie

431 Anders Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 380 ff., die die Episode im Vergleich mit Tristans Ohnmacht nach dem Drachenkampf liest. 432 Vgl. Ringeler, Frank: Zur Konzeption der Protagonistenidentität im deutschen Artusroman um 1200, S. 215–220. Als Imitation diene diese Wiederholung der Distanzierung von Hartmanns Poetik hin zu einer „Poetik des Erinnerns“ (S. 220), die die Stellung des Romans innerhalb der Gattungstradition vordergründig mache. 433 Vgl. Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 150. Wigalois’ Identitätsverlust sei nur rein äußerliches Zitat, das keineswegs eine mit Hartmanns Iwein vergleichbare Identitätskrise vorführe, da aus Wigalois’ Zustand keine Erkenntnis resultiere. Vgl. auch Honemann, Volker: The Wigalois Narratives. In: Jackson, William Henry / Ranawake, Silvia (Hrsg.): The Arthur of the Germans. The Arthurian Legend in Medieval German and Dutch Literature. Cardiff 2000 (= Arthurian Literature in the Middle Ages 3), S. 142–154, hier S. 147: „[…] Wirnt was keen to include this Arthurian motif in his narrative but was unable to invest it with a proper function.“ Ohne Fokus auf die intertextuelle Anbindung an den Iwein hat Bolta, Eva: Die Chimäre als dialektische Denkfigur im Artusroman, S. 100 f. die Episode zuletzt vor dem Hintergrund mythischer Denkformen als „Initialereignis“ bestimmt, das einen neuen Abschnitt begründe, in den der Held im „amorph[en]“ Zustand übergehe. Dass Pfetans Wurf Wigalois an den Ort bringe, an dem das Fischerpaar ihm erst seine Rüstung stehlen kann, führte zur erneuten Versicherung seines Ritterstatus im Rahmen der nächsten Aventiurephase. 434 Zum Fehlen der Krise als Strukturelement des klassischen arthurischen Modells vgl. richtungsweisend Haug, Walter: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, S. 259–287 (Kap. XIV ‚Moral, Dämonie und Spiel. Der Übergang zum nachklassischen Artusroman‘). Anders Andersen Vinilandicus, Peter: Der Artushof im Wigalois, S. 158 ff., der für den Wigalois eine Krise im Zornausbruch des Helden im Kampf gegen Schaffilun postuliert: „Wigalois’ psychologische[s] Scheitern gegen Schaffilun“ zeige

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als wichtiges Strukturelement aber entfalle, werde die Episode zum „bloße[n] Hindernis auf dem Weg“ des Helden.435 INGEBORG HENDERSON legt in einem detaillierten Vergleich mit der Wahnsinnsepisode in Hartmanns Iwein dar, dass jedoch auch im Wigalois mit der Episode ein „Wendepunkt“ für den Helden markiert sei, der Wigalois verkehrtes Verhältnis zu Gott verändere, und der hinsichtlich der Bauprinzipien eine Zweiteilung herausstelle, innerhalb derer die Episode als „arithmetische Mitte“ und damit als „Zäsur“ fungiere.436 Ähnlich bewertet auch PETER KERN die „imitierte Krisensituation“ aus intertextueller Perspektive als „literarische Standortbestimmung“, um „[d]emonstrative und massive Hilfe Gottes“ als „das Neue“ des Artusromans zu präsentieren.437 Strukturell gesehen spiele sie, dann zwar „un rôle analogue à la crise“438, bliebe aber ihrem Status als Strukturzitat verhaftet.

als „einmalige[s] Versagen […] eines der konstituierenden Merkmale des klassischen Artusromans“ und sei daher, wenn auch undeutlich, eine Krise des Helden (S. 160). 435 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 49. 436 Vgl. Henderson, Ingeborg: Selbstentfremdung im Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Colloquia Germanica 13 (1980), S. 35–46, insbes. S. 36, 37, 41, 43 f. 437 Vgl. Kern, Peter: Die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition im Wigalois Wirnts von Grafenberg. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artusroman und Intertextualität. Gießen 1990, S. 73–83, hier S. 75 und 77. Anders als Henderson sieht Kern keine durch religiöses Fehlverhalten verursachte Zäsur, sondern eine „ungewöhnlich starke r e l i g i ö s e Bestimmtheit der Aventiure“ (S. 77, Herv. i. O.), die auf dem Gürtelverlust und der damit einhergehenden Erkenntnis beruhe, dass er nun noch mehr auf Gottes Hilfe angewiesen sei. Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 156 gilt der Gürtelverlust als Grund für die Ohnmacht überhaupt: „Um diesen Verlust so zu gestalten, dass er plausibel wirkt, war es, dies darf durchaus als eine weitere Erklärung für die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Ohnmacht des Protagonisten ins Feld geführt werden, unabdingbar, dass dieser sich in einem Zustand der Wehrlosigkeit befindet.“ Sein Vertrauen auf Gott, sei nun nicht weiterhin „durch den ‚magischen‘ Gegenstand gestört“, zudem macht er Gott selbst für den Verlust verantwortlich, da dieser das Fischerpaar zu Wigalois führe. Vgl. außerdem Dimpel, Friedrich Michael: Fort mit dem Zaubergürtel!, S. 33, der den Verlust des magischen Relikts als Reinigungsvorgang versteht. Borgnet, Guy: La ‚folie‘ de Wigalois, S. 223 hat den Gürtelverlust an dieser Stelle als eklatantes Krisenmerkmal verstanden: „Mais le fait qu’elle disparaisse lève toute ambiguïté“. Letztlich aber sei der Verlust als Absage an die magische Welt der Mutter zu verstehen. Ähnlich auch Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois, S. 112. Mit dem Gürtel streife Wigalois die Anbindung an Joramreich und Mutter gleichsam ab; ersetzt werde der Gürtel durch Gottvertrauen. Dagegen Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 151 f. 438 Borgnet, Guy: La ‚folie‘ de Wigalois. In: Études médiévales. Revue 5 (2003), S. 222–226, S. 225. Die hieraus resultierende Veränderung des Helden markiere dann den Schnittpunkt zweier Aventiurereihen. Wigalois avanciere zum Kreuzritter, dessen neue Rolle bestimmt sei von „[a]mour de Dieu et amour pour sa dame“.

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Im mehrfach in den einzelnen Forschungsbeiträgen hervorgehobenen Zusammenhang der intertextuellen Anspielung auf den Iwein lassen sich darüber hinaus Komik generierende Mechanismen aufzeigen, die über die bisherige Deutung hinaus gegenüber dem Hypotext ein Bedeutungspotential entfalten, das primär darauf angelegt ist, komische Brüche zu verursachen. Während die Forschung diverse Vergleiche der Erwachensmomente vorgenommen hat, soll nunmehr das Augenmerk auf hieraus resultierenden Mechanismen zur Erzeugung von Komik liegen und gefragt werden, ob die bereits wahrgenommenen Divergenzen Momente der Störung zeigen, die die Handlung in metonymischer Lesung als Unhandlung präsentieren. Die Episode um Wigalois’ Ohnmacht und Erwachen konstituiert ihre Komik maßgeblich aus ihrem intertextuellen Bezug zum Iwein Hartmanns von Aue. Die im Erzählerkommentar positionierte Anspielung auf den Dialog mit Frau Minne vereindeutigt dabei die folgenden Zitate und Anspielungen der Episode. Analog zur überleitenden Stellung von Hartmanns Dialog mit Frau Minne zwischen Anschuldigung und Wahnsinnsausbruch, steht der Dialog zwischen Wirnt und sin an der Schnittstelle von Fischerepisode und Erwachensmoment. Er leitet daher einerseits thematisch vom Rüstungsraub zum Erwachen über, hat darüber hinaus durch seine Stellung aber auch vorausdeutende Wirkung. Die Analogie zum Iwein fordert das Verständnis der Episode vor dem Hintergrund des Hypotextes damit ein und auch die in der Episode selbst folgenden intertextuellen Zitate und Anspielungen tragen substanziell dazu bei, die Verstehensfolie zu konkretisieren. Vor dem Horizont der mit dem Handlungsablauf ‚Identitätskrise‘ eingeführten Erwartungshaltung werden mehrfach Störungen geschaffen. Um zu zeigen, dass es sich hierbei um solche Störungen handelt, die sich als Teil eines Verfahren zur Erzeugung von Komik verstehen lassen, muss die folgende Analyse von der Frage angeleitet werden, wie die erzählte Handlung den Schein der gelingenden Handlung beibehält und sich gleichzeitig als scheiternde Handlung präsentiert. Die Folie für die misslungene Handlung liefern die an den gelungenen Handlungsvollzug gebundenen Momente von Iweins Erwachen aus dem Wahnsinn. Das Motiv mitsamt dem Handlungsablauf ‚Identitätskrise‘ ist erstmals im Iwein eingesetzt und konstituiert sich erst mit seinen Konstituenten literarischen Handlungswissens in nachfolgenden Realisierungen. Gleichwohl kann ein Blick auf andere Texte zeigen, dass spätere Varianten die schon im Iwein vorhandenen typisierten Regelmäßigkeiten aufnehmen und teilweise modifizieren. Das lässt Rückschlüsse für den Bewertungshorizont von gelungener und scheiternder Handlung zu. Wigalois liegt nach dem Drachenkampf und Raub ohnmächtig und völlig entblößt an einem See, als er sein Bewusstsein wiedererlangt. Sein Anblick kann ihm aber keine Gewissheit über seinen Status als Artusritter geben. Stattdessen bindet er seine erinnerte Identität an äußere Zeichen, die diese belegen

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würden, aber fehlen. Einzig die Tasche mit dem Brot, die er von Larie bekommen hatte, kann seine Erinnerungen bestätigen. Als Beleare ihn findet und ihm helfen will, flieht der Nackte zunächst vor der Dame, nimmt dann aber schließlich ihre Hilfe an. Die intertextuellen Zitate und Anspielungen auf den Iwein beziehen sich hier hauptsächlich auf das Moment des Erwachens. In Hartmanns Iwein verrittert sich der Held: Er versäumt die von Laudine gesetzte Jahresfrist und verliert durch die schulde (IW 3222), die durch den Treuebruch auf ihm lastet, vreude und den sin (IW 3215). Iwein hasst sich selbst (vgl. IW 3225 f.), seine riuwe (IW 3231) löst zorn unde ein tobesuht (IW 3233 f.) aus, sodass er sich schließlich die Kleidung vom Leib reißt und nacket nâch der wilde (IW 3238) rennt. Grund für seinen Wahnsinn und Auslöser für den Verlust von sin ist vrou minne (IW 3254), die an späterer Stelle als Vergiftung (vgl. IW 3403 f.) erklärt wird. Iweins Wildgewordenheit ist raumsemantisch mit dem Wald verschränkt. Der an hirnsühte (IW 3427) leidende tôre (IW 3260, 3268, 3295, 3320 f., 3347) ist vollends […] nacket beider, / der sinne unde der cleider (IW 3359 f.), weiterer Ausdruck seines Wahnsinns ist seine schwarze Körperfärbung (vgl. IW 3348 f.439; 3557; 3595). Chrétiens Yvain hingegen verliert seine Sprache (sans et parole [YV440 2775]441), auch ihn plagt Selbsthass (vgl. YV 2788), ihn überfällt ein torbeillons (YV 2804)442 und er entkleidet sich endlich. Und auch er hält sich als hon forsené et sauvage (YV 2828)443 im Wald auf. Anders als Hartmann begründet Chrétien das alles nicht weiter als implizit mit den Anschuldigungen Lunetes. Die minne als Auslöser wird von Chrétien nicht ins Spiel gebracht, erst Hartmann stilisiert seinen Helden zum Minnetoren. Ebenso hat die schwarze Körperfarbe Iweins im Yvain keine Entsprechung. Im Gegenteil ist sein nackter Körper Elfenbein gleich (vgl. YV 3020). Auch der wie Wigalois durch einen Drachenkampf in diese Lage geratene Artus ist im Le Chevalier du Papegau sprachlos (vgl. CDP § 58, Z. 17). Grund für seinen Zustand ist ein Lähmung verursachendes Drachengift (vgl. CDP § 57, Z. 3). Artus ist zwar auch bewusstlos und wird von einem Fischerehepaar seiner Rüstung beraubt, sein Zustand geht aber an keiner Stelle mit einer Infragestellung seiner Identität einher. Beim Erwachen fragt er schließlich nicht wer er sei, son-

439 Schnyder, Mireille: Kommentar zu Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hrsg. u. übers. v. Rüdiger Krohn. Kommentiert v. ders. Stuttgart 2012 (= RUB 19011), S. 491–564, hier S. 531 versteht den Vergleich des Körpers mit dem Mohr als Fremdheit. 440 Chrestien de Troyes: Yvain. Übers. u. eingel. v. Ilse Nolting-Hauff. München 1962 (= Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben). 441 In der Übersetzung der Ausgabe: „Wort und Sinn“ (S. 157). 442 In der Übersetzung der Ausgabe: „gewaltiger Wirbel i[m] Hirn“ (S. 147). 443 In der Übersetzung der Ausgabe: „als vernunftloser Wilder“ (S. 147).

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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dern ‚[…] ou suis je?‘ (CDP § 59, Z. 5)444 Zuvor schon wird sein Bewusstseinsverlust mit dem räumlichen Orientierungssinn parallelisiert: il […] est en tel douleur qu’il ne scet ou il est ne ne sent de soy nulle chose. (CDP § 57, Z. 5 f.)445 Der Rüstungsraub bleibt im Le Chevalier du Papegau für den Handlungsfortgang unbedeutend, er trägt handlungslogisch lediglich zur Auffindung Artus’ bei. Die Ausgangslagen, die den jeweiligen Erwachensmomenten vorausgehen, unterscheiden sich deutlich. Geht man wenigstens von einer gemeinsamen Vorlage für den Wigalois und den Le Chevalier du Papegau aus, scheint Wirnt sie kombiniert zu haben. Die im Le Chevalier du Papegau und mutmaßlich auch in dessen Vorlage vorhandene gestohlene Rüstung nimmt Wirnt zum Anlass, den nackten Wigalois mit dem wahnsinnigen Iwein in Bezug zu setzen. Darauf weist schon der der Episode vorausgehende Dialog mit dem sin hin, der als intertextueller Marker auch strukturell die Episode um Iweins Wahnsinn einleitend als Folie aufruft. Immense Diskrepanz besteht innerhalb der Texte hinsichtlich der Gründe für den jeweiligen Zustand des Helden. Im Gegensatz zu Yvain, der wortbrüchig und durch sein Fristversäumnis schuldig wird, und Iwein, bei dem die minne als basaler Auslöser verstärkend hinzutritt, und die sich beide eigenständig ihrer Kleidung entledigen, wird Wigalois seine Rüstung und Kleidung unwillentlich entwendet. Die Nacktheit wird, wie A NDREAS KRAß folgert, zum „Zeichen […] erlittenen Unrechts“446 anstelle von begangenem. Dass es eine Frau ist, die Wigalois entkleidet, hat KRAß als Steigerung der Demütigung verstanden.447 Letztlich bestätige die der Fischerin so offenbar werdende Schönheit bloß die „Epiphanie eines Vollkommenen“448. Figuriert die Fischersfrau aber tatsächlich die im Iwein die Krise auslösende Minne, wäre das Drachengift als Auslöser getilgt – Wigalois erhält gegen den Gestank des Drachenatems die Blüte aus Lars Anger – und durch die Fischersfrau ersetzt. Diese Lesart wird jedenfalls durch die Anspielung auf den Dialog mit Frau Minne abermalig bekräftigt. Die Divergenz, die sich in den Texten bzgl. der Entkleidung ergibt, ließe sich hieran anschließend auflösen, indem der Verlust der Kleidung in allen Fällen an die minne selbst gekoppelt würde, wenn Wigalois’ Entkleidung

444 In der Übersetzung der Ausgabe: „‚[…] où suis-je?‘“ (CDP § 59, S. 211) 445 In der Übersetzung der Ausgabe: „Il souffrait tant qu’il ne savait plus òu il se trouvait.“ (CDP § 57, S. 207) 446 Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel. Tübingen [u. a.] 2006 (= Bibliotheca Germanica 50), S. 223. 447 Vgl. Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 224. 448 Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 224.

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auch von außen vorgenommen wird.449 Die einen werfen ihre Kleidung wegen einer Frau ab, dem anderen wird sie im Kampf um – Wigalois kämpft schließlich um Laries Gunst gegen Pfetan450 – und sogleich von einer Frau entwendet. Im Zusammenhang mit der Schneider-Metapher, die im Rahmen der Beschreibung von Flories Kleidung steht, ließe sich selbständiges und fremdbewirktes Entkleiden wiederum poetologisch auf das Erzählverfahren beziehen: wand ez ist âne ir aller schaden swaz ich ûf si mac geladen von sîden und von borten und von gezierde, mit worten. (WG 859ff.)

Hier ist die Schneider-Metaphorik eingesetzt, um innerhalb der Reflexion des Beschriebenen die Figur Florie als eindeutiges Dichtungsprodukt auszustellen. Dass Wirnt bei der Beschreibung der Kleidung auf eben diese Metaphorik für sein poetologisches Schaffen zurückgreift und nicht, wie er das an den übrigen Stellen des Textes tut, auf eine handwerkliche Metaphorik des Zimmerers, verhandelt reflexiv die Prinzipien seines Verständnisses von künstlerischem Schaffen. Wenn nun dem selbstständigen Entkleiden ein fremdverursachtes gegenübergestellt wird, lässt sich das wiederum als Hinweis auf die Veräußerlichung der folgenden Identitätskrise verstehen.451 Auch die Fischersfrau lässt sich hier einordnen: Dass Yvain / Iwein sich verrittert und Wigalois geradewegs seine Rüstung gestohlen wird, zielt dann im Wigalois ebenso deutlich auf den Konflikt von minne und Ritterschaft, insofern die Frau dem Helden sein äußerliches ritterliches Attribut ‚Rüstung‘ stiehlt. Wo sich Yvain / Iwein verrittert und damit einen gravierenden Fehler begeht, verliert Wigalois bloß seine Rüstung. Verrittern und Rüstung als Symbole für die Ritterschaft im Konflikt von minne und Ritterschaft würden damit in beiden Fällen zum Auslöser für die Identitäts-

449 Vgl. dazu Ringeler, Frank: Zur Konzeption der Protagonistenidentität im deutschen Artusroman um 1200, S. 216, der die Ohnmacht wie den Verlust von Kleidung als „Folge[n] äußerlicher Einwirkung“ im Kontrast zu Iweins innerlicher Motivation versteht. 450 Die Vogelattribute, die bei der Beschreibung Pfetans eingesetzt werden (einen kamp hêt er als ein han [WG 5055]; ouch hêt er vil unsüeze / als ein grîfe vüeze [WG 5066 f.]; zwei schœniu vetiche hêt er / gelîch eins pfâwen gevider [WG 5069 f.]), wären als möglicher Nexus zur Schönheitspreisaventiure zu verstehen. 451 Vgl. Bendheim, Amelie: Wechselrahmen, S. 288 f., die in der Gegenüberstellung der beiden Episoden in Iwein und Wigalois ebenfalls die different gestalteten Eintrittsgründe und Entkleidungsmotivationen herausstellt und diese vor diesem Hintergrund der sich anders gestaltenden Krisensituation analysiert. Letztlich, so die These, verwiesen die Differenzen auf eine „Umkodierung“ (S. 291) von Wigaloisʼ Handlungsspielraum als Artusritter.

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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krise. Im Wigalois wird die ritterliche Identität des Helden jedenfalls an die Rüstung gebunden und damit veräußerlicht, im Iwein ist die Verbindung über den Helden selbst hergestellt. Wenn sie sich letztlich deutlich in ihrem Status unterscheiden, sind beide Momente Auslöser für die jeweilige Infragestellung der höfischen Identität. Wigalois’ Rüstung als Symbol für seine ritterliche Identität korrespondiert dann mit Iweins per se vorhandener Identität als Artusritter. Für diese Form der Devestitur hat KRAß für alle drei Romane zutreffend resümiert, dass die „Entkleidung den Eintritt in die Identitätskrise [markiert], die Einkleidung aber deren Überwindung“452 darstellt. Der dazwischenliegende Abschnitt der Nacktheit begrenze die Krisenphase. Da Wigalois jedoch gerade keine Identitätskrise durchlaufe, stehe der Verlust der Rüstung nur für den Verlust der „Möglichkeit zum ritterlichen Selbstschutz“.453 KRAß begreift die Rüstung der nachklassischen Artusritter als eine Art Panzer, der anders als diejenige des klassischen Artusritters nur als „vestimentäre Hülle“ anstelle einer „dritte[n] semiotische[n] Schicht“ fungiere.454 Hieran anschließend ließe sich die von KRAß als bloße Hülle verstandene Rüstung als Sinnbild für die veräußerlichte Krise verstehen, in welcher Wigalois nur seine Hülle verliert, nicht aber seine Identität. Die Bedeutung der Rüstung wird abermals durch die ausführliche Beschreibung der neuen Rüstung verstärkt, die Beleare Wigalois schenkt, nachdem er sich erholt hat; ohne diese fühlt er sich weiterhin nackt: [‚]ir seht wol ich bin nacket gar[‘] (WG 6056).455 Mit dem vorausgegangenen Identifikationsfortgang von Rüstung zu Zugehörigkeit zur Tafelrunde bildet die neue Rüstung als Abschluss der Episode zuletzt einen Rahmen. Jorel hatte sie darüber hinaus Moral für den zukünftigen Mann von Larie überlassen. Die Ausgangssituationen vor dem Erwachensmoment erscheinen in den jeweiligen Realisierungen des Motivs zunächst divergent, zeigen aber in ihren thematischen Konfigurationen Analogien auf. Nach dem Eintreten der Ohnmacht scheidet Wigalois, im Gegensatz zu Yvain / Iwein nach Eintritt des Wahnsinns, als aktiver Teilnehmer der Erzählung aus: „Wigalois disparaît du récit“456. In den Iweinromanen folgt nun das Auserzählen des Wahnsinns, das im Wigalois ersetzt ist durch die ausführlich erzählte Suche nach dem Helden, der nur als passiv Ohnmächtiger daran teilhat.457 Die besondere Art und Weise des Erzählens wurde für die Episode mehrfach benannt: Durch die strukturelle Analogie zu Iweins Wahnsinn scheint

452 453 454 455 456 457

Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 220. Vgl. Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 223. Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 133. So auch Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 137. Borgnet, Guy: La ‚folie‘ de Wigalois, S. 222. So auch Fasbender, Christoph: Gwigalois’ Bergung, S. 215.

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

sie einen Einschnitt zu markieren, gleichfalls wird ein „enormer erzählerischer Umweg“458 eingeschlagen, der sich auch durch eine Absenz des Erzählers auszeichnet. FUCHS hat das als „ungeheure Verkomplizierung“ des Handlungsgeschehens beschrieben und eine hiermit einhergehende „Fabulierlust“ festgestellt.459 Die auffällige Ausdehnung der erzählten Zeit, die FASBENDER als „erzählerische Entschleunigung“460 bezeichnet hat, erzeugt vielmehr eine immense Spannung in Hinblick auf den Fortgang der Handlung. Die Momente des Erwachens selbst sind ebenso konform wie zugleich divergent. Auslöser für Iweins Erwachen ist eine Salbe, die zum eigentlichen Auslöser für den selbstreflektierenden Vorgang wird, während Wigalois letztlich von dem Wasser, das ihm die Fischersfrau einflößt, erwacht. Prinzipiell ist Iwein nicht körperlich ohnmächtig, sondern psychisch. Seine Gesundung ist parallelisiert mit dem Erwachen aus dem Schlaf. Für den körperlich ohnmächtigen Wigalois indessen ist keine körperliche Ursache auszumachen, die ihn seine Identität nicht kennen lässt. Physisch entkräftet ist er ohnmächtig und damit auch seiner Sinne nicht mächtig; sobald er aber erwacht, ist er allenfalls orientierungslos.461 Chrétien bezeichnet Yvains Zustand zuletzt ausdrücklich als La rage et la melancolie (YV 3005)462, Iwein leidet an tobesuht (IW 3233) und hirnsühte (IW 3427), ist des lîbes ungesunden (IW 3628). Der psychischen Krankheit ist im Wigalois demnach eine rein physische Schwäche entgegengesetzt. Im ersten Moment des Erwachens fragt sich Wigalois, ähnlich wie auch Artus im Le Chevalier du Papegau zuallererst, wie er dar komen wære / gewandes alsô lære (WG 5798). Die lokal bedingte Orientierungslosigkeit erwächst aus dem Umstand des fremdverursachten Zustandes. Sowohl der Aufenthaltsort als auch die Nacktheit wurden von Wigalois nicht eigenmächtig gewählt und bewirkt. Ebenso wenig, wie er sich selbst entkleidet hat, wählt er den Wald als Ort der Besinnungslosigkeit, und dennoch entsprechen beide Umstände denjenigen Yvains und Iweins. Alle drei befinden sich im Naturraum Wald, Wigalois liegt vor dem Erwachen an einem See, den BORGNET plausibel als „symbole de régénérescence“463 gedeutet hat, denn das von der Fischersfrau eingeflößte Wasser aus dem See rettet Wigalois das Leben. Der Wald wird in seiner natürlich zerstörten Wildheit (eine grôze wilde [WG 5868]) explizit beschrieben:

458 Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 197. 459 Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 155. 460 Fasbender, Christoph: Gwigalois’ Bergung, S. 215. 461 So auch Selmayr, Pia: Der Lauf der Dinge, S. 102. 462 In der Übersetzung der Ausgabe: „die Tollheit und die Melancholie“ (S. 155). 463 Borgnet, Guy: La ‚folie‘ de Wigalois, S. 225.

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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dâ was dehein gevilde niwan berge unde tal, mit starken boumen über al bewahsen und vervallen. (WG 5869ff.)

Der Ort ist nur schwer durch Seeüberfahrt zu erreichen, während die wäldliche Wildnis im Iwein einer Landstraße nahe gelegen ist. Dementsprechend kann Iwein zufällig gefunden, nach Wigalois muss ausgiebig gesucht werden und ebenso kontrastiv zu Iweins schwarzem ist derjenige Wigalois’ wîz alsam ein snê (WG 5441).464 Beide Differenzen weisen auf eine bei Wigalois disponible Vitalität hin, die Iweins Verfassung diametral gegenübersteht. Bis auf sein verworrenes Haar zeigt Wigalois keine äußeren Anzeichen, die auf seinen inneren Zustand verweisen könnten. Im Widerspruch hierzu ist das Moment des Erwachens selbst dagegen für Iwein lokal verankert mit Lebendigkeit (walde [IW 3458]), die sogleich aber auch Wildnis und Ausweg bedeutet (bî der lantstrâze [IW 3366]). Wigalois hingegen lehnt an einem Morbidität ausstrahlenden dürren storren (WG 5795) innerhalb grôze[r] wilde. Am Ende bestimmt er seine Identität selbst räumlich: [‚]ich bin et sus ein armman und sol bûwen disen tan als mîn vater hât getân.‘ (WG 5834)

Wigalois richtet seine Identität nach seiner aktuellen Umgebung aus. Bar seiner Kleidung und eines Wappens, das ihn als einem Hof zugehörig ausweisen würde, gibt er sich dem hin, was ihn umgibt. Weil die Zeichen für die erinnerte Identität fehlen, ist er als rîter mittellos, was wiederum seiner erinnerten Genealogie widerspricht und er sich diese infolgedessen wieder abspricht: Der als bester Ritter erinnerte Vater Gawein muss einer gerade nicht über eine Geschichte definierten Vaterfigur weichen. Auch der Beginn des Monologs ist räumlich orientiert und wird mit einer Frage eingeleitet, die sich an den Aufenthaltsort richtet:465 dô er sich alsô nacket sach, wider sich selben er dô sprach ‚Gwîgâlois, mahtu mir sagen: waz wunders hât dich her getragen od wie stêt dîn dinc alsô?[‘] (WG 5800ff.)

464 So auch schon Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 224. 465 Jaeger, Achim: Ein jüdischer Artusritter. Studien zum jüdisch-deutschen Widuwilt (Artushof) und zum Wigalois des Wirnt von Gravenberc. Tübingen 2000 (= Conditio Judaica 32), S. 273 setzt beide Selbstgespräche in Beziehung: „Es ist bemerkenswert, daß kurz zuvor auch der Erzähler ein Selbstgespräch mit seinem ‚sin‘ führt […] und der Monolog des Protagonisten dieses Motiv auf der Handlungsebene sogleich wiederholt.“

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

Der im Iwein identisch lautende Vers wider sich selben er dô sprach (WG 5801 und IW466 3508) weckt die Erwartung, Wigalois erlebe sich in einem selbstentfremdeten Moment, wo Geschichte der Figur und Erscheinung nicht weiter zusammengehören. Iwein indes spricht sich selbst namentlich an, stellt zugleich aber seine mit dem Namen verbundene Identität infrage: ‚bistûz Îwein, ode wer?[‘] (IW 3509). Wigalois ist sich jedoch nicht selbst fremd,467 lediglich passt sein Äußeres nicht zu seiner Geschichte,468 an die er sich genau erinnert und die er als genealogische, aber dennoch der Vergangenheit angehörende Geschichte (Florie, Joram, Gawein) rekapituliert mitsamt seiner Aufgabe (Jorel, Larie), die ihn hergeführt hat.469 JAN-DIRK MÜLLER hat diesbezüglich pointiert formuliert: „[Er] erzählt sich selbst seine Geschichte.“470 Fremd ist ihm nur seine Erscheinung, die wilde (WG 5810) und ungehiure (WG 5831) ist. Im Moment des Erwachens zeigt zunächst die konjunktivische Form an, dass er genau weiß, dass er nicht wilde ist:471 ich bin gesetzet an disen boum / rehte als ich wilde sî. (WG 5809 f.) Erst nach der Rekapitulation seiner genealogischen Identität472 akzeptiert er seinen äußeren Zustand, die – im Präteritum – erinnerte Identität der Geschichte wird nichtig im Hinblick auf sein augenblickliches – nû – Äußeres: [‚]nû bin ich ungehiure. waz touc diu rede? si ist enwiht. Gwîgâlois heize ich niht; ich bin et sus ein armman[‘] (WG 5831ff.)

Für einen kurzen Moment gehören Figur und Geschichte nicht weiter zusammen; aus Erzählerperspektive heißt es anschließend:

466 Identisch ist der Vers in HS A; in HS B lautet er: wider sich selben er sprach. Vgl. für HS B die Ausgabe Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hrsg. u. übers. v. Rüdiger Krohn. Kommentiert v. Mireille Schnyder. Stuttgart 2012. 467 So auch Henderson, Ingeborg: Selbstentfremdung im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 40 in Bezug auf V. 5802 f.: „Wirnt [beläßt] seinem Helden die Gewißheit seiner selbst.“ 468 So auch Schnyder, Mireille: Ich-Geschichten, S. 83. 469 Vgl. WG 5814 ff. 470 Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200. In: Moos, Peter von (Hrsg.): Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft. Köln [u. a.] 2004, S. 297–323, S. 306. 471 So auch Schnyder, Mireille: Ich-Geschichten, S. 84; vgl. auch bei Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 306. Vorher bei Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 166. 472 Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 307 versteht diese als Gruppenzugehörigkeit, die den erinnerten Körper als einen „kollektiven Körper des Geschlechts“ erfasst und „Ich-Bewußtsein“ per se über Sippschaft herstellt.

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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Sus hêt er verzwîvelt gar daz sîner [ge]tæte iht wære wâr od daz er ie würde rîch, wan dem saz er ungelîch. (WG 5837ff.)

Der Eingangsvers des Monologs als intertextuelles Zitat ruft den Iwein als Folie für die metonymische Lesung der Episode auf, um in der Folge eine Reihe von Momenten der Störung zu produzieren. Die gegenüber der Folie vorgenommene Veränderung der Umgebung zeigt bereits kleinere Momente von Störung an: Die veränderten äußeren Bedingungen weisen nur jeweils kontrastiv auf den Iwein zurück: der über die lantstrâze geschaffenen Anbindung an den kulturellen Raum steht die Abgeschiedenheit der Wildnis gegenüber, der Frage nach der Person ‚bistûz Îwein, ode wer?[‘] steht die Frage nach dem Ort, der innerlich empfundenen Fremdheit steht die Assimilation der Umgebung gegenüber. Diese Störmomente werden im darauffolgenden Traumverdacht der Identität als solche vereindeutigt. Wigalois’ und Iweins troum-Zustand unterscheidet sich insofern deutlich, als für Wigalois das vorherige Leben ein Traum ist ([‚]allez mîn leben ist ein troum.[‘] [WG 5808]), wohingegen Iwein annimmt, ein Traum suggeriere ihm bloß ein vorheriges Leben als Ritter ([‚]mir hât mîn troum gegeben / ein vil harte rîchez leben.[‘] [IW 3513 f.]). Wigalois’ Traumverdacht hat einen anderen Status, der Leben und Traum in ihrer Bedeutung verschiebt. Wigalois erinnert sich genau und verlagert den Konflikt, der sich aus der Kenntnis seiner Geschichte und seinem augenblicklichen Zustand ergibt, in den Traum als Erklärungsvariante für seinen aktuellen Zustand. Iweins Geschichte hingegen erscheint diesem als Resultat eines Traums und ergibt sich nicht augenblicklich aus dem äußerlich geschaffenen Konflikt. Seine Krise resultiert aus einem inneren Konflikt, während diejenige Wigalois’ alleinig von seinem Äußeren her motiviert wird. Auch Iwein kennt seine Geschichte zwangsläufig, wenn er fragt ‚bistûz Îwein, ode wer?[‘], er muss notwendig etwas mit dem Namen Iwein verbinden, wenn er aufgrund der als Traum empfundenen Geschichte diese mit dem Namen Iwein in Verbindung bringt.473 Das, was Iwein dann zunächst rekapituliert, ist seine ritterliche Rollenidentität: Er war hoher Abstammung, schön, höfisch und klug, hatte im Kampf Tapferkeit gezeigt und Ruhm erworben, wurde Artusritter, hatte Gawein zum Freund, und hatte Hand und Land einer Dame erkämpft (vgl. IW 3517–3534). Wigalois’ genealogische Geschichte dagegen er-

473 Ähnlich Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 309: „Dazu gehört eine Vorstellung, was Iwein war: Iwein erinnert eine Geschichte dieses Iwein […], doch diese Geschichte erkennt er nicht ohne weiteres als die eigene […].“

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

scheint privater und ist an eine einzelne Figur gebunden. Die Prinzipien des Iwein’schen Selbstverlusts sind bei Wigalois verkehrt: Einerseits sind sie veräußerlicht, indem Wigalois nur seine äußerlichen ritterlichen Attribute abhandenkommen, andererseits wird die geträumte Geschichte privatisiert. Die „Einzelheiten des Monologs“ sind, wie CORMEAU urteilt, nicht „innerhalb des Themas unabhängig voneinander“474, sondern diametral gegeneinander montiert. Dennoch wird Iwein im Verlauf des Monologs wieder zum Ritter, Wigalois hingegen stetig weniger. HENDERSON hat den Einsatz des Traummotivs bei Wirnt als „bewußte[] Kontrastierung“ zur „Erzählbewegung“ im Iwein beurteilt: Wo es im Iwein einen Ausweg aufzeige, führe es im Wigalois zu „totalem Identitätsverlust“.475 Iwein sei ein Weg aus der Krise gewiesen, Wigalois hingegen gelange an den „Tiefpunkt seiner Existenz“, da er neben dem Verlust von guot und sin das Erleiden von gotes zorn (WG 5857) zu beklagen habe.476 Strukturell, darauf hat ROßNAGEL hingewiesen, zeichne sich die tiefe Krise im Ausruf ‚owê‘ (WG 5854) ab, der die exakte Romanmitte ausmacht.477 Im Gegensatz zu Iwein, dessen Erkenntnis von dem Objekt ‚Kleidung‘ angestoßen werde, stürze Wigalois die Tasche in noch tieferes Unglück.478 Diese Deutung verkennt aber ihre erinnernde Funktion, die ihm schließlich die vorher erinnerte genealogische Reihe bestätigt, an deren Ende Larie steht, für die Wigalois in den Kampf gezogen war, und für die er aber nun ohne Rüstung nicht weiterkämpfen kann. Diese Feststellung zwingt ihn letztlich dazu, sich seinen Namen und damit seine ritterliche Identität abzusprechen. Der Anblick der Tasche bestätigt ihm wiederum seinen Einsatz für Larie in materieller Form. PIA SELMAYR hat von einer „memorativen Semantisierung der Tasche und ihres Inhalts“ gesprochen, die so zum Symbol für Laries Minne werde.479 Er erkennt sich bei ihrem Anblick wieder und beklagt den Verlust der ritterlichen Attribute, die ihn dazu befähigen würden, die aventiure für ebendiese Dame zu begehen. Die Tasche als „Metonymie seines Ritterlebens“480, wie MÜLLER diese erfasst, lässt ihn also seine Geschichte erinnern. Erst im Anschluss kann er

474 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 114. 475 Vgl. Henderson, Ingeborg: Selbstentfremdung im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 40. Wieder bei Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 166. 476 Vgl. Henderson, Ingeborg: Selbstentfremdung im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 40. 477 Vgl. Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 166. Vorher auch bei Henderson, Ingeborg: Selbstentfremdung im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 37. 478 Vgl. Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 166. 479 Selmayr, Pia: Der Lauf der Dinge, S. 132. 480 Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse, S. 239. Müller verfolgt in seiner Analyse diverser Krisenmomente mittelhochdeutscher Literatur das Ziel, „ein vortheoretisches ‚narratives‘ Wissen [zu untersuchen], das darüber entscheidet, in welcher Hinsicht ein Mensch als ‚dieser Mensch‘ identifiziert wird, […] wie sich in volkssprachigen Texten um 1200 das

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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einen Verlust beklagen, da allein die Tasche seine erinnerte Geschichte materiell bestätigt: [‚]nu hân ich guot und sin verlorn[‘] (WG 5856). MÜLLER hat für das Verständnis von sin in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es hier keinesfalls ‚Verstand‘ bezeichnen könne, da Wigalois zu diesem Zeitpunkt den Zustand der Verwirrung bereits überwunden habe; vielmehr meine sin hier „das durch fehlendes guot momentan erschütterte Selbstbewußtsein“ des Ritters, dessen „materielle Basis […] defizient“ werde.481 Das ließe sich spezifizieren als ein an die Rüstung gebundener ‚Sinn‘, der dem Artusritter seine Wegrichtung vorgibt. Die schon im Prolog verhandelten Schlüsselbegriffe guot und sin, die dort in Bezug zur kunst stehen, sind hier erneut thematisiert. In Anlehnung an die Unterredung von Wirnt und sin würde der Verlust von guot – hier dann ebenso zu deuten als materia, womit die strikte Vorlagentreue verabschiedet würde – und sin – zu verstehen als die an diese materia gebundene Bedeutung – Raum für ein Erzählen schaffen, das beide Komponenten inhaltlich neu besetzt: für den Helden bedeutet das die Umbesetzung zum miles christianus.482 Damit wäre das arthurische Erzählen selbst in die Krise geführt, weniger sein Held. Der Ausruf ‚owê‘ zeigt dann zwar die Erkenntnis großen Unglücks an, das aber bezieht sich auf die mit den äußerlichen Insignien verlorene Identität und Kampfeskraft des Ritters und bezeugt damit sogleich die existenzielle Dimension der Situation. Die Kleider, die Iwein erblickt, verhelfen ihm zur Aneignung der eigenen Geschichte. Indem er sie anlegt, wird er „einem rîter glîch“ (IW 3596), nämlich demjenigen des Traums und ist wieder Artusritter. Mit der Kleidung legt er sich seine Geschichte an und verdeckt die schwarze Körperfärbung als Merkmal seines Wahnsinns. Iwein bedarf der äußeren Zeichen der Kleidung, um seine Identitätszweifel abzulegen.483 Gänzlich überwunden aber ist der Zustand erst an späterer Stelle (vgl. IW 3652 f.). Die Tasche hingegen bestätigt Wigalois zwar die rekapitulierte Geschichte, kann ihm aber nicht dazu verhelfen, sich diese anzueignen. ROßNAGEL schlussfolgert, dass es Wigalois, anders als Iwein, bei dem mit dem Ankleiden „scheinbare und reale Wirklichkeit zusammenfallen“, im

Wissen darüber, wer man ist, konstituiert, warum jemand daran in Zweifel gerät und aus welchen Gründen er sich dann doch als er selbst erkennt“ (S. 226). 481 Vgl. Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse, S. 239 f. 482 Vgl. dazu Standke, Matthias: Der Held im Wald der Stimmen, S. 351, der Wigaloisʼ Entwicklung bzw. Komplementierung vom „miles, miles christianus und rex christianus“ versteht. 483 Vgl. Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 311. Müller fasst als solche äußeren Zeichen von Gruppenzugehörigkeit „körperliche Gestalt, Kleidung, Bildzeichen wie Wappen“ (S. 226) auf.

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Selbstgespräch gerade nicht gelinge, die Diskrepanz von Scheinbarem und Realem zu überwinden; der Selbstfindungsprozess vollziehe sich erst auf der Burg von Beleare und Graf Moral. 484 Dieser Selbstfindungsprozess aber findet nur als Erinnern statt und verweigert dem Ritter dabei gezielt, sich die vorherige Geschichte wieder anzulegen; stattdessen wird Platz für ein neues Gewand des Helden gemacht. Das Motiv vom Leben als Traum, das hier aufgegriffen wird, ist erneut als kontrastive Auseinandersetzung mit dem Hypotext arrangiert. Nur vor der Folie des im Iwein dargestellten gelingenden Handlungsfortgangs der Selbstfindung zeigt sich die Selbstfindung für Wigalois gestört. Die dargestellte Handlung gibt über das Motiv vor, der Held finde zu sich und seiner Geschichte zurück – bewahrt also den Schein der Handlung –, zeigt aber eigentlich einen Helden, der seine Geschichte zwar erinnert, aber nicht wieder anlegt. Das Motiv evoziert die metonymische Lesart und präsentiert mit der dargestellten Handlung einen eminenten Bruch mit der eingeforderten Erwartungshaltung. Wigalois’ Einkleidung ist aufgeschoben zugunsten eines retardierenden Moments, das bis zur vollständigen Einkleidung und Wiederherstellung seiner Rüstung über ca. 350 Verse andauert. Dem nackten Wigalois kommt, wie auch Iwein, eine Dame zur Hilfe, die den Wiedererkennungsprozess erst auslöst. Die Frauenfiguren beider Texte übernehmen die Funktion, neben der Selbsterkenntnis der Figur auch das Erkennen von außen sicherzustellen. Im Wigalois aber bleibt das, wie bereits erwähnt, im Wesentlichen an Wigalois’ Rüstung gebunden. Abermals schafft Wirnt so im Handlungsverlauf Momente der Störung. Chrétiens Yvain führt anstelle des Erwachensmonologs die Bewusstwerdung des nackten Körpers an. Wie essentiell die äußere Individualität von äußerlichen Zeichen abhängig ist, verdeutlicht das Erkennensmoment: Vers l’ome nu, que eles voient, Cort et desçant l’une des trois, Mes mout le regarda, einçois Que rien nule sor lui veïst, Qui rʼnoistre li feïst; Si l’avoit ele tant veü, Que tost l’eüst reconeü, Se il fust de si riche ator, Come il avoit esté maint jor. (YV 2892ff.)485

484 Vgl. Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 166 f., Zitat S. 166. 485 In der Übersetzung der Ausgabe: „[…] doch mußte sie ihn lange betrachten, ehe sie etwas an ihm wahrnahm, woran sie ihn erkennen konnte. Dabei hatte sie ihn früher so oft gesehen,

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Dort schlussfolgert die Dame sogleich, sein unadeliges Benehmen, sich nackt zu zeigen, könne nur aus dem Verlust von Verstand erwachsen: Et savoir et veoir puet l’an, Qu’il n’est mie bien an son san ; Que ja voir ne li avenist, Que si vilmant se contenist, Se il n’eüst le san perdu. (YV 2929ff.)486

Anders lässt sich die Nacktheit scheinbar nicht erklären. Gleichermaßen nimmt Yvain seine Nacktheit beim Erwachen wahr: Mes nuz se voit come un ivoire, S’a grant honte, et plus grant eüst, Se il s’avanture seüst; Mes n’an set plus, que nuz se trueve. [...] Mes de sa char, que il voit nue, Est trespansez et esbaïz, Et dit, que morz est et traïz, S’einsi l’a trové ne veü Riens nule, qui l’et coneü. (YV 3020–3032)487

Yvains Scham für seinen nackten und zeichenlosen Körper ist enorm. Im Text bleibt jedoch uneindeutig, ob die Nacktheit oder das Fehlen sämtlicher identitätsstiftender Merkmale größeren Anlass zur Scham gibt. Hartmann hat die Koppelung von Körper, Kleidung und erinnerter Identität um den Namen ergänzt; nachdem die Dame Iwein erkannt hat, nennt sie seinen Namen (unde nande in zehant [IW 3382]). Dass die Scham über die Nacktheit groß ist, wird auch im Iwein überdeutlich herausgestellt; vom Erzähler wird das Geschehen als schämelîchiu schande (IW 3490) bezeichnet. Die Gedankenrede der Dame führt das fort:

daß sie ihn gleich erkannt hätte, wenn er so stattlich angetan gewesen wäre wie sonst immer.“ (YV S. 151) 486 In der Übersetzung der Ausgabe: „Es ist ganz offensichtlich, daß er nicht recht bei Sinnen ist, denn er würde sich wahrlich nie so unadlig betragen, wenn er nicht den Verstand verloren hätte.“ (YV S. 153) 487 In der Übersetzung der Ausgabe: „Doch sieht er sich nackt wie Elfenbein und schämt sich sehr, und er würde sich noch mehr schämen, wenn er wüßte, was ihm widerfahren ist. […] Doch ist er seiner Nacktheit wegen bestürzt und grübelt darüber nach und sagt sich, er sei verraten und verloren, wenn jemand, der ihn kenne, ihn so angetroffen und gesehen habe.“ (YV S. 157)

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si gedâhte ‚ob daz geschiht daz er kumt ze sinnen, und wirt er danne innen daz ich in nacket hân gesehen, sô ist mir übele geschehen: wan des schamt er sich sô sêre daz er mich nimmer mêre willeclîchen an gesiht.‘ (IW 3494ff.)

Es ziemt sich für einen Ritter nicht, sich nackt zu zeigen, vor allem aber schickt sich das nicht gegenüber Frauen. Das stellt Hartmanns Text deutlich heraus, indem das in der Vorlage aus der Erzählerperspektive geschilderte Schamgefühl des Helden im deutschen Text in der internen Fokalisierung der Dame wiedergegeben ist.488 Die Reintegration der Ritter verläuft deutlich voneinander abweichend: Wo Iwein nicht weiß, dass die Dame ihn nackt gesehen hat, wird Wigalois von Beleare regelrecht verfolgt und bloßgestellt.489 Beleare ist keineswegs darauf bedacht, den Helden vor der peinlichen Situation zu bewahren. Die Scham ist dann so groß, dass Wigalois trotz seines enorm geschwächten Körpers schnellstmöglich flüchtet (vgl. WG 5877–5882). Statt für ihn Kleidung zu deponieren, wie das die Dame im Iwein tut, verfolgt Beleare ihn im besten Wissen um sein Schamgefühl ([‚]ich sihe wol daz iu wê tuot / diu scham [und] iuwer armuot[‘] (WG 5890 f.).490 Dass sich Wigalois mehr für seine bloße Nacktheit als für seinen zeichenlosen Körper schämt, wird augenfällig, wenn er sich in eine Höhle verkriecht und beidiu mies unde gras / brach er vür sînen lîp. (WG 5919). Als er aus der Höhle vor Beleare tritt, die sîte kêrte er gegen ir dar, daz si dâ bî næme war daz im diu scham wê tet. (WG 5934ff.)

Beide Textstellen zeigen Versuche von Wigalois, seine Blöße zu bedecken und heben damit deutlich die Scham aufgrund der bloßen Nacktheit seines Körpers

488 Vgl. dazu PZ 167,21 ff., wo Parzival nach einem Bad nackt vor den Damen steht: man bôt ein badelachen dar: / des nam er vil kleine war. / sus kunder sich bî frouwen schemn / vor in wolt erz niht umbe nemn. Vgl. zu dieser Textstelle und allg. zu Scham Baisch, Martin: man bôt im ein badelachen dar: / des nam er vil kleine war (167,21 f.). Über Scham und Wahrnehmung in Wolframs Parzival. In: Greenfield, John (Hrsg.): Wahrnehmung im Parzival Wolframs von Eschenbach. Actas do colóquio internacional 15 e 16 de novembro de 2002. Porto 2004, S. 105–132. 489 So auch Borgnet, Guy: La ‚folie‘ de Wigalois, S. 223. 490 Anders Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois, S. 109, die von Rücksicht Beleares gegenüber Wigalois’ Schamgefühl spricht. Vgl. zur Scham in der Episode auch Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 411 ff., die Analogien zur Genesis herausstellt.

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heraus. Das, wofür er sich schämt, ist neben der Zeichenlosigkeit491 seines entkleideten Körpers offensichtlich auch seine Blöße, die er zu verdecken sucht. Die Scham resultiert gleichsam aus reiner körperlicher Entblößung und verlorener Zeichenträgerfunktion. Der Akzeptanz des Schamgefühls und der Wahrung des ritterlichen Status im Iwein setzt der Wigalois ein Widerspiel entgegen. Es scheint beinahe so, als entfalte die Nudität hier ihre eigene Situationskomik492. Die Schilderung der Verfolgung ist vergleichsweise ausführlich erzählt, nimmt sie doch mehr Raum ein als das Erwachensmoment. Beleares erster Impuls ist nicht, dem Nackten Kleidung zu geben, obschon sie einen Pelz dabeihat, den sie ihm am Ende gibt. Sie versichert ihm stattdessen, seine abhandengekommene Rüstung aufbewahrt zu haben (vgl. WG 5895 ff.). Das entspricht zwar der Bestätigung der an die Rüstung gebundenen Identität, mindert aber nicht die mit der Nacktheit verbundene Scham. Weil Wigalois schon vor der Einkleidung weiß, wer er ist, darf er sich aber standesgemäß nicht nackt zeigen. Erst als Beleare ihn an Larie erinnert, kann Wigalois seine Scham überwinden. In dem Moment, wo Beleare ihn als Dritte mit seiner Rüstung und seiner Aufgabe in Verbindung bringt, ist seine Identitätsdemenz überwunden: dô hêt er maht unde sin, / sô daz er sich wol versan. (WG 5968 f.) Die schon in den Iweinromanen vorhandene Schamhaftigkeit wird hier zu einer Szene burlesker Komik umkonturiert. Neben die Zeichenlosigkeit des nackten Körpers tritt das erotisch Reizvolle der Nacktheit, die besonders ausgedehnt erzählt wird. Anders als Yvain / Iwein, dessen Narbe als körperliches Erkennungszeichen fungiert, verfügt Wigalois über kein solches körperliches Merkmal, sondern wird allein mittels seiner Rüstung erkannt. Solange er sie nicht wiederhat, ist er als rîter nach wie vor nacket gar (WG 6056). Nach der Ohnmacht erhält er eine neue Rüstung, deren abermals detaillierte Beschreibung den Bogen zurück zur ersten Beschreibung spannt. Seinen neuen Zeichenträger kombiniert Wigalois mit Helm, Schild und Waffenrock der alten Rüstung. Die Rüstung zeigt eine Veränderung an, die an Vorheriges anschließt und es mit Neuem kombiniert. Über die heraldischen Zeichen – der Helm mit dem rade guldîn (WG 6148), seine Zugehörigkeit zur Tafel491 Vgl. Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 311, der den nackten Körper als defizitär beschreibt, weil er als „Zeichenträger“ im Zustand der Nacktheit funktionslos ist: „Ob er Wigalois ist, hängt von der sichtbaren körperlichen Realität ab“ (S. 308). 492 Situationskomik meint an dieser Stelle eine Steigerung der ohnehin schon wirkenden Komik, die aus der kontrastiven Textgestalt entsteht. Ein vermehrt weibliches Publikum versteht die Verfolgung des nackten Helden durch Beleare als erotisch konnotiert. Der flüchtende und stolpernde Nackte entspräche so nicht nur nicht seinem eigenen Status als Ritter, sondern zeigte sich überdies gänzlich entblößt gegenüber einer Frau. Das wird in beiden Iweinromanen als unschicklich betrachtet. Vgl. zur These des weiblichen Publikums mit Rekurs auf Mertens und Bumke Brunner, Horst: Hie ist diu aventiure geholt – / wa ist nu der minne solt?, S. 64.

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runde (vgl. WG 6160 ff.) und der zerschlissene Waffenrock sîner vrouwen êre (WG 6172; hier ist Ginover gemeint, vgl. 1832 ff.) – wird das Artusritterum in das nun folgende Gottesrittertum integriert. Wigalois aber bleibt eindeutig weiterhin Artusritter und geht nicht als vollkommen Veränderter aus der ‚Un-Krise‘ hervor. Handlung, Wissen von Handlung und die Komik der Identitätskrise Für das Motiv der Identitätskrise können wie auch für dasjenige des Schönheitspreises typisierte Handlungsparameter aus unterschiedlichen Realisierungen desselben Motivs abgeleitet werden, die das literarische Handlungswissen des Motivs einfassen. HENDERSON hat für das Erwachen selbst ein Schema extrahiert, das beiden Episoden zu eigen sei; sie benennt insgesamt fünf Aspekte: (1) Aufrichten und Gewahrwerden der äußeren Disposition; (2) Selbstgespräch mit Wahrnehmung vorangegangener Lebensstationen als Traum: Herkunft, Artuswelt, Gawein, Minnepartnerin; (3) Versuch, Einklang von Zustand und rekapitulierten Stationen herzustellen; (4) Gegenstand entdecken; (5) Effekt des Gegenstands.493 Auch KERN benennt schon die gemeinsam Elemente, die im Iwein und Wigalois vorkommen: „Nacktheit und Besinnungslosigkeit, Erwachen und Bewußtseinsirritation, Traumverdacht, drohender Identitätsverlust und allmähliche Selbstvergewisserung“494. Diese von HENDERSON und KERN benannten Aspekte lassen sich ebenso als Teil der typisierten Regelmäßigkeiten in wiederholten Handlungsabläufen ableiten.495 Das Motiv ‚Identitätskrise‘ ist zwar in den Iweinromanen erstmalig vorhanden und erfährt im Wigalois seine früheste Wiederholung, dessen ungeachtet aber kann der Blick auf chronologisch spätere Texte zeigen, dass dem Motiv ein bestimmtes Handlungswissen inhärent und zugehörig ist, das sich durchweg in den Varianten verfestigt. HENDERSON und KERN sparen die Ursachen sowie die endgültige Überwindung des Zustands in ihren Schemata aus. Für ein Muster literarischen Handlungswissens

493 Vgl. Henderson, Ingeborg: Selbstentfremdung im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 39. 494 Kern, Peter: Die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 75. 495 Vgl. auch Matejovski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt a. M. 1996 (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1213), S. 149 f., der in der Gegenüberstellung der Episoden beider Texte eine „dekonstruierte[] Form“ bei Wirnt erkennt, die den „generelle[n] Motivkontext“ beibehalte. Wigalois’ Zustand nähere sich zunächst dem bekämpften Objekt ungehuire (WG 5022 [Pfetan], 5831 [Wigalois]) an, und werde nicht durch Selbstreflexion überwunden, sondern durch die vom Objekt ‚Tasche‘ ausgelöste Erinnerung an Larie. Iweins Minnekrise und seine Erkenntnis qua Selbstreflexion seien hier verdinglicht und damit dekonstruiert.

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ließen sich hieran anschließend ganz ähnliche Parameter deduzieren, die konstitutiv für das Motiv sind: Zunächst ist die Ursache für die Zweifelhaftigkeit der Identität ebenfalls in den Katalog typisierter Regelmäßigkeiten aufzunehmen. Sowohl in den Iweinromanen als auch im Wigalois konnte hierfür die minne als Auslöser eruiert werden. Außerdem von Belang ist die lokale Verortung der Identitätskrise. Der Nudität geht ferner eine bestimmte Form der Entkleidung voraus, die schließlich Voraussetzung für das Erwachen und das Gewahrwerden des Zustands ist. Wiederkehrende Elemente sind hiernach die namentliche Selbstansprache und der Traumverdacht mitsamt Rekapitulation der eigenen Geschichte. Zuletzt resultiert hieraus eine Diskrepanz von äußerem Zustand und erinnerter Geschichte, die durch einen Gegenstand verstärkt oder gemildert wird und der die Überwindung des Zustandes mitbedingt. Hartmann hat gegenüber Chrétien wesentliche Erweiterungen vorgenommen und schon Wirnt variiert das an das Motiv gebundene Handlungsmuster. Gleichwohl zeigt der Blick auf Umsetzungen des Motivs in anderen Texten, dass die als konstitutive Merkmale herausgestellten Aspekte auch in den späteren Varianten vorhanden sind. In Diu Crône bspw. befindet sich Gawein in einem Zustand ane sinne (vgl. CR496 8640), in den er durch einen Zaubertrank (posavn CR 8638) gerät, dessen Gabe Amurfina, die minne höchstpersönlich also, veranlasst. Die Wirkung des Tranks wird mit der Wirkmacht von Vrowen Minnen (CR 8637) verschränkt. Es bewirkt, so heißt es explizit, Er muost minnen oder den tot Da von zehant kiesen Oder den sin da von verliesen: Der dreir muost einz wesen. (CR 8654ff.)

Letztendlich entfalten beide möglichen Wirkungen ihre Kraft, minne und Gedächtnisverlust gehen eine Verbindung ein: Er gwan ir minne vnd vlos den sin. (CR 8689; vgl. außerdem 8833 f.) Der Trank lässt Gawein alles vergessen, er erinnert sich weder an seinen Namen noch an seine Identität: Er het sein so vergezen gar, Daz er sein eigenen nam Weder bechant noch vernam Noch enwest, wer er selbe was. (CR 8673ff.)

496 Heinrich von dem Türlin: Die Krone (Verse 1–12281). Nach der Handschrift 2779 der Österreichischen Nationalbibliothek nach Vorarbeiten von Alfred Ebenbauer, Klaus Zatloukal und Horst P. Pütz. Hrsg. v. Fritz Peter Knapp und Manuela Niesner. Tübingen 2000 (= ATB 112); Heinrich von dem Türlin: Die Krone (Verse 12281–30042). Nach der Handschrift Cod. Pal. germ. 374 der Universitätsbibliothek Heidelberg nach Vorarbeiten von Fritz Peter Knapp und Klaus Zatloukal. Hrsg. v. Alfred Ebenbauer und Florian Kragl. Tübingen 2005 (= ATB 118).

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Gawein verligt sich bei Amurfina (Bei der vrowen verlegen [CR 8731]) und wird sesshaft zum wirt (CR 8734). Seine Erinnerung wird ebenfalls von einem Gegenstand angeregt, dem in Schrift und Bild der Kampf zwischen Gawein und Laniure eingraviert ist. Gaweins Selbsterkenntnis erfolgt schließlich im Betrachten der abgebildeten Geschichte und deren Verknüpfung mit seinem Namen. Er rekapituliert seine Taten, die er des Traumes verdächtigt (Ob ez mir niht getrovmet ist [CR 8977]) und führt einen Monolog, der von einer an sich selbst gerichteten Frage nach der eigenen Identität eingeleitet wird: Also sprach er wider sich: ‚Wie heiz ich, oder wer bin ich, Oder wannen bin ich chomen her? Nv bechent mich doch eteswer, Der mich e gesehen hat.[‘] (CR 8980ff.)

Im Erwachensmoment sticht er sich mit einem Messer in die eigene Hand, wird sich hierdurch seiner selbst gewahr, rüstet sich und zieht weiter zur Assilesaventiure. Konstitutive Momente, wie die Minne als Ursache, die nach der Identität fragende Selbstansprache mit starker Verquickung von Name und ritterlicher Identität sowie Traumverdacht der eigenen Geschichte treten in der Crône ebenfalls in Erscheinung. Auch Aspekte wie das von einem Gegenstand angestoßene Erinnern und das Anlegen der Kleidung als finales Element der Rückgewinnung von Identität, sind als Elemente in der Variation des Motivs vorhanden. Das zeugt davon, dass sie fest zum Repertoire des Motivs gehören. Der gattungsübergreifende Einsatz des Motivs kann dies auch belegen. Im Wolfdietrich verzaubert die rauhe Else Wolfdietrich (das er wart vil tŏber [WD D497 515,2]) und beraubt ihn anschließend seiner kämpferischen Attribute Schwert und Pferd, weil er sich ihrer Hand und Land verweigert. Als er aus dem Zauber erwacht (daz er kam zů sinnen [WD D 515,4]) und den Verlust der essentiellen Attribute bemerkt, macht er sich zur rauhen Else auf, um sie zurückzufordern. Diese, erbost darüber, dass Wolfdietrich sie noch immer nicht minen (WD D 519,1) will, belegt ihn erneut mit einem Zauber, der zunächst Schlaf bewirkt und ihn erneut tŏber (Er ging dort also tŏber [WD D 547,1]) macht; außerdem schert sie ihn kahl, sodass er vnsinnig vnd vṅwise […] in dem tan (WD D 522,3) haust. Gott ermahnt sie, Wolfdietrich zu entzaubern, woraufhin er seine kraft

497 Ortnit und Wolfdietrich D. Kritischer Text nach Ms. Carm. 2 der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Hrsg. v. Walter Kofler. Stuttgart 2001. In den Redaktionen B und H ist die Wirkung des Zaubers unkonkreter: davon sich Wolfdietreich nicht gar wol versan. (B312,2) bzw. do von sich Wolffdietreich nit mer wol besan. (H321,2) (Wolfdietrich B. Paralleledition der Redaktionen B/K und H. Hrsg. v. Walter Kofler. Stuttgart 2008).

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(WD D 547,3) zurückerlangt. Schwert und Pferd gewinnt er jedoch erst zurück, als er sie minnet und schließlich heiratet (vgl. WD D 554,1 f.), nachdem sich Else in die schöne Sigeminne zurückverwandelt und Wolfdietrich seine vormalige schöne Gestalt zurückerlangt hat. Die Redaktion D zeigt in diesem Zusammenhang einen Zwiespalt auf, der den Redaktionen B und H fehlt. Dieser besteht zwischen den Optionen Wolfdietrichs, sich seines Lebens mit Else dort anzunehmen und seinem vorherigen Leben (vgl. WD D 548,3–552,4). Eine Identität, die es zu verlieren gäbe, hat Wolfdietrich laut MÜLLER allerdings nicht.498 Der Entzug von Schwert, Pferd und Kraft ähnelt jedoch demjenigen von Kleidung und Rüstung, insofern mit dem Verlust ein Zustand der „Nicht-Existenz“499 einhergeht. Verursacht wird der Zustand, ähnlich dem Gaweins in Diu Crône, von einem Zauber, der in unmittelbarem Zusammenhang mit minne steht. Wolfdietrich wird jedoch gleich zwei Mal entzaubert: Beim ersten Erwachen bemerkt er den Verlust von Schwert und Pferd, beim nächsten nimmt er seinen kahlgeschorenen Körper wahr. Das Fehlen der zum Kampf notwendigen Dinge und die äußerliche Entstellung verweisen auch hier auf die existenzielle Veränderung. Selbstansprache und Traumverdacht fehlen, dennoch scheint in dem Dilemma nach dem zweiten Erwachen eine Art Rekapitulation der eigenen Geschichte auf. Eine wahrzunehmende Diskrepanz von Äußerem und Innerem wird, wenn überhaupt, nur veräußerlicht geboten, wenn beide sich in schöne Gestalten (rück)verwandeln. Gleichwohl zeigt auch die gattungsübergreifende Variante mehrere konstitutive Elemente auf und stützt damit die Hypothese von typisierten Regelmäßigkeiten, die dem Motiv inhärent sind und Handlungswissen bedingen. Daneben weist auch der im Prosa-Lancelot geschilderte Wahnsinn Lancelots wiederkehrend verschiedene konstitutive Elemente auf.500 Auslöser des ersten Anfalls von Wahnsinn ist Lancelots Trübsal über seine Situation in Gefangenschaft. Lancelot wiedder ißt noch trincket (PL I S. 1248,28), wovon ihm [d]as heubt begunde […] ytel zu werden, beide von gedencken und von ruwen und von dem das er der spise nit nůczet (PL I S. 1248,29 ff.). Sein wahnsinniger Zustand ist dominiert von tobsüchtigem Verhalten und Raserei, von einer Veränderung seines Äußeren wird nicht explizit berichtet (vgl. PL I S. 1248,31 ff.). Dennoch heißt

498 Vgl. Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 300 f. 499 Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 300. 500 Matejovski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, S. 156 hat für die Verwendung des Motivs im Prosa-Lancelot eine „hyperbolische Überbietung“ festgestellt. Das Schema des Iwein werde „quasi elliptisch […] zitiert“ (S. 158), indem die bekannte Motivik von „Minneleid, Flucht vor der Gesellschaft, Verwilderung, Angriffslust und wunderbarer Heilung“ (S. 159) gerade im dritten Wahnsinnsanfall aufgegriffen werde.

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es bei der Genesung Lancelot het syn sterck wiedder und sin farwe und was so schön worden (PL I S. 1264,1 f.; vgl. auch PL I S. 1262,14 f.). Vergleichbar ist sein Zustand in Gefangenschaft mit der Beraubung ritterlicher Attribute und Kampfeskraft. Bei seiner Gefangennahme nimmt man ihm ebenfalls Rüstung, Helm und Schwert ab (vgl. PL I S. 1242,24 ff.). In der Folge ist sein Verstand nur noch in den Momenten klar, wo er sich den Schild der Frau vom See umhängt. Dennoch gesundet er trotz Freilassung und in Ginovers Obhut nicht. Erst die Frau vom See vermag ihn mit einer Salbe, mit der sie ihm den Kopf salbt, vollends zu heilen (vgl. PL I S. 1258,6 ff.). Die Salbe hat eine beruhigende Wirkung, Lancelot schläft lange, badet und rüstet sich zuletzt zum Kampf. Genesen erinnert er sich nicht an die Geschehnisse während seines Wahnsinns, die Anwesenheit der Frau vom See hält er für einen Traum: ‚Mich ducht wie das ich sie sehe‘, sprach er, ‚ich wonde aber das mirs getreumet were.‘ (PL I S. 1262,23 f.) Einen weiteren Wahnsinnsausbruch erleidet Lancelot durch einen vom Zaubertrank Morganes ausgelösten Traum, in dem Ginover Lancelot zurückweist und ihm einen anderen Ritter vorzieht. Der schalckhafft traum (PL II S. 300,27) macht ihn glauben, Ginovers Schmähe sei real, woraufhin Lancelot großer Liebeskummer plagt (vgl. PL II S. 306,18 ff.). Hinzu kommt Morganes Verbot, sich dem Artushof zu nähern. Wieder verweigert er sich der Nahrungsaufnahme und wird wahnsinnig: er sere krancken begund an dem libe, und das heubt begund im iteln von wachen und von vasten, so das er begund rasen (PL II S. 306,35 ff.). Nur mit einem Hemd bekleidet und mit seinem Schwert in der Hand springt er aus dem Fenster, rennt dobesuchtig (PL II S. 308,9) davon und hält sich ußer sinnen, nacket und barfuß […] in eim wald (PL II S. 312,11 ff.) auf. Sein Äußeres ist „so sere zu ungereche und verkert an dem libe“ (PL II S. 312,13 f.), dass die Frau vom See ihn nur anhand eines Rings erkennt. Zur Genesung gehört auch hier die Wiederherstellung seines Äußeren: […] das er wol genesen was und das er sin farbe wiedder gewann und sin schöne. (PL II S. 312,18 f.) Ursache für einen weiteren Wahnsinnsausbruch ist ein minne-Vergehen gegenüber Ginover.501 Lancelot wird getäuscht und begnügt sich im Beisein von Ginover mit Pelles’ Tochter. zornig und betrubt (PL IV S. 624,20 f.), in flagranti ertappt und daher bar seiner Kleidung (barfuß und in eim hemd [PL IV S. 628,14]; nacket [PL IV S. 666,22]),

501 Matejovski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, S. 161 konstatiert Abwandlungen und Auffächerungen „bekannter Szenenmuster“ im Hinblick auf soziale Interaktionsmechanismen, die ein verändertes Interesse am Motiv zeigten: „Lancelots Wahnsinn führt ihn anfänglich in Verwilderung und Wildnis, doch das Hauptinteresse des Erzählers gilt den ‚Kulturkontakten‘ des Wahnsinnigen.“ (S. 165) Hieraus folgert er: „Anders als im Iwein wird der Wahnsinn nicht der Wildnis als Handlungsort zugeordnet, sondern dem Bereich der Zivilisation.“ (S. 177) .

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zudem lebensmüde, ging er inn den walt allweynende (PL IV S. 626,6) und hält sich dort an das fremdst und wildest ende (PL IV S. 626,9) auf. Erst im Laufe dieses Aufenthalts verliert er syn synne (PL IV S. 626,13) und seine Körperfarbe wird von der Sonne dunkel gefärbt, sodass er kaum noch als Lancelot zu erkennen ist. Ähnlich dem Wigalois unterbricht die Erzählung an der Stelle, es folgt zunächst die zwei Jahre andauernde und von 32 Rittern ausgerichtete Suche nach dem Helden. Bliens erkennt ihn und ihm gelingt es, den in tiefen Schlaf gefallenen Lancelot einzufangen. Schließlich kleidet er ihn mit kostlich cleyder (PL IV S. 672,28) ein mit der Konsequenz, dass [e]r beßsert sich gar sere und kam ettlicher maß wiedder zu syner sterck und schonheit. (PL IV S. 672,31 f.) Dennoch ist Lancelot nicht geheilt. Abermals tief schlafend wird er zum Heilgen Gral gebracht, der ihn zu heilen vermag. Im Moment des Erwachens fragt er sich zwar, wie er da hien komen were (PL IV S. 688,25), erkennt seine Umgebung aber sofort, weil er einst dort gewesen ist. Er erinnert sich an seine Geschichte, nur an die Zeit, in der er von Sinnen war, ist ihm nicht mehr zugänglich. Eine Diskrepanz von äußerer Erscheinung und eigentlicher Gesinnung ist gegeben, wird aber von Lancelot anders wahrgenommen. Nachdem Pelles ihm seinen Zustand beschrieben hat, ist Lancelot zutiefst beschämt: Als der konig die rede erzalt hatt, da hub Lancelot an heiß zu weynen uß grund syns herczen, er neygt das heubt zur erden und ward so sere betrubt und zornig das er nit wust was er sagen oder thun solt. [...] ‚Herre‘, sprach Lancelot, ‚meynent ir das uwer gesinde keyns micht gekant hab?‘ [...] ‚das gefelt mir wol, und mir ist großere gescheen das ich also inn unsynn und armut nit bekant bin worden.[‘] (PL IV S. 692,2 ff.)

An keiner Stelle aber ist seine Identität infrage gestellt. Vielmehr wird sie im Gegenteil von der großen Scham bestärkt. Nur weil er sich seiner selbst sicher ist, kann er sich schämen. Einen Erinnerung auslösenden Gegenstand braucht es nicht, Lancelot kennt seine Geschichte. Der Prosa-Lancelot setzt das Gros der Elemente ein, die im Iwein erstmals entworfen sind und in den folgenden Romanen einmontiert werden. Sie verteilen sich hier gleichwohl auf drei Ausbrüche von Wahnsinn, dennoch variieren sie gerade auf diese Weise mögliche Konstellationen des Handlungsablaufs ‚Identitätskrise‘. Für zwei der Ausbrüche von Wahnsinn ist minne die Ursache. Im anderen Fall geht der Wahnsinn – recht unspezifisch – mit dem Verlust von Rüstung und Kampfeskraft in der Gefangenschaft einher. Nackt bzw. bar seiner Rüstung ist Lancelot fortwährend; auch hier ist die Entkleidung Merkmal der Besinnungslosigkeit, eine Veränderung seines Äußeren ist implizit gegeben und in einem Fall explizit anhand der dunklen Körperfärbung sichtbar. Der identitätsferne Zustand steht überwiegend räumlich mit dem ‚Wald‘ in Verbindung. Das Erwachensmoment mit Selbstansprache fehlt, das Traummotiv aber ist verändert enthalten, in-

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sofern der Traumverdacht verkehrt ist und ein für Realität gehaltener Traum zum Auslöser für den identitätsfremden Zustand wird. Lancelot aber ist aggressiv und gewalttätig, der Wahnsinn gleicht generell mehr einer Form von Tobsucht als einer Amnesie. Am Ende geht mit der Einkleidung Heilung einher, wenn die Einkleidung hier auch mehr die Überwindung der Krankheit markiert als sie direkte heilende Wirkung hat.502 Der Prosa-Lancelot bekräftigt die konstitutiven Momente literarischen Handlungswissens, die für den Handlungsablauf ‚Identitätskrise‘ herausgestellt werden konnten. Zusammengenommen affirmieren die drei Texte einerseits die herausgefilterten, einzelnen konstitutiven Elemente, andererseits legen sie simultan dar, dass die Handlung ‚Identitätskrise‘ Teil literarischen Handlungswissens ist, das die Texte selbst mit konstituieren, das aber zugleich früh eigenständige Handlungsparameter herausbildet. Diese werden so weiter modifiziert, in ihren Grundkonstituenten bleiben sie aber bestehen. Das wiederholte Erzählen des Handlungsablaufs ‚Identitätskrise‘, das belegen seine unterschiedlichen Realisierungen, weist typisierte Regelmäßigkeiten auf und bestätigt den vorab entworfenen Katalog von Elementen, die für das Motiv konstitutiv sind. Der Wigalois macht sich mittels intertextueller Anspielungen und Zitate den Iwein, und damit sogleich auch den Yvain zur Folie. Gleichwohl lassen die im Vergleich mit dem Le Chevalier du Papegau in Erscheinung tretenden Analogien den Rückschluss zu, dass Wirnt dabei auch auf einen wohl mit beiden Romanen verwandten Text Bezug nimmt. Die Ohnmachtsepisode im Wigalois greift alle auch im Iwein vorhandenen konstitutiven Elemente auf, bricht aber entschieden mit deren Sinnangeboten. Bspw. ersetzt Wirnt die einen gesellschaftlichen Konflikt bedingende Minneverbindung von Iwein und Laudine, die schließlich Ursache für Iweins Identitätskrise ist und das äußere Zeichen der Entkleidung einfordert, durch den von der plumpen Fischersfrau begangenen Rüstungsraub. Das Äquivalent nimmt der folgenden Situation für den Helden die gesellschaftskonfliktträchtige Relevanz und fordert damit ein Erwachen unter veränderten Bedingungen heraus. Dass die Fischersfrau ein Störelement ist, das die Handlung zur Unhandlung werden lässt, kann der Blick auf die anderen Varianten des Handlungsablaufs ‚Identitätskrise‘ zeigen. Alle Umsetzungen belegen die in Verbindung mit einer Frau stehende minne als Auslöser für den Identitätsverlust. Eine solche Ursache ist mit der Fischersfrau nur personifiziert, aber als tatsächlicher Auslöser nicht vorhanden. Dass das im Wigalois aber einen Bruch erzeugt, legt erst die metonymische Lesart offen: Die Fischersfrau wird zu einem Moment

502 Dagegen Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois, S. 110, die meint, Wigalois finde erst im Gebet vollends zu sich; das „Motiv der Wundheilung“ sei hier Teil der religiösen Dimension des zweiten Romanteils.

4.3 Ohnmacht (o)der Krise

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von Störung, das letztlich das Scheitern der Handlung ‚Identitätskrise‘ mitbedingt, weil mit ihr der im Iwein aus der Konfliktsituation erwachsende Konflikt negiert und damit als Auslöser nichtig wird. In Hinblick auf das Erwachensmoment bewertet FUCHS „[d]ie Zitierung von Motiven, Konstellationen und Handlungsmustern aus der höfischen Literaturtradition [als] beliebig, da diese keinen Sinn mehr konstituieren.“503 Betrachtet man die Episode um Wigalois’ Identitätszweifel nun innerhalb der skizzierten Handlungsverlaufsparameter, zeigt sich, dass Handlungsmuster nicht bloß zitiert, sondern vielmehr konstrastiv variiert sind und Momente von Störung evozieren. ROßNAGEL hat von einer „augenfällige[n] Kontrastierung zu Hartmanns Werk“ gesprochen, die bis ans Ende „bewußt konträr“ angelegt sei und den Iwein damit zur „Kontrastfolie, vor welcher das Scheitern Wigalois’ nur umso auffälliger hervortr[ete]“, mache.504 Darunter versteht er aber gleichwohl ein Versagen seitens Wigalois gegenüber der gelungenen Selbstfindung Iweins und meint nicht ein Scheitern von Handlung, das vor dem Hintergrund der eigentlichen Handlungsintention Komik erzeugt. Schon CORMEAU hat für den Einsatz des Krisenmotivs bei Wirnt konstatiert, dass es „in völlig verschiedenem Sinn eingesetzt“505 sei. Die durch die metonymische Lesung erzeugte und intensiv von intertextuellen Referenzen bestärkte Folie funktioniert über ihre Rückbindung an den Sinn, der sich in der vorab entworfenen Handlung manifestiert. Das literarische Handlungswissen gibt hierfür vor, dass der Sinn des Handlungsbündels darin besteht, dass der Held im Erwachensprozess seine Identität wiederfindet. In diesem Sinn verhält sich Wigalois’ zur im Iwein entworfenen Handlungsintention konträr, bewahrt aber zugleich den Schein der Handlung ‚Identitätskrise‘: Beide Texte entwerfen das Bild eines ausgegrenzten, nackten Helden. Wigalois’ Situation ist im Gegensatz zu der Iweins nicht selbstverschuldet. Nichtsdestoweniger evoziert die Nudität in Kombination mit dem Verlust von sin – auch Iwein ist nacket beider / der sinne unde der cleider – die Erwartung, Wigalois erleide in der Folge eine Identitätskrise. Divergent steht dem schuldig gewordenen und an hirnsühte erkrankten Iwein ein bloß vom Kampf physisch geschwächter Wigalois gegenüber. Im Moment des Erwachens macht das Zitat die Metonymie des Handlungsverlaufs nur allzu deutlich, bricht aber sogleich mit der Erwartung, Wigalois empfinde sich seiner Identität entfremdet. Die aufgezeigte differente Richtung des Traumverdachts macht dagegen augenfällig, dass Wigalois’ Konflikt von Äußerlichkeiten verursacht ist: Die konstante Profilierung des

503 Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 158. 504 Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 167. 505 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 59.

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Motivs der Rüstung und deren enge Verquickung mit sin – nu hân ich guot und sin verlorn – steht dem inneren, von vrou minne verursachten Konflikt Iweins gegenüber. Demgemäß geht im Iwein der Dialog mit vrou minne voran, im Wigalois derjenige mit dem sin. Wigalois’ Körper ist ausnahmslos unversehrt, weiß und schön. Sein Äußeres verweist auf sein Inneres und zeigt an, dass Wigalois sich an keiner Stelle in einem inneren Konflikt befindet. Durchweg erfährt die Handlung damit Momente der Störung, wenn die für den Handlungsablauf konstitutiven Elemente allesamt heterogen zu Iweins Krise angelegt sind. Wirnt integriert alle konstitutiven Elemente in identischer Abfolge, erzeugt so den Anschein der Handlung, lässt sie aber in ihrer kontrastiven Ausgestaltung zur Unhandlung werden. Die durch diese Kontraste geschaffenen Erwartungsbrüche zeigten sich aus alleinig intertextueller Perspektive als Zitate höfischer Literaturtradition, als „literarischer Exkurs“506, der in seiner pejorativen Deutung Epigonentum belegte, in seiner affirmativen den Kontrast als eine Auseinandersetzung mit und Positionierung in der Gattungstradition verstünde. Stellt man aber die Art und Weise der Implementierung in den Fokus des Interesses und fragt danach, wie sich ein Scheitern von Handlung darstellen lässt, das für die Einsicht, dass die Handlung scheitert, zugleich das Gelingen vor Augen haben muss, erweist sich die Art und Weise, wie das Erwachen erzählt wird, als eine Strategie, die es erlaubt, im erzählten Scheitern der Handlung den Anschein der gelingenden Handlung aufrecht zu erhalten. Mit den intertextuellen Anspielungen im Vorfeld des Erwachensmoments und mit dem den Monolog einleitenden Zitat evoziert der Text die Erwartung, Wigalois erleide eine Identitätskrise. Indem anschließend alle konstitutiven Elemente aufgegriffen werden, wird der Anschein erzeugt, die Handlung zeige eine dem Iwein analoge Identitätskrise. Zur Unhandlung aber wird der Handlungsablauf bei näherer Betrachtung der einzelnen konstitutiven Elemente, die sich dann allesamt als kontrastiv angelegt erweisen. Die Handlung verhält sich zu ihrer Handlungsintention konträr, bewahrt aber in der Imitation den Schein der gelingenden Handlung. Die Kontraste erzeugen komische Erwartungsbrüche, die erst in der metonymischen Lesart entstehen und weit über intertextuelle Bezugnahmen hinausreichen. Wigalois’ physische Ohnmacht konturiert sich nur in Kenntnis des literarischen Handlungswissens kontrastiv zur psychisch bedingten hirnsühte Iweins – auch der Blick auf die übrigen Realisationen hat gezeigt, dass die Identitätszweifel niemals nur aus einer physischen Schwäche heraus erwachsen. Der Kontrast von beidem erzeugt den komischen Bruch.

506 Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois, S. 111. Analog hierzu zeige auch die Ruel-Episode im Anschluss einen solchen literarischen Exkurs.

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame

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Erst die Erkenntnis der scheiternden Handlung verweist auf die Heterogenität der Identitätskrise. Folglich wird das komische Scheitern der Handlung zur Voraussetzung für den Sinngehalt der Episode. Die intertextuellen Marker fordern vom Rezipienten ein, die Episode metonymisch zu lesen. Allein der Iwein als Hypotext aber lässt noch nicht die Bewertung zu, dass Handlung scheitert. Hierfür hat der Blick auf andere Realisationen des Motivs einerseits literarisches Handlungswissens bestätigt und zugleich andererseits gezeigt, wie der Sinn von Handlung in typisierten Regelmäßigkeiten von Handlung entworfen ist. Sie sind Teil der Bedingungen textstruktureller Art, die das Scheitern mitbedingen, es aber an sich nicht hervorbringen. Dort, wo Texte strukturell so angelegt sind, dass sie ein metonymisches Verständnis einfordern und mit dessen Hilfe Brüche erzeugen, sind Bedingungen geschaffen, die komische Erwartungsbrüche intendieren. CORMEAUS Urteil, Wirnt ändere die Konstanten als Antwort auf den bestehenden Erwartungshorizont, gewänne damit eine neue Dimension: Um auf jene Erwartungen überhaupt eine Antwort zu geben, müsse die „Erwartung selbst zu einem Element der Gestaltung“ werden.507 So gesehen fordert jede Abwandlung immer Konstanten ein, die sich aus normativen Verhaltensentwürfen speisen.

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame Die Begegnung mit Ruel erfolgt in direktem Anschluss an Wigalois’ Aufbruch von der Burg Beleares und Morals. Gedankenversunken kommt er vom rechten Weg ab und folgt einem unbefestigten Pfad, der ihn zunächst in einen verwilderten Wald und schließlich an einen Fluss führt.508 Beim Versuch, den Fluss mit einem Floß zu überqueren, erscheint Ruel aus einer Höhle und überfällt Wigalois. Hervorgehoben wird die Episode durch ihre Einleitung als Irrweg: sîn manic [ge]müete vuocte im daz er die strâze übersach. einem stîge volget er nâch ûz gegen der linken hant, der was grasic unde ungebant. er truoc in verre in den walt, dâ manic boum was gevalt und grôze ronen lâgen. (WG 6254ff.)

507 Vgl. Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 68. 508 Vgl. dazu auch die Einleitung: Der Weg zur Rechten in Hübner, Gert: Erzählform im höfischen Roman, S. 1–9.

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

Deutlich wird die Landschaft als naturbelassen und kulturell unberührt ausgestellt. Das linksseitige Abkommen von der „strâze“ zeigt das Verlassen des kulturellen Raums an. Die Beschaffenheit des Pfades und die Wildnis des Waldes veranschaulichen die Abgeschiedenheit des nun erreichten Raumes. Wigalois muss von seinem Pferd absitzen, um das Floß zu erreichen: dar kom der rîter mit dem rade von des waldes enge gesloffen durch gedrenge. (WG 6279ff.)

Als berittener Kämpfer lässt sich der verwilderte Raum jedenfalls kaum bestreiten. Der Raum wirkt gleichermaßen fremd wie unzivilisiert, wie auch Ruel als Gegnerin ebenso in ihrem Äußeren fremd wie in ihrem Verhalten unzivilisiert ist. In ihr als Figur inszenieren sich, wie ARMIN SCHULZ zeigt, „kulturkonstitutive Oppositionen“, wie bspw. „Kultur und Natur“, „Mensch und Tier“, „Mann und Frau“ und „Höfisch und Nichthöfisch“.509 Aus eigener Kraft kann Wigalois sie zunächst nicht überwinden und wird schlussendlich durch einen Zufall befreit und von Gott errettet. KERN hat für die Episode, wenn diese auch prinzipiell „folgenlos“ bleibe, die „bewußt vollzogene Abschweifung“ herausgestellt, die ihren „Umwegcharakter […] durch das Rahmenmotiv der verlorenen und wiedergefundenen Straße deutlich“ markiere.510 Der Umweg diene dem literarischen Exkurs, um am Ende doch eine religiös ausgerichtete Vorstellung von Aventiureglück zu profilieren.511 Mit Blick auf das Gesamtgeschehen wurde die Ruel-Episode entweder als Wendepunkt oder als überflüssig begriffen. Sie fungiere als „Zwischenstation“512 für eine Hinwendung zum Gottvertrauen,513 oder 509 Schulz, Armin: Das Nicht-Höfische als Dämonisches: Die Gegenwelt Korntin im Wigalois. In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artusroman und Mythos, S. 392–407, S. 402. Diese „Inszenierung von Ambivalenz“ weist er für alle Gegner in Korntin nach, zur Aufgabe des Helden würde infolgedessen die Auflösung dieser Gegensätze. 510 Kern, Peter: Die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 77. 511 Vgl. Kern, Peter: Die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 78. 512 Vgl. Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois, S. 115. 513 Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 69 ff. Die auffällige Wendung hin zum göttlichen Beistand, die Wirnt gegenüber dem Le Chevalier du Papegau profiliere, sei eine Demonstration von „God’s constant support“ (S. 69). Die Ruel-Episode als „spiritual test“ führe schließlich zu einer „moral consummation“ (S. 70), die zeige, dass keine von Wigalois’ aventiuren der zweiten Reihe mit bloßer ritterlicher Tapferkeit zu bestehen sei. Vgl. auch ders.: Wirnts von Gravenberg Wigalois und die Auseinandersetzung mit der Parzival-Problematik, S. 139. Dort versteht er die Hinwendung zur göttlichen Hilfe gegenüber der Vorlage als direkte Auseinandersetzung mit „Wolframs Gottesbild“ mit dem Ziel, „seines [Herv. i. O.] Hel-

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame

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als „reine Episode“514, die folgenlos bliebe.515 Begreift SCHRÖDER den „Daseinszweck“ der Episode selbst nur als Resultat einer „Faszination des Wigalois-Autors durch Wolframs Beschreibung der Cundrie“516 und übersieht dabei den produktiven Umgang des Autors mit der Erzähltradition, hat demgegenüber GRUBMÜLLER gezeigt, dass die Beschreibung sowie die strukturelle Position Analogien aufweisen, die in beiden Texten auf die Begrenztheit des Artusrittertums aufmerksam machen würden.517 Das Krisenmoment des Artusromans sei, so schlussfolgert BLEUMER, in der Figur selbst enthalten, die Krise begegne dem Helden als veräußerlichte, die er innerlich zu bewältigen habe, und aus der er mit einer veränderten inneren Haltung herausgehe.518

den Angewiesensein auf göttliche Lenkung (über)deutlich zu unterstreichen“. Vgl. im Anschluss hieran auch Standke, Matthias: Der Held im Wald der Stimmen, S. 357 ff., der die Episode als ‚Vorerfahrung‘ für Wigaloisʼ Gottvertrauen deutet. Vgl. außerdem Gottzmann, Carola L.: Deutsche Artusdichtung, S. 315. Vgl. auch Seelbach, Sabine: Kontingenz, S. 174. Sie versteht die Ruel-Episode mit Blick auf den zwîfel und dessen Erleben im Parzival und Gregorius als „Superlativ“: „[S]chuldbedingte[] Heillosigkeit im Leben“ existiere im Wigalois nicht; stattdessen werde „der zwîfel gar als gottgesandte triuwe-Probe verstanden“, wenn es im Erzählerkommentar heißt: „in ganzen zwîfel er in stiez, / dâ von er sîne vreude lie.“ (WG 6480 f.) [erneut in: Seelbach, Sabine: Labiler Wegweiser, S. 157]. 514 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 89. 515 Vgl. Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 201 f. Hingegen betont Eming Wigalois’ pragmatische Haltung gegenüber dem Wunder, mit der weder Überwältigung noch Dank einherginge, der Held bedürfe stattdessen weiterhin der Hilfe von religiös Wunderbarem, eine veränderte Haltung sei jedenfalls nicht die Folge der Begegnung. Vgl. auch Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 163. 516 Schröder, Werner: Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg, S. 235 und 253. 517 Vgl. Grubmüller, Klaus: Artusroman und Heilsbringerethos, S. 231. Ähnlich auch Lohbeck, Gisela: Die Struktur der bezeichenunge im Wigalois, S. 226–230. Allerdings seien „Cundrîe und Ruel […] weder gleich noch ähnlich“, sie nähmen aber „die gleiche Aufgabe in bezug auf den âventiure-wec des Helden“ ein, insofern beide „auf die richtige qualitas ritterlichen Handelns verweisen“ (S. 230) würden. Vgl. auch Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 170 ff., der sich hingegen für eine gegensätzlich angelegte Funktion ausspricht: Wo Cundrie mit ihrer Anklage zwîfel auslöse, erlerne Wigalois durch die Begegnung mit Ruel im Gegenteil Gottvertrauen. 518 Vgl. Bleumer, Hartmut: Das ‚wilde wîp‘. Überlegungen zum Krisenmotiv im Artusroman und Wolfdietrich B. In: Robertshaw, Alan (Hrsg.): Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters. Colloquium Exeter 1997. Tübingen 1999, S. 77–89, insbes. S. 84 ff. Die Krise sei dann im Wigalois gewissermaßen verdoppelt, indem Ruel wie schon zuvor die Fischersfrau den Helden an den Haaren umherschleift, ihm seine Rüstung nimmt und ihn anschließend töten möchte. Vgl. auch Waltenberger, Michael: Heldentum in wechselnden Weltverhältnissen, S. 65 ff., der die Ruel-Episode auch strukturell als Krise wertet, die jedoch weniger aus einem inneren Konflikt des Helden resultiere, als vielmehr die „Möglichkeitsbedingungen seines Heldenstatus“ (S. 68) austariere.

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Die im Umfang zwar durchaus kurze Episode konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die Beschreibung der Figur, der Angriff selbst wird in nur 25 Versen (6408–6433) erzählt. Ihr Angriff wirke, so EMING, wie eine „Minneparodie“, indem er die „Angst“ des Helden vor einer „aktiven […] Frau“ inszeniere.519 Als Gegnerin provoziert Ruel sowohl den Vergleich mit wilden, wie bspw. dem Waldmenschen im Iwein,520 als auch mit hässlichen Figuren, wie Cundrie im Parzival,521 als sie ihn auch mit schönen Damen einfordert, insofern in ihre Beschreibung intra- und intertextuelle Figurenzitate eingeflochten sind. In der Forschung hat man gesehen, dass die Beschreibung von Ruel von „Ironie gezeichnet[]“522 ist, die auf eine „Komik der Figurenzeichnung“523 abziele. Dabei speise sich die Ironie hauptsächlich aus der Folie von Schönheitsbeschreibungen im allgemeinen, die zusammen mit den Vergleichen mit der Schönheit höfischer Damen die sonst entsetzliche Figur „der Lächerlichkeit preis[geben]“524 würden. Schließlich bewirke die „Vermengung von menschlichen und tierischen Zügen“ eine Metamorphose von der hässlichen zur grotesken Gestalt und verleihe der Beschreibung im kontrastiven Vergleich mit dem höfischen Schönheitsideal ihre

519 Vgl. Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 200. 520 Vgl. Bleumer, Hartmut: Das ‚wilde wîp‘, insbes. S. 82 f. Vgl. außerdem Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin 2014 (= Literatur – Theorie – Geschichte 6), S. 161. Sie weist Attribute für einen Typus des Wilden Mannes nach, die beiden Figuren eigen seien. Vgl. auch Veeh, Michael: Auf der Reise durch die Erzählwelten hochhöfischer Kultur, S. 190, der die Episode mit Blick auf den Waldmenschen im Iwein als Gegenentwurf zur höfisch zivilisierten Welt versteht. 521 Vgl. zur Gegenüberstellung der äußeren Merkmale Lohbeck, Gisela: Die Struktur der bezeichenunge im Wigalois. Frankfurt a. M. [u. a.] 1991 (= Information und Interpretation 6), S. 226–230 (in Bezug auf die Tiervergleiche); Böcking, Cordula: daz wær ouch noch guot wîbes sit, / daz si iht harte wider strit. Streitbare Frauen in Wirnts Wigalois. In: Burrichter, Brigitte / Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Aktuelle Tendenzen der Artusforschung, S. 363–380, S. 366 ff. Anders Wisbey, Roy A.: Die Darstellung des Häßlichen im Hoch- und Spätmittelalter. In: Harms, Wolfgang / Johnson, L. Peter (Hrsg.): Deutsche Literatur des späten Mittelalters. Hamburger Colloquium 1973. Berlin 1975, S. 9–34, hier S. 29. Auch unter Hinzuziehung von Chrétiens Perceval als einer weiteren möglichen Quelle, blieben weitere Leerstellen bestehen. Im Vergleich mit Hartmann und Wolfram müssten überdies die gegenüber diesen beiden „bedeutsamen Auslassungen“ berücksichtigt werden (vgl. Anm. 73). 522 Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 199. 523 Häberlein, Bianca: Transformationen religiöser und profaner Motive in Wigalois, Widuwilt und Ammenmaehrchen, S. 79. 524 Vgl. Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper, S. 160.

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„komische Dimension“.525 Darüber hinaus aber, so die These, generiert sich die Komik der Episode maßgeblich über ihre erzählte Handlung, insofern sowohl Ruel als auch Wigalois als handelnde Figuren mit Erwartungen an narrative Muster brechen. Getragen aber wird die Komik zunächst schon von der Figurenbeschreibung. Hauptsächlich wird sie dabei von „zwei Kommentierungslinien“ evoziert, wie CAROLIN OSTER treffend formuliert, wovon eine auf den Vergleich mit höfischer Schönheit abzielt, die andere Ruel jegliche erotische Qualitäten abspricht.526 „Minneunfähigkeit“ und „mangelnde körperlich-sexuelle Attraktivität“527 sind die Hauptursachen der Komik der Beschreibung. Die Komik, die die Beschreibung der Figur evoziert, zielt letztlich auf die als denkbar suggerierte Minneverbindung von Wigalois und Ruel ab. In der Beschreibung der Figur selbst wird hierfür zunächst der Kontrast von schön und hässlich geschaffen, der in der Negation von Schönheit die immense Hässlichkeit erst hervorbringt. Die Hässlichkeit an sich aber ist noch nicht komisch, Komik entsteht erst, wenn im Text die Minneverbindung von Ruel und Wigalois angedeutet wird. Dazu trägt nicht nur die von OSTER gesehene Kommentierungslinie bei, auch über die intra- und intertextuellen Figurenzitate hergestellten Bezugnahmen auf Minnegefangenschaften sind Teil der Komisierungsstrategie. Mit Ruel begegnet Wigalois ein wîp, dessen Weiblichkeit grotesk verzerrt ist: ûz dem hole sach er ein wîp gegen im loufen dar, diu was in einer varwe gar swarz, rûch als ein ber. vil grôziu schœne was der und guot gebærde tiure, wan si was ungehiure: ir hâr enpflohten unde lanc, zetal in ir buoc ez swanc. daz houbet grôz, ir nase vlach. daz wîp ûz grôzer riuhe sach als zwô kerzen brünnen dâ. ir brâ lanc unde grâ,

525 Giloy-Hirtz, Petra: Begegnung mit dem Ungeheuer. In: Kaiser, Gert (Hrsg.): An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. München 1991 (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 12), S. 167–209, S. 176 f. Vgl. auch Wisbey, Roy A.: Die Darstellung des Häßlichen im Hochund Spätmittelalter. 526 Vgl. Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper, S. 161. 527 Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper, S. 162.

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grôze zene, wîten munt; zwei ôren hêt si als ein hunt, diu hiengen nider spanne breit. [...] der rücke was ir ûf gebogen, dâ engegen ein hover ûz gezogen ob dem herzen als ein huot. [...] als ein grîfe hêt si klâ an den vingern allen. rôt und linde ballen die man an schœnen vrouwen siht, ich wæne wol dern hêt si niht: si wârn herte als einem bern. (WG 6285–6322)

[Vergleich mit Larie]

[Vergleich mit Enite]

[Vergleich mit Jeschute]

Die Tiervergleiche gehören, wie verschiedene Untersuchungen zur literarischen Tradition von Hässlichkeitsbeschreibungen zeigen, dieser Tradition an und befördern für sich noch keine Komik, die von der Gestalt ausginge;528 allenfalls tragen sie dazu bei, einen grotesken Effekt zu erzielen, der aber für sich zunächst nur verfremdend wirkt.529 Neben den Figurenzitaten, die auf den Kon-

528 Vgl. dazu Tuczay, Christa: Wilde Frau. In: Müller, Ulrich / Wunderlich, Werner (Hrsg.): Dämonen, Monster, Fabelwesen. St. Gallen 1999 (= Mittelalter Mythen 2), S. 603–615; Wisbey, Roy: Die Darstellung des Häßlichen im Hoch- und Spätmittelalter; Seitz, Barbara: Die Darstellung häßlicher Menschen in mittelhochdeutscher erzählender Literatur von der Wiener Genesis bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts; Winst, Silke: Wilde Frauen. Intersektionelle Überkreuzungen von Wildheit, Gender und Monstrosität. In: Bennewitz, Ingrid / Eming, Jutta / Traulsen, Johannes (Hrsg.): Gender Studies – Queer Studies – Intersektionalität. Eine Zwischenbilanz aus mediävistischer Perspektive. Göttingen 2019 (= Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 25), S. 395–416, insbes. S. 401 ff. 529 Vgl. Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen. Darstellung und Funktion des Monströsen in mittelhochdeutscher Literatur. Trier 2013 (= Literatur – Imagination – Realität 48), S. 201 f., die Analogien zu Merkmalen exotischer Völker aufzeigt. Ähnlich bei Bleumer, Hartmut: Das ‚wilde wîp‘, S. 79: Analog zum Ort der Handlung im Osten, sei damit ein Hinweis auf die „wilden Leute der östlichen Welt“ gegeben. Anders Seitz, Barbara: Die Darstellung häßlicher Menschen in mittelhochdeutscher erzählender Literatur von der Wiener Genesis bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts. Tüb ingen 1967, S. 55: Exotische Merkmale fehlten, und auch die zum Teufel hergestellte Nähe (expliziten Benennungen vom Erzähler als tievels trûte (WG 6443, 6452) diene nur der „anschaulichen Erläuterung der ungezähmten Wildheit“. Anders Bleumer, Hartmut: Das ‚wilde wîp‘, S. 79. Vgl. auch Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 61. Ruel sei „amazonian“ und Teil von „forces of cosmic evil“, die Wigalois zu besiegen habe. Vgl. auch Wisbey, Roy A.: Die Darstellung des Häßlichen im Hoch- und Spätmittelalter, S. 26, der die Verweise innerhalb ihrer literarischen Tra-

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trast von Ruels Äußerem und höfischer Schönheit abzielen, werden in die Beschreibung Merkmale höfischer Schönheit eingespielt, um sogleich negiert zu werden. Dabei werden diese zunächst in ihrer positiven Wirkkraft benannt, um in Bezug auf Ruel für nichtig erklärt zu werden: vil grôziu schœne was der und guot gebærde tiure, wan si was ungehiure[.] (WG 6289ff.) rôt und linde ballen die man an schœnen vrouwen siht, ich wæne wol dern hêt si niht[.] (WG 6319ff.)

Diese Verneinungen des Gegenteils potenzieren einerseits Ruels Hässlichkeit, andererseits heben sie ihr weibliches Geschlecht hervor. Die Beschreibung setzt eindeutig nicht nur auf den Kontrast von schön und hässlich, sondern vor allem auch auf den der Schönheit höfischer Damen und Ruels Hässlichkeit. Deswegen macht die Beschreibung mehrfach deutlich, dass Ruel trotz aller Hässlichkeit eine Frau ist.530 Neben der zweifachen Bezeichnung als wîp wird überdies ihre androgyne Gestalt mit der Beschreibung ihrer Brüste in Szene gesetzt:531 ir brüste nider hiengen; die sîten si beviengen gelîch zwein grôzen taschen dâ. (WG 6314ff.)

Die Brüste als ein Körperteil, das eigentlich nicht Teil von Schönheitsbeschreibungen ist, werden hier dennoch beschrieben mit dem Effekt, Ruel ex aequo in ihrer Weiblichkeit und Hässlichkeit hervorzuheben. Die Kombination aus der eindeutigen Zuordnung zum weiblichen Geschlecht und den Litotes, die wiederum zweifelsohne auf Schönheitsmerkmale höfischer Weiblichkeit abzielen, um diese dann in Bezug auf Ruel zu verneinen, schafft schließlich einen komischen Kontrast. Die Erscheinung von Ruel bricht erst komisch mit Blick auf die Schönheit höfischer Damen. Dass ihr Angriff auf den Helden als Resultat von Trauer

dition in eine Reihe mit häßlichen Gestalten dämonischer, monströser Geschlechter stellt, die in der Nachfolge Kains stünden (so auch Cundrie). 530 Vgl. zu Ruels Status als wilde Frauenfigur Silke: Wilde Frauen, S. 408: „Weibliche und animalische Körperlichkeit gehen ineinander über[.]“ Die Vergleiche mit höfischen Damen der Erzähltradition dienten dazu, die Kategorie Gender zu diskutieren (vgl. S. 410). 531 Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 166 übersieht das und meint, Ruel hafteten keinerlei weibliche Attribute an. Die Trauer um ihren Mann diene allein der Identifizierung als Frau.

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um ihren Mann gerechtfertigt wird, emotionalisiert sie einerseits und rückt sie zugleich in den Bereich des Menschlichen,532 um so ihre äußerliche Fallhöhe zu den schönen Damen heraufzusetzen. Andererseits wird ein Kontrast zu der passiven Trauer höfischer Damen geschaffen, den schon HAHN als komisch erklärt hat. Diese in der Figurenzeichnung geschaffenen Kontraste wirken letztendlich auf die Komik ein, die sich auf der Handlungsebene vollzieht. Zunächst aber dienen ebenso die Vergleiche mit Enite, Jeschute und Larie der Konfrontation von deren Schönheit mit Ruels Hässlichkeit.533 Sie bewirkten, so GILOY-HIRTZ, dass „das negierte Ideal nicht nur als mitgedachte Folie präsent“ sei, sondern machten es konkret.534 Die Figurenzitate wurden demgegenüber oft als Mittel verstanden, um die Kenntnis des Autors literarischer Tradition zu demonstrieren und sich in diese einzuschreiben,535 oder aber in der Anknüpfung bewusst zu dekomplexieren.536 BÖCKING zufolge führten die Vergleiche ein „Bewußtsein von der Literarizität seines Werkes“ vor, welches jedoch mit Blick auf seine Vorgänger eine „Verflachung des arthurischen Programms“ zeige.537 Bemerkenswert ist doch aber, dass alle drei angestellten Vergleiche jeweils mit einer Autornennung in Verbindung gebracht werden und damit jeweils Autor und

532 Ähnlich Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper, S. 164. 533 Vgl. hierzu bspw. Schmitt, Stefanie: Riesen und Zwerge. Zur Konzeptualisierung des gegnerischen Körpers im Wigalois Wirnts von Grâvenberg und seinen frühneuzeitlichen Bearbeitungen. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Körperkonzepte im arthurischen Roman. Tübingen 2007, S. 369–381, hier S. 377, die Ruels Gestalt als „Kontrast“ zu dem „kulturell kodierten Körperkonzept“ des „schönen, durch seine Beschaffenheit minne hervorrufenden Frauenkörper[s]“ beschreibt. 534 Giloy-Hirtz, Petra: Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 177. Vgl. Veeh, Michael: Auf der Reise durch die Erzählwelten hochhöfischer Kultur, S. 191, der die geschaffenen Kontraste darüber hinaus als Mittel zur Ausgrenzung der Figur aus dem höfischen Kontext versteht. 535 So bspw. Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 200. 536 Vgl. dazu Schiewer, Hans-Jochen: Innovation und Konventionalisierung. In: Conrad Lutz, Eckart / Thali, Johanna / Wetzel, René (Hrsg.): Literatur und Wandmalerei II: Konventionalität und Konversation. Burgdorfer Colloquium 2001. Tübingen 2005, S. 65–83, hier S. 70: „Die Referenz auf die Schönheitsbeschreibungen seiner Vorgänger ist Hinweis darauf, daß Wirnt bestimmte literarische Erwartungen nicht erfüllen will, die sich mit der Positionierung in der literarischen Reihe verknüpfen könnten, und zwar auf der narrativ-strukturellen Ebene […].“ Die „bewußte Bezugnahme“ bedeute eine „bewußte Abgrenzung […] auf der strukturellen, gestalterischen und sinnstiftenden Ebene“ (S. 72). Schiewer betrachtet die Funktion der Autornennungen über die Episode hinaus, deren Ort spielt für ihn keine Rolle. Ähnlich in ders.: Mythisierung als Vereinfachung. Ein Versuch zum (späten) Artusroman: Wigalois. In: ders. / Seeber, Stefan (Hrsg.): Höfische Wissensordnungen. Göttingen 2012 (= Encomia Deutsch 2), S. 39–50. 537 Böcking, Cordula: daz wær ouch noch guot wîbes sit, / daz si iht harte wider strit, S. 370.

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Schönheit der zitierten Figur in Bezug setzen. Die Kombination von Figurenzitat und Autornennung verweist demnach darüber hinaus in besonderer Weise auf eine poetologische Ebene, auf welcher der fiktionale Status der Erzählung reflektiert wird, insofern die Schönheit der Damen schließlich jeweils dezidiert als eine literarisch konstruierte Schönheit ausgewiesen ist. In Kontrast werden dann nicht nur zwei Körperkonzepte gesetzt, sondern unter Einbezug der sie dichtend erschaffenden Autoren eine Divergenz aufgezeigt, die auf das jeweilige Erzählverfahren abzielt. Die Figurenzitate wären folglich nicht bloß als Mittel zur Intensivierung der Verkehrung eines Schönheitskatalogs zu verstehen,538 sondern zielten in Kombination mit der Autornennung auf eine poetologische Ebene. Das Ungleichgewicht, das sich bzgl. des Umfangs im Vergleich von Laries und Ruels Beschreibung ergibt, verwiese genauso weniger auf eine der Hässlichkeit eingeräumte größere künstlerische Freiheit gegenüber Schönheitsbeschreibungen, wie GABRIELA ANTUNES schlussfolgert,539 als vielmehr auf eine Thematisierung von erzählerischen Verfahren. Eingeflochten in die Beschreibung von Ruels Hässlichkeit sind drei nah aufeinanderfolgende Figurenzitate, die sich allesamt auf die Schönheit der drei Damen richten und diese zugleich mit einer Autornennung kombinieren; beim intratextuellen Bezug auf Larie verbürgt die âventiure ihre Schönheit. BARBARA SEITZ hat die im Zusammenhang mit Hässlichkeitsbeschreibungen auftauchenden Quellenberufungen als Mittel verstanden, dem „Vorwurf subjektiver Willkür der Darstellung zu entgehen“540. Diese Deutung aber greift zu kurz und untergräbt die poetologische Dimension, die sich aus der Kombination von Figurenzitat und Autornennung ergibt. Zuallererst wird mit dem in der Untertreibung wirksam werdenden Vergleich mit Larie Bezug auf eine Quelle oder die eigene Erzählung genommen: als uns diu âventiure seit, sô was diu schœne Lârîe schœner danne ir drîe. (WG 6301ff.)

538 Bspw. Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 200. 539 Vgl. Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 200. 540 Seitz, Barbara: Die Darstellung häßlicher Menschen in mittelhochdeutscher erzählender Literatur von der Wiener Genesis bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts, S. 51: „Der Topos der Quellenberufung dient dazu, der Beschreibung das Odium der ‚Erfindung‘ zu nehmen und zu objektivieren, gleichzeitig auch, um sich von ihr, durch den rechtfertigenden Bezug auf […] ‚diu aventiure‘ zu distanzieren […].“

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Laries Schönheit wird eigens bezeugt von der aventiure.541 Ob damit auf den eigenen Text oder auf eine Vorlage rekurriert wird, bleibt offen.542 Bezieht sich der Verweis auf eine Vorlage, wäre der Urheber ihrer Schönheit ausgelagert und die Schönheit würde von der (autorlosen) Vorlage verbürgt. Geht man davon aus, dass eine solche Vorlage niemals existent war und der Roman Ergebnis eines kompilierenden Verfahrens mit Hinzudichtungen ist, führte dieser Verweis auf die aventiure ins Leere; dafür spräche abermals das mit der aventiure in Verbindung stehende Verb des Sagens, das als Rekurs auf die mündliche Tradierung der Erzählung letztlich auf deren freien Umgang mit der materia anspielt. Als Rekurs auf die eigene Erzählung führt der Verweis auf die aventiure gleichermaßen ins Leere, da Larie zwar schön ist, die Beschreibung ihrer Schönheit jedoch nur acht Verse umfasst (WG 4128–4135). Dabei hätte sich durchaus die Möglichkeit geboten, an die überaus detaillierte Schönheitsbeschreibung von Florie, die mehr als 200 Verse umfasst und die das erzählerische Vorgehen ebenfalls reflektiert, anzuschließen und damit Ruels Hässlichkeit noch deutlicher zu exponieren. Die Beschreibung von Florie ist mehrfach durchbrochen von Kommentaren, die ihre Schönheit als dichtend konstruierte ausstellen und reflektieren:543 ichn gesach ir nie deheine – geworht âne zungen – diu sô wol bedrungen mit gezierde wære als an disem mære. (WG 787ff.)

Der mit dem Einmaligkeitstopos in Verbindung gebrachte Hinweis, dass keiner Frau solche Schönheit zuteilwerden könne, wie derjenigen, die durch Dichtung erschaffen sei, stellt die vorangegangene Beschreibung der Floriefigur eindeutig

541 Vgl. zu den semantischen Bedeutungsvarianten von aventiure auch den Beitrag Mertens, Volker: Frau Âventiure klopft an die Tür … . In: Dicke, Gerd / Eikelmann, Manfred / Hasebrink, Burkhard (Hrsg.): Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter. Berlin [u. a.] 2006 (= Trends in Medieval Philology 10), S. 339– 346, der der Bedeutungszuweisung von aventiure als ‚Erzählgegenstand‘ und ‚Erzähltes‘ in Hartmanns Erec und Wolframs Parzival nachgeht und die Kontingenz bestätigt sieht, dass sich aventiure „auf Handlungsabläufe ebenso wie auf die der ungelehrten, mündlichen Tradition entstammende Erzählvorlage bzw. die Erzählung selbst bezieht“ (S. 345 f.). 542 Gerok-Reiter, Annette: Waldweib, Wirnt und Wigalois. Die Inklusion von Didaxe und Fiktion im parataktischen Erzählen. In: Lähnemann, Henrike / Linden, Sandra (Hrsg.): Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin [u. a.] 2009, S. 155–172, S. 168 hat diesbezüglich dafür plädiert, dass „der Verweis auf Larie […] offensichtlich um des Hinweises auf die Quelle, die âventiure, geschieht“. 543 Ähnlich auch Raumann, Rachel: ‚Fictio‘ und ‚historia‘ in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im Prosa-Lancelot. Tübingen 2010 (= Bibliotheca Germanica 57), S. 75–80.

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als Produkt von Dichtung aus.544 Die Schönheit der Figur bleibt an die Erzählung gebunden und Florie als Produkt eines dichterischen Schöpfungsprozesses und ‚Wortgezierde‘ besonders herausgehoben: wand ez ist âne ir aller schaden swaz ich ûf si mac geladen von sîden und von borten und von gezierde, mit worten. (WG 859ff.)

KRAß hat in diesem Zusammenhang auf die Doppelbödigkeit von gezierde als sowohl die Beschreibung als auch das Beschriebene meinend hingewiesen.545 Es zielt gleichermaßen auf das Beschriebene wie auf das gleichzeitige Bewusstmachen des im Beschreiben erst entstehenden Objekts. Das Verfahren wird durchsichtig, spiegelt sich selbst in seiner Beschreibung, wie sich auch Flories Hemd und Gesinnung wie spiegelglas (WG 763, 949) verhalten. Abermals reflektiert die Beschreibung ihr eigenes Verfahren: daz ich mich nu nœte der gedanke alsô verre, ich wæne ez mir niht werre, wan von gedanken kumt der muot der dem lîbe sanfte tuot. (WG 922ff.)

Flories Schönheit ist bloß erdichtet und bleibt damit letztlich als reines Gedankenprodukt an die fiktionale Erzählung gebunden. Im Übrigen trägt auch die „überbordene Farbigkeit“, die OSTER für die Figurenbeschreibung herausgestellt hat,546 dazu bei, Florie als Kunstgegenstand auszuweisen. Es ist zudem bemerkenswert, dass die Beschreibung von Florie mit den gleichen Worten wie der intertextuelle Bezug auf Larie eingeleitet wird; für beider Schönheit bürgt die aventiure: als uns diu âventiure seit (WG 6301, 742).547

544 So auch bei Häger, Hanna-Myriam: Fiktionalität trans- und intermedial. Arthurische Möglichkeitsräume in Mittelalter und Moderne. Wiesbaden 2019 (= Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 20), S. 209 f. 545 Vgl. Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider, S. 374. 546 Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper, S. 96 und 95–103. 547 Vgl. dazu auch Bleumer, Hartmut: Im Feld der âventiure. Zum begrifflichen Wert der Feldmetapher am Beispiel einer poetischen Leitvokabel. In: Dicke, Gerd / Eikelmann, Manfred / Hasebrink, Burkhard (Hrsg.): Im Wortfeld des Textes, S. 347–367, der den Text jeweils selbst für die je spezifische Bedeutungskonstitution der Verwendung von aventiure als Wortfeld auffasst, das es zu interpretieren gilt. Im Text selbst geschaffene Bedeutungskonfigurationen erforderten in der Rezeption eine Reflexionsbewegung, „die vom thematischen Zentrum auf vergleichbare Textelemente ausgreift“ (S. 354). Der Text bietet sich dann als „offenes, dynami-

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Auch die Beschreibung von Larie beim Heeresaufgebot zum Namur-Feldzug wird ebenfalls mit demselben Wortlaut eingeleitet (vgl. WG 10529). Die Spange, die dort das zuvor geschilderte Kleid zusammenhält, wird abermalig deutlich als Kunstgegenstand qualifiziert: alsus hât gemeistert dar nâch dem wunsche ditze werc mit worten Wirnt von Grâvenberc. (WG 10574ff.)

Indem der Gegenstand, der das Kleid zusammenhält, schließlich zum fiktionalen erklärt wird, weist er mit der Figurenbeschreibung auf das Ganze hin,548 wie auch die polyseme Formulierung werc, die in diesem Zusammenhang einerseits auf die Spange rekurriert, andererseits zugleich das Kunstwerk meint. An dieser, freilich im Roman späteren Stelle, löst sich der Verweis auf Laries Schönheit im Kontext der Ruel-Beschreibung schließlich auf, insofern Laries Schönheit sowohl als eine mit Worten geschaffene ausgewiesen, als auch mit einer Autornennung in Verbindung gestellt wird. Im Text sind Querverweise geschaffen, die die Autornennungen im Verbund mit Figurenbeschreibungen jeweils als Fiktionalitätssignale wieder bündeln. Auch die beiden in der Ruelbeschreibung folgenden Figurenzitate aus Hartmanns Erec und Wolframs Parzival verknüpfen jeweils das Figurenzitat mit der Autornennung. Die den beiden Figurenbeschreibungen von Florie und Larie vorausgeschickte verbürgte Schönheit durch die aventiure, die im Kontext der Ruel-Beschreibung ebenfalls vorkommt und ins Leere läuft, entfaltet auf einer Metaebene einen poetologischen Kommentar, der den Kunstwerkcharakter von Schönheitsbeschreibungen ausstellt. Der Vergleich von Ruel und Larie würde an dieser Stelle hinken, wollte er bloß deren Äußeres gegeneinander montieren, denn im Roman selbst wurde Laries Schönheit gerade nicht ausführlich beschrieben. Vielmehr akzentuiert der Vergleich über seine geschaffenen Querverbindungen auch Ruel als reines Dichtungsprodukt. Auf einer anderen Ebene aber schafft der Rekurs auf Larie eine Analogie zu Ruel. Beim ersten Zusammentreffen von Wigalois und Larie steht anstelle einer ausführlichen bzw. im Anschluss an die knappe Schönheitsbeschreibung eine ausführliche Beschreibung der Wirkung, die Larie auf Wigalois ausübt:

sches Feld“ dar, das von der Interpretationsbewegung konstituiert wird. Der Sinn des Wortes ist nur über seine Stellung im ‚Wortfeld des Textes‘ zu erfassen. 548 Vgl. auch Raumann, Rachel: ‚Fictio‘ und ‚historia‘ in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im Prosa-Lancelot, S. 77 f.

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vrou Minne vie den rîter sâ und zoch in in ir hamît gewalticlîche âne strît, daz er sich niht mohte erwern; [...] zu gîsel muose er ir den muot geben und daz herze sîn, daz diu beidiu muosen sîn ir gevangen biz an ir tôt; [...] Vrou Minne nam in mit ir kraft und zôch in in ir meisterschaft gewalticlîche âne wer; [...] hie liez er sîne sinne bî der mägde wol getân; ir grôziu schœne gesigte im an daz er ir nimmer mê vergaz, wan si sîn herze dâ besaz (WG 4139–4166)

Auf die knappe, in eine ausgiebige Darstellung einer Frauenschar eingebettete Beschreibung von Larie folgt eine detaillierte Deskription ihrer Wirkkraft. Wigalois’ Reaktion bestätigt das, wenn er sagt: [‚]daz ich iuch, vrouwe, minne, wand ir habt mîne sinne gevangen und daz herze mîn[.‘] (WG 4215ff.)

Vergleichbar wird sie, insofern Frau Minne Wigalois ebenso kampflos gefangen setzt wie Ruel: und zoch in in ir hamît gewalticlîche âne strît, daz er sich niht mohte erwern

Die auf metaphorischer Ebene vollzogene Gefangennahme wiederholt sich in der Ruel-Episode als augenscheinliche Handlung.549 Wigalois wird gewalticlîche âne

549 Böcking, Cordula: daz wær ouch noch guot wîbes sit, / daz si iht harte wider strit, S. 372 ff. hat ebenfalls auf die metaphorische Gefangennahme hingewiesen, die jedoch im Kontext der Minnebeziehung gesellschaftlich anerkannt sei. „Ruel als sexuell aggressive Frau“ hingegen „entmännlich[e]“ (S. 373) Wigalois und raube ihm seinen höfischen Status. Die Gefangennahme deutet Böcking dementsprechend als „symbolische Vergewaltigung“ (S. 374): „Die Bildlichkeit der Szene hat starke sexuelle Konnotationen. Das Schwert ist unschwer mit Freud als Phallussymbol zu lesen, die Höhle als sein weibliches Pendant […].“ (S. 373) Als

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wer zu Ruels gîsel wie er auch zuvor zur gîsel von Frau Minne wurde. Hier reiht sich der an späterer Stelle erfolgende Lunete-Bezug ein, der auf Iweins Gefangenschaft hinweist: vrouwe Lûnete kunde pflegen des rîters mit dem lewen baz, dô er gevangen bî ir saz. (WG 6396ff.)

Es kommt hier weniger auf Lunete, als vielmehr auf die Gefangennahme an sich an.550 Ruel packt Wigalois und macht ihn jeglicher Handlung unfähig: si tet imz allez tiure / beidiu sprechen unde regen. (WG 6394 f.) Wenn er auch nur im Arm dieser grässlichen Frau gefangen ist, ist er ebenso wehrlos wie der gefangene Iwein, der neben seiner Gefangenschaft zwischen den Falltoren schließlich zusätzlich von Frau Minne gefangen genommen wird: vrou Minne nam die obern hant, / daz sî in vienc unde bant. (IW 1537 f.) Wie Frau Minne Iwein fängt und fesselt, tut es Ruel ihr gleich mit Wigalois. Iweins Minnegefangenschaft kongruiert in diesem Sinne im Detail mit derjenigen Wigalois’. Der angestellte Vergleich mit Larie weist Ruel einerseits über das Netz an Querverbindungen der einzelnen Frauenfigurenbeschreibungen als Kunstprodukt aus, andererseits macht er darauf aufmerksam, dass die metaphorische Gefangennahme von Wigalois hier in Handlung übersetzt ist. Die Wirkung, die Larie auf Wigalois ausübt, ist mit der Gefangennahme durch Ruel in Handlung überführt. Dass der Held infolge handlungsunfähig gesetzt ist, widerspricht aber seinem Wesen als Artusritter und erweist sich als Moment von Störung, das durch die nachfolgenden Figurenzitate intensiviert wird. Im folgenden Vergleich wird Enites Schönheit gleich zweifach beglaubigt. Das Figurenzitat funktioniert zunächst in der Negation einer eingespielten Möglichkeit einer Minnebeziehung zwischen Ruel und einem Ritter: hêt iemen von ir hôhen muot, / dern sach vrouwen Ênîten niht (WG 6307 f.). Auch wenn diese Möglichkeit mit dem Verweis auf Enite sogleich wieder negiert und mit dem IndefiGegenbild zur perfekten Minnedame verkörpere Ruel Frauen, „die ihren Trieben freien Lauf lassen“ (S. 376). Ruel zeige in grotesker Verzerrung die Gewalt der Minne auf, die es auf die „Erosgefährdung“ (S. 380) abgesehen habe. 550 Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 200 versteht den Lunete-Vergleich als Mittel, um Ruels Wildheit mit Lunetes Vorbildlichkeit zu kontrastieren. So auch Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 119. Gerok-Reiter, Annette: Waldweib, Wirnt und Wigalois, S. 168 hat ihn als „lapidar“ bewertet und „reizvoll allein als Hineinzitieren anderer höfischer Welten oder literarischer Bezugsgrößen“ verstanden. Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 169 hat ebenfalls den Bezug zur Gefangenschaft Iweins hergestellt. Gemeinsam sei den beiden Szenen die Gefangenschaft, der Vergleich verweise sodann auf den positiven Ausgang für Wigalois.

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nitpronomen iemen nicht direkt auf Wigalois bezogen wird, ist sie dennoch Teil einer Strategie, die Ruel als potentielle Minnedame ins Spiel bringt. Enites Schönheit bleibt explizit an Hartmanns Text gekoppelt, dessen Authentizität wiederum an seine Vorlage gebunden wird: wan der herre Hartmann giht, daz wær gar ûz dem strîte ezn wære vrouwe Ênîte ze Karidôl diu schœnste maget, als im sîn meister hêt gesaget. (WG 6309ff.)

Anders als beim intratextuellen Bezug auf Larie ist die Verbürgtheit der Quelle nachgelagert. Enites Schönheit wird zunächst behauptet und im direkten Anschluss mit Hartmanns Beteuerung verknüpft, wobei Hartmanns Glaubwürdigkeit wiederum an dessen Quellentreue gekoppelt bleibt. Relativ deutlich bezieht sich Wirnt hier auf Enites ersten Auftritt am Artushof; das wird mit dem Hinweis ze Karidôl nachdrücklich markiert.551 Die Nähe des Wortlauts stellt den Bezug deutlich heraus: daz wær gar ûz dem strîte ezn wære vrouwe Ênîte ze Karidôl diu schœnste maget (WG 6310ff.)

sô was ûzer strîte: ez was vrouwe Ênîte diu aller schœniste maget (ER 1606ff.)

Wenn der Hinweis als im sîn meister hêt gesaget auch suggeriert, Hartmann würde sich für seine Beschreibung von Enite explizit auf seine Vorlage beziehen, beruft sich Hartmann bei seiner Beschreibung von Enite gerade nicht explizit auf Chrétien, wenn er auch von impliziten Formeln wie als ichz vernomen han oder sô man saget Gebrauch macht. Hartmann integriert in die Beschreibung einen umfangreichen Bescheidenheitstopos (vgl. ER 1590 ff.): doch bescheide ichz sô ich beste kan und als ichz vernomen han, sô was ûzer strîte: ez was vrouwe Ênîte diu aller schœniste maget

551 In den überlieferten Handschriften ist der Artushof im Erec zwar ze Karadigân (ER 1112) lokal verortet, dennoch fungiert der Hinweis ze Karidôl gemeinhin als Ort des Artushofs. Vgl. dazu Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion. Die Crône Heinrichs von dem Türlin innerhalb der Gattungsgeschichte des deutschen Artusromans. Bern [u. a.] 2000 (= Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 32), S. 14 und Knapp, Fritz Peter: Der Artushof als Raumkulisse bei Wace, Chrétien de Troyes und dessen deutschen Nachfolgern. In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artushof und Artusliteratur, S. 21–41.

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diu ie, sô man saget, in des küneges hof kam. (ER 1604ff.)

Und dennoch rückt er hier deutlich von seiner Vorlage ab, indem er Enites Auftritt am Artushof mit einer extensiven Schönheitsbeschreibung versieht und sie nicht nur, wie das die Vorlage bietet, über die Auszeichnung des Artuskusses zur Schönsten ernennt, sondern alle Anwesenden von ihrer Schönheit gebannt werden (vgl. ER 1736 ff.). Die eine Vielzahl von Metaphern einsetzende Beschreibung Enites zeigt eine deutliche amplificatio gegenüber der Vorlage. Die impliziten Formeln suggerieren eine Quellentreue, die indirekt gewiss gegeben ist, denn auch Enide ist die Schönste. Nichtsdestoweniger verschaffen sie Hartmann eine Gestaltungsfreiheit, die es ihm erlaubt, Enites Schönheit eigens zu kreieren. Abermals führt die von Wirnt vorgebrachte Beteuerung ins Leere, da Hartmann sich weder direkt auf Chrétien beruft noch seiner Vorlage in der Beschreibung folgt. wan der herre Hartmann giht, / […] als im sîn meister hêt gesaget ist dann ebenso eine Irreführung wie der Verweis auf die eigene Quelle im Zusammenhang mit dem Larie-Zitat.552 Enites Schönheit als Vergleichsmoment funktioniert sicherlich für den Kontrast von schön und hässlich, gleichzeitig aber wird, geradeso wie schon mit dem ersten intratextuellen Figurenzitat die erst dichtend erschaffene Schönheit offenbar gemacht und geradewegs nicht beglaubigt, indem die zweifach vorgenommene Beglaubigung negiert ist. Schon CORMEAU hat darauf hingewiesen, dass die Figurenzitate eine „steigernde Funktion“ haben, die sich „nur dann […] entfaltet, wenn in den Anspielungen die Situationen der betreffenden Romane – Enites Auftritt in Karidol, Lunete beim gefangenen Iwein […] – vom Leser gewußt sind“; diese dienten dem „Kontrastgefälle“.553 Gewiss intensivieren sie die Kontraste, mehr noch aber integrieren sie das jeweilige Romangeschehen, um es mit dem Auftreten von Ruel zu parallelisieren. Der Vergleich mit Enite zielt zwar an keiner Stelle auf eine Minnegefangenschaft ab, er parallelisiert aber den betörenden Auftritt von Enite am Artushof mit dem Ruels und bricht damit ihre Weiblichkeit ironisch. Vor der Folie von Enites Auftritt am Artushof erscheint die dem Helden entgegenstürmende Frau ([…] sach er ein / wîp gegen im loufen dar [WG 6285 f.]) wie die Umsetzung von plötzlicher Überwältigung in Handlung. Betrachtet man in der Folge das Jeschute-Zitat zunächst mit Blick auf die damit verbundene Autornennung, weist diese gerade in die entgegengesetzte Richtung: Wenn Wirnt über Jeschutes Schönheit angibt, daz lop gît ir her Wolfram

552 Ähnlich Gerok-Reiter, Annette: Waldweib, Wirnt und Wigalois, S. 168. Wirnt demonstriere seine Kenntnis des Erec und dessen Relation zu seiner Vorlage. 553 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 119.

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(WG 6343)554 und ihre Schönheit nicht zusätzlich an Wolframs Quelle rückbindet, ist das nur zutreffend, da die erotisierende Beschreibung Jeschutes keine Vorlage bei Chrétien hat. Darüber hinaus bietet sie die längste Beschreibung einer Frauenfigur im Parzival und schließt damit an die Beschreibung von Florie, die über das Larie-Zitat eingebunden wird, sowie an die von Enite an.555 Auch ihre erotische Wirkung, die von Jeschute ausgeht – Wolframs Jeschute truoc der minne wâfen (PZ 130,4) und ist zugleich Diu süeze kiusche (PZ 131,3) –, findet bei Chrétien keine Entsprechung. Das Jeschute-Zitat wird ergänzt um eine kurze Rekapitulation der Geschehnisse um Parzivals Begegnung mit Jeschute: als in lêrte diu muoter sîn, er zôch ir abe ein vingerlîn und nam ir vürspan âne ir danc. (WG 6330ff.)

Auffallend ist, dass die Zusammenfassung den Hinweis beinhaltet, wie Parzival Jeschute nicht nur den Ring – wie bei Chrétien –, sondern auch die Spange stiehlt. Das steigert zum einen die erotische Wirkung, die von Jeschute ausgeht, weil die Spange ihr Hemd zusammenhält und der Raub sie entblößt. Zum anderen zielt es auf Wolframs Art und Weise der Schilderung, die sich im Gegensatz zu gängigen Beschreibungsmustern nicht Kleidung, sondern Jeschutes Körper zum Gegenstand macht. Der Spangenraub ließe sich poetologisch verstehen als Sinnbild für die erotisierende Schönheitsbeschreibung Jeschutes. Überdies würde er wiederum eine Querverbindung zu Laries Spange herstellen und löste sich zuletzt auf, wenn Wirnt am Ende der Schönheitsbeschreibung über die Spange der Beschreibung in Gänze einen konstruierten Status zuweist. Womöglich bezöge sich Wirnts Lob, das auf Wolframs fingierten Illiteratenstatus abzielt, auf das von Wolfram praktizierte Vorgehen, sich mittels des fingierten Analphabetismus von jeglicher Quellentreue freizumachen. leien munt nie baz gesprach (WG 6346), weil er, anders als noch sein Vorgänger Hartmann, per se

554 Thomas, Neil: Wirnts von Gravenberg Wigalois und die Auseinandersetzung mit der Parzival-Problematik, S. 152 versteht das Lob als „ironisches zwîvellop“. Ähnlich wie sich Heinrich von dem Türlin kritisch gegenüber Wolfram positioniere, ließe sich diese Position auch für Wirnt beanspruchen. In kritischer Auseinandersetzung mit Wolfram zeige Wirnt schließlich die „Durchführbarkeit eines Ideals [auf] […], das von Wolfram beschworen aber nicht konkret geschildert wurde“ (S. 154). 555 Vgl. dazu Brüggen, Elke: swie es ie kom, ir munt was rôt. Zur Handhabung der descriptio weiblicher Körperschönheit im Parzival Wolframs von Eschenbach. In: Andersen, Elizabeth / Bauschke-Hartung, Ricarda / McLelland, Nicola / Reuvekamp, Silvia (Hrsg.): Literarischer Stil, S. 391–411, hier S. 395. Vgl. dort zu den Parallelen von Enites und Jeschutes Beschreibung S. 404 f.

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den fiktionalen Status des Erzählens bewusst hält und sich von den ‚starren‘ Konventionen des Wiedererzählens löst und mit ihnen spielt. Dieses von Wolfram bereits betriebene Spiel führt Wirnt mit seinen Vergleichen – und darüber hinaus – weiter. Eingeleitet wird das Jeschute-Zitat mit einem Vergleich von Ruel und Jeschute, der ihre Verschiedenheit allerdings als relativ ausweist: ir lîp der vrouwen Jeschûten, diu dâ was sô sælden rîch, was des tages ungelîch dô si in ir gezelte slief und si Parzivâl an lief. (WG 6325ff.)

Wiederholt scheint kurz die Möglichkeit auf, dass der Körper von Ruel dem von Jeschute ähnlich sei, nur aber, um diese Möglichkeit direkt wieder auszuschließen. Der Vergleich zielt deutlich auf die Erotik von Jeschutes Körper ab, denn nicht Ruels Schönheit ist abhängig von ihrer Tagesform, sondern sie ist derjenigen Jeschutes an dem Tag, als sie von Parzival schlafend im Zelt überrascht wurde, ungleich.556 Parzivals Überfall ist jedenfalls ebenso stürmisch wie derjenige Ruels. Weiter wird rekapituliert: ein lützel er mit ir geranc und kuste si an ir rôten munt âne sin: im was unkunt waz es dem herzen vreude gît; dar umbe leit si kumber sît. (WG 6333ff.)

Die kurze Wiedergabe der Geschehnisse um Parzivals Begegnung mit Jeschute schildert dem handlungsthematischen Kontext entsprechend, wie Parzival Jeschute ‚gefangen nimmt‘ und sie küsst, ohne dass jedoch Erotik dazu Anlass gäbe.557 Die Negation von Erotik als Anlass für Parzivals Überfall führt aber trotz Negation die Möglichkeit ins Feld, sie als Grund für Ruels Überfall anzunehmen. Parzivals grobes Verhalten wird so vergleichbar mit Ruels Angriff auf den Helden. 556 In der Ausgabe bietet die neuhochdeutsche Übersetzung von Seelbach / Seelbach folgende Lesart an: „An dem Tage jedenfalls war sie fern der Schönheit von Frau Jeschute, der reich begnadeten, als sie in ihrem Zelt schlief und Parzival zu ihr hereinstürmte.“ 557 Roßnagel, Frank: Die deutsche Artusepik im Wandel, S. 169 ff. räumt dem Vergleich mit Jeschute weitreichende Funktion ein: Weil die Begegnung von Mann und Frau in beiden Texten keine liebevolle sei, verweise diese „szenisch-strukturelle Analogie“ „in bedeutsamer Spiegelung“ (S. 169) auf den Parzival und erreiche seine Tragweite erst in diesem Bezug. In der Jeschute-Szene füge Parzival Jeschute Schaden zu, „weil er sich nicht ritterlich verhalten kann“ (S. 170, Herv. i. O.), wohingegen Wigalois sich in „signifikanter Differenz“ falsch verhalte, „weil er sich nicht unritterlich verhalten will“ (S. 171).

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Beide scheinen von Erotik nichts zu verstehen und dennoch von ihr gelenkt. Dass Parzival Jeschute geküsst hat, lässt so die Erwartung entstehen, Ruel könne Wigalois ebenfalls küssen wollen. Wiederholt wird schließlich eine Ähnlichkeit der beiden Figuren anfänglich angedeutet und abschließend verneint:558 si wârn gelîch, als ich ez weiz, reht als ein bin einer geiz. disiu was ungehiure; sô was Jeschûten tiure swaz vrouwen lîbe ie missezam. (WG 6338ff.)

Beweggrund für die Ausführlichkeit der Zusammenfassung um Parzivals Begegnung könnte die Plötzlichkeit und Zufälligkeit sein, die beiden Begegnungen zu eigen ist. Indem sie parallelisiert werden, scheint kurz die hypothetische Annahme zulässig, es handele sich auch beim Zusammentreffen von Ruel und Wigalois um eine erotische Begegnung. Die von der Beschreibung der Jeschutefigur ausgehende erotische Wirkkraft, die ELKE BRÜGGEN eindringlich beschrieben hat,559 wird über das Figuren-Zitat und die Rekapitulation der Ereignisse beim Zusammentreffen von Parzival und Jeschute in die Ruel-Episode transportiert und macht damit auch Wigalois’ Begegnung mit Ruel zu einer höchst erotischen. Dass Jeschute im Parzival Erecs Schwester und damit Enites Schwägerin ist, deutet wiederum eine Verbindung der Frauenfiguren an, die möglicherweise darauf anspielt, dass beiden Frauen von ihren Männern Gewalt angetan wird, wie sie schließlich Wigalois durch Ruel erfährt. ANNETTE GEROK-REITER hat die Komik der Figurenbeschreibung als Strategie zur Distanzerzeugung bewertet. Innerhalb der Beschreibungstechnik wirkten „Hypertrophierungen […] der Häßlichkeitsdarstellung […] in der Übertreibung persiflierend“, Grenzüberschreitungen bzgl. der Beschreibung komisch-obszön und alltagssemantisches Beschreibungsinstrumentarium ironisierend.560 Auch 558 Vgl. dazu Gisela Lohbeck: Die Struktur der bezeichenunge im Wigalois, S. 217–223 die den Vergleich als Analogie zu den übrigen Tiervergleichen versteht; dieser Vergleich setze den mit der geiz eingespielten teuflischen Eigenschaften mit Jeschute dann diejenigen positiven der bin gegenüber. Jeschute stünde deshalb am Ende der Reihe der hereinzitierten Damen. Über die Tiervergleiche sei außerdem eine Verbindung zu Pfetans Beschreibung hergestellt (vgl. S. 214). 559 Brüggen, Elke: swie es ie kom, ir munt was rôt. 560 Vgl. Gerok-Reiter, Annette: Waldweib, Wirnt und Wigalois, S. 167 ff., Zitat S. 167. Auf der Handlungsebene würde eine identifikatorische Lektüre bewirkt, der auf discours-Ebene Strategien entgegengesetzt sind, die wiederum Distanz erzeugten und auf diese Weise die auf histoire-Ebene wirksamen Strategien unterliefen. Fokalisierungsstrategien und Moduswechsel provozierten eine „Ereignisdominanz“ (S. 165), die durch die „Beschreibungsplastizität“ (S. 166) der Figurenbeschreibung immens gesteigert würde. Für die in der Figurenbeschreibung verwendeten Darstellungsmuster rekurriert sie auf spätantike Darstellungsmuster (vgl. S. 166).

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die ironischen Erzählerkommentare trügen zur Erzeugung von Distanz bei. Die intertextuellen Verweise fügten sich hier als literarisches Spiel ein, das sich als „intellektuell-humoristische Kunst des Zitierens versteht“561. Als „kausale Konstruktion der Verknüpfung“ aber liefen die Vergleiche „logisch ins Leere“, so GEROK-REITER weiter, da sie zwar ein Liebesverhältnis denkbar machten, das aber „angesichts der vollkommenen Monstrosität der Figur absurd“ und infolge kausallogisch ausgeschlossen sei.562 Das trifft den Kern der Wirkmechanismen der Komik insoweit, als die hypothetische Vorstellung von Ruel als Minnepartnerin auch grundlegend für die auf der Handlungsebene wirksame Komik ist, trotzdem sie kausallogisch ausgeschlossen bleibt. Wenn die Minneverbindung auch ausgeschlossen bleibt, laden die Vergleiche die Begegnung dennoch höchst erotisch auf und fordern damit eine Lesart ein, die die Episode einstweilen vor die Folie der Schönheit höfischer Damen, vor allem aber vor die Folie von metaphorischen Minnegefangenschaften und erotischen Zusammenkünften stellt. Ruels Gebaren wird infolgedessen als das einer liebenden Dame lesbar, das in seiner Umsetzung aber durch ihre groteske Gestalt gebrochen und schließlich demontiert wird. Die Episode zeigt sich letztendlich als Übertragung dieser angestellten Vergleiche in Handlung. Die intra- und intertextuellen Verweise steigern Ruels Hässlichkeit immens und erörtern Schönheit als Resultat des erzählerischen Verfahrens der Schönheitsbeschreibung, sie schaffen aber vor allem eine Folie, die die metonymische Lesung der Episode als Begegnung zweier Liebender erst ermöglicht. Die auf metaphorischer Ebene ins Spiel gebrachte Gefangennahme scheint in der Ruel-Episode in die Handlungswelt verlagert. Die Komik ist Ergebnis der in der Figurenbeschreibung mehrfach evozierten Vorstellung von der hässlichen Frau als Minnedame. Schon SCHRÖDER hat darauf hingewiesen, dass Wirnt hier möglicherweise von Wolframs Beschreibung der Cundrie beeinflusst sei. Über Cundrie heißt es im Parzival: Cundrî truoc ôren als ein ber, / niht nâch friundes minne ger (PZ 313,29 f.) sowie nâch ir minn was selten tjost getân. (PZ 314,10) Wirnt habe das, so SCHRÖDER, „mit besonderem Eifer aufgegriffen“, um die von Ruel „praktizierte[] unminne“ hervorzuheben.563 Unabhängig davon, ob Wirnt hierbei von Wolfram inspiriert ist, entspricht diese Kommentierungspraxis der mit den Figurenzitaten eingeflochtenen thematischen Linie. In das Jeschute-Zitat überleitend wird Ruels Handeln mit dem

561 Gerok-Reiter, Annette: Waldweib, Wirnt und Wigalois, S. 168. 562 Gerok-Reiter, Annette: Waldweib, Wirnt und Wigalois, S. 167. 563 Schröder, Werner: Der synkretistische Roman des Wirnt von Gravenberg, S. 255.

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame

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einer Minnedame verglichen:564 swen si ir minne solde wern, / daz wær ein sûrez trûten. (WG 6323 f.) Das sûre[] trûten steht allgemein der süeze der minne kontrastiv gegenüber und negiert so die abermals ins Spiel gebrachte Option, Ruel sei fähig, jemandem gegenüber Liebe zu empfinden und zu geben. Mit Blick auf die rekapitulierte Begegnung von Parzival und Jeschute, auf die im direkten Anschluss eingegangen wird, deutet sich hier schon das Spannungsfeld an, das mit dem Jeschute-Zitat eingeführt wird. Würde eine erotische Spannung zwischen Ruel und Wigalois wirksam, bedeutete das für ihn ein unerfreuliches Unterfangen. Im Gegensatz zu Jeschute, so resümiert der Erzähler abschließend, ist Ruel alles andere als liebenswert und negiert erneut die mit lieblicher Weiblichkeit verbundene süeze für Ruel als Frau: Daz wîp dûht in unsüeze (WG 6347). Hiernach heißt es: ein kurziu naht diu machet in alt swer bî ir solde sîn gelegen; sô süezer minne kunde si pflegen. (WG 6350ff.)565

Durchweg wird die süeze minne mit der minne Ruels polarisiert, ohne diese jedoch explizit als unheilvoll zu bewerten. Abschließend wird resümiert: guotes wîbes minne was ir trûten ungelîch; sus sint die minne mislîch: diu eine ist arm, diu ander rîch. (WG 6402ff.)

Die Kommentare evozieren jeweils die Vorstellung, Ruel könnte Wigalois in Minnegefangenschaft genommen haben, ihn liebkosen und zum Beischlaf nötigen. Diese „Konnotationen eines Liebesaktes“566 werden noch gesteigert: Indem die abschließende Sentenz die Möglichkeiten der Minnefreuden abwägt, hebt sie die Polarität von metaphorischer Minnegefangenschaft und tatsächlich vollzogener

564 Ähnlich Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 202, die das Verhalten Ruels als „grobe Imitation des Verhaltens einer Minnedame“ versteht. Böcking, Cordula: daz wær ouch noch guot wîbes sit, / daz si iht harte wider strit, S. 369 hat das in Bezug auf Ruels physische Erscheinung als „schauerlich-humoristisches Gegenbild zu der mit physischen Idealmerkmalen versehenen höfischen Dame“ verstanden. 565 Das hat Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 198 als ironischen „humorvollen Kommentar“ gewertet. Auch Böcking, Cordula: daz wær ouch noch guot wîbes sit, / daz si iht harte wider strit, S. 369 beurteilt den Verweis auf die süeze[] minne als ironischen in der Absicht, Ruel mit dem Ideal höfischer Damen in Verbindung zu bringen. 566 Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 420.

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Gefangennahme des Helden durch das Waldweib hervor. Diese Lesart fände überdies Bestätigung in DIETLS Deutung der direkt darauffolgenden Verse: Rûel diu ungehiure ergatzt in der âventiure und swaz im liebes ie geschach. (WG 6406ff.)

DIETL versteht die Verse als ironische Erklärung des Erzählers, Ruel „sei der Minnepreis und die Belohnung nicht etwa für die Mühen, sondern für die Freuden des Helden“567. Das bestätigt außerdem die Verknüpfung, die im Text hergestellt ist zwischen der guotes wîbes minne und der Gefangennahme. Ruel raubt Wigalois gleichermaßen als Frau und als Gegnerin Kraft und Verstand: dem jungen rîter si dô nam die kraft und sîne sinne; guotes wîbes minne was ir trûten ungelich[.] (WG 6400ff.)

Die Nähe zur Minnegefangenschaft wird im Text an der Stelle selbst hergestellt, wenn die Gefangennahme mit guotes wîbes minne verglichen wird. Die direkte und freilich ironisch zu verstehende Inszenierung von Ruel als Minnedame hebt sich in ihrer Modusform von den beiden zuvor gezogenen Vergleichen ab. Waren beide im Konjunktiv formuliert zeigt die indikativische Form (guotes wîbes minne / was ir trûten ungelîch) eine wirklichkeitsnähere Variante von Ruels Minneavancen an. Für die Beschreibung der Figur ist daher festzuhalten, dass bis zu dem Moment, in dem sie Wigalois erst packt und gefangen nimmt, die Möglichkeit einer hypothetischen Minnebeziehung durchweg intensiviert wird. Dazu tragen sowohl die intertextuellen Zitate bei, als auch die Kommentare, die ihr Betragen als Frau betreffen. Auch ab dem Moment der Gefangennahme wird weiterhin mehrfach betont, dass Ruel eine Frau ist. Für die Episode ist daher weiterhin zu fragen, in welchem Verhältnis das über die Kommentierung erzeugte Bild der potentiellen Minnedame zur erzählten Handlung steht. Handlung, Wissen von Handlung und die Komik der Ruel-Episode Eine Vorlage findet all das im Le Chevalier du Papegau nicht. Dort nimmt die namenlose femme sauvage Artus gefangen, indem sie sich von hinten anpirscht

567 Dietl, Cora: Wunder und zouber als Merkmal der âventiure in Wirnts Wigalois?, S. 300. Seelbach, Sabine / Seelbach, Ulrich übersetzen in der Ausgabe: „Die gräßliche Ruel ließ ihn die Aventiure und jede angenehme Erinnerung vergessen.“

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame

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und ihn fest umarmt. Seine Rüstung bewahrt ihn davor, von ihr zerdrückt zu werden. Die wilde Frau erschrickt beim Wiehern des Pferdes, löst die Umarmung kurz und Artus nutzt diesen Moment, um sich zur Wehr zu setzen, sie zu Boden zu bringen und ihr gegenüber sein Schwert zu ziehen – dass sie eine Frau ist, wägt Artus nicht ab (vgl. CDP § 62 Z. 14 ff.). Artus wird von der Frau heimtückisch erfasst und befreit sich am Ende eigenständig. Er zögert an keiner Stelle, sein Schwert gegen die Frau zu erheben, ohnehin ist ihre Weiblichkeit an keiner Stelle thematisiert. Wilde Weiber tauchen in mittelhochdeutscher Dichtung häufig auf.568 Das entscheidende Kriterium für Formen literarischen Handlungswissens ist weniger ihre äußere Erscheinung als vielmehr das Handlungsgeschehen um die wilden Frauenfiguren. Auch Gawein begegnet in der Crône einem wilden Weib: Sie klemmt sich den Helden unter den Arm, schleppt ihn davon und will ihn töten (vgl. CR 9426 ff.). Das wird jedoch nur möglich, weil Gawein vom vorherigen Kampf noch geschwächt und auf einen Angriff nicht ausreichend vorbereitet ist (vgl. CR 9337 f.). Als die Wilde ermüdet, ergreift Gawein sein Schwert, befreit sich und besiegt sie. Auf potentiell mögliche Liebesverbindungen mit der Hässlichen wird in der Beschreibung ebenso mehrfach angespielt,569 konkrete Vergleichsfiguren höfischer Schönheit werden nicht angeführt. Die in die Beschreibung der Wilden eingeflochtenen Kommentare zielen auf ihr Aussehen ebenso ab wie auf ihr Geschlecht: Vnd wær si des tievels praut, / Er het si widersezen. (CR 9347 f.) Der Vergleich, der auf ihre Chancen als Ehefrau abzielt, zeugt von ihrer enormen Hässlichkeit. Ihr wird die Fähigkeit zu minnen allerdings annähernd abgesprochen: Vnd geschach ie liep manne / Von ir lieb, des wundert

568 Vgl. dazu die Zusammenstellungen von Tuczay, Christa: Wilde Frau; Kasten, Ingrid: Häßliche Frauenfiguren. In: Lundt, Bea (Hrsg.): Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. München 1991, S. 255–277 (Sibille und Cundrie); Wisbey, Roy: Die Darstellung des Häßlichen im Hoch- und Spätmittelalter. Für die Darstellung hässlicher Frauengestalten im französischen Artusroman hat Schmolke-Hasselmann, Beate: „Camuse chose“. Das Häßliche als ästhetisches und menschliches Problem in der altfranzösischen Literatur. In: Zimmermann, Albert (Hrsg.): Die Mächte des Guten und Bösen. Vorstellungen im XII. und XIII. Jahrhundert über ihr Wirken in der Heilsgeschichte. Berlin [u. a.] 1977 (= Miscellanea Mediaevalia 11), S. 442–452, S. 449 resümiert: „Es handelt sich in der Regel um den Typ der unheimlichen, abstoßenden Alten. Nicht selten will sie den Helden verführen.“ Dennoch gehe „[v]on den häßlichen Gestalten in der afz. Literatur […] im allgemeinen keine komische Wirkung aus“, wenn auch ‚Minnespott‘ bei der Schilderung häßlicher Frauen eine gewisse Rolle“ (S. 451) spiele. 569 Eine solche Anspielung findet sich auch für die wilde Flata in Heinrich von Neustadt: Apollonius von Tyrland nach der Gothaer Handschrift, Gottes Zukunft und Visio Philiberti nach der Heidelberger Handschrift. Hrsg. v. Samuel Singer. Berlin 1906 (Nachdruck Dublin / Zürich 1967) (= Deutsche Texte des Mittelalters 7), V. 4405 ff.

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mich. (CR 9382 f.) Wo solche Vergleiche im Wigalois eingesetzt werden, um die Vorstellung von Ruel als Minnedame vorerst zu bekräftigen, dienen sie hier dem unmittelbaren Ausschluss einer solchen Annahme. Das wird am Ende der Beschreibung deutlich exponiert: Nature het si beroubet / Vnd allr süeze betoubet. (CR 9424 f.) In der Beschreibung wird für ihr Aussehen relevant, dass sie eine Frau ist, ihr Handeln allerdings bleibt davon unbeeinflusst. Eine Liebesverbindung ist von vornherein undenkbar. Im Wolfdietrich agieren gleich mehrere wilde Frauen in einer mit Ruels vergleichbaren Art und Weise:570 Die rauhe Else setzt den Helden – mit Hilfe von Zauberkraft – gefangen und raubt ihm Schwert und Kampfeskraft; am Ende aber entzaubert sie ihn auf Gottes Anraten hin. Sie begehrt Wolfdietrich so sehr, dass sie gleich mehrmals versucht, ihn dazu zu bewegen, mit ihr eine Liebesverbindung einzugehen. Die Ähnlichkeit von der rauhen Else zu Ruel bezieht sich auf den gewaltvollen Versuch, den Helden an sich zu binden. Aufgrund dieser Analogie konstatiert BLEUMER, dass die mit Ruel nur angedeutete Minneverbindung als „Element der Deskription [hier] in der Handlung ausgeschrieben“571 sei.572 Entscheidend ist, dass die rauhe Else als zunächst hässliche Frau eine Minneverbindung mit dem Helden erzwingen möchte und hierfür ihm gegenüber Gewalt ausübt. Im Hinblick auf das Kampfgeschehen ähnelt Wolfdietrichs Kampf gegen Berille demjenigen von Wigalois gegen Ruel dagegen stärker: Anders als Ruel hat Berille eine Waffe bei sich – traditionsgemäß kämpfen Riesinnen mit einer Stange oder einem Baumstamm –, aber auch sie klemmt sich Wolfdietrich unter die Arme und fesselt ihn anschließend (vgl. WD D 728,4 f.). Grund für ihr aggressives Verhalten ist ebenfalls Rache für einen verstorbenen Mann, hier für ihren Bruder. Zuletzt kommt Gott Wolfdietrich mit Regen zur Hilfe, der die Fesseln weitet und ihn so befreit. Mit Runze dagegen teilt Ruel nur ihre von einem falsch eingeordneten Geräusch verursachte Flucht (vgl. WD D 789/ WD B 508). Angreifende wilde Weiber – oft als wilde Riesinnen – werden in der Regel vom Helden besiegt. Die Riesin Rubal im Seyfrid oder Birkhilt im Eckenlied bspw. zeigen keinerlei Entsprechungen in der Art und Weise ihrer Auseinandersetzung mit dem Helden auf, ebenso wenig die Fidegart im Garel. Das Eckenlied

570 Kerth, Sonja: Gattungsinterferenzen in der späten Heldendichtung, S. 59 hat den Wigalois daher als Prätext für die Figuren Berille und Runze bewertet. 571 Bleumer, Hartmut: Das ‚wilde wîp‘, insbes. S. 88. 572 Vgl. auch Böcking, Cordula: daz wær ouch noch guot wîbes sit, / daz si iht harte wider strit, S. 367. Auch sie hebt die Liebesverbindung zwischen den beiden Figuren als maßgeblich für die Bewertung der Episode hervor und stellt sie in die Tradition der Martenehe, da Else sich am Ende in eine schöne Frau verwandelt.

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akzentuiert indes erstaunlich häufig, dass es weder hinsichtlich des Geschlechts und dessen Kampfeskraft, noch hinsichtlich des hieraus resultierenden Ruhms angemessen ist, gegen eine Frau zu kämpfen. Dietrich von Bern erwidert auf den bevorstehenden Angriff von Birkhilt: ‚so bestuͤnd ich gerner hundert man / strites den aine vroᵛrwen.‘ (E2573 232,2 f.) Abermals betont er, dass es sich nicht schickt, gegen eine Frau zu kämpfen: […] ‚ich slah niht gerne wip.[‘] (E2 235,11) Von einer Frau angegriffen zu werden, ist ebenso ein Tabu: ‚ich han niht aines mannes muͦt, das ich tuld soͤlch unmasse, von ainem wib so mengen slak.[‘] (E2 238,2ff.)

Als Uodelgart Dietrich von Bern hiernach zu Boden zwingt, geniert er sich: Des schamte sich her Dietherich. (E2 245,1) Deutlich wird hier gleich mehrmals hervorgehoben, dass Kämpfen gegen eine – wenn auch wilde – Frau sich nicht gehört. Ihr zu unterliegen bedeutet großen Misskredit. Der Vergleich mit anderen wilden Frauen, deren Weiblichkeit entweder für die kämpferische Auseinandersetzung eine Rolle spielt oder die für Liebesverbindungen zum Helden in Betracht gezogen werden, kann nur bedingt Aufschluss über ein spezifisch an das narrative Muster gebundenes literarisches Handlungswissen geben. Gerade der Wolfdietrich zeigt vor dem Hintergrund der Frage nach einem solchen Handlungswissen bloß, dass dort die im Wigalois angelegten Tendenzen, wie BLEUMER gezeigt hat, in Handlung transponiert sind. Die zwischen Ruel und Wigalois nur hypothetische Verbindung wird schließlich mit Sigeminne – ihrem sprechenden Namen gemäß – möglich. Runzes und Berilles Geschlecht ist nicht relevant, auch hier weisen die Analogien nur den Wigalois als Hypotext für Übernahmen aus. Wo weder im Le Cheavlier du Papegau noch in der Crône das Geschlecht der Wilden zum Problem wird, kann aber der Blick auf das Eckenlied zeigen, dass auch die Weiblichkeit wilder Gegner als durchaus prekär verhandelt wird. Wigalois aber zieht sein Schwert gegenüber Ruel nicht. Da der Text selbst in der Begründung für die Passivität des Helden gegenüber der Angreiferin eingangs unkonkret bleibt (missetriuwe [WG 6366]), zeigt sich Wigalois’ Verhalten in der Situation als auf verschiedenen Ebenen inadäquat. Noch bevor Ruel Wigalois packt, liefert eine eingeschobene Sentenz (vgl. WG 6366 f.) die Begründung für Wigaloisʼ Handeln, die auf falsches Vertrauen abzielt und Wigalois

573 Das Eckenlied. Sämtliche Fassungen. Hrsg. v. Francis B. Brévart. Teil 1. Einleitung. Die altbezeugten Versionen E1, E2 und Strophe 8–13 und E4. Anhang: Die Ecca-Episode aus der Thidrekssaga. Tübingen 1999 (= ATB 111).

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infolge eine Gutgläubigkeit gegenüber Frauen attestiert.574 Diese wird schließlich vom Erzähler bestätigt: alsô übergap erz dâ. daz starke wîp begreif in sâ, wan si endûhte in des niht wert daz er gegen ir sîn swert immer gevuorte, wan grôziu tugent ruorte sîn herze zallen stunden. (WG 6371ff.)

Wenn Ruel aus der Perspektive von Wigalois zunächst als crêatiure (WG 6393) benannt wird, macht Wigaloisʼ Hilfegesuch am Ende der Episode deutlich, dass nicht nur der Erzähler Ruel durchweg als wîp akzentuiert, sondern dass Wigalois sie ebenfalls als solches wahrnimmt: daz mir mînen jungen lîp / iht beneme ein solich wîp (WG 6498f.). Für das sich im Nachhinein als Fehlverhalten zeigende Versäumnis wurden in der Forschung zwei Gründe für möglich erachtet. Wo es auf der einen Seite darauf ankommt, dass Ruel ein wîp ist, geht es auf der anderen vorrangig darum, dass der Held sich als Ritter inadäquat verhält. Schon CORMEAU schlussfolgert, Wigalois könne aufgrund ethischer Normen sein Schwert nicht gegen Ruel ziehen und bindet Wigalois’ unterlassene Verteidigung damit deutlicher an die weibliche Gegnerin.575 In gleicher Weise bewertet BÖCKING Wigalois’ höfisches Verhalten gegenüber der unhöfischen Dame als deplatziert.576 Demgegenüber changieren Urteile, die das versäumte Abwehren auf eine „Unfähigkeit, die Situation angemessen zu steuern“577 zurückführen, zwischen beiden Polen und bleiben diesbezüglich überwiegend unkonkret. Wo FUCHS aber schlussfolgert, die Ruel entgegengebrachte „ritterliche[] Fairneß“ entpuppe sich am Ende als „völlige Fehleinschätzung der Situation“ und zitiere einen in dieser Aventiurewelt „obsoleten Verhaltenscodex“578, bewertet FASBENDER die unterlassene Gegenwehr als einen seine ritterlichen Fertigkeiten betreffenden „technische[n] Fehler“579.

574 Vgl. Eikelmann, Manfred / Tomasek, Tomas (Hrsg.): Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts. Bd. 1, S. 246. Die Sentenz ist dort paraphrasiert als „Falsches Vertrauen führt zu Schaden.“ 575 So auch schon Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 44. Ähnlich Veeh, Michael: Auf der Reise durch die Erzählwelten hochhöfischer Kultur, S. 192: „höfische Tugendnormen“ hinderten ihn. 576 Vgl. Böcking, Cordula: daz wær ouch noch guot wîbes sit, / daz si iht harte wider strit, S. 371. 577 Antunes, Gabriela: An der Schwelle des Menschlichen, S. 205. Abgeschwächt schon bei Bleumer, Hartmut: Das ‚wilde wîp‘, S. 78. 578 Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 161 f. 579 Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 95.

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame

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Beide Deutungen aber bewerten Ruel allein als unhöfischen Gegner, demgegenüber sich Wigalois nicht recht zu verhalten weiß, und beziehen ihr Geschlecht nicht ein.580 Wenngleich es für die Komik bedingenden Mechanismen von besonderer Relevanz ist, dass dem Helden mit Ruel eine Gegnerin gegenübersteht, ist die geschaffene Situation dennoch ebenso „widersprüchlich[]“ im Hinblick auf Wigaloisʼ Stellung als Ritter, wie BARTSCH jüngst konstatiert, insofern sie den Ritter in eine Situation versetzt, in der „er nicht in der Lage ist, als Ritter zu handeln“.581 Dass Ruel ihn packt und davonträgt, führe, so BARTSCH weiter, Wigalois’ Ruf samt Taten ad absurdum, indem er vom rîter zum sac degradiert würde.582 Die Komik dieser Schilderung gebe den Helden in seiner Opferrolle schließlich der Lächerlichkeit preis, so deutet es SOPHIE MARSHALL, und demontiere so den „bewunderten Gottesritter“.583 Gawain bspw. stellt sich in der Crône dem bevorstehenden Kampf (CR 9339, 9428) und ist gewillt, sich zu verteidigen. Wigalois aber rechnet gar nicht erst mit Ruels Angriff: si lief zuo im âne wer; / […] / desn trûwet der junge rîter niht. (WG 6363–6365) Sowohl der Blick auf die Crône als auch auf den Le Chevalier du Papegau zeigt, dass das Geschlecht der Gegnerin dort keinen Einfluss auf das Handeln der Ritter hat. Beide verteidigen sich gegen die wilde Frau, ohne die Angemessenheit ihres Kampfgebarens gegenüber der Frau infrage zu stellen. Wiewohl Wigalois sich als Ritter gegenüber seinem Gegner inadäquat verhält, ist der Grund hierfür doch nicht das Unhöfische, das ihm bis dato nicht vertraut ist. Das jedenfalls ließe sich am Text nicht belegen. Demgegenüber ist deutlich, dass Wigalois mit einem Angriff gar nicht erst gerechnet hatte (desn trûwet der junge rîter niht. [WG 6365]). Warum aber sollte er nicht mit einem Angriff eines in seinem Aussehen unhöfischen Gegners rechnen? Bleibt die missetriuwe als Grund für seine Zurückhaltung eingangs unkonkret, macht die Sentenz deutlich, dass sie nur auf Ruels Geschlecht bezogen sein kann: von missetriuwe vil ofte geschiht daz den liuten missegêt. swer daz gerne understêt, der sî gewarnet zaller zît: vil lîhte erz anders missegît. (WG 6366ff.)

580 Vgl. Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois, S. 114 meint, der Held sei vom Drachenkampf dermaßen geschwächt, dass er sich nicht gegen Ruel wehren könne. Das lässt sich jedoch anhand des Textes nicht belegen. 581 Bartsch, Nina: … nu lach oder zurne, S. 64. 582 Vgl. Bartsch, Nina: … nu lach oder zurne, S. 64 f. 583 Vgl. Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 422 f.

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Falsches Vertrauen gegenüber einem unhöfischen Monstrum jedenfalls ließe sich kaum kausallogisch rechtfertigen. Das deplatziert wirkende Verhalten von Wigalois in der Situation aber lässt sich mit Blick auf die vorangegangene Beschreibung des wilden Weibs vielmehr so verstehen, dass es Resultat ihres Geschlechts ist. Dazu tragen die intra- und intertextuell angelegten Vergleiche mit den höfischen Damen ebenso bei wie auch die allgemeinen Vergleiche mit der minne der Frauen. Neben den Bezeichnungen als tiuvelin (WG 6379) und tievels trûte (WG 6443, 6452), wird Ruel durchweg als wîp bezeichnet. Zu keiner Zeit steht diese Bezeichnung in einer adjektivischen Verbindung, die ihre Weiblichkeit negativ bewertete; lediglich an der Stelle, wo sie Wigalois packt, wird Ruel als daz starke wîp (WG 6372) betitelt, was jedoch nur das Androgyne ihrer Gestalt betont. Wigaloisʼ Zögern bestätigt die in der Beschreibungssprache angelegte Vorstellung von Ruel als Frau. Im Umkehrschluss also zeigt sich sein Handeln offenkundig durch das Geschlecht von Ruel beeinflusst. Das auch im Eckenlied entworfene Handlungswissen um die kämpferische Auseinandersetzung mit der Frau bestätigt, dass es sich einerseits nicht gehört, gegen eine Frau zu kämpfen und sogleich, dass es sich andererseits wenig ruhmreich auf den Helden auswirkt, wenn er gegen eine – wenn auch wilde – Frau kämpft. Offenbar lässt Wigalois die Tatsache, dass Ruel eine Frau ist, den falschen Verhaltenscodex anwenden, er übersieht dabei die Gefahr, die von ihr ausgeht und die in der Hässlichkeit und dem Verhalten der Figur offenkundig ist. Ruel kommt ihm nicht bloß entgegen, sie rennt regelrecht auf ihn zu und weist damit eindeutig eine kämpferische Absicht auf. Nichtsdestoweniger verkennt Wigalois die Situation vollends und macht damit möglich, dass sie ihn ohne Gegenwehr gefangen setzt. Am Ende bleibt Wigalois der einzige unter seinen Heldenkollegen, der sich nicht aus eigener Kraft aus den Fängen des Weibes befreit bzw. ihren Angriff siegreich besteht. Wo sich bspw. Artus und Gawein befreien und verteidigen, bleibt Wigalois gänzlich passiv. Es ist schließlich Ruel, die das Schwert gegen ihn erhebt. Hatte Wigalois es unterlassen, sich ritterlich-adäquat zu verhalten, sein Schwert gegen sie zu ziehen und sich angemessen zu verteidigen, will Ruel ihn damit enthaupten. Die parataktische Schilderung der Ereignisse konfrontiert zunächst Unzusammenhängendes miteinander: daz swert swanc si gegen im her. in dirre nôt gedâht er der schœnen magt Lârîen. sîn ors begunde schrîen und ze weien sêre. dem wîbe enwart niht mêre wan daz sin alsô ligen liez[.] (WG 6422ff.)

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame

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Die Zusammenhänge werden nachträglich enthüllt bzw. erst geschaffen, in der Schilderung haben sie zunächst noch eine vollends zusammenhanglose Wirkung, die scheinbar Unzusammenhängendes und nicht kausal auseinander Hervorgehendes bzw. aufeinander Folgendes zusammenstellt: Ruel will Wigalois töten, er gedenkt Larie im Moment des vermeintlichen Todes, das Pferd wiehert, Ruel lässt von ihm ab und flieht. Die nachgeschobene Begründung für die Flucht indes kollidiert mit dem Wissen des Rezipienten um den Tod des Drachens, einzig Ruel bleibt Unwissende. Für die sowieso schon komisch inszenierte Flucht, die, wie es zunächst scheint, grundlos oder aus Angst vor dem wiehernden Pferd geschieht,584 wird eine ausführliche Begründung angeführt, die jedoch schon während der Schilderung vom Rezipienten als hinfällig entlarvt werden kann, weil er um den Tod des Drachen weiß.585 Die religiöse Dimension hält erst mit dem der Erklärung des göttlichen Beistandes dienenden Erzählerkommentar Einzug in die Episode (vgl. WG 6461 ff.), vorher wird die Episode an keiner Stelle vom Erzähler einer religiösen Ausdeutung unterstellt.586 In die Bitte an Gott um Hilfe aus der misslichen Lage integriert ist schlussendlich ein entscheidender Hinweis für das Verständnis der Episode als in Handlung übersetzte Minnegefangenschaft: [‚]wær si doch sô genæme daz ich si möhte an gesehen, sô wær mir deste baz geschehen.[‘] (WG 6501ff.)

Von einer ansehnlichen Dame hätte Wigalois sich durchaus lieber gefangen nehmen lassen, Ruel aber, so bemerkt er kurz darauf weiter, sei keine Frau, sondern ein ungehiure:

584 So auch Standke, Matthias: Der Held im Wald der Stimmen, S. 358, der ebenfalls urteilt, dass die Errettung und die Flucht „nicht einer gewissen Komik“ entbehrten. Lembke, Astrid: Ritter außer Gefecht, S. 73, deutet das Wiehern des Pferdes als Hilfe von einem der ritterlichen Attribute schlechthin. 585 Auch Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 168 meint, Ruels Handlungsweise gebe sie an dieser Stelle der Lächerlichkeit preis. 586 Vgl. Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 56. Dass Wigalois durch einen Zufall gerettet und dieser im Anschluss als göttliche Fügung interpretiert werde, sei nichts Außergewöhnliches und finde seine Entsprechungen schon im Erec. Der Zufall werde dann zum „Werkzeug der Vorsehung“ (S. 46), wenn sich im Anschluss Wigalois’ Fesseln aufgrund eines Gebets lösen. Auch Fasbender, Christoph: Der Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 95, betont, dass der Text keine „streng kausale Verknüpfung“ zwischen dem Gedenken an Larie, dem Wiehern des Pferdes und Gottes Hilfe biete. Anders Bendheim, Amelie: Wechselrahmen, S. 292.

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4 Strategien der Komikerzeugung im Wigalois

[‚]nûn ist weder wîp noch man der mich binde âne wer; […] ez sî ernest ode ein spil, daz ez mir nimmer mê geschiht, swâ mîn ouge iht des siht daz mînem lîbe geschaden mac, ichn slahe ie doch den êrsten slac dem daz ungehiure si.[‘] (WG 6515–6524)

Erst nachdem die Gefahr, die von Ruel ausging, überwunden ist, wird sie auch von Wigalois als ungehiure objektiviert. Der diese Einsicht einleitende Vers deutet an, dass die Episode sich ebenso als spil auffassen lässt und sich mit dem Hinweis selbst als solches entlarvt. Vergnügen bereitet dabei eben nicht nur die Komik, die den Kommentierungen innerhalb der Beschreibung der Scheußlichen entspringt, sondern auch das Gegenüber von Wigaloisʼ zaghafter Zurückhaltung und Ruels übermannendem Überfall, der ebenso plötzlich wie derjenige von Frau Minne geschieht. Die in der Ruel-Episode wirkende Komik ist auf mehreren Ebenen angelegt und generiert sich nicht allein qua Unhandlung. Die für die Figurenzeichnung mehrfach konstatierte Komik zeigt sich im Vergleich mit anderen Hässlichkeitsbeschreibungen nicht als an und für sich komisch, auch ihre groteske Gestalt, die durch die Tiervergleiche hergestellt wird, zielt mehr auf das Unmenschliche der wilden Weiber und ist ein gängiges Beschreibungselement, das vielfach Verwendung findet. Zunächst wird die Deskription von einer Kommentierungslinie dominiert, die auf den Kontrast von schön und hässlich zielt. Neben den Vergleichen mit den namentlich erwähnten Damen werden darüber hinaus Schönheitsideale aufgerufen, um direkt in Bezug auf Ruel verneint zu werden. Die in den Vergleichen mit Schönheit geschaffenen Polaritäten steigern die Hässlichkeit der Figur. Komik entsteht erst in der Diskrepanz, die sich aus ihrem Aussehen und den in den weiteren Erzählerkommentierungen in Aussicht gestellten Minnezusammenkünften ergibt. Die Vorstellung von Ruel als Minnedame wird in den Kommentaren transportiert, vollständig erschöpft sie sich dann weiterhin, indem der intratextuelle Bezug auf Larie und die intertextuellen Bezüge auf Jeschute und Hartmanns Iwein allesamt Gefangennahmen zum Thema haben und somit die Vorstellung evozieren, die metaphorische Minnegefangenschaft würde dort in Handlung transportiert, wo Ruel Wigalois gefangen nimmt. Ruels Gefangennahme von Wigalois ließe sich mit den Gefangensetzungen von Frau Minne parallelisieren. Die Beschreibung von Ruel hält als Verfahren zur Erzeugung von Komik zunächst lediglich die ironische Kommentierungslinie bereit, die aber für die Handlungsebene intendiert, Ruels Verhalten als das einer minnenden Dame

4.4 sô süezer minne kunde si pflegen: Ruel als Minnedame

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zu verstehen. Die Kommentierungslinie sowie die intra- und intertextuellen Bezugnahmen geben dann eine Folie für die metonymische Lesung mit. Verstünde man Ruels Angriff auf den Helden vor der Folie der Gefangennahmen von Frau Minne, würde ihr Handeln in dem Moment eine Störung aufweisen, in dem sie das Schwert gegen den Helden zieht und ihn töten möchte. Brüchig wird sie aber vor der Folie kämpferischer Auseinandersetzungen mit wilden Frauen schon dort, wo Wigalois sein Schwert ihr gegenüber gerade nicht zieht. Ruels Weiblichkeit schafft in der Folge erst die Voraussetzung für die Komik des folgenden Handlungsablaufs: Wäre sie als Gegner ein hässlicher wilder Mann, würde Wigalois nicht ins Zögern geraten und ein Missverständnis hinsichtlich der Verteidigungswürdigkeit käme nicht zustande. Die Episode birgt ihre Komik im folgenden Handlungsablauf in den vorab angedeuteten Minneverbindungen; als Teil der Deskription schaffen diese die Basis, um das folgende Geschehen als mögliche Minnehandlung aufzufassen. Wigalois missversteht Ruels Weiblichkeit, lässt sich wehrlos gefangen nehmen und fesseln. Er kann sich nunmehr nicht zur Wehr setzen, sich nicht aus eigener Kraft befreien und unterliegt ihr schließlich vollkommen. Als handelnder Ritter ist er gescheitert und macht so Ruels Übergriff erst möglich. Das Moment der Störung entspringt seiner Passivität, die entgegen der Norm eine Verteidigung gegenüber seiner Gegnerin unmöglich macht. Der Vergleich mit anderen Texten zeigt, dass durchaus die Möglichkeit geboten wäre, sich trotz ihrer Weiblichkeit zu wehren. Der die missetriuwe als Grund anführende Erzählerkommentar gibt dem Rezipienten letztlich den entscheidenden Hinweis für die metonymische Lesart, indem er die folgende Handlung als Missverständnis seitens des Helden bewertet. Die bei der Figurenbeschreibung eingespielten Möglichkeiten der Minnewirkkraft werden im Anschluss in der Handlung auserzählt. Explizit macht das die Analogie zunächst zu Laries Wirkkraft und anschließend zur Wirkkraft, die Frau Minne auf Iwein ausübt und ihn venc und bant. Abermals steht die Komik in enger Beziehung zum poetologischen Spiel, das in diesem Fall auf dem künstlerischen Status der Schönheitsbeschreibungen fußt. „Früher Erzähltes steht als Folie für die Darstellungs- und Handlungsweise zur Verfügung“, jedoch weniger, wie CORMEAU weiter schlussfolgert, um „Bewußtsein von Gattungskontinuität“587 zu profilieren. Gattungskontinuität entsteht als Nebenprodukt einer dezidierten Auseinandersetzung mit der Thematisierung der Künstlichkeit von Schönheit im Rahmen einer Hässlichkeitsbeschreibung.

587 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 118.

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4.5 Ratlos in Sachen aventiure Aus den Fesseln, die Ruel Wigalois angelegt hat, befreit er sich nicht selbst, sondern bittet Gott um Hilfe, der ihm sogleich beisteht und die Fesseln löst. Als erstes ergreift Wigalois sein Schwert und schwört, sich in Zukunft stets zu verteidigen: sînen êrsten grif den tet er nider nâch sînem swerte, daz nam er wider dâ erz bî im ligen sach. er kuste daran unde sprach ‚ô wol mich, swert, daz ich dich hân![‘] (WG 6510ff.)

Die Reaktion auf Gottes Hilfe ist nicht zuallererst Dank, sondern zielt auf die Rückerlangung seiner Befähigung, sich ritterlich zu verteidigen: [,]ezn wirt hie nû niht mê geklaget sît ich mîn swert wider hân.‘ sînen harnasch schutter an und gie von dem steine nider balde ze sînem orse wider. (WG 6527ff.)

Wigalois legt sich die Insignien ritterlicher Bewährungskraft wieder an und verlässt, ebenso wie er in die Wildnis gekommen war ([…] daz/ er die strâze übersach / einem stîge volget er nâch [WG 6254]), den unzivilisierten Raum wieder über einen stîc gen strâze (WG 6543 f.). Die Episode hebt sich über ihre deutliche Inszenierung als Abweg auch als ein erzählerischer Abweg hervor, ebenso wie der Held war der Erzähler auf Abwege geraten. Damit inszeniert sie sich als eine Art Intermezzo, das sich sowohl als ernest als auch als spil versteht und verstanden werden will. Versichert, dass der nicht wieder den Fehler begehen würde, sich nicht zu verteidigen (vgl. WG 6520 ff.), zieht Wigalois gen Hauptaventiure weiter.588 Nachdem er den Aventiurewächter Karrioz (der âventiure huot er [WG 6595]) mit kündicheit (WG 6691) besiegt hat, steigt ein Nebel auf, der die aventiure selbst, wie es heißt, ringfömig umgibt: der nebel ûz einem mose gie; die âventiure er bevie umbe und umbe als ein rinc. (WG 6732ff.)

588 Seelbach, Sabine: Labiler Wegweiser, S. 155 ff. bspw. weist auf die Parallelen für die dilemmatische Lage in den jeweiligen Extremsituationen hin. In beiden Passagen zeigte sich ein gegenüber dem Parzival und Gregorius veränderter zwîfel-Begriff, der nur auftauche, um im selben Moment verworfen zu werden: „Seine [Wigalois’, Anm. d. V.] Ängste und Nöte werden also in keinem Moment gegen Gott gewendet.“ (S. 157).

4.5 Ratlos in Sachen aventiure

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Augenfällig ist mit Blick auf das Wappenzeichen des Helden sowie auf die folgende aventiure vom Schwertrad die Form, die der Nebel bildet. Der Nebel erschafft einen ringförmigen abgeschlossenen Raum, der den Aventiureraum faktisch umgibt, und sogleich die aventiure sinnbildlich einfasst – zugleich ist er Teil desselben. In seiner Form stellt der Raum damit eine Analogie zum Wappenzeichen des Helden aber auch zur bevorstehenden Schwertradaventiure her. Auf der Suche nach aventiure wird der Ritter mit dem Rad hier sozusagen eigens von ihr eingeschlossen (vgl. WG 6764 ff.). Die Radsymbolik nimmt in dieser Episode augenscheinlich weiterhin eine herausragende Stellung ein. Es ist erstaunlich, dass die Schwertradaventiure bisher kaum hinsichtlich ihres Symbolwerts in den Blick geraten ist, 589 obschon das Motiv des Rades, das Wigalois eigens als Schildwappen trägt, dem Helden hier selbst in Form einer aventiure gegenübersteht. Stattdessen hat man das Rad über seinen Erbauer Roaz als teuflische „Höllenmaschine[]“ begriffen, der nur mit Gottes Hilfe zu bezwingen sei.590 Solche Deutungen aber greifen sehr kurz und sparen die über den ganzen Text hinweg leitmotivisch eingesetzt Radsymbolik aus.591 Das Rad als Leitmotiv tritt als je variiertes Symbol im Wigalois mehrfach auf. In der Vorgeschichte verweist es kontrapunktisch in der Auf- und Abbewe589 Jüngere Arbeiten bemühen die offenkundig den Text durchziehende Radsymbolik wieder für ihre Gesamtdeutungen: Bendheim, Amelie: Wechselrahmen, S. 294 f., die es als „Kontrafaktur des Glücksrades“ deutet, insofern beide Räder für vom Glück Begünstigte stehen blieben und es so zum „Zeichen seiner Erwähltheit“ würde. Bei Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 339 ff. ist es Sinnbild eines inkonsistenten Erzählens, das Störmomente verursacht, die schließlich eine dem Text eigene Dynamik bedingen, welche die „ideale[] Statik des Helden unterläuft“ (S. 440). 590 Vgl. Henderson, Ingeborg: Dark Figures and Eschatological Imagery in Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 107. Sie stellt über Roaz in eine biblische Traditionslinie her, die diesen selbst in Kains Nachfolge stellt (vgl. S. 109). Vgl. auch Brinker, Claudia: Hie ist diu aventiure geholt!, S. 99, die über das Rad in eine direkte Verbindung zur Nigromantie herstellt, insofern es als „Höllenmaschine[]“ seinem Erbauer Kenntnisse in Zauberei abverlange. Vgl. dazu zuletzt Zimmermann, Martin: Technische Meisterkonstruktionen – dämonisches Zauberwerk: der Automat in der mittelhochdeutschen Literatur. Eine Untersuchung zur Darstellung und Funktion von Automatenschilderungen in Erzähltexten des 12. bis 14. Jahrhunderts unter Berücksichtigung des kulturgeschichtlichen Hintergrundes. Berlin 2011 (= Studium litterarum 20), S. 287 f., der das Rad als teuflischen Automaten beschreibt, dessen Technik Wigalois „die Grenzen seines eigenen Tuns und Handelns“ (S. 287) aufzeige und schließlich nur von Gott selbst überwunden werden könne. In eine ähnliche Richtung geht auch Jaeger, Achim: Ein jüdischer Artusritter, S. 294 f., der das Rad als Marker der Grenze zum Jenseits versteht, das die Funktion einer Richterinstanz übernähme. Der „göttliche Gnadenakt“ (S. 295), das Rad zum Stillstand zu bringen, würde Wigalois als Antagonisten des teuflischen Roaz auszeichnen. 591 Vgl. bspw. Brall, Helmut: Die Macht der Magie, S. 221 f., der das Rad bloß als Abwehrmechanismus für das „eheherrliche Gefängnis“ (S. 222) Glois interpretiert.

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gung der Figuren des Fortunarads nicht auf die Wechselhaftigkeit, sondern auf die Beständigkeit des Glücks, das Joram und den Bewohnern seines Reichs zuteil wird: Ûf des küniges veste was daz aller beste werc von rôtem golde gegozzen, als er wolde: ein rat, enmitten ûf den sal; daz gienc ûf und zetal; dâ wâren bilde gegozzen an, iegelîchz geschaffen als ein man. hie sigen diu mit dem rade nider, sô stigen dʼandern ûf wider; sus gienc ez umbe an der stat; daz was des gelückes rat. ez hêt ein pfaffe gemeistert dar; von rôtem golde was ez gar. ez bezeichent daz dem wirte nie an deheinem dinge missegie, wan daz gelücke volget im ie. (WG 1036ff.)

Wo die Tradition der Fortunadarstellungen auf dem Rad vorsieht, dass damit die Wechselhaftigkeit des Glücks versinnbildlicht ist, praktiziert das Rad im Joramreich die Bewegung des Auf- und Ab, ist aber nichtsdestoweniger Garant für die Beständigkeit von Glück und trägt hiervon auch seinen Namen: daz was des gelückes rat.592 Als Schildwappen trägt Wigalois das rat von rôtem golde (WG 1829), das als Erkennungszeichen dienen soll (da man in bî erkande [WG 1831]), in der Helmzier wird es in direkten Zusammenhang mit dem Joramrad gestellt:593

592 Vgl. zu Fortunaraddarstellungen in der mittelhochdeutschen Literatur de Boor, Helmut: Fortuna in mittelhochdeutscher Dichtung, insbesondere in der Crône des Heinrich von dem Türlin. In: Fromm, Hans / Harms, Wolfgang / Ruberg, Uwe (Hrsg.): Verbum et Signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, Studien zu Semantik und Sinntradition im Mittelalter. 2. Bd. Festschrift für Friedrich Ohly. München 1975, S. 311–328. de Boor weist nach, dass das Rad als Dingsymbol in der Literatur als bewegliches Rad die Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit des Glücks symbolisiert, während das stillstehende Rad die gegenteilige Wirkung erzielen kann (vgl. S. 316). Vgl. zur beispiellosen Fortunaschilderung in Heinrichs Crône auch Knapp, Fritz Peter: Virtus und Fortuna in der Krone. Zur Herkunft der ethischen Grundthese Heinrichs von dem Türlin. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 106 (1977), S. 253–265. 593 Vgl. Selmayr, Pia: Der Lauf der Dinge, S. 112, die das Rad im Wappen als auf diese Weise dauerhaft sichtbar gemachte Verbindung zur Mutter Florie deutet. Es sei damit zugleich „Zeichen seiner Herkunft (Vergangenheit) und Vorankündigung seiner âventiuren (Zukunft)“ und

4.5 Ratlos in Sachen aventiure

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einen helm er im ûf bant, dar ûf ein rat von golde gie. daz wâfen minnet der rîter ie, wand einez gienc ûf und zetal mit listen in sîns neven sal: durch daz truoc er daz rat, als in des sîn herze bat, zeiner zimiere. (WG 1862ff.)

Dennoch muss Wigalois sich erst noch einen Namen als Ritter machen. Hojir fordert Wigalois auf, seine Identität zu spezifizieren (‚da vüert vil manic man daz rat[‘] [WG 3107]), als er sich selbst nur beim Beinamen der rîter mit dem rade (WG 3103) nennt. Die direkte Verbindung zur Tafelrunde stellt Hojir aber nicht her, obschon vorab auf den Usus, besiegte Gegner zum Artushof zu schicken, hingewiesen wird. Erst Beleare stellt die Ähnlichkeit der Wappen heraus: [‚]an sînem schilte was ein guldîn tavelrunde [...] diu tavel diu dar umbe gie die nevuorte dehein man, als ichz vernomen hân, wan der mit grôzer arbeit und mit sîner manheit die stat hêt errungen; swem sô was gelungen, der vuorte die tavelrunde daz man dâ bî kunde sehen unde wizzen daz er zer tavelrunde saz[.‘] (WG 5612–5632)

Bereits KERN hat sich gegen eine Verwechslung der beiden Symbole und für eine „offenkundige[] Gleichsetzung von Tafel und Rad“ ausgesprochen, die sich als gewollte Verwechslung darbiete.594 Der goldene Kreis des Wappenzeichens wird hier als feststehendes Wappensymbol der Tafelrundler deutlich herausgestellt und kann zusätzlich mit anderen Symbolen kombiniert werden. Die zu-

würde „zum Attribut seiner höfischen Ritterlichkeit“, die „die vorherbestimmte Lenkung seines Weges offensichtlich macht“. 594 Vgl. Kern, Peter: Die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 79 f. Für eine Verwechslung spricht sich bspw. Dietl, Cora: Fiktive Artuswelt und Reichsideal als Produkte narrativer Struktur im Wigalois des Wirnt von Grafenberg, S. 78 aus. Beleare aber irrt sich nicht, sondern erkennt die Ähnlichkeit der Bilder und setzt sie in Bezug.

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sätzlichen Symbole – bei Gawein ist es der weiße Hirsch auf goldenem Berg (vgl. WG 5618 f.) – sind diejenigen, die auf die Identität des Ritters verweisen, der goldene Kreis fungiert dabei als Sippschaftzuordnung. Rad und Kreis aber fallen in Wigaloisʼ Wappen schlussendlich in eins, da dem Rad die Kreisform immanent ist.595 Wo der Kreis in seiner Form auf Gleichheit und Vollkommenheit abzielt, verweisen die Speichen des Rads auf Bewegung und damit auf die Umkehr von oben und unten.596 Das diese Bewegung von Umkehr symbolisierende Fortunarad ist im Wigalois konträr zu seinem Symbolgehalt zwar nicht in seiner Beweglichkeit zum Stillstand gebracht, aber in seiner Symbolik: als gelückes rat versinnbildlicht es trotz des Auf und Ab der an ihm befestigten Figuren beständiges Glück. SELMAYR hat es jüngst als „umcodiert“ und in seiner Funktion „entfunktionalisiert“ beschreiben.597 Das Kreissymbol der Tafelrunde steht wiederum über die Konzeption der aventiure mit der fortuna instabilis in Verbindung. Das Prinzip der Bewährung in der aventiure beruht auf der Wechselhaftigkeit des Glücks, das Unvorhersehbare ist das Prinzip von aventiure. Fortuna als diejenige, die die Wechselhaftigkeit über die Bewegung des Rades angibt, wird somit zum Sinnbild für das Unwägbare. In ihrer Symbolkraft stehen sich mit dem Kreis der Tafelrunde als Symbol für wechselhaftes Glück und dem Joramrad als Symbol für beständiges Glück somit dualistische Symbolwerte gegenüber. Mit dem Joramrad als heraldischem Zeichen wird das Konzept der fortuna stabilis auf den Helden übertragen und steht dem mit der Tafelrunde verbundenen der wechselhaften Fortuna gegenüber. Für die Figur selbst hat das Symbol zunächst die Funktion von Sippenzugehörigkeit, erst der mit dem Symbol des Fortunarads vertraute Rezipient versteht es als Zeichen von Prädestination. Nach dem Drachenkampf erhält Wigalois eine neue Rüstung, behält aber die mit heraldischen Zeichen versehenen Attribute Helm und Schild. Die Funktion des Schildes ist explizit erläutert: sînen schilt brâht man im sâ. Den vuorte er durch diu mære daz er ein rîter wære von der tavelrunde, daz man dâ bî kunde

595 Dem Symbol des Rads geht das des Kreises voraus, insofern das Rad eine Kombination aus dem Symbol des Kreises und Bewegung ist. Vgl. dazu Sproll, Monika Art. Rad. In: Metzler Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. v. Günter Butzer u. Joachim Jacob. 2. erw. Aufl. Stuttgart [u. a.] 2012, S. 335 f. 596 Vgl. Brogdi, Susanna: Art. Kreis. In: Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 226 f. 597 Selmayr, Pia: Der Lauf der Dinge, S. 111.

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sehen unde wizzen daz er zer tavelrunde saz. (WG 6160ff.)

Die Verse 6163 ff. sind im Wortlaut mit den Versen 5629 ff. aus Beleares Beschreibung und Deutung der Schildwappen identisch. Beleare erklärt dort den goldenen Kreis im Wappen als Zugehörigkeitssymbol der Tafelrundler: [‚]swem sô was gelungen, der vuorte die tavelrunde daz man dâ bî kunde sehen unde wizzen daz er zer tavelrunde saz[.‘] (WG 5628ff.)

Die Analogien in der Wappensymbolik erzeugen den Anschein, das Konzept der aventiure der fortuna instabilis werde durch das der fortuna stabilis ersetzt oder zumindest überlagert. Ergebnis dieser geschaffenen Analogie, so KERN, sei es, das „Verhältnis von Glück und göttlicher Vorsehung“ umzuwerten und Gott als Glücksspender herauszuheben.598 Das Unwägbare der aventiure würde damit an Gottes Willen gebunden und das an sie gebundene Ziel ritterlicher Bewährung wäre nicht mehr allein durch Kampfeskraft zu erreichen. Mit dieser Umwertung ginge schließlich auch eine Veränderung des Erzählens im Artusroman einher. Trotz der fortuna stabilis-Motivik steht das Rad im Joramreich aber nicht still, sondern praktiziert im Drehen das Auf und Ab. Auch als Teil der Wappenzier des Helden ist es nicht statisch, sondern dreht sich: enmitten ûf dem helme ein rat; daz lief umbe an der stat als er buhurdierte[.] (WG 5559ff.)

Gleichwohl seine Verbindung zum Joramrad explizit hervorgehoben ist (vgl. WG 1862 ff.), das ausgewiesen für beständiges Glück steht, dreht es sich ebenso wie das Glücksrad im Joramreich. CORMEAU versteht es deshalb als „blindes Motiv“, an dessen Stelle Vorsehung und Tüchtigkeit träten.599 Doch gänzlich blind ist es nicht, denn stetiges Glück, Vorsehung und Tüchtigkeit schließen sich nicht a priori aus, vielmehr erzeugt die aufgezeigte Symbiose von Beginn an eine stetige Ambivalenz,

598 Vgl. Kern, Peter: Die Auseinandersetzung mit der Gattungstradition im Wigalois Wirnts von Grafenberg, S. 79 f., Zitat S. 80. 599 Vgl. Cormeau, Christoph: Fortuna und andere Mächte im Artusroman. In: Haug, Walter / Wachinger, Burghart (Hrsg.): Fortuna. Tübingen 1995 (= Fortuna vitrea 15), S. 23–33, S. 24 und 31, Zitat S. 24.

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die sich zunächst aus dem Antagonismus des Glückrads selbst ergibt, das trotz Drehbewegung statisches Glück symbolisiert.600 Diese Divergenz reproduziert sich von Beginn an über die Handlung hinweg bis hin zur Schwertradaventiure. Der Dualismus von fortuna stabilis und fortuna instabilis wird in der Helmzier somit durchweg aufrechterhalten. In der gezielt inszenierten Überlagerung der beiden Konzeptionen zeigt sich so keinesfalls eine Abkehr von der an die aventiure gebundenen Wechselhaftigkeit, denn weder Joramrad noch das Rad in der Helmzier zeigen ein stillstehendes Rad, wie es bspw. in der Crône dargestellt ist. DIETL hat geschlussfolgert, dass die von Beleare vorgenommene Assimilierung von statischem Glückssymbol und Tafelrunde nicht funktionieren dürfte, weil die „fortuna stabilis dem Prinzip des Artusromans widerspricht“601. Der unter der Symbolik der fortuna stabilis firmierende Held passe nicht zum Artushof, so DIETL, weil die Struktur des Doppelwegs aus Verlust und Wiedererlangung höfischer Freude erst hervorgehe. In ihrer Simultaneität aber können die sich eigentlich dualistisch gegenüberstehenden Vorstellungen nebeneinander existieren oder gar kongruent sein, wie es Wigaloisʼ heraldische Zeichen veranschaulichen. Damit wird die Unbeständigkeit zunächst integrierter Bestandteil des beständigen Glücks und löst sich schließlich mit der Überwindung des Schwertrads auf. Daneben verweisen die Analogien in der geometrischen Form und der Farbgebung von Rad und Tafelrunde, auf die Beleare mit ihrem Vergleich aufmerksam macht – Helmrad (WG 6148), Tafelrunde (WG 5613) und Joramrad (WG 1829) sind goldfarben –, auf das Ineinandergreifen der sich per se ausschließenden Vorstellungen. Darauf, dass die Symbolik von goldenem Rad und Tafelrunde enggeführt wird, weist auch die eingangs gezeigte Darstellung der Tafelrunde in der Leidener Wigalois-Handschrift hin (Abb. 1)602, die die Vorstellung von Tafelrunde und Rad im Darstellungsmodus zusammenführt. Die Platzierung der Miniatur vor dem Textbeginn exponiert sie und stellt sie dem Text beinahe leitmotivisch voran. Die auf der runden Tafel liegenden und wie Speichen angeordneten Schwerter deuten das Radsymbol an:

600 Anders Wüstemann, Sybille: Der Ritter mit dem Rad, S. 66 f., die das in der Schwertradaventiure zum Stillstand gebrachte Rad als dasjenige für einen „neuen, statischen Rad-Typ“ (S. 67), der im neuartigen Heldencharakter verkörpert sei, deutet. 601 Dietl, Cora: Fiktive Artuswelt und Reichsideal als Produkte narrativer Struktur im Wigalois des Wirnt von Grafenberg, S. 78. 602 Digitalisat der Universitätsbibliothek Leiden. Online abrufbar unter URL: http://hdl. handle.net/1887.1/item:1615587 [zuletzt abgerufen am 10.05.2021, 13:58 Uhr]. https://creative commons.org/licenses/by/4.0/ .

Abb. 1: Leiden, Universitätsbibliothek, LTK 537, folio 1r mit vorgeheftetem Pergamentblatt mit Illustration.

Abb. 2: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4660, folio 1r.

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In der Gegenüberstellung mit der Illustration am Textanfang der Carmina Burana (Abb. 2)603 zeigt sich ebenfalls die im Bild sichtbar geschaffene Nähe zur Darstellung vom Rad der Fortuna deutlich. Die goldene Farbgebung potenziert die schon mit dem Kreis implementierte Symbolwirkung noch: Der Kreis als Symbol Gottes scheint im Symbol des goldenen – ebenfalls Symbolisierung des Göttlichen604 – Kreises der Tafelrunde auf. Schon BROWN bewertet das Rad als ein Symbol für die Verschränkung von Ritterschaft und christlichen Wertvorstellungen: „The most important symbol of Gwigalois’s connection to God – and to knighthood – is the golden wheel.“605 Seine Funktion beurteilt BROWN pragmatisch: „Wirnt uses the ekphrastic wheel of fortune to begin a dialoge with his audience about better integrating the worldly aspects of knighthood with the expectations of the Church.“606 Trotzdem er das „heraldic wheel“ als „leitmotif“ versteht, stellt er keine Verbindung zum Roazrad her.607 Dabei ist die Schwertradaventiure doch durch den mehrfach inszenierten Symbolgehalt des Rads augenscheinlich exponiert: Ausgerechnet der Ritter, der gleich zwei Mal das Rad als heraldisches Symbol bemüht, wird von einem in der Farbgebung kontrastiv angelegtem, pechschwarzen, ringförmigen Nebel gefangen gesetzt und resigniert vor einem Rad. In diesem abgeschlossenen Raum kommt die Radsymbolik zu ihrer Klimax. Deutet man das Schwertrad als eine weitere Exemplifikation eines Fortunarades, könnten die Schwerter und Kolben, mit denen es besetzt ist, auf das Nebeneinander von höfischer und außerhöfischer Welt hinweisen, wie FUCHS vorgeschlagen hat.608 Es ließe sich jedoch gleichermaßen eine Nähe zur Fortuna als Weltenrichterin herstellen, deren Signum in den Darstellungen das Schwert ist. In

603 Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek. Online abrufbar unter URL: http://daten. digitale-sammlungen.de/bsb00085130/image_5 [zuletzt abgerufen am 10.05.2021, 13:58 Uhr]. https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/deed.de . 604 Vgl. Peil, Dietmar: Art. Gold. In: Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 158–160. 605 Brown, James H.: Imagining the Text, S. 74. Brown stellt den christlichen Kontext des Joramrads dagegen über seinen Erbauer her (vgl. S. 75). 606 Brown, James H.: Imagining the Text, S. 72. 607 Brown, James H.: Imagining the Text, S. 40. 608 Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 165, Anm. 109. Gottzmann, Carola L.: Wirnts von Gravenberg Wigalois, S. 117, hingegen deutet es als „Tür […] zur göttlichen Erneuerung“, die sich im Gegensatz zum das beständige Glück symbolisierenden Joramrad disponiere. Lohbeck, Gisela: Die Struktur der bezeichenunge im Wigalois, S. 82, bewertet das Roazrad mit Blick auf das Joramrad als ein Fortunarad: Im Roazreich sei Fortuna aber zur „Handlungsträgerin der bösen Kräfte geworden“ und garantiere als fortuna stabilis Roaz’ Herrschaft. Beide Räder stünden in einem spiegelbildlichen Verhältnis und verwiesen beide auf defizitäre Zustände. Das Roazrad aber wird an keiner Stelle als das einer fortuna stabilis stilisiert.

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ihrer Position als Weltenrichterin nähme sie eine christusähnliche Rolle als Weltenrichter ein.609 IMKE WARTENBERG hat jüngst für eine spätmittelalterliche Wandmalerei in einem bischöflichen Gerichtssaal nachgewiesen, wie die dortige Fortunadarstellung sie als Vollstreckerin göttlicher Vorsehung inszeniert: Fortuna tritt hier lediglich als Vollstreckerin des göttlichen Willens in Erscheinung, die als Instrument der Providentia Dei, der göttlichen Vorsehung, das Glück der Menschen ändert, ohne Einfluss darauf zu haben, was von Gott auf ewig vorbestimmt ist. Die vernichtenden Folgen der Fortuna kann nur verhindern, wer ihr ein tugendhaft gottgefälliges Leben entgegensetzt. Dem christlichen Weltenrichter wird damit eine parallele Machtinstanz in Gestalt der Göttin Fortuna zur Seite gestellt […].610

Versteht man in diesem Sinne die Kombination aus Rad und Schwertern als Möglichkeit, göttliche Vorsehung und Wechselhaftigkeit der Fortuna in Einklang zu bringen, würde mit dem Schwertrad womöglich ein verändertes Aventiurekonzept versinnbildlicht, das sich in den Radkonfigurationen widerspiegelt.611 Die Kolben, mit denen schon der Aventiurehüter Karrioz gegen Wigalois gekämpft hatte (vgl. WG 6669), der sich wiederum mit seinem Schwert verteidigte (vgl. WG 6676), symbolisierten dabei die bevorstehende aventiure. Es bleibt daher zu fragen, wie Komik und der von Gott bewirkte Stillstand des Rades sich zueinander verhalten und inwieweit sich die Schwertradaventiure in einen diesbezüglich textübergreifend wirksamen Symbolzusammenhang stellen lässt. MARIANNE SKOWRONEK hat mit Bezug auf andere Stellen des Romans dargelegt, dass „Gott […] nach dem Bilde der Fortuna geformt [würde]“ und zum „Lenker der âventiure“ werde; er trete letztendlich an Fortunas Stelle.612 Würde aber Fortuna als „die Herrin der âventiure“613 zugunsten göttlicher Vorsehung gänzlich abgelöst, verlöre die Bewährung in der aventiure ihre Brisanz. Um jedoch die Spannung für das Erzählen von den aventiuren der Artusritter aufrecht zu erhalten, bleibt sie als Instanz unabdingbar. Gott tritt den vorangegangenen

609 Vgl. dazu Vollmer, Matthias: Fortuna Diagrammatica. Das Rad der Fortuna als bildhafte Verschlüsselung der Schrift De Consolatione Philosophiae des Boethius. Frankfurt a. M. [u. a.] 2009 (= Apeliotes. Studien zur Kulturgeschichte und Theologie 3), S. 179. 610 Wartenburg, Imke: Bilder der Rechtsprechung. Spätmittelalterliche Wandmalereien in Regierungsräumen italienischer Kommunen. Berlin [u. a.] 2015 (= Ars et Scientia 11), S. 32. 611 Vgl. zur Diskrepanz der antiken Schicksalsgöttin Fortuna und ihrem christlichen Äquivalent der sælde zusammenfassend Mentzel-Reuters, Arno: Vröude. Artusbild, Fortuna- und Gralkonzeption in der Crône des Heinrich von dem Türlin als Verteidigung des höfischen Lebensideals. Frankfurt am Main [u. a.] 1989 (= Europäische Hochschulschriften 1134), S. 56–59. 612 Skowronek, Marianne: Fortuna und Frau Welt: Zwei allegorische Doppelgängerinnen des Mittelalters. Berlin 1964, S. 43. 613 Skowronek, Marianne: Fortuna und Frau Welt, S. 39.

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Ausführungen zufolge nicht an Fortunas Stelle, stattdessen wird Fortuna zur weltlichen Vollstreckerin göttlicher Vorsehung und Wigalois zum weltlichen Vollstrecker göttlich gelenkten Artusrittertums. Die Nähe der Bedeutungsvarianten von aventiure, die das zufallende sowie das durch aktives Handeln forcierte riskante Vorhaben der ritterlichen Bewährung meinen können, würden damit enggeführt und in die Nähe des christlich konnotierten adventus gerückt.614 Tendenzen, das von Fortuna abhängige Glück an die sælde zu binden, sind bspw. schon im Erec vorhanden. 615 Wirnt aber greift gerade für das providentielle Heil nicht explizit auf eine Konfiguration der vrou sælde zurück, sondern integriert Fortuna als Weltenrichterin in die göttliche Vorsehung. Demzufolge begegnet dem Buchgelehrten Wirnt in Konrads von Würzburg Der Welt Lohn Frau Welt. So betrachtet würde Wigalois an dieser Stelle resignieren, um Fortuna von der Lenkerin der aventiure zur Vollstreckerin göttlicher Vorsehung zu machen. Die Schwertradaventiure zeigt somit einen Helden, der sich dem bis dato gültigen Konzept versagt, indem er vor dem Rad ‚versagt‘. Damit aber bricht Wigalois’ Verhalten zunächst eklatant mit den hieran gebundenen Bedingungen literarischen Handlungswissens, die sich letztlich an den Prinzipien von aventiure selbst messen. Handlung, Wissen von Handlung und die Komik der ‚(Schwertrad-) aventiure‘616 Die Episode weicht deutlich von ihrem Äquivalent im Le Chevalier du Papegau ab: Zwar muss Artus ebenfalls eine Brücke mit Schneiderad überwinden, ihm gelingt dies aber aus eigener Kraft bzw. weiß er um den Mechanismus und

614 Vgl. dazu Wegera, Klaus-Peter: mich enhabe diu âventiure betrogen. Ein Beitrag zur Wortund Begriffsgeschichte von âventiure im Mittelhochdeutschen. In: Ágel, Vilmos / Gardt, Andreas / Haß-Zumkehr, Ulrike / Roelcke, Thorsten (Hrsg.): Das Wort. Seine strukturelle und kulturelle Dimension. Festschrift für Oskar Reichmann zum 65. Geburtstag. Tübingen 2002, S. 231–244, hier S. 233 und 235. 615 Vgl. dazu Schnyder, Mireille: Sieben Thesen zum Begriff der âventiure. In: Dicke, Gerd / Eikelmann, Manfred / Hasebrink, Burkhard (Hrsg.): Im Wortfeld des Textes, S. 369–375, S. 370 f; dies.: Âventiure? waz ist daz? Zum Begriff des Abenteuers in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Euphorion 96 (2002), S. 257–272. 616 Vgl. zum Narrativ der aventiure auch Eming, Jutta / Schlechtweg-Jahn, Ralf (Hrsg.): Aventiure und Eskapade. Narrative des Abenteuerlichen vom Mittelalter zur Moderne. Göttingen 2017 (= Transatlantische Studien zu Mittelalter und Früher Neuzeit 7), dort die Einleitung von dens.: Das Abenteuer als Narrativ, S. 7–25.

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daher, wie das Rad zum Stillstand zu bringen ist.617 Das Gefährliche des Rads machen dort zwar ebenfalls seine scharfen Kanten aus ([…] la roe si estoit toute de fer, si tranchant comme ung rasoir, et si tournoit tousjours si tost que nul ne le pouoit veoir. [CDP § 63, Z. 7 ff.]618) Der Mechanismus, der das Rad antreibt, ist aber ein technischer und kein natürlicher, wie das Wasser im Wigalois.619 Entsprechend ‚einfacher‘ ist er zu überwinden: Ce fu ung fil de metal qui soustenoit tout lʼenchantement. (CDP § 64, Z. 14 f.)620 Die Schwierigkeit bietet im Le Chevalier du Papegau mehr die Brücke selbst, da das Passieren durch ihr stetiges, heftiges Wackeln kaum möglich ist. Andere Romane erzählen von keinen vergleichbaren aventiuren und auch der Text selbst stellt in diesem Fall keine intertextuellen Verweise bereit, die den Vergleich mit Handlungsabläufen anböten, die sich als Teil literarischen Handlungswissens erwiesen. 621 In Chrétiens Lancelot muss Lancelot eine aventiure bestehen, in welcher eine Brücke passiert werden muss, die selbst ein Schwert ist: Quʼil eſt come eſpee tranchanz, Et por ce treſtotes les janz Lʼapelent LE PONT DE LʼESPEE. (LC622 675ff.)623

In einer ca. 45 Verse umfassenden Rede versuchen seine Begleiter, Lancelot davon zu überzeugen, dass er sich mit der Überquerung in certain peril de mort (LC 3090)624 begibt; Lancelot aber entgegnet ihnen, er werde sich dieser Gefahr selbstredend stellen: [‚]Mes jʼai tel ſoi et tel creance An Deu quʼil me garra par tot. Ceſt pont ne ceſte eve ne dot

617 Marshall, Sophie: Unterlaufenes Erzählen, S. 430 weist darauf hin, dass im Text der Handschrift k das Rad nicht zum Stillstand kommt. 618 In der Übersetzung der Ausgabe: „La roue était en fer, tranchante comme un rasoir, et son mouvement était si rapide qu’on ne pouvait même pas la voir tourner !“ (CDP § 63, S. 215) 619 Ähnlich Thomas, Neil: Wirnt von Gravenberg’s Wigalois, S. 68. Weiter hebt er hervor, dass Wirnts „infernal bridge“ deutlich von „Christian conceptions“ beeinflusst sei. 620 In der Übersetzung der Ausgabe: „C’était un simple fil de métal qui actionnait le mécanisme de l’enchantement !“ (CDP § 64, S. 217) 621 Das in Heinrichs von Neustadt: Apollonius von Tyrland V. 11205 ff. zu überwindende Rad ist mit dem hiesigen nicht vergleichbar, es fungiert als Tugendprobe. 622 Chrestien de Troyes: Lancelot. Übersetzt und eingeleitet von Helga Jauss-Meyer. München 1974 (= Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 13). 623 In der Übersetzung der Ausgabe: „Sie ist scharf wie ein Schwert, und daher nennen alle sie die Schwertbrücke.“ (LC S. 45); vgl. auch S. 159. 624 In der Übersetzung der Ausgabe: „sichere Todesgefahr“ (LC S. 161).

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Ne plus que ceſte terre dure, Ainz me vuel metre an avanture De paſſer outre et atorner. Miauz vuel morir que retorner.ʻ (LC 3098ff.)625

Lancelots Reaktion verdeutlicht, dass es keinesfalls infrage käme, nicht wenigstens den Versuch zu wagen, das Hindernis zu überwinden. Schon zuvor hatte er betont, dass das desaventure bedeuten würde.626 Auf das Angebot, sich mit einem Boot übersetzen zu lassen, erwidert Lancelot: Et cil reſpont que il ne quiert Avoir mie deſavanture; Ja ſa teſte an ceſte avanture N’iert miſe por nes un meſchief. (LC 2650ff.)627

So wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Möglichkeit, eine sich bietende aventiure nicht anzugehen, im Prinzip nicht besteht, sogar einen gegenteiligen Effekt bewirken würde. Ebenso furchtlos besteht Lancelot im ProsaLancelot selbige aventiure. Während seine Begleiter aus Angst um ihn weinen und sich mit einem Schiff übersetzen lassen, passiert Lancelot die Brücke mutig: ‚So helff mir got!‘ sprach er, ‚ich wil sin dalang angst gewinnen, ich wond das es vil angstlicher were dann sie ist[.]‘ (PL II S. 392,14 ff.) Ebenso wenig zufällig, wie Lancelot ein Hindernis überquert, das aus dem ritterlichen Attribut schlechthin besteht, kapituliert Wigalois vor einem Rad. Augenfällig macht der Vergleich jedenfalls, dass – dies belegen zahlreiche andere aventiuren gleichermaßen – Lancelot an keiner Stelle in Erwägung zieht, nicht wenigstens den Versuch zu unternehmen, das Hindernis zu überwinden. Durchweg furchtlos stellt er sich der Herausforderung, befiehlt sich Gott an, besteht am Ende jedoch aus eigener Kraft. Es gehört zu den Prinzipien des Artusromans, dass der Ritter der aventiure tapfer entgegnet, ihr auszuweichen ist tabu. Die sinnbildliche Inszenierung der 625 In der Übersetzung der Ausgabe: „[‚]Doch ich glaube an Gott und vertraue ihm: er wird mich überall beschützen. Diese Brücke und dies Wasser fürchte ich nicht mehr als diesen festen Boden. Ich will vielmehr das Abenteuer wagen und mich zum Hinübergehen rüsten. Ich will lieber sterben als umkehren.‘“ (LC S. 161) 626 Vgl. dazu auch Lebsanft, Franz: Die Bedeutung von altfranzösisch aventure. Ein Beitrag zu Theorie und Methodologie der mediävistischen Wort- und Begriffsgeschichte. In: Dicke, Gerd / Eikelmann, Manfred / Hasebrink, Burkhard (Hrsg.): Im Wortfeld des Textes, S. 311–337, hier S. 329. desavanture als „‚ritterliches Missgeschick‘“ ist nur ein Mal belegt. 627 In der Übersetzung der Ausgabe: „Der Ritter erwidert, daß er keineswegs sein Unglück suche; sein Kopf werde in diesem Abenteuer um nichts auf der Welt aufs Spiel gesetzt werden.“ (LC S. 139)

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Schwertradaventiure fordert ihr Verständnis vor dem Horizont allgemeingültiger Maximen geradezu ein, denen zufolge Wigalois’ Handeln hier nur nicht vor der Folie des Handlungsmusters der Schwertradaventiure scheitert, sondern mit den Grundsätzen von aventiure-Handeln im Allgemeinen bricht. Das für den komischen Erwartungsbruch notwendige Handlungswissen ist demzufolge an das Handlungsmuster ‚aventiure‘ gebunden. Die im Iwein gestellte Frage des Waldmenschen ‚âventiure? waz ist daz?‘ (IW 527) zielt zuallererst auf die semantische Bedeutungsvariante des aventiure-Handelns628 ab. Daraufhin erklärt Kalogrenant aventiure zunächst als ritterlichen Zweikampf mit einem anderen Ritter: [‚]daz ich suochende rîte einen man der mit mir strîte, und der gewâfent sî als ich[‘] (IW 531ff.)

aventiure wird gesucht, so betont Kalogrenant mehrfach, um im Zweikampf den Sieg davon zu tragen und damit das eigene Ansehen zu steigern. aventiure ist „wâge“ (IW 539) und „ungemache“ (IW 545) und bedeutet, das Leben zu riskieren, um Ehre zu erlangen. Dass das aventiure-Handeln sich einem „soziale[n] Sinnbildungsmuster ritterlichen Handelns“629 verpflichtet sieht, erschließt sich dem Waldmenschen nicht, weil ihm die Rückbindung an das damit verbundene kulturelle Wertesystem fehlt. Gleichwohl sich mit der Frage für den Iwein selbst ein Bedeutungsspektrum aufspannt, das Iweins Aventiurestreben anleitet,630 ist an dieser Stelle vorrangig relevant, dass aventiure sich als aktive Bewährungsprobe versteht. Als Aventiuregegner können ebenso nichtmenschliche wie unhöfische Gegner auftreten, die aventiure kann außerdem als Ort zur Probe werden oder sich dem Helden in Form von Automaten gegenüberstellen, wie bspw. das Lit Marveile im Parzival oder das Schwertrad. In jedem Fall aber ist es die Aufgabe des Ritters, die aventiure zu bestehen. Das hebt Wigalois selbst hervor, wenn er nach der Ruelaventiure schwört, sich von nun an stets ritterlich zu verteidigen.

628 aventiure-Handeln zielt hier nicht auf die bei Strohschneider, Peter: âventiure-Erzählen und âventiure-Handeln. Eine Modellskizze. In: Dicke, Gerd / Eikelmann, Manfred / Hasebrink, Burkhard (Hrsg.): Im Wortfeld des Textes, S. 377–383 vorgenommene Differenzierung von âventiure-Erzählen und âventiure-Handeln ab, die sich letztlich als „entdifferenzierter Kreislauf von Erzählen und Handeln“ (S. 380) zeigt und der auf metadiegetische Erzählungen als Textdiskurse zielt. Stattdessen bezieht er sich auf das mit der aventiure verschränkte literarische Handlungswissen. 629 Bleumer, Hartmut: Im Feld der âventiure, S. 357. 630 Vgl. dazu Bleumer, Hartmut: Im Feld der âventiure, S. 356–358.

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CORMEAU und PETER STEIN haben mit Bezug auf CLEMENS LUGOWSKI festgehalten, dass die aventiure auf den Helden hin ausgerichtet ist und durch „rittermäßiges Verhalten zu meistern sein“631 muss. Die von LUGOWSKI formulierte ‚Begrenztheit der Hindernisse‘ erfordere, dass „die Aventiure […] [als] Instanz der Gerechtigkeit, […] dem rechten Verhalten den schließlichen Erfolg garantiert“.632 Das Resultat ist ein einfaches Prinzip: aventiuren sind da, um bestanden zu werden. STEIN schränkt diesbezüglich ein, dass der „Held grundsätzlich in der Lage sein muß, sie erfolgreich zu bestehen“, wozu sich dem Helden zwei Möglichkeiten böten: Entweder, und dies vorzugsweise, besteht der Held allein aufgrund eigener Tüchtigkeit, in erster Linie dank seiner ritterlichen Tugenden Tapferkeit und Kampfkraft; oder aber er erfährt Unterstützung von Helfern bzw. durch Hilfsmittel, doch für diese gilt dann die ganz wesentliche Einschränkung, daß er sie sich zuvor, und zwar aus eigener Kraft, erworben und damit verdient haben muß.633

Das hebt die Notwendigkeit unbedingter Aktivität seitens des Helden hevor, die mit dem Bestehen von aventiure einhergeht. Die aventiure als Geschehen zeichnet sich demzufolge, wie das auch KLAUS-PETER WEGERA festlegt, durch „ein aktives Handeln mit offenem Ausgang“634 aus. Wiederholt aber verteidigt sich Wigalois in der Schwertradaventiure nicht. Wigalois sucht vil vlîziclîch (WG 6789) und dennoch vergeblich nach einem Ausweg und bemerkt dabei schlichtweg nicht, dass der Nebel aufsteigt (Des wart der rîter niht gewar [WG 6809]); er verhält sich trotz seiner prekären Situation unaufmerksam (unz daz er sich versûmte gar [WG 6810]). Dass Wigalois den Mechanismus des Rads durchschaut, zeigt sich an späterer Stelle, wenn er noch einmal zum Schwertrad kommt und es problemlos und ad hoc stoppt: daz wazzer er dô ûf vie; / zehant gestuont das selbe rat. (WG 8511 f.) Im Moment größter Gefahr aber weiß er sich nicht zu helfen und unternimmt nicht einmal einen Versuch, das Wasser bspw. mit dem Brett, mit dem er es nach Bestehen der Roaz-

631 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 15. 632 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 15 mit Bezug auf Lugowski, Clemens: Die Form der Individualität im Roman. Berlin 1932, S. 90. 633 Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 154. Die im Roazkampf wirksame Unterstützung durch Gott gilt Stein aber durch die vorangegangenen Aventiuren legitimiert. Dass der Held im Vorhinein in diversen Abenteuern seine Tüchtigkeit bewiesen habe, binde ihn an die Gesetzmäßigkeiten der Gattung rück. Die von ihm eigens postulierte Prämisse von einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von „Leistungsidee des Artusromans“ und Geschehnissen, „die den Helden ohne eigenes Verdienst zum Ziel führen“ (S. 155 f.), ließe sich auch für das Schwertrad solchermaßen rückbinden. 634 Wegera, Klaus-Peter: mich enhabe diu âventiure betrogen, S. 235.

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aventiure aufhält, zu stauen. Stattdessen erklärt er sich gegenüber Gott als besiegt (ich wil ouch im des siges jehen [WG 6837]) und wird von Müdigkeit übermannt: In dirre nôt entslief er. (WG 6861) Trotzdem er schläft, lehnt er aufrecht an einem Stein und hält in der einen Hand sein Schwert, in der anderen die Zügel seines Pferds.635 Er hält an seinen ritterlichen Insignien fest, wenn sie ihm auch in seiner aktuellen Situation nicht weiterzuhelfen vermögen. EMING hat hierfür herausgestellt, dass Wigalois vor dem Hindernis „jede Initiative auf [gibt]“636. Wo FUCHS indessen diese Inaktivität des Helden als Zeichen von Erwähltheit gilt, indem der handelnde Held zugunsten legendenhafter Passivität zurücktrete,637 erziele die sich damit zeigende „Begrenztheit von Gwigalois’ Handlungsspielräumen“, so EMING, eine komische Wirkung: „Wirnts Entscheidung, die Ausweglosigkeit ausgerechnet durch – kindlich wirkendes – Einschlafen zu veranschaulichen, offenbart diese Begrenztheit seines Helden und gibt sie dem Lachen preis.“638 Mehr noch ist es nicht allein das Einschlafen, sondern vielmehr auch das kontrastiv zum Schlaf aufrecht erhaltene Bild des Ritters, der sich der aventiure stellt, das einen Bruch erzeugt. CORMEAU hat die Konsequenzen, die Vorsehung als „aktiv entscheidende[] Instanz“ mit sich bringt, problematisiert; die Zuspitzung der „Aventiure bis zur ausweglosen Ausgeliefertheit des Helden“ breche mit den Prinzipien der aventiure:639

635 Beifuss, Helmut: Wigalois – ein Ritter Gottes?, S. 177 sieht das darin begründet, dass er sich geschworen habe, nie mehr kampflos überwunden zu werden. Bendheim, Amelie: Wechselrahmen, S. 294 deutet das Einschlafen als Gottvertrauen, das den Helden „in einen sichtbar passiven, regungslosen Zustand versetzt, der seine Hilfsbedürftigkeit nur noch offensichtlicher hervortreten lässt“. 636 Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 204. 637 Vgl. Fuchs, Stephan: Hybride Helden, S. 123 f. und 165–169. Fuchs gilt die Schwertradaventiure als Episode „dramatischer Spannung“ (S. 166), die dem Helden „Züge des Legendenheiligen“ (S. 168) verleihe. So auch Knoll, Hiltrud Katharina: Studien zur realen und außerrealen Welt im deutschen Artusroman, S. 121. Ähnlich versteht Schiewer, Hans-Jochen: Mythisierung als Vereinfachung, S. 49 die mehrfache Hilfe Gottes als Anzeichen einer „Metamorphose“ des Helden: „Die klassische arthurische Befreiungsaventiure ist zum Kreuzzug geworden.“ Vgl. auch Dandaraw, Cordula Ursula D.: Wirnts von Gravenberc Wigalois, S. 120 f. Vgl. überdies Lohbeck, Gisela: Die Struktur der bezeichenunge im Wigalois, S. 105, die das auf den Stein gestützte Schlafen als ein versinnbildlichtes Stützen auf tugent deutet. Das Schlafen ließe den Helden Gottes Allmacht erfahren, ähnlich wie das andernorts als Erfahrung in Träumen geschehe. Bolta, Eva: Die Chimäre als dialektische Denkfigur im Artusroman, S. 179 hingegen vergleicht den Helden hier mit der Figur des Wanderers im Labyrinth, und deutet das Moment des Schlafens in diesem Zusammenhang als Befreiung von jeglicher aktiver Entscheidungsfindung. 638 Eming, Jutta: Funktionswandel des Wunderbaren, S. 204. 639 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 47.

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Dieses Hereinzitieren göttlicher Vorsehung ermöglichte einerseits die Integration der geforderten religiösen Haltung in den Verhaltensentwurf, andrerseits aber beeinträchtigt diese Lösung das Wesen der Aventiure als subjektive Erprobung, denn der göttliche Eingriff ist zwar als Urteil über die richtige subjektive Einstellung zu deuten, enthält aber ein Moment von Prädestination, so daß der Held – in der extremen Konsequenz – nicht mehr sein Ziel aus sich selbst finden muß, sondern sich nur noch unpersönlich der Vorsehung zur Verfügung zu stellen hat.640

CORMEAU hebt dabei das hervor, was auch für die Komik der Episode von immenser Relevanz ist. Haben die knappen Ausführungen zum literarischen Handlungswissen vor allem mit Blick auf den Lancelot deutlich gezeigt, dass sich der gebotenen aventiure zu verweigern heißt, desavanture zu begehen, und erfordert das Narrativ der aventiure generell die aktive Bewährung des Helden, zeigt sich Wigalois’ absolute Passivität, die durch das Einschlafen nochmals potenziert wird, als Moment von Störung, das vor der Folie der aventiure mit ihren Prinzipien bricht. Indem Wigalois stehend und seine ritterlichen Insignien festhaltend der aventiure par excellence – das vom Nebel umkreiste Schwertrad – gegenübersteht, hält er sinnbildlich den Schein der Handlung aufrecht, als wolle er diese aventiure bestehen. Dass er dabei jedoch schläft, zeigt ihn als in vollkommener Passivität verharrenden Helden, dessen aktive Handlungserfordernis im Schlaf vollends gebrochen wird. Die Handlungsintention der aventiure, die es dem Helden abverlangt, sie aktiv zu bewältigen, kommt in der aufrechten Standposition bildlich zum Ausdruck und wird gleichzeitig durch Wigalois’ schlafenden Zustand gebrochen. Das widerspricht sich nicht mit dem von DIMPEL hierfür postulierten „Gottvertrauen […] als Chiffre für eine innere Disposition“, die einen Ritter zeige, der „nicht verzweifelt, sondern mitten auf der Brücke die Stirn hat, sich Gott anzuempfehlen und Schlaf zu suchen, Schwertrad hin, Nebelmoor her“.641 Zugegebenermaßen zeigt das Schlafen die in dieser Situation größtmögliche Variante an Gottvertrauen, indem sich der Held in einen Zustand vollkommener Passivität begibt. Allerdings läuft das dem Aventiurekonzept grundsätzlich zuwider und entspricht keineswegs den im literarischen Handlungswissen verankerten Handlungskonventionen. Per se erfordert die aventiure als Konstrukt einen aktiv Handelnden, der sie als Handelnder besteht. Ein Held, der nicht für seinen eigenen Aventiureerfolg einstehen muss, unterläuft das Konzept und nimmt ihm seine Gültigkeit. Schon Beleare hatte in unmittelbarem Zusammenhang ihrer Defintion von Artusrittertum den Aktionismus seitens des Artusritters als Voraussetzung für

640 Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône, S. 57. 641 Dimpel, Friedrich Michael: Fort mit dem Zaubergürtel!, S. 34.

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das Artusritterum und das Führen der Tafelrunde als Schildwappen festgelegt (vgl. 5625 ff.): Von grôzer arbeit und manheit ist jedoch an dieser Stelle wenig zu verzeichnen. Im Moment, in dem Wigalois in der wortwörtlich ausweglosen aventiure deren Ausgang in Gottes Hand legt und damit gewiss auch Gottvertrauen zeigt, verhält er sich dennoch der für das Bestehen der aventiure erforderlichen aktiven Beteiligung vollends zuwider. Das kann man als Passivität eines Legendenheiligen verstehen oder aber als ein Moment von Störung. Im Moment des Einschlafens wird die Handlung so gesehen zur Unhandlung, insofern der Held sich vollends konträr zu seinen ritterlichen Pflichten verhält und von Müdigkeit übermannt einschläft und dabei aber im aufrechten Stand samt Pferd und Schwert den Schein der ritterlichen Handlung bewahrt. Der scheinbar unlösbare Konflikt ist aber lösbar, wie sich an späterer Stelle zeigt, wenn Wigalois das Rad stoppt (vgl. WG 8501 ff.). Selbst wenn man von einer gänzlich ausweglosen Lage ausgeht, wäre doch von einem Artusritter größerer Aktionismus zu erwarten als bloß vil vlîziclîch nach einem Ausweg zu suchen. Der Ritter mit dem Rad kann nicht vor dem Rad kapitulieren! Ebenso wenig kann er als Artusritter inmitten der aventiure kapitulieren. An dieser Stelle scheint die Radmotivik gänzlich zu kulminieren und es bleibt zu fragen, wovor er hier eigentlich kapituliert. Mit Blick auf die Bewegung ließe sich das Anhalten des Rads als Umwertung verstehen, die Fortuna als Weltenrichterin in den Dienst von Gottes Vorsehung stellt. Im Anticlaudian des Alanus ab Insulis ist Fortuna bereit, für den christlichen neuen Menschen das Rad anzuhalten und das Glück zu verstetigen.642 Der im Wigalois vollführte Stillstand des Rades wiese Fortuna in ähnlicher Weise ihren Platz in der Wirkkraft göttlicher Vorsehung zu.643 Das aber steht an keiner Stelle im Widerspruch zur Komik der Episode, da sich diese allein aus dem das aventiure-Handeln betreffenden Bruch speist. Allenfalls ermöglicht der Bruch erst die Frage zu stellen ‚âventiure? waz ist daz?‘ und vor dem Hintergrund der Erzähltradition hiermit eine Antwortmöglichkeit zu offerieren. Als „‚Ährenleser‘“ würde Wirnt in die Fragerunde eintreten und sie vor dem Hintergrund

642 Vgl. dazu Alanus ab Insulis: Anticlaudianus. Texte critique avec une introduction et des tables. Hrsg. v. Robert Bossuat. Paris 1955 (= Textes philosophiques du moyen âge 1), Buch VIII, V. 99 ff. Deutsche Übersetzung: Alanus ab Insulis: Der Anticlaudian oder Die Bücher von der himmlischen Erschaffung des Neuen Menschen. Ein Epos des lateinischen Mittelalters übers. u. eingel. v. Wilhelm Rath. Stuttgart 1966 (= Aus der Schule von Chartres 2). 643 Vgl. dazu Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 59, der auf den gewiss vorhandenen Unterschied in der Konzeption hinweist: „Ihre Überwindung geschieht also nicht unmittelbar durch Einbindung in die göttliche Vorsehung, sondern durch die Kraft der Vernunft und der Tugend.“

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bisheriger Umsetzungen verhandeln. SCHNYDER hat in ihren Thesen zum Aventiurebegriff formuliert: „Die Schwierigkeit der âventiure-Suche des Helden aber ist, dass die Welt, in die er hineinreitet, eine Welt der Texte ist, die der Erzähler als ‚Ährenleser‘ aus seinen Vorgängern zusammenstellt.“644 Der Wigalois würde, so betrachtet, mit dem aventiure-Handeln das aventiure-Erzählen thematisch machen, insofern das Schwertrad bzw. das Rad an sich als Metonymie für das aventiure-Handeln sowie das aventiure-Erzählen fungiert. Damit macht einerseits das Schwertrad sich das aventiure-Handeln zur Verständnisfolie und bringt die Handlung zum Scheitern. Andererseits macht es sich mit dem Scheitern der Handlung das aventiure-Erzählen zum Thema: aventiure nicht bewältigen können heißt auch aventiure-Erzählen nicht bewältigen können. Die Metonymie des Rades würde dann doch auf den von PETER STROHSCHNEIDER für das aventiure-Handeln und aventiure-Erzählen postulierten „entdifferenzierte[n] Kreislauf von Erzählen und Handeln“645 zielen, der sich letztendlich als metapoetischer Kommentar entpuppt. Das unterstreichen überdies die in der doch knappen Episode gehäuft vorgenommenen Leseransprachen, die auf das veränderte Aventiurekonzept und die Beantwortung der Frage nach seinem Inhalt verweisen. Zunächst in Form einer rhetorischen Frage formuliert, zeigt sich der Erzähler als ‚Herr über seine Geschichte‘. In direktem Anschluss an die Beschreibung des Schwertrads und noch vor Wigalois’ erster Reaktion auf das Hindernis heißt es: wer möht solhes iht an getragen / daz in beschirmet vor den slegen? (WG 6785 f.) Die an den Rezipienten gerichtete Frage macht das aventiure-Erzählen thematisch und hebt den Erzähler als Lenker der Geschehnisse hervor, der schließlich auf der Ebene der histoire die göttliche Vorsehung zum Leitprinzip erheben kann. Dementsprechend erfolgt im Moment der Gefangensetzung des Helden der Appell an den Leser: nu sprecht wer im ze trôste / dâ mohte komen an der stat! (WG 6818 f.) Im Augenblick völliger Passivität wird der Rezipient dazu angehalten, zu erraten, wer Wigalois zur Hilfe kommt: nû habt iu ze râten wer im dâ kœme ze trôste od wer in erlôste. (WG 6862ff.)

Damit fungieren die Ansprachen an den Leser einerseits als Fiktionalitätssignale, insofern sie sichtbar machen, dass es dem Erzähler obliegt, seinen Protagonisten in die ausweglose Lage hinein, ihn aber auch wieder aus ihr herauszuführen.

644 Schnyder, Mireille: Sieben Thesen zum Begriff der âventiure, S. 373. 645 Strohschneider, Peter: âventiure-Erzählen und âventiure-Handeln, S. 380.

4.6 Die Poetik des Wigalois, Komik und Gott: ein Zwischenfazit

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Andererseits prononcieren sie das hier sich darbietende und sich im Wandel befindende Aventiureverständnis, das am Ende der Episode mit der Instrumentalisierung der Fortuna vollzogen ist. Der Fortgang der aventiure obliegt dann nicht dem handelnden Protagonisten, sondern dem Erzähler, der ihn letztlich der göttlichen Vorsehung unterstellt. Beachtenswert ist, dass das aber nur mittels der erzählten scheiternden Handlung und dem davon verursachten komischen Bruch möglich wird. Göttliches Wunder und Komik schließen sich folglich mitnichten aus. Die Schwertradaventiure verhandelt das Verhältnis von Komik und göttlichem Wunder selbst, indem dort jene die Komik verursachende Unhandlung erst die Voraussetzung für das Aventiureverständnis ist, in welchem Fortuna zur Vollstreckerin göttlicher Vorsehung wird.

4.6 Die Poetik des Wigalois, Komik und Gott: ein Zwischenfazit Sowohl der Prolog als auch die Elternvorgeschichte weisen die Verkehrung des Erzählens wie auch des Erzählten beinahe programmatisch aus. Die Vorgeschichte schafft einerseits eine genealogische Anbindung an den Artushof, andererseits liefert die Verbindung zu Florie über die für ihre Beschreibung genutzte Mariensymbolik ein Indiz für die Umwertung des Helden zum miles christianus. Auf der Handlungsebene schafft sich die Erzählung damit veränderte Bedingungen, unter denen erzählt wird und macht sogleich auf die Veränderungen aufmerksam, auf die der Rezipient im Lektüreprozess zu achten hat. Die intertextuelle Auseinandersetzung, die schon im Prolog erfolgt und die dort bereits vorgenommenen Umwertungen gegenüber den Hypotexten zeigen deutlich, dass die produktive Auseinandersetzung forciert und vor dem Horizont eines veränderten Kunstverständnisses verstanden werden will. Die Episoden des Romans, für die Komik nachgewiesen wurde, beziehen ihre komische Wirkung allesamt aus der Auseinandersetzung mit einem je an Motive oder narrative Muster geknüpftes literarisches Handlungswissen. Die Analyse hat gezeigt, dass an das Motiv der Schönheitspreisaventiure ein Handlungswissen gebunden ist, das die Verbindung von Ritter und Freundin sowohl für den Handlungsablauf selbst als auch für deren Ausgang als notwendig vorsieht. Die Synopse der verschiedenen Realisierungen des Motivs konnte das belegen. Es handelt sich dabei nicht um eine rein intertextuell angelegte Komik, die auf parodistische Wirkung aus ist. In der im Wigalois erzählten Schönheitspreisaventiure zielen die intertextuellen Anspielungen nicht direkt auf den in chronologisch früheren Texten vorhandenen Einsatz des Motivs, sondern verweisen allgemeiner

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auf die Erecromane. Den Hinweis für die metonymische Lesung der Episode gibt schließlich das Motiv selbst: Indem eine Schönheitspreisaventiure erzählt wird, macht diese sich das Motiv der Schönheitspreisaventiure samt des daran gebundenen literarischen Handlungswissens zur Folie. Die Bewertung, dass im Wigalois das Scheitern dieses Handlungsablaufs erzählt wird, lässt erst die Rückbindung an die in den Realisierungen des Motivs transportierte kulturelle Bedeutungsordnung zu. In ihrem sprechenden Namen ‚Elamie‘ scheint schließlich die für den Roman mit der Episode bewirkte Bedeutung der Episode auf. Indem das an das Motiv des Schönheitspreises gebundene Handlungsmuster komisch gebrochen wird, zeigt sich – gewiss als Teil des hermeneutischen Zirkels –, dass die Komik der Episode darauf abzielt, dass der Gewinn von Hand und Land einer Dame nicht mehr zu den primären Interessen des arthurischen Erzählens zählt. In Hinblick auf die Umwertung des Aventiurekonzepts zeigt sich rückschauend auch dieser Bruch als Teilstück dieser Umwertung. Der Papagei als Sperberersatz ließe sich als poetologisches Signal für ein Wiedererzählen begreifen, das im Sinne des ‚Nachplapperns‘ darauf angelegt ist, die sinnhafte Inhaltsleere des eingesetzten Motivs auszuweisen. Die Umsetzung des Motivs der Identitätskrise des Helden zeigt sich ebenso als Auseinandersetzung mit dem an dieses Motiv gebundene Handlungswissen. Die im Wigalois physisch inszenierte Ohnmacht stellt sich einer dem Motiv zugehörigen psychisch erlebten Krise gegenüber. Wiederum zeigen die unterschiedlichen Konfigurationen des Motivs, wie im Wigalois die Handlung im Erwachensmoment scheitert. Zwar bietet der Iwein die erste Darstellung dieses Motivs und Wirnts Modifikation eine erste Fortführung, die anderen, wenngleich auch chronologisch späteren Umsetzungen zeigen aber, dass sich das an das Motiv gebundene literarische Handlungswissen in solcher Weise tradiert, dass der im Wigalois dargestellte Handlungsablauf stets Momente der Störung erzeugt, die Komik generieren. Zöge man allein die hergestellten intertextuellen Bezüge zum Iwein für die Frage nach dem komischen Scheitern der Handlung heran, würde sich nur eine kontrastive Gestaltung zeigen, die Kontraste ließen sich aber kaum bewerten. Erst das im historischen Script verankerte literarische Wissen um das Handlungsmuster und seine konstitutiven Elemente ermöglicht die Bewertung der Brüche als komisch. Die mit der Ohnmachtsepisode verschränkte poetologische Thematisierung von guot und sin überführt den bereits im Prolog angelegten und im Erzählerkommentar fortgeführten Diskurs auf die Ebene der Handlung; dort wird er über das Handlungsgeschehen weiterverhandelt. Die Komik der Ruel-Episode wurde hingegen mehrfach gesehen und bisweilen beschrieben. Allerdings beschränkten sich diese Analysen ausschließlich auf die mit der Figurenbeschreibung bewirkten komischen Brüche, die sich aus dem Kontrast des beschriebenen Äußeren und der in den Kommenta-

4.6 Die Poetik des Wigalois, Komik und Gott: ein Zwischenfazit

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ren evozierten Vorstellung von Ruel als Minnedame auftun. Maßgeblich wird die Komik der Episode jedoch ebenfalls davon getragen, dass der in der Beschreibung geschaffene Kontrast in die Handlung überführt wird und die Gefangennahme des Helden durch die hässliche Frau an Gefangennahmen von Frau Minne gemahnt. Dass Wigalois sich nicht gegen die Gefangensetzung wehrt, resultiert aus seiner Wahrnehmung der Hässlichen als wîp, dergegenüber er nicht sein Schwert zieht. Angriffe ähnlicher Figuren zeigen, dass Geschlecht keine Rolle spielt und die Verteidigung gewissermaßen permanent von einem Ritter zu erwarten ist. Die rauhe Else im Wolfdietrich präsentiert sich – dies müsste freilich noch in anderen Untersuchungen überprüft werden – als eine ebenso komische Übersetzung in Handlung, die wahrscheinlich von der Ruel-Episode beeinflusst ist und die dort angelegte Komik produktiv rezipiert. Mit dem sprechenden Namen von Sigeminne ist das schlussendlich vorgeführt und die mit Ruel nur angedeutete Minneverbindung auserzählt. Dass Ruel genuin als Frau gezeichnet wird, schafft die Voraussetzung für die auf der Handlungsebene evozierte Komik. Die Episode um sie als potentielle Minnedame inszeniert sich als erzählerischer und handlungslogischer Abweg, der mittels der intra- wie intertextuellen Figurenzitate den Kunstcharakter von Schönheitsbeschreibungen und damit auch der Hässlichkeitsbeschreibung von Ruel über die damit hergestellten Querverbindungen im Text selbst und darüber hinaus ausstellt. Komik forciert in allen untersuchten Episoden den poetologischen Dialog. Damit exponiert sie die Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition und implementiert sogleich die Komik als poetologisches Mittel des Romans. Narrative Strategien, die Komik erzeugen, werden aber nach der Schwertradaventiure nicht mehr eingesetzt. Das weist darauf hin, dass die Komik im Wigalois erzählerisch funktionalisiert ist, um die in der Schwertradaventiure forcierte Umwertung erst zu ermöglichen. Nach dem Sieg über den Aventiurehüter Karrioz umkreist die aventiure des Pechnebels die aventiure vom Schwertrad und hebt damit ihre exponierte Stellung hervor. Der aufrecht stehende und dennoch als Schlafender vollends passive Held scheitert vor der Folie des Handlungswissens an der aventiure selbst und eröffnet damit den Dialog über aventiure-Handeln und aventiure-Erzählen. Die auf der Ebene des aventiure-Handelns wirkende Komik erscheint als Bedingung für die Integration – so die abschließende These – von göttlicher Vorsehung in das hier offerierte aventiure-Konzept. Komik, Poetologie und Gott gehen eine Verbindung ein, die sich am ehesten als Zirkel erfassen lässt.

5 Gegenprobe: Die Komik der Crône 5.1 Die Poetik der Crône – eine Forschungsskizze Die Poetik der Crône ist eine gänzlich andere als diejenige des Wigalois. Der Text selbst legt es nahe, seine Erzählweise als postmodernes Erzählverfahren zu erfassen und zu beschreiben.646 ELISABETH SCHMID hat die Crône opportun als „Text über Texte“ und ihren Autor als „passionierte[n] homme de lettres“ bezeichnet.647 Die Art und Weise der opulenten Prätextkombination und -integration provoziert nolens volens die Frage nach ihrer Bedeutung. Mit Blick auf die sinnstiftende Struktur des Artusromans zeigt sich der Text vor allem aufgrund seines produktiven Umgangs mit Prätexten als Neukonzeption jener sinngebenden strukturellen Komposition. JUSTIN VOLLMANN hat veranschaulicht, dass die Grundstruktur gegenüber den vorausgehenden Artusromanen insofern verändert sei, als „die Krise […] vom 646 Erstmals bei Mertens, Volker: gewisse lere: Zum Verhältnis von Fiktion und Didaxe im späten deutschen Artusroman. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artusroman und Intertextualität, S. 85–106, insbes. S. 89–92. Mertens hat für den Text erstmals ein postmodern anmutendes Collageverfahren konstatiert, das das Ziel verfolge, Kunstcharakter auszustellen und jenen selbstreflexiv zu verhandeln. Sinn konstituiere sich dann bloß noch innerliterarisch. Das Collageverfahren rekurriere allein auf ein „Spolienkabinett der Tradition“ (S. 92) und mache die Crône so zu einem postmodernen Roman. In kritischer Auseinandersetzung damit Meyer, Matthias: Die Crône und die Postmoderne. In: Costard, Monika / Klinger, Jacob / Stange, Carmen (Hrsg.): Mertens lesen, S. 147–163. Vgl. auch Classen, Albrecht: The Literary Puzzle of Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône seen from a Postmodern Perspective. In: Michigan Germanic Studies 24 (1998), H. 2, S. 111–128, der anmerkt, dass „postmodernism has sensitized us to the ambiguity and ambivalence of many medieval texts“ (S. 119) und dass sich in der Folge der Text sehr gut beschreiben lasse als „an Arthurian narrative in which the familiar concepts of medieval epistemology are discarded in favor of a highly curious intellectual approach which bears surprising similarities to postmodern literary discourse“ (S. 121). 647 Schmid, Elisabeth: Text über Texte. Zur Crône des Heinrich von dem Türlîn. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 44 (1994), S. 266–287, S. 267. Schmid fragt nach der „poetischen Verarbeitung des von ihm eingearbeiteten Materials“ mit Blick auf die Gralhandlung. Vgl. außerdem mit Blick auf den gesamten Text Schröder, Werner: Zur Literaturverarbeitung durch Heinrich von dem Türlin in seinem Gawein-Roman Diu Crône. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 121 (1992), S. 131–174, der „destruktive Tendenzen solcher Literaturverwertung“ (S. 147) feststellt. Vgl. auch Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion; Thomas, Neil: Texte gegen Texte. Zum Thema Intertextualität in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Henkel, Nikolaus / Jones, Martin H. / Palmer, Nigel F. (Hrsg.): Dialoge. Sprachliche Kommunikation in und zwischen Texten im deutschen Mittelalter. Hamburger Colloquium 1999. Unter Mitwirkung von Christine Putzo. Tübingen 2003, S. 75–94, der die Crône als „eine eigene Artushistorie mit einer neuen Akzentsetzung [begreift], die auf dem Wege einer dialogisierenden Auseinandersetzung mit den französischen und deutschen Artustraditionen entsteht“ (S. 94). https://doi.org/10.1515/9783110732252-005

5.1 Die Poetik der Crône – eine Forschungsskizze

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Helden an den Artushof überantwortet wird“ und das Verhältnis von Held und Artushof in der Crône umgekehrt werde: „der Held als aktive Verkörperung des Wertezentrums, der Artushof als Sinnzentrum, in dessen Krise das Problem aufbricht, um das es geht“.648 Die beiden Thesen nehmen Bezug auf zwei maßgebliche Komponenten, welche die Crône von anderen Artusromanen unterscheidet: Ihr Protagonist ist Gawein und eine schriftliche Vorlage, auf die sich der Autor der Crône stützen will, ist ersetzt durch ein schier unüberschaubares Geflecht an Prätexten. Das daraus resultierende veränderte Erzählen weist ebenso einige Eigenarten auf. Beispielshalber wurde diesbezüglich die Nähe zu dramatischen Erzählverfahren und theatralen Inszenierungspraktiken herausgestellt.649 Solche Interpretationen geben Anreiz, sich die Handlung der Crône als dramatischen Text in mehreren Akten oder gar als Theateraufführung zu vergegenwärtigen; vermeintlich unzusammenhängende Handlungsstränge würden so jedenfalls unversehens in anders organisierte Sinnzusammenhänge gestellt und ihre kausallogisch lose Verbindung erschiene nicht brüchig, sondern der in allen Akten präsente Protagonist Gawein würde als loser, aber beständiger und verbindender Aspekt fungieren. Freilich zielt diese Veranschaulichung abermals in eine Richtung, die die Forschung zur Crône mehrfach eingeschlagen hat und die versucht, den Roman unter Aspekten postmoderner Literatur zu erfassen. Jedenfalls würde ein postmoderner Blick auf die Crône Chancen für einen Ver-

648 Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers. Ein Wegweiser durch die Krone Heinrichs von dem Türlin. Tübingen 2008 (= Bibliotheca Germanica 53), S. 217, (beide Herv. i. O.). Vollmann schlussfolgert weiter, die Crône sei nicht Roman eines Helden, sondern Roman der Artusgesellschaft: „Die Grundstruktur wird im ersten Romanteil auf politischer, im zweiten Romanteil auf philosophisch-religiöser Ebene durchgespielt.“ (S. 228) Als „Gesellschaftsroman“ ziele die Crône weniger auf psychische denn auf soziale Systemreferenz. Vgl. dazu auch ders.: Krise des Individuums – Krise der Gesellschaft. Artusroman und Artushof in der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artushof und Artusliteratur, S. 237–251. 649 Dobozy, Maria: Performance and Self-Reflexivity in diu Crône by Heinrich von dem Türlin. In: McConnell, Karen / McConnell, Winder (Hrsg.): Er ist ein wol gevriunder man. Essays in Honor of Ernst S. Dick on the Occasion of his Eightieth Birthday. Hildesheim [u. a.] 2009, S. 93–112, insbes. S. 109 hat eine eigentlich dem Theater vorbehaltene „self-reflexivity“ für die Figuren konstatiert, die diese selbst performativ inszenierten. „The narrative thus builds it’s meaning in contrast to, and within the context of, other romances by forcing a comparison of scripted alternatives.“ Vgl. mit Blick auf die Inszenierungsmöglichkeit Florian Kragl: Schneeritt und Schwanennachen. Zur Dramaturgie der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Kern, Manfred (Hrsg.): Imaginative Theatralität. Szenische Verfahren und kulturelle Potenziale in mittelalterlicher Dichtung, Kunst und Historiographie. Heidelberg 2013, S. 161–182. Er kommt zu dem Schluss, dass Dramaturgie anstelle von Theatralität den passenderen Begriff bieten könnte, weil das Medium für die Darstellung nicht das Theater, sondern der Film wäre.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

ständnishorizont bieten, vor dem sich auch Brüche in der Erzähllogik und in der erzählten Zeit leicht auflösen ließen. Die Brüche in der Chronologie der erzählten Zeit wären als intendiert zu verstehen; entweder, weil einerseits Anachronie als absichtsvoll begriffen würde, oder andererseits Gawein die Abenteuer schon bei Chrétien und Wolfram erlebt hat und auf diese Weise dennoch eine Chronologie hergestellt wäre.650 Aufgehoben werden kann sie, weil der Protagonist des Romans Gawein ist. Von der Figur her konzipiert, wie schon CORMEAU und ULRICH WYSS argumentieren,651 zielt der Roman nicht auf den Individuationsweg seines Protagonisten, sondern stellt diesen als disponible Assoziationskomponente ins Zentrum. Dass Gawein aventiuren dann im späteren Handlungsverlauf erneut erlebt, die vorab bereits erwähnt wurden, zeigt sich wiederum bloß als Spiel mit der und Absage an eine Chronologie der erzählten Zeit.652 Mit dem Hysteron proteron, so MARTIN PRZYBILSKI, „spielt Heinrich von dem Türlin mit den Grundbausteinen der Narration und mit der Literarizität der Figuren“653. Gawein, so PRZYBILSKI weiter, werde damit zu einem Teil des

650 So auch Kern, Peter: Bewußtmachen von Artusromankonventionen in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Erzählstrukturen der Artusliteratur. Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Tübingen 1999, S. 199–218, S. 216 ff.: Die „Erzählzeit [gemeint ist hier die erzählte Zeit, Anm. d. V.] ist nicht widerspruchsfrei“ (S. 217): Heinrich verfüge über „[d]ie literarische Tradition […] als regelhafte[n], aber grundsätzlich offene[n] Diskurs“ (S. 216). Vgl. zu den Brüchen in der erzählten Zeit insbes. Störmer-Caysa, Uta: Der Gürtel des Fimbeus und die Chronologie. Versuch über die lineare Zeit in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Miedema, Nine / Suntrup, Rudolf (Hrsg.): Literatur – Geschichte – Literaturgeschichte. Beiträge zur mediävistischen Literaturwissenschaft. Festschrift für Volker Honemann zum 60. Geburtstag. Frankfurt am Main [u. a.] 2003, S. 209–224, wo sie ein Nebeneinander von Ringstruktur und linearer Struktur herausstellt. Vgl. auch dies.: Zeitkreise in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Groos, Arthur / Schiewer, Hans-Jochen (Hrsg.): Kulturen des Manuskriptzeitalters. Ergebnisse der AmerikanischDeutschen Arbeitstagung an der Georg-August-Universität Göttingen 17.-20. Oktober 2002. Unter Mitarbeit von Jochen Conzelmann. Göttingen 2004 (= Transatlantische Studien zu Mittelalter und Früher Neuzeit 1), S. 321–340, wo sie in der „alineare[n] Zeitgestaltung“ (S. 322) eine „Umkehrung der Aventiurerichtung“ (S. 323) konstatiert, die „Gawein gegen seine biographische Zeit reiten [lasse], also aus der Zeit heraus oder in die Vergangenheit“ (S. 325); vgl. außerdem dies.: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman. Berlin [u. a.] 2007. 651 Vgl. Cormeau, Christoph: Wigalois und Diu Crône; Wyss, Ulrich: Heinrich von dem Türlin: Diu Crône. In: Brunner, Horst (Hrsg.): Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen. Stuttgart 2007, S. 271–292, hier S. 286 f. 652 Vgl. dazu auch Knapp, Fritz Peter: Kausallogisches Erzählen unter den weltanschaulichen und pragmatischen Bedingungen des 12. und 13. Jahrhunderts. In: Kragl, Florian / Schneider, Christian (Hrsg.): Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011. Heidelberg 2013, S. 187–205, zur Crône insbes. S. 197–199. 653 Przybilski, Martin: Paradoxes Erzählen, oder: Wissen die Figuren des Artusromans um ihre eigene Fiktionalität? In: Filatkina, Natalia / ders. (Hrsg.): Orte – Ordnungen – Oszillationen.

5.1 Die Poetik der Crône – eine Forschungsskizze

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Narrativs selbst, der sich seiner Figürlichkeit und folglich auch Fiktionalität bewusst sei. Das Ergebnis ist, wie BLEUMER darlegt, eine auf die Figuren zentrierte Handlungslogik. In diesem Sinne präsentierte sich bspw. die mehrfach als unbefriedigend empfundene Lösung des Schwesternstreits als notwendige Bedingung vor dem Horizont der Figurenkonzeption, sofern Gawein für Sgoidamur Amurfinas und damit auch sein eigenes Land gewinnen muss, damit er nicht – entgegen dieser Figurenkonzeption – zum sesshaften wirt (CR 8734) wird. Irritiert hat daneben besonders Gaweins passives Erleben der Wunderketten, das sich wohl am ehesten – vor allem angesichts der diagnostizierten Analogien zu modernen Erzählverfahren des Films654 – als Immersion erfassen und beschreiben ließe.655 Dass für die Wunderketten das sinnliche Erfahren von aventiure656, aber

Raumerschaffung durch Wissen und räumliche Struktur von Wissen. Wiesbaden 2011 (= Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 4), S. 41–55, S. 49. Vgl. zu den Hystera protera auch Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 38–44. 654 Däumer, Matthias: Hje kam von sinen augen / Das wunderlich taugen. Überlegungen zur Sinnesregie in den Wunderketten- und Gralspassagen der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: ders. / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artushof und Artusliteratur, S. 215–235 bspw. spricht von der „Kamera-Figur Gawein“, die in den Wunderketten noch die Funktion erfülle, „die Vermittlung der sensuellen Reize zu übernehmen“, um sie im Anschluss beim Erblicken des Grals „mit aller Konsequenz zu unterbrechen und die Verbindung von Figur und Zuhörer zu kappen“ (S. 234). Das Erleben der Wunderketten durch die Figur sei „Technik sensueller Affizierung des Zuhörers“ (S. 217), das „durch das Einmünden des figuralen in den rezipierenden Blick zu mehr als nur einem Mittel personaler Erzähltechnik [werde]“ (S. 221). „Nur das, was Gawein sieht, kann auch erzählt werden.“ (S. 222) Entsprechend werde „Gaweins Blick […] zum imaginären Blick des Zuhörers“ (S. 222) und Gawein selbst zum „Medium in Sinne Marshall McLuhans“ (S. 223). In anderem Zusammenhang (Däumer, Matthias: Der Held an der Klippe. Sinnesregie an den Bruchstellen des höfischen Romans. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 51 (2010), S. 25–43) hat Däumer „rhythmische“, „für den Vortrag verbindliche Einheiten“ (S. 36) als „skriptual komponierte, doch performativ realisierte Cliffhanger“ (S. 37) beschrieben. 655 Vgl. dazu Bleumer, Hartmut (Hrsg.): Immersion im Mittelalter. Stuttgart 2012 (= Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Heft 167), insbesondere die Einleitung von dems.: Immersion im Mittelalter: Zur Einführung, S. 5–15. Vgl. auch den Beitrag von Lechtermann, Christina: Momente des Vergessens. Immersion als Erwartung in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: ebd., S. 104–123. Lechtermann versteht bspw. das Warten auf aventiure insofern als immersiv, als damit ein „Moment einer zeitlichen Orientierungslosigkeit“ (S. 122) gekennzeichnet sei. Immersion als „spezifische[] Temporalität“ bezeichne in der Crône den „Übertritt von einer Zeitordnung […] in eine Logik der Erwartung, des sich Vorbereitens auf ein Erscheinen“ (S. 117). 656 Vgl. dazu Classen, Albrecht: Self and Other in the Arthurian World: Heinrich von dem Türlin’s „Wunderketten“. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur und Kultur 96 (2004), S. 20–39, S. 24: „the stunning bricolage of visual and narrative wonder scenes constitute a new hermeneutic dimension where innovative aesthetic principles operate in support of each other.“ Brinker-von der Heyde, Claudia: Zwischenräume: Zur Konstruktion und Funktion des handlungslosen Raums. In: Vavra, Elisabeth (Hrsg.): Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

auch von Raum659 eine wesentliche Rolle spielt, wurde mehrfach gezeigt. VOLLMANN hat die Wunderketten mit Blick auf den strukturellen Gesamtzusammenhang des Textes als „Formen, die auf nichts7 verweisen außer auf sich selbst“ und die

Akten des 10. Symposiums des Mediävistenverbandes, Krems, 24.-26. März 2003. Berlin 2005, S. 203–214, S. 212 beschreibt den Weg Gaweins als „virtuellen Weg in einer virtuellen Welt“. Dick, Ernst S.: Tradition and Emancipation. The Generic Aspect of Heinrich’s Crône. In: Heinen, Hubert / Henderson, Ingeborg (Hrsg.): Genres in Medieval German Literature. Göppingen 1986 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 439), S. 74–92, S. 87 f. hat die Nähe der Wunderketten zur Fantastischen Literatur hervorgehoben und sie als „independent response to the existing genre tradition“ (S. 90) verstanden. Keller, Johannes: Fantastische Wunderketten. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Das Wunderbare in der arthurischen Literatur, S. 225–248 untersucht die Wunderketten anhand von Francis Dubosts Kriterien des Fantastischen und erklärt den Text als „per definitionem zu einem Fantastischen par excellence“ (S. 248). Die Wunderketten überschritten Dubosts Modell, insoweit generelle Momenthaftigkeit des Fantastischen in der Crône aufgegeben sei und das „Wunderbare vom Fantastischen affiziert“ (S. 248) werde. Vgl. dazu auch ders.: La Couronne de Heinrich von dem Türlin et le roman arthurien allemand post classique. In: Buschinger, Danielle (Hrsg.): Revue du Centre d’Etudes Médiévales. Amiens 2001, S. 85–99 und ders.: La Couronne de Heinrich von dem Türlin: le monstrueux en fragments. In: James-Raoul, Danièle / Kuon, Peter (Hrsg.): Le Monstrueux et l’Humain. Pessac Cedex 2012, S. 55–67. Vgl. außerdem ders.: Jenseitsstrukturen in den Wunderketten der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Brinker-von der Heyde, Claudia / Largier, Niklaus (Hrsg.): Homo Medietas. Aufsätze zu Religiosität, Literatur und Denkformen des Menschen vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Festschrift für Alois Maria Haas zum 65. Geburtstag. Bern [u. a.] 1999, S. 437–453. Dort der Frage nachgehend, ob die Wunderketten Strukturen von Jenseitsvisionen aufnähmen. Es werde mit dem „Motivrepertoire der Jenseitsvisionen“ (S. 447) gespielt, die ersten beiden Wunderketten ordneten sich dem Bereich der Hölle unter, die dritte dem Paradies. Ähnlich schon Lichtblau, Karin: Images et visions fantastiques: à propos de Diu Crône de Heinrich von dem ürlin. In: o. A.: L’image au Moyen Age. Actes du Colloque Amiens, 19.-23. mars 1986, 1992 (= Wodan 15), S. 171–179, die sich für eine Kombination von Fantastischem und Visionärem ausspricht: „il s’agit d’une légende fantastique de la tradition folklorique“ (S. 179). In Keller, Johannes: Diu Crône Heinrichs von dem Türlin: Wunderketten, Gral und Tod. Bern [u. a.] 1997 distanziert er sich vom Fantastischen, insofern er den Wunderketten eine über sich selbt hinaus verweisende Funktion als Schlüssel zum Werkverständnis zuweist: Das auf einer ersten Ebene hervorgerufene Staunen seitens des Protagonisten wie auch der Leser führe für letztgenannten auf einer zweiten Ebene darüber hinaus und generiere Bedeutung, die einer bloßen Phantastik der Bilder somit zuwiderlaufe (vgl. S. 32). Knapp, Fritz Peter: Märchenhaftes Erzählen im Mittelalter. Die Anverwandlung des Märchens im Artusroman, insbesondere in der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: ders.: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik 2. Zehn neue Studien und ein Vorwort. Heidelberg 2005 (= Schriften der Philosophisch-Historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 35), S. 191–224, erkennt Rationalisierungstenzenden v. a. in der ersten Wunderkette. Märchenhaft Wunderbares werde durch Allegorisierung erklärbar gemacht (vgl. S. 223). Vgl. grundlegend zu den Wunderketten Wyss, Ulrich: Die Wunderketten in der Crône. In: Krämer, Peter (Hrsg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten, S. 269–291. 657 Vgl. Glaser, Andrea: Der Held und sein Raum. Die Konstruktion der erzählten Welt im mittelhochdeutschen Artusroman des 12. und 13. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. [u. a.] 2004 (= Europä-

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deshalb zu einer „Krise des Verstehens“ führten, begriffen.658 Die „Virtuosität des Erzählens“ erfordere „eine entsprechende Virtuosität der Rezeption“, wodurch sich die „Krise des Verstehens rückwirkend selbst als Teil der Form zu erkennen“ gebe.65 Jedenfalls veranlassen die Wunderketten zu der Annahme, wie die Ansätze der Forschung zeigen, dass das passive Erleben des Protagonisten mit dem Erleben des Kunstwerks durch den Rezipienten zusammenfällt. Oder ist all das zu modern gedacht? Ein interdisziplinärer Vergleich mit Darstellungsinhalten und -verfahren von Hieronymus Bosch könnte in diesem Zusammenhang überdies aufschlussreich sein.660 Forschungsbeiträge, die Komik in den Wunderketten konstatieren, sind selten. MEYER hat neben einem im ganzen Roman wirksamen „durchgehenden unterschwelligen komischen Stil, der durch die permanenten Distanzierungen des Erzählers von seinen Figuren bewirkt wird“, eine hauptsächlich in den Wunderketten erkennbare Ambiguität als ein zentrales erzähltechni-

ische Hochschulschriften – Deutsche Sprache und Literatur 1888). Erste und zweite Wunderkette seien jeweils als „hyperbolischer Schwellenraum“ (S. 119) zu verstehen. Jene Schwellenräume seien sich in der Crône „zum Selbstzweck geworden“ und hätten keine gliedernde Funktion inne, seien daher als „entfunktionalisierte Schwellenräume“ (S. 121) aufzufassen. Vor allem die dritte Wunderkette sei ein gezielt „mit semantischen Verunsicherungen aufgeladene[r] Schwellenraum“ (S. 126). Schöller, Robert: Schall und Raum. Zur Kennzeichnung von Anderwelten durch Schallphänomene in der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Huber, Martin / Lubkoll, Christine / Martus, Steffen / Wübben, Yvonne (Hrsg.): Literarische Räume. Architekturen – Ordnungen – Medien. Berlin 2012, S. 209–216, S. 213 analysiert die Wunderketten als Klangräume und Klangkulissen. Schallphänomene in den Wunderketten markierten Schwellen, Übergänge und Grenzen. 658 Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers, S. 221, 225. 659 Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers, S. 229. In diesem Sinne sei die Crône als „Tugendmessgerät“ konzipiert. Es bleibe dabei die Aufgabe des Rezipienten, „die bis zur Unverständlichkeit komplexe[] Welt in eine ästhetische Erfahrung zu transformieren“ (S. 230). Die „Virtuosität des Rezipienten“ werde so mit der „Virtuosität des Erzählens“ (ebd.) engführt. Vgl. dazu auch ders.: Performing virtue. Zur Performativität der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 130 (2008), S. 82–105. 660 Die Analogie stellen ebenfalls her: Ebenbauer, Alfred: Fortuna und Artushof. Bemerkungen zum „Sinn“ der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: ders. / Knapp, Fritz Peter / Strasser, Ingrid (Hrsg.): Österreichische Literatur zur Zeit der Babenberger. Vorträge der Lilienfelder Tagung 1976. Wien 1977 (= Wiener Arbeiten zur Germanischen Altertumskunde und Philologie 10), S. 25–49, S. 41; Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes. A Comparison of Wolfram von Eschenbach’s Parzival and Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône. Göppingen 2002 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 674), S. 228; Thomas, Neil: Diu Crône and the Medieval Arthurian cycle. Woodbridge 2002 (= Arthurian studies 50), S. 58; Birkhan, Helmut: Geschichte der altdeutschen Literatur im Licht ausgewählter Texte. Teil V: Nachklassische Romane und Höfische „Novellen“. Vorlesungen im WS 2003/04. Wien 2004, S. 107–127, S. 119; Classen, Albrecht: Self and Other in the Arthurian World, S. 23. Eine synkritische Untersuchung ist ein Desiderat der Forschung.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

sches Element benannt, das verhindere, „dass die Crône eindeutig komisch oder eindeutig bedrohlich wird“.661 In den Wunderketten ermögliche jene Distanz von der Figur „eine unterschwellige Komik […], die die Grausamkeit der Bilder der Wunderketten konterkariert“662. Abhängig bleibe die Komik allerdings von der Aufführungssituation, die je nach klanglichen Akzentuierungen Komisches oder Bedrohliches hervorheben könne. Diese Argumentation ähnelt den von HAUG für den späten Artusroman herausgestellten grotesken Gestaltungselementen der Komik und erweitert diese um eine klangliche Komponente, die sich womöglich mit den Thesen zur sinnlichen Raumerfahrung zusammenbringen ließe. Die Forschung zur Komik der Crône wurde maßgeblich von der Arbeit von LEWIS JILLINGS angestoßen. Seine These, die dem Roman eine durchweg parodistische Erzählweise mit satirischer Intention unterstellt, wurde mehrfach kritisch diskutiert.663 Ebenfalls für eine parodistische Wirkungsabsicht spricht sich KARIN CIESLIK aus, differenziert hierbei allerdings zwischen einer aus moderner und historischer Perspektive empfundenen Parodierung. Vor allem der zweite Romanteil zeichne sich durch eine „übermäßige, […] unangemessene Hyperbolisierung“ aus und wirke dadurch immerhin auf den modernen Rezipienten parodistisch.664 Tugendproben, Ofenszene und Winterjagd hingegen parodierten Ritterideale, indem sie Ideal und Wirklichkeit gegeneinander montierten und wiesen somit auf eine intendierte Parodierung hin.665 Gegen die Parodiethese richtet sich BLEUMERS Deutung der Komik der Crône. Komik sei vielmehr „Ausdrucksform[] ihres poetischen Charakters“ und fordere vom Rezipienten dort Perspektivwechsel ein, wo das „kontrastierende figurale Verständnis“ Brüche erzeuge, die Komik generieren.666 BLEUMERS Überlegungen sind anschlussfähig für die Analyse von Komik generierenden Verfahren, die mit literarischem Handlungswissen operieren, das sich in der Crône zusätzlich als dezidiert figural geprägte Formen von literarischem Handlungswissen präsentiert, insofern hier auch der Topos des Maikönigs für ein Scheitern von Hand-

661 Meyer, Matthias: Vom Lachen der Esel, S. 100 f. 662 Meyer, Matthias: Vom Lachen der Esel, S. 101. 663 Vgl. eine Zusammenstellung der Gegenstimmen bei Wennerhold: Späte mittelhochdeutsche Artusromane, S. 248 f. Vgl. auch Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin. Form-Erfahrung und Konzeption eines späten Artusromans. Tübingen 1997 (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 112), S. 54 f. 664 Cieslik, Karin: Zur Funktion des Hyperbolischen in der Crône des Heinrich von dem Türlin. In: o. A. (Hrsg.): Ergebnisse der 22. und 23. Jahrestagung des Arbeitskreises „Deutsche Literatur des Mittelalters“. Greifswald 1990, S. 86–94, S. 90. 665 Vgl. Cieslik, Karin: Zur Funktion des Hyperbolischen in der Crône des Heinrich von dem Türlin, S. 88 f. 666 Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 267.

5.1 Die Poetik der Crône – eine Forschungsskizze

247

lung verwendet wird. An das von BLEUMER postulierte, den Text dominierende figural geprägte Denkmuster ist daher konstruktiv anzuschließen, insofern die Komik der Crône – so die leitende These – sich aus Erwartungsbrüchen generiert, die sich auf eine Mixtur aus generellem und figurenspezifischem literarischen Handlungswissen zurückführen lassen. THOMAS GUTWALD hingegen plädiert für eine Spezifik mittelalterlicher Komik und präferiert dafür den Begriff des Schwankhaften. Hiermit möchte er sich von vorherigen Ansätzen abgrenzen, die ein unangemessenes Verständnis von Komik an den mittelalterlichen Roman herantrügen.667 Der Schwank als „spezifische[] Realisationsform des Komischen“ erlaube, „die Funktion(en) spezifisch mittelalterlicher Komik historisch angemessen zu erfassen“.668 Die ästhetische Wirkung von Komik gehe allein von textimmanenter Erzählhandlung aus, deren Interaktionsmuster denjenigen des Schwanks glichen und deren Erzählweise sich Strukturmerkmalen novellistischer Erzählweise bediente.669 Besonders evident scheint GUTWALDS Ansatz für die beiden Tugendproben. Für diese hat zuletzt MADELON KÖHLER-BUSCH eine Form karnevalesker Komik festgestellt, die auf die fehlerhafte höfische Gesellschaft aufmerksam mache. Das Lachen werde zum „medium for social criticism“ und habe darum eine „corrective function“.670 Die hier knapp skizzierten Hauptlinien der Forschung zeigen die Crône als einen Text, dessen Eigenarten besonders Vergleiche mit postmodernen Erzählverfahren provoziert haben und damit einerseits den kreativen Umgang mit Möglichkeiten der inhaltlichen wie erzählerischen Gestaltung herausstellen. Andererseits stehen sich in puncto Komik mit BLEUMERS kontrasttheoretisch orientiertem und GUTWALDS genuin auf die Spezifik mittelalterlich-schwankhafter Komik abzielendem Ansatz zwei Standpunkte gegenüber, die die Frage nach der kulturhistorischen Abhängigkeit von Komik jeweils anders beantworten. Wo BLEUMER auf den Mechanismus von Kontrasten zurückgreift, erklärt GUTWALD die Formen und Funktionsweisen von Komik zu spezifisch mittelalterlichen. Der folgende Ausblick auf die Komik der Crône möchte das Modell vom

667 Vgl. Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof, S. 34. 668 Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof, S. 67. 669 Vgl. Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof, S. 19, 22, 28 f., 37, 41. 670 Köhler-Busch, Madelon: Pushing Decorum: Uneasy Laughter in Heinrich von dem Türlîn’s Diu Crône. In: Classen, Albrecht (Hrsg.): Laughter in the Middle Ages and Early Modern Times, S. 265–279, S. 277. Der Leser werde dabei aktiv in den Prozess des öffentlichen, im Text stattfindenden Gelächters eingebunden: „the reader becomes part oft he courtly society […]. The court is laughing and we [die Leser, Anm. d. V.] are laughing with them.“ (S. 277) Im Sinne Bergsons werde so ein kollektives Lachen erzeugt.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Scheitern der Handlung anhand eines weiteren Textes beispielhaft erproben. Es gilt zu fragen, inwiefern die metonymische Selbstbezeichnung und das hieran gebundene literarische Handlungswissen in einem Text funktionieren, der seine Kausallogik teilweise selbst unterläuft und dessen Handlungslogik hauptsächlich figurallogisch organisiert ist. Die sich deutlich anders gestaltende Poetik des Romans, so die These, implementiert die erzählerischen Strategien der Komikerzeugung durch erzählte Handlung in ihre ganz eigenen poetischen Verfahrensweisen.

5.2 Maikönig versus Schneekönig671 Das komische Potential der Gasoein-Handlung wurde von der Forschung bereits früh festgestellt. ROSEMARY WALLBANK hat die Episode bereits in den 1970er Jahren als eine „amusing variant on the familiar triangle situation“, wie sie dem Rezipienten aus Ulrichs Lanzelet bekannt sei, bewertet: „The treatment of love comes very near to parody“.672 Die Auseinandersetzung zwischen Artus und Ginover zeige eine von Heinrichs „liveliest comic scenes“, der gesamte Handlungskomplex sei eine „half-comic, half-realistic persiflage of the ideal of courtly love“ und bilde somit einen Kontrast zur parallelen Amurfina-Handlung.673 In ähnlicher Weise hat MARIANNE WYNN für die Episode geschlussfolgert: „It’s tone is that of satire descending to farce.“674 Die Entführungshandlung sei auf eine „irreverent,

671 Der Schneekönig ist ein Vogel, der auch im strengsten Winter singt und nicht gen Süden fliegt. Im Mittehochdeutschen wird er entsprechend seinem Neuhochdeutschen Pendant als Zaunkönig zûnslüpfel oder kuniclîn bezeichnet. 672 Wallbank, Rosemary E.: The Composition of Diu Krône: Heinrich von dem Türlin’s Narrative Technique. In: Whitehead, Frederick / Diverres, Armel Hugh / Sutcliffe, Frank Edmund (Hrsg.): Medieval Miscellany. Presented to Eugène Vinaver by pupils, colleagues and friends. Manchester 1965, S. 300–320, S. 302. Ähnlich wieder in dies.: Three post-classical authors: Heinrich von dem Türlin, Der Stricker, Der Pleier. In: Jackson, William Henry / Ranawake, Silvia A. (Hrsg.): The Arthur of the Germans. The Arthurian Legend in Medieval German and Dutch Literature. Cardiff 2000, S. 81–97, S. 86. Zuweilen hat dies.: König Artus und Frau Saelde in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: MacLintock, David / Stevens, Adrian / Wagner, Fred (Hrsg.): Geistliche und weltliche Epik des Mittelalters in Österreich. Göppingen 1987 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 446), S. 129–136, S. 129 auch in Erwägung gezogen, ob die Gralhandlung auf eine parodistische Absicht zurückzuführen sei. 673 Wallbank, Rosemary E.: The Composition of Diu Krône, S. 302 f. 674 Wynn, Marianne: The Abduction of the Queen in German Arthurian Romance. In: Ehlert, Trude (Hrsg.): Chevaliers errants, demoiselles et l’Autre: höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. Festschrift für Xenja von Ertzdorff zum 65. Geburtstag. Göppingen 1998 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 644), S. 131–144, S. 137.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

249

ironical, and humorous“ Art integriert, Sarkasmus deutlich spürbar.675 Die Mechanismen, die diese postulierte Komik bedingen, werden von beiden jedoch wenig präzise beschrieben. In Untersuchungen, die dezidiert an Komik interessiert sind, wurden unterschiedliche Gründe für die in der Handlungssequenz wirksame Komik angeführt. JILLINGS hat die Übernahme von Motiven als parodistisch bewertet, die im spezifischen Handlungsabschnitt Defizite von Rittertum und höfischem Leben aufzeige.676 Die Komik der Gasoein-Ginover-Handlung gründe sich, so JILLINGS an anderer Stelle, vorrangig auf einer zu Beginn mit der Demütigung von Artus initiierten und unterschwellig durchweg wirksamen „dramatic irony“677. Gasoein nehme dabei die Rolle des „satirical portrait of the courtly lover“678 ein. Die Kritik gegenüber JILLINGS’ Vorschlag zielte vor allem darauf ab, seine Bewertung des Romanganzen als Parodie infrage zu stellen. SCHRÖDER hat – entsprechend der hier bereits geäußerten Skepsis gegenüber dem generellen Parodieverdacht der späten Artusromane – gegenüber der Parodiethese der Crône in ähnlicher Weise Kritik geäußert: Wer einen Artusroman zu schreiben unternahm, der die vorliegenden sogar übertreffen wollte, indem er nicht einen Newcomer, sondern einen etablierten Artusritter und zwar den höfischsten von allen zum Helden machte, konnte nicht gut den ganzen Ast absägen, auf dem er sitzen wollte.679

Was SCHRÖDER hier insbesondere herausstellt, ist die problematische Kombination von Parodieverdacht und dem Protagonisten Gawein. Wo die Parodie eine komische Umdeutung im neuen Sinnzusammenhang erfordert, würde Gawein als intertextuelles bzw. systemreferentielles Figurenzitat somit ein Stück weit infrage gestellt. Diese Deutung aber trägt der Text nicht. Insgesamt betrachtet ließe sich das mit WOLFZETTEL als affirmative parodistische Schreibweise mit dem Zweck

675 Wynn, Marianne: The Abduction of the Queen in German Arthurian Romance, S. 138. 676 Vgl. Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône. In: Nottingham Medieval Studies 19 (1975), S. 16–34, S. 18. 677 Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 36. Diese zeige sich zunächst in dem Moment, in welchem Artus im Schnee hofft, Ginover habe bloß gescherzt und der Ritter im Hemd existiere nicht. Schließlich werde sie zum „framework of dramatic irony“ (S. 43) für diese und andere Handlungssequenzen. Für die Winterjagd sowie die Ofenszene stellt Jillings Untersuchung keine Komik heraus. Seine Analyse fokussiert allein die Auseinandersetzung von Artus und Gasoein. 678 Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 44. 679 Schröder, Werner: Zur Literaturverarbeitung durch Heinrich von dem Türlin in seinem Gawein-Roman Diu Crône, S. 148.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

eines ‚inter-art discourse‘ begreifen oder mit GENETTE als ernste Form der Parodie verstehen, die den Dialog mit der Gattungstradition intendiert. Neben dem über die Figur Gawein hergestellten, systemreferentiellen Bezug entspinnt der Text ein kaum mehr überschaubares Netz an intertextuellen Bezügen, das sich dem Parodieverdacht insofern entzieht, als die Bezüge in ihrer Uneindeutigkeit und Undurchsichtigkeit sich der expliziten Zuordnung zu und Auseinandersetzung mit bestimmten Texten verwehren. Ebenso wenig wie sich die einzelnen intertextuellen Bezüge teilweise eindeutig zuordnen lassen, kann man die auf mehreren Ebenen ineinanderwirkende Komik schwer isoliert beschreiben. Vielmehr greifen hierbei Ebenen ineinander und bedingen einander gegenseitig, die sich aus literarischem Handlungswissen, aus an Figuren gebundenem Gattungs- und Handlungswissen oder auch aus dem Einsatz stilistischer Mittel speisen. GUTWALD hat diesbezüglich Normverletzungen und BLEUMER Kontraste zur Quelle der Komik der Episode erklärt. Neben der Integration von ursprünglich dem Märe eigenen dramatischen Elementen erklärt GUTWALD generelle Momente der Normverkehrung zum Auslöser von Komik: den Maikönig Artus in den Winter zu versetzen, verstoße gegen literarische Konventionen, Ginovers gegenüber Artus ausgespielte „intellektuelle Überlegenheit“ gegen die Geschlechterordnung.680 Im zweiten Handlungsteil zeigten sich schwankhafte Elemente etwa in Ginovers Naivität in puncto Vergewaltigung oder in dem in bäu-

680 Vgl. Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof, S. 47 f., 100, dort auch das Zitat. Die Nähe zum Märe werde mittels der dramatischen Elemente ‚Aufbau‘ und ‚Anteile direkter Rede‘ hergestellt. Darüber hinaus verwiese die Wahl des Figurenpersonals, das sich von vornherein einer Trennung versage, auf das Element des glücklichen Ausgangs, das ursprünglich dem Märe eigen sei: „Eine dauerhafte Trennung von Artus und Ginover […] würde nicht nur den Bruch mit einer bestimmten literarischen Norm bedeuten, […] sondern würde zwangsläufig auf den Untergang des Artusreiches hinauslaufen.“ Mit Blick auf die Erwartungshaltung des Publikums habe diese Option „von vornherein gar nicht zur Disposition gestanden“. In Unkenntnis der Gattungstradition aber gestalte sich „ein Geschehen, dessen Verlauf bis hin zum Schluß eine weitestgehende Offenheit bewahrt“. (S. 54) Vgl. dazu auch S. 91. Außerdem fände ein Verstoß gegen die biologische Geschlechterordnung, gegen höfische Konversationsregeln sowie gegen physiologische Verhaltensregeln statt (vgl. S. 100). Zusätzlich zeichneten häufige Perspektivwechsel die Handlung als Krisengeschehen aus. Diese Strategie sei im Märe bzw. speziell in Werbungserzählungen für Krisengeschehen konstitutiv (vgl. S. 64). Jene strukturellen Anleihen böten die Möglichkeit, die „schwankhafte[] Komik“ (S. 67) novellistischen Erzählens in den Artusroman miteinzubeziehen. Bzgl. der Gasoein-Handlung hat auch schon Gürttler, Karin R.: ‚Künec Artûs der guote‘. Das Artusbild der höfischen Epik des 12. u. 13. Jahrhunderts. Bonn 1976 (= Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 52), S. 199 von der „Stilebene des Schwanks“ mit „derb-komische[n]“ (S. 200) Elementen gesprochen. Artus werde zur „Schwankfigur“ (S. 203). Die Nähe zum Märe sieht auch Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 95, 97.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

251

erlicher Manier ausgefochtenen Befreiungskampf zwischen Gawein und Gasoein.681 Die schwankhafte Komik, die GUTWALD hiermit beschreibt, interferiert vielfach mit den Stellen und Wirkungsmechanismen, die schon die Vertreter der Parodiethese in Teilen sowie BLEUMER im Zuge seiner kontrasttheoretisch orientierten Überlegungen aufzeigt. BLEUMER zufolge stelle die Ofenszene den Kontrast zwischen den Figuren Artus und Gasoein zunächst aus, um anschließend Ginovers Aufforderung gegenüber Artus a priori unmöglich zu machen und somit das „Muster der sich selbst reproduzierenden Störung“ anzustoßen, das die Komik der Episode anleite.682 Die Figuren, die „als gegensätzliche Positionen nicht in einem eindeutigen Verhältnis von Norm und Abweichung zueinander stehen, sondern jede Position im Verhältnis zur anderen Norm und Abweichung zugleich darstellt“, machten Norm und Abweichung daher nur in der „Kontrastposition“ gegenüber der jeweils anderen Figur ersichtlich.683 Auch innerhalb der Entführungshandlung stünden sich Figurentypen gegenüber, die differenten Denk- und Handlungsmustern gehorchten und daher „für die Handlung beständig Paradoxien [produzieren]“, die Komik erzeugten.684 Komik ist dann stets das Resultat einer handlungslogischen Störung, weil die Handlung selbst immer hinter dem angestrebten Ziel zurückbleiben muss. Grundsätzlich präsentiere sich die Komik der Episode als Ergebnis der Konfrontation des arthurischen Personals mit dem Typ des Minneritters Gasoein.685 Ausgehend von der Typenhaftigkeit, die BLEUMER für die Handlungsmuster stark macht, resultiert Komik überdies aus Kontrastierungen, die aus der permanenten Vertauschung von Rollen und daran gebundene Handlungsmuster entstehen, die den Figuren innerhalb des literarischen

681 Vgl. Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof, S. 102 ff. Mit Blick auf die Stellung der Ginover-Gasoein-Handlung im Gesamtensemble des Romans stellt Gutwald Parallelen zwischen ebenjener und der Gawein-Amurfina-Handung her. Amurfinas Übermut, trotz Anwesenheit des seiner eigenen Geschichte vergessenen Gaweins die Schüssel als Zeugnis seiner Heldentaten herumzureichen, weise ebenfalls Analogien zur Novellistik auf (vgl. S. 108 f.). 682 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 59 ff., Zitat S. 61. 683 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 57 f. 684 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 69 f., Zitat S. 70. 685 Zuweilen wird in der Forschung die Position vertreten, Gasoein als Typus des Minnesängers zu verstehen. Vgl. dazu Schanze, Christoph / Kirchhoff, Matthias: Interferenzen zwischen Artusroman und Minnesang. Eine Standortbestimmung mit Blick auf die Gasoein-Episode der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Gattungsinterferenzen, S. 155–176, explizit S. 162 und 164. Gasoein sei „dezidiert als Minnesänger“ (S. 162) zu bewerten. Eine eindeutige Zuordnung findet sich bei Thomas, Neil: Diu Crône and the Medieval Arthurian cycle, S. 41: „dauntless Minnesänger“. Vgl. auch Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung: Zur Frage der Kohärenz der Gasozein-Handlung in der Crône. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 118 (1999), S. 336–353, dort S. 342 und Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 100, der Gasoein als „Personifikation des Minnesangs“ bezeichnet.

252

5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Handlungswissens um Motive und Topoi zukommen. Damit wird ein kontinuierliches Nebeneinander von Handlungsmustern erzeugt, dem die Figur jeweils rollenspezifisch zu folgen hat, das aber wiederum nicht immer mit der Typenhaftigkeit der Figur übereinstimmt. Die metonymische Lesart wird – so die leitende These für die Auseinandersetzung von Artus und Gasoein – dabei jeweils vom Gegenüber kontrastiv eingespielt. Es stehen sich somit nicht nur Figuren gegenüber, die unterschiedlichen Denk- und Handlungsmustern gehorchen und deshalb Kontraste erzeugen, sondern die Figuren selbst wechseln zwischen den Rollen, die sie im Handlungsgefüge einnehmen und erzeugen damit ein figurales Spiel um Handlungsmuster. Kontrastive Verkehrungen werden in Bezug auf an Motive gebundenes Handlungswissen erzeugt, aber auch durch an Figuren und Figurentypen gebundenes Handlungswissen, wie es z. B. an den Topos vom Maikönig gebunden ist. Komik ist nicht allein Resultat der geschaffenen Kontraste aufgrund der unterschiedlichen Gattungszugehörigkeit der Kontrahenten, auch die Simultaneität von Rolleninhaberschaften erzeugt stetige Erwartungsbrüche. Die Komik der Crône ist kein Entweder (GUTWALD)-oder (BLEUMER), sie ist ein Alles oder Nichts. In der Gasoein-Handlung ist sie substanziell gekennzeichnet vom Ineinanderwirken novellistischer Elemente, konfligierender Denk- und Handlungsmuster und einer Komik, die durch eine Assimilierung der Rollen von Artus, Gawein und Gasoein generiert wird. Unter Einbezug eines an die jeweiligen Figuren und Rollen gekoppelten Handlungswissens wird ein fortwährendes Geflecht an scheiternden Handlungen erzeugt.

Artus und Ginover Die Becherprobe ist im Hinblick auf die Gasoein-Handlung insofern von Interesse, als sie auf den der Gasoein-Handlung inhärenten Konflikt retrospektiv vorausdeutend wirkt oder sich – hinsichtlich der Beziehung von Artus und Ginover – wie ein weiteres Hysteron proteron deuten ließe. Zunächst unabhängig von der Blickrichtung sind die Passagen der Becherprobe, die von Artus, Ginover und Gawein erzählen, herausgelöst aus dem übrigen Geschehen der Becherprobe aufgrund ihrer thematischen Anbindung an die Gasoein-Handlung aufschlussreich.686

686 Anders Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 45 ff., der urteilt, „[k]eine der beiden Proben ist nämlich […] sinnvoll in den epischen Zusammenhang der Crône eingebunden“ (S. 45). „Es bleibt, neben der Möglichkeit, die Tafelrundengesellschaft einmal aller Idealität entkleidet darzustellen, als beinahe einzige erkennbare Funktion beider Veranstaltungen die der expliziten Bezugnahme auf die vorausgehenden Romane.“ (S. 50)

5.2 Maikönig versus Schneekönig

253

Der von einem Fischritter überbrachte Becher entlarvt all diejenigen, die ein valschez hertz (CR 1132) haben.687 Ginover besteht die Probe nicht, ihr tropft der Wein beim Versuch, aus dem Becher zu trinken, unmittelbar in den Schoß:688 Do cham dez weines nider Ein tail auf ir schoz Von vnglüches loz, Daz man ez chavm gesach. (CR 1278ff.)

Ginovers Versagen an der Probe wird jedoch sogleich verteidigt und zugleich relativiert: vnglüches loz kaschiert einerseits einen konkreten Grund für ihr Versagen; an keiner Stelle wird explizit angegeben, was der Auslöser für Ginovers Schmach ist. Der Hinweis auf die Petitesse des Vergehens, die sich am Ausmaß des vergossenen Weines misst (Daz man ez chavm gesach), suggeriert andererseits eine Geringfügigkeit des Vergehens. Gleichermaßen aber könnte es auf die Heimlichkeit desselben selbst verweisen689 und vor dem Horizont der Tradition der Ginoverfigur um die Lancelotliebe als Anspielung auf ihre Untreue gegenüber Artus fungieren. Mit Blick auf das weitere Handlungsgeschehen bleibt darüber hinaus ihre bis zum Ende uneindeutig gestaltete Beziehung zu Gasoein bestehen. Das Verstohlene im Scheitern spiegelt das Verstohlene der Dreieckskonstellation wider.

687 Vgl. Haug, Walter: Die komische Wende des Wunderbaren: arthurische Grotesken, S. 171. Haug versteht den Fischritter als Teil der in der Becherprobe präsenten Komik. Der Fischritter ridikülisiere durch sein Äußeres die Hofgesellschaft, insofern die Diskrepanz von „groteske[m] Äußere[n]“ und „formvollendet höfisch[er]“ innerer Gesinnung den äußeren, vermeintlich idealen Zustand des Hofes mit seinem brüchigen Inneren kontrastiere. Vgl. zum Fischritter auch Kaminski, Nicola: Wâ ez sich êrste ane vienc, Daz ist ein teil unkunt. Abgründiges Erzählen in der Krone Heinrichs von dem Türlin. Heidelberg 2005, S. 13 ff., die ihn mit Blick auf Horazens Ars Poetica als „Reflexionsfigur“ (S. 15) oder gar als „Allegorie von Heinrichs (ganz und gar unhorazischem) Roman“ (S. 16) begreift. Vgl. dazu außerdem Habicht, Isabel: Der Zwerg als Träger metafiktionaler Diskurse in deutschen und französischen Texten des Mittelalters. Heidelberg 2010 (= Germanisch-RomanischeMonatsschrift-Beiheft 38), S. 174–179. Vgl. jüngst Geisthardt, Constanze: Monster als Medien literarischer Selbstreflexion. Untersuchungen zu Hartmanns von Aue Iwein, Heinrichs von dem Türlin Crône und Johanns von Würzburg Wilhelm von Österreich. Berlin 2019 (= Trends in Medieval Philology 38), S. 167–187. 688 Auf die Parallele zum Parzival weist Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 26 hin: „[H]ere Heinrich turns to the queen’s disgrace what was merely accidental in Wolfram’s story.“ 689 Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 26 ordnet Vers 1281 folgendermaßen ein: „[It] may reflect the narrative necessity of glossing over the blemishes of the royal couple[.]“

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Keie führt das Versagen auf gacheit (CR 1284) zurück und begründet es damit entweder mit Ginovers ungestümem Temperament oder aber mit einer ebensolchen Bewegung. Die folgenden Verse ermöglichen kein eindeutiges Verständnis und passten prinzipiell zu beiden Verständnismöglichkeiten. Dabei ist gacheit Folge einer Konjektur, der Text in P bietet hier zagheit. Rückblickend von der Gasoein-Handlung betrachtet – Ginover entscheidet sich für Artus und gegen Gasoein –, könnte zagheit hier ebenso evident ihre Feigheit meinen, die sie zu der Entscheidung gegen Gasoein bewogen hat, obschon die ältere Erzähltradition um die Ginoverfigur eine Bekanntschaft mit einem anderweltlichen Fürsten attestiert und damit eine Beziehung von Ginover zu Gasoein zumindest vor dem Hintergrund der Erzähltradition nahelegt.690 Innerhalb der keltischen Erzähltradition ist Ginover einstige Fee, die vor ihrer Ehe mit Artus mit einem anderweltlichen Fürsten liiert war, dem Artus sie raubte.691 Keies Kommentar wäre im Zuge dieser Lesart höchst ironisch zu verstehen, indem er Ginovers Feigheit in den Kampf- und Turnierkontext stellen würde: [‚]Jch het mit eu phlicht, Solt vnder dir geselleschaft Die vrowen schiezen den schaft. Swie sich div sterch an iu barch, Jr sit grimme armstarch.‘ (CR 1288ff.)

Jedenfalls scheint das ironische Verständnis der Aussage Keies im Kontext plausibel. Wo gacheit sowohl auf das Temperament als auch auf eine agile Beweglichkeit bezogen im Kampf- und Turnierkontext als positive und wünschenswerte Eigenschaft zu bewerten wäre, bewirkt zagheit das Gegenteil und lässt die Aussage von Keie ironisch brechen. Damit aber ist Ginovers Versagen offenkundig genauso uneindeutig gestaltet wie ihre folgende Entscheidung gegen Gasoein. Mit Blick auf weitere Anachronien im Text ließe sich Ginovers Versagen in der Becherprobe demzufolge als Prolepse werten. Ginovers Misserfolg wäre folglich nicht als Anspielung auf die Dreieckskonstellation der Lancelotliebe zu verstehen, sondern gründete sich in ihrer uneindeutigen Beziehung zu Gasoein. Die der keltischen Er-

690 Ähnlich Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 125, der zagheit als „Zaudern und Zagen“ übersetzt. 691 Für Webster, Kenneth Grant Tremayne: Guinevere. A Study of her Abductions. Milton 1951 [Reprint 1973], S. 59 besteht die Funktion der Probe darin, Ginovers Unanständigkeit zu profilieren. Außerdem identifiziert Webster Ginovers Schwester Lenomie als Fee. So wäre über einen Zwischenschritt Ginovers Feenwesen erhalten. Auch Fimbeus indentifiziert er als „supernatural lover of the queen“ (S. 61). Über den Gürtel entspinne sich – ebenfalls mit Blick auf den Wigalois – ein „circle of Guinevere’s supernatural relations“ (S. 62), der „complicates still further the puzzling figure of Gawein“ (S. 63).

5.2 Maikönig versus Schneekönig

255

zähltradition entspringenden Elemente der Figur bestärken einen Verständnishorizont, der ihre Bekanntschaft mit Gasoein nahelegt und folglich der Auslöser für den Misserfolg der Probe sein könnte. Artus besteht die Probe und die Hofgesellschaft wundert das (Vnd heten es vür wunder. [CR 1905]) – hatte die Gesellschaft demnach nicht damit gerechnet? Jedenfalls hat Artus’ Erfolg eine beachtliche Wirkung auf die Hofgesellschaft: Nv wart in dem hvse Ein michel gedranch, Do er aus dem kopf tranch Vnd im niht misselanch. Do Artus getrunchen het […] Sich huob ein stille, div was groz, Vber al in dem palas, Daz im so wol gelungen was[.] (CR 1893–1904)

Begründet wird das Staunen der Hofgesellschaft über Artus’ Erfolg nicht, zeugt aber zumindest davon, dass das Bestehen der Probe Verwunderung auslöst und unerwartet geschieht. Keie spottet dennoch und beruft sich dabei auf Ginovers Misserfolg; die zunächst allgemeine Gültigkeit beanspruchende Feststellung, dass die Minne zwischen Vreunde vnd vrivndinne allein noch keine gute Beziehung ausmache, wird anschließend auf das Königspaar (Mein herr vnd mein vrowe) hin perspektiviert: Er sprach: ‚Vil wol ez tohte Vreunde vnd vrivndinne, Daz si ir zweir minne Mit stæt vnderbunde, So daz si niemer kunde Vnstæter chranch enbinden. Sam hat sich von kinden Mein herr vnd mein vrowe, Als ich wol getrowe, So gärlich her behuot, Daz ein hertz vnd ein muot Si beide merchet svnder mein, Vnd ein ia vnd ein nein. Daz mag man kiesen dar an, Daz mein vrowe vndern vrowen gewan Vnd under üns mein herr den preis Hat gewunnen allen weis.[‘] (CR 1908ff.)

Vor dem Hintergrund von Ginovers Misserfolg ist Keies Kommentar abermals ironisch gebrochen. Dieser Bruch wird spätestens augenfällig, wenn Keie Gino-

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

ver zur Siegerin der Probe erklärt.692 Der Einschub Als ich wol getrowe legt zusätzlich offen, dass sich die Beziehung des Königspaars gerade nicht durch stæte auszeichnet. Wurde mit Ginovers Misslingen der Probe schon auf die mit der Figur verknüpfte Untreuethematik angespielt, perspektiviert diese auch hier Keies Aussage und lässt den Kommentar auf diese Weise ins Gegenteil kippen. Entscheidend ist für diese Beurteilung die Reaktion der Hofgesellschaft auf Keies Rede, die sie erst als Spott erkennbar werden lässt: Key sprach dar vnder, / Des man wol lachen mohte. (CR 1906 f.) Das Lachen der Hofgesellschaft als Reaktion auf Keies Aussage zeichnet sie deutlich als unernst aus. Keie spricht dem Paar bezüglich seiner stæte Makellosigkeit zu und begründet das mit dem Erfolg beider in der Probe. Die Hofgesellschaft aber weiß um Ginovers Makel; so geht sie zwar als Siegerin aus der Probe hervor, was die Menge des verschütteten Weins anbelangt, nichtsdestoweniger ist sie in ein zweifelhaftes Licht gerückt, da sie die Probe faktisch nicht bestanden hat. Dass damit schon in der Becherprobe eine komische Wirkung intendiert ist, markiert das textinterne Lachen der Hofgesellschaft. Die Becherprobe wirkt hinsichtlich der Beziehung von Artus und Ginover prospektiv auf das folgende Handlungsgeschehen ein. Die Integrität der Beziehung des Königspaars ist in Zweifel gezogen, das Staunen der Hofgesellschaft über Artus’ Erfolg potenziert das. Bis hierher spielt Artus’ zu Beginn exponierte Maienhaftigkeit eine ebenso geringe Rolle wie die Jahreszeit, zu der die Becherprobe stattfindet. Der Winter ist ausgeblendet und wird handlungslogisch erst nach dem heimlichen Aufbruch der Artusritter ohne Artus relevant.

Winter Artus wird zu Beginn als Maikönig deutlich exponiert. Der Mai als Zeit der Blüte und Freude wird als direkter Gegenpol zur Härte des Winters hervorgehoben: Er wart in dem mayen Geborn, als daz puoch seit. Daz was ein gewonheit, Daz wir da bei erchanden,

692 Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 28 bewertet das als „joke at Ginover’s expense“. Anders Besamusca, Bart: Characters and Narrators as Interpreters of Fidelity tests in Medieval Arthurian Fiction. In: Neophilologus 94 (2010), S. 289–299, S. 295, der für beide Tugendproben von einem „astonishing joint feature“ ausgeht, das „the positive portrayal oft he royal couple“ zeige. Diese Ansicht würden sowohl Keie als auch der Erzähler vertreten.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

257

Daz er an werltschanden Jmmer wurd gemailet, Als im daz zeit ertailet, Dar inne er geborn was. Wan danne bluomen vnd gras Blüent vnd springent, Dar zuo deu hertz ringent, Den her an vreuden gebrast. Swie si twanch chvmbers last, Den geit er vrœden pilde. Daz bezaichent die milde, Der Artus phlach sin zeit, Wan üns der maye vrœde geit Mer danne alle mane Vnd tuot üns ouch ane Des winters herten twanchsal. Swaz er heid vindet val, Di niwet er vnd reichet. Von diu sich geleichet Dem maien Artuses leben, Wan er chvnd also geben, Daz sein wart manger vro. (CR 260ff.)

Artus hat demzufolge mit dem Winter nichts gemein, er ist der maien Artus.693 Umso beträchtlicher fällt die Jahreszeit ins Gewicht, in der der Handlungsbeginn an Weihnachten außerhalb von Artus wesensgemäßer Jahreszeit in den Winter versetzt ist:694 Ein hohtzeit er gesprach / […] / Ze einen weinnahten. (CR 466–469) Diese – schon im Parzival geschaffene – Divergenz von Artus’ Maienherrlichkeit und Wintereinbruch ist hinlänglich betont worden.695 Auf das Hoffest und das Turnier (vgl. CR 659 ff.) aber nimmt die Jahreszeit zunächst keinen Einfluss, an keiner Stelle beeinträchtigt der Winter oder die Kälte das Handeln der Figuren. Gewiss wird deshalb zu Beginn der Becherprobe daran erinnert, dass Winter ist: Do an dem weinehten tage / Artvs ze tische saz (CR 919 f.). Auch diese Nennung des Weihnachtsfestes steht wie die erste in syntaktischer und somit engster Bezie-

693 Vgl. überblickhaft zu Artusʼ Stellung innerhalb der Artusromane zuletzt Häger, HannaMyriam: Fiktionalität trans- und intermedial. 694 Vgl. zu der Verbindung von Jahreszeiten und Festen am Artushof Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 15 und zur Übernahme des weihnachtlichen Hoffestes aus Chrétiens Erec et Enide ebd., S. 18 f. 695 Vgl. dazu Schirok, Bernd: Artûs der meienbære man – Zum Stellenwert der „Artuskritik“ im klassischen deutschen Artusroman. In: Schnell, Rüdiger (Hrsg.): Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Heinz Rupp zum 70. Geburtstag. Stuttgart 1989, S. 58–81.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

hung mit der Artusfigur. Artus hat allem Anschein nach doch eine Verbindung zum Winter; welcher Art sie ist, bleibt im Folgenden zu fragen.696 Gawein veranlasst, dass die Ritter heimlich aufbrechen und Artus zurücklassen. Ihm zufolge befänden sich die Ritter in Bedrängnis: Einerseits müssten sie, um ihre Ehre zu bewahren, am Turnier teilnehmen, andererseits ließe Artus nicht zu, dass sie das Hoffest verlassen (vgl. CR 3243 ff.) – warum, bleibt unklar. Der heimliche Auszug der Ritter befördert den Hof in seinen unüblichen, einsamen, winterlichen Zustand. Frostige Kälte hält Einzug am Artushof, als Artus von seinen Rittern alleingelassen, der Langweile zum Trotz zur Jagd aufbricht.697 Die Jagdsequenz selbst umfasst nur wenige Verse (vgl. CR 3307–3333) und scheint den bloßen Zweck zu erfüllen, die Eiseskälte zu akzentuieren:698 Div zeit was chalt vnd tief der sne, Als ez ist des winters e, Vnd die gewæt starch tief, Da von daz wilt niht verre lief Vnd ez an twale Vil nah ze allem male Hin durch die gewæte brast. Dir kelten herter last Den chünich vnd sein gesellen entwalt. […] Dort waren si so lange, Daz si in dem twange Der chelten muosten entweichen, Wan in wolt gesweichen

696 Daiber, Andreas: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 173 hat den Wintereinbruch als „gelungene Satire auf das gewohnte Schema bisheriger Festfreude zu Pfingsten“ bewertet. Die mit der Satire verbundene Kritik am komisierten Gegenstand steht m. E. infrage. Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 185: „the descriptio of the natural condition remains as a haunting monument to the frailties of the king“. 697 Kaiser, Gert: Artushof und Liebe. In: ders. / Müller, Jan-Dirk (Hrsg.): Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983). Düsseldorf 1986 (= Studia humaniora 6), S. 243–251, S. 244 hat das als „soziales Experiment“ bezeichnet. 698 Ähnlich auch Kragl, Florian: Schneeritt und Schwanennachen, S. 165. Ihm kommt es auf die „Naturszenerie, die zu einer enormen Plastizität auserzählt wird und die so eine eindringliche Wirkung entfaltet“ an. Die von der Beschreibung des Winters ausgehende „szenische[] Wirkung“ (S. 167) ermögliche die Handlung erst, die Figuren würden „von der Szenerie gepackt“(S. 180). Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 186 hat die Beschreibung der Landschaft als Mittel zur Kontraststeigerung verstanden: „For heightened effect, the poet contrasts this graphic depiction of nature’s fury with the miraculous Knight of Black Thorn“.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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Der tak vnd div chraft. Do chert mit seiner geselleschaft Wider heim chunig Artvs. (CR 3313–3333)

Winter und Kälte spiegeln den Zustand des Artushofs wider.699 Artus wurde von seinem Gefolge hintergangen und handlungsunfähig gemacht. Zwar bleiben drei seiner Ritter zurück, allerdings ist hiermit dennoch div gesellschaft ze chlein (CR 3285), um den flüchtigen Rittern hinterherzureiten. Gawein, der auch in der Crône die Rolle des Ratgebers700 inne hat, trägt mit diesem Ratschlag substanziell dazu bei, Artus in diese für seine Figur unübliche Lage zu bringen. Zum Ausgangspunkt der Gasoein-Handlung wird so die gestörte Artusidealität, die durch Gaweins Provokation von innen verursacht ist und sich schließlich in der Winterlandschaft abbildet. Figurenhandlung und Setting beginnen gegenseitig aufeinander Einfluss zu nehmen. Schon die Jagd findet unter diesen gestörten Voraussetzungen statt und mündet – dem gestörten Setting entsprechend – in Unhandlung, da die Winterjagd eine sich zur Handlungsintention konträr verhaltende Jagdszene entwirft. Im Text wird eine Jagdszenerie gezeichnet, die sich insofern zur Handlungsintention konträr verhält, als das zu jagende Wild in den Tiefen der Schneemassen stecken bleibt und auch die Jäger vor Kälte erstarren (vgl. CR 3313 ff.). Diese, bereits in der Störung komisch wirkende Ausgangslage trägt die Komik im Folgenden mit. Winter und Hinterlist stellen die Weichen für die Komik der nachfolgenden Ofenszene. Die in dieser – mit Blick auf die vorangehende Becherprobe gewissermaßen verdoppelten – Exposition angelegten Problemfelder werden in der Ofenszene zum Anlass einer weiteren Provokation genutzt. In der Ofenszene provoziert Ginover den frierenden Artus, indem sie ihn mit einem heißblütigen Ritter vergleicht.701 Demzufolge sind Gawein und Ginover die Provokateure, die das weitere 699 Vgl. dazu auch jüngst Wiesinger, Michaela: Feenreste. Zur latenten Feenhaftigkeit hofferner Frauenfiguren in Diu Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Journal of the International Arthurian Society 6 (2018), H. 1, S. 46–69, S. 65, die die Raumgestaltung als Resultat einer auf humoralpathologischem Wissen basierter Zuordnung der Frau zu Kälte und Feuchte bewertet. Der Raum würde so zu „einem eindeutig weiblich konnotierten […], in dem nur der echte, heiße – und im Falle Gasoeins auch anderweltliche – Mann bestehen kann“. 700 Vgl. Ditz ist der rat mein (CR 3227); Des andern morgens vil vruo / Riten si alle gemein, / Als in geriet her Gawein (CR 3259 ff.). 701 Zu Ginover als Provokateurin auch Felder, Gudrun: Kommentar zur Crône Heinrichs von dem Türlin. Berlin [u. a.] 2006, S. 130 f., die die „Störung der Paarbeziehung“ hier anders als im Lanzelet „von innen“ verursacht erkennt; Schmitz, Bernhard Anton: Gauvain, Gawein, Walewein, S. 275: Die Provokation Ginovers stelle sich als „‚Transgression‘ de[s] gattungstypischen Verhaltensmuster[s] der Königin“ dar. Vgl. auch Haug, Walter: Die Rollen des Begehrens. Weiblichkeit, Männlichkeit und Mythos im arthurischen Roman. In: Meyer, Matthias / Schiewer,

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Handlungsgeschehen erst bedingen. Beide Provokationen kommen unmittelbar aus dem Bereich des Artushofes selbst.702 Der erste Wintereinbruch erfolgt, nachdem Gawein den Rittern dazu rät, am frühen Morgen, während Artus noch schläft, heimlich den Hof zu verlassen und zum Jaschune-Turnier zu reiten.703 Ginovers Provokation fußt auf dieser ersten von Gawein ausgehenden.704 Die Landschaft assimiliert den gestörten Zustand des Hofes nach der ersten Provokation und ermöglicht damit eine zweite. Beide Provokationen, die das Dilemma von Artus auslösen, gehen von zwei Figuren aus, die fest zum Personal des Artushofs gehören und die Hans-Jochen (Hrsg.): Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag. Tübingen 2002, S. 247–267, hier S. 264 f., der von einer Psychologisierung weiblicher Ambivalenz spricht: „Die schematisch notwendige ‚Untreue‘ der Frau im Mythos […] ist in der ‚Krone‘ zu einer geschlechterspezifischen Charakterfrage geworden, die unentwirrbar ins Absurde führen muss.“ Eine „Provokation des Hofes von außen“ sei „nur noch in Fragmenten da“ und die „lügnerische Provokation Gasoeins […] ein verstecktes Experiment, bei dem er verführerisch auf die traditionelle Rolle der Königin setzt“ (S. 267). Vgl. jüngst Wiesinger, Michaela: Feenreste, S. 64 ff.: Ginover fungiere „als eine Art Gegenfigur zum Artushof“ (S. 64), insofern ihr aktiv-provokatives Verhalten gegenüber Artus „untypisch“ sei für eine höfische Dame und sich als Attribut anderweltlicher Feenfiguren werten ließe. 702 Vgl. zum Artushof als Provokation auch: Bauschke, Ricarda: Der Artushof als Provokation. Überlegungen zum Konzept der ‚Symbolstruktur‘. In: Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Ironie, Polemik und Provokation, S. 225–238. Vgl. zu Ginover als Provokateurin im Erec und Iwein insbes. S. 230, 237. 703 Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 93 bewertet den Aufbruch als „burleske[] Übersteigerung des Motivs des heimlichen Aufbruchs des Titelhelden“. An anderer Stelle (Meyer, Matthias: Wie man zu seinen Protagonisten auf Distanz geht und ihnen dennoch Sympathie verschafft. Konrad von Würzburg und Heinrich von dem Türlin. In: Dimpel, Friedrich Michael / Velten, Hans Rudolf [Hrsg.]: Techniken der Sympathiesteuerung in Erzähltexten der Vormoderne. Potentiale und Probleme. Heidelberg 2016 [= Studien zur Historischen Poetik 23], S. 145–161, S. 158) führt er den heimlichen Aufbruch mit der Kongruenz der Figuren Gawein und Artus eng (vgl. Anm. 784): „Die ganze Situation ist zum einen wohl komisch, zum anderen völlig unerwartet: Welcher Artus hat etwas gegen die Turnierteilnahme seiner Ritter, welcher Gawein, gerade noch gemeinsam mit Artus inszeniert, hintergeht seinen König so? […] Es ist kein Zufall, dass dieses völlig neue Bild [vom Artushof, Anm. d. V.] durch Gawein erzeugt wird, der Artus beinahe gleichgestellt ist“. Gaweins merkwürdiges Verhalten, ohne dass dafür Erklärungen geliefert würden, sei Teil einer Distanzerzeugungsstrategie. Vgl. auch Ringeler, Frank: Zur Konzeption der Protagonistenidentität im deutschen Artusroman um 1200, S. 231: „[D]ie notwendige Heimlichkeit des Aufbruchs zu einem ritterlichen Turnier stellt Artus in der Crône sogar als Verhinderer neuer Handlung heraus.“ Der Aufbruch der Ritter erscheine wie eine „Flucht“ (S. 232). Hierin stecke „deutliche Artuskritik“. Vgl. außerdem Kaminski, Nicola: Wâ ez sich êrste ane vienc, Daz ist ein teil unkunt. Abgründiges Erzählen in der Krone Heinrichs von dem Türlin. Heidelberg 2005, S. 19: „In Wahrheit geht es um die Lust am Verbotenen, die Lockung des Lausbubenstreichs für den Musterknaben.“ 704 Ähnlich Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 157: „Freilich ist es der paralysierte Zustand des Hofes, die [sic!] ihm diesen Angriff überhaupt erst ermöglicht.“

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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den Status der Artusfigur im Artusroman wesentlich mitbedingen. Gawein verursacht eine Störung des Konzepts ‚Artushof‘, die in der Witterung zum Ausdruck gebracht ist. Schon FLORIAN KRAGL versteht die Winterlandschaft als „motivationale Voraussetzung der Handlung“705, indes ohne die Ursache für den plötzlichen Wintereinbruch zu sondieren und die Steigerung der Kälte, die mit dem Auszug vom Gros der Artusgesellschaft einhergeht, miteinzubeziehen. Indem Artus friert, adaptiert die Figur die sie umgebende Jahreszeit. Artus ist in der Ofenszene sozusagen seiner maienhaften Figurenkonzeption enthoben; seine Maienart, die die Freude als Zustand des Artushofs sicherstellt, ist transponiert in frostige Kälte.706 Am Artushof stimmt etwas nicht und Artus selbst sehnt sich nach dem für seine Figur üblichen maienbæren Zustand, wenn er seine Hände dem wärmenden Feuer entgegenstreckt; das erscheint wie ein Versuch, qua Aufwärmen am Feuer den maienbæren Zustand wiederzuerlangen. Nicht erst Ginovers Schelte evoziert die der Ofenszene innewohnende Komik, diese ist schon weitaus basaler angelegt. Das erste Moment der Störung ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass Artus’ Hoffest unmittelbar im Winter stattfindet, trotzdem seine Mainatur überbetont wird. Jene Störung aber ist für den Fortgang der Handlung zunächst noch irrelevant. Auf die Becherprobe nimmt sie keinen Einfluss und bewirkt erst mit dem Ausritt zur Winterjagd ein Umschwenken von Handlung in Unhandlung. Reitet zu Beginn von Chrétiens Erecroman die Hofgesellschaft aus, um den weißen Hirschen zu jagen, ist Artus’ Hofgesellschaft, die ihn zur Winterjagd begleitet, in der Crône auf ein Mindestmaß geschrumpft; anstelle des weißen Hirschs wird am Ende der Ritter im weißen Hemd gejagdt werden.707 Bereits ehe Ginover den frierenden Artus mit dem immerheißen Gasoein vergleicht, stellt der Text demnach Momente der Störung bereit, die sich maß-

705 Kragl, Florian: Schneeritt und Schwanennachen, S. 168. 706 Rüther, Kerstin: Der kalte König. Melancholische Spuren in Heinrichs von dem Türlin Krone. In: Sieber, Andrea / Wittstock, Antja (Hrsg.): Melancholie – zwischen Attitüde und Diskurs. Konzepte in Mittelalter und Früher Neuzeit. Göttingen 2009 (= Aventiuren 4), S. 15–40, hier S. 16 f. spricht diesbezüglich von einer „experimentellen Anordnung“, in der „Artus all dessen entkleidet [werde], was ihn als literarische Figur ausmacht – des Beistands seiner Tafelrundenritter, seiner costumes […], seiner männlichen Überlegenheit, der Legitimität seines Anspruchs auf die eigene Frau.“ 707 Ähnlich Lauer, Claudia: Bunter Zufall? Farben und Farbsemantiken in der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Bennewitz, Ingrid / Schindler, Andrea (Hrsg.): Farbe im Mittelalter. Materialität, Medialität, Semantik. Bd. 2. Unter Mitarbeit von Karin Hanauska, Peter Hinkelmanns und Bettina Becker. Akten des Symposiums des Mediävistenverbandes vom 1. bis 5. März 2009 in Bamberg. Berlin 2011, S. 439–460, hier S. 447, die das Weiß des Hirschs allerdings auf die Landschaft übertragen sieht.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

geblich auf Artus Maienhaftigkeit sowie seinen Status als Freude bewahrender Mittelpunkt der Artusgesellschaft beziehen. Dass hier ein Kontrast zwischen maienbære[n] man (PZ 281,16) und frierendem Artus geschaffen wird, ist gewiss keine innovative Beobachtung. Nichtsdestoweniger kommt es auf die Simultaneität und die gegenseitige Relativität von Raum und Handlung an. Heinrich übersetzt Wolframs erzähltechnische Metapher zunächst in Handlung – Heinrichs Artus parriert sich mit snêwes siten. (PZ 281,22) Und auch sein mære parrieret Heinrich mit snêwes siten708 – jene, den Erzählraum bedingende Faktoren aber assimilieren schlussendlich mit der Figur selbst. Was im Parzival einen Erzählraum erschafft, der die Figurenhandlung bedingt, ist in der Crône von wechselseitiger Einflussnahme geprägt; hier steht der Raum sinnbildlich für den Zustand des Königs und seines Hofs und zugleich bedingt der Zustand des Königs den Raum. In der Ofenszene selbst überlagern sich schließlich mehrere Ebenen, die Komik generieren.709 Für BLEUMER gilt die Artusidealität erst gestört, als Ginover den Vergleich zwischen frierendem König und Gasoein herstellt, Artus trage „nachträglich plötzlich komische Züge“710. Doch wirkt bereits vor der Gegenüberstellung von Artus und Gasoein die Winterjagd komisch, die einen Bruch der Artusidealität durch das Winter-Setting verursacht. In dem Moment, in dem Artus sich am Ofen wärmt und Ginover die nicht mehr intakte Idealität an- und somit erstmals ausspricht, beginnen die jahreszeitlichen Ebenen sich zu überlagern. Als Ursache für die Komik, die von von Ginovers Schelte ausgeht, wurden unterschiedliche Auslöser angeführt. BLEUMER zufolge resultiere aus Ginovers Forderung nach Restitution der gestörten Paarbeziehung ein Erwartungsbruch, auch wenn diese grundsätzlich nicht zu realisieren sei.711 GUTWALD bewertet die Auseinandersetzung als „schwanktypische[n] Ehekrieg“, in dem Ginover sich, ihrem Mann Vorwürfe machend, über ihre Geschlechterrolle hinweg setze und als überdurchschnittlich gebildete Frau zum „bösen und […] bedrohlichen Eheweib“ werde.712 Beide Deutungen zielen auf den basalen Ehekonflikt ab, der

708 Vgl. PZ 281,21 f.: ditz mære ist hie vast undersniten, / ez parriert sich mit snêwes siten. 709 Ähnlich auch Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 59, der für die Ofenszene resümiert: „Die Herzszene beinhaltet somit ein ganzes Konglomerat von unauflösbaren Gegensätzen, die sich in ihrer Wirkung ergänzen, was eine unmittelbare Einsicht in die Zielrichtung des Komischen verhindert. Den einzelnen Kontrasten ist jedoch gemeinsam, daß sie sämtliche Positionen in Frage stellen. Auf das Ganze gesehen, wird die Handlungsexposition in ihrer Logik so wiederholt gestört.“ 710 Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 58. 711 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 58 f., S. 60. 712 Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof, S. 98 f.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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sich ausgehend von dem frierenden Mann entspinnt, und machen die Ehekrise zum Ausgangspunkt der Komik. Vor dem Hintergrund dieses grundlegenden Konflikts, lassen sich weitere Kontrastierungen und Brüche beschreiben, die Komik erzeugen, indem sich figurengebundene Handlungsmuster überlagern. Ginover führt Gasoein als Gegenpol zu Artus ein. Erzeugt schon die winterliche Landschaft mit ihrem frierenden König einen solchen Bruch mit dem Gattungswissen, verkörpert Gasoein Artus gegenüber die Frühlingsmetaphorik, die diesem abhanden gekommen ist. Ginover bedient sich für seine Beschreibung diverser kontrastiver Bilder, die Frühling und Winter gegenüberstellen und um eine sexuell konnotierte Bildlichkeit erweitern.713 Die für die Figurenbeschreibung eingesetzte Jahreszeitenbildlichkeit führt die konträre Figurenkonzeption ein. Weder eys vnd der sne noch der chle (CR 3399 f.) üben Einfluss auf Gasoein aus, ganz im Gegensatz zu Artus, dem als chle-König eys vnd der sne bereits enorm zugesetzt haben. An der Stelle, wo Artus als Maikönig beschrieben wird, werden ihm noch die Attribute zugeschrieben, die später Gasoein auszeichnen: Wan danne bluomen vnd gras Blüent vnd spingent, Dar zuo deu hertz ringent, Den her an vreuden gebrast. (CR 268ff.)

Gasoein aber ist unabhängig von Jahreszeiten und bewegt sich völlig frei von vrostes vreise, sumers hitz vnd bluomen bluot (vgl. CR 3402 ff.),714 sein Äußeres scheint beinahe, als sei er der personifizierte Schnee (weizez hemed, örs harmblanch, weizzen schilt, weizzer banyer [CR 3409–3421]), der Artus zu schaffen macht. Vom Weiß seiner Ausstattung hebt sich bloß seine rote Lanze ab. HEIKO HARTMANN hat für Gasoeins Heraldik zu Recht hervorgehoben, dass die Farben mit der Winterszenerie korrespondieren und ihn damit zum „Vertrauten der Kälte“ machen, während Artus zum „Feind der Kälte“ werde, wenn er sich am Kamin wärmt.715 Mit den Handlungsweisen der beiden Figuren aber bricht diese Bildlichkeit durchweg. Der Schneekönig Gasoein als hitziger potentieller Freier steht dem (sexuell?) unterkühlten Maikönig gegenüber. Die sexuelle Komponente

713 Haug, Walter: Die komische Wende des Wunderbaren: arthurische Grotesken, S. 173 identifiziert Gasoein insofern als ‚wunderbare‘ Figur, als in ihm das Wunderbare „erotisch-physiologisch ins Groteske hinübergespielt“ werde. Das Wunderbare sei als Möglichkeit eingesetzt, „Komik zu erzeugen und damit die Polarisierung zu unterlaufen“ (S. 174). 714 Vgl. dazu Schanze, Christoph / Kirchhoff, Matthias: Interferenzen zwischen Artusroman und Minnesang, S. 165, die diesbezüglich die Nähe zum Natureingang herausgestellt haben. 715 Vgl. Hartmann, Heiko: Grundformen literarischer Heraldik im Mittelalter am Beispiel der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Das Mittelalter 11 (2006), H. 2 (Wappen als Zeichen), S. 28–52, S. 42.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

wird verstärkt über kontrastive Vergleiche eingespielt, wie Schnee und Klee, wobei das in den Klee setzen ebenso auf den Geschlechtsakt anspielt, wie bluomen bluot mit Blick auf die Metapher des Blumenbrechens den Liebesvollzug meint. Die durch seinen lieblichen Gesang geschaffene Nähe zum Minnesang bringt Gasoein überdies in gattungskonstitutive Differenz. Gasoein wird in Ginovers Schmährede in jeglicher Hinsicht als Artus’ Antagonist ausgezeichnet.716 Der Antagonismus ergibt sich aus der Interferenz der auf unterschiedliche Aspekte abzielenden kontrastiven Bildlichkeit. Ginover behauptet darüber hinaus, Gasoein sei bechant vil (CR 3398). Sein Bekanntheitsgrad muss sich jedoch entweder auf einer metaphorischen Ebene bewegen – denn an keiner Stelle des Textes kennt irgendwer Gasoein –, oder der Hinweis läuft ins Leere. Konzipiert als Kontrastfigur zu Artus könnte jene Anspielung auf den Bekanntheitsgrad allenfalls darauf abzielen, dass sich Gasoeins Bekanntheit an seinem Auftreten misst, wohingegen gerade Artus’ Name für ein Idealbild einsteht (bspw. ist im der lîp erstorben / sô lebet doch iemer sîn name. [IW 16 f.]; ein künic […], / des nam wîten ist erkant; / […] / selbe hiez er Artûs[.] [WG 146–149]); das könnte erklären, weshalb Ginover seinen Namen gezielt nicht nennt: […] ein ritter, den ich weiz, / Des ich niht nennen wil. (CR 3396 f.) Der namenlose Ritter konstituiert seine Prominenz qua Attitüde, wie er das auch selbst an späterer Stelle artikuliert, während bei Artus als statischem Ideal Werte grundlegend an seinen Namen gekoppelt sind. ‚Jch bin so niht chomen her, Daz ich iemen mein namen sag. Daz ich in verholn trag, Daz entuon ich durch übel niht, Wan swie mich der man siht, Also muoz er mich han.[‘] (CR 4099ff.)

Auch in den nächtlichen Furtkämpfen geht es demgemäß zunächst darum herauszufinden, wer er sei (CR 3632). Wenn Gasoein Artus auffordert [‚ … ] bringet mich iwerm Artvs, / Der hie ze lande hat hvs[‘] (CR 4422 f.) und an späterer Stelle sagt, dass er schon lange Zeit auf der Suche nach Artus sei, ihn aber nicht finden könne, wird das Spiel um den Namen weitergetrieben: 716 Vgl. dazu auch Hoffmann, Ulrich: Ginovers Krise. Verhandlungen latenter Ursachen in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich / Zudrell, Lena (Hrsg.): Emotion und Handlung im Artusroman. Berlin 2017 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 13), S. 243–270, S. 248: Gasoein erscheine in der Schilderung Ginovers „geradezu als Gegenentwurf zu Artus“, der jedoch „ebenso wenig wie Artus ein auch nur hinreichend tragfähiges Ideal“ sondern stattdessen „die ebengleichen Widersprüche wie dieser, gleichsam mit umgekehrten Vorzeichen“ verkörpere.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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Er spach: ‚Daz ist Artvs. Jchn weiz aber niender sein hvs, Wan also ist er genant Vnd ist herre über ditz lant. Anders ist er mir niht bechant.‘ (CR 4696ff.)

Gasoein kennt nur den Namen und weiß nichts von den damit assoziierten Werten und seinem Status als Oberhaupt der Tafelrunde; auch wirft er gerade Artus unritterliches Verhalten vor: Het ir ie riter gesehen, / Jr chvndet si baz handeln. (CR 4474 f.) Er verlangt zuletzt einen Beweis für Artus’ Echtheit, es braucht ein zeichen (CR 4739, 4760), um Artus als Artvs der rehte (CR 4741) zu bestätigen. Ob es hierbei darum geht, dass es mutmaßlich mehr als einen Artus gibt oder ob Gasoein Artus nur unterstellt, vorzugeben, er sei dieser eine Artus, bleibt – scheinbar gezielt – offen. Nachdem Gasoein Ginover von Artus einfordert, vermutet dieser selbst eine solche Verwechslung, schließt sie aber sogleich aus:717 [‚]Jr mügt wol verhandelt han, Wan ein dar an, daz ich Niemen weiz wan mich, Den man Artvsen nenne, Den ich iender bechenne. Des mag ich wol der selb sein.[‘] (CR 4820ff.)

Das Zeichen selbst, das Artus gegenüber Gasoein als echter Artus bestätigt, gemahnt jedenfalls an Yvains / Iweins Narbe und rekurriert dabei zusätzlich auf die Episoden der Texte, die den Identitätsverlust zum Thema machen. Ginover verschweigt gezielt den Namen von Gasoein und ermöglicht damit erst die nächtliche Furtaventiure, in der die Ritter herausfinden wollen, ob es diesen vom Frost unberührten Ritter tatsächlich gibt und wer er ist. Ginovers Provokation schafft auf einer weiteren Ebene eine Spannung, die sich auf die konträre Bildlichkeit der beiden Figuren auswirkt: Nimmt man die von ROSEMARY E. WALLBANK aufgezeigten Parallelen zu der irischen Erzählung von Etain und Mider ernst,718 würde Ginover sich bei ihrer Anklage gegenüber

717 Vgl. dazu Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 98: „Das könnte zwar Ironie der Figur sein, aber im Zusammenhang mit der nicht gefestigten Artusrolle (Verunsicherung durch Ginover, Vereinzelung, Nichterkennen) ist es auffällig, daß Artus selbst an seiner Einzigartigkeit zu zweifeln auch nur erwägt.“ Rüther, Kerstin: Der kalte König, S. 18 meint, „in der modalen Formulierung [scheint] die brüchig gewordene Identität einer literarischen Figur auf, der ihr angestammter Platz im Raum der Fiktion verloren gegangen ist“. 718 Vgl. Wallbank, Rosemary E.: Heinrichs von dem Türlin Crône und die irische Sage von Etain und Mider. In: Krämer, Peter (Hrsg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten, S. 251–268. Wallbank arbeitet weitere, nicht nur die Grundkonstellation betreffende, augenscheinliche Parallelen

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Artus nicht bloß übersprechen. Stattdessen legte sie ihren Status, den sie in der irischen Erzähltradition als Fee hat, die vor ihrer Ehe mit Artus anderweitig liiert war, offen.719 Gasoeins in der Auseinandersetzung mit Artus artikulierter Anspruch auf die Königin wäre somit – wie auch derjenige Valerins im Lanzelet – traditionsbedingt begründet. Folglich wäre Ginovers Provokation nicht haltlos, sondern entstammte der Stofftradition, auf die Ginover selbst anspielte.720 Die Provokation erklärte sich demnach aus der älteren Erzähltradition und bezieht sich nicht allein auf die augenblicklich gestörte Beziehung des Königspaares.721 Auf der Handlungsebene provoziert Ginover Artus als unmännlichen Ehegatten,

zur Gasoein-Episode heraus. Anders als Mider aber entscheidet sich Etain, wenn auch mit Widerwillen dazu, mit Mider zu gehen, während Ginover Gasoein abweist. Wallbank erklärt diese Abweichung mit Ginovers „präformierter Rolle“, die es erfordere, „daß sie mit Gewalt entführt werden kann, nicht aber aus freiem Entschluß ihren Gatten verlässt“ (S. 265). Vgl. auch Webster, Kenneth Grant Tremayne: Guinevere, S. 124, der die irische Erzählung als mit einer keltischen Erzählung verwandt anerkennt. Thomas, Neil: Diu Crône and the Medieval Arthurian cycle, S. 40 hält das ebenfalls für naheliegend: „At any rate the Guinevere of Diu Crône gives the rather shifty impression of one strenously repressing memories of a former life in her attempt to maintain her position within the Arthurian order.“ Heinrichs Wahl der älteren Erzähltradition um die Dreiecksbeziehung in Kombination mit ihrer Anfangsstellung – wo sie im Gegensatz in der Lancelot-Tradition schlussendlich zum Untergang des Artusreichs führe – entschärfe den Konflikt und integriere ihn in die Crône als „Arthurian chronicle“ (S. 36). Das ermögliche einen „process of reconciliation and rehabilitation superintendet by Gawein“ (S. 42). Buschinger, Danielle: Erotik und Sexualität in der Artusepik (ein Beispiel: die Krone Heinrichs von dem Türlin). In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artushof und Artusliteratur, S. 137–153, S. 150 f. folgert diesbezüglich: „Die geheimnisvolle Vergangenheit der Königin trägt dazu bei, dass nicht nur Ginover kompromittiert wird, sondern auch der ganze Artushof […].“ 719 Schulz, Armin: Der Schoß der Königin. Metonymische Verhandlungen über Macht und Herrschaft im Artusroman. In: Däumer, Matthias / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artushof und Artusliteratur, S. 119–135, S. 131 ff. argumentiert mit einer radikalen Umcodierung der Minnediskussion des höfischen Romans: Der Konflikt bestehe nicht weiterhin zwischen Welt und Anderswelt, sondern zwischen Herrschaftsehe und Liebespassion. Was sich hier gegenüberstehe, sei „die Liebeskonzeption des arthurischen Romans und diejenige des Minnesangs“ (S. 133). Nicht nur Gasoein, der zugleich als Ritter und Minnesänger dargestellt sei und damit beide Konzepte höfischer Minne herausstelle, sondern vor allem Ginover selbst sei die Verkörperung dieser Widersprüche: „In Ginover verkörpert sich der Widerspruch zwischen dem allgemeinen Muster höfischer Liebe und dem speziellen Gegenentwurf des Artusromans.“ (S. 131) 720 So auch Thomas, Neil: sîner tugende anegenge sagen: The Re-writing of Arthurian (Hi)story in Diu Crône. In: The Modern Language Review 95 (2000), H. 3, S. 744–763, S. 751. 721 Anders Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 158. Während mit dem frierenden König „das ‚männliche‘ Heldentum des Artus“ abgewertet werde, werde Ginover eine hohe Bildung zugebilligt. Diesem dargestellten „‚Realismus‘“ werde Gasoein als „Fiktion“ entgegengesetzt.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

267

auf einer Metaebene aber provoziert sie sogleich das seiner Mainatur enthobene literarische Ideal und greift darüber hinaus nicht minder auf das dem Erzählstoff innewohnende konfliktträchtige Potential zurück, demzufolge sie vor ihrer Ehe mit Artus bereits liiert war. Die aus der stofflichen Erzähltradition herrührenden Aspekte führen das Erzählen des Artusromans an seine Grenzen. Die Stofftradition selbst überanstrengt das Erzählen an der Stelle und löst damit die Handlung aus. Der Konflikt ist einer von keltischer Stofftradition und deren Adaption im Artusroman. Entsprechend muss Artus Ginover im Artusroman für sich und als Teil des festen Figureninventars verteidigen. Berücksichtigt man die Möglichkeit, dass Gasoeins Status als anderweltlicher Gatte Ginovers eine Rolle spielt, erhalten die vorgeführten Differenzen der beiden Figuren eine zusätzliche Brisanz. Indem Artus hêrre sne besiegt, erlangt er seine Maienherrlichkeit zurück und reklamiert Ginover zugleich für den Artushof. Artus hat nicht nur seinen Ruf als Ehemann widerherzustellen, er steht auch für die Integrität Ginovers ein und kämpft um das feste Figureninventar des Artushofs. Artus muss dabei selbst handeln, da der Ratgeber und Musterritter Gawein absent ist, und sich nach der Beratung keiner der übrigen Artusritter bereit erklärt, Artus’ Ehre wiederherzustellen. Daher folgt Artus Aumagwins Rat, sie gemeinsam mit den verbliebenen Rittern zu verteidigen. Die klägliche Darbietung der übriggebliebenen kleinen Artusgesellschaft an der Furt treibt das vorab an Artus exemplifizierte Bild des frierenden Mannes auf die Spitze. Keie und Gales setzt die Kälte so sehr zu, dass ersterer meint, Daz er wand wesen tot. (CR 3670) Das Zittern und die Anstrengung der Kälte schwächen Keie so sehr, dass er auf der Lauer einschläft:722 Er suoht ruowe von stet ze stet, Ein weil dort, ein weil hie, Vntz in div müede starche gevie, Do er vür vnd wider lief, Daz er in seinem schilt entslief, Vnd daz von müede geschach. (CR 3682ff.)

Nicht anders ergeht es Gales: Daz er an der huote Muost ligen also lange Jn des frostes betwange.

722 Daiber, Andreas: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 173 zufolge ergebe sich aus der „Diskrepanz zwischen Eigenanspruch und tatsächlichem Handeln des Truchsessen […] eine[] Mischung aus Tragik und Komik“.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Dar vnder entslief er svnder dank. Div müed in dar zuo betwank, Vnd was doch vnder beiden Von ietwederm gescheiden, Er enslief noh enwachet. Div chelt im daz machet, Div in het gar ervrœrt. (CR 4016ff.)

So wie Wigalois in der Schwertradaventiure nicht einschlafen darf, läuft es der eigentlichen Handlungsintention zuwider, dass Keie und Gales während des Lauerns einschlafen, da letzteres die Intention des Lauerns grundsätzlich ad absurdum geführt. Damit scheitert die Handlung hier schon bevor die Ritter dem Ungerüsteten unterliegen, was ein abermaliges Scheitern von Handlung induziert. Die von Frost und Müdigkeit übermannten Artusritter potenzieren damit das klägliche Bild des fröstelnden Artus’ am Ofen. Die Auseinandersetzung von Keie und Gasoein zeichnet sich überdies, wie BLEUMER gezeigt hat, durch eine Komik aus, die sich aus der Diskrepanz von Keies deutlich inszenierter Unterlegenheit und seinem Festhalten an der „Logik […], nach der die bessere Ausrüstung auch Überlegenheit im Kampf bedeutet“ ergibt.723 Gemäß dieser Logik, die der Erwartungshaltung des Rezipienten entspricht, der anhand seines Gattungswissens für einen Artusritter beansprucht, dass dieser seinem Gegner unter solchen Umständen überlegen ist, wird die Erwartung gebrochen, wenn Keie dennoch unterliegt. Keie nimmt hierbei indes eine Sonderposition ein, weil er innerhalb solcher Auseinandersetzungen immer versagt. Diese, von MEYER als ‚erwartbar‘ beschriebene Komik, ist somit mit der Figur prognostiziert, funktioniert dessen ungeachtet aber ebenso mittels der durch den Erwartungsbruch erzeugten Inkongruenz. Gradmesser für den Erwartungsbruch bleibt ein zwischen Gattungs- und literarischem Handlungswissen changierendes Wissen um die Erfolgsträchtigkeit angemessen ausgestatteter Ritter in Kämpfen. Aumagwin und Artus indessen bedienen erneut die in Ginovers Schmährede angeführten Antagonismen. Bedrängt Aumagwin die Kälte trotz Rüstung, könne ein Ritter im bloßen Hemd niemals überleben: Vnd bat, daz in der gavdin Div chüniginn müeste sin Bei im, daz sie ervunde, Wie bar riter chvnde Jn seinem hemed genesen; Sölt er dehein weil wesen

723 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 61.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

269

Jn so chaltem winde, Der im also swinde Vil gar wære an der stat Jn wambeis vnd in sarwat, Er wurde des leibes ane. (CR. 4247ff.)

Die Divergenz wiederholt die von BLEUMER für Keie herausgestellte Fehleinschätzung auf anderer Ebene. Wo Keie glaubt, er könne den rüstungslosen Ritter im Kampf besiegen, glaubt Aumagwin, er überlebe den der Kälte ausgesetzten Nackten. Am Ende überlebt der von Gasoein besiegte Aumagwin nur, weil er von der im Kampf notwendigen arebeit aufgeheizt ist; vom Kampf ausgelöste glühende Körperhitze und Eiseskälte stehen sich gegenüber:724 Do was er so nazer Nah tot nah dem vrost, Wan daz er glost Ser von der arebeit, Die er von dem degen leit. (CR 4303ff.)

Artus steigert die Divergenz von Ginovers Behauptung und der ihn umgebenden Kälte so weit, dass er ihr den Wahrheitsgehalt abspricht: Ez ist nuor ein mære, / Daz si eteswa hat vernomen[.] (CR 4370 f.) Unterdessen aber hat Gasoein bereits unter Beweis gestellt, dass ihm die Kälte nichts anhaben und er die Ritter auch ungerüstet besiegen kann. Während Artus und Aumagwin die Unmöglichkeit von Gasoeins Existenz akzentuieren, hat er sie bereits handelnd bestätigt. Die Diskrepanz zwischen Artus und Gasoein wird so abermals gesteigert. Ihm direkt gegenüber macht Artus die Differenz der beiden Figuren überdeutlich: Artus sprach: ‚Her guot chneht, Dest war, so ist ze hert Jn dem winder iwer gevert Vnd iwer scherm ze clein, So ir müezt al ein Ein gewaffenten riter bestan. Von dem mögt ir vndergan, Welt ir ivch also wagen. (CR 4501ff.)

724 Ähnlich Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 62, der allerdings den Kontrast von glühender Körperwärme und Frost nicht sieht. Aumagwins Niederlage sei „ins Komische überzeichnet“, weil der Sturz in der Furt endet und Aumagwin durchnässt von Keie und Gales aus dem Wasser gefischt wird und ihm die Kälte im Anschluss hieran noch mehr zusetzt, S. 280.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Die Ausgangsbasis für die Auseinandersetzung von Artus und Gasoein ist damit nachdrücklich formuliert: Artus profiliert sich als Ritter gegenüber Gasoein, der sich ohne Rüstung im bloßen Hemd einerseits geradewegs als Unritter präsentiert, der andererseits aber in eben diesem Aufzug bereits drei vollgerüstete Ritter besiegt hat.725 Da Artus darum weiß (Der chunich diu örs wol bechant [CR 4389]), stellt seine Aussage die Ritter im Nachhinein bloß und perspektiviert zugleich seine eigene bevorstehende Auseinandersetzung mit Gasoein. Noch bevor beide aufeinandertreffen, akzentuiert Artus den Beweggrund des nächtlichen Ausritts und damit zugleich die Diskrepanz zwischen beiden Figuren: Er sprach: ‚Ich was ein tore, Daz ich durch dehein weip So verderb meinen leip, Nuor daz man seit, Daz der man von seinr arebeit Groz werdecheit gewinne.[‘] (CR 4332ff.)

Artus gewinnt Ginovers werdecheit mit ritterlicher arebeit. arebeit und werdecheit sind je nach Figur anders zu perspektivieren, Gasoeins arebeit ist anderer Natur.726 Das, was Artus hier für sich reklamiert, ist die arebeit, die er aktuell vollbringt: Artvs an der huote Lach mit hohem muote, Wan daz in ser verdroz Vmb den vrost, der was groz, Vnd daz er so lang was, Wan er vil chaum genas Vor der kelten vnd dem sne. Der vrort in vnd tet im we, Dar zuo der harnasch vnd daz eys. (CR 4321ff.)

725 Vgl. dazu Hoffmann, Ulrich: Ginovers Krise, S. 249, der die Kleidung als Attribut von Weiblichkeit deutet. 726 Vgl. dazu auch Schanze, Christoph / Kirchhoff, Matthias: Interferenzen zwischen Artusroman und Minnesang, S. 171, die den Konflikt ebenfalls als Resultat der den Figuren zuzuordnenden unterschiedlichen „Normen- und Wertebereich[en]“ von Minne bewerten: Dem System der Hohen Minne mit dem Minnesänger auf der einen, stehe das des höfischen Romans mit Artus auf der anderen Seite gegenüber. Schließlich zeige sich „das Konzept der hohen Minne gerade wegen der ihm eignenden prinzipiellen Unerfüllbarkeit in der ‚Realität‘ der arthurischen Herrschaftsehe mit ihrer Vereinbarkeit von Liebe und Ehe […] klar unterlegen“ (S. 174).

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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In diese Lage bringt er sich, um zu prüfen, ob seine werdecheit geschmälert ist. Er ist bereit, seinen Ruf als Mann und Ehemann kämpfend zu verteidigen. Die werdecheit, die er schließlich in der Konfrontation mit Gasoein zurückzuerlangen hofft, ist von vornherein unmöglich zu erreichen, da Artus mit seiner Art der arebeit auf etwas abzielt, das hierdurch gar nicht zu erreichen ist. An anderer Stelle wird darüber hinaus neben Gasoein auch Gawein diesbezüglich geradezu als Gegenbild von Artus inszeniert, wie KERSTIN RÜTHER gesehen hat: Do tet er niht sam ein zag, Der sich vmb sein arebeit Vil manic laster an leit Mit vluochen vnd mit schelten Vnd will im da mit gelten, Daz er sein ie begunde, Vnd sprichet: ‚Ich enchvnde Mir niht sanft geleben. Selb han ich ez mir gegeben, Nv sol ichz ouch von schulden tragen, Wan ich ie hort sagen: Selb tet, selb habe.‘ Dest war, Gawein sich dar abe Mer lopt, dann er sich schulte, Wan er wolt, daz im gulte Solh arebeit hohen preis. Des entwalt in dehein weis Weder boume noch daz eis. (CR 6799ff.)

RÜTHER hat aus der Gegenüberstellung der beiden Textpassagen geschlussfolgert, dass der benannte zag Artus sei, der „als komische Kontrastfolie zu dem unbeirrt eine lebensfeindliche Eislandschaft durchmessenen Gawein imaginiert wird“727 und Gawein damit ebenso wie Gasoein als Artus’ hitziger Opponent arrangiert werde. Dieser Kontrast werde geschaffen, um einen „konstitutiven Gegensatz zwischen statischem Hof und dynamischer Protagonistenrolle“728 auszustellen. Dabei stützt RÜTHER sich auf die im Vergleich mit dem lateinischen De ortu Waluuanii festzustellende Nähe der Figuren Gawein und Gasoein;

727 Rüther, Kerstin: Der kalte König, S. 24. 728 Rüther, Kerstin: Der kalte König, S. 25. In diesem Sinne ziele Ginovers Schelte darauf ab, dass der „auf seine Repräsentationspflichten reduzierte[] König nur noch als halbe[r] Mann erscheine[]“. Dem kalten König, der „auf die wärmende Behaglichkeit seiner Hofhaltung“ angewiesen bleibe, stünden die das Zentrum ausmachenden aktiven und heißblütigen Ritter entgegen (vgl. S. 26). Schlussendlich ist es ihr um den „humoralpathologischen Charakter“ (S. 26) zu tun: vor dem Hintergrund verschiedener Prätexte sei Artus als „melancholischer König“ (S. 28) gezeichnet.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

dort kämpfen Artus und Gawein unerkannt ebenfalls an einer Furt gegeneinander, Gawein trägt dort den Beinamen ‚Ritter mit dem Hemd‘.729 Die Handschriften V und P bieten in Vers 6816 bluomen (V) bzw. die bluͦmen (P), sodass der Vers ohne Konjektur Weder (die) bluomen noch daz eis heißt. Einerseits erinnert das an Ginovers Beschreibung von Gasoein: Wan in eys vnd der sne Niht mer entwelt dann der chle Deheinr seine reise. (CR 3399ff.)

Andererseits schafft die syntaktische Verbindung von bluomen und eis einen Bezug zu Artus und Gasoein, insofern die gepaarten Attribute auf beide zutreffen: Artus, der frierende Maikönig, Gasoein, der heiße Schneekönig. Gaweins Rittertüchtigkeit wäre somit beiden gegenübergestellt. Unbeeinflusst von der die anderen beiden Ritter so enorm prägenden Jahreszeitenbildlichkeit, steht Gawein offenbar über beiden Figuren. Gasoeins arebeit ist der nächtliche Ausritt, bei dem er, nur im schneeweißen Hemd bekleidet, lieblich singt und damit seine Avancen in Handlung übersetzt. Ginover hatte Gasoeins Auftreten in ihrer Schelte als lobens- und lohnenswert bewertet: [‚]An harnasch als ein riter vier Reitet er ane pine Den furt vür Noirespine Vnd hebet vil schone Seinen sanch in reichem done Jch lob, daz man im lone.‘ (CR 3422ff.)

werdecheit hat er sich demnach schon durch die Form der arebeit verdient und sie ist nur zu schmälern, indem man ihn davon abhält, von minnen süezen sanch (CR 3412) zu singen. Hinsichtlich der Formen von arebeit stehen sich ritterlicher Kampf (Artus) und der Minne Sang (Gasoein) gegenüber. Unterscheiden sich beide Formen der arebeit enorm, ist deren Ziel nichtsdestoweniger das gleiche: Ginover. In der Auseinandersetzung zeigt sich dann, dass Artus ebenso wenig imstande ist, Gasoeins Form der arebeit umzusetzen, wie Gasoein umgekehrt Artus nicht im Kampf besiegen kann. Weder die kämpferische noch die gerichtliche Entscheidung können Gasoein Ginovers werdecheit einbringen,

729 Gawein wird dort als „Miles cum tunica armature“ bezeichnet (The Rise of Gawein, Nephew of Arthur [De ortu Waluuanii nepotis Arturi]. Hrsg. u. übers. v. Mildred Leake Day. New York [u. a.] 1984 (= Garland Library of Medieval Literature 15), S. 104, Z. 20 f.). Vgl. dazu weiter unten, Abschnitt Polyfigurales Spiel, S. 279.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

273

weil sie den Prinzipien seiner Figur widersprechen. Mit Blick auf den Minnedienst stehen sich demzufolge mit Artus und Gasoein zwei differente Muster gegenüber, die sich nicht übereinbringen lassen.730 Das Handeln beider Figuren verhält sich zu der jeweiligen Figurenkonzeption ihres Gegenübers konträr: Artus kann seine werdecheit nicht durch seine übliche arebeit als Artus(ritter) erreichen, weil sein Gegner mit anderen Mitteln kämpft. Dass Gasoein nicht die erforderliche Ausstattung für den Kampf hat, ist aber sogleich eine notwendige Bedingung, die den Kampfausgang verhindert. Weicht er trotz Rüstung im Gerichtskampf aus, zeugt sich abermals, dass Gasoein werdecheit nicht im Kampf erreichen kann.731 Gasoein gewönne werdecheit, indem seine Werbung belohnt würde.732 Er bietet in der nächtlichen Auseinandersetzung an der Furt zwar an, Daz er die chüniginne / Mit ritters tat gewinne (CR 4997 f.), Artus muss das aber ablehnen, da er auf einen Kampf unter gleichen Voraussetzungen besteht, dieser Gasoein zufolge jedoch Noch hivt (CR 4995) und in der gavdyn733 (CR 3308) stattfinden soll. Gegenüber stehen sich zwei divergierende Minnedienstideale, die aber in ihrer Personifikation als Maikönig und Schneekönig ihr Gegenbild jeweils verkörpern: Die Eigenschaften des Monats Mai werden von Gasoein handelnd bestätigt, während Artus im Frieren mehr diejenigen des Winters handelnd vollzieht. Das verursacht Momente der Störung, die Handlung in Unhandlung transponieren, indem deren jeweilige Figurenkonzeption ein anderes Handeln

730 Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 63 hat den komischen Kontrast im Gegenüber der beiden Figuren auch auf die Differenz der Figurentypen zurückgeführt und zurecht auf die Folgen auf Handlungsebene hingewiesen: „Wie es scheint, vermag der Minnetypus lyrischer Provenienz die epische Artusgestalt gleichfalls nicht zu identifizieren.“ Die Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse seitens Artus spiegelt sich dementsprechend in der Fehleinschätzung Gasoeins von Artus vermeintlich unritterlichem Verhalten wider. Das vermindere die komische Wirkung: „Weil beide Fehleinschätzungen zwar offensichtlich sind, aber durch keine Niederlage abgeschlossen werden, bleibt eine den vorangegangenen Szenen vergleichbare komische Wirkung der Handlung aus.“ (S. 64) 731 Jillings, Lewis: Ordeal by Combat and the Rejection of Chivalry in Diu Crône. In: Speculum 51 (1976), H. 2, S. 262–276 urteilt, mit Gasoeins Ablehnung des Kampfes als Entscheidungsmittel werde „a fundamental element of chivalric life and values“ (S. 268) verschmäht. Das sei als „serious satirical comment“ (ebd.) zu bewerten. Mit Blick auf weitere solche kämpferischen Auseinandersetzungen konstatiert Jillings „a tone of disrespect for the chivalric feat of arms“ seitens des Autors, der sich als „tone of constant trivialization“ (S. 271) durchweg zeige. 732 Vgl. dazu auch Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 100: „Als weißer Ritter, der als Personifikation des Minnesangs durch den Wald reitet, ist er erfolgreich, nicht als Gasoein, der präsumtive Entführer der Königin.“ 733 Vgl. zur Bezeichnung gaudin für den Wald und die daraus resultierenden Rückschlüsse auf mögliche Vorlagen Kratz, Bernd: Die Crone Heinrichs von dem Türlin und die Enfances Gauvain. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 22 (1972), S. 351–356, S. 352 f., 355.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

prätendiert. Die metonymische Selbstbezeichnung von Handlung speist sich hier nicht aus Handlungsmustern, die figurenunabhängig existieren, sondern bezieht ihr metonymisches Positiv aus der Figurenkonzeption selbst, die typisierende Regelmäßigkeit an der Figur selbst misst. Literarisches Handlungswissen konstituiert sich dann nicht nur in der Wiederholung von Handlungen, sondern ebenso in figurentypisierter Handlung, die in diesem Fall wesentlich vom Topos von Artus Mainatur getragen wird. Das Scheitern von Handlung bemisst sich an mit der Figurenkonzeption entworfenen Handlungsparametern. Das Handeln der Artusfigur bricht mit den mit dieser Figur verbundenen Erwartungen, weil Artus zunächst überhaupt handelt und darüber hinaus als Maikönig friert. Artus versucht, seine Figureneigenschaften handelnd zu bestätigen, scheitert damit aber auf beiden Ebenen: Die mit der Maienhaftigkeit bildlich evozierte Idealität wird durch die Handlungsnotwendigkeit im Winter gebrochen, sein Gegenüber verhindert die handelnde Bestätigung ebenfalls, indem Gasoein die Mainatur selbst handelnd vollzieht. Handlung scheitert, da die Figuren konträr konzipiert sind und jeweils das handelnd verkörpern, was ihnen nicht eigen ist. Dass die Figuren den Konflikt nicht selbständig lösen können, ergibt sich infolgedessen zwangsläufig aus ihrer Gegenbildlichkeit. Artus und Gasoein verkörpern jeweils ihr Gegenbild: Artus vollzieht handelnd den winterlichen Zustand, weshalb Ginover ihm seine Mainatur abspricht. Gasoein wiederum vollzieht diese Artus abhandengekommene Maienhaftigkeit handelnd, verkörpert mit seinem Äußeren aber zugleich den Schnee. Beiden ist es um Ginovers Zuneigung zu tun, Artus möchte diese kämpfend, Gasoein hingegen singend (wieder-)gewinnen. Beide gehorchen deshalb differenten Handlungsmustern: Artus weicht Gasoein aus, weil dieser nicht nach den Regeln agiert, die Artus für den Kampf geltend macht: Wan der riter bar was, Den slach er im vertruoch Vnd in da wider niht ensluoch Wan ez dvht in ein schande[.] (CR 4634ff.)

Würde Artus Gasoein besiegen, besiegte er selbst seine ex negativo von Gasoein handelnd repräsentierte Mainatur. Die Lösung des Konflikts durch arebeit ist folglich von vornherein unmöglich, weil Artus damit den seiner Figur zugehörigen Topos besiegen würde. Dennoch ist nicht Gasoein der eigentliche Provokateur, sondern Ginover, die im Hinblick auf ihre Figurentradition insofern provoziert, als sie eine stetige potentielle Gefährdung aus dem Innersten des Artuskreises darstellt; Gasoein

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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ist lediglich die Provokation in figura.734 Der anberaumte Gerichtskampf am Artushof wiederholt die verkehrten Handlungsprinzipien der typenhaften Figuren. Diesmal weicht Gasoein dem Kampf aus, da die Entscheidung gemäß seiner figuralen Handlungslogik nicht im Rahmen eines solchen getroffen werden kann.735 Die Handlungslogik ist dabei den Räumen, die den Figuren zugehörig sind, zuwiderlaufend angelegt: Im Wald findet keine Kampfentscheidung statt, weil Artus seine figurentypischen Maßstäbe anlegt, am Artushof endet der Kampf offen, weil Gasoein für die seinigen Geltung beansprucht. Dabei wäre es nur folgerichtig, wenn im Wald Gasoeins Maßstäbe gelten würden und am Artushof diejenigen von Artus. In beiden Fällen käme es zum Kampf. Verhindert wird dieser demzufolge, weil die jeweils dem Raum fremde Figur die Handlungsprinzipien der jeweils anderen desavouiert. Die Handlungsprinzipien von Artus scheitern an Gasoein und ex aequo scheitern diejenigen von Gasoein an Artus. BLEUMER hat das als „Konfligieren der unterschiedlichen Denkmuster“, das eine „komische Brechung“ verursache, treffend benannt.736 Nichtsdestoweniger erscheint es doch gerade umkehrt so, als würden Artus’ Regeln in Gasoeins Raum der nächtlichen Waldszene funktionieren und umgekehrt diejenigen Gasoeins beim Zusammentreffen am Artushof Geltung beanspruchen. Komik entsteht folglich nicht allein aus den sich gegenüberstehenden Handlungsmustern, sie generiert sich auch aus dem Moment der Störung der Handlungslogik des aktuellen Raums. Weil Artus trotz fremdem Handlungsraum an seinen Handlungsparametern festhält und nicht gegen den ungerüsteten Gegner kämpfen will, verursacht er für Gasoein ein Moment der Störung, das Gasoeins, für seinen Handlungsraum eigentlich angemessenes Handeln in Unhandlung transformiert. Als Gasoein in Artus’ Handlungsraum eintritt und dort hingegen seine Handlungsregeln anwendet, verursacht er die Störung der Handlungslogik des Artus-

734 Anders Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers, S. 178, der Gasoeins Provokation als Folge derjenigen Ginovers bewertet. Die Provokation des Artushofs ließe sich schließlich auf ein verbales „Kommunikationsproblem am Artushof selbst“ zurückführen. Die GasoeinHandlung sei per se von einem „Primat der verbalen Kommunikation“ (S. 180) bestimmt, Konflikte würden nahezu ausschließlich verbal ausgefochten. 735 Schnell, Rüdiger: Recht und Dichtung. Zum gerichtlichen Zweikampf in der Crône Heinrichs von dem Türlîn. In: Krämer, Peter (Hrsg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten, S. 217–229, S. 221 f. hat im Vergleich mit der irischen Sage von Etain und Mider von einer „komödienhaft anmutenden Szenenführung“ (S. 222) gesprochen, die den Eindruck erwecke, „daß Heinrich hier eine Komödie inszeniert“ (S. 221). Die von den Figuren ins Feld geführten „rechtlichen Alternativen Zweikampf, kirchliches Gericht und Liebesgottheit(en)“ dienten bloß als „komödienhafte[r] Vorspann“ für „die dem zeitgenössischen weltlichen Recht am nächsten kommende Lösung“ (S. 225) der Entscheidung durch Ginover. 736 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 69.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

hofs, insofern er den ritterlichen Kampf als angemessene Konfliktlösungsstrategie untergräbt. Die Figuren setzten Handlungsprinzipien in solchen Handlungsräumen an, in denen die andere Figur zuhause ist und verursachen so eine Störung, weil sie das Handeln der anderen Figur in dem ihr zugehörigen Raum verhindern. Zusätzlich spiegelt sich dies in Gasoeins heraldischen Zeichen wider, die in Kombination aus Helm- und Schildzier seine, in dieser Situation dualistische Handlungsweise indizieren. Die auf Amor rekurrierenden Symbole Herz und Pfeil in Kombination mit dem – überdies durchaus hyperbolisch zu bewertenden, akustisch erfahrbaren737 – Löwen als Schildwappen veranschaulichen Gasoeins diffuse Rolle als Kämpfer. Einerseits weist der Löwe Gasoein als starken Kämpfer aus, der dennoch andererseits sogleich in der Rolle des liebestollen Herausforderers agiert.738 Noch bevor es zum Gerichtskampf am Artushof kommt, endet die erste Erzählsequenz mit dem gemeinsamen Aufbruch der Ritter aus dem winterlichen Wald gen Hof, deren Komik BLEUMER im Detail beschrieben hat.739 Das Aufeinandertreffen der Ritter erlangt seine kontrastive Gestalt aus der polar angelegten ritterlichen Ausrüstung. Artus, der die Pferde von Keie, Aumagwin und Gales nun mit sich führt, kommen diese zu Fuß entgegen: Nv was er vnverre geriten, Vntz er si sach gen im gen. Do heten den einen di zwen Vnder ir arm genomen. Der was von seinr chraft chomen, Daz er vil vnbereit Moht gen an geleit. (CR 5133ff.)

Die Figuren nehmen diese Diskrepanz textintern wahr; Artus und Keie kommentieren das klägliche Bild, was BLEUMER als eine „Art ironische[] Umkehr“740 beschreibt; das Lachen hierüber ist textintern erzählt (vgl. CR 5153, 5191). Die ihrer Pferde beraubten Ritter können vor Erschöpfung kaum gehen und müssen nun zu

737 So auch Hartmann, Heiko: Grundformen literarischer Heraldik im Mittelalter am Beispiel der Krone Heinrichs von dem Türlin, S. 43. 738 Vgl. dazu Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung, S. 344 f., die im zweifelnden Ehemann Artus eine Reminiszenz an Marke des Gottfriedschen Tristan erkennt und den Minnepfeil in Gasoeins Helmzier – mit Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 51 – somit als Anleihe an Tristans Helmzier versteht. Damit sei „die Trias Artus-Marke, Ginover-Isolde und Gasozein-Tristan komplett“ (S. 345 f.). 739 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 64–68. 740 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 64.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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Fuß durch die Schneewechten stapfen, durch die schon bei der Winterjagd die Tiere kaum laufen konnten. Die gescheiterte Handlung ist figurativ ins Bild gesetzt. Das Ergebnis des Ausritts ist der Handlungsintention konträr gegenübergestellt. Artus, auf dem Pferd sitzend, münzt das ins Bild gesetzte Moment der Störung um und schildert in seiner Rede die eigentliche Handlungsintention und spielt damit den Schein der gelingenden Handlung erneut ein bzw. spricht ihn intradiegetisch aus. Indem Artus den Rittern Kampferfolg unterstellt, artikuliert er die ursprüngliche Handlungsintention. Artus’ Ansprache stellt somit der im kläglichen Bild der Ritter präsentierten Unhandlung deren gelingende Handlungsintention gegenüber. Die vermeintliche Ironie der Reden von Artus und Keie ist ein bildlich inszeniertes Scheitern von Handlung, das aus Artus’ Rede abermals seine metonymische Folie erhält. Die Figuren versprachlichen hier das Erzählverfahren, sofern sie auch intradiegetisch das extradiegetisch erzeugte Scheitern von Handlung sprechend verhandeln. Erzählsequenzübergreifend wird das Handlungsgeschehen zusätzlich retrospektiv verbildlicht dargestellt. Es zeigt an, dass der vermeintlich nicht existente Ritter im Hemd nachts singend durch den Winterwald ritt und immerhin drei der vier Artusritter aus dem Sattel geworfen hat.741 Nach Tintaguel heimgekehrt, schlafen sie gemeinsam am Feuer ein und wiederholen das die Schmährede auslösende Moment: Da was ir gemach starch guot, Sam den der vrost we tuot, Wan si funden keche gluot. (CR 5376ff.)

Die Reaktion des Fürstenrats auf Artus’ Bericht über das Geschehen im Wald greift das Bild abermals auf: Si sprachen tougen vnd in, Ez wær ein grozer vnsin, Der so immer gewüete, Daz er weibes güet hüete. Er satzt sich auf di glüete. (CR 10327ff.)

741 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass gerade Lanzelet in der Becherprobe nächtliche Stärke attribuiert wird: Ez stuont so vmb sein chraft, / Als ez über mitten tak kam, / Daz er an sterch zuo nam / Alle weg vntz in di naht. / Swer di weil mit im vaht, / Der muost werden sigelos. (CR 2089 ff.) Im Zusammenhang mit dem für sein Versagen in der Probe angefürten Grund (Entführung der Königin und Karrenritt) birgt das sicherlich eine Verbindung zu Gasoein, der zunächst ebenfalls als Befreier Ginovers agiert.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Dass hier gerade das Bild von heißen Kohlen bemüht wird, um die vorangehende sentenzhafte Anspielung zu unterstreichen, wirkt wie eine Reminiszenz an die Ofenszene.742 Lenkt man den Fokus auf die notwendigen handlungslogischen Folgen der dem jeweiligen Figurentypus geschuldeten ‚Denkmuster‘, lässt sich im Anschluss an die schon von BLEUMER festgestellte „Differenz zwischen dem Verhalten“743 der beiden Figuren darüber hinaus neu perspektivieren und beschreiben. Ginover provoziert den frierenden König im Grunde mit seiner eigenen Maienherrlichkeit, Gasoein wäre dann als eine sexualisierte Variante vom „maienbære[n] man“ zu verstehen.744 Die Differenz der beiden Figuren beruht eben nicht allein auf einem lyrisch „überidealisierten Anspruch“ und einem episch „allzumenschlichen Handeln“745, sie generiert sich stattdessen aus der stetigen Synchronie der beiden Figuren, sie sind in vielerlei Hinsicht als Abbild und Kontrahent zugleich arrangiert. Artus handelt nicht ‚menschlich‘, wenn er frierend seine Hände zum Feuer streckt, er setzt das Bedürfnis in Handlung um, den gestörten Zustand und damit seine Mainatur wiederherzustellen. Artus’ Mainatur wird von Gasoein handelnd vollzogen – er ist leicht bekleidet, trägt einen Blumenkranz auf dem Kopf und reitet singend umher –, während Artus selbst diejenige Natur, die Gasoein mit seinem Äußeren verkörpert – ganz in Weiß als personifizierter Schnee –, in Handlung umsetzt. Die nächtlichen Furtkämpfe der drei anderen Ritter wiederholen und potenzieren Artus’ Zustand.746 JILLINGS hat bzgl. eines mythologischen Vorbilds spekuliert, ob dieses als Jahreszeitenkonflikt

742 Vgl. Eikelmann, Manfred / Tomasek, Tomas (Hrsg.): Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts. Bd. 1, zur Crône S. 291–483, S. 414 f. Es handelt sich um eine Anspielung auf eine Sentenz. Die Sentenz ist dort paraphrasiert als „Es ist unsinnig, eine Frau beaufsichtigen zu wollen.“ 743 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 57. 744 Ähnlich auch Rüther, Kerstin: Der kalte König, S. 21, die mit der „kalte[n] Natur“ des Königs gegenüber der in Gasoein vorgenommenen „epischen Inszenierung jenes topischen Minnefeuers“ „Artus’ Fähigkeiten als Liebhaber zur Disposition“ gestellt sieht. 745 Vgl. Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 60. Vgl. auch Felder, Gudrun: Kommentar zur Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 135: „Die sentenzhaften Äußerungen über die allgemein verbreitete Sitte, sich die Hände am Feuer zu wärmen, betonen die Alltäglichkeit von Artus’ Reaktion.“ Vgl. auch Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 94. „Situationskomik“ entstehe durch den „Wintereingang“ als „realistisches Moment“ in der sonst „generellen Naturferne der Landschaft der mittelhochdeutschen Epik“, der den „frierenden (und also menschlichen) Artus“ Gasoein als einer „Personifikation von Sommer und Minnesang“ gegenüberstelle. M. E. kommt es mehr auf das Gegenbild vom frierenden Maikönig, das in Handlung überführt ist, an. 746 Ähnlich, aber mit Blick auf De ortu Waluuanii und den Lai de l’Espine auch Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône, S. 24.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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in Form eines „battle between Summer and Winter“ konzipiert war.747 Die hier aufgezeigte Figurenkomposition jedenfalls legte das nahe. Polyfigurales Spiel BERND KRATZ hat in der Gegenüberstellung von lateinischem De ortu Waluuanii und Crône von einer verstärkenden Tendenz in der Kontrastierung der beiden Furtkämpfer gesprochen und auf eine „Parodie auf die Artusherrlichkeit“ geschlossen.748 Auch JILLINGS hat für die von ihm konstatierte parodistische Komik auf die Parallelen zum De ortu Waluuanii rekurriert.749 Die laut JILLINGS auch dort bereits erkennbare satirische Absicht sei in der Crône im Inhalt der Anschuldigung gesteigert.750 Arturus äußerst sich in De ortu Waluuanii prahlerisch gegenüber Gwendoloena als bester Ritter, woraufhin diese ihm weissagt, es gebe einen ihm überlegenen Ritter, der soeben auf dem Weg zu ihnen sei. Arturus reitet daraufhin nachts zusammen mit Kaius aus, um sich mit dem potentiellen Konkurrenten zu messen. Jener entpuppt sich später als Arturus’ Neffe Waluuanius (Gawein), nachdem er sowohl Arturus als auch Kaius aus dem Sattel geworfen und ihnen die Pferde abgewonnen hat, sodass beide als vuozgenger an den Hof zurückkehren müssen. Arturus legt sich vor Kälte und zugleich aus Scham heimlich zurück ins Bett. Zu Waluuanius Erkennungszeichen wird in De ortu Waluuanii ein Hemd, das er über seiner Rüsterung trägt. Das Hemd ist dort für Waluuanius namensgebend, er ist bekannt als „Miles

747 Vgl. Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône, S. 16. Vgl. auch Thomas, Neil: Diu Crône and the Medieval Arthurian cycle, S. 40, der Gasoein als „semi-mythic figure“ bewertet, die eindeutig mit „characteristics of the mythical Summer King“ gekennzeichnet sei. 748 Kratz, Bernd: Zur Kompositionstechnik Heinrichs von dem Türlin. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 5 (1973), S. 141–153, S. 148. Vorher auch schon in Kratz, Bernd: Die Crone Heinrichs von dem Türlin und die Enfances Gauvain, S. 356. 749 Zu den Parallelen der Texte vgl. Zach, Christine: Die Erzählmotive der Crône Heinrichs von dem Türlin und ihre altfranzösischen Quellen. Ein kommentiertes Register. Passau 1990 (= Passauer Schriften zu Sprache und Literatur 5), S. 38, 59, 73, 78, 275. 750 Vgl. Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône, S. 22. Vgl. auch Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 37 ff. Jillings weist damit auf einen entscheidenden Unterschied hin, der in zwei lateinischen Texten (neben De ortu Waluuanii auch Arthur and Gorlagon) überliefert ist. In beiden Texten ist Ginovers Schelte eine Reaktion auf Artus’ Prahlerei, er sei der beste Ritter. Weiter mit Blick auf den Lai de l’Espine erkennt Jillings in der den Erzählungen inhärenten Gegenüberstellung von „the boastful Arthurians and the restrained and valiant outsider“ eine verstärkende Tendenz der „comic elements“ bei Heinrich (S. 39).

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

cum tunica armature“751. Analog zu Gasoeins weißem Hemd als ihm eigentümliches Erkennungzeichen trägt Waluuanius eines über seiner Rüstung. Er lässt Gwendoloena die errungenen Pferde überbringen und stellt Arturus damit bloß. Die Analogien vom nächtlichen Furtkampf und dem Hemd verleiten dazu, in Waluuanius die Vorlage für Gasoein zu vermuten. Es fehlt indes der mit dem Kampf verbundene Gewinn der Dame. Der Lai de l’Espine hingegen überliefert den mit dem Furtkampf verbundenen Gewinn von Dame und Pferd durchaus (vgl. LE752 307–466). Darüber hinaus verweist der Name der Furt auf den Iwein, wo Gawein und Iwein im Schwesternstreit unwissend gegeneinander antreten. Die einzelnen Verweise produzieren eine Interferenz von Verständnismöglichkeiten: Geht man entgegen der Hypothese, Gasoeins Konzeption beruhe auf einem Lied Bernarts de Ventadorn,753 davon aus, dass dieser deutlichere Ähnlichkeiten zum Gawein des De ortu Waluuanii hat, wäre es durchaus möglich, in Gasoein Züge von Gawein zu identifizieren. Schon KRATZ hat diesbezüglich konstatiert: „Den […] Gauvain der Quellen taufte er um in Gasozein de Dragoz“754, wobei er De ortu Waluuanii als Rezeption der fragmentarischen Enfances Gauvain wertet, die diese Episode nicht überliefern. Die Übereinstimmungen mit dem De ortu Waluuanii sind prägnant, schließen aber eine gleichzeitige Einflussnahme des Liedes von Bernart nicht aus. Das an den Iwein erinnernde Ortszitat furt vür Noirespine (CR 3424) schafft ebenfalls die Verbindung zu Gawein, indem es den Konflikt zwischen Gawein und Iwein einflicht, die unerkannt gegeneinander kämpfen.755 Spinnt man diese Verbindungen weiter, wiesen diese Interferenzen, die Gawein und Gasoein parallelisieren, aber darauf hin, dass in der Crône Gawein zum Verehrer von Ginover würde. FRITZ PETER KNAPP hält es

751 The Rise of Gawein, Nephew of Arthur, S. 104, Z. 20 f. Webster, Kenneth Grant Tremayne: Guinevere, S. 70: Gawein ist „known through a series of brilliant exploits only as Miles cum Tunica Armature, i. e. the knight with the coat-amor, for he was the first knight ever to wear a tunic over his amor.“ Jene Parallelen (nächtlicher Furtkampf um eine Dame, bei dem mehreren Rittern ihre Pferde abhandenkommen) weist Webster auch für den Lai d’Espine nach (vgl. S. 71ff.). 752 Le Lai de l’Espine. In: Les Lais Anonymes des XIIe et XIIIe siècles. Edition Critique de quelques Lais Bretons. Hrsg. u. kommentiert v. Mary O’Hara Tobin. Genf 1976 (= Publications Romanes et Françaises XCLIII), S. 255–288. 753 Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 47, Anm. 15 bewertet die Anleihe als „parodistic treatment of the motif that love protects against the cold“. Vgl. dazu auch Schanze, Christoph / Kirchhoff, Matthias: Interferenzen zwischen Artusroman und Minnesang, S. 167 f. Ausführlich Kaminski, Nicola: Wâ ez sich êrste ane vienc, Daz ist ein teil unkunt, S. 181 ff. 754 Kratz, Bernd: Zur Kompositionstechnik Heinrichs von dem Türlin, S. 147. 755 Vgl. Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 96. Da die Episode im Iwein eng mit der Ginoverentführung verknüpft sei, fungiere das Ortszitat als „kryptische epische Vorausdeutung“, was sich jedoch erst einem „(wieder)lesende[m] Publikum“ erschließe.

5.2 Maikönig versus Schneekönig

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zwar für möglich, dass die Beziehung zwischen Ginover und Gawein in den Enfances Gauvain „prägnanter“ gewesen ist, als sie der lateinische Text ausgestaltet, der sie bloß über die Prophezeiung Ginovers herstellt, dennoch gibt es keine Hinweise darauf, dass die älteren Ansprüche auf die Königin jemals an Gawein gebunden waren.756 Es muss daher zwangsläufig hypothetisch bleiben, inwieweit Gawein und Gasoein hier übereinstimmen, weil die Fragmente der Enfances Gauvain diese Passage nicht belegen. Man kann daher nicht so weit gehen, über den Status von Gaweins Beziehung zu Ginover zu spekulieren. Zumindest können die Ähnlichkeiten der beiden Figuren insoweit herangezogen werden, wie sie sich auf die kämpferische Auseinandersetzung im Furtkampf beziehen lassen. Unabhängig von dem Verhältnis Gasoein bzw. Gawein – Ginover lässt sich die Auseinandersetzung an der Furt zwischen Artus und Gasoein als eine zwischen Artus und Gawein erkennen. Demzufolge würde Artus sich mehrfach selbst gegenüberstehen: Gasoein figurierte den augenblicklichen Zustand von Artus als Schneekönig mit seinem schneeweißen Äußeren und zugleich den idealen des Maikönigs mittels Blumenkranz, lieblichem Gesang und Körperhitze. Darüber hinaus schiene in der Figur der Furtkämpfer Gawein auf. Gasoein wäre zu verstehen als Projektionsfläche für die differenten Konstitutionsmomente der Artusfigur. Eine solche Lesart korrespondierte ebenso mit dem Zwillingsbild wie mit dem Spiel um die Figurendopplungen vom anderen Artus und dem zweiten Gawein. Der Furtkampf würde sozusagen die Frage nach dem Who is Who der Crône stellen, und das im wörtlichen wie im übertragenen Sinne: In ersterem ließe sich kaum noch entscheiden, welche Figur nun welche Rolle einnimmt, weil diese vor dem Hintergrund der einzelnen Bezugstexte unentwegt changiert zwischen der einen und einer anderen Rolle und eine jeweilige Festlegung unmöglich scheint. Im übertragenen Sinne geht es in der Episode um das Who is Who des Artusromans par excellence: Artus, Ginover und Gawein. Artus ist der frierende maienbære man, ist Gescholtener, ist aktiver Verteidiger seiner passiven Rolle, ist ein als Räuber beschuldigter Beraubter, der am Ende wieder in seiner Rolle stagniert und den aktiven Part des Befreiers an Gawein verliert.757 Gawein ist Provokateur und Befreier, ist folglich Gegner von und Kämpfer für Artus, ist Gawein und ander Artvs, und ist mit Blick auf De

756 Vgl. Knapp, Fitz Peter / Claassens, Geert: Gauvainromane. In: Pérennec, René / Schmid, Elisabeth (Hrsg.): Höfischer Roman in Vers und Prosa. Berlin 2010 (= Germania Litteraria Mediaevalis Francigena 5), S. 249–310, S. 262 (Knapp). 757 Schon Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 160 hat einen „Rollenkonflikt“ erkannt. Dieser nehme Bezug auf zwei Artusbilder, die Heinrich gegeneinander montiere: „Artus als der klassische Maikönig und als der entfremdete, verlassene Winterkönig.“

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

ortu Waluuanii Gasoein, ist Amurfinas – und als Gasoein auch Sgoidamurs – Mann. Gasoein personifiziert jene Ambivalenzen und wird deshalb zu einer solch ambiguen Figur.758 Als polyfunktional konzipierte Figur ist mit ihm eine Art ‚Polyfiguralität‘ vorgeführt, die, ähnlich der Polyphonie, jedoch in der Überlagerung von Figuren, ein unauflösbares Gewirr produziert, das sich gezielt der Dekomposition versagt. In der jeweiligen Handlungskonstellation erzeugt die ‚polyfigurale‘ Koexistenz einer jeweils nicht dargestellten, aber implizierten Figur einen erzähllogischen Bruch. In der Gegenüberstellung von Gasoein und Artus scheitert Handlung dann, wie oben gezeigt, weil beide jeweils spiegelbildlich ihr metonymisches Positiv darstellen. Stehen sich im Furtkampf Artus und Gawein gegenüber, wie es der Vergleich mit De ortu Waluuanii offeriert, verursacht dies in der Crône ein Moment der Störung, weil eine Auseinandersetzung zwischen Artus und Gawein vor dem Hintergrund des gegenüber dem De ortu Waluuanii veränderten Vorwurfs von Ginover bedeuten würde, dass Gawein an Artus’ Stelle tritt, weil er ihm im lateinischen Text überlegen ist – gänzlich unabhängig von seiner Stellung zu Ginover. In der Verdopplung scheint diese Möglichkeit als Gedankenexperiment für den Rezipienten jedenfalls auf. Dieses Experiment ließe sich allerdings nur mit der Konsequenz des Untergangs des Artusreichs in die Romanhandlung überführen, wie das andere Romane ausführen. Die Gefährdung wird mit der Befreierrolle Gaweins im Rahmen der Entführungshandlung jedoch wieder aufgehoben.

5.3 Die Entführung der entführten Königin In der Forschung wurde die Einzigartigkeit der Konstellation in der Entführungsepisode mehrfach festgestellt.759 Die von Gasoein erhobenen älteren An-

758 Schon Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers, S. 37 hat den Akteuren der Entführungshandlung Doppelrollen zugesprochen: Innerhalb der Entführungshandlung um Gotegrin habe Gasoein diejenige des Befreiers und Entführers inne, Gawein habe diejenige des Befreiers und zugleich desjenigen inne, der Ginover bloß an den Hof zurückführe, was seiner eigenen Rolle bei Chrétien entspricht. 759 Gegenüberstellungen der verschiedenen Varianten der Entführungshandlung finden sich schon bei: Webster, Kenneth Grant Tremayne: Guinevere; Grubmüller, Klaus: Der Artusroman und sein König. Beobachtungen zur Artusfigur am Beispiel von Ginovers Entführung In: Haug, Walter / Wachinger, Burghart (Hrsg.): Positionen des Romans im späten Mittelalter. Tübingen 1991 (= Fortuna vitrea. Arbeiten zur literarischen Tradition zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert 1), S. 1–20; Bleumer, Hartmut: Die Crône Heinrichs von dem Türlin; Wynn, Marianne: The Abduction of the Queen in German Arthurian Romance; Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 111–127 (Ulrichs Lanzelet und Chrétiens Lancelot, mit Blick auf die übrigen in-

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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sprüche auf die Königin erinnern ebenso an Valerin wie an die keltische Erzähltradition um Ginovers erste Ehe mit einem anderweltlichen Mann.760 Auf die Parallelen zu anderen Realisierungen von Entführungserzählungen wurde mehrfach hingewiesen sowie die Parallelen hinsichtlich möglicher Einflussnahmen erforscht. Vor dem Hintergrund der Erzählvarianten von der Entführung

tertextuellen Bezüge zu beiden Texten im ganzen Text); Knapp, Fitz Peter / Claassens, Geert: Gauvainromane; Schulz, Armin: Der Schoß der Königin. Vgl. grundlegend auch Haug, Walter: „Das Land, von welchem niemand wiederkehrt“. Mythos, Fiktion und Wahrheit in Chrétiens Chevalier de la Charrete, im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven und im Lancelot-Prosaroman. Tübingen 1978 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 21), S. 5–16, zur Crône S. 12 f. Die folgende erneute Zusammenschau richtet den Blick auf die konstitutiven Elemente literarischen Handlungswissens und fragt nach typisierenden Regelmäßigkeiten. Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 105f. attestiert der Version eine gezielte „Umgestaltung des Erzählmodells der Entführung der Königin zur Krise des Artusreiches“ (S. 105). Die „Trias Gawein-Artus-Ginover“ sei als „Antithese zu Artus-Lanzelot-Ginover“ (S. 106) angelegt. „Durch Ginovers Ja zur Ehe mit Artus wird die Lancelot-minne abgewehrt, durch Artus’ eigenen Kampf um Ginover wird dessen Fähigkeit, sein Reich selbst zu sichern, festgestellt.“ (S. 110) An anderer Stelle (Meyer, Matthias: Der Weg des Individuums. Der epische Held und (s)ein Ich. In: Peters, Ursula (Hrsg.): Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150–1450. Stuttgart [u. a.] 2001 (= Germanistische Symposien-Berichtsbände 23), S. 529–545) zusammenfassend: Artus werde „am Tiefpunkt seiner literarischen Karriere“ gezeigt, indem Heinrich ihm ein „Innenleben“ gebe und ihn so in die Krise führe, aus der er erst ein „krisensichere[s] Artusreich“ (S. 541) aufbauen könne. 760 Webster, Kenneth Grant Tremayne: Guinevere, S. 1 hat die Versionen von Ginovers Entführung schon mit der Leserichtung zusammengestellt, dass ihr Dasein als „fairy mistress“ in den frühen Erzählungen die Logik der späteren Erzählungen bestimmt: „Guinevere [is] a Supernatural Being Whose Early History Explains Her Later Behavior.“ [sic!] Überliefert sind keine frühen Versionen, in denen Artus Ginover einem anderweltlichen Fürsten raubt oder abgewinnt, als frühestes Zeugnis belegt die Vita Gildae eine Entführung und anschließende Befreiung der Königin durch Artus selbst (vgl. S. 3). Ihr Name ‚Gwenhwfar‘ in der frühen Überlieferung ließe sich auf „white ghost“ oder „enchantress“ (S. 3) zurückführen. Mit Blick auf den Lancelot en Prose stellt er Hinweise zusammen, die auf Ginovers Feenvergangenheit verweisen würden (vgl. S. 12 ff.). In Geoffreys Historia Regum Britanniae ist der anderweltliche Fürst durch Mordred ersetzt und dem Ehebruch somit seine anderweltliche Komponente genommen (vgl. S. 4 f.). Wace tradiert das Motiv als Bruderliebe von Mordred zu Ginover. Vgl. dazu auch Korrell, Peter: An Arthurian triangle. A Study of the Origin, Development and Characterization of Arthur, Guinevere and Modred. Leiden 1984. Zu Gasoeins anderweltlichen Attributen vgl. Ehrismann, Otfrid: Gasoein, Artus und Gynever. Der dämonische Liebhaber und die Befriedung der Königin in der Krone Heinrichs von dem Türlîn – oder werc und gedanc. In: Müller, Ulrich (Hrsg.): Paare und Paarungen. Festschrift für Werner Wunderlich zum 60. Geburtstag. Stuttgart 2004, S. 245–254. Er identifiziert Gasoein als den „Dämon Minne“ (S. 251). Gasoein sei „ritterliches Abbild des dämonischen Frauenjägers der Volkssage“ und schließlich als „Dämon aus dem Reich der leidenschaftlichen Minne“ (S. 249) „eine Chiffre für das Böse“ (S. 250).

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

der Königin besitzt Gasoein, wie CORNELIA SCHU gezeigt hat, einerseits Gemeinsamkeiten mit dem Entführer Valerin aus Ulrichs Lanzelet, andererseits mit dem Befreier und Liebhaber Lancelot aus Chrétiens Lancelot; diese so geschaffenen intertextuellen Verweise fungierten SCHU zufolge als „epische Vorausdeutungen“.761 ELIZABETH ANDERSEN zeigt im Vergleich mit dem altfranzösischen Prosa-Lancelot die Möglichkeit einer Einflussnahme des französischen auf den deutschen Text auf, die sich maßgeblich darin präsentiere, dass die prekäre Thematik der Lancelotliebe – und die des Grals – bei Heinrich über die Figur Gawein integrierbar würde, während sie im Prosatext ihr gefährliches Potential entfalte.762 Gegenüber Chrétiens Lancelot, in dem Lancelot zum Befreier Ginovers werde, während Gauvain die Befreiung nicht gelingt, setze Heinrich Gawein als Befreier ein und entschärfe damit die problematische Konstellation um Ginover und ihren Befreier. Dabei orientiere er sich an älteren Versionen des Stoffs, in denen Gawein als Befreier Ginovers auftrete.763ANDERSEN zufolge kombiniere Heinrich beide Lanceloterzähltraditionen.764 Gasoein behauptet, das Minnevorrecht auf Ginover zu besitzen, und fordert Gerechtigkeit765 in der Sache, statt Artus’ milte auszunutzen und die Königin im

761 Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung, S. 342. 762 Andersen, Elizabeth: Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône and the Prose Lancelot: an intertextual Study. In: Barber, Richard (Hrsg.): Arthurian Literature VII. Cambridge 1987, S. 23–49 hält es diesbezüglich für möglich, Heinrichs Crône als „antidote to the Prose Lancelot“ (S. 48) zu verstehen. Den Vergleich der beiden Texte stellt auch an Knapp, Fritz Peter: Chevalier Errant und fin’amor. Das Ritterideal des 13. Jahrhunderts in Nordfrankreich und im deutschsprachigen Südosten. Studien zum Lancelot en prose, zum Moriz von Craûn, zur Krone Heinrichs von dem Türlin, zu Werken des Strickers und zum Frauendienst Ulrichs von Lichtenstein. Passau 1986, insbes. S. 49–59. 763 Vgl. Andersen, Elizabeth: Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône and the Prose Lancelot, S. 44 mit Bezug auf die Studie von Webster, Kenneth Grant Tremayne: Guinevere, S. 46. 764 Vgl. Andersen, Elizabeth: Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône and the Prose Lancelot, S. 40. Sie kommt diesbezüglich zu dem Schluss, dass „Heinrich is demonstrating not only his knowledge but also his control over the Lancelot sources“ (S. 43): „By referring to different strands of the Lancelot tradition Heinrich makes clear both his independence and his autonomy as poet.“ (ebd.) 765 Die häufige Nennung über den Disput hinweg betont dies: [‚]Jch will, daz ir mir rehte tuot, / Dez ich hin ziv ze sprechen han.[‘] (CR 4784 f.) (Gasoein); [‚]Jr vindet minne vnd reht, / Swes ir her ze mir ieht, / Vnd tuon daz mit willen.[‘] (CR4795 ff.) (Artus); [‚]Daz ist Gynever, div chünigin, / Der reht amys ich immer bin[.‘] (CR 4837 f.) (Gasoein); [‚]Daz ir so gar an reht, / […] / Dise rede von meinem weibe tuot[‘] (CR 4926–4928) (Artus); [‚]Wan ich ze reht pin ir man. / So seit ir vnreht mit ir[.‘] (CR 4947 f.) (Gasoein); [‚]So wil ich an ir vreyen / Meins rehtes also vil[.‘] (CR 4988 f.) (Gasoein); [‚]Seit ir meins weibes ieht / Vnd ir minne ze solhem reht, / So wil ich iv hengen.[‘] (CR 5044 ff.) (Artus) Vgl. zu der Auseinandersetzung als Rechtssache Shockey, Gary C.: Nû wil ich gewinnen vil gerne iuwer hulde: Reconstitution of the Arthurian condition in Heinrich von dem Türlin’s Diu

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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Hinterhalt zu entführen.766 Stattdessen stellt Gasoein Artus als den Entführer der Königin hin: ‚In iwerm hvse / Habt ir mein gevangen.[‘] (CR 4804 f.) Gasoein zufolge wurde ihm Ginover von Artus geraubt, wie er mehrfach akzentuiert: der ich bin beroubet (CR 4835); ir mirs habt genomen (CR 4958); Daz ir mich hant beroubet / Meins hertzen ameyen[.] (CR 4986 f.) Wo Artus in den übrigen Realisierungen der Entführungshandlung der Beraubte ist, beschuldigt Gasoein ihn hier des Raubes. Hatte Artus Gasoein beim Zusammentreffen an der Furt des Pferdediebstahls bezichtigt und ihn als nachtroubære (CR 4421) hingestellt, kehrt Gasoein den Spieß um und macht den Jäger schlagartig zum Gejagten.767 Darüber hinaus zeigt der Pferderaub eine mögliche Anleihe an den Lai de l’Espine, wo Gewinn des Pferdes und der Dame im Furtkampf aneinander gekoppelt sind.768 Gasoein hat den Artusrittern im Furtkampf ihre Pferde abgewonnen. Zumindest vor dem Hintergrund der Bedingungen im Lai, die Pferdegwinn und Gewinn der Dame aneinanderkoppeln, hat Gasoein die Rechtmäßigkeit seiner Behauptung damit ein Stück weit bekräftigt. Indem er Ginover Artus am Ende kampflos überlässt, hebt er seinen im Kampf errungenen Anspruch auf und desavouiert den Kampf als Entscheidungsmittel für den Konflikt um Ginover schon vor seiner Realisierung. Artus inszeniert sich beim Zusammentreffen mit seinen Rittern nicht minder als Sieger, indem er gegenüber Keie ironisch mutmaßt, dieser habe Gasoein gefangen genommen, im selben Moment aber offensichtlich Keies Pferd in seinem Besitz hat. Das erscheint nun wie ein gezielt inszeniertes Spiel, das die Einheit von Pferdegewinn und Dame nutzt, um sowohl Kongruenz als auch Divergenz der Figuren im Hinblick auf die Rollen, die sie innerhalb der Entführungshandlung einnehmen, herauszustellen.

Crône. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 55 (2001), S. 127–145. Vgl. auch Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 224–235, der die Episode hauptsächlich als moralisch-rechtliche Auseinandersetzung bewertet und die Schuldfrage Ginovers untersucht: „Die Ereignisse der Gasozein-Episode […] erfüllen noch nicht einmal die Mindestanforderungen an nachvollziehbarer Handlungslogik, und dies nicht zuletzt deshalb, weil Heinrich in diesen Episoden das für die Gattung verbindliche rechtlich-moralische Schwarzweißschema geradezu auf den Kopf stellt.“ (S. 233) 766 Zur Maßlosigkeit von Artus’ milte vgl. auch die Entführungshandlung in Albrecht von Scharfenberg: Jüngerer Titurel. Hrsg. v. Werner Wolf. 4 Bde. Berlin 1955–1995 (= Deutsche Texte des Mittelalters 45, 55/61, 73/77, 79), Bd. 2,1, Str. 1958–3236. 767 Auch hier ist die Häufung innerhalb weniger Verse auffällig: [‚]Waz hat die riter entwalt, / Den ir disiv örss stalt?[‘] (CR 4406 f.) (Artus); ‚Ir zeichet an not / Mich divplicher dinge[.‘] (CR 4409 f.) (Gasoein); [‚]Juch hat ein vilan gezogen, / Der ivch dise red lert, / Daz ir an die riter kert / Dieb vnd nachtroub. / Jr sült des han vrloub, / Daz ir mich da mit da mit vahet, / Seid ir mir des iahet, / Daz ich des landes wære / Ein nachtroubære[.‘] (CR4413 ff.) (Gasoein) 768 Vgl. Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône, S. 24, der die Parallelen einzeln aufführt.

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Für das Motiv der Entführung von Ginover lassen sich, ähnlich wie für die Schönheitspreisaventiure und den Identitätsverlust, typisierende Regelmäßigkeiten benennen, vor deren Hintergrund sich die Entführungshandlung der Crône als Unhandlung zeigt. Im Lancelot wird Ginover zum Kampfeinsatz der Initialaventiure. Weil Ginover und Artus Keu gemeinsam eine Blankobitte gewährt haben, kann Keu sich auf Meleagants Herausforderung hin als Ginovers Fürkämpfer erklären (vgl. LC 160 ff.). Das Blankoversprechen ermöglicht nun nicht Meleagant, die Königin einzufordern, sondern es ermöglicht Keu, um sie zu kämpfen. Keu versagt und Gauvain und Lancelot machen sich beide auf, um die Königin zurückzugewinnen. Lancelot erreicht das Ziel, während Gauvain beim Überqueren einer Wasserbrücke beinahe ertrinkt (vgl. LC 5125 ff.). Der Kampf um Ginover zwischen Lancelot und Meleagant wird vertagt und an den Artushof verlegt. Derweil kommt es zur Liebesnacht von Lancelot und Ginover. Lancelot macht sich anschließend auf die Suche nach Gauvain und wird dabei von Meleagant entführt, weshalb er zum anberaumten Termin am Artushof nicht zugegen sein kann. Gauvain möchte anstelle von Lancelot um Ginover kämpfen (vgl. LC 6230 ff.), schlussendlich aber besiegt der befreite Lancelot Meleagant im Kampf.769 Erst Ulrich motiviert die Ansprüche Valerins im Lanzelet mit älteren Anrechten auf Genover (wan siu im gemehelt wære, / ê siu wurde hîbære. [LZ770 4995 f.]), an keiner Stelle aber wird der Wahrheitsgehalt dieses Anspruchs verhandelt; im Gegenteil glauben alle an Genovers Aufrichtigkeit in der Sache (vgl. LZ 5262 ff.). Valerin verschafft sich mithilfe eines Blankoversprechens von Artus die Möglichkeit, sein Anliegen vortragen zu können (vgl. LZ 4984 ff.). Sein Anrecht will Valerin in jedem Fall rechtmäßig im Kampf verteidigen ([‚]ich wil beherten mîn reht / mit kampf als ein guot kneht [.‘] [LZ 5001 f.]). Walwein soll mit Valerin um Genover kämpfen, muss diesem dann aber aufgrund eines Blankoversprechens, das er Lanzelet gegeben hat, die Position des Kämpfers über-

769 Die Entführungshandlung im Prosa-Lancelot folgt im wesentlichen Chrétiens Lancelot (vgl. PL II S. 315,26 ff.). Meleagant koppelt seine Forderung der Königin an die Freilassung von Artus’ Landsleuten, Key wird vom Königspaar die Blankobitte gewährt und er tritt gegen Meleagant an. Gawein und Lancelot folgen Meleagant. Lancelot kann Gorre als erster erreichen. Es kommt zur Liebesnacht. Abweichungen ergeben sich an folgenden Stellen: War Gawein bei Chrétien von der Brücke gefallen, dabei fast ertrunken und muss aus dem Wasser gerettet werden, kann er die Brücke im Prosa-Lancelot überwinden – wenn auch nicht mühelos, denn er wird von den Brückenwächtern schwer verwundet, weshalb ihm das Wasser zu schaffen macht (vgl. PL II S. 431,20 ff.). In einer Zwischenepisode wird Lancelot als Karrenritter am Artushof vorgeführt, einzig Gawein erkennt ihn und steht zu ihm. Vgl. dazu auch den Kommentar zum Band, S. 1005 f. 770 Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text – Übersetzung – Kommentar. Studienausgabe. Hrsg. v. Florian Kragl. Berlin [u. a.] 2009.

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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lassen (vgl. LZ 5203 ff.). Valerin wird besiegt, entführt dennoch an späterer Stelle die Königin, die Artus und sein Gefolge daraufhin im Kollektiv befreien. Heinrich scheint auf beide Varianten Bezug zu nehmen.771 Mit zusätzlichem Blick auf die Entführungsvariante im Iwein, wo Gawein auszieht, um die entführte Königin zu befreien, hält ANDERSEN es für möglich, dass Gawein der ursprüngliche Befreier der Königin war und demgemäß auch in der Crône als solcher auftrete: „He […] re-allocates the rescue of Guinevere from her abductor to Gawein rather than to Lanzelet.“772 Im Iwein gewährt Artus Meljakanz die Blankobitte auf Anraten der Tafelrundler selbst (vgl. IW 4520 ff.), woraufhin

771 Vgl. dazu Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers, S. 37, der hieraus Gasoeins „Doppelrolle“ ableitet: „Gasozein hat […] zwei Rollen inne: einerseits diejenige des Chrétienschen Helden Lancelot, der Ginover aus der Gewalt Meleagants (bei Heinrich: Gotegrin) befreit […]; andererseits diejenige des Provokateurs Valerin bei Ulrich von Zatzikhoven, der Ginover gegen ihren Willen entführt, um sie daheim zur Ehefrau zu machen.“ Vgl. auch Andersen, Elizabeth: Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône and the Prose Lancelot, S. 32, 40. Ebenbauer, Alfred: Fortuna und Artushof, S. 41 spekuliert, Heinrich könnte anfangs einen „Antilanzelot“ konzipiert haben; er habe den „Ginoverraub entschärfen“ wollen, indem er Gawein anstelle von Lanzelot als Befreier einsetzte und so die Gefährdung des Artushofs, die dem Lanzelotstoff anhaftet, gleichzeitig einzuspielen und zunächst abwenden könne, um sie im zweiten Teil zum Thema zu machen. Ähnlich auch Thomas, Neil: Diu Crône and the Medieval Arthurian cycle, S. 42, der gegenüber dem Lancelotstoff Gawein als einen „more sexually self-disciplined“ Befreier bewertet. Diesbezüglich jedoch werde es notwendig, Gawein „from the unfavourable impression he had made in the early stages of the romance, where his sexually insulting conduct to a lady of the Court“ zu rehabilitieren. Vgl. mit Blick auf die Parallelen zum Perlesvaus auch ders.: sîner tugende anegenge sagen; außerdem ders.: Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône: an Arthurian Fantasy? In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 36 (1992), S. 169–179. 772 Andersen, Elizabeth: Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône and the Prose Lancelot, S. 44. Mit Blick auf den weiteren Handlungsverlauf: „In a similar fashion Heinrich made Gawein the achiever of the Grail quest at Parzival’s expense.“ (S. 45) Vgl. auch Haug, Walter: „Das Land, von welchem niemand wiederkehrt“, S. 11, der dies aufgrund von Gaweins aktiver Beteiligung an der Befreiungshandlung bei Chrétien und Ulrich ebenfalls für möglich hält. Däumer, Matthias: Truchsess Keie – Vom Mythos eines Lästermauls. In: ders. / Dietl, Cora / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Artusroman und Mythos, S. 69–108, S. 76 f. hingegen hält Keie für den ursprünglichen Befreier: Die mittelkymrische Sage Melwas ac Gwenhwyvar als mögliche Vorstufe der Entführungsgeschichte erzählt von einem Zweikampf zwischen Gwenhwyvars Verehrer Melwas und Cei, der in den mythischen Sagenstoffen als bester Kämpfer agiert. Dass er von Chrétien schließlich als Schuldiger an der Entführung eingeführt werde, ließe sich als „konzeptuelle[] Verkehrung des Mythos“ (S. 77) verstehen. Sowohl für die chronikale Tradition wie auch für die mythische weist Däumer „Alter-Ego-Konstellationen“ (S. 75, Anm. 26) nach (vgl. S. 75, 77), die er im frühen höfischen Roman in Gawein nachgebildet sieht (vgl. S. 75) und die sich analog zu der negativen Entwicklung Keies zur Komplementärkonstellation entwickelt habe (vgl. S. 75 f.). Eine weitere, für die in der Crône gegebene Figurenkonstellation, relevante Parallele weist Däumer für die keltische Mythologie nach: In einer Dreieckskonstellation um

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Meljakanz Ginover für sich fordert. Er verteidigt sie daraufhin im Kampf gegen eine ganze Reihe von Artusrittern. Gawein befindet sich zu diesem Zeitpunkt nicht am Artushof, reitet aber am nächsten Tag nach und befreit Ginover, ohne dass von der Befreiungstat selbst erzählt würde (vgl. IW 5678 ff.). Hartmann konkretisiert hier die Entführungshandlung gegenüber dem Yvain, da Chrétien selbst auf den Lancelot Bezug nimmt.773 Auch im Prosaroman Livre d’Artus ist Gawein der Befreier der Königin. Ginover wird dort von Urien und seinem Heer während

Fionn, Gráinne und Diarmuid hat letztgenannter zugleich die Rolle des besten Kämpfers wie des Ehebrechers inne und ist überdies der Neffe von Fionn (vgl. S. 83 f.). Das stellte Gawein dann in weniger in die Nähe des Befreiers, wie Andersen argumentiert, als vielmehr in die des Nebenbuhlers; in der Folge stünden sich Gawein Gasoein nahe. 773 Vgl. YV 3706 ff.: Mes la reïne an a menee / Uns chevaliers, ce me dist l’an, / Don li rois fist que fors del san, / Quant aprés lui l’an anvoia. / Je cuit, que Kes la convoia / Jusqu’au chevalier, qui l’an mainne, / S’an est antrez an mout grant painne / Mes sire Gauvains, qui la quiert. / Ja mes nul jor a sejor n’iert / Jusqu’a tant, qu’il l’avra trovee. In der Übersetzung der Ausgabe: „[‚][E]in Ritter hat die Königin entführt, so sagte man mir; der König hat wie ein Sinnberaubter gehandelt, als er sie ihm nachschickte. Ich glaube, Keu hat sie zu dem Ritter begleitet, der sie jetzt fortführt, und Herr Gauvain hat deshalb sehr große Mühsal auf sich genommen und sucht nach ihr. Er wird nicht ruhen noch rasten, bis er sie wiedergefunden hat.[‘]“ (YV 189); Mes la fame le roi an mainne / Uns chevaliers d’estrange terre, / Qui l’ala a la cort requerre. / Neporquant ja ne l’an eüst / [‚]Menee por rien, qu’il seüst, / Ne fust Kes, qui anbricona/ Le roi tant, que il li bailla/ La reïne et mist an sa garde. / Cil fu fos et cele musarde, / Qui an son conduit sa fia; / […] Ainz est alez aprés celui, / Cui Des doint et honte et enui, / Quant menee an a la reïne.‘ (YV 3918 ff.) In der Übersetzung der Ausgabe: „[‚][E]in fremder Ritter führt die Königin davon, nachdem er sie am Hof für sich gefordert hat. Doch hätte er sie gewiß nicht entführen können, wenn Keu nicht gewesen wäre, der den König dazu verleitete, ihm die Königin zu übergeben und sie unter seinen Schutz zu stellen. Er handelte unweise und sie töricht, da sie sich seinem Geleit anvertraute. […] [E]r [Gauvain, Anm. d. V.] ist jenem nachgeritten, dem Gott Schande und Verdruß bereiten möge, weil er die Königin entführt hat.‘“ (YV 199); […] tierz jor, que la reïne / Estoit de la prison venue, / Ou Meleaganz l’ot tenue /Et trestuit li autre prison; / Et Lanceloz par traïson/ Estoit remés dedanz la tor. (IY 4740 ff.) In der Übersetzung der Ausgabe: „[…] nachdem die Königin aus der Gefangenschaft heimgekehrt war, in der Meleagant sie gehalten hatte, und alle die anderen Gefangenen auch; Lancelot aber war durch Verrat im Turm eingeschlossen geblieben.“ (YV S. 237) Vgl. dazu Kugler, Hartmut: Fenster zum Hof. Die Binnenerzählung von der Entführung der Königin in Hartmanns Iwein. In: Haferland, Harald / Mecklenburg, Michael (Hrsg.): Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit. München 1996 (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 19), S. 115–124. – Der Pleier macht die Entführungsepisode zur Initialaventiure des Garel und gibt dabei explizit vor, sich auf Hartmanns Iwein zu beziehen, obschon er die Variante des Lancelet aufgreift (vgl. Der Pleier: Garel von dem bluenden tal. Hrsg. v. Wolfgang Herles. Wien 1981 (= Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 17), V. 31 ff.). Auch hier ziehen Lanzilet und Gawan zusammen aus, um die von Meliakanz entführte Ginover zu befreien (vgl. V. 74 ff.). Als Befreier geht Lanzilet hervor (vgl. V. 17609 ff.). Ein Verhältnis zwischen Entführer und Befreier besteht nicht. Artus’ milte scheint hier das Blankoversprechen schon zu ersetzen (vgl. V. 47 ff.).

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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der Abwesenheit von Artus und seinen Rittern am Hof entführt (vgl. LA774 S. 65, 15 ff.). Gawein zieht aus, um Ginover zu befreien. Auffällig ist hierbei mit Blick auf die Entführungshandlung der Crône, dass Gawein und Urien in einem Furtkampf um Ginovers Befreiung kämpfen (vgl. LA S. 67, 34 ff.).775 Der Prosaroman kombiniert neben der Crône einzig das Motiv des Furtkampfs mit dem der entführten Königin. Nur im Iwein und im Livre d’Artus geht die Entführung nicht mit einer Infragestellung von Ginovers Integrität einher; in beiden Erzählungen ist Gawein der Befreier. Mit Blick auf die verschiedenen Realisierungen des Motivs der Entführung der Königin lassen sich dennoch einige konstitutive Merkmale für die Entführungshandlung festmachen: Alle Varianten – mit Ausnahme des Livre d’Artus – beinhalten das Blankoversprechen. Im Lancelet wird dieses vom Königspaar Keu, im Lanzelet von Walwein Lanzelet und im Iwein von Artus Meljakanz gegeben. Die Gründe für die Entführung selbst sind in allen Erzählungen unterschiedlich, beteiligt sind in jedem Fall Ginover, Artus und Gawein.776 Mit Ausnahme des Lancelet steht in keiner der Erzählungen Ginovers Ingerität direkt infrage, im Lanzelet wird die Wahrheit von Valerins Behauptung nicht thematisiert. Einzig im Lancelet versagt Gauvain, im Lanzelet hat er zumindest Anteil an der Kollektivbefreiung – und muss sich im Gegenzug für die Hilfe Malducs bei der Befreiung der Königin jenem ergeben –, nur Hartmann macht ihn notwendig zum scheinbaren Befreier. Artus bleibt stets passiver Teilnehmer bzw. nimmt im Lanzelet an der Kollektivbefreiung teil. Zurückgewonnen werden kann Ginover in allen Varianten im ritterlichen Zweikampf, in dem der Entführer die Rechtmäßigkeit der Inbesitznahme verteidigt. Das Motiv für die Entführung und die Art der Rückgewinnung sind jeweils verschieden und schei-

774 Le Livre d’Artus. In: The Vulgate version of the Arthurian romances. Edited from Manuscripts in the British Museum. Bd. 7: Supplement: Le Livre d’Artus with Glossary, Index of names and places to Vol. 1–7. Hrsg. v. Heinrich Oskar Sommer, New York 1979. 775 Zu den Parallelen der Texte vgl. Zach, Christine: Die Erzählmotive der Crône Heinrichs von dem Türlin und ihre altfranzösischen Quellen, S. 85, 276. Zach weist in diesem Zusammenhang auf die platonische Liebe Gaweins zur Königin hin: & sauoit quil amoit la roine de si grant amor ou plus que enfant ne fait sa mere . (LA S. 67, 18 f.) 776 Die Ausnahme bildet hier in allen Aspekten der Durmart. Dort wird ein unritterlicher Raub der Königin erzählt. Bruns von Morois, seit Langem Verehrer der Königin, entführt Genoivre aus der Obhut des unbewaffneten Ydier. Er ist dennoch bereit, einen Zweikampf um die Königin auszufechten. Genoivre erwidert seine Liebe nicht. Durmart befreit die Königin (vgl. V. 4185–4974).

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nen dementsprechend nur recht allgemein zum Ablaufmechanismus der Entführungshandlung zu gehören. Alle Merkmale finden sich auch in der Crône wieder. Der den nächtlichen Furtkampf abschließende Dialog von Artus und Gasoein variiert das Rash-Boon-Motiv.777 Gasoein tritt gemäß der Entführerrolle auf und erbittet sich, sein älteres Anrecht auf Ginover im ritterlichen Kampf verteidigen zu dürfen, räumt aber zugleich eine Jahresfrist ein, in der sie auf gleiche Weise zurückgewonnen werden könne: Seit ir des niht geloubet, Daz ir mich hant beroubet Meins hertzen ameyen, So wil ich an ir vreyen Meins rehtes also vil, Daz ich an ivch gern wil Einr bet, div gevuog hat, Da schad noch missetat Nimmer an mak gesein: Jch wil, daz ir die vrowen mein Noch hivt her bringet Vnd swem hie gelinget, Daz er die chüniginne Mit ritters tat gewinne, Da mit sei gescheiden, Welt ir, vnder vns beiden Dirre misselicher streit. (CR 4985ff.)

Artus’ Antwort scheint auf die Blankobitten der Entführer Meljakanz und Valerin anzuspielen, die nicht direkt den Kampf um die Königin, sondern zunächst ein Blankoversprechen eingefordert haben. Artus erwidert auf Gasoeins Bitte: Er sprach gezogenlichen: ‚Bætet ir betlichen, So moht ich ivch gewern. Swen man so hœret gern Vnbetlicher sach, Daz in vngewert mach Daz reht an der gewonheit, Daz ist lang her geseit. Da von habt ir iv verzigen.[‘] (CR 5032ff.)

777 Anders Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 93. Das Motiv bleibe unberücksichtigt, weil die Provokation von innen durch Ginover selbst erfolge. Das trifft soweit für das eigentliche Moment der Provokation zu, das das Motiv nicht beinhaltet.

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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Es scheint beinahe so, als werfe Artus Gasoein vor, den Fehler begangen zu haben, direkt um die Königin zu bitten, anstatt sich ein Blankoversprechen einzufordern, um sich damit die Königin zu sichern.778 Ein Blankoversprechen wird demzufolge zwar nicht gewährt, aber von Artus eingespielt. Artus überlässt das Schicksal seiner Königin nicht, wie in den anderen Entführungserzählungen, Gawein, sondern will selbst Verteidiger sein: [‚]Da wil ich selb striten.[‘] (CR 5069) Der Dialog bietet die Anfangskonstellation der Entführungshandlung in reduzierter Form, wenn auch unter verkehrten Bedingungen. Nachdem zwischen beiden bereits ein Kampf stattgefunden hat, der unentschieden beendet wurde, weil Artus seinen Gegner für nicht ebenbürtig ausgestattet gehalten hatte, artikuliert Gasoein ältere Rechtsansprüche auf Ginover. Etwaige Auseinandersetzungen existieren in den übrigen Entführungserzählungen nicht. Der Konflikt zwischen den beiden Kontrahenten wird in der Crône somit im Unterschied zu allen anderen Umsetzungen des Motivs im Vorhinein angelegt. Innerhalb dieses Konflikts erscheint die Entführungshandlung wie ein retardierendes Moment, das seine Wiederholung in der doppelten Entführung erfährt. Vom Konflikt her konzipiert ist es nur folgerichtig, dass Artus selbst seine Anrechte auf Ginover verteidigen will, von den Merkmalen der Entführungshandlung her betrachtet, erscheint dies jedoch durchaus als störendes Moment. Dass Gasoein sein Recht

778 Zu Beginn der Becherprobe war das Motiv bereits aufgetaucht, jedoch (noch) nicht explizit in Zusammenhang mit der Entführung der Königin. Dort hat der Bote des Meerkönigs Piure Artus ein Blankoversprechen abverlangt: Er schol von schulden sein gewert, / Der so betlich gert. / Da sich die von schaident, / Die die bet laident. (CR 1033 ff.) Vgl. dazu Reuvekamp, Silvia: Sprichwort und Sentenz im narrativen Kontext. Ein Beitrag zur Poetik des höfischen Romans. Berlin [u. a.] 2007, insbes. S. 140–166, die die Forderung des Fischritters im Hinblick auf seine intertextuelle Beziehung zur Blankobitte im Iwein untersucht. Vor dem Hintergrund des Iwein werde in der Crône das „ambivalente Artusbild und die Komik des Prätextes als Verständnishorizont aufgerufen“ (S. 150). Das Blankoversprechen aber bleibt zunächst folgenlos und wird im weiteren Textverlauf mehrfach in Variation wieder aufgegriffen, um schließlich die schon im Iwein angelegten ironischen Reflexionen über Erzählprinzipien aufzunehmen: „So wird das Motiv eines Artushofes, der sich durch seine eigenen Ansprüche an die Grenzen seiner eigenen Existenz treibt, in unterschiedlichen Episoden erzählerisch ausgereizt.“ (S. 158) Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung, S. 341 bewertet die Verse 4784–4802 als Variation der Blankoxbitte. Ein Blick auf die vorausgehenden Verse aber bestätigt diese Deutung nicht: Seit ich iwer bet gevolget habe / So sol mich niht leiten abe, / Jr tuot mir alsam/ Riterlich vnd an scham. / Daz zimt iv wol vnd ist guot. / Jch wil, daz ir mir rehte tuot, / Dez ich hin ziv ze sprechen han. (CR 4779 ff.) Gasoein war Artus’ Bitte nachgekommen, seinen Namen zu nennen, und bittet nun um Gerechtigkeit bzgl. seiner Ansprüche auf die Königin.

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partout Mit ritters tat verteidigen möchte, bricht gleich mehrfach mit Erwartungen: Er hat sich zwar in den Furtkämpfen mit den drei Rittern als durchaus überlegener Ritter präsentiert, sein Äußeres jedoch zeugt vom Gegenteil und hatte Artus schon dazu bewogen, den Kampf abzubrechen, weil er ihn für ungerecht hielt. Obwohl Gasoein den Gerichtskampf am Artushof selbst forciert hat, weicht er in diesem letztlich aus. Nachdem die Kampfvorbereitungen überaus detailliert beschrieben werden (vgl. CR 10466–10612) und der Kampf im Modus des Möglichen indirekt ausgefochten (vgl. CR 10624–10651) und dessen Beginn anschließend spannungsvoll eingeleitet wird (vgl. CR 10652–10668), weicht Gasoein aus. Unversehens gilt ihm der Kampf nicht mehr als angemessenes Entscheidungsinstrument, weil sich beide auf dieser Ebene nicht unterscheiden würden: [‚]Jch getriwe also wol genesen, / Her chünic, vor iv sam ir vor mir [.‘](CR 10741 f.) Dass Gasoein Ginover ohnehin nicht im ritterlichen Kampf gewinnen kann, da er werdecheit nur dann erreicht, wenn Ginover seine Art des Werbens mit Zuneigung belohnen würde, wurde schon gezeigt. Das lässt seine Kampfaufforderungen widersinnig erscheinen. Diesem Prinzip entsprechend delegiert er die Entscheidung an Ginover selbst.779 Damit scheitert aber die intendierte Kampfentscheidung und verursacht einen Erwartungsbruch, der vor dem Hintergrund des literarischen Handlungswissens komisch wirkt. Die Kampfentscheidung gehört zur Entscheidung über den Verbleib der Königin unbedingt hinzu. Gasoein hält diese Aussicht bis zum Moment, in dem er ausweicht, aufrecht. Vor dem Horizont des Handlungsmusters, das an das Motiv der Entführung der Königin gebunden ist, präsentiert sich sowohl Artus’ als auch Gasoeins Handeln als Unhandlung. Wo Artus eigens als Verteidiger eintritt, verursacht er eine Störung des Handlungsmusters. Gasoein, der um Ginover kämpfen will, verhält sich zwar der Entführerrolle gemäß, verursacht damit aber eine Störung der Handlung, weil der Kampf seiner figuralen Logik der Werbung widerspricht. Die Rollen scheinen vertauscht: Der sonst in dieser Auseinandersetzung passive Artus – mit Ausnahme der Kollektivbefreiung im Lanzelet – wird zum aktiven Kämpfer, während der ansonsten kampfwillige Herausforderer in Gasoein an dieser Stelle zum passiven Werber wird, da er im Kampf ausweicht. Damit konfligieren Handlungsmuster, die sowohl an das literarische Handlungswissen um die Entführung der Königin, als auch an die Kontrahenten selbst gebunden sind. Indem die Figuren jeweils Rollen innerhalb der Handlungsmuster einnehmen, die ihren figurallogischen Prin-

779 Vgl. dazu Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 104, der das auf Gasoeins Typus des Minnesängers zurückführt: „Das Rollenmodell, das Ginover die Entscheidung ermöglicht, ist durch die Lage der Dame im Minnesang, die über das Werben des Sängers verfügt, vorgezeichnet. […] Gasoein verhält sich letztlich immer noch wie ein Minnesänger: Er stellt sich und sein Schicksal völlig seiner Dame anheim.“

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zipien widersprechen, verursachen sie ein stetiges Scheitern von Handlung. Ein Kampf zwischen beiden kann nicht stattfinden, weil Artus die Rolle des aktiven Kämpfers nicht zusteht und sie für Gasoein keine Erfolgsaussichten auf Ginovers Gewogenheit verspricht. In allen anderen Erzählungen ist grundsätzlich Gawein der erwünschte Verteidiger. In Chrétiens Lancelot nimmt er diese Position en passant ein, als er die Artusgesellschaft bei der Verfolgung von Keie, Meleagant und Ginover abhängt, im Lanzelet und Iwein ist er von vornherein die erste Wahl. Artus hofft in der Crône zwar sehnlichst auf seine Rückkehr vor dem Gerichtskampf, allerdings nur im Hinblick auf seine Stellung als Ratgeber.780 Er zieht an keiner Stelle in Erwägung, nicht selbst gegen Gasoein zu kämpfen. In der Entführungsvariante der Crône stiehlt Artus Gawein sozusagen die Schau – wie schon Lancelot und Lanzelet vor ihm. Im Iwein ist er zwar der Befreier Ginovers, wird aber in dieser Rolle gewissermaßen degradiert, indem die Befreiungstat selbst nicht erzählt wird. Entgegen der im literarischen Handlungswissen verankerten Erwartung, dass Gawein als Kämpfer zumindest erwünscht ist, nimmt Artus diese Position ein. Das verursacht gleich einen doppelten Bruch, sofern die typisierte Regelmäßigkeit der Handlung gebrochen und der Ausgang dadurch zu einem offenen wird. Die Handlung bezeichnet sich dort metonymisch selbst, wo Gasoein ältere Anrechte auf Ginover erhebt und diese im Kampf verteidigen will und dort, wo Artus entsprechend der konstitutiven Merkmale die Blankobitte zumindest implizit einbringt. Das literarische Handlungswissen um die Entführungshandlung bildet die Folie für die metonymische Lesart, vor deren Hintergrund Artus in der Befreierrolle zwar den Schein der gelingenden Handlung bewahrt, sich jedoch insofern zur Handlungsintention konträr verhält, als er selbst die Position einnimmt, die sonst seinem handelnden Pendant Gawein bzw. einem anderen Artusritter zufällt. Der Bruch resultiert aus der gewöhnlich passiven Artusfigur, die schon mit dem nächtlichen Ausritt zu einer aktiven wird und deren Aktivität schließlich mit der Übernahme der Befreierrolle immens potenziert ist.781 Gasoein hingegen wird zum 780 Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 210 bewertet Gaweins Abwesenheit als „a blatant anti-chivalric faux pas“. 781 Vgl. zur aktiven Rolle von Artus auch Gürttler, Karin R.: ‚Künec Artûs der guote‘, S. 206, die die „Umstilisierung vom König als Ritter“ auf historische Prozesse von Verritterlichung des Königtums zurückführt; Grubmüller, Klaus: Der Artusroman und sein König, S. 14: „In der Crône erhält Artus mit der Entführung der Ginover seine Aventiure, und an ihr bewährt er sich genau so, wie seine Ritter sich bewähren sollen[.]“ Die Aktivität resultiere aus „persönlicher Betroffenheit“ (S. 13) und mache die „Instanz“ Artus zur „Person“ (S. 15). Damit verliere Artus seine „Ausnahmeposition“ (S. 15); Ringeler, Frank: Zur Konzeption der Protagonistenidentität im deutschen Artusroman um 1200, S. 249 konstatiert, der im Prolog nur noch zitierten Artusidealität werde ein sich gegenteilig verhaltender Artus entgegengesetzt.

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passiven Entführer, bewahrt aber mit seiner Kampfaufforderung zumindest den Schein der aktiven Herausforderung.782 Bereits der Blick auf den Lai de l’Espine hatte Gasoeins Rolle als ritterlicher Kämpfer zwischen dem Minnelieder singenden Werber und dem Furtkämpfer changieren lassen, da mit dem Gewinn der Pferde zunächst der Anschein erzeugt wurde, Gasoein sei auch im Konflikt um Ginover der Überlegene. Noch bevor Gotegrin Ginover entführt, wird im Konflikt zwischen Artus und Gasoein die Entführung Ginovers verhandelt. Artus ist dabei nicht derjenige, dem die Königin geraubt wird, sondern er wird von Gasoein des Raubes bezichtigt. Seine Rolle innerhalb des Handlungsmusters changiert zwischen seinem eigentlichen Status als Beraubter innerhalb von Entführungshandlungen und des Räubers selbst, zu dem Gasoein ihn bestimmt. Neben seinem Status als frierendem Maikönig wird er zum Räuber und damit zum rechtmäßigen und gleichzeitig unrechtmäßigen Ehemann von Ginover. Vor dem Hintergrund des literarischen Handlungswissens, das die Rollen jeweils an bestimmte Handlungskonstituenten bindet, scheitert Handlung stetig. Das literarische Handlungswissen wird hier auch als metonymische Sebstbezeichnung eingespielt, jedoch weniger ostentiv, als es im Wigalois zu beobachten war. Mit der Beschuldigung Gasoeins, Artus sei der Entführer Ginovers, spielt Gasoein die Folie für die metonymische Lesart ein. Der vorab innerhalb der Figurenkonzeption entworfene Konflikt von Maikönig und Schneekönig wirkt weiterhin auf die Handlung ein. Artus bleibt immer noch der Maikönig, bestätigt das aber nicht handelnd, wohingegen Gasoein rein äußerlich zwar den Winter verkörpert, handelnd aber Artus’ Mainatur vollzieht. Wie Artus und Gasoein jeweils Mai- und Schneekönig zugleich sind, sind sie auch Entführer und Beraubter zugleich. Ginover hadert (Daz ir zweivelt der sin [CR 10974]), entscheidet sich aber schließlich für Artus.783 Nach ihrer Entscheidung für Artus wird sie von ihrem Bruder Gotegrin – statt vom enttäuschten Verehrer Gasoein – entführt. Die For-

782 Vgl. dazu auch Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 97 ff. Artus und Gasoein verstünden sich jeweils als „Held einer Aventiure, in deren strukturellem Zusammenhang sie zu stehen glauben“ (S. 97). Weiterhin konterkariere Gasoeins Verhalten gegenüber der aventiure als eine bestehbare die Gattungserwartung, die vorgebe, dass Artus nicht seiner Frau beraubt werden könne (vgl. S. 100). Dem widerspricht allerdings die Konzeption der Lancelotliebe. 783 Vgl. dazu zuletzt Hoffmann, Ulrich: Ginovers Krise, S. 253–260. Und: Kragl, Florian: Stimme – Argument – Wirkung. Zur Performanz von Figurenreden im Nibelungenlied und der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Unzeitig, Monika / Schrott, Angela / Miedema, Nine Robijntje (Hrsg.): Stimme und Performanz in der mittelalterlichen Literatur. Berlin 2017 (= Historische Dialogforschung 3), S. 331–349, hier S. 336–339.

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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schung hat auf Parallelen zur Entführungshandlung in der Première Continuation von Chrétiens Perceval hingewiesen, die jedoch abgesehen davon, dass ein Bruder von Ginover beteilgt ist, kaum überzeugen.784 Vielmehr scheint Gotegrin bloß Behelfsfigur zu sein, um Gasoein gleichzeitig zum Befreier und Entführer zu machen. Um diese Ambivalenz zu generieren, braucht es schlichtweg Gotegrin, dem als Bruder ein Beweggrund für die Entführung gegeben wird.785 Gotegrins Späher beobachtet die Entscheidung und interpretiert Ginovers Hadern: 784 Webster, Kenneth Grant Tremayne: Guinevere, S. 75 f. weist als Vorlage für die Sequenz um Gotegrins Entführung auffällige Parallelen zum Livre de Caradoc der Première Continuation nach: „The structural resemblance between this account and that in the Crône is extraordinary. Here we have the maid Guimer (= Guinevere), seized by her brother Cador (= Gotegrin), by an otherworld lover Aalardin (= Gasozein), and rescued by the hero Caradoc (= Gawein).“ (S. 76) Guinier wird jedoch nicht von ihrem Bruder entführt, sie reist lediglich in seiner Begleitung. Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône, S. 29 stellt folgende Parallelen zusammen: „Heinrich seems to have absorted bloody elements of the Carados rescue from the french romance: the previous assiduous wooing of Guignier by Alardin, a lover with Otherworld characteristics who opportunistically seizes the maiden from her brother’s company with the intention of violating her; the maiden’s concern for her familiy honour and her frantic prayers in distress; the chance arrival of Arthur’s nephew; and a fierce and bloody battle between the two knights.“ Zugegebenermaßen lassen sich Parallen nachweisen, sie sind jedoch so allgemein, dass sie nicht zwingend Bezüge der Varianten herstellen. Schon die Ausgangskonstellation dort ist eine gänzlich andere. Guinier ist nicht Artus’ Frau, sie reist in Begleitung ihres Bruders Cador und wurde nicht von ihm entführt (vgl. The Continuations of the Old French Perceval of Chrétien de Troyes. Vol. 1. The First Continuation: Redaction of Mss T V D. Edited by William Roach. Corrected Edition by Eleanor Roach. Philadelphia 2008, V. 3668–3696). Aalardin Du Lac beansprucht kein älteres Anrecht, sondern umwirbt Guinier schon seit jeher, entführt sie aus verschmähter Liebe und droht Vergeltung mit Vergewaltigung an (vgl. PC 3715–3791). Der Befreier Carados ist zwar Artus’ Neffe, hat darüber hinaus jedoch nichts mit Gawein gemein. Der Kampf zwischen Carados und Aalardin nimmt zwar ein enormes, jedoch kein vergleichbar heftiges Ausmaß wie derjenige zwischen Gawein und Gasoein an. Am Ende kapituliert Aalardin fernerhin und Carados geht als Sieger hervor (vgl. PC 3865–3980). Eine, wenn auch marginale, aber bisher nicht hervorgehobene Parallele ergibt sich dennoch: Carados reitet der Maihitze wegen nur leicht bekleidet mit Guinier zum Artushof: Molt de merveilles vont contant. / Carados fu de grant valor; / Descombrez fu por la chalor, / S’ert plus biax que je ne devis. / A l’amour la bele Guinier, / Si qu’il n’osoit mostrer de fors / La grant dolor qui l’ot aisi. (PC 4260 ff.) In der Übersetzung der Ausgabe The Complete Story of the Grail. Chrétien de Troyes’ Perceval and its continuations. Translated by Nigel Bryant. Woodbridge 2015 (= Arthurian Studies LXXXII), S. 142: „The valiant Carados, lightly dressed because of the heat, was a handsome figure indeed and delightful company, and in the heart of the fair Guinier the flame of love now burned for him[.]“ 785 Anders Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 107: „Die Entführung durch den Bruder Ginovers, Gotegrin, ist in der Aufspaltung der Entführungsaventiure in zwei unabhängige Teile begründet. Die angestrebte Integration Gasozeins, dessen Funktion es so wird, die ebenfalls bedrohliche Schwester der Amurfina ans Artusreich zu binden, macht es unmöglich, daß er nach dem Entschluß der Königin diese direkt entführt.“

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

‚Vnd getorst si han ernendet‘, Jah er, ‚si het gewendet Sich an Gasoein de Dragoz[.‘] (CR 11080)

Es mutet beinahe wie ein metapoetischer Kommentar an, dass die Entführung durch Gotegrin auf der Deutung einer Botenfigur beruht, die Ginovers Stellung zwischen Artus und Gasoein ausgelegt, und die als Ein behnden spehær (CR 11061) eigentlich Tatsachen auskundschaften und nicht Uneindeutiges interpretieren soll. Auf diese Weise aber wird es möglich, die Entführung als mise en abyme zu gestalten, die Gasoeins Status innerhalb der Entführungshandlung auf der Metaebene verhandelt.786 War der Vorwurf der Entführung schon in der Auseinandersetzung von Artus und Gasoein laut geworden, wird Ginover nun entführt, um in der Folge befreit und zugleich abermals entführt zu werden. Somit wird überdies ermöglicht, dass Gawein doch noch zum Befreier werden kann. JILLINGS hat Gaoseins Befreiung als „‚anti-abduction‘“787 bezeichnet, allerdings im Sinne einer Aufwertung Gasoeins. Die eigentlich als Anti-Entführung zu bewertende Entführungshandlung ist aber im Furt- und Gerichtskampf ausgestaltet, während die zweite Entführung erst die tatsächliche dritte Entführungshandlung ermöglicht. In der ersten stellt Gasoein Artus als Entführer dar und beide Figuren agieren jeweils konträr zur eigentlichen Handlungsintention – aktiver und passiver Status der Figuren werden vertauscht. Erst die mise en abyme eröffnet dann eine Metabene, auf der die Entführungshandlung wiederholt bzw. erst erzählt wird. Dort erlangt Gasoein die Rolle des vermeintlichen Befreiers; hatte er in der ersten Entführungshandlung Artus als Räuber Ginovers hingestellt und sich

786 Anders Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 164: „Die der Entführung vorgeschaltete Winterkönig-Episode dient der Ummotivierung des Liebhabers der Königin und der rationalen Motivierung des Entführers.“ Bisher hat man für die Episode die Technik des entrelacement hervorgehoben. Vgl. dazu Kratz, Bernd: Zur Kompositionstechnik Heinrichs von dem Türlin, S. 147, der das allein auf die Verwobenheit der Quellen für die Episode bezieht; WallbankTurner, Rosemary E.: An Irish fairy in Austria: Vrou Giramphiel and Lady Fortune in Diu Crône. In: Skrine, Peter / dies. / West, Jonathan: Connections. Essays in Honour of Edda Sagarra on the Occasion of her 60th Birthday. Stuttgart 1993 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 281), S. 285–296, S. 285; Wallbank, Rosemary E.: Three post-classical authors, S. 82; Suerbaum, Almut: ‚Entrelacement‘? Narrative technique in Heinrich von dem Türlîn’s Diu Crône. In: Oxford German studies 34 (2005), H. 1, S. 5–18, S. 6 versteht die narrative Technik im Sinne einer „textile metaphor“ (S. 7) sowohl als „the link between concrete episodes of the narrative and their sources“ als auch als „abstract overall sense of a poetic unity on the other“. Heinrich setze die Technik ein, um zwischen den verschiedenen Protagonisten und Orten zu wechseln. Das erlaube es dem Erzähler hervorzuheben, wie er die Erzählung arrangiert. Diese „self-reflexive awareness“ (S. 18) stelle die Gemachtheit der Erzählung aus. 787 Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône, S. 30.

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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selbst zum Beraubten erklärt, kann er nun die Rolle des Befreiers übernehmen. Die als mise en abyme gestalteten weiteren Entführungshandlungen ermöglichen es, Gasoeins Rolle in der ersten Entführungshandlung auf Metaebene zu verhandeln, simultan als Befreier und Entführer. In der Logik der Entführungshandlung kann er jedoch nicht beides zugleich sein. Gasoein wird damit zu einer Art Oxymoron in figura. Gotegrins Funktion als Entführer bleibt ausschließlich als notwendiger Auslöser für die zweite Entführungshandlung zu verstehen.788 Um die Entführung in der Entführung handlungslogisch zu ermöglichen, belebt Gotegrins spehær die im Schiedsspruch ausgeräumten Zweifel an Ginovers Integrität wieder. Hätte Gasoein Ginover bloß entführt, wäre er an keiner Stelle zum Befreier der Königin avanciert. Die als mise en abyme gestaltete Entführungshandlung dupliziert die Entführung somit jeweils mit unterschiedlichen Rollenbesetzungen. Die Entführung durch Gotegrin stellt sich als Zwischenglied dar. Der die Entführungspassage einleitende Vers Swaz geschehen sol, daz geschiht (CR 11037) spielt ebenso ironisch auf die Verschachtelung an, wie jene, die Gasoein als Befreier loben: Got het ir gesendet trost. / Süst wart Gynever erlost. (CR 11285 f.) Gotegrins Entführung ist dabei genauso wenig zufällig arrangiert wie Gasoeins Rettung gottgefügt ist. 789 Die Entführung durch den Bruder erfolgt heimlich und aus gänzlich anderen Motiven als in den übrigen Varianten. Dass Gotegrin der Bruder ist, macht es möglich, die sonst erhobenen Ansprüche auf die Königin und Empfindungen gegenüber derselben zu tilgen. Die sonst öffentliche Herausforderung wird hier zum heimlichen Raub: Des wolt er do varen, E ez iemen bedæhte, Daz er si hin bræhte. (CR 11119ff.)

Gotegrins Entführung entspricht nicht dem üblichen an das Motiv gebundene Handlungsmuster. Sie wird zum Bindeglied zwischen Entführung und Entführung. 788 Vgl. dazu auch Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung, S. 348, die in der Auseinandersetzung von Gotegrin und Gasoein „eine ironische Persiflage der ‚Iwein‘-Szene, in der Keie vom Entführer Meljaganz vom Pferd gestochen wird“ erkennt. Hier werde dann anstelle des Artusritters der Entführer selbst in eine „groteske Lage“ versetzt. Gasoein nehme hier u. a. die Rolle Tristans ein, der Isolde von Gandin zurückgewinnt. Vgl. auch Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 164, der Gotegrin als Instanz eines „archaische[n] Familienrecht[s], das als Lynchjustiz gebrandmarkt“ sei, auffasst. 789 Mentzel-Reuters, Arno: Vröude, S. 164 versteht das als Hinweis darauf, dass Gasoein eben nicht Entführer, sondern der Liebhaber Lancelot ist, der das sælden reht wiederherstellt. Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu Crône, S. 33 wertet den Hinweis auf Gottes Fügung als „cynical assertion“, der den per se wirksamen „satirical effect“ verstärke.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Unterdessen trauert der Artushof um die Entführte und stagniert, statt zu intervenieren.790 Die Zufälligkeit, die der Befreiung Ginovers aus Gotegrins Händen innewohnt, ist vergleichbar mit dem zufälligen Erscheinen Gaweins im Moment der Vergewaltigung. Damit sind beide Befreiungen kontrastiv zur Befreiungstat der Entführungshandlung angelegt, die schließlich innerhalb des Handlungsmusters absichtsvoll gesucht wird. Gasoein bittet die ohnmächtige Ginover, an seiner Seite zu bleiben und entführt sie schließlich. Gemäß der Logik, dass er sie im Kampf gegen Gotegrin verteidigt und damit für sich gewonnen hat, fordert er hierfür Lohn: Jwern leip han ich iv gegeben, / Des sült ir mir wizzen danc. (CR 11333 f.)791 Diese Forderung aber läuft der Logik in der ersten Entführungshandlung insoweit zuwider, als Gasoein dort den Kampf als Mittel abgelehnt und Ginover selbst als Schiedsrichterin eingefordert hatte. Wo er im Anschluss zum Lüstling avanciert – KRATZ beschreibt das als „tolldreiste Persiflage der höfischen Minne“792 – und versucht, Ginover zu vergewaltigen, scheint die für die Beschreibung eingesetzte Kampfmetaphorik auf die Gesetzmäßigkeit der Entführungshandlung zu rekurrieren, derzufolge der Entführer sein Anrecht auf die Königin im Kampf verteidigt:793 Einen chriec sein muot gevienc, Daz er sich in ir schoz liez Vnd sein hant vil ofte stiez, Swa er moht, vnder ir gewant. (CR 11640ff.)

790 Vgl. dazu Vollmann, Justin: Das Ideal des irrenden Lesers, S. 40 f. Die Handlungsunfähigkeit weise auf eine „Krise der Artusgesellschaft“ hin. Vgl. zur Klage des Artushofs um die entführte Ginover und die dort angestellten Verweise auf antikes Erzählsubstrat ders.: Die doppelte Präsenz des Mythos am Artushof. Zum trojanischen-arthurischen Subtext der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Poetica 41 (2009), H. 1–2, S. 75–96, hier S. 85–88, der die Analogien zwischen Paris und Gasoein und Helena und Ginover nachzeichnet. Vgl. auch Wandhoff, Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters. Berlin [u. a.] 2003 (= Trends in Medieval Philology 3), S. 279–283. 791 Anders Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung, S. 349, die das Einfordern des Lohns auf den Dienst-Lohn-Gedanken des Minnesangs zurückführt und diesen in Handlung umgesetzt sieht. Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 211, sieht mit Gasoeins Forderung eine Möglichkeit „of a third quasi-Arthurian realm (Arthur’s Karidol, Gawein’s Serre, and Gasozein’s Dragôz)“ geschaffen. Damit sei „potential material for an explosive collision of dynastic ambitio“ (S. 202) gegeben. 792 Kratz, Bernd: Zur Kompositionstechnik Heinrichs von dem Türlin, S. 149. 793 Vgl. dazu Samples, Susann: The Rape of Ginover in Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône. In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Geschlechterrollen im mittelalterlichen Artusroman. Ausgewählte Akten des XVII. Internationalen Artuskongresses. Amsterdam [u. a.] 1995 (= Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 10), S. 196–205, S. 200: „‚knightly‘ adventure is rape“. Das hebe „the paradoxical nature of knighthood“ hervor. Am Ende sei „irony […] unmistakable: Ginover is raped by the very knight whom she praised at Arthur’s expense“ (S. 204).

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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In dieser metaphorischen Verhüllung ersucht Gasoein Ginover im Kampf zu bezwingen und damit seine Ansprüche zu verteidigen. Das zwiespältige Changieren der bildsprachlichen Beschreibung zwischen sexueller und Kampfmetaphorik wird zusätzlich in dem inmitten der Winterlandschaft befindlichen locus amoenus reflektiert.794 Die Bildlichkeit von locus amoenus und sexueller Metaphorik ist parabolisch Gasoein zuzuordnen, während diejenige des Winters und des Kampfes Artus nahesteht. An dieser Stelle fallen offenbar beide Bildlichkeiten zusammen: locus amoenus und sexuelle Metaphorik auf der einen, Winterlandschaft und Kampfgebaren auf der anderen Seite entsprechen den in der Rahmenentführungshandlung entworfenen Figureneigenschaften von Gasoein und Artus. Gasoein wechselt von der Rolle des aus seiner Sicht Beraubten in diejenige des Entführers und verteidigt seinen Anspruch symbolisch im Kampf. Der Raum verursacht außerdem einen weiteren Bruch: Einerseits besteht eine jahreszeitliche, die Vegetation diskreditierende Diskrepanz von locus amoenus und Winter795, die andererseits ebenfalls dadurch unterlaufen wird, dass die mit dem Ort verbundene intentionale Bildlichkeit durch die Schilderung einer Vergewaltigung vollends bricht.796 Die

794 Wagner-Harken, Annegret: Märchenelemente und ihre Funktion in der Crône Heinrichs von dem Türlin. Ein Beitrag zur Unterscheidung zwischen ‚klassischer‘ und ‚nachklassischer‘ Artusepik. Bern [u. a.] 1995, S. 199 bewertet das mit Blick auf die Zeitdarstellung von Märchenelementen als brüchig, insofern die topischen Elemente des locus amoenus den Winter plötzlich seine Relevanz verlieren ließen. Anders Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 213, der hierin Gasoeins „transparent nature of false chivalry“ erkennt und diese als Gegenmodell zu Gawein und Amurfina versteht. 795 Vgl. dazu auch Buschinger, Danielle: Erotik und Sexualität in der Artusepik, S. 148, die schlussfolgert, hiermit sei auf die Vorlage der Première Continuation angespielt oder eine Übernahme aus der Vagantendichtung herausgestellt. 796 Classen, Albrecht: Sexual Violence and Rape in the Middle Ages. A Critical Discourse in Premodern German and European Literature. Berlin [u. a.] 2011 (= Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture 7), zur Crône insbes. S. 83–112, hier S. 91 hat das als „grotesque travesty of the traditional use of the locus amoenus“ beschrieben und damit satirische Intention unterstellt. In der Weiterführung sei damit „the greatest travesty of courtly culture“ (S. 92) gezeichnet, da der Ort nicht als abgeschlossener den Liebenden Zuflucht fernab der Gesellschaft bietet, sondern als abgeschotteter Raum einen Ort für die Vergewaltigung. Ferner repräsentierten die Wunden, die Gawein und Gasoein im Kampf erleiden diejenigen, die Gasoein Ginover mit der Vergewaltigung zugefügt hätte (vgl. S. 95 f.). Der Kampf zwischen Gawein und Gasoein substituiere den Gewaltakt der Vergewaltigung im Gewaltakt des Kampfes. In diesem Sinne versteht Classen die körperliche Nähe im Kampf analog als Symbol für „the sexual act that Gasozein had tried to realize with Gynever“ (S. 97). Es reiche laut Classen nicht aus, den Kampf zwischen Gawein und Gasoein als grotesk oder absurd zu verstehen: „To pursue the image implied here just little further and to understand the analogy, we would have to say that the two knights penetrate each other’s bodies with their swords as much as Gasozein wouldhave penetrated the queen’s body with his penis.“ (S. 104) Anders Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

dieser Diskrepanz innewohnende komische Brüchigkeit wurde mit Blick auf die Vergewaltigung selbst in der Forschung mehrfach gesehen. SUSANNE SCHUL hat auf die „symbolische Verräumlichung“ eines gegenseitigen Minnebegehrens hingewiesen, die der locus amoenus aufrufe, ohne es einzulösen. Das Ineinander von Minnemotivik und Kriegsmetaphorik erzeuge vielmehr ein „Spannungsverhältnis von gewaltvollem Widerstand und humoristisch aufgeladener Analogie“797. SCHANZE und MATTHIAS KIRCHHOFF zufolge resultiert die Komik der Episode aus dem „gewaltsame[n] Vollzug der (körperlichen) Liebe am amoenen Ort“, der auf die Pastourelle Bezug nehme und der Minnesänger Gasoein damit „gezielt ins Kippen gebracht“ werde.798 Die verwendete Minnekrieg-Metaphorik wiederum, so SCHU, breche schon ironisch mit dem intertextuellen Bezug zur Pastourelle. 799 Diese Metaphorik erzeuge laut FRITZ PETER KNAPP eine „sensualistische Komik“, die ermögliche, dass Tabubrüche auf der sprachlichen Ebene in der Metaphorik verhüllt blieben.800 Die Komik ist jedoch weniger Folge dieser der Metaphorik geschuldeten Brüchigkeit von locus amoenus und Gewalttat. Sie ist Resultat des Erwartungsbruchs, der mit der Kampfmetaphorik auf die Logik der Entführungshandlung Bezug nimmt und somit Gasoeins Versuch darstellt,

der Fiktion, S. 108, der den „Angriff auf die sexuelle Integrität […] rein strukturell […] [als] eine Variation des Angriffs auf das Leben der Königin“ versteht. Vgl. außerdem Kaiser, Gert: Artushof und Liebe, S. 248, der meint, die Szene spiele sich fernab des Hofes ab, weil dieser solche Formen der Liebesdarstellung tabuisiere. 797 Schul, Susanne: frouwen-Wissen – herren-Wissen? ‚Geschlecht‘ als Kategorie des Wissens in mittelhochdeutschen Narrationen. In: Gardt, Andreas / Schnyder, Mireille / Wolf, Jürgen (Hrsg.): Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Claudia Brinker-von der Heyde zu ihrem 60. Geburtstag. Unter Mitarbeit von ders. Berlin [u. a.] 2011, S. 183–201, S. 194 f. Schul geht es in der Hauptsache um „narrative Muster einer weiblichen Unwissenheit im Kriegsgeschehen“ (S. 194). 798 Schanze, Christoph / Kirchhoff, Matthias: Interferenzen zwischen Artusroman und Minnesang, S. 173. 799 Vgl. Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung, S. 349 f. 800 Vgl. Knapp, Fritz Peter: Heinrich von dem Türlin. Literarische Beziehungen und mögliche Auftraggeber, dichterische Selbsteinschätzung und Zielsetzung. In: Krämer, Peter (Hrsg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten, S. 145–187, S. 172. Sexualität sei in der Crône durchweg zu verstehen als ein Mittel, um Tabugrenzen zu überschreiten und damit Lachen zu erzeugen (vgl. S. 164). Das bei der Vergewaltigung eingesetzte Bildmotiv vom Liebeskrieg generiere jene ‚sensualistische Komik‘ wesentlich mit: „Der Spaß wird auf die Spitze getrieben, wenn der obszöne Vorgang in einem einheitlichen metaphorischen Gesamtbild […] dargestellt wird.“ (S. 165) Vgl. auch Samples, Susann: The Rape of Ginover in Heinrich von dem Türlin’s Diu Crône, S. 196, die die These aufstellt, die „language of violence actually diminishes the heinousness of this sexual assault“. Die Vergewaltigung werde durch die Sprache romantisiert. Das führe dazu, die Vergewaltigung als „another variation of courtly love“ (S. 198) zu verstehen. Indem Ginover zum Objekt degradiert werde, sei ihre Opferrolle herabgemindert.

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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Ginover nun doch im Kampf für sich zu gewinnen. Diese Art, die Königin rechtmäßig zu gewinnen, ist fester Bestandteil des Handlungsmusters der Entführung der Königin. Dass er diesen Versuch an einem locus amoenus unternimmt, erzeugt einen Bruch, der aus dem figural bestimmten Handlungsmuster resultiert, insofern der Ort parabolisch seine figurengebundenen Gesetzmäßigkeiten des Werbens widerspiegelt, während er die seiner Figur eigentlich zuwiderlaufende Logik des Kampfes um die Königin in Handlung umsetzt. Abermals wird eine Verschachtelung erzeugt, die räumlich organisiert ist: Die den locus amoenus umgebende Winterlandschaft steht für die Gesetzmäßigkeiten des Kampfes um die Königin, der liebliche Ort für die Logik des Werbens, die allein auf kampflosen Minnedienst baut. Gasoeins gewalttätiger Übergriff widerspricht damit seiner figuralen Logik. Seine derzeitige Rolle als Entführer aber fordert dieses Handlungsmuster geradezu ein, das hier schließlich in der Metaphorik der Beschreibungssprache eingelöst wird. Die Komik ist daher keineswegs Ergebnis der sprachlich überspielten Brutalität, sondern resultiert aus dem Widerspruch von Gaoseins Handeln, der sich vor dem Hintergrund der Gesetzmäßigkeiten der Entführungshandlung zeigt. Als Gawein Gasoein bei seinem Vergewaltigungsversuch in flagranti ertappt und Ginover mit zurück zum Artushof nehmen will, wird er von Gasoein als Entführer qualifiziert: [‚]Daz ir von mir die vrowen mein Füert hin vngevohten. […] Daz ir sein ie gewunnet wan, Daz ir sei sült vüeren hin, Da ich ze antwurt bin, Daz müest mich wol beswæren, Ob iwer vier wæren.[‘] (CR 11841–11853)

Die Anspielung auf die vier Ritter, die für Ginover kämpfen, zielt auf den Furtkampf der Rahmenhandlung und parallelisiert so Furtkampf und Gerichtskampf mit dem anstehenden Kampf. Fragt man nach der Funktion des unaufhörlichen Kampfes zwischen Gawein und Gasoein, ist nicht allein dessen Relevanz als ritterlicher Zweikampf, sondern spezifisch sein Stellenwert als Entscheidungskampf um die entführte Königin von Bedeutung.801 Gasoein hatte

801 Anders Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 110. Meyer meint, der Kampf sei in dieser Form notwendig, um Gasoein zu destruieren, damit er im Anschluss „in den Artushof integrierbar“ werde. Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 397 konstatiert: Das „restorative moment in combat against the anti-Arthurian Gasozein […] highlights

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

schon Artus zum Entführer der Königin erklärt, und tut dies ebenfalls mit Gawein. Dass die übertriebene Fairness im Kampf von Gawains Seite – das korreliert mit Artus’ Haltung im Furtkampf – sowie der hieraus resultierende Ablauf desselben selbst komisch sind, wurde mehrfach bemerkt.802 STEIN hat die Hyperbolik im Fair-Play-Verhalten Gaweins detailliert analysiert und als „blanke Ironie“ dekuvriert: „Durch sukzessive Steigerung in immer groteskere Formen ‚edlen‘ Verhaltens persifliert Heinrich das Ideal ritterlicher Fairneß und damit eine zentrale, grundsätzlich nicht zur Disposition stehende Größe arthurischer Epik.“803 In Bezug auf das Kampfverhalten Gaweins, zeigt STEINS Untersuchung der Passage ein sich stetig wiederholendes Zuwiderlaufen von Handlung und vorab entworfener Handlungsintention. Gaweins Insistieren auf Fairness läuft der Handlungsintention im Kampf gegen Gasoein insofern zuwider, als Gaweins Verhalten den Sieg per se verhindert. Der aber ist als Konfliktlösung für die Entführung der Königin unabdingbar und fester Bestandteil der Entführungshandlung. Damit ist, wie STEIN bemerkt, eine Situation geschaffen, „die es in der arthurischen Epik nicht gibt und nicht geben darf: […] das Remis“804. Die Komik generiert sich überdies aus der vom Erzähler eingesetzten Bildlichkeit der Beschreibung. Die Wunden der beiden Kämpfer sind schon zu Beginn des Kampfes so tief, Daz daz pluot in starchen vnden Dar auz grimmechleichen brach Vnd began rinnen als ein bach. (CR 11922ff.)

Die Gegenbildlichkeit des Oxymorons von Bächen, die in starken Wellen fließen, unterstreicht ebenso wie die Beschreibung von Gasoein, der sich trotz enormer müede voller Elan auf sein Pferd wolte swingen (CR 11997), sodass er

and contrasts the reformative processes of Gawein’s Arthurian self with the âventiure-seeking man“. Thomas, Neil: Diu Crône and the Medieval Arthurian cycle, S. 41 bewertet Gaweins Kampfeinsatz wie folgt: „Gawein’s appearance as a deus ex machina saving Guinevere’s face might then seem rather to underscore the fragility of a marriage blighted by imperfectly repressed memories and held together more by the diplomacy of a third party than by any internal strength.“ 802 Vgl. Jillings, Lewis: Ordeal by Combat and the Rejection of Chivalry in Diu Crône, S. 273. Die Sequenz sei durchsetzt von „elements of comedy and satirical inflation“, darüber hinaus wirke die Häufigkeit der Attacken grotesk. Als Beispiele für solche komischen Elemente führt er Gasoeins Versuch, auf das Pferd aufzusitzen, Ginovers Versuch, Gawein dazu zu überreden, zusammen zu fliehen, während Gasoein schläft sowie Gaweins Suche nach Waffen an, die damit endet, dass er zwei Lanzenstücke wählt. 803 Vgl. Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 236–242, Zitate S. 237 und 238. 804 Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 241 f.

5.3 Die Entführung der entführten Königin

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unabsichtlich beabsichtigt di erd [Durch ruowe] erchos (CR 12001), das widersinnige Kampfverhalten der Kontrahenten. Vom Kampf sind beide so ermattet, dass sie (sich) schließlich unabsichtlich in ihre Schwerter stürzen, diese aber unter ihnen zerbrechen, statt sie zu töten (vgl. CR 12055 ff.). Müdigkeit und Ohnmacht führen zu diversen Unterbrechungen des Kampfes; der marode Zustand der Kämpfer wird vom Erzähler durchweg mit Müdigkeit gleichgesetzt – NICOLA KAMINSKI hat den Kampf daher als „‚Ermüdungsorgie‘“805 bezeichnet –, zuletzt träumen beide obendrein:806 Nv gie si beide div müede an, Daz sich tweder niht versan. Si warn müede also sat, Daz si lagen auf der walstat, Daz ietweder entslief. […] Vnder dirre grozen swær Troumt Gawein […] (CR 12138–12153)

Gawein erwacht schließlich aus seinem Traum, weil er über die im geträumten Kampf erlittene Not erschrickt. Trotz zusehends wachsender körperlicher Schwäche ist er darüber erfreut, dass sein tatsächlicher Zustand vermeintlich besser ist als derseinige im Traum, und macht sich erneut zum Kampf auf: Von dem troum, er lachet / Vnd zehant sich auf machet. (CR 12173 f.) Die Polarität von Figurenwahrnehmung und Außenperspektive schafft einen Bruch, insofern Gaweins Handeln aus seiner Perspektive resultiert und schließlich in Widerspruch zu seinem Zustand gerät. Seinen noch schlafenden Kontrahenten began

805 Kaminski, Nicola: Wâ ez sich êrste ane vienc, Daz ist ein teil unkunt, S. 69. „Als wahre Siegerin geht aus der vollständigen Entmachtung beider Kontrahenten ‚diu müede‘ (12384; 12399) hervor, die auf dem seltsamen Heimritt zum Artushof zu dritt auf Ginovers Pferd vollends ihre Subjektposition konsolidiert.“ (S. 71, Herv. i. O.) 806 Vergleichend zum Ebertraum in Gottfrieds Tristan grundlegend Speckenbach, Klaus: Der Eber in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Fromm, Hans / Harms, Wolfgang / Ruberg, Uwe (Hrsg.): Verbum et signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Bd. 1. Friedrich Ohly zum 60. Geburtstag überreicht am 10. Januar 1974. München 1975, S. 425–476, insbes. S. 468 ff. Vgl. auch Schu, Cornelia: Intertextualität und Bedeutung, S. 350 f. Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 20 stellt die Nähe zum Tristan ebenfalls her über den im Traum genannten Schauplatz Karliûn, der mehrfach bei Chétien als Aufenthaltsort von Artus genannt wird, in der deutschen Literatur allerdings nur im Tristan auftaucht. Davon unabhängig zum Motiv des ahnungsvollen Traums vgl. S. 239 f. „[D]as epische Mittel der Vorausdeutung durch Figurenträume [werde] der Lächerlichkeit preisgegeben“ durch den „Umstand, daß sich die beiden Kontrahenten über die richtige Deutung des von Gasouein erlebten Traumgeschehens […] streiten“.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

er suoz wechen (CR 12214); der ist nicht minder erfreut, weil auch er im Traum in große Bedrängnis geraten war. Neben der kontrastiven Bildlichkeit in der Beschreibung der Handlung ist daher auch die Handlung selbst an vielen Stellen jeweils konträr zu ihrer eigentlichen Intention gestaltet. Gawein ist durchweg darauf erpicht, dass der Kampf ebenbürtig ausgefochten wird. Als Gasoein seinem Pferd den Kopf abschlägt, weil er es vor Schwäche nicht geschafft hatte aufzusitzen, und dem Pferd die Schuld daran gibt, tut es Gawein ihm gleich.807 Vom Erzähler wird das als notwendiger Verzicht deklariert und die Gasoein gegenüber erbrachte Fairness damit ironisch unterstrichen (vgl. CR 12033 ff.). Weder Erschöpfung noch Pferde- und Waffenverlust kann die Kontrahenten vom Kampf abhalten. Auf der Suche nach geeignetem Waffenersatz erkiest Gawein zwei Lanzenstücke als Waffen, weil er die sich alternativ anbietenden, am Boden festgefrorenen Äste nicht aufheben kann. Der Kampf wird am Ende aus Erschöpfung und Mangel an Waffen vertagt. Gawein fordert zunächst, dass Gasoein ihm Ginover kampflos überlasse und räumt am Ende einen erneuten Gerichtskampf als Entscheidung ein. In den anderen Entführungsgeschichten wird der Verteidigungskampf von den Entführern eingefordert. Hatte ihn Gasoein als Entführer zunächst von Gawein verlangt, obschon er Gawein gleichzeitig zum Entführer erklärt hatte und der Kampf als Entscheidungsmittel seiner figuralen Logik zuwiderläuft, ist es nun Gawein, der erneut den Kampf als Entscheidungsmittel einsetzt. Wie schon Artus in der Rahmenentführung zum Entführer erklärt wurde und damit die Rolle des Herausforderers eingenommen hatte, darüber hinaus jedoch gleichzeitig durchweg als Fürkämpfer aktiv für Ginover einstand, agiert in der Binnenerzählung auch Gawein, so gesehen, zugleich als Entführer, Herausforderer und Fürkämpfer der Königin. Gasoein hatte in der Rahmenerzählung zwar vor dem Hintergrund literarischen Handlungswissens mit seinem Herausfordererstatus auch gleichzeitig denjenigen des Entführers inne, im Text selbst aber wird er erst in der Binnenerzählung zum Entführer und kurzzeitig gleichermaßen zum Befreier, als er Ginover vor Gotegrin rettet.808 Zum

807 Vgl. dazu Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 237, der das Töten der Pferde als „grotesken Höhepunkt“ versteht, weil der „gattungsübliche[] Anspruch, die Streitpferde noch im hitzigsten Kampf zu schonen“ ebenso wie die besondere Bindung von Gawein und seinem Pferd, die im Erec entworfen werde, ironisch gebrochen würden. Vgl. allgemein zur ‚Symbiose von Ritter und Pferd‘ Friedrich, Udo: Der Ritter und sein Pferd. Semantisierungsstrategien einer Mensch-Tier-Verbindung im Mittelalter. In: Peters, Ursula (Hrsg.): Text und Kultur, S. 245–267. 808 Anders Haug, Walter: Die Rollen des Begehrens, S. 266, der Gasoein die „typische Herausfordererrolle“ zuspricht. Es handele sich um eine „Lancelotsituation in neuer Form“, bei der anstelle der Entführung eine rechtliche Forderung stehe.

5.3 Die Entführung der entführten Königin

305

anberaumten Gerichtskampf kommt es nicht und Gawein ist am Ende wieder nicht der Befreier der Königin, da der Kampf mit Gasoein unentschieden endet. Schließlich ist es Gasoein selbst, der Ginover freigibt, somit vom selbst behaupteten rechtmäßigen Anspruch zurücktritt und damit seinen putativen Entführerstatus verliert, den des Herausforderers und Fürkämpfers aufgibt und faktisch zum Befreier wird.809 Bei ihrer Rückkehr am Artushof ist die für die Komik maßgebliche, die Episode durchweg dominierende Bildlichkeit zentral inszeniert. Abermalig bewirkt die Kälte den kläglichen Aufzug der Figuren. Auf dem schneeweißen Ross wärmen abwechselnd Ginover und Gawein den halbtoten Gasoein, der jeweils andere stapft völlig entkräftet durch den Schnee; Gawein an allen vieren krasz / Jn dem sne vf dem gras. (CR 12389 f.) Am Ende sitzen sie sogar zu dritt auf dem Pferd.810 Das gibt Keie bei deren Heimkehr Anlass, Ginover als Siegerin der aventiure zu heißen und dies aus ihrer Aufmachung bei der Rückkehr abzuleiten: […] ‚Das ist ein riche hab, Die min frauw braht hat, Das sie blosz one sarwat Zwen ritter hat bezwungen. Jr ist da gelungen, Da minem herren gebrast, Der nit wolt disen gast Zü velde dorch sie bestan. Sie hat es aber dorch jne getan Vnd hat jne manlich entworcht. (CR 12474ff.)

Ginover als Ritter im Hemd verdiente, so Keie weiter, einen Platz an der Tafelrunde, da sie mit tyostùre / Zü richer auentùre (CR 12492 f.) sich selbst befreite. Was Gasoein und Gawein im Kampf vergebens zu erreichen versucht haben, habe sie ritterlich erworben (CR 12493). Der im Bild dargestellte und von Keie interpretativ artikulierte Kontrast zielt auf beide zuvor stattgefundenen Zweikämpfe ab, insofern Artus im Furtkampf den Ritter im Hemd nicht besiegen

809 Schanze, Christoph / Kirchhoff, Matthias: Interferenzen zwischen Artusroman und Minnesang, S. 170 bewerten Gasoeins Rücktritt vom Anspruch auf die Königin im Kontext des Minnesangs: Da eine dem Ideal der Hohen Minne verschriebene Minne nicht zwingend gegenseitig ist, könne Gasoein von seinen gemachten Ansprüchen folgerichtig zurücktreten. 810 Jillings, Lewis: Ordeal by Combat and the Rejection of Chivalry in Diu Crône, S. 273 bewertet das als „travesty“. Vgl. auch ders.: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 41. Der Kampf zwischen Gawein und Gasoein sei der „most grotesquely drawn-out exchange of arms in German romances“, die Rückkehr von Gawein, Gasoein und Ginover an den Artushof als „burlesque return“ zu bewerten.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

wollte, weil er auf Fairness bestanden hatte, und diese Fairness im Kampf zwischen Gawein und Gasoein auf ein Höchstmaß überspitzt ist. Gasoein ist dort zwar entsprechend ausgestattet, aber Gawein lässt jede Gelegenheit aus, den mehrfach unterlegenen Gasoein zu besiegen. Keies hyperbolische Auslegung des kläglichen Anblicks der beiden Streiter stellt den Rückbezug zu sämtlichen Kämpfen der Entführungshandlung her. Er spielt die Bildlichkeit des Paradoxons vom Ritter im Hemd vollends aus, denn der Kampf kann unter diesen Voraussetzungen zu nichts als einer niemals endenden Wiederholung führen. Die eigentliche Handlungsintention des Zweikampfes innerhalb der Entführungshandlung wird bis zum Ende gebrochen, weil das Paradoxon vom Ritter im Hemd als Moment der Störung die Lösung des Konflikts von vornherein versagt. In den konkreten Einzelfällen der Akteure der Entführungshandlung zeigt die jeweilige Mehrfachbesetzung der Rolle ebenso die desperate Gestalt der Entführungshandlung. Artus, Gasoein und Gawein nehmen jeweils die Rollen des Entführers, Herausforderers und Fürkämpfers ein, wohingegen einzig Artus zu keiner Zeit diejenige des Befreiers inne hat, während Gawein sie zwar beinahe, schlussendlich aber nicht einnimmt. Die den Konflikt auslösende Provokateurin Ginover stellt nun selbst als Ritter im Hemd den Kern ihrer Provokation dar. Zugleich stellt Keie Ginover als Heldin der Entführungshandlung hin, die als Ritter im Hemd ihre Entführer besiegt habe. Schlussendlich ist es Artus’ überbordende milte, die Gasoein in die Artusgesellschaft integrierbar macht. Obwohl er – bis dato zweideutige – ältere Ansprüche erhoben, Ginover in seinen Augen befreit, aber dennoch entführt und außerdem versucht hat, sie zu vergewaltigen, vergeben Artus und Ginover ihm prompt. Zugleich bleibt Gawein damit der anberaumte erneute Verteidigungskampf der Königin versagt. Wieder kann er nicht der Befreier von Ginover werden und am Ende sind es Artus und Gasoein, die als Befreier im Sinne von Konfliktlösern fungieren: Gasoein, indem er um Vergebung bittet, Artus, indem er diese – wider Erwarten mit Blick auf die Schwere der Vorfälle, aber zugleich nicht minder erwartungsgemäß hinsichtlich der Eigenschaften der traditionellen Artusfigur – gewährt. Die Komik der Winterjagdepisode und der Ofenszene sowie die innerhalb der Entführungshandlung generiert sich schließlich aus der stetigen Überlagerung differenter Handlungsmuster, die jeweils an die Rolle gebunden sind, welche die Figur im Handlungsgeschehen inne hat. Durch den Wechsel der Figuren zwischen den Rollen kollidieren jeweils differente Handlungsmuster und lassen Handlung vor dem Hintergrund des literarischen Handlungswissens scheitern. Vor allem innerhalb der Winterjagdepisode und der Ofenszene wird das literarische Handlungswissen jeweils kontrastiv mit dem Kontrahenten eingespielt. Gasoeins Attitüde repräsentiert bspw. Artus’ Mainatur und gibt der scheiternden Handlung des frierenden Königs damit ihr literarisches Positiv.

5.4 Amour fou

307

BOLTA hat Gasoein zum alter ego von Gawein und Gawein somit zugleich zum Provokateur und zum Defensor des Artushofs erklärt. Diese Konstellation löse sich schließlich auch im Doppelgängerinnentum der Figuren Amurfina und Sgoidamur und deren Verheiratung mit den beiden Figuren auf.811 Ins Auge fällt jedenfalls, dass weder Artus noch Gawein Gasoein im Kampf bezwingen wollen und können. Das kann man als Ergebnis differenter Gattungsmuster verstehen, dem die Figuren unterstehen und das die Logik der Handlung dominiert. Die Figuren scheinen demgegenüber jedoch zugleich gerade einander ebenbürtig und zeitweise sogar zu assimilieren, indem sie – teilweise simultan – die gleiche Rolle inne haben oder sich hierin ablösen. Dabei findet eine Überlagerung von Handlungsvarianten statt, die in der Überlagerung Handlung zum Scheitern bringt. Die beiden untersuchten Episoden der Crône zeigen ein literarisches Spiel mit Erzähltraditionen, das figurengebundenes literarisches Handlungswissen überlagert und mit der Überlagerung ein stetiges Scheitern von Handlung erzeugt. Gasoein wird dabei zur Projektionsfläche von Handlungsvarianten und Figureneigenschaften. Er steht dabei Artus selbst ebenso nahe wie Gawein, ist jeweils Spiegelbild und Gegenbild. In der Figur von Gasoein gehen Artus und Gawein ineinander über und fallen in eins, wie das auch in der Amurfina-Episode zuweilen begegnet.

5.4 Amour fou Die Episode um Gaweins erste Begegnung und anschließende Ehe mit Amurfina hat das Forschungsinteresse vor allem im Hinblick auf die Verheiratung des Musterritters erregt, da die Ehe für den Artusritter, wie ALFRED EBENBAUER gezeigt hat, Abschied von Artushof und aventiure bedeute. Gerade Gawein betreffe eine „strukturell notwendige Ehelosigkeit“: „Gawein verheiraten hieße aber nun 1) den ‚Bannerträger‘ des Artushofs aus dem Artushof entfernen und damit den Artushof selbst zu destruieren und es hieße zugleich, 2) die dominante Kämpferrolle Gaweins […] ab[zu]bauen.“812 Der Artushof funktioniere

811 Vgl. Bolta, Eva: Gawein im europäischen Kontext. In: Karg, Ina (Hrsg.): Europäisches Erbe des Mittelalters. Kulturelle Integration und Sinnvermittlung einst und jetzt. Ausgewählte Beiträge der Sektion II „Europäisches Erbe“ des Deutschen Germanistentags 2010 in Freiburg / Br. Göttingen 2011, S. 13–29, S. 19 ff. 812 Ebenbauer, Alfred: Gawein als Gatte, S. 35 f. Vgl. dazu auch Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 401: „Gawein’s decided predilections for Amurfina, a separate, rival kingdom, and the easy, vacuous world of verligen […] bode ill for individuation of the self.“

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

demnach ohne Gawein nicht und Gawein funktioniere ohne den Artushof nicht. EBENBAUER stellt die in diesem Zusammenhang aufkommende, entscheidende Frage: „Warum verheiratet Heinrich dann aber seinen Helden […]?“813 THOMAS sieht hiermit die Möglichkeit gegeben, „with Gawein the old problem of love versus knightly honour […] itself in a particularly acute form“814 zu präsentieren. Dieses Kernproblem werde laut ANDREAS DAIBER in der Crône zur aventiure stilisiert, in der sich Gawein bekannten Minnekonflikten aus Prätexten stelle und sich als seinen Vorgängern überlegen zeige.815 Gaweins Ehe mit Amurfina wird schließlich infolge des Schwesternstreits in den Artushof integrierbar, bietet bis dahin aber die Möglichkeit, eine, wie GERT KAISER und MEYER gezeigt haben, am Hof tabuisierte Form der Liebe darzustellen.816 SCHNYDER weist in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeit der Integration des dem Konzept der Hohen Minne inhärenten ekstatischen Moments in den Gesellschaftsdiskurs hin, das mit der Episode vorgeführt werde.817 Die Problematik der mit dem Ideal der Hohen Minne zwar angestrebten, aber nicht vollzogenen Erfüllung werde im Paradox der erfüllten Hohen Minne aufgezeigt. Entscheidend ist für die Beziehung von Gawein und Amurfina der Identitätsverlust, den Gawein bei deren ersten Begegnung erleidet, und der es Amurfina erst ermöglicht, Gawein zum Landesherren von Serre zu machen. In dem Zeitraum, in welchem Gawein sich nicht mehr an seine Identität erinnert, wird er zum Landesherrn, sobald er sich wieder erinnert, macht er sich erneut zur aventiure auf. Die erste Begegnung mit Amurfina erscheint daher wie ein Intermezzo, das allein dazu dient, das Handlungsmuster der Identitätskrise einzumontieren. Dass hierdurch Komik erzeugt würde, wurde bisher nicht gesehen.

813 Ebenbauer, Alfred: Gawein als Gatte, S. 37. 814 Thomas, Neil: Diu Crône and the Medieval Arthurian cycle, S. 51. Gawein verkörpere schließlich „a supreme exemplar of courtly moderation in the well-nigh oxymoronic shape of a monogamous knight errant“ (S. 52). 815 Vgl. Daiber, Andreas: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 186 ff. 816 Vgl. Kaiser, Gert: Artushof und Liebe, S. 248 ff. und Meyer, Matthias: Versuch über die Schwierigkeiten des Artusromans, über die Liebe zu erzählen. In: Baisch, Martin / Trînca, Beatrice (Hrsg.): Der Tod der Nachtigall. Liebe als Selbstreflexivität von Kunst. Göttingen 2009, S. 151–170, S. 167. Vgl. zu den Parallelen von Paiens de Maisières La Mule sans frein und Crône Kratz, Bernd: Die Geschichte vom Maultier ohne Zaum. Paien de Maisières, Heinrich von dem Türlin und Wieland. In: Arcadia 13 (1978), S. 227–241. Kratz konstatiert eine „Verschmelzung von Iweinschem Erbschaftsstreit und Paienscher Zaumgeschichte“ (S. 236). 817 Vgl. Schnyder, Mireille: Die Angst vor der Ernüchterung. Liebestrunkenheit zwischen Magie und Rhetorik in Heinrichs von dem Türlin Diu Crône. In: Stässle, Thomas / Zumsteg, Simon (Hrsg.): Trunkenheit. Kulturen des Rausches. Amsterdam [u. a.] 2008 (= Amsterdamer Beiträge zur Neueren Germanistik 65), S. 193–204.

5.4 Amour fou

309

Gaweins Identitätsverlust bei Amurfina verweist auf das Handlungsmuster der Identitätskrise und damit gleichzeitig auf die Identitätskrisen anderer Romane. In der Amurfina-Handlung, so VOLLMANN, würden darüber hinaus klassische Krisensituationen ineinandermontiert: Der Minnetrank stünde dabei für Tristans, das verligen für Erecs und der Wahnsinn für Iweins Krise ein.818 Daneben begreift man diese hiermit aufgenommenen Motive als sekundär gegenüber der auch im Iwein erzählten Identitätskrise des Helden. KERN hat die Krisensituation Gaweins als „Rollenkonflikt“ beurteilt, in dem sich der Erzähler über den sesshaft gewordenen Gawein lustig mache.819 Demgegenüber folgert RINGELER, dass Vergangenheit zum eigentlichen Thema der Episode werde, insofern Gawein seine „Tatenidentität“ verliere und vorübergehend die Rolle von Artus einnehme.820 MEYER geht diesbezüglich noch weiter und spricht von einer Dissoziation von Gawein und seiner Rolle.821 An anderer Stelle stellt er fest, Heinrich psychologisiere die Krise Gaweins und binde sie an ein privates Selbst, sodass die Überwindung dieser Initialkrise zu einer Stabilisierung des Artusreichs beitrage.822 Die entscheidende Frage ist dabei jedoch, was genau Gawein verliert, was der Auslöser für den Verlust ist und inwieweit hierbei das Handlungsmuster variiert wird. Ob in der Variation Handlung komisch scheitert, ist daher die leitende Fragestellung der nachfolgenden Analyse der Episode. Für die Deutung von Gaweins Identitätsverlust sind die Bedingungen, die diesen verursachen und die den sich hieran entspinnenden Konflikt der Figur erst auslösen, von großer Relevanz. Im Folgenden wird in Orientung an der Untersuchung von Wigalois’ Identitätsverlust danach gefragt, ob sich Gaweins Identitätsverlust ebenfalls komisch deuten lässt. Gawein wird in der Crône zum Protagonisten, da er den Artushof selbst paralysiert. Mit dem von ihm initiierten Aufbruch der Artusritter am Weihnachtsfest befördert Gawein den Hof in die handlungsunfähige Lage. Als er dem Hilfe suchenden Iwanet begegnet, der auf dem Weg zum Artushof ist, um Beistand im Kampf gegen Assiles zu erbitten, klärt Gawein Iwanet darüber auf, dass Artus von seinen Rittern zurückgelassen wurde und demzufolge nicht helfen kann:

818 Vgl. Vollmann, Justin: Krise des Individuums – Krise der Gesellschaft, S. 242. 819 Vgl. Kern, Peter: Bewußtmachen von Artusromankonventionen in der Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 211 ff., Zitat S. 212. 820 Vgl. Ringeler, Frank: Zur Konzeption der Protagonistenidentität im deutschen Artusroman um 1200, S. 246–251, insbes. S. 247. 821 Vgl. Meyer, Matthias: Die Verfügbarkeit der Fiktion, S. 92. 822 Vgl. Meyer, Matthias: Der Weg des Individuums, S. 541 f.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Gawein sprach sa ze stet: ‚Jch wil dir sagen, Ywanet, Dein arbeit ist gar vmb svs. Dv vindest chüng Artus Da heim, daz ist vil war. Dv vindest aber in ein gar Aller seinr gesellen, Vnd enweiz, wenn si wellen Wider ze hove sinnen. Jch weiz wol, si sint hinnen Auf auentivr beiach, Vnd ist daz hivt der zwelft tach, Daz sich der hof gar zerlie[.] (CR 5730ff.)

Dass der Artushof durch seine Provokationshandlung handlungsunfähig ist, weiß Gawein sehr wohl und betont damit, dass Artus’ Hilfsbereitschaft unmittelbar von der Anwesenheit seiner Ritter abhängt. Dennoch lässt Gawein Iwanet weiter zu Artus reiten und macht sich gleich selbst auf den Weg zu Floys. Das Hilfesuchen bei Artus wird damit indirekt zu einem solchen bei Gawein verschoben. Nebenher entfaltet sich die ebenfalls durchaus konfuse Konstellation im Schwesternstreit von Amurfina und Sgoidamur. Nachdem Amurfina Gawein zum Geliebten und damit auch zu ihrem Kämpfer im Streit um den Zaum gemacht hat, gewinnt Sgoidamur Gawein später am Artushof als ebensolchen, der die Aufgabe nichtsahnend übernimmt. Amurfina hatte gefürchtet, dass Artus ihn ihrer Schwester als Streiter zusagen könnte und ihn daher für sich gewonnen und sich als Minnepfand eingesetzt. Gawein wird damit im Schwesternstreit zu seinem eigenen Gegner.823 Die Begierde zwischen Gawein und Amurfina entfacht unversehens. Nachdem Gawein von einer Botin nach Serre geholt wurde, lieben sich Gawein und Amurfina prompt, ohne sich jemals gesehen zu haben. Der enorme Umfang der Schilderung des gegenseitigen Verlangens (CR 8072–8694) zeugt von seiner immensen Bedeutung für den daraus folgenden Gedächtnisverlust. Das beinahe übermäßig wirkende Aufgebot an gegenseitigem Begehren potenziert das Gewicht der Minnewirkung. Die bestehende beidseitige Fernminne (Jetwederz was gevangen. [CR 8118]) wird mit der ersten Begegnung sowohl hinsichtlich des Ausmaßes als auch der Beschreibung hypertroph gesteigert: 823 Störmer-Caysa, Uta: Liebesfreude, Tod und andere Nebenfiguren. Probleme mit dem allegorischen Verständnis der Krone Heinrichs von dem Türlin. In: Löser, Freimut / Päsler, Ralf G. (Hrsg.): Vom vielfachen Schriftsinn im Mittelalter. Festschrift für Dietrich Schmidtke. Hamburg 2005, S. 521–541 schlägt eine durchweg allegorische Lesart des Schwesternstreites vor, innerhalb derer sich die auf der litteralen Ebene ergebenden Unstimmigkeiten auflösten. Die mit den sprechenden Namen ausgestatteten Schwestern Hoheminne und Liebesfreude würden einen Streit um Liebesvorstellungen ausfechten und keinen Erbstreit.

5.4 Amour fou

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Di beider hertz vulten Mit also süezem waze, Des süez nieman maze. (CR 8359ff.)

Wie die Minnewirkung zwischen beiden so ist auch die überbordende Beschreibung dieses aufkommenden Begehrens exorbitant intensiviert. JILLINGS hat diese Hyperbolik als „satirical inflation“824 bewertet. Von der auf einem Zauberbett thronenden Amurfina wird Gawein zusätzlich ein Treueschwur abverlangt und anschließend ein Zaubertrank verabreicht, um das gegenseitige Begehren in allen möglichen Erscheinungsformen zu fundieren.825 Der dem Handlungsmuster ‚Identitätskrise‘ zugehörige Konflikt von Ritterschaft und minne wird darüber hinaus einerseits durch die zur Beschreibung des gegenseitigen Begehrens eingesetzte Metaphorik der Minnegefangenschaft und des Kampfes ausgestellt. Dass der Amurfina geltende Treueschwur andererseits überdies von einem Schwert abgewonnen wird, akzentuiert die grundlegenden Parameter des Konflikts von minne und Ritterschaft abermals. In dem Moment, in dem Gawein seinem Verlangen nachgibt und Amurfina in ihrer ersten gemeinsamen Nacht berührt, gleitet ein über dem Bett hängendes Schwert aus seiner Scheide und umgürtet Gawein in seiner Körpermitte wie ein Reif (vgl. CR 8577).826 Die Schlinge zieht sich so fest zu, dass Gawein beinahe ohnmächtig wird, bis er im Glauben zu sterben seine Treue gegenüber Amurfina ausspricht.827 Der Treueschwur, der in Form des Schwertes abverlangt wird, übersetzt den dem Handlungsmuster inhärenten auslösenden Konflikt von minne und Ritterschaft damit ins Bild. Die Logik des Konflikts von minne und Ritterschaft, die im Iwein Auslöser ist und in den anderen Erzählungen, die das Handlungsmuster beinhalten, ebenso greifbar wird, ist in der Crône über alle Maßen gesteigert. 828 Mit Amurfina werden alle möglichen Geschütze

824 Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 65. 825 Anders Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 252, der meint, Gawein sei nur auf ein erotisches Abenteuer aus, der Schwur sei damit nur Ausweg. Ähnlich auch Zatloukal, Klaus: Gedanken über den Gedanken. Der reflektierende Held in Heinrichs von dem Türlîn Crône. In: Krämer, Peter (Hrsg.): Die mittelalterliche Literatur in Kärnten, S. 293–316, S. 303 f., der die Verbindung mit Amurfina als zwanghaft bewertet. 826 Vgl. zu den Parallelen der Schwertprobe in anderen Texten Zach, Christine: Die Erzählmotive der Crône Heinrichs von dem Türlin und ihre altfranzösischen Quellen, S. 133 f. Vgl. auch Jillings, Lewis: Diu Crone of Heinrich von dem Türlein, S. 62 f. 827 Vgl. dazu Schnyder, Mireille: Die Angst vor der Ernüchterung, S. 200. Die Tugendprobe werde zu einer „Rhetorikprüfung“, in der Gawein auf traditionelle Sterbemetaphorik rekurriere. 828 Anders Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 248 ff., der Amurfina als „Zerrbild einer höfischen Minnedame“ (S. 248) und „femme fatale“ (S. 251) versteht, die Gewalt über Gawein ausübe. Die Amurfina gewidmete, ausführliche descriptio zeige sie allein als übermäßig schöne, aber nicht mit positiven Eigenschaften besetzte Figur. Vgl. zur Beschreibung

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

aufgefahren, um Gawein zu verheiraten – sprechender Name, Fernminne, die von Frau Minne bewirkte Minnegefangenschaft, Schönheitsbeschreibung Amurfinas, Treuerschwur sowie die hiervon bedingte Maßlosigkeit der Wirkkraft der minne. Im Zuge der Analyse der Episode um Wigalois’ Ohnmacht wurde bereits deutlich, dass die minne für das Handlungsmuster der Identitätskrise in irgendeiner Form ursächlicher Auslöser des Identitätskonfliktes ist. Die Konstellation, die die Crône diesbezüglich bietet, ist daher gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Im Hinblick auf das Handlungsmuster der Identitätskrise scheint vor allem die Wirkung der minne hyperbolisch in der Allegorie der Frau Minne gesteigert. Als Auslöser von Identitätskrisen gehört sie zu den konstitutiven Momenten des Selbstverlustes und ist auch in der Crône unverkennbar die Ursache. Der sprechende Name von Gaweins Geliebter Amurfina indiziert das Ideal der fin’ amor und macht damit die minne in persona zum Movens der folgenden Handlung. Seine durchweg lateinische Deklination, auf die KRATZ hingewiesen hat, deutet dabei zugleich auf eine gewiss weniger offenkundige amor finit hin.829 In dieser latinisierten Lesart des sprechenden Namens könnte das im Namen enthaltene ‚fina‘ auf das Verb ‚finire‘ Bezug nehmen, das ‚begrenzen‘ oder ‚in Grenzen festsetzen‘ bzw. ‚einschließen‘ heißt. Diese Lesart konvergierte jedenfalls mit der Wirkung, die von Amurfina ausgeht, und die mittels der der Minneallegorie überantworteten Gefangenschaft versinnbildlicht ist.

von Amurfina Pastré, Jean Marc: Das Porträt der Amurfina in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Classen, Albrecht (Hrsg.): Von Otfried von Weißenburg bis zum 15. Jahrhundert. Proceedings from the 24th International Congress on Medieval Studies, May 4–7, 1989. Göppingen 1991 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik 539), S. 89–102. Pastré konstatiert eine Zweideutigkeit von Amurfinas Natur, die sich in der Zweideutigkeit ihrer Beschreibung widerspiegele. Vgl. zum Vergleich mit dem Parisurteil innerhalb der Beschreibung von Amurfina Vollmann, Justin: Die doppelte Präsenz des Mythos am Artushof, S. 82–85. Vgl. zu den Märchenmotiven Wagner-Harken, Annegret: Märchenelemente und ihre Funktion in der Crône Heinrichs von dem Türlin, insbes. S. 274–279, die weder Minnetrank noch Zauberschwert als Märchenmotiv versteht. Einen Vergleich der Episode mit dem mittelniederländischen Roman von Walewein bietet Voorwinden, Norbert: Der mittelniederländische Roman van Walewein und Die Krone Heinrichs von dem Türlin. Parallelen zwischen zwei unkonventionellen Artusepen. In: Klein, Dorothea (Hrsg.): Vom Verstehen deutscher Texte des Mittelalters aus der europäischen Kultur. Hommage à Elisabeth Schmid. Würzburg 2011 (= Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 35), S. 345–358, zu Amurfina S. 352–354. 829 Vgl. Kratz, Bernd: Die Geschichte vom Maultier ohne Zaum, S. 239 f. Vgl. auch Reinitzer, Heimo: Zur Erzählfunktion der Crône Heinrichs von dem Türlin. Über literarische Exempelfiguren. In: Ebenbauer, Alfred / Knapp, Fritz Peter / Strasser, Ingrid (Hrsg.): Österreichische Literatur zur Zeit der Babenberger, S. 177–196, S. 190, der den sprechenden Namen als Auseinandersetzung mit Wolframs Condwiramurs versteht und Amurfina als Art „Anti-Condwiramurs“ deutet.

5.4 Amour fou

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Gawein ist dementsprechend schon von Amurfinas Wirkung gefesselt, bevor er den Trank zu sich nimmt. Dennoch wird zusätzlich der slaftrinchen (CR 8469) gereicht, der Gaweins Gedächtnisverlust nur indirekt verursacht und abermalig die Liebe zwischen den beiden bestärkt: Da von Gawein in groz not Kam, als er ez getranch, Wan sein leip vnd gedanch Wart im vil gar vercheret Vnd so hertzenlich geseret, Daz im alsölhe wunden Niht alle arzt chvnden Geheiln mit ertznei, Ezn tæt sin amey, Amvrfina, div schone, Die im vrou Minne ze lone Gehiez vnd stæt swuor Vür ir swester Sgoydamuor: Div moht in wol geheilen. (CR 8472ff.)

Über den Schlaftrank wird hier zwar gesagt, dass er sein leip vnd gedanch ins Gegenteil verkehrt, damit ist aber nicht direkt das Vergessen seiner Identität gemeint, sondern vielmehr die im direkten Anschluss formulierte sinnbildliche Verwundung seines Herzens durch die minne. Die hiermit beschriebene Wirkung verursacht von Neuem ein Minnebegehren, das die bereits mit der Fernminne und der bei der ersten Begegnung aufkommenden Liebe abermals potenziert.830 Nachdem Gawein den Treueschwur geleistet hat, wird die Trankwirkung wiederholt konkretisiert: Nv muost er aber gereise Vrowen Minnen sein sunder danc, Als er daz posavn getranc, Daz im schenket Aclamet, Wan ez in der sinne ane tet. (CR 8636ff.)

Der Schlaftrunk wird zum posavn und Frau Minne damit zur Verursacherin für den Verlust der sinne. Schon im Iwein wird minne mit Vergiftung parallelisiert (vgl. IW 3403 f.) und auch hier wird die Verbindung von Vrowen Minnen über

830 Vgl. dazu Wagner-Harken, Annegret: Märchenelemente und ihre Funktion in der Crône Heinrichs von dem Türlin, S. 340 f. Minne sei in der Crône zu einer „nebensächlichen Feenminne herabgesunken“ (S. 342). Der Minnetrank diene erzähltechnisch hauptsächlich dazu, Gawein als chevalier errant herauszustellen und ihn auch nach der Heirat mit Amurfina als Ritter agieren zu lassen.

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

daz posavn zum Verlust der sinne eindeutig hergestellt. Der Trank bewirkt, so heißt es weiter: Er muost minnen oder den tot Da von zehant kiesen Oder den sin da von verliesen: Der dreir muost einz wesen. (CR 8654ff.)

Bei Amurfina zeigt der Trank keine Wirkung, Gawein hingegen liebt und verliert hierbei seinen Verstand: Er gwan ir minne vnd vlos den sin. (CR 8689) Der Verlust des Verstandes geht offenbar mit dem Aufkommen von minne unweigerlich einher. Diese Verbindung wird ausdrücklich abermalig exponiert: […] von vrowen Minne / Beroubet allr sinne. (CR 8829 f.) Frau Minne wird hier als Verantwortliche für den Verlust von sin geradezu überstilisiert. Zunächst besiegt sie Gawein sinnbildlich im Kampf und wird damit zu seiner Gegnerin, welcher der sonst siegreiche Ritter im Kampf unterlegen ist: Jch wæn, ez vrowe Minne tuot, Div manigem an hat gesiget, Daz er von ir toter liget. Div het in vnderneiget. Jm wart von ir erzeiget, Wie si gesige, so si vaht. (CR 8102ff.)

Gawein unterliegt ihr im Kampf und büßt damit schon sinnbildlich seine ritterliche Kampfeskraft ein, die er anschließend auch realiter verliert. Ihm werden hierfür jedoch nicht äußerliche ritterliche Attribute abgenommen, wie Rüstung oder Schwert, Gawein verliert stattdessen seinen Namen und mit diesem seine Ritteridentität. Er muss vergessen, wer er ist, um eine Liebesverbindung einzugehen und verliert damit alles, was ihn als Ritter auszeichnet: Da von er die sinne da Als endeleich verlos, Daz er vil gar sinnelos Sich selben niht bechande […] Er het sein so vergezen gar, Daz er sein eigenen nam Weder bechant noch vernam Noch enwest, wer er selbe was. (CR 8663–8676)

Gawein kennt und erkennt sich selbst nicht mehr. Damit auch seiner figuralen Geschichte verlustig, ist Gawein der an diese Geschichte gebundene Sinngehalt abhandengekommen, den die Figur über ihre Stellung am Artushof erhält.

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Gawein hat vergessen, dass er Artusritter ist und verliert damit auch seine Qualitäten als Ritter. Das hat Folgen für das gesamte Artusritterum: Dirre wandelvnge geschiht, / Die muost riters nam bechlagen. (CR 8681 f.) Der Gawein, dem keine Gefahr zu groß ist und der der Inbegriff von Tapferkeit ist, ist worden wirt (CR 8734, auch 8632 f.).831 Damit hat auch die aventiure prinzipiell ihren Sinngehalt verloren: Der nv suochet auentivr, Seit minne ir tiostivr Hern Gawein enpholhen hat, Nv mak her pover parat Wol di straz powen. (CR 8795ff.)

Seine passive Stellung wird mit Artus’ Position gleichgesetzt und damit werden Gawein und Artus nebeneinandergestellt. Als ander Artvs (CR 8741) übernimmt Gawein Artus’ Amt; er empfängt Gäste auf der Burg, ist gastfreundlich und freigiebig (vgl. CR 8739 ff.). aventiure aber bleibt an den aktiv das Artusrittertum vertretenden Gawein gebunden und verdirbt mit dem Verlust seiner Identität als Artusritter. Damit wird das Konzept ‚Artushof‘ wesentlich abhängig von Gaweins Erinnerung gemacht, was Gaweins Stellung für den funktionierenden Artushof exponiert, der offenbar mehr von Gawein als von Artus abhängt. Wenn Gawein sich wie Artus verhält, ist zwar eine Störung erzeugt, da Artus die passive Rolle des am Hof ansässigen und Gawein für gewöhnlich diejenige des das Artusrittertum aktiv verkörpernden Ritters inne hat. Vor dem Horizont einer an die Figuren gebundenen Handlungserwartung erzeugt Gaweins Passivität zu diesem Zeitpunkt einen Bruch. Dieser aber ist nicht das Resultat einer Handlung, die zu einer Unhandlung wird, da die Handlung den Schein einer gelingenden Handlung aufrecht erhält und zugleich sich zur Handlungsintention konträr verhält. Der Vergleich des passiven Gawein mit Artus stellt zwar Ungleiches nebeneinander, erzeugt aber keine Komik als Ergebnis einer in metonymischer Lesung verursachten Unhandlung. Das zeigt sogleich beispielhaft, dass ein Erwartungsbruch nicht zwingend Komik erzeugt. Komik ist nur dann das Resultat von Erwartungsbrüchen, wenn gleichzeitig der Schein der gelingenden erwarteten Handlung aufrecht erhalten wird.

831 Shockey, Gary C.: Homo viator, Katabasis and Landscapes, S. 200 versteht das als „the establishment of a rival kingdom and crown to Artur’s Karidol – an affront to Arthurian reht and staete, and a challenge to basic chivalric notions of triuwe and mâze“. Weil Amurfina Gawein mittels des Minnetranks an sich binde, fungiere sie als „creator […] of Gawein’s kingdom“ (S. 202).

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Im Gegensatz zu Erec, der sich im Wissen um die Vernachlässigung seiner ritterlichen Pflichten verligt, kann Gawein nicht erkennen, dass seine Untätigkeit sich widersprüchlich zu seiner Aufgabe verhält.832 Der mit dem Trank einhergehende Gedächtnisverlust mit gleichzeitigem Minnebegehren entschuldigt somit gewissermaßen Gaweins verligen: Also was er in dem lande Bei der vrowen verlegen, Daz er lie gar vnder wegen, Des riters name solte phlegen. (CR 8730ff.)

Gawein weiß nicht, wer er ist, und weiß nicht, was es heißt, Ritter zu sein. Mit seinem Namen – […] nanten in von der Serren. / Niemen hiez in Gawein (CR 8720 f.) – verliert er auch riters name. Geht der Gedächtnisverlust gemeinhin mit dem Verlust von Kleidung und Rüstung einher, verliert Gawein sein Gedächtnis und damit seinen Namen. Damit ist aber in der Crône die Reihenfolge umgekehrt: Wo z. B. Iwein und Wigalois ihre äußeren ritterlichen Anzeichen ablegen bzw. verlieren und im Anschluss ihre, von diesen Zeichen maßgeblich abhängenden Identitäten infrage stellen, verliert Gawein seine Erinnerung als existenzielle Voraussetzung für seine Identität und als Folge seinen Namen. Mit dem neuen Namen passt sich Gawein seiner Umgebung an und wird zum Landesherrn von Serre. Verwildern die Helden für gewöhnlich äußerlich und zeigen auf diese Weise eine Veränderung an, verändert sich mit dem Namen Gaweins Erinnerung und er glaubt, er sei seit jeher Landesherr in Serre gewesen: Nv was er sinnes also ein, Daz er si wand erchennen, Als er si hort nennen, Vnd wand si ie han gesehen. (CR 8722ff.)

Als äußerliches Zeichen fungiert hier der Name, mit dessen Verlust Gawein auch sein ritterliches Attribut verliert.833 Wigalois entbehrt mit seiner Rüstung sein ritterliches Merkmal, Gaweins Artusritterschaft ist unmittelbar an seinen Namen und die mit diesem assoziierten Taten gebunden: Swaz er ie vaht vnd streit, / Des hat er nv vergezzen. (CR 8804 f.) Schon MÜLLER resümiert diesbezüglich: „‚Sich

832 Stein, Peter: Integration – Variation – Destruktion, S. 77 bewertet den Verweis als rein äußerliche Anknüpfung. 833 So auch schon bei Schmid, Elisabeth: Familiengeschichten und Heilsmythologie. Die Verwandschaftsstrukturen in den französischen und deutschen Gralromanen des 12. und 13. Jahrhunderts. Tübingen 1986 (= Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 211), S. 215.

5.4 Amour fou

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selbst nicht kennen‘ (vgl. V. 8729) heißt ‚sich selbst als Ritter nicht kennen‘.“834 Der Verlust der Erinnerung an seine Ritteridentität verursacht hier den Verlust des Ritterdaseins. Gawein verliert also zuerst seine Erinnerung und dann das dazugehörige ritterliche Attribut seines Namens. Nicht der Verlust des Attributs ist Ursache für den Gedächtnisverlust, sondern der Gedächtnisverlust wird zum Anlass für Gaweins Namensverlust und den damit einhergehenden passiven Zustand. Um aber des Namens verlustig zu werden, an den Gaweins Ritteridentität konstitutiv geknüpft ist, braucht es die hyperbolische Vereinigung von Frau Minne, Amurfina und Zaubertrank. Gaweins Erinnerung wird von einem Gegenstand angestoßen, dem sein Name und ein Ausschnitt aus seiner Ritteridentität in Bild und Schrift eingeschrieben sind: Auf der schüzzel was ergraben Von zwein ritern ein streit Vnd beider namen svnder neit Auf si beid geschriben. Der riter einr was beliben Vom andern nah sigelos, Vntz er im da ze helf kos Ein wazzer, dar er in geweich, Do im sein chraft gar gesweich. Dar vmb also geschriben was: Vor Gawein vil choum genas Von der Serre Laniure, So er da ze Torrivre Suocht aventiure. (CR 8853ff.)

Auf der Schüssel ist dargestellt, wie Gawein Amurfinas Vater im Furtkampf besiegt.835 Amurfina zeigt sie, um mittels der auf der Schüssel dargestellten Rittertat Gawein als geeigneten Landesherren zu präsentieren.836 Dass Gawein Amurfinas

834 Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 312. Ähnlich auch bei Schmid, Elisabeth: Familiengeschichten und Heilsmythologie, S. 216. 835 Es überrascht, dass das Gefecht von Gawein und Amurfinas Vater ausgerechnet als Furtkampf stattgefunden hat. Das legt eine Verbindung zum Furtkampf von Artus und Gasoein nahe. Dort schien Gawein als Gegner von Artus jedenfalls mit Blick auf De ortu Waluuanii in Gasoein vergegenwärtigt. Eine Analogie von Artus und Amurfinas Vater scheint dann auf, wenn Gawein in der Position des Landesherrn zum ander Artvs wird. Diese Deutung lässt sich zwar nicht weiter bekräftigen, das verbindende Element des Furtkampfs scheint jedoch nicht zufällig arrangiert. 836 Vgl. dazu Schmid, Elisabeth: Familiengeschichten und Heilsmythologie, S. 205–225, die die Schüssel als Verbindung zum Gralgefäß versteht. Amurfina veranstalte ein „säkularisierte[s]

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5 Gegenprobe: Die Komik der Crône

Vater überlegen war, bezeugt seine ritterlichen Fähigkeiten. Geradewegs diese in Bild und Schrift vergegenwärtigte Erinnerung an Gaweins Sieg über den Vater soll seine Rechtmäßigkeit als Landesherr verbürgen, obschon Gawein selbst die Erinnerung hieran verloren hat. Er hat seine Erinnerung zugunsten der minne eingebüßt, die in Amurfina personifiziert ist. Sie selbst setzt schließlich die Erinnerung an Gweins Tat als Mittel ein, um seine Landesherrschaft zu legitimieren. Gawein hat die Erinnung verloren, zugleich aber verbürgt die Erinnung an das Vergessene seinen derzeitigen Status. Damit ist ein Paradoxon erzeugt, das Erinnern und Vergessen ebenso ineinandermontiert wie aktive und passive Rollen: Die nicht mehr erinnerte Rittertat legitimiert seine passive Position als Landesherr. Auf dem auf der Schüssel eingravierten Bild stehen sich die hierbei von Gawein verkörperte aktive und die von Laniure als Landesherr repräsentierte passive Rolle direkt gegenüber. Die Schüssel steht für Gaweins illustre Kampfeskraft, die aber zum Zeitpunkt der Erinnerung an sie stillgestellt ist. Amurfina setzt die Schüssel als Erinnerungsmoment für Gaweins ritterliche Tatkraft ein, deren Stillstand sie selbst verursacht. Der Kunstgegenstand als Träger von Geschichte begegnet im Text bereits in Form des Wandteppichs am Artushof.837 Wie dieser wird die goldene Schüssel zum Träger von Geschichte, die in Gaweins Fall Vergangenes abbildet und in Wort, Schrift und Bild seine Existenz als tatkräftiger Ritter bestätigt.838 Amurfina lässt die

Gralritual“ (S. 219) wenn sie die Schüssel herumreiche. Schnyder, Mireille: Die Angst vor der Ernüchterung, S. 202 versteht den auf der Schüssel dargestellten Kampf als singulären Verweis, der zwar Teil von Gaweins Geschichte sei, aber dennoch nur seinen Herrschaftsanspruch legitimiere. Entscheidend für Gaweins Erinnung sind aber daneben ebenso die im Erinnerungsprozess rekapitulierten Taten. 837 Vgl. Wandhoff, Haiko: Ekphrasis, S. 273–283. Er sieht das Vorbild für Gaweins Selbsterkenntnis, die durch ein visuelles Bilddenkmal augelöst wird, in Vergils Aeneis (vgl. S. 277 f.). Wandhoff stellt darüber hinaus weitere Analogien zwischen Gawein und Amurfina und Aeneas und Dido her. Die Ekphrasis der Schüssel verweise somit zurück auf die Ekphrasis des Wandteppichs. Die darauf dargestellten Liebespaare erschienen rückblickend modellhaft für die im ersten Romanteil verhandelten Liebesbeziehungen. Vgl. auch ders.: Gemalte Erinnerung. Vergils Aeneis und die Troja-Bilddenkmäler in der deutschen Artusepik. In: Poetica 28 (1996), S. 66–96. Wandhoff stellt hier heraus, dass mit der Schüssel ein „Historisierungseffekt“ erzeugt würde, der „eine arthurische Gründungs-Vorzeit aktualisiert“ (S. 86). Vgl. zum Wandteppich auch Kern, Manfred: Edle Tropfen vom Helikon. Zur Anspielungsrezeption der antiken Mythologie in der deutschen höfischen Lyrik und Epik. Amsterdam [u. a.] 1998 (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 135), S. 305 f. 838 Vgl. dazu auch jüngst Rhinisperger, Selena: Erzählend erinnern. Erzählen als performativer Akt in der Crône Heinrichs von dem Türlin. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 60 (2019), S. 63–85, die zeigt, wie hier zugleich das Erzählen selbst sowohl auf der Ebene der erzählen Welt wie auch auf Rezipientenebene thematisch wird (vgl. S. 73).

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Geschichte zusätzlich erzählen und über die Schüssel verbürgen und stellt Gawein dabei mit seinem Namen vor, der an die auf der Schüssel dargestellte ritterliche Tat gekoppelt ist: Do wart in gezeiget der ein / Vnd genant, er hiez Gawein[.] (CR 8922 f.) Obwohl Gawein seinen Namen selbst nicht mehr erinnert, erinnert Amurfina an Gaweins vorherige Position als Artusritter und benennt diese mit seinem Namen. Das zusätzlich zur illustrativen Darstellung auf der Schüssel erfolgende Erzählen der Geschichte bietet diese in einer weiteren medialen Form dar, entbindet sie vom Gegenstand und macht sie damit zum Teil der erzählten Handlung: Als si auf den tisch getragen wart, Div vrowe durch ir hochvart Hiez si von tisch ze tische tragen Vnd hiez den rittern allen sagen Besunder ditz mære (CR 8906ff.)

Neben der in Bildern eingravierten Erzählung ist auf der Schüssel ein Spruchband abgebildet, auf dem die in Bildern und mündlich erzählte Geschichte wiederum geschriben bestätigt wird. Die Schrift wird dann zum Auslöser von Gaweins Erinnerung. Beim Betrachten der Schüssel kann er die Schrift lesen, sie aber nicht mit der Erzählung in Verbindung bringen: Vil ofte si Gawein an sach Vnd marht, waz div schrift sprach. Er verstuont aber der rede niht, Nuor daz er die geschiht Wol marht von den bilden (CR 8936ff.)

Gawein liest die Schrift, vollzieht das Gehörte anhand der Bilder nach und fasst beim Betrachten von Schrift und Bild klaren Verstand. Wieder fungiert der Name als Erinnerungszeichen, der Erinnerungsprozess erfolgt über das Lesen seines Namens: Den streit sah er so lang an, Vntz er sich do so vil versan, Daz er seinen namen las Vnd gedaht: ‚Der selb ich, wæn, was, Der also was genant. (CR 8945ff.)

Gaweins Identitätsverlust ist insoweit mit anderen Umsetzungen des Motivs vergleichbar, als zunächst allen Helden ihr Status als Ritter abhanden kommt, ursächlich ausgelöst durch minne. Die von Amurfina ausgehende, wenn auch hyperbolisch gesteigerte Minnewirkung gleicht substanziell der im Iwein explizit zur Ursache erklärten Frau Minne und der im Wolfdietrich sich mit der in Sigeminne verwandelnden rauhen Else personifizierten Minne als Anlass für den Identitäts-

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verlust. Den Helden kommt hierdurch ihre Kampfeskraft abhanden, wie auch Gawein sie einbüßt und im Gegenzug Amurfinas Zuneigung gewinnt. Gegenüber der Fischersfrau, die im Wigalois in diesem Punkt als Störelement fungiert und die minne als Auslöser zwar vorspiegelt, aber nicht erfüllt, ist aber mit Amurfina der grundlegende Anlass für den Verlust gegeben und in seiner enormen Steigerung exponiert. Da Amurfina Gawein jedoch mit seiner Erinnerung seine Ritteridentität stiehlt, die nicht mittels äußerer Merkmale vergegenständlicht, sondern allein an seinen Namen gebunden ist, wird Gaweins Erinnerungsprozess nicht von einem Gegenstand angeregt, welcher die Diskrepanz von äußerer Erscheinung und zweifelhafter Gewissheit über die Identität austariert, sondern der ein Ungleichgewicht von Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung verursacht. Gawein verliert sein Gedächtnis und glaubt sich als langjähriger Landesherr von Serre, Amurfina aber erinnert mit der Schüssel und der hierauf erzählten Geschichte an seine Existenz als Artusritter Gawein und löst damit jene Diskrepanz aus, die Gawein beim Betrachten der Schüssel wahrnimmt. Dabei erfolgt die Wiedererlangung der Erinnerung mit der Wahrnehmung der Konformität von Name und Figur, die anschließend zunächst infrage gestellt wird, um sie erst im Anschluss wiederzuerlangen. Gawein glaubt, sich in der Geschichte selbst zu erkennen, weist diese Erkenntnis aber wieder zurück und glaubt sich als Gefährte seiner selbst: Jch pin leiht eteswenne, Daz ich in so wol bechenne, Gewesen sein geselle. (CR 8957ff.)

Erst diese Zurückweisung des Erkennens ermöglicht die eigentliche Infragestellung seiner Identität. Der Gedankenbericht (vgl. CR 8948–8979) wird in einen inneren Monolog überführt, der mit der konstitutiven Selbstansprache eingeleitet ist, die schon in den beiden vorausgehenden Artusromanen den Beginn der Monolgsequenz markiert: Also sprach er wider sich: ‚Wie heiz ich, oder wer bin ich, Oder wannen bin ich chomen her? Nv bechent mich doch eteswer, Der mich e gesehen hat.[‘] (CR 8980ff.)

Dabei nennt er sich nicht beim Namen, wie Iwein und Wigalois, sondern fragt nach diesem, dessen er verlustig ist. Hier verbürgt demzufolge nicht der Name die Erinnerung, sondern die Rittertaten, die er im vorangehenden Gedankenbericht als die eines Gefährten rekapituliert und dabei über sich in der dritten Person spricht. Der Traumverdacht wird als Übergang zum inneren Monolog eingeschoben und verdächtigt sein Beisein als Gefährte bei diesen erinnerten Taten des Traums:

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[‚]Ob ez mir niht getrovmet ist, Jch sah in in kurtzer vrist, Swaz nu sei sein mitwist.‘ (CR 8977ff.)

Ausgehend hiervon erinnert er diese und weitere ritterliche Taten anschließend im inneren Monolog als seine eigenen (vgl. CR 8985–9044): [‚]Je her in meinen iaren Bin ich gevarn riters weis Vnd het vor allen den preis Den da ze tavelrunde Jr tugend der stat gunde Bei dem chünig Artvse.[‘] (CR 8991ff.)

Im Moment der Selbstansprache konvergieren die Taten der erzählten mit denjenigen der eigenen Geschichte. Gekennzeichnet durch den Wechsel zum inneren Monolog und damit zur ersten grammatischen Person nimmt sich Gawein als der Inhaber der erzählten Geschichte wahr und findet im Prozess des sich selbst die eigenen Taten Erzählens seinen Namen wieder:839 Do daz allez ergiench, / Do, wæn, ich Gawein hiez. (CR 9045 f.) Bezogen sich die erinnerten Taten der Gedankenrede noch auf allgemeine ritterliche Tätigkeiten wie turnieren, auf aventiure reiten und in Not geratene Frauen retten, rekapituliert der innere Monolog dezidiert die an die Figur selbst gebundenen Taten, die teilweise erst im folgenden Handlungsverlauf geschildert werden. All diese Taten werden nahezu ausnahmslos dem sprechenden Subjekt zugeordnet. Die wiederholte Stellung des Subjekts am Satzanfang exponiert diese Veränderung. Die Rekapitulation der Ereignisse erfolgt nicht weiterhin als Zuschreibung der Taten an das Objekt, sondern die Taten werden dem sie rekapitulierenden Subjekt zugeschrieben: [‚] Jch behielt vrowen Janpph yen Jr erbe wider ir swester. Jch sluog von Clintester Den risen Chalangelle. Jch lost von der kelle Mit zweinzich ritern Lohonis. Jch rach die vrowen Andochlys, Der Jasin ir vrivnt sluog. Jch half Zazant, do in truog Ein wurm gegen seinem hol. Jch ranch da zEigangsol

839 Schon Müller, Jan-Dirk: Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 314 merkt an, dass mit dem Wechsel des grammatischen Subjekts eine Zäsur markiert werde.

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Mit der wilden Macleide. Ysazanz, der schœnen meide, Half ich von Anfroyhin, Do er si e wolde vüeren hin. Jch brach zouber da ze Chladet […] Jch sluoch ze Bleymaradarf Saranden, den valant, Der die svnne bei dem mer slant. Jch schuof des prunnen mangen trunc, Da von man muoz wesen ivnc, Jn dem garten ze Yedochel.[‘] (CR 9001–9036; Herv. d. V.)

Am Ende des Monologs fallen der zuerst objektiv als Gefährte wahrgenommene Gawein und dessen subjektiv empfundene Geschichte zusammen: Ob ich ez Gawein pin (CR 9049). Die Häufung der ersten personalpronominalen Form erinnert an dieselbe im Erwachensmonolog Iweins. Auch dort vollzieht der Protagonist sein vermeintlich vom Traum suggeriertes früheres Leben als Ritter in ähnlicher Weise nach. Iwein und auch Wigalois aber erinnern sich beide an ihre Namen, leiten ihre Monologe jeweils mit der Nennung desselben ein und distanzieren sich dann von der an diesen Namen gebundenen Geschichte. Iwein, indem er sie als Traum rekapituliert, Wigalois, indem er sie aufgrund seines nackten Äußeren für nichtig erklärt. Für beide ist die mit dem Namen verbundene Geschichte der Grund für die wahrgenommene Diskrepanz. Diese entsteht auch für Gawein aus dem Namen und den diesem zugehörigen Taten, allerdings wird Gaweins Name zum äußerlichen verlorenen ritterlichen Attribut. Gawein muss demzufolge nicht wie Wigalois seine Rüstung samt Wappenzeichen und die hiervon abhängige Identität wiedererlangen, sondern seinen Namen, an den seine ritterliche Identität gebunden ist. Dafür sticht er sich mit einem Messer durch die Hand und wird hiervon wie aus dem Liebesbann erlöst, obgleich dies seine Beziehung zu Amurfina nicht auflöst.840 Einzig der Konflikt der Landesherrschaft und der übermäßig sich gestaltenden Anziehung zwischen Gawein und Amurfina wird gelöst. Damit aber sind keine Momente von Störung erzeugt, sondern lediglich die konstitutiven Merkmale des Handlungsmusters der Identitätskrise variiert, ohne kontrastiert zu werden. Anders als im Wigalois ist die minne hier der unzweifelhafte Auslöser für den Identitätsverlust. Die diesbezüglich eingesetzte

840 Vgl. dazu auch PZ 301,8 ff. In der Blutstropfenepisode erkennt Gawan, dass Parzivals Trancezustand von minne verursacht ist, weil er Ähnliches selbst erlebt habe: Gâwân was solher nœte al wîs: / er het se unsanfte erkant, / do er mit dem mezzer durh die hant / stach: des twang in minnen kraft / unt wert wîplîch geselleschaft.

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Hyperbolik intensiviert das Anlassmoment zwar, verkehrt es aber nicht oder spart es aus. In der Folge erlebt sich Gawein wie auch Iwein selbstentfremdet. Ist sich Wigalois an keiner Stelle wirklich fremd, sondern stellt die Widersprüchlichkeit von äußerer Erscheinung und erinnerter Geschichte fest, ist diese Geschichte Gawein abhandengekommen. Die Diskrepanz ist damit wie auch im Iwein Resultat von Selbstentfremdung; mehr noch wird die erinnerte Geschichte nicht aufgrund der aktuellen Situation, in der sich der Held befindet, zurückgewiesen, sondern stattdessen zurückerlangt. Gawein liest sich seine eigene Geschichte wieder an, erkennt den Namen, den er hört und liest, als seinen eigenen und ist schließlich wieder der Artusritter Gawein. Er vergewissert sich seines Zustands, indem er sich mit einem der beiden Messer aus der Schüssel durch die Hand sticht, und verlangt im Anschluss umgehend nach seiner Rüstung, um weiter zu ziehen und gegen Assiles zu kämpfen. Geschichte und Figur fallen wieder zusammen, wenn Gawein seinen Körper als fassbar innerhalb der Geschichte wahrnimmt.841 Iwein ist das herze dem lîbe ungelîch (vgl. IW 3575) und er kann mit der Kleidung seinen Körper wieder seiner inneren Gesinnung als Ritter angleichen. Mit dem Messerstich vollzieht Gawein eine analoge Zusammenführung von Körper bzw. Figur und Geschichte, insofern im Moment, in dem Gawein sich seines Körpers gewahr wird, der erlebte und der in Bild, Schrift und Erzählung veräußerlichte Körper übereinstimmen. Diese Diskrepanz bleibt für Wigalois rein äußerlich, er erlebt sie als äußeren Widerspruch, ist sich aber stets im Klaren darüber, wer er ist. Die von Iwein ebenso wahrgenommene Ungleichheit von Status und äußeren Anzeichen hat im Wigalois ein anderes Gewicht, weil der Held seine Geschichte nicht verloren hat. MÜLLER hat für Gaweins Identitätsverlust konstatiert, dass es hierbei „nicht um äußere Zeichen, sondern um Zuschreibungen der anderen“842 gehe. Das trifft insoweit zu, wie die Namensgebung ausschlaggebend für Gaweins Selbstwahrnehmung ist und Gawein sich als langjähriger Landesherr von Serre glaubt, weil ihm die anderen diese Rolle zuschreiben. Die Rekapitulation seiner Geschichte aber führt von einer von außen herangetragenen Zuschreibung zu

841 Baisch, Martin: Alterität und Selbstfremdheit. Zur Kritik eines zentralen Interpretationsparadigmas in der germanistischen Mediävistik. In: Ridder, Klaus / Patzold, Steffen (Hrsg.): Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität. Berlin 2013 (= Europa im Mittelalter 23), S. 185–206, hier S. 203 deutet Gaweins Selbstverletzung als „Markierung“ für die Erfahrung, die er bei Amurfina gemacht hat, er kehre als „Gezeichneter“ zurück. Schmid, Elisabeth: Familiengeschichten und Heilsmythologie, S. 219 deutet das Durchstechen der Hand als Teil des von Amurfina veranstalteten Gralrituals. Die Messer als Teil des das Ritual anleitenden Requisits wirkten, wie die Schüssel selbst, unmittelbar am Selbstfindungsprozess mit. 842 Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse, S. 245.

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ihrer Wiederaneignung durch die Figur. Die Zuschreibung von außen erfolgt aber gerade nicht durch die Gesellschaft, sondern wird über den Kunstgegenstand der Goldschüssel vorgenommen. Die diesem Gegenstand eingeschriebene Geschichte wird zusätzlich mündlich erzählt und damit der in Bild und Schrift wiedergegebenen Erzählung eine orale Fassung zur Seite gestellt. Gawein wird dadurch selbst zum Kunstprodukt, dessen Geschichte ausschließlich als Erzählung existiert. Seine Abhängigkeit von der an die Figur gebundenen Geschichte stellt ihn dabei als solches Kunstprodukt aus. Dass die Geschichte Gaweins dabei in schriftlicher, bildlicher und mündlicher Erscheinungsform vorgezeigt wird, exponiert sie in der Potenzierung als Produkt künstlerischen Schaffens. Indem Gawein die an ihn gebundenen Taten vergisst und diese rekapitulierend erinnert, wird er als literarische Figur erkennbar und deren künstlerische Gemachtheit thematisch gemacht und reflektiert. Gaweins Selbstvergessenheit dient der Bewusstmachung von Erzählung als Kunst. Bereits bei Gaweins Einführung ins Handlungsgeschehen in der Becherprobe wird ein Konnex von Figur und Kunstwerkcharakter hergestellt. Gawein wird als Teilnehmer der Becherprobe ins Handlungsgeschehen eingeführt. Im Hinblick auf die beiden Protagonisten des ersten Romanteils ist hierbei die Anordnung der Figur im Raum zentral, die Gawein Artus am Tisch gegenübersitzend zeigt: Uber di tavel saz ein degen Artvs dem chünig engegen, Daz was mein herr Gawein[.] (CR 1994ff.)

Signifikant wird das im Prolog mit Artus’ Sternzeichen eingeführte Zwillingsbild (vgl. CR 310 ff.) aufgegriffen und szenisch inszeniert.843 Im Sinne dieses Zwillingsbildes sitzen sich statisches Ideal und handelndes Pendant gegenüber und werden so in ein spiegelbildliches Verhältnis gesetzt, das sie Abbild und Gegenbild zugleich sein lässt. Die bildliche Anordnung selbst impliziert eine ebenbürtige Stellung beider Figuren, Gawein wird sinnbildhaft als Artus’ Zwilling inszeniert. Damit ist von Beginn an eine Figurendublette angelegt, die schon innerhalb der Gasoein-Handlung im Changieren zwischen dem an die jeweilige Figur gebundenen literarischen Handlungswissen zum Scheitern von Handlung führt.

843 Vgl. zur Inszenierung von Artus und Gawein in der Becherprobe auch Meyer, Matthias: Wie man zu seinen Protagonisten auf Distanz geht und ihnen dennoch Sympathie verschafft, S. 157 f. Beide würden „eindeutig als Ensemble eingeführt“ (S. 157). Während Artus nachfolgend demontiert werde, werde Gawein aufgebaut.

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Das Bild wird im Verlauf der Becherprobe nicht weiter ausgestaltet, scheint jedoch erneut auf, wenn Gawein bei Amurfina ist worden wirt (CR 8734) und Artus in persona samt typischer Eigenschaften gleich anmutet: Hie ist der ander Artvs, Der niemen niht versagen chan Vnd mit geleichem willen gan Dem armen vnd dem reichen Seins guotes wirtleichen Gar an afterriwe. (CR 8741ff.)

Gawein wird hier unmissverständlich zum ander Artvs erklärt, die räumliche Inszenierung der Becherprobe aufgegriffen und die beiden Figuren miteinander verschmolzen. Hatte schon die räumliche Anordnung implizit auf deren Einheit verwiesen, wird diese hiermit explizit vorgeführt. Die Becherprobe misslingt Gawein. Die hierfür vom Erzähler – Keie spottet einzig über Gawein nicht! – dargebotene Begründung ist, sowohl als solche als auch im Hinblick auf die Probe selbst, auffallend hermetisch. Die Menge des vergossenen Weins zeugt von der Geringfügigkeit des Makels: An im sah man deken / Vollez lop swachez mail[.] (CR 2027 f.) Dabei wird Gawein dennoch als zwiespältige Figur herausgestellt. Seiner großen Tugendhaftigkeit steht sein Weiberheldentum gegenüber (vgl. CR 1997 ff.). Anlass für Gaweins Misserfolg in der Probe ist Angeberei, die abermalig vom Erzähler marginalisierend als Ein so chlein missetat (CR 2039) bewertet wird, und die nicht genauer spezifiziert schillernd als übersprechen in schimphe (vgl. CR 2002 f., 2042) im Raum stehen bleibt.844 Mit einer abschließenden Anhäufung von Sentenzen und Sprichwör-

844 In welchem Zusammenhang die Verfehlung mit dem gemeinsamen Ausritt mit chünig (CR 2013) Artus (?) oder mit Iwein der lewe (CR 2012) steht, bleibt unklar: Wan daz er sich von weibe / Vber reht genaden vermaz. / Dar an er seinr wirde vergaz. / Daz doch in schimphe geschach, / Daz er sich so übersprach, / Do in gemeinr fauel / Die von der runtauel / Eins abendes gesazen, / Do si ze hove gazen / Vnd zalten in auentivre. / Daz galt er seit vil tivre / Dik an vil manger stat, / Daz er also missetrat, / Als im der lewe selbe seit, / Da er vnd der chünig reit/ Beide nah auentivr gewin, / Do er gesezen was auf in. (CR 1999 ff.) Es scheint so, als habe sie direkt keinen Einfluss als Verfehlung, die das Misslingen der Probe bestimmt. Stattdessen ist das übersprechen das eigentliche Vergehen: Daz dirre spruch überwach / So manik reich tugende[.] (CR 2042 f.) Anders Daiber, Andreas: Bekannte Helden in neuen Gewändern?, S. 186, der den Hinweis auf den Löwen als Anspielung auf Gaweins und Iweins Abreise nach dessen Hochzeit mit Laudine versteht und dementsprechend Gaweins „Mitschuld“ an Iweins Krise als das in der Probe getadelte Vergehen versteht. – Es wäre in Erwägung zu ziehen, ob mit dem Löwen nicht Iwein, sondern Gasoein gemeint ist, da dieser im Gerichtskampf gegen Artus den Löwen als Schildwappen führt (vgl. CR 10542 ff.). Allerdings wird das Wappenbild im Kampf zwischen Gawein und Gasoein gerade nicht erwähnt. Vgl. dazu auch Jillings, Lewis: The Abduction of Arthur’s Queen in Diu

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tern relativiert der Erzähler Ditz seltzan mære (CR 2031) um Gaweins Verfehlung, und flicht dort die augenfällige Vorstellung von Gawein als gemachtem Kunstwerk ein: Doch haben wir sein bilde, / Daz werc von lieht valwet. (CR 2048 f.) bilde in seiner doppelsinnigen Bedeutung zielt auf Beispielhaftigkeit ebenso wie auf den Kunstwerkcharakter ab und staffiert Gawein in seiner Beispielhaftigkeit sogleich als Kunstwerk aus. Die Figur wird demnach unverhohlen als Resultat künstlerischer Schöpfung exponiert. In der Reihe von Sentenzen und Sprichwörtern, die in nächster textlicher Umgebung allesamt dieselbe Aussageintention verfolgen, stechen diese beiden Verse besonders hervor, weil sie einzig nicht sprichwörtlichen oder sentenzhaften Charakters sind.845 Die in der Beispielhaftigkeit von Gawein aufscheinende Metapher vom Kunstwerk wird im darauffolgenden Vers schließlich verdinglicht als werc konkretisiert. Dass Gawein als Kunstwerk sich entfärbt, wenn es zu viel Licht ausgesetzt ist, lässt sich verstehen als Verblassen der Figur vor dem Hintergrund der (deutschen!)846 Erzähltradition, innerhalb derer Gawein der Platz des immer Zweiten zukommt. Gawein wird dort niemals statisch, sondern im Gegenteil als durchaus dynamische Figur gezeigt, die nichtsdestoweniger zugleich ein statisches Idealbild verkörpert. Innerhalb der deutschen Literatur bleibt Gawein als Ratgeber und Antagonist immer Zweiter. Gemäß der Logik der Becherprobe und der Sentenzen und Sprichwörter steht das lieht für Gaweins chlein missetat, die sein Versagen in der Probe verursacht. Sein Ruf als Frauenheld gehört konzeptionell zur Figur.847 Dass hier lieht als Sinnbild für einen Makel eingesetzt wird, erzeugt jedoch einen logischen Bruch, insofern das positiv besetzte Bild von Licht der negativen Konnotation von Makel zuwiderläuft. Der damit bewirkte Bruch in der Logik des Sinnbildes steht einer auf der bildlogischen Ebene wirksamen Logik entgegen, die das ‚Kunstwerk Gawein‘ vor seiner Musterbildhaftigkeit verblassen lässt.

Crône, S. 25 und 33, der das Wappenzeichen als Referenz auf Heinrichs Gönner versteht. Dagegen Hartmann, Heiko: Grundformen literarischer Heraldik im Mittelalter am Beispiel der Krone Heinrichs von dem Türlin, S. 37, der die Heraldik in der Crône als „primär n a r r a t i v motiviert“ und damit „f i k t i v [beide Herv. i. O.]“ erfasst. 845 Vgl. Eikelmann, Manfred / Tomasek, Tomas (Hrsg.): Handbuch der Sentenzen und Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts. Bd. 1, hier S. 326. Das Sprichwort und die Sentenzen sind dort paraphrasiert als „Das Kostbare verliert schon durch einen kleinen Makel an Wert.“ 846 Vgl. bspw. für die reiche Erzähltradition französischer Gaweinromane Schmolke-Hasselmann, Beate: Der arthurische Versroman von Chrestien bis Froissart. Zur Geschichte einer Gattung. Tübingen 1980 (= Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 177), S. 86–115 (Kap. 4 ‚Eine Idealfigur im Zwiespalt: Gauvain – Ritter oder Liebhaber). 847 Im Wigalois ist das aggressiv gesteigert: als ichz ofte hân vernomen: / eine maget wol getân / die greif er über ir willen an, / sô daz si weinde unde schrê. (WG 1510 ff.)

5.4 Amour fou

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Gawein ist Kunstwerk und erkennt sich daher auch innerhalb der Identitätskrise mithilfe eines Kunstgegenstands als Kunstwerk wieder.848 Dass Gawein als Figur schon in der Becherprobe vorrangig auf einer poetologischen Ebene als Pendant zu Artus und als ausgestelltes Produkt künstlerischer Schöpfung verhandelt wird, deutet darauf hin, dass das im Zuge des Identitätsverlusts bemühte Bild von Gawein als dem ander Artvs deren Unität als Protagonisten des ersten Romanteils erneut exponiert. Wie die vorangegangenen Analysen zeigen konnten, wirkt sich das bereits als Teil des polyfiguralen Spiels aus, das im Changieren der Rollen mit ihren jeweiligen Handlungsmustern auch Gegenüberstellungen von Artus und Gawein erzeugt. Das in der Becherprobe nur illustrativ angedeutete verdoppelte Protagonistentum wird im folgenden Romanfortgang zunehmend verstärkt und kulminiert – nachdem Gawein längst zum alleinigen Protagonisten des zweiten Romanteils geworden ist – in Artus’ Vorschlag, ihn bei der Rückgewinnung der Kleinodien zu begleiten. Wo Gawein eine von ihm unabhängige Existenz des Artushofs betont (vgl. CR 25592–25624), unterstreicht Artus die grundsätzliche Abhängigkeit von Gawein: Jch enwil nymmer one jne / Freuden pflegen, ob ich bin. (CR 25805) Gawein klärt Artus sodann über seine Rolle auf und macht deutlich, dass es sich als Artus nicht geziemt, sich aktiv ritterlich zu betätigen Gawein vor jne allen sprach: ‚Artvs, kùnig vnd herre! Wie habent ir so verre Vergessen uwer ere, […] Das ir woltent sùchen die land, Als ein scheuelir errand[.‘] (CR 25827–25837)

Gawein behält sich die Rolle des chevalier errant vor und stellt damit auch im Nachhinein Artus’ Handeln in der Gasoein-Handlung bloß, in der dieser zwanghaft versucht hatte, selbst als Artusritter zu kämpfen und bis zum Ende sieglos geblieben ist. Nachdem Gasoein Assiles besiegt hat und Floys ihm hierfür die Landesherrschaft anbietet, schlägt Gawein das Angebot aus und erklärt, dass das seiner Rolle nicht entspreche: Ern möht niht reiches phlegen / Vnd wolt sich so niht han verlegen (CR 10106 f.) Aus dieser Perspektive erscheint auch der Identitätsverlust als Teilstück des polyfiguralen Spiels, das zu Beginn des Romans intensiv ausgestaltet ist und mit Gaweins Übernahme der Protagonistenrolle erst

848 Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse, S. 250 hat hierin einen Versuch gesehen, die „personale Basis von Identität zu profilieren“, um herauszustellen, dass die „kontingente, einzelmenschliche Identität leer ist, wenn nicht kollektive Bilder von Identität sie füllen“.

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allmählich abnimmt. Das in der Gasoein-Handlung kontinuierlich erzeugte Scheitern von Handlung erzeugt Komik, die im Spiel um die an Figuren gebundene Handlungsmuster Raum schafft für das den Roman durchziehende Spiel um den Status von Gaweins Rolle für den Artushof und zugleich den Artusroman. Hierzu gehört auch der Doppelgänger Aamanz und die beinahe tragikomische Trauer am Artushof um den vermeintlich toten Gawein. Im ersten Romanteil wird Artus’ Rolle als Ehemann und Ritter problematisiert, während Gawein als inniger Liebhaber Amurfinas und zugleich ander Artvs auftritt. Das in diese Konstellation einmontierte Motiv der Identitätskrise ermöglicht, Gawein in seiner Passivität als tatkräftigen Vertreter des Artusritterums zu profilieren – die innerhalb der Gedankenrede und im inneren Monolog als erinnerte Taten aufscheinen – gegenüber Artus, dem als passivem Pendant der Versuch, sich aktiv als Artusritter zu bewähren, missglückt. Gaweins Beziehung zu Amurfina, die am Ende mit einer Heirat beschlossen und in den Artushof integriert wird – um auf EBENBAUERS Frage Bezug zu nehmen – ist Teil des romanübergreifenden polyfiguralen Spiels. Aus Gaweins Ehe resultiert daher gerade nicht eine „‚Zellteilung‘ des Artushofs“849, sondern mit ihr wird vorgeführt, dass Gawein und Artus eine unmittelbare Einheit bilden. Der Kunstwerkcharakter der Figur hebt dabei die mit der Rolle verknüpfte Identität als aktiver Doppelgänger des passiven Pendants heraus. Artus und Gawein werden hierbei als figurales Oxymoron arrangiert. Der poetische Machart seines Textes setzt Heinrich von dem Türlin mit der Schmiedemetaphorik ins Bild.850 Anders als beim Schneidern, geht es beim Schmieden weniger um ein Zusammenfügen als vielmehr um das Formen des Materials. Damit verschiebt sich der Fokus von einer Poetik der Kombination hin zu einer der Formgebung. Die in der Gasoein-Handlung erwirkte Komik wird maßgeblich getragen von scheiternden Handlungen, die das Resultat von ineinandermontierten – man könnte auch sagen: geschmiedeten – Rollen sind, die jeweils in der Gegenüberstellung komische Handlungsbrüche erzeugen. Heinrich schöpft für seinen Roman aus der französischen, deutschen und lateinischen fiktionalen Erzähltradition und gestaltet die Romanhandlung aus dieser Materialmasse. Dabei ergibt sich eine produktive Auseinandersetzung mit Handlungsmustern, die an Figuren gebunden oder innerhalb von Handlungsmustern mit spezifischen Eigenschaften besetzt sind. Zuweilen erzeugt das ein Scheitern von Handlung und auf diese Weise Komik.

849 Ebenbauer, Alfred: Gawein als Gatte, S. 37. 850 Vgl. dazu auf der Lake, Katrin: Kronenschmiede. Überlegungen zur poetischen ,Fertigung‘ der Crône Heinrichs von Türlin. In: Dietl, Cora / Schanze, Christoph / Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.): Jenseits der Epigonalität. Selbst- und Fremdbewertungen im Artusroman und in der Artusforschung. Berlin 2020 (= Schriften der Internationalen Artusgesellschaft 15), S. 83–104.

6 Fazit: Handlung, Wissen, Komik – Strategien des Erzählens im Artusroman Komik, die in mittelalterlichen literarischen Texten durch erzählte Handlung generiert wird, ist vom Standpunkt des modernen Betrachters aus nicht immer leicht zu identifizieren. Diese Einsicht provozierte die Frage, worin diese Schwierigkeit der Erfassung und Wahrnehmung begründet liegt. Die Communis Opinio, dass Komik historisch und kulturell variabel ist, gehört zu den literaturwissenschaftlichen Prämissen, die Beschäftigungen mit Komik zugrunde liegen. Hinsichtlich der Frage, was an Komik historisch und kulturell variabel ist, zeigen sich die literaturwissenschaftlichen Positionen differenziert. Das Ziel kulturwissenschaftlich orientierter Untersuchungen von Komik ist es, Aussagen über die Kultur zu treffen, der der Text entstammt. Der Text als ein Produkt der Kultur, die ihn hervorbringt, lässt gewiss Rückschlüsse über Kulturen zu und kann in Kombination mit Untersuchungen anderer künstlerischer aber auch alltäglicher Kulturprodukte aufschlussreich sein. Demgegenüber war es das primäre Interesse der vorliegenden literaturwissenschaftlichen Untersuchung, den Gegenstand zunächst kulturell rückzubinden und Aussagen über diesen selbst zu treffen. Historische und kulturelle Aspekte sind gegenstandsgebunden und demzufolge Komik selbst schon inhärent. Dieser, der Komik wesenhaft inhärenten kulturhistorischen Variabilität wurde methodisch begegnet, indem ihre kulturhistorische Variabilität in den kulturhistorischen Wissensordnungen verankert wurde, die dem Text vorausliegen und mit denen das narrative Verfahren operiert. Als ein sich im narrativen Kommunikationsprozess erst generierender Effekt, ist Komik substanziell abhängig von den vom Rezipienten gebildeten Inferenzen. Unter Alteritätsverdacht steht Komik einerseits, was ihr Verfahren betrifft und andererseits, was ihre Feststellbarkeit anbelangt. Damit berührt die Auseinandersetzung mit Komik die Frage nach historischer Dependenz hinsichtlich ihrer Verfahrensweise sowie der rezeptionsseitigen Beurteilung. Die Studie hat sich zum Ziel gesetzt, sowohl die narrativen Strukturen, die Komik evozieren, beschreibbar zu machen, als auch die historischen Wissensbestände versuchsweise zu rekonstruieren, die das komische Scheitern von Handlung erst bewertbar machen. Versteht man Komik als Kategorie einer Theorie des Erzählens und fragt nach deren Anwendungsmöglichkeiten auf vormoderne Texte, bewegt sie sich als Kategorie im Spannungsfeld von Historischer Narratologie, Alterität, historischen Wissensordnungen und somit auch narrativen Kommunikationsmodellen. Die moderne Beschreibungskategorie hat bei der Anwendung auf den historischen Gegenstand keine Historisierung für die Be-

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schreibungssprache erfordert, weil das Verfahren selbst auf die Frage zurückgeführt wurde, wie eine erzählte Handlung Komik bewirken kann. Prämisse war hierbei, dem von HÜBNER gewählten Mittelweg zu folgen und Kategorien als sich wandelnde Kontinuitäten zu begreifen. Dadurch steht nicht primär Andersartigkeit, sondern es stehen potenzielle Übereinstimmungen im Fokus. Mittels der Parallelisierung von modernen Verfahren und antik-rhetorischen Verfahrensweisen zur Erzeugung von Komik konnten – unabhängig von der kulturhistorischen Variabilität von Inferenzwissen, das wesentlich an der Generierung von Komik mitwirkt – Konstanten aufgezeigt werden. Das Erzählverfahren selbst zeugt von Kontinuitäten, insofern Analogien der Verfahren der Erwartungsenttäuschung in antiker Rhetorik und modernen Ansätzen nachgewiesen werden konnten, die auch in den mittelalterlichen Texten Anwendung finden. Die Interpretation konnte so auf historischem Fundament operieren, ohne der historischen Begrifflichkeit verhaftet zu bleiben. Die Texte als Zeugnisse für eingesetzte Praktiken der Komikerzeugung bestätigen ebenfalls den Gebrauch handlungsgebundener Erwartungsenttäuschung, die sowohl in den Rhetoriken genannt wird, als auch den modernen Theorien zugrunde liegt. Die je eigenen Realisierungsformen der Dichter sind Belege poetischer Praxis. Einer möglichen historischen Relativität Komik erzeugender Erzählverfahren wurde begegnet, indem moderne und zeitgenössisch bekannte Verfahrensweisen zur Komikerzeugung parallelisiert wurden. Ziel hierbei war es zu erproben, ob Epochenspezifika bzgl. der Verfahren zur Generierung von Komik bestehen, denen es mit Modifizierungen des Beschreibungsinstruments zu begegnen gelte. Für die Beschreibungsparameter von Komik, die sich aus erzählter Handlung generiert, wurde eine transhistorische Perspektive in Form einer Parallelisierung von antiker Rhetorik und moderner Erzähltheorie eingenommen, um Kontinuitäten von Erzählverfahren sichtbar zu machen, die Komik generieren. Wo die mittelalterlichen Poetiken für Erzählverfahren, die Lachen erzeugen, keine Anleitungen bereithalten, sind die in den antiken Rhetoriken genannten Verfahren hinsichtlich handlungsgebundener Komik anschlussfähig für die narrativen Verfahren zur Erzeugung von Komik. Die Rhetorica ad Herennium nennt einigermaßen unkonkret die Darstellung von Abweichendem als Mittel für Komikerzeugung, demgegenüber aber differenzieren Cicero implizit und Quintilian hieran anknüpfend explizit zwischen wort-, sach- und handlungsgebundener Komik und heben das Prinzip der Erwartungsenttäuschung als besonders zentrales und wirkungsvolles Verfahren zur Erzeugung von Komik heraus. Neben stilistischen Mitteln präsentieren die Rhetoriken folglich auch Strategien, die es erlauben, über erzählte Handlung Komik zu erzeugen. Insbesondere werden hier Formen von Erwartungsenttäuschung und Normabweichungen in Verbindung mit handlungsgebundener Komik als zielführend erachtet. Diesbezüglich

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konnten Linien der Kontinuität für antik-rhetorische und moderne Verfahren nachgezeichnet werden, insofern diese Verfahren auch denjenigen moderner Inkongruenzmodelle zugrunde liegen. Die Hypothese von analogen Verfahrensweisen antiker und moderner Mechanismen bestätigte sich darüber hinaus innerhalb der poetischen Praxis der literarischen Texte. Hieran konnte nachgewiesen werden, dass dort Erwartungsbrüche eingesetzt werden, die erzählte Handlung scheitern lassen, um Komik zu erzeugen. Diese schon in den Rhetoriken bereitgehaltenen Verfahren gleichen den formalen Bedingungen, die den narratologischen Modellen von KINDT und STIERLE zugrunde liegen. KINDTS Theorie literarischer Komik, die auf der linguistischen GTVH von RASKIN und ATTARDO basiert, erfasst den Komik auslösenden Mechanismus als Script-Opposition, wobei Komik über einen Wechsel von einem zum anderen Script erzeugt werde. Demgegenüber steht im Zentrum von S TIERLES Ansatz, sofern man diesen scripttheoretisch auslegt, ein quasi verdoppeltes Script, das in der Verdopplung mehr eine Gleichzeitigkeit und keinen Wechsel zeigt. Gerade das für STIERLES Ansatz grundlegende Scheitern von Handlung gleicht der handlungsgebundenen Erwartungsenttäuschung der Rhetoriken. Die Heterogenität der Ausprägungen von Komik hängt auch von der Historizität von Wissen ab. Das Zusammenwirken von textinternen Signalen und pragmatischem Kontext erforderte für die Analyse von Komik in mittelalterlichen Texten infolgedessen die Rekonstruktion von historischem und literarischem Wissen, das an der Erzeugung von Komik über Inferenzbildungsprozesse teilhat. Bewertungen darüber, ob erzählte Handlung komisch ist, konnten damit an einen objektiven Kontext rückgebunden werden. Die rezeptionsseitigen Inferenzprozesse und das ihnen inhärente Wissen wurden an das Konstrukt des Modelllesers gebunden und damit die vom Text eingeforderten Präsuppositionen erfasst. Die Variable des kulturellen Wissens wurde modellhaft in Form von ‚historischen Scripts‘ konstruiert, um Urteile über erzählte Handlung erst treffen zu können. Da die Rekonstruktion der Script-Inhalte im Hinblick auf historische Wissensbestände hermeneutische Interpretation ist, wurde diesem Umstand Rechnung getragen und das Wissen als ‚literarisches Handlungswissen‘ begrifflich gefasst. Scripttheoretische Ansätze werden damit insofern historisiert, als das Historische ihrer Inhalte als nicht empirisch überprüfbare Interpretation sichtbar bleibt und terminologisch exponiert wird. Historische Scripts sind Konstrukte und bleiben als Rekonstruktionen erkennbar. Das Handlungswissen wird außerdem als ‚literarisch‘ gekennzeichnet, weil es aufgrund seiner Rekonstruktion aus literarischen Texten ein Gemenge aus alltäglichem schematischem Script-Wissen und literarischem Wissen ist. Komik als Inferenzkategorie einer Historischen Narratologie bindet den kulturhistorischen Aspekt von Komik in den narrativen Kommunikationsprozess

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ein. Kontextorientierung wird dabei produktions- wie rezeptionsseitig über den Inferenzprozess an kulturelles Wissen gebunden. Dadurch wird Komik kulturhistorisch relativ. Dieser historischen Abhängigkeit des komischen Gegenstands, der innerhalb der Komik erzeugenden Modellierung auf kulturelles Wissen Bezug nimmt, wurde dadurch begegnet, Sinnzuweisungen an erzählte Handlung nachzubilden. Dabei wurde sich auf den Ansatz STIERLES gestützt, der die historische Text-Kontext-Relation methodisch implementiert, indem er das Komische selbst auf die Poetik des Handelns hin befragt. STIERLES Ansatz wurde mit HÜBNERS Überlegungen einer praxeologischen Narratologie synthetisiert, weil es auch HÜBNER auf Sinnzuweisungen an erzählte Handlung ankommt. STIERLES Modell von der metonymischen Selbstbezeichnung von Handlungen ist vergleichbar mit HÜBNERS Auffassung von erzählter Handlung stets immanentem praktischen Wissen, insofern beide erzählte Handlung von einem kulturhistorischen Bewertungssystem von Handlungen abhängig erklären. Um die Komik, die durch erzählte scheiternde Handlungen generiert wird, beschreibbar zu machen, wurden Handlungsdispositive eruiert, die den scheiternden Handlungen als metonymische Folie zugrunde liegen und unter deren Einbeziehung sich die erzählte Handlung als scheiternde erst präsentiert. Um diese Bewertungsgrundlagen zu rekonstruieren, wurden mit modernen Scripts vergleichbare Handlungsmuster extrahiert, indem verschiedene Realisierungen bspw. eines Motivs und dessen kennzeichnende Handlungsparameter nebeneinandergestellt und auf typisierte Regelmäßigkeiten hin befragt wurden, die sich in Wiederholung von Handlung zeigen. Aus diesen Regelmäßigkeiten ließ sich ein Bündel an Bedingungen für diese Handlung ableiten und hiervon ausgehend der an diese Handlung gebundene Sinn der Handlung extrahieren. Dieser an die jeweilige Handlung gebundene Sinn, der mit dem Handlungsmuster zusammenhängt, bildet die Folie für die metonymische Lesart der Handlung. Literarisches Handlungswissen bezeichnet demzufolge typisierte Handlungsmuster. Wird bspw. das Motiv des Schönheitspreises oder das der Entführung der Königin erzählt und das hieran gebundene Handlungsmuster zum Scheitern gebracht, macht sich der Text das Handlungsmuster selbst zur Folie, indem er das Motiv in der Erzählung einsetzt. Zugleich bewahrt die erzählte Handlung zunächst den Schein der Handlung, indem sie das Motiv aufgreift und selbst eine Schönheitspreisaventiure oder von der Entführung der Königin erzählt. Kontrastiv verkehrte Regelmäßigkeiten verursachen vor dem Horizont des literarischen Handlungswissens dann ein plötzliches Moment von Störung, das die erzählte Handlung als Unhandlung entlarvt. Den Schein der gelingenden Handlung bewahrt die erzählte Handlung dabei jedoch stets, da Regelmäßigkeiten zwar kontrastiv verkehrt, aber dennoch als Regelmäßigkeiten aufrecht erhalten bleiben. Das Wissen um Spezifika von Handlungsabläufen lässt erst sichtbar werden,

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dass die erzählte Handlung sich zur Handlungsintention konträr verhält; erst in der Folge wird sie als Unhandlung erkennbar. Die metonymische Lesart beruht in diesen Fällen auf dem an diese Handlung gebundenem Sinn, der im Muster der vorab entworfenen Handlung an diese geknüpft ist. Eine scheiternde Handlung basiert immer auf einer gelingenden Handlung, die jedem Scheitern metonymisch zugrunde liegt. Die Diagnose des Scheiterns ist jedoch letztlich immer Interpretation. Aussagen über Scheitern von Handlungsabläufen sind nur möglich, wenn Regularitäten von Handlungsabläufen zugrunde gelegt werden. Diese Folie war das Ziel der hermeneutisch verfahrenden Rekonstruktion von historischen Scripts, die auf das Wissen um spezifische Handlungsmuster verweisen. Mit dem Begriff des ‚literarischen Handlungswissens‘ wurde die hermeneutische Konstruiertheit von vornherein offengelegt und das mittels literarischer Darstellung von Handlung rekonstruierte Handlungswissen als literarisch überformtes Handlungswissen exponiert. Scripts wurden infolgedessen zu einer hermeneutischen Kategorie. Das ihnen inhärente Wissen wurde anhand von narrativen Diskursivierungen innerhalb von Texten rekonstruiert, um dieses historisierte Script-Wissen zur Basis von scheiternden Handlungen zu machen. Der Ansatz der praxeologischen Narratologie von HÜBNER fokussiert den kulturellen Sinn von Handlungen und erklärt den Habitus zur Grundlage der Bewertung für richtiges und falsches Handeln. HÜBNER zufolge diskursiviert erzähltes Handeln kulturelles Handlungswissen. Sinn von Handlung generiert sich demzufolge in Relation zur jeweiligen kulturellen Wissensordnung, der sie entstammt. Der Nexus von erzähltem Handeln und kulturellem Handlungswissen, den HÜBNER hier herstellt, ist Komik von vornherein inhärent, da das komische Scheitern von Handlung aus einer Inkongruenz von textlichem und inferiertem Sinnangebot resultiert. Die Synthese der Ansätze von HÜBNER und STIERLE hat eben diese Verflechtung von Sinnangeboten im Blick, da die metonymische Lesung von einem kulturhistorisch varianten Handlungswissen abhängt, das über das Konstrukt eines Modelllesers an die historische Wissensordnungen rückgebunden wurde. Historische Kontextabhängigkeit wurde über die im Text geforderten Präsuppositionen als Inferenzwissen verstanden. Historisierungsbedarf besteht im Hinblick auf Komik in der historischen Abhängigkeit des Inferenzwissens vom kulturellen Kontext. Anhand der Textanalysen des Wigalois und der Crône konnte gezeigt werden, dass ein Wissen von erwartbarem Handeln teilweise stillschweigend vorausgesetzt und teilweise über intertextuelle Verweise eingefordert wird, um erzählte Handlungen als scheiternde Handlungen vor dem Hintergrund des Wissens um ihr Gelingen zu zeigen. Die intertextuellen Verweise fungieren dabei nicht uneingeschränkt, aber dennoch partiell als Verweise auf Wissensordnungen bzw. literarisches Handlungswissen und dienen nicht einem parodistischen Zweck. Die in

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der Forschung gebräuchliche Parodieetikettierung der späten Artusromane birgt die Gefahr, den Sinnhorizont der Romane allein auf die mit der Parodierung einhergehende kritische Intention zu reduzieren. Mit diesem Verständnis von kritisch funktionalisierter Parodie ginge zwangsläufig eine Herabwürdigung des Hypotextes einher, die das Ziel des Komikeinsatzes wäre. Diese dem modernen literaturwissenschaftlichen Parodieverständnis inhärente Gleichsetzung von intertextuell begründeter Komik und Diffamierung der Vorlage scheint gerade für die Bewertung der Artusromane jedoch wenig treffend, da sich die Romane selbst in die Gattungstradition einschrieben, die sie herabsetzen. GENETTES Klassifizierungen und die Überlegungen WOLFZETTELS wirken hier richtungsweisend auf eine Bergriffverwendung ein, die die konstruktive Auseinandersetzung forciert. Sowohl für den Wigalois als auch für die Crône wurden die intertextuellen Bezüge in einem weitaus großflächiger operierenden System von kulturhistorisch abhängigem Handlungswissen erfasst und hierüber über Einzeltextreferenzen hinaus Bezüge zu an bestimmte Motive oder Narrative gebundene Handlungsmuster hergestellt. Einzeltext- oder Systemreferenzen dienen hier dazu, ein inferenzielles Wissen von erwartbarem Handeln zu aktivieren. Hat SCHIEWER es als „müßig“ aufgefasst, „über seine [Wirnts, Anm. d. V.] Kenntnisse der lateinischen Gattungs- und Poetikdiskussion zu spekulieren“, „[d]a wir über Wirnts Bildung nichts wissen“851, konnte die Untersuchung hingegen zeigen, dass zumindest das im Wigalois eingesetzte Verfahren zur Erzeugung von Komik demjenigen gleicht, das die im Schulunterricht genutzten Rhetoriken bereithalten. Die Erwartungsenttäuschung als Mittel, um erzählte Handlung komisch zu brechen, scheint jedenfalls an Verfahren der Komikerzeugung anzuschließen, wie sie innerhalb der lateinischen Bildungstradition bekannt waren, und wie diese ebenfalls noch innerhalb moderner narrativer Strategien der Erzeugung von Komik Anwendung finden. Als Zeugnisse poetischer Praxis, deuten sowohl die im Wigalois als auch die in der Crône eingesetzten Strategien darauf hin, dass die mittelalterliche poetische Praxis solche Verfahren bereitstellte, um Komik zu erzeugen. Indem die moderne narratologische Beschreibungssprache mit antiken Verfahren parallelisiert wurde, konnte der Blick für die in der poetischen Praxis eingesetzten Verfahren geschärft werden. So konnte ein Höchstmaß an Offenheit gegenüber greifbaren potentiellen Verfahrensweisen zur Erzeugung von Komik die Grundlage für die Untersuchung bilden.

851 Schiewer, Hans-Jochen: Prädestination und Fiktionalität in Wirnts Wigalois, S. 151. Er beschränkt sich in der Folge auf Wirnts Kenntnis literarischer Werke.

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Würde man aufgrund der kulturhistorischen Distanz und in Zusammenhang mit dem generell hypothetischen Charakter von Komik nur diejenigen Textabschnitte als komisch anerkennen, die durch ein intradiegetisches Lachen auf Komik hinweisen, würde man jedwede Komik ausschließen, die nicht von einem ebensolchen Figurenlachen begleitet wird, weil sie z. B. nur eine extradiegetische Funktion erfüllt. Figurenlachen kann als Marker für Komik dienen, ist aber nicht zwingend Voraussetzung. Da sich intra- und extradiegetisches Lachen nicht immer parallelisieren lassen und ersteres fernerhin nicht zwangsläufig ein Lachen über intradiegetisch funktionierende Komik sein muss, bleiben Rückschlüsse von textinternem Lachen auf ein textexternes Lachen gleichermaßen ungesichert. Die aufgrund von Analogien mit antiken und modernen Mechanismen als komisch wahrgenommenen Textstellen evozieren geradewegs die Gegenfrage, welchem Zweck die dort angewandten Verfahren anderenfalls gedient haben mögen, wenn nicht der Erzeugung von Komik. Geht man von Kontinuitäten bzgl. der Erzählverfahren aus, weisen Ähnlichkeiten mit bekannten Verfahren darauf hin, dass sie der Erzeugung von Komik dienen. Das Rezipientenlachen bleibt in beiden Fällen eine „unsichere Größe“852. In einer Untersuchung zur Ironie im Mittelhochdeutschen untersucht KNAPP exemplarisch den Wigalois und die Crône, weil sie ihm diesbezüglich als „konträre Typen der stilistischen Bewältigung“ gelten: „Wirnt von Grafenberg darf aber als braver, biederer, frommer, mäßig geistreicher, Heinrich von dem Türlin dagegen als hochartifizieller, manieristischer, witziger, wenn auch nicht immer geschmackvoller Erzähler gelten.“853 KNAPPS Urteil wirkt hier gewiss aus dem Zusammenhang gerissen mit einer apodiktischen Bestimmtheit, die es zweifelsohne nur in Bezug auf die stilistische Verwendung der Ironie hat. Dennoch gibt es Anlass, im Anschluss an die Ergebnisse der Untersuchung herauszustellen, dass die von KNAPP betonten Ungleichheiten der beiden Autoren für die Verfahren der Komikerzeugung nicht gelten. Die im Wigalois eingesetzte Strategie der Erwartungsenttäuschung im Hinblick auf typisierte Handlungsmuster, die sich von Motiven und Narrativen ableiten, setzt auch Heinrich von dem Türlin in der Crône ein. In der Crône wird Komik erzeugt, sowohl indem an Motive gebundene Handlungsmuster komisch zum Scheitern gebracht werden, als auch dadurch, dass spezifisch an Figuren gebundenes literarisches Handlungswissen

852 Coxon, Sebastian: do lachete die gote, S. 189. 853 Knapp, Fritz Peter: Die sogenannte mittelhochdeutsche Ironie: ein Stilphänomen? In: Fritz, Thomas A. / Koch, Günter / Trost, Igor (Hrsg.): Literaturstil – sprachwissenschaftlich. Festschrift für Hans-Werner Eroms zum 70. Geburtstag. Heidelberg 2008 (= Germanische Bibliothek 32), S. 87–102, S. 100.

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für Erwartungsenttäuschungen bezüglich figuraler Handlungsmuster eingesetzt ist. An den Topos von Artus Mainatur ist ebenso ein spezifisches literarisches Handlungswissen gebunden, wie generell mit dem festen Figurenpersonal des Artushofs bestimmte Handlungsmuster verknüpft sind. Der ausblickhafte Vergleich mit dem in der Crône eingesetzten Erzählverfahren zur Erzeugung handlungsgebundener Komik konnte in zweifacher Hinsicht als Gegenprobe fungieren: Einerseits hat sich gezeigt, dass das für den Wigalois herausgestellte Verfahren von erzählter scheiternder Handlung in der Crône ebenfalls eingesetzt und in ihre ganz eigene Poetik integriert wird. Andererseits konnte eine Divergenz zwischen der bloßen Variation eines Motivs und durch kontrastive Variation erzeugte Komik herausgestellt werden. Wo Gaweins Selbstverlust in der Amurfina-Episode lediglich eine Variation des Motivs der Identitätskrise zeigt, erzeugt die erzählte Handlung von Wigalois’ Ohnmacht Komik infolge von Erwartungsbrüchen. Die in der Ohnmachtsepisode erzählte Handlung verhält sich konträr zu dem an dieses Motiv geknüpften Handlungsmuster und dessen Handlungsintention und erzeugt als erzählte scheiternde Handlung Komik.

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Namensregister Abelson, Robert P. 80 Adolf, Helen 40 Alanus ab Insulis 235 Albrecht von Scharfenberg 285 Andersen, Elizabeth 4, 115, 159, 203, 284, 287–288 Andersen Vinilandicus, Peter 103, 161 Andreas Capellanus 146 Antunes, Gabriela 190, 192, 194–195, 200, 207, 212 Arend, Elisabeth 1, 57 Arend, Stefanie 55–56 Aristoteles 43, 45, 50–51 Ash, Karina Marie 122 Attardo, Salvatore 60, 331 auf der Lake, Katrin 87, 106, 112, 160, 328 Aumüller, Matthias 18, 56 Austin, John L. 64, 82 Bachmaier, Helmut 12 Bachtin, Michail M. 23, 44 Baisch, Martin 74, 155, 176, 308, 323 Balzter, Stefan 7, 60 Bareiß, Karl-Heinz 45, 47–48, 50–51, 53 Bartsch, Nina 100, 213 Bauschke, Ricarda 4, 136, 147, 159, 203, 260 Becker, Anja 69 Becker, Karin 32 Beifuss, Helmut 88, 91, 119–120, 124, 156, 162, 193, 215, 233 Bendheim, Amelie 96, 111, 166, 215, 219, 233 Bergson, Henri 11, 44 Bertau, Karl 33 Bertelsmeier-Kierst, Christa 109 Besamusca, Bart 256 Bleumer, Hartmut 10, 73, 75, 83, 97, 189–190, 192, 197, 210–212, 231, 243, 246–247, 250–252, 262, 268–269, 273, 275–276, 278, 282 Block, Friedrich W. 13 Böcking, Cordula 190, 194, 199, 207,210, 212 Bockwyt, Rabea 96 Bolta, Eva 108, 119, 153, 161, 233, 307 Borgnet, Guy 91, 94, 162, 167–168, 176

https://doi.org/10.1515/9783110732252-008

Bourdieu, Pierre 17, 75–76 Braet, Herman 22, 40 Brall, Helmut 95, 99, 219 Brandt, Rüdiger 38 Bräuer, Rolf 24 Braun, Manuel 31, 36, 69 Brinker-von der Heyde, Claudia 92, 95, 219, 243–244, 300 Brogdi, Susanna 222 Brône, Geert 60–61 Brown, James H. 89, 226 Brüggen, Elke 203, 205 Brummack, Jürgen 9 Brunner, Horst 96, 122, 177, 242 Bühler, Karl 61 Bungartz, Peter 92 Burrichter, Brigitte 34, 91, 129, 140, 160, 190 Busch, Nathanael 133 Buschinger, Danielle 35, 91, 94, 244, 266, 299 Busse, Dietrich 80 Castoriadis, Cornelius 17 Chalkomatas, Dionysos 48, 51 Chrétien de Troyes 33, 101, 129, 131–133, 136, 143, 164, 168, 179, 201–203, 242, 282, 286–288, 295 Cicero 7, 11, 40, 45, 47–53, 330 Cieslik, Karin 246 Classen, Albrecht 22, 118, 125, 240, 243, 245, 247, 299, 312 Contzen, Eva von 69, 74, 79 Cormeau, Christoph 88, 99, 107, 129, 154, 162, 172, 185, 187, 189, 200, 202, 212, 215, 217, 223, 232–234, 242 Coxon, Sebastian 28–29, 31–32, 35–36, 43, 335 Curschmann, Michael 110 Curtius, Ernst Robert 1 Daiber, Andreas 103–104, 258, 267, 308, 325 Dandaraw, Cordula Ursula D. 125, 162, 176, 184, 186, 188, 213, 233

374

Namensregister

Dartmann, Christine 30 Däumer, Matthias 91, 103, 111, 114, 116, 133, 140, 160, 188, 190, 201, 241, 243, 266, 287 de Boor, Helmut 220 Del Duca, Patrick 91 Demokrit 11, 49 Dick, Ernst S. 103, 244 Dietl, Cora 10, 34, 91–92, 95–96, 102–103, 106, 121, 133, 140, 160, 188, 190, 201, 208, 221, 224, 241, 243, 251, 260, 264, 266, 287, 328 Dimpel, Friedrich Michael 34, 93, 108, 119, 139, 162, 234, 260 Dobozy, Maria 241 Ebenbauer, Alfred 92, 179, 245, 287, 307–308, 312, 328 Eco, Umberto 11, 23, 82–86 Edrich-Porzberg, Brigitte 88, 125 Ehrismann, Otfrid 283 Eikelmann, Manfred 126, 159, 196–197, 212, 228, 230–231, 278, 326 Eisenberg, Benjamin 61 Eming, Jutta 93–94, 96, 100–101, 129, 136, 155, 168, 189–190, 192, 228, 233 Erfen, Irene 1, 24, 27 Fahl-Dreger, Axel 27 Faral, Edmond 40 Fasbender, Christoph 87, 91, 104, 108–109, 123, 126, 152, 154, 167–168, 212, 215 Felder, Gudrun 259, 278 Fietz, Lothar 27–28, 37, 44–45 Flashar, Hellmut 45 Fortmann, Patrick 31 Friedrich, Udo 304 Fromm, Hans 2, 30, 220, 303 Fuchs-Jolie, Stephan 91, 96, 107–108, 118, 120, 124, 129, 139, 153–154, 161–162, 168, 185, 189, 212, 226, 233 Funcke, Eberhard W. 92 Galfried von Vinsauf 39, 45 Gärtner, Kurt 33, 96, 114–115, 131 Geisthardt, Constanze 253

Genette, Gérard 33, 109–111, 250 Geoffrey of Mounmouth 96, 283 Gerigk, Anja 58–59, 61 Gerok-Reiter, Annette 159, 196, 200, 202, 205–206 Giloy-Hirtz, Petra 191, 194 Glaser, Andrea 244 Gottfried von Straßburg 102, 114 Gottzmann, Carola L. 96, 139–141, 189, 226 Grafetstätter, Andrea 31, 60 Green, Dennis Howard 10 Grice, Paul 23, 85 Grubmüller, Klaus 29, 100, 106, 189, 282, 293 Gürttler, Karin R. 250, 293 Gutwald, Thomas 32, 247, 250–252, 262 Gvozdeva, Katja 26 Haaser, Rolf 9 Häberlein, Bianca 99, 190 Habicht, Isabel 253 Haferland, Harald 68, 70, 83, 288 Häger, Hanna-Myriam 197, 257 Hahn, Ingrid 99, 125, 194 Hartmann, Heiko 263, 276, 326 Hartmann, Sieglinde 27 Hartmann von Aue 87–88, 101, 113–115, 117, 125, 130–131, 137, 158, 160, 164, 170, 175, 179, 190, 201–203, 288–289 Haug, Walter 2, 5–6, 32, 37–38, 54–55, 97–98, 112, 161, 223, 246, 253, 259, 263, 282–283, 287, 304 Heinen, Hubert 27, 244 Heinrich von dem Türlin 4–5, 32, 108, 179, 201, 203, 220, 227, 240–246, 248–249, 251, 253, 259–266, 268–269, 273, 275–276, 278–280, 282, 284, 287, 289, 294, 296, 298–300, 308–313, 318, 326, 328, 335 Heinrich von Neustadt 209 Heinzle, Joachim 33, 88 Henderson, Ingeborg 91, 162, 170, 172, 178, 219, 244 Henkel, Nikolaus 39, 240 Hoffmann, Ulrich 264, 270, 294 Honemann, Volker 121, 161, 242

Namensregister

Horn, András 58 Huber, Christoph 28 Hübner, Gert 17, 52, 62, 67, 70–72, 74, 76–82, 150, 187, 330, 332–333 Hühn, Peter 61 Iser, Wolfgang 17, 56, 68, 74, 85 Jaeger, Achim 169, 219 Jäkel, Siegfried 21, 45, 53 Jakobi, Carsten 10, 65 Jakobs, Béatrice 43–44, 48 Jannidis, Fotis 82–85 Jauß, Hans Robert 17, 44, 58, 85 Jillings, Lewis 35, 246, 249, 253, 256, 273, 278–280, 285, 295–297, 302, 305, 311, 325 Johnson, Leslie Peter 33 Kablitz, Andreas 45 Kaiser 191, 258, 300, 308 Kaminski, Nicola 253, 260, 280, 303 Kasten, Ingrid 23, 28, 96, 209 Keller, Johannes 74, 108, 244 Kellermann, Karina 25 Kemper, Tobias A. 1 Kern, Manfred 241, 318 Kern, Peter 162, 178, 188, 221, 223, 242, 309 Kerth, Sonja 35, 210 Kindt, Tom 12, 16, 18, 49, 59–62, 66, 331 King, Martina 73 Kipf, Johannes Klaus 16, 36, 38 Kirchhoff, Matthias 251, 263, 270, 280, 300, 305 Klare, Andreas 121, 139 Klopsch, Paul 38 Knapp, Fritz Peter 105, 146, 201, 220, 242, 244, 281, 283–284, 300, 335 Knoll, Hiltrud Katharina 94, 233 Kohler, Gun-Britt 23 Köhler-Busch, Madelon 247 Konrad von Würzburg 115, 260 Korrell, Peter 283

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Kotthoff, Helga 13 Kragl, Florian 33, 74, 179, 241–242, 258, 261, 286, 294 Kraß, Andreas 165, 167, 169, 197 Kratz, Bernd 273, 279–280, 296, 298, 308, 312 Kremer, Karl Richard 29 Kugler, Hartmut 288 Kühnert, Friedmar 53 Lamping, Dieter 9, 57 Latré, Guido 22, 40 Lauer, Claudia 261 Le Goff, Jaques 1 Lebsanft, Franz 230 Lechtermann, Christina 243 Lecointre, Marie-Noëlle 91 Lehmann, Jan 111, 115–117 Leidinger, Simone 140 Lembke, Astrid 3, 156, 215 Lichtblau, Karin 244 Lienert, Elisabeth 33, 78, 95, 98, 101, 158 Liggieri, Kevin 21, 100 Linden, Sandra 93–94, 111, 196 Lohbeck, Gisela 189–190, 205, 226, 233 Lohse, Rolf 58 Lotman, Juri 75 Lugowski, Clemens 232 Luhmann, Niklas 59 Madsen, Rainer 3 Maksymiuk, Stephan 95 Marshall, Sophie 123, 154, 156–157, 161, 176, 207, 213, 219, 229 Martínez, Matías 15–16, 18, 56 Matejovski, Dirk 178, 181–182 Matthieu de Vendôme 38–40 McLuhan, Marshall 111 Mentzel-Reuters, Arno 227, 235, 243, 254, 260, 266, 281, 296–297 Mertens, Volker 88, 177, 196, 240 Meyer, Matthias 4, 69–70, 240, 245–246, 250–251, 260, 265, 268, 273, 278, 280, 283, 290, 292, 294–295, 299, 301, 308–309, 324

376

Namensregister

Mhamood, Ariane 33 Mierke, Gesine 90, 101 Miklautsch, Lydia 88, 119 Mitgau, Wolfgang 90, 101 Mohr, Wolfgang 3 Moser, Dietz-Rüdiger 24 Müller, Beate 33 Müller, Dorothea 31 Müller, Jan-Dirk 17, 24, 37, 59, 75, 170–173, 177, 181, 317, 321, 323, 327 Müller, Mareike von 32 Müller, Maria E. 68 Müller, Ulrich 21, 27 Müller-Kampel, Beatrix 12 Murphy, James J. 38, 40 Nellmann, Eberhard 90 Nünning, Ansgar 73 Nyholm, Kurt 21 Oesterle, Günter 9 Oster, Carolin 190–191, 194, 197 Ovid 110 Pape, Walter 13 Pastré, Jean Marc 312 Peil, Dietmar 226 Pfister, Manfred 35 Philipowski, Katharina 92 Pleier, Der 31, 88, 248, 288 Plessner, Helmuth 29–30, 44, 58 Plotke, Seraina 34 Poenaru, Vasile V. 31 Preisendanz, Wolfgang 8, 21, 58, 70, 74 Prütting, Lenz 29 Przybilski, Martin 242 Quintilianus, Marcus Fabius 45, 53–54, 330 Raoul de Houdenc 143 Raskin, Victor 59–60, 331 Raumann, Rachel 196, 198 Rebschloe, Timo 154 Reich, Björn 92 Reinitzer, Heimo 312 Renaut de Beaujeu 132

Reuvekamp, Silvia 4, 83–84, 126, 149, 159, 203, 291 Rhinisperger, Selena 318 Ridder, Klaus 3, 31, 125 Ringeler, Frank 139, 161, 166, 260, 293, 309 Robert, Jörg 33 Röcke, Werner 23, 27, 125 Roßnagel, Frank 88, 170, 172–174, 185, 189, 200, 204 Ruff, Thomas 122 Rüther, Kerstin 261, 265, 271, 278 Samples, Susann 298, 300 Schäfer, Susanne 58 Schank, Roger C. 80 Schanze, Christoph 10, 93–94, 103, 251, 263, 270, 280, 300, 305 Scheibel, Nina 69 Schießl, Ute 92, 103–104, 106–107 Schiewer, Hans-Jochen 88–89, 92, 98, 154, 194, 233, 242, 334 Schindler, Andrea 160 Schirok, Bernd 100, 102, 257 Schmid, Elisabeth 124, 240, 281, 316–317, 323 Schmidt, Siegfried J. 43, 56–57 Schmitt, Stefanie 194 Schmitz, Bernhard Anton 92, 259 Schmolke-Hasselmann, Beate 209, 326 Schneider, Almut 95 Schneider, Christian 78, 242 Schnell, Rüdiger 2, 31, 99, 275 Schnyder, Mireille 155–156, 164, 170, 228, 236, 308, 311, 318 Schöller, Robert 245 Scholz, Manfred Günter 110–111, 115 Schommers, Stephanie 106, 108 Schopphoff, Claudia 93 Schröder, Werner 87, 90, 97, 189, 206, 240, 249 Schu, Cornelia 251, 276, 284, 291, 297–298, 300, 303 Schul, Susanne 300 Schulz, Armin 37, 69, 188, 266, 283 Schumann, Anica 16, 19, 32, 35, 54, 56, 62, 78 Schütz, Alfred 65

Namensregister

Schwind, Klaus 8 Schwob, Anton 27 Schwob, Ute Monika 1 Searle, John 64, 82, 85 Seeber, Stefan 3, 10, 30–31, 33–34, 38–40, 42–43, 45–49, 51, 54, 73, 194 Seelbach, Sabine 93, 108–110, 120, 122, 154, 158, 189, 204, 208, 218 Seelbach, Ulrich 93, 109–110, 120, 122, 154, 158, 204, 208 Seitz, Barbara 192, 195 Selmayr, Pia 93–94, 168, 172, 220, 222 Seneca 39 Sherman, Jon 88 Shockey, Gary C. 245, 258, 284, 293, 298–299, 301, 307, 315 Skowronek, Marianne 227 Sorg, Reto 9 Spechtler, Franz Viktor 27 Speckenbach, Klaus 303 Sproll, Monika 222 Standke, Matthias 87, 153, 173, 189, 215 Stange, Carmen 108, 122, 155 Stein, Peter 201, 232, 240, 252, 257, 282, 285, 302–304, 311, 316 Steinmetz, Ralf-Henning 41–42, 45 Stierle, Karlheinz 63–66, 76, 81, 124, 331, 333 Stocker, Peter 9 Störmer-Caysa, Uta 93, 242, 310 Strasen, Sven 85–86 Strohschneider, Peter 231, 236 Suchomski, Joachim 1, 39 Suerbaum, Almut 296 Süss, Wilhelm 38 Tatlock, J. S. P. 40 Ten Venne, Ingmar 99 Terenz 39–40 Teubert, Wolfgang 80 Thomas, Neil 88, 90–91, 98, 100, 102, 104, 107, 128, 188, 192, 203, 229, 240, 245, 251, 266, 279, 287, 302, 308 Timonen, Asko 21

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Tomasek, Tomas 3, 16, 25, 30, 126, 159, 212, 278, 326 Tuczay, Christa 192, 209 Ueding, Gert 9, 44, 54 Ulrich von Zatzikhoven 286–287 Veeh, Michael 89, 124, 153, 190, 194, 212 Velten, Hans Rudolf 10, 25–26, 27, 29, 31, 33, 43, 260 Verbeke, Werner 22, 40 Verberckmoes, Johan 40–41 Verweyen, Theodor 9, 34 Viljamaa, Toivo 53 Vollmann, Justin 240–241, 244–245, 275, 282, 287, 298, 309, 312 Vollmer, Matthias 227 Voorwinden, Norbert 312 Wagner-Harken, Annegret 299, 312–313 Wallbank, Rosemary E. 265–266, 296 Waltenberger, Michael 88, 119, 189 Wandhoff, Haiko 25, 35, 298, 318 Warning, Rainer 17, 43, 58, 63, 74 Wartenburg, Imke 227 Webster, Kenneth Grant Tremayne 254, 266, 280, 282–284, 295 Wegera, Klaus-Peter 23, 55, 228, 232 Wehrli, Max 1–3, 5, 34, 95, 98 Wennerhold, Markus 34, 87–88 Wieshofer, Natascha 93 Wiesinger, Michaela 259–260 Willand, Marcus 83 Winkler, Markus 8 Winst, Silke 192 Wirnt von Grafenberg 3, 5, 87–89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 105, 108–112, 115, 117, 119–122, 124, 126, 128, 138, 140–141, 154, 157–159, 161, 163, 165–166, 169–170, 172–174, 178–179, 184–189, 192, 194, 196, 198, 200–206, 219, 221, 224, 226, 228–229, 235, 335

378

Namensregister

Wirth, Uwe 6, 9 Wisbey, Roy A. 190–192 Witte, Sandra 95 Witting, Gunther 9, 34 Wolfram von Eschenbach 3, 30, 87, 89–90, 102, 128, 190, 203–204, 206, 242 Wolfzettel, Friedrich 34, 249 Wüstemann, Sybille 121, 224

Wynn, Marianne 248–249, 282 Wyss, Ulrich 242, 244 Zach, Christine 279, 289, 311 Zatloukal, Klaus 311 Zimmermann, Günter 35 Zimmermann, Martin 219 Zymner, Rüdiger 66, 84